Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen: Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894-1915 9783666370182, 9783525370186, 9783647370187

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Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen: Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894-1915
 9783666370182, 9783525370186, 9783647370187

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Dieter Gosewinkel, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler Band 191

Vandenhoeck & Ruprecht

Jakob Zollmann

Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894 – 1915

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit zwei Karten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-37018-6 ISBN 978-3-647-37018-7 (E-Book) Umschlagabbildung: Deutsch-Südwestafrika. Polizeiappell auf einer Station Foto: Koloniales Bildarchiv, UB Frankfurt/Main Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf Zugl. Diss. Phil FU Berlin 2008  2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . Zum Verständnis zeitgenössischer Staatstätigkeit Zum Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . Fragestellungen und Gliederung . . . . . . . . . . Quellen, Perspektiven und Sprachen . . . . . . .

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Erster Teil: Organisation und Personal der Landespolizei . . . . . . I. Recht und Verwaltung der Polizei in Deutsch-Südwestafrika . 1.1. Grundzüge des deutschen Kolonialrechts . . . . . . . . . 1.2. Erste Versuche kolonialpolizeilicher Tätigkeit . . . . . . . 1.3. Die Planungen für eine Kolonialpolizei und die Kolonialkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Die Etablierung der „Landespolizei für DSWA“ 1905/1907 1.5. Die rechtsstaatlichen Anforderungen an kolonialpolizeiliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Die Schutztruppe als Polizeiorgan . . . . . . . . . . . . . II. Afrikaner als deutsche Polizisten . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. „Eingeborene Polizisten“ im „System Leutwein“ . . . . . 2.2. Die „Polizeidiener“ in der „Landespolizei“ . . . . . . . . 2.3. Ebenbürtigkeit und „Mimicry“ . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Teil: Die koloniale Strafpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die afrikanische Bevölkerung und die Kolonialpolizei . . . . . 3.1. Vom Afrikaner zum „Eingeborenen“ . . . . . . . . . . . . . 3.2. Das „Eingeborenenrecht“ und seine Überwachung . . . . . IV. Deutsche „Rituale der Vergeltung“ in Afrika . . . . . . . . . . . 4.1. Prügelstrafe und Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 4.2. Strafvollzugs- und Gefängniswesen . . . . . . . . . . . . . 4.3. Versuchsfelder jenseit des Rechtsstaats. Deportationen aus und nach Deutsch-Südwestafrika . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Das Recht zum polizeilichen Einsatz von Schusswaffen und die Todesstrafe in der Kolonie . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Wiederbegegnung mit ,alten Bekannten‘. Patrouillen gegen „Viehdiebe“ und „Räuberbanden“ . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Disziplin und Disziplinierung der Polizeibeamten . . . . .

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Dritter Teil: Die Polizei im kolonialen Raum . . . . . . . . . . . . . . V. Die Polizei in herrschaftsnahen und herrschaftsfernen Räumen 5.1. Neben dem Herrschaftszentrum „Neu-Deutschlands“. Ordnung und Sicherheit auf der „Werft“ in Windhoek . . . 5.1.1. Windhoek. Afrikanischer Ort und koloniale Neugründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2. Auf dem Weg zur „dual city“. Eine kurze Geschichte der Segregation in Windhoek, 1898 – 1915 . . . . . . a) Segregation I. Die räumliche Dimension . . . . . . b) Segregation II. Die private Dimension . . . . . . . 5.1.3. Die Lebensverhältnisse auf der „großen Werft“ . . . . a) Unterkünfte und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . b) Alkohol und Armut . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4. Die „Werftältesten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Der Siedlungsraum. Die Polizierung der „kleinen Könige“ im Farmgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1. Ansiedler und „kleine Könige“ . . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Der Gegensatz zwischen Farmern und der Polizei . . 5.2.3. Der Streit um die „Eingeborenenbehandlung“ . . . . 5.2.4. Die wirtschaftlichen Situation der Farmer . . . . . . 5.2.5. Das Zusammenwirken von Farmern mit der Polizei . 5.3. Im Norden jenseits der „Polizeizone“ – Afrikanische Machthaber und deutsche Ohnmacht . . . . . . . . . . . . 5.3.1. Die vier unpolizierbaren Regionen des ,Nordens‘ . . 5.3.2. Die Errichtung der Polizeistation Kuring-Kuru am Kavango . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung. Ein Rechtsstaat in der Kolonie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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„Verzeichnis der im Schutzgebiet [1912] vorhandenen Polizeistationen getrennt nach Verwaltungsbezirken“ . . . . . . . . . .

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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Diese Studie ist ein gekürzter Teil meiner Dissertation, die ich im Sommersemester 2007 an der Freien Universität Berlin eingereicht habe. Seither erschienene Literatur konnte nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Während der mehrjährigen Forschungsarbeit zur „Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika“ habe ich in Namibia und Deutschland vielfältige Unterstützung erfahren, für die ich danken möchte: Zu danken habe ich meinem Doktorvater, Professor Dr. Dieter Gosewinkel. Er hat mich in der rechtsgeschichtlichen Themenwahl bestärkt und hat mit kritischen Nachfragen und wertvollen Hinweisen diese Arbeit durch ihr gesamtes Entstehen hindurch aufmerksam begleitet. Professor Dr. Konrad Canis erklärte sich nicht nur spontan bereit, das Zweitgutachten zu erstellen; er weckte durch seine Seminare zur Außenpolitik des Kaiserreichs überhaupt erst mein Interesse an Fragen des Imperialismus und Kolonialismus. In Windhoek hatte ich das Glück, in Dr. Wolfram Hartmann nicht nur einen Experten für namibische Geschichte kennen zu lernen, sondern auch einen Historiker zu finden, der sich meinen rudimentären Forschungsplänen mit großem kollegialem Engagement angenommen und diese anhand von Literatur und Quellen in die richtigen Bahnen gelenkt hat. Im Namibischen Nationalarchiv gewährten Jochen Kutzner, Werner Hillebrecht und Loretta Kisting mir jede Unterstützung. Pastor Peter Pauli danke ich für seine umfassende Hilfe bei der Suche in den Kirchenarchiven. Phil ya Nangoloh ist mir in meinen Windhoeker Jahren vom Chef zum Freund und Gastgeber geworden. Er hat mir durch unsere Gespräche und „field trips“ erst eine Vorstellung von der politischen Dimension des (post-)kolonialen ,Raums‘ vermittelt. Petrus Festus zeigte mir in Katutura noch nach Jahren immer neue Winkel. Auch er achtete darauf, dass ich von Namibia mehr als alte Akten zu sehen bekam. Professor Dr. Paul Nolte schlug vor, aus der Dissertation ein Buch in den „Kritischen Studien“ zu machen; ihm danke ich ebenso wie den anderen Herausgebern für die Aufnahme in diese Reihe. Die Drucklegung betreute Dörte Rohwedder. Ermöglicht wurde die Arbeit durch ein Stipendium der Gerda Henkel Stiftung, der ich auch für den Druckkostenzuschuss danke. Für die kritische Lektüre einzelner Kapitel danke ich Professor Dr. Alf Lüdtke, Professor Dr. Otto Dann, Dr. Andreas Eckl sowie Dr. Elisabeth Schmidt. Bukarest, im September 2009 Jakob Zollmann

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Einleitung War der koloniale Staat ein schwacher Staat? War koloniale Herrschaft schwache Herrschaft? Die Frage ist verschiedentlich gestellt worden, und mit Blick auf die weiten zu kolonisierenden Räume, in denen der Kolonialstaat kaum präsent war, die knappen Kolonialkassen und die Strategien jener, die es zu kolonisieren galt, ist wiederholt von einem „weak government“ oder „embryo government“ in den Kolonien die Rede gewesen. Eben dieser „nicht starke“1 Kolonialstaat ist aber auch als „frühfaschistischer“2, gleichwohl „nicht allmächtiger“ „Überwachungsstaat“, mit dem Ziel „totaler Kontrolle“ geschildert worden, dem eine Vorläuferfunktion für die nationalsozialistische Herrschaftspraxis zukäme. Ein Verweis auf die Gewalttätigkeit seiner Amtsträger, die fatalen Folgen nicht nur für jene, die ihnen entgegentraten, sondern auch für viele jener, die überhaupt mit dem Kolonialstaat in Kontakt kamen, soll dieses Urteil begründen.3 Bei aller unbestrittenen Brutalität des Kolonialstaats gelang seinen Akteuren die versuchte „Pazifizierung und Ordnung“ der zu kolonisierenden Gebiete für die europäischen Mächte bis in das 20. Jahrhundert hinein nur unzureichend. Das vorliegende Buch analysiert einen solchen Versuch und zeigt seine Grenzen auf. Eine Geschichte der Kolonialpolizei in DeutschSüdwestafrika (DSWA – heute Namibia) zu schreiben heißt, jenen Teil des Kolonialstaats in den Blick zu nehmen, der, neben dem Militär – der „Schutztruppe“ –, nicht allein für die „Sicherheit und Ordnung“ der kolonialen Ansiedler bestimmt war, sondern dem „Kolonialstaat“ Präsenz im zu kolonisierenden Raum verschaffen, ihn dort im Bewusstsein der zu Kolonisierenden verankern sollte. Etwa 25 Jahre lang (1890 – 1915) versuchten „Ordnungskräfte“, das Gebiet unter deutsche Kontrolle zu bringen. Doch der Anspruch und das sich aus den Quellen ergebende Bild klaffen weit auseinander. Während DSWA nach Beendigung der Kriege gegen Herero und Nama (1904 – 07) als „vollständig befriedete“ Kolonie, als ein „Ordnungsstaat“4 nach europäischem Muster beschrieben wurde, sprechen die Polizeiakten der Windhoeker Behörden eine andere Sprache. Den Siedlern „Sicherheit“ zu gewähren, traute sich der Kolonialstaat nur innerhalb einer „Polizeizone“ zu, und selbst dort machten „Viehdiebe“ und „Räuberbanden“ ihnen das Leben 1 Oliver, 1985, S. 6; Pesek, 2006, S. 117; Anderson, 2002, S. 120; Lawrance u. a., 2006, S. 7. 2 Helbig, 1988, S. 102 f.; aA: Gann/Duignan, 1977, S. 238: „A totalitarian state requires a coercive state machine much more extensive … than that available to any colonial power in Africa“; Herbst, 2000, S. 58 zur „schizophrenic nature of colonial power in Africa“; Eckert, 2007, S. 17 f. 3 Zimmerer, 2001, S. 183/5; Ders., 2004, S. 128; 285; Ders., 2004b; Kößler, 2005a. 4 Rafalski, 1930, S. 27.

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schwer. Außerhalb dieser Polizeizone hatte die deutsche Kolonialmacht in dem formal unter ihrer Kontrolle stehenden Gebiet nicht nur keine Kontrolle, sondern häufig nicht einmal Einfluss.

Zum Forschungsstand Es war still geworden um die deutsche Kolonialvergangenheit – selten nur erschien eine Veröffentlichung mit wissenschaftlichem Anspruch. Die bedeutendsten unter diesen waren H. Bleys bahnbrechende Studie über die deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika (1968), K. Hausens Untersuchung über Kamerun als deutsche Kolonie (1970) sowie T. v. Trothas Arbeit „Koloniale Herrschaft“ über die deutsche Herrschaftsaufrichtung in Togo (1994). Noch weniger Beachtung fanden die Spezifika eines deutschen Kolonialrechts. Eine englischsprachige Gesamtdarstellung zum Kolonialrecht etwa erwähnte lediglich die Einführung des deutschen Zivilrechts in DSWA und Neu-Guinea – mit einem Halbsatz.5 Noch jüngst hieß es, dass das Recht als Instrument kolonialer Herrschaftssicherung von den Historikern vernachlässigt wurde.6 Doch erfreuen sich koloniale Themen seit einigen Jahren eines wachsenden Interesses – nicht nur unter Historikern, sondern auch unter Juristen in Deutschland. Hinzu kommt eine ungeahnte Aktualität durch eine Entschädigungsklage einiger Ovaherero-Gruppen gegen die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Firmen aus dem Jahre 2001.7 Der Kolonialismus steht mit einer gewissen Plötzlichkeit einem beachtlichen Interesse auch einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber. Eine deutsche Besonderheit ist dies nicht. In Frankreich werden seit Jahren koloniale Themen wissenschaftlich wie politisch kontrovers diskutiert.8 Das Ziel ihrer Untersuchung, den Charakter und das Wirken der deutschen Kolonialherrschaft auszuleuchten, steht bei manchen Autoren unter eindeutigen Prämissen. Schon 1966 hatte H. Drechsler in einem Buch über die Kolonialherrschaft in DSWA den Gewaltaspekt hervorgehoben, ohne das afrikanische Widerstandspotenzial und die sich daraus für die Kolonialverwaltung ergebenden Probleme hinreichend zu beachten. Er begnügte sich mit der Schilderung einer „Ruhe des Friedhofs“. J. B. Gewald deutet mit seiner Arbeit zu den „Herero Heroes“ schon durch die Titelwahl an, dass seine Forschungen auf der Grundlage von afrikanischen ,Helden‘ und deren ,Gegnern‘ beruhen. In Gewalds Lesart beschreiben die Quellen ein Schema von vorkolonialer 5 Hooker, 1975, S. 191; Bley, 1968; Bley, 1985, S. 94 – 126; Hausen, 1970; Trotha, 1994; Kaulich, 2001; Kundrus, 2003; Conrad/Osterhammel, 2004; Laak, 2004b; Pesek, 2005; Übersicht auch in Friedrichsmeyer/Lennox/Zantop, 1998, S. 1 – 7. 6 Liauzu, 2004, S. 131; aA Lydon, 1997, S. 574. 7 Boin, 1996; Eicker, 2009; Harring, 2002, S. 393 f.; Sippel, 2005, S. 77 f.; Richter, 2001; Grohmann, 2001; Fischer, 2001; Wagner, 2002; Zimmerer, 2004. 8 Liauzu, 2007, S. 10.

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Blütezeit, Unterwerfung der Ovaherero durch die Deutschen und Wiederauferstehung der Herero-Nation unter südafrikanischer Mandatsherrschaft. Er übersieht damit die Vielschichtigkeit der Allianzenbildung zwischen Afrikanern und Europäern. Die Ankunft deutscher Beamter um 1885 herum blieb vorläufig ein Faktor unter vielen.9 Die gleichfalls auf eine afrikanische Perspektive ausgerichteten Arbeiten von D. Henrichsen, G. Krüger und W. Hartmann haben gezeigt, dass eine abwägendere Darstellung des Verhältnisses von afrikanischen Gesellschaften und europäischen Siedlern möglich ist. Der Wert ihrer Forschungen liegt unter anderem darin, sich von der Ausrichtung auf das Jahr der formellen Inbesitznahme der Kolonie durch das Deutsche Reich gelöst zu haben, die eine sofortige Aufnahme von Herrschaftsausübung implizierte. 1884 ist kein Datum in der namibischen Geschichte.10 Die Ankunft von drei Beamten in deutschen Uniformen mag staats- und völkerrechtlich von Bedeutung gewesen sein – für die europäischen Kolonialmächte, nicht aber für die Machtverhältnisse vor Ort. In den darauf folgenden Jahren blieben afrikanische Gesellschaften handlungsbestimmend.11 Ihnen gegenüber stand die kleine aber wachsende Gruppe deutscher Siedler und Beamter. Den Sozialstrukturen und Vorstellungswelten, Ängsten und Hoffnungen dieser „abhängigen Herren“ ist seit der Arbeit von H. Bley erstaunlich wenig Aufmerksamkeit zu Teil geworden. Vor allem B. Kundrus’ gelungene, diskursgeschichtlich orientierte „Integration kolonialer Vorstellungswelten in eine Mentalitäts- und Kulturgeschichte des Kaiserreiches“ hat die Forschung bereichert, wenn sie auch den Alltag zwischen Kolonialherren und Kolonisierten nur mittelbar beleuchten konnte.12 Der Kolonisator ist einen langen Weg in der internationalen Forschung gegangen. Nachdem seine Glorifizierung obsolet geworden, die Geschichte der „Pazifizierung“ und der anschließenden mise en valeur der Kolonien erzählt war, galt es vorrangig, sein Gegenüber aus der Versenkung und der Amnesie der Quellen zu befreien. Der Blick weg von den Eliten hin zu jenen, die eben nicht nur ,beglückt‘, sondern unterdrückt wurden, war überfällig und mit der Dekolonialisierung konnte hier ein neuer Schub erwartet werden. Auch die Hinwendung zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte rückte die Kolonisierten ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die zuvor lediglich als Objekte politischer Entscheidungen erschienen waren. Subaltern Studies vermochten das Wissen über jene zu vertiefen, über die in den kolonialen Quellen gesprochen wurde, doch die dort fast nie selbst zu Wort kamen. Gleichwohl sah sich der Herausgeber der Subaltern 9 Drechsler, 1986 [1966]; Gewald, 1999. 10 Vgl. Hiery, 2002, S. 35: „Die Vorstellung, daß mit der Hissung deutscher Fahnen und der Proklamation kolonialer Über- bzw. Unterlegenheit überall die deutsche Vorherrschaft, deutsche Art und deutsches Wesen eingezogen sei, findet sich nur in bewußt nationalen Werken vor 1945 oder aber in sich explizit antinational verstehenden Arbeiten nach 1945.“ 11 Henrichsen, 1997; Krüger, 1999; Hartmann, 2002. 12 Kundrus, 2003, S. 26; vgl. Walter, 2002; Rüdiger, 1993; Schmidt-Lauber, 1993; Bley, 1968, S. 213 f.

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Studies noch in den 1980er Jahren zu der Mahnung genötigt, den Zugang zur Kolonialgeschichte nicht über eine „elitist history“ zu suchen, sondern sich den Beherrschten zuzuwenden. Eine Ausschließlichkeit aber lehnte Ranajit Guha ausdrücklich ab: „We recognize of course that subordination cannot be understood except as one of the constitutive terms in a binary relationship of which the other is dominance, for ,subaltern‘ groups are always subject to the activity of ruling groups, even when they rebel and rise up.“ Auf die Bedeutung der Kolonialherren auch für eine Geschichte der Kolonisierten war damit hingewiesen, die analysiert werden kann ohne jene „spurious primacy assigned to them“.13 Zwanzig Jahre später aber ist diese Binarität hinfällig, ihre Grenzen sind ausgelotet. Von größerem Interesse sind jene Fakten, die darauf hinweisen, dass die koloniale Begegnung vielschichtiger war, als es die Gegenüberstellung von Dominanten und Dominierten erwarten ließ. Beide Gruppen lassen sich aufspalten – Klasse und Geschlecht sind häufig gewählte Kategorien der historischen Analyse, die auf diesem Wege schließlich zu dem nur auf den ersten Blick widersprüchlichen Befund auch einer „subaltern europeanness“ in den Kolonien kommen kann.14 Nicht nur mit Blick auf diese sozialen Brüche innerhalb der Kolonisatoren wird die Allmacht oder Totalität des kolonialen Staates, wie sie in der vermeintlichen Tradition H. Arendts beschrieben wurde, seit längerem bezweifelt.15 B. Berman und J. Lonsdale wie auch R. H. Jackson sahen den kolonialen Staat als ein im Wesentlichen schwaches Gebilde, dessen Machtausübung durch begrenzte Ressourcen und widersprüchliche politische Zielvorgaben sporadisch blieb.16 Und nicht allein in militärischer, sondern auch in sozialer und ökonomischer Hinsicht sind die Grenzen kolonialer Einflussnahme auf die kolonisierten Gesellschaften beschrieben worden. So wird dem Konzept der invention of tradition, jenem vorgeblichen Instrument kolonialer divide et impera Politik, die Ethnien und Traditionen erfinden und konstruieren ließ, um durch den „tribalism“ eine einheitlichere Frontstellung gegen die Kolonialmacht zu verhindern, die Sinnhaftigkeit abgesprochen: „historians have been … naive in crediting European and African intellectuals with the ability to create such fiction.“ T. Spears betont daher : „Colonial policy … derived less from a coherent ruling strategy or the consent of the governed than from ongoing negotiations and compromises with Africans and among themselves. Colonialism might be mutually constitutive, but it was also a ,working misunderstanding‘.“17 Auch wirtschaftlich war der europäisch-koloniale Einfluss in Afrika Ende des 19. Jahrhunderts nicht überragend. Selbst Großbritannien

13 Einleitung zu Subaltern Studies: Guha, 1994, S. VII; sowie Chatterjee, 2006, S. 94 f. 14 Fischer-Tin, 2005, S. 171; vgl. Hall, 2004, S. 49; Walgenbach, 2005. 15 Arendt, 1958; vgl. Gerwarth/Malinowski, 2009; Gerwarth/Malinowski, 2007, S. 444 f.; Finaldi, 2005, S. 258; Hall, 2004, S. 52; Killingray, 1999, S. 8; Willis, 1991, S. 232. 16 Berman/Lonsdale, 1992, S. 77 – 95; Jackson, 1993, S. 139; vgl. Lawrance u. a., 2006, S. 8. 17 Spears, 2003, S. 25 f.; vgl. Eckert, 2007, S. 11.

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kam kaum über einige Küstenregionen hinaus.18 Die „Effektivität“ oder Schwäche kolonialer Machtausübung variierte – auf niedrigem Niveau; wenngleich sich vielleicht nur für die italienischen Unternehmungen die These aufstellen ließ: „The truth is that Italians were controlling Ethiopia only with and through cinematic fantasies.“19 Dabei ist generell von einer „schwache[n] Präsenz europäischer Verwaltungsbeamter im kolonialen Afrika“ die Rede.20 Mit deren Ankunft hatten afrikanische Gesellschaften ihre Handlungsmöglichkeiten nicht notwendig verloren, wie J. Glassman für das spätere Deutsch-Ostafrika hervorhebt: „The colonial state rarely ,commanded‘ history, and the ,internal contradictions‘ that marked the decades prior to conquest continued well after Europeans had seized the reins of power.“21 In gewisser Weise schlossen die Macht- und Einflusssphären der Kolonialregierungen an die vorkolonialen Muster an: Grenzen waren kaum geregelt und so gut wie nicht markiert; die Autorität der Befehlshaber verringerte sich mit zunehmender Entfernung vom Machtzentrum.22 L. Lindsay und St. Miescher sprechen angesichts dieser Befunde von einem „back-and-forth between the relative importance and insignificance of European regimes“.23 „All in all, colonialism was a rusty sword.“24 Dass gerade diese „Schwäche“ ein Anlass für Brutalität sein konnte, betont H. Melber : „Ohnmachts- und Bedrohungsgefühle“ hätten sich der Kolonialherren bemächtigt. „Der Versuch zur Ausrottung des ,Gegenüber‘ mit Stumpf und Stiel war so auch ein Zeichen von Schwäche.“25 Unter Verweis auf die begrenzten Möglichkeiten der Kolonialmächte meint R. Oliver : „In any balanced view of the period … an embryo colonial government was but one of many forces jostling for power in a given region.“ Sein Fazit für den Zeitraum des Hochimperialismus lautet: „Essentially, then, early colonial governments in Africa were weak governments“.26

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Vgl. Hopkins, 1995, S. 249; Iliffe, 1995, S. 192. Boggio, 2003, S. 279. Eckert, 2005, S. 273. Glassman, 1995, S. 269 f. Vgl. Anderson, 1996, S. 79. Lindsay/Miescher, 2003, S. 21; Hiery, 2002, S. 35: „Fremdherrschaft in ihrer kolonialen Ausprägung war … keineswegs ein monolithisches Gebilde … Die Auswirkungen kolonialer Herrschaft dürfen deshalb nicht unter-, aber auch nicht überschätzt werden.“ 24 v. Wolputte/Verswijver, 2004, S. 12; 14: „Just as fixity of spatial, ethnic, ,racial‘ or ,occupational‘ boundaries was largely fictitious (or imaginary), so is the representation of colonial rule as undivided, omnipresent”. 25 Melber, 2005, S. 17. 26 Oliver, 1985, S. 6/7; ähnlich: Oliver/Fage, 1995, S. 173; Iliffe, 1987, S. 187; Coquery-Vidrovitch, 1988, S. 173.

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Zum Verständnis zeitgenössischer Staatstätigkeit Was aber sagte das von der Forschung gewählte Charakteristikum eines schwachen oder starken Staates nach zeitgenössischem Verständnis über staatliche Tätigkeit aus? Welche Erwartungen hegten deutsche Zeitgenossen in Bezug auf einen Staat, den es in den ab 1884 erworbenen Kolonien zu errichten galt, wie der Staatssekretär im Reichsjustizamt H. v. Schelling erläuterte, als er davon sprach, dort „die Anfänge staatlicher Bildung ins Leben zu rufen“? Alle staatlichen Einrichtungen wären lediglich darauf gerichtet, eine erste Regelmäßigkeit, mithin Ordnung in noch „unfertige und fluktuierende Zustände“ zu bringen.27 Die Reichsverfassung von 1871, überwiegend als „Organisationsstatut“ eines „Machtstaats vor der Demokratie“ (Nipperdey) charakterisiert, hielt sich „mit Staatszielen zurück.“ Gleichwohl schrieb die Präambel dem Staat, dem neuen „Deutschen Reich“, Staatszwecke zu, darunter den Schutz des Bundesgebiets und dessen Rechts- und Verwaltungsordnung. An die darin zum Ausdruck kommende Vorrangstellung der Organisation hielt sich auch die Staatsrechtslehre, bei der „[n]icht die Verfassung als Begrenzung staatlicher Macht … im Mittelpunkt [stand], sondern die von der Verfassung geschaffenen Organe und Institutionen.“28 Damit bewegte sie sich in den Bahnen, die die Staatsrechtslehre der 1850er und 60er Jahre – jener Zeit, die für die Väter des deutschen Kolonialrechts juristisch prägend war – vorgegeben hatte. Zwar war nach G. Meyer „die Erörterung der Lehre vom Staatszweck … anderen Disciplinen [als dem Staatsrecht] zu überlassen“,29 doch setzte sich seit 1860 die Auffassung durch, nach der „der Staatszweck in der Erhaltung der Rechtsordnung bestehe“.30 Für den konservativen Staatsrechtler C. F. v. Gerber schrumpfte die „Staatszwecklehre … zusammen zum (inhaltsleeren) Satz von der staatlichen Allkompetenz“.31 Staatliche Herrschaft definierte er als „Herrschaft über den Willen aller dem Staate zugehörenden Personen“.32 Eine Vorstellung, die ihn zum „Bild eines Staates [führt], der das legitime Gewaltmonopol ohne Rest realisiert.“33 In seiner Tradition reduzierte P. Laband, so seine Kritiker, den Staat „auf den juristischen Zurechnungspunkt der Staatsgewalt, die ausschließlich von oben nach unten ausgeübt werde.“34 Diese Zentralität der „Willensverhältnisse“, mithin des Herrschaftsbegriffs für das Staatsverständnis, findet sich auch bei G. Jellinek und M. Weber. Nach ersterem hat der „Staat … keine eigene Substanz“. Er sei vielmehr eine „Funktion sozialer 27 28 29 30 31 32 33 34

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SBRT, 6. L.P., 2. Sess. 1885/86, Bd. 1, 29. Sitzung vom 20.1. 1886, S. 653. Stern, 2000, S. 360; 363; vgl. Poscher, 2003, S. 24 f.; Schuppert, 2000, S. 81 f. Meyer, 1885, S. 10 FN1 (Holtzendorf: Die Prinzipien der Politik, Berlin2 1879 – 3. Buch) Stolleis, 1992, S. 337. Stolleis, 1992, S. 334; Schuppert, 2003, S. 261: „Staatszwecklehre als Staatsrechtfertigung“. Gerber: Ueber öffentliche Rechte, 1852, zit. in: Pauly, 1993, S. 116. Stolleis, 1992, S. 335. Stolleis, 1992, S. 345.

Beziehungen“, die durch Willensverhältnisse, die Gliederung in Befehlende und Gehorchende, Herrschende und Beherrschte definiert wird. Auch Weber sprach von einem zwingenden Willen an der Spitze eines Gebietsverbandes, dem Staat als Inhaber des „Monopols der legitimen physischen Gewaltsamkeit“.35 Damit entwarf die Staatsrechtslehre des Kaiserreichs ein „Bild des Staates, in dem die monarchische Exekutive die ursprüngliche, Grundrechte gewährende und durch den Gesetzgeber nur eingeschränkte Staatsgewalt verkörperte“.36 „[E]rledigt hatte sich die Vorstellung subjektiver Rechte gegenüber dem Gesetzgeber“.37 Sie hatte einen „etatistischen Zug an[genommen]“, durchdrungen von einer anstaltlichen Staatsauffassung durch die der Geltungsumfang der Grundrechte „von dem Bedürfnis nach einer starken Staatsmacht relativiert“ wurde.38 Die Reichsverfassung galt es „von der Staatsgewalt her zu deuten. Sie war nicht Grundlage, sondern Zutat.“ In diesem Sinne ist G. Jellineks Diktum zu verstehen: „Das wesentliche Moment im Begriff des Staates ist, dass er Ordnung ist“.39 Ordnung schuf eine Exekutive, unabhängig davon, ob oder wie sie durch Gesetze in ihrem Handeln beschränkt war. Diese weiterhin (auch) außerrechtliche Stellung des wilhelminischen Staates, die rechtsermöglichend, rechtssetzend wirken konnte, gilt es im Blick zu behalten. Die Prägungen aus vorkonstitutioneller Zeit, nach der – die ,(wohlfahrts-)polizeystaatlichen‘ Traditionen des 17. Jahrhunderts zuspitzend – die „eigentliche Verfassung die Verwaltung gewesen“ sei, wirkten bis in das 20. Jahrhundert.40 Daraus folgte eine weite Definition der ,Polizei‘, deren Zuständigkeit nur zögernd auf ,Ordnung und Sicherheit‘ begrenzt wurde. So hatte nach G. Meyer, einem der Väter des Schutzgebietsgesetzes (SSG) von 1886, der Staat sachlich „einen unbegrenzten Wirkungskreis … er kann alle in den Bereich seines Handelns hineinziehen; es bleibt ihm keine Sphäre [des menschlichen Lebens] prinzipiell verschlossen.“ Staatliche Tätigkeit „äussert sich namentlich in der Ausübung von Herrschaftsrechten.“41 Unabhängig von Rechtsstaatserfordernissen durfte nach G. Meyer die Staatsgewalt „die rechtlichen Schranken durchbrechen, wenn die Existenz oder Sicherheit des Staates dies erfordert.“42 Der Staat galt als monopolisierende Ordnung, die durch seine Organe auch gegen widerstrebende Willen erzwungen werden konnte. Mit dem Rechtsbegriff des „Belagerungszustands“ ließ sich (fast) jeder staatliche Angriff auf Leib und Leben rechtfertigen unter Verweis auf 35 36 37 38 39 40 41 42

Breuer, 1999, S. 14 f.;19. Poscher, 2003, S. 29 unter Verweis auf Gesetzesvorbehaltsvorstellungen bei P. Laband. Poscher, 2003, S. 25 unter Verweis auf G. Anschütz. Grimm, 1988, S. 225 f. Jellinek, Lehre von der Staatenverbindung, Wien 1882, zit. in: Grimm, 2002, S. 134 f. Vgl. Maier, 1980, S. 291. Meyer, 1885, S. 10. Meyer, 1885, S. 19: „In einem solchen Falle kann die Verwaltung gesetzwidrig, die Gesetzgebung verfassungswidrig handeln [„Staatsnothrecht“]”.

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eine angenommene Gefährdung staatlicher Ordnung: „Durchsetzung eines Willens ist wohl das Wesen jeder staatlichen Exekutive, jedenfalls das Wesen der Polizeigewalt und mit vielen anderen staatlichen Funktionen teilt Letztere auch dies, daß dieser Wille Andere unter sich beugen, sie zu einem Tun oder Lassen zwingen will.“43 Zwar ist bei dieser Erörterung des zeitgenössischen Staatsverständnisses die Feststellung des Rechtshistorikers M. Stolleis zu beachten: „Die Politik des Kaiserreichs wurde in Berlin oder Friedrichsruh gemacht, ohne die Professoren und nicht nach Maßgabe philosophischer Prämissen“.44 Doch spiegelte die skizzierte Staatszwecklehre, die die Ordnung, die Bewahrung des Hergebrachten in den Mittelpunkt stellte, Tendenzen in Politik und Verwaltungsalltag der Verrechtlichung Grenzen zu setzen. So bestand Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland „eine unverkennbare Tendenz zur stärkeren Anspannung der staatlichen Strafgewalt“45 : Kaiser Wilhelm II. gab dem anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Berliner Schutzmannschaft 1898 Ausdruck, wenn er die Aufgabe der Polizei charakterisierte: „Den Bürgern Berather, Helfer, Retter, den Verbrechern ein Schrecken, seid ihr der Arm, den Ich brauche, Gehorsam zu erzwingen, wenn es nothwendig ist.“46 Im Lichte dieser Staatsziele sahen die Kolonialpolizisten ihre Tätigkeit. „Die zur Herrschaftserrichtung nach Südwestafrika entsandten Beamten besaßen eine am modernen deutschen Staat orientierte Vorstellung von staatlicher Herrschaft“. Das „Staatsprinzip der ,Ordnung‘ … findet sich als höchster Wert auch in der deutschen Kolonialherrschaft in Südwestafrika.“47 Den Polizisten war die „Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit“ aufgegeben.48 Was freilich die ältere, umfassendere ,Polizey‘-konzeption einschloss, die „Sicherheit“ und „Wohlfahrt“ nicht allein deklaratorisch (und legitimatorisch), sondern administrativ und handlungspraktisch zu vereinigen suchte. Zentrales Charakteristikum dieses Konzepts polizeylicher Wohltätigkeit war ein rigoroser Paternalismus, bei dem die Disziplinierung im Vordergrund stand. Diese schloss jederzeit den Zwang körperlicher Durchsetzung ein – zu ,besten Zwecken‘ für die davon Betroffenen. Den darin liegenden (gewaltsamen) Zynismus bekamen die ,niederen Klassen‘ ebenso zu spüren wie die zu Kolonisierenden. Noch nach dem Ende der deutschen Kolonialepisode schrieb einer ihrer führenden Polizeibeamten: „Sicherheit und Ordnung sind Voraussetzungen und feste Grundlagen jedes Staatswesens. Eine gedeihliche Volksentwicklung ist nur denkbar unter dem Schutze einer starken und zuverlässigen Behörde, die die Sicherheit und Ordnung im Staate gewährleistet.“49 Als starker Staat 43 44 45 46 47 48 49

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Kitzinger, 1913, S. 160; vgl. Lüdtke/Wildt, 2008, S. 13. Stolleis, 1992, S. 349. Evans, 1997, S. 122. Zit. in: Grantzow, 1902, S. 34. Zimmerer, 2001, S. 183; Ders., 2004, S. 285. NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, DV-Entwurf, § 1 Zweck der Landespolizei, o.D. [~10/1907]. Rafalski, 1930, S. 28; vgl. Lüdtke/Wildt, 2008, S. 16: „Die Doppelgleisigkeit und Doppelgesich-

galt jener, der die Ordnung – „wenn es nothwendig ist“ – erzwingen konnte, die Gesetze und andere Äußerungen des Souveräns als Ausdruck des „Herrschaftsmonopols“ vorgaben; unmittelbar und überall im Staatsgebiet.50 Das Einfügen einer raum-zeitlichen Dimension in die Analyse staatlichen Zwangspotenzials war von den deutschen Autoren zwar nicht für erforderlich gehalten worden – zu selbstverständlich schien ihnen die staatliche Gebietsherrschaft. Doch in den Kolonien sollte sich daran, dass nicht immer und überall durch die Polizei koloniale „Ordnung“ erzwungen werden konnte – wie die Verweise auf die Forschung gezeigt haben –, die kolonialstaatliche „Schwäche“ erweisen.51

Zum Untersuchungsgegenstand Die vorliegende Arbeit über die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika nimmt die Frage nach der Charakterisierung des Kolonialstaats auf, indem sie einen Teil des kolonialen Gewaltapparats, die in ihm tätigen Menschen und ihr Wirken im Verhältnis zum „Publikum“ in den Blick nimmt.52 Sie sind es, an deren Wirken als Vertreter des Kolonialstaats sich dessen Stärke oder Schwäche vorrangig erweisen muss. Ein Fokus wird auf das Innere des deutschen Kolonialstaates gerichtet. Es geht auch darum, das ,Binnenklima‘, die personale Seite des kolonialen Herrschaftsapparats zu analysieren.53 Die Perspektive der Arbeit verweist auf die Herrschaftszeit und -praxis des deutschen Kolonialstaats. Anstatt den Unterdrückungsapparat vorauszusetzen, soll er (auch) in seiner Unvollständigkeit beschrieben werden. Nicht zuletzt aus der deutschen Unschlüssigkeit über die eigene Kolonialtätigkeit erwuchs ein Regime, das auf externe Bedingungen eher reagierte, als sie setzte; was wiederum den zu kolonisierenden Gesellschaften Handlungsmöglichkeiten eröffnete. Eine lineare Verstetigung hin zu staatlicher Souveränitätsausübung lässt sich aus dieser Perspektive kaum erkennen. Die Forschung zu

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tigkeit der ,Staatsgewalt‘ blieb erhalten: auch ,wohltätige‘ Amtsverfügungen wurden im Zweifelsfall von der Polizei bzw. mit polizeilicher Zwangsgewalt durchgesetzt.“ Zum staatlichen Gewalt- und Militärmonopol: Schuppert, 2003, S. 62 – 7. Reinhard, 1997, S. 363. Die Verwaltung war eine Männerdomäne. Zwar waren im Deutschen Reich einige Ärztinnen und Lehrerinnen im öffentlichen Dienst angestellt; in Preußen durften Frauen ab 1908 Medizin und Philologie studieren, doch der höhere Staatsdienst blieb ihnen verwehrt. Auch wenn Bayern 1912 Frauen zur 1. Juristischen Staatsprüfung zuließ, war ihnen das Referendariat verschlossen. Als ,Subalterne‘ konnten Frauen ab 1897 bei der Bahn oder der Postverwaltung (als Telephonistinnen) verbeamtet werden, unter dem Vorbehalt des Zölibats (Wunder, 1986, S. 97). Insofern ist Polizeigeschichte im Kaiserreich (fast nur) eine Männergeschichte (zum Begriff Frevert, 1996; 1993, S. 11). Die hier dargestellte Männergeschichte soll freilich nicht suggerieren, frühe Kolonialgesellschaften seien ohne Frauen ausgekommen (vgl. Bechhaus-Gerst/Leutner (Hg.), 2009; Lindsay / Miescher, 2003, S. 1; Lydon, 1997, S. 555). Vgl. zum „Beamtenstaat“ Schuppert, 2000, S. 69 f.; vgl. Liauzu, 2007, S. 319; Schepp, 2003.

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den deutschen Kolonien hat sich, im Gegensatz etwa zur Forschung zu den britischen Kolonien und deren (polizeilicher) Verwaltung,54 stärker auf koloniale ,Vorstellungen‘, wie sie in offiziellen Verlautbarungen, Rechtstexten und deren Ausführungsbestimmungen zum Ausdruck kommen, weniger aber auf die Umsetzung jener Ideen ,vor Ort‘ und die daraus erwachsenden Situationen und Probleme konzentriert. Doch erst wenn diese Gegenüberstellung vorgenommen wird, kann etwas über den gegebenenfalls „totalitären“ Charakter kolonialer Herrschaft oder den „schwachen“ Kolonialstaat ausgesagt werden.55 Der „Kaiserlichen Landespolizei“, nach mehreren Vorläuferversuchen kriegsbedingt erst 1905 gegründet, oblag es, neben den auch im Deutschen Reich üblichen Polizeiaufgaben, die so genannte „Eingeborenengesetzgebung“ mit Passzwang, Melde- und Arbeitspflicht durchzusetzen. Etwa 500 aus der (militärischen) „Schutztruppe“ übernommene Unteroffiziere sowie 370 afrikanische „Polizeidiener“ sollten bis 1914 auf rund 110 Polizeistationen und Depots über das ganze „Schutzgebiet“ verteilt werden. Etatkürzungen behinderten den Ausbau des Stationsnetzes permanent. DSWA war – klimabedingt – die einzige „Siedlungskolonie“, in die die deutschen Auswandererströme (mit mäßigem Erfolg) umgelenkt werden sollten. Bis 1914 hatten sich rund 14.000 Deutsche dort niedergelassen. In manchen Ortschaften war daher tatsächlich jenes „Neu-Deutschland“ entstanden, dass sich Publizisten am Ende des 19. Jahrhunderts erträumt hatten.56 Vor allem auf den Farmen aber war es nicht allein die ,koloniale Situation‘ zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren, der sich Verwaltung und Politik gegenüber sahen: Ein Typus von deutschen Ansiedlern hatte sich herausgebildet, der sich nur ungern von Vorschriften und Beamten in seiner neu gewonnenen ,afrikanischen‘ Freiheit einschränken ließ. Ein Offizier beschrieb sie 1906 schmeichelhaft als „[a]rbeitsfreudige Einzelexistenzen, die sich auf ihrem Besitztum wie kleine Könige fühlen“.57 Wenn Kolonialherrschaft mitunter als schwache Herrschaft beschrieben wird, so waren es diese „kleinen [Kolonial]Könige“, die nicht zuletzt von dieser Schwäche profitier54 Vgl. Gouldsbury, C.E.: Life in the Indian police, New Delhi, 1977; Arnold, D.: Police power and colonial rule, Madras, 1859 – 1947, Delhi/New York 1986; Clyne, R.: Colonial blue. A history of the South Australian police force, 1836 – 1916, Netley, SA 1987; Clayton, A./Killingray, D.: Khaki and blue. Military and police in British colonial Africa, Athens/O 1989; Hill, R.S.: The history of policing in New Zealand, Wellington 1986; Penzig, E.F.: Troopers, villains, vipers and vixens. An illustrated history of police and colonial crime, 1850 – 1915, Katoomba, N.S.W. 1995; Kituai, A.I.K.: My gun, my brother. The world of the Papua New Guinea colonial police, 1920 – 1960, Honolulu c.1998; Dhillon, K.S.: Defenders of the establishment. Ruler-supportive police forces of South Asia, Indian Institute of Advanced Study, 1998; Chaza, G.A.: Bhurakuwacha. The story of a black policeman in colonial Southern Rhodesia, Harare 1998; Elkins, C.: Imperial Reckoning. The untold story of Britain’s Gulag in Kenia, New York 2005. 55 Vgl. Zimmerer, 2004, S. 127. 56 Bruck, 1896. 57 NAN ZBU 289, B III b 1, Bl.10, Hpt v. Wangenheim an Gouv, 1.2.06.

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ten; wenn sie nicht überhaupt erst ihr Selbstverständnis dem schwachen Kolonialstaat verdankten. In kaum einer anderen deutschen Kolonie erreichte die Machtaneignung durch Farmer und andere Siedler ein stärkeres Gewicht, nicht allein in Fragen der Selbstverwaltung,58 sondern auch bei der ,Polizierung‘ des Farmlandes und der auf ihm ansässigen Bevölkerung. Sie zu überwachen war gleichermaßen Aufgabe und Problem der Kolonialpolizei wie die Kontrolle der afrikanischen Bevölkerung. DSWA bietet sich für die Analyse dieses Doppelaspekts kolonialer ,Sicherung‘ aufgrund der deutschen Besiedlungsdichte besonders an. Indem Recht und Verfassung nicht allein Mittel der Herrschaftsausübung sind, sondern herrschaftsbegrenzend handlungsbestimmend (vor allem für die Beamten bei der Erfüllung ihrer Dienstpflicht) werden können, lassen sie sich als eigenständige Wirkmächte beschreiben und müssen daher in die Analyse kolonialpolizeilicher Tätigkeit mit einbezogen werden. Die rechtliche Situation in den so genannten Siedlerkolonien unterscheidet sich von den sonstigen (tropischen, nicht zur Ansiedlung tausender Europäer geeigneter) Kolonien dadurch, dass dort den Siedlern ein dem heimischen in etwa entsprechender Rechtsstandard (der „Rechtsstaat“ oder die „rule of law“) aufrecht zu erhalten war. Schon mit Rücksicht auf die in der „Heimat“ Anzuwerbenden sowie die dortige Presse und die Parlamente waren dem staatlichen Zugriff auf die Bevölkerung rechtliche Grenzen gesetzt. Zugleich aber bot sich die Gelegenheit, auf administrativem Wege koloniale Vorschriften zu erlassen, die parlamentarisch keine Mehrheit gefunden hätten. Daraus ergibt sich eine in diesem Maße in der Metropole nicht anzutreffende Spannung zwischen „law and order“, wie M. Chanock für Südafrika gezeigt hat. Das von ihm konstatierte Übergewicht der Verwaltung über die Gerichte gilt es auch für DSWA zu betonen.59 Die Darstellung polizeilicher Tätigkeit in einer Kolonie sowie der polizeilichen Kompetenzen bei der Strafverfolgung und -vollstreckung beleuchtet diese Spannung. „Das Organ, durch das den Bürgern am unmittelbarsten der Staat als Macht vor Augen trat, war die Polizei.“60 Daher liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf dem Umgang mit und dem Verhältnis zum „Publikum“ – afrikanischer wie europäischer Provenienz. Sie bewegt sich so entlang der „front line of the colonial encounter.“61 C. Marx hat in seiner „Geschichte Afrikas“ betont, dass „Kolonialgeschichte nicht die Geschichte einer unbeschränkten Herrschaft der Europäer über machtlose, passive Afrikaner war. Vielmehr pendelte sich in jeder Kolonie, ja in jeder Stadt, in jedem Chiefdom, in jedem Dorf, die Machtbalance anders ein, abhängig von den beteiligten Personen, ihren

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Huber, 2000; Radlauer, 1910. Chanok, 2001, S. 24; Benton, 2002, S. 2 Nipperdey, 1992, S. 125. Kuklick, 1979, S. 3; Anderson/Killingray, 1991, S. 2.

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ökonomischen und kulturellen Ressourcen.“62 Dieser „Machtbalance“ ist nachzugehen. Den Polizeibeamten fiel aus afrikanischer Perspektive eine besondere Rolle innerhalb der europäischen Kolonialgesellschaft zu, da sie für einen Großteil der afrikanischen Bevölkerung die einzigen Vertreter der neuen ,Ordnung‘, wenn nicht die einzigen Europäer überhaupt waren, denen sie je begegneten. Die Geschichte einer Kolonialpolizei darzustellen heißt, einen Teil der Kolonialgesellschaft und ihre Wechselbeziehungen mit anderen – afrikanischen und europäischen – Akteuren zu beschreiben. Damit ist zum einen die Untersuchung ,weißen‘ Sozialverhaltens in einer kolonialen Situation verbunden – insofern leistet die Arbeit einen Beitrag zu einer kolonialen Sozialgeschichte, indem sie die ,Innenansicht‘ einer Kolonialinstitution liefert.63 Zum anderen aber – neben Interaktion und Institution – müssen die Personen, die Polizeibeamten selbst und die ihnen spezifische Situation in den Vordergrund rücken. Die Vertreter der (kolonialen) Staatsgewalt, die Beamten, waren Handlungsmustern und Erwartungen unterworfen, die ihnen weniger Bewegungsräume und die Entfaltung eigener Vorstellungen ermöglichten. Als solche Handlungsmuster und Erwartungen sind alle sie betreffenden gesetzlichen Bestimmungen, das (koloniale) Beamtenrecht zu bezeichnen. Vorschriften sind Steuerungsmittel hinter deren juristischer Verbindlichkeit abermals der ,Staat‘ mit seinen Durchsetzungsmöglichkeiten steht. Sie gaben in ihren Paragraphen – obligatorisch – ein bestimmtes Handeln, ein bestimmtes Auftreten und eine sich in ihrer Tätigkeit ausdrückende Gesinnung vor. Damit ist nicht nur die erwartete Treue zu Kaiser und Reich (§ 8 Polizei-Dienstvorschrift) gemeint, sondern die Bereitschaft, als ein die koloniale Situation bestimmendes Organ des Staates zu fungieren.64 Die Kolonialpolizei war nicht allein ein Instrument der Herrschaftssicherung und staatlicher Strafgewalt; ihr Personal wirkte als „Akteur“ auf allen Ebenen in die Kolonialgesellschaft hinein. Es ist, wie Arbeiten zur Polizeigeschichte in Deutschland gezeigt haben,65 somit möglich, dieses Thema über eine Verwaltungsgeschichte hinauszuführen. Ein wesentliches Element polizeilicher Arbeit ist die Kriminalitätsbekämpfung. Indem die „Strafpraxis“ der Polizei dargestellt wird, können auch die der Gesetzesübertretung zugrunde liegenden Konflikte beleuchtet werden. Nicht allein die Herrschaftsinteressen von Normsetzung und -durchsetzung rücken so in den Blick; darüber hinaus erschließt sich die für die Normübertretung ursächliche Lebenswelt.66 Eine Darstellung polizeilicher Tätigkeit erhellt auf dem Wege der Analyse des ökonomischen und politischen Umfelds von ,Delikten‘ nicht nur die sozialen Bedingungen ,kriminellen‘ Handelns, 62 63 64 65 66

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Marx, 2004, S. 14. Vgl. Stoler, 1992, S. 321. Vgl. Sack, 2001, S. 43. Lüdtke, 1992, S. 25 f.; vgl. Reif, 1984; Funk, 1986; Jessen, 1991; Lindenberger, 1995a. Vgl. Reif, 1984, S. 11; Ranger, 1993, S. 40 f.

sondern zugleich den Zustand und das innere Gefüge, die Machtbalance der (Kolonial-)Gesellschaft. Dieser Blick durch die ,kriminelle Hintertür‘ wird umso vollständiger, als er sich nicht allein auf Afrikaner oder Siedler, sondern auf die Polizei selbst richten lässt.67

Fragestellungen und Gliederung D. Crummey sprach in seinem Band über „Banditry, Rebellion and Social Protest in Africa“ über den Staat als „beast“.68 Die vorliegende Arbeit analysiert dieses „beast“– nicht nur, aber auch bei seinem Vorgehen gegen „Kriminelle“ und „Aufrührer“. Wenn die „Stärke“ des Kolonialstaats in Frage gestellt wird, so bleibt damit die Brutalität kolonialer Herrschaft unbestritten. Brutalität und Verrohung bis hin zu moralischer Abstumpfung lassen freilich die Frage nach Gegentendenzen umso berechtigter erscheinen. Das 19. Jahrhundert brachte für Deutschland eine rechtsstaatliche Beschränkung des staatlichen Gewalt-, d. h. vor allem Militäreinsatzes im Inneren. Physischen („unmittelbaren“) Zwang auszuüben und „Gefahr vom Publiko“ abzuwehren (so die Zweckbestimmung des „Allgemeinen Preußischen Landrechts“ von 1794 über das Amt der Polizei) wurde mehr und mehr in die Hand der Polizei gelegt. Dieser Maßstab innerer Ordnungserzwingung wurde auf DSWA übertragen. An Punkten, wo die Staatsgewalt als militärisch etabliert galt, waren Polizeistationen zu gründen. Die Kolonien waren den Kolonisatoren, ob Siedlern oder Beamten, fremd; sie waren exotisch, sie waren anders. Nach M. Grohmann folgt „der Exotik des Gegenstands … eine Exotik der Rechtsordnung, nämlich eine einzigartig starke Stellung der monarchisch-bürokratischen Regierung.“69 Allzu oft mussten im Verlauf der deutschen Kolonialgeschichte dieses ,Anderssein‘, die „noch im Fluss“ befindlichen Zustände als Rechtfertigung dienen für massive Abweichungen von der heimischen Rechtsordnung. Doch welche Auswirkungen hatte die „Exotik der Rechtsordnung“ auf die Polizeipraxis? Die Frage nach einem (etwaigen) rechtsstaatlichen Anspruch an das Polizeihandeln (bei der Aufgabe, Sicherheit und Ordnung in der Kolonie zu stiften) soll sich als ,Leitmotiv‘ durch die Arbeit ziehen. Der Staatsrechtler H. Hofmann hat von den „ungemein gut durchgebildeten Grundlagen des bürgerlich-liberalen vorindustriellen Rechtsstaats“ seit der Paulskirchenverfassung von 1849 gesprochen.70 Lässt sich – im Zuge dieser allgemeinen rechtsstaatlichen Entwicklung – auch in der Kolonie von einer Entmilitarisierung der deutschen 67 Die Darstellung der Kriminalabteilung, die für die Bekämpfung des Diamantschmuggels oder anderer Formen gewerbsmäßiger Kriminalität (ganz überwiegend von Einwanderern) eingerichtet worden war, bleibt einer anderen Arbeit vorbehalten; vgl. Rafalski, 1930, S. 95 f. 68 Crummey, 1986, S. 1. 69 Grohmann, 2001, S. 3. 70 Hofmann, 1994, S. 28.

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Polizei- und Strafgewalt sprechen? ,Wie viel‘ Rechtsstaat wurde für erforderlich gehalten – und von wem? In Deutschland waren juristische Maßstäbe erreicht, hinter denen die Kolonialverwaltung und deren „Mädchen für alles“,71 die Polizisten, nicht ohne weiteres zurückbleiben konnten (Presse und Reichstag scheuten „Kolonialskandale“ nicht). Zumal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „Unverbrüchlichkeit und Vorrang des Gesetzes auch für die handelnde Verwaltung …, das Bestehen eines effektiven, gerichtlichen Rechtsschutzes auch gegenüber der Verwaltung … wesentliche Kennzeichen für den Rechtsstaatsbegriff“ wurden.72 Es ist daher nach den verwaltungsinternen Bedingungen der Kolonialherrschaft zu fragen: Wie stand es um die (Nicht-)Übertragung des metropolitanen Anspruchs der Rechtsstaatlichkeit auf die Kolonie, die ,Verrechtlichung‘ des Polizeiwesens? Wurde versucht, metropolitane, rechtsstaatliche Maßstäbe zu übertragen? Was wurde als Übertretung der polizeilichen Befugnisse angesehen, wie wurde damit von Seiten der Vorgesetzten umgegangen? Wo lag die Toleranzschwelle des heimatlichen Rechtsstaats gegenüber Abweichungen in der Kolonie? Im organisationsgeschichtlich angelegten ersten Teil der Arbeit werden daher die rechtlichen Voraussetzungen kolonialpolizeilicher Tätigkeit in DSWA sowie die Kompetenzen der Polizisten und der afrikanischen „Polizeidiener“ skizziert. In dieser ,Mittlerfigur‘ lösen sich mitunter die Trennlinien zwischen deutscher Polizei und afrikanischen Polizierten. Ihrem Verhältnis zum afrikanischen wie zum deutschen Bevölkerungsteil ist daher gesondert nachzugehen. Die (hier zunächst hypothetisch konstatierten) rechtsstaatlichen Anforderungen kollidierten mit praktischen ,Erfordernissen‘ vor allem der strafpolizeilichen Tätigkeit. In einem zweiten Teil zur kolonialen „Strafpraxis“ werden Formen kolonialer Gewaltsamkeit exemplarisch analysiert. Ausgehend von der Annahme „the study of colonialism is by nature comparative or cross-national“,73 lässt sich die Frage nach der rechtsstaatlichen Verankerung des Polizeihandelns für die Polizeipraxis weiterführen: Gab es Formen polizeilicher Gewalt, die spezifisch kolonial waren, weil sie die im Reichsgebiet eingehaltenen Grenzen überschritten? War die Modifikation/Außerachtlassung (metropolitaner) rechtsstaatlicher Standards in den Kolonien legitimiert mit der Externalisierung – d. h. Verlagerung in die Kolonien – des Ausnahmezustands, welcher in den metropolitanen Gebieten des deutschen Reiches zunehmend rechtsstaatlich eingehegt wurde und unter dem Druck der parlamentarischen Kontrolle auch eingehegt werden musste? „Colonialism is often seen as a result of lawlessness. In fact, law proved central to the articulation of violent, racialist colonial societies.“74 Trotz dieser (unstrittigen) Zentralität des Kolonialrechts 71 72 73 74

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Rafalski, 1930, S. 15. Böckenförde, 1991, S. 151 f. Finaldi, 2005, S. 245; vgl. Hall, 2004, S. 51. Schwirck, 1998, Abstract; vgl. aber Mbaku/Kimenyi, 2005, S. 161.

für jede moderne Kolonialgesellschaft gilt es festzuhalten, dass gerade die Nichtbeachtung von Recht – sowohl durch Siedler, wie durch Beamte – gleichermaßen ein Charakteristikum des Alltags zwischen Kolonisierten und den (das Recht monopolisierenden) Kolonisatoren war. Die im und durch den Kolonialstaat ausgeübte Gewalt bleibt daher – trotz ihrer staatsrechtlichen Verankerung – untrennbar mit der Rechtlosigkeit verbunden; und dies nicht allein in einem formalen, sondern im ,praktischen‘ Sinne der Rechtsverweigerung. Es galten häufig, weit weg von den Vorgesetzten, nicht die rechtsstaatlichen Regeln, sondern die des „kurzen Prozesses“ – was keine koloniale Besonderheit war.75 Die rechtlichen Grundlagen galten, wie sich in der Polizeipraxis zeigte, als vage und wurden als unpraktisch und einengend empfunden. Eine Spannung zwischen „law and order“ blieb bestehen. Die verwaltungsintern vehement geführte Diskussion um den polizeilichen Schusswaffengebrauch in der Kolonie fokussiert die Frage nach der Verrechtlichung des Polizeiwesens; aber auch die Kapitel über die Deportation oder die Prügelstrafe gegen afrikanische ArbeiterInnen als Ausübung des väterlichen Züchtigungsrechts oder „analog“ zum Gesinderecht in Deutschland können als Beispiele dafür dienen. Es ist kein überraschender Befund, wenn insbesondere bei der zulässigen Ausübung staatlicher Gewalt massive Abweichungen von den in Deutschland gültigen Normen konstatiert werden. Die von Drechsler und anderen beschriebene „Friedhofsruhe“ mochte dort herrschen, wo sie durchgesetzt werden konnte – aber nur dort. Wenige Kilometer weiter, außerhalb der Reichweite der Ordnungskräfte, deren Radius durch die Kenntnis von Wasserstellen (in dem ariden Land) bzw. ihre Wasserflaschen begrenzt blieb, war die Situation eine andere. Wenn C. Marx die reziproken Beziehungen zwischen Europäern und Afrikaner als eine sich an jedem Ort anders und neu einpendelnde „Machtbalance“ beschreibt, gilt es hinzuzufügen, dass bei näherer Betrachtung die ,Ordnungsdurchsetzung‘, die europäische Staatlichkeit in der Kolonie, eine Frage des Raumes war.76 Ihr ist im dritten Teil der Arbeit nachzugehen. Es gab innerhalb der Kolonie ,herrschaftsnahe‘ und ,herrschaftsferne‘ Gebiete – um eine Begrifflichkeit der Geschichtsschreibung zum Mittelalter zu entlehnen.77 Koloniale Herrschaft konnte schwache Herrschaft sein, weil es nicht gelang, die Staatsgewalt (und das staatliche Gewaltmonopol) ,im Raum‘, dem gesamten kolonialen Staatsgebiet zu etablieren. Jede abermalige „Patrouille“ gegen „Viehdiebe und Räuberbanden“ sprach allen vorhergehenden Versuchen der „Sicherung“ Hohn. Hier zeigt sich, wie relativ der Begriff ,koloniale Staatlichkeit‘ und wie fraglich es ist, ob von einer solchen im 75 Zum Begriff: Lindenberger, 1995b, S. 205. 76 Vgl. Zimmerer, 2004, S. 142; Zum Bedeutungszuwachs der Raumdimension in den Kulturwissenschaften und dem „spatial turn“ als „Kind der Postmoderne“ Bachmann-Medick, 2006, S. 284 f. 77 Vgl. Eckert/Pesek, 2004, S. 89; zu den Begriffen „königsnah“ und „königsfern“ nach P. Moraw vgl. Prietzel, 2004, S. 13.

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deutschen Kolonialgebiet gesprochen werden kann. Für Teile der Kolonie ist dies zu verneinen. Im Norden DSWAs wurde deutsche Staatlichkeit (bewusst) nicht durchgesetzt, weil die Mittel dafür fehlten. Obgleich Grenzen demarkiert wurden, war damit lediglich ein fiktionaler Anspruch auf Kontrolle über einen bestimmten Raum und Gehorsam in ihm erhoben. Daher bedeutete die europäische Herrschaft nicht notwendig „a fundamental break in the way power was exercised on the African continent.“78 Für die koloniale Peripherie gilt diese Feststellung freilich sehr viel stärker als für die Kolonialmetropolen. In Windhoek, einer kleinen Kolonialmetropole gemessen an Städten wie Johannesburg oder Kapstadt, hatte sich mit den Jahren ein recht ,deutsches‘ Leben entwickelt. Über dieses städtisch-deutsch-afrikanische Leben wissen wir noch wenig – wie überhaupt: „African urban history [is] a bitterly underresearched field of study.“79 Ein Kapitel über die „Ordnung und Sicherheit auf der ,Werft‘ in Windhoek“ nähert sich diesem Thema. Die Ursachen der kolonialen Zielvorgabe einer segregierten Stadt werden ebenso untersucht, wie ihre Realisierbarkeit und die Lebensverhältnisse auf der „Werft“, dem den Afrikanern zugewiesenen Teil der Kolonialstadt. Dessen polizeiliche Überwachung erwies sich aus kolonialstaatlicher Perspektive als defizitär. Die „Machtbalance“ mit der afrikanischen Bevölkerung und ihren Autoritäten war stets neu auszuhandeln, selbst dort, wo der Kolonialstaat sich seiner selbst am sichersten wähnte – im Herrschaftszentrum. Aus der Perspektive der afrikanischen Bevölkerung ergibt sich angesichts der Herrschaftspraxis der deutschen Verwaltung – d. h. überwiegend der Polizei – die Frage nach Hinnahme sowie nach Widersetzlichkeiten und möglicher Opposition.80 Welche Formen von Polizeihandeln und -gewalt erlebten sie? Welche Verhaltensformen veranlasste die Polizei einzuschreiten und welche Wirkungen hatte dies auf die ,Polizierten‘? Die neuen (deutschen) Anforderungen verursachten einen ,Anpassungsprozess‘: Was änderte sich im Alltag für die Betroffenen? Wo und wie widersetzten sie sich? Was konnte der Kolonialstaat nicht durchsetzen? Denn: „Selbst gegenüber der Übermacht des weißen Mannes haben die vom Kolonisierungsprozeß erfaßten Völker auf verschiedene Weise – durch Widerstand und Kollaboration – reagiert und versucht, sich der neuen Situation nach ihren Vorstellungen und Interessen anzupassen.“81 Anpassung (oder Wandel) und Widersetzlichkeiten waren keine Charakteristika, die allein bei afrikanischen Gesellschaften zu konstatieren sind. Vielmehr ist auch auf deutscher Seite an ,Lernprozesse‘ und Veränderungen zu denken. Die globale Frage „ob man nicht statt des Exports eines europäischen Staatsmodells eine Anpassung des Kolonialstaats an afrikanische Strukturen“ 78 79 80 81

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Herbst, 2000, S. 61; S. 70 f. So Wirz, 2000, S. 526. Vgl. zum erweiterten „resistance“-Konzept: Walraven/Abbink, 2003, S. 8. Gründer, 1996, S. 149.

feststellen könne,82 lässt sich ,herunter brechen‘ auf die koloniale Situation ,vor Ort‘: Wie gestalteten sich die (gegenseitigen) Anpassungsprozesse zwischen Verwaltung und Bevölkerung? In abgeschwächter Form gelten die Fragen nach Hinnahme und Widersetzlichkeit daher auch für die europäische Bevölkerung. Das Verhältnis zwischen Kolonialverwaltung und Siedlern war ein gespanntes.83 Es gilt zu beachten: Die Polizei ist ein Teil der Gesellschaft; es gibt dynamische Prozesse und Interaktionen zwischen ,Bürgern‘ und ,Polizei‘. Die Gegenüberstellung von Staat (Polizei) und Gesellschaft (Bürgern) ist eine konstruierte – auch im kolonialen Zusammenhang. Hinnahme von und Widersetzlichkeiten gegen Herrschaftsansprüche folgten bestimmten Interessen. Viele Siedler warfen den Polizisten z. B. pauschal vor, zu „eingeborenenfreundlich“ zu sein; sie widersetzten sich oft vehement den polizeilichen Anordnungen und waren doch in Fragen von Sicherheit und Versorgung von der Polizei abhängig. Den Formen der ,weißen‘ Unbotmäßigkeit, ihren Übertretungen von Regeln – etwa den Prügelexzessen – ist in einem Kapitel über den deutschen „Siedlungsraum“ ebenso nachzugehen, wie den dafür vorgetragenen Gründen. Wie sahen sich diese „kleinen [Kolonial]Könige“ selbst in ihrem Verhältnis zum Kolonialstaat und der Polizei?84 Häufig wurden sie mit der Befugnis versehen, Sicherheitsmaßnahmen durchzuführen (und wurden zu diesem Zweck bewaffnet). Erst später nahm die Verwaltung diesen hilfspolizeilichen Umgang mit Waffen als ein Problem wahr, als ein Aufweichen des staatlichen Gewaltmonopols (wie dies bei der afrikanischen Bevölkerung stets der Fall war) – ohne dass sie darauf ganz hätte verzichten können. Deutlich wird daraus, dass in den Farmgebieten die kolonialstaatliche Machtstellung, das Vermögen, „Ordnung“ durchzusetzen, im Vergleich zu den Ortschaften schwächer ausgeprägt war. Gegen Norden hin wurde die koloniale Präsenz unsteter, um sich jenseits der Etoschapfanne allein auf die Repräsentation vereinzelter Vertreter zu beschränken. Auch die permanente koloniale Präsenz an zwei Orten jenseits der Polizeizone ab 1910 bewirkte dort noch keine koloniale Herrschaft, wie das abschließende Kapitel ausführt. Durch ihre machtpolitische wie militärische Zwecklosigkeit wurde der rein repräsentative Charakter der zwei neu errichteten Stationen Schuckmannsburg und Kuring-Kuru noch betont.

82 Marx, 2004, S. 161; vgl. Stoler, 1992, S. 321: „Colonial cultures were never direct translations of European society“. 83 Stoler, 2002, S. 24: „Colonizers themselves … were not by nature unified“; Schmidt, 2008, S. 130. 84 Johnston/Lawson, 2000, S. 363.

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Quellen, Perspektiven und Sprachen Aus der deutschen Kolonialzeit haben sich, mit Ausnahme einiger abgefangener Briefe, kaum schriftliche Zeugnisse der afrikanischen Bevölkerung aus Nicht-Führungsgruppen erhalten. Mit Vorsicht zu lesende Protokolle oder Beschwerden, die durch Mund und Hand von Dolmetschern und Polizisten gingen, lassen nur wenige Rückschlüsse auf den afrikanischen Alltag unter deutscher Herrschaft und ihre Wahrnehmung etwa der Kolonialpolizei zu.85 Wesentlicher aber ist es, dass das Archiv der falsche Ort ist, um etwas über den Alltag der deutschen Kolonialpolizei aus Sicht der Kolonisierten, etwas über die Wirkung des polizeilichen Handelns auf ihren Alltag, kurz: etwas über die Wahrnehmung des ,Anderen‘ aus der ,anderen‘ Perspektive in Erfahrung zu bringen. Die Mehrheit der Bevölkerung gehörte vorschriftlichen Kulturen an; sie vermittelte ihre Erfahrungen vorrangig mündlich. Diese Tradition hat sich nach 100 Jahren weitgehend verloren und mit ihr spezifische Erinnerungen an die deutsche Polizeiarbeit. „Aktuelle mündliche ,Repräsentationen‘ von Geschichte“ können dies nicht aufwiegen. Insofern kommt diese Arbeit für eine oral history 50 Jahre zu spät.86 Der Mangel, stattdessen (fast) ausnahmslos auf deutsche Quellen angewiesen zu sein, kann nicht hinweg argumentiert werden. Die hier benutzten Akten der Berliner und Windhoeker Behörden, Reichstagsprotokolle, Briefe, Artikel, Bücher, Karten oder Fotografien stammen aus deutscher Hand.87 Ihren ethnozentrischen Charakter können sie nicht verleugnen, denn sie spiegeln einzig deutsche Perspektiven wider, so unterschiedlich auch Anlässe und Motive der Autorinnen und Autoren gewesen sein mögen. Der Gefahr, den deutschen Quellen, ihrer Sichtweise und ihrer Sprache zu erliegen, ist jeder ausgesetzt, der sich mit ihnen beschäftigt.88 Zwar muss diese deutsche Perspektive auf die afrikanische Wirklichkeit dann nicht von Nachteil sein, wenn sie Vorgänge innerhalb der deutschen Verwaltung erhellt oder das Verhältnis zwischen deutschem ,Publikum‘ und Polizei vorführt und den Blick auch auf Differenzen frei gibt. Kontextualisierung und kritische Abwägung dieser Quellen sind möglich.89 Anders hingegen steht es im Hinblick auf die über-

85 Zur Schriftkultur in SWA Henrichsen, 2001, S. 329 f.; Henrichsen, 1997, S. 38 f. 86 Henrichsen, 1997, S. 42 – 47 (44) über orale Quellen zur (vor-)kolonialen Geschichte, die er „als problematisch einschätzt“. 87 Es ist zu beachten, dass in der Verwaltung vieles mündlich ohne Akteneintrag abgehandelt wurde. Verweise auf (Telefon-)Gespräche deuten darauf ebenso hin, wie ein Vermerk O. Hintragers, der anlässlich eines Streits mahnte, die „Angelegenheit [wäre] besser im Wege mündlicher Rücksprache erledigt worden“ (NAN BWI 208, O 1 e, Gouv an BAWindhuk, 26.7.12); auch Gouverneur B. v. Schuckmann wollte interne Anliegen „direkt“ und „am Besten mündlich“ geregelt wissen (NAN ZBU 785, G IV d 2, Bl.77b, Gouv an KdoSchTr, 16.4.08). 88 Vgl. z. B. die Kritik an Kaulich, 2001 bei Klein-Arendt, 2003b, S. 161. 89 Vgl. Drechsler, 1984, S. 5: „die Kolonialherren [haben] recht ungeschminkt über die Lage in den Kolonien berichtet.“; Jones, 1989, S. 154; Spears, 2006, S. 307.

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wältigende Mehrheit der Bevölkerung.90 Jedes der vorliegenden Kapitel verdiente es, aus ihrer Perspektive noch einmal geschrieben zu werden, da allzu wenige afrikanische Stimmen Eingang in die vorliegende Arbeit finden konnten. Doch kann die afrikanische Bevölkerungsmehrheit selbst unter Zugrundelegung deutscher Quellen in einer anderen als der ihr zugedachten passiven Rolle befehlsempfangender Objekte kolonialstaatlicher Planungen dargestellt werden.91 Zu bewusst waren sich Beamte, Siedler, Missionare und noch Besucher aus Deutschland der eigenen Abhängigkeiten von Afrikanern, ihrer Ohnmacht gegenüber deren Eigensinn und der Zerbrechlichkeit der kolonialen Machtstrukturen, als dass sie dieses Bewusstsein vollständig aus ihren Äußerungen hätten bannen können. Gleichermaßen aber sind koloniale Texte von der Überzeugung eigener Überlegenheit, der Berechtigung und Selbstverständlichkeit kolonialer Unternehmungen durchdrungen, die in abwertender, rassistischer Sprache zum Ausdruck kommt.92 Diese zu vermeiden hieße, einen wesentlichen Aspekt des zeitgenössischen Kolonialdiskurses auszublenden. Der Versuch, Ersatz für die Quellensprache zu finden, hat nicht immer zum Erfolg geführt: Um etwa die für politisch inkorrekt erachteten Quellenbegriffe „Häuptling“ und „Kapitain“ zu vermeiden, wird in der Literatur das Oberhaupt einer indigenen Gemeinschaft gern als „omuhona“ oder auch „big man“ bezeichnet. Welchen analytischen Mehrwert es hat, diese Fremdworte einzusetzen bleibt offen. Es drängt sich der Eindruck eines begrifflichen „Notstand[s]“ der Forschung auf. Es ist eine „Crux“ für die Geschichtsschreibung, wenn sie „die Rechtsbegriffe, deren sie sich bedienen muß, nicht begründen kann“.93 So tritt beim Schreiben über afrikanische Gesellschaften das Problem auf, europäische Kategorien historischer Analyse auf afrikanische Ordnungen zu übertragen: Bestimmte Institutionen werden für die Analyse als notwendig vorausgesetzt und „daher sucht der Historiker in Afrika nach einer vertrauten Konstellation von König, Adel, Kirche und Kaufleuten.“94 Diesen begrifflichen „Notstand“ befriedigend aufzuheben, ist bisher nicht gelungen. Hier wird der Quellensprache und -orthographie weitgehend gefolgt; weshalb insbesondere kap-holländische Begriffe,95 deren sich bald auch die kolonialdeutsche Amtssprache bediente, Verwendung finden.

90 Goldblatt, 1971, S. 5; vgl. Eckert, 1999, S. 13 zum „Ritual einer Arbeit zur afrikanischen Geschichte … [die] oft einseitige Quellenbasis zu beklagen“. 91 Vgl. Marfaing/Reinwald, 2001, S. 4; Wehler, 2006, S. 162 f. 92 Vgl. Mamozai, 1982, S. 57. 93 Pitz, 2006, S. 411 f. 94 Feierman, 2002, S. 63; vgl. Henrichsen, 1997, S. 47; zur Afrikageschichtsschreibung: Kaese, 2001, S. 329 f.; zeitgenössisch: Paulitschke, 1880. 95 Vgl. Stals/Ponelis, 2001.

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Erster Teil: Organisation und Personal der Landespolizei Der Historiker S. Feierman mahnte unlängst: „Das Studium der afrikanischen Geschichte legt es nahe, über Formen der historischen Repräsentation hinauszugehen, in denen die Energie, die die Ereignisse antreibt, ihren Ursprung in Europa hat, während die afrikanische … Geschichte bloß das Lokalkolorit beziehungsweise ein pittoreskes Bühnenbild für das zentrale Drama liefert.“1 Eine Analyse der administrativen Strukturen und ihres Wandels im kolonialen (Sicherheits-)Apparat muss diese Bemerkungen ernst nehmen, um nicht der Gefahr zu erliegen, ,Afrika‘ als Folie abzubilden, auf der die (koloniale) Politik ihre Vorstellungen mehr oder weniger ungebrochen umsetzen konnte. Das Gegenteil war der Fall: Die permanente Umstrukturierung des kolonialen Polizeiapparats ist nur als Reaktion auf die ,afrikanischen‘ Verhältnisse zu verstehen, die den kolonialen Herrschaftsversuchen Grenzen aufzeigten. Der Anstoß für die Veränderungen, die „Energie“ – um mit Feierman zu sprechen – ging auch vom Verhalten der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit aus. Die Notwendigkeit einer Umstrukturierung allein erweist schon die Unzulänglichkeit der bisher verwandten Mittel. Die von L. Harding betonte „koloniale Ratlosigkeit“ spiegelt sich wider in dem beständigen Erfordernis, ,es vielleicht noch einmal anders zu versuchen‘: „Die Kolonialmächte ha[tten] kein politisches Konzept zur Verwaltung und Nutzung ihrer Gebiete“. Ihnen blieb für die Verwaltungspraxis nichts anderes übrig, als einen gelegentlich neu auszuhandelnden „Mittelweg“ einzuschlagen zwischen den heimischen Vorgaben sowie den Vorstellungen der Siedler auf der einen und dem gegenüber der Bevölkerungsmehrheit Durchsetzbaren auf der anderen Seite. Harding unterstreicht deshalb, dass Letztere „aktiv das koloniale Geschehen“ beeinflussten.2 Auch die großen Gemeinsamkeiten in den Organisationsstrukturen der Kolonialstaaten, die M. Mamdani zu Recht betont, sind darauf zurückzuführen, dass „everywhere the organization and reorganization of the colonial state was a response to a central and overriding dilemma: the native question.“3 Die ,Regierbarkeit‘ der Kolonisierten war eine stets neu auszuhandelnde Machtfrage, sie wurde daher vorrangig eine Frage des kolonialen Sicherheitsapparats. Um diesen zu verwalten, zu kontrollieren – in der Metropole wie in der Kolonie – bedurfte es einer gesetzlich verankerten Administration, um den 1 Feierman, 2002, S. 78. 2 Harding, 2006, S. 27 f. 3 Mamdani, 1996, S. 16 [Herv. J.Z.]; vgl. Bernhöft, 1897.

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Ansprüchen des Staatsrechts und seiner Kontrolle durch Gerichte und vor allem das Parlament zu entsprechen. Die Einbindung der Kolonien in die Strukturen des Kaiserreichs war ein langwieriger Prozess, der zwischen den Polen einer den obrigkeitlichen Traditionen verhafteten deutschen Verwaltung, der parlamentarischen Meinungsbildung und ihrem Hebel des Budgetrechts sowie den Erfordernissen und Möglichkeiten in den Kolonien austariert werden musste. Diesen Prozess zu skizzieren heißt, Vorgänge in Deutschland wie in der Kolonie darzustellen, die teils unabhängig von einander verliefen, aber in ihren Folgen miteinander verknüpft waren.

I. Recht und Verwaltung der Polizei in Deutsch-Südwestafrika Seitdem das Deutsche Reich 1884 Kolonialbesitz erworben hatte, war eine juristische Ausgestaltung der deutschen Herrschaftsaufrichtung nötig geworden, um so den völkerrechtlichen Anforderungen sowie dem Staatsrecht zu genügen.4 Das Schutzgebietsgesetz (SGG) von 1886 gliederte die „Schutzgebiete“ in das staatsrechtliche Gefüge des Deutschen Reiches ein.

1.1. Grundzüge des deutschen Kolonialrechts Der Kompromiss, auf den sich Reichsleitung und Parlamentarier im SGG einigten, bestand aus einem Ermächtigungsparagraphen und einem Rückgriff auf das Konsularrecht.5 Gemäß § 1 SGG („Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt der Kaiser im Namen des Reichs aus.“) wurde dem Kaiser – als Bevollmächtigtem des Deutschen Reiches, das die Souveränität über die Schutzgebiete ausübte – eine Ermächtigung zum Erlass „gesetzesgleicher Rechtsverordnungen“ zuerkannt.6 Dies galt als „ordentlicher Weg“ der Schutzgebietsgesetzgebung. Koloniale Rechtssetzung basierte überwiegend auf Verordnungsrecht und nicht auf Parlamentsrecht.7 § 2 SGG schränkte die kaiserliche Befugnis auf den Gebieten des bürgerlichen, Straf- und Gerichtsverfahrensrechts ein, indem er diese Rechtsmaterien dem 1879 erlassenen Konsulargerichtsbarkeitsgesetz (KGG) überließ. Durch das SGG erhielten die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen des preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR), auf die § 3 KGG verweist, Gel4 Vgl. Treitschke, 1884, S. 563; Jooris, 1886, S. 236; van Laak, 2005, S. 67; Canis, 2004, S. 227; Koskenniemi, 2000, S. 123; Schildtknecht, 2000, S. 75 f.; Riehl, 1993, S. 515; Berat, 1990, S. 42 f.; Betts, 1985, S. 314; Huber, 1986, S. 609; Aydelotte, 1970, S. 38 f.; Hagen, 1923, S. 170. 5 Grohmann, 2001, S. 43 – 65; Nagl, 2007, S. 30 f.; Morsey, 1957, S. 296; Kade, 1939, S. 75. 6 Stern, 2000, S. 433; vgl. Stengel, 1886; Naendrup, 1907, S. 26 f.; Bitter, 1911, S. 1041. 7 Laband, 1911, S. 289; Fischer, 1895, S. 187; Jol, 1887, S. 191 f.; Richter, 2001, S. 95.

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tung in Afrika und der Südsee. In diesen Rechtsmaterien blieb daher die Gesetzgebung „den gesetzgebenden Organen des Reiches vorbehalten“.8 Die §§ 3 und 4 SGG regelten Sachverhalte, die durch kaiserliche Verordnung abweichend von den Bestimmungen des KGG geregelt werden konnten: etwa die Zuständigkeit der Gerichte für Personen, die nicht dem KGG unterlagen; oder das Recht des Reichskanzlers, an die Gerichtsbeamten die Befugnis zu übertragen, polizeiliche Vorschriften zu erlassen und deren Nichtbefolgung bestrafen zu können. Insgesamt aber „wurde ein eigentümliches Verhältnis der Unterordnung des Kolonial- gegenüber dem Konsularrecht geschaffen, das sich in der Rechtsordnung keiner anderen Kolonialmacht findet, und dessen innerer Grund sich nur historisch verstehen läßt.“9 1886 ging die Reichsleitung davon aus, dass eine spezifisch kolonialrechtliche Dogmatik nicht erforderlich sei, da sowohl die Verwaltung als auch die Befugnis zur Verordnungssetzung an private Handelsgesellschaften delegiert werden sollten. Bismarck wollte den Begriff „Kolonie“ vermeiden. „Schutzgebiete“ waren weder Ausland noch Inland. Der analogen – mit dem SGG gesetzlich gewordenen – Anwendung des KGG stand der personale Charakter des Konsularrechts nicht entgegen: Die einheimische Bevölkerung sollte in den „Schutzgebieten“ nach ihrem Recht leben können. So war es in den mit den „Häuptlingen“ abgeschlossenen „Schutzverträgen“ vereinbart und wurde durch § 4 SGG staatsrechtlich festgeschrieben.10 Diese Zweiteilung des Kolonialrechts in „Europäerrecht“ und „Eingeborenenrecht“ wurde grundlegend für die koloniale Herrschaftsordnung. Einzig für Europäer galten jene Bestimmungen des SGG, die auf das KGG verwiesen. Die deutsche Kolonialherrschaft hatte vorerst auch juristisch eher personalen als territorialen Charakter.11 Kurze Zeit nach seiner Verkündung urteilte A. Pann über das SGG, es hinterlasse „spinose Rechtsverhältnisse.“12 Zwar folgten in den Jahren 1888 und 1900 Novellierungen des SSG, die häufig Verfahrensabweichungen gegenüber dem KGG zum Gegenstand hatten und die Kompetenz des Kaisers und des Reichskanzlers (§15) ausweiteten, ihre Verordnungskompetenzen an Gouverneure oder sonstige Beamte delegieren zu können. Doch die Grundlagen des Kolonialrechts bestanden unverändert. Insbesondere blieben die „Diktatur des Kaisers“13 und der „Notbehelf“ des KGG unberührt. Auch entbehrte die Rechtslage der afrikanischen Bevölkerung weiterhin einer gesetzlichen Grundlage.14 8 Meyer, 1891, S. 405. Im KGG waren keine verwaltungsrechtlichen Belange zu klären, vgl. Radlauer, 1911, S. 9; Stengel, 1887a, S. 227; Stengel, 1901, S. 179, Fn.2; Eicker, 2009, S. 142. 9 Köbner, 1904, S. 1088; vgl. Stengel, 1887, S. 309 f.; Sack, 2001, S. 48 f.; Nagl, 2007 S. 41 f. 10 Koskenniemi, 2000, S. 137; Jäckel, 1909, S. 31; Sabersky, 1907; Fleischmann, 1891, S. 174. 11 Vgl. Grohmann, 2001, S. 150; Seelbach, 1904, S. 8; Köbner, 1903, S. 37; Zorn, 1903. 12 Pann, 1887, S. 4; vgl. Hagen, 1923, S. 210 f. ; Sassen, 1906, S. 620; Sieglin, 1908, S. 7. 13 Sippel, 2001, S. 355 f.; vgl. Stengel, 1900, S. 282; Kuhn, 1913, S. 24; Münstermann, 1911. 14 MdR Schrader (Freisinn) SBRT 10. L.P. 1.Sess 1898/1900, Bd. 7, 209. Sitzg. v. 12. 6. 1900, S. 6006;

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Das SGG ermöglichte es, die Kolonien fast vollständig auf dem Verordnungswege zu regieren. Insofern kann die vorgeschlagene Anlehnung an E.-R. Hubers Begriff des „Gesetzesstaats“ als Charakterisierung der kolonialen Verfassungsstruktur15 irreführend sein. Der Reichstag blieb weitgehend außen vor (es entsprach Bismarcks Auffassung, aus jenen neuen Gebieten keinen „parlamentarischen Exerzierplatz“16 zu machen); sah sich aber durch das Budgetrecht, das 1892 durch das „Gesetz über die Einnahmen und Ausgaben der Schutzgebiete“ gestärkt wurde, in die Lage versetzt, die Vorgänge in den Kolonien zu kommentieren. Die Abweichung vom metropolitanen Gesetzesvollzug ermöglichte, den monarchischen Vorstellungen entsprechend, eine verrechtlichte Ausnahmesituation gegenüber den parlamentarischen Hegungen staatlicher Gewalt in der Metropole. Die „im Flusse“ befindlichen „besonderen wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse der Kolonien“ dienten der Reichsleitung zur Rechtfertigung für die Abweichung von heimischen Rechtsgrundsätzen.17 Zwar war das SSG das „Grundgesetz“ der Kolonien, das als solches die „Competenz-Competenz des Staates, die genaue Bestimmung und Begrenzung der Rechte der Repräsentanten der Staatsgewalt gegenüber den Staatsunterthanen“ regelte.18 Doch mit dieser Begrenzung war es in vielen Rechtsgebieten nicht weit her. Als Zentralverwaltung für die Schutzgebiete fungierte ab 1885 das Auswärtige Amt,19 dem 1894 eine Kolonialabteilung unter der Leitung Paul Kaysers nebengeordnet wurde. 1907, nach einer Reihe von Skandalen, wurde diese Abteilung in einem Reichskolonialamt verselbstständigt. Dessen erster Staatssekretär Bernhard Dernburg hatte als Wirtschaftsfachmann die „Sanierung“ des bisher wenig lukrativen deutschen Kolonialengagements zu übernehmen. Der Kolonialabteilung, beziehungsweise dem Reichskolonialamt oblag es, die Verordnungen, mit denen die „Schutzgebiete“ regiert werden sollten, auszuarbeiten und ihre Beachtung durch die Kolonialverwaltungen ,vor Ort‘, die Gouvernements, zu überwachen.20

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Zum SSG: vgl. DKL (1920), Bd. III, S. 317; Grohmann, 2001, S. 65 – 70; 186 – 198; Sack, 2001, S. 51 f. erkennt im SGG 1900 eine „neue Selbstsicherheit“; BAB R 3001/5251, Entwurf für Erklärung in der Sitzg. der Budget-Komm. v. 14.11.11; Denkschrift RKA, 1905. So Zimmerer, 2004, S. 285; vgl. Lüttich, 1914. Zit. in: Pflanze, 1998, S. 372, (Bismarck 1882); Schmidt, 2004, S. 217 f.; Ullrich, 1996. BAB R 3001/5251, Bl.142a-c, RJA an RKA, 8.12.11; zum RT: Schönberger, 2001. v. Streit, 1892, S. 7; zum Begriff der „Competenz-Competenz“ Meyer, 1885, S. 15. Vgl. Poser und Gross-Naedlitz, 1903, S. 68; Hoffmann, 1908, S. 12. Schiefel, 1975; Zöbl, 2001, S. 288; Hampe, 1995; Morsey, 1984, S.160; Kuhn, 1913, S. 156.

1.2. Erste Versuche kolonialpolizeilicher Tätigkeit Mit dem Auf- und Ausbau einer staatlichen Verwaltung in einer Kolonie verband sich aus europäischer Perspektive das Ziel, die Etablierung der Staatlichkeit in einem zuvor als völkerrechtlich „herrenlos“ definierten Territorium voranzutreiben, das nach dieser Auffassung im chaotischen Stadium des gesellschaftlichen ,Urzustandes‘ verblieben war. Die in den Kolonien vorgefundene Situation bedurfte daher aus zeitgenössischer deutscher Sicht einer ,kulturellen‘ Gestaltung durch die Kolonialmacht. Mit einer dem entsprechenden Selbstverständlichkeit wurde 1886 auch deutsches Recht in den „erworbenen“ „Schutzgebieten“ eingeführt.21 Viel hatte die Zentrale in Berlin in den ersten zehn Kolonialjahren nicht zu verwalten in DSWA. Als sich die Reichsleitung entschied, Beamte in das auf Ersuchen des Kaufmanns A. Lüderitz unter ,Schutz‘ gestellte Gebiet zu entsenden, war unter ihnen neben dem Reichskommissar Dr. H. Göring und dem Kanzler L. Nels auch der Polizeiwachtmeister H. v. Goldammer.22 Sie landeten im Mai 1885 in Angra PequeÇa und errichteten später in Otjimbingwe ihren ,Hauptsitz‘ – im Bewusstsein, dass Privatgesellschaften die „Verwaltung“ zu übernehmen und sie diese lediglich zu überwachen hätten.23 Mit dem Befehl des Kaisers an Göring, „für Ruhe und Ordnung mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln Sorge zu tragen, … und auch den Eingeborenen Schutz und Sicherheit zu gewähren“, war vorerst wenig gewonnen.24 Göring schloss mit Maharero und anderen „Schutzverträge“ und Nels erteilte den „englischen und schwedischen Händler[n] … eine Art Schutzschein“;25 doch zeugte der Wunsch danach eher von dem Mangel an Sicherheit als dass die ,Kolonialregierung‘ diese hätte gewähren können. Erst auf Veranlassung der Reichsleitung gründete 1888 die Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika eine „Schutztruppe“, die mit der Übernahme des Bergregals durch das Reich noch im selben Jahr aufgelöst wurde, „da die Regierung nun selbst eine Polizeitruppe ins Leben rief.“ Die Sicherheitsverhältnisse im „Schutzgebiet“ aber blieben ungenügend. Kommissar Göring floh vor Maharero ins benachbarte britische Walvis Bay. Es schien, als ob die Europäer „did not know what to do about their conquests. Their early strategies were based on trial and error.“26 Über Jahre hinweg kam die Kolonialverwaltung vor Ort, seit 1889 unter Leitung des Kommissars Major Curt v. FranÅois über eine minimale Ord21 Koskenniemi, 2000, S. 102; Korman, 1996, S. 56; 66; Fisch, 1992, S. 15; Stolleis, 1992, S. 438; Bernhöft, 1895, S. 9; Conrad, 2006, S. 55; Bruch, 1996, S. 11; Eicker, 2009, S. 134 f. 22 Vgl. Stern, 1988, S. 573 – 8; Jäckel, 1909, S. 26 – 30; 161 – 6; Weber, 1979, S. 33 – 6. 23 Vgl. Weißbuch 1885; Vogelsang, 1906, S. 47; Lüderitz, 1945. 24 BAB R 1001/9326, Bl. 1130, Kommissorium für Dr. Göring als Reichskommissar, 26.5.85. 25 BAB R 1001/9328, Bl. 1426, Nels an RK v. Bismarck, 4.6.86: „Einige Rechtsstreite zwischen den Weissen und Eingeborenen habe ich mit dem betreffenden Häuptling entschieden.“ 26 Colonialges., 1907, S. 7; Chikeka, 2004, S. 73; Tiebel, 2008, S. 67; Morlang 2008, S. 61.

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nungstätigkeit nicht hinaus27: In Strafsachen wurde 1892 „einmal verhandelt“, sowie „3 Verordnungen allgemeiner Natur, 4 Polizei-Verordnungen, welche sich auf besondere Fälle bezogen und eine Ortspolizei-Verordnung für den Verkauf von Spirituosen an Eingeborene auf Gr. Windhoek erlassen“. FranÅois verfügte damals über kaum 200 in Deutschland angeworbene Soldaten um diese Bestimmungen durchzusetzen.28 Nachdem 1894 Major Theodor Leutwein die Regierungsgeschäfte übernommen hatte und die nun so genannte „Schutztruppe“ auf 540 Mann verstärkt worden war, wurde unter dem Assessor Friedrich v. Lindequist die Schutzgebietsverwaltung stärker gegliedert und systematisiert. Soldaten ließ er zu Polizeizwecken abkommandieren. Sie schieden aus ihrer Kompanie aus und unterstanden den neu eingesetzten Bezirks- oder Distriktschefs. Die „ganze Truppe“ war somit „eingetheilt in Feldtruppe, Distriktstruppe und Polizei.“ Doch bei der Verfolgung von Straftätern musste weiter auf die Feldtruppe zurückgegriffen werden.29 Da bei den neuen Bezirkshauptmannschaften in Windhoek, Swakopmund und Keetmanshoop „der Mittelpunkt für die Verwaltungsgeschäfte“ liegen sollte, waren ihnen eine „Anzahl von Ortspolizeibehörden unterstellt, welchen die Durchführung der Gesetze und Verordnungen in ihren Bezirken in verträglichem Zusammenwirken mit den Eingeborenen-Kapitänen obliegt und deren Funktionen zur Zeit mit Erfolg von den Chefs oder Ältesten der verschiedenen Militärstationen wahrgenommen werden.“30

Dieses „Provisorium“ der abkommandierten Soldaten, wie es der Inspekteur der Landespolizei H. Bethe später nannte,31 bewährte sich solange, wie die Zahl der zu beaufsichtigenden Weißen gering blieb und eine Einmischung in Angelegenheiten der Afrikaner vermieden wurde. Der angewandte Polizeibegriff war ein weiter. Es bestanden keine durch das Kolonialrecht gesetzten Beschränkungen.32 So hatte der „Verweser der Ortspolizei Windhoek“, Leutnant v. Giese dem zum Polizeidienst kommandierten Unteroffizier Boser den „äußeren Dienst“ übertragen, „wie Revision der Werft, und [der] ankommenden Wagen, Controlle über Arbeiterverteilung … und sonstige wichtige Missionen“.33 Die Ortspolizeibehörden kontrollierten als Vertreter der Kolonialmacht, in der Tradition des ,alten‘ Polizeibegriffs als Verkörperung der allgemeinen Verwaltung, die Entwicklung des von ihnen ,verwalteten‘ Gebiets 27 BAB R 8023/602, fol.1, Bl.271; Giesebrecht, 1895, S. 1084; Wdh Anzeiger II. Jg. # 13, 20. 6. 1900, Beil., S. 1; Bastian, 1884c, S. 28, FN 3; Stengel, 1895, S. 573; Bley, 1968, S. 15 f. 28 NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.1, Bl.1 t, Francois an v. Caprivi, 14.8.92; Tiebel, 2008, S. 77. 29 NAN ZBU 146, A VI a 3, Bl.128, Jb Truppenkdt, 15.8.96; Windhoeker Anzeiger, I. Jg # 28, 26.10. 1899, S. 1; NAN ZBU 746, G I a 1, Bd.1, Bl.108, Parolebef. 17.10.95; Tiebel, 2008, S. 78. 30 NAN ZBU 146, AVI a 3, Bd.1, Bl.67 f., Jb an RK, 9.10.94; der Polizeibezirk Windhoek hatte 1896 zehn Polizeistationen (NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.2, Bl.62, Jb Windhoek, 5.8.96). 31 Bethe, in: Rafalski, 1930, S. 9; vgl. Carow, 1898; König, 1900, S. 1 f. 32 Vgl. Meyer, 1888, S. 215, zit. in BAB R 3001/5247, Bl.51, RJA an RK v. Caprivi, 9.11.91. 33 NAN BWI 155, L 2 e, Bl.1, Ortspolizeibehörde an BHpt Windhoek, 4.7.96; Bl.2, 4.7.96.

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und berichteten den Bezirkshauptmannschaften über Bevölkerungszahlen, Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung, Viehbestand, Krankheiten, Ackerbau und Postverkehr. Doch forderten die Gerichte um 1900 die Beachtung der dem Polizeibegriff im ALR gesetzten Grenzen auch in der Kolonie ein. Das koloniale Polizeiverordnungsrecht konnte im Visier richterlicher Überprüfung stehen.34 Die Polizeibehörden verfügten über die Strafgewalt in ihrem Gebiet.35 Der Sergeant der Station Hohenwarte im Bezirk Windhoek berichtete 1896, dass Strafen unter den elf Weißen nicht vorgekommen waren und „bei den Eingeborenen nur ganz wenige“.36 Die der Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Zivilverwaltung und Militär dienenden Bestimmungen wurden wiederholt neu gefasst. Deutlich wird daraus, wie schwer sich Leutwein, ab 1898 „Gouverneur“ und weiterhin Kommandeur der Schutztruppe, tat, die beiden Sphären zu trennen, ohne den Zivilstellen einen zu großen Einfluss auf Militärangehörige einräumen zu müssen. Er gestand ein, „daß es ungemein schwierig ist, in einer Instruktion, welche Rücksicht auf zwei selbständige Behörden zu nehmen hat, … alle Grenzen der beiderseitigen Machtsphären richtig zu finden.“37 Es blieb daher bei der problematischen Unterstellung der „Militärpolizisten“ sowohl unter das Kommando der Schutztruppe als auch unter den Befehl der Amtschefs, so dass es vorkommen konnte, dass ein „Militärpolizist“ tagsüber im Bezirksamt Dienst tat und nachts auf militärische Streife geschickt wurde.38 Unabhängig von diesen Kompetenzquerelen um die Polizeibehörden gab sich die Kolonialverwaltung, zumindest gegenüber der Berliner Zentrale, der Illusion hin, „das Vertrauen der Eingeborenen zu der deutschen Regierung [habe] entschieden zugenommen. Die Gewöhnung derselben an deutsche Anschauungen und Gesetze ist sehr im Zunehmen begriffen“.39 Doch die deutsche Einfluss- und Machtlosigkeit im größten Teil des „Schutzgebiets“ blieb unübersehbar. Polizeiarbeit konnte schnell in militärische Einsätze übergehen; das Personal war das gleiche. 1895 hieß es über den Südbezirk, dass an ihn „nicht nur nicht der Maßstab eines europäischen Staates, sondern“ nicht einmal der des „entwickelteren mittleren Theils [der Kolonie] … angelegt werden darf.“40 Doch auch dort wurde bedauernd eingeräumt, ein mutmaßlicher Munitionsschmuggler am Waterberg könne nicht verhaftet werden, denn „zur Zeit ist eine Kontrolle nach da dem Distrikt unmöglich.“41 Der Landeshauptmann gestand dem Leutnant Volkmann 1896, als er von einer Auseinandersetzung zwischen Herero und Buren gehört hatte: „ein kleines 34 35 36 37 38 39 40 41

Vgl. z. B. Windhoeker Anzeiger II. Jg. # 22, 25. 10. 1900, S. 2; vgl. Kap. 1.5. NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.2a, Bl.150, Jb Bezirk Otjimbingwe 1.7.96 – 30.6.97 [~1.7.97]. NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.2, Bl.52, Jahresbericht der Station Hohenwarte, 28.7.96. NAN BKE 199, B II 66 a, Bd.1, Bl.133, Gouv an BHpt Keetmanshoop, 1.9.98. Vgl. NAN BWI 417, P I 13 spec., Bl. 153, BA Windhuk an KdoSchTr, 23.12.04. NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.1, Bl.116, Jb 1895, Entwicklung des Schutzgebiets, 1.11.95. NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.1, Bl.299, Der Südbezirk. Jahresbericht, 12.7.95. NAN BOM 34 [GA 2], DKdo Okahandja an BHpt Otjimbingwe, 18.4.96.

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Schießen zwischen diesen … [würde] nicht geschadet haben. In jenem Teile des Schutzgebiets [bei Grootfontein] hat eine Rechnung auf das Eingreifen der Regierung noch keinen Werth.“42 Leutwein übertrieb daher, als er 1902 behauptete, dass die „thatsächliche Besitzergreifung des ganzen Hererolandes unsererseits … als vom Jahre 1896 ab erfolgt angesehen werden“ könne.43 Die Akten zum „Militärischen Einschreiten der Schutztruppe“ verzeichnen allein für die Zeit zwischen 1898 und 1903 rund 25 Gefechte, Unruhen oder Besetzungen.44 Da Sicherheit und Ordnung mit den vorhandenen personellen und finanziellen Möglichkeiten nicht in dem Maße gewährt werden konnte, wie es der Kolonialverwaltung wünschenswert schien, griffen die leitenden Beamten wiederholt auf Privatpersonen zur Ordnungsstiftung zurück. Hieran zeigt sich, wie dringlich Sicherheitsprobleme empfunden wurden und wie schwach das staatliche Gewaltmonopol in DSWA um 1900 ausgeprägt war. Neben den der Schutztruppe angehörenden „Militärpolizisten“ wurde die Kategorie der „Civilpolizisten“ eingeführt; Privatpersonen, denen die Ämter durch Verträge polizeiliche Befugnisse übertrugen. Für 100,– M monatlich wurden sie angestellt und mit Revolver, Gewehr und einigen Uniformstücken ausgestattet; teils erhielten sie freie Verpflegung und ein Pferd. Die „Anwerbung dieser [Zivil-]Polizisten [war] ausschließlich Sache der Bezirkshauptmannschaften“,45 ebenso wie die für sie geltenden Instruktionen.46 Selbst für kürzeste Zeit konnten Verträge abgeschlossen werden. So verpflichtete Bezirkschef v. Lindequist den „Ansiedler Herrmann, … alle ihm in der Zeit vom 26. Mai bis 1. Juli [1897] übertragenen Polizeigeschäfte gewissenhaft … auszuführen.“47 Doch diese hilfsweise eingestellten Polizisten erfüllten nicht immer die in sie gesetzten Hoffnungen. Ein in Rehoboth stationierter Polizist war „in jeder Hinsicht unzuverlässig …, sehr von seinem Magen abhängig und thut nichts, was man ihm sagt.“48 Vor allem mit der Überwachung der Wegeverhältnisse wurden Privatpersonen beauftragt. In den riesigen Räumen der Kolonie war anders eine koloniale Durchdringung in der Fläche kaum möglich wie das Beispiel des Südbezirks zeigt. Die „Wegepolizei“ war eine Einrichtung des deutschen Polizeirechts, nach dem die Unterhaltung und Sicherung der Wege den Unterbehörden, z. B. den Kreisen übertragen war.49 Der Bezirkschef A. Golinelli 42 NAN BOM 34 [GA 2], LHpt an Lt. Volkmann – Omaruru, 4.6.96; vgl. Lindequist, 1926. 43 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.88, Leutwein an OKSchTr, 1.10.02. 44 Vgl. Übersichten in: BAB R 1001/1490, Bl.1 – 3; Zit. ebd, Bl.165, LHpt an KolA, 25.4.98 sowie R 1001/1491, Bl.1 – 3; Hubatsch, 1984, S. 424 – 450 zum kolonialen Verwaltungsaufbau. 45 NAN BWI 155, L 2 e, Bl.9, Gouv-Befehl, 7.7.00. 46 NAN BWI 155, L 2 e, Bl.45, Instruktion für die Civilpolizisten des Bezirks Windhoek, 30.9.02; NAN BKE 199, B II 66 b, Bl.26, Tlgr Gouv an BA Keetmanshoop, 27.12.02. 47 NAN BWI 155, L 2 e, Bl.1, Vertrag BHpt Windhoek-Herrmann, 26.5.97. 48 NAN BWI 155, L 2 e, Bl.14, DKdo Rehoboth an BHpt Windhoek, 23.7.97; Bl.15, 26.7.97. 49 Vgl. Laux, 1993, S. 118; Salzwedel, 1984, S. 349 f.

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wollte „Wegepolizisten“ in Stationen entlang wichtiger Handelswege postieren. Wie er der Landeshauptmannschaft schrieb, beabsichtigte er „an jeder der wichtigeren Wasserstellen eine solche Station zu errichten. Sie werden mit früheren Angehörigen der Schutztruppe besetzt, denen die Erlaubnis ertheilt wird, neben ihren dienstlichen Functionen ein Verkaufsgeschäft zu betreiben … Der Wegepolizist hat neben den allgemeinen polizeilichen Aufgaben der Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit die Pflicht, die ihm überwiesene Wegstrecke zu überwachen [und] kleinere Arbeiten wie Ausbesserung des Weges … vorzunehmen“.50

Es galt Stetigkeit in die koloniale Präsenz außerhalb der Ortschaften zu bringen. Doch fehlten Mittel und Personal. Außerdem war die (koloniale) Infrastruktur unzureichend. Für beide Probleme versprach der „Wegepolizist“, aber auch der „Platz-Polizist“, allenfalls kurzfristige Abhilfe.

1.3. Die Planungen für eine Kolonialpolizei und die Kolonialkriege Zehn Polizeistationen, die mit Soldaten besetzt waren, sowie fünf Wegepolizisten und 25 mit Polizeibefugnissen ausgestatteten Farmer reichten nicht aus, um den Südbezirk, ein Gebiet größer als die Provinz Brandenburg, zu kontrollieren – selbst wenn es nur sehr dünn besiedelt war. Die Schaffung einer professionellen Zivilpolizei schien trotz aller personellen und finanziellen Zwänge unverzichtbar – nicht nur an der kolonialen Peripherie: „Mit der steten Zunahme der Bevölkerung, und namentlich der Arbeiterbevölkerung in dem hiesigen Bezirk [Swakopmund] – es sind jetzt [1899] über 500 weiße Arbeiter hier – ist der Schutz der öffentlichen Ordnung, der einzelnen Personen und des Eigenthums mehr und mehr gefährdet. Nicht nur, daß sich diese Angriffe auf die öffentliche Ordnung, das Leben, die Gesundheit und das Vermögen bedeutend vermehrt haben, sondern daß dieselben auch zum Theil in raffinierter und versteckter Weise zur Ausführung kommen. Je mehr diese Erscheinungen auftreten, desto größer ist die Aufgabe der Polizei und desto schärfer geht an sie das Gebot, ihre Stellung als Schutz der Ordnung [und] des Staates … zu behaupten.“51

Nach diesen Ausführungen des Richters P. Richter, der noch später den Ansiedlungskommissar Dr. P. Rohrbach nach dessen Ankunft vor „schiefen Urteilen, namentlich vor zu viel Optimismus“ bewahrte,52 schien die Polizeibesatzung Swakopmunds (immerhin der wichtigste Hafen der Kolonie) von fünf Mann 1899 völlig überfordert. Die Regelungsdichte hatte um 1900 erheblich zugenommen, kaum aber die Zahl (und die Kompetenz) jener, die sie zu 50 NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.2a, Bl.312, Jb Südbezirk, 17.7.97; König, 1901, S. 247 f. 51 NAN ZBU 746, G 1 a 1, Bl. 88, Ksl. Richter an Gouv, 4.11.99. 52 SHStA 12829, Nachlass Stübel Nr. 10, Bl.122, Rohrbach an Stübel, Windhuk, 20.8.05.

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überwachen hatten.53 Die „Verwaltungsverhältnisse [waren] verbesserungsfähig“, wie nicht nur der Windhoeker Anzeiger mahnte: Der „allmähliche Ersatz der militärischen Verwaltung durch eine Zivilverwaltung“ und eine dadurch zu erreichende „grössere Stätigkeit in der Verwaltung“ wäre auch bei der Polizei angezeigt.54 Unteroffiziere hatten sich wiederholt um eine Anstellung als „Civilpolizisten“ bemüht – eine Stellung, die es für sie noch nicht gab. Auch die militärischen Verwaltungschefs der Distrikte sprachen sich für die Schaffung einer eigenständigen Polizeibehörde aus.55 Daher ging das Gouvernement daran, ein Ende der bisherigen „Provisorien“ wie der Abkommandierung von Schutztruppenangehörigen zu Polizeidiensten oder Anstellung Privater als „Civilpolizisten“ durch die Schaffung einer regulären Polizei in die Wege zu leiten. Seit 1900 liefen hierüber Verhandlungen mit der Kolonialabteilung. 1903 wurde den Bezirksämtern ein Verordnungsentwurf, „betreffend die Bildung einer Polizeitruppe“ zur Stellungnahme vorgelegt. Unteroffiziere der Schutztruppe waren auf die Möglichkeit einer Anstellung im Polizeidienst aufmerksam zu machen.56 Die nach dem Entwurf vorgesehene Organisation der Polizei und ihre Rechtsverhältnisse entsprachen weitgehend den 1905/07 in Kraft getretenen Bestimmungen. Sie orientierten sich an Polizei- und Gendarmerieinstitutionen in Deutschland:57 Die in „Polizeiinspektor“, „Wachtmeister“ und „Sergeanten“ gegliederten Angehörigen sollten Zivilbeamte sein, die sich „im Dienst unter militärischen Formen zu bewegen“ hatten. Sonderbestimmungen waren für „(eingeborene) Polizisten“ zu erlassen. Neben dem Gouvernement sollten die Polizeibeamten auch den Bezirksämtern unterstellt sein; ein Unterordungsverhältnis zur Schutztruppe war nicht vorgesehen. Bewerber sollten mindestens sechs Jahre in der Schutztruppe, im Heer oder der Marine gedient und den Dienstgrad Unteroffizier/Maat erreicht haben.58 Zu einer Genehmigung der Verordnung über die Bildung einer Kolonialpolizei kam es vor dem Beginn des Hererokrieges im Januar 1904 nicht mehr.59 Auch wenn hier nicht näher auf die Ursachen einzugehen ist, so ist doch zu betonen, dass eine Vielzahl von Revolten und schließlich die Kriege gegen Ovaherero und Nama, das Resultat einer Politik waren, die den Afrikanern in immer unverhohleneren Formen offener wie struktureller Gewalt zu verstehen gab, dass Platz für sie nur am untersten Rand einer zu etablierenden Kolonialgesellschaft sei. Schutz vor Übergriffen boten die kolonialen Sicherheitsinstitutionen der afrikanischen Bevölkerung zu selten. 53 Vgl. NAN BKE 291, U.A.33/1, PolizeiVO, 9.11.97; NAN BKE 291, U.A.33/3, BHpt K’hoop an Kaufmann Learey/Poizeiamt, 5.8.99; Windhoeker Anzeiger I. Jg., # 10, 16. 2. 1899, S. 3. 54 Windhoeker Anzeiger III. Jg, # 13, 20. 6. 1901, S. 2. 55 Vgl. NAN BWI 155, L 2 e, Bl.1, DKdo Okahandya an BHpt Windhoek, 7.4.99. 56 Rafalski, 1930, S. 53; NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.1, Gouv an BA Wdh, 24.6.03. 57 Für die Gendarmerie in Baden vgl. Wirtz, 1998, S. 219. 58 NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.2 – 8, VO-Entwurf 1903, §§ 2, 6. 59 NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.11, Gouv an BA Windhuk, 20.9.04.

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Wenn es heißt, der „deutsche Staatsapparat“ habe sich „anfangs aus den Kolonien weitgehend heraus“ gehalten,60 so kann mit dieser Feststellung vorrangig die fehlende Schutzfunktion des Kolonialstaates für Afrikaner beschrieben werden. Probleme mit der Gewährung von (Rechts-)Sicherheit traten zuvorderst für sie auf. Dieser Mangel an Ordnung und Sicherheit, die die Kolonialverwaltung trotz der „Schutzverträge“ nicht gewährte, führte zur Erhebung gegen die Deutschen. Das Versagen der kolonialen Ordnungskräfte vor 1904, die Allmachtsgelüste, brutalen Übergriffe und Landenteignungen der „kleinen Könige“ – der stetig wachsenden Zahl von Ansiedlern und Händler (1903 bereits über 4.500), aber auch einzelner Beamter und Militärs – nicht in die Schranken verwiesen zu haben, gilt es zu betonen.61 Das aus diesem Handeln resultierende Konfliktpotential nicht erkannt zu haben, ist als das entscheidende Versäumnis der Kolonialverwaltung und besonders ihrer Ordnungskräfte vor Ausbruch der Kriege zu werten. 1904 waren, nach fast zwanzigjähriger formaler „Herrschaft“, alle deutschen Versuche der Ordnungserzwingung und -sicherung gescheitert. Am 12. Januar 1904, Gouverneur Leutwein befand sich mit dem größeren Teil der Schutztruppe im Süden der Kolonie, überfielen Männer chief S. Mahareros Farmen, Ortschaften und Bahnlinien im Hereroland. Teile des von Truppen entblößten Zentrums der Kolonie befanden sich bald in den Händen der „Aufständischen“. Die Einwohner von Omaruru, Okahandja und der ,Hauptstadt‘ Windhoek sahen sich einer regelrechten Belagerung gegenüber. Die samt Reservisten kaum 2.000 Mann starke Schutztruppe hatten den rund 8.000 Soldaten Mahareros anfangs wenig entgegen zu setzen. Hohe Verluste blieben nicht aus. Immerhin konnte der Nama-kaptein Hendrik Witbooi bewogen werden, auf deutscher Seite gegen seinen Widersacher aus vorkolonialer Zeit, S. Maharero, zu kämpfen.62 In Berlin waren Kaiser und Generalstab über das – wie es empfunden wurde – ,zögerliche‘ Vorgehen Leutweins gegen die „Aufständischen“ ungehalten. Keine Verhandlungen, sondern die Niederschlagung der Ovaherero wurde von ihm erwartet. Als dies im April 1904 noch immer nicht gelingen wollte, wurde Anfang Mai der Generalleutnant Lothar v. Trotha mit dem Kommando der Schutztruppe in DSWA betraut. Dieser hatte seine kolonialen Erfahrungen in Deutsch-Ostafrika (1896) und China (1900) gesammelt und war überzeugt, dass „aufständische Stämme mit Strömen von Blut und Strömen von Geld“ bezwungen – und das hieß für ihn vernichtet – werden müßten. Kurz nach v. Trothas Ankunft im Juni 1904 kam es zum Zerwürfnis mit Leutwein, der als Gouverneur abgesetzt wurde.63

60 61 62 63

van Laak, 2004b, S. 119. Vgl. Hartmann, 2007, S. 65 f. „sexual casus belli“; Nuhn, 1989, S. 46, Krüger, 1999, S. 45 f. Vgl. Gewald, 1999, S. 141 – 190; 2000a, S. 204 f.; Eckl, 2005, 24 – 28; zur Mission: Pierard, 2005. Zit. in Steinmetz, 2005, S. 199 f.; vgl. Drechsler, 1986, S. 155 f. ; Pool, 1991, S. 265 f.

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Im August 1904, inzwischen waren neue Marineexpeditionstruppen eingetroffen und große Teile der Herero-Bevölkerung aus dem Zentrum der Kolonie hatten sich in der Nähe des Waterberg-Plateaus gesammelt, hielt v. Trotha den Augenblick für die Entscheidungsschlacht gekommen. Die deutschen Truppen kreisten die Herero weitgehend ein. Nach längeren Gefechten (11./12. August) floh ein Teil der Herero in die angrenzende wasserlose Omaheke. Ob diese Flucht Teil einer von v. Trotha geplanten Vernichtungsstrategie war, ist in der Forschung umstritten.64 Der General ließ daraufhin die Wasserstellen abriegeln und erließ am 2. Oktober d.J. eine Proklamation an die Herero-Bevölkerung, in der er androhte: „Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und ohne Gewehr … erschossen“. Zwar beschlossen die Berliner Dienststellen, die Proklamation im Dezember 1904 zurückzunehmen. Reichskanzler v. Bülow hatte beim Kaiser interveniert, auch Generalstabschef v. Schliefen hielt v. Trothas Anweisung für falsch. Doch zu diesem Zeitpunkt waren bereits zehntausende verdurstet oder erschossen.65 In der Forschung wird dieser Ausgang des Hererokrieges, wenn auch nicht unwidersprochen, mitunter als „erster deutscher Völkermord“ gedeutet. Es ist nicht zuletzt v. Trothas offen formulierte Politik der „Vernichtung“, die für manche einen Weg von „Windhoek nach Auschwitz“ belegt. Doch wird eingewandt, dass seine Befehle weder den Vorstellungen der Kolonialverwaltung vor Ort (Leutwein und die Schutztruppenoffiziere) noch den Vorgaben der politischen Leitung in Berlin entsprachen. Totalitäre Herrschaftspraktiken wie im „Ostland“ auszuüben, war die deutsche sowenig wie andere zeitgenössische Kolonialverwaltungen in der Lage.66 Dies lag auch an der geringen kolonialen Personalstärke. Selbst wenn im Laufe des Hererokrieges sowie ab 1905 im anschliessenden Guerillakrieg gegen die Nama unter H. Witbooi, die deutschen Truppen kurzfristig auf 14.000 Mann verstärkt wurden, änderte dies substantiell wenig an jener oft zitierten „thin white line“ der Kolonialherren, die unzureichend war, das zu kolonisierende Gebiet zu umspannen.67 Witbooi hatte sich nach der Niederlage S. Mahareros entschlossen, trotz seiner Verträge mit der Kolonialmacht nun seinerseits den Kampf gegen die Deutschen aufzunehmen. Auch über seinen Tod im Oktober 1905 hinaus setzten die Männer um J. Marengo,

64 Lau, 1995, S. 39 – 52; Dedering, 1993; Hillebrecht, 2007; Eckl, 2005, S. 28 – 34; Brehl, 2004, S. 77; Gewald, 2002, S. 222; Gewald, 2000a, S. 207; Belwe, 1906; Großer Generalstab, 1906. 65 Vgl. Schildknecht, 2000. S. 258 f., S. 288 f.; Steinmetz, 2005, S. 197; Bühler, 2003, S. 136 f. 66 Zimmerer, 2004, S. VIII; Zimmerer, 2004b, Marx, 2005, S. 141; Kößler, 2005b, 33 f.; B ö hlkeItzen, 2004 ; Wassink, 2004; kritisch: Gerwarth/Malinowski, 2007, S. 439 – 66; Barth, 2006, S. 128 – 136; Kundrus, 2006, 45 – 62; Kundrus/Strotbek, 2006, S. 397 – 423; Graichen/Gründer, 2005, S. 164; zum Kriegsverlauf: Bley, 1968, S. 189 – 208; Nuhn,1989; Hull, 2005; Krüger, 1999, S. 29 – 122. 67 Kirk-Green, 1980, S. 25 f.; vgl. Eckert, 2005, S. 275; Lawrance u. a., 2006, S. 9.

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Morris, Cornelius von Bethanien und S. Koper die Kämpfe fort und banden bis 1908 erhebliche Truppenverbände im Süden DSWAs.68 Die in den Jahren vor 1904 angestrebte Trennung von Militär und Polizei, die institutionalisiert werden sollte, wurde durch die Kriege vorerst hinfällig. Während der Kriege wurde die polizeiliche Tätigkeit einer ,Ordnungsstiftung‘ auch unter Zivilpersonen vollständig durch abkommandiertes Militär ausgeübt.69 Nicht zuletzt aus der ungünstigen militärischen Lage erwuchs eine merkliche Zurückhaltung der Soldaten, sich zur neu zu schaffenden „Civilpolizei“ zu melden. Diese nahm im Laufe des Jahres 1904 kaum ab. Zwischen August und November 1904 bewarben sich beim Bezirksamt Windhoek gerade sechs Unteroffiziere um eine Übernahme; schien doch die Zukunft des Landes als Kolonie fraglich und die Aussicht auf eine Beamtenstelle dort vorerst unsicher.70 Die Kriege gegen die Ovaherero und Nama unterbrachen die zivile Verwaltungstätigkeit weitgehend, die seit der Beurlaubung Leutweins im Juli nominell unter der Führung Generals v. Trotha stand. Innerhalb der Verwaltung sowie in der Ansiedlerschaft brachte dieser viele gegen sich auf. Ansiedlungskommissar P. Rohrbach, ähnlich dem geschassten Gouverneur Leutwein „Trotha in tiefer gegenseitiger Abneigung verbunden“,71 ließ den Kolonialdirektor O. Stübel privat wissen, es fehle dem General „sowohl an der Fähigkeit und – teilweise – dem guten Willen zu Beurteilung wirtschaftlicher Verhältnisse“. Hinzu kam, dass „keinerlei Bedürfnis besteht, dem Civilpublikum, Beamten und Nichtbeamten gegenüber auch nur die elementarste und billigste Rücksichtnahme walten zu lassen.“72 Wenn auch vor Ort militärische Probleme Vorrang hatten, so wurde doch in Berlin Ende 1904 die Arbeit zur Etablierung einer zivilen Polizeibehörde wieder aufgenommen. Es ging um die Etablierung einer Truppe, die, mit dem Land vertraut und über eine Vielzahl von Stationen verteilt, die Afrikaner und Siedler unter Kontrolle halten sollte. Im Januar 1905 sandte die Kolonialabteilung einen im Vergleich zu 1903 weitgehend unveränderten Entwurf zur „Organisation der Landespolizei“ an das Gouvernement. Darin waren lediglich Bestimmungen über Gliederung, Anstellung und allgemeine Dienstpflichten und -rechte der Beamten enthalten. Die speziellen Instruktionen und Kompetenzabgrenzungen zu erarbeiten, blieb als Aufgabe den Verwaltungsspitzen vor Ort überlassen.73

68 Witbooi an Leutwein, 14.11.04: “God from Heaven has now broken the Treaty.“ zit in: Lau, 1995, S. 36 f.; zum Namakrieg und S. Copper vgl. Bühler, 2003, S. 157 – 328 69 Vgl. z. B. NAN BOM 52, K I g, Bl.17, BHpt Omaruru an PolSt Okombahe, 24.8.04; zum schlechten Verhältnis der Siedler zum Militär: Osterhaus, 1990, S. 244. 70 NAN BWI 417, P I 13 spec., Bl. 161, Horschig; Bl.169, Frahm; Bl.172, Winter, Bl.179, Dohndorf; Bl.185, Altscher ; Bl.196, Weber. 71 Kößler/Melber, 2004, S. 52; vgl. Mogk, 1972, S. 111; Akakpo, 2005, S. 71 f.; Schmidt, 2008, S. 63 f. 72 SHStA 12829, Nachlass Stübel Nr. 10, Bl.22 – 3, Rohrbach an Stübel, Windhuk, 6.2.05. 73 NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.11, Gouv an BA Windhuk, 20.9.04; Bl.12 f., KolA, 9.1.05.

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1.4. Die Etablierung der „Landespolizei für DSWA“ 1905/1907 „Strenge Formalisierung und unpersönliche Regelhaftigkeit des Verfahrens, Schriftlichkeit und Kontinuierlichkeit der Geschäftsführung, Archivierung der Akten und Verfeinerung des Formularwesens – sie dienten dazu, die Anweisungen und Entscheidungen zu planen und auszuführen, ihre Kontrolle und Korrektur zu erleichtern. Als Zielvorgabe setzte sich die möglichst vollständig vorauskalkulierte Berechenbarkeit und Rationalisierung des Verwaltungshandelns durch.“74

Deutsche Verwaltungsideale blieben der Maßstab der Vorgesetzten in Berlin und Windhoek; doch sie in der Kolonialpraxis umzusetzen bedurfte es immer neuer Versuche. Nach dem Ende der Kriege gegen Ovaherero und Nama, die alle Vorurteile über Afrikaner, ihre angebliche Grausamkeit, ihren Unwillen, sich ,der Kultur‘ zu fügen, zu bestätigen schienen, blieb die eine große Angst den Kolonialherren eingeschrieben: Die Angst vor einer Wiederholung des „Aufstandes“, der alle bisher erbrachten „Leistungen“ zerstören würde. Die vermeintliche „black peril“, die „swart gevaar“, wie sie in Südafrika genannt wurde, lag einem Alpdruck gleich auf ihren Gemütern. Der Aufbau einer Infrastruktur, die Einrichtung staatlicher (Sicherheits-)Institutionen war demgegenüber nicht allein Ausdruck einer in die Tat umgesetzten „Zivilisierungsmission“,75 sondern diente der Beruhigung und Selbstvergewisserung, dass diese Gefahr zu kontrollieren sei. Die Ausarbeitung eines Entwurfs zur Organisation der „Landespolizei“ in Berlin und im Gouvernement war Teil eines ,Normalisierungsprozesses‘, galt als Teil einer ,Zähmung‘ der Kolonie. Doch Einzelfragen, wie ein solches Ziel durch die Polizei zu erreichen sei, Instruktionen und Kompetenzregelungen blieben vorerst offen, als der stellvertretende Gouverneur H. Tecklenburg die Organisationsbestimmungen der Landespolizei im März 1905 veröffentlichte. Zwar galt der 1. März 1905 als Gründungstag der Landespolizei für DSWA. Doch hinterließ das Unterfangen während des Krieges den Eindruck des Übereilten. In den Etats für 1904 und 1905 waren siebzig Stellen für Polizeisergeanten und zehn für Wachtmeister vorgesehen.76 Die bereits (probeweise) angenommenen Polizisten aber taten sich schwer mit einer Erklärung zum Übertritt, „da über die Besoldungsverhältnisse ihnen noch nichts Sicheres bekannt sei.“77 Das Kommando der Schutztruppe ging nach der Errichtung der Landespolizei davon aus, dass „für die Folge keine aktiven Militärpersonen zur Landespolizei abkommandiert werden“.78 Tatsächlich aber gelang es nicht, eine „Polizeitruppe“ aufzustellen, obwohl diese während des Krieges, der „in 74 75 76 77 78

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Wehler, 1995, S. 858; vgl. Süle, 1988. Vgl. Eckert, 2005, S. 274; Scheulen, 1998, S. 64. NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.11 und Bl.26, Gouv an BA Windhuk, 20.9.04; 13.7.05. NAN BWI 417, P I 13 spec., Bl. DA Okahandja an BA Windhuk, 5.4.05. NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, Bl.65, RVerf Gouv an BA Windhuk, 27.6.05.

großer Zahl verbrecherische Elemente“ anzog, dringlich schien.79 In Swakopmund war wie andernorts die „Schaffung einer Civil-Polizei … [1906] noch nicht gelungen. … Gegenwärtig sind sämtliche Polizei-Sergeanten bis auf einen abkommandierte Militärpersonen.“80 Weder die Finanzierung noch der Umfang der Polizei oder disziplinarischen Vollmachten wurden in der Folgezeit geklärt. Die rechtlichen Grundlagen des Polizeidienstes in der Kolonie blieben unvollständig. Der Windhoeker Bezirkschef Boesel, ein Polizeirat, sprach sich im August 1905 für die zügige „Schaffung selbständiger Ortspolizeibehörden“ aus, die es noch immer nicht gab. Auch ein mögliches Vorgesetztenverhältnis der Gerichte zu den Polizeibeamten schien ihm fraglich.81 Es fehlte an einer Kaiserlichen Verordnung, die den Reichskanzler und andere Beamte ermächtigt hätte, die „Einrichtung der Landespolizei“ zu regeln und zu überwachen. Erst am 4. Oktober 1907 unterzeichnete Wilhelm II. eine „Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse der Landespolizei in DSWA“ (RGBl., S. 736 f.). Damit erhielten die neue Gliederung mit einem Inspekteur an der Spitze sowie die Dienstvorschriften, an deren Ausarbeitung Gouverneur v. Lindequist und der erste Inspekteur, Major Joachim v. Heydebreck seit geraumer Zeit saßen, eine rechtliche Grundlage.82 Während ihrer Ausarbeitung wurde zwischen verschiedenen in Deutschland bestehenden Polizeistrukturen und Dienstanweisungen abgewogen und diese mit den Verhältnissen in DSWA verglichen,83 um den spezifischen Erfordernissen einer Kolonialpolizei gerecht zu werden. Diese koloniale Institution, die zur „Entlastung der Schutztruppe“ geschaffen worden war, konnte sowenig wie andere eine „direct translation“ metropolitaner Erfahrungen sein:84 „British colonial policy had kept the institutions of policing as British as possible“. Gleiches gilt für die Polizei in den französischen Kolonien.85 Für die deutschen Kolonialinstitutionen trifft Ähnliches zu: 79 Rafalski, 1930, S. 95; 57 f. 80 NAN ZBU 153, AVI a 3, Bd.12, Bl.237 f., Jb Bezirk Swakopmund 1905/06, 1.7.06; ähnlich: NAN ZBU 153, AVI a 3, Bd.16, Bl.148, Jb DA Maltahöhe, 1907/08, 1.4.08; NAN BKE 199, B II 66 a, Bd. 2, Bl.116, BA Keetmanshoop an PolSt Kiriis-Ost, 21.1.09. 81 NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.22, BA Windhuk an Gouv, 8.8.05. 82 Sollte eine „neue Behörde mit Zwangs- oder Strafbefugnissen ausgestattet werden, war … eine gesetzliche Regelung erforderlich“, so Frotscher, 1984, S. 410. In DSWA reichte eine VO. 83 Für die Entwurfsarbeiten wurden u. a. die Dienstinstruktion für die Schutzmannschaften von Bückeburg oder jene für die Bayrischen Gendarmerie-Mannschaften herangezogen. (NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, Dienstanweisung Bückeburg 1.11.06 [erlassen durch Bückeburgs Bürgermeister Dr. Külz, der 1908 die SelbstverwaltungsVO in DSWA erarbeitete]; NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bescheinigung PSgt Rohde, 24.8.07; ILP an BA Windhuk, 29.3.08). 84 Wagner, 1913, S. 48; Stoler, 1992, S. 321; vgl. Chatterjee, 2006, S. 101; aA Zimmerer, 2001, S. 183: „Im Grunde wurde von der sich etablierenden Kolonialverwaltung ein in seiner Entwicklung abgeschlossener, sich am deutschen Kaiserreich orientierender Staat nach Afrika exportiert.” 85 Hills, 2000, S. 29, FN5, S. 50; vgl. Anderson/Killingray, 1991, S. 3 – 5; Igbinovia, 1981, S. 127; Zimmerers, 2001, S. 183 These: „Stärker noch als in den Kolonien anderer Länder war der deutsche koloniale Staat … von außen oktroyiert“, bleibt daher ohne die Heranziehung vergleichenden Materials vorerst unbegründet.

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„In den Kolonien wird … der Begriff der Polizei durchgehend in dem Sinne anerkannt, wie er sich nach § 10 II 17 ALR festgestellt hat.“86 Gleichwohl betonte Gouverneur Seitz, die Landespolizei sei eine „diesem Schutzgebiet eigentümliche Einrichtung“: „Die Beamten der Landespolizei vereinigten in sich die Funktionen der Landgendarmerie, der städtischen Polizei, der Kriminalpolizei, sowie der Hilfsbeamten der Gerichte im Deutschen Reich. Zwar waren sie militärisch organisiert, doch unterstanden sie als Zivilbeamte den Verwaltungsbehörden (Bezirks-, Distriktsämter).“87

Die „Landespolizei“ war als militärisch organisierte Polizeiformation eine Einrichtung der Zivilverwaltung. Sie unterstand dem (zivilen) Gouverneur in Windhoek. Der „Landespolizei“ oblag es, neben den auch im Deutschen Reich üblichen straf-, sicherheits- und wohlfahrtspolizeilichen Aufgaben, die so genannte „Eingeborenengesetzgebung“ von 1907 mit Passzwang, Melde- und Arbeitspflicht der afrikanischen Bevölkerung im kolonialen Raum durchzusetzen. Sie war organisatorisch als eine Abteilung (Inspektion der Landespolizei) in das Gouvernement eingegliedert.88 Der Inspekteur war ihr Leiter. Diese Behörde war in einem eigenen Gebäude außerhalb des Gouvernements untergebracht. Dort hatte der Inspekteur sowohl Aufgaben als Referent des Gouvernements zu bearbeiten als auch solche, die er als Inspekteur selbständig erledigte.89 Nachdem v. Heydebreck auf Betreiben des Kolonialstaatssekretärs v. Lindequist Kommandeur der Schutztruppe geworden war, übernahm im April 1910 Major Heinrich Bethe die Inspektion der Landespolizei und regelte im Auftrag des Gouverneurs die „Einstellung, Ausbildung, Verteilung, Beförderung, Beurlaubung, Vertretung, Bewaffnung, Berittenmachung, Besoldung und Unterbringung der Polizeibeamten“. Durch Inspektionen hatte er sich davon zu überzeugen, dass die Landespolizei „den Anordnungen des Gouverneurs entsprechend gehalten und ausgebildet wird.“ Als Hilfsorgane des Inspekteurs fungierten fünf Inspektionsoffiziere. Sie waren, wie der Inspekteur (meist jüngere Heeres-)Offiziere, die für einige Jahre zum Gouvernement abgeordnet wurden.90 Als dritte Vorgesetzten-Ebene aus der höheren Beamtenschaft hatten die Polizeibeamten den Anweisungen der Bezirksamtmänner als Chefs der re86 Art. Ausweisung, in: Fleischmann, 1911, S. 288; vgl. Sippel, 2001, S. 355. 87 Seitz in: Geleitwort zu Rafalski, 1930; Külz, 1909, S. 197: „Die Aufgaben der Polizei tragen z. T. völlig anderen Charakter wie in der Heimat.“ 88 Zur Struktur des Gouvernements vgl. Kaulich, 2001, S. 89 – 96; Külz, 1909, S. 195 f. 89 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, RVerf Gouv an BA Windhuk, 27.9.07. 90 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, § 2 b, Dienstanweisung [~10/1907]; NAN LPO 4,O I c 21, Bl. 70, ILP an DA Omaruru, 31.8.07. Wie für alle Offiziere, so galt auch für die InspOffz, dass sie sich aus Kreisen mit zuverlässiger Gesinnung rekrutierten, „nämlich aus dem Adel und dem gehobenen Bürgertum.“ (Förster, 2005, S. 40) „Für das aktive Offizierskorps spielte die Konkurrenz von Adel und Bürgertum nur noch eine untergeordnete Rolle.“ (Messerschmidt, 2006, S. 12; aA Steinmetz, 2003, S. 45 f.); Gann/Duignan, 1977, S. 111: 33 % der SchTr Offz waren adlig; zur Kolonialausbildung: Beneke, 1894; Dernburg, 1909a, S. 14; Ruppenthal, 2007.

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gionalen Zivilverwaltung Folge zu leisten. „Die Bezirksamtmänner … als oberste Polizeibehörde ihres Amtsbezirks sind Vorgesetzte der zu diesen Dienststellen kommandierten Polizeiorgane“.91 Doch blieb das Verhältnis der Inspektionsoffiziere zu den Bezirkschefs unscharf, was, so sich ihre Anweisungen an die Polizeibeamten widersprachen, Anlass zum Streit gab. 1907 wurden vier Polizeibezirke eingeteilt (später bis zu sechs, 1914 nur noch drei), die mehrere Amtsbezirke umfassten. Ihnen war je ein Depot zur Ausbildung der Beamten und Lagerung von Ausrüstung sowie zur Versorgung der Stationen ihres Polizeibezirks zugeordnet. Ab 1912 sparte das Gouvernement zwei davon ein und beließ der Inspektion die Depots Kupferberg und Spitzkoppe.92 Die Leitung eines Polizeibezirks und der darin befindlichen Polizeistationen hatte ein Inspektionsoffizier inne. Inspekteur Bethe strebte an, „ständig einen Offizier auf den Depots zur Verfügung zu haben“, was er aber bei den wochen- und monatelangen Inspektionsreisen in den Polizeibezirken nicht erreichen konnte.93 Die Depots unterstanden dem Inspekteur der Landespolizei direkt und nicht dem Bezirksamtmann, in dessen Bezirk das Depot lag. „Gegenseitiges Einverständnis und Einvernehmen bei besonderen Gelegenheiten wird zu erzielen sein“94 – so die sich nicht immer erfüllende Hoffnung des Inspekteurs v. Heydebreck. Der oberste Polizeibeamte eines Amtsbezirks unter der Leitung des Bezirksamtschefs war der „diensttuende Wachtmeister“. Ihm oblag als „Berittführer“ die Leitung eines der 16 Beritte in die die vier Polizeibezirke 1909 eingeteilt wurden. Diese Wachtmeister hatten „Pflichten und Aufgaben zu erfüllen, denen nur ausgesuchte Leute gewachsen sein werden“ – so Gouverneur v. Schuckmann.95 Sie hatten, wie die Inspektionsoffiziere, die Stationen zu kontrollieren und wurden mit Ausbildungsaufgaben betraut. Da eine solche Verwaltungsgliederung unmöglich auf die gesamte Kolonie ausgeweitet und vor allem finanziert werden konnte, verlangte der Reichstag 1905 in einer Resolution, „daß in den deutschen Schutzgebieten der von der Reichsverwaltung zu gewährende Polizeischutz auf je einen möglichst engen Bezirk da beschränkt wird, wohin die wirtschaftlichen Interessen gravitieren.“96 Dem folgend wies die Verwaltung 1907 für DSWA eine Polizeizone aus, die sich im wesentlichen auf den Raum 150 km beiderseits der Eisenbahn oder anderer wichtiger Verkehrslinien beschränkte (ca. 60 % des formellen Kolo-

91 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, § 2 c, Dienstanweisung [~10/1907]; Külz, 1909, S. 198; Rafalski, 1930, S. 82; Gann/Duignan, 1977, S. 70; Kaulich, 2000, S. 102 f.; zur Sozialstruktur der (Kolonial-)Beamten Zurstrassen, 2008, S. 36 – 45; Kocka, 1993, S. 115; Röhl, 1988. 92 NAN LPO 4, O I c 21, Bl. 1, ILP an Depot Waterberg, 18.1.12. 93 NAN LPO 4, O I c 25, Bl. 135, Gouv an ILP [Vermerk Bethes], 5.10.10. 94 NAN LPO 4, O I c 21, Bl. 70, ILP an DA Omaruru, 31.8.07. 95 NAN DAR 32, U.A. 4/4, RVerf Gouv an DA Hasuur, 24.6.09. 96 Resolution, 14.12.05, in: SBRT, Bd.221, 11. L.P. 2. Session 05/06, Anl. Bd.III, Nr. 145, S. 2098.

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nialgebiets von 835.100 km2) und innerhalb dessen Siedler Land erwerben konnten und ihnen Schutz gewährt werden sollte.97 Etwa 500 aus der militärischen „Schutztruppe“ oder dem Reichsheer übernommene („landeskundige“) Unteroffiziere mit mindestens sechsjähriger Dienstzeit, die sich zunächst für eine Dienstperiode  drei Jahren verpflichteten sowie 370 afrikanische „Polizeidiener“ sollten auf rund 110 Stationen über die „Polizeizone“ verteilt werden. Etatkürzungen des kolonialkritischen Reichstags aber ,behinderten‘ den Ausbau des Stationsnetzes. Die Planungen von 1907, 720 Polizeisergeanten und Wachtmeister einzustellen, durchkreuzte das Parlament. Jahr für Jahr mussten Kürzungen hingenommen werden. Waren 1908 erst 160 Polizeibeamte eingestellt, so konnte ab 1913 kaum die Zahl von 450 gehalten werden. Der stellvertretende Inspekteur Hensel klagte angesichts dieser Sparvorgaben über einen „völlig unzureichenden Personalbestand der Landespolizei“.98 Die Kolonie war von Reichszuschüssen abhängig, und so wenig wie die anderen Kolonialmächte „wished [Germany] their colonies to become a drain on their finances.“99 Zwar konnte der Ethnologe A. Bastian 1884 noch die kaum ironisch gemeinte Feststellung treffen, dass die Frage, „ob diese Küstenbucht [das spätere Lüderitzbucht] ein Sandloch sei oder nicht, nicht Sache der Reichsregierung, sondern des Kaufmann’s wäre, der sie zur Niederlassung sich ausgesucht“ habe.100 Doch die dem „Sandloch“ spezifischen Kosten wurden trotz der anderweitigen Pläne Bismarcks Sache der Regierung. Die Finanzen der Kolonialverwaltung blieben, mit Ausnahme der Kriege 1904 – 07, die rund 400 Millionen Mark kosteten, beschränkt. Der Reichstag nutzte den Hebel des Budgetrechts. Die Diamantenfunde ab 1908 änderten nichts an der Notwendigkeit von Reichszuschüssen. Der Staatssekretär im Reichsschatzamt, A. Wermuth, räumte ein, er habe den Forderungen der Kolonien mit „einigem Vorbehalt“ gegenüber gestanden. Hegte er doch Zweifel, „wie weit man auf die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit unserer Schutzgebiete Hoffnungen setzen dürfe.“101 Die Ausgaben für die Landespolizei hatten sich entlang dieser Zwänge auszurichten: Ihr Etat belief sich 1907 auf 1,7 Millionen Mark, stieg bis 1912 auf 2,5 Millionen Mark und wurde 1914 auf 2 Millionen Mark gekürzt. Der damit zu finanzierende Personalbestand reichte nicht, den kolonialen Raum abzudecken. Der Verwaltungsapparat war dazu „in allen Kolonien viel zu klein“.102 Die deutschen Gouverneure in Afrika verfügten nur über „a skeleton staff even by the modest British administration standards, 97 Vgl. NAN ZBU 406, D II d 1, Bl, 4 – 5. Karte Anhang zu: Kdo SchTr an Gouv, 25.7.09; Külz, 1909, S. 196; Berman/Lonsdale, 1992, S. 32 f. 98 NAN ZBU 2048, W III f 2, Bd.1, Bl.40, ILP an Gouv, 10.9.13; vgl. Rafaski, 1930, S. 72; Zimmerer, 2004, S. 297; BAB R 1002/47, Bl. 160, Nachweisung Etatstärke. 99 Tidy, 1981, S. 117; vgl. Weber, 1909. 100 Bastian, 1884c, S. 32. 101 Wermuth, 1922, S. 283; zur Finanzlage DSWAs: Huber, 2000, S. 227 f. 102 Eckert, 2005, S. 275; vgl. Eckert, 2007, S. 10; van Laak, 2004b, S. 148 f.

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»Karte des unter polizeilichen Schutz der Regierung zu stellenden Gebietes in Deutsch-Südwestafrika«. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. (1907)

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and not at all comparable to the large European staff of the French colonial service.”103 Gleichwohl, auch wenn ungeachtet der schwelenden Kostenfrage Inspekteur Bethe 1911 die Organisation der Landespolizei als „zweckmäßig“ bezeichnete und Änderungen für nicht erforderlich hielt,104 so waren doch die anderen Spitzen der deutschen Kolonialverwaltung mit der Organisationsform und den darauf basierenden Leistungen der Landespolizei im Verhältnis zu den verausgabten Mitteln nicht zufrieden. Erkennbar wurde dies daran, dass Neuregelungen nur zwei Jahre nach ihrer Formierung 1907 erwogen wurden. Permanent diskutierte die Kolonialverwaltung ab 1909 Änderungsvorschläge, bis hin zur Umwandlung der Landespolizei in eine Gendarmerie oder gar eine Fusion mit der Schutztruppe. Als einer dieser Entwürfe Staatssekretär Dernburg nicht überzeugte, bezeichnete er es gegenüber Gouverneur v. Schuckmann als „wenig erfreulich“, dass daher vorerst die bisherigen, unzureichenden Bestimmungen in Kraft bleiben müssten. Ein deutliches Zeichen, wie gering er von der Schöpfung seines Unterstaatssekretärs v. Lindequist und des Inspekteurs v. Heydebreck dachte. Auch nach den „Erläuterungen zum Etat 1909 [war] die ganze Organisation der Landespolizei als noch im Fluß begriffen zu betrachten“. So wurde aus Kostengründen der schlechter bezahlte Dienstgrad „Polizist“ eingeführt.105 Trotz ausbleibender Erfolge vor allem gegen „Räuberbanden“ behauptete das Gouvernement, das „Vertrauen der Bevölkerung zur Landespolizei [sei] im steten Wachsen begriffen.“106 Doch welche Kompetenzen die Polizeibeamten hatten, welcher Mittel sie sich bedienen konnten und welche Grenzen ihnen gesetzt waren, das regelte auch eine neue Dienstvorschrift vom Juni 1909 in 57 Paragrafen, vier Anlagen sowie Merkblättern nur scheinbar erschöpfend. Um die Kontrolle kolonialpolizeilichen Handelns gegenüber der Bevölkerung stand es schlecht.

1.5. Die rechtsstaatlichen Anforderungen an kolonialpolizeiliches Handeln „Wenn man auch davon sprechen kann, daß der im preußischen Recht von den Verwaltungsgerichten entwickelte materielle Polizeibegriff, die Abwendung vom eudämonischen Prinzip zur Gefahrenabwehr, früher oder später in seinen allgemeinen Umrissen in allen deutschen Ländern zur Herrschaft gelangt ist, und dies da, wo es an einer gesetzlichen Regelung fehlt, als (fortentwickeltes) ,gemeines deutsches Gewohnheitsrecht‘, so muß man doch einräumen, daß es – jedenfalls bis 1918 – nicht 103 Gann/Duignan, 1977, S. 70; Sippel, 2001, S. 357 bezeichnet die Personal- und Mittelausstattung der deutschen Kolonien im Vergleich mit anderen als „auffallend gering“. 104 NAN ZBU 159, A VI a 3, Bd. 24, Bl.34, Jahresbericht der Landespolizei 1910/11, 12.6.11. 105 BAB R 1002/2692, RKA an Gouv, 5.4.09. 106 NAN ZBU 156, A VI a 3, Bd.18, Bl.55, Jb Gouv 1908/09, 26.10.09; vgl. Kap II. 5.5.

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gelungen ist, darüber einig zu werden, was unter ,Polizei‘, sei es im weiteren oder engeren Sinne, verstanden werden soll.“107

So strittig es auch in Deutschland sein mochte, was im Einzelnen unter der „Polizei“ zu verstehen sei, so hatten doch Gerichte und Gesetzgeber polizeirechtliche Maßstäbe entwickelt, die nach zeitgenössischer Wahrnehmung einem Rechtsstaat entsprachen, die aber in der kolonialen Polizeipraxis nur teilweise zu beachten waren – mehr gegenüber Europäern, weniger gegenüber Afrikanern; immer jedoch mit der entscheidenden Ausnahme einer fehlenden verwaltungsgerichtlichen Überprüfung polizeilicher Handlungen. Mit dem Durchsetzen des „liberalen Rechtsstaatsgedankens“ in den 1860er Jahren war der Wille verbunden gewesen, den Bürger gegen unkontrollierbare Eingriffe des Staates zu sichern. Dem Begriff des Rechtsstaats haftete im 19. Jahrhundert ein „programmatischer Charakter“ an, der sich darauf bezog, „was es noch zu erreichen galt“ und zwar vorrangig auf dem Gebiet der Verwaltung: „Unverbrüchlichkeit und Vorrang des Gesetzes auch für die handelnde Verwaltung, … das Bestehen eines effektiven, gerichtlichen Rechtsschutzes auch gegenüber der Verwaltung“; dies waren an Gesetzgeber wie Verwaltung gerichtete Anforderungen, die es durchzusetzen galt.108 Einen solchen Anspruch gegenüber der Polizei gesetzlich zu verankern, gelang zu erst mit den Polizeistrafgesetzbüchern in Bayern (1861/1871), dann in Baden (1863) und Württemberg (1871). Deren Vorschriften machten ein polizeiliches Tätigwerden von einer gesetzlichen Ermächtigung abhängig und beschränkten die Polizeibehörden auf die Verhütung, Verfolgung und Unterbindung von in diesen Gesetzen aufgeführten strafbaren Handlungen, gemäß dem Grundsatz „nulla poena sine lege poenali“.109 War es zuvor üblich, den Polizeibehörden als Polizeistrafgerichten „auch Kompetenzen zu strafrechtlichen Verurteilungen“ zu übertragen, galt von nun an neben dem Grundsatz „nulla poena sine lege“ auch das „zentrale Postulat [des] rechtsstaatlichen Strafrechts nulla poena sine iudicio“ – und als iudicium galt einzig das Urteil eines ordentlichen Gerichts.110 In Preußen dagegen kam es nicht zu einem einschränkenden Polizeigesetz. Die Staatsgewalt schrieb sich disziplinarische Macht zu und so wurde die Polizei zur „stets präsenten, aktiv und präventiv Sicherheit und Ordnung gewährleistenden Repräsentantin der Staatsmacht.“111 Doch unterstand sie 107 v.d. Groeben, 1984, S. 439. 108 Böckenförde, 1991, S. 151; Meyer, 1885, S. 18: „Einen Staat, in dem die Befugnisse der Verwaltung gesetzlich fest begrenzt sind und nur in Übereinstimmung mit den Gesetzen ausgeübt werden können, bezeichnet man als Rechtsstaat.“ Vgl. Grimm, 1988, S. 226 f. ; v. Unruh, 1977, S. 33; Kohl, 1991, S. 16 – 24; Stolleis, 1992, S. 406; Anschütz, 1993, S. 148 f.: „Schon damals [in der „konstitutionellen Monarchie“] durfte die Verwaltung nicht alles tun, was kein Gesetz ihr verbietet, sondern nur das, was ihr ein Gesetz zu tun erlaubt.“ 109 So Hölldorfer, 1899, S. 89 – „keine Strafe ohne Strafgesetz“. 110 Sydow, 2000, S. 179 f.; vgl. Schuppert, 2000, S. 84 f.; Neukamp, 1895. 111 Jessen, 1991, S. 55; zu den Einzelstaaten vgl. Kohl, 1991, S. 24 – 39; Schloer, 1990.

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der seit 1872 ausgeübten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle von Behörden, die mit dem Gesetz über die allgemeine Verwaltungskontrolle von 1883 als „freiheitliche Fortführung des Verfassungskompromisses von 1866“ auch auf polizeiliche Anordnungen angewandt wurde.112 Auf gerichtlichem Wege war im Jahr zuvor der enge Polizeibegriff des ALR in der verwaltungsrechtlichen Wirklichkeit Preußens angekommen. Mit dem „Kreuzberg-Urteil“ verhalf das Preußische Oberverwaltungsgericht 1882 einem Polizeibegriff zum Durchbruch, der lediglich die der Gefahrenabwehr dienende staatliche Tätigkeit umfasste.113 Der weiterreichende, die „Wohlfahrtspolizei“ umfassende Polizeibegriff hätte, so seine Gegner, „zu einer unerträglichen Bevormundung des Publikums durch die Polizei führen können“.114 Es waren die Bemühungen um die Einschränkung polizeilichen Zwangs und die Begrenzung polizeilicher Zuständigkeit, die das Polizeirecht in den Mittelpunkt rechtsstaatlicher Bestrebungen rückte. Bemühungen, die „durch die Ausgestaltung der dem freien Ermessen der Verwaltung und damit der Polizei entrückten öffentlichen Rechte und die Einführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens“ zu einem ersten Abschluss fanden.115 Dass sich die Bürger gleichwohl weiterhin einem „Obrigkeitsstaat“ gegenüber sahen, der mit seiner paternalistischen Disziplinierungsgewalt die Rede von Verrechtlichung und Rechtsstaat zu Leerformeln verkommen ließ, konstatierten von Seiten der Staatsrechtslehre O. v. Gierke und H. Preuß.116 Ungebrochener noch konnte der deutsche Obrigkeitsstaat in Afrika und der Südsee auftreten. Da es, so G. Meyer, einer der Väter des deutschen Verwaltungsrechts, „in den Schutzgebieten an jeder verwaltungsrechtlichen Beschränkung fehlt, so hat die Befugnis der Polizei, dem Einzelnen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt gebietend und verbietend gegenüber zu treten, den freisten Spielraum“, den der Oberrichter DSWAs, P. Richter, in einer langen Instruktion für die Bezirkschefs erläuterte.117 Der 112 Stump, 1980, S. 27; Unruh, 1977, S. 31 f. ; Grimm, 1988, S. 226; Nipperdey, 1992, S. 118. 113 v. d. Groeben, 1984, S. 438; Schenke, 2003, S. 2; Möstl, 2000, S. 11; Rosin, 1895; PreußOVG E 9, S. 53: Das Urteil erklärte eine PolizeiVO für nichtig, die aus ästhetischen Gründen (Sicht auf ein Denkmal) die Höhe der Bebauung für Grundstücke in Berlin-Kreuzberg beschränkte. Das OVG stütze sich auf § 10 II 17 ALR, der als einzige Ermächtigungsgrundlage in Betracht käme. Da die VO nicht der Abwehr einer Gefahr diene, sondern eine Maßnahme der Wohlfahrtspflege sei, war sie durch diese Vorschrift nicht gedeckt. 114 Heine, 1928, S. 32 verweist auf Biermann, 1894. 115 Hölldorfer, 1899, S. 107 f. ; kritisch: Kitzinger, 1913, S. 3; 105 f.; Genzmer, 1900. 116 Schönberger, 1997, S. 370; Kohl, 1991, S. 12; Grimm, 1988, S. 134; Hofmann, 1971. 117 Meyer, 1888, S. 215 zitiert in: BAB R 3001/5247, Bl.51, RJA an RK v. Caprivi, 9.11.91; NAN ZBU 746, G 1 a 1, Bl.67 – 86, Anhang zur Instruktion für die Bezirkshauptleute und Distriktschefs, 10.2.99. Dienstanweisung für die Ortspolizeibehörden (Distrikts-Kommandos) [Auszug]: „Thätigkeit der Polizei im Allgemeinen. Als Polizei wird diejenige Tätigkeit der Behörden der inneren Verwaltung bezeichnet, welche die Abwehr der der Sicherheit und Wohlfahrt des Staatsganzen wie der einzelnen Staatsangehörigen drohenden allgemeinen Gefahren durch Anwendung von Zwangsmitteln, nämlich durch Beschränkung der persönlichen Freiheit und des Eigenthums, zum Gegenstande hat. [„V § 10, II, 17 des

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Polizeibegriff konnte daher ein weiterer sein, wenngleich Richter seinen Ausführungen § 10 II 17 ALR und das preußische Polizeiverwaltungsgesetz (1850) zugrunde legte. Doch von einem „reich gestaltete[n] Verwaltungsrecht, ein[em] Apparat von Rechtsmitteln“ der dem Bürger zur Seite stünde und „der möglichsten Sicherung seiner Rechte“ diene, wie es für das Deutsche Reich kolportiert wurde, konnte in den Kolonien keine Rede sein. Nicht so sehr auf die Begrenzung öffentlicher Gewalt als auf die „Optimierung ihrer Ausübung“ war das Kolonialrecht ausgerichtet. „Der ,Rechtsstaat‘ verwandelte sich damit in einen Staat, dem das Recht als Instrument seiner internen Organisation diente (,Organisationsstaat‘), während die Außenwirkungen staatlichen Handelns von geringerer Bedeutung waren.“118 Zwar gab es Beschwerdemöglichkeiten gegen die Polizeibehörden, wie schon der Jahresbericht der Kolonialverwaltung 1894 hervorhob. Doch waren Klagen stets an die nächst höhere Instanz zu richten; eine neutrale Abwägung war für einen Beschwerdeführer kaum zu erwarten.119 Schon H. v. Bismarck wollte die Entwicklung des „Schutzgebiets“ nicht durch „den Rechtsweg“ gelähmt sehen.120 Die fehlende Verwaltungsgerichtsbarkeit war und blieb damit ein problematisches Kapitel des deutschen Kolonialrechts. Der weitreichende Ermessensspielraum der lokalen Behörden im Verwaltungsalltag auf Grund allgemein gehaltener Vorgaben des Gouvernements wurde durch die vor allem in den ersten Jahren bestehende Personalunion zwischen administrativem, richterlichem und militärischem Amt erweitert. Zwar konnte die deutsche Bevölkerung Rechtsschutz gegen Anordnungen der Verwaltung geltend machen, doch war dieser „im Umfang und in seinen Garantien“121 nicht mit dem im Mutterland zu vergleichen, wo die Verwaltungsgerichtsbarkeit „von den Liberalen stets als Palladium der Freiheit verteidigt“ wurde.122 Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die dem Ermessen der Verwaltung bei der Anwendung der Vorschriften Grenzen setzte, gab es nicht. Daher häuften sich mit den Jahren die Klagen darüber, dass „in den Schutzgebieten … kein Rechtsschutz der Staatsbürger durch Verwaltungsgerichte gegen die Anordnungen der Obrigkeit gegeben“ war.123 Ebenso wie es an Verwaltungsgerichten fehlte, so fehlte es an generellen Bestimmungen, die den Rechtsschutz in den Schutzgebieten für jedermann regelten. Doch existierte eine Anzahl von Einzelvorschriften, die nach und nach die Tätigkeit der Verwaltung auf einzelnen Gebieten einschränkten oder dem von Verwal-

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ALR“] Die einzelnen Gebiete und Gegenstände, auf die sich hierauf die polizeiliche Thätigkeit zu erstrecken hat, sind für das Schutzgebiet gesetzlich nicht weiter bestimmt. (…)“; vgl. Rafalski, 1930, S. 46 f. v. Streit, 1892, S. 14; Voigt, 2001, S. 28. NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.1, Bl.67 f., Jb an v. Caprivi, 9.10.94; Naendrup, 1907, S. 19. BAB R 1001/9328, Bl. 1499, H. v. Bismarck an Göring, 4.12.86. Hoffmann, 1908, S. 22; vgl. Naendrup, 1907, S. 12; Bley, 1997, S. 346. Stürmer, 1998, S. 405; vgl. Stolleis, 1992, S. 414; Stump, 1980, S. 35 f. Wunderlich, 1913, S. 12; vgl. Lüderitzbuchter Zeitung Nr. 42, 17. 10. 1913; Hauptblatt.

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tungsmaßnahmen Betroffenen das Recht zur Beschwerde einräumten. Maßgeblich wurde eine Verordnung von 1905, nach der, wie im kolonialen Polizeirecht, als Organe einer Quasi-Verwaltungsgerichtsbarkeit die Behörden selbst oder die ordentlichen Gerichte nach Bestimmungen der Zivilprozessordnung fungierten (§ 2 I).124 Gleichwohl zeigt sich in der Praxis die Orientierung an einem engeren Polizeibegriff in „sinngemäßer Weise“ – wie es Oberrichter P. Richter formuliert hatte.125 „Die Kolonialverwaltung war in ihrem Handeln an Gesetze gebunden“.126 Die „Idee des Rechtsstaats“ war in den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg „allgemeiner Besitz und selbstverständliche Basis des Verwaltungsrechts geworden“.127 Allzu weit durfte auch die Kolonialverwaltung ,vor Ort‘ von diesem Grundsatz ihrer Rechtsbindung (wenigstens gegenüber Europäern) nicht abrücken, wollte sie nicht weitere Skandale riskieren. Doch nicht um „Recht und Gerechtigkeit“ besorgte sich die Verwaltung. Vielmehr war das „Ziel des kolonialen Rechts … Regelmäßigkeit. Der koloniale Staat war kein Rechtsstaat, sondern ein geregelter Staat, indem staatliche Willkür zunehmend durch bürokratische Verwaltung ersetzt wurde.“128 So ermahnte das Gouvernement das Bezirksamt Windhoek, es sei nur bei Verstößen gegen die öffentliche Ordnung polizeilich einzuschreiten, insbesondere wenn es sich um eine wirtschaftliche Betätigung handelte. „Nur unter diesen Voraussetzungen darf polizeilich in das wirtschaftliche Leben der Menschen eingegriffen werden, eine Tätigkeit, die in Kolonien selbstverständlich tunlichst wenig zu entfalten ist.“129 Der stellvertretenden Gouverneur Hintrager beklagte das zu häufige Eingreifen durch die Polizei und riet Windhoeks Amtschef Todt: „Je weniger Polizeiregiment, desto besser.“130 Unbestrittene Geltung besaßen in den Kolonien die deutschen Bestimmungen des Zivil- und Strafrechts (§ 2 SGG). Daher waren durch die Polizeibeamten jene zivil-, straf- und prozessrechtlichen Bestimmungen zu beachten, die ihrer Tätigkeit Beschränkungen auferlegten. Eine gerichtliche Verwertung war gefährdet oder gar eine Strafbarkeit der Beamten möglich, wenn diese Rechtssätze durch die Polizei unbeachtet blieben. Es war Aufgabe 124 Ksl. VO 14. 7. 1905 Gegen den auf Veranlassung des Gouv ausgeübten Gebrauch unmittelbaren Zwangs konnte beim RK Beschwerde eingelegt werden (§ 16), Hoffmann, 1908, S. 22 f. 125 NAN ZBU 746, G 1 a 1, Bl. 67 f., Instruktion, 10.2.99; Rosikat, 1916, S. 62 f.: „Die Machtstellung der kolonialen Polizeibehörden ist aber trotz der festgestellten Uebereinstimmung ihrer Aufgaben mit denen der Polizei in Preussen eine ungleich wirksamere. Das liegt an der geringeren Entwicklung des die obrigkeitliche Machtentfaltung einschränkenden Individualrechts der Untertanen … Dadurch ist erstens das Tätigkeitsgebiet der Polizei an sich erweitert, zweitens sind ihre Massnahmen der Anfechtung seitens der Betroffenen in geringerem Masse ausgesetzt.“ 126 Zimmerer, 2004, S. 258. 127 Stolleis, 1992, S. 409; vgl. Ackermann, 1896, S. 54 – 56; 27. 128 Sack, 2001, S. 41. 129 NAN BWI 304, S 17 g, Bd.2, Gouv an BA Windhuk, 10.7.12. 130 NAN BWI 208, O 1 e, Gouv an BA Windhuk, 26.7.12.

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jedes Vorgesetzten, vor allem aber des Gouvernements, über ihre Einhaltung zu wachen. So sah sich O. Hintrager wiederholt veranlasst, darauf aufmerksam zu machen, dass das polizeiliche Eindringen und Durchsuchen von Wohnungen nur im Rahmen der Strafprozessordnung (§§ 102 – 111) zulässig war. Mehrfach seien Polizeibeamte in Wohnungen eingedrungen, „um einer anderen Person in privaten Angelegenheiten zu ihrem Recht zu verhelfen, ohne“ dazu richterlich ermächtigt worden zu sein. Durch dieses Vorgehen, so Hintrager, „kann sich der Beamte eines Vergehens des Hausfriedensbruches schuldig machen.“131 Die Beachtung der StPO einzufordern, fanden Vorgesetzte wiederholt Veranlassung. Als Windhoeks Wachtmeister George darum bat, einen Beschuldigten, der „überführt“ und ihm gegenüber „geständig“ war, nicht zusätzlich zu vernehmen, hatte Bezirkschef Brill für diese Abkürzung des Strafverfahrens kein Verständnis. Die ihm „unbekannten Ausdrücke ,überführt u. geständig‘“, wollte er nicht angewandt wissen. Er bestand darauf, stets eine Vernehmung zu Protokoll zu nehmen.132 Das schon von seinem Vorgänger im Amt des Bezirkschefs, Boesel, erörterte Vorgesetztenverhältnis der Gerichte zu den Polizeibeamten,133 wurde auch durch die „VO, betreffend die Rechtsverhältnisse der Landespolizei in DSWA“ von 1907 nicht geklärt. Boesel hatte damit an einem der organisatorischen Schwachpunkte der Landespolizei ebenso wie an einem systematischen Mangel des Kolonialrechts gerührt: der fehlenden Trennung von Justiz und Verwaltung.134 Anzeigen über Verbrechen und sonstige Vorkommnisse, die eine gerichtliche Untersuchung notwendig machten, mussten von der Polizei den Bezirksrichtern, „die nach den Bestimmungen des Schutzgebiets in diesen Sachen auch Vertreter der Staatsanwaltschaft sind“ mitgeteilt werden.135 Die Polizeibeamten waren demnach in der Praxis sowohl den höheren Verwaltungsbeamten wie den Richtern unterstellt.136 Da das Kolonialrecht eine gerichtliche Überprüfung staatlicher Eingriffe (überwiegend) nicht vorsah, griffen Betroffene auf die Möglichkeit einer Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zurück. Gleiches galt für die einzelnen Verwaltungszweige gegeneinander, die mit ihren Konflikten auch um „Bagatellsache[n] geringfügigster Art“ zum Ärger des Gouvernements „Schriftwechsel mit einer die Sachlichkeit gefährdenden Animosität geführt haben“.137 Dass auch die Siedler ihr Recht zur Beschwerde in Anspruch nahmen, zeigen die Klagen der Farmer über Polizeibeamte, auf die noch einzugehen sein wird. 131 132 133 134 135 136 137

NAN DAR 32, U.A. 4/4, RVerf Gouv, 30.9.09; vgl. Kreft, 1989, § 839, Rn1 – 4. NAN BWI 304, S 17 g, George an BA Windhuk; Vermerk BA Brill, 3.9.10. NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.22, BA Windhuk an Gouv, 8.8.05. Vgl. die Beschwerde des Farmers Wulff (Südwest III. Jg # 89, 5. 11. 1912). NAN BOM 52, G II, Bl.134, Gouv an DA Omaruru, 9.5.08 (§§ 156; 161 StPO). NAN OGW 53, Gen II J, Bl.39, Tlgr Gouv an BG K’hoop. Abschr. OG Windhuk, 27.12.05. NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.55/6, Interne Notiz und Gouv an BA Lüderitzbucht, 16.4.12. Kritik an der Verwaltung war in der Kolonie so gut möglich wie in Dtl., vgl. Spenkuch, 2001, S. 322; Fenske, 1985, S. 12; v. Unruh, 1977, S. 42 f.; Fenske, 1973, S. 348.

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Im Bezirk Windhoek gehörte die Beschwerde beim Gouvernement, das in Windhoek seinen Sitz hatte, „zur Tagesordnung“ – so Amtschef Brill 1909. Er sah dadurch Personal und Mittel gebunden, die ihm ohnehin nur in unzureichendem Maße zur Verfügung stünden.138

1.6. Die Schutztruppe als Polizeiorgan Aus der institutionellen Trennung von Polizei und Militär („Schutztruppe“) ab 1905/07 ergab sich eine Vielzahl von rechtssystematischen wie praktischen Schwierigkeiten. Sie zeigen wie unmöglich es oft war, die Trennung militärischer und ziviler Gewalt, jene liberale Urformel zur Hegung staatlichen Gewaltpotenzials,139 in der Kolonie umzusetzen. Dabei ist zu beachten, dass es der Armee als ihrer „vornehmste[n] Aufgabe“ oblag, „Stütze von Staat und Krone“ zu sein, was für Deutschland so gut wie für die deutschen Kolonien galt. Die Armee hatte als ein „,prätorianerartiges Machtinstrument‘ der Krone für etwaige innenpolitische Konflikte“ zur Verfügung zu stehen. Sie beanspruchte für sich eine weitgehend außerkonstitutionelle Sonderstellung. Zwar war in der Reichskolonialverwaltung das „Kommando der Schutztruppen“ dem Staatssekretär unterstellt und auch in den Kolonien stand die oberste militärische Gewalt dem (zivilen) Gouverneur zu; doch waren dort ebenso die metropolitanen Prägungen einer militärischen Geringschätzung des ,Zivils‘ in Rechnung zu stellen, wenn es darum ging, das Verhältnis von Polizei und Militär zu definieren.140 Während der Herauslösung der Landespolizei aus der Schutztruppe fiel die Unterscheidung zwischen polizeilichen und militärischen Funktionen vielen Dienststellen schwer. Während die Politik anderer Kolonialmächte auf ein „konsequentes Verwischen“141 der Unterscheidung von Polizei und Militär setzte, kann für DSWA wenn nicht das Gegenteil, so doch ein zumindest anfänglich deutliches Bemühen um Abgrenzung konstatiert werden.142 Im Verlauf der Kriege kam es häufig zu Konflikten zwischen Zivil- und Militärbehörden.143 Ansiedlungskommissar P. Rohrbach unterstellte vielen Offizieren ein schlechtes Verhältnis zu Land und Leuten, das er in der Ansicht zusammenfasste: „Die Kolonie ist im großen und ganzen ein ,Affenland‘ und die Ansiedler sind im großen und ganzen ,Pack‘.“144 138 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, BA Windhuk an Gouv, 19.3.09. 139 Vgl. Jessen, 1991, S. 285 f. 140 Förster, 2005, S. 39 (E. Kehr); vgl. Tiebel, 2008, S. 109 f.; Clark, 2007, S. 687 f.; Nipperdey, 1992, S. 85; 202 – 6; Wehler, 1970, S. 14; Gann/Duignan, 1977, S. 107; Michels, 2006, S. 154. 141 Hills, 2000, S. 29; Willis, 1991, S. 221: „military leanings of the police“. 142 Vgl. NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.31, EtpKdo an BAWdh, 10.7.05; BAWdh an EtpKdo, 11.7.05; Bl.34/35, BA Wdh an Gouv, 29.7.05/3.8.05, vgl. König, 1900, S. 70 f. 143 Vgl. NAN ZBU 785, G IV d 2, Bl.12, BA Swakopmund an Etappenkdtur, 23.12.04. 144 SHStA 12829, Nachlass Stübel Nr. 10, Bl.24, Rohrbach an Stübel, Windhuk, 6.2.05.

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Dass Soldaten Zivilisten und so auch die Polizei nicht ernst nahmen, beruhte zum einen auf der generellen gesellschaftlichen Höherbewertung des Militärs gegenüber dem zivilen Stand im Kaiserreich. Neben diesen symbolischen Fragen hatte der mangelnde Respekt auch konkrete Ursachen. Deutlicher militärischer Kritik war die Landespolizei in der ersten Zeit ihres Bestehens ausgesetzt: Oberleutnant Krüger, der nach dem Überfall auf eine Polizeipatrouille – bei dem der Farmer Devenisch im Oktober 1908 erschossen wurde – die Täter verfolgte, hielt die Polizei noch für ungeeignet, „der Wiederholung einer derartigen Katastrophe vorzubeugen“. Deshalb sollten bei Viehdiebstählen und Ähnlichem vorerst stets die Militärdienststellen für die Verfolgung zuständig sein. Mit „Rücksicht auf die vollkommene Unzulänglichkeit der z. Zt. noch im ersten Entwicklungsstadium stehenden Polizei“, war dies nach Meinung Krügers unumgänglich. Nicht zuletzt sei ein „derartiger Misserfolg [„wenig geeignet“], zur Stärkung der Autorität der Polizei bei den Hottentotten beizutragen.“145 Da die Landespolizei personell wie infrastrukturell aus der Schutztruppe hervorging, die 1913 noch rund 1.900 Soldaten umfasste und in neun Kompanien über die Polizeizone verteilt war, fiel die Kritik auf die ,Mutterinstitution‘ zurück. Kommandierungen von Unteroffizieren zu „Probedienstleistungen bei der Landespolizei [wurden] zu jeder Zeit ausgesprochen“.146 Zwar hieß es in einer einführenden Darstellung zur Kolonie, es würden in den „Steppen und Gebirgen Banden von Herero, Hottentotten und Buschleuten umher[streifen], und die Schutztruppe müßte sich außerordentlich zersplittern, wenn sie die Sicherung des Landes gegen solche Banden übernehmen müßte. Diese Aufgabe fällt jetzt [1913] der Landespolizei zu.“147 Doch tatsächlich oblag vor allem die ,Sicherung‘ der Gebiete an der Peripherie des Kolonialstaats bis zum Ende der deutschen Herrschaft der Schutztruppe gemeinsam mit der Landespolizei. Schon weil „[s]olche Streifen … für unsere jungen Offiziere“, so Schutztruppen-Kommandeur v. Heydebreck, „so lehrreich“ waren, erschien ihm ihre „Beteiligung … [an Streifen zur polizeilichen Sicherung] erwünscht“.148 Die Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“, jene Urdefinition der Polizeiarbeit aus dem preußischen Landrecht, diese Aufgabe entglitt der Landespolizei. Denn der Kommandeur war überzeugt, „[a]uch bei allen kleineren Vorkommnissen – Viehdiebstähle, Überfälle auf einzelne Personen – die in Kulturländern nur die Polizei angehen, muss [die Schutztruppe] mitwirken.“149 § 1 des Schutztruppengesetzes von 1896 setzte ihn ins Recht: „Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in den Schutzgebieten … 145 146 147 148 149

NAN ZBU 479, D IV o, Bd.1, Bl.124, Patrouillenbericht über Verfolgung, 8.11.08. NAN GLU 313, Gen F III, Bd. 2, Bl.23, KomSchTr an Gouv, 7.4.09. Wagner, 1913, S. 48; vgl. Südwestbote, 11. Jg. # 64, 29. 5. 1914, S. 3. NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.113, KdoSchTr an Gouv, 9.2.14. NAN ZBU 2372, IX b -Geheimakten, Bl.66, KdoSchTr an RKA, KdoSchTr, 14.7.12.

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werden Schutztruppen verwendet“.150 Dies schloss die zusätzliche Verwendung einer Polizei nicht aus. Doch das Verhältnis zwischen v. Heydebreck und Inspekteur Bethe, der Militär blieb und sich nicht zum Vorsteher einer Truppe von Gerichtsvollziehern und ,Werftkontrolleuren‘ machen lassen wollte, verschlechterte sich zunehmend.151 Wenig schmeichelhaft war von einer „ersten und zweiten Garnitur Schutztruppe“ zu lesen.152 Die diskutierte Fusion beider Institutionen schien nur folgerichtig. Es zeigte sich im Verlauf der zehnjährigen Geschichte der „Landespolizei“, dass die bei ihrer Gründung 1905 angestrebte und von einem Polizeipraktiker wie dem Windhoeker Bezirkschef, Polizeirat Boesel, eingeforderte Trennung zwischen militärischen und polizeilichen Aufgaben in der kolonialen Praxis nicht durchzuhalten war. Während in Deutschland eine „Tendenz zur Verpolizeilichung von Konflikten“ und ein „Rückgang der Militäreinsätze im Innern“ zu verzeichnen war,153 konnte in der Kolonie angesichts der bestehenden Sicherheitsprobleme in der Polizeizone und der personellen Schwäche der Polizei auf das ,polizeiliche‘ Mitwirken der Schutztruppe nicht verzichtet werden. Diese – nicht gehindert durch Aufgaben wie Farm- und „Werftkontrollen“, Zustellungen und Abordnungen in die Amtsverwaltungen – vermochte es, sich auf Grund einiger Erfolge als die effektivere Institution bei der Bekämpfung der „Banden“ darzustellen.154 Auf diesem Wege aber stellte sich die „Verwischung“ zwischen Polizei und Militär, wie sie für andere Kolonialmächte beschrieben worden ist, auch in DSWA wieder ein. Mit W. Reinhard ist das darin zum Ausdruck kommende „Fehlen einer leistungsfähigen Polizei“, das den Militäreinsatz erforderlich machte, „als Kennzeichen einer schwachen Staatsgewalt“ zu werten.155

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Vgl. Tiebel, 2008, S. 140: Es wurden den SchTr „eher polizeiliche Aufgaben zugewiesen“. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.102, ILP an Gouv, 7.11.13; Bl.203/4, Verf v. 30.5.12. Koloniale Zeitschrift 11 (1910), S. 73, zit. in: Morlang, 2008, S. 22. Knöbl, 1998, S. 315; zur mangelhaften Kooperation vgl. Johansen, 2005, S. 249. Übersicht SchTr-Patrouillen: NAN ZBU 2372, IX b, Bl.66 f., KdoSchTr an RKA, 14.7.12. Reinhard, 1997, S. 363; zur „Verwischung“ von Polizei und Militär Hills, 2000, S. 29.

II. Afrikaner als deutsche Polizisten „Es muss nun zwar anerkannt werden, dass eine geordnete Verwaltung der Kolonien nicht durchführbar ist, ohne dass man Farbige mit behördlichen Befugnissen auch Weissen gegenüber betraut. Aber unter allen Umständen sollte daran festgehalten werden, dass der Eingeborene, auch wenn er mit Beamtenfunktionen betraut ist, dem Weissen als solchem Ehrfurcht zu bezeigen hat.“1

Ohne sie ging nichts. Ohne die Unterstützung des afrikanischen Personals war Polizeiarbeit in der Kolonie unmöglich. Ihre mitunter durch den „unglücklich gewählten“ Begriff „Kollaboration“ abgewertete Tätigkeit blieb unverzichtbar für die Kolonialverwaltung.2 Auch in DSWA bestand jene Abhängigkeit der Beamten von afrikanischen Polizisten, Dolmetschern, Dienern und sonstigen Arbeitern, wie sie für die Kolonien anderer europäischer Mächte beschrieben wird.3 „Die Europäer waren und blieben auf afrikanische ,Kollaborateure‘ angewiesen, und diese prägten zum erheblichen Teil die Praxis der Kolonialherrschaft. Auch unter dem Kolonialismus hielten die Afrikaner ihr Schicksal somit wenigstens zum Teil selbst in der Hand.“4 Diese summarische Feststellung des Historikers H. Wesseling legt die Frage nach der Eigenständigkeit der afrikanischen Kolonialbediensteten nahe. Wie viel „Schicksal“ hielten sie selbstbestimmt in der Hand? Und wie prägten sie die „Praxis der Kolonialherrschaft“? In der Mittlerfigur des afrikanischen Polizisten in deutscher Uniform lösen sich die Trennlinien zwischen deutscher Polizei und afrikanischen Polizierten. Wie stand es um ihr Verhältnis zum afrikanischen und deutschen Bevölkerungsteil? Galten sie als Männer, die es zu ,etwas gebracht‘ hatten und ein gewisses Prestige für sich verbuchen konnten? Überwog der Vorwurf, sich mit den Kolonialherren eingelassen zu haben? Traten sie in Konkurrenz zu ihren deutschen Vorgesetzten? Auf Grund ihrer besseren Sprach- und Landeskenntnis waren sie unstreitig im Vorteil. Nach Ansicht zeitgenössicher Mediziner waren die „Farbigen dem Europäer weit überlegen …, was körperliche Anstrengung … betrifft.“ Ihre Anfälligkeit für Krankheiten galt als deutlich geringer. Und wie machten sich Polizisten beider Hautfarben das Wissen des anderen zunutze? Denn „Eroberer und koloniale Herren waren sich stets bewusst, dass Wissen Macht bedeutet.“5 Auf welche Weise wurde dieses Wissen produziert und eingesetzt? Wie gingen die Kolonialherren mit dem Widerspruch um, ein rassistisch exklusives Machtmonopol aufrecht zu er1 BAB R 8023/890, fol.1, Bl.5, DKG an v. Bülow, 1.10.03. 2 Steinmetz, 2002, S. 165; kritisch: Osterhammel, 2003, S. 72, der Begriff ,Kollaborateur‘ sei nicht anwendbar auf „bestallte Funktionäre“, die keine „halbautonome Agenten“ sind; vgl Lawrance u. a., 2006, S. 6; Osborn, 2003, S. 32; Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 21 f.; Robinson, 1972. 3 Vgl. Osborn, 2003, S. 43 f.; Berman/Lonsdale, 1992, S. 16; Gann/Duignan, 1977, S. 84 f. 4 Wesseling, 1999, S. 341; vgl. Shear, 2003, S. 109; Lau, 1995, S. 35; Dedering, 1996. 5 Kolonial-Hygiene, Nr. 7 (1912), S. 17; Liauzu, 2004, S. 108; Eckert, 2004, S. 1.

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halten und zugleich in wachsendem Maße von afrikanischen „Hilfskräften“ abhängig zu sein?

2.1. „Eingeborene Polizisten“ im „System Leutwein“ Afrikanische Bedienstete europäischer Herren hatte es im südwestlichen Afrika gegeben, seit Mitte des 19. Jahrhunderts Händler, Jäger und Missionare mit ihren „personalintensiven“ Ochsenwagen aus der Kapkolonie kommend über den Oranje hinweg trekten. Die ersten Beamten konnten auf diese Transportmittel sowenig verzichten wie ihre proto-kolonialen Vorgänger und waren damit sofort „abhängig von den Fähigkeiten einer Gruppe von Kundigen: Wagenführer, Vormänner und Ortskundige, dazu Treiber und Hirten“.6 Die Sicherung dieser Transporte übernahmen die Europäer zwar mit Vorliebe selbst, doch bestand, angesichts der allgemeinen Bewaffnung im Nama- und Hereroland, das Problem der ,Vielen gegen die Wenigen‘. Auf eine Bewaffnung von Afrikanern konnte nicht verzichtet werden. Da die wenigen deutschen Soldaten ihre Aufgaben unmöglich allein übernehmen konnten, sprachlich isoliert waren und sich in der fremden Landschaft nicht zurechtfanden, war der Rückgriff auf Afrikaner unvermeidlich. Dies galt ebenso für die vom Militär mit zu erledigenden Polizeiaufgaben. Daher waren für die Beschäftigung „Farbiger“, die „als Arbeiter Verwendung finden“, im Etat für 1892 20.000,– M eingeplant.7 In Windhoek stellte die Ortspolizeibehörde erstmals 1894 unter Leutnant v. Heydebreck neben einem „älteren Unteroffizier“ und vier „felddienstunfähigen“ Mannschaftsdienstgraden einen „Vormann und vier Mann Eingeborene“ ein, die mit 40,– bzw. 25,– M monatlich entlohnt wurden.8 Eine Besonderheit des kolonialen Zentrums war dies nicht. Auch im Süden der Kolonie, in Keetmanshoop und Gibeon, wurden Polizeiaufgaben „von besonderen weißen Personen mit eingeborenen Polizisten wahrgenommen“.9 Amtschef Golinelli wusste, dass die Verwaltung „nicht ohne Weiteres auf die im Dienste erfahrenen Leute verzichten“ konnte. 1898 bemühte er sich um ihre Professionalisierung und zog sie zu Ausbildungszwecken zu einer 14tägigen „Übung“ an seinem Amtssitz zusammen.10 Generell fand deren Tätigkeit die Anerkennung ihrer Vorgesetzten. So 6 Hartmann, 2003, S. 132; zum Ochsenwagen als ,Zivilisationsinstrument‘ Noyes, 1992, S. 234 f. 7 BAB R 3001/5247, Bl.44 – 48, Etat für das Schutzgebiet DSWA 1892/93. Der Reichszuschuss betrug 292.300,– M. In ihren Funktionen ausgewiesen waren: der „Führer der Truppe“, dessen Stellvertreter, der „Vorsteher der Bergbehörde“ und ein Vermessungsbeamter. 8 BAB R 1001/1914, Bl.3 – 5, LHpt an RKv. Caprivi, 19.2.94. NAN ZBU 146, AVI a 3, Bd.1, Bl.67/ 68, Jahresbericht, 9.10.94. 9 NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.1, Bl.301/2, Der Südbezirk, Jahresbericht, 12.7.95. 10 NAN BKE 199, B II 66 a, Bd.1, Bl.117/118, Dr. Golinelli an Militär-PolSt, 3.6.98; BHpt K’hoop an Militär-PolSt, 11.7.98; NAN BKE 291, U.A.33/1, Instruktion, 4.4.98.

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konnte der Warmbader Stationschef v. Bunsen nach einem Gefecht mit „Schmugglern“ am Oranje über die „eingeborenen Polizisten … nur Günstiges melden“.11 Bezirkschef Golinelli hob in seinem Jahresbericht von 1898 zu einem regelrechten Loblied auf ,seine‘ „eingeborenen Polizisten“ an, die allerdings eher militärische Aufgaben zu erfüllen hatten: „Das Institut der eingeborenen Polizisten hat sich auch im Berichtsjahre voll und ganz bewährt. Die Führung der Leute, die meistens jetzt über zwei Jahre im Dienst sind, war … eine tadellose … Bereits seit längerem erhalten sie die nöthige militärische Ausbildung. … Von ganz besonderem Werthe werden die Eingeborenen Polizisten im nächsten Jahre sein, wo fast sämmtliche alten Mannschaften ausscheiden und nur landesunerfahrene Leute zur Verfügung stehen. Mit Weg und Steg im Stationsbereiche und Bezirk vertraut, werden sie den Soldaten auf der Patrouille eine werthvolle Stütze sein. Ohne sie wäre die Thätigkeit namentlich der Außenstationen lahm gelegt. … In meinem eingeborenen Polizeicorps, welches aus 38 Mann besteht, habe ich den Beweis geliefert, daß auch das Namaland Leute hat, die sich zum militärischen Dienste eignen und im Kriegsfalle wackere Männer sind.“12

Fast schon zeigten sich im Laufe der nächsten Jahre Tendenzen, wie bei den britischen Ghurka oder den französischen Mo auch für DSWA „kriegerische Rassen“ zu identifizieren, denen die eigentliche Sicherung der Kolonialgebiete übertragen werden könnte.13 Auf Grund seiner Zufriedenheit mit dem NamaPolizeipersonal wandte sich Golinelli im Oktober 1898 gegen die finanzielle Schlechterstellung der „eingeborenen Polizisten“ gegenüber den „eingeborenen Soldaten“. Letztere erhielten bis zu 50,– M Lohn bei der Schutztruppe, während für erstere bei der Zivilverwaltung nur bis zu 30,– M ohne Anspruch auf Bekleidung üblich war. Golinelli erschien eine „Gleichschaltung der beiden Kategorien … dringend erforderlich“. Da „sich die eingeborenen Polizisten … ohne Ausnahme tadellos benommen haben“, so Golinelli, wäre es bedauerlich, sie hinter den Soldaten zurückstehen zu lassen. Der stellvertretende Landeshauptmann v. Lindequist betonte daraufhin, dass nicht beabsichtigt sei, „die eingeborenen Polizisten schlechter zu stellen, als die eingeborenen Soldaten und zwar umso weniger, als die selbständigere Verwendung der ersteren mindestens ein gleich gutes Material erfordert.“14 Diese „selbständigere Verwendung“ der „eingeborenen Polizisten“ bereitete der Kolonialverwaltung allerdings Definitionsschwierigkeiten. Ihre Kompetenzen gegenüber „Weißen“ hatte der Landeshauptmann im Februar 1894 für die Ortspolizei Windhoek festgelegt. Darin hieß es: 11 BAB R 1001/1489, Bl.98, Das Gefecht bei !Kaudaus (Hamsib-Kluft) am 5.7.97. 12 NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.3, Bl.366, Jahresbericht des Südbezirk, 97/98, 27.6.98. 13 Vgl. Liauzu, 2004, S. 109; Steinmetz, 2002, S. 157; Scheulen, 1998, S. 63 f.; 89; Gordon, 1992, S. 2; Parsons, 1999, S. 54: „The use of ethnic stereotypes to recruit soldiers did not originate in colonial East Africa. Scotch and Irish soldiers were the martial races of the British Army“. 14 NAN BKE 199, B II 66 a, Bd.1, Bl.53, BHpt K’hoop an LHpt, 25.10.97; Bl.108, LHpt an BHpt K’hoop, 12.1.98.

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„Die Befugnisse der farbigen Polizisten dehnen sich auf keinen Fall auf Europäer aus. Doch muß von diesen erwartet werden, daß sie nicht durch Handlungen, die geeignet sind, das Ansehen dieser Angestellten der Behörde zu schädigen, ihnen die Ausübung ihres Dienstes zu erschweren.“

Damit war bestimmt, dass Afrikaner Europäer nicht ermahnen oder gar abführen sollten. Doch erhielt die Frage ihrer Befugnis „Weißen“ gegenüber in den Augen kolonialinteressierter Kreise in Deutschland eine Dringlichkeit, nachdem es in Ostafrika angeblich zu Übergriffen „eingeborener Polizisten“ auf Deutsche gekommen war. Es zeigte sich die für die kolonialen Ordnungen typische und „pervasive anxiety about ,native authority‘.“15 Die Debatte um die Befugnisse „Farbiger“ gegen „Weiße“ Die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) nahm sich des Themas im Oktober 1903 an und ersuchte Reichskanzler v. Bülow, „Bestimmungen über die Befugnisse der als Polizisten oder sonst im öffentlichen Dienst angestellten Eingeborenen … den Europäern gegenüber zu erlassen, welche das Ansehen der Europäer sichern.“ Zur Begründung führte die Gesellschaft an, dass die Gerichte 1. und 2. Instanz in den Kolonien „völlig verschiedene Auffassung darüber bekundet“ hatten, ob „beamtete Eingeborene Europäern gegenüber Träger der Staatsgewalt sind.“ Bei aller Notwendigkeit farbiger Amtsträger hätten diese doch „dem Weissen als solchem Ehrfurcht zu bezeigen“. Denn es bestehe die Gefahr, „zwei Klassen von Europäern, beamtete und bürgerliche, zu schaffen.“ In der Deutschen Zeitung wurde zur rechten Zeit der Artikel eines „Afrika-Kenners“ lanciert: „Europäer und Eingeborenenpolizei“ überschrieben, ließ er keinen Zweifel daran, „daß die Polizeisoldaten in ihren Reihen das größte Lumpen- und Spitzbubengesindel hätten“, dem man nichts, vor allem nicht die „polizeiliche Gewalt über die weißen Ansiedler anvertrauen könnte“. Dieses „schwarze Polizeimaterial“ sei kaum geeignet, eine „schwarze Obrigkeit“ auszuüben. Jeder „nichtunformierte Privatmann“ habe schon jetzt unter ihrer Verachtung zu leiden und würde als ein „Europäer zweiter Güte“ behandelt. Nach den Vorstellungen der DKG sollte ein farbiger Polizist daher „nur in Gegenwart oder auf Befehl seines weissen Vorgesetzten“ einem Europäer Anweisungen geben oder gegen ihn einschreiten können. Nur die Vorbeugung eines Verbrechens oder das Ergreifen auf frischer Tat würden eine Ausnahme rechtfertigen. Die DKG unterließ es nicht, auf ähnliche deutsche Vorschriften hinzuweisen, nach denen Polizisten nur in Ausnahmesituationen gegen Militärs vorgehen durften. Vor allem aber unternahm sie es, rechtsvergleichend „festzustellen, welche Verordnungen und Übungen in deutschen wie fremden Kolonien in dieser Hinsicht bisher bestehen.“16 15 BAB R 1001/1914, Bl.3 – 5, LHpt an RKv. Caprivi, 19.2.94; NAN ZBU 146, AVI a 3, Bd.1, Bl.67/ 68, Jahresbericht, 9.10.94; Shear, 2003, S. 119. 16 BAB R 8023/890, Bl.3 – 7, DKG an Bülow, 1.10.03; Bl.32, Dt. Ztg, 22.10.03; Sander, 1912.

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Das im folgenden Jahr gesammelte Material der deutschen Konsulate (es wurden 42 Konsulate sowie die Schutzgebiete angeschrieben) deckte ein breites Spektrum eines kolonialen Polizeirechts ab: Auf der dänischen Karibik-Insel St. Thomas etwa hatten „farbige“ und „weisse Funktionäre“ „genau die selben Rechte und Befugnisse“; der Konsul merkte jedoch an, dass „die wichtigeren Beamtenstellungen ausschließlich von Weissen besetzt sind.“ In Britisch-Kanada waren Indianer bei der North West Mounted Police eingestellt, doch trugen sie keine Uniform und hatten gegenüber der „weissen Bevölkerung … nicht dieselben“ Befugnisse, wie die „weißen Mitglieder der Truppe“. Im portugiesischen MoÅambique war die Frage der DKG kaum verständlich. Ein „Unterschied in den Befugnissen“ war unbekannt, da die „schwarzen Funktionäre … nur der eingeborenen Bevölkerung gegenüber verwandt“ wurden. Der Konsul in Batavia wusste zu berichten, „daß es den hier herrschenden Anschauungen widerspricht, wenn ein Eingeborener Hand an einen Europäer legt“. In der „Regentschaft Tunis“ wurde einem „farbigen Funktionär stets ein der europäischen Bevölkerung angehöriger Funktionär“ zur Seite gestellt. In Cochinchina hatte die französische Kolonialverwaltung die „Instruktion“ ausgegeben, nach der „der annamitische Polizist sich im allgemeinen um das Leben und Treiben der Europäer nicht bekümmern soll.“ Auf frischer Tat ertappte Europäer waren nur zu verfolgen und die Vorgesetzten zu informieren. „Selbständige Festnahmen von Europäern durch annamitische Polizisten kommen tatsächlich so gut wie nie vor“. Ähnliches galt für den Kongo-Freistaat. Nach den Bestimmungen in Britisch-Ostafrika konnte „an sich ein schwarzer Polizist einen Europäer verhaften. Die Leute sind aber dahin instruiert, daß sie es nicht tun dürfen“; nur wollte man sich „nicht durch eine Verordnung die Hände binden“. Dennoch dozierte der Konsul in Singapur : „Britische Anschauung verwirft sogenannte ,class legislation‘ prinzipiell und hält als obersten Grundsatz fest, daß gleiches Recht für alle gelten müsse.“ „Privilegien“ für „Trunkenbolde oder Verbrecher weißer Rasse“ waren dort verpönt. „Daß tatsächlich Europäer [etwa betrunkene Matrosen] von Eingeborenen verhaftet werden, ist [in Singapur] ein tägliches Vorkommnis.“17 Angesichts dieses Materials, nach dem die Verhaftung eines Europäers durch „farbige Polizisten“ in den meisten Kolonien eine Ausnahme zu sein schien, wies die Kolonialabteilung – auf das Drängen der DKG – die Gouvernements an, sich zu den Kompetenzen der „Eingeborenen-Polizisten“ zu äußern. Die Windhoeker Behörde sah sich daher veranlasst, die zehn Jahre 17 BAB R 8023/890, fol.1, Bl. 78, Dt. Konsulat Tunis an DKG, 4.1.04; Bl.79, Dt. Konsulat St. Thomas an DKG, 21.12.03; Bl.80, Dt. Konsulat Montreal an DKG, 31.12.03; Bl.88, Dt. Konsulat LorenÅoMarques an DKG, 16.1.04; Bl.92, Dt. Konsulat Saigon an DKG, 27.11.03; Bl.96, Dt. Konsulat Zanzibar an DKG, 5.2.04; Bl.128, Dt. Vize-Konsulat Entebbe an DKG, 17.9.04; Bl.149, Dt. Konsulat Singapore an DKG, 25.11.03; Bl.148, Dt. General-Konsulat Batavia an DKG, 25.11.03; Bl.172, Dt. Vize-Konsulat Mombassa an Gouv Dar es Salam, 2.1.04; Bl.184, Vize-Generalgouverneur Kongostaat an Gouv Buea, 8.4.04; zur DKG vgl. Walkenhorst, 2007, S. 62 f.

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zuvor erlassene Vorschrift für den Ort Windhoek auf alle Polizeibehörden DSWAs auszudehnen. Dort schien bisher eine Regelung dieser Verhältnisse wenig dringlich. Das Gouvernement übernahm direkt die Formulierung der Kolonialabteilung, wonach „Festnahmen von Europäern durch Eingeborene, soweit dies irgend tunlich, zu vermeiden sind.“18 Stärker wollte die Verwaltung sich nicht binden. Das Windhoeker, wie auch die anderen deutschen Gouvernements, betonte, dass „bei der erheblichen Anzahl der weißen Polizisten“ nie Bedarf bestanden hätte, Polizeidienern die Befugnis zur Festnahme Weisser zu übertragen. Daher war „die Anregung [der DKG] für hier ohne praktische Bedeutung“. Alle Gouverneure waren bestrebt, die aufgekommenen „Erörterungen“ über „Farbige“ als „Träger der Staatsgewalt“ bald zu beenden. Gouverneur W. Solf unterstrich: „Die praktische Bedeutung der angeregten Frage ist für Samoa gleich null.“ „Empfindlichkeiten“ nachzugeben würde bedeuten, mehr weiße Polizisten einstellen und die „Steuerschraube“ anziehen zu müssen. Zu notwendig waren den Kolonialverwaltungen ihre billigen ,Hilfskräfte‘, als dass sie diese wegen einiger Bedenkenträger hätten abschaffen wollen, die um die ,rassische‘ Zuordnung der Staatsgewalt fürchteten. Auch hatten die deutschen Gouvernements so wenig Veranlassung wie ihre Nachbarn, sich durch gesetzliche Verbote die Einsatzmöglichkeiten ihres „farbigen“ Exekutivpersonals einschränken zu lassen. Die soziale Barriere genügte, zu vermeiden, dass dieses sich gegenüber „Weißen“ Übergriffe erlaubte.19 Die meisten Siedler ließen nie einen Zweifel daran aufkommen, dass ein unformierter Afrikaner für sie keine Autoritätsperson sei. „Farbige Polizisten“ hatten sich als „Träger der Staatsgewalt“ nur gegenüber anderen Afrikanern zu fühlen. So scheute sich der Bäcker H. Ludwig, dem gerade sein Pferd an der Sterbe eingegangen war, nicht, einem Polizeidiener das Maultier zu entreissen. Aktenkundig wurde dieses Verhalten allenfalls deshalb, weil daraufhin auch das amtliche Maultier verendete und Ludwig sich weigerte, die Ansteckung und seine Verantwortung dafür anzuerkennen.20 Die DKG hatte sich mit ihrem Vorhaben verschätzt. Die Kolonialverwaltung maß der Frage der „Befugnisse der farbigen Polizisten“ keine Dringlichkeit bei. Sie sah das „Ansehen“ der „weißen“ Verwaltung und Bevölkerung nicht durch „farbige“ Staatsdiener bedroht. DKG Vize-Präsident v. Holleben erkannte, dass die Angelegenheit ein weiteres Engagement nicht lohne. Doch wurde das gesammelte Material, auch wenn es der Prämisse vom Ansehensverlust durch „farbige“ Polizisten nicht die Bahn ebnete, veröffentlicht. In der Deutschen Kolonialzeitung hieß es abschließend: 18 NAN BKE 199, B II 66 a, Bd. 2, Bl.42, RVerf Gouv an BHpt Keetmanshoop, 20.2.04; dort Zitat aus Verf. 14.2.94; ebs. BAB R 8023/890, fol.1, Bl.165, KolA an Gouv, 6.11.03. 19 BAB R 8023/890, fol.1, Bl.164, KolA an DKG, 21.5.04; Bl.165 KolA an Gouv, 6.11.03; Bl.174, Gouv an KolA, 10.1.04; Bl.178, Gouv Samoa an KolA, 31.1.04; vgl. Hiery, 2004, S. 266 f. 20 NAN BWI 160, L 2 l, Bl.11, Meldung an BA Windhuk, 26.4.11.

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„Das Material scheint uns zu genügen zur Bekräftigung der gelegentlich der eingangs erwähnten Zwischenfälle in der deutschen Presse herrschenden Ansicht, daß Schranken zwischen Weiß und Schwarz gesetzt sind und daß sie gesetzt bleiben müssen. Gerade die englische Uebung, daß auf dem Papier die Gleichberechtigung der Rassen ausgesprochen ist, in Wirklichkeit aber stets ein Unterschied gemacht wird, darf hierfür als Hauptbeweis angeführt werden.“21

Die rechtliche Stellung „farbiger Polizisten“ Kompetenz und Stellung der „farbigen Polizisten“ wurden nicht nur im Hinblick auf ihr Verhalten gegenüber Europäern erörtert. Die „Schranken zwischen Weiss und Schwarz“ schienen nicht nur in der kolonialpolizeilichen Praxis uneindeutig; selbst einzelne kolonialrechtliche Paragraphen blieben teils unklar und boten Anlass zur Kritik. Der Staatssekretär im Reichsschatzamt, v. Stengel, entdeckte in den „Bestimmungen betr. die Organisation der Landespolizei“ von 1905 einen ,kolonialpolitischen‘ Widerspruch, den er der Kolonialabteilung vortrug: Während § 1 sämtlichen Angehörigen der Landespolizei Beamteneigenschaft zuerkannte, zu denen gemäß § 2 auch die „Polizisten“, also „Farbige“ gehörten, behielt § 16 die „Regelung der Rechtsund Dienstverhältnisse der farbigen Polizisten“ dem Gouverneur vor. Kam aber diesen Polizisten Beamteneigenschaft zu, so war für ihre Rechts- und Dienstverhältnisse die Kaiserliche Verordnung vom 9. 8. 1896 anzuwenden „und der Gouverneur könnte nichts Abweichendes bestimmen [wie § 16 in Aussicht stellte].“ Sollten Afrikaner Kaiserliche Kolonialbeamte geworden sein? Das Reichsschatzamt warnte vor „erheblichen finanziellen Folgen“ und regte die Abänderung des § 1 an. Der konsternierte Geheimrat Hellwig von der Kolonialabteilung, dem diese mögliche Lesart des § 1 bisher nicht aufgefallen war, wandte sich Hilfe suchend an das Reichsjustizamt, von dem er sich eine Bestätigung seiner Auffassung vom „weiteren und engeren Beamtenbegriff für die Kolonien“ erhoffte. Dass „farbige Polizisten“ Kolonialbeamte mit allen Rechten und Pflichten gemäß der Kaiserlichen Verordnung vom 9. 8. 1896 sein sollten, hielt er mit Sinn und Zweck der Bestimmung für unvereinbar. Dagegen standen, wie er einräumte, andere Gesetze und Verordnungen „auf einem anderen Standpunkte“. So wollte er vor allem die für Beamte einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (§§ 113, 114, 136, 196, 333) auch auf „Farbige“ angewandt wissen. „In einem im Schutzgebiet Samoa anhängig gewesenen Strafverfahren ist denn auch bereits in 2 Instanzen die Möglichkeit eines Widerstandes gegen einen eingeborenen Beamten anerkannt worden.“ Vom Reichsjustizamt hieß es so autoritativ wie beschwichtigend: „Das Bedenken [wegen § 1] erledigt sich jedoch durch den Inhalt des § 16 I 2“, der Regelungen durch den Gouverneur vorsah. Eine Neuregelung des § 1 wurde der Koloni-

21 BAB R 8023/890, fol.1, Bl.181, Bericht, 28.1.05; DKZ # 11 (22.Jg.), 16.3.05, S. 103.

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alabteilung anheim gestellt.22 In der Fassung der „Bestimmungen“ über die Landespolizei von 1907 fand sich die widersprüchliche Aufzählung aus § 1 daher nicht mehr. Welchen Grad an Beamteneigenschaft den „farbigen Polizisten“ zuerkannt werden sollte, ließ sich demnach nicht generell bestimmen. Der Beamtenbegriff wurde gouvernementaler Auslegung überlassen, er blieb dehnbar. „Farbige Polizisten“ erhielten einen rechtlichen Zwischenraum zugewiesen – nicht immer nur „Eingeborene“, niemals ganz deutsche Beamte.23 Gleichwohl wurde ,Amtsstolz‘ auch von ihnen verlangt. So hatte das Polizeiamt Keetmanshoop sie darauf aufmerksam zu machen „daß jeder derselben mit Arrest bestraft wird, der in einem Store oder bei Privatpersonen um Getränke bittet, da dies“, so Bezirkschef Schmidt, „für einen Polizeidiener unwürdig ist.“24 Immerhin war „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ möglich, wenn diese durch Afrikaner repräsentiert wurde – was regelmäßig der Fall war. Doch das Pensions- oder Beschwerdewesen, die Karrieremöglichkeiten oder den sozialen Status von Beamten auf Afrikaner zu übertragen, dies war so undenkbar wie unerwünscht. Der „Räuber“ Blauberg und die „Witbooi Polizisten“ Die Eigenständigkeit, Kompetenz und „selbständige Verwendung“ der „farbigen Polizisten“, die die Gouverneure mit Blick auf den ,Charakter‘ der Staatsgewalt nur ungern in Deutschland erörtert wissen wollten, fand auch in DSWA ihre Kritiker. Zwar standen Fähigkeit und Notwendigkeit des afrikanischen Personals seitens der deutschen Beamten vorerst außer Frage. Doch wurde deren offenkundige Unverzichtbarkeit mitunter als Konkurrenz, gar als Gefahr empfunden. Daher war insbesondere den Offizieren daran gelegen, den Eindruck einer Abhängigkeit von den afrikanischen Polizisten oder Soldaten – der Unterschied bestand meist lediglich im Status ihres Vorgesetzten, nicht ihrer Tätigkeit – zu vermeiden. Der Fall des „Räubers“ Vaalpert/Blauberg, der mit seinen Viehdiebstählen bis 1903 die Gegend entlang des unteren Swakop in Atem hielt, führt diese Konkurrenzsituation vor Augen. Darüber hinaus wird deutlich, wie hilflos die deutschen Kolonialbehörden und vor allem die ausgesandten Strafexpeditionen gegen „Viehdiebe und Gesetzesbrecher“ agierten. Auch zeigt sich konkret, in welchem Maße die Etablierung und Durchsetzung des deutschen Machtanspruchs von afrikanischer Mithilfe abhing. Über mehrere Jahre hinweg waren alle „Versuche [der „Bande“ habhaft zu werden] erfolglos geblieben“. Erst als eine Truppe des seit 1894 mit den Deutschen verbündeten kaptein H. Witbooi auf „Blauberg“ ,angesetzt‘ wurde, gelang es, die Raubserie 22 BAB R 3001/5249, Bl.12, RSA an KolA, 2.3.05; Bl.6, KolA an RJA, 8.8.05; Bl.13, RJA an KolA, 18.9.05; zum kolonialen Beamtenrecht König, 1905, S. 217 f. 23 Zum Mimicry-Konzept „almost the same, but not quite“ Bhabha, 1994, S. 86; vgl. Kap. 2.3. 24 NAN BKE 291, U.A.33/1, BA Keetmanshoop an Polizeiamt, 30.12.04.

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zu unterbrechen. Die deutschen Verbände scheiterten oft schon an Klima und Gelände, die den Gesuchten in dem Maße Schutz boten, wie sie den deutschen Soldaten eine Barriere waren.25 Da er diesem „Schreckensmann“, dessen Persönlichkeit aus den Akten heraus nicht zu ,greifen‘ ist, anders nicht beizukommen glaubte, empfahl der resignierte Bezirkschef von Omaruru: „Ich bin bei Lage der örtlichen Verhältnisse überzeugt, daß auch eine erneute Unternehmung von Seiten der Truppe ebenso ergebnislos wie die erste verlaufen wird. Es bleibt somit … als letzter Versuch nur übrig, durch Aussetzen einer hohen Belohnung die Eingeborenen zum Verrat zu bewegen.“26

Doch brachten die 500,– M Kopfgeld so wenig Erfolg, wie ein erneutes Absuchen der Berge. Immer wieder konnten einzelne Gruppen Vieh erbeuten und bedrohten und erschossen dabei Viehwächter. Anstatt, dass Vaalpert „zwar immer noch in Freiheit lebt, aber, unschädlich, in Furcht vor dem Gesetz“,27 meldete die Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung im Dezember 1901 „folgendes freches Stückchen: [Der „Räuber Blauberg“] erschien bei einer zur Eisenbahnstation Khan gehörigen Tränke, jagte die dort anwesenden Eingeborenen fort und tränkte sein Vieh. Erst nach seiner Entfernung wagten die Eingeborenen den Vorfall zu melden.“28 Maßnahmen der geschädigten Viehbesitzer halfen so wenig wie Militärstreifen, zu denen auch „mehrmals stärkere Hereropatrouillen“ hinzugezogen wurden. Die erneute Entsendung von Militär hielt das Gouvernement daher für das „unbrauchbarste Mittel“ und fragte stattdessen im Januar 1902 an, „ob die Witbooi mit einem Kommando den Vaalpeerd fangen wollen“.29 Noch aber wurde dieser Gedanke, auch aus Prestigegründen, nicht weiter verfolgt, obwohl Witbooi seit 1895 sechs Auseinandersetzungen auf Seiten der Deutschen ausgefochten hatte. Als Anfang 1903 die Viehdiebstähle aber erneut zunahmen, war sich der Bezirkshauptmann von Swakopmund, Dr. Hanemann, sicher : „Die Sache kann so nicht weitergehen, soll nicht das Ansehen der Regierung bei den Eingeborenen leiden … Weiße Reiter werden der Bande niemals habhaft werden“. Er griff daher den Gedanken, die Witboois zu engagieren, erneut auf, da sie „der Regierung ergeben sind, keine Beziehungen zu den Mitgliedern der Bande haben“ und ohne den großen Tross der Schutztruppe auskämen.30 Als auch noch die DKG wegen der „Blaubergschen Räubereien“ mehrfach bei der Kolonialabteilung vorstellig wurde, entschloss sich Gouverneur Leutwein, 25 NAN ZBU 715, F Vo 2, Bd.1, Bl. 1d, BHpt Otjimbingwe an Gouv, 20.3.00; Bl.4, Bericht: Thätigkeit vom 10.2 – 7.3.00; zu Witbooi vgl. Lau, 1995, S. 34; vgl. McCann, 1999, S. 261 f. 26 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 25, BHpt Omaruru an Gouv, 3.9.00; Gewald, 1999, S. 211. 27 NAN ZBU 148, A VI a 3, Bd.5, Bl.220, Jb Bezirk Omaruru, 1899/00, 1.7.00. 28 DSWA-Ztg, III. Jg # 28, 11. 12. 1901, S. 2; vgl. ebd, III. Jg. # 27, 4. 12. 1901, S. 2. 29 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 39, DKdo Oitjimbingwe an Gouv, 10.8.01; Bl.40, Gouv an DKdo Otjimbingwe, 17.9.01; Bl.41, Notiz, 4.1.02; Leutwein, 1908, S. 536. 30 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 54, Garnisonskdo Swakopmund an Gouv, 15.4.03; Bl. 50, BHpt Swakopmund an Gouv, 26.3.03; zu H. Witboois „campaigns“ vgl. Lau, 1995, S. 34 f.

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„Hendrik Witbooi zur Gestellung von 12 als Polizisten verwendbaren, berittenen Mannschaften zu veranlassen, … Streifzüge gegen den Räuber Blauberg zu unternehmen.“ Mit jedem der aus deutschen Beständen zu uniformierenden Witbooi-Polizisten war ein halbjährlicher Dienstverrtrag mit festen Soldzahlungen abzuschließen. Darüber hinaus wurden „für jeden lebend oder tot eingebrachten Mann der Blaubergbande 50 M vergütet, für Blauberg selbst 500 M.“31 Mit der Leitung des Unternehmens wurde der Leutnant v. Berneck beauftragt, dessen Instruktion ihm „die Vernichtung der Bande des Räubers Blauberg“ auftrug. Neben drei Schutztruppenangehörigen waren ihm zwölf Witbooi-Polizisten unter der Leitung D. Pitters an die Seite gestellt. Diese waren keine gemäß dem Vertrag mit H. Witbooi ausgebildeten „eingeborenen Soldaten“, sondern „alte Orlogsmänner“. Denn der kaptein hielt von der deutschen Militärausbildung nicht viel: „Die ausgebildeten Soldaten sind durchweg jüngere Elemente, die, wie Witbooi sich ausdrückt, so sind wie deutsche Soldaten: er meint damit, sie gingen brav auf den Feind, eigneten sich aber nicht dazu, in Schlupfwinkeln versteckte Viehdiebe aufzusuchen.“32

Auch anderen war bekannt, dass die „Hottentottenkämpfer“, die „vielfach schon im reifen Mannesalter“ standen, sich den jungen deutschen Soldaten überlegen fühlten. „Eine Bezeichnung für den deutschen Soldaten, die sich noch aus der Zeit unserer früheren Hottentottenkämpfe erhalten hat ist *!gakxaosa //gau˜.saxarob, d. h. ,das Jüngelchen‘“.33 Den „alten Witboois“ war das abzustreifende Gelände noch aus der vorkolonialen Zeit bekannt, „als Witbooi gegen Jan Jonker und die Hereros von Otyimbingwe umherzog.“ Für seine Leute bat sich H. Witbooi eine „möglichst freie Hand“ aus, die ihm gewährt wurde. Auch der mit den Verhandlungen mit H. Witbooi beauftragte Bezirkschef von Gibeon versprach sich nur von einer „irregulären Reiterei“ Erfolg.34 Deren Leistungen zollte, exotisierend genug, noch dreißig Jahre später der Bezirksamtmann a.D. Schmidt seinen Respekt: „Auf ihren kleinen zottigen Pferden festgeklemmt, durchjagten sie die weiten Steppen, sie sehen scharf wie ein Luchs und haben eine sichere Hand. Selten, daß ihre Kugel das Ziel verfehlt.“35 Ab Juli 1903 bezogen die Witbooi-Polizisten, denen ihre weißen Hüte belassen worden waren und die nur um das kaiserliche Hoheitszeichen ergänzt wurden, in Otjimbingue Quartier. Im August konnte der erste ,Erfolg‘ nach Windhoek gemeldet werden: eine Frau und zwei Männer waren festgenom31 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl.52, DKG an KolA, 18.2.03; Bl.57, Gouv an BA, 18.5.03. 32 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 65, BA Gibeon an Gouv, 22.6.03. 33 Schultze, 1907, S. 337: „das Jüngelchen aus dem fremden Ort, dessen Kleid am Hintern festgemacht ist“; zu Witbooi: Reinhard (Hg.), 1982; Witbooi, 1995; Menzel, 2000; Reeh, 2000. 34 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 59, Instruktion, 19.5.03; Bl.65, BA an Gouv, 22.6.03. 35 Schmidt, 1934, S. 157.

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men worden – angeblich „mehrfache Raubmörder und Viehdiebe“. Leutnant v. Berneck kam aber nicht umhin, sich selbst und dem Gefreiten Michalik diesen ,Erfolg‘ zuzuschreiben, während die „Witbooi-Patrouille“, wie er in seinem Bericht hervorhob, sich nur angeschlossen hätte. „Den Witboois liegt nichts an einer möglichst schnellen Erledigung der Sache, sind sie für sich, so gehen sie auf Jagd, machen trotz Verbots Abends Feuer u. a.m.“ Der Hauptmann Fiedler vom Kommando der Schutztruppe aber erkannte den gekränkten Stolz des jungen Offiziers, der „eingeborener“ Unterstützung bedurfte, um ein militärisches Problem zu lösen. Fiedler erwiderte deshalb nicht ohne Spitze, „Eingeborene … [seien] für derartige Zwecke viel verwendbarer, als nur weiße Soldaten.“36 In den darauf folgenden Wochen unternahmen die Witbooi-Polizisten getrennt von v. Berneck Patrouillen entlang des Khan-riviers, während dieser in den Bergen nach Blauberg suchte. Von Gefangengenommenen erfuhr er, „daß Blauberg mit seiner Frau ganz allein lebt und die anderen der Bande selbst nicht wissen, wo er sich immer aufhält.“ Habhaft werden konnte er seiner nicht. Die Witboois kritisierte v. Berneck scharf, sprach vom „sinnlosen Reiten“ zu großer Patrouillen und war bestrebt, die deutschen Soldaten als die ,abgehärteteren‘ darzustellen. Die in der Forschung beschriebene koloniale Konkurrenzsituation zwischen „competing masculinities“ findet sich in seinen Äußerungen in ,Reinform‘:37 „Die Pferde schwer beladen, wir Weißen begnügen uns mit der Hälfte des zustehenden Proviants für so ein paar Tage. Jagd Reiten und Abends Feuer … – Der Beweis, daß die Witbois ohne Führung eines Weißen bis jetzt nichts geleistet haben, ist erbracht. Die bis jetzt eingebrachten Gefangenen sind von Patrouillen, die von Weißen geführt worden sind, aufgegriffen.“38

Trotz aller Unzufriedenheit: Am 3. Oktober 1903 hieß es, Blauberg sei am Khan erschossen worden.39 Seine „Bande“ galt als „aufgerieben“. Ganz sicher aber war dies nicht. Erst deutsche Zeitungsberichte über jenen gefürchteten „Blauberg“ veranlassten Leutwein, der Kolonialabteilung einen Bericht über seinen Tod zukommen zu lassen, der die „Leistungsfähigkeit der Beteiligten im Aushalten von Strapazen“ und die „Gefährlichkeit des Gegners“ betonte – das „Witbooi-Kommando“ aber nur in einem Nebensatz erwähnte.40 Zu unangenehm war dem Gouverneur sowohl die Langwierigkeit des Falls als auch die Art und Weise, wie er schließlich zu Ende geführt wurde. Zu sehr erinnerte dieses Vorgehen Leutwein an seine Abhängigkeit, an die Schwäche der Kolonialherrschaft. Nicht souverän geplant und durchgeführte divide et impera36 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 73, Tlgr Berneck an Gouv, 14.8.03; Bl.74, Berneck an Gouv, 12.8.03; Bl.75, Kdr an Berneck, 25.8.03. 37 Vgl. Gandhi, 1998, S. 98; Morell, 1997, S. 174. 38 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 76 – 78, Berneck an Gouv, 17.8.03. 39 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl.84, Tlgr Berneck an KdoSchTr, 3.10.03. 40 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 144 – 46, Gouv an KolA, 19.12.03.

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Politik, sondern militärisches Unvermögen nötigten ihn zu der Einsicht, auf die mit dem Land so sehr viel besser vertrauten „Orlogsleute“ des H. Witbooi zurückkommen zu müssen.41 „Blauberg“, so er tatsächlich erschossen sein sollte, lebte in der Erinnerung der Bevölkerung am Swakop fort. Noch Jahre später, im November 1909 behauptete der Farmer J. Jansen, er hätte bei seinem Vorgehen gegen „Viehdiebe“ einen „Kaffern Kauwib genannt Blauberg … ein[ge]fangen“, dem die Ermordung von elf Ovambo zur Last gelegt wurde. Im Bezirksamt Swakopmund konnte man sich kaum mehr daran erinnern, dass auf die Ergreifung Blaubergs eine Belohnung ausgesetzt, noch weniger daran, dass er für tot erklärt worden war. Jansen und seine Tochter Kitty sowie der „Arbeiter Hendrik“ erhielten sie ausgezahlt.42 Der „alte Bergdamaravampir Vaalperd“, die „Geißel der wandernden Eingeborenen“, wer immer er war, wurde im März 1910 gehenkt.43 Dieses ausführlicher geschilderte Vorgehen gegen „Banden“ durch afrikanische Verbände war bis 1904 üblich. Als der Ratsvorsitzende von Rehoboth, kaptein Hermanus van Wyk, im Juni 1904 ein „Kommando“ gegen „Viehdiebe“ in den Hakosbergen entsenden wollte, hatte Leutwein „nichts dagegen einzuwenden.“ Allerdings sollte auch hier ein deutscher Offizier die Führung nominell übernehmen, um dem „Unternehmen den Charakter eines Regierungsunternehmens“ zu geben und „Übergriffe … der Baster zu verhindern“.44 Die Aufrechterhaltung von „Sicherheit und Ordnung“ war unter Leutwein erst zu einem geringen Grade in den Händen der Kolonialverwaltung monopolisiert. Aus dieser Einsicht rührte sein Insistieren auf die Anwesenheit des Offiziers, dessen Uniform zumindest symbolisch den Kolonialstaat mit einer vorkolonialen Sicherheits- und „(Herrschafts-)Institution“, dem komando,45 in Verbindung brachte.

2.2. Die „Polizeidiener“ in der „Landespolizei“ Nach den Kriegen und mit der Etablierung der Landespolizei, der die Aufrechterhaltung der „Sicherheit und Ordnung“ innerhalb der Polizeizone aufgegeben war, wurde dieses eigenständige Vorgehen afrikanischer Mannschaften in DSWA (vorläufig) für nicht mehr opportun gehalten. Afrikanern war der Waffenbesitz untersagt. Das Misstrauen gegen sie war so stark, dass 41 Diesen herrschaftspraktischen Aspekt übersieht Steinmetz, 2002, S. 162, der Leutweins wohlwollendes Verhalten Witbooi gegenüber aus klassen-psychologischen Erwägungen heraus erklärt. Leutwein war sich seiner Schwäche bewusst; er bedurfte Witboois Hilfe nicht nur bei „Aufständen“, sondern auch für die alltägliche ,Polizierung‘, Leutwein, 1908, S. 536. 42 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl.211, BA Swakopmund an Jansen, 2.12.09. 43 DSWA-Ztg. 12 Jg. # 22, 16. 3. 1910, S. 1; Reiner, 1924, S. 139 – 143. 44 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl.152, Gouv an DA Rehoboth, 5.7.04; vgl. Britz u. a., 1999. 45 Zum komando als „(Herrschafts-)Institution“ Henrichsen, 1997, S. 350; Lau, 1987.

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selbst den bei der Schutztruppe beschäftigen Afrikanern seit Juni 1910 aus Sicherheitsgründen keine Schusswaffen mehr ausgehändigt werden durften.46 Ausnahmen waren für die „eingeborenen Polizisten“ angängig, die nun den aus dem 18. Jahrhundert stammenden Namen „Polizeidiener“, auf Otjiherero „omupolise“,47 erhielten. Dem Reichstag gegenüber hieß es: „Die Einrichtung der eingeborenen Polizisten, die früher mangels genügender weißer Polizeimannschaften verwandt werden mussten, hat sich nicht bewährt. In Zukunft sollen nur eingeborene Polizeidiener angestellt werden, die den Boten und Führerdienst bei Patrouillenritten sowie die Beaufsichtigung der eingeborenen Gefangenen bei der Arbeit zu übernehmen haben.“48

Die Auffassung, dass die „eingeborenen Polizisten“ sich nicht bewährt hätten, bleibt mit Blick auf die Beurteilungen aus der Zeit vor den Kriegen unverständlich. Doch mögen es gerade die Erfolge der afrikanischen Truppe gewesen sein, die flexibel verstärkt, entlohnt und ausgerüstet werden konnte, die ihr zum Nachteil gereichten: Nach 1907 sollte die Kontrolle und Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit vollständig in deutscher Hand liegen. Doch war es nur eine Frage der Zeit, bis die koloniale Polizeipraxis das Vergebliche dieses Vorhabens vor Augen führte. Auch ohne die Polizeidiener ,ging nichts‘. Die summarische Feststellung in der Forschung, die (1907) 200 Polizeidiener, 150 Hilfskräfte; (1914) 370 Polizeidiener und 122 Hilfskräfte der Landespolizei hätten „keine Gewehre oder Revolver“ besessen und wären „nur mit untergeordneten Hilfsaufgaben betraut“ gewesen, folgt daher allzu sehr den offiziellen Verlautbarungen und übersieht die den Polizeidienern übertragene Aufgabenfülle.49 Zwar erinnerte O. Hintrager die Ämter 1907 daran, dass „eingeborene Polizisten … nur in ganz dringenden Ausnahmefällen Feuerwaffen führen dürfen“, doch ließ sich dies nicht aufrecht erhalten.50 Denn die Polizeidiener wurden uniformiert und regelmäßig mit dem Gewehr M 71 bewaffnet, das Inspekteur v. Heydebreck zwar für „minderwertig“51 hielt (vor den Kriegen wurden „eingeborenen Polizisten“ auch mit dem hochwertigeren Karabiner M 88 bewaffnet)52 – häufig aber kam es allein auf das Erscheinungsbild einer bewaffneten Macht an. Heydebreck stellte nach einer Inspektion der Stationen im Süden Ende 1909 gleichwohl fest, „dass die Bekleidung der Eingeborenen-

46 47 48 49 50 51

Zur Auflockerung des Verbots: BAB R 1001/2185, Bl.129, KdrSchTr an RKA, 20.11.11. Irle, 1917, S. 261. SBRT, Bd.242 (1907), Anlage Nr. 397 Beilage I, S. 28 – 30: „Denkschrift, Landespolizei“. Kaulich, 2001, S. 165; ähnlich Morlang, 2008, S. 67. NAN ZBU 810, G VI f 1, Bl.21, Gouv an alle BA+DA, 3.7.07. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.5, Bl.102, Bericht über die Okavango-Expedition, 20.11.11. Für PolD sollten 150 Stück Munition bereit gehalten werden (NAN DAR 32, U.A. 4/2, 13. Beritt, Hasuur an ILP, 23.9.12); zu kolonialer Waffentechnik vgl. Klein-Arendt, 1995; 2003a. 52 NAN BKE 199, B II 66 a, Bd.1, Bl.75, Hpt Fromm an Dr. Golinelli, 28.11.97.

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Polizeidiener auf den Aussenstationen mehr als schlecht sei“.53 Auch später noch war deren „Bekleidung und Ausrüstung wenig gut“.54 Eine Infantilisierung der Polizeidiener durch ihre Dienstkleidung, wie sie in Südafrika durch die verhassten „shorts“ symbolisiert wurde, fand nicht statt.55 Teils waren sie auf Pferden, im Zuge des „reduzierten Etats“ ab 1912 oft nur noch auf den weniger teuren (und weniger prestigereichen) Maultieren beritten.56 Die Rekrutierung und Ausbildung der Polizeidiener Im Gegensatz zu ihren deutschen Vorgesetzten mussten die Polizeidiener nicht zuvor beim Militär gedient haben. Nur zwei der Keetmanshooper Polizeidiener etwa waren vorher bei der Schutztruppe eingesetzt.57 Für ihr Vorleben interessierten sich die Vorgesetzten nicht sonderlich. Als aber während der Verhandlungen des Landesrats, einer Art Siedlerparlament, im November 1913 der Vorwurf erhoben wurde, „daß man den Ämtern zur Bestrafung zugeführte Eingeborene Verbrecher nach einigen Monaten bei den betr. Ämtern … als eingeborene Polizeidiener wieder finden könnte“, ging das Gouvernement in einer Umfrage unter den Ämtern dem Vorwurf nach. Doch zeigten die Antworten, wie unzutreffend jene ,Beobachtung‘ war : von 370 Polizeidienern waren 24 verurteilt, bei sieben Ämtern hatte kein Polizeidiener eine Strafe erlitten. Amtschef Böhmer, der im Bezirk Lüderitzbucht sechs (meist vor Jahren) Verurteilte beschäftigte, beeilte sich anzufügen, „dass die in Frage stehenden Polizeidiener sich seit ihrer Einstellung in jeder Weise tadellos führen.“ Sein Kollege v. Zastrow bestrafte Polizeidiener „nicht mit Gefängnis. Lassen sie sich etwas zu schulden kommen, was mit Gefängnis bestraft werden muss, werden sie sofort entlassen.“58 Dass in DSWA die Polizeidiener aus „Fremden“, „Entwurzelten“, „Unterdrückten und Verarmten“ rekrutiert wurden, wie dies für die „Polizeitruppe“ in Togo kolportiert wird, lässt sich nicht feststellen.59 Andere Kolonialmächte vertrauten vorrangig auf militärisch geprägte Charaktere. D. Killingray beschreibt für die britischen Kolonien Afrikas den „typischen schwarzen“ Polizisten als einen ehemaligen Soldaten, der nicht schreiben konnte und nicht aus dem Gebiet stammte, für das er zuständig war.60 Eine strenge ,ethnische‘ Trennung zwischen Polizeidienern und der von ihnen überwachten afrikanischen Bevölkerung war in DSWA dagegen weder 53 54 55 56 57 58 59 60

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BAB R 1002/2718, ILP an BA Windhuk, 29.1.10. BAB R 1002/2718, ILP an Olt Müller, 18.8.10. Shear, 2003, S. 117: „People look upon [the African policeman] as though he were a boy.“ NAN LPO 4, O I c 25, Bl. 37, Ausrüstung,~6/10; NAN BWI 155, L 2 b, Bd.2, ILP an BA Windhuk, 26.2.11; NAN BWI 160, L 2 l, Bl.11, ILP an BA Windhuk, 12.2.12. NAN BKE 199, B II 66 b, Bl.99, Verzeichnis Eingeb.-Polizisten im Bez. K’hoop, 25.7.07. BAB R 1002/2594, Bl.3, Gouv an alle BA, 29.12.13; ebd, Bl.5, BA L’buch an Gouv, 17.1.14; Bl.31. BA Grootfontein an Gouv, 11.5.14. Vgl. Trotha, 1994, S. 44; zu Nigeria Mbaku/Kimenyi, 2005, S. 174. Killingray, 1997, S. 171; Shear, 2003, S. 114 f.

angestrebt noch praktikabel. Das Personal eines Bezirks wurde aus den umliegenden Siedlungen rekrutiert. Ein Wachtmeister erläuterte einem Interessierten: „[B]ei der Polizei können wir nur tüchtige Eingeborene gebrauchen, die vor allen Dingen auch reiten und die hiesigen Sprachen sprechen können.“ Die Verständigungsmöglichkeit mit der afrikanischen Bevölkerung war ein Einstellungskriterium.61 Die Verbesserung der Kommunikation mit Afrikanern war eine der Hauptaufgaben der Polizeidiener ; taten sich ihre Vorgesetzten doch mit dem Erlernen des Otjiherero oder anderer afrikanischer Sprachen schwer.62 So mussten die Polizeidiener über ein Mindestmaß an Deutschkenntnissen verfügen. Wie ihre Unterschriften unter den Vernehmungsprotokollen zeigen, waren sie nicht selten des Schreibens kundig und erwiesen sich damit meist als Schüler der Missionsschulen.63 Doch genügte dies nicht immer. In Windhoek erteilte der Pfarrer Anz dreimal wöchentlich zwanzig „eingeborenen Soldaten und Polizisten“ Deutschunterricht.64 Sein Nachfolger Hammer unterrichtete afrikanische „Polizisten …, für die die Kenntnis des Lesens und Schreibens wichtig ist.“65 Im Gegensatz zur südafrikanischen Polizei, wo Vorgesetzte den „kraal native“ und hiervon wiederum „den Zulu“ als Hilfspolizisten bevorzugten („You cannot teach that class of man to read and write.“),66 wurden in DSWA diese Bestrebungen systematisiert: Die Missionsstationen bildeten gezielt Jungen als Dolmetscher aus, die „nach der Ausbildung als Polizeidiener angestellt werden [sollen]. Die dolmetschenden Eingeborenen sollen dann auf die wichtigsten Polizeistationen verteilt werden.“67 Für die Missionare konnte sich der „Zweck des Deutschunterrichts“ darauf beschränken, „den Kindern die nötigen Kenntnisse für ihr späteres Dienstverhältnis“ zu geben.68 Mit Christianisierungsbestrebungen ließ sich dies verbinden: Auf dem „Hauptdepot“ Kupferberg bei Windhoek lebte „eine größere Anzahl von Eingeborenen“. Depotchef Müller gab einem getauften Polizeidiener „den Auftrag …, den Leuten am Sonntag aus dem Testament etwas vorzulesen.“69

61 BAB R 1002/2465, Bl.4, Erklärung PW Ehrlich an Gouv, 16.12.09. Die auf der Polizeistation Kuring-Kuru am Kavango tätigen „Kameruner Meuterer“ waren eine Ausnahme (Kap. 5.3.2). 62 NAN ZBU 249, B I qu 1, Bl.18, RKA an Gouv, 12.4.13; Bl.19, Gouv an RKA, 14.6.13. StS Solf machte es den Kolonialbeamten zur Pflicht, „sich die Eingeborenensprachen nach Möglichkeit anzueignen“. Doch kamen nur wenige der Aufforderung nach. 63 AELCRN, C I 1.10, Bl.262, Beilagen zum Konferenz-Protokoll: T. Zwartbooi an Missionar Böhm, 25.4.88 (Zwartbooi hatte in Walvis Bay 20 Schüler); zur frühen Mission: Dedering, 1997. 64 AELCRN, C I 1.40, Bl.72, Miss. Wandres: Jb Station Windhoek, 13.4.01; Anz, 1913, S. 6. 65 ADELK, 27, Pfr Hammer an BA Windhuk (Jb), 31.3.09; Schmidt, 2008, S. 327 – 30. 66 Zit. in: Shear, 2003, S. 114; vgl. Steinbach, 2005, S. 149 f.; Parsons, 1999, S. 54. 67 NAN ZBU 249, B I qu 4, Bl. 3, DA Bethanien an Gouv, 28.11.11; Krüger, 2004, S. 241 – 258; Vries, 1978; zur militär. Verwendung der Missionsschüler in DOA: Becher, 2001, S. 213. 68 AELCRN, C I 1.25, Bl.245, Protokoll der Missionars-Konferenz des Hererolandes, 2.5.09. 69 AELCRN, C II.1.13, Notwendigkeit eines zweiten namasprechenden Missionars, 1908.

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Polizeidiener als Dolmetscher Trotz dieser Ausbildungsversuche hatten die Ämter „keine besonderen Dolmetscher“, wie O. Hintrager 1911 und Gouverneur Seitz noch einmal 1913 missbilligend feststellten.70 Stattdessen halfen diese sich damit, „von Fall zu Fall irgend einen Eingeborenen zu ziehen, in der Mehrzahl anscheinend eingeborene Polizeidiener, die dadurch ihrem eigentlichen Dienste … entzogen werden.“71 „Alfred“ etwa, der in Omaruru zunächst als „Eingeborenen-Soldat“, später als „Polizeisoldat“ angestellt war, dolmetschte über Jahre hinweg die Vernehmungen von Ovaherero.72 Bevorzugt wurden Polizeidiener für Ermittlungen gegen Afrikaner eingesetzt. Eine andere Möglichkeit bestand für die Beamten meist nicht, da sie selbst nur über unzureichende Sprachkenntnisse verfügten. Dabei ging es mitunter gewalttätig zu. So beschwerte sich der Angestellte eines britischen Staatsangehörigen in Tsau bei den Behörden des Betschuanalands über eine deutsche Patrouille in Rietfontein. Nachdem er über den Verbleib einiger „Damaras“ befragt wurde und keine Antwort geben konnte, „one of the Native Policemen … struck me with his fist but was stopped by the Officer from doing further harm.“73 Die Dolmetscher waren von nicht zu unterschätzender Bedeutung im kolonialen Alltag. Sie waren die Mittler, die halfen „to transform colonial posts, courtrooms, and palavers into sites of struggles, debates, communication – and miscommunication. … They negotiated different worldviews and beliefs and often incompatible notions of causality, gouvernance, authority and responsibility.“74 Nicht alle, aber doch einige Beamte waren sich dieser Rolle ihrer Dolmetscher/Polizeidiener bewusst und behandelten sie deshalb mit größerer Rücksicht. Als Inspekteur Bethe den Polizeidiener Josephat aus der Grootfonteiner Polizei entlassen wollte, da er nicht im „Polizeidienst“, sondern als Dolmetscher verwandt wurde, wandte sich der Bezirkschef v. Zastrow vehement dagegen, dass „einer der am längsten im Dienst befindlichen Eingeborenen … zu einem Arbeiter degradiert werden soll.“ Für den Fall aber, dass dies nicht zu vermeiden sei, sollte dies in einer Art vonstattengehen, „dass er nichts davon merkt.“ „Er ist der Vormann der hiesigen Werft, hat bisher treu gedient, ist Inhaber eines Ehrenzeichens aus dem Kriege und würde es, da die Polizeidiener ganz zweifellos unter den Eingeborenen eine angesehene Stellung einnehmen, als ungerechtfertigte Zurücksetzung empfinden, wenn er seines Amtes verlustig ginge. Er müsste also weiter Polizeiuniform und seinen Lohn von 40 Mark bekommen. Die fehlenden Mittel müßten anderweitig aufgebracht werden.“ 70 71 72 73 74

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NAN BSW 73, E 1 a 1, Gouv an BA S’mund, 30.6.11; vgl. Sundermeier, 1962, S. 191. NAN ZBU 249, B I qu 3, Bl. 9, RVerf Gouv an alle BA und DA, 19.12.13. NAN BOM 52, K I g, Bl.1, Vernehmung 15.3.04; Bl.60, Vernehmung, 25.6.06. BAB R 1001/2190, Bl.76, Aussage, 5.4.07; Bl.147, Gouv an RKA, 5.5.08; Stoecker, 2002. Osborn, 2003, S. 33 f.; vgl. Lawrance u. a., 2006, S. 10 f.; Worger, 2001, S. 417.

Einen Affront gegenüber den afrikanischen Einwohnern Grootfonteins wollte v. Zastrow nicht riskieren. Ebenso wenig wie er konnte das Gouvernement verstehen, warum das Dolmetschen nicht zum Polizeidienst gehören sollte, schließlich waren „ohne Dolmetscher Vernehmungen, die doch zum Polizeidienst gehören, unmöglich“. Inspekteur Bethe aber war der Ansicht, Josephat, der wegen eines Herzfehlers zu keinen anderen Diensten mehr herangezogen werden konnte, wäre, nur als Dolmetscher verwandt, zu teuer, zumal er der „höchstbezahlte Polizeidiener“ des Bezirks war. Er stellte es dem Bezirksamt frei, ihn „aus eigenen Mitteln zu bezahlen, damit er der Landespolizei nicht nutzlos zur Last fällt.“ Der Gouverneur entschied jedoch, dass das „Dolmetschen zum Polizeidienst gehört. Die Dolmetscherfrage liegt bei allen Ämtern so im Argen, daß ich es nicht verantworten kann, einen guten Dolmetscher einem Amt zu nehmen.“75 Der Personalmangel an Polizeidienern Nicht nur mit Josephat zeigte sich Inspekteur Bethe unzufrieden. Er bezeichnete das „schwarze Personal“ der Polizei als „durchaus unzureichend …, der Mangel an Eingeborenen erschwert den Dienstbetrieb ungemein“.76 Auf einer Polizeistation waren zwei bis vier Polizeidiener und ihre Ehefrauen, gegebenenfalls noch „Arbeiter“ stationiert, die dort verpflegt und mitunter mit Medikamenten versehen wurden.77 Sie lebten mit ihren Familien auf und in der Nähe der Station. In Keetmanshoop hatten 1899 die „weißen Polizeisoldaten“ eine „gute Unterkunft“ erhalten und im Folgejahr ihre afrikanischen Untergebenen „eine große Anzahl kleiner Zimmer beim Viehkraal …, so daß dieselben teilweise mit ihren Familien, statt im elenden Pontok zu hausen, einen vernünftigen Wohnort haben.“78 Die Frauen kümmerten sich unter anderem um den Kleinviehbestand der Station sowie den ihrer Familie. Ihnen oblag oft die Versorgung der Stationsbesatzung.79 Der Inspekteur schätzte den „Ersatz für die Inspektion an geeigneten Leuten bei den schlechten Eingeborenen-Verhältnissen hier in Windhuk [als] sehr schwer“ ein.80 Ihre Einstellung erfolgte durch die Bezirksämter und nicht bei der Inspektion. Dies war aber, so der Inspekteur, „lediglich ein Notbehelf, weil bei der erst seit wenigen Jahren bestehenden Landespolizei weder die Inspektion noch die Inspektionsoffiziere in der Lage waren, soviel

75 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.46, BA Gr’tein an Gouv, 22.9.13; Bl.47, Gouv an ILP, 21.10.13; Bl.50, ILP an Gouv, 7.11. 13; Bl.54, Gouv an ILP, 4.1.14; Bl.57, Notiz Ref. 8. 76 NAN ZBU 159, A VI a 3 , Bd.24, Bl.33, Jahresbericht der Landespolizei 1910/11,12.6.11. 77 Vgl. NAN BOM 53, 30, DA Omaruru an PolSt Otjosondu, 2.10.12; NAN BWI 438, Sanitätsmaterial, PolSt Seeis, 1.4.13. 78 NAN ZBU 148, A VI a 3, Bd.5, Bl.353, Ärztlicher Jb Lazarett K’hoop, 1899/00, 12.7.00. 79 NAN DAR 32, U.A. 4/2, Verhandlung PolD Gert, Dawignab, 20.10.13. 80 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.59, ILP an BA Keetmanshoop, 22.7.13.

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ausgesuchte Eingeborene anzuwerben, daß sie auch die Stationen mit zuverlässigen Leuten hätten besetzen können.“

Die Inspektion wollte diese Aufgabe mit der Zeit selbst übernehmen, „erprobte Arbeiter in Polizeidienerstellen“ aufrücken lassen und „besonders ausgebildete jüngere Eingeborene“ einstellen.81 Da – nach eigener Aussage – kaum eine Dienststelle mit einer ausreichenden Anzahl von Polizeidienern oder Arbeitern versehen war, wandten sie sich regelmäßig an Inspektion und Gouvernement, um zusätzliches Personal zu beantragen. So klagte das „Eingeborenenkommissariat“ Warmbad im April 1913, einzelne Sergeanten müssten „auf ihren Patrouillenritten, welche sie oft tagelang von der Station fern halten, ohne Begleitung eines Polizeidieners reiten.“ Weil Patrouillen aber nicht allein geritten werden durften, begleitete ein auf eigene Kosten „gedungene[r] Eingeborene[r] auf dem Pferde eines anderen Beamten“ den Beamten – was wiederum nicht den Vorschriften entsprach.82 Auch das Bezirksamt Windhoek erbat 1913 zwei weitere Polizeidienerstellen, denn „die vorhandene Zahl der [24] Polizeidiener [reicht] nicht mehr aus.“ Sie waren auf den Polizeistationen, beim „Eingeborenen-Kommissariat“, im „Eingeborenen-Gefängnis“, bei der Kriminalpolizei und im Bezirksamtsbüro beschäftigt, begleiteten Bezirkschef Todt oder Berittführer auf Dienstreisen und dienten als „Eilreiter“. Dem Gouvernement blieb jedoch nur, das Amt auf das folgende Jahr zu vertrösten.83 Wie in fast allen Polizeiangelegenheiten gerieten die Inspektion und die Bezirksämter auch bei den Personalia der Polizeidiener aneinander. Bezirksamtmann v. Zastrow etwa beklagte sich beim Gouvernement darüber, dass die Inspektion ohne weiteres zwei Polizeidienerstellen streiche und die übrigen nach eigenem Gutdünken im Bezirk verteile. Während es an Polizeidienern mangele, sei die Zahl der Sergeanten „zu gross. Aber an Stelle, dass diese vermindert werden, sind sie sogar um einen vermehrt worden.“84 Nach einer Auseinandersetzung zwischen einem Wachtmeister und seinem Distriktschef über die Versetzung der Polizeidiener bestimmte das Gouvernement, dass die Zahl der den einzelnen Polizeistationen zuzuteilenden Polizeidiener von den Inspektionsoffizieren „im Rahmen der verfügbaren Mittel“ im Einvernehmen mit den Amtsvorständen festgesetzt wurde. Auch waren sie, im Einvernehmen mit den Amtschefs, befugt, Polizeidiener zu versetzen. In strittigen Fällen entschied der Gouverneur.85 Die Inspektion nahm diesen Bestimmungen gegenüber jedoch eine unwillige Haltung ein. Es bedurfte 81 82 83 84 85

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NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.28, ILP an Gouv, 27.12.12. NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.30, EK Warmbad an Gouv, 30.4.13; Bl.32, Gouv an EK, 19.6.13. NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.38, BA Windhuk an Gouv, 23.10.13; Bl.40, Vermerk, 7.12.13. NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.9, BA Grootfontein an Gouv, 5.10. 12. NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.15, Gouv an BA Grootfontein, 28.12. 12 mit Bezug auf NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Gouv an BA Windhuk, 23.6.09. Vgl. zum Streit zwischen Distriktschef Seydel und WM Eggersglüß NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.1 – 40.

mehrerer Auseinandersetzungen zwischen den Ämtern, der Inspektion und dem Gouvernement, bis eine Klärung eingetreten war. Als etwa Inspekteur Bethe den Polizeidiener Dixon von Keetmanshoop nach Windhoek versetzen wollte, dieser aber der Versetzung nicht zustimmte und auch der Bezirkschef v. Hiller sich „ohne sein Einverständnis“ dazu nicht in der Lage sah, da der Vertrag zwischen Dixon und dem Bezirksamt und also nur für den Bezirk abgeschlossen wurde, betonte Bethe: „Die sämtlichen Polizeidiener unterstehen der Inspektion der Landespolizei; von welcher Stelle aus sie den Ämtern überwiesen werden“. Deshalb stünde der Inspektion „jederzeit das Versetzungsrecht“ zu. Das Gouvernement jedoch widersprach dieser Auffassung und hob hervor, dass ohne das Einvernehmen mit den Ämtern weder dem Inspekteur noch den Inspektionsoffizieren ein Versetzungsrecht zustand.86 Auch Polizeistationen waren berechtigt, Polizeidiener vertraglich für ihr vorgesetztes Amt anzustellen. Nach den Verträgen stand den so Angestellten ein Kündigungsrecht zu, von dem sie Gebrauch machten, wenn auch Polizeidiener in der Regel über mehrere Jahre angestellt blieben. Der Distriktschef von Aroab machte es im Oktober 1913 seinen Polizeibeamten zur Pflicht, „die Diener so lange wie möglich zu halten, denn in keinem Distrikte bezw. Bezirke ist der Wechsel unter den Dienern so gross wie in dem hiesigen. Möglichst lange Arbeitsverträge ist Grundprinzip hierzu“.87 Die Versorgung der Polizeidiener Zugleich konnten Polizeidiener jederzeit entlassen werden, falls ihre Stellen eingespart wurden oder individuelle Gründe vorlagen. Ein Referent in der Inspektion gab in einem solchen Fall immerhin die Möglichkeit zu bedenken: „Vielleicht … die zu entlassenden Eingeborenen … in offene Stellen benachbarter Bezirks – pp Ämter einzustellen.“88 Trotz oder gerade wegen ihrer meist fortgeschrittenen Deutschkenntnisse hatten ehemalige Polizeidiener bei Farmern keine besseren Aussichten auf Anstellung. Sie galten als „das denkbar ungeeignetste Arbeitermaterial …, denn ihre Ansprüche stehen zu der Arbeitsleistung, die der Farmer von ihnen verlangen muß, in diametralem Gegensatz.“89 Die Familien der Polizeidiener konnten, wenn diese während des Dienstes gefallen waren, eine „Entschädigung für den Verlust des Ernährers“ erhalten.90 Die Versorgung von dienstunfähig gewordenen Polizeidienern oder Arbeitern war nicht generell geregelt, weshalb in solchen Fällen Nachfragen beim Gouvernement nötig wurden. So kehrte der seit 1909 beim Depot Waterberg beschäftigte Arbeiter Jan nach einer Reise mit dem „Eingeborenenkommis86 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.59, Protokoll. Dixon, 10.7.13; ILP an BA K’hoop, 22.7.13; Bl.61, Gouv an ILP, 7.12.13. 87 NAN DAR 32, U.A. 4/3, DA Aroab an die PolStationen, 28.10.13. 88 NAN LPO 4, O I c 21, Bl.11, ILP an OffzP Waterberg, 23.4.12. 89 Lüderitzbuchter Zeitung, 4. Jg # 49, 7. 12. 1912, S. 1; aA Gann/Duignan, 1977, S. 127. 90 Vgl. NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 215, Gouv an BA Swakopmund, 25.4.10.

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sar“ Tönjes in das Ovamboland im Oktober 1912 schwerkrank zurück. Er war gelähmt „(sogenannte Ovambokrankheit)“ und befand sich, wie es hieß, „wenn sein Geld aufgezehrt ist, in bitterster Not“. In solchen Fällen oblag es nach einem ärztlichen Attest über die Unheilbarkeit dem Gouvernement zu entscheiden, ob er als „unterstützungsbedürftiger Eingeborener“ eingestuft und fortan von der Verwaltung verpflegt wurde.91 Zwar hatte das Gouvernement eine Armenversorgung für arbeitsunfähige Afrikanerinnen und Afrikaner eingerichtet, doch für die Altersversorgung der Polizeidiener wurde wiederholt eine gesonderte Regelung eingefordert. Auf eine Anfrage des Gouvernements über etwaige „Missstimmungen unter den Eingeborenen“ 1913 konnte Bezirksamtmann v. Zastrow zwar nichts Bestimmtes berichten, empfahl aber die Wiederzulassung des Haltens von Großvieh und mahnte, wie sein Amtskollege Görgens aus Omaruru, eine „Regelung der Alters- und Invalidenversorgung“ an: „Ferner dürfen nicht solche verfehlten Massnahmen durchgeführt werden, wie sie die Inspektion der Landespolizei verlangte, dass verdiente und erprobte Polizeidiener [wie Josephat, s. o.] entlassen werden sollen, weil sie nicht mehr ganz so viel leisten können als wie sie noch jünger waren. Der Einfluss, den diese Leute haben, kann nicht überschätzt werden, und diese verbittern heisst, das ganze Volk verbittern.“92

Wenn der Historiker M. Echenberg in seiner Geschichte der Tirailleurs Sngalais abschließend die Vernachlässigung und Undankbarkeit der französischen Verwaltung gegenüber jenen hervorhebt, die für Frankreich in zwei Weltkriegen gekämpft hatten,93 so lässt sich – wenn auch der hier dargestellte Zeitraum sehr viel kürzer ist als die einhundertjährige Geschichte der Tirailleurs – doch konstatieren, dass auch die deutsche Kolonialverwaltung dabei war, jenen Weg einzuschlagen, Afrikaner in kolonialer Uniform, nachdem sie ,verbraucht‘ waren, unmissverständlich wieder in jene Ordnung einzureihen, in der sie für einige Jahre eine privilegierte Sonderstellung94 eingenommen hatten. Weder Dank für ihre unverzichtbaren Leistungen noch Entschädigungen hatten sie zu erwarten. Die Verdienstmöglichkeiten der aktiven Polizeidiener waren für Afrikaner relativ gut – und ermöglichten dem Kolonialstaat Einsparungen bei der Polizeiarbeit. Sie erhielten bei freier Verpflegung 1910 monatlich zwischen 25,– und 40,– M (ein Zehntel ihrer deutschen Vorgesetzten); die bei der Landespolizei beschäftigten Arbeiter wurden mit etwa 15,– bis 25,– M monatlich entlohnt.95 („Der gewöhnliche weiße Arbeiter“ verdiente bereits 1897 in 91 NAN ZBU 750, G I e 2, Bl. 2, OffzP I an ILP, 5.11.12; Bl.3, Gouv an OffzP I, 24.11.12. 92 NAN ZBU 2365, Geheimakten -VII m, Bl.14, BA Omaruru an Gouv, 27.5.13; Bl.21, BA Grootfontein an Gouv, 16.6.13. 93 Vgl. Echenberg, 1991, S. 165; Cohen, 1968; für das brit. Ostafrika Parsons, 1999, S. 228 f. 94 Liauzu, 2004, S. 109. 95 NAN LPO 4, O I c 25, Bl. 19, Gebührnisse, 2.6.10; Bl.29, Verpflichtungserklärg., 17.6.10.

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Keetmanshoop „pro Tag 12 bis 15 Mark.“96) Später variierten die Löhne der Polizeidiener stärker. Während ein als Dolmetscher im Bezirksamt Lüderitzbucht eingesetzter Polizeidiener 1913 70,– M monatlich erhielt, bekam sein Kollege auf der Station Elisabethbucht nur 30,– M.97 Inspekteur Bethe äußerte sich unzufrieden über diese Entlohnung: „Die ausgeworfenen Besoldungssätze stehen im Süden in keinerlei Verhältnis zu den erheblich höheren Lohnsätzen, welche die Eingeborenen in den Minenbetrieben und von Privaten erhalten. Der Ersatz an geeigneten Leuten für die Landespolizei wird hierdurch außerordentlich erschwert, auch sind Kündigungen sehr häufig, da die brauchbaren Leute in den großen Diamantbetrieben bei leichterem Dienst bedeutend mehr verdienen können.“98

Schon 1900 wusste Oberleutnant v. Erckert, dass der „lästigen Konkurrenz“ der besser zahlenden Privatarbeitgeber nur „durch Erhöhung von Lohn und Kost zu begegnen ist, wenn der Grundsatz ,das Beste für die Regierung’ durchgeführt bleiben soll.“99 Als die „Leutenot“ aller Arbeitgeber größer wurde, kamen Beschwerden auf, die Polizei würde Kräfte abwerben. Der Farmer v. Dewitz klagte dem Gouvernement, er hätte unter einer „empörenden Abspenstigmachung von Arbeitskräften“ zu leiden. Angeblich hätte der Wachtmeister Ehrlich, was dieser bestritt, in Okahandja seinen Arbeiter „Baster Petrus“ als Polizeidiener abgeworben: „Wir Farmer leiden wie bekannt unter erheblichem Arbeitermangel und anstatt daß die Polizei dem abzusteuern sucht, lockt sie den Jungen aus seinem Dienstverhältnis.“100 Völlig unbegründet kann diese Wahrnehmung der Arbeitgeber nicht gewesen sein. Gouverneur v. Schuckmann hatte auf einer Reise 1908 „den Eindruck gewonnen, dass die Zahl der den einzelnen Dienststellen überwiesenen eingeborenen Arbeitskräfte nicht allenthalben durch das Bedürfnis gerechtfertigt ist.“ Um einerseits mehr Arbeitskräfte für die Wirtschaft freizustellen und andererseits Mittel einzusparen, wurden die Dienststellen von ihm aufgefordert, die „Zahl der schwarzen Hilfskräfte“ zu vermindern.101 Allerdings handelte es sich dabei nicht um Polizeidiener, sondern um oft minderjährige „Hilfskräfte“, Bambusen genannt, die sich auf amtliche oder private Kosten nicht nur jeder Offizier, sondern noch fast jeder einfache Reiter als persönliche Diener verschaffte, um damit seine afrikanischen Erfahrungen als ,Kolonialherr‘ zu vervollständigen. Auch einem Besucher aus Deutschland war ein regelrechtes „Bambusenunwesen“ aufgefallen.102 Der Bezirksamtmann von 96 NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.2a, Bl.274, Jahresbericht des Südbezirks, 17.7.97. 97 NAN ZBU 750, G I e 2, Bl.6, ILP an Gouv, 23.10.12; Bl.7, Übersicht Arbeiter und PolD in Lüderitzbucht; vgl Osborn, 2003, S. 41 FN 47; Liauzu, 2004, S. 108 f. 98 NAN ZBU 159, A VI a 3 , Bd.24, Bl.33, Jb der Landespolizei 1910/11,12.6.11. 99 NAN ZBU 148, A VI a 3, Bd.5, Bl.221, Jb des Bezirks Omaruru, 1899/00, 1.7.00. 100 BAB R 1002/2465, Bl.1, v. Dewitz an Gouv, 30.11.09. 101 NAN GLU 313, Gen F III, Bd.1, Bl.177, Gouv an BG Lüderitzbucht, 1.9. 08. 102 Henrichsen, 2004, S. 173 – 180; Bongard, 1909, S. 92.

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Grootfontein, v. Zastrow, lästerte, nachdem seinem Bezirk zwei Polizeidienerstellen gekürzt wurden: „Wenn die Zahl der Polizeidiener in anderen Bezirken vermehrt werden soll, könnten ja die Inspektion und die Offiziersposten Jungens abgeben, denn wenn die Offiziere immer mit 4 und mehr Eingeborenen reisen können, ist es klar, dass dort mehr als genug sind.“103

Es war nach Jahren persönlicher Dienerschaft möglich, vom Bambusen zum „eingeborenen Soldaten“ oder Polizeidiener aufzusteigen. Auf eine Unterscheidung legten die Männer Wert: Einem Sergeanten, der seinen Untergebenen mit den Worten anfuhr : „Halt die Fresse, Pavian“, hielt dieser, seit 1896 bei der Polizei beschäftigt, entgegen: „,Sergeant, ich bin kein Bambuse, ich bin Polizeidiener.‘ Ich sagte dies, weil Sergeant Benz ohne Grund mich mit den oben angegebenen Worten beschimpft hatte … in Gegenwart aller Strafgefangenen, die mir gehorchen müssen.“104 Von Vorteil war ein ,Aufstieg‘ innerhalb dieser afrikanisch-deutschen Hierarchie für beide Seiten. Die Kinder hatten mit den Jahren in ihrem militärischen Umfeld Deutsch und die dortigen Gepflogenheiten kennen gelernt. Im Vergleich zu sonstigen afrikanischen Arbeitskräften erfreuten sich „eingeborene Soldaten“ und Polizeidiener einer sichereren Versorgung und „relativ hoher Löhne“.105 So berichtete im Gegensatz zum Inspekteur Bethe auch das Gouvernement 1912, es seien „öfter Klagen von Seiten der Bevölkerung über zu hohe Löhne der amtlichen Eingeborenen laut geworden.“ Lohnerhöhungen wurden nur noch selten genehmigt, da es im „allgemeinen wirtschaftlichen Interesse … erwünscht [war,] die Löhne der Eingeborenen möglichst niedrig zu halten.“106 Dieses Ziel wurde erreicht; wobei die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern auffallen. Während Berufe wie Polizeidiener nur für Männer in Frage kamen, und auch die Minenarbeiter in Tsumeb 10,– bis 40,– M monatlich verdienten (ihre „weißen“ Kollegen bekamen rund 10,– M am Tag),107 blieben solche Beträge für Frauen meist unerreichbar. So bat die 18jährige Teopoldine, „im Dienst beim Bez.Gericht, … mir meine Kost nebst Lohn etwas erhöhen zu wollen, da ich nur 4 Mark monatlich bekomme und erstere für mich nicht ausreicht.“108 – wie sie im EingeborenenKommissariat zu Protokoll gab. Ärger noch stand es oft um die Arbeiterinnen

103 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.9, BA G’tein an Gouv, 5.10.12; Bl.13, ILP an Gouv, 18.11.12. 104 NAN BKE 292, U.A.33/8, Beschwerde Benz, 24.8.12; Vernehmung van Wyk, 4.9.12; Entscheidung v. Hiller, 7.9.12. 105 Selmeci/Henrichsen, 1995, S. 97; 74; Henrichsen, 2004, S. 181 f. 106 NAN GWI 752, Gen IV 10, Bl.17;18, Gouv an BG Windhuk, 22.1.12; vgl. BAK N 1037/10, Protokoll der 11. Sitzung des Landesrats, VI. Sitzungsperiode, 26. 5. 1914, S. 174. 107 Vgl. Bongard, 1909, S. 98. 108 NAN GWI 752, Gen IV 10, Bl.58, EK Wdk an BG, 19.9.13; Lawrance u. a., 2006, S. 27 f.

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und Arbeiter auf den Farmen, die häufig keinen Lohn erhielten und dies trotz einer „sehr teuren Lebenshaltung der Eingeborenen“.109 Wenngleich auch Siedler unter den hohen Preisen in der Kolonie zu leiden hatten und sich über Windhoek als den „teuerste[n] Aufenthaltsort auf dem Erdenrund“ beschwerten,110 so war es doch die afrikanische Bevölkerung, deren Arbeits-, wie Kaufkraft – als Fortsetzung des einstigen Wanderhandels mit dem Ochsenwagen – durch überteuerte Preise in Geschäften und Farmläden ausgebeutet wurde. Der Windhoeker Bezirkschef Brill führte dazu unumwunden aus: „Der Ausbeutung der Eingeborenen durch übermäßige Warenpreise, vor der sich … auch die größeren Geschäftshäuser nicht scheuen, kann leider nur in seltenen Fällen entgegengetreten werden, weil sie sich meist der Kenntnis der Behörde entzieht und zudem eine rechtliche Handhabe, um dagegen einzuschreiten, nicht gegeben ist.“111

Tätigkeiten der Polizeidiener Die Existenz eines bewaffneten „Polizeidiener-Korps“ war dem Gouvernement und der Inspektion eine unliebsame Notwendigkeit, den Polizeibeamten aber eine bequeme Zugabe, die ihnen die tägliche Arbeit erleichterte. Als ihre Aufgabe hatte schon ein „Verordnungs-Entwurf zur Bildung einer Polizeitruppe“ von 1903 ihnen zugewiesen, „die weißen Angehörigen der Polizeitruppe bei Erfüllung ihrer Dienstobligenheiten … zu unterstützen.“112 Doch der Eindruck vom rein unterstützenden „African service personnel“,113 das kochte und putzte und für die nachgeordneten Dienste zuständig war, ist unvollständig, wenngleich der Begriff ,Diener‘ ihr Amt und ihren Alltag häufig zutreffend beschrieb. Aber die Tätigkeit der Polizeidiener entbehrte auch nach 1907 nicht der Selbständigkeit. Sie wurden die unentbehrlichen Helfer der deutschen Polizeibeamten und verrichteten das Gros der nicht zur engeren Büroarbeit zählenden Tätigkeiten auf den Stationen. Der Distriktschef von Aroab erinnerte ,seine‘ Stationsbesatzungen allerdings daran, „dass amtliche Eingeborene zu Privatarbeiten nicht herangezogen werden dürfen“. Ein Zeichen, dass dies der Fall war.114 Zur polizeilichen Aufrechterhaltung der Ordnung unter der afrikanischen Bevölkerung wurden hauptsächlich die Polizeidiener eingesetzt – und dies seit Beginn der Beschäftigung von Afrikanern in deutschen Diensten115 : War eine Arbeiterin der Arbeit ferngeblieben, so „brachte [sie] der [„eingeborene“] 109 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.196, DA Gobabis an Gouv, 22.1.08: Löhne „5 – 10 M.“ monatlich ; NAN ZBU 1657, S II g 4, Bd.2, Bl.10, Gouv an DA Hasuur, 29.12.13. 110 Herrmann, 1900, S. 54. 111 NAN ZBU 157, A VI a 3, Bd.20, Bl.167, Jb BA Windhuk, 4.6.10; Bongard, 1909, S. 90. 112 NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, Bl.6, VO-Entwurf 1903, § 8; § 17. 113 So der Titel von Henrichsen, 2004, S. 161. 114 NAN DAR 32, U.A. 4/3, DA Aroab an die PolStat, 28.10.13; vgl. Shear, 2003, S. 119. 115 Vgl. Aufsicht über die Kaisergeburtstagsfeier : Windhoeker Anzeiger I. Jg. # 9, 2.2.99, S. 2.

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Polizist wieder … in den Dienst zurück.“116 Hatten sich „2 Weiber“ etwas zu schulden kommen lassen, trugen sie „bis auf weiteres unter Aufsicht eines Eingeb. Polizisten täglich Sand.“117 Auch wurde „unter Aufsicht einer Sanitätsperson die [Prügel-]Strafe durch eingeborene Polizisten vollstreckt.“118 Aufgaben, die, wie Geldsendungen und Gefangenenbewachung, Vertrauen der Vorgesetzten in die Ausführenden verlangten, wurden den Polizeidienern übertragen.119 Der Polizeidiener April etwa führte einen Strafgefangenen von Bethanien nach Keetmanshoop und kam dann allein mit der Bahn zurück.120 Andernorts sollte ein Polizeidiener neben seinem Gehalt weitere 50,– M Arbeiterlohn aus Keetmanshoop abholen. Als er diese Summe unterschlug und flüchten wollte, fand er dazu Gelegenheit, als ein Sergeant ihn mit den arbeitenden Gefangenen allein ließ. Der Sergeant wurde bestraft, weil er die Unterschlagung nicht sofort gemeldet hatte; nicht, weil er den Polizeidiener allein gelassen hatte.121 Ein Polizeidiener, der während einer Patrouille im Sandfeld eigenmächtig einer Spur nachgegangen war und nicht zurückkehrte, wurde daraufhin von der Patrouille verfolgt, weil „derselbe sein Gewehr M 71 und 10 Patr. mit hatte.“ Die Sorge, dass er „überfallen würde“, war hier ebenso groß, wie die Sorge, er könne sich absetzen.122 Doch kam es selten vor, dass sich, wie im Januar 1908, ein Polizeidiener auf die ,Gegenseite‘ schlug und mit Hilfe seiner Dienstwaffe zu einem „Viehdieb“ wurde.123 Das Disziplinarwesen Bei Disziplinverstößen oder sonstigen Vergehen war die Strafbefugnis der Vorgesetzten gegen Polizeidiener nicht zweifelsfrei. So war es unklar, welche Strafgewalt die Inspektionsoffiziere „den ihnen unterstellten Eingeborenen gegenüber“ hatten.124 Das hielt sie nicht davon ab, streng gegen (vermeintliche) Regelverstöße einzuschreiten. Die Strafen für Polizeidiener waren deutlich härter als für ihre verbeamteten Vorgesetzten. Geldstrafen in Höhe von halben Monatslöhnen oder fünf Tage Arrest waren keine Seltenheit für Übertretungen wie „Ungehorsam“, „Dienstvernachlässigung“, „Trunkenheit“, aber auch „Körperverletzung“. Generell bestand der ,Strafzweck‘ vorrangig in der Aufrechterhaltung der Autorität.125 Das Verbot, an „Eingeborene“ Alkohol zu verkaufen, galt auch gegenüber afrikanischen Polizisten und 116 117 118 119 120 121 122 123

NAN BOM 53, S I l g, Bl.3a, Vernehmung der Hererofrau Karolina, 4.11.05. NAN BOM 53, S I l g, Bl.21a, Militärstation Omaruru an Ortspolizei, 8.2.07. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.102, DA Karibib, 9.8.04; Hartmann, 2004, S. 67. Vgl. etwa NAN ZBU 716, F V p 2, Bl.2, BA Windhuk, 16.9.12. NAN BWA 3, 10, DA Bethanien an EtappenKdo Süd, 3.11.14. NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.2, Bl. 40, BA K’hoop an Gouv, 27.4.12; Bl.41, Gouv an ILP, 24.5.12. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.92, Patrouillenbericht des PW Eschen, 8.8.13. NAN ZBU 153, A VI a 3, Bd.16, Bl.196, Jb BA Windhuk, 1907/08, 15.5.08. Henrichsen, 2004, S. 179 FN 58 zieht eine Verbindung zur „social banditry“, die unerläutert bleibt. 124 NAN ZBU 159, A VI a 3, Bd. 24, Bl.34, Jahresbericht der Landespolizei 1910/11, 12.6.11. 125 BAB R 1002/2432, Entwurf: Gouv an alle BA + DA, 13.7.14.

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Soldaten. Schon 1898 wurde der „Bastard-Dolmetscher und Polizist David Kisting“ von Bezirkschef Golinelli mit acht Tagen Arrest bestraft, weil er „gelegentlich eines Rencontres mit einem Eingeborenen nicht diejenige Haltung gezeigt hat, die von einem Polizisten erwartet wird“ und sich außerdem Schnaps besorgt hatte. Dies war ihm gelungen, weil er vorgab, ihn „für seinen Vater, der als Weißer dem Spirituosenverbot nicht unter[lag]“, zu holen.126 Die Verhängung der Prügelstrafe gegen Polizeidiener blieb strittig. Der Lüderitzbuchter Bezirkschef Böhmer, stets ein Widersacher allzu großer Machtfülle insbesondere der Inspektionsoffiziere, sprach sich dezidiert gegen ihre disziplinarische Verhängung durch unmittelbare Vorgesetzte aus: „Die Verhängung einer Prügelstrafe steht gesetzlich nur dem zu, der mit Gerichtsbarkeit oder Disziplinargewalt betraut ist, das hat aber mit der Polizei nichts zu tun.“127 Der Inspekteur Bethe hielt es schließlich für geboten, die Prügelstrafe für Polizeidiener 1914 weitestgehend abzuschaffen: Er hatte die „Bestrafung eines Polizeidieners mit 25 Prügelschlägen und 1 Woche Gefängnis wegen Frechheit pp. durch ein Amt“ zum Anlass genommen, seine Haltung gegenüber dieser Strafform kritisch zu überdenken. Sein Schreiben wurde wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr abgesandt. Doch der Entwurf zeigt, wie der Inspekteur um eine Trennung zwischen Polizeidienern und „anderen Eingeborenen“ bemüht war, die auch von anderen Kolonialmächten institutionalisiert wurde und die nicht nur in einer (angeblich) besseren Bezahlung und anderen Privilegien, wie der Ausnahme von der „Passpflicht für Eingeborene“,(128) sondern auch in der Handhabung der Strafgerichtsbarkeit erkennbar werden sollte. Zugleich ist Bethes Schreiben – unfreiwillig – ein abschließendes Urteil über die Unentbehrlichkeit der Polizeidiener für die Arbeit der Polizei in DSWA: „[D]er Polizei Diener muß sich den anderen Eingeborenen gegenüber in gehobener Stellung fühlen, nur so wird es gelingen, brauchbare und gute Elemente für die Landespolizei zu gewinnen und dieser [zu] erhalten. Der Polizei Diener ist schon im Frieden bei den hiesigen Verhältnissen als Spurenleser und Dolmetscher nicht zu entbehren, im mobilen Verhältnis kann der gut ausgebildete und zuverlässige Polizei Diener für den allein reitenden Polizei Beamten noch größere Bedeutung gewinnen. … Man wird nie mit Prügelstrafen Eingeborene zum Ehrgefühl erziehen können und zum Ehrgefühl müssen und können die Polizei Diener erzogen werden. Mit Rücksicht darauf, daß trotz aller Vorsicht bei der Anwerbung auch schlechte Elemente mit unterlaufen können, so ist, wie der Gouvernements Verfügung vom 30.9.99 besagt, die Prügelstrafe als gerichtliche beizubehalten, jedoch nur in Verbindung mit Dienstentlassung. Will man einen Eingeborenen – weil er zuverlässig

126 NAN BKE 199, B II 66 a, Bd.1, Bl.93, BHpt K’hoop an PolUffz Lehmann, 18.3.98. 127 BAB R 1002/2692, DA Lüderitzbucht an Gouv, 5.12.07. 128 Gem. § 1 II der „VO betr. die Paßpflicht“ waren „eingeborene Soldaten und Polizisten“ von der Passpflicht ausgenommen; zum britischen Kolonialmilitär Parsons, 1999, S. 224.

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und brauchbar – dem Dienste erhalten, so muß man von der Verhängung der Prügelstrafe absehen.“129

Die Unentbehrlichkeit der Polizeidiener und anderer Afrikaner Die von Bethe eingeräumte Unentbehrlichkeit der Polizeidiener zeigte sich insbesondere bei den noch darzustellenden Patrouillen gegen „Banden“ und „Viehdiebe“. Die deutsche Abhängigkeit von Afrikanern, die bereits bei einer Vielzahl von Einsätzen wie denen gegen „Blauberg“ offensichtlich geworden war, konnte, trotzdem eine Polizeitruppe geschaffen worden war, nach 1907 nicht vermindert werden. Als 1914 Polizeidiener eingespart werden sollten, sperrten sich die Ämter gegen eine Kündigung ihres Personals. Aus Outjo meinte Bezirkschef Schultze-Jena: „Dies ist schlechthin unmöglich.“ Der Omaruruer Bezirkschef Görgens berichtete, dass „der Patrouillendienst auf den Stationen und die Gefangenenaufsicht hier am Orte sich nicht ordnungsgemäß durchführen lässt, wenn mir von dem geringen Bestande an Polizeidienern und Arbeitern noch 2 Polizeidiener weggenommen werden.“130

Die Anzahl der an den Patrouillen beteiligten Polizeidiener entsprach meist der ihrer Vorgesetzten, mitunter waren sie in der Mehrheit.131 Es konnte vorkommen, dass Polizeidiener und afrikanische Soldaten eigenständige Patrouillen stellten.132 Bezirkshauptmann Schultze-Jena, der eine bewaffnete „Eingeborenen-Patrouille“ ohne deutsche Führung entsandt hatte, rechtfertigte sich dafür gegenüber dem Gouvernement: „Da erfahrungsgemäß Patrouillen von Weissen gegen die Buschleute [San] gerade in dem in Betracht kommenden Gelände erfolglos sind, weil die Weissen die Spuren nicht annähernd so halten können wie Eingeborene, entschloss ich mich, eine Eingeborenenpatrouille anzusetzen. (Die Verfügung, durch die dies für die Zukunft untersagt ist, war noch nicht ergangen.)“

Trotzdem Schultze-Jena den Teilnehmern eingeschärft haben wollte, „dass es sich nicht um einen ,Orlog‘ mit Buschleuten handele, sondern dass die Patrouille die Aufgabe habe, die Buschleute zu mir zu bringen“, schossen die Polizeidiener auf die San, denen „strafbare Handlungen nicht nachzuweisen waren.“133 Ihre selbständige Entsendung beim Vorgehen gegen „Viehdiebe“ war keine Ausnahme. Der Sergeant Brockman aus Groß-Aub etwa schickte einen Polizeidiener mit dem ortskundigen Farmarbeiter Jan auf die Suche nach dem aus dem Gefängnis geflohenen Salomon Goliath. Als er wieder zu 129 BAB R 1002/2432, Entwurf: Gouv an alle BA, 13.7.14; Killingray, 1994, S. 208. 130 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.65, BA Outjo an Gouv, 29.7.14; Bl.63, BA Omaruru an Gouv, 25.7.14; Bl.64, Gouv an ILP, 21.8.14. 131 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl. 14, Bericht OffzP III. Buschmannstreife, 5.2.14. 132 Vgl. z. B. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl. 157 – 180 (166), 10.10.12; Bd. 2, Bl.40, KdoSchTr an Gouv : „Eingeborenen-Patrouille … mit Gewehren“, 19.4.13. 133 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.141, BA Outjo an Gouv, 31.7.14.

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ihnen stieß, hatten die beiden den Gesuchten bereits gefangen genommen, wie der Polizeidiener berichtete: „Ich habe mit Jan in einem Pontok gesessen und habe Kaffee gekocht. Abends … ist Goliath aus den Bergen gekommen und wollte sich was zu Essen holen. Da ich mich verkleidet hatte, ahnte Goliath nichts von unserem Vorhaben und kam zu uns herein. Jan ging gleich aus dem Pontok und holte Ochsenstricke. Bei seiner Rückkehr faßte Jan Goliath von hinten und riß Selbigen zu Boden. Ich sprang sofort zu, und mit Hilfe des Jan banden wir dem Goliath die Hände auf den Rücken“.

Für seine Mithilfe bei der Festnahme erhielt der Farmarbeiter 20,– M. Bezirkschef v. Hiller hoffte, mit dieser Belohnung einen Anreiz dafür zu schaffen, „daß in künftigen Fällen die Polizei von anderen Eingeborenen ähnlich unterstützt wird.“134 Der Distriktschef von Maltahöhe, Seydel, zufrieden über eine erfolgreiche Patrouille gegen einen wegen Mordes gesuchten San, brachte neben deutschen Polizisten auch mehrere Polizeidiener und einen afrikanischen Patrouillenhelfer für Auszeichnungen in Vorschlag. Die letzteren hätten „durch braves Verhalten zum Gelingen der Patrouillen und Aufreibung der Mörderbande hervorragend beigetragen“.135 Doch das Gouvernement lehnte den Vorschlag ab: „Die Kolonial-Denkmünze kann an Eingeborene nicht verliehen werden.“136 Andererseits gab es durchaus afrikanische Träger der Kriegerverdienst-Medaille I. und II. Klasse, denen eine lebenslange Unterstützung gewährt werden sollte.137 Ihre Vorgesetzten zollten den Polizeidienern durchaus Respekt.138 Zu offensichtlich war es häufig beiden Seiten, wie sehr der deutsche Beamte auf die Sprach-, Landes- und Menschenkenntnis seines Begleiters angewiesen war. So schloss ein Wachtmeister seine Meldung über die Verhaftung des entflohenen Sträflings Daniel Diergardt, der später für ein Jahr nach Kamerun deportiert wurde, mit deutlichem Lob für den Polizeidiener Zacharias, „der mich bei der Festnahme kräftig unterstützte, da Diergardt zuerst sich sträubte … Das Benehmen des Zacharias bei der Festnahme war ausgezeichnet und vor allem das Ausfragen der Eingeborenen, denn er ließ nicht nach, bis ihm der eine Hottentott die Wahrheit sagte; sonst wäre die Festnahme eine schwierige gewesen“.139

Angesichts der positiven Erfahrungen mit den Polizeidienern und ihrer offenkundigen Unentbehrlichkeit, war das Gouvernement in Windhoek über ein Verbot des Staatssekretärs, das nur für Deutsch-Ostafrika und Kamerun galt, 134 NAN ZBU 715, F Vo 2, Bd.2, Bl.55, PolSt Groß-Aub, 25.7.12; Bl.53, BA K’hoop an Gouv, 23.8.12. 135 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 31, DA Maltahöhe: Vorschlag, 26.3.13; NAN ZBU 715, F Vo 2, Bd.2, Bl. 51, BA Warmbad an Gouv, 14.6.12; vgl. Zimmerer, 2004, S. 163: „Spitzel“. 136 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.38, Gouv an DA Maltahöhe, 15.4.13. 137 NAN GLU 313, Gen F III, Bd.1, Bl.192, Gouv an BG Lüderitzbucht, 25.10.08. 138 Vgl. Thompson, 2005, S. 197. 139 NAN ZBU 715, F Vo 2, Bd.1, Bl. 205, Bericht Festnahme, 9.1.09; zur Deportation NAN ZBU 716, F V p 5, Bl.120, BA Rehoboth an Gouv, 13.11.11; Bl.160, BA Rehoboth, 9.10.12.

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„farbige Soldaten mit selbständigen Aufträgen zu entsenden“, verunsichert. Der Gouverneur wollte sich unter allen Umständen die selbständige Weiterverwendung der Polizeidiener sichern: „Es mag zugegeben werden, daß es hier farbige Soldaten im strengen Sinne des Wortes nicht giebt. Immerhin ist aber die Verwendung von Farbigen gegen Farbige, besonders bei der Polizei durch die eingeborenen Polizeidiener möglich. Es läßt sich auch die selbständige Verwendung von Polizeidienern nicht immer umgehen.“

Den Referenten im RKAwar dies bewusst, weshalb betont wurde, es seien nicht „selbständige Aufträge jeder Art, sondern … langfristige Entsendungen militärischer Abteilungen“, gemeint gewesen, „wofür in DSWA weder Eingeborene der Schutztruppe noch Polizeidiener in Betracht kommen.“140 Gouverneur Seitz machte dennoch in einer Sitzung der Verwaltungsspitzen im April 1914 darauf aufmerksam, es sei „unzulässig …, lediglich aus Eingeborenen bestehende Polizeipatrouillen abzuschicken.“141 Dabei waren es nicht einmal nur Polizeidiener, die sich als unentbehrlich erwiesen hatten: Da nach eigenem Bekunden weder die Zahl der Sergeanten noch diejenige der Polizeidiener gegen die „Viehdiebe“ ausreichte, bot sich die Möglichkeit, weitere Afrikaner anzustellen. In Omaruru sah sich der Distriktschef v. Frankenberg nach einem Mord und Viehdiebstählen im Oktober 1910 vor das Problem gestellt, „daß das hiesige Polizeipersonal … viel zu schwach ist“ und auch „die Eingeborenen des Distriktsamts das Gelände [das Erongo Gebirge] nicht kennen.“ Er sandte deshalb mit Genehmigung des Gouvernements fünf „zuverlässige und mit den fraglichen Bergen wohl vertraute Eingeborene“ auf Patrouille aus, denen neben freier Verpflegung 150,– M Belohnung für die Ergreifung des Täters gezahlt wurden.142 Eine Ausnahme war dies nicht. Auch den vom Bezirksamt Windhoek aufgebotenen Polizeipatrouillen blieb es im März 1911 unmöglich, den geflüchteten „Strafgefangenen Jan II“ zu stellen, da dieser „mit den Schlupfwinkeln in den Klein-Windhuker Bergen wohl vertraut“ war. Bezirksamtmann Brill wandte sich daher an „den Eingeborenen Schulmeister und Werftältesten Zedekia“, den er beauftragte, mit einigen Leuten „Jan II einzufangen“. Nach seiner Auffassung bot „die Heranziehung von Eingeborenen … die einzige Möglichkeit, flüchtiger Eingeborener habhaft zu werden.“ Nach der Festnahme von „Jan II“ erhielten Zedekia und 18 weitere Beteiligte „ein Geldgeschenk von je 5“ bzw. 10,– M.143 Angesichts dieser zusätzlichen Anstellungen wird deutlich, dass die 370 140 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.117, Gouv an StS RKA, 9.5.14; Bl.128, StS RKA, 7.7.14. 141 NAN BOM 34, 2, Gouv an BA Omaruru [Protokoll über die Sitzungen am 20, 21, 22.14, S. 14], 5.5.14; zum Einsatz von farbigen Soldaten: Martin, 1997, S. 37. 142 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 219, DA Omaruru an Gouv, 27.9.10; Bl.229, Tlgr Gouv an DA Omaruru, 10.10.10. 143 NAN ZBU 715, F Vo 2, Bd.1, Bl. 234, BAW’huk an Gouv, 20.3.11; Bl. 237, Gouv an BAWindhuk, 7.4.11, Zedekia wurde gestattet, drei Kühe zu halten.

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Polizeidiener allein nicht genügen, um die deutsche Abhängigkeit von Afrikanern bei der „Pacifizierung“ der Kolonie zu beziffern und zu beschreiben. Die Anzahl der eingesetzten Afrikaner lag höher als die Berichte glauben machen wollten. Letztere bekundeten lediglich den politischen Willen, stets mehr „weißes“ als „farbiges“ Personal für Sicherungsaufgaben in der Kolonie einzusetzen. Die Realität sah anders aus.

2.3. Ebenbürtigkeit und „Mimicry“ „In executing their duties as official representatives of the colonial state, the African employees consequently blurred colonial dichotomies of European and African, white and black, ,civilized‘ and ,uncivilized‘.“144

Wenn eingangs mit H. Wesseling die Frage nach der Eigenständigkeit der afrikanischen Kolonialbediensteten gestellt wurde, danach, wie viel von ihrem „Schicksal“ sie selbst in der Hand hielten und wie sie die Praxis der Kolonialherrschaft prägten,145 so ist für deren Beantwortung zunächst der Blick auf die Selbstwahrnehmung der Polizeidiener sowie ihre Stellung innerhalb der afrikanischen Gesellschaften zu richten. Wenn auch Afrikaner in deutschen Uniformen Deutschen gegenüber keine Vollmachten für sich in Anspruch nehmen konnten, so stand doch die Tätigkeit für Deutsche und ihren Kolonialstaat, so die Forschung, bei „den Herero in hohem Ansehen“.146 Für andere Gruppen, allen voran den Männern um Hendrik Witbooi, zehn Jahre lang „a pillar of strength to Germany in SouthWest Africa“, lässt sich Ähnliches vermuten.147 Der für den Süden zuständige Bezirkschef A. Golinelli hatte früh erkannt: „Es ist nicht der Lohn, der die Leute veranlaßt, bei der Polizei einzutreten – derselbe beträgt zwischen 25 und 30 Mark nebst freier Verpflegung pro Mann und wird ihnen in jeder Arbeitsstellung geboten – sondern der äußere Glanz, mit dem sie sich durch Beitritt zur Polizei zu umgeben hoffen.“148 Gouverneur Leutwein listete für die Jahre 1896 bis 1904 sechs Feldzüge auf, während derer Witbooi „treue Dienste“ geleistet hatte.149 Die Einzelaktionen von „Witbooi-Polizisten“, wie das hier gewählte Beispiel des Einsatzes gegen den „Räuber Blauberg“, sind dabei noch nicht mitgezählt. Für die Zeit nach den Kriegen ist, so legen A. Selmeci und D. Henrichsen nahe, noch von einer Steigerung dieses Ansehens und ihrer so144 Lawrance u. a., 2006, S. 4. 145 Wesseling, 1999, S. 341. 146 Selmeci/Henrichsen, 1995, S. 77; vgl. die Äußerung des Gouverneurs a.D. in Leutwein, 1908, S. 527: „Es hat sich … ergeben, daß die Hereros, wenn richtig angefasst, auch für eine fremde Sache auf ihre Stammesgenossen schießen.“ 147 Silvester/Gewald, 2003, S. 166 [Blaubuch]; zum „Blaubuch“ Schlottau, 2007, S. 354 f. 148 NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.2a, Bl.329 f., Jb des Südbezirks, 1.7. 1896 – 30.6. 1897. 149 Silvester/Gewald, 2003, S. 166 f. [Blaubuch].

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zialen Stellung auszugehen. Sie sprechen von der Herausbildung einer „eigenen Kaste“ der afrikanischen Uniformierten, die mit „viel Prestige“ ausgestattet gewesen sei: „Nach der Zerschlagung der alten sozialen Strukturen durch die Kolonialkriege fiel den Polizeidienern eine neue patriarchalische Rolle zu.“150 Die Ausführungen des Bezirkschefs v. Zastrow, nach denen „die Polizeidiener ganz zweifellos unter den Eingeborenen eine angesehene Stellung einnehmen“, scheinen dies zu bestätigen.151 Hatte es die deutsche Kolonialverwaltung vermocht, die afrikanische Sozialstruktur durch die bei ihr beschäftigten und mit Uniformen ausgestatteten Männer entscheidend umzugestalten? „Der Einfluss, den diese Leute haben, kann nicht überschätzt werden, und diese verbittern heisst, das ganze Volk verbittern“, warnte v. Zastrow als ein Polizeidiener entlassen werden sollte.152 Was waren die Gründe für diesen Einfluss? Warum wog der Vorwurf der ,Kollaboration‘ nicht schwerer gegen jene, die die Prügelstrafe vollstreckten, die die Zwangsarbeiter beaufsichtigten und die Gefängnisinsassen kontrollierten, gegen jene, die auf Kosten der Mehrheit sich selbst ein sicheres Auskommen gesucht hatten? Fälle, in denen Polizeidiener selbst zum Ziel von Gewalttätigkeiten wurden, bei denen ihnen auf Grund ihrer Tätigkeit und ihrer großen Nähe zu den Kolonialherren der Hass der afrikanischen Bevölkerung entgegen schlugen, sind in den Akten bemerkenswert selten vermerkt. So wurden den „Eingeborenen Gottlieb und Elis … je 20 Peitschenhiebe verabfolg[t], da beide sich verabredeten … den eingeborenen Polizisten Daniel zu verprügeln.“153 Von einer Häufung derartiger Verabredungen hätte die Polizeiverwaltung Kenntnis erlangt; etwa aufgrund einer zögerlicheren Meldung bei der Rekrutierung des Polizeidiener-Nachwuchses. Doch von einem Zögern, dem Kolonialstaat bei seiner Etablierung behilflich zu sein, konnte keine Rede sein. Hassausbrüche, wie die von Rohrbach berichtete Ermordung der Besatzung der Station Otjituo zu Beginn des Herero-Krieges durch einen „eingeborenen Polizisten“154 oder die Schüsse des „Polizeidieners“ J. Hendriks auf seine Vorgesetzten blieben die Ausnahme.155 „Eine klare Freund-FeindSituation und mit ihr überhaupt die Möglichkeit eines Verratsbewusstseins“156 war demnach nicht ausgeprägt. Ursachen und Motive dafür bleiben vorerst offen. Die Forschung zu den afrikanischen Gesellschaften DSWAs hat hierauf noch Antworten zu finden. Auch die Frage, wozu Polizeidiener ihren von v. Zastrow beobachteten „Einfluss“ innerhalb ihrer Gemeinschaften nutzten, 150 Selmeci/Henrichsen, 1995, S. 97;135; vgl. Gewald, 1999, S. 204 f. 151 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.46, BA Grootfontein an Gouv, 22.9.13. 152 NAN ZBU 2365, Geheimakten -VII m, Bl.14, BA Omaruru an Gouv, 27.5.13; Bl.21, BA Grootfontein an Gouv, 16.6.13. 153 NAN BOM 53, S I l g, Bl.24, PolSt Otjiwarongo an DA Omaruru, 27.3.07; Bl.26, Protokoll: Vernehmung Daniel, 28.9.07; Morlang, 2008, S. 8; zum Beispiel Südafrika, Shear, 2003, S. 122. 154 Rohrbach, 1909, S. 85; Rafalski, 1930, S. 380. 155 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.181, Bericht: Überfall des Jan Hendriks, 25.11.13. 156 Osterhammel, 2003, S. 72; vgl. Shear, 2003, S. 110.

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ob und wie sie darum rangen, einen „Teil ihres Schicksals in die eigene Hand“ zu nehmen, bedarf noch näherer Untersuchung. Für den gehobenen sozialen Status der Polizeidiener lassen sich leicht vordergründig erscheinende Ursachen benennen. So, wie der recht hohe Lohn Anlass genug sein mochte, sich als Polizeidiener rekrutieren zu lassen, so trugen ihre relative soziale Sicherheit durch das geregelte Einkommen und der größere Schutz vor Misshandlungen dazu bei, in ihnen, nachdem das System der chiefs und kapteins weitgehend aufgehoben war, eine neue afrikanische Elite zu sehen, die sich „von ihren Angehörigen bewundern“ ließ.157 Die Polizeidiener wurden zu Mittlern zwischen den Kulturen, sie beherrschten fremde Technologien, verfügten über neues Wissen und vermittelten einen ungewohnten Blick auf die Welt an ihre Familien und darüber hinaus – sie wurden „Innovatoren“, so die Historikerin Coquery-Vidrovitch über die kolonialen „Hilfskräfte“.158 Deren bessere Beherrschung der Kolonialsprache, ein geläufiger Umgang mit Schuss- und sonstigen Waffen sowie das Tragen einer in ihrer Bedeutung als Machtsymbol auch in den afrikanischen Gesellschaften kaum zu überschätzenden Uniform sowie der regelmäßige und regelförmige Umgang mit den Kolonialherren, in den sich notwendig mit der Zeit eine Routine einschliff, vermochten den Polizeidienern jene „angesehene Stellung“ unter den Eingeborenen zu verschaffen, die v. Zastrow wahrgenommen hatte. Zumindest vor 1904 wird man ein, wenn nicht freundschaftliches, so doch kollegiales Verhalten zwischen deutschen und afrikanischen Polizisten nicht ausschließen können. So lieh der Gefreite Wiedenbach dem „eingeborenen Polizisten Piet Lucas“ 30,– M, was offensichtlich nichts Unerhörtes war, denn als Lucas nach einem Jahr die Summe nicht zurückgezahlt hatte, behielt Bezirkschef Golinelli ratenweise das Geld von seinem Lohn ein – ohne dass Wiedenbach ein Vorwurf gemacht worden wäre.159 Noch ein Weiteres mag für jenes „Prestige“ ursächlich gewesen sein. Afrikaner blieben zwar (in der Polizeizone) nicht ,Herren‘ ihres Landes. Doch einige unter ihnen, „eingeborene Soldaten“ und Polizeidiener, konnten sich ihrer gleichrangigen Bedeutung für die angestrebte Beherrschung des Landes durch und für die Kolonialherren bewusst sein. Die Sicherung des Landes, seine ,Entdeckung‘ durch Expeditionen, seine Verwaltung in der Fläche, sie waren auch – wenn nicht vorrangig – der Ertrag ihrer Tätigkeit.160 Denn sie kannten, durchquerten, durchsuchten und erlitten gegebenenfalls das Land gemeinsam mit Deutschen – oder allein im deutschen Auftrag. Während dieser Ausritte oder sonstiger Tätigkeiten blieben ihre Vorgesetzten den Polizeidienern ein Beispiel deutscher Überlegenheit schuldig. Im Gegenteil, deren vom Inspekteur eingeräumte Unentbehrlichkeit ist im Vorangehenden 157 158 159 160

Selmeci/Henrichsen, 1995, S. 97; vgl. Lindsay/Miescher, 2003, S. 15. Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 21 unter Bezug auf Brunschwig, 1983; Lawrance, 2006, S. 5. NAN BKE 291, U.A.33/3, BHpt Keetmanshoop an Uffz Lehmann, 1.7.98. Vgl. Noyes, 1992, S. 109; für Togo vgl. Trotha, 1994, S. 50.

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dargestellt worden und konnte dem einzelnen Polizeidiener nicht verborgen bleiben. Er hatte keinen Grund, seine Eindrücke kolonialer Hilflosigkeit etwa gegenüber seiner Familie zu verschweigen. Die Kolonisierten kannten die koloniale Lüge der Macht und Überlegenheit.161 Es ist daher nachvollziehbar, dass innerhalb der Herero-Gemeinschaft ein Uniformierter nicht einfach ein Polizeidiener oder „eingeborener Soldat“ war, sondern ein ganzes Konzept um den Begriff „ovasolondate“ herum entstand, demzufolge jener „was in every way equal to a German trooper. It must be understood as a key concept in the construction of modernity among the Herero.“162 Die Uniformierten verwandelten so ihre Tätigkeit, ihre Uniform, ihre polizeilichen Aufgaben in Zeichen ihrer Ebenbürtigkeit und Eigenständigkeit gegenüber dem Kolonialherrn, dem man es allenthalben gleichtun konnte, wie ihr Alltag den Polizeidienern lehrte. Auch weil es sich bei den Deutschen – zumindest gelegentlich – um „Jüngelchen“163 handelte, fiel ihnen dieses umso leichter. Sie konnten damit – in ihrer Ebenbürtigkeit, nicht in ihrer „Treue“, oder was dergleichen an Legenden den „Bambusen“ oder „Askari“ angedichtet worden ist164 – zu Vorbildern werden und gelangten so „den anderen Eingeborenen gegenüber in [eine] gehobene Stellung“; aber von anderer Art als von Inspekteur Bethe intendiert.165 Sie schufen „new systems of authority in keeping with their own ideals of (male) identity.“166 Zwar sprach der koloniale Rassismus Afrikanern die Männlichkeit ab, „but it did not prevent assertions of powerful masculinity outside of its gaze.“167 Auch wenn in „der vorkolonialen und kolonialen symbolischen Ökonomie Stoffe und Kleidung [generell] einen hohen Wert“ besaßen,168 so war es doch in der spezifischen Situation DSWAs von hier aus nicht mehr weit zu einer Umwidmung der deutschen Uniform in ein allgemeines Sinnbild afrikanischer (Wieder-)Erstarkung nach 1907; sie wurde ein „status symbol“.169 Eine Ethnologin erhielt auf ihre Frage nach der Praxis, im Krieg 1904 die Uniformen des deutschen Feindes zu tragen, die Antwort: „Wenn Du die Kleidung des Feindes trägst, werden Geist und Seele des Feindes geschwächt. Du trägst dann selbst Geist und Seele seiner Brüder und dadurch werden sie geschwächt. Herero taten das“.170 Die Uniform oder auch nur einen Teil von ihr zu besitzen,

161 162 163 164 165 166 167 168 169 170

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Csaire, 1994, S. 8: „Ils savent que leurs ,matres‘ provisoires mentent.“ ; Leutwein, 1908, S. 536. Henrichsen, 2004, S. 182. So die Bezeichnung der Nama für deutsche Soldaten, Schultze, 1907, S. 337. Vgl. zum „Bild des treuen Gefolgsmannes, des Tirailleurs, des Ghurkas, des Askari, der seinem weißen Herrn zu Diensten“ war : Maß, 2006, S. 3; 64 – 70; 158 – 69. BAB R 1002/2432, Entwurf: Gouv an alle BA + DA, 13.7.14. Henrichsen, 2004, S. 182; vgl. Lindsay/Miescher, 2003, S. 4 f. Miescher/Lindsay, 2003, S. 21; vgl. Mamdani, 1996, S. 4; Parsons, 1999, S. 148 f. So Pesek, 2005, S. 321. Hartmann, 2004, S. 51 (Abb. Nr. 83); vgl. für Togo: Trotha, 1994, S. 46. Hendrickson, A.: Historical Idioms of Identity. Representation among the Ovaherero in Southern Africa, Diss. New York University 1992, S. 238, zit.in: Krüger, 1999, S. 237. Steinmetz,

galt zum Ärger der deutschen Amtsträger unter Afrikanern, und nicht nur den Herero, als allgemein erstrebenswert. Dagegen vorzugehen, wollte der deutschen Verwaltung nicht gelingen. Das Gouvernement wies 1905 alle Bezirksämter an, „besonders darauf zu halten, dass nicht Eingeborene, die nicht Soldaten und Polizisten sind, militärische Uniformen und militärische Abzeichen tragen.“171 Aber noch im Juli 1914 sah sich Bezirkschef Todt zu einer Bekanntmachung gegen diesen „Unfug“ genötigt, denn das „Tragen von Uniformstücken und militärischen Abzeichen aller Art durch Eingeborene hat Überhand genommen.“172 Die Vermutung des Historikers G. Steinmetz, durch „partial similarity“ – wie deutsche Namen oder Uniformen – seien die afrikanischen Hilfskräfte „more easily managable“ geworden, wäre dem Beamten fremd gewesen.173 Eine Imitation kolonialer Erscheinungsformen findet sich im Anlegen der Uniform, den militärischen Namen und Exerzierübungen von Afrikanern, wie sie für die oturupa, die „Truppenspieler“ der otjiserandu (Rote Flagge) typisch geworden sind, nur auf den ersten Blick. Zumal Anzeichen vorhanden sind, dass diese Gemeinschaften und deren militärisch anmutende Zeremonien „ihre Wurzeln möglicherweise noch vor der deutschen Periode“ haben, aber während der deutschen Zeit maßgebliche Anregungen erhielten.174 Die Uniformen sind schon deshalb keine bloßen Imitationen der Kolonialherren, keine „degraded version of similarity“,175 weil sie auch der Erinnerung „an die chiefs des 19. Jahrhunderts, die selbst Uniformen getragen hatten“, dienten. Diese ordneten die Uniformen, die sie von Europäern erhielten, „in ein eigenes Wertesystem ein“ und begründeten damit, wie G. Krüger betont, bereits in vorkolonialer Zeit eine Tradition, „die Uniform aus eigenem Recht zu tragen“.176 Das Anlegen deutscher Uniformen (auch über die deutsche Kolonialzeit hinaus) war von hoher Symbolkraft. Für die deutschen wie die südafrikanischen Kolonialherren handelte es sich um die Anmaßung staatlicher Hoheitszeichen. Für ihre Träger, die sich nicht nur aus Herero rekrutierten, ging es genau darum: „Die otjiserandu als ,Herero-Armee‘ repräsentierte eine symbolische Besetzung von kolonialem Territorium und damit die Ablehnung oder zumindest das Ignorieren der kolonialen Ansprüche.“ Dies war eine

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2002, S. 204 FN102 bestreitet die Historizität dieser Aussage, da es an Belegen fehle, dass Herero vor 1904 die Kleidung ihrer Gegner angelegt hätten. NAN BWI 208, O 1 g, Bl.1, Gouv an alle BA, 12.4.05; NAN BKE 291, U.A.33/1, BA K’hoop an Polizei, 25.4.05). NAN BWI 208, O 1 g, Bekanntmachung BA Windhuk, 14.7.14. Steinmetz, 2002, S. 165. Hendrickson, 1992, S. 252, zit.in: Krüger, 1999, S. 227. Ein Vergleich mit ähnlichen Institutionen in DOA ist hier nicht zu leisten. Vgl. zu den beni-ngoma: Pesek, 2005, S. 322. Steinmetz, 2002, S. 165. Krüger, 1999, S. 236. Wenn Steinmetz a.a.O. hierin einen kolonialen Akt erblickt, so ist die Frage zu stellen, ab welchem Grad von Beeinflussung eine ,afrikanische‘ Kultur keine ,afrikanische‘ Kultur mehr sein kann, sondern ,nur noch‘ eine kolonisierte. Vgl. Chatterjee, 2006, S. 99: „Why then the search for a ,pure structure‘ of subaltern conciousness?“; vgl. Liauzu, 2004, S. 113.

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„Taktik …, die koloniale Ordnung unter Ausnutzung ihrer eigenen Symbole … zu unterlaufen.“ Es ging nicht um eine „Konfrontation mit dem kolonialen Staat“. Es handelte sich vielmehr um eine „Form der Subversion“, die sich „nicht in einem Dualismus von ,Widerstand und Kollaboration‘ fassen“ lässt.177 Koloniale Erscheinungsformen wurden als Vehikel genutzt und angeeignet, um die eigene Identität in einer veränderten Umwelt zu bewahren, aber auch weiterzuentwickeln. Die Uniform zu tragen, konnte so zu einem Zeichen der Ebenbürtigkeit des Trägers mit den Kolonialherren werden. Die Notwendigkeit, sie an Afrikaner auszugeben war bereits ein Zeichen der Schwäche, das den afrikanischen Gesellschaften nicht verborgen blieb. Das Streben, auch als ,Nicht-‘„Regierungs-Eingeborener“ eine solche zu besitzen, kann zugleich als leise Ironie gegenüber der Kolonialmacht gelesen werden. Sie ständig an die Unverzichtbarkeit der Afrikaner nicht nur als Arbeiter, sondern auch als ,Ordner‘ der Kolonie erinnernd, wird mit „den Uniformen … die Macht des Kolonialstaates anerkannt“. Zugleich „sind sie ein Mittel, dessen Autorität und Macht zumindest symbolisch in Frage zu stellen.“178 Indem Polizeidiener, „Bambusen“ oder Farmarbeiter zu „Truppenspielern“ wurden, die sich in Uniformen, Exerzierreglements und Titeln bis zum ogeneralfeldmarshara den Kolonialherren gleichstellten, praktizierten sie keine „negative [A]ssimilation“,179 sondern signalisierten eine Aufwertung ihres Status’ „durch die Schaffung einer eigenen männlichen Hierarchie, die außerhalb der Kolonialhierarchie stand.“180 Sie schufen sich einen eigenen symbolischen Raum, der dem beobachtenden kolonialen Auge zwar bekannte Formen bot, doch zu sehr eine eigene, andere Welt darstellte, als dass er mit europäischen Kategorien hätte erfasst werden können. Daher blieb den Kolonialherren nichts, als eine „Imitation“ wahrzunehmen und sich gegebenenfalls darüber zu amüsieren. Jene, die H. K. Bhabhas viel zitiertes Konzept der „mimicry“ auf den hier behandelten Sachverhalt angewandt sehen wollten und die ovasolondate, Bambusen oder Polizeidiener als „mimic men“ bezeichnen würden, liefen Gefahr, dieser Perspektive erneut verhaftet zu bleiben. Wenn sich hinter dem Konzept der „mimicry“ eine „flawed identity [verbirgt,] imposed on colonized people who are obliged to mirror back an image of the colonials but in imperfect form: ,almost the same, but not white.‘ Subject to the civilizing mission, the mimic men … serve as the intermediaries of empire; they are the colonized teachers, soldiers, bureaucrats and cultural interpreters whom Fanon describes as ,dusted over with colonial culture‘“,181 177 178 179 180 181

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Krüger, 1999, S. 235, 223. Krüger, 1999, S. 238. So Steinmetz, 2002, S. 166; er nennt S. 205 FN 102 Herero-Uniformen eine ,Pathologie‘. Krüger, 1999, S. 238; ebd. S. 230 die Rangliste einer otjiserandu-Gruppe nach K. Budack. McClintock, 1995, S. 62.

dann kann dies mit den Polizeidienern und ihrem Prestige unter Afrikanern wenig zu tun haben. Indem sie aus ihrer Uniform und ihrer Tätigkeit eine Ebenbürtigkeit ableiteten, indem sie eine eigene, für die Kolonialmacht nicht einsehbare Hierarchie schufen, mochte das „almost the same, but not quite“ für die Beamten eine Rolle spielen, die ,nur‘ Afrikaner in deutschen Uniformen sahen; nicht aber für diese selbst. Denn in ihrer Selbstwahrnehmung waren sie nicht einfach „dusted over with colonial culture“, sondern trugen ihre Uniform aus eigenem Recht und eigener Tradition. „Mimic men“ konnten sie daher allenfalls aus europäischer Perspektive sein. Das Konzept der „mimicry“ beschreibt einen „ironic compromise“. Es handelt sich um des Kolonialherrn „desire for a reformed, recognizable Other, as a subject of a difference that is almost the same, but not quite.“ „Mimicry is … a complex strategy of reform, regulation and discipline, which ,appropriates‘ the Other as it visualizes power.“182 Bei aller hermetischen Formulierung, die Bhabha für die Entwicklung seines Konzepts wählt, bleibt „mimicry“ doch ein dem kolonialen Projekt durch den Kolonialstaat eingeschriebenes, den Kolonisierten oktroyiertes Bild. Wenn überhaupt, dann ist es der Wunsch der Kolonisatoren, ihre Untertanen umzuformen, aus ihnen (lächerliche) Imitationen ihrer selbst zu machen. Ungeachtet der erst noch zu klärenden Frage, ob es tatsächlich eine koloniale Zielstellung der Zurichtung von Afrikanern zu gewissermaßen ,halben Europäern‘ gab,183 lässt dieses Konzept deren Selbstwahrnehmung außer Acht. Auch wenn europäische Kleidung, Umgangsformen, Waffen, Zeiten oder Namen ihren kolonisierten Trägern anbefohlen wurden, so blieben sie es doch, die diesen ,neuen‘ Formen ihre eigenen Bedeutungen beimessen, sie ablehnen, abwandeln oder annehmen konnten. Selbst wenn dieses Agieren nur ein Reagieren wäre, so bliebe es doch bei einer eigenständigen, aktiven Haltung, wenn nicht Handlung. Mag „mimicry“ auch eine „erratic, eccentric strategy of authority in colonial discourse“ sein; aus ihren (äußerlich erscheinenden) Formen konnte etwas Eigenes entstehen, das Identität stiftete. Diesen Prozess übersieht, wer behauptet, jene Formen, die als „mimicry“ beschrieben werden, „hide no essence, no ,itself‘.“184

182 Bhabha, 1994, S. 86. 183 Vgl. Steinmetz, 2002, S. 165; dagegen Mamdani, 1996, S. 4 f.; Eckert, 2005, S. 278: „Was afrikanische Staatsdiener betrifft, so ging es Franzosen (wie … Briten) primär darum, gleichsam ,perfekte Eingeborene‘, nicht jedoch ,schwarze Europäer‘ zu kreieren.“; Aswegen, 1980, S. 332. 184 Bhabha, 1994, S. 90; vgl. z. B. Gewald, 2000, S. 220 f.

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Zweiter Teil: Die koloniale Strafpraxis

Angesichts einer wachsenden Zahl „postmoderner und postkolonialer Studien“, die sich mit dem anhand der Quellen dargestellten Geschehen in den Kolonien nur noch am Rande beschäftigen, um stattdessen theorieschwere Thesen über das Verhältnis von Institution und Individuum am Beispiel des Kolonialismus vorzutragen,1 sah sich der Historiker C. Marx genötigt, an eine „entscheidende Grundtatsache“ zu erinnern: „dass der Kolonialismus eine Gewaltherrschaft war“.2 Seine Berechtigung wird man diesem Allgemeinplatz zusprechen können; zugleich wirft er Fragen nach den Formen der Gewalt auf. Schon D. Crummey monierte in seinem Band über „Banditry, Rebellion and Social Protest in Africa“ die Wahrnehmung ,kriminellen‘ Verhaltens als Beweis für „the great beast, the people’s capacity for outraged, uncontrolled, bitter and bloody violence.“ Unter Verweis darauf, dass Aufruhr und Brutalität der Beherrschten oft eine Erwiderung auf staatliche Gewalt darstellt, erweiterte er die Perspektive um „another beast: the state“.3 Im Folgenden wird dieses „beast“ in seinem Vorgehen gegen „Kriminelle“ und „Aufrührer“ zu analysieren sein. Formen der Gewalt erschöpfen sich nicht in Prügel und Schüssen. Formen von Gewalt gegenüber der afrikanischen Bevölkerung finden sich in kolonialstaatlichen Strukturen wie den drei „Eingeborenenverordnungen“ von 1907 und ihrer Auslegung durch Beamte, in Gefängnissen und Deportationen, im Recht zum Schusswaffeneinsatz und der Verdichtung der Polizeipräsenz durch Patrouillen. Wenn der Kolonialismus „eine von Gewalt geprägte Veranstaltung“ blieb,4 so waren die kolonialen Verwaltungsbeamten „im Grunde nichts als Funktionäre der Gewalt“, wie H. Arendt vor Jahrzehnten feststellte.5 Brutalität und Verrohung bis hin zu moralischer Abstumpfung lassen die Frage nach Gegentendenzen umso berechtigter erscheinen. Inwieweit und auf welche Weise erfolgte die Ein- und Begrenzung der polizeilichen Gewalt? Wie weit 1 Eckert/Wirz, 2002, S. 376 über postkoloniale Kulturgeschichte, die „[n]icht immer frei [ist] von selbstverliebter Theoretisierung und oft wenig belastet von tieferen Kenntnissen der handgreiflichen Realitäten kolonialer Herrschaft“; Wehler, 2006, S. 163 zum „Stil postmoderner Diskursverehrung ohne Bodenhaftung“ in der „Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus“. 2 Marx, 2005, S. 148; zum Gewaltbegriff vgl. Van Walraven/Abbink, 2003, S. 16 – 26. 3 Crummey, 1986, S. 1; Young, 1994, S. 134 zum Kolonialstaat als „crusher of rocks“. 4 Eckert, 2005, S. 274; vgl. Eckert, 2007, S. 18. 5 Arendt, 1958, S. 215.

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reichte die normative Regulierung der Staatsgewalt in der Kolonie? Nach ständiger Rechtsprechung musste „letzten Endes jede polizeiliche Maßnahme auf § 10 II 17 ALR zurückgeführt werden können“ – Ziel musste es demnach sein, Gefahren abzuwehren und die „öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ zu erhalten.6 Der Blick auf das Handeln des Kolonialstaats in DSWA ist stark von der politischen Ereignisgeschichte geprägt, deren Gehalt und Quellengrundlage gleichwohl in sozialgeschichtlicher Perspektive zu neuen Erkenntnissen über den Kolonialismus ,vor Ort‘ führen können. Die Vorgaben des (überwiegend) staatlichen Quellenmaterials begrenzen die Analyse unbestritten. Doch kann auch dieses Material Einblicke gewähren in die Erfahrungshorizonte der Kolonialbeamten wie der Kolonisierten. Die exemplarische Untersuchung ausgewählter Aspekte kolonialstaatlicher Strafpraxis rückt den Gewaltaspekt des Kolonialismus in den Vordergrund; was nur angemessen erscheint, da die Mehrheit jener Kolonisierten, die mit seinen Institutionen in Berührung kamen, diese vorrangig als regelnde und im Übertretungsfalle strafende Instanzen kennen lernte. Das Drohpotenzial des Kolonialstaats, das machen die folgenden Kapitel deutlich, war zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten unterschiedlich stark oder schwach ausgeprägt. Die nahe liegende Vermutung, dass die Gewaltressourcen des Kolonialstaats ständig ausgebaut wurden, trifft, wie der Blick auf die Personalentwicklung der Landespolizei gezeigt hat, nicht zu. Die Vielfalt der Fälle beleuchtet ein Institutionengefüge, dessen Durchsetzungsfähigkeit gegenüber abweichendem Verhalten mitnichten stetig zunahm. Wenn es heißt, es sei in DSWA „ein Stadium erreicht worden, in dem alle Lebensmöglichkeiten der Afrikaner dem europäischen Machtwillen und dem Sicherheitsinteresse untergeordnet wurden“,7 so lässt sich fragen, ob dem tatsächlich so war – hatten die Beamten dieses Stadium erreicht, oder träumten sie noch davon? Nicht zuletzt ihre Straftätigkeit zeugt davon, dass sich viele Afrikaner dem deutschen Machtwillen und kolonialen Sicherheitsinteressen nicht unterordneten – wofür sie, so man ihrer habhaft werden konnte, bestraft wurden.

6 Heine, 1928, S. 32. 7 Bley, 1968, S. 314.

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III. Die afrikanische Bevölkerung und die Kolonialpolizei 3.1. Vom Afrikaner zum „Eingeborenen“ „Hauptaufgabe der Polizei [ist] die Controlle und Beaufsichtigung der Eingeborenen.“8

Das Bild, das sich die Mehrzahl der Europäer von „den Schwarzen“ machte, war vielfältigen Wandlungen unterlegen. Mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft und dem modernen Kolonialismus war der „orientalisch kultivierte Äthiopier“ zum „primitive[n] Neger“ abgestiegen. „Die Schwarzen galten nun weithin als unwandelbar fremd und dämonisch, als trieb- und lasterhaft, kultur-, vernunft- und geschichtslos, als Menschen mit animalischer Körperlichkeit und kindischem Verhalten“, die zu ,erforschen‘ und auszustellen ein lohnendes Geschäft in den Metropolen wurde.9 Unter Europäern in Afrika war das Bild des „faulen Negers“ ein Allgemeinplatz.10 Der vermeintlich müßiggehende Afrikaner wurde zum „Eingeborenen“ gemacht. Doch so fremd und anders dieser scheinen mochte – so fremd, dass ihm eine eigene Rechtsordnung zugedacht wurde: Wie eindeutig konnte eine Unterscheidung gelingen? Wer war ein „Eingeborener“? Der, der eine müßige Lebensweise führte? Der, der so aussah? In DSWA, in dem seit 100 Jahren Europäer sich neben afrikanischen Wohnplätzen niederließen, Afrikanerinnen heirateten und Kinder erzogen, war eine Antwort nicht möglich. Gouverneur Leutwein räumte dies 1894 unter Verweis auf die starke „Vermischung“ ein. 1907 äußerte sich auch Unterstaatssekretär v. Lindequist zurückhaltend. Er wollte sich an einer Legaldefinition „des Eingeborenen“ nicht versuchen; eine solche könne „erschöpfend nicht gegeben werden“. Er stellte daher nur allgemeine Grundsätze auf: „Im Sinne“ der von ihm erlassenen „[Eingeborenen-]Verordnungen werden zu den Eingeborenen außer reinrassigen Angehörigen einer afrikanischen Völkerfamilie südlich des Äquators auch afrikanische Bastards der ersten Generation und solche entfernten Abkömmlinge von Bastards zu zählen sein, bei denen das farbige Blut offenbar überwiegt und die nach ihren Lebensgewohnheiten und ihrem Bildungsgrade nicht auf gleicher Stufe mit Europäern stehen, also z. B. Kapjungen. Im übrigen muß der Aufsichtsbehörde also dem Bezirksamt überlassen bleiben, im einzelnen Falle das Richtige zu treffen.“ Für Nordafrikaner und „Eingeborene anderer Erdteile“ wollte Lindequist die Vorschriften mit Verweis auf den „sehr verschiedenartigen Bildungsgrad“ einstweilen nicht angewendet sehen, weil „die Frage wo die Grenze der Anwendbarkeit der Verordnungen zu ziehen ist, nur unnötig verwickeln würde“.11 8 9 10 11

NAN BOM 53, 28, DA Omaruru an PolSt Omaruru, 26.1.12. Martin, 1993, S. 12 f.; 240; vgl. Gothsch, 1983; Dreesbach, 2005. McClintock, 1995, S. 252; Rüdiger, 1993, S. 60 f.; Scheulen, 1998, S. 67; van Laak, 2004, S. 262. NAN BSW 73, E 1 a 1, Gouv an BA Swakopmund, 18.7.07; Nagl, 2007, S. 56 – 61.

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In v. Lindequists Argumentation fand sich ein Konglomerat aus kultureller und biologistischer Augenscheinnahme, für die er eine schriftlich niedergelegte Anleitung, die früher oder später einem Kolonialkritiker im Reichstag bekannt geworden wäre, nicht geben wollte. Er vertraute darauf, dass die Bezirkschefs ihre Entscheidung auf die Vermutung gründen könnten, sie wüssten, wer ein „Eingeborener“ sei, wenn sie ihn sahen. Eine Definition schien nicht erforderlich. Erst ein Urteil des Obergerichts Windhoek 1907/09 definierte in der Scheidungsklage der Ada Maria Leinhos, deren Mutter eine Herero war, „[n]ach allgemeiner Ansicht“ den „bisher nirgends gesetzlich festgelegten“ Begriff: „jeder, dessen Stammbaum auf väterlicher oder mütterlicher Seite auf einen Eingeborenen zurückgeführt werden kann, [muss] selbst als Eingeborener betrachtet und behandelt werden.“12 Dieses Urteil und seine Umsetzung in der Verwaltungspraxis führte, wie B. Kundrus gezeigt hat, zu absurden, Betroffene und Angehörige tief verstörenden Resultaten. Noch der „Eingeborenen“-Status der aus einer alten Missionarsfamilie stammenden Mathilde Kleinschmidt, deren Ururgroßmutter Zara eine Nama war, musste diskutiert werden. Zu widersinnig war die aus den USA übernommene „Ein-Tropfen-Regel“, als dass Beamte nicht Sonderfälle und Ausnahmen zugestanden. Der Wunsch, objektive Kriterien für die Scheidung zwischen „Schwarz“ und „Weiß“ zu finden, entsprach einem „Sicherheitsbedürfnis der Kolonialräsonierenden“, doch blieb er illusorisch. Mit B. Kundrus und D. Gosewinkel ist zu betonen, dass ein „geschlossen rassistisches Menschenbild, das unabhängig vom individuellen Verhalten allein aufgrund des Kriteriums der Blutzugehörigkeit urteilte, wie es später die Nationalsozialisten fast perfekt entwickelten“, sich nicht durchsetzte. Die „Mehrheit der Kolonialräsonierenden [verständigte sich] auf eine Definition, die da hieß: Biologie und Kultur, Abstammung und Verhalten.“13 In der Metropole fand dies seinen Ausdruck in der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1913, dessen Patrilinearität „gesetzlich nicht durch rassische Diskri-

12 NAN GWI, 760, Gen VIII 7, Bl.123, Urteil OG: Leinhos, 10.11.09 (1. Instanz 26.9.07). 13 Kundrus, 2003, S. 275 f.; 290 (zu Zara Schmelen vgl. Trüper, 2000). Erhellend für eine rassistische Kolonialordnung, die auf kulturellen und biologischen Argumenten beruhte, ist das ,juristische Problem‘ „Amerikanischer Neger“: Gordon Sponner, der im Juni 1910 aus dem Gefängnis Lüderitzbucht entwich und nach dem Steckbrief die „Stammesangehörigkeit: Amerikanischer Neger“ besaß. (NAN BKE 199, B II 66 a, spec I, Bl.18, BA L’bucht an BA K’hoop, 9.7.10). Der Windhoeker Bezirksrichter H. Blumhagen hatte es bereis 1905 abgelehnt, die Strafrechtsache des „American Boy Robert Bartlett“ zu verhandeln, da dieser als „den Eingeborenen gleichgestellt zu erachten ist“. Seine amerikanische Staatsangehörigkeit konnte daran „nichts ändern; nur wenn der Beschuldigte seiner Bildung und seiner gesellschaftlichen Stellung nach Anspruch darauf erheben könnte, anders als ein hiesiger Eingeborener behandelt zu werden, würde man dem Sinne der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen entsprechend von einer Gleichstellung mit den Eingeborenen absehen können.“ Bartletts Fall war daher vor dem Distriktsamt zu verhandeln. (NAN GWI, 760, VIII 9, Bl.24, BG Windhoek an DA Okahandja, 3.5.05).

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minierungsklauseln angetastet“ wurde. „Der ,männliche Staat‘ hatte insoweit über den Rassestaat obsiegt.“14 Welche Bedeutung (und Folgen) es aber haben musste, nicht durch seine nähere Umwelt, aber durch die Verwaltung der einen oder anderen kulturellen Kategorie zugeordnet zu werden, wird deutlich erst aus dem Blick auf das „Eingeborenenrecht“, dem sich der zu unterwerfen hatte, der amtlich für einen „Eingeborenen“ gehalten wurde. 3.2. Das „Eingeborenenrecht“ und seine Überwachung Die „sachliche und personale Zweiteilung“ zwischen „Eingeborenen“ und „Nicht-Eingeborenen“ war der entscheidende Wesenszug des Kolonialrechts; jenes Rechts also, das territorial – durch seine Geltung einzig in den Kolonien definiert war, sich aber auf verschiedenste Rechtsgebiete erstrecken konnte.15 Eines davon war das „Eingeborenenrecht“. Vom SSG nicht näher definiert, war die Regelung der Rechtsverhältnisse der „Eingeborenen“ vollständig der kaiserlichen „Schutzgewalt“ (§ 1 SSG) überlassen. Schranken waren ihr keine gesetzt.16 Kaiser und Reichskanzler delegierten ihre Regelungskompetenzen mit Blick auf den „raschen Wandel“, der sich beim „Eingeborenenrecht“ als notwendig erwies, an die Gouverneure (zuletzt RGBl. 1908, S. 397). Diese organisierten die unterschiedlichen Rechtsmaterien in einer Reihe von Verordnungen, wobei das Strafrecht die dominierende Rolle einnahm. Eine Kodifizierung des „Eingeborenenrechts“ selbst für einzelne Kolonien erwies sich als nicht praktikabel, da Teilbereiche immer wieder neu gefasst wurden. Überhaupt galt, wie ein Regierungsrat vom RKA zu verstehen gab, dass noch der Verordnungsweg als ein die Verwaltung zu stark einschränkendes Instrument der „Eingeborenenpolitik“ empfunden wurde: dieser wäre nur beschritten worden, „wo hierfür ein besonderes Bedürfnis vorlag, um im übrigen der Praxis freie Hand zu lassen.“17 Demnach galt: Keine Verordnung (die die Verwaltung gebunden hätte) war besser als eine Verordnung. Dies ist als die „Ent-Normierung des [kolonial-] administrativen Handelns“ bezeichnet worden.18 Die Verwaltung in DSWA ging ab 1905 davon aus, dass die chiefs durch den „Bruch des Landfriedens“ ihre Selbständigkeit und die sich aus den mit ihnen abgeschlossenen „Schutzverträgen“ ergebenden Rechte verwirkt hatten. Sie wurden faktisch abgesetzt. Die seither erlassenen Verordnungen gaben vor, dass die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit über die „Eingeborenen“ bei den 14 Gosewinkel, 2004, S. 252; 254; vgl. Nagl, 2007, S. 55; Essner, 1997, S. 503 f. 15 Sack, 2001, S. 53; Sippel, 1997, S. 154 f.; Schlottau, 2007, S. 92 f.; Stengel, 1910, S. 183 f. 16 Es ließe sich argumentieren, dass das Erfordernis der Kongo-Akte (1885), die „Wohlfahrt der Eingeborenen“ zu fördern, der Kaiserlichen „Schutzgewalt“ Schranken setzte. 17 Gerstmeyer, in: DKL (1920), Bd.1, S. 507 f.; zum RKA Hoffmann, 1908, S. 14. 18 Speitkamp, 2005, S. 45; vgl. Sack, 2001, S. 43; Essner, 1992.

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Leitern der Mittelbehörden, den Bezirks- oder Distriktsamtsmännern lag. Als Beisitzer wurden Afrikaner herangezogen. Urteile waren schriftlich abzufassen. Das Prozessrecht war kaum geregelt, doch sollten deutsche Grundsätze beachtet werden.19 Ein Instanzenweg war nicht vorgesehen. Da es sich aber um eine Verwaltungsentscheidung handelte, war theoretisch die Möglichkeit der Beschwerde bei der vorgesetzten Behörde gegeben. An inhaltlichen Vorgaben fehlte es. Doch wurden die Vorschriften des RStGB oder des BGB zum Anhalt genommen,20 „in erster Linie aber die Rechtsgewohnheiten der Eingeborenen berücksichtigt. Naturgemäß kann dies, entsprechend den ethischen und politischen Aufgaben der Eingeborenenrechtspflege, welche auch erziehend wirken soll, nur soweit geschehen, als diese Rechtsgewohnheiten nicht, vom Standpunkte einer Kulturnation aus beurteilt, gegen die gesunde Vernunft und die guten Sitten verstoßen“, wie ein Erlass der Kolonialabteilung 1907 erläuterte. (Zimmermann, KolGG, Bd.11, S. 54)

Da die afrikanischen Rechte aber weitgehend unbekannt waren und der „Eingeborenenrichter“ hier auf seine Beisitzer angewiesen blieb, kam die Forderung nach einer Kodifizierung eines „Eingeborenenrechts“ der einzelnen Völker auf, der die Kolonialverwaltung aber ablehnend oder zumindest hinhaltend gegenüber stand. Eine formaljuristische Eingliederung afrikanischer Rechte in die Rechtstexte der Kolonialmacht schien nicht opportun. Doch liefen seit den 1890er Jahren Vorarbeiten zur „Feststellung der Rechtsgewohnheiten der Eingeborenen“, die Reichstag und Kolonialverwaltung förderten.21 Fragebögen an Missionare und Beamte sollten die Anschauungen und Praktiken erschließen. Ethnologen und rechtsvergleichende Juristen nahmen sich des gesammelten Materials im Bewusstsein der „erzieherischen Bedeutung des Rechts“ dankbar an. Denn: „Gerade in der Versöhnung des Eingeborenenrechts mit den absoluten Forderungen der Kultur liegt die Hauptaufgabe des künftigen Kolonialrechts“, so F. Meyer, Berliner Kammergerichtsrat und Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft. Auch war es von „besonderer Wichtigkeit …, dass diejenigen Beamten, denen … die Rechtspflege über die Eingeborenen anvertraut ist, sich, schon ehe sie ihre verantwortliche Stellung antreten, soweit als möglich über die Rechtsbräuche der Eingeborenen unterrichten.“22 Gerade mit Blick auf die Rechtssprechung der Bezirkschefs verkürzt E. Okupa, wenn sie behauptet: „There was no collaboration between civil law, common law and customary law.“ Zwar steht eine wissenschaftliche Bearbeitung der (zivilrechtlichen) Urteilspraxis noch weitgehend aus, doch (zumindest nominell) 19 20 21 22

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Vgl. Doerr, 1908; 1913; 1914; Sippel, 2002, S. 208 f.; Schlottau, 2007, S. 202 – 227; 245 f. Hoffmann, 1908, S. 80, Ausnahmen waren die kapteine von Berseba und Rehoboth. EingeborR: DKL (1920), Bd.1, S. 507 f.; FranÅois, 1899, S. 113 f.; Naendrup, 1907, S. 14. Meyer, 1904, S. 523 f.; vgl. Schultz-Ewerth/ Adam, 1930; Roberts/Mann, 1991, S. 16; Benton, 2002, S. 2; Schlottau, 2007, S. 70 – 87.

entsprach eine Verknüpfung der Rechtsanschauungen der deutschen Rechtspolitik in den Kolonien.23 Das zeigt sich selbst in den nach dem Ende des Kriegszustandes (31. März 1907) erlassenen drei Verordnungen, die das Verhältnis zu den Afrikanern auf eine neue rechtliche Grundlage stellten und, will man den Begriff der „direct rule“ auf die Verhältnisse in DSWA übertragen, als Indiz für diese gelten kann.24 Missionar Vedder erklärte noch 50 Jahre später stolz, sie hätten die „Basis der Apartheid“ in Südwestafrika gelegt.25 Sicherheit für die koloniale Ordnung und wirtschaftliche Gefügigmachung aller Afrikaner in der Polizeizone waren die im Vordergrund stehenden Motive für die Verordnungen vom 18. August 1907 über die Maßregeln zur Kontrolle der Eingeborenen, ihre Paßpflicht, sowie die Dienst- und Arbeitsverträge mit Eingeborenen, deren Entstehung und Ausgestaltung jüngst ausführlich dargestellt wurden.26 Hier ist nur knapp auf die Inhalte und Folgen einzugehen. Als ,Grundgesetz‘ der afrikanischen Bevölkerung DSWAs nach den Kriegen kann die Verordnung über Maßregeln zur Kontrolle der Eingeborenen bezeichnet werden. §9 der Maßregeln bestimmte die Zusammenfassung der Afrikaner in so genannte „Werften“, die einer Kontrolle unterzogen werden sollten. In den von Gouverneur v. Lindequist aufgestellten Grundsätzen über die Durchführung der Verordnungen findet sich jedoch der Hinweis: „Jede Einmischung in rein interne Angelegenheiten und Streitigkeiten der Eingeborenen, in ihre häuslichen Familien- und Privatrechtsverhältnisse ist zu vermeiden, es sei denn, daß die Eingeborenen selbst um Entscheidung bitten.“27 Dass Kolonialbeamte lokale Probleme besser „sich selbst“ überlassen sollten, war ein Ratschlag, der auch in anderen Kolonien gegeben wurde. Daher wusste F. Meyer die deutsche Verwaltung im Einklang mit anderen „kolonisierenden Völker[n] … Sie lassen grundsätzlich die Eingeborenen ihre Rechtsangelegenheiten untereinander nach eigenem Recht entscheiden.“(28) Dem Prinzip der ,Nicht-Einmischung‘ lagen dabei nicht allein Bequemlichkeit und Praktikabilitätsdenken zugrunde, sondern auch das Eingeständnis, dass „officials did not fully control or understand the conflicts and contests that took place within their colonial empires.“29 Was der Grundsatz der ,NichtEinmischung‘ in „interne Angelegenheiten“ allerdings ein- oder ausschloss war eine Ermessensfrage für die Beamten. Für die Polizei war § 4 der Maßregeln eine Art Grundnorm, deren Einhaltung es stets zu überprüfen galt, wenn etwa eine Patrouille auf eine/n 23 24 25 26 27 28 29

Okupa, 2006b, S. 375; vgl. Sippel, 2002, S. 206 f.; Sack, 2001, S. 58 f.; Boin, 1996. Mamdani, 1996, S. 17: vgl. Sippel, 2006, S. 301 f. Vedder als Senator im Parlament in Pretoria, 28.5.56, zit in: Mamozai, 1982, S. 45. Vgl. Zimmerer, 2004, S. 68 – 94, 126 – 148. NAN BSW 73, E 1 a 1, UStS Lindequist, Gouv an BA Swakopmund, 18.7.07. Meyer, 1904, S. 490. Osborn, 2003, 34; Fisch, 1992, S. 29 betont den pragmatischen und herrschaftsstabilisierenden Aspekt der ,Gewährung‘ traditionellen Rechts durch die Kolonialverwaltungen.

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Afrikaner/in traf, die/der von nun an bei einem Bezirksamt registriert sein musste und eine Passmarke bei sich zu tragen hatte: „Eingeborene, die herumstreichen, können, wenn sie ohne nachweisbaren Unterhalt sind, als Landstreicher bestraft werden.“ Ihre Eingliederung in die Kolonialwirtschaft wurde so für Afrikaner zum Maßstab ihrer ,Legalität‘ im Kolonialstaat. Bei allen drei Verordnungen hing die ,erfolgreiche‘ Durchführung wesentlich von der Polizei ab. Wie in Deutschland, wo die Überwachung der Einhaltung von Verträgen mit dem Dienstpersonal seitens ihrer Herrschaft bis 1918 durch die Polizei überwacht wurde,30 so oblag auch in der Kolonie die Kontrolle der minimalen Anforderungen an die Arbeitgeber den Polizeibeamten. Die Verwaltungsaufgaben der Ämter als Mittelbehörden nahm durch die mehr oder minder gleichzeitig erlassenen Bestimmungen über die „Eingeborenen-Kontrolle“ und die Organisation einer Landespolizei „stark an Umfang zu“.31 Probleme blieben nicht aus. Eine buchstabengetreue Umsetzung der Verordnungen ließ auf sich warten. Im Bezirk Grootfontein hatten „sich [1907] die Verordnung über die Pass-Pflicht und über die Kontrolle der Eingeborenen noch nicht genügend durchführen lassen, da es einerseits an den nötigen Passmarken, andererseits an ausreichender Polizeimannschaft mangelt.“32 Bei der Durchführung der Passverordnung, mit der sich die Verwaltung eine Kontrolle der Bewegung der zu Kolonisierenden erhoffte,33 war die Mitwirkung der Polizeistationen vorgeschrieben: Afrikaner hatten sich, wenn sie ihren Distrikt verlassen wollten, bei der zuständigen Polizeistation einen „Reisepaß“ ausstellen zu lassen und bei ihrer Rückkehr denselben wieder abzugeben (§ 3). Gelegentlich der Ausstellung eines Passes war stets zu prüfen, ob der „betreffende Eingeborene noch in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis steht.“34 In der Praxis wurden diese Bestimmungen noch verschärft. Das Distriktsamt Omaruru etwa legte fest, „dass in jedem einzelnen Fall, in welchem ein Eingeborener einen Reisepaß haben will … die Genehmigung des Distriktsamts unter Stellungnahme [der Polizeistation] zu dem Antrag nachzusuchen ist.“35 Nur in Ausnahmefällen dürfe sie Pässe selbst ausstellen. Dennoch klagten Farmer über eine zu große Bewegungsfreiheit der „Eingeborenen“.36 Ein perfides Kontrollinstrumentarium hielt § 16 bereit: „Jeder paßpflichtige Eingeborene kann von jedem Weißen angehalten, und wenn er ohne gültigen Paß betroffen wird, dem nächsten Polizeibeamten übergeben werden.“ So wurde jeder Europäer zu einem Kontrolleur, zu einem Hilfspo30 31 32 33 34 35

Spencer, 1992, S. 111. NAN ZBU 155, A VI a 3, Bd.16, Bl.139, Jb BA Gibeon, 1907/08, 18.4.08. NAN ZBU 155, A VI a 3, Bd.16, Bl.225, Jb BA Grootfontein, 1907/08, 15.5.08. Trotha, 1994, S. 413 f.: „Bewegung“ als „Antwort der Beherrschten“; Eckert, 2007, S. 10. NAN BSW 73, E 1 a 1, Gouv an BA S’mund, 18.7.07; vgl. Zimmerer, 2004, S. 78. NAN BOM 53, 28, DA Omaruru an PolSt Omaruru, 22.7.12; NAN ZBU 2045, W III b 2, Bl.9, BA Keetmanshoop an Gouv, 5.3.09; Zimmerer, 2004, S. 129. 36 Vgl. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.78, Farmer v. Bodenhausen an BA Windhuk, 12.4.10; Bl.87, PolSt Neudamm an BA Windhuk, 1.4.10.

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lizisten. Wer Verdacht erregte, konnte auch bei unvollständigem Schuldbeweis bestraft werden, ungeachtet des Verbots von Verdachtsstrafen.37 Die Forderung des ,Rechtsvergleichers‘ Meyer, „Achtung vor den Institutionen der Eingeborenen muss die Grundlage der kolonialen Verwaltung bilden“,38 fand keine Beachtung: mit § 2 der Maßregeln, der das Halten von Großvieh von der „Genehmigung des Gouverneurs“ [!] abhängig machte, wurde den afrikanischen Viehhaltergesellschaften in der Kolonie vorsätzlich nicht nur ökonomisch das Rückgrat gebrochen, sondern eine ganzes Wertesystem zerstört.39 Als der Präses der Rheinischen Mission vor seinem Gespräche mit dem Staatssekretär Dernburg 1908 um Stellungnahmen seiner Brüder zu bestehenden Problemen bat, rang der Missionar Olpp mit sich, ob er Änderungen in den „Eingeborenengesetzen“ anregen sollte oder nicht. Dies schien ihm letztlich „nicht tunlich“; doch tröstete er sich: „Die Gesetzesjacke sitzt ja etwas stramm. Aber auch ein anfangs eng sitzender Schuh weitet sich mit der Zeit u. wird erträglich. Auf dem Papier liest sich die Sache viel bedrohlicher, als sie in Wirklichkeit ist. Stramme Ordnung dient auch der Erziehung. Ob es ratsam wäre, die Beschränkungen des Groß-Viehhaltens der hiesigen Bastards zur Sprache zu bringen, erscheint mir zweifelhaft, zumal der Gouverneur die Zahl der zulässigen Gehörnten ja auf 300 erhöht u. auch zugesagt hat, später vielleicht noch weitere Zugeständnisse zu machen.“40

Doch von einer Abmilderung der Verordnungen, die schon bald von W. Rathenau und in den kommenden Jahren regelmäßig im Reichstag kritisiert wurden, konnte keine Rede sein – umso weniger als ihr Schöpfer Gouverneur v. Lindequist 1910 zum Kolonialstaatssekretär aufstieg.41 Im September 1909 schrieb sein Nachfolger im Amt des Gouverneurs, B. v. Schuckmann an das Reichskolonialamt: „Die Eingeborenen-VO vom 18. August 1907 haben sich als zweckmäßig erwiesen, sie sichern den Betrieben eine Stabilität in der Arbeiterhaltung und wahren andererseits die Interessen der Eingeborenen, die mehr und mehr mit den ihnen zustehenden Rechten vertraut werden.“42

Diese „Rechte“ der Afrikaner, die ihre Ausbeutung verhindern sollten, waren in der Verordnung betreffend die Dienst- und Arbeitsverträge mit Eingeborenen geregelt. Danach erlangten alle Abmachungen über Arbeitsleistungen mit 37 Vgl. Thäle, 1993, S. 235 – 9; Zimmerer, 2004, S. 82 f. 38 Meyer, 1904, S. 490; vgl. Meinhof, 1914. 39 Vgl. Röhreke, 2001, S. 146 f.; NAN BKE 199, B II 66 a, spec I, Bl.60, PW Rausch an PolDep Spitzkoppe; 19.10.10; Bl.61, BA K‘hoop an PolDep Spitzkoppe, 1.11.10. 40 AELCRN, C II 1.13, Missionar J. Olpp (Otjimbingwe) an Präses Eich, 24.3.08. 41 Rathenau, 1928 [1908], S. 101 f. beklagte eine „Helotie“, „die stellenweise an Sklaverei grenzt“; MdR Mumm (Wirtschaftliche Vereinigung) forderte die Durchsicht der VO (SBRT, Bd. 294, 13. L.P. 1. Sess. 1912/14, 237. Sitzung, 20.3.14, S. 8146); vgl. Kaulich, 2001, S. 271. 42 NAN ZBU 156, A VI a 3, Bd.18, Bl.52, Jahresbericht Gouv 1908/09, 26.10.09.

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mehr als einmonatiger Dauer „ihre Gültigkeit erst durch Aushändigung eines von der zuständigen Polizeibehörde ausgefertigten Dienstbuches an den Dienstherrn.“ Zugleich hatte sich der Polizeibeamte im „Eingeborenenregister“ zu vergewissern, dass der Arbeitnehmer nicht durch einen noch laufenden Dienstvertrag gebunden und ihm der Inhalt des Vertrages „genügend verständlich geworden ist“ (§ 1). Ein neues Arbeitsverhältnis durfte nur dann eingegangen werden, wenn die Polizeibehörde das Ende des bisherigen im Dienstbuch vermerkte (§ 4). Gemäß § 9 der Arbeitsverordnung konnte der Bedienstete, der „ohne gesetzmäßige Ursache den Dienst verläßt, auf Antrag des Dienstherrn „behördlicherseits durch Zwangsmittel zur Fortsetzung der Arbeit angehalten werden.“ Der Kolonialrechtler Stengel stellte 1898 ähnliche Verordnungen in anderen Kolonien in einen Zusammenhang mit der „Arbeiterschutzgesetzgebung“ in den europäischen Staaten, die gleichfalls in die privatrechtliche Vertragsfreiheit eingriff, so dass auch dort „in den letzten Jahrzehnten die Gesetzgebung und Verwaltung in viel umfassenderer Weise als früher die Arbeiterverhältnisse in den Bereich ihrer Thätigkeit gezogen“ habe. Einen Unterschied zu Europa erblickt er im Ausmaß der staatlichen Bestimmungen, die in den Kolonien, aus „teils humane[n], teils wirtschaftliche[n]“ Gründen, weitgehender sind als in Europa. Dadurch wird das „Verhältnis der Arbeitgeber zu den Arbeitern … der Hauptsache nach aus dem Gebiet des Privatrechts in das des öffentlichen Rechts verschoben.“43 Die ,wohlfahrtspolizeylichen‘ Traditionen wurden gleichwohl vom Ziel maximaler Verfügungsgewalt über Afrikaner und ihre Arbeitskraft überdeckt. Wie ein Blick auf den Farmalltag zeigen wird, sprach die dortige Arbeitswirklichkeit allen Schutzversprechungen dieser Verordnung Hohn. Ihre polizeiliche Kontrolle war oft geprägt von Zynismus; wenngleich es richtig ist, wenn in der Forschung betont wird, „daß sich die Eingeborenenpolitik in Südwestafrika keineswegs auf eine reine Ausbeutungspolitik reduzieren lässt, in der die indigene Bevölkerung als völlig rechtlos angesehen wurde.“44 Mehr zur eigenen Beruhigung verkündete das Gouvernement 1910, die „Eingeborenen [hätten] sich allgemein in die durch die Verordnung vom 18. August 1907 geschaffene Rechtslage befriedigend hineingefunden“.45 Für die historische Einordnung der Verordnungen ist wiederum der Vergleich, wie er bei Stengel anklang, mit Bestimmungen ähnlichen Inhalts zu beachten. Vergleiche mit den Arbeitsordnungen anderer Kolonialmächte wurden stets gern angestellt, da man von deren „Erfahrung“ zu profitieren wünschte.46 Der Historiker D. Schulte weist daher, wie vor ihm I. Goldblatt, darauf hin, „daß Dernburg wesentliche Anregungen für seine Reformauffas43 Das Institute Colonial International stellte eine Materialsammlung von gesetzlichen (Schutz-) Vorschriften über die Arbeiterverhältnisse in frz., niederl., brit. und dt. Kolonien zusammen, vgl. Stengel, 1898, S. 247/252; 260; Sombart 1927, S. 322; 327 – 30. 44 Zimmerer, 2004, S. 281; vgl. Krüger, 1999, S. 142 f.; Kaulich, 2000, S. 270 f. 45 NAN BWI 37, E 1 g, Bl.88, Gouv an alle BA + DA, 5.3.10; Zimmerer, 2004, S. 133. 46 Vgl. Stengel, 1898, S. 253; Gabriel, 1897, S. 105; Coing, 1978; Osterhammel, 2003b.

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sungen aus persönlichen Studien der in Preußen und Mecklenburg praktizierten Methoden der kapitalistischen Ausbeutung polnischer Saisonarbeiter gewonnen hat. In die Ausarbeitung der Verordnungen über das Arbeiter- und Anwerbewesen flossen jedoch primär die britischen Kolonialerfahrungen ein.“47 Nach der deutschen Niederlage 1915 brachte die südafrikanische Verwaltung die „Eingeborenengesetze“ in Übereinstimmung mit den Bestimmungen in der Union. Nach Fr. Gerstmeyer waren die Vorschriften vom 18. 8. 1907 noch 1929 „in Geltung“. Pass- und Arbeitspflicht wurden beibehalten. Die Verwaltung orientierte sich dabei an der Praxis Transvaals und nicht an derjenigen der liberaleren Kapprovinz.48 Da die Überwachung wie auch die Durchführung der „EingeborenenVerordnungen“ von 1907 zu großen Teilen bei der Polizei lag, die auf Otjiherero „opolisei“ hieß,49 bestimmten sie maßgeblich das koloniale Verhältnis zwischen Afrikanern und Polizisten. In dem Brief einer Herero aus Karibib stand zu lesen: „Die Polizei an unserem Platz ist sehr böse, es kann überhaupt kein Mensch hierher kommen, der nicht ein Dienstverhältnis hat. Rede doch mit deinem Herrn, dass er einen Abmeldeschein von der Polizei in Swakopmund besorgt, so werde ich ihn der Polizei in Karibib vorzeigen“.50 Angesichts dieser negativen Wahrnehmung war es eine ehrliche Einschätzung, wenn ein Bezirkschef über den Alltag zwischen seinen Beamten und Afrikanern urteilte: „Die Polizei kennt der Eingeborene meistens nur als strafende Instanz und hat deshalb nicht das rechte Vertrauen zu ihr.“51 Zum Ausgleich, als Mittel- und Mittlerinstanz, waren bis 1912 vier „Eingeborenen-Kommissare“ in Windhoek, Lüderitzbucht, Keetmanshoop und Warmbad ernannt worden; Beamte, die sich als „Anwälte“ der Afrikaner betätigen sollten und als ihre gesetzlichen Vertreter die Einhaltung der ihnen aus den „Eingeborenen-Verordnungen“ zustehenden Rechte, aber auch deren allgemeine Lebensführung überwachen sollten. Die Registrierung und Verteilung der Arbeitskräfte machte sie zugleich zu wichtigen Bindegliedern zwischen Verwaltung und Siedlerschaft. Die Kommissare waren dem „Eingeborenen-Referenten“ im Gouvernement unterstellt, nicht den Bezirkschefs; ihren Anordnungen kam daher Gewicht zu.52 Windhoeks „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr machte sich über das Verhältnis von Afrikanern und Polizei keine Illusionen. Er sprach von der „Tatsache, dass die Eingeborenen vor den Polizeiorganen erheblichen Respekt haben, und eine gewisse Furcht kann nie von Nachteil sein.“53 Respekt und Furcht vor den kolonialen Institutionen waren er47 Schulte, 1981, S. 35; Goldblatt, 1971, S. 182; 184. In Dtl. gab es die „zwangsmäßige Zuführung säumiger oder entlaufener Dienstboten“ z. B. Art.106 Bayr. PolStrGB; Kitzinger 1913, S. 201. 48 Gerstmeyer, 1929, S. 602; vgl. Kößler, 2005, S. 31; Silvester/Gewald, 2003, S. 11. 49 Irle, 1917, S. 261. 50 NAN BSW 73, E 1 a 1, Rudolfine Kandjende an N.N., 7.1.09; vgl. Krüger, 1999. S. 192. 51 NAN ZBU 2365, VII m, Bl.13, BA Omaruru an Gouv, 27.5.13. 52 Vgl. Zimmerer, 2004, S. 118 – 125; Berman/Lonsdale, 1992, S. 38. 53 NAN ZBU 2048, W III f 2, Bd.1, Bl.39, EK Bohr an Gouv, 31.8.13.

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wünscht. Doch wie für britische, so kann auch für deutsche Kolonialbeamte festgestellt werden, dass sie ängstlich auf die Vermeidung von Krisen erpicht waren.54 Die Polizei galt als „das einzige Organ, das den „Eingeborenen einen Schutz bieten konnte“.55 Alle Beamten wurden zur „Aufrechterhaltung eines guten Verhältnisses zu den Eingeborenen“ verpflichtet. Dieses „hat zur Voraussetzung, daß die Eingeborenen mit Wohlwollen und Selbstbeherrschung behandelt und daß Übergriffe …, welche häufig nur auf Unkenntnis der Sprache und Sitten der Eingeborenen zurückzuführen sind, unter allen Umständen vermieden werden.“56 Keinesfalls sollte einer Auffassung Nahrung gegeben werden, die der Ethnologe S. Passarge in Erfahrung gebracht haben wollte und die „jeder Schwarze in seinem Herzen trägt …: ,Wir haben mit den Weißen nichts zu tun, wir hassen sie und sie sind hassenswert‘.“57 Die Wirkung der Verordnungen auf den Alltag der Afrikaner war einschneidend, trotzdem die erstrebte Kontrolle oft eine Illusion blieb. Afrikanische Äußerungen dazu sind fast nicht überliefert. Ein 1909 abgefangener Brief der Verfasserin an ihren Bruder Josephat Kandjenda, ist wie der oben zitierte, eine der seltenen afrikanischen Stimmen, die sich direkt mit den nun verlangten „Papieren“ auseinandersetzt: Sie berichtet von dem Wunsch nach Karibib zu reisen, doch hatte die Polizei in Swakopmund ihr die Passmarke abgenommen, „weil Du ihr keinen Pass von Deinem Herrn besorgt hast … Aus diesem Grunde kann Rudolphine jetzt nichts machen“. Wie schwierig es nach 1907 für Afrikaner sein konnte, den Ort zu wechseln, zeigt sich auch daran, dass die Verfasserin den Brief ihrem Arbeitgeber mitgab, „weil kein Schwarzer des Weges geht.“58 Die Schwierigkeiten, einen „Reisepass“ zu bekommen, konnten eine zunehmende Landflucht nicht verhindern, die sich insbesondere für die kleinen und wirtschaftlich schwachen Amtsbezirke zu einem erheblichen Problem entwickelte. Nach der Auffassung des Bezirkschefs von Omaruru war, die „Controlle und Beaufsichtigung der Eingeborenen“ die „Hauptaufgabe“ der Polizei.59 Doch mit der Kontrolle reichten die Beamten selbst nach dem Urteil ihrer Vorgesetzten nicht weit genug. So wie in Bethanien versuchte auch das Bezirksamt Gibeon, eine Abwanderung von Arbeitskräften zu vermeiden und konnte dies doch nicht verhindern: „Öffnen wir die Grenzen des Verwaltungsbezirks, so werden wir seitens der Farmerschaft ein großes Wehgeschrei hören, daß die Herero alle nach ihren alten Plätzen im Norden, vor allem nach

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Killingray, 1997, S. 177: „Colonial Officials were invariably anxious to avoid crisis.“ So Rafalski, 1930, S. 30 BAB R 1001/9098, Bl.1115, Bestimmungen für die Beamten in den Schutzgebieten, 2/06. Passarge, 1908, S. 340 f., die angebliche Äußerung eines„Führer der äthiopischen Bewegung“ zitierend. Nach Passarge seien „Eingeborene“ stets „streng aber gerecht zu behandeln“. 58 NAN ZBU 2053, W III p 2, Bl.36, Aus Karibib an Josephat Kandjenda, 1909; vgl. Hillebrecht, 1992, S. 57. 59 NAN BOM 53, 28, DA Omaruru an PolSt Omaruru, 26.1.12.

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der Großstadt Windhuk gehen“.60 Der herrschende Arbeitskräftemangel eröffnete der afrikanischen Bevölkerung mit Hilfe ihrer Arbeitgeber einen größeren Handlungsspielraum, wie das Gouvernement 1912 verärgert feststellte: Da die Arbeitgeber händeringend Arbeitskräfte suchten, fragten sie häufig nicht erst nach Pässen (§ 14 PassVO) oder noch laufenden Arbeitsverträgen (§ 11 ArbeitsVO), sondern gaben sich mit der Antwort zufrieden, man habe noch nie bei „Weißen“ in Lohn gestanden und nie einen Pass besessen; ein solcher konnte dann auf der nächsten Polizeistation beschafft werden. Gegen dieses „Unwesen“ unter den Arbeitgebern empfahl das Gouvernement, gerichtlich vorzugehen. Auch Polizisten standen in der Kritik, sie würden zu leichtgläubig neue Dienstverträge und Pässe ausstellen und sich dadurch „streng genommen aus § 14 der Passverordnung strafbar“ machen.61 Die Strategien, mit denen Afrikaner sich gegen ihre Vereinnahmung durch die deutsche Verwaltung wehrten, ließen letztere hin und wieder ohnmächtig wirken. Gegen Melderegister und Arbeitskontrollbücher verwahrten sich einige Afrikaner mit ihrer „Vorliebe“ für neue Namen. Der Präses der Rheinischen Mission Olpp ließ das Gouvernement 1911 wissen: „Die Orientierung würde dadurch sehr erschwert, in manchen Fällen unmöglich gemacht.“ Als Gegenmaßnahme war ein weiteres Register, das „Namensregister“, auf den Bezirksämtern zu führen und „ständig auf dem Laufenden zu halten.“ Der Namensverwirrung leisteten allerdings auch die Dienstherren Vorschub. Denn auch „die Herren [gaben] ihren Bambusen oft einen anderen Namen“. Wenn Arbeitgebern der Name missfiel oder sie mehrere Arbeiter mit dem gleichen Namen beschäftigten, zögerten sie nicht, aus „Timotheus“ „Fritz“ zu machen. Ein neuer Arbeitgeber, der bereits einen „Fritz“ in Diensten hatte, konnte „den Timotheus-Fritz fortan etwa in Hans benennen, und der Eingeborene hätte somit 3 Namen.“ Eine Rundverfügung drang daher darauf zu achten, „daß der Eingeborene seinen einmal angenommenen Namen behält“. Personen gleichen Namens war „zur Unterscheidung eine Nummer beizusetzen“: also „,Jakob 1‘ oder ,Jakob 2‘“, so der Vorschlag des Präses Olpp.62 Damit riet er zu einer Praxis, wie sie in der Rheinischen Mission üblich war, wo etwa in den Berichten von „Missionar Diehl I“ und „Diehl III“ die Rede war.63 Auch im Bezirksamt Windhoek waren 1909 zwei Polizeibeamte beschäftigt, die mit „Schmidt I“ und „Schmidt II“ unterzeichneten.64 Die Lüderitzbuchter Zeitung aber zeigte sich spöttisch gegenüber diesen Vorschlägen. Da häufig nur sehr wenige Vornamen gebräuchlich seien – so würden die „Krujungen“ 60 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.34, DA Bethanien an Gouv, 18.11.11; Bl.114, BA Gibeon an Gouv, 14.3.12. 61 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.127, RVerf Gouv, 26.6.12; zum Arbeitermangel Goldblatt, 1971, S. 182; vgl auch zu DOA Sunseri, 2002. 62 NAN ZBU 2045, W III b 1, Bl.21, Vermerke für Gouv, 24.1.11; Bl.24, Präses Olpp an Gouv, 13.3.11; Bl.26, RVerf, 29.3.11; vgl. Zimmerer, 2004, S. 145 f.; Gewald, 1999, S. 229 63 Berichte der Rheinischen Missionsgesellschaft, Nr. 5, 61. Jg. (1904), S. 144/7. 64 BAB R 1002/2718, ILP an BA Windhuk, 23.1.09, vgl. die Unterschriften.

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meist nur „Meyer“ genannt –, wäre eine Nummerierung wenig praktikabel: „Wenn diese alle mit römischen Ziffern bezeichnet werden sollen, so müssten die in Reuß regierenden Fürsten sich vor Scham verstecken.“65 Ins Ironische gezogen zeigt diese Feststellung, dass noch jede Herrschaftsstrategie zur Umgehung herausforderte, die zu verhindern umso schwerer fallen musste, als die Grenzen der Praktikabilität bald erreicht waren. Der folgende Abschnitt über die Strafpraxis illustriert dieses Gegeneinander und seine brutale Ausgestaltung durch die Kolonialverwaltung in Form von „Ritualen der Vergeltung“66. Die Kontrastierung mit der Behandlung europäischer Straftäter macht die rechtsstaatlichen Grenzgänge der Kolonialverwaltung und ihrer Rechtsanwendung offenkundig.

65 Lüderitzbuchter Zeitung (2. Bl), 3. Jg # 48, 2. 12. 1911, S. 1. 66 Die Überschrift bezieht sich auf Evans, 2001; vgl. ebd. Einführung, S. 29 – 56.

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IV. Deutsche „Rituale der Vergeltung“ in Afrika 4.1. Prügelstrafe und Strafgerichtsbarkeit In den Kolonien fand sich eine Rechtspraxis, die in der Metropole als nicht mehr zeitgemäß und weitgehend überwunden galt – aber für viele Zeitgenossen ihre Berechtigung nicht verloren hatte. Neben der rudimentären Trennung von Rechtssprechung und Verwaltung ist die Prügelstrafe dafür ein Beispiel. In Anlehnung an ostelbische Zustände galt auch ihre Farm vielen Siedlern gleichsam als ein ,Patrimonialgerichtsbezirk‘, in dem sie sich als ,Gerichtsherrn‘ mit eigener Strafgewalt ausgestattet glaubten.1 Die Prügelstrafe in Deutschland Die gesetzliche Abschaffung der Prügelstrafe 1848 in Preußen war, trotz massiver Bestrebungen innerhalb der Verwaltung zur Wiedereinführung – so wurde auf den Verfall der Sitten und überfüllte Gefängnisse verwiesen –, im preußischen Strafgesetzbuch von 1851 nicht rückgängig gemacht worden. Der Prozess der Hegung der gesetzlich verankerten Prügelstrafe über Gesetze und Verordnungen von 1794, 1811, 1815, 1833 und 1848 darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass diese auch nach 1848 von Arbeitgebern als disziplinarisches Mittel eingesetzt wurde. Gleichwohl: Die „legale Chance zu körperlicher Züchtigung schwand“2 : „Um 1900 landeten Rittergutsbesitzer, die den Stock gegen Angestellte gebrauchten, relativ häufig vor Gericht.“ In den Königreichen Bayern, Sachsen und Hannover konnten Diebe noch in den 1860er Jahren gesetzlich mit 50 Hieben bestraft werden. 1853 führte Württemberg die Prügelstrafe, nachdem sie 1848 abgeschafft worden war, wieder ein. Das 1872 für das Deutsche Reich eingeführte Reichsstrafgesetzbuch orientierte sich dagegen am preußischen Gesetz von 1851 und erwähnte die Prügelstrafe nicht mehr.3 Doch der vermeintlich „längst erloschen geglaubte Krater der Rohheit“ brodelte „auf deutschem Boden“ weiter. Hier wie andernorts fand sich eine „anhaltende Beliebtheit der Prügel“, die, so P. Gay, mit „bombastischen pädagogischen und theologischen Begründungen“ gerechtfertigt wurde.4 Die staatlich sanktionierte ,Tracht Prügel‘ existierte auch unter der Verantwortung deutscher Beamter fort: in Zuchthäusern, Gefängnissen, Schulen, Armen- und Arbeitshäusern – und in den Kolonien. Als zulässig und verhältnismäßig galt sie als „Disziplinarstrafe“, solange keine Gefahr für die Gesundheit bestand. Das Preußische Oberverwaltungsgericht billigte die Prügel, als es erklärte, 1 Vgl. Schwirck, 2002, S. 101 f. 2 Koselleck,1981, S. 641 – 59 (649). 3 Evans, 1997, S. 178; 168; vgl. Gay, 1996, S. 233 f.; Lüdtke, 1982, S. 226; Feder, 1911, S. 8 – 22; Schick, 1916, S. 78: Der Lehrherr hatte gegenüber seinem minderjährigen Lehrling gemäß § 127a GewerbeO ein Züchtigungsrecht (vgl. aber Art. 95 III EGBGB); RGSt 2, S. 7 4 Geh. Justizrat Thomsen, in: Bußler (Hg.), 1908, S. 47; Gay, 1996, S. 227.

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dass „11 ungefähr 8 – 10 Centimeter lange, blaurothe und auf Druck empfindliche Striemen … unstreitig“ keine „Schädigung der Gesundheit“ darstellten. In Schulen und Arbeitshäusern galt die Züchtigung nicht allein als Disziplinarmaßnahme, sondern auch als „Ermunterung zum Fleiß“ – unabhängig davon, ob durch das BGB das Züchtigungsrecht des Lehrherrn und des Ehemanns abgeschafft worden war.5 G. Noske bedauerte während einer Kolonialdebatte, dass es „ab und zu noch solche prähistorischen Anwandlungen auch bei uns in Deutschland“ gäbe.6 Diese sozialen Prägungen in Deutschland sind zu berücksichtigen, wenn über die Prügel als disziplinarische und quasi-gesetzliche Strafe in DSWA zu sprechen sein wird. Auch Kolonialautoren deuteten an „dass das Verhalten der Kolonialisten mit ihrer eigenen Gewalterfahrung zusammenhängen könnte, mit dem autoritär-brutalen System preußischer Schulerziehung, deren Demütigung sich in Afrika durch die Erniedrigung anderer aufzuheben versuchte.“ Die Sozialdemokratie „parallelisierte“ die koloniale Situation mit der von ihr als „gleichrangig“ bewerteten Lage in Deutschland. Sie sah in beidem Ausprägungen des „kapitalistisch-militärischen Systems“: In Afrika sei „die gutsherrliche Reitpeitsche zur kantig gedrehten Nilpferdpeitsche ausgewachsen“.7 R. Evans betont, die körperliche Züchtigung sei in Deutschland „nicht abgeschafft [worden], sie wurde lediglich aus der Öffentlichkeit verbannt.“ Zugleich war, um mit R. Koselleck zu sprechen, die Züchtigung „immer mehr – oder weniger – als Strafe: nämlich eine spezifische Herrschaftsform. Das Gewohnheitsrecht zu körperlicher Zwangsgewalt war weit gestreut.“8 In den Kolonien jedoch erhielt die Prügel unversehens (wieder) den Rang eines öffentlich-rechtlichen Strafinstruments, dem sich jeder Kolonisierte zu unterwerfen hatte. Die Regelung der Prügelstrafe in den deutschen Kolonien Der Kolonialverwaltung stellte sich mit der nominellen Einführung der deutschen Herrschaft die Frage ihrer Durchsetzung und Aufrechterhaltung. Während das Militär allenfalls für die ,grundsätzliche‘ Sicherung eines Gebiets und notfalls dessen Eroberung in Frage kam, mussten Mittel und Wege gefunden werden, die alltägliche Beachtung deutscher Normen einzufordern und gegebenenfalls polizeilich erzwingen zu können. Dem Vorbild der älteren Kolonialmächte folgend, galt die Prügelstrafe als ein traditionelles und unverzichtbares Mittel, um die Autorität der Obrigkeit aufrecht zu erhalten9 – ohne dass es dazu einer rechtlichen Grundlage bedurft hätte. Über das zulässige Maß ihrer Anwendung bestanden jedoch erhebliche Differenzen. Im 5 PreußOVG XV, 444; Wrede, 1908, S. 455 – 461; Evans, 1997, S. 181; Priester, 1999, S. 75; vgl. Liszt, 1890, S. 331 – 355 (350); Liszt, 1911, S. 82 FN 1. 6 SBRT, Bd. 288, 13. L.P., 1. Sess. 1912/14, 128. Sitzg., 7. 3. 1913, S. 4349, vgl. Noske, 1914. 7 Maß, 2006, S. 142; Schwarz, 1999, S. 290; vgl. Wildenthal, 2001, S. 74. 8 Evans, 1997, S. 182; Koselleck, 1981, S. 641; vgl. Gay, 1996, S. 224. 9 Vgl. zu britischen Kolonien Killingray, 1994, S. 202; Schlottau, 2007, S. 361.

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Reichstag kam es im März 1896 ob der von A. Bebel publik gemachten „Schandtaten des Dr. Peters“ sowie weiterer Ausschreitungen zu heftigen Auseinandersetzungen darüber, welche „zivilisatorischen“ Standards auf die Kolonialherren anzuwenden wären.10 Kolonialdirektor Kayser war dem Vorwurf ausgesetzt, „das koloniale Rowdytum begünstigt“ zu haben.11 „Viel zu spät [seien] ihm die Augen aufgegangen über den moralischen Unwerth jener Revolverafrikaner, die er jetzt schonungslos bloßgestellt hat.“12 Doch für die geforderte Ahndung des Amtsmissbrauchs durch Beamte bestand, wie der Kolonialdirektor erläuterte, das Problem, dass die §§ 343 und 345 des RStGB nicht zur Anwendung kommen konnten, „weil sie ein gewisses geregeltes Gerichtsverfahren gegen die Eingeborenen voraussetzten“. Erst auf Grund der als ,Gerichtsverfahren‘ verbrämten Prügelexzesse mit Todesfolge von Leist und Wehlan in Kamerun und C. Peters in Ostafrika Jahre zuvor, die auch in der Presse zu Erörterungen geführt hatten, sahen sich der Kolonialdirektor und Reichskanzler Hohenlohe veranlasst, im Februar 1896 durch eine Verordnung „die Regelung über die Gerichtsbarkeit und Rechtspflege der Eingeborenen dem Herrn Reichskanzler [zu] überlassen“. Dieser bestimmte, dass zur „Herbeiführung von Geständnissen und von Aussagen andere Maßnahmen in dem Gerichtsverfahren auch gegen Eingeborene nicht getroffen werden dürfen, als wie sie in unserer deutschen Prozessordnung vorgesehen sind; und es ist außerdem angeordnet…, daß Verdachtsstrafen und andere außerordentliche Strafen untersagt sind.“

Durch diese Verfügung, so Kayser, sei „dafür gesorgt, daß nunmehr die Anwendung der Paragraphen des Strafgesetzbuches über den Mißbrauch der Amtsgewalt in unseren Kolonien zweifellos gesichert ist.“13 Damit war zwar auf Grund öffentlicher Entrüstung die „Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen in den afrikanischen Schutzgebieten“ formell geregelt. Eine Eindämmung der Prügelstrafe aber bewirkte die Verordnung nicht. Angesichts dieser Reaktionen der Kolonialzentralverwaltung verwundert es, wenn in der Forschung die Feststellung, der Kolonialismus verfüge über eine Form der Regierung, „die keine Grenzen setzt, sondern die in der Realität und mit der Realität handelt“, ausgerechnet mit einem Verweis auf C. Peters untermauert werden soll. Dass es keinen kolonialen „Masterplan“ gegeben habe, ist sicher richtig. Ebenso die Betonung „von individuellem Handeln diverser lokaler Repräsentanten des Empires“. Doch dass „das Verhalten des berüchtigten deutschen Kolonisators Carl Peters, dessen eigenmächtiges, ge10 Vgl. Wildenthal, 2001, S. 70; 74; Perras, 2004, S. 216; Schwarz, 1999, S. 294; Kayser an Eulenburg, 18.3.96, in: Eulenburg, 1983 III, Nr. 1200, S. 1653. 11 BAB N 2139/89, Bl.39 – 40, G. Schweinfurth (Cairo) an P. Kayser, 18.3.96. 12 BAB N 2139/51, Bl.60, Weser Zeitung, 22.10.96; Bl.51, Alldeusche Blätter, Nr. 26, 28.6.96. 13 BAB N 2139/ 51, Bl.8; SBRT, Bd. 144, 9. L.P., 4. Sess. 1896, 60. Sitzung,14.3.96, S. 1455, mit Bezug auf Kaisl VO und VerfRK v. 25.; 27.2.96 (KolGG, Bd.2, Nr. 189;190, S. 213); vgl. Schwarz, 1999, S. 125 – 30;196; 288; Perras, 2004. S. 215; Zurstrassen, 2008, S. 166 f.

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waltvolles Vorgehen in der Eroberung kolonialer Gebiete, die ,Denkweise gouvernementaler Macht‘ spiegele“, ist unzutreffend. Die „gouvernementale Macht“ setzte sich und ihren Repräsentanten durchaus Grenzen, wie die Verordnungen von 1896 zeigen. Eigenmächtigkeit gehörte wohl kaum zu den Charakteristika einer von preußischen Verwaltungsgrundsätzen geprägten Behörde; sie konnte daher auch nicht ihrer „Denkweise“ inhärent sein. Nicht ohne Grund war es C. Peters, von dem Kayser hörte, dass es sich „empfehlen dürfte, die Verwaltung nach verschiedenen Gesichtspunkten hin etwas mehr zu decentralisiren und im Inneren Organe zu schaffen mit mehr Vollmachten.“14 Peters und mit ihm andere Kolonialbeamte verspürten einen Bedarf an größeren Vollmachten, sie fühlten sich durch Berlin gegängelt. Ein schlichtes „in“ und „mit“ der „Realität“ Handeln war ihnen nach eigenem Empfinden nicht möglich. Dass sie rechtliche Grenzen überschritten, war nicht zu leugnen. Doch spiegelt sich in ihren Taten allenfalls die eigene „Denkweise“, nicht aber die „gouvernementale“; andernfalls wären sie nicht gemaßregelt worden.15 Jene rechtlichen Grenzen, die den Ruf nach mehr Vollmachten laut werden ließen, waren gleichwohl mit den heimischen Grundsätzen nicht zu vergleichen: Wie das koloniale Staatsrecht, so „eigenartig sah das Strafrecht aus. Vieles von den heimischen Rechtsstaatsgarantien schien … entbehrlich.“ „Alles Strafrecht war auf schnelle Herstellung der Ordnung ausgerichtet … der Satz nullum crimen sine lege galt hier nicht.“ Bald nachdem die Rechtsgrundlagen erlassen waren, ergingen 1896 Verfügungen über die „Ausübung der Strafgerichtsbarkeit und der Disziplinargewalt gegenüber den Eingeborenen“. Danach stand den Bezirkschefs eine Strafbefugnis zu, die sie weiter delegieren konnten. Neben den zulässigen Strafen wurde die Höchstzahl der Schläge (zweimal 25) unter ärztlicher Aufsicht festgelegt. Über den Vollzug war Buch zu führen und vierteljährlich zu berichten.16 Die Begründung der Prügelstrafe in Deutsch-Südwestafrika Ein Unbehagen jedoch befiel die Kolonialabteilung angesichts der Auswüchse eines Systems, das ,Ordnung‘ derart hoch über das herkömmliche deutsche Recht stellte. In einer Verfügung wies Kolonialdirektor Buchka im Januar 1900 auf die hohe Zahl der körperlichen Strafen hin, „die in einem bedauerlichen Mißverhältnis zu der Anzahl der der deutschen Herrschaft überhaupt thatsächlich unterworfenen Personen steht.“ Ein Problem war dies für die Kolonialabteilung vor allem in Hinblick auf den „Reichstag und die öffentliche Meinung“, da diese „hieraus ungünstige Schlüsse auf die Erfolge der deutschen Kulturarbeit in unseren Kolonien ziehen“ könnten. Bei allen „Schwie14 BAB N 2139/89, Bl.25 – 26, C. Peters an Kayser, 16.9.92; vgl. Perras, 2004, S. 203 f. 15 So Chr. Geulen in einem Beitrag vgl. Niedermeier, 2006, S. 93. 16 Hattenhauer, 2004, S. 750; VerfRK 22.4.96 (KolGG, Bd. 2, Nr. 194, S. 215), in DSWA seit 8.11.96 in Kraft (KolGG, Bd.2, Nr. 235, S. 294); vgl. Nagl, 2007, S. 48 f.; Zimmerling, 1995, S. 63.

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rigkeiten“ solle das Ziel der „Erziehung der Eingeborenen zu einem arbeitsamen und gesitteten Leben …mehr durch Belehrung und durch verständnisvolles Eingehen auf [ihre] berechtigten Eigenthümlichkeiten“ als durch Prügel erreicht werden. An Gouverneur Leutwein erging der Auftrag, seinen Untergebenen zu vermitteln, dass sie „ihrer Hauptaufgabe, der Erziehung der Eingeborenen, unter thunlichster Einschränkung des Gebrauchs von Strafmitteln gerecht zu werden“ hatten.17 Doch blieb Buchkas Anweisung, die er im Reichstag bekannt gab und vom Windhoeker Anzeiger „nicht ohne eine gewisse Besorgnis“ vernommen wurde, unbeachtet.18 Als Leutwein ein Todesurteil gegen den Herero Kahendjijo bestätigte, der einen Wachposten überwältigt hatte, mahnte die Zentrale abermals „[a]ngesichts der Erregung der öffentlichen Meinung in Deutschland“ eine liberalere Strafpraxis an; zumal diese materiell keine gesetzliche Grundlage hatte. Leutwein, der den mit der Todesstrafe bedrohten ,Tatbestand‘ eines bewaffneten Angriffs auf die deutsche Herrschaft in obigem Fall als erfüllt ansah, reagierte nicht ohne Trotz: „Sollte der in dem vorliegenden Falle eingenommene Standpunkt … in der That der öffentlichen Meinung gegenüber nicht zu vertreten sein, so bitte ich geh. um eine nochmalige diesbezügliche Entscheidung. Denn dann würde ich nicht mehr in der Lage sein, die in meiner bisherigen Berichterstattung fortgesetzt wiederkehrende Erklärung, daß für die innere Sicherheit des Schutzgebiets die derzeitige Stärke der Schutztruppe genügt, auch ferner aufrecht zu erhalten.“

Ein Wachposten, so Leutwein, „muß bei der Schwäche unserer Truppe für die Eingeborenen ein unantastbares Heiligtum sein.“19 Doch während Zentrum und SPD die Forderung aufstellten, die Prügelstrafe in den Kolonien abzuschaffen, hieß es aus DSWA, man könne diese Frage „nur von hier aus – nicht von der Heimath – beurtheilen“.20 Besserwisserisch verkündete der Windhoeker Anzeiger, in der Heimat hätte man keine rechte Vorstellung: „Besonders sollte man recht vorsichtig sein, für die Eingeborenen, die man in der Heimath ja nicht kennt, die öffentliche Meinung in Bewegung zu setzen.“21 Hier, wie später in anderen Zeitungen der Kolonie, wurde ein „kolonialer Konsens“ organisiert, der eine „kompromißlose Durchsetzung der eigenen Interessen, und dies notfalls mit Gewalt, bewußt einschloss“.22 Gouverneur Leutwein gab sich konzilianter. Er wollte „die Prügelstrafe lediglich als 17 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.1, KolA an Gouv, 12.1.00; vgl. Killingray, 1994, S. 212; zur „Erziehung des Negers zur Arbeit“ Conrad, 2006, S. 79 f.; Cohen, 1993, S. 115 f. 18 Windhoeker Anzeiger, II. Jg. # 11, 23. 5. 1900, S. 1. 19 NAN ZBU 688, F V b 1, Bl.1, KolA an Gouv, 28.6.00; Bl. 2, Gouv an KolA, 16.8.00; vgl. zum Verhältnis von Kolonialzentrale und Gouverneuren Schnee, 1964, S. 17 20 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl. 30, BHpt Windhoek an Gouv, 31. 7.00. 21 Zit in: National-Zeitung, 5. 8. 1901; Ausschnitt in BAB R 1001/1491, Bl.99. 22 Hilt, 2004, S. 395; zum Zeitungswesen in DSWA vgl. Osterhaus, 1990, S. 51f.; Schmidt, 2008.

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Nothbehelf ansehen“23 und hielt „jede für unsere Sache nicht unbedingt erforderliche Strenge gegen die Eingeborenen … für ein Übel.“24 Doch die von ihm initiierte Anfrage bei Ämtern, Siedlern und Missionaren zur Abschaffung der Prügelstrafe brachte ein eindeutiges Ergebnis: Fast alle Befragten traten „entschieden für die Beibehaltung der Prügelstrafe ein“.25 Nur Missionar Riechmann aus der „abgelegenen Ecke Franzfontein“ im Kaokofeld meinte, dass „dasselbe … ganz gut ohne diese Bestrafungsmethode bestehen“ könne.26 Gleichwohl hatte er Jahre zuvor über das „Züchtigungsrecht des [afrikanischen] Herrn“ ausgeführt, dieser verfüge „nach seinem Belieben mit seinem Knecht“, wenn nicht der „Häuptling“ Einschränkungen bestimmt habe.27 Auch Missionar O. Simon verwies auf die „Thatsache …, daß die körperliche Züchtigung von Alters her ein wesentliches Stück der einheimischen Rechtsprechung ist“;28 und sein Kollege Albath wollte „für die nächste Zeit hauptsächlich auf das traditionelle Rechtsbewußtsein der Eingeborenen zurückgreifen“ – dieses aber „fordert sogar die Prügelstrafe.“29 Missionar C. Berger hielt diese für ein „zweckmäßiges & notwendiges Erziehungsmittel für unserer Eingeborenen …, deren evtl. Abschaffung sich sehr bald in schmerzlicher Weise fühlbar machen würde.“30 Windhoeks Bezirkschef Duft betonte: „Das ist das Strafmittel, welches der Eingeborene bisher kannte“.31 Nach Missionar Olpp aber sollte „die Prügelstrafe auch hierzulande immer nur die ultima ratio sein“.32 Und der Bezirkshauptmann von Outjo war der Meinung, dass die „Abschaffung der Prügelstrafe jedem das erstrebenswerthe Ziel bleiben muß“ – was aber erst „nach einer Reihe von Jahren möglich“ sei.33 Die hier vorgetragenen Argumente bedürfen einer Abwägung, um nicht den simplizistischen und exotisierenden Sichtweisen und Formulierungen der deutschen Quellen zu erliegen. Dass für die meisten Afrikaner die Prügelstrafe in Übereinstimmung mit ihren hergebrachten Rechten stand, lässt sich nach dem heutigen Stand der Forschung nicht mehr überzeugend begründen. Die afrikanischen (Straf-)Rechtssysteme beruhten weit häufiger auf dem Prinzip von Versöhnung und Entschädigung (bis hin zur Versklavung34) als auf der (körperlichen) Strafe.35 Es liegt daher nahe, in dieser den Afrikanern angeb23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.4 Gouv an alle BHpt, 20.4.00. NAN ZBU 688, F V b 1, Bl.2, Gouv an KolA, 16.8.00. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.16, Ansiedler Otjimbingue an Gouv, 5.6.00. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.20, Missionar Riechmann an St. Franzfontein, 27.6.00. BAB R 1001/1959, Bl.26 – 30, Fragebogen zu Dienstverhältnissen (Miss. Riechmann) 1893. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.8, Simon an BH Gibeon, 13.7.00. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.6, Albath an BH Gibeon, 25.5.00. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.5, Berger an BH Gibeon, 29.5.00. NAN ZBU 148, A VI a 3, Bd.5, Bl.154 f., Jb des Bezirks Windhoek, 1899/00, o.D. [6/00]. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.18, Olpp an BHpt Fromm, Omaruru, 12.5.00. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.75, BHpt Outjo, 14.6.00; vgl. Oermann, 1999, S. 173 f. Vgl. Gustavsson, 2005, S. 44. Vgl. Okupa, 2006, S. 377; Vansina, 2003, S. 64; Klein-Arendt, 2003b, S. 161.

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lich vertrauten Strafform eine deutsche Selbstverständlichkeit des Prügelns zu erkennen, die auf die afrikanischen Verhältnisse übertragen wurde. Denn es gab im Kaiserreich eine „kaum hinterfragte Verbreitung von Körperstrafen in allen gesellschaftlichen Sozialisationsinstanzen, von der Familie über die Schule und die Lehre bis hin zum Militär : Überall wurde Fehlverhalten eindrücklich mit Prügel und Ohrfeigen geahndet, ,Schläge als Strafe‘ waren eine Selbstverständlichkeit.“36

Als Leutwein sich gegen die Einschränkung dieser Strafform sträubte, wurde in einer Reihe von Veröffentlichungen die richterliche Anwendung der Prügelstrafe in Deutschland etwa bei Körperverletzungsdelikten gefordert. Dass in den Kolonien für die Züchtigung andere Maßstäbe gelten sollten, blieb unhinterfragt. Auch wurde auf die britische Praxis verwiesen, die Prügelstrafe „gegen den Widerspruch der Eingeborenen und weit über das Recht des Mutterlandes hinaus in Anwendung zu bringen.“37 Bei aller „Selbstverständlichkeit“ des Schlagens gab es den hier zitierten Ermahnungen der Zentrale zufolge eine Diskrepanz zwischen Berlin und Windhoek über die Anwendung und das Ausmaß der Prügelstrafe, die während der Herero- und Nama-Kriege noch zunahm.38 Kolonialdirektor O. Stübel mahnte im März 1904 abermals, es seien „verschiedene Todesfälle [in anderen Kolonien] zu [s]einer Kenntnis gelangt, welche durch Erteilung von Prügelstrafen verursacht worden sind.“ Er bat daher das Gouvernement um eine Äußerung, ob die Zahl der Prügelschläge verringert werden solle. Der stellvertretende Gouverneur H. Tecklenburg ließ die Frage diesmal jedoch nicht von Beamten und Missionaren beantworten, sondern lancierte ihre Erörterung unter den Farmern. Er bat die Ämter, „besonders bezeichnende Urteile von Ansiedlern über die beabsichtigte Strafmilderung … zu Protokoll zu nehmen …, da ich beabsichtige, sie in ihrer ganzen Unverblümtheit nach Berlin weiterzureichen.“39 Angesichts des im Januar ausgebrochenen Hererokriegs war sich Tecklenburg von vornherein bewusst, dass die deutsche Bevölkerung gegen eine Herabsetzung der zulässigen Prügelschläge (bis zu 25) argumentieren würde. Er hatte Recht damit. Der in Windhoek ansässige Wilhelm Panzlaff etwa beantragte, „in der Prügelstrafe keinerlei Beschränkungen einzuführen, sondern den Weißen hier im Lande eine weitgehende Strafgewalt zu verleihen“.40 ,Kompromissbereiter‘ zeigte sich der Karibiber Bauunternehmer Zimmermann. Er sprach sich für die Übertragung der „Strafgewalt“ auf die Dienstherren aus, „die etwa 20 – 50 km außerhalb einer Polizeistation pp. wohnen, [da sie] nicht immer in der Lage sind, den zu 36 37 38 39 40

Lindenberger, 1995b, S. 200, vgl. Evans, 1997, S. 181; Zurstrassen, 2008, S. 169 f. Feder, 1911, S. 49; vgl. Krauße, 1899, S. 125, forderte die Gesetzeslage der 1840er Jahre. Vgl. Oermann, 2003, S. 173. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.85, KolA an Gouv, 14.3.04; Bl. 86, Gouv an BAWindhuk, 18.4.04. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.93, W. Panzlaff an BA Windhuk, 1.5. 04.

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bestrafenden Eingeborenen jederzeit zur Bestrafung fortzuschicken“.41 Auch die Beiräte der anderen Ämter sprachen sich nachdrücklich für die Beibehaltung oder Verschärfung der bisherigen Praxis aus.42 Der Sjambok war zum selbstverständlichen „Verständigungsmittel zwischen Schwarz und Weiß“ geworden.43 In einem von Tecklenburg entworfenen Schreiben bat Gouverneur Leutwein daher „von einer Milderung der Vorschriften über die Handhabung der Prügelstrafe abzusehen.“ Unfälle seien in DSWA nicht vorgekommen: „Bei der lederartigen Haut der Eingeborenen … vermögen selbst 25 Hiebe eine nur geringe Schmerzempfindung hervorzurufen. Die Schläge werden auf die entblößten Hinterbacken verabfolgt. Der Delinquent wird über eine Kiste gelegt, 2 Mann halten seine ausgestreckten Arme, 2 seine ausgestreckten Beine“.44

Anlässe für die Prügelstrafe Über die Frage, wann und wie derartige Methoden anzuwenden waren, lassen sich ebenfalls Differenzen zwischen Peripherie und Zentrum der Kolonie feststellen. Das Gouvernement konnte sich nicht immer der durch die Bezirkschefs als „Eingeborenenrichter“ ausgeübten ,Rechtsprechung‘ juristisch so gewiss sein, wie der Urteilspraxis des Volljuristen W. Külz, der einem „Eingeborenengerichtstag“ in Windhoek ab 8 Uhr morgens vorsaß: „Der Bezirksamtmann ist erste und letzte Instanz in allen Gerichtssachen der Eingeborenen, die selbstverständlich mit größter Gewissenhaftigkeit wahrgenommen werden müssen. Heimische Grundsätze sind dabei wenig zu erwarten, aber bei dem außerordentlichen Sinn des Eingeborenen für Gerechtigkeit … ist möglichste Gerechtigkeit auch hier das vornehmste Streben des gewissenhaften Richters. … Raub, Diebstahl, Entlaufen aus dem Dienst sind die häufigsten Delikte; Gefängnis mit Zwangsarbeit, Kettenhaft, Prügel sind die zulässigen Strafarten. Heute [8. 1. 1908] standen zwölf Sachen zur Verhandlung, darunter eine schwere Verfehlung, deren Beurteilung mir schon manche Unruhe verursacht hat und die mir auch heute noch nicht zum Urteil reif erschien“.45

Da die Paragraphen des StGB analog für die „Eingeborenengerichtsbarkeit“ herangezogen werden sollten, dilettierten die juristisch nicht vorgebildeten Amtschefs, oft Militärs, in ihren Urteilsbegründungen häufig. „[E]in Staatsanwalt war nicht nötig, wo es um Disziplinierung der Eingeborenen ging.“46 Die Auslegung des ,Rechts‘ und damit das Strafmaß, meist die Zahl der Prügelschläge, hing von den Administratoren ab, deren Ansichten und Erfah41 42 43 44 45 46

NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.106, Vernehmung Zimmermann, 8.8.04. Vgl. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.97, Swakopmund, 16.5.04; Bl.98, Bl.114. Selmeci/Henrichsen, 1995, S. 88; vgl. Schmidt, 2008, S. 243 – 248. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.118, Gouv an KolA, 30.8.04; vgl. Krauße, 1899, S. 89 f. BAK N 1042/29, Bl. 66, W. Külz: Von Bückeburg nach DSWA.Nr. 13, 1908. Hattenhauer, 2004, S. 750; vgl. Zimmerling, 1995, S. 50 – 53.

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rungen sich nicht allein von den Berliner, sondern auch von ihren Windhoeker Vorgesetzten unterschieden. Tecklenburg, in Deutschland ein Landrichter, ermahnte etwa den Distriktschef von Omaruru, Hauptmann Fromm, der einen Dieb aus § 242 RStGB (,einfacher‘ Diebstahl) verurteilte, aber auch noch den § 244 (bewaffneter Diebstahl) hinzugefügt hatte: „Wenn eine Verurteilung aus § 244 erfolgen soll, so müssen die dort aufgezählten Thatbestandsmerkmale im Urteile genau begründet werden. Ich ersuche daher dringend, auf die Abfassung der Urteile und die Führung des Strafbuches größere Sorgfalt zu verwenden.“ Als Fromm sich in einem Rechtfertigungsschreiben auch noch über strafprozessuale Fragen der Vernehmung vergaloppierte, antwortete Tecklenburg nicht ohne Häme „§ 56 StPO (=Strafprocessordnung v. 1. 2. 1877)“ – und fügte resolut an: „Schriftstücke, die die Unterschrift des Bezirksamtmanns tragen, müssen von derartigen Verstößen frei sein.“47 Auch Tecklenburgs Nachfolger Hintrager entnahm den Strafverzeichnissen des Öfteren eine falsche Tatbestandsauslegung: Es handelt „sich anscheinend nur um Mundraub (§ 370), nicht Diebstahl (§ 242 RStGB). Die Urteilsgründe lassen dies nicht erkennen“.48 Gleichwohl war das deutsche Strafrecht oder dessen analoge Anwendung keinesfalls der stets eingeforderte Maßstab.49 Eine freie Rechtsauslegung, die die Grenze zur Rechtsbeugung regelmäßig überschritt, blieb möglich. Auf der Polizeistation Otjiwarongo etwa wurden im Februar und März 1908 je zwei „Rutenstrafen“ durch den Sergeanten Bueß verhängt, die nachträglich vom Distriktsamt Omaruru bestätigt werden mussten. Als ,Straftatbestände‘ wurden neben Diebstahl „wiederholte Trägheit“ oder „wiederholter Ungehorsam und Faulheit“ genannt, die im RStGB nicht zu finden waren. Den monatlich einzureichenden Straflisten der Stationen war jeweils ein Protokoll über die ,richterliche‘ Tätigkeit des Polizisten beizufügen, aus denen die ,Urteilsbegründung‘ hervorging.50 Frauen und Kinder wurden gelegentlich der Prügelstrafe unterworfen, obwohl dies nach der Verfügung vom 22. 4. 1896 unzulässig war.51 Nach § 7 dieser Verfügung hatte ein Arzt dem Vollzug der durch einen „Polizeidiener“ ausgeführten Prügelstrafe beizuwohnen. Beachtung fand diese Vorschrift nicht immer, wie das Gouvernement feststellen musste. Auf Nachfrage berichtete das Bezirksamt Swakopmund, dass bei der Verhinderung des Regierungsarztes („der nicht ohne weiteres zu haben ist“) ein „älterer Lazarethgehilfe … sowie [der] erfahrene Polizeiwachtmeister“ hinzugezogen wurden, was „sich bisher als ausreichend erwiesen“ habe.52 Der stellvertre47 NAN BOM 52, P I G, Gouv an DA Omaruru, 28.2.03; ebd, Gouv an DA Omaruru, 18.4.03. 48 NAN BOM 52, S I, spec, Bl.106, Gouv an DA Omaruru, 30.7.08. 49 Vgl. Zurstrassen, 2008, S. 178; Analogie- und Rückwirkungsverbot (§ 2 I RStGB) wären geeignet gewesen, diese Strafpraxis zu hinterfragen, vgl. Ehret, 1996, S. 74,75. 50 NAN BOM 52, S I spec, Bl.34 – 37, PolSt Otjiwarongo an DA Omaruru, 25.4.08. 51 Vgl. die Beispiele bei Oermann, 2003, S. 175. 52 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.100, BA Swakopmund, 19.7.04; Schröder, 1997, S. 63.

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tende Gouverneur Tecklenburg hielt dies für gerechtfertigt. Er empfahl der Kolonialabteilung, § 7 abzuändern. Es sei „eine übel angebrachte Humanität, wenn ein Arzt seine im Interesse der Weißen besser zu verwendende Zeit damit verlieren muß, nach dem Polizeihofe [dem Gefängnis] zu laufen und einem Eingeborenen, der ohne Wimperzucken stumpfsinnig seine 25 hinnimmt, den Puls zu fühlen.“53 Ein Referent empfahl im August 1905 jedoch, „die Anwesenheit des Arztes beziehungsweise des Lazarettgehilfen beizubehalten. Die Polizeiorgane genügen nicht, da sie meist zur äußersten Strenge neigen.“54 Zum Ärger der „weißen“ Dienstherren wurde ihnen durch den Dienstvertrag keine „Disziplinarstrafgewalt“ übertragen. „Disziplinarstrafen“, die, wie erwähnt, auch in Deutschland nicht unbekannt waren, konnten nur auf Antrag des Arbeitgebers wegen Verletzung der durch das Dienstverhältnis begründeten Pflichten durch die Verwaltung verhängt und vollstreckt werden. So sah es § 17 der Verfügung vom 22. 4. 1896 vor, die Pflichtverletzungen abschließend aufzählte und durch die Verordnungen von 1907 nicht berührt wurde. In anderen Fällen konnten Afrikaner nur gerichtlich bestraft werden, d. h. durch den „Richter der Eingeborenen, d.i. der Verwaltungschef“.55 Eine disziplinarische Bestrafung wegen „Baumfrevels“ oder „Lügens bei polizeilicher Vernehmung“, wie durch das Bezirksamt Windhoek geschehen, sei nicht angängig, so die Ermahnung der Kolonialabteilung.56 Doch der Unterschied zwischen gerichtlichen und Disziplinarstrafen war den Verwaltungschefs nicht immer deutlich: Über die Disziplinarstrafen hatten die Polizeistationen „Straflisten“ zu führen, in denen der Grund für die Strafe angegeben werden musste. „Die Begründung z. B., weil er sich ohne Ausweis herumtrieb’ ist für die Verhängung der Disziplinarstrafe nicht verständlich [da die Dienst-Verordnung dies nicht verbot].“ Die oder der Betreffende hätte „nur auf Antrag des Dienstgebers disziplinarisch bestraft werden [können], wegen unbegründeten Verlassens seiner Dienststelle‘.“57 Wiederholt bemerkte das Gouvernement zu den in den „Straflisten“ verzeichneten Verhandlungen: „dass [in diesem Fall] die Bestrafung nicht auf disziplinarischem Wege gemäß § 17 RK-Verf, 22. 4. 1896, sondern im gerichtlichen Verfahren zu erfolgen hatte.“58 Außer den Siedlern hatten sich auch Leutwein und Tecklenburg für eine gesetzliche Anerkennung des dienstherrlichen Züchtigungsrechts stark gemacht. Unter Verweis auf die schwache Präsenz staatlicher Ordnungskräfte im kolonialen Raum befürchteten sie die Möglichkeit, dass ein Farmer, der, 53 54 55 56 57 58

NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.118, 120, Gouv an KolA, 30.8.04. Zit.nach: Müller, 1962, S. 102. NAN BOM 53, 28, DA Omaruru an PolSt Omaruru, 23.7.12; vgl. Schick, 1916, S. 69. NAN EKW 1, F V k 1, KolA an Gouv, 23.9.04. NAN BOM 53, 28, DA Omaruru an PolSt Omaruru, 23.7.12. NAN BOM 52, S I spec, Bl.106, Gouv an DA Omaruru, 30.7.08; vgl. NAN BOM 53, S Il g, Bl.27, Gouv an DA Omaruru, 22.4.07; vgl. Schlottau, 2007, S. 271 f.

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„weitab von jeglicher polizeilicher Hilfe … seinem Eingeborenen einen wohlverdienten Schlag gegeben hat, bei Gericht wegen Körperverletzung angezeigt wird.“59 Zu einer solchen Ermächtigung konnte sich die Zentrale mit Blick auf den Reichstag nicht entschließen. Trotz des anders lautenden Votums von Leutwein und Tecklenburg blieb es „Ansiedlern verboten …, ihre eingeborenen Angestellten selbst zu züchtigen, [die Bestrafung hatte] durch die betreffende Polizeibehörde zu geschehen“.60 Dennoch hatten Afrikaner neben der Strenge der Polizei auch den gern „Tropenkoller“ genannten Jähzorn ihrer Arbeitgeber zu fürchten. War sie auch gesetzlich nicht verbürgt, so durfte doch jeder Arbeitgeber gewohnheitsrechtlich auf seine in der Kolonie akzeptierte Strafgewalt als dritten ,Rechtsgrund‘ für die Prügel vertrauen. Dieser wurde unter anderem von Oberrichter Bruhns mit einer Analogie zum „väterlichen Züchtigungsrecht“ (§ 1631 II BGB) und der Strafgewalt gegenüber Dienstboten (§ 127 Gewerbeordnung) gerechtfertigt.61 Die Verfügung vom 22.4.1896 hätte lediglich die staatlichen Straf- und Disziplinarbefugnisse geregelt; daraus könne nicht abgeleitet werden, dass ein dienstherrliches (privates) Züchtigungsrecht nicht existierte. Art. 95 EGBGB, nach dem ein Züchtigungsrecht „dem Dienstberechtigten … nicht zu[stand]“ blieb unbeachtet. Kolonialdirektor Kayser bestätigte, dass „ein mäßiges Züchtigungsrecht des Herrn gegenüber den farbigen Arbeitern überhaupt nicht berührt werde.“62 Unter Verweis etwa auf die Strafbestimmungen gegen Dienstboten im bayerischen Polizeistrafgesetzbuch wurde die Züchtigung von Afrikanern mit der Begründung gerechtfertigt, sie sei zur „Wahrung der Autorität des Arbeitgebers“ nötig.63 Andere wussten, dass die „väterliche Züchtigung“ nicht mehr war als ein „unglückseliges Schlagwort“.64 Doch noch 1915 schrieb das Gouvernement an einen Farmer, „dass Klagen über zu harte Bestrafung der Eingeborenen auf Ihrer Farm unter den Eingeborenen laut geworden sind“, ohne daran, dass der Farmer prügelte, Anstoß zu nehmen.65 Auch die ,polizeiliche Rechtsprechung‘ durch den Leiter der Ortspolizei, den Distrikts- oder Bezirksamtmann, kam den Verhaltensweisen der Siedler weit entgegen. Die staatliche Ausübung der Disziplinarstrafgewalt zeichnete sich durch Uneinheitlichkeit aus, was Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten bedeutete. Der Distriktschef von Gobabis beklagte die „Unklarheiten in der Behandlung der verschiedenen strafbaren Handlungen“, denn bisher sei es „regellos den einzelnen mit der Ausübung der Strafgerichtsbarkeit betrauten 59 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.118, 120, Gouv an KolA, 30.8.04; Feder, 1911, S. 52. 60 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.158, DA Okaukueyo an BA Outjo, 15.5.07. 61 Schnee, H.: Art. Körperliche Züchtigung, in: DKL II (1920), S. 366; vgl. Bley, 1968, S. 299; Gesinderecht galt auch für „Weiße“ (NAN BWI 208, O 1 f, OR Bruhns an BAWindhuk, 15.6.07). 62 Zit. in: Müller, 1962, S. 135, vgl. Schwirck, 2002, S. 106. 63 Hermann, 1908, S. 81. 64 NAN ZBU 2365, VII m, Bl.12, BA Omaruru an Gouv, 27.5.13. 65 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.2, Bl.101, Gouv an H. Jacobs, 3.2.15.

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Beamten überlassen, welche Art der Bestrafung gewählt wird.“66 Mit den Grundsätzen des RStGB war dies nicht zu vereinbaren. Auch in dieser Uneinheitlichkeit zeigt sich die begrenzte Durchsetzungsfähigkeit des kolonialen Staates – hier seinem eigenen Personal gegenüber –, der zu schwach war, einheitliche Normen zu setzen und vor allem durchzusetzen. Ein der „Vernachlässigung im Dienst“ Beschuldigter wurden in Untersuchungshaft genommen – ihm waren Schafe entlaufen, als er eingeschlafen war, wenig später wurden die Tiere gefunden – und zu 25 „Prügelschlägen“67 verurteilt. Nicht weniger Verständnis zeigte die Ortspolizei in Omaruru für den Mineralwasserfabrikanten H. Blödhorn, der darum bat, einen vermeintlichen Simulanten, der „erst sein Weihnachtsgeschenk von mir bekommen hat“, „seiner Bestrafung nicht entgehen zu lassen.“ Dieser war „mit 15 Prügelschlägen zu bestrafen.“68 – so die knappe Randbemerkung der Behörde. In einer britischen Broschüre, die während des 1. Weltkriegs gegen die deutsche Kolonialherrschaft veröffentlicht wurde, fand sich nicht unberechtigt die Behauptung, „dass man in gewissen Kolonien einen Eingeborenen nur zur nächsten Polizeistation mit einem Zettel, der die Worte trägt: ,Bitte den Mann prügeln‘ zu schicken braucht, damit er ohne irgendwelche Untersuchungen gepeitscht wird.“ Im Strafverfahren gegen „Eingeborene“ feierte der Beweis vom Hörensagen, der, im Gegensatz zur älteren Rechtspraxis, in der Strafprozessordnung von 1877 „nicht einmal mehr eine mittelbare Regelung“ fand, seine Wiederkehr.69 So wenig, wie das Prügeln Angestellter in aller Regel Konsequenzen nach sich zog, so gefahrlos war meist auch das Prügeln von Afrikanern möglich, zu denen man in keinem rechtlichen Verhältnis stand. Selbst wenn sich deren Arbeitgeber beschwerte – etwa wegen des Arbeitskräfteausfalls, suchte die Ortspolizei eher nach einem anderen Grund für die Rüge. Noch die dümmsten Ausreden dafür, eine „Dienerin [Dritter] geschlagen zu haben“, wurden stillschweigend akzeptiert. So glaubte L. Migge in Omaruru „zu der Züchtigung berechtigt zu sein, weil ich mit ihr [der Geschlagenen] im geschlechtlichen Verkehr stehe“.70 Der Distriktschef ließ ihn im November 1905 auf „das Unzulässige seines Benehmens“ aufmerksam machen – jedoch „in Bezug der Überredung der Angestellten anderer Dienstherrn“; Migge wollte die Geschlagene in seine Dienste stellen. Die Körperverletzung war eine Erwähnung nicht wert.71 Im August 1905 dagegen hatte sich der Ansiedler F. Paschke mit einer Geldbuße von zehn Mark „einverstanden“ erklären müssen, weil er ohne

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NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.206, DA Gobabis an Gouv, 25.9. 08. NAN BOM 53, S I l g, Bl.9a, Verfügung, DA Omaruru, 16.9. 05. NAN BOM 53, S I l g, Bl.15, Blödhorn an Ortspolizei Omaruru, 27.12. 06. Lewin, 1918, S. 33; Joachim, 1991, S. 73. NAN BOM 53, S I l g, Bl.3b, Vernehmung, 2.12.05; Südwest, 4.Jg, Nr. 25, 28.3.13, S. 3. NAN BOM 53, S I l g, Bl.5a, Verfügung DA Omaruru, o.D. [~6.11.05].

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ersichtlichen Grund einen fremden Boten geschlagen und seinen Hund auf ihn gehetzt hatte.72 Gescheiterte Versuche der Einschränkung der Prügelstrafe Eine derartige Rechtsprechung zeigt, dass auf Farmen und anderswo nach Kräften geprügelt werden konnte, ohne dass mit einem Einschreiten der Verwaltung gerechnet werden musste. Staatssekretär Dernburg bemerkte im Juli 1907, die Prügelstrafe werde „noch immer … in einem augenscheinlich zu hohen Maße verhängt“. Der daran im Reichstag geübten Kritik „wird die Berechtigung“ – wie er zum Verdruss der Kolonialbeamten betonte – „zum Teil nicht abgesprochen werden können.“ Er erließ deshalb eine Verfügung über die Anwendung körperlicher Züchtigung, die den „Zweck“ verfolgte, die „Dienststellen … zu veranlassen, … die Prügelstrafe erst nach gründlicher Untersuchung des Falles [zu] verhängen“. Er gab sich „dabei der Erwartung hin, daß die Verfügung mittelbar auch eine Einschränkung … der Prügelstrafe zur Folge haben wird“. So musste über die gerichtliche Verhandlung ein Protokoll angefertigt werden, das die Straftat sowie die Vernehmung der Beschuldigten enthielt; ab 15 Prügelschlägen waren Urteilsgründe anzugeben.73 Über dieses Verfahren bemerkte der Bezirkschef Böhmer aus Lüderitzbucht, es sei „umständlich und daher geeignet, eine Einschränkung der Anwendung der Prügelstrafe herbeizuführen.“74 Doch die Einsicht seines Stellvertreters, Assessor Nellingbrunner : „auch im gerichtlichen Verfahren gegen Eingeborene gilt der Satz: audiatur et altera pars“75, scheint anderen Strafrichtern mitunter fremd gewesen zu sein. Denn allzu genau nahmen es die Ämter mit den geforderten (Vernehmungs-)Protokollen nicht. Regierungsrat Blumhagen bemängelte an der Strafpraxis des Bezirksamts Karibib: „Die Strafjustiz scheint etwas summarisch gehandhabt zu sein, in mehreren Fällen war bei Verhängung von Prügelstrafen kein Protokoll entgegen der Vorschrift aufgenommen.“76 Dernburgs Verfügung war an abgelegenen Orten kaum praktikabel. Der mit der Strafgerichtsbarkeit betraute Beamte (der Amtschef) hatte die Vollstreckung „persönlich zu überwachen“, so dass entweder er oder die zu Bestrafenden eine Reise zur Vollstreckung hätten unternehmen müssen. Da dies nicht anging, musste, um „Selbstjustiz“ der Farmer zu verhindern, bei den Disziplinarbestrafungen auf das „frühere Verfahren“ zurückgegriffen werden, wie es aus Karibib hieß: „der Tatbestand wurde an Ort und Stelle durch den zuständigen Polizei-Beamten festgestellt, auf Grund desselben die Strafe von mir festgesetzt und der Polizei-Beamte mit deren Vollzug beauftragt.“77 Selbst 72 73 74 75 76 77

NAN BOM 53, S I l g, Bl.61/61a, Vernehmung Jakob, 8.7.05; Paschke, 22.8.05. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.176, RKA an Gouv, 12.7.07; KolGG, Bd.XI, S. 320. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.191, BA Lüderitzbucht an Gouv, 3.1.08. NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.67, BA Lüderitzbucht an BA Bethanien, 9.4.12. NAN ZBU 694, F V f 2, Bl.11, Blumhagen, 5.10.13; Bl.12, Gouv an BA Karibib, 23.10.13. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.224/5, BA Karibib an Gouv, 29.9.08.

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im kolonialen Zentrum konnte von einer Politik der „Einschränkung der Prügelstrafe“, wie gefordert, keine Rede sein. Noch 1912 zog Windhoeks „Eingeborenenkommissar“ Bohr das Missfallen des Gouvernements auf sich, weil er den „Eingeborenen Andreas“, der auf der Kaiserstraße Galopp geritten sein soll, nur wegen Verstoß gegen § 366 StGB zu 10,– M Strafe verurteilte. Auf die Prügelstrafe hatte er verzichtet, obwohl der die Anzeige stellende Sergeant Andreas Unbotmäßigkeit vorhielt. Das Gouvernement missbilligte es, dass der „Meldung eines Polizeibeamten nicht Glauben geschenkt und … Andreas wegen seines sehr ungehörigen Benehmens gegen einen Vertreter der Staatsgewalt nicht bestraft wurde.“ Bohr hatte der Schilderung des Beamten nicht geglaubt: „dass der Eingeborene auf 10 maliges Befragen erst geantwortet und ihn obendrein noch ausgelacht haben soll, halte ich für unwahrscheinlich; die Eingeborenen haben vor den Polizeiorganen viel zu grossen Respekt als dass sie es wagen würden ein Benehmen wie von Polizeiserg. Gemke geschildert zur Schau zu tragen und außerdem traue ich den meisten Polizeibeamte eine solche Langmut und Geduld nicht zu.“

Dass Gemke Andreas geohrfeigt hatte, war bekannt, doch schien dies wegen der angeblichen Provokation gerechtfertigt; § 340 RStGB wurde nie erwähnt.78 Zusammenfassend ist die Beurteilung D. Schultes daher richtig: „Es gelang Staatssekretär Dernburg … weder die verhängten Strafen zu verringern noch deren Härte und Bestialität wesentlich zu mildern.“79 Im Bereich des Bezirksamts Lüderitzbucht wurden 1906 „insgesamt 31 Prügelstrafen vollstreckt“; im Schutzgebiet „in annähernd 350 Fällen“.80 Die Ämter an der kolonialen Peripherie, dort wo europäische Arbeitgeber fehlten, die afrikanische Arbeiter hätten Anzeigen können, kamen ohne Strafen aus: Der Distriktschef von Okaukuejo, meldete im Februar 1908, „daß bisher weder Prügel- noch andere Strafen verhängt werden mußten.“ Auch sein Amtskollege in Namutoni konnte für das zweite Vierteljahr 1908 kein Strafverzeichnis vorweisen, „da keine Strafen verhängt wurden.“81 Auf eine Intensivierung der Staatstätigkeit führte der Bezirkschef von Karibib den Anstieg der verhängten Strafen in seinem Bezirk 1909 zurück. Daher würde „seitens der Dienst- und Arbeitgeber weniger Selbstjustiz geübt … wie früher, und auch kleinere Straftaten zur Anzeige gebracht … Infolge des fleissigen Patrouillenreitens der Polizeibeamten bietet sich auch abseits gelegenen Farmern

78 NAN ZBU 108, A III e 1, Bl. 58, Gouv an BA Windhuk, 10.12.12; Bl.55, EK Windhuk an Gouv, 23.11.12; Notiz, Ref.2. 79 Schulte, 1981, S. 36; Zurstrassen, 2008, S. 177 f. 80 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.155, DA L’bucht an Gouv, 16.5.07; Bl.182, Gouv an RKA, 17.9.07. 81 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.206, DA Okaukueyo an BA Outjo, 25.2 .08; Bl.219, DA Namutoni an Gouv, 28.7. 08.

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häufiger Gelegenheit hierzu. Keinesfalls hat m. E. die Kriminalität unter den Eingeborenen zugenommen, was eigentlich aus der Statistik geschlossen werden müße.“82

Der Amtmann las den Anstieg als eine Erfolgsgeschichte vermehrter Polizeiarbeit und als einen Vertrauensbeweis der Farmer. 1910 wurden in DSWA bereits 1.262 Prügelstrafen und 2.371 andere Strafen verhängt. „Das ist“, so der Sozialdemokrat Noske, „ein so kolossaler Prozentsatz [bei einer Bevölkerung von ca. 70.000] von Verurteilungen, dass man nicht versteht, nach welchen Grundsätzen eigentlich die Rechtspflege ausgeübt wird.“83 Der vom Reichskolonialamt gewünschten vermehrten Anwendung von Geldstrafen, die nicht disziplinarisch verhängt werden durften und „nötigenfalls in Naturalien beizutreiben“ seien, um so zu einer „Einschränkung der Prügelstrafe“ zu kommen, konnten die Ämter wenig abgewinnen.84 Der Bezirksamtmann von Outjo etwa berichtete: „Selbst eine empfindliche Geldstrafe … [ist] ohne jeglichen Einfluß auf das moralische Empfinden des Eingeborenen“.85 Ihre Anwendung hing davon ab, ob die afrikanische Bevölkerung über Bargeld verfügte. Während im Distrikt Rehoboth im 1. Halbjahr 1908 bei einer Bevölkerung von „6 – 7000“ Personen 7 Prügelstrafen und 16 Geldstrafen verhängt wurden, fragte Gibeons Bezirkschef: „wie ist es möglich, eine solche anzuwenden, wenn der Eingeborene einen monatlichen Lohn von 5 M, 10 M, selbst 20 oder 30 M erhält und gezwungen ist … zu den enormen Preisen in den Kaufläden des Landes einzukaufen?“86 Nicht zuletzt die harsche Kritik des sozialdemokratischen ,Kolonialfachmanns‘ Noske an der Prügelpraxis zeigt, wie wenig Dernburg erreicht hatte: In den Kolonien werde „förmlich nach Noten geprügelt“. Dernburgs Nachfolger, der siedlerfreundliche v. Lindequist gestünde anscheinend „das Recht, zu prügeln, jedem einzelnen Weissen zu“. Auf die Erläuterungen des Staatssekretärs, die Prügel müsse sich „in angemessenen Grenzen“ halten und dürfe nicht „gesundheitsschädlich wirk[en]“, wandte Noske sarkastisch ein: „es wird nichts weiter übrig bleiben, als daß der Herr Staatssekretär eine regelrechte Prügelordnung erläßt“.87 Dieser kam in seiner Erwiderung über Allgemeinplätze nicht hinaus, wenn er versicherte, er „wünschte …, daß es nicht mehr notwendig wäre, in den Kolonien zu prügeln.“ Doch angesichts von

82 NAN ZBU 157, A VI a 3, Bd.20, Bl.147, Jahresbericht Bezirk Karibib 1909/10, 15.5.10. 83 SBRT, Bd. 285, 13. L.P. 1. Sess. 1912/14, 51. Sitzung, 30.4. 1912, S. 1557; Lewin, 1918, S. 34; mit Vorsicht zu lesende Statistik der Prügelstrafen in DSWA, Schröder, 1997, S. 94: Jahr : 19Anzahl:

00/01 01/02 02/03 03/04 04/05 05/06 06/07 07/08 08/09 09/10 10/11 11/12 12/13 151 257 473 340 187 29 336 534 703 928 1262 1655 1713

84 NAN EKW 1, F V k 1, Gouv an BAWindhuk, 13.1.10; NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.177, RKA an Gouv, 12.7.07; ebd, Bl.202, DA Maltahöhe an Gouv, 16.1.08. 85 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.203, BA Outjo an Gouv, 6.2.08. 86 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.206, DA Rehoboth, 17.7.08; Bl.195, BA Gibeon, 13.1.08. 87 SBRT, Bd. 265, 12. Leg.Per. 2. Sess. 1909/11, 155. Sitzung, 23.3. 1911, S. 5814 – 15.

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„Eingeborenen[, die] sogar ihre eigenen Kinder geschlachtet haben“, müsse „man natürlich auch andere Maßregeln anwenden.“88 Die Imagination von Afrika als „Ort des Chaos … und de[s] Kannibalismus“ half, die koloniale Gewalt zu rechtfertigen.89 Angebliche Infantizide und andere kulturelle ,Eigenheiten‘ mit der Peitsche auszutreiben, war ein Unterfangen, bei dem sich v. Lindequist nicht durch eine „Prügelordnung“ festlegen lassen wollte. Tatbestandsmerkmale, dabei blieb es, waren ,gewohnheitsrechtlichem’ kolonialem Ermessen zu entnehmen. Mit v. Lindequist in der Gesundheit der Betroffenen eine „angemessene Grenze“ der Prügel zu sehen, bot wenig Anhalt, angesichts der umstrittenen Auswirkungen auf die Ausgepeitschten. Während den einen die Nilpferdpeitsche, „glatt und geschmeidig“, als „das einzige und richtige Instrument [galt], mittels de[m] die Prügelstrafe vollstreckt werden kann“, war nach den „Erfahrungen [eines Arztes in Togo] … die Vollstreckung der körperlichen Strafe mit [dem] Sjambok … zu verwerfen.“90 Dernburg, dem aus Togo und Kamerun berichtet worden war, dass „von Hieben der Flusspferdpeitsche Löcher in die Haut gerissen werden“, bat um einen Bericht aus DSWA. Bei den dortigen Ämtern aber waren „[s]chädliche Folgen, die in der Anwendung des Schamboks begründet wären, … nicht beobachtet worden.“91 Mit Verweis darauf, dass die „Eingeborenen-Kapitäne … sich sr. Zt. stets dieses Instrumentes bedient“ hätten, zeigte sich der Distriktschef von Maltahöhe überzeugt: „Der Schambock ist populär.“ Sein Kollege in Keetmanshoop beklagte gar, dass die „[Prügel-]Strafe auch bei Weißen, die gemeine Rohheiten begehen, nicht mehr angewendet werden darf“ – eine Klage, die in Deutschland wiederholt aufkam.92 Auf Grund dieser unvereinbaren Befunde entschied das RKA, es jeder Kolonie selbst zu überlassen, welches „Züchtigungsinstrument“ eingesetzt werden sollte. Neben den (ärztlichen) Befunden über die Resultate der Prügel, die schon während der Skandale um C. Peters zu scharfer Kritik Anlass gegeben hatten, waren es die politischen Folgen unbegrenzter Gewalttätigkeit, die die „Notwendigkeit“ der Prügelstrafe im kolonialen Kontext fragwürdig erscheinen ließ. Die zunehmende Brutalität der Siedler gegen ihre Arbeiter führte bei manchem in den Verwaltungsspitzen zum Nachdenken über die Folgen: Seinem Bericht über den neuesten ,Zwischenfall‘ mit tödlichem Ausgang fügte Windhoeks Bezirksamtmann den Vermerk bei – „Ich halte der Eingeborenen wegen es für dringend erforderlich, dass die Sache zur Verhandlung [vor 88 SBRT, Bd. 265, 12. Leg.Per. 2. Sess. 1909/11, 155. Sitzung, 23.3. 1911, S. 5820. 89 Eckert, 2005, S. 273; vgl. Young, 1994, S. 280; Mamozai, 1982, S. 155 f. 90 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.102, DA Karibib an Gouv, 9.8. 04; Bl.150, Krankensammelstelle Gibeon an BA Gibeon, 3.5.07. 91 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.144, Station Atakpame an Gouv Lom, 9.8.06 [Abschr.]; Bl.153, DA Rehoboth an Gouv, 3.5.07; vgl. Schröder, 1997, S. 76 f. 92 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.168, DA Maltahöhe an Gouv, 10.6.07; Bl.190, BA K’hoop an Gouv, 8.1.08; Bd.2, Bl.2, OR an Gouv, 4.6.14; RVerf, Juni 14; vgl. Feder, 1911, S. 55.

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einem Gericht] kommt; denn sie sehen sich sonst rechtlos den Gewalttätigkeiten und Missbräuchen ihrer Dienstherren ausgesetzt.“ Der „Eingeborenenreferent“ Streitwolf bemerkte am Rand – „Dieses Gefühl der Machtlosigkeit löste … 1904 bei den Hereros den Aufstand aus.“93 Auch dem Gouverneur Seitz waren derartige Folgerungen nicht fremd. Er hatte 1912 seine Sorge vor einem erneuten „Aufstand“ mit der verzweifelten Stimmung unter Afrikanern begründet, die auf „rohe Ausschreitungen Weisser gegen Eingeborene – es haben sich leider in einzelnen Fällen auch Polizeibeamte derartiger Vergehungen schuldig gemacht –“ zurückzuführen sei. Während Einzelne in „wahnsinniger Rohheit gegen die Eingeborenen wüten und ihre weisse Haut als Freibrief für brutale Verbrechen betrachten“, fanden ihre Untaten „nicht die dem Rechtsgefühl der Eingeborenen entsprechende Sühne vor Gericht“. Die Siedler, so Seitz, müssten ihre „eigenen Reihen reinhalten.“94 Er ermahnte die Amtsvorstände „bei der Wahrnehmung der staatsanwaltschaftlichen Geschäfte …keine zu milden Anträge zu stellen“ und bei zu geringen Strafen Berufung einzulegen.95 Der „Eingeborenenreferent“ Streitwolf benannte den „Kern“ kolonialer Urteilspraxis, wenn er vermerkte: „Der Weiße geht straffrei aus, der Eingeborene wird für jede Kleinigkeit hart bestraft.“96 Afrikaner hatten daher kein Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz, wie sie Missionaren ebenso unmissverständlich wie verzweifelt zu verstehen gaben.97 In den Jahren 1911 bis 1913 kam es gleichwohl zu einer Strafprozessserie, bei der Farmerinnen und Farmer sich wegen der Misshandlung ihrer Arbeitskräfte, teilweise mit Todesfolge, zu verantworten hatten. Afrikanischen Beschwerdeführern hatte ein spezielles ,Prozessrecht‘ die Klagemöglichkeit noch dadurch eingeschränkt, dass sie ihre Anträge auf Strafverfolgung nur durch „ihren gesetzlichen Vertreter“, den „Eingeborenenkommissar“ oder ihren Amtschef zu stellen hatten. Dass dies bis 1909 teils anders gehandhabt wurde und Afrikaner die „zur Strafverfolgung erforderlichen Anträge wegen Misshandlung Eingeborener durch Weisse … selbst gestellt“ hatten, missbilligte Oberrichter Bruhns. Afrikaner könne er „ihrer geistigen Entwicklung und Urteilsfähigkeit nach nicht höher einschätzen als Weisse unter 18 Jahren“, weshalb ihnen ein selbstständiges Klagerecht nicht zugestanden werden dürfe.98 So verfügte die Verwaltung durch den Filter der Amtsvorstände über ein Instrument, die Klagen formal abzuweisen. Dennoch wurden einige Farmer zu Geld- und Haftstrafen verurteilt, die allerdings eher in Monaten als in Jahren zählten. Während Seitz diese Urteile mit Blick auf die Meinung der 93 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.15, BA Windhuk an Gouv [Verm. Ref.8] 20.2., 11.2.13. 94 Gouv Seitz an alle BAmänner, persönlich, 31.5.12, zit.in: Silvester/Gewald, 2003, [Blaubuch], S. 337; vgl. Henderson, 1993, S. 114. 95 NAN ZBU 606, F I d 1, Bl.56a, Gouv an alle BA, 29.5.12, ebd, Bl.71, Gouv an RKA, 19.7.13; vgl. Oermann, 1999, S. 182; Schmidt, 2008, S. 249. 96 NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.5 – 7, DA Okahandja an Gouv, 22.5.13. 97 Vgl. Oermann, 1999, S. 180. 98 NAN BSW 73, E 1 a 1, OG an Gouv, 9.8.09: kein „Klagerecht aus § 65 RStGB“.

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Afrikaner für unzureichend hielt, wurden sie von vielen Siedlern als skandalös hoch erachtet. „Solidaritätsbekundungen“ mit den Verurteilten waren die Folge.99 Der Sozialdemokrat Henke klagte deshalb 1913, „was diese Farmer im Südwestboten in Bezug auf die Behandlung der Arbeiter gesagt haben, ist … himmelschreiend“. Staatssekretär Solf musste sich zu dieser „Prügelei“ anhören: „Wenn wir darüber mal eine Denkschrift vom Kolonialamt bekämen, das würde sehr interessant sein. … Aber ich nehme an, daß dem Herrn Staatssekretär – das nehme ich zu seinen Gunsten an – darüber selbst nicht alles bekannt ist; denn sonst müßte er längst mit einem Donnerwort dazwischengefahren sein.“100

Er tat es nicht; ebenso wenig wie der Gouverneur. Zu groß war der Druck der Siedler ; zu gering die Aussicht, sie wirklich kontrollieren zu können. Der Verwaltung blieb in diesem „deutsch-deutschen Konflikt“ nichts, als an einem Ausgleich der Gegensätze mit der Siedlerschaft zu arbeiten.101 Die Sinnlosigkeit der Prügelstrafe Auch wenn die meisten Kolonialbeamten die Anwendung der Prügelstrafe für unverzichtbar hielten und in der Forschung die Ansicht vertreten wird, „daß die Notwendigkeit der Prügelstrafe innerhalb der Kolonialverwaltung nicht zur Diskussion stand“,102 so gab es Stimmen, die ihre Anwendung nicht grundsätzlich für ratsam hielten. Der Distriktschef von Okaukuejo, Leutnant v. Bauer, bemerkte zur vom RKA gewünschten Einschränkung: „Wo Verfehlungen von Eingeborenen aus Faulheit oder Dummheit entspringen, scheint Prügelstrafe nicht am Platze zu sein, überhaupt keine Strafe. …; in allen Fällen dürfte ruhiges und leidenschaftsloses Auftreten am Platze sein.“103 Okahandjas Distriktschef Fromm war der Überzeugung, dass bei „einem großen Teil der Eingeborenen … ernste Vermahnung sowie Belehrung … bedeutend mehr als Prügelstrafe“ hilft. Zugleich wusste er „aus Erfahrung, dass eine derartige Eingeborenen-Behandlung von einem Teil der [Siedler-]Bevölkerung absprechend kritisiert wird, und zwar von dem Teil, die ihren Eingeborenen bei der geringsten Verfehlung sagen, dass sie ihnen von der Polizei 25 werden verabfolgen lassen … Bei Arbeitsunwilligkeit hilft erfahrungsgemäß die Prügelstrafe selten oder nie“ und führe meist zur Flucht.104

Der den Staatsekretär Dernburg 1908 auf seiner Reise begleitende O. Bongard hörte von den Farmern Busch und Henning, beide im Bezirksrat Keetmanshoop vertreten, ähnliches: 99 100 101 102 103 104

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Vgl. Bley, 1968, S. 294 – 300; Schröder, 1997, S. 109 f.; Eckl, 2004b, S. 109 – 124. SBRT, Bd. 288, 13. L.P. 1. Sess. 1912/14, 125. Sitzung, 4. 3. 1913, S. 4260. Mamozai, 1982, S. 55; Bley, 1968, S. 302; Schmidt, 2008, S. 250 – 256. Schröder, 1997, S. 78. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.206, DA Okaukueyo an BA Outjo, 25.2.08. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.186, DA Okahandja an Gouv, 8.1.08.

„Die alten Afrikaner bekommen immer noch Arbeiter, wer aber neu ins Land kommt, dem ist es fast unmöglich. Fragt man die Alten, die keinen Arbeitermangel haben, wie sie ihre Leute behalten, so erhält man stets dieselben Antworten: ,Ich schlage meine Leute nicht. Ich werde nicht vertraulich mit ihnen und mache mich nicht mit ihnen gemein. Ich behandle sie streng aber gerecht. Ich beköstige sie gut.“105

Weder Siedlerschaft noch Beamte bildeten mit Blick auf ihre Haltung zur Prügelstrafe einen Block. Sinn und Notwendigkeit der Züchtigung erwiesen sich stets als fraglich. Dass die „Prügelstrafe unter deutschen Kolonialherren unumstritten“ war,106 ist unzutreffend. Keinesfalls war sie konstituierend für die koloniale Herrschaft, da anscheinend auch durch „Belehrung“ (Fromm) und ausreichende Ernährung (Henning) der koloniale Arbeitsbetrieb aufrecht zu erhalten gewesen wäre. Im Gegenteil: Die ,Züchtigungs- und Erziehungsgewalt‘ erwies sich als kontraproduktiv. Flucht und die Verweigerung eines Dienstvertrages waren Mittel, sich der Gewalt zu entziehen; ein aus der Verbitterung erwachsener „erneuter Aufstand“ hätte das koloniale Projekt prohibitiv verteuert, wie Seitz befürchtete.107 Abgesehen von den Stimmen der Sozialdemokraten ist allen Äußerungen jedoch das gänzliche Fehlen rechtsstaatlicher Bedenken gegenüber der Prügelstrafe gemein. Eingriffsrechte des Staates wie Privater in die körperliche Integrität, „um den im öffentlichen Interesse liegenden Erfolg herbeizuführen“, waren dem zeitgenössischen Rechtsdenken zu vertraut, als dass sich hier grundsätzliche Fragen hätten anschließen können. Immerhin hatte „der moderne Rechtsstaat durch die respektiven Gesindeordnungen die Zulässigkeit [der Körperstrafe] gewährt.“108 Zumindest ließ sich darauf verweisen, „dass es noch nicht allzu lange her sei, dass man auch in Europa mit der Prügel wirkungsvolle Ergebnisse erzielt habe.“109 Die koloniale „Erziehungsarbeit“110 durch Prügel wurde argumentativ bewusst in die Nähe familienrechtlicher Ausführungen gerückt: Der „Zweck [der Züchtigung] ist überall derselbe, als Erziehungsmittel gegenüber Erziehungsbedürftigen zu dienen“, hieß es in einer Dissertation zum „Recht auf Leib und Leben“, die die Kolonien mit keinem Wort erwähnt; dessen ungeachtet hätte jeder schlagende Siedler jenen „Zweck“ auch für sich reklamiert.111 Auch in der kolonialen Strafpraxis und ihrer Rechtfertigung findet sich so die Infantilisierung der Afrikaner, die in der Forschung zum kolonialen ,intellektuell-politischen Diskurs‘ hervorgehoben wird. Die Wahrnehmung und Darstellung des Afrikaners als eines Kindes hatte eine lange Vorgeschichte. 105 106 107 108 109 110 111

Bongard, 1909, S. 67. Maß, 2006, S. 148; vgl. Schwirck, 2002, S. 105 zum Steit zwischen Hintrager und v.Röbern. Seitz an alle BAmänner, persönlich, 31.5.12, zit. in: Silvester/Gewald, 2003, S. 337. Wrede, 1908, S. 434; vgl. Zimmerling, 1995, S. 105. Maß, 2006, S. 148 auf den Kolonialbeamten H. Zache verweisend. Windhoeker Anzeiger, II. Jg # 11, 23.5.00, S. 2. Schick, 1916, S. 69; 77; väterl. (§ 1631 BGB), mütterl. (§ 1634 BGB) Züchtigung.

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Schon Hegel hatte das „wahre Afrika“ als „das Land der Kindheit“ mythologisiert. Der südafrikanische Premier J. Smuts hob 1929 den afrikanischen Menschen als eine besondere „type“ hervor: „It has largely remained a childlike type, with a child psychology and outlook.“112 Tatsächlich war bei Afrikanern mit Vorliebe von „Jungen“ und „Mädchen“ die Rede. Noch ein 35jähriger Mann wurde in den Akten als „Junge“ bezeichnet. ,Männlichkeit‘ sprachen die Kolonialherren Afrikanern ab.113 Sie redeten diese beständig mit Vornamen an; vermerkten allein sie in den Akten, selbst wenn ein Nachname bekannt war. Wurde doch einmal der Nachname eingetragen, so bei dem „Kutscher Heinrich Simon, Kaffer“, zögerte der vorgesetzte Beamte nicht, ihn wieder auszustreichen.114 Von dieser ,Wahrnehmung‘ zur Tat war es nur noch ein kleiner Schritt: Kinder waren zum Zweck der „Erziehung“ zu züchtigen.115 Hinzu kam, dass dieser „koloniale Zweckgedanke ganz der modernen Strafzwecklehre [des Strafrechtlers Franz v.] Liszts entsprach. Man rühmte sich, dass es in den Kolonien die von der I[nternationalen] K[riminalistischen] V[ereinigung] geforderte … Ermessensstrafe schon gebe.“116 Dem freien Ermessen der „Eingeborenenrichter“ waren Tür und Tor geöffnet. „Strafzwecke“ fanden sich in der „Erziehung“ zur Arbeit, zum Gehorsam oder wie immer die Begründungen heißen mochten. Vergeltung oder Abschreckung, jene überholten Strafgründe vergangener Jahrhunderte, verblassten gegenüber der Aussicht, durch die erziehende Strafe eine „Besserung“ der Afrikaner herbei zu führen. Dass es sich dabei um die Prügelstrafe handelte, die als entehrend, gesundheitsschädigend und zweckwidrig seit einhundert Jahren bekämpft und als „pathologische Erscheinungsform des Ausagierens aggressiver Bedürfnisse“ kritisiert worden war, geriet den meisten ebenso aus dem Blick, wie die institutionalisierte Verletzung des Gesetzlichkeitsprinzips. Dies konnte umso leichter gelingen, als die Forderung nach „Beibehaltung oder Wiedereinführung drakonischer Strafen“ wie der Prügel in einer Art „Selbstschutzorgie“ gegen die „gefährlichen Klassen“ auch in Deutschland ernsthaft erhoben wurde.117

4.2. Strafvollzugs- und Gefängniswesen Im Zentrum der Strafvollstreckung stand das Gefängnis – in Deutschland ebenso wie in der Kolonie. Es galt als die humanere, wohlwollendere Form der Strafe gegenüber Prügel- oder Ehrenstrafen. Das Gefängnis wurde als die 112 Mamdani, 1996, S. 4, dort die Zitate mwN; vgl. Lindsay/Miescher, 2003, S. 4 f. 113 Mamozai, 1982, S. 149; NAN BWI 37, E 1 g, Bl.105, PS Sören an BA Windhuk, 22.11.10; Juden wurden im südl. Afrika oft als „Jew Boys“ bezeichnet, Macmillan/Shapiro, 1999, S. 10. 114 NAN BWI 37, E 1 g, Bl.105, Meldung. PS Sören an BA Windhuk, 22.11.10. 115 Vgl. Maß, 2006, S. 160; Scheulen, 1998, S. 65 f. 116 Hattenhauer, 2004, S. 750; vgl. Ehret, 1996, S. 110. 117 Gay, 1996, S. 222 f.; vgl. Maß, 2006, S. 148; Krauße, 1899; Bußler (Hg.), 1908, S. 11.

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„Strafe der zivilisierten Gesellschaften“ angesehen.118 Zwar ging in Deutschland seine Dominanz zurück, doch in Deutsch-Südwestafrika war eine solche Tendenz nicht zu erkennen. Der Sozialdemokrat Noske beklagte 1913 im Reichstag: „Die Zahl der Verurteilungen zum Teil zu sehr langen Gefängnisstrafen hat in allen Kolonien erheblich zugenommen.“119 Obwohl nach Einschätzung der Reichsleitung die Tätigkeit des ersten Kommissars Göring sich darauf beschränken sollte, den Frieden unter und zu den Afrikanern zu wahren und ansonsten ein Eingreifen unerwünscht blieb, so waren doch im Ergänzungsetat des Auswärtigen Amts 1885/86 30.000,– M aufgeführt, die zur Errichtung eines Dienstgebäudes in Angra PequeÇa „mit den nöthigen Haftzellen“120 verwandt werden sollten. Eine staatliche Gefahrenabwehr, private Verwaltungspläne hin oder her, schien auch im „Schutzgebiet“ unverzichtbar – das Gefängnis gehörte dazu. Dessen „Dominanz im Strafrechtsdiskurs der letzten zweihundert Jahre“121 erklärt die zügige Einrichtung der „Haftzellen“ in der Kolonie. Dass das Reich sich nun selbst in der Verantwortung für den Strafvollzug wieder fand, war, abgesehen von der Verwaltung Elsaß-Lothringens, ein Novum. In Deutschland hatte sich das Strafvollzugswesen „außerordentlich ungleich … entwickelt“. Für die Gefängnisse blieben die Einzelstaaten zuständig. 1897 einigten sich die Regierungen im Bundesrat lediglich auf eine Reihe von Grundsätzen, die beim Vollzug der Freiheitsstrafen zu beachten waren.122 Zwar gab es im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Debatte über die Aufgaben des Gefängniswesens, die Art seiner Einrichtung, die Besserung der Insassen und die Formen des Strafvollzugs. Doch das „Problem war, daß keiner der Versuche mit rational durchorganisierten Gefängnissen, keines der Plädoyers für verminderte Schuldfähigkeit, keine der Alternativstrafen zur Hinrichtung sich als zufriedenstellend erwiesen hatte.“123 Fr. v. Liszt stellte 1900 resignierend fest: „Wenn ein Jugendlicher oder Erwachsener ein Verbrechen begeht und wir lassen ihn laufen, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß er wieder ein Verbrechen begeht geringer, als wenn wir ihn bestrafen.“ Als die Reichsverwaltung daran ging, in Afrika Haftanstalten einzurichten, war dieser „Bankerott“ der Resozialisierungsbestrebungen im deutschen Strafvollzug ebenso wenig bestreitbar wie der Mangel an Konsens über eine alternative Strafvollstreckung.124 Afrikanischen Rechtssystemen, so E. Okupa, war bis dahin das Einsperren von Straftätern fremd. Doch fand diese Tradition erst Beachtung, als es den Kritikern eines zu ,liberal‘ gehandhabten Strafvollzugs in der Kolonie darum 118 So P. Rossi 1829, zit in: Foucault, 1977, S. 296; nach Anderson, 2005, S. 160 ist „the history of prison in colonial Africa … a fascinating and still largely neglected topic.“ 119 SBRT, Bd. 288, 13. Leg.Per. 1. Sess. 1912/14, 128. Sitzung, 7.3. 1913, S. 4349. 120 Denkschrift, in: Drucksachen RT, 6. Legisl. Per. II. Sess. 1885/86, Bd. 1, Nr. 21, A, S. 7. 121 Ammerer et. al., 2003, S. 13; vgl. O’Brien, 1995, S. 199 f.; Henze, 1999, S. 142. 122 Schenk, 2001, S. 37 – 49, zur zweifelhaften Rechtsnatur dieser Grundsätze S. 43 f. 123 Gay, 1996, S. 194; S. 178. 124 Schmidt, 1964, S. 346; 352; Zitat S. 402; Fleischmann, 1913, S. 18; Schattke, 1979, S. 107 f.

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ging, der Gefängnisstrafe für Afrikaner den abschreckenden, strafenden Charakter abzuerkennen.125 In DSWA wurden an jedem Bezirksamtssitz Zellen errichtet. Eine Trennung zwischen farbigen und weißen Gefangenen war angestrebt, konnte aber meist erst nach dem Ende der Kriege durchgeführt werden. In Keetmanshoop etwa waren 1906, ähnlich wie in den Gefängnissen der Kapkolonie, „weiße und farbige Gefangene“ gemeinsam untergebracht, ihre Trennung aber „beabsichtigt“.126 1908 stellte O. Hintrager fest, dass „die Trennung der weissen und eingeborenen Gefangenen teilweise schon durchgeführt ist“.127 Doch zog sich der Gefängnisbau hin. 1910 wurde das „Gefängnis für Eingeborene“ in Swakopmund errichtet und das in Omaruru ausgebaut.128 Weitere Gefängnisbauten kamen bis 1914 hinzu. Die Zahl der Strafvollzugsplätze reichte kaum aus, um alle Verurteilten unterzubringen. Zur Lösung dieses Problems verfiel die Verwaltung auf zwei Mittel: Die Strafvollstreckung in Deutschland und die nach zeitgenössischen Maßstäben liberal gehandhabte Strafaussetzung. So schrieb Windhoeks Bezirksrichter 1905 an das Gouvernement, dem es zu erklären galt, warum mehrere Verurteilte ihre Haftstrafen noch nicht angetreten hatten, „daß die Anzahl der … Gefängniszellen unter den zur Zeit bestehenden Verhältnissen völlig unzureichend ist. Ich habe bislang versucht, durch Auferlegung einer Meldepflicht gegenüber den Beschuldigten, die an sich nach dem Gesetz hätten in Untersuchungshaft genommen werden können, sowie durch Hinausschiebung des Strafvollzugs mit den zur Verfügung stehenden Zellen auszukommen.“

Dieses Verfahren aber sei durch das „stetige Anwachsen der Strafsachen … [eine] ernstliche Gefährdung der Strafverfolgung und Strafvollstreckung“; er hielt diesen Zustand für „unhaltbar“. Dass längere Strafen im Schutzgebiet verbüßt werden können, schien ihm „auf absehbare Zeit überhaupt ausgeschlossen.“129 Aus diesen Gründen galt, dass bei Strafen von mehr als sechs Monaten, Deutsche ihre Strafe in der Heimat zu verbüßen hatten. Die Strafverbüßung in Deutschland Bis die juristischen und verwaltungstechnischen Einzelheiten einer Überstellung von Straftätern nach Deutschland geregelt waren, vergingen Jahre. Die Schutzgebietsverwaltung ,verzichtete‘ häufig auf die Beachtung elementarer Rechtvorschriften: Anfangs überwies sie die Gefangenen häufig ohne Angabe ihrer Staatsangehörigkeit, so dass nicht klar war, in welchem Bundesstaat die Strafe zu vollstrecken war. Ebenso fehlte eine Bescheinigung über 125 Okupa, 2006, S. 379; NAN ZBU 147, AVI a 3, Bd.2a, Bl.248 f., Jb Südbezirk, 17.7.97 zum „ersten Bondelzwart-Gefängnis auf Warmbad“; vgl. Bernault, 2003, S. 4; Vansina, 2003, S. 55. 126 NAN ZBU 153, A VI a 3, Bd.12, Bl.125, Jb Bez. K’hoop 1905/06; Venter, 1959, S. 44; Bernault, 2003, S. 8; 16 – 22. 127 NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.37, Gouv an OG Windhuk, 17.11.08. 128 NAN ZBU 159, A VI a 3, Bd. 24, Bl.259, Jahresbericht der Bauverwaltung 1910/1911. 129 NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.3, BG Windhuk an Gouv, 21.8.05.

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die Vollstreckbarkeit des Urteils (§ 483 StPO), „sowie eine unterschriebene und untersiegelte Gerichtskostenrechnung“.130 Noch 1906 bemängelte das RKA, dass „die zur Vollstreckung erforderlichen Papiere“ nicht zusammen mit den Gefangenen in Deutschland eingetroffen waren.131 Rechtssystematisch schwerwiegender aber wog der Umstand, dass nicht die Bezirksgerichte um Strafvollstreckung etwa bei den preußischen Justizbehörden ersuchten, sondern das Gouvernement. Dies war mit dem Grundsatz der Trennung von Verwaltung und Justiz in Deutschland nicht in Einklang zu bringen, wie die Kolonialabteilung dem Gouvernement erläutern musste.132 Den Behörden im Schutzgebiet dagegen ging es darum, „durch Abschiebung der schwersten Verbrecher“ zügig der Gefahr ihres Ausbruchs aus den „unzulänglichen Gefängnisverhältnissen“ im Schutzgebiet zu begegnen. Das Problembewusstsein für die Trennung von Justiz und Verwaltung war ihnen abhanden gekommen; wurde sie doch im Kolonialrecht nicht durchgehalten und fand in der Rechtspraxis kaum Beachtung. Es waren die heimischen Behörden, die ihre Beachtung anmahnten. Deutlich zeigt sich hier, wie schwer die Übereinstimmung des Kolonialrechts mit den Erfordernissen des metropolitanen Rechts zu erzielen war. Die Kollision unterschiedlicher Rechtspraxen blieb nicht aus. Gleichwohl wurde auch von der Wissenschaft das „Ziel“ einer praktizierten Trennung von Justiz und Verwaltung in den Kolonien eingefordert.133 Dass die Überführung von Strafgefangenen nach Deutschland aufgegeben wurde, hatte neben den ungeliebten Belehrungen über Verfahrensgrundsätze einen weiteren Grund: die Schutzgebietsverwaltung riskierte, auf den Kosten sitzen zu bleiben. In Deutschland hatte der Strafgefangene die Kosten der Strafvollstreckung zu tragen (§ 497 StPO); „doch verbietet sich dies meist aus thatsächlichen Gründen“.134 Häufig fand sich in den Akten ein „Vermerk über die Aussichtslosigkeit der Beitreibung [der Überführungs- und Haftkosten], da die Schuldner vermögenslos“ waren. Die „Heimatstaaten [aber vollstreckten] nur gegen Erstattung der Auslagen durch das Schutzgebiet“.135 O. Hintrager lehnte daher 1907 die „Abschiebung“ von Strafgefangenen nach Deutschland ab, wenn diese zu weniger als zwei Jahren Haft verurteilt waren.136 Auch die Kosten der Überführung sprachen für eine Vollstreckung im Schutzgebiet. Schon 1902 hatte die Kolonialabteilung angemahnt, „dass nur dann von der Überführung … Gebrauch gemacht wird, wenn die Straf-

130 131 132 133

NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl. 12, KolA an Gouv, 16.10.01. NAN ZBU, F III a 1, Bl.22 RKA an Gouv, 10.10.06. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.14, KolA an Gouv, 20.5.06. NAN ZBU 153, AVI a 3, Bd.13, Bl.300, Jahresbericht des OG, 1905/06; NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.24, Formular an RKA, o.D; Meyer, 1905, S. 538. 134 Brockhaus-Lexikon (14. Aufl.), Bd.7, Leipzig 1902, Art.: Gefängniswesen, S. 539 – 43. 135 NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl. 13, OG Windhoek, 6.12.01; Bl.14, KolA an Gouv, 14.2.02. 136 NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.21, Gouv an BG Windhuk, 22.1.07.

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vollstreckung im Schutzgebiet wirklich unthunlich erscheint.“137 Das RKA fragte 1908 erneut, „ob nunmehr in größerem Umfange die Vollstreckung von längeren Freiheits – namentlich auch Zuchthausstrafen, im Schutzgebiet selbst erfolgen kann.“138 Das Gouvernement sprach zwar von einer „Besserung der Gefängnisverhältnisse“.139 Windhoeks Bezirksrichter aber konnte die „Vollstreckung mehrjähriger Freiheitsstrafen im hiesigen Gefängnis … nicht unbedingt“ empfehlen, da nur eine „Internierung von 74 Personen möglich“ war – aber die „Zahl der Freiheitsstrafen ganz erheblich zugenommen hat.“140 Kleinere Orte hatten keine ausreichenden Unterbringungsmöglichkeiten für Gefangene, so dass sie auf Zellen in Windhoek, Swakopmund oder Keetmanshoop angewiesen waren. Der Distriktschef von Gobabis etwa berichtete, dass Gefangene dort „infolge Vereinbarung mit der 9. Kompagnie in die Arrestzelle der Feste eingeschlossen [werden], da dem Distriktsamt Gefängniszellen für Weisse und Eingeborene fehlen.“141 1911 – die Kosten für das Gefängnis in Windhoek waren abzüglich aller Einnahmen aus der Gefangenenarbeit auf etwa 34.000,– M gestiegen142 – erwartete der Bezirksrichter, „daß in absehbarer Zeit die Einrichtung einer Zentralstrafanstalt in’s Auge gefaßt wird, die den Transport der zu längeren Freiheitsstrafen Verurteilten nach Deutschland erübrigt“.143 Dennoch erfolgte im Juni 1912 eine erneute Absprache über die Kosten für die Strafvollstreckung in Deutschland zwischen den Schutzgebietsbehörden und den preußischen Ministern für Justiz und Inneres.144 Im Dezember verfügte O. Hintrager, dass „aus finanziellen Gründen … unter allen Umständen darauf hingewirkt werden [muss], dass … alle Strafen ohne Rücksicht auf die Länge in den Schutzgebietsgefängnissen verbüsst werden.“ Zu „Zentralgefängnissen“ sollten Windhoek und – aus gesundheitlichen Rücksichten – Swakopmund ausgebaut werden.145 Das Gouvernement verfügte 1913: „Alle Freiheitsstrafen sind im Schutzgebiet zu vollstrecken.“ Zur Überführung nach Deutschland bedurfte es „besonderer Umstände“. Windhuk sollte generell der Ort für die Vollstreckung längerer Strafen sein – falls nicht das „Höhenklima für die Gesundheit des Gefangenen nachteilig sein würde“.146

137 138 139 140 141 142 143

NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl.19, KolA an Gouv, 11.6.02; Gouv an BA, 29.8.02. NAN ZBU 635, F III a 2, Bl.13, RKA an Gouv, 24.9.08. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.37, Gouv an OG Windhuk, 17.11.08. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.38 – 40, BG Windhuk an OG Windhuk, 25.11.08. NAN OGW 53, Gen II J, Bd.2, Bl.22, Gouv an OG Windhuk,17.4.10. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.70, Kosten für Gefängnisverwaltung Windhoek, 28.6.11. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.72, BR Windhuk an OR Windhuk, 30.8.11. Zuchthausstrafen waren „in Lüneburg, Gefängnisstrafen jeder Dauer … in Hannover oder Neumünster zu vollstrecken“ (NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.59, StS RKA an Gouv, 14.10.10). 144 NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl.158, StS RKA an Gouv, 17.6.12. 145 NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.73, Gouv an BG Windhuk, 7.12.12. 146 NAN ZBU 635, F III a 1, Bl. 39, Verf. 14.4.13; K’hooper Zeitung I. Jg # 17, 14.8.13, S. 3.

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Die Gründe für eine Inhaftierung Gefängnisstrafen sollten – schon aus Kostengründen – nur für schwere Verbrechen (für Europäer gemäß, für Afrikaner analog zum deutschen Strafrecht) verhängt werden. Es überwogen Eigentums- vor Gewaltdelikten.147 Doch war es für Afrikaner möglich, dass außerrechtliche Erwägungen den Ausschlag für eine Inhaftierung gaben. Von einer „Zurückhaltung in der Anwendung von Strafen“ aus „wohlverstandenem Staatsegoismus“, wie er für Deutschland postuliert wurde,148 war in der Kolonie wenig zu spüren. So berichtete das Bezirksamt Omaruru, wo man um 1900 große Schwierigkeiten mit der „Räuberbande des Valpert“ hatte, über „4 Weiber aus der Verwandtschaft des Valpert, in deren Inhafthaltung man ein indirektes Mittel zu Habhaftwerdung des Räubers erblickte.“ Diese Sippenhaft oder auch Geiselnahme – die mit dem deutschen Strafrecht nicht in Einklang zu bringen war – hatte jedoch nicht zum gewünschten Erfolg geführt, weshalb die Frage an das Gouvernement erging, „ob die Weiber … in Freiheit zu setzen sind.“ Dort nahm niemand an der unrechtmäßigen Inhaftierung Anstoß; vielmehr sollte die Entscheidung „an Ort und Stelle“149 getroffen werden. Ähnlich erging es dem „Herero Jakobus“. Er war nach dem Mbanderu-Krieg mit zwei anderen zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, erhielt aber als Anstifter eines Fluchtversuchs eine „Zusatzstrafe von einem Jahre“, obwohl, wie Leutwein einräumte, „in unserem Strafgesetzbuch eine Bestimmung, auf Grund welcher eine schärfere Strafe hätte verhängt werden können, bedauerlicherweise nicht zu finden war. Wieder ein Beweis für die Ungeeignetheit desselben für die hiesigen Verhältnisse.“150 Noch 1914 erinnerte Windhoeks Bezirkschef Weber daran, „dass die Verhaftung von Eingeborenen nur unter denselben Voraussetzungen wie bei Weissen zulässig ist“. Bisher, so beklagte er, hätte schon die „Anzeige von Weissen“ genügt, um eine Untersuchungshaft zu verfügen. Er sprach von „geradezu unerhört nachlässiger Behandlung der EingeborenenHaftsachen“.151 Solche Nachlässigkeit hatte Afrikaner wiederholt überlang im Gefängnis gehalten: Der Gefangene Aibib „scheint von Juni bis Dezember [1912] als Untersuchungs-,Gefangener‘ auf Gobabis verwendet [worden] zu sein!!!!“, wie der „Eingeborenen-Referent“ Streitwolf monierte. Ihm war nicht einsichtig, warum Distriktschef Runck, eine Verurteilung zu drei Monaten Gefängnis und Prügel wegen „Landstreicherei“ erst im Dezember aussprechen konnte. Streitwolf wollte Runck, der Aibib als seinen Ziegenhirten einsetzte, ermahnen, „solche Gesetzwidrigkeiten sich nicht wieder zu Schulden kommen zu lassen“. Doch das Gouvernement beließ es bei der Erwartung, „daß dies in 147 148 149 150 151

Zur „violence-au-vol“-These Johnson/Monkkonen, 1996; O’Brian, 1995, S. 201. Liepmann, 1912, S. 7. NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 27, BHpt Omaruru an Gouv, 3.9.00; Bl.28, Antw. 19.9.00. BAB R 1001/1489, Bl.71, Leutwein an RK v. Hohenlohe, 14.4.97. NAN BWI 160, L 2 m, BA Windhuk an Kriminalabteilung, 23.2.14; 6.3.14.

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Zukunft nicht wieder vorkommt.“ Für Streitwolf zeigte die „ganze Angelegenheit …, wie wenig man auf Rechte der Eingeborenen Rücksicht nimmt. Einem Weißen gegenüber wäre dieses Verhalten unmöglich gewesen.“ Da die „Untersuchungshaft“ auf Aibibs Strafe nicht angerechnet worden war, wurde er schließlich begnadigt.152 Vom Nutzen und Nachteil der Inhaftierung von Afrikanern Der Sinn und Zweck von Gefängnissen, die Afrikanern angeblich „eine Art Erholungszeit“ ermöglichen würde, blieb unter Siedlern strittig;153 ebenso die Bedingungen, unter denen die Haft zu verbüßen sei. Ihre Argumente entsprachen weitgehend jenen, die in Deutschland von konservativen Kritikern eines zu wenig strafenden Strafvollzugs vorgebracht wurden.154 Viele Siedler sprachen der Haft eine abschreckende Wirkung bei Afrikanern ab. „[D]em Arbeitgeber ist nicht viel damit gedient, daß der Eingeborene für sein Weglaufen ins Gefängnis gesteckt wird und der Eingeborene betrachtet [die] paar Monate Gefängnis als einen Erholungsurlaub bei der viel zu guten Verpflegung daselbst und dem Fehlen schwerer Arbeit.“155

Ähnlich wie in britischen Kolonien wurde bestritten, dass Afrikaner eine Einlieferung ins Gefängnis als Schande betrachten würden; zumal Abschreckung auch in den Kolonien als ein maßgebliches Ziel des Strafvollzugs galt.156 1904 sprach sich Windhoeks Bezirksamtmann Duft für die Beibehaltung der körperlichen Züchtigung als „Erziehungs- und Strafmittel“ aus, denn: „Einen Unterschied zwischen der Freiheitsbeschränkung die in der Nötigung zur Arbeit liegt und in der Freiheitsentziehung als Strafe wird der Eingeborene nicht erkennen.“157 Auch der Bezirksbeirat von Keetmanshoop war der Meinung, dass „der Eingeborene die Gefangenschaft nicht als Strafe fühlt: Er bekommt sein regelmäßiges Essen und Obdach“. Der Beirat empfahl daher halbmonatlich 25 Schläge.158 Eine Ausnahme stellten diese Haltungen nicht dar ; gleichwohl gab es Gegenstimmen. So hielt Bezirksamtmann v. Burgsdorff, die Erhöhung der zulässigen Schläge auf 50 für „human[er]“, weil „die Einschließung in das Gefängnis, in welchem das den Eingeborenen gewohnte Feuer fehlt, wohl ohne Zweifel des öfteren einen frühzeitigen Tod bezw. ein schweres Leiden herbeizuführen vermag.“159 Nach der Erfahrung des ihm unterstellten Distriktschefs von 152 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.166, A. Kaiser an Gouv, 19.12.12; Bl.169, DA Gobabis an Gouv, 3.2.13; Bl.171, Gouv an DA Gobabis, 20.2.13; Bl.173, Notiz Streitwolf, 12.4.13. 153 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.104, Vernehmung O. Bohnstedt, 7.8.04. 154 Vgl. Krauße, 1899, S. 7 – 14; Bernault, 2003, S. 23. 155 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.175, DA Omaruru an Gouv, 14.1.13. 156 Seidman, 1969, S. 441; Bongard, 1909, S. 67: Freiheitsentzug als „Annehmlichkeit“. 157 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.90, BA Windhuk an Gouv, 23.5.04. 158 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.114, Beirat Keetmanshoop an Gouv, 25.7.04. 159 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.107, BA Gibeon an Gouv, 16.8. 04.

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Maltahöhe, Oberleutnant Fromm, aber war das „Gefängnis [Afrikanern] nicht so unangenehm“. „Nur der Buschmann, der noch nicht längere Zeit bei den Weißen gelebt hat … kann den Aufenthalt im Gefängnis bei bester und richtiger Verpflegung nicht vertragen.“160 Die Haftbedingungen Diese letzten Ausführungen verweisen indirekt auf die katastrophalen Haftbedingungen und deren Folgen. Zwar galt auch für Deutschland: „Die Sterblichkeits- und Krankheitsziffer … übertrifft auch jetzt noch die der freilebenden Bevölkerung beträchtlich“ (Typhus, Entkräftung, Tuberkulose waren die Hauptursache).161 Doch in der Kolonie hatten derartige Zustände eine politische Dimension, da durch die Handhabung der Strafvollstreckung Misstrauen und Hass unter der afrikanischen Bevölkerung geschürt wurden, wie M. Erzberger 1906 im Reichstag erläuterte: „Was war die letzte Ursache, dass Samuel Maharero mit den Herero in den Aufstand getreten ist: Mögen doch die Herren von der Kolonialabteilung einmal den Brief lesen, den Samuel Maharero an den Stationschef von Okahandja, Leutnant Zürn, geschrieben hat, und in dem er auf solche Einzelfälle hinweist, wonach Eingeborene eingesperrt und in ,euren Gefängnissen‘, wie er schreibt, zu Tode geprügelt worden sind. Daraus leitet er die Befürchtung ab, dass man mit ihm das gleiche vorhabe, und deshalb trete er in den Krieg.“162

Wie in Deutschland, so wurden auch in den Kolonien Häftlinge aus „disziplinarischen Gründen“ geprügelt. S. Mahareros Vermutung war daher angesichts der bekannten Exzesse nicht aus der Luft gegriffen. Noch Jahre später beschwerte sich der Sozialdemokrat Henke im Reichstag: „Was wir … in Privatbriefen und Berichten haben lesen können über die Prügelei in den Gefängnissen in Südwestafrika, wie in anderen Kolonien, das ist geradezu himmelschreiend“.163 Dabei hatte etwa eine „Dienstanweisung für den Gefängnis-Aufseher des Eingeborenen-Gefängnisses“ von Keetmanshoop festgelegt, dieser habe „sich aller Tätlichkeiten gegen Gefangene unbedingt zu enthalten.“164 Die Behörde bewegte sich damit auf dem Stand der Zeit: Auch der Gouverneur der britischen Gold Coast (Ghana) erkannte in seiner Kolonie „the tendency to consider flogging the only appropriate punishment for Native Prisoners“ und missbilligte dies.165 Ein Lexikoneintrag zum „Gefängniswesen“ stellte die Regel auf: „Je geringer und seltener die Anwendung von NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.202, DA Maltahöhe an Gouv, 16.1.08. Brockhaus-Lexikon (14. Auflage), Bd.7, Leipzig 1902, Art.: Gefängnishygieine, S. 536 – 38. Erzberger, 26.3. 1906, zit.: Lewin, 1918, S. 42; vgl. Wienecke, 2005, S. 510; Epstein, 1962. SBRT, Bd. 288, 13. Leg.Per. 1. Sess. 1912/14, 125. Sitzung, 4.3. 1913, S. 4260; vgl. Krauße, 1899, S. 132 f.; Feder, 1911, S. 55; 49; Evans, 1997, S. 180; Schenk, 2001, S. 234 – 44. 164 NAN BKE 23, G 3 m, Bl.2, Anweisung BA K’hoop, 3.1.12; vgl. Stern, 1909, S. 25; zu ähnlichen Problemen in der Kapkolonie, Venter, 1959, S. 42 f.; zu Angola: Vansina, 2003, S. 61. 165 Governor Rodgers to Secretary of State, 3.5.04, zit nach: Seidman, 1969, S. 441.

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Gewaltmitteln erforderlich wird, je mehr es gelingt, auf das Ehrgefühl der Gefangenen einzuwirken, desto höher ist die Leistungsfähigkeit der Strafanstaltsdirektionen.“166 Demnach war die „Leistungsfähigkeit“ der Gefängnisleitungen in DSWA gering. Die Verhältnisse in den Gefängnissen waren und blieben miserabel. Die Sterblichkeitsrate in den „Eingeborenen-Gefängnissen“ war vor allem in den ersten Jahren ihrer Einrichtung beträchtlich. So erwähnte der für den Südbezirk zuständige Stabsarzt Schöpwinkel 1898, „daß unter den Gefangenen auf Keetmanshoop Erkrankungen und Todesfälle in erheblich verringertem Maße vorkamen, trotzdem der Bestand immer noch etwa 40 – 50 Personen umfaßte; zum Teil ist dies dem Umstande zuzuschreiben, daß für bessere Verpflegung und auch Reinlichkeit derselben gesorgt wurde. Allerdings wäre es sehr zu wünschen, wenn für die Gefangenen besondere geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt würden, … denn diese Hottentotten und Buschleute sind derart an ein freies ungebundenes Leben gewöhnt, daß sie schon durch die Entziehung ihrer Freiheit allein, noch viel mehr natürlich durch das Einsperren zu vielen in einem engen, ungesunden Raume langsam dahin sterben“.167

In Windhoek standen 1898 „nur ganz unzulängliche Räume zur Verfügung, und es wurde daher hinter dem Polizei-Gebäude ein neuer Trunk für Eingeborene errichtet, mit gemeinschaftlichem Saal für ca. 30 – 40 gefangene Männer, Raum für 5 – 6 Weiber, Krankenraum und Aborten.“168 Zehn Jahre später räumte ein Beamter Missionar Wandres gegenüber ein, es sei „dort drinnen ganz fürchterlich“.169 Das Protokoll einer Leichenschau des Untersuchungsgefangenen Hosib gewährt einen Einblick in die Lebensumstände der Insassen. Hosib – dessen Todesursache nicht festgestellt werden konnte – hatte mehrere Fluchtversuche unternommen und war deshalb „mit einer Kette, die locker um seinen Hals befestig war, gefesselt. Hände und Füße hatte er frei, die Kette ist so lang, daß er sich im Raume frei bewegen hat können … Zum Zudecken hatte er ein paar Ziegenfelle und mehrere Säcke …. Wasser und Kost ist ihm in vorschriftsmäßigem Quantum zugekommen“.170

Der Sozialdemokrat Noske bezeichnete den Strafvollzug in den deutschen Kolonien als „unverantwortlich barbarisch“: „Überall ist es üblich, die Gefangenen an die Kette zu legen“.171 In Swakopmund sprach der Bezirksamtmann 1908 von den „in baulicher Beziehung unhaltbaren Zuständen im Bezirksgefängnis“, denen durch einen Neubau ein Ende gemacht werden soll166 167 168 169 170 171

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Meyers-Lexikon, Bd.7, Leipzig6 1908, Art.: Gefängniswesen, S. 437; Bernault, 2003, S. 15. NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.3, Bl.167 f., Ärztlicher Jahresbericht,1897/98, o.D.[~7/98]. NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.3, Bl.14, Jb über die Bautätigkeit des Gouv, 1897/98, 7.9. 98. AELCRN, C II.1.13, Missionar Wandres an Präses Eich, 11.8.08. NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 46, Protokoll der Leichenschau. 26.7.02. SBRT, Bd. 288, 13. Leg.Per. 1. Sess. 1912/14, 128. Sitzung, 7.3. 1913, S. 4349.

te.172 Der Missionar C. Wandres beklagte mehrfach die Zustände im Windhoeker Gefängnis. 1908, vor der Ankunft des Staatssekretärs Dernburg, schrieb er an Präses Eich von „stockdunklen“ Einzelzellen für „schwarze Verbrecher“, die „fast ohne Luftzufuhr seien“. Dem Missionar Meier sei bei einem Gespräch mit einem „Delinquenten“ aufgefallen, „wie dem Mann das Ungeziefer am Leibe herunterlief … Der Gouverneur oder gar der Staatssekretär können sich ja persönlich von dem Zustand überzeugen [- was sie nicht taten]. Ich glaube, daß sie, morgens um 6 Uhr, keine 5 Minuten in dem hiesigen Gefängnisraum sich aufhalten können ohne ohnmächtig zu werden.“ Lobend erwähnte er die Gefängnisse in der Kapkolonie, wohingegen in Windhoek vom Abort „verpestete Luft“ die Insassen krank mache und es nicht einmal eine Krankenzelle gebe.173 Überfüllung war ein gravierendes Problem. Der Bezirkschef von Gibeon, M. Wasserfall, bat deswegen das Gouvernement im April 1913 um die Verlegung von Strafgefangenen mit langen Freiheitsstrafen. „Die enge Belegung könnte nach Ansicht des Regierungsarztes von gesundheitsschädlichen Folgen sein.“174 Dem Omaruruer Bezirkshauptmann H. Kliefoth zeigten die hohen Belegungszahlen, „trotz ,abschreckender‘ Prügelstrafe, daß die EingeborenenJustiz nicht streng genug gehandhabt werden kann.“175 Das „EingeborenenGefängnis“ von Keetmanshoop etwa war 1912 „durchschnittlich täglich mit 22 Köpfen belegt“.176 Doch galt die ,einfache‘ Haft manchem Amtsvorstand als zu milde: Bei der Gefängnis-Revision fiel auf, dass zwei Zellen „völlig dunkel sind“: „In einer dieser beiden Zellen befanden sich auch gefesselte Gefangene. Von dem Gefängnisaufseher wurde dabei mitgeteilt, dass die Verdunkelung der Zellen zur Verhinderung der Flucht angeordnet worden sei. In der Unterbringung von Gefangenen in vollständig dunklen Zellen liegt eine außerordentliche Schärfung der Strafe, die durch Befürchtung eines Fluchtversuchs nicht hinreichend gerechtfertigt ist. … Die Vorrichtung zur Verdunkelung der Zellen ist unverzüglich zu entfernen.“

– wie der stellvertretende Gouverneur Blumenhagen anordnete. Bezirkschef v. Hiller widersprach zwar der Beobachtung, die Gefangenen seien in dunklen Zellen untergebracht, da „die Türen tagsüber aufstanden,“ doch ordnete er die Entfernung der Bleche an.177 Nicht nur durch Revisionen war das Gouvernement über die Gefängnisse im Bilde. Die Missionare Eich und Wandres hatten sich wegen der Zustände mehrfach an den Gouverneur gewandt, „doch ist bis jetzt [1909] noch nichts 172 173 174 175 176

NAN ZBU 153, A VI a 3, Bd.16, Bl.175, Jb des BA Swakopmund, 1907/08, 10.5.08 AELCRN, C II.1.13, Missionar Wandres an Präses Eich, 27.5.08; 11.8.08. NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.67, BA Gibeon an Gouv, 4.4.13; vgl. Venter, 1959, S. 38 f. NAN ZBU 148, A VI a 3, Bd.5, Bl.220, Jahresbericht des Bezirks Omaruru, 99/00, 1.7. 00. NAN BKE 23, G 3 n, Bl.1, BA K’hoop an Gouv, 22.3.12; NAN BKE 23, G 3 m, Bl. 15, BA K’hoop an Gouv, 10.3.14, vgl. Bernault, 2003, S. 15 f. 177 NAN BKE 23, G 3 n, Bl.18, Gouv an BA Keetmanshoop, 19.6.13.

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geschehen.“178 Als oberste Revisionsinstanz blieb er für die Gefangenen verantwortlich, wenngleich seit 1905 die Übertragung der „Gefängnisse für Weiße“ von den Bezirksämtern an die Gerichte debattiert wurde.179 Während in der Kapkolonie 1888 ein Gefängnisinspekteur eingesetzt worden war, der unangemeldet die Einrichtungen aufzusuchen hatte,180 vertraute man in DSWA auf eine verwaltungsinterne Kontrolle durch das Gouvernement. Dessen „Bestimmungen über die Eingeborenengefängnisse“ von 1912 hatten zwar zum Ziel, die „Vorsorge zum Schutz der Eingeborenen gegen Misshandlungen“ zu gewährleisten und mahnten die „rechtzeitige Entlassung“ an. Doch blieben sie eher ein Hinweis darauf, dass dies bisher nicht immer der Fall war.181 Auch der Verpflegung musste sich die Oberbehörde annehmen: Im Februar 1912 mahnte O. Hintrager alle Ämter : „Für die Kinder von eingeborenen Müttern, die sich in Untersuchungs- oder Strafhaft befinden, muss ausreichend gesorgt werden. Es ist den Kindern Verpflegung, die nicht lediglich in Reis oder Mehl, sondern auch in Milch und, wenn angängig in Gemüse besteht, zu geben.“

Er musste es erst „allen Ämtern zur besonderen Pflicht [machen] in jeder Weise dafür zu sorgen, dass in den Gefängnissen keine Eingeborenen sterben.“182 Schon 1908 hatte Missionar Wandres empfohlen, das Gouvernement solle sich „eine Statistik der in den Gefängnissen Gestorbenen geben lassen.“183 Dies war offenbar geschehen und hatte Hintrager zu dieser Ermahnung veranlasst. Auch zur Anschaffung von Tellern, Löffeln und Decken für das „Eingeborenengefängnis“ Keetmanshoop bedurfte es einer Revision. Auf der Bestellung wurde nur knapp vermerkt: „Als Schlafunterlage wurden bisher meist leere Säcke verwendet, die nur zur Vermehrung des Ungeziefers beitrugen.“184 Hintrager verfügte im November 1912: „Bei der Überweisung von eingeborenen Strafgefangenen an die Küsten-Bezirksämter ersuche ich darauf zu achten, daß die Leute mit ausreichender Bekleidung oder mit 2 Decken versehen sind. Mehrere kürzlich nach Lüderitzbucht abgegebene Eingeborene kamen dort ohne jegliche Bekleidung an, so daß 4 Leute infolge Erkältung ins Lazarett gebracht werden mußten, wodurch abgesehen von der bedauerlichen Gesundheitsschädigung für die Verwaltung Mehrkosten entstanden sind.“185

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AELCRN, C I 1.25, Bl.246, Protokoll der Missionars-Konferenz des Hererolandes, 2.5.09. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.63, OG Windhuk an BG Windhuk, 31.3.11. Vgl. Venter, 1959, S. 35; 32. NAN ZBU 635, F III a 1, Bl. 32 – 34, Bestimmungen Eingeborenengefängnisse, 29.7.12. NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl.136, Gouv an OG Windhuk, 2.2.12; NAN BSW 73, E 1 a 1, Gouv an BA Swakopmund, 20.3. 12; NAN BOM 53, 30, Gefangenen Proviant; vgl. Thoms, 2005. 183 AELCRN, C II.1.13, Missionar Wandres an Missionar Eich, 27.5.08. 184 NAN BKE 23, G 3 n, Bl.2, BA Keetmanshoop an Gouv, 22.3.12. 185 NAN BKE 23, G 3 n, Bl.6, Verf. Gouv, 6.11.12.

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Dass sich das Gouvernement zu solchen Schreiben veranlasst sah, deutet an, wie es um die Verhältnisse in den Gefängnissen bestellt war. Eine Besserung scheint daraufhin erreicht worden zu sein. Die „Übersicht über die Sterblichkeit im Eingeborenen-Gefängnisse zu Keetmanshoop im 1. Vierteljahr 1913“ verzeichnet bei täglich rund 30 Gefangenen keinen Todesfall.186 Nach einer Revision des Bezirksamts Karibib durch Regierungsrat Blumhagen hieß es: „Das Eingeborenen-Gefängnis ist sehr solide und sauber.“187 In Windhoek wurden alle afrikanischen Gefangenen „bei der Einlieferung“ zur Untersuchung ins „Lazarett“ gebracht.188 Während eines Besuchs des Göttinger Kirchenhistorikers C. Mirbt, der durch sein Buch „Mission und Kolonialpolitik in den deutschen Schutzgebieten“ hervorgetreten war, konnte ihm 1913 in Keetmanshoop unter den „kulturelle Leistungen der Regierung“ auch das „Eingeborenengefängnis“ vorgeführt werden.189 Die Rechte der Gefangenen Die Art der Strafvollstreckung wurde sehr unterschiedlich gehandhabt. Die Insassen durften mitunter Besuch empfangen. So genehmigte Bezirkschef Golinelli – in seiner Funktion als Richter – der Ehefrau und den Kindern des Gefangenen Halliburton „alle Sonntag nachmittag von 2 bis 6 Uhr den Genannten zu besuchen“. Damit zeigte er sich großzügiger als die deutschen Gefängnis-Grundsätze, nach denen Insassen nur einmal im Monat Besuch empfangen durften.190 Im Keetmanshooper Gefängnis betrieben die Missionare Seelsorge.191 In Windhoek wurden später „Gefängnisgottesdienste“ gefeiert.192 Es konnte Hafturlaub gewährt werden – in den Genuss dieser Regelung kamen jedoch regelmäßig nur angesehene Deutsche. Der wegen Misshandlung seiner Arbeiter inhaftierte Farmer Viehager etwa brachte es nach Verbüßen von einem Drittel seiner neunjährigen Strafe bereits auf „15 Monate und 7 Tage“ Beurlaubung, „während der er sich überall öffentlich auf Kurpromenaden pp bewegte“ – was der Verwaltung allerdings den Vorwurf der „Bevorzugung“ einbrachte.193 In der Strafsache des Farmers O. Zacharias mussten Gouvernement und RKA gleichermaßen „die lässige Art der Strafvollstreckung“ rügen, bevor der Oberrichter das Bezirksgericht anwies, „nunmehr unverzüglich die Freiheitsstrafe zu vollstrecken.“194 Gefangene konnten ein Gesuch auf vorzeitige Entlassung stellen,195 dem von den Ge186 187 188 189 190 191 192 193 194 195

NAN BKE 23, G 3 n, Bl.12, Übersicht vom 14.4. 1913. NAN ZBU 694, F V f 2, Bl.11, RR Blumhagen an Ref 8 [Abschr.], 5.10.13. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.128, BA Windhuk an BA Rehoboth, 20.12.11. Keetmanshooper Zeitung I. Jg # 7, 5.6. 1913, S. 3: Besuch des Herrn Geheimrat Mirbt. NAN BKE 291, U.A.33/3, BHpt K’hoop an Ortspolizei, 30.11.96; Schenk, 2001, S. 273. AELCRN, C I 1.2, Protokollbuch der Konferenzen im Namalande, Bl.276, 8.8.97. ADELK, 27, Pfarrer Hammer an BA Windhuk (Jahresbericht), 12.5.12. NAN OGW 37, Gen XVI 3, Bl. 42, OR Bruhns, Gnadensache Wiehager, 14.2.12. NAN OGW 37, Gen XVI 3, Bl. 67, Gouv an OG, 21.1.14; OG an BG Windhuk, 27.2.14. Vgl. O’Brian, 1995, S. 210 – 12; zum Stufenstrafvollug in Dtl, Schenk, 2001, S. 179 – 187.

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richten bei „guter Führung“ entsprochen wurde.196 Auch Gnadengesuche an den Gouverneur und den Kaiser konnten deutsche Gefangenen stellen, zu denen der Oberrichter Stellung nahm.197 Über ein Beschwerderecht gegen die mit der Gefängnisverwaltung betrauten Bezirksämter verfügten alle Gefangenen. Selbst wenn – wie bei K. Berner, der „im Zustand starker Trunkenheit … seinen Eingeborenendiener Hans ohne besondere Veranlassung“ erschossen hatte – eine Beschwerde „in einem durchaus unsachlichen und beleidigenden Tone gehalten“ war, dürfe, so Referent Blumhagen, „den Strafgefangenen ihr Beschwerderecht nicht verkürzt werden“.198 Doch die Beschwerde blieb eine stumpfe Waffe. Stets hatte die Verwaltung die Möglichkeit, mit Sanktionen zu reagieren: Berner erhielt eine Anzeige wegen Beleidigung. Der „Strafgefangene Hottentott Hans Pieter“ wurde „wegen Entlaufens von der Arbeit mit 10 Prügeln bestraft.“ Zuvor war er mit Holzsammeln beauftragt, und, weil er „besseres Holz suchen“ sollte, von einem Polizeidiener „geohrfeigt und … zu Boden getreten“ worden; woraufhin er entlief, sich aber stellte, „um [s]ich über die unverdiente Mißhandlung, … zu beklagen“. Er war „über den Beschwerdeweg belehrt worden“. Der Polizeidiener erhielt lediglich eine Verwarnung.199 Die Gefängnisarbeit Die wirtschaftliche Verwertung der Arbeitskraft der Gefangenen war neben den Strafzwecken Vergeltung, Abschreckung, Sicherung und Besserung ein wesentlicher, wenn nicht der wesentlichste Gesichtspunkt des Strafvollzugs. Die „Gefängnisstrafe mit Zwangsarbeit [galt] als wirksamstes Bestrafungsmittel“.200 Die deutsche Kolonialverwaltung bewegte sich damit auf der Höhe der zeitgenössischen Strafvollzugspraxis auch der benachbarten Kolonien.201 Zwar schätzte O. Hintrager im Dezember 1908, dass „jetzt wohl überall ein genügendes Angebot von Arbeitskräften vorhanden ist“,202 doch war diese Situation eine Ausnahme. Sowohl während der Kriege als auch später litt das Schutzgebiet – vor allem auf Grund des Berg- und Bahnbaus – an Arbeitskräftemangel. Die Gefängnisinsassen, gleich welcher Hautfarbe, boten daher staatlichen Stellen wie Privaten eine gern in Anspruch genommene Möglichkeit, freie Stellen kostengünstig zu besetzen. Bezirkshauptmann Golinelli berichtete 1898, daß „bei Eingeborenen nie … auf Freiheitsstrafe ohne Zwangsarbeit erkannt wurde.“203 Die Länge eines 196 Ablehnungen in: NAN OGW 37, Gen XVI 2, Bl. 18, Vermerk OG Windhuk,[~12/1910]; NAN ZBU 635, F III a 1, Bl.1, Gouv an alle BA, 14.5.01; vgl. Schattke, 1979, S. 116 f. 197 NAN OGW 37, Gen XVI 3, Bl.42, OR betr. Viehager, 14.2.12; Oermann, 1999, S. 178. 198 NAN BSW 80, G 3 a, Bd.1, Gouv an BA Swakopmund, 8.8.14 (unpaginiert). 199 NAN BKE 292, U.A.33/8, Vernehmung Pieter, 16.1.14; Vermerk BA K’hoop, 20.1.14. 200 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.229, DA Warmbad an Gouv, 30.9.08. 201 Vgl. Gouveia da V., F.: Portuguese Africa, in: Milner, 1969, S. 222; Bernault, 2003, S. 22. 202 NAN GLU 313, Gen F III, Bd.1, Bl.193, Gouv an BG Lüderitzbucht, 3.12.08. 203 NAN ZBU 694, F V f 2, Bl. 5, BHpt Keetmanshoop an Gouv, 29.9.98.

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Arbeitstages blieb unbestimmt; doch hatte er angeordnet, dass der „Arbeitsdienst für eingeborene Gefangene … Mittwoch Nachtmittag fünf Uhr zu endigen“ hat, da Missionar Meisenholl im Anschluss Gottesdienst hielt.204 Der Arbeitszwang für Gefangene wurde 1909 vereinheitlicht. Das Gouvernement verfügte, dass „Eingeborene …, soweit sie gesund sind, gezwungen [waren], während der Strafverbüßung zu arbeiten.“ Je nach Arbeitsleistung war es möglich, ihnen die Verpflegungskosten zu erlassen. Wer nicht arbeitete, hatte täglich 1,– M zu zahlen. Privatleute, die afrikanische Gefangene für sich arbeiten ließen, hatten 1,25 M pro Gefangenen und Tag sowie täglich 1,50 M für den beaufsichtigenden Polizeidiener zu entrichten.205 Maßgeblich war bei der Auswahl der anfallenden Arbeiten das „Interesse der Verwaltung“.206 Da der Bedarf an diesen Arbeitskräften die Zahl der Insassen überwog, kam es vor, dass Gefangene für Tätigkeiten bei der Verwaltung, z. B. „Gartenarbeit des Bezirksgerichts“, zurückbehalten wurden, die bereits seit mehreren Jahren im Dienste von Privaten standen.207 Neben der Verwertung der Arbeitskraft wurde auch mit dem Topos der „Erziehung zur Arbeit“ argumentiert; einer im europäischen Strafvollzugsdiskurs seit dem 17. Jahrhundert gepflegten Illusion, die auf die Kolonien übertragen wurde.208 Der Distriktschef von Warmbad, Runck, hielt die Zwangsarbeit für afrikanische Gefangene wegen des „angeborenen Hanges zur Faulheit“ für „angebracht“.209 Das Bezirksamt Lüderitzbucht wurde vom Gouvernement angewiesen, beim Strafvollzug des zu drei Jahren Haft verurteilten „höchstens 16 Jahre alten Buschmann Kumareb … auf eine Erziehung … Wert zu legen. Sobald der Buschmann so weit gebessert ist, daß er unter fremder Aufsicht arbeitet“, sollte er, falls polizeiliche Aufsicht gewährleistet war, auf die Diamantfelder geschickt werden.210 Strafgefangene wurden selbst an Polizeistationen als Arbeiter überwiesen. Doch konnte dies zu unliebsamen Weiterungen führen: Auf der Station Groß Aub gelang es Strafgefangenen 1912, zwei Gewehre und Munition zu entwenden. Der angeblich gefasste Plan, die Besatzung zu erschießen und dann zu fliehen, schlug jedoch fehl. Für diese „Gefangenenmeuterei“ wurde der Strafgefangene P. Goliath zum Tode verurteilt.211 Dagegen hatte der „Sträfling Max“ „der Station [Otjosazu] schätzenswerte Dienste geleistet“. Er war der Polizei vom Distriktsamt Okahandja zur Verfügung gestellt worden, wo er

NAN BKE 291, U.A.33/3, BHpt Keetmanshoop an Ortspolizeibehörde, 17.11.97. NAN BSW 73, E 1 a 1, Gouv an BA Swakopmund, 24.11.09. NAN BKE 23, G 3 m, Bl.1, Gouv an BA K’hoop, 29.9.11, Seidman, 1969, S. 444. NAN BSW 80, G 3 e, Schreiben Fa. C. Neumann an BA Swakopmund, 17.6.14. Vgl. Küther, 1987, S. 142; Schenk, 2001, S. 205 f.; Conrad, 2006, S. 74 f.; 95 f; 109 f.; Seidman, 1969, S. 444; Liepmann, 1912, S. 7. 209 NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.198, DA Warmbad an Gouv, 31.12.07. 210 NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.109, Gouv an BA L’bucht, 16.3.14; Schattke, 1979, S. 117 f. 211 NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.31, Gouv Todesurteil, 16.8.12. 204 205 206 207 208

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„kurze Zeit Führerdienste [gegen Viehdiebe] getan“ hatte.212 Die Gefangenen wurden auch zu persönlichen Arbeiten für Beamte herangezogen.213 Ob Dienste für die öffentliche Verwaltung oder bei großen Infrastrukturvorhaben – viele Siedler sahen voller Misstrauen auf die Gefängnisarbeit, in der sie keine Härte zu erblicken vermochten. Der Farmer H. Schulz wollte von einem Polizeidiener erfahren haben, dass es drei – ihm „unentbehrliche[n] Wagenjungens“, die wegen Viehdiebstahl verhaftet worden waren, im Gefängnis „sehr gut ginge“. Er bat das Bezirksamt Keetmanshoop um „gefällige Aufklärung, ob solche Strafen nicht zur Wiederholung von Verbrechen reizen.“ Seiner Meinung nach sollte im Interesse „der allgemeinen Sicherheit für eine richtige Strafe gesorgt werden … Die Jungen haben keine Angst vor dem Trunk, wie mir ein Farmer kürzlich erzählte, hätte ihm sein Hottentott gesagt, im Trunk erginge es ihm besser als wie bei seinem Brotherrn“.

Trotzdem eine „Verpflichtung zur Auskunftserteilung über die Art des Strafvollzugs ausdrücklich nicht an[erkannt wurde]“, beantwortete das Bezirksamt die Eingabe. Die Gefängnisverwaltung musste berichten, zu welchen Arbeiten die Gefangenen bisher herangezogen worden waren: einer war Sattler und Pferdepfleger ; ein anderer krank, der „deshalb nur zu leichter Arbeit verwandt“ wurde; der Dritte war Holzarbeiter. Außerdem wurden alle „zu den laufenden Arbeiten im Eingeborenengefängnis mit verwandt.“ Das Schreiben gewährt einen Einblick in die Grundsätze, die sich die Verwaltung für die Arbeit in den „Eingeborenengefängnissen“ gegeben hatte. Gleichzeitig erstaunt die Ausführlichkeit, mit der die Verwaltung dem Farmer gegenübertrat: „Es wird hier dafür gesorgt, daß die eingeborenen Gefangenen ständig zu arbeiten haben. Die Verteilung auf die einzelnen Arbeiten richtet sich nach Geschicklichkeit, Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand … Wenn tatsächlich ein Eingeborener zu einem Farmer gesagt haben soll, im Gefängnis gehe es ihm besser als bei seinem Brotherrn, so wäre das bezeichnender für den betreffenden Farmer als die Gefängnisverwaltung. Denn daß unter normalen Verhältnissen ein Eingeborener in der Freiheit bei rechtmäßiger Behandlung u. entsprechender Löhnung u. Verpflegung sich wohler fühlen muß als im Gefängnis, wo er bei schmaler Kost den ganzen Tag ohne Bezahlung arbeiten und auch die sonstigen Nachteile der Freiheitsentziehung (Entbehrens des Geschlechtsverkehrs, der Kaffernweiber und aller sonstigen Werftfreuden), liegt für einen vernünftigen und billig denkenden Menschen auf der Hand.“214

Im Bezirksamt Keetmanshoop sah man sich demnach genötigt darauf zu verweisen, dass das Gefängnis „immer über gezielte Einrichtungen [verfügte], die ein bestimmtes Maß an körperlichem Leiden sichern“: „Rationierung der 212 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.140, DA Okahandja an Gouv, 16.11.12. 213 NAN OGW 53, Gen II F, Bl.53, BR Dr. Forkel an BA Keetmanshoop, 8.2.06. 214 NAN BKE 23, G 3 m, Bl.10, Schulz an BA K’hoop, 17.12.13; Antwort, Bl.12, 29.12.13.

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Nahrung, Entziehung sexueller Möglichkeiten, Schläge, Isolierung“. Zum „,peinlichen‘ Rest“215 moderner Kriminaljustiz trat die Verwertung der Insassen. Die Klagen der Farmer dürfen auch nicht darüber hinweg täuschen, dass ihnen die Polizei die bei Patrouillen gefangen genommenen Frauen und Kinder regelmäßig als Arbeitskräfte zur Verfügung stellten; schließlich sei „mit diesen gerichtlich doch nichts an[zu]fangen“.216 Afrikanische wie europäische Strafgefangene konnten während ihrer Haftzeit in den Dienst von Privaten treten. Dazu war vom Arbeitgeber ein Antrag an die Gefängnisverwaltung zu richten, die ihm daraufhin, so möglich, die Sträflinge zuwies. Die in den Vorteil der fast kostenlosen Arbeitskräfte Gekommenen zeigten sich zufrieden mit den Leistungen: Ein Kaufmann, der einen wegen Viehdiebstahls Verurteilten beschäftigte, bat darum, „daß der Junge mir bis zu seiner Strafverbüßung verbleibt und daß er nach derselben mir für dauernd überwiesen wird.“ Dass auch der Sträfling diesen Wunsch geäußert hätte, war immerhin eine Erwähnung wert.217 Europäische Strafgefangene waren vom Arbeitszwang nicht ausgenommen und wurden auch zur „Aussenarbeit“ eingesetzt.218 Hier bestanden offenbar keine Bedenken wegen des ,Ansehens der Weissen‘ bei der afrikanischen Bevölkerung; wenngleich das Gouvernement nachfragte, „in welcher Art das unzulässige Zusammenarbeiten der weissen und eingeborenen Gefangenen vermieden werden kann.“219 Während Gefängnissträflingen nur solche Arbeiten zu übertragen waren, „die ihrer Vorbildung einigermaßen entsprechen“, sollten „die Zuchthaussträflinge zu allen möglichen und insbesondere schweren Arbeiten herangezogen werden.“220 Gouverneur v. Schuckmann erschien es „unbillig …, den Strafgefangenen für ihre Arbeiten keine Vergütung zu gewähren.“ 2,– M täglich sollten vom Arbeitslohn für „Zelle, Wäsche [und] Beköstigung“ abgezogen werden. Schuckmann ging davon aus, dass gute Handwerker täglich zwischen 4 und 6 M, „gewöhnliche Arbeit“ mit etwa 2 – 4 M zu entlöhnen war, so dass arbeitende Gefangene einen Teil der Strafvollzugskosten bereits in der Haft abzahlen konnten.221 Dennoch zog sich bei der Höhe der Gerichts- und Strafvollzugskosten von teils mehreren hundert Mark, die Eintreibung der ausstehenden Summen oft über Jahre hin – manche Schuldner zahlten überhaupt nicht und

215 Foucault, 1977, S. 25. 216 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.64, Patrouillenbericht des Olt v. Lichtenstern, 27.2. 14. 217 NAN BSW 80, G 3 e, Bd.1, Engel an BA Swakopmund, 18.6 14; NAN BSW 80, G 3 a, Bd.1, RA Gumbrecht an BA Swakopmund, 19.3.14; Notiz des BA. 20.6.13; Gouv an BA, 20.7.14 Ebs. NAN BSW 80, G 3 e, Bd.1, A. Schulze an das BA Swakopmund, 29.4.14. 218 BAB R 1002/2718, BA Windhuk an ILP, 21.1.10: für „dringende Arbeiten“. 219 NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl. 115, Vermerk OG Windhuk, 13.12.10; NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl.119, Vernehmung des PolSgt Münzberg, 17.6.12; vgl. Conrad, 2004, S. 125. 220 NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.28 – 9, Gouv an BG Windhuk, 14.9.07. 221 NAN GWI 758, Gen VII 1, Bd.4, Bl.141, Gouv an BG W’huk, 9.10.08.

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entzogen sich durch Flucht in die Kapkolonie.222 Im Jahresbericht 1909 hieß es über das „Gefängnis für Weiße“ in Windhuk: „Der Arbeitsbetrieb ist durch die Anstellung von zwei ständigen Aufsehern, von welchen der eine als Werkmeister die Tischlerei leitet, rationell ausgestaltet worden. Aus den Arbeitserträgen konnten die Kosten für die Verpflegung und Unterbringung der Gefangenen insgesamt bestritten werden, so dass das Gefängnis sich selbst zu unterhalten beginnt.“223

Arbeit sollte der zentrale Aspekt des Gefängnisalltags sein, die Kosten minimieren und zur Erziehung der Sträflinge beitragen. Doch im Juni 1913 wies Gouverneur Seitz auf die zeitweise „Beschäftigungslosigkeit der Gefangenen“ hin und warnte vor deren „schädliche[m] Einfluß“ auf „den seelischen Zustand“ der Häftlinge. Er machte es darum den Gefängnisverwaltern zur Pflicht, „nach Kräften für die Beschäftigung der Gefangenen zu sorgen“. Unbezahlte Gefängnisarbeit für die Verwaltung wurde von ihm für zulässig erklärt, wenn bezahlte Arbeit nicht vorhanden war.224 Bewachung und Flucht Die Flucht gelang Strafgefangenen bei der häufig nur unzureichenden Bewachung regelmäßig. Gelegenheit dazu bot sich allenthalben. So hatte unter dem bezeichnenden Titel „Polizeischmerzen“ der Südwestbote die Flucht von zwei auf der Polizeistation Seeis gefangenen Viehdieben geschildert: Der Bezirksamtmann von Windhoek, Todt, rechtfertigte sich daraufhin, dass wegen eines Feldbrands bis auf einen Sergeanten die gesamte Besatzung an jenem Tag ausgerückt war. Die Gefangenen aber waren, aneinandergekettet, mit dem Stationsneubau beschäftigt. Als Sergeant Kühne zum Telefon „abberufen“ wurde, gelang ihnen die Flucht. Während das Gouvernement darin „[F]ahrlässig[keit]“ erblickte und die „Mißstimmung“ in der Bevölkerung teilte, erging sich Todt über die Bedingungen auf den Stationen: „eine Gefängniszelle ist auf Seeis, wie auf fast allen Polizeistationen nicht vorhanden“. Die nach und nach zu errichtenden Zellen aus „Klippen und Lehm [wären] auch nicht unbedingt ausbruchssicher“.225 Die ,großen‘ Gefängnisse wurden kaum besser gegen Ausbrüche gesichert. In Swakopmund entwichen 1905 innerhalb von fünf Wochen drei Insassen, von denen nur zwei wieder festgesetzt werden konnten.226 In Windhoek lagen die Dinge ähnlich: Auch dort gelang im gleichen Zeitraum sechs, wenig später noch einmal vier Gefangenen die Flucht.227 Der Bezirksamtmann von Kee222 223 224 225

Vgl. Fall des Schreibers Fenner : NAN BKE 23, G 3 f, Bl.5 – 14; Schenk, 2001, S. 212. NAN ZBU 157, A VI a 3, Bd.20, Bl.168, Jb Bezirk Windhuk 1909/10, 4.6.10. NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl. 190,Gouv an OG Windhuk, 20.6.13. Südwestbote # 104, 30.8.12; NAN ZBU 108, A III e 1, Bl. 27, BAWindhuk an Gouv, 5.9.12; Bl. 28, Gouv an BA Windhuk,16.9.12; vgl. Bernault, 2003, S. 27. 226 NAN BOM 53, S V, Bl.1, Steckbrief, 6.7.05; Bl.3, BA S’mund an DA Omaruru, 19.8.05. 227 NAN BOM 53, S V, Bl.4 – 6, 8, BA Windhuk. Steckbriefe, 12.10.05; 4.9.05; 2.10.05.

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tmanshoop empfahl 1907 unter Verweis auf die militärischen Posten vor Gefängnissen in Deutschland, einen Nachtposten von der Schutztruppe im Bezirksgefängnis aufzustellen; auf zwei Polizeisergeanten, die im Gefängnis schliefen, wollte er sich nicht verlassen.228 Noch 1911 wurde beklagt, Windhoeks „Gefängnis biete z. Zt. keine genügende Sicherheit“.229 Die Hofmauer sei „in wenigen Stunden“ zu durchbrechen. Der Aufseher schlief nachts im Gefängnis, stand aber „nur im Notfall zur Verfügung“.230 Selbst Gefangenen, die zu Festungshaft verurteilt und daher gefesselt waren, gelang die Flucht.231 Die Feststellung, dass die Gefängnisse schlecht gegen Ausbrüche gesichert waren, bedeutete keinesfalls, dass diese Zustände abgestellt wurden. Aus Rehoboth hieß es 1909 nach einem Ausbruch, das Gefängnis sei „völlig unzureichend“232. Bei derart schlecht gesicherten Gefängnissen wurde versucht, gefährlich erscheinende Gefangene an andere Gefängnisse abzugeben. Noch drei Jahre später musste das Bezirksamt Rehoboth mehrere Insassen, „die trotz ausreichender Fesselung einen Fluchtversuch … unternommen haben, … dem Bezirksamt Windhuk … über[weisen]“.233 Auch Keetmanshoops Gefängnis bot keine sichere Verwahrung, wie Bezirksamtmann v. Hiller nach der Flucht von sechs Gefangenen einräumte: „Ein Verschulden an dem Entweichen der Gefangenen trifft niemand. Die Türen des Gefängnisses waren sämtlich verschlossen. Die Gefangenen haben die nach dem Hof führende Zellenmauer, die aus Lehmsteinen besteht, durchbrochen, sind durch das Loch auf den Hof gekrochen, dann auf eine am Abort befindliche niedrige Mauer und von da auf das Dach und die Umfassungsmauer des Gefängnisses gestiegen und schließlich über einen aussenstehenden Baum und das Dach eines Nebenschuppens in das Freie geklettert.“234

Auch bei der Außenarbeit ergaben sich Möglichkeiten zur Flucht. Zehn bis zwölf Mann konnte ein einzelner Aufseher maximal bewachen, so der Windhoeker Bezirkschef Todt; stattdessen aber sollten 4 Polizeidienern, die „60 Gefangene[n] auf Aussenarbeit bewachen, einer [soll] womöglich noch als Wache im Eingeborenen-Lazarett sein, in welchem es an einem festen Krankenraume für Gefangene fehlt, ein Umstand der schon eine ganze Anzahl schwerer Verbrecher mit simulirten Krankheiten hat entlaufen lassen. Unter den arbeitenden Gefangenen befinden sich viele schwere Verbrecher, mit jahrelanger, oft lebensläglicher Kettenhaft, die natürlich jede Gelegenheit benutzen, wegzulaufen.“ 228 229 230 231 232 233

NAN ZBU 523, E II b 2, Bl.47, BA Keetmanshoop an Gouv, 3.11. 07. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.64, Rechnungsrevisor für OG Windhuk, o.D [~3/11]. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.64, BR Windhuk an OR Windhuk, 30.8.11. NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 237, Gouv an BA Windhuk, 7.4.11. NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 206, DA Rehoboth an Gouv, 24.2.09. NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.16a, BA Rehoboth an Gouv, 26.3.12; NAN LPO 4, O I c 21, Bl.23, Olt v. Hischberg an ILP, 17.6.12; ebd., Bl. 25, Olt v. Hischberg an ILP, 10.10.12. 234 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.2, Bl. 37, BA Keetmanshoop an Gouv, 19.4.12.

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Sein Resümee lautete daher : „Die Arbeitskräfte können nur aus Mangel an Aufsichtspersonal nicht ausgenutzt werden.“235 Andernorts aber verzichtete man ganz auf dieses: Im Februar 1913 kehrten zwei Strafgefangene nach ihrer Arbeit nicht in das Gefängnis von Swakopmund zurück. Ihr Arbeitgeber hatte sie abends allein zurückgeschickt. Der zuständige Polizeibeamte hatte sich daraufhin in einem Bericht zu verantworten: „Morgens wurden die Eingeborenen auf verschiedene Stellen zur Arbeit geschickt. Am Abend kamen dieselben jedoch allein zurück. So auch die weißen Gefangenen. Von meiner früheren Tätigkeit im Gefängnis [der Aufseher war nur Urlaubsvertreter] ist mir erinnerlich, daß der betreffende Arbeitgeber für Zurückbringung der bei ihm arbeitenden Gefangenen bis 6 Uhr abends zu sorgen hatte; während jetzt die Gefangenen sehr unregelmäßig und allein kommen. Ob hierüber eine Verfügung getroffen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. … Zur Zeit sind 13 weiße Gefangene, wovon zwei geisteskrank sind, und 24 Eingeborene im Gefängnis. Es ist daher für einen einzigen Beamten sehr schwer, allen gerecht zu werden. … Als ich zurückkehrte standen zwei weiße Gefange[ne] welche von der Arbeit zurückgekehrt waren, auf meine Rückkehr wartend vor dem Gefängnis, um sie einzulassen. Dergleichen Sachen kommen, wie ich bereits beim Polizeisergeanten Hergert beobachten konnte oft vor.“

Nach dieser Flucht wurden alle Arbeitgeber schriftlich verpflichtet, die Arbeit eines Strafgefangenen außerhalb des Gefängnisses „selbst zu beaufsichtigen und ihn in das Gefängnis zurückzuführen“.236 Die Ortspolizeibehörden stellten nach einer Flucht Steckbriefe aus, oft unterschrieben vom „Bezirksamtmann als Vertreter der Staatsanwaltschaft“, die an alle Bezirksämter, mitunter auch an das Truppenkommando verteilt wurden und teils mit einer Fotografie des Gesuchten versehen waren.237 Die ihnen beigefügten Beschreibungen konnten in regelrechte ,Psychogramme‘ der Gesuchten übergehen. Der „Kapneger“ J. Hard etwa, „Gesichtsfarbe [und Haare]: hell“ und wegen Alkoholverkaufs an Afrikaner gesucht, war „sauber gekleidet und rasiert, führt Geld lose in der Tasche, ist Karten- und Billardspieler, Trinker, Weiberfreund und Würfler. Er arbeitet nur, wenn ihn der Hunger zwingt. Giebt sich gewöhnlich für einen Weissen aus.“238 Den Steckbriefen nach zu urteilen, gelang Afrikanern die Flucht ebenso oft wie Europäern, was darauf schließen lässt, dass die Trennung keine besonders scharfe Bewachung der einen oder anderen bedeutete. Wie nachlässig die Bewachung der Insassen noch bald 30 Jahre nach der Errichtung der ersten Haftzellen in DSWA gehandhabt wurde, zeigt das Beispiel des aus dem Gefängnis Keetmanshoop entflohenen Buchhalters Fuhr235 236 237 238

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NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.38, BA Windhuk an Gouv, 23.10.13. NAN BSW 80, G 3 d, Erklärung Magdeburgs, 16.2.13. NAN BOM 52, S I, Bl.181, Steckbrief H. Müters, 9.7.07; Steckbrief P. Menzel, 7.4.08. NAN BKE 199, B II 66 a, spec I, Bl.14, BA Lüderitzbucht an BA Keetmanshoop, 17.3.10.

mann, der im Januar 1913 Selbstmord beging. Er erschoss sich, wie das Gouvernement aus der Keetmanshooper Zeitung erfuhr, mit einer amtlichen „Browning“. Der Bezirkschef rechtfertigte dies nüchtern: „An der Flucht Fuhrmanns trifft niemanden eine Schuld. Das Gefängnis befindet sich, wie seit Jahren bereits berichtet wurde, in einem miserablen baulichen Zustand.“ Fuhrmann brauchte nur die Wellblechbedachung einzudrücken. Die Waffe verschaffte er sich während eines amtlichen Waffenverkaufs, bei dem Gefängnisinsassen hinzugezogen wurden, „als er gerade einmal allein in dem [Verkaufs-]Raum war“. Bereitwillig räumte der Bezirkschef ein, dass „der Diebstahl nicht gleich auf[kam].“239 Die Gefängnisaufseher Zur Beaufsichtigung der Strafgefangenen wurde eigenes Personal bei den Gerichten und Ämtern angestellt, doch zogen diese häufig auch Polizeibeamte heran. Allerdings erfolgte „die Kommandierung der Polizeibeamten zum Gefängnisdienst oft gegen deren Willen“, wie man im Bezirksgerichts Windhoek wusste.240 Der Bezirksamtmann bat im Mai 1907 um die Einstellung eines weiteren Gefängnisaufsehers „aus der Reihe der zur Entlassung kommenden Soldaten“, da durch die Überweisung aus anderen Gefängnissen „2 Beamte zur Aufsicht nicht mehr ausreichen werden.“241 Doch 1909 gab es noch immer nur zwei Polizeisergeanten als Gefängnisaufseher in Windhoek. Da der Justizvollzug nicht zum Polizeidienst gehörte und das Gouvernement darauf drang, dass „die Polizeibeamten für den Polizeidienst frei“, bzw. Beamtenstellen eingespart würden, bemühte sich das Bezirksamt, Ersatz zu finden. Bezirksamtmann Brill wies „aber auf die Schwierigkeit hin …, für das wenig begehrenswerte und dabei hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Arbeitslust der Beamten stellende Amt Bewerber zu finden.“242 Auf eine Gouvernements-Verfügung, die längere Abkommandierungen von Polizeibeamten zu anderen Dienststellen untersagte, antwortete Brill, er halte diese mit „Rücksicht darauf, daß der Gefängnißdienst sich vielfach mit dem Polizeidienst berührt und … noch größere Anforderungen als der letztere an die Beamten stellt“, für bedenklich. Er sprach sich für die Weiterverwendung von Polizisten aus.243 1911 waren bei einer „Durchschnittsbelegung“ von 25 Gefangenen im Gefängnis Windhoek „1 Oberaufseher, 1 Aufseher, 1 Werkmeister (Tischler) [und] 1 Polizeibeamter als Hilfsbeamter“ tätig.244 Den Aufsehern standen

239 NAN BKE 23, G 3 d, Bl. 70a, Gouv an BA Keetmanshoop, 20.1.14; Antwort, 3.2.14; Meldung über Flucht und Selbstmord Fuhrmanns in NAN BKE 23, G 3 o, Bl. 3 – 7. 240 NAN OGW 37, Gen XVI 1, Bl.115, Aufstellung OG Windhuk, 15.12.11. 241 NAN ZBU 285, B II f 2, Bd. 1, Bl.26, BA Windhuk an Gouv, 29.5.07. 242 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, Gouv an BA Windhuk, 16.3.09; Antwort, 19.3.09. 243 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, BA Windhuk an Gouv, 20.4.10. 244 NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.64, Aufstellung OG Windhuk, o.D [~3/1911].

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„Kalfaktoren“ zur Seite, die „zum niedrigsten Lohnsatz täglich mit Mk 2,50“ entlohnt wurden. Ihre Tätigkeit erstreckte sich auf „1. Ausgabe der Wäsche, 2. Reinigen der Wäsche, 3. Austragen der Kost, 4. Reinigen des Essgeschirrs, 5. Zerkleinern des Holzes, 6. Sauberhaltung des Hofes, der Wache & der Korridore, 7. Erledigung der schriftlichen Arbeiten, 8. zeitweise Beschäftigung im Garten.“245

Der Gefängnisdienst war für das Personal mit Gefahren verbunden. Die Durchsuchung von Strafgefangenen nach Werkzeugen oder anderen verbotenen Gegenständen gehörte zur Routine. So verfügte Bezirkshauptmann Golinelli 1897, die „Gefangenen (auch die Kranken) daraufhin zu untersuchen, ob sie Messer, Pfeifen, Taback u. dergl. bei sich führen.“ Ein Messer und „drei Stückchen Blech“ wurden gefunden.246 Windhoeks Bezirksrichter hielt zur „Sicherheit des Aufsehers die Anwesenheit eines zweiten Beamten“ stets für erforderlich und verwies dabei „auf den gegen den jetzigen Aufseher Wittig durch einen Gefangenen unternommenen Überfall.“247 Der Distriktschef von Gobabis berichtete, wohl übertreibend, von der Vollstreckung der Haftbefehle und Überführung unter „grossen Schwierigkeiten und Lebensgefahr der Polizeibeamten.“248 Die Aufseher in den Gefängnissen waren zum Waffengebrauch befugt, wenn sie angegriffen wurden oder eine Flucht sich anders nicht verhindern ließ. Diese Befugnisse stimmten für die Aufseher „farbiger“ und „weißer Gefangener“ überein. Deren „unterschiedliche Behandlung … erschien“, wie das Gouvernement schrieb, „nicht tunlich, da den Aufsehern der Gefängnisse für Weisse in der Regel auch die Aufsicht über die EingeborenenGefängnisse übertragen“ sei.249 Doch waren zur Beaufsichtigung der „farbigen Gefangenen“ auch „besonders beauftragte Personen einschließlich der Eingeborenen“ zugelassen.250 Über das Verhältnis von Insassen und Bewachern ist wenig überliefert. Prügel und Arbeitszwang auf der einen, Ausbruchsversuche und damit eventuell verbundene Angriffe auf der anderen Seite, werden zu einem schlechten Verhältnis beigetragen haben. Eine geglückte Flucht konnte zur Entlassung des Wärters führen.251 Immerhin: Der Sergeant Osterholz wurde 1911 mit zwei Tagen Arrest bestraft, „weil er in seiner Funktion als Gefangenenaufseher im Bezirksgefängnis [Windhoek] mit den Strafgefangenen Privatgespräche geführt, Stimmung gegen den Gefangenenaufseher Wittig ge245 246 247 248 249 250 251

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NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.70, Kosten Gefängnisverwaltung in Windhoek, 28.6.11. NAN BKE 199, B II 66 a, Bd.1, Bl.56, BHpt K’hoop an Ortspolizei-Behörde, 3.11.97. NAN GWI 758, Gen VII 5, Bl.71, BR Windhuk an OR Windhuk, 30.8.11. NAN OGW 53, Gen II J, Bd.2, Bl.22, Gouv an OG Windhuk, 17.4.10. NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.98, Gouv an RKA, 6.2.14; Bl.104, Dienstanweisung, 4.2.14. BAB R 1002/46, Bl.109, Gouv an 1. Referenten: Dienstanweisung, 4.2.14. Bestrafung von Wärtern, denen Gefangene entliefen gem § 347 RStGB [fahrl. Gefangenenbefreiung]; vgl. NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl.118, ILP an Gouv [drei Fälle gem § 347 RStGB], 3.7.12; Bl.59, PSgt a.D. Skrobuchka an StS Solf, 9.3.12.

macht und mit den Str.Gef. angebliche Mißstände im Gefängnisdienst besprochen hat.“252 Auch die Gefängnis-„Subkultur“, das Verhalten der Insassen untereinander, entzieht sich überwiegend den Akten. Sie darzustellen bleibt einer anderen Arbeit vorbehalten. Doch ist es unerlässlich darauf hinzuweisen, dass „prisoners did as much to define the realities of imprisonment as did the rules and regulations that governed penitentiary life.“253 Die ,Wirklichkeit‘ eines Gefängnisses in DSWA zu rekonstruieren, fällt demnach schwer. Wenn Gefängnisgeschichte die Geschichte anderer sozialer Institutionen fokussieren soll, so liegt es nahe, in den hier dargestellten Zuständen ein verschärftes Abbild der kolonialen Ordnung zu erkennen: Die ,Realität‘ des Gefängnisalltags umfasste nicht lediglich Arbeitszwang, Prügel und schlechte Versorgung, sondern auch das Unvermögen der Kolonialverwaltung, Flucht und andere Formen von Devianz wirkungsvoll einzudämmen. Gefängnisgeschichte kann so tatsächlich den kolonialen Alltag in einem umfassenderen Sinne erhellen, indem sie den Blick schärft für Unzulänglichkeiten und Willkür, für Eigensinn und mangelnde Durchsetzbarkeit von Normen. In diesem Sinne wurde für das koloniale Indien festgestellt, „dass man die Strafvollzugsanstalten …mit vielleicht noch größerer Berechtigung als Symbole der Grenzen und Beschränkungen der Macht kolonialer Obrigkeit ansehen kann, denn als Sinnbilder imperialer Autorität.“254 Im hier geschilderten Kontext stattdessen mit M. Foucault vom Gefängnis als repräsentativer Institution der modernen Gesellschaft zu sprechen, in ihm die vollendete Realisierung des neuzeitlichen Staates zu erkennen, hieße, die vorgebliche ,Perfektion‘ europäischer Einrichtungen auf Provisorien zu übertragen, die nicht im Ansatz dem entsprachen, was der Philosoph aus den Quellen zu erkennen vermeinte.255

4.3. Versuchsfelder jenseit des Rechtsstaats. Deportationen aus und nach Deutsch-Südwestafrika Strafrechtswissenschaftler und Praktiker waren sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts einig: Das Gefängnis hatte nicht nur als Besserungs-, sondern auch als Verwahranstalt versagt. Die Rückfallquoten waren hoch. Gefängnisse galten als „Schulen des Verbrechens“.256 Alternativen waren dringlicher denn je: Geldstrafen wurden häufiger angewandt; 1882 waren in Deutschland 25 % aller verhängten Strafen Geldstrafen, 1911 waren es erstmals über 50 %. Die Verhängung der Zuchthausstrafe ging in diesem Zeitraum zurück; von 4,1 % 252 253 254 255 256

NAN BWI 438, Monatsrapport der Ortspolizei Windhuk, 1.10.11. O’Brian, 1995, S. 206. Vgl. Fischer-Tin, 2005, S. 193 unter Bezug auf D. Arnold; Bernault, 2003, S. 4; 38. Vgl. Morris/Rothmann, 1995, S. VIII. Krauße, 1899, S. 19: 1892 waren 34,7 % aller Verurteilten vorbestraft; 1883 waren 75,9 % der „Zuchthäusler“ rückfällig.

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auf 2,4 % 1903.257 Strafen auf Bewährung, Strafaussetzung und vorzeitige Entlassung boten weitere Möglichkeiten, zwischen den Strafzwecken Abschreckung und Reintegration zu vermitteln. Darüber hinaus kam als „Mittel der Unschädlichmachung [der „Zustandsverbrecher“, die einen „festgewurzelten verbrecherischen Hang bekundet“ hatten] neben der Todesstrafe … und der lebenslangen Freiheitsstrafe insbesondere die Deportation in Betracht“. Ihre Zweckmäßigkeit blieb jedoch strittig. Groß Britannien stellte die Deportation nach Australien allmählich (1853, 1857, 1867) ein; auch die Kapkolonie sah ab 1846 weitgehend von der Verwendung Robben Islands als „convict station“ ab.258 Frankreich jedoch griff seit der Strafrechtsreform 1885 verstärkt auf sie zurück. Während zuvor nur politische Sträflinge davon betroffen waren, mussten fortan kriminelle Wiederholungstäter damit rechnen, nach Guayana oder Neu-Kaledonien deportiert zu werden. Statt der Reintegration in die Gesellschaft wurde eine vollständige Exklusion betrieben. Die Resultate dieser Politik waren ernüchternd. Nicht nur sprachen hohe Kosten und häufige Flucht gegen sie; Gelbfieber und Zwangsarbeit sorgten für eine erschreckende Mortalitätsrate unter den Sträflingen, so dass die Deportation oft einer verzögerten Todesstrafe gleichkam. Auf Grund des Widerstands gegen sie, wurde die Deportation in Frankreich seit 1897 eingeschränkt.259 In Afrika hatte sich die Deportation als Besiedelungsinstrument nicht bewährt. Angola war teilweise mit Kriminellen kolonisiert worden. Die Portugiesen errichteten Strafkolonien entlang der Küste, später im Landesinneren. 1881 waren von den 1450 europäischen Einwohnern Luandas 721 degredados, was „ungünstig auf das Menschenmaterial eingewirkt habe“, wie ein Geograph des RKA nach einer Reise betonte.260 Deren wirtschaftliche Lage zeigte, dass das „Experiment“, Angola zu einer „Strafkolonie auszubilden, ebenso wie anderswo in vollem Umfang misslungen war“.261 Angesichts dieser Erfahrungen erstaunt es, dass in Deutschland die Einführung der Deportation ernsthaft debattiert wurde. Hatte diese sich doch schon Jahrzehnte zuvor den preußischen Behörden als wenig effektiv dargestellt und der Internationale Gefängniskongress 1878 in Stockholm sie „nicht für allgemein anwendbar“ erklärt.262 Doch die Diskussion um eine Reform von Strafverfahren und Vollzug ebbte nach der Einführung des einheitlichen Strafverfahrensrechts 1877 nicht ab. Zu gravierend schien die Kriminalität in den wachsenden Großstädten. Drohenden Aufruhr und die Revolution vor Augen, suchten Konservative wie liberales Bürgertum, die in den „Armen [der] großen Städte fast schon … eine andere Rasse“ erblickten, nach neuen 257 258 259 260 261 262

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Vgl. Schmidt, 1964, S. 403 f. Liszt, 1911, S. 84; 263; Venter, 1959, S. 36; Iliffe, 1987, S. 102; Schattke, 1979, S. 51 – 57. Vgl. O’Brian, 1995, S. 212. Henderson, 1979, S. 79; 107; Zimmermann, 1896, S. 213; Marquardsen, 1920, S. 23. BAB R 1001/9027, Bl.117, Geheimbericht Dr. P. Vageler, o.D. [~ 12/14]. Bornhak, 1897, S. 150; preuß. Kriminelle nach Russland vgl. Evans, 1997, S. 26 – 140.

Wegen in der Verbrechensbekämpfung. Die Rückfallquoten gaben vermeintlich jenen Recht, die von der Unkorrigierbarkeit der ,geborenen Verbrecher‘ sprachen. Für diese mussten Alternativen zum Zuchthaus gefunden werden. Es bestand „eine unverkennbare Tendenz zur stärkern Anspannung der staatlichen Strafgewalt“.263 So befürwortete die Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft 1880 die Deportation von Verbrechern.264 Mit dem Kolonialbesitz stellte sich diese Frage neu, nachdem die Deportation ins Ausland eingestellt werden musste. Es entzündete sich eine lebhafte Debatte. „Man spricht jetzt viel von“ ihr, so der Heidelberger Strafrechtler W. Mittermaier in einem Privatbrief an Gouverneur Leutwein, den er um eine Stellungnahme zur Deportation bat.265 Das Für und Wider einer Deportation Deutscher nach DSWA Aus der Sicht ihrer Befürworter war die Einführung der Deportation aus zwei Gründen geboten. Zum ersten, weil für die Entwicklung der Schutzgebiete in den Anfangsjahren Vorarbeiten notwendig waren, die „am leichtesten durch die Sträflingsarbeit“266 umgesetzt werden könnten. Diese Auffassung hatte bereits vor dem deutschen Kolonialbesitz ihre Anhänger, die unter Verweis auf ausländische Deportationssysteme argumentierten: „es ist besser, daß die ersten und schwersten Arbeiten von Verbrechern verrichtet werden, als von unschuldigen Armen“.267 Zum zweiten wurde angeführt, das geltende System des Strafvollzugs würde dem Bedürfnis der Gesellschaft nach Schutz vor dem Verbrechen nicht genügen. Die Gefängnisse seien überfüllt; eine Besserung der Insassen nicht zu erwarten. 1894 erschien die Abhandlung „Fort mit den Zuchthäusern“ des Breslauer Professors der Rechte F. Bruck, in der er sich vehement für die Deportation einsetzte. 1896 forderte er in der Broschüre „Neu-Deutschland und seine Pioniere“ erneut den Einsatz von Sträflingen in den Kolonien, die er so der sozialdemokratischen Agitation entzogen wissen wollte. Ein Jahr später veröffentlichte er einen „Gesetzentwurf, betreffend die Deportation nach Südwestafrika“. Der ehemalige Landeshauptmann DSWAs C. v. FranÅois meinte, die: „Deportation von Sträflingen würde sehr wohl möglich sein.“268 Auch die Preußischen Jahrbücher widmeten dem Thema Strafkolonisation 1895 einen Aufsatz, der den Deportierten „draußen in einer anderen Welt unter dem wohltätigen Einfluß tiefgehender ,moralischer Luftveränderung‘ … Wohlstand und Erziehung“ verhieß.269 Im Kolonialrat, einem 1891 gegründeten 263 Evans, 1997, S. 122; vgl. van Laak, 2004, S. 260 f.; Conrad, 2004, S. 122; Fischer-Tin, 2005, S. 198; Conrad, 2006, S. 119; Katzenstein, 1902, S. 34; Stern, 1909, S. 25; Porter, 1999, 114. 264 Bornhak, 1897, S. 150; vgl. Fuld, 1886, S. 654. 265 NAN ZBU 1085, L II p 1, Bl.33, Mittermaier an Leutwein, 12.1.98; Straten, 1997, S. 131 f. 266 Bornhak, 1897, S. 151. 267 Wagener, 1861, Bd. 6, S. 131. 268 FranÅois, 1897, S. 70, vgl. Kundrus, 2003, S. 104 f.; Conrad, 2006, S. 114. 269 Freund, 1895, S. 534; vgl. Meyer zu Hogrebe, 1999 mwN.

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Beratungsgremium der Kolonialabteilung, in dem Unternehmer, Missionare und Koloniallobbyisten alle die Kolonien betreffenden Fragen debattierten, stand die Deportation in die „Schutzgebiete“ 1895 zur Diskussion. Die Holtzendorff-Stiftung stellte für das Jahr 1896 die Preisaufgabe: „Die Behandlung der Frage einer praktischen Verwendung der Deportationsstrafe unter den heutigen Verhältnissen.“ Auf dem 24. Deutschen Juristentag wurde von dem konservativen Staatsrechtler C. Bornhak ein Gutachten vorgetragen, ob sich ein „Versuch der Deportation nach den Kolonien als Strafe empfiehlt“. Bornhak, der die allgemeine Kritik am Gefängnis teilte, kam zu dem Ergebnis, daß die Zweckmäßigkeit der Deportation sich nicht theoretisch klären ließe, sondern „nach gut preußische[r] Tradition … zunächst probeweise“ durchgeführt werden müsse.270 Für die Errichtung einer Strafkolonie erschien Bornhak „in erster Linie Südwestafrika“ geeignet; ein Land mit gesundem Klima „und dem äußersten Bedürfnis nach Kräften für öffentliche und private Arbeiten“. Auch bestünden keine völkerrechtlichen Abmachungen, die, wie bei den deutschen Südseeinseln, eine Deportation unzulässig machen würden. Der Strafgefangene, so seine Erwartung, hätte durch die Arbeit im Freien und das vollständig veränderte Umfeld die Chance, nach seiner Entlassung „ein neues Leben [zu] beginnen“ – die Strafe würde damit nicht allein vergeltend, sondern auch bessernd wirken.271 Über die Kosten der Deportation im Vergleich zum herkömmlichen Strafvollzug wollte er sich nicht äußern, da für eine Berechnung keine ausreichenden Angaben vorlägen. In den Grenzboten rechnete – als eifrigster Verfechter der Deportation – F. Bruck vor, daß die Unterbringung der Strafgefangenen in Baracken „bis 30 mal billiger als die Einzelzelle unserer inländischen Strafanstalten“ wäre, da für die Gefangenenkolonie ihre „landwirtschaftliche Selbstständigkeit“ anzustreben sei. Nach Verbüßen der Haftzeit sollten sie sich vor Ort ansiedeln müssen und die entstandenen Haftkosten dem Reich zurückerstatten.272 Unter den südwestafrikanischen Siedlern waren Wenige der Deportation gegenüber positiv eingestellt. Die Hoffnung, dass Ackerbau und Viehzucht eine Vielzahl von Gefangenen beschäftigen könnten, galt im wasserarmen DSWA als unrealistisch. Doch schien es dem Keetmannshooper Siedler Gentz bedenkenswert, öffentliche Bauten durch Sträflinge ausführen zu lassen. Gegen den Straßenbau, die Anlage von Wasserstellen und Staudämmen durch Strafgefangene würde seines „Erachtens von Seiten der Ansiedlerbevölkerung kaum Einspruch erhoben werden.“ Dagegen verwahrten sie sich gegen eine Ansiedlung der Verbrecher nach ihrer Entlassung; nur langjährig bzw. lebenslänglich Verurteilte sollten für eine Deportation in Frage kommen, sei doch die Stärkung des moralischen Elements in der deutschen Bevölkerung 270 Bornhak, 1897, S. 168; Bruck, 1894, S. 12; zum Kolonialrat, Pogge, 2009; Westphal 1964. 271 Bornhak, 1897, S. 165 f. 272 Vgl. Bruck, 1898, S. 562 f.; Ders., 1899, S. 298.

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„eine der wichtigsten Aufgaben des Gouvernements“. Die Furcht vor einem erblichen Verbrechertum herrschte hier wie in der Heimat. Auch in der KapKolonie regte sich, als die deutsche Diskussion bekannt wurde, Widerstand.273 Meyers Konversationslexikon verwies auf die britische Erfahrung, „daß die überseeischen Kolonien, sobald sie erstarkt sind, sich gegen die Aufnahme des Abschaums der mutterländischen Bevölkerung mit aller Macht auflehnen.“274 Aus Sicht des Referenten für das Gefängniswesen im preußischen Justizministerium, W. Starke, kam die Deportation nicht in Frage. Er, einer „der letzten … noch verbliebenen liberalen Beamten“ seines Hauses, hatte sich bereits 1892 gegen diese Form des Strafvollzugs ausgesprochen. Auch sein Kollege im Innenministerium, der Referent für Strafanstalten Krohne, war ein Gegner der Deportation. Sie verwiesen auf die unsichere Rechtsgrundlage und die schwer abzuschätzenden und aufzuteilenden Kosten.275 Des Weiteren wurde vorgebracht, dass durch die Deportation Ansehen und Autorität der Europäer bei den Afrikanern sinken würden. Dies sei mit der kulturellen Mission, die den Kolonisatoren zufiel, nicht zu vereinbaren.276 Besonders die Gouverneure machten dieses Argument stark. Auch wurde der Deportation nach Afrika der Strafcharakter aberkannt. Als Gegeneinwand machte Bornhak geltend, dass die Arbeitsbedingungen so erschwert werden könnten, dass der Sühnecharakter erhalten bliebe.277 Andererseits schätzte er in einem zweiten Gutachten vor dem Juristentag die Lebensbedingungen in den Schutzgebieten nicht so drastisch ein, dass er bereits die Begnadigung unter der Bedingung der Auswanderung als Sühne empfohlen hätte.278 Eine „Unterstützung der freiwilligen Auswanderung entlassener und gebesserter Sträflinge“ aber bezeichnete F. v. Liszt neben der Deportation als ein „Mittel der Unschädlichmachung“ des Verbrechers.279 Im Reichstag kam die Deportation im Januar 1898 zur Sprache. Der Vorsitzende des Freisinns, Rickert, der neben finanziellen auch moralische Bedenken anführte, wünschte vom Staatssekretär des Reichsjustizamts, Nieberding, zu erfahren, ob die Reichsleitung „Veranlassung genommen hat, die Frage [der Deportation] zu prüfen“. Nieberding berichtete von einer Anfrage der Reichskolonialverwaltung 1895 an die Gouverneure der afrikanischen Schutzgebiete, „inwieweit sie [die Deportation] für zulässig, finanziell durchführbar und im Interesse der Kolonie, andererseits aber auch im Interesse der Sträflinge [für sinnvoll] erachten würden“. Alle vier Gouverneure hätten die Deportation abgelehnt. Die Kolonien der tropischen Zone wegen des Klimas; aber auch Südwestafrikas Gouverneur Leutwein hielt die Ver273 274 275 276 277 278 279

Zitate Gentz, 1901, S. 485 f.; Evans, 1997, S. 124 f.: die Siedler „reagierten entsetzt“. Meyers Konversationslexikon, 1897, Bd. 4, S. 745, Art.: Deportation. Vgl. Bornhak, 1897, S. 151; Reinke, 2000, S. 224 FN29; Kundrus, 2003, S. 107. Vgl. Schroeder, 1899, S. 401; Fischer-Tin, 2005, S. 197; Schmidt, 2008, S. 148 f. Vgl. Bornhak, 1897, S. 160/63. Bornhak, 1897 Gutachten II, S. 10. Liszt, 1911, S. 84 FN 8; vgl. Evans, 1997, S. 125.

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wendung von Gefangenen etwa zum Straßenbau für nicht praktikabel. Bewachung und Unterbringung würden Probleme aufwerfen. Wie den Siedlern war Leutwein daran gelegen, dass die Deportierten nach Verbüßung ihrer Strafe nicht im Land blieben, sondern zurückgeführt würden (Was die Mehrheit für „Sehr richtig!“ hielt). Eines der Hauptargumente der Befürworter war damit von einem führenden Kolonialbeamten für nichtig erklärt worden. Angesichts solcher Ergebnisse sah Nieberding keine Veranlassung, „der Frage nochmals näher zu treten. (Bravo!)“280 Tatsächlich hatte sich Leutwein gegenüber Kolonialdirektor Kayser abwägender gezeigt. Dieser hatte ihm 1895 einen Band der Preussischen Jahrbücher mit dem erwähnten Aufsatz über die „Strafkolonisation“ zugesandt und eine Äußerung zur „praktischen Durchführbarkeit“ der darin enthaltenen Vorschläge in DSWA erbeten.281 Leutwein gestand zu, dass angesichts des Mangels an Arbeitskräften in der Kolonie auch Gefängnisarbeit „willkommen“ wäre. Dadurch könnte mancher „- ob bestraft oder unbestraft -“, der sonst arbeitslos in Deutschland leben würde, davor bewahrt werden, „in sozialdemokratische Hände“ zu geraten und für die „staatserhaltenden Elemente gerettet“ werden. Dennoch zeigte sich Leutwein einem Versuch gegenüber kritisch, wenn er ihn auch nicht ablehnte. Französische und britische Erfahrung hielt er für nicht übertragbar, da diese Länder ihre Sträfling an den „Küsten nahezu unbewohnter Länder aus[setzten]“, wo sie keinen störenden Einfluss auf eine „bereits vorhandene Kultur“ ausüben könnten. Dies aber wäre in DSWA nicht der Fall, da ein (teurer) Transport ins Landesinnere erforderlich sei, wo die Sträflinge auf „Eingeborene“ träfen, die „eine gewisse Kulturstufe erreicht haben, reich sind und hochmüthig auf den um sein tägliches Brod ringenden Arbeiter herabsehen.“ Zwangsarbeitende Europäer in Ketten dürfe man daher erst recht nicht „zeigen“. Angesichts des Arbeitskräftemangels hielt er gleichwohl einen Versuch in Swakopmund bei den Hafenbauarbeiten für denkbar.282 In der Kolonialzentralverwaltung aber lehnte man solche Experimente ab. Gleichwohl beschäftigte sich der Reichstag nochmals mit der Deportation: So regte die DKG 1902 mit einer Petition „im Interesse der Sicherheit des Reichs gegenüber dem inneren Feind“ erneut Versuche mit der Deportation in die Kolonien an. Doch konnten sich Verwaltung und Parlamentarier, auf die ablehnenden Voten der Gouverneure Jahre zuvor verweisend, dazu nicht entschließen.283 1908 brachte der konservative Abgeordnete und Gouverneur a.D. v. Liebert eine Resolution ein, die eine Ergänzung des RStGB um die Möglichkeit des Strafvollzugs auf Südseeinseln zum Ziel hatte. Doch verweigerte 280 SBRT 9. L.P. 5. Sess. 1897/98, Bd. 1, 29. Sitzg. 31. 1. 1898, S. 755/56; vgl. NAN ZBU 1085, L II p 1, Bl.22, Gefängnisseelsorger H. Seyfarth an Leutwein, 16.7.97; Bl.26, Antwort, 26.9.97; Bl.29 KolA an Gouv, 5.7.98; Bl.32 RJA an KolA, 16.6.98; vgl. Conrad, 2006, S. 113 f. 281 NAN ZBU 1085, L II p 1, Bl.1, KolA an LHpt, 22.10.95; Freund, 1895, S. 502. 282 NAN ZBU 1085, L II p 1, Bl.2 f., LHpt an KolA, 15.3.96; Bl.14, Köhler an RK, 10.4.96. 283 Vgl. SBRT Bd.187 10.L.P., 2. Sess. 270. Sitzung vom 28. 2. 1903, S. 8275.

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die Mehrheit ihre Zustimmung; von der Reichsleitung wurde stattdessen eine Denkschrift über die „Erfahrungen fremder Staaten mit dem überseeischen Strafvollzuge“ erbeten.284 Dass es zu der mit einigem Aufwand lancierten Einführung der Deportation deutscher Strafgefangener in die Kolonien nicht kam, ist der Reichsbürokratie, den Gouverneuren und der ablehnenden Haltung des Reichstags zuzuschreiben. Praktikabilitätserwägungen ergänzten sich mit moralischen Bedenken gegen ein international aus der Mode gekommenes Strafinstrument. Auch in späteren Jahren findet sich die Überzeugung, daß „die ausgedehntere Einführung schwerer Verbrecher [in die Kolonien] eine sittliche Schädigung der freien Bevölkerung und unsichere Zustände im Gefolge“ hätte. Hinzu kam, daß Privatgesellschaften entsprechenden Plänen ihren Widerstand entgegensetzten, da sie teils über Monopolverträge verfügten, die es nur ihnen erlaubten, Bahnstrecken zu bauen oder Plantagen anzulegen. Arbeiten also, die für die Deportierten am ehesten eingeplant waren.285 Die verschiedenen Foren der Diskussion zeigen jedoch, in welchem Maße die Kolonien ab Mitte der 1890er Jahre in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt waren und wie diese, von der Koloniallobby unterstützt, daran ging, die Möglichkeiten des Kolonialbesitzes für die Lösung metropolitaner Probleme auszuloten. In der Kolonie zeigte sich die Bevölkerung zufrieden mit dem Ausgang der Debatte. Als Sträflinge mit dem Dampfer nach Deutschland befördert wurden, hieß es, dies sei „viel richtiger, als … Strafgefangene von Deutschland hierher zu bringen.“286 Deportationen aus anderen Kolonien nach Deutsch-Südwestafrika Dessen ungeachtet wurde DSWA das Ziel von Sträflings-Transporten. Wie die älteren Kolonialmächte griff auch Deutschland auf die Deportation von Gefangenen aus einer Kolonie in eine andere zurück.287 So wurden Gefangene aus Deutsch-Ostafrika und Kamerun nach DSWA oder von dort nach Togo und Kamerun deportiert. Brucks Idee einer Sträflings-Ansiedlung samt Verwertung ihrer Arbeitskraft im Dienste der Kolonie fand so mehr als zehn Jahre später eine verzerrte Realisierung. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich die Kolonialverwaltung weniger skrupulös; gesetzliche oder verwaltungstechnische Schwierigkeiten bildeten kein Hindernis. Den Anfang machte ein „Beduine aus Inner-Arabien namens Sherif Salim bin Muhamed al Attas“. Er war im Mai 1909 in Dar es Salam wegen des Versuchs, „farbige Unteroffiziere gegen die europäische – ungläubige – Regierung aufzuhetzen“, zu lebenslanger Kettenhaft verurteilt worden. Der 284 285 286 287

SBRT Bd.230 12.L.P., 1. Sess. 180. Sitzung vom 25. 2. 1908, S. 326 – 64; S. 3391; S. 3393. Hoffmann, 1907, S. 87; vgl. Bruck, 1899, S. 293, Conrad, 2006, S. 115. DSWA Ztg. III. Jg. # 25, 20.11. 1901, S. 2; vgl. Kundrus, 2003, S. 108; Schmidt, 2008, S. 286 f. Vgl. Rich, 2005, S. 196; 200 (Senegalesen und Vietnamesen deportiert nach Gabun, 1894); Walker, 1957, S. 498 (Buren nach Ceylon, 1901).

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Gouverneur hielt es nicht für angebracht, ihn in DOA zu belassen, „weil übelwollende und fanatisch-islamische Element ihm die Märtyrerkrone andichten und dadurch andere Muhamedaner in ihrer Treue zur Regierung wanken machen … könnten.“ Das Gouvernement in Windhoek sagte die Strafvollstreckung gegen Übernahme der Kosten zu. Seit August 1909 wurde Salim in Kalkfontein bei der Schutztruppe beschäftigt, wo er sich um Kamele kümmern sollte. Doch hieß es, er sei „als Arbeiter unbrauchbar …, weil seine … fast ständige Krankheit ihn zu jeder Arbeitsleistung unfähig mach[e].“ Im Dezember 1912 wurde er „vom Gefreiten Burchert in Notwehr erschossen“. Er, „mit dem die Leute des [Kamel]Gestüts freundlich verkehrten“, soll zuvor Soldaten mit einem Messer angegriffen und verletzt haben. Der obduzierende Arzt führte dies auf eine durch „chronische Hirnhautentzündung … hervorgerufene Geistesstörung“ zurück.288 Wenige Monate nach Salims Ankunft wandte sich im November 1909 der Staatssekretär Dernburg an das Gouvernement in Windhoek mit der Frage, ob es möglich sei, 42 wegen Meuterei zu mehrjähriger Kettenhaft verurteilte „farbige Soldaten“ aus Kamerun lebenslänglich nach DSWA zu verbannen. Der noch in Kamerun amtierende Gouverneur Seitz betonte gegenüber seinem Amtskollegen v. Schuckmann, „daß die Leute sämtlich mit dem Gewehr M 71 ausgebildet sind und wohl auch das Gewehr 88 zu handhaben wissen.“ Sie in Kamerun zu belassen würde eine „schwere Gefährdung… der deutschen Herrschaft bedeuten“. Auch wenn Schuckmann die „Sache nicht für ganz unbedenklich“ hielt, sollte das Bezirksamt Lüderitzbucht nach Unterbringungs- und Arbeitsmöglichkeiten für die Leute suchen. Am 13. April 1910 kamen „49 Strafgefangene, 21 Weiber und 7 Kinder“ in Lüderitzbucht an, die bei der Lagerverwaltung des Amts beschäftigt wurden. Doch war vorerst „wenig mit ihnen anzufangen“, weshalb sie auch keinen Lohn erhielten. Ihr Gesundheitszustand schien „befriedigend“. Zwei von ihnen aber starben im August an Lungenentzündung.289 Angesichts der geplanten Errichtung der Polizeistation Kuring-Kuru im Norden DSWAs erachteten die Beamten die Kameruner wegen ihrer ,tropischen‘ Herkunft als ideale Arbeiterbesatzung für den Kavango. Der so eben von Buea nach Windhoek versetzte Gouverneur Seitz wollte sie dort ansiedeln und einige von ihnen in die zu schaffende Polizeitruppe eingliedern. An das Bezirksamt Lüderitzbucht schrieb er : „Erstmalig soll ein Versuch mit 5 Leuten gemacht werden, die sich freiwillig melden. Aus diesen ersuche ich nur solche mit guter Führung auszuwählen. Den Leuten ist klar zu machen, daß sie in Gegenden kommen, deren klimatische und Bodenverhältnisse ihrer Heimat ähnlich sind, so daß sie eine ähnliche Lebenshaltung wie in 288 NAN ZBU 716, F V p 4, Bl.1, Gouv DOA an Gouv, 15.5.09; Bl.28; 38 KdoSchTr an Gouv, 13.12.10; 24.1.13. 289 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl. 1; 22; 23, RKA an Gouv, 18.11.09; Bl.19; 44, BA Lüderitzbucht an Gouv, 4; 8/1910.

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Kamerun haben werden. Es wird ihnen Land überwiesen werden, auf dem sie vorläufig unter Aufsicht der Polizei Ackerbau treiben können. Führen sie sich gut, so können sie später wieder Soldaten werden. Sie dürfen selbstverständlich ihre Weiber mitnehmen. Für schlechte Führung ist ihnen erneute Überweisung in das Gefängnis in Lüderitzbucht wieder in Aussicht zu stellen.“

An das Gouvernement in Buea hieß es zum gleichen Thema: „Ich beabsichtige die zuverlässigsten der in Lüderitzbucht internierten Meuterer aus Kamerun in Andara und am Okawango anzusiedeln. Die Ansiedlung soll in der Nähe von Polizeistationen und unter polizeilicher Aufsicht stattfinden. Späterhin gedenke ich, falls der Versuch anschlägt, aus diesen Ansiedlern den Stamm zu einer für den nördlichen Teil des Schutzgebiets erforderlichen farbigen Polizeitruppe zu bilden.“290

Die Verbannten hatten sich, so Bezirksamtmann Nellingbrunner im Januar 1911, „nun doch ganz gut in die ihnen bis dahin fremde Arbeit gefunden“, so dass den bisherigen ,freien‘ Arbeitern gekündigt wurde. Aufgrund ihrer „befriedigenden“ Leistungen zahlte er den „Meuterern“ ab April 15,– M Lohn, der mit ihren Haftkosten verrechnet wurde. Die zugleich in Aussicht gestellte Übersiedlung „in Gegenden …, deren klimatische und Bodenverhältnisse denen ihrer Heimat gleichen … ist“, so der Bezirkschef, „zweifellos mit Freuden begrüsst worden“; zumal ihr Gesundheitszustand in dem Küstenklima litt. Die ihre Männer freiwillig begleitenden Frauen aber wollten nach einem Jahr in Lüderitzbucht wieder in ihre Heimat zurückkehren. Weder das Bezirksamt noch das Gouvernement verübelte ihnen dies. Viele der Gefangenen waren inzwischen als ,reguläre‘ Arbeiter beim Bezirksamts eingestellt und „daher teilweise [mit ihren Familien] nach den Polizeistationen in die öden Gegenden des Diamantgebiets versandt“ worden. Gouverneur Seitz wusste: „Die Weiber sind freiwillig mitgegangen u. können zurückkehren, wenn sie wollen“, doch sollte der Bezirksamtmann sie überzeugen, bei ihren Männern zu bleiben. Da beabsichtigt war, am Okawango „aus ihnen den Stamm zu einer brauchbaren Polizeitruppe für diese Gegend heranzuziehen“, waren die Frauen zwingend erforderlich. Es sollte aus Sorge vor „Unzuträglichkeiten“ mit den „Owambohäuptlingen“ vermieden werden, dass die Kameruner „sich Frauen unter den dortigen Owambo-Weibern suchen“. Die Kameruner waren folglich von „jeglicher Fühlungnahme – namentlich Vermischung mit den Owambos abzuhalten, um sie für ihre zukünftige Verwendung völlig unabhängig zu erhalten.“291 Diese Politik des ,Teile und Herrsche‘, die die zukünftigen afrikanischen Polizeisoldaten, so wie es in Ostafrika die Regel war, von der zu kontrollie290 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.46, Gouv an BA Lüderitzbucht, 30.11.10; Bl.47, Gouv an Gouv Buea, 16.12.10; vgl. Kap. 5.3. 291 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.68, BA L’bucht an Gouv, 11.1.11; Bl.69, Gouv an BA L’bucht, 10.3.11; Bl.78 BA L’bucht an Gouv,14.1. 11; Bl.86, BA L’bucht an Gouv, 5.4.1; Bl.89, Gouv an BA L’bucht, 17.5.11, die Zuordnung „Owambo“ für die Bevölkerung am Okavango ist falsch.

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renden örtlichen Bevölkerung kulturell und sprachlich getrennt wissen wollte, kam über marginale Anfänge nicht hinaus. Im Mai 1911 erreichten sechs Verbannte Grootfontein, nur zwei von ihnen mit Frau und Kindern, und wurden an den Okawango in Marsch gesetzt. Der Inspekteur der Landespolizei Bethe vermerkte, dass sie dort von ihrem Lohn mindestens 20 Pfennige täglich erhalten müssten. Immerhin hatten sie ihre „Wohnungen“ zu erichten „und zweitens [sollten] diese Kameruner in Kuring Kuru allmählich als freie Arbeiter behandelt und später eventuell wie Polizeidiener verwendet werden“. Mehreren ihrer Frauen schien diese Perspektive wenig verlockend. Sie kehrten nach Kamerun zurück. Inspekteur Bethe aber hielt es, „bei der bekanntlich besonders stark ausgebildeten sexuellen Veranlagung dieser Leute“, für eine „dringende Notwendigkeit“, mit Hilfe des Fiskus Kameruner Frauen nach DSWA zu bringen. Andernfalls befürchtete er eine „Vermischung mit den Ovambostämmen“, die mit der geplanten „Eingeborenen-Polizeitruppe … nicht in Einklang steht.“ Doch bat von den Kamerunern nur einer darum, „dass seine Frau ihm nach Kuring-Kuru nachgesandt wird“.292 Die Gründe dafür waren offensichtlich. Auf der Polizeistation Kuring-Kuru war, wie Bezirkschef v. Zastrow im Februar 1912 berichtete, der „Gesundheitszustand der Kameruner Strafgefangenen … wenig erfreulich. Einer davon – N’ko – ist an Skorbut gestorben, ein zweiter – Mamal – musste wegen schweren Skorbuts heruntergebracht werden. Er ist jetzt hier auf dem Wege der Besserung. Die 4, die noch oben sind, leiden sämtlich an Skorbut, teils an Fieber und Rheumatismus. Der Skorbut wird jetzt hoffentlich verschwinden, wo den Leuten frisches Gemüse … gegeben werden kann. Nach Bericht der Station arbeiten sie willig, jedoch macht die Sprache Schwierigkeiten und weil sie oft krank und elend sind, leisten sie auch wenig. Ich habe angeordnet, dass sie herunterkommen sollen, falls der Gesundheitszustand sich nicht bessert. Solange sie hier waren, waren sie stets gesund und arbeiteten auch zur Zufriedenheit im Garten.“293

In Lüderitzbucht kam die amtliche Verpflegung der Gesundheit der „Kameruner“ ebenfalls nicht zugute. „Insbesondere“, so der Bezirkschef, „fehlt ihnen Obst und Milch“, weshalb er sich dafür aussprach, ihnen vom Lohn mehr als die bisherigen 3,– M zu belassen. Der „Eingeborenenreferent“ Streitwolf hielt die nun veranschlagten 6,– M für „zuwenig bei unseren teuren Lebensverhältnissen“ und gab zu bedenken: „Die aus dem tropischen Kamerun stammenden Eingeborenen müssen ihrem Körper frische Sachen zuführen; sonst gehen sie zu Grunde. Das ist doch nicht der Zweck der Übung. Die Meuterei soll auch nicht so schlimm gewesen sein.“ Er schlug 10,– M vor, musste sich

292 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.94, BA Grootfontein an Gouv, 16.5.11; Bl.98, Abt. D (Bethe) an Abt B, 6.6.11; Bl.114, ILP an Ref 15, 15.8.11; Bl.149, BA Grootfontein an Gouv, 10.2.12. 293 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.136, BA Grootfontein an Gouv, 8.2.12.

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aber vom Finanzreferenten sagen lassen: „Wenn die Leute bei 3 M bisher gut gelebt haben, werden es 6 M auch tun.“294 Im Reichstag war diese „Verbannung“ im März 1911 zur Sprache gekommen. G. Noske hatte während einer Kommissionssitzung um Auskunft über das Ergehen der „Kameruner“ gebeten. Der Abgeordnete Dr. Goller, der sie während einer Reise gesehen und auf den sie „einen wirklich vorzüglichen Eindruck“ gemacht hatten, regte gegenüber dem Staatssekretär v. Lindequist ihre „Begnadigung“ an. Dieser verwies die Frage an den Gouverneur von Kamerun Gleim. Der aber fürchtete, eine frühzeitige Rückkehr würde den „durch die Verbannung hervorgerufenen Eindruck verwischen und damit die Disziplin bei der Truppe gefährden.“295 1913 baten die in Lüderitzbucht arbeitenden Kameruner selbst um ein Ende der Verbannung. Bezirkschef Böhmer befürwortete dies. Er verwies auf den stets hohen Krankenstand unter den Verbannten und das „Verhalten der Weiber, die Prostitution treiben“. Über das Leben der Verbannten in Lüderitzbucht und ihr Verhältnis zu anderen enthalten die Akten weiter keine Mitteilungen.(296) Das Gouvernement in Buea lehnte erneut ab; eine Begnadigung sei frühestens nach zehn Jahren angängig. Gouverneur Seitz, der in Kamerun die Verbannungen ausgesprochen hatte, sah dies anders. Dem Bezirksamt Lüderitzbucht trug er auf, in zwei Jahren „in der Sache“ noch einmal zu berichten; eine Wiedervorlage war für den 1. Januar 1916 notiert. Gleichzeitig fragte Seitz, „wie viele der verbannten Meuterer inzwischen verstorben sind“. Seit 1910 waren von 49 Deportierten in Lüderitzbucht neun und einer in Kuring Kuru gestorben. Dies veranlasste Seitz, abermals nach Kamerun zu schreiben. Er ließ das Argument, ihre Rückkehr würde auf die Disziplin der Truppe einen „schädlichen Einfluß“ haben, nicht gelten und gab zu bedenken, „daß die Erzählungen der Heimgekehrten [,die sich, wie er hervorhob, „sehr gut“ geführt hätten,] über das vegetationslose Land bei Lüderitzbucht einen direkt abschreckenden Eindruck machen werden.“ Besonders führte Seitz die hohe Mortalitätsrate an: „20 % der Verbannten sind bereits dem hiesigen Klima erlegen. Wenn auch diese Zahlen von den Mortalitätsziffern, die s.Zt in Dchang untergebrachten Hottentotten immer noch weit übertroffen werden, so genügen sie dennoch, um zu ähnlichen Erörterungen in der Presse oder im Reichstage zu führen, wie es die Mortalitätsziffern der nach Kamerun verbannten Hottentotten getan haben.“

Seitz riet daher „dringend“ zur „Repatriierung“ und plante, die Angelegenheit dem RKA vorzulegen. Nach zwei Monaten drängte Seitz erneut. Sowohl das Bezirksamt als auch das Gouvernement bestanden auf einer baldigen Lösung 294 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.162, BA L’bucht an Gouv, 10.11.12; Bl.164, Gouv an BA L’bucht/ Grootfontein, 12.11.12. 295 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.127, RKA an Gouv, 1.8.11; Bl.129, Gouv Buea an RKA, 26.9.11. 296 Rich, 2005, S. 206 betont die Bedeutung dieser „cultural flows“ und „imperial networks“.

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in ihrem Sinne, um sich nicht durch eine ansteigende Todesrate unter den Deportierten der Kritik auszusetzen. Die Löhne wurden ab Juli 1914 auf 9, für Nachtarbeit auf 12,– M angehoben.297 Dann brach der Krieg aus. Seitz, der sie verbannt hatte, versprach den „Meuterern“ die Rückkehr nach Kamerun, so sie sich als Soldaten anwerben ließen.298 Nach dem Ende der Kampfhandlungen fanden sich 26 „Kameruner Meuterer“ im August 1915 im Gefangenenlager Aus wieder. Der „Native Commissioner“ Major Pritchard hatte entschieden, sie von Grootfontein aus nicht in das „native camp“ bei Usakos einzuweisen, da er bei ihnen eine „apparent unfriendliness to local natives“ ausmachte. Darüber hinaus waren sie interniert, weil sie als Teil der Schutztruppe und Polizei „part of armed forces of enemy“ waren. Sie sollten bis zum Ende des Krieges in Aus interniert bleiben. Doch sprachen sie beim Kommandanten vor, um ihm den Grund ihres Hierseins als „political prisoners“ und über ihre Arbeit bei der Eisenbahn oder als „Native police boys … armed with revolvers“ zu berichten. Nach eigener Aussage hatten sie an den Kämpfen nicht teilgenommen, sondern „were looking forward to the final British success“. Sie baten die südafrikanischen Behörden, ihnen die Heimreise zu ermöglichen. Der Kommandant stimmte zu. 1917 konnten sie in ihre Heimat zurückkehren.299 Deportationen aus Deutsch-Südwestafrika in andere Kolonien Der Verweis des Gouverneurs Seitz auf die „in Dchang untergebrachten Hottentotten“ zeigt: auch das Gouvernement in Windhoek verfügte die Deportation von Afrikanern aus ihrer Heimat. Nicht nur deutsche Gefangene transportierten die Dampfer in Richtung Hamburg, sondern auch Afrikaner, die in Kamerun oder Togo interniert wurden. Zwar war die „Ausfuhr“ von „Eingeborenen“ aus DSWA seit 1891 verboten; doch Deportationen schienen während kriegerischer Auseinandersetzungen adäquate Mittel, um „Aufstände“ hinter den Kampflinien zu unterbinden.300 Ende 1904 deportierte die Windhoeker Kolonialverwaltung etwa 100 „Kriegsgefangene“, Witbooi-„Hottentotten“ – darunter Frauen und Kinder – nach Togo und Kamerun. Sie waren Angehörige des von der deutschen „Schutzmacht“ ,abgefallenen‘ Hendrik Witbooi. Sie außer Landes zu schaffen, 297 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.174, BA L’bucht an Gouv, 4.9.13; Bl.177, Gv Buea an Gouv, 1.12.13; Bl.178, Gouv an BA L’bucht, 6.3.14; Bl.181, BA L’bucht an Gouv, 21.3.14; Bl.182, BA G’tein an Gouv, 30.3.14; Bl.183, Gouv an Gv Buea, 16.4.14; Bl.189, Gouv an BA L’bucht, 9.7.14. 298 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.193, Vermerk Gouv, 23.11.14; vgl. Morlang, 2008, S. 69 – 71. 299 NAN ADM 8, 25/30, Mj Pritchard to Chief Staff Officer, 23.7.15; Camp Aus to HQ, 2.8.15; HQ N Forces, 3.8.15; Camp Aus to Military Governor, 11.8.15; 22.12.15; vgl. Oelhafen, 1923. 300 Henrichsen, 2008, S. 79. Im Südafrikanischen Krieg deportierten Briten Buren in Lager am Kap, nach Ceylon, St. Helena und auf die Bermudas. In 40 „concentration camps“ im Land waren über 100.000 Personen gefangen, mehr als 20.000 starben. Die Deutschen lernten daraus nichts: „From the military point of view, the camps were worse than useless“ (Walker, 1957, S. 498).

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galt als dringende Notwendigkeit. Angesichts der oben beschriebenen Unzulänglichkeit der deutschen Gefängnisse, erschien die Deportation als sicherste Verwahrmöglichkeit – sie war dabei auch die brutalste. Für viele kam die Deportation einer Todesstrafe gleich. Auf einer „Studienreise“ durch die Kolonien besuchten Reichstagsabgeordnete im August 1905 auch „das Gefängnis und das Lager der hier [in Lom, Togo] gefangen gehaltenen Witboi, die das Klima nicht vertragen können und in größerer Zahl gestorben sind. Sie werden deshalb demnächst nach Buea auf den Kamerunberg überführt.“ Trotz der unhaltbaren Umstände machte das Gefängnis in Lom auf den Abgeordneten Arendt einen „guten Eindruck.“ Doch auch in Kamerun erging es den Überlebenden nicht besser. 1906 wurde 62 Überlebenden die Rückkehr gestattet.301 Mit dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen wurde jedoch für einige angeblich „besonders gefährliche Gegner“ die Kriegsgefangenschaft nicht aufgehoben. Als die „Meuterer“ aus Kamerun und Ostafrika eingetroffen waren, wurden nicht nur ,einfache‘ Strafgefangene von Swakopmund aus nach Kamerun verbracht, sondern 1910 auch 93 „kriegsgefangene Hottentotten“, die zuvor „in einem Lager bei Grootfontein konzentriert und scharf bewacht worden“ waren. Der Bezirksamtmann von Grootfontein hatte dem Transport „den Klippkaffern Otto oder Fritz genannt hinzugefügt, weil dieser Junge, der schon wegen der schwersten Verbrechen bestraft worden ist (fünf Jahre Zwangsarbeit mit Kettenhaft wegen versuchter Notzucht), eine ständige Gefahr für eine weisse Bevölkerung bieten würde.“ Während bei der Debatte um die Deportation deutscher Strafgefangener rechtliche Bedenken erörtert wurden, kamen solche Fragen zum Umgang mit Gefangenen aus der Kolonie dem Assessor v. Zastrow so wenig in den Sinn wie dem Amtsrichter Hintrager, der als amtierender Gouverneur die Deportation veranlasste. Die Fachliteratur hingegen räumte ein, die „Ausweisung aus den Kolonien“ böte „in mehrfacher Hinsicht dem Streite Raum.“302 Die in Windhoek in Gang gesetzte „soulless bureaucratic machine“, so I. Goldblatt, behandelte nach der Deportation lediglich kurz, aber aufschlussreich die Frage der Verrechnung des ,Vermögens‘ der „Hottentotten“. Als dieses zugunsten des Fiskus vereinnahmt werden sollte, mahnte der für Rechtsangelegenheiten, Strafvollzug und Ausweisungen

301 Arendt, 1906, S. 27 f.; zurück in Windhoek legte das Gouvernement Wert darauf, dass es sich bei ihnen um „nicht kriegsgefangene Hottentotten“ handelte – um sie der Zuständigkeit der Militärverwaltung zu entziehen und bei zivilen Bauvorhaben in Windhoek einsetzen zu können. (NAN BAU 74, H 13, Bl.24, Gouv an KdoSchTr, 19.10.06; Bl.26 Verzeichnis von 62 Zurückgekehrten); vgl. Drechsler, 1986, S. 181 f.; Hillebrecht/Melber, 1988, S. 132; Bühler, 2003, S. 370 f.; Schildknecht, 2000, S. 267 f.; Krüger, 1999, S. 138 f. 302 Wdh Nachrichten, 22.10.10, in: Hillebrecht/Melber, 1988, S. 139; NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.1, Bl.24, BA G’tein an Gouv, 26.5.10; Art. Ausweisung, in: Fleischmann, 1911, S. 289: „Deportation ist keine Ausweisung“; zum Konzentrationslager in Swakopmund: Zeller, 2003, S. 64 f.

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zuständige Referent(303) Kohler angesichts des unklaren Status der Deportierten: „Da, soviel ich aus diesen Akten sehe, die Witbooileute nicht [kriegs-]gefangen waren [und] auch [nicht] durch ihr Verhalten, sondern ledigl[ich] infolge ihrer Abstammung Veranlassung zu ihrem Abtransport gaben, halte ich die Einziehung ihres Gutes [Kleinvieh] zugunsten der Staatskasse rechtlich [für] nicht zulässig.“

Indirekt erinnerte er daran, dass hier eine Form der ,präventiven Sippenhaft‘ umgesetzt worden war, deren Sicherheitsaspekte zu vernachlässigen seien, da von den deportierten Frauen und Kindern unmöglich eine Gefahr ausgehen konnte. Eine rechtlich vertretbare Begründung für dieses Vorgehen ließ sich nicht finden. Vielmehr handelte es sich um einen Akt der Rache für den Abfall H. Witboois 1904. Der Begriff „Kriegsgefangene“ war auf sie so wenig anwendbar wie der von „Strafgefangenen“.304 Die Einnahmen aus dem Viehverkauf überwies das Gouvernement „zu Gunsten der Hottentotten“ nach Kamerun. Doch half dieses Geld den Gefangenen ebenso wenig, wie der Befund aus Kamerun, sie seien „in gutem Ernährungszustand und bei körperlichem Wohlsein“. Es erging ihnen ähnlich wie 100 von der französischen Kolonialverwaltung zuvor ins benachbarte Gabun deportierten Vietnamesen.305 Von den 1910 deportierten 93 „Hottentotten“ waren Mitte 1912 noch 38 am Leben. Die anderen waren in ihren Unterkünften in der Feste Dchang dem Klima zum Opfer gefallen, unter dem, wie der Gouverneur in Buea einräumte, „nur die Allerkräftigsten Aussicht haben, längere Zeit am Leben zu bleiben.“ Für ihre Verpflegung forderte er aus Windhoek die Erstattung von 17.674,66 M. „Bei dem dauernden schlechten Gesundheitszustand der Leute, die noch dazu zum größten Teile aus Weibern und Kindern bestehen, ist es nicht möglich, sie in nutzbringender Weise zu verwenden.“306 Er empfahl daher im Oktober 1912, „andere Verbannungsorte für die aus Deutsch-Südwestafrika abzuschiebenden Eingeborenen als gerade Kamerun zu wählen.“ Es war die wachsende Kritik der Missionare und „peinliche Erörterungen dieser Angelegenheit in der den Missionen nahestehenden Presse“, die den Gouverneur von Kamerun bewogen, um die Rücksendung der Verbannten zu bitten. Nachdem sie 1910 von der Deportation erfahren hatten, begannen mehrere Missionare sich für eine Rückführung der Witbooi einzusetzen, die Christen waren. Offen gab Missionsdirektor Spiecker seinem Befremden über die Verfahrensweise der Kolonialverwaltung

303 BAB R 1002/47, Bl.20, Geschäftsverteilungsplan beim Gouv, 2.6.11. 304 NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.1, Bl. 35, Vermerk Kohler, 24.6.10; Goldblatt, 1971, S. 184; vgl. Bühler, 2003, S. 376 f. 305 Rich, 2005, S. 202: „they dropped like flies“, so ein Missionar. 306 NAN ZBU 716, F V p 3, Bl.42, Gouv an Gouv Buea, 7.7.10; Bl.61, RKA an Gouv, 9.1.11; Bl.138, Gouv Buea an Gouv, 20.1.12.

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Ausdruck. Doch konnte er Staatssekretär v. Lindequist nicht zu einer Freilassung bewegen.307 Während Seitz sich im kommenden Jahr vehement für die Rückführung der von ihm verbannten Kameruner Meuterer einsetzte, gab er dem Gouvernement in Buea 1912 ein Beispiel an Hartnäckigkeit gegen die „Repatriierung“. Er wollte die Witbooi in Kamerun belassen. Auch ließ er weiterhin afrikanische Strafgefangene dorthin deportieren. Auf ein Ersuchen des Missionars Keller vom Juni 1912, die noch Lebenden zurückzubringen, antwortete ihm Seitz mit der rhetorischen Frage: „Sollen wir zusehen, wie eine Anzahl Hottentotten, die im Aufstand gegen uns gekämpft und so und so viele Weisse erschossen haben, die nach dem Aufstand fortgesetzt Unruhen zu erregen suchten und sobald sie in den Besitz von Gewehren und Munition kommen würden, von neuem Putschversuche machen würden, eventuell in Kamerun sterben, oder sollen wir die Leute nach Südwestafrika zurückkommen lassen, um dort das Leben so und so vieler weisser Frauen und Kinder zu gefährden“?

Von der Ungefährlichkeit der Witbooi-Leute für die Kolonie wollte sich der Gouverneur nicht überzeugen lassen: „… ich weiss …, dass ihre Verstellungskunst unglaublich groß ist und die Räubernatur in jedem Hottentotten steckt. Ich habe noch kürzlich in Keetmanshoop mit Herrn Missionar Wandres von der Rheinischen Mission, der … allgemein als der beste Kenner der Hottentotten gilt, eingehend über die Hottentotten gesprochen. Herr Wandres hat mir erklärt, dass er nie einem Hottentotten trauen würde und dass jede Vertrauensseligkeit gegenüber diesen Leuten sich noch immer bitter gerächt hat.“308

Es bedurfte einer Resolution des Reichstags, „in welcher der Reichskanzler um die Rückbringung nach Südwestafrika ersucht“ wurde, bis Staatssekretär Solf im März 1913 ihren Rücktransport anordnete.309 Im Oktober 1913 kehrten 42 Verbannte, darunter zehn Kinder, aus Kamerun zurück. Sieben Strafgefangene blieben in Kamerun. Das Kommando der Schutztruppe, das ihre Unterbringung zu übernehmen hatte, stellte fest: „Die Leute sind sämtlich noch sehr schwach und arbeitsunfähig, infolge von Malaria, Husten, Lungenkatarrh, Magen- und Darmkatarrh und Geschlechtskrankheit.“310 Auch ein halbes Jahr später hatte sich der Zustand der Heimgekehrten, von denen unbekannt war, ob sie „noch als Kriegsgefangene angesehen“ werden konnten, kaum gebes307 NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.1, Bl.173, Gouv Buea an Gouv, 22.10.12; Bl.199, Vermerk, 24.6.13; Bd.1, Bl.140, Spieker an StS RKA, 23.5.12; Hillebrecht/Melber, 1988, S. 135;141; Bühler, 2003, S. 382. 308 NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.1, Bl.196, Keller an Gouv, 26.6.12; Bl.197, Seitz an Keller, 30.12.12. 309 SBRT, Bd. 288, 13. L.P. 1. Sess. 1912/14, 129. Sitzg., 8. 3. 1913, S. 4424; NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.1, Bl.193, RKA an Gouv, 18.3.13. 310 NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.2, Bl. 8, Verteilung der Hottototten, 16.10.13; Bd.2, Bl.20, StS RKA an Gouv Buea, 4.12. 13; Bl.14, KdoSchTr an Gouv, 4.12.13 [Herv. i.O.].

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sert. Sie lebten auf den „Truppenwerften“ von Okanjande und Okawayo „in selbstgebauten Häusern aus Wellblech, Segeltuch und Kistenholz“, so das Gouvernement im Juni 1914.311 Gouverneur Seitz wollte die Deportation trotz des Widerstands in Deutschland aufrechterhalten. Noch kurz bevor das Reichskolonialamt die Rückführung anordnete, waren sechs „Simon-Kopper Leute“ in Duala/Kamerun eingetroffen, wo sie zehn Jahre Kettenhaft zu verbüßen hatten.312 Das Gouvernement in Windhoek berichtete nach Berlin, dass „Bandenführer oder Viehdiebe, die sich sehr lange im Busch herumgetrieben und Waffen bei sich geführt haben“ zwar zum Tode verurteilt, aber in „weniger schwere[n] Fälle[n]“ meist nach Kamerun deportiert würden. Doch wegen der Proteste im Reichstag weigerte sich das Gouvernement in Buea, weiterhin Verbannte aufzunehmen. Gouverneur Seitz, der nun selbst die „Kameruner Meuterer“ loswerden wollten, sah sich daher genötigt, die Verbannung auf Inseln der deutschen Südsee anzuregen, wie es zuvor der Alldeutsche Verband getan hatte. Bereits 1900 waren Überlegungen aufgekommen, Afrikaner in der Südsee anzusiedeln und sie dort für die Polizeitruppe zu verwenden. Zwar wurde dies verworfen, doch kamen umgekehrt Melanesier als Söldner nach Ostafrika, wo sie im Maji-Maji-Krieg Verwendung fanden. Auf eine neuerliche Deportation wollte sich Seitz’ Amtskollege Hahl in Neu-Guinea jedoch nicht einlassen und machte gegenüber dem Reichskolonialamt schwere Bedenken geltend, seien doch „die Angesiedelten den Gefahren des hiesigen Klimas und der Malaria kaum gewachsen“. Seitz sah daraufhin ein, dass er kaum gleichzeitig erfolgreich gegen die Deportation von Kamerunern, aber für die Deportation von südwestafrikanischen Strafgefangenen argumentieren konnte. Er legte daher im Juni 1914 „keinen Wert darauf, daß die Sache weiterverfolgt wird.“313 Doch ganz konnte Seitz von der Deportation, die er „Ausweisung“ genannt wissen wollte, nicht lassen. Vier Tage zuvor hatte er verfügt, den 17jährigen „Bergdamara Anton“ der Baseler Mission in Buea zur „Zwangserziehung“ zu „überweisen“. Anton war mit dem „weissen Mädchen Emma Pasche“ ein Verhältnis mit „Folgen“ eingegangen, obwohl er nach Ansicht des Gouverneurs „wissen [musste], dass dieser Verkehr unerlaubt“ sei. Vor seiner Deportation konnte Anton jedoch fliehen.314 Die Deportation, daran konnte auch angesichts der Erfahrungen in den afrikanischen Kolonien Zweifel nicht aufkommen, gehörte als Strafmittel einem vergangenen Zeitalter an. Sie galt in der zeitgenössischen Strafpraxis wie im Strafrechtsdiskurs überwiegend als ein teurer Anachronismus, der, 311 NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.1, Bl.207, Ref.15 an Ref.8, 5.8.13; Bd.2, Bl. 20, Gouv an StS RKA, 20.6.14. 312 NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.1, Bl.194, Gouv Buea an Gouv, 8.3.13; NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.37, Todesurteil, 12.10.12. 313 NAN ZBU 716, F V p 1, Bl.2, Gouv an RKA, 12.8.13; Bl.5, Gouv NGin an RKA, 13.3.14; Bl.4 Vermk, 9.6.14; Kundrus, 2003, S. 108 FN 221; Krug, 2005, S. 181; Zimmerer, 2004, S. 175. 314 NAN BOM 34, GA 5, Gouv an Präses Olpp, 11.2.14; Verf, 5.6.14; Oermann, 1999, S. 200.

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anfällig dafür, die Rechtssprechung auszuschalten, Missbrauch und Rohheiten provozierte und daher nur geeignet war, die Verwaltung in Verruf zu bringen. Die allen rechtsstaatlichen Anforderungen Hohn sprechende Deportation der Witbooi nach Togo und Kamerun führte dies allen Beteiligten vor Augen. Für einen „Versuch“ mit der Deportation Deutscher nach Afrika ließ sich nach diesem Verwaltungsversagen eine Mehrheit noch weniger gewinnen als zuvor. Gouverneur Seitz mochte die Deportation dennoch als gleichsam ,exotisches‘ und damit angemessenes Strafmittel für Afrikaner weiterhin in Betracht ziehen. Er brauchte länger als andere, um zu akzeptieren, dass diese „Versuche“ gescheitert waren. Doch musste auch er angesichts rationaler Gegengründe die Deportation aufgeben.

4.4. Das Recht zum polizeilichen Einsatz von Schusswaffen und die Todesstrafe in der Kolonie „Das Volk muß die Macht fühlen! Das Gefühl der kaiserlichen Macht ist mit einem Menschenleben nicht zu teuer bezahlt!“315 [Diederich Heßling, in: Der Untertan] „Ich habe in meiner fast vierjährigen Tätigkeit als Inspekteur noch keinen Fall erlebt, in dem ein Beamter über seine Befugnisse hinaus von der Waffe Gebrauch gemacht hätte, eher ist das Gegenteil der Fall gewesen.“316 [Inspekteur, Major Bethe, 1914]

Herrschaft und Gewalt sind unteilbar mit einander verknüpft. Die „Legitimation von Macht als Herrschaft ist untrennbar mit der Unterscheidung von legitimer und illegitimer Gewalt verbunden.“ „Herrschaftliche Übermacht bedarf damit der auf Dauer gestellten, d. h. der institutionalisierten Todesdrohung und Todesgewalt. Zugleich ist sie angewiesen auf fortwährende Vergegenwärtigung ihrer Gewaltandrohung und -ausübung durch symbolische Repräsentation.“317 Gerade weil von einer Übermacht des Kolonialstaats in der Kolonie keine Rede sein konnte, suchten seine Exekutivorgane die rechtliche Einhegung seines Drohpotenzials zu vermeiden. Eine symbolische Repräsentation schien den Leitern von Polizei wie Militär unzureichend, wenn die Schwelle zwischen Vergegenwärtigung und tatsächlicher Todesdrohung zu hoch gelegt würde. Das Notwehrrecht des Staates Nachdem im September 1895 der Reiter Rakowski den Gefangenen Jakob auf der Flucht erschossen hatte, äußerte er in der anschließenden Vernehmung: „Da der Hottentott doch nichts davon verstanden hätte, wenn ich ,halt‘ gerufen 315 Mann, H: Der Untertan, Frankfurt/M 2001 [1919], S. 144. 316 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.99, ILP an Gouv, 24.1.14. 317 Lindenberger/Lüdtke, 1995, S. 8.

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hätte, so schoss ich gleich.“318 Ein Tadel des Soldaten oder eine Problematisierung seines Schusswaffengebrauchs finden sich in den Akten nicht. Dagegen ersuchte im September 1908 das Gouvernement die Ämter, „sämtliche Polizeibeamte dahin zu belehren, daß sie von ihrer Waffe nur in den Fällen der Notwehr [§ 53 RStGB] gebrauch machen dürfen und daß gegen entsprungene weiße Gefangene die Waffe nicht gebraucht werden darf.“ Mit Verweis auf eine Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts von 1896 wurde „das Schießen auf einen Fliehenden verboten.“ Die von Inspekteur v. Heydebreck unterzeichnete Verfügung beklagte, „daß unter den Polizeibeamten in dieser Beziehung vielfach falsche Anschauungen herrschen, welche leicht gerichtliche Strafen nach sich ziehen können.“ Auch beim Waffengebrauch gegen Afrikaner war den Beamten eine Grenze gezogen: Nur wenn diese sich „feindselig zeigen, daß heißt, wenn sie selbst schießen oder nach ihrem Verhalten mit Bestimmtheit anzunehmen ist, daß sie das Feuer auf die Patrouille pp. eröffnen wollen“, durfte von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden.319 Die Gegenüberstellung beider Quellen könnte als Beleg für eine mit den Jahren gesteigerte Rechtsförmigkeit des amtlichen Waffengebrauchs in der Kolonie gelesen werden, die mit einer Abmilderung und Verringerung des Einsatzes nach den Kriegen einherging. Doch bei der Abwägung zwischen Herrschaftssicherung und Rechtsbindung schlug die Kolonialverwaltung einen Weg ein, der diese Schlussfolgerung nicht zulässt. Zwar beruhte der Waffeneinsatz auf einer rechtlichen Grundlage, doch wurde die Schwelle dieses Einsatzes umso stärker abgesenkt, je weniger Polizei und Militär „Räuberbanden“ Einhalt zu gebieten vermochten. Diese Verschärfung ist als ein Eingeständnis von Schwäche zu lesen. Für die Inspektion war, wie zu zeigen ist, der verschärfte Waffeneinsatz ein vorrangiges Anliegen. Die Hoffnung auf eine willfährige afrikanische Bevölkerung, deren Widerstandspotential durch Kriege und „Eingeborenen-Verordnungen“ gebrochen sei, erfüllte sich nicht. Die durch die Verfügung zum Schusswaffeneinsatz, die auf § 53 RStGB abstellte, vermeintlich in ihrer Effektivität beeinträchtigten Polizisten sahen sich daher bald dem Vorwurf der Siedler ausgesetzt, wirkungslos zu sein. Ein Zeitungsartikel mit der Überschrift „Wehrlose Polizei“ veranlasste Inspekteur v. Heydebreck 1909 daran zu erinnern, dass Polizeibeamte Befugnisse hinsichtlich des Waffengebrauchs hätten. § 50 Nr. 5 a der Dienstvorschrift lautete:„Die Polizeibeamten sind auch ohne Autorisation der vorgesetzten Behörde befugt, sich ihrer Dienstwaffe zu bedienen a) wenn gegen Polizeibeamte bei rechtmäßiger Ausübung ihres Dienstes Gewalt verübt wird, die anders als durch Waffengebrauch nicht überwunden werden kann. …“320 318 NAN BWI 417, P II, Bd.1, Vernehmung, Reiter Rakowski, Augeikas, 28.9.95. 319 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.71, RVerf Gouv an alle BA, 17.9.08. [Bezug auf PrOVG E v. 22.12. 1896, Bd. 31, S. 438] 320 BAB R 1002/2692, Dienstvorschrift LP, S. 34, [24.6. 1909] § 50 Nr. 5: Der Gebrauch der Dienstwaffe ist … gestattet: … b) wenn auf der Tat entdeckte Verbrecher sich der persönlichen

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Dass Gewalt gegen die Polizei ausgeübt werden musste, blieb demnach Voraussetzung für den Schusswaffengebrauch. Auslöser dieser ,Erinnerung‘ war die gescheiterte Festnahme von etwa 40 Herero durch 4 Beamte, die „naturgemäß zunächst nur je einen Mann packen“ konnten. Die Ergriffenen leisteten Widerstand, „woraus sich ein regulärer Ringkampf zwischen Schwarz und Weiß entwickelte. Die Polizeisergeanten sollen bei diesem Ringkampf bedroht gewesen sein, trotzdem machte keiner von seiner Waffe gebrauch.“ Der Inspekteur warf ihnen mangelnde Landeskenntnis und Unkenntnis der Dienstvorschrift vor. Schon das Ansinnen, 40 Personen mit vier Beamten festnehmen zu wollen, war ein „aussichtsloses Unternehmen“. Der dadurch hervorgerufene Widerstand aber hätte „zur Wahrung der Autorität der Polizei unter allen Umständen gebrochen werden“ müssen. Die Voraussetzungen des § 50 Nr. 5 a der Dienstvorschrift hielt er für unzweifelhaft erfüllt. Auch hätten die Beamten von ihrem Notwehrrecht (§ 53 RStGB) Gebrauch machen können. Die Grenzen dessen, was für die Notwehr erforderlich und geboten schien, wären zeitgenössisch großzügig bemessen gewesen: nicht auf den „Wert des angegriffenen Rechtsgut [kam es an], sondern [auf] die Intensität des Angriffs“.321 Die Schreiben des Gouvernements von 1908 und 1909 betonen die Bedeutung des Notwehrrechts für den polizeilichen Schusswaffengebrauch. Auch das Bezirksgericht Keetmanshoop, das 1909 ein Verfahren gegen einen Polizeisergeanten einstellte, der sich irrtümlich angegriffen glaubte und daraufhin schoss, hob in seiner Begründung hervor, dass nur ein Angriff den Schusswaffengebrauch rechtfertigt. Hier allerdings war sein Irrtum über den Tatumstand dem Sergeanten nicht zuzurechnen (§ 59 RStGB), weshalb seine Tat so zu beurteilen war, „als hätte“ ein Angriff vorgelegen.322 Doch die „eigenmächtige Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs“ (§ 53 RStGB) war ein Rechtfertigungsgrund für die „Verletzung des Angreifers“, der jedem zustand.323 Mit einer rechtssystematischen Verankerung des Waffengebrauchs der Exekutive, die über das Notwehrrecht hinaus wies und auf das Erfordernis Festnahme oder der Beschlagnahme von Gegenständen mit Gewalt oder mit Drohungen widersetzen oder nach erfolgter Festnahme die Flucht ergreifen. c) wenn die Polizeibeamten auf andere Weise ihr anvertraute Personen nicht beschützen oder einen ihm angewiesenen Posten nicht behaupten können. d) wenn bei einer Ansammlung die Menschenmenge angriffsweise vorgeht oder Gewalt verübt. / Die Anwendung der Waffe ist stets auf das durch äusserste Notwendigkeit gebotene Mass zu beschränken, auf jeden Fall aber so vorzunehmen, dass der Zweck erreicht wird. Gestattet es die Lage des Falles, so ist vor Anwendung der Waffen eine darauf hinweisende Warnung auszusprechen. Vor dem Schießen muß dies unter allen Umständen geschehen“. 321 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, RVerf Gouv an BA Windhuk 14.9.09 [Bezug auf DSWA-Ztg # 68, 25.8.09]; Frank, 1914, § 53, S. 125; vgl. Roscher, 1912, S. 43. 322 NAN BWI 304, S 17 a, Bl.21, BG Keetmanshoop, 8.4.09; Bl.22, BA Windhuk an PolSt KleinWindhuk, 29.6.09. 323 Merkel, 1889, S. 162 – 64.

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eines „rechtswidrigen Angriffs“ verzichtet hätte, taten sich Wissenschaft und Praxis in Deutschland schwer. Dieser Waffengebrauch war eine „besondere Form körperlicher Gewalt“, weil sie ,legal‘ war und zugleich tödlich enden konnte – ohne dass darüber ein Gericht befunden und immer ein „rechtswidriger Angriff“ vorgelegen hätte. Wie hoch die Anforderung an den Begriff der Legalität zu sein hatte, um den Waffengebrauch in die Systematik des Öffentlichen Rechts zu integrieren, blieb zwischen Wissenschaft und Verwaltung strittig. Während es, so der Münchner Strafrechtler Kitzinger 1913, „wissenschaftlich herrschende Anschauung“ war, dass jene „Leib und Leben angreifende stärkste Art administrativen Zwangs, wenn sie nicht durch Notwehr gerechtfertigt ist, ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung bedarf“, zeigte ein Blick auf die Grundlagen des staatlichen Waffengebrauchs, dass dort von Gesetzen keine Rede sein konnte. Es herrschte in den Verwaltungen die Anschauung vor, nach der „der Polizei alle für [die] Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel“ zugesprochen werden mussten. Dagegen hatte mit O. Mayer die Verwaltungsrechtswissenschaft den Grundsatz aufgestellt, dass „jedes den Befehl nicht direkt fortsetzende, ein neues selbständiges Übel auferlegendes Zwangsmittel gesetzliche Grundlagen verlangt.“ „Mit diesen gesetzlichen Grundlagen ist es freilich ziemlich schlecht bestellt. Wirkliche Gesetze oder ihnen allenfalls gleichstehende Verordnungen aus vorkonstitutioneller Zeit, die eine Regelung des administrativen Waffengebrauchs oder doch die Ermächtigung … [dazu] enthalten, gibt es nur in wenigen deutschen Staaten“.

Merkwürdig unberührt blieben die Grundlagen des „Waffengebrauchsrechts“ für staatliche Organe in den deutschen Staaten und im Deutschen Reich von den politischen und gesellschaftlichen Wandlungen des 19. Jahrhunderts. Teils konnte auf nicht mehr als eine „gewohnheitsrechtliche Bildung“ zurückgegriffen werden.324 Während das Preußische Allgemeine Landrecht (§ 181, II, 20 – Einschreiten der Staatsgewalt; §§ 173 ff, II, 20 – Widerstand; §§ 821 ff, II, 20 – Züchtigungs- und Waffenmissbrauch) ein eigentliches Waffengebrauchsrecht nicht kannte, wurden in der Restaurationszeit die rechtlichen Grundlagen des staatlichen Waffeneinsatzes gelegt, die noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts einschlägig sein sollten. Eine preußische Kabinettsordre vom 17. 10. 1820 verpflichtete die Militärbehörden zur Herstellung der Ordnung, wenn die öffentliche Ruhe durch „Exzesse“ gestört war. Die Dienstinstruktion für die Gendarmerie aus dem gleichen Jahr regelte deren Waffengebrauch (30. 12. 1820, GS 1821, S. 10, § 28). Die Bestimmungen für das Militär wurden 1837 verschärft, so dass Soldaten bei „Gegenwehr“ zum Waffengebrauch verpflichtet waren. Weder die Preußische Verfassung (1850) noch das Preußische Strafgesetzbuch oder das Gesetz über den Belagerungszustand (1851) brachten Änderungen in der Rechtslage. Auch das neue RStGB (1871) machte Modifikationen der bisherigen preußischen Regelungen nicht erforderlich. 324 Kitzinger, 1913, S. 203 verweist auf O. Mayer; vgl. Stolleis, 1992, S. 406.

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Dieses vorkonstitutionelle Waffengebrauchsrecht kam einem „totalen Notwehranspruch“ des Staates gegenüber seinen Untertanen gleich, den der Historiker A. Lüdtke mit einer „permanenten Notstandsfixierung“ der Beamten, ihrer „festungspraktischen Wahrnehmung“ der Umwelt begründet. Im Kern kam es so zu einer „ganz selbstverständlichen Kongruenz von Militär und (ziviler) Polizei“, denn die „Erhaltung der ,öffentlichen Ruhe‘ galt in dieser Sicht als ,erste und heiligste Pflicht‘ der Beamten. Optimales Mittel war offenbar die militärische Drohgebärde, im Zweifelsfall physisch-gewalttätiger Einsatz im ,kurzen Prozeß‘.“325 Diese vormärzliche Tradition, „militärische und zivil-bürokratische Beurteilungskriterien von Sicherheit und Ordnung [zu] verschmelzen“ entfaltete noch im späten Kaiserreich ihre Wirkung.326 Ungeachtet aller rechtsstaatlichen Anforderungen an öffentliches Handeln blieb das Ziel aller militärischen „Rekrutierungs- und Ausbildungspolitik … bis weit in das 20. Jahrhundert der im Inneren, im Bürgerkrieg, einsetzbare Soldat.“327 Dem Militär war, wie die Niederschlagung des Ruhrarbeiterstreiks 1889 mit elf Toten zeigte, die Rolle eines „innenpolitische[n] Pazifzierungsinstrument[s]“ zugewiesen und es drang auf eine Verschärfung des Waffengebrauchsrechts. Die Vorschrift über den „Waffengebrauch des Militärs und seine Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruhen“ (1899) setzte der Kriegsminister gegen die Bedenken des preußischen Innenministeriums „im Alleingang bei Wilhelm II.“ durch. Die Entscheidung, ob Waffen einzusetzen waren, lag bei den örtlichen Befehlshabern. Das Justizministerium stellte fest, dass dies im Widerspruch zur preußischen Verfassung stand. Als im November 1913 im elsäßischen Zabern ein Leutnant die Bevölkerung bedrohte und sein Vorgesetzter nach deren Unmutsbekundungen wahllos Bürger verhaften ließ, führte die sich anschließende Debatte um die „Zabern-Affäre“ vor Augen, wie unbeschränkt von rechtsstaatlichen Erwägungen das Militär beim Waffeneinsatz walten und sich dabei der Rückendeckung der zivilen und militärischen Leitung des Reiches gewiss sein konnte. Jene Ordre von 1820 diente den Vorgesetzten, darunter dem Kommandierenden General in Straßburg, dem ehemaligen Kommandeur der Schutztruppe in DSWA, B. v. Deimling, zur Rechtfertigung des Einsatzes, obwohl selbst das Reichsjustizamt dies bestritt. Bei der Neufassung der Vorschrift über den Waffengebrauch des Militärs (19. 3. 1914) gelang es dem Reichstag, die vorherige „Requisition“ der Zivilbehörde durchzusetzen. Doch legte der Generalstab Wert darauf, dass es sich dabei noch immer nicht um ein Gesetz im formellen Sinne handelte.328 Die weniger weitgehenden Vorschriften über den Waffengebrauch der 325 326 327 328

Mitzschke, 1935, S. VIII-XI; Lüdtke, 1982, S. 53 f.; 327; Wirtz, 1998, S. 215 f. Funk, 1986, S. 48; vgl. Lüdtke/Wildt, 2008, S. 13. Kutz, 2006, S. 32; vgl. Johansen, 2005, S. 1 f.; 60 f.; Craig, 1964, S. 120 – 135. Jessen, 1991, S. 77 f.; Schick, 1916, S. 70; Jahr, 1999, S. 132 f.; Wehler, 1970, S. 65 – 78; Wehler, 1995, S. 1127.

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Gendarmen und Schutzmannschaften der deutschen Bundesstaaten wiesen inhaltlich „weitgehende Übereinstimmung auf“; was nicht zu letzt am gemeinsamen Vorbild, dem französischen Gesetz über die Organisation der Nationalgendarmerie von 1797 gelegen haben dürfte. Den Gendarmen war der Waffengebrauch gestattet zur Abwehr von Gewalt gegen sie selbst, zur Verteidigung der ihnen anvertrauten Personen oder Güter, zur Brechung gewaltsamen Widerstandes gegen ihre dienstliche Tätigkeit, „teilweise auch, jedoch mit wesentlichen Einschränkungen, zur Vereitelung der Flucht gefährlicher Gefangener. Dabei ist meist möglichst schonender Gebrauch der Waffe vorgeschrieben“. Mancher Autor stellte die Frage, ob für die Gendarmen die Waffe nur ein Schutz- und kein Zwangsmittel zu sein hatte. In Preußen wurde die vorhergehende „fruchtlose“ Anwendung milderer Mittel vor dem Waffengebrauch gefordert; in Bayern musste vor dem Waffengebrauch gewarnt werden. Es war von der „Subsidiarität der Waffengewalt“ die Rede.329 Doch das Reichsgericht betonte, dass es Sache des Klägers wäre, die Widerrechtlichkeit des Waffengebrauchs eines Beamten nachzuweisen. Bis zum Beweis des Gegenteils konnte jener von der Rechtmäßigkeit seines Waffengebrauchs ausgehen.330 Wenn für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer „unter der Prämisse von der angeblich bedrohten Festung ,Staat‘“ eintrainierten „Festungspraxis“ der Beamten die Rede ist, die in dem auch noch im frühen 20. Jahrhundert fort geltenden Waffengebrauchsrecht und seinen Rechtfertigungen zum Ausdruck kam,331 so ist im Folgenden den Wirkungen dieser Prägung durch die „Festungspraxis“ für das koloniale Waffengebrauchsrecht nachzugehen. Das Gefühl einer permanenten Bedrohung – die Belagerungsmentalität – gehörte zur mentalen Grundausstattung des Kolonisten. Es konkretisierte sich mit dem Blick auf Erfahrungen aus dem „Negeraufstand“, der jederzeit wiederholbar schien, und die eigene geringe Zahl, die eigene Schwäche.332 Auch Formen legalisierter Gewalt sind Ausdruck dieser Angst. Die im Folgenden geschilderte Verschärfung des Waffengebrauchsrechts ist ein Beispiel kolonialer „Festungspraxis.“ Die Diskussion um das kolonialpolizeiliche Schusswaffenrecht Als Einschränkung erlebten die Polizeibeamten in ihrem kolonialen Alltag die Bezugnahme auf das deutsche Notwehrrecht. Den Gebrauch der Schusswaffe, diesen Inbegriff technischer Überlegenheit gegenüber „Eingeborenen“, denen der Besitz untersagt war, eingehegt zu sehen, rief Missfallen hervor. Die deutschem Recht und der Rechtssprechung entnommenen Windhoeker Vorgaben galten als unpassend und verunsicherten sie. Die Sachverhalte ihres 329 330 331 332

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Kitzinger, 1913, S. 205 f. Urteil des RG v. 16. 10. 1906; III 7/06. Naumburg; vgl. Schwenger, 1907. Lüdtke, 1982, S. 329. Vgl. Osterhammel, 2003, S. 116 unter Verweis auf Kennedy, 1987; Bley, 1995, S. 141 f.

Alltags, die Vorstellungen von der Befriedung der Kolonie schienen nach einer Ausweitung des Waffengebrauchsrechts zu rufen. So bat Bezirksamtmann B. v. Zastrow die Inspektion der Landespolizei im Juli 1910 um Auskunft, wie die Polizeibeamten zu instruieren seien, wenn sie Viehdiebe auf frischer Tat oder beim Schlachten anträfen, aber nicht in der Lage wären, sie festzunehmen. „Ist der Beamte in diesem Falle berechtigt oder verpflichtet, auf die Fliehenden zu schießen?“ Auch wollte er wissen, ob Polizeibeamte auf fliehende Gefangene schießen dürfen. „Macht es einen Unterschied, ob es ein Weisser oder ein Eingeborener ist?“ Das Gouvernement antwortete, dass bei den Viehdieben „der Gebrauch der Schußwaffe zweifellos unberechtigt“ wäre und auch auf Gefangene nicht geschossen werden dürfe. Es mache „keinen Unterschied, ob der Täter ein Weißer oder Eingeborener ist.“ Diese sich auf die Bestimmungen des BGB (§§ 227, 229, 859, 860) und des RStGB (§§ 53, 54) sowie auf § 50 Nr. 5 der Dienstvorschrift v. 24. 6. 1909 stützende Auffassung war angesichts der Viehdiebstähle für die Farmer, die 1909 eine einfachere Regelung des Schusswaffeneinsatzes gegen „Eingeborene“ gefordert hatten, sowie für den Inspekteur unbefriedigend. Bethe vermerkte am Rand: „Die Angelegenheit des Waffengebrauchs bedarf besonderer Regelung durch Kaiserliche Verordnung.“ Der Leiter der Abteilung D im Gouvernement, Oberleutnant Jacubowsky, gab für deren Ausgestaltung und Wirkung das Ziel vor: „Auf dem Gebiet Waffengebrauch liegen die Verhältnisse jetzt so, daß kein Beamter mehr weiß, wann er von seiner Waffe Gebrauch machen muß. M.E. ist ein Deckblatt [Zusatz] für die Dienstvorschrift notwendig. Aus diesem muß hervorgehen, daß Beamte, wenn sie Viehräuber auf frischer Tat ertappen oder sie verfolgen, diese, ohne daß die betr. Widerstand entgegensetzen oder tätl. Drohungen ausstoßen, über den Haufen schießen können. Bei Weißen muß Anruf erfolgen. Auch die Beamten, die einem Gefangenentransport begleiten, müssen die Befugnisse der Gefängnisaufseher haben [die bei Fluchtversuchen schießen durften].“333

Dass die Dienstvorschrift Polizeibeamte zum Waffengebrauch nur befugte, „wenn sie sich in Notwehr befinden“, hielt Jacubowsky für „unhaltbar“ und eine „rechtbaldige Änderung“ für zwingend. Zwar plädierte Regierungsrat Kastl für eine „gesetzliche Regelung“, da „der Waffengebrauch doch unter Umständen zu recht erheblichen Folgen führen kann“ und auch Gouverneur Seitz hielt eine „Regelung auf dem VO-Wege [für] notwendig“. Doch entschied er sich gegen die langwierige Abstimmung mit dem Reichskolonialamt. Die Angelegenheit schien zu dringend, um einen ungewissen Ausgang zu riskieren. Seitz wollte im Mai 1911 eine einfache Verfügung erlassen: „Infolge des Übernehmens von Überfällen … der Buschleute, hauptsächlich auf Ovambos“, sollten die Polizeibeamten berechtigt werden, „Eingeborenen gegenüber 333 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.56, BA Grootfontein an ILP, 1.7.10; Abt. C an Abt. D, 10.8.10; Bl.55, Notiz, 25.9.10.

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sich ihrer Schußwaffe zu bedienen“, wenn diese, bei der Tat entdeckt, sich der Festnahme durch Flucht entzögen. Der Justizreferent im Gouvernement, Regierungsrat Kohler, jedoch verweigerte die Mitzeichnung des Entwurfs, da ihm diese „Verfügung für rechtlich bedenklich“ erschien und „ihre Befolgung eine Anklage wegen Tötung sehr wohl nach sich ziehen könnte.“ Seine Argumente dafür entnahm er einem Lehrbuch des Verwaltungsrechts, die ihn angesichts des Kommenden als einen ,einsamen Rufer in Wüste‘ erscheinen ließen: „G. Hager, Deutsches Verwaltungsrecht – das einzige Buch, das mir hierüber zur Verfügung steht – führt auf S. 369 aus, daß der Waffengebrauch mit seinen Wirkungen über das grundsätzliche Maß des Polizeizwanges hinausgeht. Der Waffengebrauch gehe über die Abwehr der Störung hinaus, indem der Person, gegen den er sich richtet, ein Übel zugefügt wird, das fortdauert, wenn die Störung überwunden ist. Der Waffengebrauch ist daher nicht ohne weiteres gestattet, sondern er bedarf einer besonderen gesetzl. Grundlage. Diese besteht, soweit Notwehr und Notstand in Frage kommen in §§ 227, 229 BGB und 53 u. 54 StrGB. Im übrigen fehlt es aber an gesetzlichen Bestimmungen für die Schutzgebiete, während in der Heimat solche vorhanden sind, vgl. die Preuß. Dienstinstruktion für die Gendarmerie vom 30. XII 1820 § 28 u.A. Eine ähnliche rechtliche Grundlage, die in Form einer Kaiserl. Verordnung zu erfolgen hätte, sollte auch für die Schutzgebiete geschaffen werden.“334

Ob diese oder andere Bedenken Gouverneur Seitz überzeugten, bleibt offen – vorläufig wurde eine Verfügung nicht erlassen. Nachdem aber die Landespolizei im Verlauf des Jahres 1911 weiterhin empfindliche Schlappen bei der Verfolgung von „Räuberbanden“ hinnehmen musste und „die Haltung der Buschmänner anderen Eingeborenen, weissen Ansiedlern und Beamten der Landespolizei gegenüber eine derartig feindselige geworden ist, dass der Tod eines Ansiedlers und eines Beamten zu beklagen“ waren, entschloss sich Gouverneur Seitz im Oktober 1911 zu einer deutlichen Verschärfung des Schusswaffengebrauchs gegenüber „Buschmännern“: Bei „der geringsten Widersetzlichkeit“ und bei „Flucht“ sollten die Polizeibeamten auf sie schießen können. Die „Polizeidiener“ wurden für „Buschmann-Patrouillen“ mit Gewehren M 71 ausgestattet. Ein solches „privilegium odiosum“, etwa eine besondere Strafe für die „unterste Volksklasse“ im frühen 19. Jahrhundert, „würde heute undenkbar sein“, so ein Kommentator über das preußische Züchtigungsrecht. In der Kolonie aber scheute sich hundert Jahre später der Gouverneur nicht, die „Buschleute“ einem ,Sonder-Schusswaffengebrauchsrecht‘ auszusetzen. Der Anthropologe R. Gordon nennt die Anordnung „a warrant for genocide“.335 334 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.51, Abt B an Gouv, 24.4.11, Vermerke; Bl.54, Verf-Entwurf, 27.5.11; Bl.58, Vermerk Kohler, 29.5.11; vgl. Reichsgericht U. v. 16. 10. 1906; III 7/06, Naumburg. 335 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.31, RVerf Gouv an BA, 24.10.11; Krauße, 1899, S. 105; Gordon, 1992, S. 58 f.; vgl. Gordon, 1986; Suzman, 2000; Zimmerer, 2004, S. 166 f.

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Seitz war sich seiner Kompetenz zu diesem Schritt nicht sicher, wie er dem RKA gegenüber einräumte. Doch sah er sich dazu „genötigt“: „Ohne eine solche Verfügung wäre es nicht möglich gewesen, der Buschleute, die nachgerade in manchen Teilen des Landes zur Plage geworden und denen eine Anzahl Menschen bereits zum Opfer gefallen waren, habhaft zu werden.“ Seitz war sich im Klaren darüber, „daß meine Zuständigkeit, Vorschläge über den Waffengebrauch zu erlassen von den Gerichten in Frage gezogen werden könnte.“ Er bat deshalb um eine „abschließende“ Regelung für die Zivilverwaltung und hielt die in Preußen geltenden Bestimmungen für das Polizei-, Zoll- und Gefängnispersonal für „ohne weiteres“ übertragbar – „soweit Weiße in Frage kommen“. Für „Eingeborene“ empfahl er „den Waffengebrauch in etwas weiterem Umfange“, da sonst eine „Ergreifung“ oft nicht möglich sei.336 Dies entsprach regelmäßig den Tatsachen, wie etwa aus einem Patrouillenbericht des Hauptmanns v. Boemcken hervorging: Seine Patrouille schlich sich nachts „an eine einzelne Feuerstelle, in der ein Mann gehaust hatte“, heran. „Der hatte unser Kommen doch gemerkt, trotzdem barfuss vorgegangen wurde und entkam. Er lief an einem Polizeibeamten vorbei, der ihn nicht greifen konnte, aber auch nicht schießen durfte, da der Buschmann sich nicht zur Wehr setzte.“337

Das RKA aber zeigte 1912 weniger Bedenken als Seitz befürchtet hatte, den Schusswaffengebrauch der Zivilstellen „im Wege der Dienstanweisung durch das Gouvernement“ regeln zu lassen. Waren doch die kolonialen Amtsstellen befugt, „unmittelbaren Zwang“ auszuüben. Diese Befugnis las Staatssekretär Solf als Generalermächtigung, zumal der Begriff „unmittelbarer Zwang“ in der Verordnung nicht definiert war. „Grundsatz ist aber, daß er nur soweit gehen darf, andererseits aber auch soweit gehen muß, als er notwendig ist, um zum Ziele zu führen. Als Zwangsmittel kann daher auch die Waffe in Frage kommen. Es besteht sonach kein Bedenken, unter Wahrung jenes Grundsatzes in einer für die in Frage kommenden Beamten bestimmten Dienstanweisung den Waffengebrauch zu regeln.“

Bei der Ausarbeitung dieser Dienstanweisung zum Waffengebrauch hielt sich das Gouvernement an die Vorgaben des preußischen Rechts, was auch dem RKA „am zweckmäßigsten“ erschien.338 An einem ersten Entwurf, nach dem die Polizisten nur bei speziell vom Gouverneur angeordneten Patrouillen befugt waren, auf Flüchtende zu schießen, bemängelte die Inspektion im Januar 1913, er wäre „eine Einschränkung des Rechts, von der Waffe Gebrauch zu machen, während doch 336 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.44, Gouv an StS RKA, 13.5.12; vgl. Schmidt, 2008, S. 257 – 66. 337 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 154, Bericht der 4. Kompagnie, 9/1913. 338 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.59, StS RKA an Gouv, 10.10.12, Verweis auf Ksl. VO v. 3. 6. 1908 [RGBl., S. 397] iVm den §§ 8,15 der Ksl. VO v. 14. 7. 1905 [RGBl., S. 717].

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eine Verschärfung des Waffengebrauchs allgemeine beabsichtigt ist.“ Doch die erbetene Befugnis, generell auf Flüchtende schießen zu können, wurde vom Gouvernement abgelehnt. Strittig blieb, ob auch, wie von der Inspektion gewünscht, die von den Ämtern angeordneten Patrouillen das Recht erhalten sollten, auf Flüchtende zu schießen. Um die „Erfüllung des ihm obliegenden Dienstes energisch und mit allen Mittel durchzusetzen“, sollte der Polizeibeamte zusätzlich durch die Vermutung geschützt werden, er habe beim Schusswaffengebrauch innerhalb seiner Befugnisse gehandelt, solange nicht „das Gegenteil erwiesen ist“ – eine Forderung, die das Gouvernement als „praktisch wertlos“ abtat.339 Justizreferent Kohler sprach sich dezidiert gegen die Änderungsvorschläge der Inspektion aus: „Es ist nicht richtig, wenn angenommen wird, daß durch die Regelung eine Verschärfung der bisherigen Bestimmungen beabsichtigt ist. Es soll lediglich eine erschöpfende Aufzählung der Fälle stattfinden, in denen im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung auch von der Waffe Gebrauch gemacht werden darf. Zu § 1 [der die Fälle aufzählte, in denen von der Waffe Gebrauch gemacht werden durfte:] Zweck der Ergreifung ist die Gestellung des Beschuldigten zur Aburteilung. Würde der Waffengebrauch auf den flüchtigen Verbrecher allgemein gestattet werden, so würde die Gefahr von Mißgriffen groß sein. Der Beamte müßte sich die Gewißheit zu verschaffen haben, daß der Fliehende der gesuchte Täter ist und daß er die Aufforderung stehen zu bleiben, auch verstanden hat. In vielen Fällen würde ferner der durch den Waffengebrauch angerichtete Schaden (schwere Körperverletzung, Tod) nicht im Verhältnis zur Straftat stehen. Es ist daher unmöglich, in einem Rechtsstaat die weiße Bevölkerung der sich hieraus ergebenden Gefahr auszusetzen. Auch bei Eingeborenen muß der Waffengebrauch vor erfolgter Festnahme auf das unbedingt nötige beschränkt werden. Ich kann es daher nicht gutheißen, daß auf Fliehende auf bezirksamtl. befohlenen Streifen soll geschossen werden dürfen [wie es die Inspektion forderte]. Das führt zu Mißbrauch. Jede Patrouille wird dann als bezirksamtl. angeordnete Streife behandelt u. auf Menschen wird wie auf wilde Tiere geschossen. Wenn ernste Gefahr besteht, mag um die Erlaubnis zur Ausführung der Streife hier [beim Gouvernement] nachgesucht werden.“

Nach Kohler waren die rechtsstaatlichen Anforderungen an behördliches Handeln zumindest gegenüber der europäischen Bevölkerung in der Kolonie maßgeblich. Will man seine Äußerung zum „Rechtsstaat“, in dem es nicht möglich sei, auf Menschen „wie auf wilde Tiere“ zu schießen, nicht als bloßes ,Nachglühen‘ von einstmals eingepaukten Grundsätzen einer universitären Einführung in das Staatsrecht abtun, sondern interpretiert sie als Mahnung und ernstes Anliegen des obersten Justizbeamten der Kolonie, dann zeigt sich, dass die Exotisierung, der penetrant vorgetragene Hinweis auf ,noch nicht‘ vorhandene ,normale‘ Verhältnisse in der Kolonie, auf Grenzen stieß. Mit Hilfe der Exotisierung der Kolonie ließ sich fast alles rechtfertigen. Der Vorwurf, mit 339 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.74, ILP an stellv. Gouv, 7.1.13.

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dem am ,grünen Tisch‘ entworfene Verordnungen abgetan wurden, war leicht gemacht: „unpraktikabel“; den „besonderen Bedingungen“ der Kolonie nicht angemessen; „zu theoretisch“; etc. Der Gegensatz zwischen den trotzig vorgetragenen ,hier-ist-es-anders‘-Forderungen nach einer ,freien Hand‘ (besonders seitens der Siedler) und mäßigenden Stimmen trat mitunter auch innerhalb der Verwaltung auf. Dabei lässt sich nicht die Regel aufstellen, dass höher stehende Beamte weniger bereit und in der Lage gewesen wären, von juristischen Grundsätzen abzurücken. So stimmte zwar Kohlers Vorgesetzter Blumhagen den Ausführungen des Justiziars zu, doch holte er sie in die koloniale Wirklichkeit zurück, in der rechtsstaatliche Anforderungen nicht von der Bedeutung waren, die der Justiziar ihnen zumaß. Blumhagen hielt den Vorschlag der Inspektion, auch von Ämtern angeordneten Streifen zu einem erweiterten Waffengebrauch zu berechtigen, „für praktisch.“ „[A]uch jetzt [würde] so bei Patrouillen nach Viehdieben verfahren“. Kohlers Sorge, Polizisten könnten nach unberechtigtem Waffengebrauch wegen Körperverletzung angeklagt werden, hielt er mit Blick auf die Rechtswirklichkeit entgegen, dass Gerichte „auch nicht gegen Farmer vor[gehen], die Viehdiebe überraschen und bei deren Flucht auf sie schießen.“340 Trotz dieser regen Arbeit an der Dienstanweisung kam sie vorerst nicht zur Ausführung. Das Gouvernement hoffte, dass die Umwandlung der Landespolizei in ein Gendarmeriekorps mit neuen Bestimmungen auch zum Waffengebrauch zügig umgesetzt werden könne. Hinzu trat die gleichzeitige Abfassung des kolonialmilitärischen Schusswaffenrechts, das mit dem der Landespolizei abgestimmt werden musste. Das kolonialmilitärische Schusswaffenrecht Die Vorschriften über den Schusswaffeneinsatz der Schutztruppe gegen Zivilisten von 1899 besagten, daß „jedem vorläufig Festgenommenen gegenüber bei einem Fluchtversuch von der Waffe Gebrauch gemacht werden“ durfte. Doch war mit dieser Bestimmung nur ein kleiner Teil möglicher Fälle abgedeckt, bei denen die Truppe gegen Zivilisten eingesetzt werden konnte.341 Nachdem 1910 in Wilhelmsthal 14 Bahnarbeiter wegen vermeintlichen Aufruhrs von einer Schutztruppenabteilung erschossen worden waren, wies das Gouvernement das Kommando an, bei Unruhen „die Requisition durch die Polizei außer bei den in der Vorschrift über den Waffengebrauch des Militärs vorgesehenen Fällen abzuwarten.“ Da die Geltung der erwähnten Vorschriften aus dem frühen 19. Jahrhunderts in den Schutzgebieten jedoch strittig war und das „Einschreiten der Schutztruppe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ lediglich in § 1 des Schutztruppengesetzes einen vagen Rückhalt fand, hatte Staatssekretär v. Lindequist vom Gouverneur 340 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.76, Kohler an stellv. Gouv, 22.1.13 [Herv.i.O]; Bl.77, Vermerk Blumhagen, 28.1.13; vgl. Kitzinger, 1913, S. 166 f. 341 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.73, ILP an stv. Gouv, 7.1.13: Vorschrift v. 23.3.99, Abs. I 1e.

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Ergänzungen gefordert. Als Richtlinie gab er 1910 vor, dass der Einsatz des Militärs „nur in Fällen dringendster Gefahr, wenn polizeiliche Hilfe nicht zu erlangen ist … und nur, wenn die Gefährdung des Lebens Weißer in Frage kommt, zulässig“ sein dürfe.342 Das Kommando der Schutztruppe widersprach dieser Einschränkung der „Voraussetzungen des Waffengebrauchs“ und betonte eine polizeiliche Funktion des Kolonialmilitärs. Sei doch die Schutztruppe „ – im Gegensatz zur Armee –, in erster Linie nicht zur Abwehr äußerer Feinde, sondern zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ bestimmt. Weil bei „den weiten Entfernungen, der mangelnden Verbindung und der für die Größe des Landes geringen Polizeimacht – die Unterlassung des Einschreitens“ schwerere Folgen als in der Heimat haben könnte, forderte das Kommando „nicht eine Einschränkung, sondern im Gegenteil eine Ausdehnung der Berechtigung zum Einschreiten.“343 Auch der Inspekteur der Landespolizei wollte militärisches Eingreifen nicht auf die Gefährdung Weißer beschränkt wissen. Deutlich zeigt sich darin die Einsicht Bethes, allein und mit den bestehenden Vorschriften nichts ausrichten zu können gegen die „Banden“. Er hielt einen Einsatz der Schutztruppe für erforderlich bei allen „Unruhen“ – bei denen das „Leben Weißer stets gefährdet“ sei –, oder wenn polizeiliche Hilfe „nicht zu erreichen ist“, „zu spät eintreffen würde“ oder die „Polizeikräfte nicht ausreichen.“ Nur die rechtliche Zwitterstellung der Inspektionsoffiziere der Landespolizei, die einer Zivilinstitution vorstanden, gleichwohl aber aktive Offiziere des Heeres oder der Schutztruppe blieben, sorgte für Streit. Nach der Vorschrift von 1820 ging „die Anordnung und Leitung der Sache [- der „Unterdrückung von Unruhen“ -] allein auf den Militär-Befehlshaber über“. Dieser Unterordnung des Zivils unter das Militär stand hier ,entgegen‘, dass die Inspektionsoffiziere „fast alle längere Zeit in der Schutztruppe tätig gewesen [sind]. Man darf also von ihnen dasselbe Verständnis im Umgang mit Eingeborenen erwarten und dieselbe den hiesigen Verhältnissen angepaßte militärische Ausbildung ohne weiteres voraussetzen, wie von den Offizieren der Schutztruppe.“

Die Inspektion wollte daher die „Leitung der Sache“ auf den „dienstältesten Offizier“ übertragen wissen, während der Kommandeur v. Heydebreck eine Unterordnung jüngerer Schutztruppenoffiziere unter Inspektionsoffiziere der Landespolizei verhindern wollte. Diesen Ansprüchen der Schutztruppe, nach wie vor auch „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bestimmt“ zu sein, konnte sich der Gouverneur nicht vorbehaltlos anschließen. Seien doch mit der Gründung der Landespolizei „Aufgaben polizeilicher

342 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.7, RKA an Gouv, 9.12.10; vgl. Zimmerer, 2004, S. 230 – 6. 343 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.9, KdoSchTr an Gouv, 9.3.11.

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Natur auf die Landespolizei übergegangen.“344 Auch zögerte er, eine Regelung des Waffengebrauchs der Schutztruppe auf dem Verordnungswege durch das RKA oder den Kaiser zu erwirken. In einer später gestrichenen Passage an das RKA hieß es zur Begründung: „Die Vorarbeiten zu einer solchen Vorschrift für die Schutztruppe würden zweifellos Erörterungen der für den Waffengebrauch des Militärs geltenden Bestimmungen hervorrufen, die an Allerhöchster Stelle sowohl, als auch bei den zuständigen Dienststellen der Heimat im jetzigen Zeitpunkt [1911] kaum erwünscht sein dürfte.“

Auch sei die Frage nicht „derartig brennend, daß sie nicht durch Sonderbestimmungen auch jetzt schon zur Zufriedenheit geklärt werden könnte.“ Vor allem aber waren der Gouverneur und die Spitzen von Schutztruppe und Landespolizei in Anbetracht des Unvermögens der Sicherheitsorgane, die „Bandenbildung“ und die damit einhergehenden „Viehdiebstähle“ mit Hilfe der bisherigen Bestimmungen unter Kontrolle zu bringen, zu dem Ergebnis gekommen, dass nur eine erhebliche Verschärfung des Schußwaffeneinsatzes zu einer Lösung dieses Problems führen könne; was in der Polizei-Verfügung gegen „Buschmänner“ von 1911 zum Ausdruck kam. Da für Schutztruppenpatrouillen nichts anderes gelten konnte, war Seitz’ Sorge vor den „Erörterungen“, vor denen er den Kaiser und die „Dienststellen in der Heimat“ bewahren wollte, verständlich. Während eine interne Bestimmung nicht über die Polizei- und Militärkreise, geschweige denn über die Landesgrenzen hinaus bekannt werden musste, hätte eine Verordnung ihren Weg, wenn nicht in das Reichsgesetzblatt, so doch in die Sammlungen zum Kolonialrecht gefunden. Dort wäre sie jedem Kritiker des deutschen Kolonialengagements zugänglich gewesen und hätte, angesichts ihrer Brutalität, zu jenen „Erörterungen“ geführt, die Seitz vermeiden wollte. Der Gouverneur regelte deshalb nicht den „Waffengebrauch der Schutztruppe“, sondern beließ es bei „Bestimmungen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Schutzgebiet und über die Verwendung der Schutztruppe zu diesem Zweck“. Dieser wurde zwar der Polizei als „Hauptaufgabe“ zugewiesen, doch war das Militär heranzuziehen, falls die Polizeikräfte nicht ausreichen sollten. Nicht allein Gouverneur und Amtschefs konnten die Schutztruppe zum Einschreiten veranlassen; auch eigenständig konnte die Truppe, selbst auf private Informationen „über das Auftreten von Räuberbanden“ hin, einschreiten, wenn eine Verbindung mit dem Amt nicht möglich war.345 Angesichts der kolonialstaatlichen Schwäche sollte das Konkurrenzverhalten beider Sicherheitsinstitutionen eingeschränkt und statt-

344 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.12 – 14, ILP an KdoSchTr, 9.4.11; Bl.15, KdoSchTr an ILP, 19.4.11; Bl.16 – 19, Gouv an RKA, 15.5.11. 345 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.33 – 35, Gouv an RKA, 6.11.11, Konzept, Bl.25, 6/1911; Bl.31, Bestimmung. Gouv, 24.10.11.

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dessen kooperiert werden, was zu einer Vermischung der Aufgaben von Polizei und Schutztruppe führte. Über den militärischen Waffeneinsatz bei solchen polizeilichen „Massnahmen“ fehlten jedoch weiterhin klare Bestimmungen, die den Vorstellungen von Gouvernement und Schutztruppe entsprachen. Im April 1912 erbat der Kommandeur für seine Truppe die gleichen Befugnisse, wie sie der Polizei gegen „Buschmänner“ erteilt worden waren. Das Gouvernement schloss sich dieser Bitte, auf Flüchtende schießen zu dürfen, gegenüber dem RKA an und ersuchte, den „Zustand der Rechtsunsicherheit“ zu beenden – denn es sei „zweifelhaft“, ob der Waffengebrauch auf gesetzlichem oder dem Verordnungswege geregelt werden konnte. In Berlin zeigte man Verständnis: Durch Kaiserliche Verordnung wurden im Dezember 1912 die Bestimmungen des Preußischen Gesetzes über den Waffengebrauch des Militärs von 1837 im Schutzgebiet eingeführt und der Gouverneur ermächtigt, „Zusätze über den Waffengebrauch der Schutztruppe gegen Eingeborene anzuordnen.“346 Der Waffeneinsatz gegen „Räuber“ schien derart unverzichtbar, dass das Gouvernement ihn auf eine sichere rechtlicher Grundlage gestellt wissen wollte und ein Bekanntwerden der Verordnung in Kauf nahm.347 Die Neufassung des kolonialpolizeilichen Schusswaffengebrauchs 1914 Der polizeiliche Schusswaffeneinsatz aber war noch immer nicht zweifelsfrei geregelt. Doch Staatssekretär Solf hielt im Oktober 1913 bei der Neuorganisation der Polizei eine Bestimmung über den Waffengebrauch in den „Ausführungsbestimmungen betr. die Rechtsverhältnisse der Landespolizei“ für entbehrlich: „Das Recht zum Waffengebrauch folgt unmittelbar aus dem Wesen der Polizei, welche alle Mittel anzuwenden befugt ist, die notwendig sind, die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten.“ Der Erlass einer Dienstanweisung blieb dem Gouverneur unbenommen.348 Am 4. 2. 1914 gab dieser sie in einer Verfügung für Polizei, Militär, Zoll und Gefängnisaufseher bekannt. Ihre Bestimmungen zeugen von den in den vergangenen Jahren auf den Patrouillen gemachten Erfahrungen. Ohne den Schusswaffeneinsatz schien den Patrouillen gegen „Viehdiebe“ und „Räuberbanden“ kein ,Erfolg‘ beschieden. Die Verfolgten konnten sich regelmäßig durch Flucht ihrer Ergreifung entziehen, wenn sie nicht durch den Schusswaffeneinsatz gehindert wurden. Die Beamten, die die Bestimmungen der Dienstanweisung von 1909 über Jahre hinweg auf den Patrouillen übertreten hatten – ohne dass ihnen daraus je ein Vorwurf gemacht worden wäre –, waren nun rechtlich abgesi346 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.38, KdoSchTr an Gouv, 17.4.12; Bl.44, Gouv an RKA, 13.5.12; Bl.70, VO v. 23.12.12; vgl. zur Situation in Preußen Johansen, 2005. 347 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.78, KdoSchTr an Gouv, 28.2.13; ebd. Bl.111. 348 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl. 93, StS RKA an Gouv, 23.10.13; BAB R 1002/47, Bl.128 – 143, RKA an Gouv 9.1.14; Bl.146 – 152, Entwurf RK Verf.

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chert. Neben dem Schusswaffengebrauch in Notwehrsituationen waren sie nicht nur zum Schießen auf entfliehende Gefangene berechtigt, sondern auch befugt auf „entfliehende, auf der Tat betretene Mörder, Räuber und Viehdiebe, die trotz Aufforderung nicht stehen“, zu schießen – offen blieb, wie diese Qualifizierungen vor dem Schuss in Erfahrung zu bringen waren. Patrouillen durften von der Waffe Gebrauch machen, wenn „sich ein Eingeborener trotz der Aufforderung zum Stehen der Ergreifung durch die Flucht zu entziehen sucht.“ Polizeidiener durften „nur gegenüber Eingeborenen die Waffe gebrauchen.“349 Justiziar Kohler hatte sich mit seinen Bedenken nicht durchgesetzt. Dennoch war der Inspekteur Bethe, der vier Jahre für diese Verschärfung gestritten hatte, nicht zufrieden. Ihm ging es darum, die polizeilichen „Befugnisse dem Mord-, Raub- und Diebs-Gesindel gegenüber soweit als möglich auszugestalten.“ Er wollte daher für die Polizeibeamten die gleichen Rechte erreichen, wie sie die Schutztruppe erhalten hatten. Schutztruppler waren nach der Verfügung vom gleichen Tag berechtigt, die Schusswaffe gegen „Eingeborene“ einzusetzen, die sich durch Flucht ihrer Festnahme entziehen wollten – ohne dass diese „Mörder, Räuber oder Viehdiebe“ sein mussten oder während einer „besonders angeordneten Streife“ angetroffen wurden. Diese Bestimmung gab den Schutztruppen-Patrouillen „eine Gewalt, die nach Ansicht des Herrn Justizreferenten [Kohler] eigentlich nur erteilt werden kann, wenn bezw. solange die Leitung in der Hand eines Offiziers liegt.“ Doch wies v. Heydebreck darauf hin, dass die Patrouillen sich oft teilen m ü ssten und daher auch „gerade die kleine von Unteroffizieren oder Gefreiten gef ührte Patrouille mit den Eingeborenen zusammentrifft“ – und schie ß en wü rde. Gouvernement und Kommando waren sich einig, dass dem Offizier „aus solchem Zufall kein Vorwurf gemacht werden k ö nne.“ Auch Inspekteur Bethe legte großen Wert auf die Feststellung, dass ein Offizier wohl kaum bei jeder einzelnen Patrouille anwesend sein kann und die Entscheidung zum Schusswaffeneinsatz den Unteroffizieren oder Gefreiten selbst überlassen bliebe. Diese aber wären als Soldaten zu einer solchen Entscheidung nicht annähernd so befähigt, wie die „jahrelang im Patrouillendienst gegen Eingeborene verwendeten“ Polizeibeamten. „Missgriffe“ seien „eher von Schutztruppen-Patrouillen, als von Polizeibeamten zu erwarten.“ Das Erfordernis für Polizeibeamte, die Schusswaffe gegen flüchtende „Eingeborene“ nur auf Patrouillen richten zu können, die Gouvernement oder Ämter angeordnet hatten, führte nach Bethe zu der Schwierigkeit, dass Beamte auf Routine-Patrouille auf eine Anweisung des Amts warten müssten, um schießen zu können. Das Gouvernement jedoch, so schrieb Justiziar Kohler, konnte sich zu einer abermaligen „Erweiterung … nicht entschließen …, da … daraus auch eine Gefahr für das

349 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.94, Dienstanweisung Waffengebrauch Polizeibeamte, 4.2.14.

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Leben der Eingeborenen sich ergeben könnte.“ Er erachtete bei Streifen „die Befugnisse des Militärs und der Polizeibeamten im wesentlichen … gleich“.350 Die Veröffentlichung im Amtsblatt für DSWA verzögerte sich allerdings – und so die Veröffentlichung im Deutschen Kolonialblatt, weil, wie sich das Gouvernement gegenüber Staatssekretär Solf rechtfertigte, „zur Zeit der Erlassung der Verfügung die Frage des Waffengebrauchs der Truppe in Deutschland lebhaft aus Anlaß der Zaberner Vorfälle erörtert wurde und weil zu befürchten war, dass die Bestimmungen über den Waffengebrauch der Schutztruppe, die über die heimischen Grundsätze erheblich hinausgehen, von unberufener Seite einer abfälligen Kritik unterzogen und Euere Exzellenz dadurch unerwünschten Angriffen möglicherweise ausgesetzt worden wären.“351

In Windhoek war man über die Vorgänge und die Aktualität des Waffengebrauchsrechts in Deutschland nur halb im Bilde. Kommandeur v. Heydebreck wollte vom ehemaligen Gouverneur v. Schuckmann wissen: „Was hast Du denn zu Zabern gesagt? … Ich konnte die Zeitungen nicht lesen. So eine … elsässische Wäcke wird da zu einem richtigen afrikanischen Elephanten aufgeblasen“. Ein Anheizen des Skandals unter kolonialen Vorzeichen war zu vermeiden. Die koloniale „Belagerungsmentalität“ war im Schusswaffengebrauchsrecht so greifbar geworden, dass der Distriktschef von Bethanien sich um Berichte sorgte, nach denen „im heimischen Blätterwalde der Buschmannkrieg fertig“ wäre.352 Die Vorschriften zum Waffengebrauch in der Kolonie lagen jenseits aller konservativen Wunschvorstellungen für die Verfolgung „Aufständischer“ in „insurgierten Städten“. Die Vorlage einer drohenden Rückwirkung des Kolonialrechts auf die heimische Rechtsordnung wollte die Kolonialverwaltung Sozialdemokraten und anderen Kolonialkritikern nicht liefern; zumal der Kronprinz, wie bekannt war, von den Elsässern, die nicht nur v. Heydebreck „Wäckes“ nannte, als den „Herren Eingeborenen“ gesprochen hatte.353 Eine großzügigere Handhabung des Schusswaffengebrauchsrechts beschwor die Gefahr von Exzessen herauf, die zu vermeiden dringliches Anliegen des Gouvernements sein musste – Berichte von Übergriffen hätten über Briefe oder die Presse ihren Weg in den Reichstag gefunden. Die Anwendung der Schusswaffe war auf Patrouillen, selbst im Kerngebiet der deutschen Herrschaft, keine Seltenheit. Flüchtende wurden dabei mitunter erschossen. Das Gouvernement drang darauf, dies zu vermeiden. In deutlichen Worten hieß es etwa an das Distriktsamt Okahandja, dessen Polizisten 1914 den „Herero Paul“ erschossen hatten: Es erschien 350 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.99, ILP an Gouv, 24.1.14; Bl.97, Vermerk. Gouv an ILP, o.D; Bl.113, KdoSchTr an Gouv, 9.2.14. 351 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.104, Gouv an RKA, 9.6.14; Südwestbote, 11. Jg., 14. 1. 1914, S. 1. 352 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl.176, DA Bethanien an Hpt. Wilm, 5.4.12. 353 BAB N 2272/1, Bl. 28 – 30, v. Heydebreck an v. Schuckmann, 9.2.14; Wehler, 1995, S. 1127.

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„zweifelhaft …, ob es zweckmäßig war, dass die Patrouille, als die Eingeborenen die Flucht ergriffen, in der Weise von ihrer Waffe Gebrauch machte, dass ein Eingeborener dabei getötet und ein anderer verwundet wurde. … Es darf nicht vergessen werden, dass der Zweck derartiger Patrouillen, die Gewinnung von Arbeitskräften, überhaupt illusorisch wird, wenn bei solcher Gelegenheit Eingeborene getötet werden.“354

Die Todesstrafe Von der Polizei nicht erschossene, sondern festgenommene „Räuber“ kamen in ein „Eingeborenengefängnis“. Dort hatten sie ihren Prozess vor dem Leiter der örtlichen Polizeibehörde als „Eingeborenenrichter“, dem Bezirksamtmann, abzuwarten. Dieser konnte durch ein mit Beisitzern besetztes „Eingeborenengericht“ neben Prügel- und Gefängnisstrafe auch vom Gouverneur zu bestätigende Todesurteile verhängen. Nach einem solchen Todesurteil erging an das Distriktsamt Maltahöhe die Ermahnung, dass „der Bezirksamtmann bei schweren Verbrechen [statt einem] mehrere angesehene Eingeborene zuzuziehen“ hätte. „Durch die Zuziehung von Eingeborenen zu den Gerichtsverhandlungen sollen dieselben Vertrauen zu der Rechtsprechung des weissen Richters gewinnen. Es soll dadurch ferner auch dem weissen Richter Gelegenheit gegeben werden, die Rechtsanschauung der eingeborenen Bevölkerung kennenzulernen und sie bei der Urteilsvollziehung zu berücksichtigen.“355

Zwar wurden „Mörder“ und „Räubermörder“ sowie „politische Verbrecher“, wie im Deutsche Reich, hingerichtet. Doch gingen andere Straftatbestände, für die in der Kolonie die Todesstrafe verhängt wurde, über die Bestimmungen des RStGB, die „sinngemäss Anwendung“356 finden sollten, deutlich hinaus. Während die „absolute Androhung“ der Todesstrafe für vier Straftatbestände in Deutschland umstritten war und stattdessen eine „Allmählichkeit in der Progression der Strafsätze“ gefordert wurde, verhielt es sich in der Kolonie umgekehrt: Jene „Progression“ mit der Todesstrafe an der Spitze wurde für (von Afrikanern erfüllte) Straftatbestände eingeführt, für die das RStGB die Höchststrafe nicht annähernd vorsah.357 354 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.132, Gouv an DA Okahandja, 4.8.14 [Ref.2]. 355 NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.54, Gouv an DA Maltahöhe, 11.4.13; § 13 Verf LHpt v. 8. 11. 1896 wegen Ausübung der Strafgerichtsbarkeit, vgl. Zimmerling, 1995, S. 85. 356 NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.27, Gouv Todesurteil, 1.5.12. 357 Katzenstein, 1902, S. 8 FN 10; Liszt, 1911, S. 259 zählt, abgesehen vom Militärstrafrecht, vier Fälle auf, in denen die Todesstrafe Anwendung finden konnte: „1. Als Strafe des vollendeten Mordes (§ 211 StGB). 2. Als Strafe des Mordes und Mordversuchs an dem Kaiser. 3. Als Strafe des vorsätzlichen Mißbrauchs von Sprengstoff durch den der Tod eines Menschen herbeigeführt wurde (§ 5 III SprengstoffG 1884). 4. Als Strafe der Veranstalter und Anführer eines zum Zwecke des Sklavenraubes unternommenen Streifzuges, wenn durch diesen der Tod einer der Personen, gegen welche der Streifzug unternommen war, verursacht worden ist. (§ 1 II SklavenraubG 1895)“ Auch fand die Todesstrafe bei Eintritt des Kriegsrechts „[e]rweiterte Anwendung“.

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In Europa und den USA war der ,Sinn‘ der Todesstrafe wegen ihrer „ganz abnormen Stellung“ unter den Strafmitteln im Verlauf des 19. Jahrhunderts so umstritten, dass manche Staaten, darunter auch Mitglieder des Deutschen Bundes, sie vor 1870 abgeschafft hatten. Die Abgeordneten des Norddeutschen Bundestags beugten sich erst unter Druck dem „Gewaltmensch Bismarck“: Nur mit knapper Mehrheit wurde die Todesstrafe in das (nord-)deutsche Strafgesetzbuch (§ 13) eingefügt. Ihre Bedeutung nahm ab: 1882 wurden 85 Todesurteile vollstreckt, 1897 noch 53.358 Die sich aus dieser Entstehungsgeschichte ergebenden Skrupel veranlassten in der Kolonie die Gouverneure jedoch nicht zu einer restriktiveren Anwendung der Todesstrafe. Aus diesem „veralteten Möbel“ (E. Lasker) war mit den Jahren auch in Deutschland eine von weiten Teilen der Gesellschaft akzeptierte Strafform geworden, die „durch anderweitige kriminal-politische Zeit- und Streitfragen erheblich in den Hintergrund gedrängt ist“.359 Während in Deutschland eine „drastische Zunahme [von Hinrichtungen] Anfang der 1890er Jahre“ zu verzeichnen war, hatte Gouverneur Leutwein mehrfach „Aufständische“ zum Tode verurteilt.360 Nach den Kriegen waren es vor allem Eigentumsdelikte, die, wenn bewaffnet ausgeführt, für todeswürdig erachtet wurden. Gouverneur Seitz bestätigte ein Todesurteil, das der Bezirksamtmann in Rehoboth in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt sehen wollte, da der Sträfling Uwrichab nicht mehr im Rehobother Gefängnis einsitze und daher dort von der Hinrichtung keine abschreckende Wirkung ausgehen würde. Dies erschien dem Gouvernement „nicht angängig, da die Abschreckung nicht der Hauptzweck der Strafvollstreckung ist.“ Uwrichab, „der Führer einer Bande …, die im Besitz von Waffen [Pfeil und Bogen, Buschmesser] war“, wurde wegen einer Reihe von Viehdiebstählen gehenkt.361 In einem anderen Fall wurde die Todesstrafe vollstreckt, „obwohl eine Bestrafung nach dem Strafgesetzbuch nur wegen schweren Diebstahls und Nötigung hätte erfolgen können“ – wie ein Referent im Entwurf des Todesurteils hervorhob. Der unterzeichnende stellvertretende Gouverneur Hintrager strich diesen Satz.362 Der Maßstab dieses „hard line official[s]“ für die Angemessenheit der Todesstrafe wird aus seinen Urteilen nicht ersichtlich: Bei ihm weniger schwer erscheinenden Verbrechen beanstandete Hintrager durchaus, dass eine „Strafe über das im Strafgesetzbuch vorgesehene Höchstmaß hinaus[ging]. Mit Rücksicht darauf, daß das Eingeborenengericht, abgesehen von beson358 Liepmann, 1912, S. 6, 112 – 116; Katzenstein, 1902, S. 2; S. 20 FN 33; Stern, 1909, S. 11;S. 18/17.; Evans, 2001, S. 410 – 431; Kesper-Biermann, 2004, S. 58; Gay, 1996, S. 200; 203 f.; Fleckenstein, 1992, S. 26; Liszt, 1911, S. 257, 1912. 359 Zit. nach Stern, 1909, S. 10; Katzenstein, 1902, S. 1, vgl. Gay, 1996, S. 223; Lüdtke, 1998. 360 Evans, 2001, S. 487; NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.2a, Bl.81, Jb Gibeon, 1.7.97. 361 NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.18, Gouv Todesurteil, 15.4.12; Bl.20, BA Windhuk an Gouv, 17.4.12; Roscher, 1912, S. 210; Liszt, 1911, S. 260. 362 NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.31, Gouv Todesurteil, 16.8.12 [Entwurf Ref. 3].

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deren … Ausnahmefällen sich an den Strafrahmen des Strafgesetzbuchs halten soll,“ legte Hintrager eine „Begnadigung“ zu der nach deutschem Recht üblichen Strafdauer nahe.363 Als das „Eingeborenengericht“ Grootfontein gegen mehrere San wegen eines Raubüberfalls auf Ovambo die Todesstrafe verhängte, war das um Bestätigung gebetene Gouvernement über die „flüchtige Art und Weise“ der Prozessführung, die über grundsätzliche Bestimmungen hinwegging, verstimmt. Es waren keine Beisitzer hinzugezogen, Zeugen nicht vernommen worden, der Dolmetscher war unzuverlässig und das Protokoll über die Hauptverhandlung entsprach „nicht den an solche Urkunden zu stellenden Anforderungen.“ Hintrager vermerkte knapp: „diese Justiz ist mir für Todesurteile zu oberflächlich“. Die Bitte um Bestätigung eines anderen Urteils versah er mit der Bemerkung: „unglaublich flüchtig und leichtfertig!“ Trotz der schweren Bedenken wurden die Todesurteile bestätigt, da die Angeklagten geständig waren.364 Im Reichstag sahen sich die Kolonialbeamten deswegen heftiger Kritik ausgesetzt. G. Noske erachtete ihre Urteilspaxis für exzessiv : „Eine solche Hängekultur [„wenn man am Tag vor Weihnachten Leute wegen Diebstahls aufhängt“ – so geschehen in Kamerun] ist eine Schande. Die Eigentumsbegriffe der Neger sind andere als unsere. Wenn die deutsche Verwaltung dazu übergeht, Neger wegen Diebstahl zu hängen, dann bedeutet das einen Rückfall in die Barbarei vergangener Jahrhunderte. Selbst wenn bei Negern Todesstrafe auf Diebstahl gesetzt wäre, bestände die Pflicht der deutschen Verwaltung darin, sie mildere Sitten zu lehren, anstatt Strafen zu verhängen, die dem Rechtsempfinden, das bei uns im Lande gilt, in flagrantester Weise ins Gesicht schlagen.“365

Eine Berechtigung war Noskes Kritik nicht abzusprechen. Die gegen Viehdiebe verhängten Strafen wurden, je länger die deutsche Kolonialherrschaft währte, umso härter. Während 1900 fünf in Gobabis zur Verhandlung gekommene Viehdiebstähle mit „durchschnittlich“ „1 – 2 Monaten Gefängnis mit Zwangsarbeit“366 bestraft wurden, verhängten „Eingeborenenrichter“ dafür 1914 „nicht selten“ die Todesstrafe. „Diese Strafe pflegt hier endgültig verhängt zu werden“, so das Gouvernement, „wenn es sich um Bandenführer oder Viehdiebe, die sich sehr lange im Busch herumgetrieben und Waffen bei sich geführt haben, handelt.“ In „weniger schwere[n] Fälle[n]“ wurde die Todesstrafe in eine Verbannung umgewandelt.367 Trotz der deutlich häufiger angewandten Todesstrafe zeigten sich manche Siedler unzufrieden. Der Bezirksverein Omaruru beklagte im Juli 1907 die Unsicherheit der Farmer „in Bezug auf ihr Verhalten Eingeborenen Vieh363 364 365 366 367

Schwirck, 2002, S. 105 F 80; NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.74, Gouv an BA Gibeon, 22.5.13. NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.84 Gouv an BA G’tein, 17.11.13; Bl.88 BA G’tein, 15.10.13. SBRT, Bd. 265, 12. Leg.Per. 2. Sess. 1909/11, 155. Sitzung, 23.3. 1911, S. 5815. NAN ZBU 148, A VI a 3, Bd.5, Bl.117, Übersicht, 1899/00, 2.6.00. NAN ZBU 716, F V p 1, Bl.2, Gouv an StS RKA, 12.8.13.

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dieben gegenüber“ und bat das Distriktsamt um „Normen“ für folgende Fälle: „bei Überraschen von bewaffneten oder unbewaffneten Dieben in der Nacht – bei der Verfolgung – bei Widerstand gegen versuchte Verhaftung oder bei Überzahl der Diebe“. Der Referent im Gouvernement v. Jordan hielt es für „wünschenswert, wenn die z. Zt. bestehenden rechtlichen Bestimmungen eine Handhabe böten, um eingeborene Viehdiebe ohne weiteres abschießen zu lassen.“ Er musste sich aber vom Justiziar erläutern lassen, dass eine solche Norm „bis jetzt nicht existiert.“ Durch die wenig später veröffentlichten Verordnungen über Passzwang und Kontrolle der Afrikaner hatte sich die Anfrage „erledigt“.368 Eine Handhabe zum ,Abschießen‘ boten sie freilich nicht. Als der Farmverein Gobabis bemängelte, dass Viehdiebstähle nicht die nötige Sühne fänden und sich 1912 dafür aussprach, „daß Buschleute, die beim Viehdiebstahl erwischt … werden, der Todesstrafe verfallen und diese vom Kaiserlichen Distriktsamt sofort ausgeführt werde“, hielt Distriktschef Runck die „Zumutung, wegen Mundraub über Eingeborene die Todesstrafe zu verfügen [für] eine kaum ernst zu nehmende Forderung“. Er rechtfertigte die Diebstähle „mit dem Mangel an Feldkost infolge des sehr trockenen letzten Jahres“.369 Wie die Ausführungen des Justiziars Kohler und seine Bezüge auf das deutsche Polizeirecht zeigen, wurde die Tendenz zur Hegung polizeilicher Gewaltmittel ernst genommen. Die für Deutschland konstatierte „Einbindung des Wertes körperlicher Unversehrtheit in das polizeiliche Gewalthandeln“370 findet sich auch in der Kolonie wieder. Dem entgegen stand während der mehr als fünf Jahre dauernden Diskussion um die Verschärfung des Schusswaffeneinsatzes die Wahrnehmung eines ,Ausnahmezustands‘, der in der kolonialen Situation die Abweichung von heimischen Rechtsgrundsätzen legitimieren sollte. Der Grund für die Verschärfung des Schusswaffengebrauchsrechts war das Unvermögen des Kolonialstaats, unter Beachtung der aus Deutschland übernommenen Vorschriften die Kolonie zu polizieren.371 Zugleich verweist die lange Dauer der Diskussion darauf, dass mit Blick auf Gerichte und Reichstag rechtsstaatliche Anforderungen nicht außer Acht gelassen werden konnten. Mit der neuen Dienstanweisung zeigte sich der Inspekteur der Landespolizei nicht restlos zufrieden. Sie war ein Kompromiss, der entlang der kolonialen Trennlinie zwischen den „Rassen“ die kolonialstaatliche Schwäche durch ein – rechtlich abgesichertes – Mehr an Gewalt kaschieren sollte. Die Aufmerksamkeit der Kolonialverwaltung war auf die Schaffung staatlich garantierter Sicherheit gerichtet, die den Siedlern gegen „Banden“ nach wie vor nur un368 NAN ZBU 715, F Vo 2, Bd.1, Bl.173a, BezVerein Omaruru an DA Omaruru, 7.7.07; ebd, Jordan, 22.7, Justiziar, 11.8.07. 369 NAN ZBU 715, F Vo 2, Bd.2, Bl.49a, Farmverein Gobabis an Gouv, 11.2.12; DA Gobabis an Gouv, 20.4.12. 370 So T. Lindenberger, vgl. Niedermeier, 2006, S. 91. 371 Vgl. Rosikat, 1916, S. 62.

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zureichend gewährt werden konnte. Andere Bedingungen bedurften in dieser Lesart anderer Lösungen. Es wurde daher von der Inspektion der Landespolizei mit einer ,Rationalität der Sicherheit‘ argumentiert, deren Legitimität sich nicht aus einem rechtlichen Rahmen ergab, der auf den rechtsstaatlichen Anforderungen der metropolitanen Ordnung beruhte, sondern auf der Wirksamkeit; dem Resultat des Vorgehens gegen jene, die dem deutschen Herrschaftsanspruch zuwider handelten. Die verschärfte Anwendung der Todesstrafe entsprach diesem Geist. Sie sollte als Symbol gesteigerter Härte gegen Afrikaner dienen und war damit eher eine Botschaft an die Siedler denn ein wirkungsvolles Strafinstrument: In der Kolonie sei die „Abschreckung nicht der Hauptzweck der Strafvollstreckung“, hatte O. Hintrager betont.372 Was für Deutschland konstatiert wurde, erweist sich auch für seine Kolonie als richtig: „Wieder einmal diente die Todesstrafe eher als Symbol für die Intentionen des Staates denn als Instrument der Strafrechtspolitik.“373

4.5. Wiederbegegnung mit ,alten Bekannten‘. Patrouillen gegen „Viehdiebe“ und „Räuberbanden“ „Ein verhältnismäßig häufiges Delikt der Eingeborenen bildet in diesem Lande der Viehdiebstahl. Da das Vieh gewöhnlich den hauptsächlichsten Teil des Vermögens der weißen Bevölkerung ausmacht, führen diese Diebstähle zu einer starken Beunruhigung der weißen Bevölkerung, namentlich, wenn es sich um Großvieh handelt. Es ist auch nicht zu verkennen, daß Viehdiebe eine große Gefahr für das Land sind. Sie schließen sich gewöhnlich zu Banden zusammen und suchen vom Busch … aus die ganze Umgebung heim. Die Erfolge machen sie dreist. Gelingt es ihnen, sich in den Besitz von Waffen zu bringen, so entsteht eine politische Gefahr. Solche Banden können auf den Zulauf von Eingeborenen eines großen Bezirks rechnen. Denn die Zahl der unzufriedenen Farbigen ist groß und die Lust am Buschleben ist beim Hottentotten namentlich nicht auszurotten.“374 „Der Räuber ist ein Held, ein Verteidiger, ein Retter des Volkes. Er ist der unversöhnbare Feind des Staates und der vom ganzen Staat errichteten sozialen und bürgerlichen Ordnung“.375

Der „Räuber“ kann zum Feind des Staats und seiner Ordnung erst werden, nachdem diese errichtet ist. Zuvor schon macht er sich dem zum Feind, dessen Habe er entwendet. Die durch eine staatliche Ordnung herbeigeführte Veränderung ergibt sich aus der Verfolgung des Raubes, die keine persönliche 372 373 374 375

NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.18, Todesurteil, 15.4.12; Bl.20, BA Windhuk an Gouv, 17.4.12. Evans, 2001, S. 448. NAN ZBU 716, F V p 1, Bl.2, Gouv an StS RKA, 12.8.13. Michail Bakunin: Die Aufstellung der Revolutionsfrage, 1869, zit. nach: Stuke, 1972, S. 98.

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Angelegenheit des Geschädigten mehr ist, sondern Aufgabe des Staates wird, die seinen bewaffneten Organen übertragen ist. Eine Neuerung der Kolonialzeit war die Wegnahme des Viehs einer Gruppe durch eine andere nicht. Viehdiebstahl war als individuelles, politisches und wirtschaftliches Problem im südwestlichen Afrika älter als die deutsche Herrschaft. Die vorkolonialen Konfliktlinien ergaben sich, wie B. Lau und D. Henrichsen in ihren Untersuchungen dargestellt haben, zu Teilen aus den Kriegs- und Raubzügen etwa eines Jan Jonker Afrikaaner oder Hendrik Witbooi gegen Ovaherero und ihre Viehherden. Henrichsen spricht von einer „Kriegs- und Raubzugkultur“. Rinder waren die bevorzugte Beute. Sie sicherten nicht nur Macht, Einfluss oder das nackte Überleben, sondern waren neben Jagdprodukten das wichtigste Handelsgut, mit dem Waffen und andere europäische Waren aus der Kapkolonie eingetauscht werden konnten. Nicht zuletzt als Antwort darauf hatte sich seit den „1860er Jahren eine Schießkultur unter Hereromännern“ entwickelt.376 Im Norden der Kolonie, auch wenn dort die Viehhaltung niemals den Stellenwert erlangte wie im Hereroland, hatten Herdenbesitzer mit ähnlichen Problemen zu kämpfen – sobald eine Anzahl von Tieren vorhanden war, mussten sie damit rechnen, von Nachbarn überfallen zu werden.377 Dieser Tradition des komando, einer bewaffneten Gruppe – nun „Räuberbande“ genannt –, darauf spezialisiert, schnell einen gegnerischen (Vieh-)Posten zu überwältigen und dessen Herden abzutreiben, vermochte Gouverneur Leutwein nur schwer Herr zu werden.378 Ebenso schwer aber wog jene Übertretung, die das RStGB in § 370 Nr. 4 als „Mundraub“ weitgehend straflos stellte: die Entwendung von Nahrungsmitteln in geringer Menge zum „alsbaldigen Gebrauch“. Im südwestlichen Afrika, dessen Bevölkerung auf Grund der naturräumlichen Bedingungen häufig keine Möglichkeit hatte, ihrer prekären Lage zu entkommen, war der Diebstahl von Vieh, der meist ebenso gut „Mundraub“ hätte genannt werden können,379 für viele eine schiere Notwendigkeit. Dass die Ursache für den Viehdiebstahl nicht nur eine – womöglich politisch motivierte – Schädigung der Kolonialherren oder die ,bequeme‘ Nahrungsbeschaffung ,arbeitsscheuen Gesindels‘ war, sondern das Abtreiben von Vieh im Hunger begründet sein konnte, war deutschen Beamten bekannt. So berichtete Stabsarzt Schöpwinkel über die Wirkung des Regens 1898 im seit mehreren Jahren von einer Dürre betroffenen Süden der Kolonie: „Seitdem besonders der letzte Regen zu wirken begann und nicht nur infolge Verbesserung der Weide der Milchertrag günstiger, sondern auch die sogenannte Feldkost, d. h. die verschiedenartigsten Wurzeln, Beeren, Kräuter etc., auf die be376 377 378 379

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Lau, 1987; Henrichsen, 1997, S. 266 – 299;388; Ders. 2008, S.76 f.; Gewald, 1999, S. 29 f. Vgl. Rudner, 2006, S. 39 f.; S. 136; Fleisch/Möhlig, 2002, S. 26. Henrichsen, 1997, S. 390; Trüpper, 2000, S. 40; Morrel, 1997, S. 174. Vgl. die Erläuterung in Schwarze, 1873, S. 791 zu § 370 Nr. 5.

sonders der vollständig besitzlose Teil der Eingeborenen angewiesen ist, reichlich wurde, verringerten sich die Fälle von Vieh-Diebstählen“.

Auch Bezirkschef Golinelli konnte nicht umhin die im Vergleich zum Vorjahr deutliche Abnahme von 156 auf 66 Verurteilungen wegen Viehdiebstählen im Südbezirk „auch zum Theil den günstigeren Weideverhältnissen und dem durch guten Regen hervorgerufenen größeren Vorrath von ,Feldkost‘ zuzuschreiben“ – führte sie aber in erster Linie auf die „strengen Maßnahmen“, die „freiwilligen Polizisten“ und die „Furcht vor langen Strafen“ zurück.380 Umgekehrt äußerte Oberleutnant v. Linsingen, der im Mai 1913 „eine Ovatjimbawerft von 30 Köpfen mit 130 Stück Kleinvieh aufgehoben“ hatte,381 einem Vorgesetzten gegenüber den möglichen Grund für die Viehdiebstähle: er „glaubt[e], dass die Eingeborenen in dem diesjährigen schlechten Regenjahre nicht genügend Feldkost und Wild im Gelände finden und daher zu Viehdiebstählen schreiten.“382 „Banden“ als Herausforderung kolonialstaatlicher Herrschaft „Bandenbildung“, wie es die Verwaltung formulierte, war das drängendste sicherheitspolizeiliche Problem der Kolonie. In Deutschland hatte die Zeit der „Räuberbanden“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „einen raschen Abschluss“ gefunden. „Banditen“, wie der um 1900 in der Dachauer Gegend auftretende M. Kneißl, konnten sich dem Staat gegenüber nur noch kurzfristig halten. Sie blieben Ausnahmeerscheinungen.383 Nicht der Raub, sondern der Diebstahl wurde „zum alles beherrschenden Delikt des 19. Jahrhunderts“ in Europa. Der Staat verwandte „enorme Energie“ auf seine Verfolgung.384 In der Kolonie sah sich die deutsche Verwaltung abermals mit Raubdelikten in großem Ausmaß konfrontiert. Neu war dort nicht das Phänomen an sich; neu war der Umfang, in dem dagegen durchgegriffen wurde, die Härte, mit der „Viehdiebe und Räuberbanden“ verfolgt wurden. Die ,historische‘ Beurteilung der „Banden“ in Kolonialgebieten ist notwendig eine politische. Während es sich aus der Sicht von Kolonialbeamten und Siedlern bei den ,Tätern‘ um Kriminelle handelte, die die strafrechtlichen Tatbestände von Diebstahl, Raub, Raubüberfall bis hin zu Mord und Raubmord erfüllt hatten, gelten sie heute in mitunter „eschatologischer“ Manier als Helden, die den ,nationalen Befreiungskampf‘ fortgesetzt und sich mutig den kolonialen Disziplinierungs- und Allmachtsansprüchen widersetzt hätten.385 380 NAN ZBU 147, AVI a 3, Bd.3, Bl.169, Ärztlicher Jb, 97/98, o.D.[~7/98]; Bl.373, Jb Südbezirk, 97/ 98, 30.7.98. 381 Keetmanshooper Zeitung I. Jg # 8, 12. 6. 1913, S. 2. 382 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 43, KdoSchTr an Gouv, 2.5.13. 383 Danker, 2001, S. 179; vgl. Evans, 1997, S. 66; Küther, 1987, S. 144; 51. Der Anteil der Raubkriminalität 1882 – 1914 betrug nach der Kriminalstatistik zwischen 1,3 und 1,6 % aller Verurteilungen: Raumer, 1937, S. 9; zur Statistik vgl. Reinke, 2000, S. 224 f. 384 Habermas, 2006, S. 27 f.; Liauzu, 2004, S. 112; Foucault, 1977, S. 104. 385 Liauzu, 2004, S. 111; Beispiele: Hinz, 1988, S. 82; Gordon, 1992, S. 6; Masson, 2001; Bühler,

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Angesichts dieser Neigung zur Hagiographie afrikanischer ,Freiheitskämpfer‘ bemerkte die Afrikanistin C. Coquery-Vidrovitch schon vor Jahren mit leiser Ironie, man sei geneigt, „to see these leaders as African Vercingetorixes and to make them out to be the fearless and irreproachable heroes of a supremely national history.“386 Wenn auch die Intention jener, denen Widerständigkeit von der Forschung bescheinigt wird, in den Vordergrund gerückt wird, so zeigt sich doch regelmäßig, dass die allzu deutliche Bewertung einer ,politischen‘ Widerständigkeit Handeln und Intention der Akteure überfordert – so weit darüber anhand der Quellen eine Aussage möglich ist.387 Fest steht: „Banditry was one of the few responses the peasants could make to the introduction of capitalism.“388 Selbstverständnis und Selbsteinschätzung jener, die der Kolonialstaat wegen Raubes verfolgte, bedürfen noch näherer Untersuchung, um zu zeigen, ob sie tatsächlich dessen „unversöhnbare Feinde“ waren.389 Wenn für Deutschland die „Aussicht auf Beute“ als das „wohl überwiegende Motiv des Räubertums“ beschrieben worden ist, so lässt sich ähnliches für die „Banden“ in der Kolonie formulieren. Auch dort war die Beute „nicht … unbedingt … das einzige“ Motiv.390 Es lässt sich ein zwischen Kriminalität und politisch motivierter Widersetzlichkeit changierendes Bild von ihnen entwerfen. Der Begriff der „social bandits“/Sozialrebellen scheint für einige der Gruppen angemessen. Dabei blieben, abgesehen von der eigentlichen Wegnahme, sonstige Merkmale offenen Aufbegehrens gegen die (koloniale) Ordnung selten. Nicht zuletzt die Kolonialherren selbst tendierten dazu, allzu schnell Widerstand und drohenden Aufruhr zu unterstellen: Noch ein „heller Feuerschein“ auf einer „Werft“ wurde so zum ominösen „Feuerzeichen“, das eine polizeiliche Meldung und Nachforschungen wert war.391 Doch: „Opposition to colonial rule took many forms. However, not all unrest nor even antigovernment activity should be regarded as necessarily anti-colonial despite the claims of certain nationalist historiographies.“392 „Banden“ und koloniale Männlichkeit Für die kolonialen Exekutivorgane, Polizei und Schutztruppe, bedeuteten die Maßnahmen gegen die „Banden“ eine erhebliche Belastung. Während der Lektüre der aus der Erinnerung verfassten Berichte393 über Patrouillen gegen Banden tut der Leser gut daran, nicht zu vergessen, dass „,Weichlichkeit‘ … in

386 387 388 389 390 391 392 393

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2003, S. 329 oder die Serie im Windhoeker Wochenblatt Informant: „History Series. /Haihab. The Legend of Erongo Mountains“, in: Informant, 25. 1. 2007, S. 11. Coquery-Vidrovitch, 1988, S. 67. Vgl. v. Walraven/Abbink, 2003, S. 8; vgl. Wirtz, 1998, S. 15. Coquery-Vidrovitch, 1988, S. 185. v. Wolputte/Verswijver, 2004, S. 204; Liauzu, 2004, S. 117; Gewald, 1999, S. 211. Küther, 1987, S. 145; vgl. Coquery-Vidrovitch, 1988, S. 185; Chatterjee, 2006, S. 96. NAN BWI 36, E 1 f, Meldung Polizei an BA Windhuk, 15.2.08. Killingray, 1997, S. 177. Vgl. zur Quellenkritik der Erinnerung Fried, 2004, S. 48.

jeder Beziehung verpönt [war]. Als erstrebenswert galten dagegen ,Mannhaftigkeit‘ und ,Draufgängerei‘.“394 „Zentral [war für die deutschen Zeitgenossen] die Vermittlung einer Identität von Mannsein und Soldatsein mit dem Ziel einer frühzeitigen Verinnerlichung des vaterlandstreuen Soldaten als Vorbild.“395 Zeichen des Zauderns und Zögerns, von Zaghaftigkeit oder Angst wird man vergeblich suchen; über sie zu spekulieren ist müßig; als menschliche Eigenschaft in fremder Umgebung, realen oder vermeintlichen Gefahren ausgesetzt, wird man sie voraussetzen dürfen. Mit P. Gay lässt sich die „Männlichkeitsideologie des 19. Jahrhunderts“ als „Geschichte der Regression auf hemmungslosere verbale Brutalität und militanteres Auftreten“ beschreiben, die „den unbekümmerten Griff zu den Waffen“ rechtfertigte.396 Die Patrouillenberichte legen davon Zeugnis ab. Ihre Patrouillen in die für die Kolonisatoren schwer zugänglichen Gebiete an der Peripherie des Kolonialstaats boten den Teilnehmern die Chance, sich selbst auch als Entdecker, wenn nicht Forscher zu erleben. Mit den (wenigen) dem deutschen Publikum in der Kolonie und in der Heimat zugänglich gemachten Berichten über die amtlichen Expeditionen konnte die deutsche Wahrnehmung des kolonisierten oder noch zu kolonisierenden ,Anderen‘ und der für den Entdecker so bedrohlich-fremd erscheinenden Umwelt vermittelt werden. Die schriftliche wie fotografische Darstellung einer faszinierenden Bedrohlichkeit der afrikanischen ,Wildnis‘, der ,Rückständigkeit‘ ihrer Bewohner und deren entbehrungsreiche Niederringung in „Kleinen Kriegen“ und para-militärischen Scharmützeln, die zugleich eine (zukünftige) Beherrschbarkeit von Landschaft und Menschen implizierten, kennzeichnete – in der Selbstwahrnehmung – einen spezifischen ,Heldentypus‘, der sich vom europäischen Soldaten ebenso unterschied wie vom ,herkömmlichen‘ Forschungsreisenden. Die für die Kolonisation typische Verbindung von ,Entdecken‘ und Erobern, die mit dem Eindringen in Gebiete, die „kein Weißer je gesehen hat“, ihren Anfang nahm und eine „Pazifizierung“ der Kolonie vorbereiten sollte, fügte der fotografischen oder literarischen Vereinnahmung des ,Fremden‘ durch Entdeckungsreisende eine militärische Komponente bei, die auf den Abenteuercharakter nicht verzichten musste. Wenn es etwa über den typischen Entdeckungsreisenden und Fotografen der National Geographic heißt, He „has always been and predominantly remains both, literally and symbolically a white man. And not just any white man, but the whitest and most masculine version possible: the great hunter / adventurer … free to roam the globe in search of visual treasure, flamboyantly virile in his freedom from observation and evaluation, and his bravery in entering the dangerous realms at the end of the earth, in continents still dark for most of his audience“, 394 Doerry, 1986, S. 170; 395 Dengel, 2005, S. 60; vgl. Conrad, 2003, S. 270; Morrel, 1997, S. 168; Frevert, 2003. 396 Gay, 1996, S. 144.

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so fragt es sich, als wie viel ,weißer‘, wie viel ,männlicher‘ noch der Reiter betrachtet werden musste, der am Kavango oder am Rand der Namib nicht allein beobachtet, Karten zeichnet und eventuell Fotos schießt, sondern an diesen ,Enden der Erde‘, Räumen, die, so konnte er sich gewiss sein, für sein heimisches Umfeld unerreichbar, ,dunkel und gefährlich‘ blieben, auch noch eine auf Waffen begründete Macht ausübte.397 Dieser Männlichkeitsideologie entsprechend wurde Härte an den Tag gelegt und dokumentiert: „Wer schwach ist, übersteigert die Gefährlichkeit überwundener Gegner und nimmt dadurch an Stärke zu.“398 So betonte der Hauptmann Wilms nach seiner Rückkehr aus der Namib, wie „überaus beschwerlich und anstrengend“ seine Streife gewesen wäre. Es „hatte kein Reiter mehr eine Sohle unter den Füßen“: „Die vielen Streifen zu Fuß in diesen endlosen Steinwüsten, deren düstere Einsamkeit, deren ärmlicher Pflanzenwuchs, deren Dürre und Wasserlosigkeit allein schon auf jede Stimmung drückt, die ständige Sorge um Wasser, die kalten Sturmnächte ohne Decken und ohne Feuer hoch oben in den Klippen, erforderten die ganze Kraft und den ganzen Mut, der vom Giftpfeil des Buschmanns stets belauerten Reiter.“

Die Männer berichteten daher von ihrer unnachgiebigen Härte. Die Verfolgung jener Gruppe, der man den Mord an einem Farmer anlastete, wurde „mit dem Erfolg fortgesetzt, daß die Buschleute nochmals eingeholt und ein Buschmann … durch den Polizeisergeanten Schwarzott erschossen wurde. Schwarzott brachte als Beweis den Daumen der rechten Hand des Gefallenen mit.“ Dieser hieß, so die afrikanischen Helfer, Amchab, und habe „schon lange den Plan gehabt …, Uabis zu vergiften, um alle Weissen zu töten, welche die Namib betreten wollten“.399 Charakteristisch war diese „Idealisierung menschlicher Härte und Unerbittlichkeit, Mitleidlosigkeit und völlige Verleugnung von Schwäche“ – „,eisern‘ ist ein anderes Schlüsselwort der Epoche.“400 Neben der Härte präsentierten die Polizisten in ihren Rapporten Eifer : Inspekteur Bethe stellte bei der Durchsicht der Patrouillenbücher fest, es seien ihm „durch nichts begründete Tagesleistungen von 100 und mehr Kilometern“ aufgefallen. Er hielt derartige, „das Pferdematerial auf das äusserste anstrengende Ritte“ für nicht erforderlich.401 Ob diese Tagesleistungen tatsächlich geritten waren, wollte er nicht in Zweifel ziehen. 1911 sollen nur von den Polizeidepots „etwa 400 Patrouillen geritten und dabei etwa 60.000 km zurückgelegt“ worden sein.402 Allein die Tatsache, dass Patrouillen in großer Zahl stattfanden, war ein Zeichen kolonialherrschaftlicher Verdichtung, galt als ein Erfolg für die Po397 398 399 400 401 402

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Lutz / Collins, 1993, S. 184; vgl. Buzard, 1993, S. 315 – 22; Nolden, 1998, S. 127. Danker, 2001, S. 232. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl.157 – 180, Tagebuch Hpt. Wilms, 10.10.12. Dengel, 2005, S. 174 BAB R 1002/2718, Gouv an BA Warmbad, 19.10.10. NAN ZBU 162, A VI a 6, Bd.1, Bl.21, Jahresbericht Gouv, 1911/12.

lizei. Vor 1907 war Viehdiebstahl, bei dem mitunter die afrikanischen Viehwächter ermordet wurden, ein Problem, dem die Kolonialmacht keine Mittel hatte beizukommen: „Die Klagen über Viehdiebstähle, die von Eingeborenen ausgeführt werden, sind zahlreich“, hieß es 1901 im Windhoeker Anzeiger. Auf einer Versammlung des Bezirksvereins Windhoek im Juli d.J. waren „Massnahmen zur Verhinderung des Viehdiebstahls“ besprochen worden, die zugleich die Hilflosigkeit der Farmer dokumentieren. Während die einen das Betreten der Farmen für Ortsfremde generell verbieten lassen wollten, hielten andere solche Verbote (mit Recht) für undurchführbar. Sie sprachen sich vorläufig für eine „exemplarische Bestrafung“ aus, die die Diebe „für eine erhebliche Zeit unschädlich mache und ihnen Furcht einflösse, sodass sie sich vor Wiederholung des Diebstahls hüten und andere abgeschreckt würden.“ Zugleich machte „die Auffassung sich geltend, dass ein schärferes Anfassen der Eingeborenen seitens der Behörde angebracht sei“.403 Der angeblichen Nachsicht der Verwaltung war durch Kritik nicht abzuhelfen. Die Farmer sahen daher oft keine andere Möglichkeit, als die Verfolgung der Diebe selbst in die Hand zu nehmen. Auch Viehwächter verlangten besseren Schutz „und woll[t]en nicht anders als bewaffnet auf ihren Posten verbleiben“ – eine Forderung, die dem kolonialstaatlichen Anspruch auf das Gewaltmonopol diametral entgegen stand.404 Es waren die „Banden“ und die mit ihnen einhergehenden „Diebstähle“ und „Raubüberfälle“, die deutsche Ansprüche auch in unmittelbarer Nachbarschaft des kolonialen Sicherheitsapparats durchkreuzten und allen seine Schwäche vor Augen führten. Den Vorstellungen der Kolonialverwaltung von ,Ruhe und Ordnung‘, und ihren Versuchen, diese nach 1907 ,in der Fläche‘ durchzusetzen, schlug Widerstand entgegen. Die ,Hoheit‘ in entlegeneren Gebieten lag auch später noch längst nicht in deutscher Hand. Bis zum Ende der deutschen Kolonialzeit blieb es dabei, dass einzelne Landstriche innerhalb der Polizeizone – und nicht nur entlang und jenseits der „frontier zone“405 – unbeherrschte Rückzugsmöglichkeiten für „Banden“ boten, gegen die je länger je brutaler vorgegangen wurde. Das Problem ließ sich nicht hinweg reden. 1908 war das Gouvernement genötigt, monatlich über die „Patrouillentätigkeit der Schutztruppe und der Landespolizei“ an das RKA zu berichten. Acht bis zwölf „wichtige Patrouillen“ wurden zu dieser Zeit monatlich gegen „Banden“ geritten.406 Kolonialstaatliche Maßnahmen gegen die „Banden“ Wie schon in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert, so war auch der Bandenbegriff der kolonialen Praxis ein bewusst weiter. Für die „ausserordentli403 404 405 406

Windhoeker Anzeiger, III. Jg., # 16, 1.8. 1901, S. 3. DSWA-Ztg, III. Jg., # 27, 4.12. 1901, S. 2. So Gordon, 1992, S. 209 f. Vgl. BAB R 1001/1914, Bl.38, Gouv an RKA, 9.9.08; Bl.48, Gouv an RKA, 2.10.08.

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che Uneinheitlichkeit“ des Bandenphänomens fehlten der Obrigkeit Blick und Begrifflichkeit.407 Jede Gruppe von Afrikanern, die sich nicht an befestigten Ortschaften aufhielt und sich so dem deutschen Zugriff auf ihre Arbeitskraft zu entziehen drohte, erfüllte den – gesetzlich nicht definierten – Tatbestand der Bandenbildung.408 Personen, die sich des Viehdiebstahls oder nicht lizenzierter Jagd verdächtig gemacht hatten, die eine Schusswaffe besaßen oder den Eindruck erweckten, sich in den ,Busch‘ absetzen zu wollen, wurden ebenso aufgegriffen oder, wenn sie zu fliehen versuchten, verfolgt, wie diejenigen, die sich nicht ausweisen konnten. Sie alle, die den Vorwurf der Bandenbildung auf sich gezogen hatten und auf Grund dieses Verdachts und einiger Indizien verurteilt wurden, unterlagen damit einer „Verdachtsstrafe“. Diese waren in Deutschland seit den Rechtsreformen nach 1848 unzulässig. Auch für die Kolonie war 1896 „angeordnet worden, daß Verdachtsstrafen und andere außerordentliche Strafen untersagt sind.“409 Über die Höhe der Strafe für Viehdiebstahl bestand keine Einigkeit. In einer Rundverfügung vom Juni 1912, die Bezug auf eine Resolution des Landesrats nahm, räumte das Gouvernement ein, dass „je nach der Auffassung des Eingeborenen-Richters Viehdiebstähle und Grasbrandstiftungen verschieden bestraft würden.“ Für eine Strafe von „nicht unter einem Jahr mit Zwangsarbeit“ hatte sich der Landesrat ausgesprochen, denn: der „hiesige extensive Farmbetrieb bedingt eine absolute Sicherheit des Eigentums am weidenden Vieh.“ Auch die „Häuptlinge“ hätten Viehdiebstähle als „schwere Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit“ bestraft – was den Tatsachen entsprach.410 Die von einer Patrouille gesichteten, aber noch nicht gestellten Gruppen wussten regelmäßig, was sie erwartete: So erhielt Leutnant v. Kathen, als er Flüchtenden durch seinen „Bambusen zurufen [ließ], sie sollten sich stellen, es würde ihnen nichts geschehen, [die Antwort]: sie könnten nicht kommen, da sie Orlog gemacht hätten.“ An der Lagerstelle dieser Gruppe fand v. Kathen „selbst gegossene Bleigeschosse für Gewehr 98.“411 – Eine Gefängnisstrafe wäre allen sicher gewesen. Die Sorge, dass „Banden“ in kleineren Zonen in Konkurrenz zum kolonialstaatlichen Gewaltmonopol treten und von diesen Unruheherden organisierter Widerstand im größeren Maßstab ausgehen könnte, überwog rechtsstaatliche Bedenken wegen der willkürlichen Strafpraxis. Diese Sorge lässt sich aus vielen Berichten herauslesen. So hieß es in einem Telegramm über einen Farmüberfall von angeblich 30 bewaffneten „Hottentotten“: „Bondelskommissar hat bezüglich Bondels keine Befürchtungen.“ Um auch nur die Mög407 Danker, 2001, S. 178; vgl. Selmici/Henrichsen, 1995, S. 88. 408 Vgl. Meyer-Lexikon (4. Auflage), Bd.15, Leipzig 1890, Art.: Teilnahme am Verbrechen: „Die Bande ist nach dem [RStGB] an und für sich nicht strafbar.“; RGSt 9, 296 [1883]. 409 Vgl. Thäle, 1993, S. 235 – 9; SBRT, Bd.144, 4. L.P. 4. Sess. 1896, 60. Sitzung,14.3. 1896, S. 1455, Kaisl. VO und VerfRK v. 25. und 27.2. 1896 (KolGG, Bd.2, Nr. 189;190, S. 213). 410 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.127, RVerf Gouv, 26.6.12; vgl. Vilhunen, 2004, S. 296. 411 NAN ZBU 479, D IV o, Bd.1, Bl.111, Bericht über Patrouille 5.8.–28.8.08, 23.9.08.

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lichkeit von Unruhen auszuschließen, wurden zwei Kompanien entsandt. Das Gouvernement wünschte, „im Bondelsgebiet Artillerie oder Maschinengewehre zur Verfügung zu haben“.412 Erscheint ein solches Vorgehen auch unverhältnismäßig, entsprach es doch den kolonialen Grundsätzen über „die Behandlung der Eingeborenen, … [die] in erster Linie das Ziel im Auge [behielten], dem Zustandekommen neuer Aufstände zu begegnen“ – wie es in der Begründung zur Kontroll-Verordnung von 1907 hieß.413 In DSWA standen, wie bei der Räuberbekämpfung durch den absolutistischen Staat des 18. Jahrhunderts, hinsichtlich der Strafzwecke „die Momente der Vergeltung und Abschreckung eindeutig im Vordergrund.“414 Effizienz oder Kostenbewusstsein spielten bei dem betriebenen Aufwand trotz knapper Kassen häufig keine Rolle. So verfolgten im August 1908 drei Patrouillen „15 frische Buschmannspuren“, mit dem Erfolg, „2 Männer, 3 Frauen und 2 Kinder gefangen“ nehmen zu können.415 Die Trennung zwischen Militär und Polizei verlor sich bei derartigen Einsätzen. G. Noske legte im Reichstag Wert darauf, dass von „eigentlichen Truppen“ in den Schutzgebieten keine Rede sein könne, „sondern die Schutztruppe hat schlechthin Polizeiaufgaben, sowohl in den tropischen Kolonien, wie in Südwestafrika, wo, wie aus den Verhandlungen des Landesrats hervorgeht, die Schutztruppe auch nichts weiter zu tun hat, als ab und zu einen Hottentotten oder einen anderen Eingeborenen zu verfolgen, der einem Farmer ein Hammel gestohlen hat. Wenn dann wochenlange Expeditionen angestellt werden, so werden diese Hammeldiebe und ihre Beute dem Schutzgebiet und auch den deutschen Steuerzahlern außerordentlich teuer“.416

Als der Reichstag daraufhin die Kürzung der Landespolizei auf 450 Mann beschloss, begründete dies der Sozialdemokrat wiederum mit dem geringen Unterschied zwischen beiden Sicherheitsinstitutionen: Wenn z. B. irgendwo ein hungriger Eingeborener ein Kalb gefangen, also einen Viehdiebstahl begangen hat, wird unter Umständen nicht bloß die Polizeitruppe, sondern auch die Schutztruppe mobil gemacht, und es wird … mit Maschinengewehren hinter dem gestohlenen Kalbe her geschossen. (Heiterkeit…)“417

Neben dem gestohlenen Vieh oder der Bestrafung bestand jedoch noch ein weiteres Motiv für die Patrouillen: Ihnen kam regelmäßig die Rolle zu, angesichts der nur sporadischen Präsenz des Kolonialstaats, diesen exemplarisch im zu kolonialisierenden Raum zu repräsentieren. 412 NAN ZBU 479, D IV o, Bd.1, Bl.131, Tlgr, 4.12.08; Bl.132, KdoSchTr an Gouv, 10.12.08; vgl. Zimmerer, 2004, S. 161 f. 413 NAN ZBU 2045, W III b 1, Bl.17, Begründung zur VO, 18.8.07. 414 Küther, 1987, S. 127. 415 BAB R 1001/1914, Bl.39, Gouv an RKA, 9.9.08. 416 SBRT, Bd. 294, 13. L.P., 1. Sess. 1912/14, 232. Sitzung, 10.3. 1914, S. 7986. 417 SBRT, Bd. 294, 13. L.P., 1. Sess. 1912/14, 238. Sitzung, 21.3. 1914, S. 8166; S. 8115.

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Maßnahmen der „Banden“ gegen die Vertreter des Kolonialstaats Über das Leben der verfolgten Gruppen, die in allen afrikanischen Kolonien auftraten, ist wenig bekannt. „The social bandits generally had to choose between fighting or dying“.418 Bevor es dazu kommen konnte, was sie zu vermeiden trachteten, waren Flucht und ein Leben im Verborgenen ihre vorrangigen Möglichkeiten, sich dem Zugriff von Militär und Polizei zu entziehen. Mit T. v. Trotha ist die hierin zum Ausdruck kommende Schwäche des kolonialen Staats zu betonen. Denn der „Grad, in dem der Mächtige sich bewegen muß, um die Beherrschten zu erreichen, [ist] ein Grad für die Festigung seiner Herrschaft.“ Die Vertreter des kolonialen Staats DSWA mussten sich permanent bewegen, wie die stolz berichteten Patrouillenkilometerleistungen zeigen. Für die zu Kolonisierenden hieß „Bewegung Flucht und Verstecken“.419 Dabei blieb ein Rückzug in die Verborgenheit der vom Kolonialstaat (noch) unberührten Gebiete nicht alternativlos. Ihren Verfolgern gefährliche Gegenwehr vermochten sie am ehesten zu leisten, solange sich Schusswaffen in ihren Händen befanden. Im Oktober 1908 wurde eine Polizeipatrouille „von Hottentotten am frühen Morgen unvermutet angeschossen“. Der Farmer Devenisch, der sie begleitet hatte, kam ums Leben. Darüber hinaus konnten die Angreifer ein Gewehr erbeuten. Ein peinlicher Vorfall, der den Referenten im RKA zu der Frage veranlasste: „also Polizeipatr. geflohen?“ Das Gouvernement hatte sich in einem Bericht zu rechtfertigen.420 Die Entwaffnung von Afrikanern blieb eines der wichtigsten sicherheitspolizeilichen Ziele. Noch in Telegrammen war das Abnehmen von „drei alte[n] Gewehre[n]“ eine Zeile wert.421 Das Vorgehen gegen „Banden“ von zum Teil 30 bis 40 Mann, die das Gelände gut kannten und „größtenteils mit Gewehren versehen sind“, war nicht ungefährlich. Militärische Vorteile durch Bewaffnung und Ausrüstung konnten Polizei und Schutztruppe kaum ausspielen. Hinzu kamen versierte Methoden der Informationsbeschaffung seitens der Afrikaner: „Als Spione hat [,Banden-Chef‘] Salomon nach verschiedenen Plätzen Leute auf Arbeit geschickt.“422 Diesem in die Kolonialwirtschaft integrierten Teil der afrikanischen Bevölkerung misstrauten die Polizisten und Soldaten daher häufig: „Ein grösserer Erfolg für die Truppe [bei Patrouillen sei] nicht zu erwarten, so lange die Farmer selbst Buschleute beschäftigen, die natürlich die besten Spione für das herumstreifende Gesindel sind“ – so die pessimistische Schlussbemerkung des Hauptmanns Boemcken nach einem Patrouillenritt.423 Wenig später hatte eine Streife die gleichen Probleme und versuchte „jede Absicht des Streifkommandos so geheim als irgend möglich zu halten, denn 418 419 420 421 422 423

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Vgl. Coquery-Vidrovitch, 1988, S. 185 f. (Zit., S. 187). v. Trotha, 1994, S. 118. BAB R 1001/1914, Bl.52/53, Gouv an RKA, 31/30.10.08; Bl.56, RKA an Gouv, 21.12.08. NAN ZBU 479, D IV o, Bd.1, Bl.50, Gouv an RKA, 30.10.08; Bl.46, Tlgr, 28.9.08. NAN ZBU 479, D IV o, Bd.1, Bl.84, Gouv an RKA, 2.12.08; Bl.65 Bericht, 28.10.08. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.89, Bericht der 4. Kompagnie, 12.8.13.

die vielen Farmwerften, die Viehposten … schlossen einen Verrat der Truppe nicht aus.“424 Die von der Landespolizei und der Schutztruppe durchgeführten Patrouillen nahmen die Gesuchten nicht duldend hin, sondern versuchten ihrerseits den Ablauf in ihrem Sinne zu beeinflussen. Neben der Vermutung, dass die eigene Patrouille von „Eingeborenen ausspioniert gewesen zu sein scheint“, finden sich in den Abschlußberichten Klagen über vergiftete Wasserstellen, abgebrannte Weideflächen, die die Verfolger auf Abstand halten sollten, oder über gezielte Falschinformationen durch Vertrauensleute der Verfolgten.425 Gegenmaßnahmen sollten ergriffen werden: Auf vielen Patrouillen war es nachts verboten, Feuer zu entfachen. Ein Problem blieben die Spuren; Abhilfe war schwer zu schaffen: „durch ausziehen unserer Schuhe und Strümpfe versuchten wir unsere Spuren zu verdecken.“426 Auch dies bot keine Erfolgsgarantie: Der Gesuchte „hatte unser Kommen doch gemerkt, trotzdem barfuss vorgegangen wurde und entkam.“427 Es war teils Erfolg versprechender, sich im Gelände zu verstecken – mitunter mussten sich Beamte „mehrere Tage und Nächte ohne Pferde auf [die] Lauer legen“.428 Ebenso gut aber konnten die Hunde der Gesuchten sie durch Bellen vor einer Patrouille warnen.429 Die überragende Landeskenntnis der afrikanischen Bevölkerung stellte für sie den entscheidenden Vorteil dar. Okahandjas Distriktschef räumte 1908 resigniert ein, dass ein Flüchtender „durch die Landesverhältnisse begünstigt [wird], die es fast unmöglich machen, eines Eingeborenen habhaft zu werden“. Er schlug daher die Einrichtung einer Truppe aus „zuverlässigen Eingeborenen“ vor. „Weisse Polizei- oder Militärpatrouille würden jetzt nach dem Krieg kaum Erfolg haben, da die Eingeborenen ihnen an Geländekenntnis und Anpassungsvermögen an das Gelände überlegen sind“.430 Ähnlich hatte sich der Jenenser Anthropologe L. Schultze nach seiner Reise durch das Namaland geäußert: Im Kampf sei der „Hottentott überlegen, nicht deshalb allein, weil er von Fleisch und Wurzeln leben kann, – Erfahrung gibt ihm das Übergewicht.“ Es war diese Einsicht in die Aussichtslosigkeit deutscher Unternehmungen gegen „Banden“, die bei den Verwaltungsspitzen die Erkenntnis reifen ließ, wie „unentbehrlich“ Polizeidiener und sonstige afrikanische Kräfte bei der Verfolgung von „Räuberbanden“ waren.431 Nur mit ihrer Hilfe konnte diesen mit ihrer eigenen Waffe entgegen getreten werden – der Landeskenntnis. So sehr sich die koloniale Frontstellung zwischen (eingestandenermaßen 424 425 426 427 428 429 430 431

NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.129, Bericht Streife A, 17.–31. 10. 1913, 3.11.13. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.19, Bericht der 7 Kompagnie an das KdoSüd, 16.2.13. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.92, Patrouillenbericht des PolW Eschen, 8.8.13. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.154, Bericht der 4. Kompagnie, 9/1913. NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.2, Bl.51, BA Warmbad an Gouv, 14.6. 12. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.71, Bericht der Station Seeis, 22.6.13. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.186/7, DA Okahandja an Gouv, 8.1.08. Schultze, 1907, S. 336 f.; BAB R 1002/2432, Entwurf: Gouv an alle BA + DA, 13.7.14.

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überforderten) deutschen Verfolgern und afrikanischen Verfolgten auch in den Köpfen festgesetzt hatte: mit einem gewissen Erstaunen musste die Kolonialverwaltung 1911 feststellen, dass Patrouillen nicht nur selbst zu Beuteobjekten, sondern auch Deutsche in Banden zu Tätern werden konnten. So überfielen die beiden daraufhin wegen Raubmordes zum Tode verurteilten Falk und Sommer die Kupferberger Polizeipatrouille und erschossen dabei einen Sergeanten. Der Angeklagte Sommer berichtete später, dass ihm zuvor „im Gefängnis ein Mitgefangener, der Polizeisergeant Wobbe angedeutet habe, wie man durch einen Überfall auf die Kupferberger Polizeipatrouille, welche jeden Monat das Geld für die Löhnung von Windhuk hole, unschwer eine große Geldmenge erbeuten könne“.432 Auch die Vorstellung von notwendigerweise afrikanischen Viehdieben konnte sich als irrig erweisen: Die beiden Farmarbeiter Willinger und Diederitz vergriffen sich ausgerechnet am Vieh des Missionars in Omburo, was der Distriktschef in Omaruru „durch seine Polizisten bald festgestellt und sie dann zum Geständnis gebracht“ hatte. Eine Gefängnisstrafe war ihnen vorerst jedoch nur angedroht; gleichwohl schrieb Missionar Kuhlmann, der Distriktschef kenne „in Bezug auf derartige Weisse kein Erbarmen.“433 Militarisierung der Bandenbekämpfung Als nach mehreren Jahren den Viehdiebstählen noch immer nicht Einhalt geboten werden konnte und von einer regelrechten „Buschmann-Plage“ die Rede war, legte Gouverneur Seitz, nachdem er 1911 bereits das Schusswaffengebrauchsrecht ausgeweitet hatte, im Mai 1912 die Bekämpfung der „Banden“ vorrangig in die Hände des Militärs. Er machte es allen Dienststellen zur Pflicht, „den nächsten Truppendienststellen sofort Mitteilung zu machen, sobald Banden von Eingeborenen gemeldet sind“.434 Die Landespolizei hatte sich als zu schwach und unzureichend erwiesen. Mit dieser polizeilichen Schwäche arrangierten sich die Farmer, indem sie gegen Drohungen und Viehdiebstähle überwiegend auf Gewalt setzten. Sie schossen, so R. Gordon, auf jeden „Buschmann“, der des Viehdiebstahls verdächtig schien.435 Die institutionalisiertere „Bandenbekämpfung“ erwies sich als nicht weniger brutal: Der Farmer Drews (Farm Hammerstein) berichtete dem Oberleutnant der Schutztruppe v. Cossel, er hätte nach Morddrohungen versucht, sich freizukaufen.436 Nach der wenig später erfolgten Festnahme der „Bande“, soll sie ihren „Mordplan“437 eingestanden haben; zwei „Buschleute“ wurden daraufhin zum Tode verurteilt.438 Wenn auch hier das Militär maßgeblich zum 432 433 434 435 436 437 438

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NAN OGW 37, Gen XVI 2, Bl. 41, OR Bruhns, 30.4.12; vgl. Budack, 1999. AELCRN, C II.1.12, Missionar Kuhlmann an Präses Eich, 26.5.08. NAN BOM 53, 28, Verf Gouv an alle BA und DA, 22.5.12; Gordon, 1992, S. 57 – 59. Gordon, 1992, S. 77 vgl. Scheulen, 1998, S. 93. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.53/4, Bericht des Olt v. Cossel, 16.2.14. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.64, Patrouillenbericht des Olt v. Lichtenstern, 27.2.14. NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.103 – 108, Gouv Todesurteil, 16.3.14.

Einsatz gekommen war, informierten doch nicht alle Dienststellen, wie gefordert, sofort die Schutztruppe, sondern wandten sich Hilfe suchend an das Gouvernement. Im Landesrat beklagten Farmer 1913, dass die „Ämter beziehungsweise Polizeistationen den in Betracht kommenden Truppenteilen … nicht immer sofort hätten Mitteilung zukommen lassen, sobald Bandenbildung von Eingeborenen“ zu befürchten stand. Das Gouvernement erinnerte daher an die Verfügung von 1912. Doch als am Ugab im Januar 1914 ein Viehwächter ermordet wurde, die angesetzten Polizeipatrouillen aber ergebnislos verliefen, ersuchte der Stellvertreter des Bezirkschefs von Outjo, Sekretär Tschöpe in Windhoek um „Truppenhilfe“. O. Hintrager vermerkte verärgert: „Tschöpe weiß sich nicht zu helfen. Er soll sofort … selbst die dortige Truppe um Hilfe bitten.“439 Die direkte Anforderung der Militärs aber erschien den mittleren Verwaltungsbehörden als eine zu große Kompetenzzuweisung, die in Anspruch zu nehmen ihnen umso schwerer fallen musste, als bereits die Zusammenarbeit mit der Landespolizei Kompetenzkonflikte herauf beschwor. Der vom Gouvernement geförderten Militarisierung polizeilicher Aufgaben blieb der Erfolg verwehrt, weil auch dadurch die Kontrolldichte der deutschen Herrschaft nicht wesentlich erhöht werden konnte. Das im Folgenden dargestellte Beispiel ,erfolgreicher‘ „Bandenbekämpfung“ zeigt, wie intensiv auch nur ein einziges Gebiet permanent abpatrouilliert werden musste, um „Ruhe und Ordnung“ herzustellen. An den Ursachen der Kriminalitätsform „Bande“ änderte dies so wenig wie an den begrenzten Mitteln der Verwaltung, die diese Kontrolldichte unmöglich überall dort finanzieren konnte, wo es für erforderlich erachtet worden wäre. Vorschläge zur Flexibilisierung der Bandenbekämpfung Im zum Bezirk Rehoboth gehörenden Gebiet um Hornkranz („Rote Berge“ und Namibrand) wurden „im Laufe der Jahre über 200 Stück Großvieh und ungezähltes Kleinvieh gestohlen“. Doch „größere und kleinere Streifen [hatten] bei der Unpassierbarkeit des zerklüfteten Geländes nur geringen Erfolg“. Militärische Unterstützung allein versprach keine Abhilfe. Der Bezirksamtmann von Rehoboth, v. Vietsch, erachtete die „Sicherheit der an der Namibgrenze sitzenden Farmer [für] nicht gewährleistet“. Deshalb verfiel er im Oktober 1912 auf die Idee, eine „fliegende Station“ einzurichten, die die „Viehdiebe“ über einen längeren Zeitraum unentwegt verfolgen sollte. Er hielt der zentralen Lage seines Bezirks innerhalb der Polizeizone zum Trotz „die Gefahr der Bandenbildung“ für gegeben.440 Die für diese „fliegende Station“ veranschlagten Kosten beliefen sich für ein 439 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl.82, RVerf an alle DA + BA, 13.5.13. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.210, Tlgr BA Outjo an Gouv, 12.1.14. 440 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1,Bl. 185, BA Rehoboth an KdoSchTr, 22.11.12; Bl.241, Besprechung am 15.12.12 betr. Verwendung von Bastards zu Patrouillenritten, 21.1.13.

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Jahr auf 6900,– M. Sie entsprachen damit in etwa einem Stationsneubau. Es war geplant, zwei Patrouillen auszustatten, von denen ständig eine „Fußpatrouille von 1 Weißen, 3 Eingeborenen im Feld [zu] halten“ war. Die „Station“ selbst sollte von einem Polizeisergeanten und zwei afrikanischen Hilfskräften besetzt sein. Deutlich spricht aus diesen Zahlenverhältnissen die Erfahrung der überragenden Landeskenntnis der einheimischen Bevölkerung, die sich die Kolonialverwaltung zu nutze machen wollte.441 Die Leitung der „fliegenden Station“ sollte nach Ansicht des Bezirksamtschefs einem Offizier der Schutztruppe, dem Oberleutnant v. Hiller übertragen werden. Dem Gouvernement wollte jedoch trotz der im Mai angeordneten verstärkten Einbindung der Truppe in die ,Bandenbekämpfung‘ nicht ohne weiteres einleuchten, „aus welchen Gründen die Kommandierung eines Offiziers der Schutztruppe für diese polizeiliche Aufgabe für nötig erachtet wird.“ „Notwendig zur Durchführung der polizeilichen Aufgabe“, so die Antwort v. Vietsch’, „ist [die Leitung durch v. Hiller] nicht“. Doch war der Offizier zum Führer der (militärischen) „Bastardabteilung“ in Rehoboth ernannt worden, weshalb ihm „Gelegenheit geboten werden soll, mit den Eingeborenen Fühlung zu nehmen“.442 Sowohl die stark militärische Komponente als auch die massive Einbindung der Baster riefen Vorbehalte hervor, zu denen sich v. Vietsch während einer Besprechung beim Gouvernement äußern musste. Vietsch wollte nun nicht mehr kleine Einheiten von vier Mann eingesetzt sehen, sondern dachte an ein massiveres Aufgebot. Als er ausführte, dass die Anzahl der einzuziehenden Baster von der Anzahl der Viehdiebe abhinge – „Es könnten 20, 60 auch 300 sein“ –, äußerte H. Blumhagen „seine großen Bedenken dagegen, daß der Bezirksamtmann nach seinem Belieben so viele Bastards einzuziehen beabsichtige. Wenn ein Offizier ohne Wissen des Gouvernements mit 300 Mann im Schutzgebiet herumritte, würde diese sich sofort verbreitende Nachricht darüber die größten ,Stories‘ und die größte Unruhe bei den anderen Stämmen (Bersebanern) auslösen.“

Die Argumente für die Verwendung des Schutztruppenoffiziers v. Hiller als Leiter einer Polizeistation konnten den stellvertretenden Gouverneur Blumhagen nicht überzeugen. v. Vietsch zog den Antrag auf dessen Kommandierung und den Einsatz der Baster zurück. Auch bei der Besatzung der Station musste er zurückstecken; „die nochmalige Anforderung weiterer Polizeidiener“, sei, so die Inspektion, „etwas reichlich“: statt der geplanten acht wurden im Februar 1913 sechs Stellen bewilligt.443 Inzwischen konstatierte v. Vietsch

441 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl.151, Gouv an BA Rehoboth, 2.11.12. 442 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl.186, Gouv an BA Rehoboth, 28.11.12; Bl.201, BA Rehoboth an Gouv, 4.12.12. 443 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl.241, Besprechung am 15.12.12, 21.1.13.

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eine Verschärfung der Situation in den Hakosbergen. Seiner Meinung nach waren dort die „Sicherheitsverhältnisse … derart bedenklich geworden, daß nur durch die schärfsten Maßnahmen das Wiedereintreten von Ruhe und Sicherheit für Leben und Eigentum erreicht werden kann. In neuester Zeit sind sämtliche Wasserstellen am Goab, dem Hauptschlupfwinkel der Räuber, zur Abwehr der verfolgenden Polizei vergiftet worden, die Farmeingeborenen sind nicht zu bewegen, unbewaffnet noch in’s Feld zu gehen, da sie wissen, daß die Kaffern vor keiner Gewalttat zurückschrecken.“

Gleichwohl wurden im März 1913 zwei Todesurteile gegen Viehdiebe vollstreckt, die in den Hakosbergen und um Hornkranz herum Vieh abgetrieben und einen Viehwächter erschlagen hatten.444 Nach etwa zwei Monaten permanenten Suchens in diesen Gebieten durch zwei „fliegende Stationen“ konnte v. Vietsch trotz der Kürzung bei seinen Plänen von ,Erfolgen‘ nach Windhoek berichten. Er hielt das Gebiet um Hornkranz für „frei von Eingeborenen“. Die Station „Rote Berge“ sollte noch einige Patrouillen reiten und danach aufgehoben werden. Für eine zweite „fliegende Station“ stellte er die Auflösung für Juli 1913 in Aussicht. Zugleich gab v. Vietsch zu Bedenken, dass nach deren Einziehung „sich voraussichtlich im Laufe der Zeit wieder Gesindel festsetzen“ wird.445 Er hatte damit das Dilemma benannt: mit erheblichem Zusatzaufwand konnte kurzfristig ,erfolgreich‘ gegen die „Banden“ vorgegangen werden. Substantiell änderten diese Maßnahmen nichts: weder am vermuteten Unwillen einiger Afrikaner, sich in die Kolonialwirtschaft einbinden zu lassen, noch am Unvermögen des Kolonialstaats, eine höhere Kontrolldichte zu finanzieren. Erst die technische Neuerung der Luftfahrt verhieß Besserung, da mit geringerem Aufwand größere Flächen abgesucht werden konnten. Keetmanshoops ehemaliger Bezirksamtmann Schmidt empfahl 1913 die Verwendung von Flugzeugen. Nicht nur zu Post-, sondern ebenso zu ,Patrouillenzwecken‘ sollten sie eingesetzt werden, da sie auch „des Nachts Feuerplätze [der Banden] sehen und diese durch Wurfgeschosse angreifen“ könnten. Schmidt war zuversichtlich, dass dieses Mittel geeignet sei, „um mit geringen Kosten einer Wiederkehr der Aufstandszeiten … den Boden zu nehmen“. Die für die Schutztruppe angeschafften Flugzeuge konnten jedoch 1914 gegen südafrikanische Truppen wenig ausrichten. Die südafrikanische Mandatsregierung, die weiterhin mit „Banden“ konfrontiert war, setzte 1922 Flugzeuge gegen „aufständische“ Bondelswarts ein.446

444 NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.57, BA Rehoboth an Gouv, 5.3.13. 445 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl.255, ILP an Gouv, 25.1.13; Bl.257, Gouv an BA Rehoboth, 3.2.12; Bd.2, Bl.66, BA Rehoboth an Gouv, 27.5.13. 446 Keetmanshooper Zeitung I. Jg # 5, 22.5. 1913, S. 2; vgl. Freislich, 1964; Gordon, 1998.

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Patrouillen als Werber Neben dem sicherheitspolizeilichen Aspekt hatten die Patrouillen gegen „Banden“ auch den Zweck, afrikanische Arbeitskräfte zu requirieren. Hierbei wurden durchaus ,Erfolge‘ erzielt. So „brachte“ eine Patrouille des Leutnants Gersdorff im Dezember 1908 „103 Köpfe darunter 32 Männer (keine Gewehre) ein, davon sind ca. 80 der Mine … bei Okahandja als Arbeiter überwiesen worden.“447 In den folgenden Jahren blieb es bei der polizeilichen oder militärischen Arbeiterbeschaffung. Im Januar 1911, der „Eingeborenenmangel“ war beträchtlich, gab das Gouvernement eine Verfügung heraus, die die Ämter zum „Sammeln von Eingeborenen“ aufforderte. Deren Antworten waren zugleich ein Rückblick auf die Patrouillentätigkeit der vergangen Jahre: Die Amtschefs zeigten sich wenig enthusiastisch. Fast nur noch „arbeitsscheue Elemente“ und „entlaufene Arbeiter, die alle mehr oder weniger auf dem Kerbholz haben“, würden sich in entlegensten Gebieten aufhalten; ihrer habhaft zu werden, sei schwierig. Aus Gibeon kam die Vermutung, dass sich „im Bezirk, so weit die Polizeizone reicht, keine Eingeborenen mehr im Felde herumtreiben“. Im Gegensatz zu den Ämtern im Süden schätzten jene im Norden, dass sich noch einige Hundert Personen vor den Patrouillen verbargen. Diese aber in „Sammelstellen“ zu bringen hielt das Bezirksamt Windhoek für überflüssig: „Die Nachfrage nach Arbeitern ist im hiesigen Bezirk so gross, dass jeder Eingeborene … sofort wieder abgegeben werden könnte.“ Aus Okahandja kam der Einwand, dass die „im Busch sitzenden Eingeborenen … scheu und mißtrauisch sind“ und daher ihr „sammeln“ durch Polizeipatrouillen wenig Erfolg versprach; stattdessen sollten „zuverlässige Eingeborene … ausgeschickt werden“.448 Abwegig war diese dies nicht. Noch 1914 vermerkte ein Referent: „Erfahrungsgemäß wirken diese Patrouillen nicht allein gegen diejenigen Eingeborenen gegen die sie bestimmt sind. Es kommt auch häufig vor, dass Eingeborene, die im Begriffe sind, an die besiedelten Teile des Landes sich heranzuziehen, durch derartige Patrouillen erschreckt werden und wieder abwandern.“449

Dieses Eingeständnis zeigt, dass eine vollständige Überführung aller afrikanischen Einwohner der Polizeizone auf kolonialwirtschaftlich erwünschte Arbeitsplätze weder gelang noch für möglich gehalten wurde. Im Juli 1914 ersuchte das Gouvernement abermals um Auskunft darüber, „ob sich arbeitsfähige Eingeborene in irgend einer erheblichen Zahl … noch im Felde aufhalten.“450 Doch Patrouillen, die in jedem Ausweislosen ein potenzielles Bandenmitglied vermuteten, waren kaum geeignet zur Werbung von Ar447 NAN ZBU 479, D IV o, Bd.1, Bl.86, Gouv an RKA, 2.12.08; Bl.105, KomSTr, 26.11.08. 448 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.26, Abt. F, 6.5.11; Bl.8, RVerf Gouv, 26.1.11; Bl.11, BA Karibib an Gouv, 15.2.11; Bl. 20, BA Gibeon an Gouv, 28.2.11; Bl.9, BAWindhoek an Gouv, 14.2.11; Bl.21, BA Outjo an Gouv, 6.3.11; Bl.18, DA Okahandja an Gouv, 8.3.11; Zimmerer, 2004, S. 166. 449 NAN ZBU 406, D II d 1, Bl. 124, Gouv an DA Maltahöhe, 28.6.14 [Entwurf Ref.2]. 450 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.2, Bl.58, RVerf Gouv, 24.7.14.

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beitskräften. Daher verließen sich Farmer und Amtsträger nicht auf das polizeiliche „Sammeln von Eingeborenen“ und die anschließende Arbeitskräftezuteilung, sondern begaben sich selbst auf die ,Suche‘.451 So hilflos Polizisten oft gegen die „Banden und Viehdiebe“ agierten, so unzureichend waren ihre Möglichkeiten, Teile der afrikanischen Bevölkerung von diesem ,Lebenswandel‘ abzubringen, der älter war als die Kolonialherrschaft. Den politisch motivierten Widerstandswillen etwa eines S. Copper oder J. Morenga gegen die deutsche Herrschaft konnten sie noch weniger brechen.452 Aber auch jene, die bereits unter der deutschen Herrschaft gestanden hatten und nach ihren Erfahrungen auf Farmen und Bauplätzen sich für die Flucht entschieden, vermochten die Polizeibeamten nicht abzuhalten, da sie den Missständen in der Kolonialwirtschaft keinen Einhalt geboten hatten. Auch war ihr Ruf zu schlecht und die Aussichten auf Gefängnis und Zwangsarbeit für die „Banden“ zu trübe, um nicht wenigstens den Versuch zu wagen, sich diesem System zu entziehen. So lag der Schluss nicht fern, die kaum zu verbergende Schwäche von Polizei und Schutztruppe als Chance zu nutzen und sich (zeitweise) einer „Bande“ anzuschließen. Eine endgültige Entscheidung für ein „Räuberleben“, für den Widerstand, brauchte dies nicht zu sein. Stets gab es die Möglichkeit, an anderem Ort unter neuem Namen nach einem besseren Arbeitgeber zu suchen.453 Auch dagegen vermochten die Organe des Kolonialstaats nichts zu unternehmen.

4.6. Disziplin und Disziplinierung der Polizeibeamten

Überwachen und Bestrafen musste die Polizei auch sich selbst. Beamte hatten sich einer gesonderten Disziplinierung zu unterwerfen. Das zu diesem Zweck erlassene Disziplinarrecht unterschied sich vom Strafrecht und war ursprünglich ein Mittel gegen mangelnden Fleiß und Gehorsam. Durch ihr Treueverhältnis zum Monarchen (auf den sie einen Eid geleistet hatten) sowie das Erfordernis eines standes- und amtsgemäßen außerdienstlichen Verhaltens, waren sie inner- wie außerhalb des Dienstes gehalten, ihr vom Staat verliehenes Amt würdig zu repräsentieren. So wenig wie sie sich politisch gegen ihre Regierung stellen konnten, da dies gegen den „Gehorsam“ verstoßen hätte, so wenig durften sie die gesellschaftlichen Normen gegen „sexuelle Libertinage, Alkoholismus und Schuldenmachen“ übertreten, ohne mit einem Disziplinarverfahren rechnen zu müssen.454 Als Beamte unterlagen auch die Polizisten in der Kolonie einer „doppelten Strafgewalt, der allgemeinen, welcher jeder Staatsangehörige [durch das 451 452 453 454

Vgl. NAN ZBU 108, A III e 1, Bl. 24, DA Gobabis an Gouv, 26.8.12. Vgl. v. Walraven/Abbink, 2003, S. 13: Masson, 2001. Vgl. etwa NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.254, Gouv an DA Okahandja, 10.2. 14. Wunder, 1986, S. 88.

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Strafgesetzbuch] untersteht, und einer besonderen, welche Ausfluß des speziellen Gewaltverhältnisses ist, in dem [der Beamte] sich zum Staate befindet“: der Disziplinargewalt.455 Durch die Verletzung einer Dienstpflicht beging er ein Dienstvergehen, das, wenn es im Strafgesetzbuch unter den so genannten Amtsdelikten aufgeführt war, gerichtlich verfolgt wurde. Geringer wiegende Pflichtverletzungen, die „Dienstvergehen im engeren Sinne“, wurden nicht gerichtlich, sondern disziplinarisch geahndet. Während für strafrechtlich verfolgte Verbrechen und Vergehen Freiheits- und Geldstrafen, sowie die Entfernung aus dem Amt in Frage kamen, reichten die Disziplinarstrafen von Verwarnungen, Verweisen und Geldbußen bis hin zu mehrere Tage dauernden Arreststrafen und konnten gleichfalls die Entfernung aus dem Amt nach sich ziehen. Gegen sie war meist „lediglich Beschwerde an die vorgesetzte Stelle zulässig.“ Den Motiven zum RStGB von 1872 war zu entnehmen, warum Amtsdelikte einer besonderen Ahndung bedurften: „Mit dem Amte sind teils spezielle Pflichten verbunden, teils hat der Beamte durch sein Verhalten überhaupt sich des Amtes würdig zu erweisen und die Standesehre zu wahren.“ Das Fehlverhalten im Amt galt im „Wesenskern“ als eine „schwere kriminalisierte Verletzung der internen Beamtendienstpflicht“ und war als solche besonders zu sühnen.456 Die Bestrafung von Kolonialbeamten Dass es im kolonialen Kontext zu Fehlverhalten der Beamten kommen konnte, war spätestens mit den Prügelexzessen des C. Peters und anderer auch in Berlin bekannt geworden. Doch ihre Bestrafung warf, abgesehen von dem Unwillen der Reichsleitung, Fehler von Beamten einzuräumen, juristische Fragen auf. Bei der Ahndung des Amtsmissbrauchs durch Kolonialbeamte bestand, wie Kolonialdirektor P. Kayser 1896 vor dem Reichstag erläuterte, das Problem, dass die §§ 343 und 345 des RStGB nicht zur Anwendung kommen konnten, „weil sie ein gewisses geregeltes Gerichtsverfahren gegen die Eingeborenen voraussetzten“.457 Erst nachdem dieses eingeführt war, konnte der Verstoß gegen seine Bestimmungen durch Beamte unter Strafe gestellt werden. Das Kolonialbeamtengesetz (1910) verschärfte die Strafbestimmungen des Reichsbeamtengesetzes. Der Gouverneur hielt Strafbefugnisse für Ordnungsstrafen inne; hinzu kamen Disziplinarverfahren vor den Disziplinargerichten in Potsdam und Berlin, die das RKA einleiten konnte. Da diese mit Kolonialbeamten besetzt wurden, um so Interna vor der Öffentlichkeit zu verbergen, konnten die Angeklagten mit Nachsicht rechnen, was im Reichstag kritisiert worden war.458 Auch die geringen Kontrollmöglichkeiten für Vorgesetzte, durch schlechte 455 456 457 458

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Meyer/Anschütz, 1919, S. 606. Meyer/Anschütz, 1919, S. 603; Art. Amtsdelikte, in: Fleischmann, 1911, S. 107 – 113. BAB N 2139/ 51, Bl.8; SBRT, Bd. 114, 4. L.P., 4. Sess. 1896, 60. Sitzg.,14. 3. 1896, S. 1455. Vgl. § 75 RBeamtenG; § 42 KolBG; Tesch, 1912, S. 147; Schwarz, 1999, S. 127 FN 508.

Transportbedingungen und geringe Personaldichte bedingt, taten das ihre, um Beamten erhebliche Spielräume zu lassen. Bisherige Zeugnisse sagten nichts über eine Eignung zum Kolonialbeamten. Der Dienst im kolonialen Verwaltungsapparat war insofern unbeschränkter als in der Heimat, als die Verwaltung sich selbst, d. h. den einzelnen Mann, schwerer kontrollieren konnte. Verwaltungsgerichte waren nicht vorhanden. Es blieben als Kontrollinstanzen der Reichstag in Berlin und die Siedler-Öffentlichkeit in der Kolonie, die nicht zögerte, in Beschwerden und Presseartikeln ihre Meinung kund zu tun. Der Kolonialstaat konnte es nicht bei „Versuche[n] der Disziplinierung der afrikanischen Bevölkerung [belassen]…, sondern [musste] ebenso Disziplinierungs- oder wenigstens Anpassungsprozesse der Kolonisierenden“ einfordern,459 von denen die Beamten nicht ausgenommen waren. In den Kolonien könnten daher „nur wirklich zuverlässige und einwandfreie Leute gebraucht werden“, musste sich der sächsische Kriegsminister sagen lassen, nachdem ein Regiment einen Sergeanten, der „zum Theil schwere Arreststrafen erlitten“ hatte, nach Afrika entsenden wollte.460 Zu Gefängnisstrafen verurteilte Soldaten verloren jedoch nicht zwangsläufig die Möglichkeit, bei der Landespolizei angestellt zu werden. Selbst eine spätere Beförderung zum Wachtmeister war möglich, wenn die Bestrafung lang genug zurücklag und der Betreffende seine Probedienstzeit zur Zufriedenheit absolvierte.461 Von den neun Polizisten, die 1912 zu Polizeisergeanten befördert werden sollten, waren drei vorbestraft, „jedoch sind die Strafen derartig geringfügig, daß auch gegen ihre Beförderung … keine Bedenken bestehen dürften.“462 Als aber Gustav Petruschkat (Jg. 1881) seine Anstellung zum Polizeisergeanten erhielt, obwohl er, wie das RKA aus dem Register einer Strafbehörde ersah, 1897 wegen schweren Diebstahls zu einem Monat Gefängnis verurteilt worden war, verärgerte dies den Staatssekretär v. Lindequist sehr. Das Gouvernement rechtfertigte sich damit, dass in keinem der Militärpapiere Petruschkats ein Hinweis auf die Strafe zu finden war. Zwar forderte v. Lindequist die sofortige Entlassung, doch sah der Gouverneur davon ab, da Petruschkat erklärte, ihm sei die Strafe wegen des Diebstahls eines Gewehrs zur Wilderei erlassen worden, da er zum Zeitpunkt der Tat erst 15 Jahre alt war. Lindequist, der die Angaben überprüfen ließ und sich davon überzeugte, dass Petruschkat „die Tat lediglich aus jugendlichem Leichtsinn begangen hat,“ erklärte sich daraufhin mit dessen Einstellung als Polizeisergeant einverstanden.463 Der Blick in die Strafregister der Anwärter bot eher ein Indiz als eine Garantie für fortgesetzt ,ordentlichen‘ Lebenswandel. Disziplinarische 459 460 461 462 463

Eckert/Pesek, 2004, S. 88; vgl. Gann/Duignan, 1977, S. 145 f. SHStA 11248/Nr. 7583, Bl.67, Reichsmarineamt an Sächs. Kriegsminister, 8.2.95. Vgl. den Fall PolW Kubs: NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl.61, ILP an Gouv, 12.4.12. NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl.103 (107), ILP an Gouv, 24.5.12. BAB R 1002/3311, Bl.25, RKA an Gouv, 24.11.10; Bl.29, Gouv an RKA, 26.11.11; Bl.31, Meldung Petruschkat, 18.1.11; Bl.36, RKA an Gouv, 28.3.11.

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Schwierigkeiten traten in der Landespolizei regelmäßig auf. Etwa 10 % ihrer Beamten wurden pro Jahr gemaßregelt. Gouverneur v. Schuckmann war 1909 mit der Arbeit der Landespolizei nicht zufrieden. Insbesondere die mangelhafte Beaufsichtigung der Stationen und die Personalverteilung gaben ihm Anlass zu dem Hinweis: „Nur bei straffer, militärischer Handhabung des Dienstes wird die Disziplin bei einer Truppe, die wie die Landespolizei in kleinen Posten über das ganze Land verteilt ist, aufrecht zu erhalten sein.“464 1911 bestraften die Vorgesetzten 52 von 565 Polizeibeamten: 25 mit Ordnungsstrafen, 25 mit Arrest; hinzu kamen eine Entlassung und eine gerichtliche Strafe.465 Im Bezirk Keetmanshoop waren 1913 von 26 Polizeibeamten vier bestraft worden.466 Die gerichtlichen Strafen konnten Haftstrafen einschließen. So wurde ein Polizeisergeant wegen Nötigung zu einer „Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten“467 verurteilt. Das RKA, besorgt wegen möglicher Nachfragen im Reichstag, wünschte, über jeden Fall, in dem eine gerichtliche Bestrafung von Beamten erfolgte, über den Sachverhalt und eine etwaige Dienstentlassung informiert zu werden.468 In den von allen Polizeistationen monatlich der Inspektion einzureichenden Rapporten waren Meldungen über Strafen gegen Polizeibeamte (etwa durch die Ämter) gesondert zu vermerken. Eine Pflicht, der mancher nicht immer nachkam, wie Inspekteur v. Heydebreck bemängelte: „Selbstverständlich ist auch zu melden, wenn ein Polizeibeamter verhaftet wird“, betonte er. Ein Beweggrund der Beamten, ihre Bestrafung vor der Inspektion zu verbergen (die auf anderen Wegen davon erfuhr), ist darin zu suchen, dass sie hofften, ihre Chancen auf Beförderung nicht zu mindern.469 Die Frage, wer die Polizeibeamten bestrafen durfte, wurde zwischen Gouvernement, Inspektion und den Bezirksämtern mehrfach verhandelt. Als ein „Bambuse“ einem Arzt und dem ihn begleitenden Polizeibeamten die Dienstwaffen gestohlen und auf sie geschossen hatte, wies der Inspekteur Bethe darauf hin, dass hinsichtlich des Polizeibeamten ihm die Rechte des Disziplinarvorgesetzen zustehen: Für seine Unaufmerksamkeit bestrafte er den Beamten mit sieben Tagen Arrest. Das Gouvernement handhabte die Bestrafung des unter seiner Disziplinaraufsicht stehenden Arztes nachsichtiger und beließ es dabei, „auf eine möglichst sorgfältige und gewissenhafte Bewachung von Waffen und Munition streng hinzuweisen.“470 So wie sich die Inspektion gegenüber dem Gouvernement die Disziplinarstrafgewalt gegen die Polizeibeamten vorbehielt, so versuchte auch der 464 465 466 467 468 469 470

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NAN BWI 155, L 2 b, Bd.1, RVerf Gouv an BA Windhuk, 23.6.09. NAN ZBU 159, A VI a 3, Bd. 24, Bl.34, Jahresbericht der Landespolizei 1910/11,12.6.11. NAN BKE 292, U.A. 33/6, Qualifikationsberichte für 1913, 7.3.13. NAN OGW 37, Gen XVI 2, Bl.43, Vermerk OG Windhuk, 18.2.13. BAB R 1002/2466, Bl.11, RKA an Gouv, 30.8.09. NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, RVerf Gouv an BA Windhuk, 1.5.09. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 139, Telgr, BA Warmbad an Gouv ; Bl.140, Gouv an BA Warmbad, 5.12.13; Bl.205, Vermerk Bethes, 5.1.13; Bl.209, Gouv an BA Warmbad, 19.1.14.

Bezirksamtmann von Rehoboth sein Recht, die „Disziplin nötigenfalls durch Strafverhängung“ aufrecht zu erhalten, gegenüber der Inspektion zu verteidigen: Inspekteur Bethe hatte den Sergeanten Sternberg, der behauptete, mit einem Pfeil angegriffen und dabei am Kopf verletzt worden zu sein, sich dann aber in Widersprüche verwickelte, mit fünf Tagen Arrest belegt. Bezirksamtmann v. Vietsch sah sich deshalb in seiner Strafkompetenz übergangen, die ihm die Dienstvorschrift für die Landespolizei [Teil I, Absch.I § 2a] an die Hand gab. Die von ihm konstatierte „nichtbeabsichtigte Collission der Strafbefugnisse“, bat er durch eine Verfügung des Gouvernements zur Abgrenzung der Kompetenzen für die Zukunft auszuschließen. Im konkreten Fall sprach sich v. Vietsch gegen die Strafe aus, da Sternberg „zur Zeit des Vorfalls an Neurasthenie litt“ und die „Kopflosigkeit eines neurasthenisch veranlagten Beamten nicht mit einer Arreststrafe zu ahnden ist“, die „Diziplinwidrigkeiten und grobe Pflichtverletzungen ahnden“ soll. Eine „scharfe Ermahnung“ und „Versetzung in einen anderen Bezirk“, die ihm die Gelegenheit geben sollte, zu beweisen, dass er „gelernt hat, seine Nerven zu beherrschen“, waren nach v. Vietsch geeignetere „Erziehungsmittel“. Der Inspekteur überließ daraufhin die Bestrafung dem Bezirksamt. Zu einer grundsätzlichen Abgrenzung der Strafbefugnisse zwischen Inspekteur und Bezirksämtern kam es bis 1914 nicht.471 Das Beschwerderecht Alle Beamten hatten das Recht Beschwerde gegen ihre Bestrafung oder sonstige Verfügungen Vorgesetzter einzulegen. Das Gouvernement stellte jedoch im April 1911 fest, dass „mehrfach persönliche Beschwerden“ aufgesetzt worden waren, weil im Verkehr der Dienststellen untereinander und bei Meldungen die „Sachlichkeit fehlte, welche allein eine erfolgreiche Erledigung der Dienstgeschäfte möglich macht.“ Die Beamten wurden angewiesen, „ihre Dienstgeschäfte rein sachlich zu behandeln … Dem anderen Teile Beweggründe unterzuschieben, die er nicht selbst als für ihn maßgebend bezeichnet hat“, sei „so unzulässig, wie eine verletzende Kritik.“472 Der Ausbau des Beschwerdewesens innerhalb der Landespolizei ist ein Indiz für die interne Verrechtlichung der Verwaltung. Die Organisation des Beschwerdewegs blieb lange ungeklärt. Erst 1913 ging das Gouvernement daran, „diese Bestimmungen für die Beamten möglichst [zu] vereinfach[en]“, da sie bisher zu Zweifeln und „Verstößen“ gegen den Dienstweg geführt hätten.473 Eine Rundverfügung legte die Anwendung des § 21 der Dienstvorschrift neu fest. Die Beschwerde des einzelnen Beamten – „auch gegen den zuständigen Verwaltungschef, Inspektionsoffizier oder den Vorstand der Behörde“ – 471 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.127, BA Rehoboth an Gouv, 2.2.14; Bl.129, ILP an Gouv; Bl.130, Gouv an BA Rehoboth, 3.4.14. 472 NAN ZBU 79, A II t, Bd.1, Bl.177, RVerf Gouv an alle BA und DA, 11.4. 11. 473 NAN ZBU 747, G I b 1, Bl. 114, Stellungnahme von Ref. 2 zu RVerf, 23.2.13.

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war durch die Polizeistation an das Bezirks-(Distrikts-)Amt zu richten. Konnte die Eingabe nicht im Rahmen der eigenen Zuständigkeiten durch das Amt erledigt werden, so war sie unter Beifügung einer Äußerung des Inspektionsoffiziers an die Inspektion oder, bei Unzuständigkeit, an das Gouvernement weiterzuleiten.474 Beachtete der Antragsteller diesen Dienstweg nicht, riskierte er eine Bestrafung.475 Wurde eine Beschwerde als „unberechtigt“ abgewiesen, konnte der Beschwerdeführer dafür ebenso bestraft werden, wie in Fällen, in denen die Form seiner Beschwerde für unangemessen erachtet wurde. So erhielt der Sergeant Esper drei Tage Arrest, „wegen groben Verstoßes gegen die Disziplin, welche in der Art der Abfassung einer an den Bez. Amtmann [von Windhoek] gerichteten Beschwerde über den [Polizeisergeanten] Ewert zu finden ist.“476 Auch das Gouvernement bemängelte mitunter den „Ton“ einer Beschwerde, und Hauptmann Streitwolf bemerkte „allgemein“, dass „Polizeibeamte sich etwas reichlich oft wegen einer Bestrafung beschweren. Dieses wird noch öfter eintreten, wenn sie sehen, daß sie beim Gouvernement ein williges Ohr finden. Man erschwert dadurch der Inspektion es ganz enorm, die Disziplin aufrecht zu erhalten. Solange man eine Beschwerde aus formellen Gründen zurückweisen kann, muß dies aus disziplinellen Rücksichten geschehen. … Entscheidungen über Beschwerden über Disziplinarstrafen müssen … vom militärischen Standpunkte aus getroffen werden, d. h. vor allem muß die Disziplin gewahrt bleiben.“477

Damit wurde das Beschwerderecht der Polizeibeamten zu einer stumpfen Waffe verkürzt. Aussichten auf ein erfolgreiches Vorgehen gegen Weisungen direkter Vorgesetzter bestanden nicht. Bestrafungen abzuwenden gelang den Polizeibeamten so gut wie nie. Strafgründe Die Gründe für eine Bestrafung waren vielfältig. Dienstliche ,Fehler‘ ahndeten die Vorgesetzten seltener. 1910 wurde gegen zwei Beamte in Keetmanshoop wegen eines Vergehens im Amt ein Verfahren eröffnet. Sie hatten sich dem Vorwurf fahrlässiger Gefangenenbefreiung (§ 347 II RStGB) ausgesetzt.478 Der Sergeant Münzberg musste 30,– M Strafe zahlen, weil er „gegen einen Eingeborenen, der der Unterschlagung verdächtig war, nicht sofort Anzeige erstattet und keine Vorkehrungen getroffen hat, die das Entlaufen des Verdächtigen verhindert hätten.“479 Übermäßiger Alkoholkonsum und Disziplinlosigkeit dagegen bildeten die häufigsten Tatbestände, die mit einer Ar474 475 476 477 478 479

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NAN ZBU 747, G I b 1, Bl. 118, RVerf Gouv, 20.3.13. NAN ZBU 747, G I b 1, Bl. 153, RVerf Gouv, 10.11.13; Bl. 150, ILP an Gouv, 3.11.13. NAN BWI 438, Monatsrapport der Ortspolizei Windhuk, 1.6.09. NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.153, Vorbemerkung, Gouv an PolSgt Billmeyer, 30.5.13. BAB R 1002/2466, Bl.11, BG Keetmanshoop an Gouv, 1.7.10. NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl.118, ILP an Gouv, 3.7.12.

reststrafe geahndet wurden. Selbst in Windhoek ließ die Disziplin der Polizei mitunter zu wünschen übrig. Einen sich an einer Prügelei beteiligenden Reiter, der zum Polizeidienst kommandiert war, bestrafte der Bezirksamtmann Duft im Juni 1903 „mit einem strengen Verweis“.480 Sergeant Kreuzer blieb seinem Dienst einen halben Tag fern – der Bezirkschef Brill war gerade abwesend –, obwohl er wusste, dass außer ihm niemand in der Wachstube sein konnte und erschien am folgenden Tag „erst Nachmittags um 3 Uhr … mit der Entschuldigung, daß er verschlafen habe.“ Brill bestrafte ihn dafür mit vier Tagen Arrest.481 Der Polizeisergeant Geffke erhielt einen Tag Arrest, „weil er in unvorschriftsm[äßigem] Anzug auf der Straße erschien“. Sergeant Lahmeyer hatte sich „in betrunkenem Zustande auf dem [Windhoeker] Bahnhof vor Abfahrt des Zuges … [aufgehalten] und 2 Offiziere nicht beachtet“ – was ihm zwei Tage Arrest einbrachte.482 Die „Nachlässigkeit“, Offizieren nicht die „Ehrenbezeugung zu erweisen“, wurde mit Verweis oder 20,– M Ordnungsstrafe belegt.483 Der Alkoholkonsum im Dienst war ein Problem unter den (Polizei-)Beamten, wie angesichts des Hausfriedensbruchs durch den betrunkenen Sergeanten Wiechert bei dem Keetmanshooper Anwalt und Mitglied des Landesrats A. Merensky deutlich wurde. Wiechert erhielt dafür einen Tag Arrest; ein schärferes Vorgehen (Entlassung) aber war, wie Referent Nellingbrunner zu bedenken gab, kaum möglich: „Wenn Trunkenheit stets Entlassung nach sich zöge, dann dürfte nach meinen persönlichen Erfahrungen ein ewiger Wechsel in Beamtenschaft und Truppe die Folge sein.“ Mit anderen Worten: der Alkoholkonsum der Beamten war hinzunehmen, da ,besseres‘ Personal nicht zu haben war. Auch der Keetmanshooper Bürgerverein reagierte mit Nachsicht. Als Merensky eine Resolution an den Gouverneur beantragte, wurde ihm entgegengehalten, „wer vom Bürgerverein noch nicht betrunken gewesen sei, solle den ersten Stein auf W. werfen, Merensky aber habe am allerwenigsten Anlaß dazu!!“484 Die Sorge vor Disziplinlosigkeit trieb die Inspektion auch dann zu harten Strafen, wenn im Einzelfall Milderungsgründe vorgetragen werden konnten. Denn, wie Hauptmann Hensel an O. Hintrager schrieb: Der Grundsatz, „daß jeder Fall im Rahmen der gesamten Handhabung der Disziplin geprüft werden muß“, sei „maßgebend.“ Daher verhängte die Inspektion unter Verweis auf das Militär Arreststrafen gegen Beamte, die ihrer Pflicht, ihre Verheiratung sechs Monate zuvor bekannt zu geben, nicht nachgekommen waren.485 Wenn hinter diesem den Polizisten bekannten Grundsatz auch die Erwartung stand, die Disziplin rücksichtslos durchzusetzen, so vermochten die Strafandro480 481 482 483 484 485

NAN BWI 417, P I 13 spec., Bl. 99, Vernehmung Kappauf, 8.6.03. NAN BWI 438, Monatsrapport der Ortspolizei Windhuk, 1.8.09 [Vermerk Brills, 14.8.09]. NAN BWI 438, Monatsrapport der Ortspolizei Windhuk, 1.3.09; 1.5.12. BAB R 1002/2465, Bl.17, BA Lüderitzbucht an Gouv, 4.7.10. NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.112, Notiz. Ref. 2 Nellingbrunner, 3.4.13. NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.151, ILP an Gouv, 17.4.13.

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hungen doch nicht, selbst Gewaltdelikte der Beamten zu verhindern. Der Gefahr maßloser Amtsgewalt war sich die Zentrale in Berlin bewusst. Um diese Aufmerksamkeit zu dokumentieren, ordnete ein Erlass (1900) an, die Verfügung vom 27.2 1896 betr. die körperliche Züchtigung „jedem neu eintretenden Beamten und deutschen Schutz- und Polizeitruppen-Angehörigen“ auszuhändigen.486 Auch in den „Bestimmungen für die Landesbeamten“ von 1907 fand sich unter Punkt II.3. der Hinweis, dass das Prügeln nur den dazu ermächtigten Personen erlaubt sei und Zuwiderhandlungen disziplinarisch und gerichtlich bestraft würden.487 Dennoch blieben Körperverletzungsdelikte vorrangig gegenüber Afrikanern relevant, die von Polizisten auf Grund eines vermeintlichen Züchtigungsrechts geschlagen wurden. Auf Nachsicht der Vorgesetzten konnten die Täter dabei meist rechnen: Ob gegen einen Polizeisergeanten, der auf dem Depot Spitzkoppe einen Polizeidiener verprügelt hatte, Strafantrag zu stellen war, blieb zwischen Inspekteur Bethe und Justiziar Kohler strittig. Während Bethe darauf verwies, dass mangels „Folgen“ keine schwere Körperverletzung vorlag, machte Kohler darauf aufmerksam, dass es auf die Folgen nicht ankäme und es nur von Belang sei, ob der Sergeant in Notwehr gehandelt habe oder nicht.488 In einem anderen Fall erfuhr das Gouvernement aus der Presse, dass ein Arbeiter von einem Beamten ad hoc „verprügelt [worden] sein [soll], weil er keine Blechmarke bei sich hatte.“ Das Gouvernement wollte wissen, ob diese „Strafe“ im Strafbuch eingetragen worden war, denn: „Zum ,väterlichen Züchtigungsrecht‘ war der Polizeisergeant nicht berechtigt.“ Das Bezirksamt Windhoek hielt zwar die „Züchtigung [für] gerechtfertigt; dass sie kurzer Hand geschah, mag nicht ganz richtig gewesen sein.“489 Justiziar Kohler dagegen erachtete eine Disziplinarbestrafung des Beamten „für geboten. Seine Handlung streift zumindest hart an § 340 StGB [Körperverletzung im Amt].“ Die Billigung der Tat durch das Bezirksamt erschien dem Gouvernement „sehr befremdend.“490 Hatte doch das Reichsgericht schon 1887 erklärt: „Der Begriff der Mißhandlung und Körperverletzung ist im § 340 StGB kein anderer als im § 223 StGB.“491 Man beließ es gleichwohl bei einer Missbilligung. Das Gouvernement nahm derartige Fälle zum Anlass, alle Polizeibeamten darauf aufmerksam machen zu lassen, dass eine Körperverletzung im Amt ebenso strafbar wäre, wie das Verteilen von Ohrfeigen während einer Vernehmung (§ 343 RStGB). Eine „Nötigung der Eingeborenen in einem Strafverfahren“ sei eine schwere Verletzung der Amtspflicht und gefährde das Vertrauen zu einer unparteiischen Untersuchung: „Nur der Prozess des roNAN GLU 313, Gen F III, Bd.1, Bl.143, RK Bülow an Gouv, 29.2.08. Vgl. BAB R 1002/980, Bl.13, Bestimmungen für die Landesbeamten idF v. 1.10. 1907. BAB R 1002/2466, Bl.34, ILP an BG Keetmanshoop [Vermerk Kohler], 14.12.10. NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.20, Gouv an BA Windhuk, 26.8.12 [vgl. Südwestboten # 102]; Bl.22, BA Windhuk an Gouv, 27.8.12. 490 NAN ZBU 108, A III e 1, Bl. 32, Gouv an BA Windhuk, 24.9.12. 491 RGSt, 15, 380; RGSt, 9, 303.

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hesten Mittelalters kannte Tortur.“492 Aber nur gelegentlich wurden Polizeibeamte disziplinarisch belangt, wenn sie prügelten. Der Sergeant Fidelak etwa erhielt vom Windhoeker Amtschef Brill einen „Verweis, weil er einen Eingeborenen mißhandelt hat.“493 Noch seltener kam es zu einer gerichtlichen Strafe. Der Keetmanshooper Sergeant Hense, der nach dem Qualifikationsbericht für 1913 „seinen Posten als Stationsältester in Hoolog zur Zufriedenheit“ ausfüllte, war im Februar 1912 zu 300 M Geldstrafe wegen Körperverletzung im Amt verurteilt worden, „begangen [im November 1911] an Untersuchungs-, bzw. strafgefangenen Kapeingeborenen.“ Seine Kollegen Eschen und Perschke hatten 210,– bzw. 660,– M zu zahlen. „Allen drei wurden mildernde Umstände zugebilligt.“494 Ähnlich erging es dem Sergeanten Kümme, der wegen Körperverletzung eines Arbeiters angeklagt war, sich aber durch Notwehr gerechtfertigt glaubte. Das Bezirksgericht Windhoek billigte ihm mildernde Umstände zu, doch ein „mehrmaliges Zuschlagen mit dem Gewehrkolben ins Gesicht und auf den Kopf des Hans war nach den konkreten Umständen nicht geboten.“495 Unterschlagung, Vorteilsnahme und andere Formen von Korruption waren Delikte, gegen die vorzugehen, wegen der mangelnden Kontrolle der weit auseinander liegenden Stationen, kaum möglich war. Im kleineren Maßstab nutzte mancher Polizeibeamte die ihm eigenen Möglichkeiten zu seinem Vorteil aus. 1912 war ruchbar geworden, dass der Polizeisergeant Wache einen „umfangreichen Handel [„mit Eingeborenen“] getrieben hat, der mit der Stellung eines Polizeibeamten nicht zu vereinigen ist“ und sich außerdem noch „einen weit über den Hausbedarf hinausgehenden Bestand an Groß- und Kleinvieh gehalten“ hatte (angeblich 40 Rinder und 200 Stück Kleinvieh). Da Wache auch das „Dienstgeheimnis“ nicht beachtete und sich „in die Privatangelegenheiten der Farmer in der Umgebung [mischte und] damit kolossal Ärgernis, Schaden und Zwist unter denselben“ erregte, lag es, so der Farmer Külewind, „im Interesse des Friedens, [ihn] so schnell wie möglich von Aminuis zu entfernen.“ Es bedurfte jedoch wiederholter Beschwerden an das Distriktsamt Aroab und das Gouvernement, bis von Windhoek aus die Bestrafung Waches mit Arrest angeordnet wurde. Distriktschef Struve hatte die Beschwerden als „Gehässigkeiten“ abgetan, mit denen die neidischen Farmer den Beamten wegen seines „hochmütigen und herausfordernden Benehmens“ „denunzieren“ wollten. Auch die Inspektion hatte die Vorwürfe nicht allzu ernst genommen. Vor allem aber wollte der stellvertretende Inspekteur Hensel vermeiden, dass dem Wunsch nach Versetzung Waches durch das Gouver-

492 NAN ZBU 746, G I a 1, Bl.174, Gouv an alle BA+DA, 1.10.12. 493 NAN BWI 438, Monatsrapport der Ortspolizei Windhuk, 1.2.09. 494 NAN BKE 292, U.A. 33/6, Qualifikation PolSgt Hense, 7.3.13; BAB R 1002/2466, Bl.61, BG Keetmanshoop, 12.1.12; Bl.69, BA Keetmanshoop an Gouv, 8.2.12. 495 BAB R 1002/2466, Bl.76, Beschluss BG Windhuk, 13.3.14.

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nement stattgegeben würde.496 Dennoch erhielten die Inspektionsoffiziere die Anweisung, den privaten Viehbestand der Polizeibeamten zu kontrollieren, denn: „Auch jenseits der Grenze hat ein Beamter wie Wache das Ansehen des deutschen Beamtentums gefährdet.“497 Die Stimmung gegen die Polizei unter den Farmern war unter anderem durch dieses Fehlverhalten angeheizt worden. Gegen Unterschlagungen war die Landespolizei nicht gefeit. Manchen Beamten der abseits gelegenen Stationen wurde das Gehalt auf ihre „Bank überwiesen.“ (Üblich war es, das Geld am Amtssitz abzuholen und dies mit einer Instruktionsstunde zu verbinden.) „Veranlassung dazu gaben die wiederholten Unterschlagungen von Gehältern durch die mit dem Empfang betrauten Polizisten“.498 Eine Ausnahme blieb es, dass ein Beamter nach der Entdeckung seines Fehlverhaltens alle Brücken hinter sich abbrach: „Mut und Schneid der Polizei wurden durch einen ehemaligen Kameraden auf die Probe gestellt, der nach seiner Verurteilung wegen Amtsunterschlagung aus dem Windhuker Gefängnis ausgebrochen war, sich in Klein-Windhuk durch Diebstähle Unterhalt und Waffen verschafft und einem Polizeibeamten, der ihn festnehmen wollte, durch die Lunge geschossen hatte. Er wurde, nachdem unter der Leitung des Inspektionsoffiziers Freiherrn von Hirschberg ein ständiger Sicherheitsdienst eingerichtet worden war, nach drei Tagen bei der Festnahme, gegen die er sich zur Wehr setzte, erschossen.“499

Wie dieser Fall zeigt, zögerte die Kolonialverwaltung nicht, Polizeibeamte schwerster Straftaten zu überführen, wenn die Beweislast erdrückend war. Der Reputationsverlust für die staatlichen Institutionen war immens. Doch wie der Fall des C. Peters lehrte, wäre die Kritik noch lauter ausgefallen, wenn Anhaltspunkte nicht verfolgt und die Presse und der Reichstag davon erfahren hätten. Zwar war ein Verfahren gegen einen Sergeanten in Keetmanshoop wegen des Verdachts der Vergewaltigung 1910 eingestellt worden;500 doch zwei Jahre später wurde in einem neuen Fall ein Polizeibeamter wegen dieses Verbrechens verurteilt. Am Morgen des 27. April 1912 fanden Anwohner in Keetmanshoop die Leiche eines 10jährigen Mädchens. Die Untersuchung der Leiche ergab, dass das Kind vergewaltigt worden war. Noch am selben Tag verdichtete sich der Verdacht, dass nur Polizeisergeant Odenwald als Täter in Frage kam. Am folgenden Tag wurde er in Untersuchungshaft genommen. Sein Kollege, der bei der Ortspolizei tätige Sergeant Lobbes, wurde ebenfalls verhaftet. Da er 496 NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.113, Külewind an DA Aroab, 6.12.12; Bl.134, DA Aroab an Gouv, 24.1.13; Bl.136, ILP an Gouv, 4.3.13; Bl.138, Gouv an ILP, 29.3.13. 497 NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.79, Gouv an ILP, 29.3.13. 498 BAB R 1002/2718, BA Lüderitzbucht an Gouv, 15.11.10. 499 NAN ZBU 157, A VI a 3, Bd.20, Bl.168, Jahresbericht Bezirk Windhuk 1909/10, 4.6.10. 500 BAB R 1002/2718, Übersicht über 170 Polizeibeamte, Bl.66, o.D. [~8/1910].

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von dem Verbrechen wusste und eine Anzeige unterließ, hatte er sich wegen Begünstigung im Amt strafbar gemacht.501 Der Präses der evangelischen Mission im Namaland, Carl Wandres, der bei der Zeugenvernehmung durch den Kriminalbeamten Jochem dolmetschte, schilderte in einem Schreiben an den Gouverneur Seitz den Tathergang: In der Nacht vom 26. zum 27. April betraten die zwei betrunkenen Beamten nach einer „Kneiptour“ die „Eingeborenenwerft“. Odenwald war auf der Suche nach einer gewissen Sofie und schimpfte und schrie sich solange durch die Ansiedlung, bis er das kranke Mädchen gefunden hatte. Er behauptete, Sofie festnehmen zu müssen und „riss … das nur mit einer leichten Decke umhüllte Kind aus der Hütte hinaus in die bitterkalte Nacht“; ihrem Flehen „Sergeant ich bin krank!“ schenkte der „Unhold“ keine Aufmerksamkeit. „Lärm zu schlagen“ wagten die Bewohner nicht, „weil ja die Polizei selbst die Verhaftung des Kindes vornahm.“ Odenwald schleppte das Kind zum Wagenpark der Polizei und vergewaltigte es dort. Nach der Tat floh Sofie, brach aber zusammen und starb. Das Bezirksgericht Keetmanshoop wollte eine Kausalität zwischen dem Tod und der Vergewaltigung nicht erkennen, weshalb nicht auf „Notzucht mit Todesfolge“ (§ 178 RStGB), sondern auf § 176 III (Unzucht mit Minderjährigen) erkannt wurde. Auch C. Wandres hielt es für notwendig zu betonen, dass das Kind „schwer herzleidend gewesen ist, und über kurz oder lang seinem Leiden erlegen wäre.“ Der Staatsanwalt beantragte zwei Jahre und acht Monate Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust, das Gericht aber verurteilte Odenwald am 21. Mai 1912 zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust. Der Sergeant Lobbes, der Odenwald begünstigt hatte, wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Mit der Urteilsverkündung wurden beide aus der Landespolizei entlassen. Präses Wandres, der Sofie als „eines seiner treuesten und bescheidensten Schulkinder“ beschrieb, hielt diese Schilderung des Falls für „authentisches Material …, das Antwort geben kann auf die Ursachen eines erneuten Aufstandes.“ Er warnte Seitz, der erst durch seinen Bericht „genauer über die Sache unterrichtet wurde“, dass „diese viehische Tat von [„den Eingeborenen“] für spätere Zeiten … a conto geschrieben“ wird – denn: „Besondern Hass erweckt die Tat, weil sie sie von einem berufnen Hüter der Ordnung geschehen ist.“ Nach Wandres konnte Odenwalds Verurteilung die afrikanische Bevölkerung nicht überzeugen, „dass die Handhabung des deutschen Rechtes eine unparteiische ist.“ Seitz sah sich durch die Mahnungen der Mission genötigt, in einem Rundschreiben an die Gerichte darauf zu drängen, „dass Delicte Weisser gegen Eingeborene mit der höchst zulässigen Strafe

501 NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl. 57, BA Keetmanshoop an Gouv, 9.5.12; Bl.68 BG Keetmanshoop an Gouv, 5.5.12.

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gesühnt werden sollen.“502 Auch in Deutschland wurde dieser Fall der Kolonialverwaltung „a conto geschrieben“. Dem Sozialdemokraten G. Noske entging er nicht. Er nutzte ihn im Reichstag zu einem Angriff auf die Strafjustiz in den Kolonien. Hielt er doch die „Rechtsbegriffe in den Schutzgebieten“ für „auf den Kopf gestellt“: „In Keetmanshoop in Südwestafrika kommt eines Tages ein besoffener Polizeibeamter nachts in die Eingeborenenwerft, holt sich dort gewaltsam ein zehnjähriges Mädel heraus und vergewaltigt das Kind, so daß es stirbt. (Hört! Hört! Bei den Sozialdemokraten) Das Gericht hat den Mann zu 4 12 Jahren Zuchhaus verurteilt. Aber die Schutzgebietszeitungen haben darüber geklagt, daß das Urteil zu hart sei“.

Nach der Vergewaltigung eines 4jährigen deutschen Mädchens durch einen 16jährigen „Negerjungen“ Tage zuvor dagegen wurde der Täter zum Tode verurteilt und von Seitz zu acht Jahren Zuchthaus begnadigt. „Daraufhin hat die weiße Ansiedlerseele bis zum Überschäumen gekocht. Mit allem Nachdruck ist gefordert worden, der Junge müsse an den Galgen.“503 Fälle wie der des Odenwalds waren außergewöhnlich. Doch Noskes Kritik zeigt, wie auch im direkten Vergleich mit zweierlei Maß gemessen wurde. So wenig wie jugendliches Alter strafmildernd wirken musste, so wenig erwuchs Odenwald daraus, dass er Beamter war, ein straferschwerender Nachteil. Im Gegenteil, der von der Verwaltung gestellte Staatsanwalt zeigte sich nachsichtiger als das Gericht. Beamte konnten, das zeigen die Urteile wegen Körperverletzung, auf die Großzügigkeit nicht nur ihrer Vorgesetzten, sondern – im seltenen Verhandlungsfall – auch auf milde Urteile durch die mit Ansiedlern als Beisitzern versehenen Gerichte zählen. Die internen Disziplinar-Kontrollen dagegen, von denen die Öffentlichkeit nichts erfuhr, die aber von den Vorgesetzten als maßgeblich für das Verhalten der Polizisten erachtet wurden, zeichneten sich durch betonte Unnachsichtigkeit aus – das Beschwerdesystem bot nur eine theoretische Abmilderung. Hier war das Ansehen der Verwaltung als Ganzer nicht in gleichem Maße wie bei einer Gerichtsverhandlung bedroht, in der das Ausmaß der Steuerungsund Kontrolldefizite der Vorgesetzten vor der Öffentlichkeit hätte offenbar werden können. Durch Disziplinarstrafen konnten Polizeibeamten an ihre militärische Herkunft und die dort eingeforderte Disziplin erinnert werden, was es den Vorgesetzten einfacher machte, Willfährigkeit und Gehorsam einzufordern. Die über die Jahre in etwa gleich bleibende Zahl der Disziplinarstrafen lässt einen negativen Rückschluss auf die Zweckmäßigkeit dieser Strafen zu. Ein ,Lerneffekt‘ ist, abgesehen von der permanenten Fluktuation von neu angestellten und ausscheidenden Polizeibeamten, umso weniger zu 502 NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl.75 – 78, Präses Wandres an Gouv, 22.5.12; AELCRN, C I 1.43, Bl.69, Halbjahresbericht der Nama-Konferenz, 16.8.12. 503 SBRT, Bd. 288, 13. L.P., 1. Sess. 1912/14, 128. Sitzung, 7.3. 1913, S. 4349; vgl. Engel, 1984, S. 160; Oermann, 1999, S. 179 – 183.

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erkennen, als die Abgelegenheit vieler Stationen das Risiko gering hielt, bei einer Übertretung entdeckt zu werden. Darüber hinaus stellte sich auf Grund der geringen Aufstiegschancen und der keineswegs überragend zu nennenden Bewerberzahlen eine Indifferenz gegenüber dem Disziplinarwesen ein. Zumal es der Inspektion nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich war, unliebsame Polizeibeamte sofort zu entlassen. Gleichwohl disziplinierte die Aussicht, den gut bezahlten Posten zu verlieren und mittellos in der Kolonie nach einer neuen Anstellung suchen zu müssen, das Verhalten stärker als es die Disziplinarstrafen selbst vermochten.504

504 Vgl. Art. Polizeitruppen, in: DKL, Bd.III (1920), S. 73; Gann/Duignan, 1977, S. 88.

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Dritter Teil: Die Polizei im kolonialen Raum V. Die Polizei in herrschaftsnahen und herrschaftsfernen Räumen Frühe koloniale Herrschaft, so der Soziologe T. v. Trotha, war durch ihren Mangel an Stetigkeit gekennzeichnet.1 Sie bedurfte der Zeit – und erheblicher Mittel, um sich zu verfestigen. Infrastruktur und Personal standen ihr nach der Wahrnehmung der eigenen Protagonisten nur in unzureichendem Maße zur Verfügung. Dies führte zu einer unregelmäßigen, punktuellen kolonialen Präsenz in weiten Räumen eines Territoriums, das Kolonie genannt wurde, aber teils kaum kolonisiert war. Der fragmentarische, unbeständige Charakter kolonialer Herrschaft wurde dann deutlich, wenn der Blick der Kolonisatoren sich auf jene Räume richtete, die neben und fernab der eigenen, oft erstaunlich kleinen Herrschaftszentren, der Ortschaften und Stationen lagen. Der koloniale Staat war „Territorialstaat“,2 aber die staatliche Durchdringung dieses Territoriums gelang bis in das 20. Jahrhundert hinein nur notdürftig: „Germans – like their colonial rivals – were exceedingly thin in the field.“3 „In Afrika blieb das Ideal des rationalen Staates mit Gebietsherrschaft, Gewaltmonopol, Steuern, schriftlich fixierten Gesetzen und der Verheißung der aktenmäßigen Erledigung … in großen Teilen eine Herrschaftsutopie, die gleichwohl beträchtliche Folgen hatte.“4 Umso wichtiger ist es daher, die Bedeutung der kolonialen Raumordnung hervorzuheben. Das Erfordernis einer ausgewiesenen „Polizeizone“ in DSWA allein illustriert diese Bedeutung. Es zeigte sich eine „zunächst linien- und dann flächenhafte Etablierung der Herrschaft“ durch einzelne Militärzentren, die sich zu dörflichen Zentren verdichteten.5 Der koloniale Staat war kaum in der Lage, die von ihm vorgefundenen Gesellschaften radikal umzugestalten. Am ehesten noch mag ihm dies in jenen Agglomerationen gelungen sein, die vor seiner Aufrichtung weitgehend unbekannt waren.6 Dauerhafte Siedlungen mit 4.000 und mehr Einwohnern wären im vorkolonialen Herero- oder Namaland eine ökologische wie ökonomische Absurdität gewesen. Zwar wurde schon vor Jahren die 1 2 3 4 5 6

Vgl. v. Trotha, 1994, S. 3; 117; Sack, 2001, S. 41. Osterhammel, 2003, S. 77; Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 23. Gann/Duignan, 1977, S. 71. Eckert/Pesek, 2004, S. 88: vgl. Eckert, 2007. S. 10. Vorlaufer, 2001, S. 154, Pesek, 2006, S. 132: ein „Flickenteppich von Herrschaftsinseln“. Für Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 16; Vorlaufer, 2001, S. 145.

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Künstlichkeit der Polarisierung von Stadt und Land betont, die im afrikanischen Kontext, doch nicht nur dort, unmittelbar ineinander übergehen und nicht anders denkbar wären als ein ,integriertes System‘.7 Aus der kolonialstaatlichen Perspektive aber, die auf Sicherung und Ordnung des Territoriums ausgelegt war, dominierte diese Gegenüberstellung. Denn sie stellte sich als eine Trennung in herrschaftsnahe und herrschaftsferne Räume dar ; Räume, in denen, wenn auch keine unmittelbare Anwesenheit von Polizei oder Militär verbürgt war, zumindest zeitnah koloniale Ordnung gewährleistet werden konnte und solche, in denen dies nicht der Fall war. Der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, von der der Historiker A. Wirz als zentralem Charakteristikum kolonialer Herrschaft spricht,8 wohnte daher ein konkret räumlicher Aspekt inne: Wenn behauptet wird, „die Befriedung der Kolonie [DSWA] gelang am Ende“, so ist dem zunächst G. Krügers Warnung entgegen zu halten, dass zeitgenössische „Allmachtsphantasien“ nicht durch die Geschichtsschreibung reproduziert werden sollten.9 Zum anderen ist der Zeitraum dieses „Ende[s]“ möglichst eng zu bemessen. Vor allem aber ist zu fragen, wo in der Kolonie diese Befriedung gelungen sei – sicher nicht im ganzen Kolonialgebiet. Zwar gab es „befriedete“ Räume in der Kolonie – was sich ändern konnte, wenn die koloniale Präsenz abnahm; daneben aber existierten Räume, in denen die Etablierung kolonialer Ordnung erst für die Zukunft vorgesehen war. Eine Alternative dazu bestand nicht, dafür war der Kolonialstaat zu schwach: „Der Militär- und Polizeiapparat konnte zwar einzelne Maßnahmen an einzelnen Orten mittels Gewaltandrohung oder auch brutaler Gewaltanwendung recht effektiv umsetzen, aber er konnte dies eben nicht jederzeit und an jedem Ort tun“.10 Im Folgenden soll anhand von drei Beispielen die Polizeipraxis im kolonialen Raum dargestellt werden. Die Unterschiede sollen die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ illustrieren und zeigen, wie wenig mit der Feststellung gewonnen ist, die deutsche Kolonialverwaltung sei nach 1907 zur „direkten Herrschaft“ übergegangen.11 Wenn die „Durchführung der Eingeborenensteuer“ nicht allein als eine „friedliche Eroberung“ galt, so der Gouverneur von Kamerun, sondern als die „eigentliche Aufrichtung der Herrschaft“, dann war nach diesem selbstgewählten Maßstab der deutsche Kolonialstaat mit der Aufrichtung seiner Herrschaft in DSWA bis 1914 nicht allzu weit gekommen: Während in der ,Stadt‘ Windhoek und anderen Ortschaften die Verwaltung daran gehen konnte, Steuern von Afrikanern zu erheben,12 ihre Unterkünfte zu standardisieren und das Sexualleben zu regulieren, war die Polizei auf den 7 8 9 10 11 12

Wilmsen, 1989, S. XI; vgl. Parker, 2000, S. xxi; Eckert, 2007, S. 18 mwN. Wirz, 2003, S. 10. Kößler/Melber, 2004, S. 40; Krüger, 1999. S. 184. Eckert/Pesek, 2004, S. 88; Eckert, 2007, S. 10. Fieldhouse, 1965, S. 327; vgl. auch Sippel, 2006, S. 301. Art. Eingeborenensteuern, in: DKL (1920), Bd.1, S. 515 f.; Keetmanshooper Zeitung I. Jg # 14, 24.7. 1913, S. 3; Zimmerer, 2004, S. 274; 281.

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Farmen kaum in der Lage, die Lohnauszahlung an Arbeiter zu kontrollieren, geschweige denn die Selbstjustiz und Prügelexzesse der Siedler oder die Flucht der Afrikaner einzudämmen. Jenseits der abpatrouillierten Wege zwischen den Farmen, kolonialen Macht- und Kraftlinien, hörte der Kolonialstaat – bis zur nächsten Anwesenheit eines Beamten oder Soldaten – auf zu bestehen. Je weiter nach Norden die Wege führten, desto dünner wurde die koloniale Präsenz, um sich jenseits der Etoschapfanne auf die Repräsentation einzelner Vertreter zu beschränken. Und auch dies nicht beständig, sondern im Abstand von Jahren; später allenfalls Monaten. Selbst eine permanente Präsenz an zwei Orten nördlich der Polizeizone ab 1910 bewirkte dort noch keine koloniale Herrschaft. Durch ihre machtpolitische wie militärische Zwecklosigkeit wird der symbolische Charakter der zwei neu errichteten Stationen Schuckmannsburg und Kuring-Kuru noch betont. Während es für andere Stationen durchaus zutraf, wird man Kuring-Kuru nicht einmal als eine „Insel von Herrschaft“13 bezeichnen können.

5.1. Neben dem Herrschaftszentrum „Neu-Deutschlands“. Ordnung und Sicherheit auf der „Werft“ in Windhoek 5.1.1. Windhoek. Afrikanischer Ort und koloniale Neugründung „Schlaftrunken und steif gefroren auf dem unbequemen Sitze auf der Vorkiste in der eisigen Nacht stieg ich vom Wagen und fragte den Führer: Ist hier Windhoek? ,Ja, hier ist Windhoek.‘ ,Aber wo denn?‘ Es war beim besten Willen nichts zu entdecken, was auch nur einer bescheidenen Vorstellung von dem Hauptorte des Schutzgebietes entsprochen hätte. Nun, es wird schon kommen!“14

Diesem ersten Eindruck des Rechtsanwalts G. Wasserfall nach seiner Ankunft in Windhoek im Mai 1898 ist nach den Härten der mehrtägigen Anfahrt eine deutliche Enttäuschung anzumerken. Seiner Hoffnung auf die Zukunft wollte er Ausdruck verliehen haben. Doch der „Hauptort des Schutzgebietes“ blieb lange eine kleine Ansammlung von Häusern und Hütten; zu klein, um es eine Stadt zu nennen, zu wichtig, um es bei der Bezeichnung ,Dorf‘ zu belassen: „Interessant und bis zu einem gewissen Grade malerisch war das Gesamtbild im Innern der Stadt, wie es Verkehr, Handel und Wandel schaffen: halb deutsch, halb afrikanisch das Aussehen, halb städtisch, halb dörfisch das Treiben der Menschen.“15 Ein Blick auf die Geschichte dieses Platzes im 19. Jahrhundert zeigt, warum er sich, im Gegensatz etwa zu Kapstadt oder 13 Pesek, 2005, S. 244 über Stationen in Deutsch-Ostafrika. 14 Windhoeker Anzeiger III. Jg. # 19, 12.9. 1901, S. 2; vgl. Schmidt, 2008, S. 67, 84. 15 BAK N 1042/29, Bl. 52, W. Külz: Windhuk vor 25 Jahren, o.D; vgl. Becher, 1995, S. 4.

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Luanda, als „Kolonialhauptstadt!“16 so außerordentlich bescheiden ausnahm, dass er in seinen Größenverhältnissen gar noch „überschätzt“ wurde.17 Der Ort /Ai//Gams (Khoekhoegowab-Nama/Damara) oder Otjomuise (Otjiherero), von dem Händler, Jäger und Abenteurer James Alexander 1837 Queen Adelaide’s Bath genannt, von den Missionaren Carl Hugo Hahn und Heinrich Kleinschmidt, die hier 1842 eine Missionsstation errichteten, Elberfeld, bestach durch seinen Wasserreichtum. Die Quellen luden seit Jahrtausenden zur Ansiedlung ein und ermöglichten in dem sonst für die Landwirtschaft so wenig geeigneten Landstrich Gartenbau. Auf den Oorlam chief Jonker Afrikaner (~1785 – 1861), der hier in den 1840er und -50er Jahren aus wirtschaftlichen wie strategischen Gründen siedelte und die Missionare ins Land geholt hatte, geht der Name Windhoek zurück. Mit ihm beginnt die aus schriftlichen Quellen bekannte Geschichte einer engeren Besiedlung des Orts, der zu diesem Zeitpunkt rund 2.000 Einwohner hatte.18 Jonker Afrikaner vermochte es, von hier den Handel mit Walvis Bay und dem Kapland zu kontrollieren. Durch Raubzüge gegen die Herden der Ovaherero im Norden sowie den Handel mit Elfenbein und Straußenfedern erwirtschaftete er ansehnliche Gewinne. Doch setzten sich die Ovaherero nach Jonker Afrikaners Tod gegen dessen Neffen Jan Jonker durch. Windhoek verlor an Bedeutung und Einwohnern. Nachdem chief Maharero die Hauptgebäude des Orts 1880 zerstört hatte, war Windhoek zu einer Geisterstadt geworden. Diesen Umstand konnte zehn Jahre später der deutsche „Commissar“ Curt v. FranÅois, von Otjimbingwe kommend, nutzen, der sich, wie vor ihm Jonker Afrikaner, von den naturräumlichen Vorzügen Windhoeks überzeugte, das ihm, an der Grenze zwischen Hereroland, Rehobother Bastern und der Nama/DamaraBevölkerung gelegen, damals niemand streitig machte.19 Gleichwohl waren weder S. Maharero noch die Missionare der Rheinischen Mission mit diesem Schritt zufrieden. Insbesondere die Mission fühlte sich durch die „Herren Offiziere“ in ihren alten „Rechten“ an dem Platz Windhoek verletzt, wo v. FranÅois an der viel genutzten Nord-Süd-Passage durch das Khomashochland, das militärische Hauptquartier für die „Schutztruppe“ errichten ließ.20 Er hielt damit den „Schlüssel“ zum Hereroland in der Hand. Denn durch 16 Hillebrechts verächtlicher Eintrag v. 22.1.05, in: Eckl, 2005, S. 191; vgl. Coquery-Vidrovitch, 2005, S. 284 – 89; 310 – 16; Anderson/Rathbone, 2000, S. 6. 17 Windhoeker Anzeiger II. Jg. # 24, 22.11. 1900, S. 2; 1913 betitelte die Keetmanshooper Zeitung (I. Jg. # 5, 22.5. 1913, S. 3) Windhoek als „Residenz“. 18 Wollte man Trüper, 2000, S. 47 folgen, nach der Jonker Afrikaner „einen Staat schuf“ (vgl. aber Osterhammel, 2003, S. 76.), so ließe sich mit Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 11 formulieren: „En Afrique noire comme ailleurs l’histoire de la formation des Etats est indissociable de l’histoire des villes.“ Andernfalls lässt sich diese Formulierung auch auf die Neugründung Windhoeks ab 1890 übertragen: „Pas d’Etat sans ville, et pas de ville sans Etat.“; Alexander, 1967 [1838]. 19 Lau, 1993, 18 f.; Lau, 1987, S. 33 f.; Kotz, 1990, S. 2 – 9; AELCRN, V 36, Gemeinde-Chronik, Bl.1 – 36; Zimmermann, 1912, S. 188 f.; Literaturüberblick bei Wallace, 2002, S. 23 – 28. 20 AELCRN, C I 1.3, Protokollbuch der Konferenzen im Hererolande, Bl.240, 22.4.91; Bl.244, 24.4.91; AELCRN, C I 1.11b, Bl.9, Viehe an Hpt v. FranÅois, 20.10.90.

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die „Alte Feste“, auf einer Anhöhe gelegen, konnte der Transport von Personen und Waren kontrolliert werden.21 „Seit Windhuk der Hauptort des Landes geworden, verlor Otjimbingwe an Bedeutung. Die Herero wurden böse als sie sahen, daß die Schutztruppe immer neue Verstärkung erhielt.“22 Als mit der Errichtung von Regierungsgebäuden und der Verstärkung der Truppe deren Versorgung immer lukrativer wurde, wagte sich mit August Schmerenbeck 1893 der erste Privatmann an den Bau eines Hauses. Es kamen, der hohen Nachfrage wegen, weitere Gast- und Wirtshäuser hinzu. Da die Mehrheit der deutschen Einwohner Soldaten oder Beamte waren, hing die Wirtschaft Windhoeks, wie die der übrigen Kolonie vollständig von den öffentlichen Geldern ab. 1894 wurde eine erste Lokalverwaltung, die Bezirkshauptmannschaft Windhoek unter Leitung des Assessors v. Lindequist eingerichtet. Eines der massivste Hemmnisse für die Ansiedlung Deutscher und den Ausbau des Orts waren die durch den teuren Transport von der Küste her bedingten hohen Warenpreise, die 1897 auf Grund der Rinderpest und des Zusammenbruchs des Ochsenwagenverkehrs noch einmal erheblich zulegten. Erst mit dem Ausbau der Bahnlinie Swakopmund-Windhoek bis 1902 verbesserten sich Verkehrsanbindung und Versorgung.23 Davon gab die Beobachtung des späteren Kommandeurs der Schutztruppe, L. v. Estorff schmeichelhaft Ausdruck, nach dem sich in „Windhuk, das immer größer wurde, einem Villenvorort gleichend, … allmählich ein ganz reges geselliges Leben entwickelt“ hatte.24 Aus kritischerer Perspektive hatten zuvor die Missionare den Ort und diese in ihm gepflogene „Geselligkeit“ betrachtet. Der im Dezember 1895 in Windhoek angekommene Missionar Siebe war erstaunt, wenn nicht entsetzt über die Zustände vor Ort, an den er seines Erachtens „viel zu schnell … gesandt“ worden sei. Landeshauptmann Leutwein hatte dies voraus gesehen. Er bekam einen „Schrecken“, als er erfuhr, „daß Siebe schon unterwegs sein soll“. Diesem blieb es überlassen, Grundstücke zu finden und Gebäude für Schule, Missionar und den Gottesdienst zu errichten, für die vorerst kein Geld vorhanden war. „Ein Interesse an den Gottesdiensten ist weder von deutscher, noch von Eingeborener Seite zu erkennen.“25 Nach Siebes frustriertem Weggang 1899 äußerte sich sein Nachfolger C. Wandres zwar positiver über Ort und Gemeinde, doch wusste auch er die Kritiker zu zitieren: „Windhoek – schon bei der Nennung dieses Namen fühlt mancher ein geheimes Grauen und frägt: ,Was kann aus Windhoek Gutes kommen?‘ Es ist ja wahr, Windhoek hat von jeher keinen guten Ruf gehabt und hat solchen heute erst recht nicht.“ Nicht ohne Ironie berichtete Wandres von allerhand „schmutzigen Liedern“, die vor seinem Fenster gesungen wurden 21 Scherz, 1957, S. 49; vgl. Vorlaufer, 2001, S. 158; Peyroux, 2004, S. 28. 22 AELCRN, V 25, Bl.106, Gemeinde-Chronik Otjimbingwe, 1893. BAK N 1042/29, Bl.48, W. Külz: Windhuk vor 25 Jahren, o.D.; vgl. Almeida-Topor, 1988, S. 26. 23 v. Alten, 1911, S. 117 (Art.: DSWA); zur Rinderpest und R. Koch, Echenberg, 2001, S. 41. 24 v. Estorff, 1968, S. 103 (v. Estorff beschrieb hier die Zeit um 1903). 25 AELCRN, C I 1.39, Bl.29, Bericht Siebe, 30.3.96; vgl. Oermann, 1999, S. 121.

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„– natürlich ist dies von Weißen geschehen, denn die Farbigen sind noch nicht so weit in der Cultur.“ Den „Antrieb“ für die Streiche dieser „Schandbuben“ hatte Wandres bald ausgemacht. Sie erreichten „ihr Ziel“ nicht mehr so leicht und schimpften: „,Dieser Missionar sagt, die Kaffernweiber sollen nichts mehr mit uns zu thun haben.‘“26 Auch in den kommenden Jahren wurde das Verhältnis Wandres’ zum „modernen Heidentum vieler unserer Landesleute“ in der Kolonie nicht besser. Diese würden der Mission entweder „gleichgültig gegenüber stehen oder dieselbe geradezu hassen.“27 Aus der Perspektive dieser „Landsleute“ stellte sich die durch den Missionar und die Verwaltung betriebene moralisch wie juristisch steigende Regelungsdichte in Windhoek – so war ab Januar 1896 jedes Fuhrwerk anzumelden und ab März 1899 bei der Ortspolizei Hundesteuer zu zahlen – als ein Verlust an Betätigungsfreiheit dar. Es nahm nicht Wunder, dass die „,alten‘ Afrikaner … bisweilen klag[t]en, die Gemüthlichkeit der frühen Tage sei verschwunden, forscht man aber genauer nach, so erhält man eine Erläuterung des Begriffs ,Gemüthlichkeit‘, die etwas an den ,Wilden Westen‘ erinnert und das Verschwundensein kaum besonders bedauernswerth erscheinen läßt.“ Doch bei den Ordnungsproblemen, auf denen der von Wandres vermerkte schlechte Ruf Windhoeks basierte, blieb es: „Es zieht sich in Windhuk viel Gesindel zusammen. … Die gerichtlich angeordneten Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen usw. sind daher sehr zahlreich“, klagte Polizei-Berittführer George noch 1913.28 20 Polizeibeamte versahen deshalb 1912 in Windhoek im Zoll- und Gefängnisdienst, bei der Kriminal- und der Ortspolizei ihren Dienst, hinzu kamen noch einmal so viele Polizeidiener.29 Bei rund 7.000 Einwohnern war Windhoek mit diesem Polizei-Einwohner-Verhältnis von 1:175 das Dorf mit der höchsten Polizeidichte des Kaiserreichs und übertraf noch die Verhältnisse der Hauptstadt Berlin, wo das Verhältnis bei 1:350 lag. Andernorts in Deutschland war die Polizei deutlich schwächer vertreten: „Um die Jahrhundertwende rechnete man auf 2.500 Einwohner einen Exekutivbeamten und einen Hilfsbeamten“.30

26 AELCRN, C I 1.40, Bl.74, Missionar Wandres: Jahresbericht der Station Windhoek, 4/02. 27 AELCRN, C I 1.40, Bl.161, Missionar Wandres: Jb Station Windhoek, 12.5.03. 28 Windhoeker Anzeiger, I. Jg. # 27, 12.10. 1899, Beilage, Windhoeker Brief, S. 1; NAN BWI 155, L 2 a, Bd.2, Bl.30, BA Windhuk an Gouv, 15.3.13; vgl. Anderson/Killingray, 1991, S. 10. 29 NAN BWI 155, L 2 b, Bd.2, ILP an BA Windhuk, 26.2.12. 30 Laux, 1993, S. 130; vgl. Jessen, 1991, S. 105; Funk, 1986, S. 211; Knöbl, 1998, S. 307.

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5.1.2. Auf dem Weg zur „dual city“. Eine kurze Geschichte der Segregation in Windhoek, 1898 – 1915 a) Segregation I. Die räumliche Dimension „When missionaries came to Africa, they had the Bible and we had land. They taught us to pray with our eyes closed, and when we opened them, they had the land and we had the Bible.“

Jomo Kenyattas Feststellung über die Selbstverständlichkeit, mit der Europäer afrikanisches Land an sich nahmen und darüber zu verfügen gedachten, bewahrheitet sich noch bis in die kleinste Parzelle Windhoeks.31 Der Ort sollte ein europäischer Raum werden, an dessen südlichem Rand Afrikanern ein Platz zugedacht war. Dabei blieb Windhoek stets eine überwiegend afrikanische Ansiedlung. Afrikaner stellten die Mehrheit seiner Einwohner zur deutschen Kolonialzeit: 1898 schätzte Missionar Siebe die afrikanische Bevölkerung Windhoeks auf 700 – 800 Personen, 1899 auf 1.500.32 1900 lebten in Groß-Windhoek ausschließlich der Militärangehörigen 247 „Weiße“.33 1903 führte Missionar Wandres eine „Volkszählung“ unter der afrikanischen Bevölkerung durch und zählte „2054“ Personen, von denen „526 getauft“ waren. Die „weißen“ Einwohner Windhoeks schätzte er auf 500 Personen.34 1913 lebten etwa 5.000 Afrikaner in dem Ort und 2.186 „Weiße“.35 Windhoek war damit die größte afrikanische Ansiedlung des Landes. Zugleich war der Ort eine „Kolonialstadt“ und „[a]ußer den beiden Küstenplätzen [Swakopmund und Lüderitzbucht], die durch den Seeverkehr ihre wirtschaftliche Existenz rechtfertigen, … als Sitz der Landesregierung die einzige städtische Ansiedlung von gesicherter Bedeutung. Die übrigen Plätze, die sich als Domizilien der Bezirks- und Distriktsverwaltungen charakterisieren, weisen neben den Regierungsgebäuden einige Stores, Gasthöfe und Wirtshäuser auf, deren Zahl zu ihrem Umsatz in keinem Verhältnis steht.“36

Was eine „Kolonialstadt“ ausmacht, darüber besteht keine Einigkeit. Schon das Phänomen „Stadt“ entzieht sich in seiner historischen Vielfalt weitgehend einer Definition.37 Eines der Charakteristika des Zusammenlebens in Städten kolonialen Gepräges ist die wohnräumliche Trennung zwischen Kolonialherren und Kolonisierten. Sie werden daher als dual cities bezeichnet.38 Während 31 Kenyatta, 1983, S. 5; vgl. Eckert, 1999, S. 1 f.; Werner, 1993, S. 135 f. 32 AELCRN, V 36, Bl.35, Chronik, 1899 (Zuwachs v. a. durch 500 deportierte Zwaartbooi). 33 Windhoeker Anzeiger II. Jg. # 24, 22.11. 1900, S. 2; Bevölkerungszahlen in: NAN ZBU 148, AVI a 3, Bd.5, Bl.164/168, Jb Bezirk Windhoek, 1899/00, Tabelle A/Tabelle C, o.D. [6/00]. 34 AELCRN, V 36, Bl.58, 61, Gemeinde-Chronik, 1903; Peyroux, 2004, S. 33. 35 Kotz, 1990, S. 13; Dar es Salam hatte 1913 22.500 Einwohner, Becher, 2001, S. 206. 36 Rathenau, 1928 [1908], S. 97 37 Vgl. Post, 2001, S. 1 – 3; Anderson/Rathbone, 2000, S. 9 f.; Parker, 2000, S. xix-xxii. 38 Gründer/ Johanek, 2001, S. VII; Vorlaufer, 2001, S. 150; Coquery-Vidrovitch, 2005, S. IX.

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die ,Europäerstadt‘ nach einem festgelegten Bebauungsplan großzügig und verkehrsgerecht angelegt wurde, galten die Ansiedlungen der Einheimischen als chaotisch und unhygienisch. Dieses Prinzip räumlicher Trennung zwischen „farbigen“ und „weißen“ Einwohnern prägte den Alltag jeder Kolonialstadt. Ihm lag die politische Entscheidung zu Grunde, die koloniale Ordnung in den städtischen Raum zu überführen; ,natürlich‘ gewachsen ist diese Form der segregierten Stadt nicht. Es war Aufgabe der Verwaltung, vor allem der Polizeibeamten, jene Lesart der Kolonialstadt zu erzwingen. Die Polizei und ihr „Zugriff“ erwiesen sich einmal mehr als „kommunales Infrastrukturinstrument“, wie es als typisch für die Polizei und ihre „sociale Aufgabe“ ,Ordnung‘ zu schaffen, im Kaiserreich beschrieben wurde. Die Regulierung des Raumes, die Zuordnung von „schwarzen“ und „weißen“ Wohnquartieren war nicht weniger als ein jahrelanger Prozess, der sehr viel länger dauerte, als von den Beamten intendiert. Es zeigte sich, dass die ,Notwendigkeit‘ der Segregation alles andere als einsichtig war. Nicht allein Afrikaner verwahrten sich dagegen, sondern auch einige der ,Kolonialherren‘.39 (Un-)Ordnung und Sauberkeit Nachdem 1895 von der Landeshauptmannschaft ein erster Bebauungsplan für Windhoek aufgestellt worden war, wurde der Wunsch T. Leutweins deutlich, aus der Ansammlung von Häusern und Hütten, Vieheinzäunungen und Ausspannplätzen für die Ochsenwagen einen Ort zu gestalten, der nicht monofunktional den kurzfristigen Erfordernissen militärischer Sicherung genügte, sondern auch den Bedürfnissen einer zivilen Bevölkerung dauerhaft entsprechen konnte. Ein Prozess kolonialer Stadtentwicklung war initiiert: „In Anbetracht der schnellen Aufeinanderfolge der hiesigen Neubauten, richtet[e daher] die Polizei ihr besonderes Augenmerk auf das Anlegen und Ebnen neuer Straßen.“40 1898 folgte eine „Bau-Polizei-Ordnung“, die die Einrichtung von Bebauungsplänen „von Polizeiwegen“ für Windhoek sowie für die Sitze der anderen Bezirks- und Distriktshauptmannschaften bestimmte. Danach war die baupolizeiliche Genehmigung für Neu- und Ausbauten bei der Ortspolizei einzuholen; ähnlich wie in Deutschland, wo die Einzelstaaten seit den 1860er und 1870er Jahren Baugesetze erlassen hatten, „die vor allem Verkehrssicherheit, Feuersicherheit und öffentliche Gesundheit betrafen“. Diesen Vorschriften entsprechend war noch vor Beginn des neuen Jahrhunderts der „vereinheitlichende und ordnende Zugriff des Staats“41 auch für den Ausbau Windhoeks spürbar geworden. So, wenn die im Baubauungsplan des Orts festgelegten „Baufluchtlinien“ zu beachten waren. Auch feuerschutztechni39 Reinke, 2000, S. 238; zur kolon. Urbanisierung Eckert, 1999, S. 106 f.; Becher, 1995, S. 5 f. 40 NAN ZBU 146, AVI a 3, Bd.2, Bl.73, Jb Bezirk Windhoek, 5.8.96; vgl. Dove, 1896, S. 72; CoqueryVidrovitch, 1992, S. 18 f. 41 Speitkamp, 1996, S. 288, S. 287 – 313 zur Entwicklung des Baurechts im Kaiserreich.

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sche Vorgaben zur Gebäudedichte und Vorschriften über die Anlage von Müllplätzen und Aborten sollten von nun an berücksichtigt werden.42 Ob aber von einer als „typisch für [viele] Kolonialstädte“ beschriebenen „planmäßigen Anlage“ Windhoeks die Rede sein kann, scheint fraglich, da – sieht man von den vorgegebenen Fluchtlinien ab – kein „Schachbrettmuster“ angelegt oder sonstige zentral vereinheitlichende Vorgaben gemacht wurden.43 Auch scheute die Verwaltung Ausgaben für zentralisierende Baumaßnahmen. Der standardisierende Eingriff der Bürokratie, der für so typisch für die Kolonialarchitektur gehalten wird,44 zeigte sich in Windhoek eher im Quartier der Afrikaner als in jenem der Europäer. Die Hauptachse des Orts war entlang der Nord-Südverbindung OkahandjaWindhoek-Rehoboth ausgerichtet: „Eine fast 3000 Meter lange Hauptstrasse durchzog die Stadt von Nord nach Süd, Kaiser-Wilhelmstrasse hiess sie offiziell, der Volksmund nannte sie bezeichnend, aber geschmacklos ,Store‘strasse. Die Fülle des Kalkstaubes zu schildern, den ein Windstoss aus den Tiefen der Strasse aufwirbelte, dazu fehlen heimische Vergleichspunkte.“ Sie war für Händler und Reisende, Soldaten und Beamte das Zentrum des „Schutzgebiets“. Hier „war [seit den 1890er Jahren] auch das Gastwirtsgewerbe vertreten. Man behalf sich mehrere Jahre mit dem Schmerenbeckschen Keller, einem aus rohen Feldsteinen gebauten, notdürftig gedeckten, mit Bierkisten und Kaffeesäcken ,gemütlich‘ ausgestatteten Kneipraum.“45 Es folgten weitere deutsche Privatgebäude (Schmerenbeck, Sichel, Boysen und Heyn); es wurden Kaufläden und Gasthäuser betrieben. Oberhalb der Straße, militärischen Erfordernissen der Verteidigungsfähigkeit entsprechend, befanden sich die Regierungsgebäude und die „Feste“. Dazwischen lagen, wo Quellen dies ermöglichten, Gärten sowie Ställe. Die afrikanische Bevölkerung, die viele dieser Einrichtungen bewirtschaftete, bezog ihre Hütten oft neben oder auf dem Grundstück des Dienstherrn. Gleichwohl beobachtet der Offizier Fr. v. Bülow Mitte der 1890er Jahre bereits bestimmte Siedlungsmuster innerhalb der afrikanischen Gruppen: „Im Osten des Platzes [beim Kommissariat] hatte sich ein großes Lager von Eingeborenen gebildet, über den Kraalen wohnten die Hottentotten, unterhalb derselben die Berg-Damaras und dahinter die Bastards, die bei der Truppe als Viehtreiber im Dienst standen. Zu diesen hatten sich neuerdings einige selbständige Bastards gesellt, die mit ihren Wagen Lehm heranfuhren oder Holz für die Ziegelöfen brachten; sie erhielten für jede Fuhre 6 Mark und konnten bis 20 Mark am Tage verdienen.46

42 Windhoeker Anzeiger, I. Jg. # 10, 16. 2. 1899, S. 4. Bau-Polizei-Ordnung, in: Windhoeker Anzeiger I. Jg # 1, 12. 10. 1898, S. 1, vgl. Art. Bauwesen, in: Fleischmann, 1911, S. 349. 43 Post, 2001, S. 5, nicht-planmäßige Kolonialstädte: Neu Amsterdam, Qubec, Guanajuata. 44 Soulillou, 1993, S. 12. 45 BAK N 1042/29, Bl.51; 49, W. Külz: Windhuk vor 25 Jahren, o.D. 46 v. Bülow, 1896, S. 174; vgl. Peyroux, 2004, S. 28.

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Wie hohe Zuzugszahlen belegen, hatten sich viele der afrikanischen Einwohner erst in den letzten Jahren in Windhoek als Arbeitskräfte für die entstehende Kolonialwirtschaft niedergelassen, da der Ort zuvor längere Zeit weitgehend unbewohnt war und unter „Arbeitermangel“ litt.47 Daher beeinflussten die Kolonialverwaltung und die Siedler mit ihren wirtschaftlichen Erfordernissen von Anfang an das Siedlungsverhalten der Afrikaner. Gerade deshalb aber konnte von einer Trennung afrikanischer und deutscher Niederlassungen keine Rede sein. Wenn auch eine Häufung in der Nähe der „Feste“ und der Rinderkraale unverkennbar war, zeigte eine 1899 veröffentlichte „Skizze“ von Windhoek die „Hütten der Eingeborenen“ über den ganzen Ort verteilt.48 Doch bei aller geschilderten Rustikalität des aus „Bierkisten“ und „rohen Feldsteinen gebauten“ „Hauptorts“ kollidierte dieser Eindruck bald mit dem Wunsch nach einer ,Normalisierung‘ im Sinne eines städtisch-europäischem Erscheinungsbilds. Ein Wunsch, der von den demographischen und wirtschaftlichen Realitäten losgelöst war.49 Baupolizeilich Vorschriften konnten daher der Verwirklichung der „Vorstellungen horizontaler Segregation“50 dienen. Der aus kaum 40 Steinhäusern bestehende Ort machte „noch keinen recht geschlossenen Eindruck“. Die hygienischen Verhältnisse galten als problematisch. Der Rechtsanwalt G. Wasserfall warnte als Redakteur des Windhoeker Anzeigers im Januar 1899: „So klein Windhoek noch ist, wird man vorsichtiger Weise, zumal nach den Erfahrungen des letzten Jahres [Fieberepidemie 1898], nicht zögern dürfen, den hygienischen Verhältnissen die lebhafteste Aufmerksamkeit zuzuwenden.“ Der für mangelhaft erachteten Pflegsamkeit der Afrikaner wurden Gesundheitsgefahren unterstellt. Wasserfall stellte fest, es müsse „zweifellos die Unsauberkeit der mit trockenen Häuten, Blechfetzen, Lumpen und Abfällen aller Art gedeckten Pontoks, die offensichtlich eine mit dem Wachsen der Bevölkerungszahl steigende Gefahr in sich birgt, entfernt werden, bevor es zum Vorbeugen zu spät ist. Eine kürzlich erlassene allgemeine Verfügung ordnet deshalb binnen einer gewissen Frist die Entfernung sämmtlicher Pontoks auf den Grundstücken innerhalb des Straßennetzes von Windhoek an.“51

Wie in anderen Kolonien auch, wurde die „Racialization of disease … deployed as an ideological justification for segregation“. „Racial segregation in most African towns is closely linked to the process of normalizing the white image, pathologizing black and setting up black people as a danger to whites.“52 Windhoek reiht sich damit ein in die Entwicklung anderer Kolonial47 48 49 50 51 52

NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.2, Bl.64/75, Jb Bezirk Windhoek, 5.8.96; Kotz, 1990, S. 15. „Skizze von Groß- u. Klein-Windhoek“ (FranÅois, 1899), in Hartmann, 2004, S. 39. Vgl. Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 24. Post, 2001, S. 6. Windhoeker Anzeiger, I. Jg. # 5, 5.1. 1899, S. 2; zur Architektur vgl. Peters, 1981. Murunga, 2005, S. 99 zur Entwicklung in Nairobi; vgl. Vorlaufer, 2001, S. 179.

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städte vor dem 1. Weltkrieg, in denen der Frage des Zusammenlebens unterschiedlicher Gruppen und ihrer Trennung eine herausragende Bedeutung eingeräumt wurde.53 Das 1898 formulierte städtebaulich-ideologische Muster der Gleichsetzung von Afrikanern und (gesundheitlicher) Gefahr, die ihre weitestmögliche Abdrängung rechtfertigte, wurde zum Grundmerkmal der Stadtentwicklung Windhoeks in den kommenden neunzig Jahren. Sauberkeit war nicht allein ein wesentlicher Aspekt ordnungspolizeilicher Tätigkeit, sondern, wie A. McClintock gezeigt hat, eine der dominantesten Kategorien des Imperialismus.54 „The ideologues of a civilized native policy rationalized segregation as less a racial than a cultural affair.“55 Bei der Schilderung der Zustände in „Pontoks“ oder auf den „Werften“ ist zu beachten, dass es nicht leicht sein kann, zu entscheiden, was an den Aussagen Realität, was Hysterie der um Abgrenzung bemühten deutschen Bevölkerung Windhoeks war. Schrille Warnungen verraten mehr über die Ängste der Beobachter als über das Verhalten der Beobachteten. Zugleich gilt es zu betonen, dass die Hierachisierung des städtischen Raumes sich weder in Erscheinungsbild noch „Hygiene“ niederschlagen musste. Das ,deutsche‘ Windhoek, auch im kaum repräsentativen, aber gewollt europäischen Zentrum, war und blieb ein staubiger, wenn nicht dreckiger Ort: Zwar wurde 1904 eine erste Wasserleitung von der „Pahl-Quelle“ gelegt. Doch eine Kanalisation war nur in Ansätzen vorhanden. Die Abflüsse etwa der Brauerei liefen durch die Straßen ungehindert in Richtung Tal, ebenso wie das gelegentlich überschießende Quellwasser. In der Regenzeit waren die Straßen mit einer Morastschicht überdeckt. Mit einem Kübelwagen auf der Leutweinund der Kaiserstraße wurden die Latrinen gelehrt. Staatssekretär Solf klagte während seines Besuchs 1912: „Die wichtigsten munizipalen Anlagen fehlen noch. Keine Wasserleitung. Entsetzlich, dass noch keine verständige Fäkalienabfuhr.“56 Die Straßen waren mit Schlaglöchern überzogen, eine öffentliche Beleuchtung war seit 1900 nur in Ansätzen vorhanden. Die Fuhrwerke wurden von Ochsen, Pferden oder Eseln gezogen, Fliegen waren daher ebenso wie der Staub ein beständiges Ärgernis.57 Selbst über „Grossviehherden ohne Wächter“ wurde geklagt, die nachts herumtrieben. Soweit möglich, wurde deren Eigentümer ebenso zur Rechenschaft gezogen, wie der Halter eines Maultiers, der dieses „innerhalb der Stadt Windhuk frei herumlaufen“ ließ. Noch 1910 klagte Windhoeks Wachtmeister George, „das Umherlaufen wächterloser Tiere [nähme] überhand“.58 Der Gouvernementsreferent L. Kastl fand eines

53 54 55 56

Sinou, 1988, S. 25; Eckert, 1999, S. 107 – 110; Wallace, 2002, S. 23 f. McClintock, 1995, S. 32; 207 f.: „Soap is Civilization“ (ein Slogan der Unilever AG). Mamdani, 1996, S. 16; vgl. auch Porter, 1999, S. 114. BAK N 1053/36, Bl.15, Tagebuch Solfs, 6.7.12; W. Rathenau war von Windhoek wenig angetan, vgl. Rathenau an Harden [August 1908], in: Rathenau, 1983, S. 559 f. Nr. 232; 233. 57 So Kotz, 1990, S. 13; 34 f.; Zimmermann, 1912, S. 192. 58 NAN BWI 304, S 17 g, Olt H. an BA Windhuk, 24.8.10; Strafanzeige H. Hartwig, 3.9.10.

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Morgens 17 Kälber, „welche ohne Wächter auf seinem Grundstück umherliefen“.59 W. Külz, der 1908 den Bezirksamtmann vertrat, erinnerte sich: „Mehr noch als von den Menschen wurde das Bild beherrscht von den Tieren, Herden von Ochsen, Pferden, Mauleseln und Eseln, die zur Tränke nach dem großen Ausspannplatz zogen, Lastfuhren, die trotz zwanzigfacher Ochsenbespannung sich nur mühsam durch den Sand quälten; Pferde, die vor dem Store oder dem Gasthaus ihres Reiters harrten; Reiter, die nichts zu versäumen hatten, aber im Galopp durch die Strassen fegten, um möglichst bald zum nächsten Wirtshaus zu kommen“.60

Auch musste die Polizei wiederholt gegen Hausbesitzer einschreiten, deren „Müllbehälter … bis über den Rand gefüllt“ oder um die „ein Haufen angeschimmelten Mülls“ herumlag. Mitunter bekamen die Beamten zu hören: „auf meinem Grundstück kann ich tun und lassen was ich will.“61 Den Belangen von Ordnung und Sauberkeit räumten demnach bei weitem nicht alle Europäer den gleichen Vorrang ein. Dem Entfernen der afrikanischen Niederlassungen „innerhalb des Straßennetztes“ aus diesen Gründen, maßen trotz der Hysterie anderer, viele von ihnen keine Bedeutung bei. Der Ort für eine Werft Es war niemandem bekannt, wo genau eine afrikanische Ansiedlung erwünscht sein würde. Bis dahin befanden sich einige „Werften der Bastards und Bergdamara“, so ein Missionsbericht 1898, auf den „südwestlichen Hügeln der Stadt“. Doch war es ungewiss, wo ein „für die Ansiedlung der Eingeborenen hinreichendes Wohngebiet“ ausgewiesen würde, da, wie die auf der Suche nach einem Platz für ein Schulgebäude befindlichen Missionare feststellten, „die Stadt sich ausdehnt und die Werften der Eingeborenen stets entsprechend weiter zurückgedrängt werden.“62 1898 war die afrikanische Bevölkerung Windhoeks durch die Ansiedlung deportierter Zwartbooi und anderer Gruppen stark vergrößert worden. Sie lebten am Rande der deutschen Siedlung in Rundhütten, die, soweit Fotografien davon einen Eindruck geben können, nicht eingezäunt waren.63 Karten von 1903 zeigen bereits eine ausgewiesene „Eingeborenensiedlung“ südwestlich des durch den Ort ,fließenden‘ Gamams-riviers.64 Doch im gleichen Jahr unterschied Missionar Wandres, der eine Übersicht über die Christen auf Windhoeks Werften aufstellte, noch vier Werften nach Himmelsrichtungen, hinzu kam eine Werft der Kompanie.65 Von einer Zentralisierung der afrikanischen Wohnplätze in Windhoek konnte demnach vor den Kriegen keine Rede sein. Es ging vorerst 59 60 61 62 63 64 65

NAN BWI 304, S 17 g, Meldung PS Aschmann, 18.12.11. BAK N 1042/29, Bl. 52, Külz: Windhuk vor 25 Jahren, o.D; vgl. Huber, 2000, S. 119. NAN BWI 304, S 17 g, Bd.2, Strafanzeige, 6.6.12; Bd.3, Strafanzeige, 5.7.12 AELCRN, C I 1.3, Protokollbuch der Konferenzen im Hererolande, Bl.325, 23.8.98. Vgl. Hartmann, 2004, S. 33 Abb. Nr. 47; 48. Kotz, 1990, S. 31 f. AELCRN, V 36, Bl.58,61, Gemeinde-Chronik,1903.

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darum, sie aus Gründen der Kontrolle an einzelnen Orten zusammen zu fassen. Die Werften bestanden, wie auch später noch, aus einer Ansammlung von teils traditionellen „Pontoks“ aus Häuten, Matten und Flechtwerk oder Fundmaterialen, die die Kolonialwirtschaft abwarf – Säcke, Bretter, Bleche, Kisten oder Lumpen.66 Näheres über die deutsche Verwaltung der afrikanischen Wohnplätze in Erfahrung zu bringen, fällt schwer. Offenbar hielten sich Gouverneur und Bezirkschefs an die in den Schutzverträgen festgeschriebenen Grundsätze der „Eingeborenenpolitik“, nach denen in „innere Angelegenheiten“ der Afrikaner nicht amtlicherseits einzugreifen war. Gleichwohl stand die „große Werft“ – der Name bürgerte sich ein, weil es nach wie vor mehrere ,kleine‘ „Werften“ gab – in Windhoek unter Aufsicht der Polizei, die sich dafür zweier „Werftvorstände“ bedienen konnte. Deren Tätigkeit und Stellung innerhalb der afrikanischen Gemeinschaften aber bleibt undeutlich in den deutschen Akten. Kaum findet sich ein Hinweis auf ihr Wirken. Als Leutwein im Mai 1900 die Ortspolizei in Windhoek um ein Verzeichnis aller auf der „großen Werft“ lebenden Personen bat, die nicht in einem Dienstverhältnis standen, um in Erfahrung zu bringen, „womit dieselben ihren Lebensunterhalt verdienen“, konnten diese Informationen über die „Werftvorstände“ Pitt und David Zwartbooi erlangt werden. Der Gouverneur wollte so verhindern, dass „arbeitsscheue Personen … sich von den für arbeitsunfähige Personen bestimmte Portionen mit ernähren.“ Dies zu unterbinden, lag in der Verantwortlichkeit der Vorstände.67 Nach Ausbruch des Herero-Krieges vergrößerte sich die afrikanische Gefangenen-Bevölkerung um ein Vielfaches. Die bekannten Fotografien der Gefangenenlager unterhalb der „Feste“ können einen Eindruck von den Lebensumständen ihrer Insassen nur schwer vermitteln. Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen in den Rundhütten leben mussten, die hinter einem Zaun aus Buschwerk in 8 x 13 Reihen angeordnet wurden.68 Doch entsprach dieses Erscheinungsbild den Vorstellungen über die nach dem Ende der Kriege erwünschten „Werften“: Abgegrenzt, überschaubar, in Reihen geordnet und von den Wohnungen der „Weißen“ abgegrenzt. Über die Lebensumstände der Gefangenen war sich die Kolonialverwaltung im Klaren. Man bedurfte ihrer dringend etwa beim Ausbau der städtischen Infrastruktur sowie bei militärischen und zivilen Dienstleistungen. So forderte die Bauverwaltung „kriegsgefangene Herero“ an, nur um immer wieder festzustellen, dass die Mehrzahl zu krank zum Arbeiten war.69 Sollten aber alle afrikanischen Einwohner und nicht nur die Kriegsgefangenen von den Kolonialherren nach dem Vorbild älterer Kolonialstädte durch 66 67 68 69

Kotz, 1990, S. 31 f. NAN ZBU 2045, W III b 2, Bl.1, Gouv an BHpt Windhk, 17.5.00; Bl. 3, Befehl, 11.6.01. Vgl. Hartmann, 2004, S. 34 Abb. Nr. 49; 50; Hartmann, 2002, Kap.7-„Camps“. NAN BAU 74, H 13, Bl.2, Redecker an Ref II, 23.12.05.

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einen cordon sanitaire städtebaulich getrennt werden, so musste es der Verwaltung darum gehen, möglichst eine „große Werft“ zu schaffen.70 Das Gouvernement ordnete daher, wie schon 1898, im Dezember 1905 an, „Pontoks innerhalb von Windhuk auf Privatgrundstücken nicht mehr [zu] dulden“. Einen Monat später berichtete die Windhoeker Polizei, „daß innerhalb Windhuks keine Eingeborenen-Pontoks mehr stehen.“ Doch entsprach dies nicht den Tatsachen. Unter Verweis auf städteplanerische, ästhetische oder gesundheitliche Rücksichten, wurden die Arbeitgeber aufgefordert, ihre „privaten Werften“ – einige „Pontoks“ in unmittelbarer Nähe des eigenen Hauses – zu entfernen und ihren Arbeitern die ,genehmigten‘ „Werften“ anzuweisen, von denen es also noch immer mehrere gab. Die so Aufgeforderten sträubten sich zumeist gegen die Anordnung, denn der Bau fester Häuser für die Arbeiter – die einzige Alternative – hätte Geld, eine weiter entfernte Ansiedlung der eigenen Arbeiter aber Zeit gekostet.71 Da die afrikanischen Arbeitskräfte aus der Stadt zu verdrängen waren, galt es, einen geeigneten Platz für sie zu finden, da die bisherigen „Werften“, die außerhalb des Orts lagen, nicht mehr genügten. Mitte 1906 wurde hinter dem Gamams-rivier, neben einer bestehenden „Eingeborenensiedlungen“, der Platz für „die neue Werft“ ausgewiesen. Der Plan dieser Anlage war ganz von einer „möglichst großen Übersichtlichkeit“ durchdrungen. Auf einem „mittleren Platz“ sollte die Wohnung eines „weißen Polizisten“ errichtet werden, zwei weitere Plätze waren den afrikanischen „Werftältesten“ vorbehalten. Durch einen Grundriss in Form zweier Trapeze, die vom „mittleren Platz“ aus durch je fünf Straßen strahlenförmig durchschnitten wurden, sollte die „Übersichtlichkeit“ gewahrt bleiben. Die Möglichkeit der „Erweiterung“ war mitbedacht.72 Die Vermutung Kotzs, die „alte Werft“ (ou lokasie/Old Location genannt im Vergleich zur neu errichteten Apartheids-Siedlung Katutura im Norden Windhoeks) am süd-westlichen Rand der „weißen“ Stadt gelegen und von ihr durch das rivier und die Eisenbahnschienen getrennt, sei nach dem HereroKrieg „almost spontanously“ entstanden, ist unzutreffend.73 Es stand, wie die detaillierte Planung zeigt, ein politischer Wille dahinter, die Afrikaner an einem zentralen Platz einer schärferen Aufsicht zu unterwerfen. Einem Kommentator zufolge war unmittelbar nach dem Krieg die Umsiedlung der Ovaherero in „Werfen“ in die Nähe „weißer Siedlungen“ ihrem Verbleib an ihren angestammten Plätzen vorzuziehen. Dort würden sie nur ihren bishe-

70 Zu Nairobi, Kapstadt oder Dakar, vgl. Murunga, 2005, S. 113 f.; Eckert, 1999, S. 10; 110. 71 NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an Polizei, 16.12.05; Polizei an BA Windhuk, 16.1.06; C. Bauer an BA Windhuk, 29.12.05. 72 NAN BWI 36, E 1 f, Lageplan: neue Werft, 7.9.06; Ref. 10 an BA Windhoek, 25.5.06. 73 Kotz, 1990, S. 31 f.; falsch: Wallace, 2002, S. 39, „main location“ verlegt „about 1912“; Peyroux, 2004, S. 32, „rupture du compromis social …  partir de 1912“.

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rigen Lebenswandel fortsetzen, während sie nahe der Ortschaften unter der erzieherischen Aufsicht der Deutschen stünden.74 Doch die Umsetzung dieses Vorhabens nahm, wie in anderen Kolonien,75 Zeit in Anspruch. Auf seiner Visitation besuchte der Missionsdirektor Spiecker aus Barmen 1906 eine Vielzahl von „Werften“ in Windhoek: die „Bastardwerft Lehmkuhle, hier wohnen ca. 150 Bastards und 100 – 200 Bergdamaras und Hereros“. Die „Werft der Franzfonteiner Zwartboois, die seit dem Krieg 1898 hier angesiedelt sind mit einigen hundert Bewohnern“, sowie die „Werft der !Khauas-Hottentotten, die groß genug ist, um einen eigenen Missionar zu rechtfertigen. Bei John Ludwig in Klein-Windhoek leben 150 Damara. Auf der Bergdamarawerft unter Führung des Franz /Hosemab leben rund 2000 Menschen.“ Hinzu kamen kleinere Werften von Bastern und Ovaherero, die einem „Weißen“ unterstellt waren, um Arbeiten für die Verwaltung auszuführen; „derartige kleinere Werften gibt es hier sehr viele.“ Außerdem existierten während der Kriege die „Gefangenenkräle“, in denen etwa 1.200 Personen untergebracht waren.76 Auch wenn nach den Akten kein (gewalttätiger) Protest gegen die Verlegungen zu erkennen ist, wie er in anderen Kolonialstädten angesichts ähnlicher Pläne,77 aber auch in Windhoek 1959 bei der Räumung der ou lokasie ausbrach,78 ist doch ein (stiller) Widerstand unverkennbar : Afrikaner hielten sich von den ihren zugewiesenen Orten fern, sie bezogen weiterhin „eigenmächtig“ errichtete Wohnplätze und konnten sich so „jeder Aufsicht entziehen“, was nicht geduldet werden sollte. Die Polizei hatte solche „kleinen Werften“ abzureißen.79 Der Vorwurf des „Nichtstuns“ war ihren Bewohnern schnell gemacht. So hätten sich angeblich unbeschäftigte Bergdamaras in der Nähe der Truppenwerft niedergelassen, die dort „den Proviant etc. aus den Wohnungen stehlen.“ Der daraufhin die „Pontoks“ inspizierende Polizeisergeant fand jedoch nur „Frauen und Kinder vor, während sämtliche Männer ihrer Beschäftigung nachgegangen waren.“80 Statt also von einer dem ,Auge des Gesetzes‘ zupass kommenden Zentralisierung berichten zu können, sah sich Windhoeks neuer Bezirkschef H. Narciß veranlasst, ein Jahr nach der ersten Planung für die „neue Werft“ von der Polizei ein „Verzeichnis der Pontoks“ auf Privat- und Truppengrundstücken anzufordern. Der Januar 1906 mag der einzige Monat gewesen sein, in dem „keine Pontoks“ innerhalb Windhoeks vermerkt wurden. Ungeachtet der Weisung des Gouvernements von 1905 waren in der „Stadt“ in diesen anderthalb Jahren an 21 Stellen „Pontoks“ oder ganze „Werften“ errichtet 74 75 76 77 78 79 80

Vgl. Steinmetz, 2002, S. 165 Förster, 1905, S. 527 zitierend; vgl. Kaulich, 2001, S. 270. Vgl. Sinou, 1988, S. 27; Willis, 1991, S. 229. Zit. in Hartmann 2002 (VEM-RMG, 2.533a, Bl.223 f., Bericht Spiekers 1906). Zu Protesten in Dakar 1914 vgl. Sinou, 1988, S. 28 mwN, zu Duala Eckert, 1999, S. 122 – 4. Zur ou lokasie vgl. Lau, 1993, S. 21; vgl. Müller-Friedman, 2005, 52 f. NAN BWI 36, E 1 f, EisenbahnSt an Polizei Windhuk, 17.5.06. NAN BWI 36, E 1 f, Lang an BA Windhuk, 20.12.06; Polizei an BA Windhuk, 21.12.06.

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worden. Der fortdauernde Krieg im Süden der Kolonie und die weiter steigende Zahl der aus Deutschland ankommenden Soldaten oder Einwanderer ließ die Einwohnerschaft Windhoeks „exponentiell“ wachsen. Damit stieg auch der Bedarf an afrikanischen Arbeitskräften, die möglichst neben ihrem Einsatzort untergebracht wurden.(81) Weder die evangelische Mission, noch die Schutztruppe, noch die Bauverwaltung oder einzelne Arbeitgeber wollten auf die unmittelbare Nähe ihrer Arbeitskräfte verzichten. Dass 1907 auch noch „Militärpersonen“, „Unterzahlmeister“ samt ihren „Bambusen“, mehrere Zelte in der Nähe eines Offiziershauses bezogen und diese erst fünf Wochen später entfernt wurden, zeigt, wie wenig Narciß und seine Polizisten in der Lage waren, baupolizeiliche ,Ordnung‘ zu halten und noch weniger eine ,Rassentrennung‘ durchzusetzen.82 Mit einer gewissen Pedanterie bestand der Bezirksamtmann zwar auf der „Entfernung“ von vier „Cape-Boys“ von dem Grundstück des Brauereibesitzers Kretschmann. Dieser aber widersetzte sich Narciß’ Anweisungen, ließ die ihm „unverzichtbaren“ Arbeiter im selben Haus wie seine „weißen“ Angestellten wohnen, drohte mit einem Verfahren, verwies auf die „Pontoks“ der „Eingeborenen“ der Bauverwaltung und wandte sich direkt an Staatssekretär Dernburg. Der Bezirkschef musste einlenken.83 (Vergebliche) Maßnahmen gegen die „kleinen Werften“ Doch die Nähe zwischen Europäern und Afrikanern in Windhoek gab zur Besorgnis Anlass. Wie der Historiker W. Hartmann gezeigt hat, war es vor allem die Sorge vor der kaum Einhalt zu gebietenden „Hurerei“ auf den Werften durch die Soldaten, die nicht nur die Missionare und eine besorgte Öffentlichkeit in Deutschland auf den Plan rief, sondern der aus politischen wie gesundheitlichen Erwägungen heraus entgegen zu treten war.84 Auch wenn bereits den vorher ergangenen Verfügungen Erfolg nicht zu Teil geworden war, ordnete Narciß im Juli 1907 abermals die „möglichste Koncentrierung der Eingeborenen außerhalb der Stadt aus hygienischen Gründen sowohl, wie im Interesse der Ordnung“ an. Seine Wortwahl zeigte, dass er sich bewusst war, Interpretationsspielraum lassen zu müssen für das, was „möglichste Koncentrierung“ bedeutete. Die „Polizeiwerft“, durch die der Bezirksverein Windhuk die „fürchterliche Verunreinigung an der Bergstraße“ verursacht sah und Aborte forderte, sowie die „Bergdamarawerft“ sollten auf eine Anhöhe am Gamams-rivier verlegt werden; dorthin, wo schon seit einem Jahr die „neue Werft“ angelegt werden sollte. Auch alle anderen bisher in der Stadt gelegenen „Werften“ und „Pontoks“ waren dort neu zu errichten. Allein „Hausdienstboten“ sollten innerhalb Windhoeks wohnen dürfen, solange sie in „Gebäuden aus Stein oder Wellblech mit eigenen Abortgelegenheiten untergebracht“ 81 82 83 84

NAN BWI 36, E 1 f, Verzeichnis der Pontoks, 30.5.07; Hartmann, 2002, Kap.7- „Camps“. NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an Polizei, 21.5.07; Polizei an BA Windhuk, 5.3.07. NAN BWI 36, E 1 f, Kretschmann an BA Windhuk, 28.3.07. Hartmann, 2002, Kap.7- „Camps“.

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waren.85 Gleichwohl hatte noch im September 1907 die Polizei betrunkene Soldaten auf der zu verlegenden „Polizeiwerft angetroffen“ – die auch ein Jahr später noch bestand. Die „Kaffernwerft“ aber wurde im Oktober geräumt. Zugleich wurde die Politik der Segregation verschärft. Entsprechend dem (wenig beachteten) Verbot für Europäer vom März 1905, nachts die „Werften“ zu betreten, hatten Afrikaner sich ab Oktober 1907 zwischen 9 Uhr abends und 4 Uhr morgens einzig auf ihren „Werften“ oder dem Anwesen ihrer „Dienstherrschaften“ aufzuhalten. Wer ,in der Stadt‘ keinen polizeilichen oder privaten „Erlaubnisschein“ mit sich führte, konnte bestraft werden. In der Regel hatte er die Nacht im Gefängnis zu verbringen.86 Zugleich regelte der § 6 der VO betr. Maßregeln zur Kontrolle der Eingeborenen v. 18. 8 1907, dass der Aufsichtsbehörde mitzuteilen war, wenn auf dem eigenen Grundstück eine „Werft“ eingerichtet werden sollte. Allerdings fehlte es an einer Legaldefinition, was als „Werft“ betrachtet werden musste; ebenso wenig war klar, wo deren Grenzen sich befanden, die nicht übertreten werden durften. Der darin zum Ausdruck kommende mangelnde Wille, die „Werften“ betreffende Ge- und Verbote in letzter Konsequenz durchzusetzen, schlug sich im Stadtbild Windhoeks nieder : Es fanden sich weiterhin „Pontoks“ innerhalb des Straßennetzes. Im Februar 1908 argumentierte Narciß gegenüber der Schutztruppe, die ihre Arbeiter in der Nähe ihrer Einrichtungen untergebracht hatte, die neue „Hauptwerft [sei] auch wegen Wassermangel“ eingerichtet worden. Mit diesem ,rationalen‘, auf die Hygiene zielenden Argument – die strittigen „Pontoks“ lagen oberhalb des „Truppen-Bassins“ und die Regenzeit hatte eingesetzt –, versuchte er, seinem Willen zur räumlichen Trennung den Anschein des Unvermeidlichen zu geben.87 Doch konnte davon keine Rede sein. Wie schon im Jahr zuvor forderte Narziß im Mai 1908 ein aktuelles Verzeichnis der innerhalb der Stadt liegenden „Pontoks“ an. Wurden 1907 21 Stellen gezählt, so waren es 1908 22 Plätze, an denen zwischen 1 (Siedler Grießbrach) und 100 (Truppenwerft) „Pontoks“ errichtet worden waren. Während die Zahl der „privaten Werften“ abgenommen hatte, waren die „amtlichen Werften“ trotz der abgeschlossenen Kampfhandlungen gewachsen und jeweils deutlich größer. Allein die bei der Landespolizei beschäftigten Afrikaner bewohnten mit ihren Familien 54 „Pontoks“, auf der „Eisenbahnwerft“ standen 67.88 Auch Narciß selbst hatte zur „Erledigung der öffentlichen Arbeiten …[des] Bezirksamt[s] ein Dorf von 300 Einwohnern“ zur Verfügung.89 Der „Gross-Kleinsiedler John Ludwig“, der in Klein-Windhoek 20 Kleinsiedlungen unterhielt, beherbergte auf einem 85 NAN BWI 36, E 1 f, Bekanntmachung BA Windhuk, 15.7.07; NAN BWI 37, E 1 g, Bl.5, BV Windhuk an BA W’huk, 6.11.07 86 NAN BWI 36, E 1 f, Polizei an BA Windhuk, 12.9.07; Meldung PS Süren, 18.10.07; Bekanntmachung BA W’huk, 24.9.07; Meldung Polizei, 6.3.11; 2.6.11; vgl. Liauzu, 2004, S. 133. 87 NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an OrtsKdoSchTr, 29.2.08; 88 NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an Polizei, 5.5.08; Verzeichnis der Pontoks, 17.5.08. 89 BAK N 1042/29, Bl. 67, W. Külz: Von Bückeburg nach DSWA. Nr. 14, 1908.

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seiner Grundstücke „24 eingeborene Arbeiterfamilien“.90 Der kurzfristige Bezirkschef W. Külz berichtete über die „Werften“ Windhoeks im Plural: „Früh morgens ist die regste Zeit. Zu Hunderten kommen die Eingeborenen zur Arbeit. Sie wohnen nachts nicht im Hause oder in der Nähe der Deutschen, sondern in ihren Pontoks, einer primitiven, einem großen Bienenkorb gleichenden Hütte, die außerhalb der Häuserreihe der Deutschen zu Werften (dorfähnlichen Niederlassungen) vereint sind. Diese Werften verlassen die Eingeborenen mit Tagesanbruch und ziehen an ihre Arbeitsstätte. … Bei Einbruch der Dunkelheit bietet sich dann das gleiche Bild wie am Morgen und die Eingeborenen ziehen wieder nach ihren Werften, in denen bald die Feuer vor den Pontoks aufflammen“.91

Gleichwohl, im März 1908 war die neue „große Werft“ immerhin so weit bezogen worden, dass das Bezirksamt plante, sie zur besseren Kontrolle zu „umzäunen“. Für die 3.280 m lange Strecke aber kamen weder „Dorngebüsch“ noch „Stacheldraht“ in Frage, so ein Polizeisergeant. Er sprach sich für eine 2 m hohe „Klippenmauer“ aus – die freilich unausführbar blieb. Die „große Werft“ war in Viertel gegliedert, die einzelnen „Stämmen“ vorbehalten blieben und unter der Aufsicht von „Vorleuten“ standen, die nur noch zu Anfang als kapteine bezeichnet wurden. So wurde bemerkt, dass die „Hottentotten … keine Lust [hätten] Lehmpontoks zu bauen.“ Es bedurfte einer Unterredung zwischen deren kapteinen David und Pitt Zwartbooi mit Amtschef Narciß, damit diese Arbeiten ausgeführt wurden.92 Die unterschiedliche regionale Herkunft der afrikanischen Einwohner gilt als ein „wichtiges Merkmal der Bevölkerungsstruktur afrikanischer Kolonialstädte“.93 Sie wurden zu „Schmelztiegeln“.94 Auch für Windhoek kann diese Heterogenität verzeichnet werden. Nach den Kriegen bildeten die Herero (vor Damara und Nama) die größte Gruppe. Doch Fragen nach ihrem Zusammenleben und möglichen Tendenzen der „Detribalisierung“ in einem zunehmend urbanen Umfeld müssen vorerst offen bleiben.95 Auch wenn Windhoek damit seit 1908 über eine als „große Werft“ bezeichnete erkennbare „Hauptwerft“ jenseits des Gamams-rivier verfügte, die „etwa eine 12 Stunde [Fussweg] von Windhuk entfernt“ lag, so blieb die erhoffte vollständige Trennung der Wohnbereiche entsprechend der Hautfarbe, wie sie auch in der Schilderung Külz’ zum Ausdruck kommt, in den folgenden Jahren aus.96 Der Ort wuchs und so die afrikanische Einwohnerschaft, die in un90 NAN ZBU 2048, W III f 3, Bl.4, BA Windhuk an Gouv, 30.11.08; NAN BWI 36, E 1 f, Gouv an BA Windhuk, 20.1.12; BA Windhuk an Gouv, 23.4.12. 91 BAK N 1042/29, Bl. 82, Beil. zu Nr. 16 S.-Lip. Landesztg, W. Külz: Windhuk, 19.1.1908. 92 NAN BWI 36, E 1 f, PS Süren an BA Windhuk, 11.3.08, 14.4.08. 93 Becher, 2001, S. 208. 94 Coquery-Vidrovitch, 1992, 16; kritisch Becher, 1995, S. 168. 95 Vorlaufer, 2001, S. 145; Anderson/Rathbone, 2000, S. 10 f.; Parker, 2000, S. xx; Mamdani, 1996, S. 6; Eckert, 1999, S. 10 f.; Rafalski, 1930, S. 88; Peyroux, 2004, S. 33. 96 AELCRN, C II.1.13, C. Wandres: Bemerkungen, 1908, vgl. Ekali, 2005, S. 327 f.

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mittelbarer Nähe ihrer Arbeitgeber untergebracht war. Die Zahl der illegal errichteten „Pontoks“ variierte, da sie ebenso schnell errichtet wie wieder abgerissen werden konnten. Die Bequemlichkeit des Arbeitgebers, seine Arbeitskräfte bei sich zu wissen, konnte dabei für Nachbarn ein Grund zur Klage sein. So beschwerte sich im Februar 1909 der Malermeister W. Kaempfert über die Bewohner von acht „Pontoks“ gegenüber seinem Hause. Der neue Bezirkschef Brill wollte den „Eingeborenen, der sich schweinemäßig aufgeführt hat“ festnehmen lassen, was jedoch nicht gelang. Vor allem aber erfuhr er, dass diese „Werft“ bereits seit zwei Jahren bestand – aber in den Verzeichnissen von 1908 und 1907 nicht aufgeführt war. Ein Indiz, wie unübersichtlich die Errichtung von „Pontoks“ für die Polizei blieb. Der Arbeitgeber erhielt zwar die Auflage, seine „Werft“ aufzuheben, der er im März 1909 nachkam.97 Doch trotz der „Hauptwerft“ wurden immer wieder „ganz frisch aufgebaute“ „Pontoks“ gesichtet.98 Mit der Beschwerde über mangelnde Sauberkeit und Hygiene, die für die Bezirksverwaltung als Grund für die „Koncentrierung“ herhalten musste, stand Kaempfert nicht allein. Auch andere Anwohner beschwerten sich über das Erscheinungsbild privater „Werften“, die „fortwährend verunreinigt“ seien.99 Andere klagten über Lärm in „mondhellen Nächten“ und baten um Verlegung der „Pontoks“, um nicht „dauernd das unangenehme Treiben usw. vor Augen“ zu haben.100 Zu einer Verringerung der „Pontoks“ aber führten diese Klagen nicht. 1910 fielen der Polizei 28 Orte in Windhoek auf, an denen „Privatwerften“ oder einzelne „Pontoks“ standen. 19 gehörten zu Firmen oder Privatpersonen; die größten „Werften“ aber waren wiederum die „Werften“ des Militärs. Das Bezirksamt sorgte sich um die „polizeiliche Aufsicht“ über diese „Eingeborenen-Wohnungen“, die im Verdacht standen, als „Schlupfwinkel“ zu dienen. 13 Privatpersonen erhielten daher unter Verweis auf eine Typhus-Verordnung v. 13.4. 1904, die bisher in Bezug auf die „Pontoks“ nicht herangezogen worden war, den Bescheid, entweder feste Häuser für ihre Arbeiter zu errichten oder diese auf die „allgemeine Werft“ zu verweisen.101 Ein Schreiben an das Bezirksgericht verzichtete zwar auf die Nennung der Verordnung, doch drang Brill auch hier aus „hygienischen Gründen“ auf die Aufhebung der „Pontoks“ vor dem Gerichtsgebäude. Die Beibehaltung dieser „kleinen Werft“ begründete das Gericht damit, dass andernfalls „die 4 in den [3] Pontoks wohnenden Gerichtsbambusen … nicht mehr wie bisher jeden Augenblick erreichbar“ wären Da auf Sauberkeit geachtet würde, sei „in hygienischer Hinsicht nichts zu besorgen“.102

97 98 99 100 101 102

NAN BWI 36, E 1 f, W. Kaempfert an BA Windhuk, 1.2.09; Notiz Brill,1.2.09 NAN BWI 36, E 1 f, Meldung an BA Windhuk, 30.11.10. NAN BWI 36, E 1 f, Leitner an BA Windh, 28.10.09; Polizei an BA Windhuk, 12.11.09. NAN BWI 36, E 1 f, Protokoll Schaker, Polizei Windhuk, 29.11.10. NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an Polizei, 1.11.10; Verzeichnis der Pontoks, 10.11.10. NAN GWI 752, Gen IV 10, Bl.8, BA Windhuk an BG Windhuk, 19.11.10; 25.11.10.

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„Werft-Revisionen“ Der Vorteil der „allgemeinen Werft“ für die Polizei lag auf der Hand, da sie hier den Zugang leichter reglementieren konnte, der für „Weiße“ zur Nachtzeit verboten war. Der polizeiliche Zugriff auf die „Privatwerften“ war dagegen ein beschränkter, da die gesetzlichen Bestimmungen über das Betreten von Privatgrundstücken durch die Polizei beachtet werden mussten. Schwieriger noch war es bei den in der Stadt befindlichen „Truppenwerften“, auf die die Zivilverwaltung kaum Einfluss nehmen konnte. Den Werft-Kontrollen, vor denen sich die Polizei zum Ärger der Militärverwaltung nicht scheute, folgten alsbald deren Beschwerden.103 Die Polizei sollte sich auf das Militär verlassen – doch war angeblich auf der „Artilleriewerft“ selbst Alkohol von deutschen Angestellten zu erwerben.104 Der Bezirkschef Todt ärgerte sich wiederholt über Offiziere, die „ihre Eingeborenen“ nicht der üblichen Kontrolle unterwerfen wollten: „Es kann nicht anerkannt werden, daß die bei Offizieren oder Truppenteilen angestellten Eingeborenen hierin eine Ausnahmestellung einnehmen; sie unterstehen uneingeschränkt der Staatsgewalt des Bezirksamtmannes“.105 Zehn Jahre nachdem sie erstmals angeordnet worden war, stieß nicht nur die räumliche Trennung von afrikanischen und europäischen Wohnplätzen auf Widerstand bei den privaten und amtlichen „Dienstherrschaften“ – ungeachtet mancher Beschwerde der Nachbarn. Die durch „möglichste Koncentrierung“ angestrebte bessere Kontrolle der Afrikaner wurde erst über die „Revisionen der Werften“ umgesetzt. Doch hielten sie durch „stundenlanges Zurückhalten“ der Arbeiter diese von der Arbeit ab, was auf Unverständnis der Arbeitgeber stieß. Der Bezirksverein Windhuk ersuchte daher, die Arbeiter „nicht später als bis sieben Uhr morgens zurück[zu]halten“.106 Die Durchführung der „Revisionen“ oblag der Polizei. Die Bewohner hatten zur „Abfertigung“ auf einem „Antreteplatz“ „anzutreten“, wohin sie „eingeborene Polizisten“ „trieben“, die zuvor alle „Pontoks“ durchstöbert hatten.107 Angesichts häufiger Einbrüche, die stets „den Eingeborenen“ zur Last gelegt wurden, durchsuchte die Polizei die Werften regelmäßig und willkürlich. Es genügte, bei einem Arbeitgeber beschäftigt zu sein, in dessen Räumen eingebrochen oder etwas abhanden gekommen war, um den eigenen „Pontok“ von Polizeibeamten und Polizeidienern umstellt und derart gründlich durchsucht zu sehen, dass noch eine „Nagelschere“ gefunden wurde und Verdacht erregte.108 Bei Razzien nach Waffen hatte Bezirkschef Narciß die Erfahrung gemacht, dass die Betroffenen vorher auf „unerklärliche Weise“ von den 103 NAN BWI 307, S 17 p, Bd.5, 4. Feld-Komp an BA Windhuk, 5.7.10; NAN BWI 36, E 1 f, Artilleriedepot an BA Windhuk, 27.5.08; Polizei an BA Windhuk, 4.6.08; Runderlass, 17.5.09. 104 NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an Polizei, 1.11.10; Verzeichnis der Pontoks, 10.11.10. 105 NAN ZBU 2048, W III f 4, Bl.14, BA Windhuk an Gouv, 7.3.12; Zimmerer, 2004, S. 137 f. 106 NAN BWI 36, E 1 f, BezVerein Windhuk an BA Windhuk, 10.6.07 107 NAN BWI 36, E 1 f, Polizei an BA Windhuk, 4.6.08; Zimmerer, 2004, S. 140. 108 NAN BWI 307, S 17 p, Bd.6, Meldung PW Sievers an BA Windhuk, 11.7.11.

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Planungen Kenntnis erlangt hatten, weshalb er zu den „Werftdurchsuchungen“, die „sehr selten“ vorkämen, „erst im letzten Augenblick … zu alarmieren“ pflegte.109 Zur Revisionen einzelner „Werften“ verabredeten sich die Beamten für 4 Uhr morgens. Sie hatten daraufhin generell Ordnung und Sauberkeit wie auch die Personalien und die Dienstzugehörigkeit der Revidierten festzustellen. Erst aus dieser ergab sich ihre Berechtigung zum Aufenthalt auf einer „Werft“.110 Aufgrund des „Arbeitermangels“ herrschte Arbeitspflicht. Mitunter aber riefen Arbeitgeber nach der Polizei, um ihre „Werften“ überprüfen zu lassen; so etwa J. Ludwig aus Klein-Windhoek, der sich besorgt zeigte über „fremde Eingeborene“, die sich dort niedergelassen hätten. Seine „Werft“ wurde daraufhin frühmorgens „umstellt“, doch bei der „Kontrolle“ fand sich nur ein Mann, der auf einer Farm registriert war. Er wurde festgenommen.111 Nach einer weiteren auf Anforderung eines Ansiedlers durchgeführten Revision einer „Privatwerft“ in Klein-Windhoek wurde immerhin auch der Grund für die „unberechtigte“ Übernachtung in Erfahrung gebracht. Nicht der Vorsatz, sich einer Anstellung zu entziehen, sondern der Wunsch, mit der Familie zu leben war maßgeblich für diese ,Übertretung‘. In Zeiten des Arbeitermangels aber akzeptierte die Kolonialverwaltung „als Familie“ nur noch den „Mann mit seinen Frauen und noch nicht selbständig arbeitsfähigen Kindern“.112 Dies aber kollidierte mit dem Wunsch vieler, „nach dem Krieg Verwandte wieder zu finden“ oder in die eigene Heimat zurückzukehren.113 Es ist daher, ebenso wie dies für „Groß- und Mittelstädte“ in Deutschland festgestellt wurde, auch für die Polizeiarbeit in Windhoek zu betonen, dass „Kriminalität als Sicherheitsproblem … zumindest quantitativ nicht im Vordergrund stand“.114 Statt der im RStGB aufgezählten Tatbestände von Verbrechen und Vergehen waren die mit einer polizeilichen Strafverfügung geahndeten „Ordnungsprobleme“ auch auf den „Werften“ weitaus häufiger. Das ,Problem‘ der Familien Angesichts der beständig von Umzug und Umsiedlung bedrohten afrikanischen Familien, über deren Wohnort Verwaltung und Arbeitgeber meinten frei verfügen zu können, ist es bemerkenswert, dass die Militär-Bauverwaltung den Antrag auf Verlegung ihrer Werft 1909 mit der Bemerkung schloss, die „Eingeborenen“ hätten sich mit der „Übersiedlung einverstanden“ erklärt. Als Grund für die erwünschte Verlegung wurden bessere Kontrollmöglichkeiten angegeben, eine Übersiedlung aller Arbeiter auf die „große Werft“ aber als Erschwerung des Dienstbetriebs abgelehnt. Der Bezirkschef Brill erklärte sich 109 110 111 112 113 114

NAN ZBU 2045, W III b 2, Bl.6, BA Windhoek an Gouv, 10.6.07. NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Bl.18, PS Heckmann an PW Westphal, 15.3.12. NAN BWI 36, E 1 f, Notiz BA Windhuk, 25.9.09; 3.10.09. NAN BWI 36, E 1 f, Notiz Ass. George, 2.3.12; BA Windhuk an PolStationen, 25.1.12. Krüger, 1999. S. 184 f. Reinke, 2000, S. 230 in Bezug auf rheinische und westfälische Groß- und Mittelstädte.

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zwar einverstanden, gleichwohl blieb er beim Ziel einer weitgehenden „Koncentration“. Er war daher mit der Zahl des mitziehenden „Anhangs“ nicht einverstanden. 35 „Pontoks“ für die 18 Arbeiter-Familien der Militär-Bauverwaltung erschienen ihm zu reichlich bemessen. Ein Arbeiter sollte seine Frau und Kinder, nicht aber „Schwestern, Brüder u. a.“ mitnehmen dürfen. Diese sollten auf die „allgemeine Werft“ verwiesen werden. Auch „Privatbambusen“ sollten sich auf diese Truppenwerft nicht „einschmuggeln“ dürfen.115 Immer wieder klagte auch das Gouvernement über den „nicht arbeitenden ,Anhang‘“, der mitunter Aufnahme in den Lazaretten fand und dort versorgt werden musste. 1912 waren daher alle in „keinem Arbeitsverhältnis stehenden Eingeborenen“, ausgenommen Ehefrauen, Kinder und Alte, von den „amtlichen Werften zu entfernen“. Die Ämter sollten ihnen eine Arbeitsstelle anweisen.116 Das ,Problem‘, dass auch solche Afrikaner auf einer „Werft“ lebten, die mit ihrem Arbeits- und Namensgeber (z. B. der „Polizeiwerft“) in keiner Verbindung standen, sondern dort auf Grund familiärer Kontakte Unterkunft gefunden hatten, ergab sich häufig. Nach einer „Revision“ stellte sich heraus, dass die größte aller ,Sonderwerften‘, die „Truppenwerft“, rund 33 Familien beherbergte, die bei Privatpersonen arbeiteten und mit der Schutztruppe nicht in Verbindung standen. Daher bestimmte das Kommando im April 1909, dass eine „militärische Aufsicht“ über die „Truppenwerft“ nicht mehr ausgeübt werden solle. Zwar votierte es für die Beibehaltung der „Werft“, da dort „viele fest gebaute Pontoks“ errichtet worden waren, doch Bezirksamtmann Brill entschied dagegen. Er hielt es „aus polizeilichen und hygienischen Gründen … für geboten, die Eingeborenen möglichst auf einem Platz zu sammeln.“ Er ließ nicht nur den „größeren Teil der Polizeiwerft“, sondern auch die nicht mehr benötige „Truppenwerft“ auflösen und verwies ihre Bewohner auf die „allgemeine Werft“. Auf die „Bequemlichkeit der Eingeborenen (festgebaute Pontoks)“ wollte er keine Rücksicht nehmen: „Gerade im jetzigen Zeitpunkt, wo Windhuk vor der Einführung der Gemeinde[-ordnung] u. einer ruhigen stetigen Entwicklung steht, müssen Verhältnisse, welche den Allgemeininteressen nicht entsprechen, beseitig, muß das als richtig erkannte System durchgesetzt werden.“ So wurde nach dem Ende der Regenzeit im Mai 1909 mit der Aufhebung der „Truppenwerft“ begonnen. Die Bewohner hatten ihre „Pontoks“ abzureißen und mit samt ihrem „Kleinvieh“ auf die „allgemeine Werft“ umzusiedeln. Der als „Werftältester“ fungierende „HereroSchulmeister Gustav“ bat am 10. Mai um einige Tage Aufschub, zwei Wochen später war die „Truppenwerft“ verlassen, der Platz „gesäubert“.117 Doch unterhielt die Schutztruppe auch nach der Auflösung der eigentlichen 115 NAN BWI 36, E 1 f, Baukreis an BA Windhuk, 12.5.09, BA Windhuk an MilBK, 14.5.09. 116 NAN BWI 37, E 1 g, Bd.2, Bl.35, Gouv an alle BA + DA, 7.6.12. 117 NAN BWI 36, E 1 f, KdoNrdBz an BA Windhuk, 12.4.09; BA Windhuk an KdoNrdBz, 13.4.09; Notiz, 10.5. u. 27.5.09.

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„Truppenwerft“ 1909 noch eine Vielzahl von kleineren „Werften“ für das Offizierscasino, die Intendantur, Messtrupps, Proviantamt usw., deren Notwendigkeit der Bezirksamtmann nicht anerkennen wollte. Zugleich mahnte er mit Blick auf die „Arbeiternot“ und den „schlechten Einfluß“ des Militärs eine „Beschränkung im Halten von Bambusen“ an. Es sei eine „Erfahrungstatsache, daß Eingeborene sehr gern in den Dienst von Reitern treten; sie verzichten sogar auf jeglichen Lohn und geben sich mit schwacher Kost zufrieden, nur um das in hohem Ansehen stehende Lungerleben eines Truppenbambusen führen zu können.“ Das Kommando der Schutztruppe verwahrte sich gegen die Auffassung, die „Bambusen“ würden ein „Lungerleben“ führen. Es rechnete dem Bezirksamt vor, dass die Errichtung von Gebäuden für „56 einzelne Eingeborene und 108 Eingeborenenfamilien“, die im Dienst der Truppe standen, zu hohe Kosten verursachen würde. Ihre Übersiedlung auf die „allgemeine Werft“ aber würde durch die geringere Verfügbarkeit für Wach- und Putzdienste den Dienstbetrieb behindern. Bezirkschef Brill zeigte sich zwar konziliant, doch drang er auf den Bau fester Häuser : „Einmal muß mit der bisher allgemein üblichen Vernachlässigung der hygienischen Gesichtspunkte gebrochen werden.“118 1912 erklärte die Intendantur sich mit der Übersiedlung ihrer Arbeiter auf die „allgemeine Werft“ einverstanden. 16 Personen sollten „unter Berücksichtigung der Stammeszugehörigkeit“ in neuen „Pontoks“ untergebracht werden. Die meisten Bewohner erhielten Weisung, auf der „Hererowerft von Gebhard“ mit dem Bau zu beginnen.119 Von seiner hinter dem Bezirksamt gelegenen „Polizeiwerft“ allerdings konnte sich der Bezirksamtmann selbst nicht trennen, wie er dem Gouvernement schrieb: Die 20 „Pontoks“ sollten zur Unterkunft der 10 Arbeiter des Bezirksamts sowie von acht Polizeidienern und ihren Frauen und Kindern dienen (insgesamt „50 – 60 Köpfe“), die „jederzeit bereit“ sein müssten. Hier erwies sich der Bezirkschef als ein kolonialer Dienstherr wie jeder andere, der die gleichen Gründe geltend machte, die er selbst Dritten nur ungern zubilligte. Auch das Ordnunghalten fiel unter den häufig wechselnden Amtsvorständen schwer. Das in der Nähe der „Feste“ gelegene Windhoeker Bezirksamt stach unter den militärischen und zivildienstlichen Gebäuden oberhalb der Stadt „durch Baufälligkeit und Unzulänglichkeit besonders“ hervor.120 Zumindest wurde eine strengere Kontrolle und „Einkraalung“ der benachbarten „Polizeiwerft“ in Aussicht und im Mai 1910 fertig gestellt, die im September noch einmal „verstärkt“ wurde.121

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NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an KdoSchtr, 9.3.11; Kdoan BA Windhuk, 1.3.11. NAN BWI 36, E 1 f, SchTr an BA Windk, 8.2.12; PW Westphal an BA Windhuk,19.2.12. BAK N 1042/29, Bl. 53, W. Külz: Windhuk vor 25 Jahren, o.D. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.81, PW George an BA Windhuk, 27.3.10; BA Windhuk an Gouv, 6.4.10; Bl.83, Sekr Tschöpe an BA Brill, 21.5.10; PW George an BA Brill, 2.9.10.

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Geschlechtskrankheiten Für Amtschef Brills erhöhte Aufmerksamkeit für seinen engeren Zuständigkeitsbereich bestand Anlass genug: Es hatten sich „in letzter Zeit eine große Anzahl Weiber, welche geschlechtskrank waren, auf der Polizeiwerft verborgen gehalten, um der ärztlichen Untersuchung zu entgehen“. In der eigenen „Werft“ vermochte der Bezirkschef demnach nicht die Ordnung zu halten, die er von anderen einforderte. Auch die grassierenden Geschlechtskrankheiten konnten kaum eingedämmt werden. Es war Wunschdenken, dass die „Schwierigkeiten“ mit den ärztlichen Untersuchungen der Frauen, die zwangsweise durchgeführt wurden, „verschwinden“ würden, „wenn die Eingeborenen sich daran gewöhnen“.122 Schon 1908 hatte sich das Kommando der Schutztruppe über „geschlechtliche Erkrankungen“ seiner Soldaten beklagt, da „auf der Werft hinter der Ortspolizei zahlreiche geschlechtskranke Weiber“ lebten. Diese seien „trotz aller dagegen ergriffenen Maßnahmen den Reitern immer noch zugänglich.“ Kommandeur v. Estorff, unzufrieden mit dem Bezirksamt Windhoek, das die Verlegung dieser „Werft nach dem für die Eingeborenen bestimmten Platze südwestlich der Stadt“ seit längerem in Aussicht gestellt hatte, wandte sich an das Gouvernement, um die sofortige Verlegung durchzusetzen. Inspekteur v. Heydebreck antwortete ihm – in seiner Eigenschaft als Referent im Gouvernement –, die Polizeiwerft sei inzwischen bis auf die „Pontoks“ der Polizeidiener, die aus „dienstlichen Rücksichten“ erforderlich wären, verlegt worden. Eine Besserung brachte dies nicht, wie Brills abermalige Beschäftigung mit diesen Problemen 1910 zeigte.123 „Schwieriger“ noch als in der „Polizeiwerft“ gestaltete sich die Überwachung der Geschlechtskrankheiten auf der „großen Werft“, deren Bewohnerinnen oft in privaten Diensten standen. Hier war auf die „Dienstherrschaften“ Rücksicht zu nehmen. Doch wollte Amtschef Brill „zweimal im Monat“ auch bei ihren Bewohnerinnen eine Untersuchung durch den Regierungsarzt verfügen. Er wusste um die Gefahren des (verbotenen) „nächtlichen Umhertreibens u. dessen Folge, der eingeborenen Prostitution“, die die Gesundheit der Kolonialherren bedrohte und gegen die einzuschreiten er schon aus gesundheitspolizeilichen Gründen verpflichtet war.124 Denn der Polizei waren „Funktionen im Rahmen städtischer Infrastrukturaufgaben zugeordnet“ – dazu gehörte die Gesundheitspolizei.125 Doch räumte Brill gegenüber dem Gouvernement ein, wegen der „Untersuchungen“ „eingehende Rücksprache mit Missionaren u. a. Kennern der Eingeborenen“ halten zu müssen, ob sie „nicht einen zu starken Eingriff in ihre Anschauungen bedeutet und das

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NAN BWI 37, E 1 g, Bl.81, PW George an BA Wdh, 27.3.10; BA Wdh an Gouv, 6.4.10. NAN ZBU 785, G IV d 2, Bl.77a, Kdo an Gouv, 19.3.08; Bl.77b, Gouv an Kdo, 16.4.08. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.81, BA Windhuk an Gouv, 6.4.10; Roscher, 1912, S. 255 – 7. Reinke, 2000, S. 218 auch hierin ist die Polizei eine „Instanz sozialer Kontrolle“.

Vertrauen zu uns erschüttert.“126 Darum hielt Brill „im Beisein der Missionare mit den Ältesten, Ratsleuten und Vertrauensleuten der Eingeborenen mehrfach“ Rücksprache über die „Wichtigkeit“ der Untersuchungen. Nach Ansicht seines Vertreters Fromm hatte er bei diesen „Verständnis“ gefunden. „Besonders nachdem durch die Behandlung mit Salvarsan einige sehr schwer an Syphilis Erkrankte vollständig geheilt wurden“. Ziel blieb es, dass die „Vorleute“ selbst alle ihnen als geschlechtskrank bekannten Personen zum Lazarett schicken würden. Doch wiesen diese darauf hin, dass eine Besserung nicht eintreten könne, „bis auch die Weißen evtl. zwangsweise untersucht würden.“ Fromm, der den Anstieg der Geschlechtskrankheiten auf die „bei dem Bahnbau beschäftigten Weißen und Farbigen“ zurückführte, bestätigte: „hierin liegt sehr viel Wahres.“ Doch ein entsprechender Antrag in der „Sanitätskommission“ des Bezirks wurde abgelehnt. Die entwürdigende Untersuchung wurden Afrikanerinnen zugemutet, nicht aber den Kolonialherren.127 Aber nicht nur gegen die eigene Untersuchung sträubten sich Arbeitgeber. Auch die „Zeit und Geld kosten[de]“ Untersuchung ihrer Arbeitskräfte war ihnen zuwider. Doch ließ sich das Bezirksamt auf Verhandlungen nicht ein und kam nur was Zeit und Ort anging, den Ansiedlern des abgelegeneren Klein-Windhoek entgegen.128 Durch die Probleme mit den Geschlechtskrankheiten konnte sich Brill bestätigt fühlen in seiner Politik der „möglichsten Konzentrierung der Eingeborenen“. Diese betrachtete er als das maßgebliche Mittel, Prostitution und Syphilis u. ä. einzudämmen, da sich der Zugang zur weiter entfernt liegenden „großen Werft“ leichter kontrollieren ließe. Dennoch stand die Verwaltung bis 1915 der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten „ohnmächtig gegenüber“.129 Bezirkschef Brill erschien die „Konzentrierung“ darüber hinaus als „einzige[s] Mittel“, solchen „Übelständen“ wie Einbrüchen entgegen zu wirken. Auch wurde die Vielzahl von „Werften“ in der Stadt zum Problem, weil ,Entlaufenen‘ dadurch mehrere Möglichkeiten geboten waren, sich vor suchenden Arbeitgebern, Polizisten oder Polizeidienern zu verbergen.(130) Er blieb bei dem Ziel „sämtliche im engeren Weichbild der Stadt gelegenen Werften“ aufheben. Um dem „wünschenswerten Zustand“ einer Kolonialstadt ohne „Pontoks“ näher zu kommen, seien die „Werften“ der Behörden auf das „Notwendigste“ zu beschränken. Es war Brill aber weniger um die Afrikaner zu tun, als um die Bauweise ihrer Unterkünfte.131 Trotz der Politik einer „möglichsten Koncentrierung“ wurde Anträgen auf Unterbringung von Arbeitern am Arbeitsort stattgegeben, wenn diese in festen Häusern unterge126 NAN BWI 37, E 1 g, Bl.85, BA Windhuk an Gouv, 20.4.10. 127 NAN BWI 37, E 1 g, Bl.128, BAWindhuk an BA Rehoboth, 20.12.11; zu den Untersuchungen vgl. Engel, 1984, S. 159; in Dtl. Roth, 1997, S. 379 f. 128 NAN BWI 37, E 1 g, Bd.2, Bl.35, Gemeinde Kl-Windhuk an BA Windhuk, 6.1.14. 129 Kundrus, 2003, S. 248; Grosse, 2000, S. 165; Eckart, 1997, S. 124 f. 130 NAN EKW 1, F V k 3, Protokoll Reichard; Vernehmung Hans Artlob, 10.1.13. 131 NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an KdoSchtr, 5.12.10; 9.3.11.

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bracht waren und der Arbeitsweg – etwa von der „großen Werft“ nach KleinWindhoek – für zu lang erachtet wurde.132 Auch in Wohnhäusern auf der Kaiserstraße (heute Independence-Avenue) konnten Afrikaner untergebracht werden, wenn, wie sich die Polizei überzeugte, der Raum von ausreichender Größe und belüftet war. So bat ein Schuhmacher, der der Mutter seines Bediensteten „versprochen [hatte], für den Sohn in jeder Weise zu sorgen, damit er nicht verkommt“, um die Genehmigung des Bezirksamts. Doch bedurfte es zuvor eingehender Befragungen der anderen (deutschen) Hausbewohner und des Vermieters, ob sich „Jacobus“ tatsächlich stets „anständig“ gegenüber einer im Hause wohnenden Frau verhielt. Daraufhin wurde die Genehmigung erteilt.133 Im Dezember 1910 setzte Brill das Ziel, in zwei Jahren alle „Pontoks“ durch feste Gebäude zu ersetzen.134 Deutlich zeigt sich in dieser Zeitspanne, wie realistisch er mit Blick auf vorherige Versuche seit 1898, Windhoek frei von „Pontoks“ zu halten, die Umsetzung seiner Vorgabe einschätzte. In zwei Jahren wäre er längst nicht mehr Amtschef in Windhoek. b) Segregation II. Die private Dimension Städte, und besonders Kolonialstädte wurden stets zu symbiotischen Räumen, in denen verschiedene Kulturen auf einander trafen.135 Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft ist dabei wörtlich zu nehmen. Wenn in der Forschung gelegentlich von „systematische[n] Vergewaltigungen“ von Afrikanerinnen durch die Kolonialherren die Rede ist,136 so können darüber leicht die weniger plakativen Aspekte des Alltags in der Kolonie in Vergessenheit geraten: Vor 1905 waren allein in Windhoek annähernd 10 Prozent der Ehen später so genannte „Mischehen“. Ungezählt bleiben jene Beziehungen, die außerhalb der Ehe vollzogen wurden, deshalb aber nicht notwendig den Charakter der Prostitution oder Vergewaltigung annehmen mussten.137 Es waren diese Paare, die von der nach 1905 forcierten Politik der Segregation am massivsten betroffen waren. Auch wenn es zu ihrer von einigen Eiferern gewünschten grundsätzlichen Kriminalisierung nicht kam, so war doch das Bestreben unmissverständlich, derartige Beziehungen zu unterbinden.138 So setzte sich der Missionar C. Wandres für einen Hausarrest ab einer bestimmten Uhrzeit sowie Prügelstrafe für ,ertappte‘ Frauen ein. Deut132 NAN BWI 36, E 1 f, W. Kunz an BAWindhuk, 18.11.11; Notiz Fromm, 20.11.11; ebd, Antrag an BA Windhuk, 15.12.11. 133 NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Bl.31, Bodenschweig an BA Windhuk, 18.3.13; Notiz Kelber ; Bl.37, Erklärung Elisa Wandelt. 134 NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an KdoSchtr, 5.12.10; 9.3.11. 135 Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 17; Eckert, 1999, S. 3. 136 El-Tayeb, 2003, S. 89 f; vgl. Eicker, 2009, S. 273. 137 Hartmann, 2002, S. Kap. 8 „Conjugal“; Kap. 5 „Liaisons“; Walgenbach, 2005, S. 198 138 Vgl. Grosse, 2000, S. 189; Sippel, 1995, S. 123 f.; Stoler, 1989, S. 634 f.

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sche Männer, die ihre Beziehungen mit Afrikanerinnen fortsetzten, verloren 1909 das Wahlrecht für den Landesrat. Man dachte in diesem Gremium auch daran, ihre Namen zu veröffentlichen und ihnen sonstige Schwierigkeiten zu bereiten. Das Gouvernement hielt die Ämter dazu an, die Amtsmühlen für Anträge und Wünsche der Betreffenden besonders langsam laufen zu lassen. Dass „keine Anstrengungen unternommen [wurden], die vielen unehelichen Beziehungen, die in der Kolonie bestanden, zu unterbinden“,139 ist daher unzutreffend, wenn sie auch nicht gesetzlich verboten werden konnten. Da den unerwünschten sexuellen Kontakten zwischen ,Schwarz und Weiß‘, die während des Krieges erheblich zunahmen, anders nicht beizukommen war, verlegte sich die Kolonialverwaltung auf deren juristische Diskriminierung, die einer schleichenden Kriminalisierung gleichkam: Durch einen Runderlass (23. 9. 1905) wurde „die standesamtliche Trauung von Eingeborenen mit Weissen untersagt“.140 Dieses faktische „Mischehenverbot“ und die Ausweisung einer „neuen Werft“ in Windhoek entsprangen nicht nur dem selben Geist, jeden Anschein von Gleichberechtigung zwischen Afrikanern und Europäern auszuschalten und ersteren endgültig die unterste Stufe auf der sozialen Leiter der Kolonialgesellschaft zuzuweisen. Beide bezeugen den Glauben an die künftige Polizierbarkeit der Verhältnisse zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren, wie er unverblümter noch in den „EingeborenenVerordnungen“ von 1907 zum Ausdruck kam. Das Schreckgespenst der Vermischung, die Angt vor (grenzüberschreitender) Mobilität und „das Verlangen nach ethnisch-identitärer Stabilität“ waren die ideologisch verbrämten Grundlagen dieser Politik, die sich in der Metropole ebenso nachweisen lassen wie in den Kolonien.141 Auch wenn, wie oben beschrieben, bis etwa 1912 im Laufe von fünfzehn Jahren eine deutliche Segregation Windhoeks durchgesetzt worden war, so widersetzten sich bis zu letzt einige Europäer und Afrikaner den Ansprüchen der Kolonialverwaltung, ihren Umgang zeitlich und räumlich noch bis ins Privateste zu reglementieren. Eine Trennung der „Rassen“ wurde auf allen Ebenen gefordert – räumlich ließ sie sich dekretieren, sexuell war sie schwieriger durchzusetzen: Auch das „weiße Publikum“ tat sich schwer, die mit dem „Eheschließungsverbot“ verbundene rechtspolitische Botschaft zu 139 Becker, 2004, S. 71; 65 f. (Windhuker Nachrichten # 34/1910, S. 2); 59; vgl. Walgenbach, 2005, S. 80 f.; 192; Kundrus, 2003, S. 260 f.; Huber, 2000, S. 167; Schulte-Althoff, 1985. 140 Vgl. Hartmann, 2004b, S. 182 f.; Hartmann, 2002, Kap. 8; Kundrus, 2003, S. 223 – 279; NAN GLU 313, Gen F III, Bd. 2, Bl.4, RKA an Gouv, 19.11.08; Bl.5, BA Karibib an Gouv, 1.9.08. Mit Oermann ist zu betonen, dass nicht vorrangig die ,biologischen‘ Argumente einer „Reinhaltung der Rasse“, sondern die praktischen juristischen Folgen der „Mischehen“ zu deren Verbot führten. Da Ehepartner und Kinder eines Deutschen nach dem StAR von 1870 die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten, waren auf sie z. B. die 1907 erlassenen Eingeborenenverordnungen nicht mehr anwendbar. Mit der Existenz von scharzen Deutschen aber wäre die koloniale Ordnung ad absurdum geführt worden (Oermann, 2003, S. 176 f.; Nagl, 2007). 141 Conrad, 2006, S. 192 f., vgl. Nagl, 2007, S. 160 – 172.

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vernehmen, dass solche Beziehungen ganz zu unterlassen seien. Die afrikanische „Freundin als unverzeihlichen Missgriff“ zu betrachten, fiel vielen Männern schwer.142 Einem Italiener, der in Windhoek in einer „Zeltbude“ mit einer Afrikanerin lebte, die „er seine Frau nennt“, musste erst vom Grundstückseigentümer und der Polizei beschieden werden, dass er „den Platz zu verlassen“ habe.143 Auch ein Bericht vom August 1906 spiegelt den Unwillen, die „männliche Sexualität aus der privaten Verfügungsgewalt heraus“ lösen zu lassen und stattdessen das eigene Sexualverhalten „durch einen übergeordneten rassenpolitischen Imperativ einzugrenzen“:144 „Einen schweren Übelstand bilden nach wie vor die Verhältnisse, die aus den zahlreichen geschlechtlichen Beziehungen zwischen den Weißen, sowohl Militärpersonen wie Zivilisten, zu den farbigen Weibern gezeitigt werden. Abgesehen von der später zu behandelnden hygienischen Seite [Geschlechtskrankheiten], werden die farbigen Weiber, die vielfach ganz feste Verhältnisse mit ihren jeweiligen Verehrern unterhalten, dem anderen weißen Publikum gegenüber unverschämt und frech in ihrem Auftreten, indem sie sich durch ihre Beziehung zu ihrem weißen Manne, der leider nicht immer nur unter dem gemeinen Volk zu suchen ist, geschützt fühlen. Diese Weiber sind zu einer ernsthaften Arbeit überhaupt nicht heranzuziehen, bei hellerlichtem Tage gehen sie in den Behausungen aus und ein unter dem Vorwande irgend welcher Beschäftigung, die Polizei ist diesem Treiben gegenüber machtlos, da die Weiber stets von ihrem weißen Manne in Schutz genommen werden.“145

Die Frauen verlangten die Achtung ihrer Beziehung und betrachteten sie als Chance, den Zuweisungen an Arbeitgeber durch die Polizei zu entkommen – Anliegen, die die Kolonialbeamten als Anmaßung empfanden. Doch Möglichkeiten zum Einschreiten boten sich kaum. So wusste man auch im Gouvernement um die „Tatsache, daß die sogenannten Waschweiber zum geschlechtlichen Verkehr benutzt werden“, weshalb die Polizei „bei der Zuteilung von eingeborenen Mädchen an Junggesellen die größte Vorsicht obwalten läßt“.146 Der stellvertretende Gouverneur Hintrager verkündete in einer Rundverfügung über die Handhabung der „Verordnung über die Mischlingsbevölkerung“ vom 23. Mai 1912, „dass der weisse Mann sich wegwirft, der mit eingeborenen Frauen verkehrt.“ Auch sollte „im Interesse der Reinhaltung unserer Rasse“ Afrikanerinnen „zum Bewußtsein gebracht werden, dass es eine … Verfehlung gegen ihr Volkstum ist, sich mit einem weissen Manne einzulassen“ und daher die „Geburt des Mischlings“ eine „Schande“ war. Die Gelegenheit, „diesen Standpunkt zu vertreten“, so seine Einschätzung, wird

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Kundrus, 2003, S. 233; NAN BWI 208, O 1 h, Bl.1, L. Kress an BA Windhuk, 11.1.07; Notiz PS Kelber. Grosse, 2000, S. 157;148; vgl. Mamozai, 1982, S. 167 f.; Wildenthal, 2001, S. 106. NAN ZBU 153, A VI a 3, Bd.12, Bl.104, Jb Bezirk Karibib, 1905/06, 4.8.06. BAB R 1002/2465, Bl.59, Gouv an Keseberg, 15.3.11; Bl.96, BA Karibib an Cliff, 31.3.14.

sich den Ämtern „bei der noch bedauerlich laxen Auffassung vieler Weisser häufig“ bieten.147 Falsch lag er damit nicht. Mancher Windhoeker Arbeitgeber untersagte seiner „Waschfrau“ schlicht, auf die „Werft“ zu ziehen, sondern lebte mit ihr mehr oder minder bewusst in einem „Konkubinat“. So berichtete die „Küchenhilfe Anna“ des 26-jährigen Schutztruppenschreibers Scheiblich im Juni 1914, nachdem die Polizei auf der Werft ein Gerücht aufgeschnappt hatte, sie habe „seit Januar immer bei ihm in seinem Bett geschlafen[:] Auf die Werft ließ mich Scheiblich nicht gehen … Wir beide leben wie Mann und Frau zusammen.“ Als wegen dieses „unsittlichen Lebenswandels“ eine polizeiliche Überwachung angeordnet worden war, stellte ein Polizist fest, dass die Frau „schon bereits wieder 2 Tage nicht nach der Werft“ gekommen sei. Die beiden wussten worauf sie sich einließen. Drei Jahre zuvor bereits war gegen Scheiblich wegen Lizenzvergehens und des Betretens der „Werft“ ermittelt worden. Er hatte Afrikanerinnen wiederholt in seiner Wohnung mit Schnapsflaschen versorgt, die sie entweder vor Ort leerten oder auf die „Werft“ mitnahmen. Auch damals gab Anna an, bei ihm regelmäßig übernachtet zu haben.148 Zwar war die „Unterbringung“ ohne Genehmigung untersagt, doch war das Verbot nicht strafbewehrt, wie das Bezirksamt einräumte. Scheiblich wurde gleichwohl untersagt, Anna „bei sich wohnen zu lassen“. Intern aber erinnerte Bezirkschef Todt daran, Scheiblich „eventuell“ wegen Freiheitsberaubung belangen zu können. Dafür fanden sich zwar keine Zeugen, doch zeigt das Insistieren des Bezirksamtmanns, wie die Kolonialverwaltung im Sinne der Hintragerschen Verfügung alles daran setzte, solche „Konkubinate“ zu unterbinden.149 Vor Härte schreckte sie dabei nicht zurück. Daher ist die Behauptung unzutreffend, die Kolonialverwaltung hätte die „staatsrechtlichen Folgen der Mischehen“ verhindern wollen, „den nicht-ehelichen Geschlechtsverkehr aber ignoriert“.150 Auch das Beispiel des Schlossers A. Clemens, der „mit der Bastardfrau Maria de Klerk in wilder Ehe“ in der Nähe der Rennbahn in einem „Pontok“ zusammenlebte, erweckt einen anderen Eindruck: Als er sich im Oktober 1912 gegenüber der Polizei und Bezirkchef Todt weigerte, auf Grund des § 3 der Verordnung über die Mischlingsbevölkerung v. 23. Mai 1912 seine Frau zu verlassen, zog der Bezirkschef alle Register um Clemens’ Verhalten justiziabel zu machen. Wie bei allen Fällen, in denen gegen Konkubinate vorgegangen werden sollte, fehlte der Hinweis nicht, es sei „öffentliches Ärgernis“ entstanden: „Kapboys und arbeitsscheues weißes Gesindel“ hätten bei ihnen ein „wüstes Treiben“ veranstaltet. Doch ein Sergeant konnte eine Trennung „auf gelinde Weise“ nicht erreichen. Nicht nur drohte Clemens mit Gewalt und 147 NAN ZBU 145, AVI a 1, Bl.63, Gouv an alle Bezirks-, Distriktsämter, 31.7.12. vgl. Becker, 2004, S. 63; Kundrus, 2003, S. 249 f. 148 NAN BWI 307, S 17 p, Bd.7, Aussage Anna, 4.10.11; Aussage Josephine, 5.10.11. 149 NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Bl.31, Aussage Anna, 19.6.14; Meldung Polizei Windhuk, 24.6.14; BA Windhuk an EK, 11/22.7.14; zum Konkubinat, Dorn, 1907, S. 71 f. 150 Grosse, 2000, S. 191; vgl. Wildenthal, 2001, S. 106.

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Selbstmord, sondern berief sich „auf seine Nachbarn und mehrere Einwohner Windhuks, die mit Eingeborenen zusammenleben.“ Wachtmeister George räumte ein, dass „tatsächlich noch viele Personen mit Eingeborenen in wilder Ehe leben“. Er schlug daher das „mildere Mittel“ der Ausweisung de Klerks aus Windhoek vor, da sie „schon einen Deutschen …, der mit ihr in wilder Ehe lebte, zu Grunde gerichtet hat“. Zwei Wochen später wurden M. de Klerk und ihre Kinder mit dem Zug nach Rehoboth geschickt.151 Zur gleichen Zeit ging das Bezirksamt gegen einen Eisenbahn-Arbeiter vor, der im „Konkubinat“ mit einer Afrikanerin lebte – was abermals zu „Ärgernis“ geführt habe. Die Eisenbahnverwaltung teilte daraufhin nur knapp mit, der Arbeiter hätte „sein eingeborenes Waschweib“ entlassen.152 Gegen europäische Männer, denen eine festere Verbindung in Form eines „Konkubinats“ zu einer afrikanischen Frau nicht nachgewiesen werden konnte und die weiter keine Bestimmungen – etwa das Verbot, die „Werft“ zu betreten – verletzten, konnte die Verwaltung rechtlich nicht vorgehen. Ein Windhoeker Postbeamter, den sein Vermieter anzeigte, weil in dessen Bett eine afrikanische Frau gesehen wurde, erhielt die Ermahnung, sein Verhalten dürfte „nicht dazu beitragen, das Ansehen der Weißen bei den Eingeborenen zu heben.“ Weiter konnte nichts unternommen werden.153 War die Kolonialverwaltung schon nicht in der Lage, in den eigenen Reihen, so auch bei Polizeibeamten, jeglichen Umgang mit Afrikanerinnen zu unterbinden, so konnte ihr dies umso weniger bei Privatpersonen gelingen, gegen die, da das Strafrecht grundsätzlich nicht zur Verfügung stand, auch keine disziplinarischen Maßnahmen griffen. Die vollständige Segregation konnte daher nicht gelingen. Ermahnungen und Drohungen schienen adäquate Mittel, mit denen jene, die sich dem neuen kolonialpolitischen Kurs nach 1905 verweigerten, zur Folgsamkeit gezwungen werden sollten. Die leitenden Kolonialbeamten nahmen sich keineswegs, wie dies gelegentlich kolportiert worden ist, die Zeit abzuwägen, ob eine Beziehung zu einer Afrikanerin die koloniale „Hierarchie aufrechterhielt“, um gegebenen Falls Toleranz zu üben.154 Die kolonialstaatliche Unduldsamkeit galt jedem, der entgegen dem ungeschriebenen Verbot lebte. Doch vermochte sie bis 1914 nicht, Windhoeks Einwohner vollständig voneinander zu trennen.

151 NAN BWI 208, O 1 h, Bl.9, WM George an BA Windhuk, 14.10.12; Bl.15, Notiz PW George, 28.10.12; vgl. Kundrus, 2003, S. 262. 152 NAN BWI 208, O 1 h, Bl.16, BA Windhuk an EbVw, 16.10.12.; Bl.17, EVw, 21.10.12. 153 NAN BWI 208, O 1 h, Bl.1, Anzeige H. Vosse, 11.10.09; BA Windhuk an Postamt, 15.10.09; vgl. Grosse, 2000, S. 164. 154 So El-Tayeb, 2003, S. 90 f.

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5.1.3. Die Lebensverhältnisse auf der „großen Werft“ Nach 1910 wurden in Windhoek eine Reihe großer öffentlicher Gebäude fertig gestellt, wie Bahnhof, Schule, Christuskirche und „Tintenpalast“ (Sitz des Gouverneurs). Doch bei aller Aufmerksamkeit, die das Gouvernement, der Bezirkschef und ab 1910 auch eine selbstständige Stadtverwaltung unter den Bürgermeistern O. Houtermans und P. Müller dem „engeren Weichbild der Stadt“ zukommen ließen, so vernachlässigt wurde noch die elementarste Hygiene auf der „großen Werft“. Sie war schon von ihrer Anlage und Größe her alles andere als ein Abbild traditioneller Lebensweise der afrikanischen Bevölkerung. Die Politik gegenüber den „Werft“-Bewohnern beschränkte sich darauf, sie von der europäischen Bevölkerung so weit als möglich zu trennen und ihre Arbeitskraft auszunutzen.155 Dass eine Daseinsvorsorge auch für sie angezeigt war, dass Unterkünfte und infrastrukturelle Versorgung für diese ungewöhnlich große Menschenansammlung sicher gestellt werden mussten, ging der Kolonialverwaltung erst auf, als sich negative Auswirkungen auf Arbeitskraft und Kontrollierbarkeit der Afrikaner nicht mehr übersehen ließen. a) Unterkünfte und Kontrolle Wie mangelhaft die Unterbringung auf der „großen Werft“ sich nicht nur für ihre Bewohner, sondern auch für das Gouvernement und den Regierungsarzt Seibert darstellte, zeigte sich während einer Besichtigung Ende 1911. Das Gouvernement ordnete daraufhin im Januar 1912 „ein sofortiges Instandsetzen … der Pontoks an“, wofür Holz und Lehm unentgeltlich von der Gemeinde Windhoek zur Verfügung zu stellen waren. Auch sollte von ihr die Abfuhr der „grossen Haufen von Tins und Unrat“ übernommen werden. Um die Dringlichkeit zu unterstreichen, war dem Schreiben der Bericht Dr. Seiberts beigefügt, der neben der „unzweckmäßigen Ernährung“ vor allem die „schlechten Unterkunftsverhältnisse“ für die hohe Kindersterblichkeit und die zahlreichen Krankheiten auf der Werft verantwortlich machte. Insbesondere die „Pontoks“ hätten sich seit dem „letzten Aufstande erheblich verschlechtert. Der alte Pontok, mit Fellen ausgekleidet und anstossender Feuerstätte lediglich aus Holz, Lehm und Kuhmist hergestellt, bot dem Primitiven vollendeten Schutz gegen Hitze und Kälte … Wie ganz anders sind die meisten der jetzigen Pontoks, die ich Pseudopontoks nennen möchte. Weil das geeignete Baumaterial, Holz, Kuhmist und nicht zuletzt die Zeit dem arbeitenden Eingeborenen fehlt, sind diese Pontoks aus ungeeignetem Material, Blech, durchlässigem Sacktuch, alten Lumpen und zu klein gefertigt. Mangelhaft befestigt, wird es von starken Winden gelockert, emporgehoben, entführt … Im Sommer sind diese Pontoks stark überhitzt, im Winter durchkältet. Raucherfüllt, regendurchlässig. … 155 Zu einer vergleichbaren Haltung der frz. Kolonialverwaltung vgl. Sinou, 1988, S. 26.

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Zahlreich waren die Klagen hierüber, die ich bei meinen Besuchen der Werften von den Eingeborenen gehört habe. Stumpf und dumpf dahinbrütend machen sie den Eindruck von Menschen, die die Freude am Leben verloren haben. Niemals haben wir vorher so viele Kranke gehabt, so grosse Kindersterblichkeit, wir gehen zu Grunde, das sind die ständigen Klagen. Selbst die Kaffern sagen, als Unterworfene, als Sklaven der Hereros hatten sie bessere Lebensbedingungen gehabt.“156

Wie ein Hohn wirkte es, wenn Gouverneur Seitz wenige Monate zuvor bei der Neuregelung des Gesundheitswesens in einer Rundverfügung die „Schaffung einer gesunden Eingeborenenbevölkerung“ als eine der „vornehmsten Aufgaben der kolonialen Verwaltung“ bezeichnet hatte157 und von allen Ämtern forderte, „dem Gesundheitszustand der Eingeborenen die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Vor allem die Polizeistationen haben bei ihren Patrouillen sich die Eingeborenen auf Unterbringung und Verpflegung stets genau anzusehen.“ Bei Krankheiten war den Ursachen auf den Grund zu gehen und gegebenenfalls der Regierungsarzt einzuschalten. Gegen die Kindersterblichkeit sei „mit allen Mitteln …. anzukämpfen.“158 Doch diese Anweisungen wiesen höchstens auf Missstände hin, die auch Bürgermeister Houtermans für die „Werft“ nicht bestritt.159 Selbst Staatssekretär Solf, der die Kolonie besichtigte, hatte den gleichen Eindruck. Er schlussfolgerte über die „Eingeborenenbehandlung“: „Gleich beim Betreten des südwestafrikanischen Schutzgebiets ist es mir aufgefallen, dass die dortigen Eingeborenen, einen niedergedrückten und unfrohen Eindruck machen. Beim weiteren Durchreisen des Landes habe ich namentlich in der Unterbringung der Eingeborenen wenig Erfreuliches gesehen. Endlich habe ich den Eindruck gewonnen, dass die sanitären Verhältnisse der Eingeborenen noch durchweg im Argen sind.“160

Mit Blick auf die hohe Kindersterblichkeit unter der afrikanischen Bevölkerung führte Missionar Meier 1912 aus: „Gewiß ist Windhuk, namentlich für Kinder, ein sehr ungesunder Platz“. Wegen der schlechten Gesundheitslage, die er auch auf eine unzulängliche „Krankenpflege der Eingeborenen“ zurückführte, hatte er eine Gemeindeschwester beantragt.161 Staatssekretär Solf monierte gleichfalls nach der „Besichtigung des Eingeborenenhospitals [in Windhoek, dieses sei] …weit entfernt, auch nur den mindesten modernen hygienischen Bedürfnissen zu genügen.“162 Neu waren den Behörden die schlechten gesundheitlichen Verhältnisse der afrikanischen Bevölkerung 156 157 158 159 160 161 162

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NAN BWI 37, E 1 g, Bl.132, Gouv an Gemeinde Wdh, 9.1.12; Seibert an Gouv, 3.1.12. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.135, Gouv an BA Windhuk, 21.9.11. NAN BWI 37, E 1 g, Bd.2, Bl.15, Gouv an BA Windhuk, 30.11.11. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.134, Gemeinde Windhuk an Gouv, 16.1.12. BAK N 1053/36, Bl.28, Tagebuch Solfs. Schlussfolgerungen. AELCRN, C I 1.44, Konferenzbericht, Windhuk, 16.9.12. BAK N 1053/36, Bl.14, Tagebuch Solfs, 5.7.12.

nicht. Das Gouvernement hatte ab 1907 vierteljährliche Berichte über Gesundheitsverhältnisse und Sterblichkeit der „Eingeborenen“ eingefordert. Einzelne Verlautbarungen über „gute“ Zustände konnten den Gesamteindruck, der nicht nur den Staatssekretär belastete, kaum ändern.163 Der Umbau der „großen Werft“ Eile hatte es mit der im Januar 1912 angeordneten „sofortigen Ausbesserung der Pontoks“ nicht. Das 1912 erstmal eingesetzte „Eingeborenen-Kommissariat“, dem die Aufsicht über Afrikaner, die ihnen gezahlten Löhne und deren Vertretung gegenüber Arbeitgebern und Behörden oblag, vermochte zu schneller Abhilfe nicht beizutragen.164 Ein Jahr später befahl daher das Gouvernement definitiv den „Umbau der Herero- und Hottentottenwerft“ nach einem Plan, um den schlechten Unterkünften abzuhelfen. Es sollten die „Pontoks“ entlang mehrerer 10 – 15 Meter breiter Straßen errichtet werden. Doch mangelte es den Bewohnern an Material zur Verkleidung der „Pontokgerüste“. „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr bat daher um eine kostenlose Abgabe von Säcken, die vom Schutztruppenmagazin geliefert wurden – allerdings gegen 10 bis 20 Pf. das Stück. Bei 10 Säcken für einen Pontok war nicht jeder in der Lage, diese Preise zu zahlen. Für den Materialtransport mangelte es an Fahrzeugen, die gleichfalls vom Gouvernement erbeten wurden, was den Referenten Karlowa veranlasste, Amt und Gemeinde Windhoek zu drängen, „sich nicht immer wieder auf die Hilfe des Gouvernements zu verlassen.“ Doch erinnerte der „Eingeborenenreferent“ Streitwolf daran, dass der Umbau der Werft auf Veranlassung des Gouvernements begonnen wurde. Da die alten Pontoks nun abgerissen waren, konnte es nicht mehr darum gehen, wer verpflichtet sei, Material zu liefern. „[D]enn werden die Pontoks nicht gebaut, so werden die Eingeborenen in Massen krank und das Land hat den Schaden davon, wo hier doch jeder Eingeborene ein Wertobjekt ist.“165 Das Gouvernement versuchte deshalb, den katastrophalen Wohnverhältnissen der Afrikaner durch ein Anstacheln des Ehrgeizes der Beamten abzuhelfen: 1913 erklärte es nach einer Revision die „Werft“ von Karibib als „mustergültig“. Dort würden die „Eingeborenen“ angehalten, sich „gute Wohnräume“ zu schaffen: viereckige Häuser mit Wellblechdach; dafür erhielten sie von der Gemeinde, so der Bau „gut ausgeführt“ war, einen Zuschuss von 20 – 40 M. Dieses Verfahren wurde der Gemeinde Windhoek „zur Nachahmung“ empfohlen.166 Mitte 1913 äußerte sich „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr vorsichtig optimistisch über den Fortgang der Umbauten auf der „großen Werft“, nun auch „Lokation“ genannt“: 163 NAN BWI 37, E 1 g, Bl.17, Polizei an BA W’huk, 3.2.08; vgl. Oermann, 1999, S. 209 f. 164 AELCRN, V 36, Bl.80, Gemeinde-Chronik,1912. 165 NAN ZBU 2048, W III f 2, Bd.1, Bl.6, EK Bohr an Gouv, 18.9.13; Bl.10, EK Bohr an Gouv, 4.10.13. Notiz Karlowa; Bl.17, Notiz Ref.8, 6.11.13. 166 NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Bl.53, Gouv an BA Windhuk, 26.11.13.

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„Die eingeborene Bevölkerung ist fast ausnahmslos in einer nach Stämmen getrennten im Südwesten liegenden Lokation ca 12 Stunde vom Zentrum der Stadt entfernt untergebracht. Vornehmlich aus sanitären Gründen ist vor Jahresfrist mit dem Umbau der Werft nach einem vom Gouvernement befohlenen Plane begonnen worden. Bei dem Umbau ist besonders darauf Rücksicht genommen worden, dass die Hütten wegen ihrer Feuergefährlichkeit in angemessen gleichmässiger Entfernung errichtet wurden. … Beim Bau ihrer Hütten wird von den Werftältesten strenge darauf gehalten, dass sie geräumig genug gebaut werden. Die Errichtung massiver Unterkunftsräume, die zwar angestrebt wird, wird auch in der Zukunft nur wenigen sparsamen und gut besoldeten Leuten möglich sein. Bisher sind nur 2 massive Häuser mit je 2 hinreichend geräumigen Zimmern errichtet worden. … Der langsam vorwärts schreitende Umbau der Werft hat seinen Grund in dem Fehlen eines Fahrzeugs zur Heranschaffung des Baumaterials (Holz, Lehm, Kuhmist). … Die aus hygienischen Gründen dringend erwünschte Beseitigung des jahrelang angesammelten Unrats hat sich ebenfalls noch nicht vollständig durchführen lassen. Die bisherige Wasserkalamität ist durch Errichtung eines hinreichend grossen Wasserreservoirs und Erschliessung eines 2. Bohrlochs beseitigt. Ein 3. Bohrloch zur Bewässerung eines noch in unmittelbarer Nähe der Werft anzulegenden Gartens ist ebenfalls niedergebracht.“167

Die von Bohr erwähnte „Wasserkalamität“ war gleichwohl bis zum Ende der deutschen Kolonialzeit nicht vollständig behoben. Als das Gouvernement 1914 erfuhr, dass während einer Wasserknappheit auf der „großen Werft“, Händler diese Notlage ausgenutzt und zwei Flaschen Wasser für 1,– M verkauft haben sollen (bei Wochenlöhnen von rund 5,– M), hatten sich der Bezirkschef und der „Eingeborenenkommissar“ schriftlich zu verantworten: Danach war es eine „Tatsache“, dass der südliche Windmotor zeitweise nicht in der Lage war, die Bewohner mit Wasser zu versorgen. Sie hätten daher „scharenweise“ ihren Bedarf bei den „rings um die Werft errichteten Storebesitzern gedeckt“ – allerdings kostenlos, wie der „Eingeborenen-Kommissar“ zu wissen glaubte. Der „Eingeborenen-Kommissar“ erwartete eine Besserung der Wasserverhältnisse durch ein weiteres Bohrloch „im Zentrum der Werft“, das die Gemeinde Windhuk zahlen würde.168 Doch wurden derartige Infrastrukturmaßnahmen überwiegend aus den „ausschließlich zum Besten der Eingeborenen“ zu verwendenden Einnahmen aus der „Eingeborenensteuer“ finanziert, die in Windhoek seit 1912 erhoben wurde. 1913 betrug das Gemeindesteueraufkommen der Afrikaner, das von ihrem Lohn einbehalten wurde, in Windhoek 14.500 M.169 Verbunden war der Umbau der „großen Werft“ in Windhoek mit einem neuerlichen Versuch, „Pontoks“ aus dem ,europäischen‘ Teil der Stadt zu entfernen. So wurde die „Polizeiwerft“ 1913 aufgelöst, woraus, so der Be167 NAN ZBU 162, A VI a 8, Bl.19, Jahresbericht EK Windhuk, 1.4.12 – 31.3.13. 168 NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Gouv an BA Windhuk, 24.2.14; EK an BA Windhuk, 6.5.14. 169 NAN ZBU 162, A VI a 8, Bl.88, Jb EK Windhuk, 1.4.13 – 31.3.14; Zimmerer, 2004, S. 278 f.

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zirkschef Todt – im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Brill –, „keine Unzuträglichkeiten“ für die Alarmbereitschaft der Windhoeker Polizei entstanden waren.170 Als die Eisenbahnverwaltung 1914 den Neubau einer „Eingeborenenwerft“ für 40 Personen nahe dem Bahnhof beantragte, war sie sich im Klaren darüber, „Pontoks“ nicht aufstellen lassen zu dürfen. Nach der Windhoeker „Sanitätsverordnung“ war eine Unterbringung von Arbeitern nur in festen Gebäuden gestattet. Zugleich aber war der Abstand zwischen afrikanischen und europäischen Bewohnern möglichst groß zu halten. Es war eine Anforderung an den Bauplatz, dass er „in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, aber doch so gelegen ist, daß die Wohnungen der Europäer in keiner Weise benachteiligt werden.“171 Es machte Sinn, wenn Bohr 1914 weiterhin von der „großen Werft“ sprach – denn es gab kleinere daneben. Er berichtete von einer Besserung der Lebensverhältnisse: „Auf der großen Werft haben eine Menge schmutziger aus altem Gerümpel erbauter Hütten geräumigen Lehmhütten und mit Blech verkleideten Holzwohnungen Platz gemacht. Massive Unterkunftsräume sind jedoch im Berichtsjahr nicht aufgeführt worden. Der Umbau der Werft ist durchgeführt und der seit Jahren aufgespeicherte Unrat entfernt. Die neue Werft ist gut angelegt“.172

Traum und Alptraum der Kontrollierbarkeit Eine Besserung der Gesundheitsverhältnisse auf der „großen Werft“ war mit Blick auf den Mangel an Arbeitskräften ein nahe liegendes Ziel der Kolonialverwaltung. Doch auch die Beaufsichtigung des Verhaltens der „Werftbewohner“ vor Ort wurde verschiedentlich angemahnt. Selbst wenn die Afrikaner, wie von der Kolonialverwaltung gewünscht, getrennt von der europäischen Bevölkerung untergebracht waren, war damit noch nicht ihr Verhalten geregelt. Schon 1907 hatte der Polizeisergeant Altscher über die „Werft der Bauverwaltung“ hinter dem Ausspannplatz geklagt, auf der auch nach 10 Uhr abends sich die Einwohner noch „lärmend herumgetrieben“ hätten. Bezirksamtmann Narciß wollte deswegen den „Werftältesten“ sprechen und verfügte, in Zukunft die Stimmungsmacher festzunehmen.173 Ähnlich beschwerte sich Sergeant Werdermann im Dezember 1908 über „Eingeborene der Polizeiwerft“, die um 4:30 Uhr „laut gesungen“ hätten. Nach einer Ermahnung fing ein Polizeidiener „wieder an Zie[h]harmonika zu spielen.“ Bezirkschef Boesel aber wusste, dass das Singen „nicht gut verboten werden“ könne. Zumal an „Festtagen u. in den Mondscheinnächten“ Tänze aufgeführt würden.174 Hinzu kam, dass Lärm nicht nur auf der „Werft“ hinter dem Aus170 171 172 173 174

NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.24 – 25, BA Windhuk an Gouv, 30.6.13. NAN BAU 95, G Wi 4, Bl.1, Bericht Neubau; Bl.20, Genehmigung BA Windhuk, 23.2.14. NAN ZBU 162, A VI a 8, Bl.88, Jahresbericht EK Windhuk, 1.4.13 – 31.3.14. NAN BWI 36, E 1 f, Meldung Polizei an BA Windhuk, 15.5.07. NAN BWI 36, E 1 f, Meldung Polizei an BA Windhuk, 26.12.08, ebd, Notiz Boesel.

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spannplatz, sondern auch im „Beamten-Gebäude am Ausspannplatz“ gemacht wurde – anlässlich einer Abschiedsfeier der Sekretäre, die sich ebenso wenig wie die Afrikaner an die Anweisungen eines Ruhe gemahnenden Polizeisergeanten hielten.175 Auch andernorts in der Stadt ging die Polizei wiederholt gegen „nächtliche Ruhestörer“ vor.176 In Windhoek boten sich den Afrikanern, wie auch das Bezirksamt wusste, mit dem Wachsen des Orts bessere Möglichkeiten, sich dem Zugriff von Polizei und Arbeitgebern zu entziehen. Eine zentrale „Werft“ brachte den Nachteil mit sich, dass sie je größer, desto unübersichtlicher wurde. Sie war zuerst ein deutscher Traum und wurde zum Alptraum. Denn es wäre „dem Eingeborenen dort nicht schwer, wenn ihm das Arbeiten lästig wird, unter der Menge der Werftgenossen zu verschwinden und der strenge Kommunismus sorgt dafür, dass er nicht hungern braucht. Eine genaue Kontrolle über die Werft in Windhuk auszuüben erfordert mehr Personal, als dem Bezirksamt zur Verfügung steht. Auch müssten die Eingeborenen selbst herangezogen werden, in dem die Werftältesten für die Werft und dafür, dass sich kein Gesindel darin herumtreibt, verantwortlich gemacht werden.“177

1913 sprach „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr von der Notwendigkeit einer strengeren „Eingeborenenkontrolle“, die auch in Presse und Landesrat gefordert worden sei. In Windhoek reichten die bisherigen Mittel wie „Reisepässe, [und] Überwachung seitens der Polizeidiener und Vorleute“ nicht aus. Er versprach sich Besserung von einer An- und Abmeldepflicht seitens der Arbeitgeber sowie der, bereits von Gouverneur v. Lindequist empfohlenen Stationierung eines Polizeibeamten auf der „Werft“, „weil dadurch die Werftautorität nicht vorwiegend bei den Werftältesten ruhen würde“. Auch das „Herumbummeln von Leuten auf der Werft“ könne so vermieden, die „Trunksucht“ und sonstiges Verhalten besser kontrolliert werden.178 Bohr machte sich dafür stark, dass Verbot für „Weisse“, die „Werft“ zu betreten auf den ganzen Tag auszudehnen, wie es bereits in Okahandja, Omaruru, Grootfontein und Bethanien der Fall war. Ihn besorgte der „lebhafte Hausierhandel mit Lebensmitteln“ und die dadurch entstehenden „Zwistigkeiten“ zwischen Verkäufern und Abnehmern. Während die Gemeinde GroßWindhoek eine solche Verordnung für „dringend erforderlich“ hielt, sah die Gemeinde Klein-Windhoek die Gefahr, ein nach seinem Arbeiter sehender Dienstherr laufe Gefahr „unbewusst die Werftgrenze“ zu überschreiten. Gemeindevorsteher Gathemann wollte stattdessen vor der „Werft“ einen Polizeisergeanten postiert wissen.179 Das Gouvernement erachtete eine Verord175 176 177 178 179

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NAN BWI 304, S 17 g, Meldung. Polizei Windhuk, 25.10.08. Vgl. NAN BWI 304, S 17 g, Bd.2, Strafanzeige gegen E. Seib, 27.4.12. NAN ZBU 157, A VI a 3, Bd.20, Bl.167, Jahresbericht Bezirk Windhuk 1909/10, 4.6.10. NAN ZBU 2048, W III f 2, Bd.1, Bl.38, EK Bohr an Gouv, 31.8.13; vgl. Willis, 1991, S. 223. NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, EK Windhuk an BA Windhuk, 18.9.13; Gem Gr./Kl.Windhuk an BA Windhuk, 7./10.10.13.

nung, die das Betreten untersagte für rechtlich „sehr zweifelhaft“ und schwer durchzuführen. O. Hintrager hielt eine „ständige polizeiliche Kontrolle der Werften“ für Erfolg versprechender.180 (Gleichwohl verbot der Kommandeur v. Heydebreck 1914 den Schutztruppenangehörigen das Betreten der Windhoeker und Klein-Windhoeker „Werften“ generell.181) Die Aufsicht über die „Werftbewohner“ schien nicht nur des Lärms oder unberechtigen Aufenthalts wegen erforderlich. Eine direktere Kontrolle wurde auch deshalb für erforderlich gehalten, weil die Kolonialverwaltung gegen die Kriminalität in Windhoek zunehmend hilflos agierte. Da überwiegend Afrikaner für Einbrüche und Diebstähle verantwortlich gemacht wurden, sollte die „Werft“ Tätern keinen Rückzugsraum bieten. Wie unzureichend der Polizei die Aufklärung von Straftaten gelang, zeigte sich daran, dass – wie es schon für die Patrouillen gegen „Viehdiebe“ geschildert wurde – mehr und mehr zur Belohnung von Afrikanern gegriffen werden musste, wenn diese sich um die Ergreifung einer „Bande“ verdient gemacht hatten. Insbesondere der Einbrüche konnte die Polizei nicht Herr werden. Bezirkschef Brill mahnte 1911: „So kann es nicht weitergehen.“ Er wollte abermals die kleineren „Werften“ umstellt „und alles Gesindel aufgegriffen“ wissen. Auch sollte eine Patrouille in den Auas-Bergen geritten und eine Belohnung von 10,–M an jeden Afrikaner gezahlt werden, der zur Ergreifung einer „Bande“ beitrüge. Einer der Gesuchten, ein entflohener Strafgefangener, galt als „sehr gefürchtet“. Doch alle Durchsuchungen und Patrouillen erzielten, wie auch die „vielen Versprechungen“ des Kriminalbeamten Werdermann, „für die Ermittlung der Bande … keinen Erfolg.“182 Die Polizeistation auf der Werft Eine „Polizeistation auf der großen Eingeborenenwerft“ erschien daher als letzte Möglichkeit, die Kontrolle zu intensivieren. In dem ersten Entwurf der Werft von 1906 war sie bereits vorgesehen und auch 1908 geplant gewesen, doch fehlten stets die Mittel.183 1913 wünschte auch „Eingeborenen-Referent“ Streitwolf einen Polizeisergeanten als „Aufseher“, für den ein Wohnhaus auf der „Werft“ zu errichten sei. Dieser Bau wäre, wie er betonte, „dringend nötig, damit endlich Ordnung unter die stets betrunkenen Windhuker Eingeborenen kommt.“ Dafür wollte er, im Gegensatz zum Gouverneur die „Gefahr einer Etatsüberschreitung“ in Kauf nehmen. „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr drang gleichfalls darauf, einen „massiven Büroraum“ auf der „allgemeinen Werft“ errichten zu lassen. Er verwies auf dessen Notwendigkeit, „weil die Säuberung und Reinhaltung der Werft nur unter ständiger Kontrolle durch einen weissen Beamten möglich ist.“ Die „Massenansammlung der Eingebo180 181 182 183

NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Gouv an BA Windhuk, 24.10.13. NAN ZBU 2048, W III f 1, Bl.90, KdoSchTr an Gouv, 14.8.14. NAN BWI 307, S 17 p, Bd.6, Bericht PW Werdermann, 20.2.11. NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an Baumeister Redecker, 27.5.08; 7.9.08.

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renen“ sei andernfalls eine „ständige Gefahr für die Gesundheit der Eingeborenen wie der weissen Bevölkerung“. Den Hinweis auf einige Typhusfälle, zwei davon tödlich, wollte der Gouverneur jedoch nicht gelten lassen: „Die Typhusgefahr wird doch durch den Bau eines Büros nicht verringert.“ Gleichwohl fanden sich außeretatsmäßige Gelder für „sanitäre Maßnahmen“, zu denen nun, zum Ärger des Referenten Karlova, auch dieser Hausbau gerechnet wurde.184 Im Februar 1914 wurde mit dem Bau einer Polizeistation begonnen. Nach deren Fertigstellung Mitte 1914 war der Sergeant Krober „dauernd auf der Werft stationiert.“185 Wenn der Soziologe T. v. Trotha am Beispiel der Kolonie Togo Stationen als Werkzeuge bezeichnet hat, mit denen die abstrakte Zentralmacht des Kolonialstaats zu lokaler Herrschaft vor Ort verdichtet wurde und die so erst die Durchsetzung des europäischen Gewaltmonopols ermöglichten, dann zeigt sich anhand der Station auf der Windhoeker Werft, wie abstrakt oder auch einflusslos die kolonialstaatlichen Institutionen bereits wenige Kilometer vom Gouverneurssitz entfernt sein konnten.186 Je größer die Werft wurde, desto unmöglicher war ihre Kontrolle. Koloniale Herrschaft sah sich dem Widerspruch gegenüber, dass sie der Vergrößerung und Verdichtung afrikanischer Kolonialsiedlungen aus wirtschaftlichen Gründen bedurfte, ihr daraus aber im kolonialen Zentrum eine Schwächung auf Grund mangelnder Kontrollierbarkeit erwuchs. Eine Geschichte der Etablierung kolonialer Staatlichkeit lässt sich daher nicht als stetiger Verfestigungsprozess vom Zentrum her beschreiben, vielmehr muss sie dessen Brüche herausarbeiten. b) Alkohol und Armut Diese Brüche konnten gegenüber dem kolonialen System Freiräume eröffnen. Doch der Blick auf die geschilderten Lebensumstände macht deutlich, dass man Abstand von einer Heroisierung und Verklärung der entstehenden afrikanischen Stadtkultur unter dem Kolonialismus nehmen sollte. Der teils ruckartige Übergang vom Leben, z. B. in einer Viehhaltergesellschaft zu dem einer Hausangestellten oder eines Wanderarbeiters, mit seinen neuartigen Zwängen und den ungewohnten Freiheiten und städtischen Erlebnissen barg Konfliktpotenzial.187 Übertreibungen sind das eine, Kriminalität und starker Alkoholkonsum, zerfallende Familienstrukturen und Vereinzelung das andere (auch ohne dass Windhoek eine ausgeprägte Wanderarbeiterstadt mit vornehmlich männlicher afrikanischer Bevölkerung war188). Die Kolonialstädte als „Vektoren der ,Modernisierung‘“ entfalteten bei aller „afrikanischen 184 NAN BAU 52, B 78, Bl.1, Ref 8 an Gouv, 5.12.13; Bl.2, EK an Gouv, 10.12.13; Bl.4, Gouv an EK, 16.12.13 185 NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Notizen Todts; Polizei Windhuk. 186 v. Trotha, 1994, S. 58 f.; 62. 187 Coquery-Vidrovitch, 2005, S. XI; vgl. Südwestbote, 11. Jg. # 11, 25. 1. 1914, S. 1. 188 Vgl. Picon-Loizillon, 1988, S. 96 für Nairobi; McKittrick, 2003, S. 40 zu den Ovambo.

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Kreativität“ erhebliche destruktive Wirkungen auf den Einzelnen wie das soziale Umfeld.189 Angesichts dieser Verhältnisse nach den Kriegen ist in der Forschung von einer „kulturellen und sozialen Gesamtkrise der Herero“ die Rede. Diese Krise ließe sich aber, wie die oben zitierten Ausführungen des Regierungsarztes Seibert über die Lebensumstände auf der „großen Werft“ nahe legen, auch für die anderen Völker konstatieren. Der „Verfall der sozialen Ordnung“ ging einher mit der Gefährdung des „sittlichen Konsensus“. Bisher wirksame Strukturen sozialer Kontrolle verloren an Einfluss, die neue rassistische Hierarchie bot dafür kein Äquivalent. Generationenkonflikte brachen auf. H. Bley spricht davon, dass die Afrikaner sich „aufeinander viel weniger verlassen [konnten], als das je zuvor der Fall war“.190 Das Leben auf den Werften und der Alkohol(ismus) hatten daran Anteil. Diese negativen Auswirkungen blieben den Kolonialbeamten nicht verborgen. Wie gestalteten sich ihre Strategien, das ,afrikanische‘ Verhalten zu steuern? Es lässt sich am Beispiel der Maßnahmen gegen den afrikanischen Alkoholkonsum ein Überschuss an repressiven Disziplinierungsmaßnahmen der Verwaltung gegenüber positiven Hilfen (durch die Missionare oder die Verwaltung) feststellen. Alkohol als koloniales Problem Unabhängig von der Hautfarbe war der Alkoholverbrauch in der Kolonie stellenweise exorbitant. Dies offenbart nicht nur das Handbuch der Reichsstatistik von 1905: Bei den Exporten nach DSWA rangierte Bier an erster Stelle. Auch später, nach den Kriegen, änderte sich das Trinkverhalten wenig.191 In Deutschland war bekannt, dass der „Alkohol-Mißbrauch in den Kolonien außerordentlich verbreitet [ist]. Seine Hauptursache ist sicherlich mit, soweit eben der Europäer in Frage kommt, die Langeweile.“192 Im Reichstag nannte G. Noske DSWA die „versoffenste aller Kolonien“.193 Der starke Alkoholkonsum der Siedler war dabei keine deutsch-koloniale Besonderheit. Ein Kenner des britischen Empire wie R. Hyam bescheinigt den englischen Kolonisten einen „exzessiven“ Durst.194 Auswirkungen auf die Kolonisierten blieben nicht aus. Kommissar Dr. Göring berichtete zwar 1889 an den Reichskanzler Bismarck, ein Jahr, nachdem er eine Verordnung erlassen hatte, die den Spirituosenhandel an den Erwerb einer Lizenz band (1. 1. 1888), vom geringen Umfang des Handels mit Alkohol. Der „größte Teil des Hererovolkes kennt den Genuß von Spirituosen

189 190 191 192 193

Coquery-Vidrovitch, 1992, S. 19; 22 f.; vgl. Vorlaufer, 2001, S. 176; Harding, 2006, S. 46 f. Bley, 1968, S. 293; vgl. Harding, 2006, S. 29 f.; zu Ghana: Akyeampong, 1996, S. 44; 71. Statistisches Jahrbuch des Dt. Reiches, Bd.28 (Berlin 1907), S. 369; Bd.35 (1914), S. 460. Die Kolonial-Hygiene, Nr. 11 (1913), S. 8; vgl. Mamozai, 1982, S. 147 f. SBRT, Bd. 285, 13. Leg.Per. 1. Sess. 1912/14, 53. Sitzung, 2.5. 1912, S. 1640; zum „große[n] Ausmaß des Alkoholkonsums“ in Dtl. vgl. Roth, 1997, S. 323; Tappe, 1994, S. 232. 194 Hyam, 2002, S. 290; zu Britisch-Indien, Fischer-Tin, 2005, S. 178 f.

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noch nicht“ und der Handel im „Inneren“ sei gering. Gleichwohl warnte er vor den Folgen des Konsums: „Wenn es darauf ankäme, die Eingeborenen zu ruinieren oder wie die Indianer in Nordamerika auszurotten, so würde meiner Ansicht nach der unbeschränkte Genuß von Branntwein sich als das erfolgreichste Mittel erweisen.“ Afrikaner, die „den Genuß von Spirituosen kennen gelernt haben, sind denselben und besonders dem Branntwein leidenschaftlich ergeben.“195

Nicht ohne Grund maß die Rheinische Mission dem Alkoholkonsum 1891 größere Bedeutung bei als Göring. Sah sie durch ihn doch „alle Missionsarbeit und civilisatorischen Bestrebungen“ bedroht. Präses Diehl bat, den Alkoholimport zu beschränken. Auf ihrer Jahreskonferenz forderten die Missionare ein „Verbot der Abgabe von Branntwein an die Eingeborenen“. Sie folgten hier einer zeitgenössischen Überzeugung, Menschen „südlicher Rasse“ hätten, Kindern gleich, keine Kontrolle über sich und ihren Alkoholkonsum.196 Doch ein Verbot hielt Kommissar v. FranÅois für wenig praktikabel. Die gehandelten Mengen wären „sehr gering“; die „selbst bereiteten Getränke wie Honigbier“ dagegen wesentlich beliebter. Er versäumte es nicht, Reichskanzler v. Caprivi auf das „Spirituosen-Gesetz der Cap Colonie“ zu verweisen – „welches auf langjähriger Erfahrung begründet ist“ – und alkoholische Getränke von jeder Kontrolle ausnahm.197 Doch auch innerhalb der Verwaltung wurde der afrikanische Alkoholkonsum mit wachsendem Missfallen beobachtet. Es fehlte bald nicht mehr an (meist vergeblichen) Versuchen, diesen einzuschränken. Der Bezirkshauptmann von Gibeon, v. Burgsdorff, berichtete verärgert von der Schwierigkeit, die „durch den 4-wöchigen Windhoeker Aufenthalt sehr an Alkohol gewöhnten Witboois hiervon wieder abzubringen. … [S]ie, die in Windhoek soviel Schnaps wie sie nur wollten, frei kaufen durften“ mussten, in Gibeon „für jede Flasche einen Erlaubnisschein bei der Polizei lösen.“198 1899 erbat die Kolonialabteilung auf Ersuchen des Kolonialrats einen Bericht über die „Wirkungen der Spirituosen auf die Eingeborenen“. Die Bezirksverwaltungen, wenn sie sich nicht auf den Standpunkt stellten, der Alkoholkonsum sei durch ein bisher praktiziertes Lizenzsystem weitgehend eingeschränkt worden,(199) berichteten lustlos, dass der Alkoholkonsum der Afrikaner zu hoch sei, dazu schädlich und diese „alle Mittel versuchen, um in den Besitz desselben zu gelangen.“ Nur die Bezirkschefs von Keetmanshoop, Golinelli, und Windhoek, Müller, holten weiter aus. Ersterer sprach von einer „bedauerlichen Wirkung der Civilisation“, die „nicht belebend, sondern vernichtend“ wirke. Ein Mittel, 195 196 197 198 199

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NAN ZBU 1651, S II g 1, Bl.4, Göring an RK v. Bismarck, 20.10.89; Bl.1. VO v. 1.8.88. AELCRN, C I 1.3, Protokollbuch, Bl.243, 23.4.91; Oermann, 1999, S. 69 f.; Valverde, 1998, S. 163. NAN ZBU 1651, S II g 1, Bl.12, Diel an Nels, 24.4.91; Bl.16, Comm an RK (AA), 7.1.92. NAN ZBU 146, A VI a 3, Bd.2, Bl.281, BHptm Gibeon an LHptm, 8.1.97. NAN ZBU 1651, S II g 1, Bd.2, Bl.11/12, Gouv an BHpt + Dstr, 20.6.98.

dem zu entgegnen, sei die „Stoppung des Brandweingenusses“, denn dieser trage zum wirtschaftlichen Niedergang Vieler bei. Golinelli wollte es nicht verantworten, „daß Leute, die am Hungertuch nagen, für eine Flasche gesundheitsschädlichen Fusel 5 – 8 Mark, das ist die Hälfte eines Monatsverdienstes, bezahlen.“ Es sei eine „schreiende Ungerechtigkeit gegen Weiber und Kinder des Schnapstrinkers … Die Flasche Schnaps, die dem Store 100 – 200 Prozent Gewinn abwirft, beraubt ein ausgehungertes Weib und eine Schar hülfloser Kinder des notwendigsten Lebensunterhalts.“

Während der Schnaps bei allen Anschaffungen meist „an erster Stelle“ stünde, fehle das Geld für Kleider, Nahrung oder Vieh. Daher verweigerte Golinelli „Eingeborenen die Erlaubnis zum Ankauf von Spirituosen“. Dieser Politik billigte er einen vollen Erfolg zu. Sie sei den „Leuten in Fleisch und Blut übergegangen“.200 Windhoeks Bezirkschef Müller berichtete Ähnliches. So hatte er erfahren, dass die „Armuth der Hereros, welche an Plätzen wohnen, wo Spirituosen-Lizenzen bestehen, weniger den Folgen der Rinderpest als denen des Alkohols zuzuschreiben ist.“ Würde er andern Orts „große Strecken Landes“ bebauen, so sei „der Herero“, „wenn er Spirituosen bekommt, als notorischer Säufer“ zu bezeichnen. Aus diesem Alkoholismus erwuchsen der Verwaltung nicht zu letzt wirtschaftliche Schwierigkeiten, „denn ein Eingeborener, der trinkt arbeitet nicht.“201 Regelungen zur Eindämmung des Alkoholkonsums Das „strenge Abstinenz-System des Dr. Golinelli“ fand trotz seiner vorgeblichen Erfolge zunächst keine Nachahmung. Leutwein selbst war damit „nicht einverstanden“, da diese Strenge zu „Umgehungen“ herausforderte. Golinellis Nachfolger Bunsen erteilte „Erlaubnisscheine“ in einem „erheblich größeren Umfang“. Dessen Nachfolger Hansen berichtete, seit dem Fortgang Golinellis seien „die Eingeborenen … durch unerlaubten Ausschank seitens der Storebesitzer an einen erheblichen Consum von Spirituosen gewöhnt“.202 Gouverneur Leutwein stellte zunächst den „Grundsatz“ auf, „daß den Eingeborenen der Bezug von Alkohol möglichst zu erschweren ist.“203 Einige Monate später aber untersagte er mit Blick auf die gravierenden Probleme in einer Verordnung vom 18. 12. 1900 die „Verabfolgung von geistigen Getränken an Eingeborene“.204 Nach den Kriegen verbot eine neuerliche Verordnung vom 16. 8. 1907 den 200 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.17, KolA an Gouv, 31.1.99; Bl.28 – 38, BHpt Keetmanshoop an Gouv, 20.4.99. In zwei Jahren wurden Golinelli vier Fälle von Schmuggel bekannt. 201 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.39 – 41, BHpt Windhoek an Gouv, 3.7.99; Willis, 1991, S. 220. 202 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.68, Gouv an BHpt K’hoop, 21.9.00; Bl.66, BHpt K’hoop an Gouv 24.8.00. 203 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.56, Gouv an BHpt Keetmanshoop, 27.7.00. 204 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.97, Gutachten des Oberrichters Dr. Meyer, 6.2.06.

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Verkauf von alkoholischen Getränken an Afrikaner „absolut“. Darunter schloss das Gouvernement das von diesen selbstgebraute Bier ein, auch wenn es nur geringe Mengen Alkohol enthielt und daher in Windhoek wie andern Orts bisher von deutschen Brauern und Storebesitzern gern als nicht unter eine Verordnung fallend verkauft wurde. Zur Begründung wurden „die Erfahrungen der letzten Jahre“ heran gezogen, die gezeigt hätten, „welche verderblichen Folgen der Genuß des Alkohols bei den Eingeborenen zeitigt. Eine der Ursachen sowohl des Bondelzwarts, als auch des Hereroaufstandes war der starke Genuß von Alkohol“.205 Diese Bestimmungen lehnten sich eng an entsprechende Verordnungen in den südafrikanischen Provinzen an, die inzwischen fast ausnahmslos den Alkoholverkauf an Afrikaner unter Strafe stellten.206 Dennoch wurden, mit Billigung des Gouvernements, weiterhin einzelne „Permits“ durch die Verwaltungschefs ausgegeben, mit denen Afrikaner Alkohol erwerben konnten.207 Zur Einordnung dieser Bestimmungen ist es wichtig, die „besonders empfindliche zeitgenössische Bewertung des Trinkverhaltens“ hervorzuheben. Im Kaiserreich „gewannen die Befürworter einer energischen Bekämpfung des Alkoholismus … an Einfluß“. Auch Kommunen in Deutschland gingen dazu über, den Ausschank an bestimmte Personen oder zu bestimmten Zeiten einzuschränken. „Die degenerative Wirkung des Alkohols und deren Folgen für die Volksgesundheit waren damals ein Dauerthema.“208 Doch während die deutsche „Antialkoholbewegung“ zumindest in der Metropole beachtlichen Zulauf erhielt, standen in der Kolonie kaum die Mittel bereit, den (übermäßigen) Konsum wirkungsvoll einzuschränken. Die juristischen Maßnahmen, vor denen man in Deutschland aus „Angst vor dem Vorwurf der Klassenjustiz“ zurückschreckte, konnten in der Kolonie zwar zumindest gegen die Afrikaner ergriffen werden, wenngleich auch auf „Trinkerlisten“ vermerkten Deutschen das Betreten von Lokalen verboten werden sollte.209 Doch boten das Straf- und Verwaltungsrecht keine Handhabe, mäßigend auf die Trinkgewohnheiten einzuwirken, wie die schwierige Überwachung des Verkaufsverbots an Afrikaner zeigt: Den Alkoholkonsum auf Windhoeks „Werften“ konnte die Kolonialverwaltung nicht steuern. Ein „Werftverwalter Mayer“ berichtete im Dezember 1905, „daß heute wieder die ganzen Eingeborenen der [Gouvernements-]Werft betrunken [gewesen] sind.“ Den Schnaps soll der Händler F. Melchior mit seinem „fliegenden Store“ geliefert haben.210 Bei diesem Ärgernis blieb es; auch wenn Europäer, die 205 NAN ZBU 1651, S II g 1, Bd.3, Bl.128, Begrüdung zum VO-Ent, [~12/1906]; NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.132, Gouv, an alle BA+DA, 22.7.08; Bl.154, BA Windhuk an Gouv, 1.10.08. 206 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.160 – 167, Kaisl. Dt. Kons. Johannesburg an RKA, 3.11.10. 207 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.178, BA R’th an Gouv, 20.4.12; vgl. Valverde, 1998, S. 164. 208 Roth, 1997, S. 324; Spode, 1993, S. 203; vgl. Valverde, 1998, S. 43 – 67. 209 Vgl. NAN ZBU 783, G IV b 1, Bl.51, Gouv Verordnungsentwurf, o.D. [9/13]; Roth, 1997 S. 325; Tappe, 1994, S. 354; Spode, 1993, S. 251; Südwestbote, 11. Jg., 5. 4. 1914, S. 1. 210 NAN ZBU 1657, S II g 5, Bl.65, Pahl an Gouv, 16.12.05. Es handelt sich vermutlich um den

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wegen Trunkenheit oder unlizenziertem Handel verurteilt worden waren, zunehmend darauf drangen, „Eingeborenen“ nicht zu gestatten, wofür „Weiße … schwer bestraft werden.“ Diesem Ersuchen kam die Verwaltung nur zögernd nach. Gouverneur v. Lindequist zeigte sich 1906 nachsichtig gegenüber der Behauptung, in Stores auf den „Werften“ würde Schnaps verkauft. Er wollte dagegen nicht vorgehen, betonte aber, auf der „neuen Werft“ würde derartiges „nicht mehr geduldet“.211 Wie gering die Erfolge der gegen den Alkoholhandel mit Afrikanern gerichteten Maßnahmen waren, zeigt auch der für erforderlich gehaltene Einsatz von Polizeispitzeln. Zwar wurde einem Polizisten „völlige Bewegungsfreiheit in seinen Maßnahmen zwecks tatkräftiger Durchführung des zu verfolgenden Zwecks eingeräumt, solange sie den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht entgegenstehen“. Doch agents provocateurs wurden eingesetzt, obwohl deren Verwendung für rechtlich unzulässig erachtet wurde.212 Die Verwendung von agents provocateurs bei der Polizei in Windhoek gegen den Alkoholausschank an Afrikaner hatte Bezirkschef Narciß 1907 zwar nicht angeordnet, aber er wollte sie „nach Lage der Verhältnisse im Prinzip billigen“. Insbesondere die Arbeiter von Frachtfahrern würden sich nach der Ankunft oder vor der Abfahrt „durch Alkoholgenuss arbeitsunfähig machen“. Der Alkoholkonsum galt somit als ein wirtschaftliches Hindernis. Da die „Schnapsverkäufer sehr vorsichtig“ waren, bliebe der „Polizei nichts anderes übrig“, als „Eingeborene“ (z. B. Polizeidiener) im polizeilichen Auftrag Alkohol kaufen zu lassen, um die Verkäufer zu überführen. Ein Verfahren, das so auch in der Kapkolonie und in Togo praktiziert würde, wie sich Narciß zu betonen beeilte. Der Vorgang war „nicht aktenmäßig zu machen“, auch sollte sich der „Eingeborene … des Zwecks desselben nicht bewußt“ werden. Die rechtliche Anstößigkeit dieses Verfahrens war Narciß bekannt. Die „Benutzung eines eingeborenen Spitzels“ erschien ihm jedoch das „kleinere Übel“. Dennoch hatte sich der Bezirksrichter Fischer darüber beim Gouvernement beschwert. Die Antwort verfasste Oberrichter Bruhns „i.V.“ des Gouverneurs und ließ sie durch sein Amt, „durch den Oberrrichter“, gehen – ein deutliches Indiz, wie es um die Trennung von Justiz und Verwaltung stand. Bruhns meinte, das „Spitzel“-Verfahren ließe sich „leider … nicht ganz vermeiden“, sollte aber die „Ausnahme von der Regel bilden“ und „unauffällig“ ausgeführt werden.213 Doch konnte auch dadurch der „blühende Verkauf von Alkohol an Eingeborene“ nicht unterbunden werden, wie es noch 1913 hieß.214 „Gouvernementswerftverwalter“ Meyer, der später die Farm Ongombo erwarb (BAB R 1001/ 2199, Dt. Konsul Boma, H. Tecklenburg an RK Bethmann Hollweg, 10.9.10). 211 NAN BWI 36, E 1 f, Denker an BAWindhuk, 11.10.06; Vernehmung /Hoesemab, 4.12.06; Polizei an BA W’huk, 28.1.07: Akyeampong, 1996, S. 70 f. zu „temperance societies“ in Ghana. 212 NAN ZBU 289, B III c 23, Bl. 3, BA Lüderitzbucht an Gouv, 3.4.12; Bl.10, Dienstanweisung Kriminalabteilung, 6.6.12; vgl. Ackermann, 1896, S. 76. 213 NAN ZBU 79, A II t, Bd.1, Bl.104, BAWindhuk an Gouv, 17.7.07; Bl.109, Gouv an BG Windhuk, 25.7.07.

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Alkohol im Werftalltag Die beobachteten Fälle von Trunkenheit waren zum einen auf illegalen Handel zurückzuführen – es bot sich allenthalben die Gelegenheit, auf den Werften Flaschen vor der Polizei zu verbergen. Zum anderen lag die beabsichtigte räumliche Trennung zwischen Afrikanern und Europäern auch darin begründet, den gemeinsamen Alkoholkonsum beider Seiten sowie daraus entstehende Unzuträglichkeiten, allen voran die Prostitution, einzuschränken: Ein Gefreiter, der über den Schnapshandel auf der „Damarawerft“ aussagen sollte, berichtete von seiner Wäscherin, die ihn um Geld für Alkohol gebeten hatte. Er hätte es ihr gegeben, und „nach kurzer Zeit [kam] dieselbe mit einer Flache Gin in [den] Pontok“ zurück, in dem er offensichtlich auf sie gewartet hatte.215 Unmöglich kann die Polizei jenen Männern, die auf eine der Werften wollten, dieses Begehren auch 1911 nicht gemacht haben. Der bereits erwähnte Schreiber Scheiblich kam innerhalb weniger Wochen an vier Abenden mit Schnapsflaschen dort hin, „um nach der Anna zu fragen“, die er dann in seine Wohnung brachte. Für den Wiederholungsfall wurde ihm mit einer „gerichtlichen Verfolgung“ gedroht.216 Zwar war der „weißen Bevölkerung“ seit März 1905 das Betreten der Windhoeker „Werften“ von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens verboten, nicht aber am Tage. Übertretungen wurden mit bis zu 200,– M oder Haft geahndet – außerhalb der Stadt aber war selbst ein nächtlicher „Werftbesuch“ „leider nicht strafbar“, wie Bezirkschef Todt 1913 bedauerte.217 Die „geheime Prostitution“ auf den „Werften“, oft mit Alkohol vergütet, hoffte die Verwaltung, wie geschildert, durch ein erweitertes Betretungsverbot einzuschränken. Doch gelang ihr dies nur unzureichend. Daher konnte es weiterhin vorkommen, dass selbst „Weiße von den besseren Ständen – die Rumflasche in der einen, Tabak und Geld in der anderen Hand – in Ermangelung anderer Gelegenheiten zur Nachtzeit von einer Werft zur anderen gehen“.218 Möglichkeiten, an Alkohol zu gelangen boten nicht allein der illegale Handel oder die Prostitution. Die afrikanische Bevölkerung blieb stets in der Lage, alkoholische Getränke selbst zu brauen. Den sich daraus ergebenden (übermäßigen) Konsum einzuschränken, vermochte die Kolonialverwaltung nicht, auch wenn der Handel mit diesen Getränken verboten war. Es blieb der Rückgriff auf repressive Disziplinarmaßnahmen. 1912 bestrafte der „Eingeborenenkommissar“ Bohr zwei „Kapboys mit je 25 Prügelschlägen, weil sie sich, wie sie einräumten, zum wiederholten Male an „Kaffernbier“ betrunken hatten und deshalb „einige Tag nicht arbeiten“ konnten. Bohr begründete diese Strafe damit, dass die beiden schon mehrfach alkoholisiert waren und 214 215 216 217 218

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NAN BWI 155, L 2 a, Bd.2, Bl.30, BA Windhuk an Gouv, 15.3.13. NAN BWI 36, E 1 f, Polizei Windhuk. Vernehmung Gefr. Kemmler, 16.10.06. NAN BWI 307, S 17 p, Bd.7, Aussage Anna, 4.10.11; Aussage Josephine, 5.10.11. NAN BWI 36, E 1 f, Bl.1, VO, 25.3.05; Bd.2, Bl.39, St Lauwater an BA Windhuk, 27.3.13. NAN ZBU 785, G IV d 2, Bl.59a, Schmitz an BA Keetmanshoop, 21.3.06.

„daß gerade den Kapboys an der enorm um sich gegriffenen Trinkunsitte unter den Eingeborenen eine große Schuld beizumessen ist.“219 Auch die Mission beteiligte sich an diesem Einsatz gegen den Alkohol und verfügte über ihr eigenes Drohpotenzial: Missionar Becker ließ das Abendmahl ausfallen, „weil [der Schulmeister und Werftälteste] Zedekia in den Pontoks 19 Zuckerbiertöpfe fand. Als Nachspiel dieser Sache gab es noch einen großen Streit zwischen Zedekia und Franz /Hosemab, an den sich die Unzufriedenen gewandt hatten.“220 Ein Verbot, selbst zu brauen und schwach alkoholische Getränke anzubieten, war nicht praktikabel. In Swakopmund war zwar angesichts mehrerer Fälle von Trunkenheit das Verbot des Brauens von „Kaffernbier“ vorgeschlagen und im britischen Süd-Rhodesien von der Verwaltung bereits eingeführt worden. Doch stieß dies nicht auf ungeteilte Zustimmung. Lüderitzbuchts Bezirkschef Heilingbrunner befürchtete eine „unnötige Verärgerung“ der Afrikaner, die sich in einem alten Brauch beschränkt sehen würden und zugleich „–leider!– Tag für Tag in Kasinos, Gasthäusern und auf der Straße Gelegenheit haben zu sehen, dass Weisse jeden Standes ungestraft weit über jedes Mass trinken.“221 Auch Windhoeks Amtschef Todt hielt ein Verbot für nicht erforderlich und „unbillig“. Gravierender als die Zubereitung von „Kaffernbier“ hielt er den „Genuss von Schnapps, den heruntergekommene Elemente den Eingeborenen verschaffen.“ Er erinnerte daran, dass das Bier einer „der wenigen Genüsse [sei], die sie überhaupt haben“.222 Das Gouvernement verlegte sich darauf, den Ämtern den Unterschied zwischen „Kaffernbier“ – wenig alkoholhaltig und „gesundheitsfördernd“ – und dem „stark alkoholhaltigen“ „Zuckerbier“ zu erläutern und die Zubereitung des letzteren – eine „erschreckend um sich greifende Unsitte“, so die Missionare – zu verbieten.223 Da aber, abgesehen von der schwierigen Abgrenzung zwischen schwach- und stark-alkoholischen Getränken, nicht einmal zwischen der Referenten des Gouvernements eine gemeinsame Linie gegenüber den alkoholischen Getränken der Afrikaner zu erreichen war, blieb auch eine Umsetzung dieses Verbots durch die Ämter aus.224 Ebenso offen blieben Alternativen, die hätten aufgezeigt werden können, um den als übermäßig empfundenen Alkoholkonsum in der Kolonie zu senken. Dass er zur Verarmung und Verelendung weiter Teile der afrikanischen Bevölkerung beitrug, war seit den 1890er Jahren unzweifelhaft. Doch das Verkaufsverbot forderte eher Umgehungsstrategien der Händler und Käufer 219 NAN EKW 1, F V k 3, Protokoll Abraham und Karl; Strafbuch Nr. 650, 651, 18.11.12. 220 AELCRN, V 36, Bl.79 f., Gemeinde-Chronik, 1912. 221 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.171, DA Omaruru an Gouv, 15.1.12; Bl.174, BA Lüderitzbucht an Gouv, 9.3.12; Bl.184, Süd-Rhodesische VO 72/1912, 1.3.12; vgl. Willis, 1991, S. 219 f. 222 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.180, BA Windhuk an Gouv, 13.3.12. 223 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.192, Gouv an alle BA, 10.6.12; AELCRN, C I 1.25, Bl.103, Protokoll der Missionars-Konferenz des Hererolandes, 14.10.13: vgl. Valverde, 1998, S. 164. 224 NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.211, Notiz, Ref 8, 17.10.12; Bd 2, Bl.15, Notiz, 2.3.14

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heraus, als dass es Wirksamkeit entfaltet hätte. Auch die verhängten Strafen hatten nicht den abschreckenden Effekt, den die Verwaltung sich wünschte. Was für die gegen den Alkoholismus gewandte Politik in Deutschland festgestellt worden ist, lässt sich auf die Kolonie übertragen: „Da die Steuerungsmechanismen der Sozial- und Gesundheitspolitik noch zu wenig ausgeprägt waren, wurde die Lösung der mit dem Alkoholgenuß zusammenhängenden Fragen dem Strafrecht aufgehalst“; wo doch Aufklärung und „Selbstzwänge“ einen gangbareren Weg wiesen.225 Die Möglichkeiten, durch Verbote Einfluss zu nehmen, blieben begrenzt. Die (hohe) Polizeidichte Windhoeks erwies sich hierfür als irrelevant. Den Alkoholkonsum der Afrikaner zu beeinflussen und einzudämmen gelang nicht.

5.1.4. Die „Werftältesten“ Gemäß § 13 der Kontroll-VO vom 18. 8. 1907 hatte sich der mit der Werftaufsicht betraute Beamte, meist der Bezirksamtmann, der „Vermittlung seines Vormanns“ zu bedienen, wenn er mit den Bewohnern in Kontakt treten wollte. Diesen „Vormann“ hatte er unter Berücksichtigung der „Wünsche der ihm zu unterstellenden Eingeborenen“ zu ernennen und „für das Verhalten der Werft verantwortlich zu machen“. „Ethnischer Pluralismus“ als Herrschaftsform In Windhoek wurde dieses Amt unter den verschiedenen Völkern aufgeteilt, deren jeweiliger „Vormann“ für ,seine‘ „Bergdamara-Werft“, „Herero-Werft“, „Kaffern-Werft“ oder „Hottentotten-Werft“ etc. verantwortlich gemacht wurde. Der städtische Raum sollte auch innerhalb der „Werft“ mit Hilfe der Bildung ,ethnisch‘ definierter Viertel strukturiert werden. Diesem Schema lag nicht vorrangig eine Rücksichtnahme auf (vorkoloniale) Vorbehalte der Völker gegeneinander zugrunde, sondern entsprach einer divide-et-impera Politik der deutschen Kolonialverwaltung, die diese Vorbehalte auszunutzen plante. Es entsprach dem „kolonialpolitischen Grundanliegen der Segregation und Distanzierung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen“.226 „Racial dualism was thereby anchored in a politically enforced ethnic pluralism.“227 So legte Bezirkschef Fromm 1911 „Wert darauf, daß … die Hottentotten dem Werftältesten Franz [/Hosemab] nicht unterstehen“, sondern dem „Ältesten David [Zwartbooi] und seinem Ratsmann Hendrik“. „Aus nahe liegenden Gründen müssen die Hauptnationen nicht zusammengeworfen werden.“228 So war zunächst für die zu den Hafenstädten durchreisenden Ovambo in 225 226 227 228

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Roth,1997, S. 326; Spode, 1993, S. 267. Becher, 2001, S. 219; vgl. Eckert, 2007, S. 11; Osterhammel, 2003, S. 71. Mamdani, 1996, S. 7; vgl. Berman/Lonsdale, 1992, S. 95; aber Spears, 2003, S. 25. NAN BWI 37, E 1 g, Bd.2, Bl.3, BA Fromm an Sekr. Bohr, 11.10.11.

der Nähe des Bahnhofs ein Unterkunftsraum eingerichtet worden.229 Mit der steigenden Zahl der „Ovambo-Arbeiter“ wurden aber auch diese mehr und mehr auf der „großen Werft“ untergebracht werden. Die Windhoeker Stadtverwaltung unter Bürgermeister Houtermans sowie der „EingeborenenKommissar“ Bohr zögerten zwar, sie dort anzusiedeln. Doch sorgte auch bei ihnen das Bezirksamt für die Verlegung.230 Gleichwohl blieb „das Zusammenleben der Stämme eine ungelöste Aufgabe.“231 Dies zeigte sich 1913 bei einer der „Truppenwerften“, auf deren Beibehaltung die Schutztruppe zum Verdruss des Bezirksamts bestand. Denn ihre Organisation rief „Verstimmung unter allen Stämmen“ hervor, wie Bohr berichtete. Es war ihm, der „gute Leistungen im Otjiherero“ erbrachte,(232) bisher „beim besten Willen nicht möglich, den Vorleuten die Gründe für die Schaffung einer besonderen Werft verständlich zu machen; sie waren übereinstimmend der Ansicht, dass sich kein Vormann finden würde, der die Aufsicht über diese Werft ausüben wollte, dass dauernde Reibereien die Folge sein würden und die Ruhe unter den einzelnen Stämmen gefährdet werden würde.“

Bezirksamtmann Todt formulierte den gleichen Einwand gegen eine „Truppenwerft neben den Stammeswerften“ außerhalb der ,weißen‘ Stadt schärfer. „Die Anordnung greift zu tief in das Stammesgefühl der Eingeborenen ein, dadurch daß sich 2 der 43 verschiedenen Stämme immer der Vormannschaft eines anderen Stammes unterwerfen sollen.“ Während ein Großteil von Windhoeks afrikanischer Bevölkerung entsprechend ihrer „Stammeszugehörigkeit“ in bestimmten Abschnitten auf der „großen Werft“ lebten, die von jeweils einem „Vormann“ aus ihrem Volk beaufsichtigt wurde, ergab sich die Bewohnerschaft der „Truppenwerft“ aus der Anstellung und nicht der „Stammeszugehörigkeit“. Daher standen dort Angehörige verschiedener Völker unter der Aufsicht eines Mannes. Dies widersprach dem Organisationsschema der „großen Werft“, die der afrikanischen Bevölkerung als die koloniale ,Normalform‘ vermittelt worden war. Daher rührte die von Bohr und Todt berichtete Schwierigkeit, den anderen „Vorleuten“ die Abweichung verständlich zu machen, nach der etwa ein Damara einem Herero hätte vorgesetzt sein können. Da aber in den Jahren zuvor nicht nur „Truppenwerften“ nicht entsprechend der „Stammeszugehörigkeit“ zusammen gestellt worden waren, ist es fraglich, ob entweder der Person des „Vormanns“ inzwischen eine größere Autorität zugewachsen war, so dass es erst jetzt relevant wurde, welchem Volk er angehörte, um gegenüber den seinen eine Art Befehlsgewalt ausüben zu können, oder ob die beiden Beamten das Problem in ihren Berichten verschärften, um mit der Aufhebung einer weiteren „Truppenwerft“ 229 230 231 232

NAN ZBU 162, A VI a 8, Bl.88, Jahresbericht EK Windhuk, 1.4.13 – 31.3.14. NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Bl.25, Bürgermeister Windhuk an BA Windhuk, 6.11.12. Bley, 1968, S. 293; zu Dar es Salam, Becher, 1995, S. 167 f. NAN ZBU 249, B I qu 1, Bl.19, Gouv an RKA, 14.6.13.

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die Einmischungen der Militärverwaltung in die „Werftaufsicht“ zu unterbinden. Erfolg wurde ihren Klagen, ob durch die „Werfältesten“ oder eigene Gründe motiviert, nicht zu Teil. Das Gouvernement entschied gegen eine Aufhebung der „Truppenwerft“.233 Die „Werftältesten“ und ihr Amt Während die meisten der „Ältesten“ in den kolonialen Quellen bedauerlich farblos bleiben und kaum für so wichtig gehalten wurden, um sie beim Namen zu nennen, stach, wie seine deutsche Gegenseite schon durch ihre häufigen Vermerke einräumte, der „Vormann“ der „Bergdamara-Werft“, Franz /Hosemab von Beginn seiner Tätigkeit an durch Eigenwilligkeit, Selbstbewusstsein und politisches Talent hervor. Vor allem um seine Tätigkeit wird es daher im folgenden Abschnitt gehen: /Hosemab, (Jg. 1874) 1893 in Otjimbingwe evangelisch getauft und der deutschen Schriftsprache mächtig, war 1900 mit dem Amt eines „Vormanns“ von deutscher Seite betraut worden. Darüber hinaus löste er 1901 den wegen „Trunksucht und Unzucht“ entlassenen Schulmeister Franz Grtzie ab und war seither mit Missionar J. Diehl Lehrer an der Missionsschule Windhoek. Er hatte, so Missionar Wandres „Lust und Liebe zum Schulehalten“ und sei, was sich gelegentlich als falsch herausstellen sollte, „Abstinenzler“.234 Das Doppelamt des „Schulmeisters Franz“ war dem Missionar, auch wenn er sich davon einen stärkeren christlichen Einfluss auf die „Werft“ erhoffte, nicht nur recht, da der „Werftälteste … öfters durch dieses Amt in Anspruch genommen“ wurde.235 Für die Aufsicht über die Tätigkeit der „Vorleute“ galt der schon aus den „Schutzverträgen“ der 1880er Jahre stammende Grundsatz, dass interne Angelegenheiten der Afrikaner diesen selbst überlassen blieben. So hatte der „Eingeborenenreferent“ im Gouvernement, K. Streitwolf, Windhoeks „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr und dem auf der Werft zu stationierenden Sergeanten „ausdrücklich anbefohlen, daß die Eingeborenen auf der Werft so sehr wie irgend möglich unbehelligt zu lassen sind.“236 Verwaltungsfragen, die die „Werft“ als ganzes betrafen aber wurden von den Kolonialbeamten mit Hilfe der „Werftältesten“, auch „Vorleute“ genannt, durchgeführt. So hatten 1911 die „Ältesten“ „Franz [/Hosemab], Gustav, Philemon, Gerhard“ jene arbeitsunfähigen Bewohner zu benennen, die für eine Verpflegung durch die Verwaltung in Frage kamen: „Greise, Krüppel, wirklich arbeitsunfähige Eingeborene …, die ohne Angehörige sind“. Als von Seiten der Herero 37 „Alte“ aufgezählt wurden, konnte jedoch „natürlich nicht daran gedacht werden, die 233 NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.24 – 25, BAWindhuk an Gouv, 30.6.13; Anlage Bericht EK Bohr, Bl.26 – 28. 234 AELCRN, V 36, Bl.41, Gemeinde-Chronik,1901; vgl. Photographie: Sonntagsschule Windhuk, Bl.43; Bl.52. AELCRN, C I 1.40, Bl.78, Missionar Wandres: Jahresbericht der Station Windhoek, 4/02; vgl. zu /Hosemab: Engel, 1976, S. 88 – 102; Oermann, 1999, S. 162 – 166. 235 AELCRN, C II.1.13, Wandres: Bemerkungen, 1908. 236 NAN ZBU 2048, W III f 2, Bd.1, Bl.57, Ref. 8 Streitwolf an Gouv, 9.4.14.

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sämtlichen Leute zu verpflegen.“ Der Bezirkssekretär und künftige „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr hatte die Bedürftigkeit daraufhin noch einmal zu überprüfen.237 Wenn es als eine Voraussetzung der „Kollaboration“ gilt, dass „maßgebliche Segmente der kolonisierten Gesellschaft“ ein Interesse am Fortbestehen des kolonialen Systems haben, das genährt werden muss, so waren finanzielle Anreize und Privilegien für die „Vorleute“ zu erwarten.238 Doch wurde deren Tätigkeit nicht notwendig entlohnt. /Hosemab hatte dies zwar schon seit längerer Zeit für sich erreicht. Doch wandte sich Bezirkschef Todt 1912 an das Gouvernement, um auch für die „Vormänner der Herero- und Hottentottenwerft“, die dem „Bezirksamt in jeder Weise an die Hand“ gingen, eine Vergütung zu erwirken. Da diese mit der Verwaltung der „Werft“ „voll beschäftigt“ waren, mussten sie sich von „ihren Stammesgenossen den Unterhalt geben lassen“. Todt wollte sie aus dieser „Abhängigkeit“ lösen und ihnen, wie dem „Werftältesten Franz der Damarawerft seit Jahren“, ein „auskömmliches Monatsgehalt“ zahlen. Gouverneur Seitz bewilligte den drei „Vormännern“ für ihre „guten Leistungen im Interesse der Ordnungspolizei und bei der Zuführung arbeitsloser Eingeborener an die Polizeibehörden“ eine Vergütung, die kaum dem Lohn eines „Polizeidieners“ entsprach. Der „Vormann der Hererowerft Gerhard“ und sein „2. Vormann Philemon“ sowie der „Vormann der Hottentottenwerft David Swartbooi“ erhielten monatlich 15 – 20 M für ihre Dienste; Todt hatte 30,– bzw. 25,– M sowie freie Verpflegung vorgeschlagen.239 Der afrikanische Viehbesitz Zu den Aufgaben der „Werftältesten“ gehörte u. a. die Verwaltung des Viehbestandes ,ihrer‘ Werft. Trotz der Anstellung in kolonialen Arbeitsverhältnissen, denen sich die Werftbewohner nur unter Strafe entziehen konnten, blieb ihnen die rurale Wirtschaftsweise für den eigenen Bedarf eine Notwendigkeit. „Werftälteste“ hatten sich daher über die Wasserverhältnisse geeigneter Weideplätze in der Nähe von Windhoek zu orientieren und Wächter zu bestellen. Zwar war den Afrikanern seit 1907 das Halten von Großvieh weitgehend untersagt, doch ließ sich dies nicht immer durchsetzen. 1908 verfügten die „Bergdamaras“ in Windhoek über keine Rinder, doch hatten sie mit Genehmigung des Gouvernements auf einem Viehposten bei Keres „29 Stk. Großvieh mit Kälbern zu stehen“.240 Im gleichen Jahr verteilte das Gouvernement über F. /Hosemab und den Missionar C. Wandres 125 Ziegen auf Windhoeks „großer Werft“ an mehrere Familien; 1909 noch einmal 49. Die Tiere waren als eine Entschädigung für im „Aufstand treu gebliebene Einge237 NAN BWI 37, E 1 g, Bd.2, Bl.3, Vermerke. Fromm, 5.9.11; Bl.5, Alte der Hererowerft. 238 Osterhammel, 2003, S. 71; vgl. Lawrance u. a., 2006, S. 10. 239 NAN BWI 36, E 1 f, Bd. 2, Bl.21, BA Windhuk an Gouv, 23.4.12; Bl.20, Gouv an BA Windhuk, 12.5.12. 240 NAN BWI 36, E 1 e, Bl.1, Meldung Polizei Windhuk, 28.11.07; Bl.4, Meldung Polizei, 17.4.08; Bl.13, Gouv ab BA Windhuk, 10.8.08; Bl.8, BA Windhuk an Pol,18.6.08.

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borene“ gedacht – so sie für „würdig“ befunden wurden. Diese „grundsätzlich in Kleinvieh“ erfolgende ,Auszahlung‘ sollte der „Entschädigung einen dauernden Wert“ verleihen.241 Dass die Haltung von Ziegen für Ovaherero eine Beleidigung darstellte, mag den Kolonialbeamten in den Sinn gekommen sein; aber sie nahmen dies in Kauf. Ging es doch nicht darum, den Ovaherero die physische Lebensgrundlage zu entziehen, die sich durch Kleinvieh-Haltung und Lohnarbeit aufrecht erhalten ließ, sondern um die Ausschaltung einer kulturellen und politischen Selbständigkeit, die für die Ovaherero zu guten Teilen in ihren Rinderherden zum Ausdruck kam. So verfuhr die Inspektion der Landespolizei, als zehn Ovaherero, die 1909 eine Patrouille geritten waren und dafür statt der vereinbarten 90,– M pro Teilnehmer den Gegenwert in Ziegen erhalten sollten. Die Männer lehnten dies ab und wandten sich an Bezirkschef Brill. Dieser setzte sich gegenüber dem Gouvernement für eine Barzahlung ein und verwies auf die Bedeutung des „bindenden Versprechens“ der Regierung. „Es ist meine Pflicht als Bezirksamtmann die Interessen der Eingeborenen zu vertreten“. Er konnte sich mit dieser Auffassung und mit der Auszahlung der „Gebührnisse“ durchsetzen.242 Bei der Großviehhaltung behielt sich das Gouvernement eine individuelle Beurteilung nach der „Würdigkeit der Eingeborenen“ vor. Eine Erlaubnis war „nur ausnahmsweise“ zu erteilen und „widerruflich“. Sie kam einer Auszeichnung gleich. Die „Schulmeister“ und „Werftältesten“ Franz /Hosemab und Zedekia erhielten auf dieser Grundlage 1909 die Genehmigung zum Halten von zwei Rindern.243 Auch dem Windhoeker „Herero Schulmeister Gustav Kamatoto“ wurden drei Kühe zugestanden, obwohl er am „Aufstand“ teilgenommen hatte, sich dann aber gestellt und als Führer und Dolmetscher verdient gemacht hatte. Er war daher im „früheren Gefangenenkraal“ „Werftältester“ gewesen.244 Aber nicht nur die afrikanischen ,Honoratioren‘ erhielten eine solche Genehmigung, sondern auch jene Personen, die durch ihr Dienstverhältnis den Entscheidungsträgern in der Kolonialverwaltung nahe standen oder durch langjährigen Dienst bei der Kolonialverwaltung ihre „Treue“ unter Beweis gestellt hatten. So durfte der „Bambuse des [Kommandeurs der Schutztruppe] Oberst von Estorff Barnabas“ ebenso zwei Kühe halten wie der Magazinarbeiter Damarunachab, der seit „20 Jahren in Regierungsdiensten“ stand.245 241 NAN BWI 36, E 1 e, Bl.17, Polizei an BAWindhuk, 24.4.08; Gouv an BAWindhuk, 21.5.08; Bl.80, Nachweisung, 8.3.09. 242 NAN BWI 36, E 1 e, Bl.97, BA Windhuk an Gouv, 18.11.09; Bl.117, Vermerk, 13.1.10. 243 NAN BWI 36, E 1 e, Bl.87, Gouv an BAWindhuk, 19.6.09; Bl.90, Gouv an BAWindhuk, 10.6.09: /Hosemab kaufte erst die Tiere und fragte dann um Genehmigung zum Halten nach. 244 NAN BWI 36, E 1 e, Bl.92, BA Windhuk an KdoNBez, 23.6.09; Bl.95, Gouv an BA Windhuk, 7.8.09. 245 NAN BWI 36, E 1 e, Bl.99, Vermerk BAWindhuk an Gouv, 19.2.10; Bl.112, Damarunachab an BA Windhuk, 15.3.12.

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Gleichwohl hatte das Gros der Bewohner allen Grund zur Enttäuschung, gerade was ihren Viehbestand anlangte. Nachdem im Landesrat 1913 zur Sprache gekommen war, „daß unter den Eingeborenen eine so tiefe Unzufriedenheit und Missstimmung gegen unsere Herrschaft um sich gegriffen hätte, daß man von einer neuen Aufstandsgefahr sprechen könnte“, forderte das Gouvernement Stimmungsberichte aller Ämter an.246 Für das Bezirksamt Windhoek antwortete der 1871 in Otjimbingwe geborene und mit den „Eingeborenenangelegenheiten“ vertraute Regierungsbaumeister G. Redecker. Er bestätigte, dass unter den „Windhuker Eingeborenen, insbesondere unter den Bergdamaras, eine große Unzufriedenheit“ herrsche. Diese führte er auf nicht erfüllte Versprechungen der Verwaltung aus den Zeiten des Krieges zurück. Damals war dem „Werftältesten“ /Hosemab eine Entschädigung für das von den Ovaherero gestohlene Vieh und ein eigener Platz bei Keres für seine Leute versprochen worden, wenn er dafür Sorge trüge, dass sie „der Regierung treu zur Seite“ stehen, was sie „im Großen und Ganzen“ taten. Zwar wurden Entschädigungen geleistet, doch waren diese lächerlich im Vergleich zu den Verlusten: Vor dem Krieg besaßen die rund 600 „Bergdamara“ Windhoeks etwa 90 Stück Großvieh, 1150 Schafe und 2500 Ziegen, die im Khomashochland bis Keres weideten und während des Krieges fast alle abgetrieben wurden. Erst 1908, so Redecker, hätte /Hosemab eine erste Entschädigung von 25 Ziegen erhalten. Bis 1912 seien 480 Ziegen überwiesen worden, die jedoch häufig an Räude erkrankt waren und die übrigen Tiere ansteckten, so daß die 505 Tiere „heute bis auf 100 Stück ohne Verschulden der Leute an Räude eingegangen sind“. Die Gegend um Keres war ihnen neun Jahre nach den Versprechungen als Weidegrund noch immer nicht sicher ; die Landespolizei beanspruchte den Platz für eine Station. Dies alles „hat die Bergdamaras über Windhuk hinaus tief verbittert; … es empört sie besonders, dass sie jetzt mit den ehemaligen aufständigen Hereros und Namas auf einer Stufe stehen.“247 Dem „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr waren diese Fakten bekannt. Doch war er der Auffassung, dass durch die geplante Zuweisung eines „Reservats“, die inzwischen erfolgte weitere Entschädigung der Damara durch Vieh und die Erschließung neuer Wasserstellen auf der „Werft“ sich die Stimmung unter der afrikanischen Bevölkerung Windhoeks gegenüber den Vorjahren gehoben hätte. Allerdings mahnte auch er eine Entschädigung für die Verluste infolge der mit Räude verseuchten Herde an, die das Gouvernement geliefert hatte.248 Die Kolonialverwaltung hatte daher Anlass genug, sich künftig großzügiger zu zeigen, was die Viehhaltung von Afrikanern anging. „Die Anträge der Eingeborenen auf Genehmigung zum Halten von Grossvieh, die im hiesigen Be246 NAN ZBU 2365, Geheimakten VII m, Bl.2, Gouv an alle BA+DA, 4.5.13. 247 NAN ZBU 2365, Geheimakten VII m, Bl.5 – 7, Redecker an Gouv, 12.5.13; vgl. AELCRN, C I 1.3, Protokollbuch der Konferenzen im Hererolande, Bl.486, 13.10.05; Bl.332, 25.8.98. 248 NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.24 – 25, BAWindhuk an Gouv, 30.6.13; Anlage Bericht EK Bohr, Bl.26 – 28.

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zirk in keinem Fall versagt wurde, haben sich vermehrt“, hieß es 1913 aus Windhoek.249 Der Polizeisergeant Wenzel zählte schon im April 1908 an einem nicht genannten „Platz“ neun Afrikaner auf, die zwischen 6 und 54 Rinder und mehrere hundert Schafe und Ziegen besaßen.250 Kolonialwirtschaftlich war dies von Vorteil – solange keine Konkurrenz für die Farmer erwuchs. Denn die „vornehmlich subsistenzwirtschaftlich ausgerichteten ländlichen Räume alimentierten die Städte und die von Kolonialherren dominierten Wirtschaftszweige“,251 deren niedrige Löhne erst dadurch erträglicher wurden. G. Steimetz verkürzt daher, wenn er die Vermehrung der Herero-Herden vor 1914 lediglich auf „illicit deals with German settler farmers“ zurückführt.252 Auch G. Krüger konstatiert, dass die Herero sich „relativ schnell wieder Herden“ aufbauten. Der Viehdiebstahl mag eine Ursache dafür gewesen sein;253 aber nicht die einzige. In der vorsätzlichen Schaffung einer verarmten Klasse afrikanischer Dienstboten und Arbeiter konnte sich die deutsche „Eingeborenenpolitik“ nicht erschöpfen. So hatte sich 1914 der „Wohlstand der Eingeborenen … durch Vermehrung ihrer Viehherden gehoben. Die Genehmigung zum Halten von Grossvieh ist im Berichtsjahr in keinem Falle versagt worden. Durch die unmittelbar bevorstehende Einrichtung des unweit von Windhuk liegenden 6500 ha grossen Reservats wird eine wesentliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse erreicht werden“

– so die Vermutung Bohrs.254 Ob dieses „Reservat“ eine Besserung der Lage der afrikanischen Bevölkerung Windhoeks herbeigeführt hätte, muss offen bleiben; ebenso die Frage, welche Bedeutung die „Werftältesten“ bei dessen Verwaltung eingenommen hätten. Politik zwischen Kollaboration und Unbotmäßigkeit: Franz /Hosemab „Die Erfahrung des politischen und sozialen Selbstbehauptungswillens der Afrikaner hat die Kolonisten daran gehindert, sich am Klischee des zum Objekt prädestinierten ,Eingeborenen‘ zu beruhigen“.255 Mit dem Eigensinn afrikanischer Autoritäten hatten Beamte und Siedler zu rechnen. „Vorleute“ wie /Hosemab ließen es sich nicht nehmen, die Aussenvertretung ,ihrer‘ „Werftbewohner“ zu übernehmen. Es ging nicht an, in ihnen einseitige Überbringer von Anweisungen zu sehen; sie wirkten auch in die umgekehrte Richtung: /Hosemab setzte sich für die Bewohner ,seiner‘ „Werft“ ein, schrieb 249 NAN ZBU 162, AVI a 8, Bl.21, Jahresbericht EK Windhuk, 1.4.12 – 31.3.13. Der RTverlangte die Aufhebung der Viehhaltebeschränkung (SBRT, Bd. 285, 13. L.P. 1. Sess. 1912/14, 53. Sitzung, 2.5. 1912, S. 1632; vgl. Resolution, S. 1644; Bley, 1968, S. 305 f. 250 AELCRN, C II.1.13, Psgt Wenzel, 1.4.08; Zimmermann, 1912, S. 192. 251 Vorlaufer, 2001, S. 176; vgl. Harding, 2006, S. 48. 252 Steinmetz, 2002. S. 204 FN97 (in Anlehnung an Gewald, 1999, S. 235). 253 Krüger, 1999. S. 188: vgl. zur Besteuerung: Zimmerer, 2001, S. 266 – 269. 254 NAN ZBU 162, A VI a 8, Bl.87, Jahresbericht EK Windhuk, 1.4.13 – 31.3.14. 255 Bley, 1968, S. 311.

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ihnen „Zettel“ an die Polizei, in denen er Beschwerden vortrug oder Krankheiten bescheinigte. Den Polizisten missfielen seine „Einmischungen“. Es wären „überall Beschwerden [zu] hören, daß derselbe die Eingeb. von der Arbeit fernhält, falls sie bei solchen Weißen bedienstet sind, welche den Franz nicht häufig mit Geschenken versehen.“256 Über /Hosemab beschwerten sich aber nicht allein Polizisten. Der afrikanische Postbote Matthias hatte geklagt, von ihm nach Dienstschluss zu Arbeiten herangezogen zu werden und gar geschlagen worden zu sein. /Hosemab begründete sein Verhalten mit dem „Wachdienst“, zu dem er Matthias heranziehen wollte; als dieser sich weigerte, habe er „ihm ein paar Ohrfeigen“ gegeben. Ein Wachdienst auf der „Werft“ war auf Geheiß des Bezirksamts eingerichtet worden, „wegen der vielen Diebstähle, die durch Capeboys verübt wurden.“ Dafür wurden alle Männer der „Werft“ herangezogen – Postboten aber waren künftig ausgenommen.257 Einbrüche und Diebstähle in den „Pontoks“ waren häufig beklagte Vergehen, denen die Polizei, wie geschildert, durch Vernehmungen und Durchsuchungen beizukommen suchte – dabei jedoch selten Erfolg hatte. Erschwerend kam hinzu, dass die Vernehmungen meist gedolmetscht werden mussten. Die Gefahr, dass Informationen dabei verloren gingen, bestand stets.258 /Hosemab war bei Untersuchungen durch die Polizei der erste Ansprechpartner, wenn es um die Identifizierung möglicher Täter unter den „Werftbewohnern“ ging. Wurden bei Verdächtigen Gegenstände oder Geld gefunden, so fungierte er als Zeuge bei der Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer und unterschrieb auf dem Protokoll der Polizei mit „Franz, Werftältester“.259 Unliebsame „Vorleute“ abzusetzen, zögerte die Kolonialverwaltung nicht. 1908 wurde David Zeraua als „Ältester“ der Herero in Windhoek vom Bezirksamtmann Narciß suspendiert, da Zeraua „sich als Capitain dort aufzuspielen“ versucht habe.260 Jede Unbotmäßigkeit legte leicht die teils panische Vermutung nahe, hinter diesem Selbstbewusstsein stünde eine „Restauration der alten Stammesführungsschichten“. Dies war, wie der Historiker H. Bley ausführt, „vor allem in den großen städtischen Werften der Fall … Die Werftältesten wurden sehr leicht zu Häuptlingen“, die alte Bindungen wieder aufleben lassen könnten.261 Narciß machte daher die „Erfahrung“, „daß an zuverlässigen Hereros, die als Werftälteste in Frage kommen könnten, großer Mangel ist.“262 Über die Auswahl dieser ,Zuverlässigsten‘ geben die Quellen leider keine Auskunft.263 256 NAN BWI 37, E 1 g, Bl.28, Polizei an BA Windhuk, 10.6.08. 257 NAN BWI 36, E 1 f, PostA Windhuk an BA Windhuk, 2.3.06. 258 Vgl. NAN BWI 307, S 17 p, Bd.4, Bl.104, Anzeige des Fr. van Wyk, 7.3.08; Bl.176, Vernehmung August, 21.4.08. 259 NAN EKW 1, F V k 1, Strafbuch Nr. 108 – 109, Schäfer/Alfäus, 27.2.13. 260 AELCRN, C II.1.13, Missionar Wandres an Präses Eich, 25.5.08. 261 Bley, 1968, S. 292. 262 NAN BWI 36, E 1 f, BA Windhuk an Gouv, o.D. [~1908].

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Dass auch der „Bergdamara“ /Hosemab nicht immer das devote Verhalten an den Tag legte, das die Beamten von ihm erwarteten, war bekannt. So behielt er, der regelmäßig die sonst meist Missionaren vorbehaltene Aufgabe eines Dolmetschers vor Gericht übernahm, seine Pfeife im Mund, als ihn ein Polizeisergeant zurechtweisen wollte und erwiderte diesem, er solle nicht glauben, die Polizei könne mit ihm „machen was sie will“, sei er doch kein „Soldat“.264 Wegen derartigem Verhalten unterstellte Regierungsbaumeister Redecker /Hosemab „Größenwahn, den er aber m. E. uns Weißen selbst, infolge unrichtiger Behandlung, zu verdanken hat.“ Ihn, wie von der Rheinischen Mission gefordert, als „Werftältesten“ abzusetzen, hielt Redecker dennoch für einen „politischen Fehler“, worin ihm der „Eingeborenenreferent“ Streitwolf zustimmte. /Hosemab war 1913 von der Mission von seinem Posten als Schulmeister wegen mangelnder „moralischer Stärke“ entbunden worden. Er hatte uneheliche Kinder und widersprach offen Anweisungen der Missionare.265 Windhoeks Missionar Becker klagte über seinen „Hochmut“. Das Jahr 1913 sah er „ausgefüllt von dem Streit mit dem Schulmeister Franz /Hosemab. Er ist ein hochbegabter, überragender Geist, von der Mission zum Schulmeister und stellvertretenden Gemeindeleiter bestellt; von der Regierung zum Werftältesten gemacht, vom ganzen Bergdamaravolk, auch über Windhuk hinaus, als Autorität anerkannt, von vielen Weißen umschmeichelt und um seinen Einfluß zu ihren Gunsten gebeten. Das war zuviel für einen Bergdama“, der sich „als vom ganzen Volk gewählter Kapitän fühlte. … Es kam zum Bruch und Franz mußte aus dem Schuldienst entlassen werden“,

woraufhin /Hosemab den Seinen Schul- und Kirchenbesuche untersagte. Missionar Becker klagte auch über die mangelnde Unterstützung von Seiten des Gouvernements in dieser Angelegenheit: „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr sei „wankelmütig“ und ließe sich von /Hosemab „unterkriegen“. Der Gouverneur aber wollte eine „politische Gefahr“ nicht erkennen und lehnte seine Absetzung ab, was ihm, so Becker, „von Weiß und Schwarz verdacht“ wurde. Die „Römischen“ „bemühten“ sich darauf hin um den Ausgeschlossenen, der 1893 evangelisch getauft worden war. Sie hofften seinen weit über Windhoek hinaus reichenden Einfluss für die eigene Missionstätigkeit nutzen zu können.266 „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr dagegen zeigte sich, nachdem die Angelegenheit im Landesrat besprochen worden war, im Juni 1913 von der „Person des vielgenannten Werftältesten Franz“ überzeugt, dem die Behörden „als Vormann den Rücken stärken“ sollten. Dies schien ihm vorteilhaft, weil 263 264 265 266

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Vgl. Osterhammel, 2003, S. 75; Lindsay/Miescher, 2003, S. 13. NAN BWI 36, E 1 f, Meldung an BA Windhuk, 22.10.07 NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.5 – 7, Redecker an Gouv,12.5.13; Richter, 1902. AELCRN, V 36, Bl. 79 – 82, Gemeinde-Chronik,1913; vgl. Oermann, 1999, S. 164.

/Hosemab „in voller Übereinstimmung mit seinem sogenannten Werftrat dem hiesigen Missionar [Becker] für die Namasprechenden bedeutet hat, dass eine Einmischung in reine Stammesangelegenheiten durch ihn nicht mehr erwünscht wird“. Nur noch mit den Regierungsbehörden wolle er verhandeln. Bohr zeigte sich darüber erfreut, weil ohne die „Einmischung der Mission“ die Maßnahmen der Regierung (z. B. Impfzwang, Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten) sehr viel leichter durchzuführen sein würden.267 Als aber /Hosemab auf mehreren Reisen angeblich politisch tätig wurde, schritt das Gouvernement auf nochmaliges Anraten der Rheinischen Mission, die sich in ihrer missionarischen Autorität bedroht sah, ein. Gouverneur Seitz setzte ihn Ende 1913 als Werftältesten ab. Er wurde aus „politischen Gründen“268 „für zwei Jahre nach Lüderitz verbannt, seine Familie wird versorgt. Franz gibt der Mission die Schuld an seinem Missgeschick.“ Eine Zunahme der „Trinkerei, Tanzerei und Unzucht“, die zur Absetzung von zwei Kirchenältesten führte, schob Missionar Becker gleichwohl noch auf den Einfluss /Hosemabs. Dieser kehrte nach der deutschen Kapitulation im August 1915 nach Windhoek zurück und wurde von den Südafrikanern „bald wieder als Werftvormann eingesetzt“; jedoch 1919 abermals seines Amtes enthoben und aus Windhoek ausgewiesen.269 Er trat 1923 aus der „evangelischen Mission“ aus und lebte, wie das Gemeinderegister festhielt, „im Ehebruch“, doch wurde er 1932 wieder aufgenommen und von der Regierung entgegen einer anders lautenden Wahl abermals zum „,Chief‘ der Windhoeker Bergdamarawerft“ bestimmt.270 Über die fünfzehnjährige Existenz einer Windhoeker Werft unter deutscher Kontrolle (und darüber hinaus) erwies sich Franz /Hosemab damit als geschickter Taktierer, der die Spannungen innerhalb des kolonialen Gefüges, der Verwaltungsebenen und der beiden Missionen erkannte und zum eigenen Vorteil auszunutzen wusste. Er stand am „Relaispunkt zwischen kolonialem Staat und kolonisierter Gesellschaft“ und hatte auf Grund seiner Kenntnisse der deutschen Verwaltung als „Mittelsmann“ „einen Fuß in jedem der beiden Lager“.271 Die „Segregation als Herrschaftstechnik“ eröffnete ihm die Möglichkeit, eine Position an der Spitze zumindest eines Teils der afrikanischen Bevölkerung Windhoeks einzunehmen, die ihm ohne den Kolonialstaat nie zugekommen wäre. Gerade weil Windhoek seit den 1890er Jahren eine koloniale Neugründung mit geringer Bevölkerungsdichte war, bot sich den Kolonialbeamten die Gelegenheit, die afrikanischen Wohn- und Sozialstrukturen maßgeblich zu beeinflussen. Die „Vorleute“ dienten ihnen als wichtige Instrumente der Herrschaftssicherung. Wenn die „sichtbare Abtrennung ihrer 267 NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, BA Windhuk an Gouv, 30.6.13; Bl.26 f., Bericht. 268 NAN ZBU 162, A VI a 8, Bl.89, Jb EK Windhuk, 31.3.14; vgl. Oermann, 1999, S. 164 f. 269 AELCRN, V 36, Bl.83, Gemeinde-Chronik, 1915; Bl.92, Gemeinde-Chronik 1919; zur beginnenden Emanzipation der Afrikaner, Engel, 1984, S. 161 f. 270 AELCRN, VI 36.2, Bl.144, Taufverzeichnis, Nr. 68/69; V 36, Bl.133 f., Chronik, 1933. 271 Osterhammel, 2003, S. 74.

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Wohngebiete von der afrikanischen Unterschicht“ für die Kolonialherren der „Etablierung eines Statussymbols“ gleichkam,272 so konnte auch die Möglichkeit der Einsetzung von „Vorleuten“ einer kolonialen Selbstvergewisserung dienen. Doch sowenig die „Werft“ und die Zustände auf ihr geeignet waren, Zeugnis abzulegen von den Errungenschaften modernisierender Einflüsse und einer zivilisatorischen Kraft des Kolonialismus – mithin kein Vorzeigeobjekt und koloniales „Statussymbol“ sein konnten, sowenig eigneten sich „Vorleute“ wie /Hosemab, den deutschen Einfluss auf „das Verhalten der Werft“ – wie es § 13 der Kontroll-Verordnung formulierte – zu dokumentieren. Denn deren Autorität war begrenzt. Wie es beim Eigensinn der ,einfachen‘ Werftbewohner blieb, so blieb es beim Eigensinn (der teils vom Egoismus auch gegenüber ,ihrer‘ „Werft“ geprägt war) der „Vorleute“, den nicht nur Beamte und Missionare als Anmaßung empfanden. Sie waren „halbautonome Agenten“ der Kolonialverwaltung – mehr Einfluss kam den Beamten auf deren Verhalten nicht zu. Insofern können die „Vorleute“ in der Definition J. Osterhammels als „Kollaborateure“ bezeichnet werden, die „auf eine Erhöhung ihres persönlichen Status“ setzten – wollte man es bei der kritisierten Dichotomie von ,Widerstand‘ und ,Kollaboration‘ belassen.273 Der Jahre in Anspruch nehmende Prozess, die „große Werft“ zu dem zu machen, was ihr Name implizierte, zeigt auch, wie wenig geneigt viele Afrikaner waren, sich unter die Aufsicht von Männern einer „neuen sozialen Elite“ mit Missionserziehung zu begeben,274 die sie nach herkömmlichen Rang-Begriffen allenfalls als Usurpatoren empfinden mochten. Dass sich die Kolonialverwaltung genötigt sah, außer den „Werftältesten“ auch einen Polizisten auf der „Werft“ mit der Kontrolle zu beauftragen, belegt sowohl den (jeweils nach deutschem Urteil zu) geringen Einfluss dieser neuen Autoritäten – „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr wusste, dass deren Autorität gestärkt werden müsse –, als auch die unzureichende Wirkung der Verwaltung auf die „Vorleute“ und ,deren‘ „Werften“. Widerstand? Die von R. Kößler für Südwestafrika eingeführte Unterscheidung zwischen „primary colonial resistance“ und „revindicatory resistance“ stößt auf ihre Grenzen auch beim Blick auf die afrikanische (Selbst-) Verwaltungstätigkeit in Windhoek unter deutscher Kolonialherrschaft. Mit „revindicatory resistance“ beschreibt Kößler Prozesse der Selbstvergewisserung und sozialen Rekonstruktion wie sie etwa von G. Krüger für die Ovaherero nach 1907 dargestellt worden sind. Die von ihm dazu angeführten Beispiele aus dem (Verwaltungs-) Alltag der 1915 nach Gibeon zurückgekehrten Witbooi legen jedoch die Frage nahe, welchen Wert noch der Begriff des Widerstands hat, wenn jede politi272 So Vorlaufer, 2001, S. 193. 273 Osterhammel, 2003, S. 74; vgl v. Walraven/Abbink, 2003, S. 2; Lawrance u. a., 2006, S. 7. 274 Oermann, 1999, S. 162; zum Aufstieg neuer sozialer Schichten Cooper, 1994, S. 1516 f.

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sche, administrative, wirtschaftliche Betätigung allein schon deshalb als „Widerstand“ gegen den Kolonialismus qualifiziert wird, weil sie von einem Afrikaner, einer Afrikanerin ausgeübt wird?275 Gilt jede (Amts-)Handlung von Afrikanern der „Rückgewinnung“ einstiger Unabhängigkeit? Ist sie Ausdruck dieses Strebens? Der Grundsatz der (weitgehenden) Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der Afrikaner – wozu auch Zivil- und in geringerem Maße Strafrechtsfälle gezählt wurden, und der von den deutschen wie südafrikanischen Kolonialherren gegenüber den „Werften“ beachtetet wurde – lässt darauf schließen, dass hier mit patriarchalischem Gutdünken, das die finanziellen Vorteile dieses minimalen Freiraums nicht übersah, bewusst ein Betätigungsfeld für Afrikaner geschaffen wurde. Meinungsverschiedenheiten der Kolonialbeamten mit den „Vormännern“/“Foremen“ waren in Einzelfragen ebenso zu erwarten, wie sie in Kauf genommen wurden. Doch zwischen gegensätzlichen Ansichten, vielleicht auch Streit, und „Widerstand“ muss unterschieden werden, will man nicht in ein exotisierendes Schema von afrikanischen Widerstandshelden und finsteren Vertretern des Kolonialstaats verfallen. Andernfalls wäre ein Mann wie /Hosemab kein „Kollaborateur“, sondern das Haupt jener, die eine „revindicatory resistance“ leisteten. Aber jeden Ausdruck der Unzufriedenheit, jede Bestrebung nach wirtschaftlicher Verbesserung als Widerstand zu begreifen, kann auch bedeuten, sich die Perspektive des Kolonialherren allzu sehr zu Eigen zu machen und gerade nicht nach der Intention des Beschwerdeführers zu fragen. Welchen Sinn machte es, „Widerstand“ zu leisten, der von jenen, denen widerstanden werden sollte, als solcher nicht wahrgenommen wurde? Und welchen Sinn hat es, diese Handlungen nachträglich mit dem Begriff des „Widerstands“ zu adeln? Wer Handlungen, die auf die Verbesserung der eigenen Situation zielten, bereits als Ausdruck einer „revindicatory resistance“ ,der Afrikaner‘ bewertet, die die Rückgewinnung verlorener Unabhängigkeit intendierte, der übersieht, dass die deutschen wie die südafrikanischen Kolonialbeamten sich daran interessiert zeigten, die wirtschaftliche Situation der afrikanischen Bevölkerung zu heben. Schritte in diese Richtung waren, sofern sie nicht mit anderen Grundsätzen kollidierten (etwa dem langsam gelockerten Verbot der Großviehhaltung unter der deutschen Herrschaft), erwünscht und wurden keinesfalls als „Widerstand“ betrachtet. Im Kontext der Verarmung und Verschuldung der afrikanischen Bevölkerung seit der Rinderpest 1897 und den Kolonialkriegen 1904 – 1907 wäre jede andere Politik kontraproduktiv gewesen. Mit den halb-verhungerten Menschen der Gefangenenlager ließ sich eine Kolonialwirtschaft nicht betreiben. In den „Werften“ erhofften sich die Kolonialherren Orte nicht der politischen aber der wirtschaftlichen Gesundung der afrikanischen Bevölkerung. Dass dieser Politik bis 1915 ,Erfolge‘ nicht zu Teil wurden, ist im Vorangehenden beschrieben worden. So nahe die in ihrem Alltag zu regulierenden Afrikaner Windhoeks dem 275 Kößler, 2005, S. 15, FN 16; 178 – 196; vgl. auch Gewald, 2000.

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kolonialen Herrschaftszentrum lagen, so massiv sie dessen Anforderungen und Anordnungen ausgesetzt blieben, so vergleichsweise groß die Anzahl der sie überwachenden Polizisten und sonstiger Beamter in ihrer Nähe war, so erheblich also die aufgewandten Mittel anmuten konnten – eine deutliche Unzufriedenheit über das auf der Windhoeker „Werft“ bisher Erreichte ist den Stimmen der deutschen Kolonialherren anzumerken. Ihre Kontrolle reichte ihnen auch in unmittelbarer Nähe nicht weit genug. Doch umso gravierender noch erwiesen sich die Probleme, Ordnung und Sicherheit zu schaffen und zu kontrollieren, in der „Polizeizone“ außerhalb Windhoeks oder anderer größerer Ortschaften. Dort, wo auf den Farmen die Siedler und ihre Arbeiter nicht täglich unter polizeilicher Aufsicht standen und erst nach mehrstündigen Ritten zu erreichen waren.

5.2. Der Siedlungsraum. Die Polizierung der „kleinen Könige“ im Farmgebiet „Darin liegt ja mit der Wert überseeischer Colonien für das Mutterland, daß ein großer Theil unternehmungslustiger und intelligenter Leute, denen es im alten Europa zu enge geworden ist, auswärts ein ergiebiges Feld von Thätigkeiten finde[t], in welche[m] sie sowohl im Interesse der Eingeborenen als auch des Heimathlandes sich nützlich erweisen können, abgesehen davon, daß das ,Abstoßen der Hörner‘ hier schneller und gründlicher vor sich geht, als zu Hause; dafür sorgen schon die klimatischen Verhältnisse.“276

5.2.1. Ansiedler und „kleine Könige“ „Ich lasse mich, trotzdem ich eine Nacht in Untersuchungshaft zubringen mußte nicht derartig [durch Polizeibeamte] erniedrigen. Besonders in einer Kolonie, wo der große Teil der Einwanderer aus unsauberen Elementen besteht und die demi monde sozusagen öffentlich anerkannt wird.“277

Diese nicht ohne Selbstbewusstsein vorgetragene Beschwerde des A. Rosenbaum, der, gerade aus der Haft entlassen, von mehreren Polizeibeamten als „Quatschkopf“ und wegen nächtlicher Besuche auf der „Werft“ beschimpft worden sein wollte (was diese abstritten; auch hatten sie in Erfahrung gebracht, dass „R. nicht geistig normal sein“ soll), weist auf eine Sozialstruktur unter den Einwanderern hin, die den Zeitgenossen nicht geheuer schien. Es stellt sich daher die Frage nach dem Verhältnis von Verwaltung, repräsentiert meist durch die Polizei, und europäischer Bevölkerung. 276 Lenz, 1895, S. 243. 277 NAN BKE 199, B II 66 a, Bd. 2, Bl.109, A. Rosenbaum an BA Keetmanshoop, 31.3.08; Bl.106, Polizei an BA Keetmanshoop, 8.4.08.

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Zwar begab sich, so die Historikerin B. Kundrus, die Kolonialverwaltung seit den 1890er Jahren auf die „Suche nach dem idealen Siedler“. Doch bei allem Wandel im Anforderungsprofil ließen ihre Wunschkandidaten auf sich warten. Stattdessen fühlten sich auch unwillkommene, weil vermögenslose Auswanderer von der deutschen Kolonie angezogen.278 Von ihnen fürchtete man in den Amtsstuben, dass sie leichter mit den Anforderungen des Kolonialstaats an „den Weißen“ in Konflikt geraten würden und so das erwünschte Bild gegenüber den Afrikanern verzerren würden. Wie das Beispiel der europäischen Einwohner Windhoeks gezeigt hat, war diese Sorge nicht unbegründet. Zugleich zeigte sich, dass entgegen der zu Beginn der Kolonialunternehmungen gehegten Erwartung, dass „bei den Massen, die alljährlich fortziehen, aus dem überseeischen Kleindeutschland in kurzer Zeit voraussichtlich ein grosses Gross-Deutschland erwachsen würde“, sich der deutsche Drang nach Afrika in Grenzen hielt: Etwa 12.000 Deutsche hatten sich bis 1915 in DSWA niedergelassen.279 Was waren das für Deutsche, die nach Afrika auswanderten? Die Motive der Auswanderer blieben mannigfaltig. Nicht allein wirtschaftliche Zwänge, persönliche Not oder die Aussicht auf besseren Verdienst in der Kolonie, sondern oftmals auch der Drang, das bisherige Leben hinter sich zu lassen, bewegte sie zu ihrem kolonialen Wagnis. „[F]ür Aussteiger aller Art boten Kolonien die Möglichkeit, jenseits der Gängelung der wilhelminischen Ordnung zu agieren und ihre Sehnsüchte nicht nur im Kopf auszuleben, sondern zu realisieren.“280 So erzählten sich Reisende im Südafrika der 1880er Jahren von einem „Zusammentreffen mit einem Karl Mayer aus Lützen, den auch der Drang zum ,Schmus‘ in die Wildnis getrieben“.281 Einer der frühen „Entdecker“ des Hererolandes berichtete schon 1866 von der „großen Freiheit“, der er sich dort erfreue.282 Nicht ohne Berechtigung geht der Historiker H.J. Hiery davon aus, die „Deutschen in der Südsee … generell in vier Kategorien einteilen [zu können]: Vergessene und Vorbilder, Versager und Verbrecher.“283 Den Zeitgenossen war diese Wahrnehmung auch in Afrika nicht fremd: Ähnlich hatte sich der von anderen Beamten als „Volkstribun“ belächelte und sich selbst als Freund der Auswanderer charakterisierende Ansiedlungskommissar P. Rohrbach aus Windhoek geäußert. Er hielt „die große Mehrzahl der Ansiedler [in Südwestafrika für] durchaus unreif“. Ein harsches Urteil, das er im Privaten gegenüber dem Kolonialdirektor O. Stübel zu begründen wusste: „Es fehlt den Leuten sowohl an Bildung als auch an allgemeinem Überblick … und

278 Kundrus, 2003, S. 44; vgl. van Laak, 2005, S. 81; Külz, 1909, S. 369. 279 Bastian, 1884b, S. 44; Schwarze: „den Strom unserer Auswanderer in unsere Kolonien zu lenken“ sei misslungen, SBRT, Bd. 216, 11. L.P., 2. Sess., 67. Stzg, 16. 3. 1906, S. 2058 – 60. 280 Eckert/Wirz, 2002, S. 382; zum Abenteurertypus: Arendt, 1958, S. 291 f. 281 Feeden, 1888, S. 154. „Schmus“, Bezeichnung für einen (jüdischen) Wanderhändler. 282 A.W. Ericksson an seine Eltern, Otjimbingwe, 5. 8. 1866, zit. in: Rudner, 2006, S. 34. 283 Hiery, 2002, S. 30.

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ein großer Teil ist auch ohne Frage moralisch direkt minderwertig.“284 Dass allerdings Kolonialstaatssekretär Dernburg seinem gleichen Eindruck von der „moralischen Minderwertigkeit“ der „Südwestafrikaner“ öffentlich Ausdruck verlieh, verübelte ihm Rohrbach später und warf ihm eine unzulässige Verallgemeinerung vor.285 Dabei hatte schon Gouverneur Leutwein ähnlich gedacht. Hielt er doch „eine starke weiße Einwanderung angesichts der ohnehin auf lockeren Füßen stehenden Moralbegriffe der Eingeborenen der Missionsarbeit nicht förderlich.“286 Auch die Missionare betrachteten die Ansiedler illusionslos. Den Plänen, deutsche Frauen zu ihnen zu senden, stand die Missionskonferenz des Namalandes „ratlos gegenüber, denn die hiesigen Ansiedler sind meist nicht mehr dieselben, die sie waren, als sie von ihren Bräuten sich verabschiedeten. Sie kamen wohl meist als sittsame und ordentliche Menschen hierher, sanken aber immer tiefer, so daß sie zum Teil verroht, z. T. auch mit Syphilis behaftet [sind].“

Die Missionare wollten daher die „Wahrheit von ihnen“ nicht verschweigen, da sie befürchteten, die „Bräute nur unglücklich“ zu machen, die sich weigern könnten, einen derartigen „Bräutigam zu heiraten“.287 Mit Blick auf einige vor Gericht zu behandelnde Exzesse, fasste der Missionar Brockmann zusammen: „Ja, hier im Bezirk Outjo wohnen grobe Leute.“288 Ein Regierungsarzt berichtete entsetzt nach Deutschland: „Dieselben Menschen, welche so streng durch Sitte, Verehrung, Dankbarkeit, durch Eifersucht inter pares in Schranken gehalten sind … – sie sind nach außen hin, dort, wo das Fremde, die Fremde beginnt, nicht viel besser als losgelassene Raubtiere.“289 Den Afrikanern wurde ein gleichfalls wenig schmeichelhaftes Urteil über die europäischen Neuankömmlinge unterstellt. Der Missionar H. Brincker sprach von „Hochmut“, „unerträgliche[r] Arroganz und Impertinenz der Eingeborenen“, denen die Europäer „als ,arme Schlucker‘ erscheinen, die ihren Lebensunterhalt bei den Eingeborenen suchen, weil sie in ihrer Heimat nicht leben können.“290 Diesen Äußerungen liegt die Wahrnehmung zugrunde, dass sich viele Auswanderer in ihrer neuen Heimat in einem Grade von den Maßstäben zwischenmenschlichen Verhaltens entgrenzt hatten, das das in Europa tolerierbare Maß überschritt – unabhängig davon ob es sich um die ,Wild-WestManieren‘ im alltäglichen Umgang mit Waffen, den Alkoholkonsum, die Sprache oder das Verhalten gegenüber Frauen oder dem „Dienstpersonal“ SHStA 12829, Nachlass Stübel Nr. 10, Bl.32, Rohrbach an O. Stübel, Windhuk, 6.2.05. Rohrbach, 1911, S. 159 f; vgl. Mogk, 1972, S. 97, 154. Leutwein, 1908. S. 280; Südwestbote, 11. Jg. # 41, 5. 4. 1914, S. 1. AELCRN, C I 1.2, Bl.283, Protokollbuch der Konferenzen im Namalande, 8.8.97. AELCRN, II 1.2, Missionar Brockmann an Präses Eich, 21.9.09; Zimmerer, 2004, S. 88. Zit.in: Besser, 2004, S. 305; zur ,Stärkung‘ und ,Hebung‘ des „Auslandsdeutschtums“ durch Bildung und Schulen vgl. Weidenfeller, 1976, S. 176 f.; Walkenhorst, 2007, S. 65 f. 290 Brincker, 1886, Anhang S. 4.

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handelte. Es wirkte abstoßend, wenn einem „Kapitain …[,der] vom Beamten ins Haus geladen wird“, vom „Händler mit den Worten ,Willst Du einen Schnaps haben, altes Schwein?‘ auf seine Weise Gastfreundschaft“ angeboten wurde. In „Südwest“ dagegen lächelte man über „Phrasen wie ,Verrohung des Weißen’ im afrikanischen Busch“, mit denen „man ja am friedlichen Stammtisch zuhause schnell bei der Hand“ sei.291 Wenige nur waren so selbstkritisch, diese Verrohung als einen schnell vorwärts schreitenden Prozess wahrzunehmen. So beobachtete der Militärarzt Hillebrecht, kaum ein halbes Jahr im Land, an sich selbst die Schwierigkeit, das eigene Betragen ,im Busch‘ ohne die „Zügel der Windhoeker Verhältnisse“ als Offizier nach deutschen Maßstäben auszurichten. Er beschrieb eine „frappante Ähnlichkeit“ zwischen seinem „Schuhzeug“ und seinem Charakter, die beide „rapide in die Brüche“ gingen. Die Stiefel, weil ihnen „die vielen Dornen und der Mangel an Lederfett nicht bekommen, der Charakter wegen ganz ähnlicher Schädlichkeiten.“ Hillebrecht bemerkte an sich „einen Jähzorn“, den er, ganz wie die Abnutzung der Stiefel, auf die Zumutungen der afrikanischen Umwelt und den Mangel an ,Kulturgütern‘ und nicht nur auf eine „Typhus-Nervosität“ zurückführte. Kurze Zeit später kam er – frei nach Schiller – zu dem Schluss: „S’ist ein übles Land hier, zu viel wildes Viehzeug gibt’s, selbst Weiber werden zu Hyänen.“292 Was aber Missionare, Beamte oder Besucher aus Deutschland als „Verrohung“ und auch Afrikaner als inakzeptabel wahrnahmen, galt jenen als Ausdruck neuer Ordnung, die „in ihrer Heimat nicht mehr leben können“. Die Gründe dafür waren vielfältig. Die Intellektuellen litten, wie Th. Nipperdey für die Jahre um 1910 konstatiert hat, „unter dem Relativismus, der Vielheit und der Anarchie der Werte, ja des Wertzerfalls“.293 Doch lässt sich fragen, warum nur die Intellektuellen? Auch Nicht-Akademiker werden diese Tendenz empfunden haben. P. Gay spricht von „Entwurzelung“ und „Heimatlosigkeit“, die die „sturzseeartigen, tiefgreifenden Wandlungsprozesse“, der „Aufbruch“ des 19. Jahrhunderts für das Bürgertum mit sich brachte.294 Der Wirtschaftstheoretiker J. A. Schumpeter kritisierte an den sozialistischen Imperialismustheorien ihr Außerachtlassen der sozialpsychologischen Motive für die individuellen Akteure imperialistischer Politik in den Kolonien. Es waren nicht allein die Suche nach neuen Absatzmärkten und sonstige wirtschaftliche Zwänge, die zum Gang in die Kolonie bewegten, sondern auch die Aussicht, einer sich rationalisierenden Welt zu entfliehen.295 Während in den Metropolen eine immer komplexere, fragmentiertere Gesellschaft sich ausprägte, galt es in den Kolonien, sich als Einzelner in einem vermeintlich klaren Schema von Freund und Feind, 291 292 293 294 295

Schultze, 1907, S. 334; DSWA-Ztg, 13. Jg. #95, 28. 11. 1911, S. 1; vgl. Schmidt, 2008, S. 110. Hillebrecht an Stifft, o.D. [~1/05]; Tagebucheintrag, 18.1.05, in: Eckl, 2005, S. 185;187. Nipperdey, 1992b, S. 82; vgl. zur „normativen Kulturkritik“ Konersmann, 2001, S. 18. Gay, 1997, S. 436 f.; Nipperdey, 1990, S. 190 unter Verweis auf E. Troeltsch. Schumpeter, 1918, S. 1 f.

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Aufstieg oder Untergang, Ehre oder Schmach zu bewähren. Diese Feier des ,Heroischen‘ – der Metropole galt sie als kaum mehr vermittelbar ; wohl aber boten die kolonialen Peripherien den Ort, männlich das ,Heroische‘ auszuleben: Hier galt es, „an der äußersten Grenze der Zivilisation“,296 zu kämpfen, zu erobern und zu unterwerfen zum höheren Ruhme des Vaterlandes (auch ,Mutterland‘ genannt); hier konnte der Mann noch zum Helden werden;297 hier hatten Ehre, Ruhm und (stellvertretende) Opfer noch Bedeutung, während der „effeminierte Bürger“ der unheroischen Gesellschaften in der Heimat mit diesen Begriffen kaum mehr etwas anzufangen wusste.298 Die Kriege 1904 – 07 wurden „von der alten Schutztruppe, ideologisch als Verteidigung des Ideals einer patriarchalisch-agrarischen Gesellschaft verstanden, die sich in Deutschland aufzulösen begann.“299 Die Kolonie erhielt den Status eines „Refugium[s]“, sie galt als „Gegenwelt zur hektischen Industrialisierung“.300 In einer sich komplexer gestaltenden und rationalisierenden Welt boten die Kolonien einen spezifischen Ort, um über konservative Gegenentwürfe nicht nur zu phantasieren, sondern sie zu leben. Dies galt für die staatsrechtlichen Strukturen ebenso wie für das alltägliche Miteinander zwischen exakt abzugrenzenden Gesellschaftsschichten – die sich sichtbar und jedermann verständlich in ein Schwarz-Weiß-Schema von ,Unten‘ und ,Oben‘ gliederten. Es ergab sich daraus – für viele der Ausgewanderten erstmals – die Möglichkeit, selbst die Rolle des Befehlenden zu übernehmen: Ein so profunder Kenner afrikanischer Jagd- und sonstiger Safarifreuden wie Ernest Hemingway, wenn auch nicht Zeitzeuge der hier behandelten Epoche, kann durch seine Romanhelden doch Auskunft geben über jene Beweggründe der Auswanderer, die sich an das koloniale Afrika banden. Die unbeschränkte Machtvollkommenheit auch für den ,kleinen Mann‘, sie übte eine maßgebliche Faszination aus: In den „grünen Hügeln Afrikas“ von 1935 erklärt der Österreicher Kandinsky, trotz aller Einbußen und Härten, er „habe mehr, als irgendwer in Europa hat … und dann bin ich hier auch praktisch ein König. Das ist sehr angenehm. Wenn ich morgens aufwache, strecke ich einen Fuß raus, und der Boy stülpt ihm eine Socke über. … Ich steige unter dem Moskitonetz hervor in meine Unterhose, die man mir hinhält. Finden Sie das nicht großartig?“301

Nicht nur einmal, sondern täglich ein „König“ auf eigenem Anwesen zu sein, diese Perspektive erschien vielen Auswanderern „großartig“. Daraus ergaben sich Unzuträglichkeiten, wie ein Inspektionsoffizier in DSWA erkannte: Ein „Teil der Farmer, die aus kleinen Verhältnissen hervorgegangen sind, selbst ihr 296 DSWA-Ztg, 13. Jg. #95, 28. 11. 1911, S. 1; vgl. Rüdiger, 1993, S. 24. 297 Vgl. Maß, 2006, S. 136 – 42; Walgenbach, 2005, S. 198 f.; Morrel, 1997, S. 174; Gay, 1996, S. 121; Frevert, 1998, 323 f. 298 Gay, 1997, S. 197; Gay, 1996, S. 123; 142. 299 Krüger, 1999, S. 69 f.; vgl. Kutz, 2006, S. 29 f.; Gann/Duignan, 1977, S. 127. 300 Kundrus, 2003, S. 58; vgl. van Laak, 2004b, S. 118; Tiebel, 2008, S. 73; Bley, 1995, S. 142. 301 Hemingway, 1977, S. 27, 17; vgl. Schmidt, 2008, S. 272 f.

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ganzes Leben lang nichts anzuordnen hatten, verstehen ihre Stellung falsch und behandeln die Leute roh“.302 In den Kolonien war ein Raum „außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft“ geschaffen, „wo ungezügelte wirtschaftliche und sexuelle Betätigung noch möglich waren und der maskulinen Selbstbetätigung keine Grenzen gesetzt schienen.“303 Wenn das koloniale Kenia als ein Ort beschrieben wurde, in dem mancher Engländer seinen „self-perceived status as gentlemen“ zu bewahren wusste, so kann ähnliches für DSWA festgehalten werden.304 Auch hier fühlten sich viele Siedler als Bewahrer eines angeblich vom Verfall bedrohten „Deutschtums“. Die Farm und die ihr eigenen Strukturen konnten als das spezifisch koloniale Gegenbild zu den metropolitan-urbanen Entwicklungen gelesen werden. Südwestafrika sollte als Siedlungskolonie „Modell“ sein für die Heimat;305 eine konservative Utopie, die sich, wenn schon nicht mehr in Deutschland, wohl aber (noch) in der Kolonie verwirklichen ließ. „Mit der romantischen Idealisierung eines ruhigen, rustikalen Lebens als Antithese zur Unruhe und Nervosität der Großstädte“ verband sich die Hoffnung auf eine gelingende Flucht aus der heimatlichen Enge – wo in den Großstädten die Wohnungsnot immer gravierender wurde – in die vermeintlich leeren Räume des zu besiedelnden Neulandes.306 Sie fand ihren literarischen Niederschlag etwa in den Werken eines H. Grimm, der noch später den ersten Teil seines Romans „Volk ohne Raum“ mit „Heimat und Enge“ überschrieb.307 Die eigene Farm, das der feindlichen afrikanischen Umwelt eigenhändig abgetrotzte Refugium, das „Island of White“, so D. Kennedy, vermeintlich fernab moderner Konventionen und Bedürfnisse, fernab auch von staatlicher Gängelung, konnte in der Selbstwahrnehmung des Auswanderers auf der Suche nach der ,eigenen Scholle‘ wie der ihn unterstützenden Kolonialverwaltung zum Inbegriff eines Gegenentwurfes zur Industriegesellschaft werden. In diesem Sinne schrieb der Hauptmann v. Wangenheim Anfang 1906 zur Begrüßung des neuen Gouverneurs v. Lindequist: „Arbeitsfreudige Einzelexistenzen, die sich auf ihrem Besitztum wie kleine Könige fühlen, sind zwar dem heutigen freisinnigen Zeitgeist ein Greul, aber dennoch sind und werden sie jedem Staatswesen die eisernen, granitenen Füße sein, auf denen es Stürmen trotzen kann.“

Diese „kleinen Könige“ auf ihren Farmen, sie sollten zumindest die Stütze des Kolonialstaats sein. Gouverneur v. Lindequist wusste, dass „die Entwicklung

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NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.33, Olt v. Hirschberg an Gouv,11.6.13. Eckert/Wirz, 2002, S. 379 f.; vgl. Wildenthal, 2001, S. 3; Kundrus, 2003b, S. 7 f. Kennedy, 1987, S. 92. So Walther, 2002, S. 12. Kundrus, 2003, S. 59; 15 f.; Speitkamp, 1996, S. 32/36; Reulecke, 1985, S. 140. Grimm, 1926, S. 5 f.; vgl. Maß, 2006, S. 126; Rüdiger, 1993, S. 43; Schmidt, 2008, S. 274 f.

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der Kolonie von dem Gedeihen der Farmer abhängig ist.“308 Wenngleich diese stets gegenüber den anderen Europäern in der Minderheit blieben, hegten sie doch einen „sozialen Führungsanspruch“.309 Im Unterschied zu den Beamten und vielen sonstigen europäischen Angestellten wie Technikern, Geschäftsleuten und Missionaren betrachteten die Siedler die afrikanische Kolonie als ihre (neue) Heimat.310 Nicht zuletzt aus diesem Bewusstsein sowie ihrer, im Vergleich zu den nur befristet im Land sich Aufhaltenden, mitunter jahrzehntelangen Erfahrung, entwickelten sie ein merkliches Überlegenheitsgefühl gegenüber den Beamten, die „im Kampf um’s Dasein nicht so hart bedrängt“ würden.311 Diese traf regelmäßig der Vorwurf der Landesunkundigkeit, der zu einem gern genutzten Allgemeinplatz der ,alten Afrikaner‘ wurde. In der Swakopmunder Zeitung war von der „unhaltbaren Zumutung“ zu lesen, „daß die alten, erfahrenen Ansiedler, die zum Teil zwanzig Jahre ihre Erfahrung im Lande in harter Arbeit gesammelt haben, gezwungen sind, im Verkehr mit unserer Landesregierung sich der Allgewalt eines jungen und in unserem Lande recht unerfahrenen Beamten anzuvertrauen.“312

Die Sorge, sich von ,in den Verhältnissen‘ unkundigen Beamten bevormunden lassen zu müssen, schlug selbst der Spitze der Kolonialbürokratie entgegen. Eine „allgemeine Voreingenommenheit“ gegen Staatssekretär Dernburg bemerkte O. Bongard vor dessen Ankunft in DSWA. Auf die Möglichkeit hingewiesen, dem Herrn aus Berlin die eigenen Belange vortragen zu können, erhielt Bongard „die entrüsteten Antworten: ,Ja, glauben Sie denn, ich werde mich von dem Herrn anschnauzen und wie ein dummer Junge behandeln lassen, so wie er es in Ostafrika mit den Leuten gemacht hat?“ Zwar zeigte sich, „dass er ausgezeichnet unterrichtet war und mit sich reden [ließ]“,313 doch das Verhältnis von Kolonialverwaltung und Ansiedlern profitierte davon nicht. Im Gegenteil, auch in DSWA brachte Dernburg diese gegen sich auf.314 Nach marxistischer Lesart erklärte sich der Gegensatz daraus, dass die „großkapitalistische Kolonialpolitik [Dernburgs]… mit den vielfältigen Profitinteressen der heterogenen kleinbürgerlich-agrarischen Mittelschichten [in der Kolonie] in Konflikt“ geraten war.315

308 NAN ZBU 289, B III b 1, Bl. 10, Hpt v. Wangenheim an Gouv, 1.2.06; , Bl.11, Gouv an Hpt v. Wangenheim, 25.2.06. 309 Bley, 1968, S. 270; vgl. Osterhaus, 1990, S. 133; Schmidt, 2008, S. 120 – 128. 310 Chikeka, 2004, S. 101; vgl. Südwestbote, 11. Jg. # 4, 9. 1. 1914, S. 1. 311 Lüderitzbuchter Zeitung, 4. Jg # 49, 7. 12. 1912, S. 1; vgl. Cancik, 2004, S. 316 – 19. 312 Swakopmunder Zeitung, 16. Jg # 94, 16. 8. 1913, S. 2; vgl. Schmidt, 1934, S. 158. 313 Bongard, 1909, S. 89 f.; vgl. Dalwigk, 1911. 314 Vgl. BAB R 1001/2192, Bl.25, Leopold Kaysler an W. Martin, 17.1.10; Rohrbach, 1911; Osterhaus, 1990, S. 381 – 385. 315 Schulte, 1981, S. 15.

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5.2.2. Der Gegensatz zwischen Farmern und der Polizei Noch vor den Beamten in den Bezirksämtern oder gar dem Staatssekretär hatten die Farmer, so sie mit der Verwaltung in Kontakt traten, mit Polizisten zu tun. Diese patroullierten die Farmen monatlich ab. Bei den nicht selten auftretenden Meinungsverschiedenheiten traf auch sie regelmäßig der Vorwurf, im Verhältnis zu ihren Kompetenzen zu unkundig und unerfahren zu sein. Dieser Kritik an einer zu großen Machtfülle der Polizeibeamten trat der Bezirksschef von Windhoek, Todt, mit der Erklärung entgegen: „Entlegeneren Polizeistationen muß eine gewisse Selbständigkeit im Entschluß zugesprochen werden, wenn anders die Durchführung geordneter Zustände nicht infolge Verzögerungen wegen großer Entfernungen illusorisch gemacht werden soll.“ Der koloniale Raum erforderte ein Mehr an Kompetenzen. Doch der Farmer H. Wulff, der „mit der Polizeistation Lauwater dauernd Differenzen“ hatte, beklagte in der Presse, dass damit „den untergeordneten, zum guten Teil landesunkundigen Polizeiorganen systematisch eine Art Landratstellung eingeräumt [würde]. Hieraus erklärt sich ein großer Teil der Beschwerden der Bevölkerung, [über] die man so oft als ,Polizeischmerzen‘ in den Zeitungen hat lesen können.“316 Die „Bestimmungen“ für Schutzgebietsbeamte legten ihnen „ein gutes Einvernehmen“ mit allen Europäern nahe. „Im persönlichen Verkehr müssen sie stets der Pflichten eingedenk sein, welche ihnen ihre Stellung auferlegt. Sie dürfen niemals die erforderliche Ruhe und Beherrschung verlieren“.317 Diese Bestimmung hatte Relevanz; denn, so erinnerte sich ein Zeitgenosse: „Das barsche, schroffe Wesen unserer Beamten ist im Auslande mit vollem Rechte berüchtigt“.318 Nach der Auffassung des ehemaligen Wachtmeisters H. Rafalski fanden die Beamten der Landespolizei „vollstes Vertrauen“ bei der Bevölkerung.319 Eine Quellenlektüre relativiert diese Behauptung zumindest. Zwar „fügte“ sich, so der Gibeoner Bezirkschefs v. Burgsdorff 1897 im „Allgemeinen … jeder Ansiedler gut und willig den Anordnungen der Verwaltungsorgane“.320 Doch die Willigkeit kannte Grenzen, wie das Wort von den „Polizeischmerzen“ zeigte. Viele Neusiedler wie „alte Afrikaner“ waren mit der Verwaltung unzufrieden: Ein frustrierter Siedler und ehemaliger Schutztruppler schrieb seinem Bruder, er habe „immer Schwierigkeiten mit der Regierung, kann laufen von einem zum anderen und man bekommt nirgends was Gescheites zu hören.“321 Die daraus erwachsende Verärgerung fiel auf die vor Ort am ehesten anzutref-

316 317 318 319 320 321

NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.44, BA Windhuk an Gouv, 4.11.12; Südwest, 5.11. 1912. BAB R 1001/9098, Bl. 1114, Bestimmungen für die Landesbeamten 2/06. Conrad, Lebenserinnerungen, 1917, S. 172 f.; zit. in: Ritter/Kocka, 1982, S. 79. Rafalski, 1930, S. 32; Südwestbote, 11. Jg. # 36, 25. 3. 1914, S. 1. NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.2a, Bl.126, Jahresbericht des Bezirks Gibeon, 1.7. 97. BAB R 1001/2190, Bl.97, K. v. d. Samit an RKA, 27.11.07.

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fenden Polizeibeamten zurück. Schon der Zeitgenosse Max Weber hatte festgestellt: „Die soziale Schätzung der Beamten … pflegt besonders gering da zu sein, wo – wie in Neusiedlungsgebieten – vermöge des großen Erwerbsspielraums und der starken Labilität der sozialen Schichtung sowohl der Bedarf an fachgeschulter Verwaltung wie die Herrschaft der ständischen Konventionen besonders schwach sind.“322

Den „Bedarf an Verwaltung“ schätzten die Farmer, wenn es nicht um ihre Sicherheit ging, tatsächlich gering ein. Konventionen zu beachten fiel vielen unter ihnen auf ihren Farmen nicht ein. Daraus erwuchsen mehrere Streitpunkte zwischen Polizei und Siedlerschaft. Insbesondere die Frage der „Eingeborenenbehandlung“ führte zu Konflikten. So, wie Farmer den „Bedarf an Verwaltung“ in Frage stellten, so regelmäßig entlud sich ihre Frustration gegen Polizeibeamte wegen deren mangelnder „Härte“: Ein Farmverwalter etwa betrank sich aus „Ärger über die Eingeborenenweiber…, welche zur Polizei nach Gurumanas laufen; ich will mal sehen, ob ich Bas auf [der Farm] Naos bin oder die Polizei“. Er hatte sich dagegen verwahrt, dass Polizeidiener „auf meiner Werft herumschnüffeln“. Er warf dem Polizisten Lippke vor, nichts gegen die Flucht von Farmarbeitern getan zu haben: „Sie sind zu schlapp dazu“.323 Ein anderer, der Farmer Polle, beklagte sich über die Unhöflichkeit der Polizisten, die ihn nicht grüßen würden. Auch habe er von „gehässigen Redensarten [der Polizisten] über den Farmerstand“ gehört.324 Dabei schloss ein großer Teil der Polizeibeamten einen späteren Wechsel in den Farmerstand nicht aus.325 Zwar hatte sich der Bezirkshauptmann v. Lindequist schon 1895 „tadelnde oder vorwurfsvolle Bemerkungen über den Dienstbetrieb der … Polizeibehörde … auf das Energischste [verbeten]“.326 Doch waren die Umgangsformen zwischen Polizei und Siedlern keineswegs von servilem Gebaren gegenüber den Amtsträgern geprägt. Der von H.-U. Wehler konstatierten deutschen „Schalterdistanz“ und dem „Dünkel nach außen gegenüber dem ,Publikum‘327, stellten Ansiedler ihr ausgeprägtes Selbstbewusstsein gegenüber : Sie wiesen selbstsicher auf ihre Möglichkeit hin, sich „andernfalls … bei dem Bezirksamt beschweren“ zu können.328 In ihrer Ehre waren die Beamten schnell getroffen. Es wurde noch um die Bestrafung von Personen gebeten, die einem Sergeanten lediglich „dumm gekommen“ waren: Der von einer Patrouille bei einem nächtlichen „Werft“Besuch gestörte Keetmanshooper Buchhalter K. Weiss machte „alle möglichen 322 323 324 325 326 327 328

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Weber, 2005, S. 162. BAB R 1002/2466, Bl.41, Strafantrag PSgt Lippke, 24.4.11. BAB R 1002/2465, Bl.11, Polle an Passarge [Redakteur der Windhuker Nachr.], 6.12.09. Beamte als Konkurrenten, vgl.: BAB R 1001/2190, Bl.80, H. Guthke an RKA, [~6/06]). NAN BWI 417, P II, Bd.2, BHpt Windhoek an Farmer Wiese, 7.10.95. Wehler, 1995, S. 859; vgl. aber Nipperdey, 1986, S. 172 f.; Dove, 1896, S. 78 zum „Zank“. NAN BKE 199, B II 66 a, Bd. 2, Bl.53, Lamprecht an Polizei Keetmanshoop 29.6.07.

Gebärden, pfiff, sang, lachte, anscheinend um mich zu ärgern und mir zu zeigen, daß ich ihm gar nichts anhaben könnte“, so der Sergeant Hannemann.329 Inspekteur Bethe bestärkte seine Beamten in dieser Haltung. Ihm zufolge konnten die „Frechheiten gegenüber den Beamten … nicht hart genug bestraft werden“.330 Die Zentralverwaltung zeigte sich ähnlich scharf gegenüber unliebsamer Kritik. Gegen einen Redakteur, der in einem Artikel seine Beobachtung festhielt: „Unsere Kolonialverwaltungen vertragen nicht das helle Licht …“, wurde Strafantrag wegen Beleidigung der „Kaiserlichen Richter“ gestellt – durch den Reichskanzler.331 Das „generell angespannte Verhältnis zwischen Polizei und Publikum“ war nichts Ungewöhnliches und wurde auch von Zeitgenossen in DSWA so wahrgenommen: „Man kann hingehen, wohin man will, überall trifft man auf eine mehr oder weniger ausgeprägte Abneigung gegen die Polizei.“332 Th. Nipperdey beschreibt den Stil des deutschen Schutzmanns als „bärbeißig und mehr oder weniger gutmütig“. Sein Auftreten war „wesentlich vom Gefälle zwischen Amts- und Staatsautorität und Bürger bestimmt – war obrigkeitlich.“ In einer Kurzgeschichte Thomas Manns ironisierte der Erzähler angesichts eines „gewaltigen Wachtmeisterschnauzbart[s]“ und dem „unwirsch wachsamen Blick“ seines Trägers: „Das ist der Staat, unser Vater, die Autorität und die Sicherheit. Man verkehrt nicht gern mit ihm, er ist streng, er ist wohl gar rau, aber Verlaß, Verlaß ist auf ihn“.333 Daraus erwuchs ihm nicht notwendig die Zuneigung des ,Publikums‘. Th. Lindenberger spricht von einer „beim Berliner Straßenpublikum [des Kaiserreichs] seit jeher unbeliebten Polizei“ und sieht eine „habituellen Frontstellung zwischen Polizei und Straßenpublikum“; für das Ruhrgebiet wurde ähnliches festgestellt.334 Ob auch in der Kolonie von einer solchen „habituellen Frontstellung“ zwischen Polizei und ,Publikum‘ gesprochen werden kann, bedarf weiterer Untersuchung. Doch war der Gegensatz zwischen Farmern und Polizei, bei allem noch darzustellenden Zusammenwirken, ein greifbarer, in den Farmvereinen fast institutionalisierter. Regelmäßig wurde die Frage gestellt: „Wo war die Landespolizei?“ Schien es doch ebenso eine „Tatsache, daß auch in diesem Falle die Polizei nicht in der Lage war, Ordnung zu schaffen“, wie generell zu vermuten stünde, dass „[d]ie Kaffern …keinen Respekt vor der Polizei [hätten].“ Die Legitimität des staatlichen Gewaltorgans Polizei, die auf dem Versprechen beruhte, Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, wurde mehr und mehr in Frage gestellt.335 Nicht ohne Grund und Rückhalt bei den 329 330 331 332 333

NAN BKE 199, B II 66 a, spec I, Bl.6, Meldung PSgt Hannemann, 21.3.10; 22.3.10. BAB R 1002/2466, Bl.45, Gouv an BG Windhuk, 11.5.11; vgl. Kocka, 1993, S. 115. NAN OGW 53, Gen II F, Bl.25, KolA an Gouv, 3.11.04. Lindenberger, 1995b, S. 196; Der Südwestbote, 11. Jg. # 58 (1914); Grantzow, 1902, S. 84. Nipperdey, 1992, S. 127; Mann, Th.: Erzählungen (Das Eisenbahnunglück), Frankfurt 2003, S. 160; Roth, 1997, S. 184 – 193. 334 Lindenberger, 1995b, S. 192/4; Spencer, 1992, S. 113. 335 Südwest II. Jg. # 21, 14.3. 1911, S. 1 [Carl Schlettwein]; vgl. Lüdtke/Wildt, 2008, S. 14.

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seinen sprach sich 1912 der Farmer F. Gessert, Mitglied des Landesrates, für die Verminderung der Polizei aus. Im Distrikt Bethanien stünden 27 Farmern „und deren winzigem Besitz“ 17 Polizeibeamte gegenüber. In einem Gesuch an den Gouverneur klagte Gessert über diesen „Luxus“. Er vermutete, „dass die überstarke Polizei zur Beaufsichtigung der Weissen gehalten wird“ und bat Seitz, dem Reichstag „eine recht gründliche Streichung an der Kopfzahl der Polizei zu empfehlen“. Auch regte er eine Instruktion für die „verbleibende Polizei“ an, „mehr Vertrauen auf den guten Willen der Ansiedlerschaft zu zeigen und mehr Verständnis für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in einem Neulande.“336 Zwar kürzte der Reichstag die Landespolizei auch ohne dass Seitz Gesserts Gesuch weiterreichte. Doch gab sein Schreiben dem Gefühl der Farmer Ausdruck, von den Polizisten bevormundet zu werden. Auch ein Schlagabtausch zwischen Seitz und dem Farmer Blank auf einer Sitzung des Landwirtschaftsrats spiegelte den Unwillen, sich der Polizei unterzuordnen: Blank: „,Auf meiner Farm bin ich Herr, nicht der Polizeibeamte. Und wenn der den Herrn spielen will, dann schmeiße ich ihn raus! Unsere Freiheit lassen wir uns nicht antasten.‘ Worauf der Gouverneur : ,Freiheit gibt nur das Gesetz! Ich erinnere Sie an Goethe: ,Vergebens werden ungebundne Geister/Nach der Vollendung reiner Höhe streben!/ In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,/Und das Gesetz nur kann die Freiheit geben!‘ Der Farmer fühlt sich hier wie so ein kleiner König auf seiner Farm, aber das Gesetz steht über ihm. Und wenn Sie den Polizeibeamten rausschmeißen, Herr Blank, dann sage ich Ihnen: Fliegt er raus, fliegen Sie rein!‘“337

Doch war die Kritik an der Polizei auch Ausdruck eines generellen Missbehagens der Farmer an der „Regierung“ und den ständigen Klagen aus Deutschland. G. Noske wies im Reichstag darauf hin, dass die „Beamten in den Kolonien zum Teil wie ein Fremdkörper sich betätigen“ und konstatierte eine „persönliche Entfremdung“ von den Kolonisten.338 Die nichtbeamteten Mitglieder des Landesrats kritisierten das Gouvernement und den Reichstag, der die Kolonie im Stich ließe,339 ebenso scharf wie die Machtlosigkeit des zwar gewählten aber nur beratenden ,Hilfsparlaments‘. Sie stießen sich an der Tendenz, politische Fragen durch die Verwaltung entpolitisiert zu sehen340 und äußerten ihren „Unwillen“ über „so gut wie resultatlos verlaufenden Beratungen.“ In eine ähnliche Richtung zielte Der Südwestbote, wenn er mahnte: „Namentlich sollte sich die Regierung nicht auf den exklusiven Standpunkt stellen: ,Was Berlin tut, das ist wohlgetan.‘“ Das Organ des Farmerbundes, wie andere Blätter und ihre Leser sahen „sich dem Mutterland zunehmend entfremdet. Gerade die authentische Stimmer ,derer da draußen‘, so die Klage, 336 337 338 339 340

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NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.1, Bl.154 f., Gessert Gesuch, 25.6.12; vgl. Weber, 1979, S. 80. DSWA-Zeitung, 17. Jg # 20, 11. 3. 1914, S. 2; ebd., 12. Jg. # 22, 16. 3. 1910, S. 1. SBRT, Bd. 285, 13. Leg.Per. 1. Sess. 1912/14, 51. Sitzung, 30.4. 1912, S. 1552. BAK N 1037/10, Protokoll 6. Sitzung des Landesrats, VI. Sitzungsperiode, 19.5.14, S. 85. Vgl. Osterhammel, 2003, S. 117; Berman/Lonsdale, 1992, S. 36 – 38; Mogk, 1972, S. 156.

würde in der Heimat beständig missverstanden“.341 Mit dem „Schnitt durchs Tischtuch“, der Lossagung vom „Mutterland“, wurde bald gedroht.342 Die Entfremdung zwischen Farmern und Polizei war eine zwischen jenen, die „Neu-Deutschland“ als ihre Heimat betrachteten und jenen, die die Kolonie ,nur‘ verwalteten – „Berlin“ stand dabei als Metapher für die Beamten am ,grünen Tisch‘, ewig kritische Reichstagsabgeordneten, mangelnde Erfahrung und Arroganz.

5.2.3. Der Streit um die „Eingeborenenbehandlung“ „Jetzt schon geht es bei der Mehrzahl der Farmer bei jeder Patrouille, der muss eine Wucht haben, den müssen sie mal mächtig verhauen, bei den kleinsten und meistens unbeabsichtigten Vergehen.“343

In keinem anderen polizeilichen Tätigkeitsbereich gerieten Farmer und Polizei mit derartiger Regelmäßigkeit aneinander, wie bei der Frage der angemessenen „Eingeborenenbehandlung“. Zwar war auch in Deutschland die Regelung der Verhältnisse zwischen Dienstherrn und Arbeitnehmer eine polizeiliche Aufgabe und gehörte zu den „most troublesome of requests for assistance“.344 Doch in der Kolonie entwickelte sich daraus eine Frage, die bestimmend wurde für das Verhältnis zwischen Siedlern und Beamtenschaft. Mäßigend auf die Farmer einzuwirken, gelang den Beamten fast nie. Bilder von der afrikanischen Arbeitsmoral Zu Beginn der kolonialen Unternehmungen waren Kommentatoren noch von der „Anlernungsfähigkeit der Neger zu eigener Betriebsamkeit“ ausgegangen; wenngleich Missionar H. Brincker vor ihren „dunklen Schattenseiten“ warnte: „Lügen, Trügen, Stehlen, Unzuverlässigkeit, tendenziöser Ungehorsam usw.“ müsse man „voraussetzen.“345 Die DKG vermutete 1894 dennoch: „Vielleicht beruht auch die immer noch herrschende Auffassung von der geringen Anstelligkeit des Negers … [eher] auf der Unfähigkeit seiner Lehrer, ihm die verlangten Handgriffe in seiner Sprache genügend klar zu machen, als auf dem Mangel natürlicher Anlagen.“346 Doch die Farmerschaft übte sich bald in vermeintlich illusionsloser Rigorosität, der nur die ,harte Hand‘ entsprechen konnte. Für ihre Einschätzung der Afrikaner stand W. Panzlaffs Äußerung 341 Zit. in: Keetmanshooper Zeitung I. Jg # 3, 8.5. 1913, Beilage, S. 2; Hilt, 2004, S. 396; vgl. Bley, 1968, S. 272; Mamozai, 1982, S. 188; Huber, 2000, S. 243; Schmidt, 2008, S. 124 f. 342 Südwest II. Jg. # 21, 14.3. 1911, S. 2; Osterhaus, 1990, S. 146; Schmidt, 2008, S. 156. 343 NAN ZBU 693, F V e 1, Bd.1, PolSt Hoachanas an BA Rehoboth, 17.11.12. 344 Spencer, 1992, S. 111. 345 Bastian, 1884a, S. 5; Brincker, 1886, Anhang S. 4; vgl. Merensky, 1886. 346 BAB R 8023/880, fol.1, Bl.19, DKG an KolA, 20.9.94.

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stellvertretend, dass man es „mit einem hinterlistigen, diebischen, der Arbeit abgeneigten Volk zu thun hat.“347 ,Die Afrikaner‘ waren aus kolonialer Sicht fest mit ihren Dorfgemeinden oder Großfamilien und der Subsistenzwirtschaft verbunden und für Marktwirtschaft und Lohnarbeit nicht zu gebrauchen. So entstand der Mythos vom „lazy native“.348 ,Faulheit‘ mit Prügel auszutreiben und zu ,bestrafen‘, war ein bei vielen Ansiedlern übliches Ritual, das den ,weißen‘ Privilegien innerhalb der kolonialen Arbeits- und Gesellschaftsordnung inhärent schien. Dieses Verhalten der Farmer der afrikanischen Bevölkerung gegenüber trug dazu bei, dass sich die ,Frontlinie‘ zwischen ihnen und der Verwaltung verschärfte. Vor Ort war vorrangig die Polizei gehalten, Exzesse zu verhindern – wenngleich sie dies selten genug vermochte. Vom Distriktsamt Okahandja hieß es dazu: „Der größte Teil der Arbeitgeber kommt mit den Eingeborenen vorzüglich aus. … Ein kleiner Teil der Arbeitgeber betrachtet die Eingeborenen leider als rechtlos, züchtigt sie bei jeder passenden oder meist nicht passenden Gelegenheit väterlich … Diesen Leuten gegenüber hat die Behörde, die eine vermittelnde Rolle spielen muss, einen schweren Stand. In den wenigsten Fällen gelingt es, einen solchen Dienstherrn, der seine Eingeborenen in der Regel nur mit Tiernamen bezeichnet, dazu zu bringen, seinen Standpunkt etwas zu ändern und die Eingeborenen auch als Menschen zu betrachten.“349

Kritik an den Farmern Eine Ausnahme war diese Kritik an den Farmern nicht. Der Bezirkschef von Omaruru klagte in ähnlichem Ton über die „ständige Behandlung der Eingeborenen en canaille…; nie ein ruhiges Wort, sondern immer nur – wie ja im ganzen Lande seit Anfang an – die gröbsten Schimpfwörter und Anreden, ohne jeden Grund. Daß ein Eingeborener auch Ehrgefühl haben kann, wird nie bedacht; wie ein Stück Vieh wird er behandelt.“350 Die Mahnung O. Karstedts, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Eingeborenenschutz und selbst ehemaliger Kolonialbeamter : „tritt dem Neger als Mensch gegenüber! … Sieh den Neger nicht als minderwertig an!“ fand in der Kolonie kein Echo, wie nicht nur der Staatssekretär Solf auf seiner Inspektionsreise entrüstet zur Kenntnis nahm.351 Ein „zu missbilligende[s]“ Verhalten deutscher Kinder war angesichts des elterlichen Vorbilds wenig verwunderlich. Der Gouverneur war besorgt über „unangebrachte Tätlichkeiten“ und „verwerfliche Schimpfworte“, mit denen sie Afrikaner demütigten. Eltern und Lehrer sollten diesem

347 348 349 350 351

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NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.93, W. Panzlaff an BA Windhuk, 1.5.04. Alatas, 1977, S. 204 (zu Südostasien); van Laak, 2005, S. 82; Schmidt, 2008, S. 239. NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.227, DA Okahandja an Gouv, 16.11.13. NAN ZBU 2365, VII m, Bl.12, BA Omaruru an Gouv, 27.5.13. Zit. nach: Akakpo, 2005, S. 76; zu Solf vgl. Bley, 1968, S. 306.

Treiben Einhalt gebieten.352 Doch die Eltern hatten selbst „ständig Scherereien in Eingeborenen-Angelegenheiten mit der Polizei“. Regelmäßig auch erschienen Afrikaner auf den Stationen und beschwerten sich, „daß sie schlecht behandelt werden, oder nicht ihre zuständige Kost bekommen, oder ihren Lohn nicht erhalten.“353 Darüber, dass ihnen die Möglichkeit der Beschwerde eingeräumt wurde, waren die Arbeitgeber erbost. Die hasserfüllte Darstellung der Ada Cramer in ihrem Buch über den Prozess gegen ihren 1912 wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilten Mann macht dies deutlich: „Die Schwarzen [seien] dazu angehalten [worden], sich über die Weissen zu beschweren“. Es sorgte für Empörung, dass die Polizei die Arbeitsbedingungen untersuchte. Cramer wollte „den Auftrag des Distriktschefs an unsre Polizeisergeanten“ erkannt haben, „unauffällig auf unsrer Werft unter den Eingeborenen nach Kost und Behandlung zu forschen.“354 Auch in der südafrikanischen Presse wurde zu dieser Zeit das Gerücht über DSWA verbreitet: „That lying Kaffirs are employed as spies to trap white men.“355 Gewalt auf den Farmen Derart scharfe Gegensätze zwischen Farmern und Polizei – die Cramers „zitterten vor Erregung“, als ein Polizist die Arbeiter auf ihre vierwöchige Kündigungsfrist aufmerksam machte – waren keine Ausnahme356 und wurden teils bis vor das Gouvernement getragen. Ein markantes Beispiel für diese ,Feindseligkeiten‘ wie für das Ausmaß an Gewalt, das den Farmalltag prägen konnte, stellen die Auseinandersetzungen mit dem Ehepaar Ohlsen dar – eine detailierte Darstellung ist daher gerechtfertig: Die Eheleute waren wegen ihrer Brutalität verrufen und wurden vom Distriktschef in Gobabis als „Quärulanten schlimmster Sorte“ charakterisiert. Frau Ohlsen, die einen ihrer Arbeiter erschlagen hatte und deshalb angeklagt war, beschwerte sich im Januar 1912 beim Distriktschef Graf v. Schwerin darüber, dass er die zwangsweise Wiederzuführung von entlaufenen Arbeitern abgelehnt hatte. Für Frau Ohlsen beruhte diese Weigerung Schwerins auf einem „Irrtum“ seinerseits, da er „sich auf die Seite der verlogenen Kaffern, anstatt auf unsere Seite gestellt“ habe. Schwerin berichtete dem Gouvernement, dass die entlaufenen Arbeiter sich wiederholt bei der Polizei gemeldet hätten und dort auch „Spuren einer Körperverletzung“ zeigen konnten. Angesichts der „allgemeinen Angst der Eingeborenen vor den Ohlsens“ konnte Schwerin eine zwangsweise Zuführung der Arbeiter „weder vor dem Gesetze noch vor meinem Gewissen verantworten.“ Gegen den ablehnenden „PolizeiBescheid“ legte Ohlsen Beschwerde ein. Er wollte für die „Beleidigung“, er 352 NAN ZBU 940, J V c 1, Bl. 1, Gouv an Regierungsschulen, 5.6.13; vgl. Walgenbach, 2005, S. 206; Rüdiger, 1993, S. 65 f.; Südwestbote, 11. Jg. # 39, 1. 4. 1914, S. 1. 353 BAB R 1002/2465, Bl.26, Meldung PW Rohde, 9.12.10; vgl. Zimmerer, 2004, S. 176. 354 Cramer, 1913, S. 54; S. 50 f.; vgl. DSWA-Ztg, 16.Jg/Nr. 39, 5. 4. 1913, S. 1. 355 NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.52, Ausschnitt Daily Dispatch [East London], 28.9.12; Bl.36. 356 Cramer, 1913, S. 50 f.; vgl. Graichen/Gründer, 2005, S. 166; Bley, 1995, S. 146 f.

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würde „Eingeborene misshandeln“ und Kinder beschäftigen, Beweise sehen. Der Distriktschef legte daraufhin dem Gouvernement im März 1912 25 Auszüge über die Zustände auf der Farm vor, die den Sadismus des wahrscheinlichen Alkoholikers und seiner Frau derart zweifelsfrei belegten, dass angesichts der Foltermethoden selbst der Farmverein Gobabis sich von seinem Mitglied Ohlsen distanzierte.357 Doch auch ohne sich gröbster Misshandlungen schuldig gemacht und dafür überführt worden zu sein, lebte mancher Siedler mit der Polizei „auf Kriegsfuß“, wie der Farmer Kröhnert klagte.358 Der bereits erwähnte Farmer Wulff sprach von „ewigen Streitigkeiten zwischen Farmern und den Polizeiorganen“.359 Er hatte sich, nachdem er beim Bezirksamt keinen Erfolg hatte, bei O. Hintrager über den Sergeanten Schwarz beschwert, der ihm einen Arbeiter weggeholt und an dessen früheren Dienstherrn abgegeben hatte. Auf der Polizeistation, so Wulff, fand er kein Verständnis für seine „Interessen infolge Unkenntnis des Eingeborenencharakters.“ Aus diesen Streitigkeiten zwischen Farmern und Behörden konnten der Arbeiterschaft Freiräume erwachsen, wie Wulff entrüstet berichtete. So zitierte er einen Farmarbeiter : „Wenn der Baas mit der Polizei Bier und Schnaps trinkt, dann ist es nicht gut für uns; wenn aber die Polizei mit dem Baas Orlog macht, dann können wir auch mal nücken ohne gestraft zu werden.“ Den Sergeanten Schwarz hielt er daher für „eine ständige Gefahr für uns … Bei mir laufen die Leute aus Übermut fort, nur weil sie wissen, daß sie durch Herrn Schwarz in Schutz genommen werden.“ Diese Klage des Farmers, gegen den ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eines seiner Arbeiter lief, hielt Windhoeks „Eingeborenen-Kommissar“ Bohr für „nicht so ganz begründet“. Eine Zurückführung des verletzten Arbeiters lehnte das Gouvernement nach der Verurteilung Wulffs ab, denn dieser „war berechtigt, den Dienst zu verlassen“.360 Ein dritter Farmer, Hülsemann, klagte 1914 in ähnlicher Weise. Er bat das „Gouvernement höflichst, mir gegen meine Eingeborenen zu helfen.“ Schon das „Eingeborenen-Kommissariat“ in Windhoek habe er um Unterstützung angefragt, „da die Polizei hier vollständig versagt“ und allen Schwierigkeiten mit der Auskunft aus dem Weg ginge, „ich könne nicht mit Eingeborenen umgehen.“ Die polizeiliche Tätigkeit, so Hülsemann, würde sich darauf beschränken, sein „letztes bisschen Autorität“ zu untergraben. Bezirkschef Todt, zu seinem Untergebenen befragt, meinte: „allen kann es keiner Recht machen 357 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.81, E.Ohlsen an DChef v. Schwerin, 10.1.12; Bl.81, DA Gobabis an Gouv, 11.1.12; Bl.89, Polizei-Bescheid an Ohlsen, 19.1.12; Bl.93, C.Ohlsen an Gouv, 31.1.12; Bl. 107, Abschrift aus Südwestboten # 20, 16.2.12; vgl. Schwirck, 2002, S. 112 f. 358 NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.38, Südwestbote #103, 28.8.12; Bl.39, Vernehmung Trommler, 9.10.12; Bl.37, Notiz. 359 NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.45 Ausschnitt aus Südwest, III Jg # 89, 5.11.1912. 360 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.184, Wulff an Gouv, 25.12.12; Bl.190, EK an Gouv, 11.4.13; Bl.191, Gouv an Wulff, 23.4.13.

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und einen geeigneteren Beamten habe ich nicht.“ Im Entwurf der Antwort des Gouvernements an Hülsemann findet sich das – wieder gestrichene – Bekenntnis, dass die „Polizei auch bei strengstem Vorgehen häufig nicht in der Lage [sei,] ein befriedigendes Einvernehmen zwischen den Arbeitgebern und den Eingeborenen zu schaffen.“361 So hatte sich die Verwaltung selbst ein Urteil über das Verhältnis zwischen Siedlern und Polizei gesprochen, das ein Farmer als „Zwiespalt“ beschrieb: „Man sitzt ewig in der Zwickmühle, entweder von seinen Leuten die notwendige Arbeitsleistung, selbst mit Handgreiflichkeiten, zu erzwingen und dann endlose Scherereien mit Polizeistationen, Bezirksamt und Gericht zu haben, seine Leute auf Wochen und Monate im Gefängnis zu sehen oder womöglich selbst bestraft zu werden, keine Leute zu haben, oder – auf jegliche Weiterentwicklung zu verzichten!“362

Doch auf Verständnis für ihre Gewalt durften Farmer bei Polizei-Inspekteur Bethe nicht hoffen. Er sprach mit Blick auf „rohe und ungerechte Arbeitgeber“ vom „verständlichen Entschädigungsbedürfnis an des Dienstherrn Eigentum“: „Der Weiße, bei dem keine Arbeiter bleiben, ist in 99 von Hundert Fällen selbst daran schuld, schiebt aber gern die Schuld den Eingeborenen zu, denen er dann Aufsässigkeit und Aufstandsgelüste andichtet. Diebstahl und andere – auch Kapital-Verbrechen werden wir hier ebenso wenig ausrotten, wie in Deutschland“.363

Die Farmer konnten demnach wissen, dass die von der Verwaltung zwar beargwöhnte, jedoch wenig kontrollierte und verfolgte Prügel- und Selbstjustiz an ihren Arbeitskräften auf die Dauer zu untragbaren Zuständen führte. Das regelmäßige ,Entlaufen‘ auf Grund von Prügel und schlechter Verpflegung sowie der allgemeine Arbeitermangel konnten sich zu einer die Rentabilität gefährdenden Menge an unerledigt gebliebener Arbeit summieren. Missionar Brockmann berichtete aus Outjo, ein wegen Arbeiter-Misshandlung angeklagter Farmer hätte „erreicht, dass absolut kein Eingeborener mehr zu ihm geht und dass er deshalb sein Kühe nicht mehr melken lassen kann“, obgleich die Milch seine einzige Einnahmequelle sei.364 Es lag im Interesse der Farmer, Fluchtgründe nicht aufkommen zu lassen. Der Farmverein Gobabis konnte von „langangesessene[n] Farmer[n]“ berichten, die „stets ihre alten Eingeborenen behalten, vorausgesetzt, die betreffenden Farmer behandeln ihre Eingeborenen als Menschen.“ Zu den Vorwürfen, die Polizei würde die Arbeiter nicht hart genug bestrafen, hieß es: „Meldet ein Farmer einen Eingeborenen zur Bestrafung, so erhält dieser auch 361 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.2, Bl.68, Hülsemann an Gouv, 22.9.14; BA Windhuk an Gouv, 9.12.14; Bl.72, Gouv an Hülsemann, 15.12.14; Südwest, 4.Jg, Nr. 22, 18.3.13, S. 2. 362 Lüderitzbuchter Zeitung, 4. Jg # 49, 7. 12. 1912, S. 1. 363 NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.29, ILP an Gouv, 4.7.13. 364 AELCRN, II 1.2, Brockmann an Präses Eich, 21.9.09; vgl. Oermann, 1999, S. 177 – 185.

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unweigerlich, wenn verdient, die angemessene Strafe.“365 Die geglückte Flucht oder einen Fluchtversuch der Arbeiter hatten die Farmer bei ,ihrer‘ Polizeistation anzuzeigen – was bei den Entfernungen Tage dauern konnte.366 Trotz „der ganzen Stimmung, die gegen die Polizei im Lande herrscht[e]“367 und der geringen Meinung, die viele Farmer von der Straftätigkeit der Beamten hatten, drohten die Farmer ihren Arbeitern mit der Polizei.368 Andererseits wurde zur ,Selbsthilfe‘ gegriffen, wie ein Farmer in seiner Diebstahlsanzeige bereitwillig einräumte.369 Vorstellungen über eine ,korrekte‘ „Eingeborenenbehandlung“ Der Oberleutnant a.D. Rapmund, ein „fleissige[r] und strebsame[r] Farmer“ im Distrikt Okahandja, hatte mit seinen Arbeitern gute Erfahrungen gemacht: „Daß die Leute es bei anständiger Behandlung sehr gut bei einem Herrn länger aushalten, sieht man daraus, daß meine Leute bei mir fast alle schon 112 – 2 Jahre sind.“370 Der Distriktschef v. Frankenberg hatte in Omaruru die Erfahrung gemacht, dass „die Schuld an dem Entlaufen der Eingeborenen, mit Ausnahme von einigen außerordentlich seltenen Fällen, die betreffenden Weißen trifft.“371 Beamte wussten um die Kontraproduktivität der von den Farmern ausgeübten Prügel: „Die heute von vielen Dienstherrn geübte Eingeborenen-Behandlung ist nicht dazu angetan, die Arbeitslust der Leute zu erhalten oder zu erhöhen.“372 Eine regelrechte Handreichung zur „Eingeborenenbehandlung“ stammte von dem Farmer A. Voigts. Er, mit 18 Jahren Erfahrung ein ,alter Afrikaner‘, erzählte, er knüpfe in der „Eingeborenenbehandlung an die alte Verfassung der Hereros an“. Da schon der „Kapitän“ wert auf „grosses Zeremoniell“ gelegt hätte, ließ sich auch Voigts – obwohl nach eigenem Dafürhalten des Otjiherero mächtig – nur über einen Mittelsmann ansprechen. „Mit ihren Sitten und Gebräuchen vertraut, vermag ich zu entscheiden, wie sie es nach ihrem ungeschriebenen Recht gewohnt sind. Die Schwierigkeiten [der]… neu ins Land gekommenen Farmer mit ihren Arbeitern … sind in der Hauptsache darauf zurückzuführen, dass der Herr sich nicht in die Sinnesart seiner Leute hineinzudenken versteht und von ihnen europäische Moral, Sitte und Anschauung voraussetzt.“

NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.107, Abschrift aus Südwestboten # 20, 16.2.12. Vgl. NAN BOM 53, S I l g, Bl.29, Schmidt an Ortspolizei Omaruru, 12.5.07. NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.21, BA Grootfontein an Gouv, 18.3.13. NAN BOM 53, S II g, Bl. 35c, Vernehmung [Bl.37c], 4.7.07. NAN BOM 53, S Il g, Bl.36b, Farmer C. Schenkel an DA Omaruru, 28.6.07. NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.205, Rapmund an Gouv, 13.1.13; Bl.206, DA Okahandja an Gouv, 6.2.13. 371 NAN ZBU 715, F V o 2, Bd.1, Bl. 194e, DA Omaruru an Gouv, 23.7.08. 372 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.227, DA Okahandja an Gouv, 16.11.13.

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Voigts hielt „den Herero für viel anstelliger und besser als zum Beispiel polnische Arbeiter“. Zehn bis zwanzig Mark Lohn im Monat bei freier „Milchnutzung“, aber „keinen Tropfen [Schnaps]“ verdienten seine Arbeiter. Eine Kleinviehherde konnten sie sich halten.373 Farmer wie der selbst erklärte ,Hereroexperte‘ Voigts, die über eine große Anzahl von Arbeitskräften verfügten, hatten auf ihrem Land als Privatpersonen die Aufsicht über die dortigen „Eingeborenen-Werften“ zu führen. Sie hatten dabei die Bestimmungen über den Umgang mit der afrikanischen Bevölkerung zu beachten: Der Farmer musste sich jeder Einmischung in interne Angelegenheiten, z. B. Familienrechtsverhältnisse, enthalten. Er war für den Gesundheitszustand und die „Ordnung“ auf seiner „Privat-Werft“ verantwortlich und hatte über die Bewohner ein Verzeichnis anzulegen, das von der Polizei ebenso wie die „Werft“ selbst kontrolliert wurde.374 Nach § 7 der Verordnung über die „Dienst- und Arbeitsverträge mit Eingeborenen“ hatte der Arbeitnehmer das Recht, den Dienstvertrag vor Ablauf der vereinbarten Dienstzeit wegen grober Misshandlung zu kündigen oder wenn der Dienstherr die ihm obliegenden Verpflichtungen grob verletzte. Unterstaatssekretär v. Lindequist rechnete dazu vor allem die „Verabfolgung von zu weniger oder schlechter Kost, Versagung der dem Eingeborenen zu gewährenden Unterkunft …, Auszahlung des in Bargeld vereinbarten Lohns in Waren, Nichtgewährung ausreichender Kleidung … [und] Vernachlässigung des Eingeborenen im Falle seiner Erkrankung.“375 Hatte sich ein Arbeitgeber einer groben Misshandlung schuldig gemacht, so hatte auch eine „Polizeistation … das Recht, die Kündigung im Namen des Eingeborenen auszusprechen, ohne vorher die Genehmigung des Bezirksamts oder des Eingeborenenkommissars einzuholen.“376 Waren die ,entlaufenen‘ Arbeiter nach § 7 im Recht, so hatte der Arbeitgeber auch keinen Anspruch auf ihre „Wiederzuführung“. An den Farmer Jacobs erging daher die Belehrung, das Distriktsamt Okahandja könnte ihm, wenn er seine Arbeiter schlecht behandelt habe, „keine Eingeborenen mehr besorgen …, da es sich nicht vertreten läßt, Arbeitgebern, die ihre Eingeborenen unrichtig behandeln, Eingeborene zu überweisen, da die Behörden in diesem Fall der schlechten Behandlung der Eingeborenen Vorschub leisten würden.“377 Lindequists Vermutungen über die Natur der groben Pflichtverletzungen durch die Arbeitgeber entsprachen den Tatsachen und zeugen von seiner Erfahrung im Umgang mit Farmern. Aus diesem Grund schärfte 1908 sein Nachfolger, Gouverneur Bruno v. Schuckmann, auch „Väterchen“ genannt

373 Bongard, 1909, S. 84 – 86; vgl. Windhuker Nachrichten, 6.Jg., Nr. 21,13.3.09, S. 2; zum Vergleich mit polnischen Saisonarbeitern Conrad, 2006, S. 128 f.; 147 f. 374 Vgl. NAN BOM 53, 28, DA Omaruru an PolSt Omaruru, 22.4.12; 21.5.12. 375 NAN BSW 73, E 1 a 1, Abschrift UStS Lindequist, Gouv an BA Swakopmund, 18.7.07. 376 BA Windhuk an Farmer Wulff, abgedruckt in: Südwest III. Jg. # 89, 5.11. 1912. 377 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.2, Bl.101, Gouv an H. Jacobs, 3.2.15.

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und „selbst [ostelbischer] Landwirt“,378 in einem Rundschreiben an alle Bezirksämter den Beamten die ,korrekte‘ Behandlung der „Eingeborenen“ ein. Hätten doch „Ansiedler – es handelt sich hauptsächlich um solche, die neu in’s Land gekommen sind – sich grobe Mißhandlungen gegen ihre Eingeborenen … zu Schulden kommen lassen“. Mit Blick auf das „Entlaufen“ und die dadurch bedingte häufige Inanspruchnahme der Polizei belehrte v. Schuckmann die Bezirkschefs: „Hat der Eingeborene erst die Überzeugung gewonnen, dass er nicht nur als Sklave betrachtet wird … und dass er unter dem Schutz des Gesetzes steht, dann wird er auch nicht so sehr die Neigung haben, seinem Dienstherrn zu entlaufen.“ Schuckmann forderte von den Ämtern Berichte über die Arbeiterbehandlung. Diese brachten zwar Fälle von Misshandlungen zum Vorschein, doch erwuchs den Afrikanern aus dieser Kenntnisnahme keine Besserung ihrer Lage. „Akademische Gedanken über eine Hebung des Kulturniveaus erreichten die ,Eingeborenen‘ im wesentlichen als Arbeitszwang“,379 wie auch Zeitgenossen bewusst war. Nicht nur Reichstagsabgeordnete sprachen zum Ärger der Siedler von „Zwangsarbeit“, die wegen der „Arbeiternot“ herrsche. Jeder Afrikaner, so Omarurus Bezirkschef Görgens 1913, würde „irgendwohin zur Arbeit gesandt, ob er will oder nicht …Von früh bis spät heißt es arbeiten … Der Eingeborene sieht immer nur, ich muss arbeiten und arbeiten, bis ich sterbe; irgendeine Zukunft hat er nicht; er ist hoffnungslos“.380 Afrikanische Reaktionen Einen Ausweg aus dieser Hoffnungslosigkeit bot die Flucht. Sie war als Form des passiven Widerstands eine „classic peasant reaction“, wie sie als Antwort auf die kolonialen Ordnungen überall in Afrika auftrat.381 Wie oben erwähnt, konnte aber auch der Wunsch „nach dem Krieg Verwandte wieder zu finden“ oder in die Heimat zurückzukehren, ursächlich für eine Flucht sein, da die amtliche Zuweisung von Arbeitskräften darauf nicht immer Rücksicht nahm.(382) Hinzu traten individuelle und kollektive Strategien von Afrikanern, die kolonialen Realitäten, vor allem den deutschen Landbesitz, nicht anzuerkennen. Indem sie sich dem deutschen Wirtschaftssystem „aktiv entzog[en] oder es ,hintertrieb[en]‘“, blieb, durch „Arbeitsverweigerung, Widerständigkeit und ,Ungehorsam‘“ manifestiert, ihre „Umwandlung in ein Proletariat“, so die Historikerin G. Krüger, eine „Fiktion“.383 Ob diese Begriffswahl vom „Proletariat“, in das „die Afrikaner“ umge378 Bongard, 1909, S. 90. 379 NAN BSW 73, E 1 a 1, Gouv an BA Swakopmund, 2.1.08; v. Laak, 2005, S. 82. 380 Lüderitzbuchter Ztg (2.Bl.), 6. Jg. # 15, 10.4.14, S. 1; NAN ZBU 2365, VII m, Bl.12, BA Omaruru an Gouv, 27.5.13; zur Zwangsarbeit aus völkerrechtlicher Sicht: Eicker, 2009, S. 272. 381 Coquery-Vidrovitch, 1988, S. 183; vgl. Schmidt, 2008, S. 234 f. 382 NAN ZBU 747, G I b 2, Bd.2, Bl.21, Notiz. Ref. 2 Nellingbrunner, o.D. [~3/1913]; NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.115, Gouv an BA Gibeon, 27.3.12. 383 Krüger, 1999. S. 184 f.; vgl. Mamozai, 1982, S. 174 – 177; Eicker, 2009, S. 183.

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wandelt werden sollten, geglückt ist, scheint fraglich. Die Erfahrungen mit der Sozialdemokratie ließen es kaum angezeigt erscheinen, eine ähnliche Entwicklung in der Kolonie zu provozieren. Auch waren, wie gezeigt, nicht alle Farmer gleichermaßen von „Flucht“ und „Ungehorsam“ betroffen. Es gab demnach tausende Farmarbeiter, die Arbeiter in den Minen und Ortschaften nicht eingerechnet, die sich „dem System“ nicht entzogen oder deren Widerständigkeit bestenfalls schwer zu erkennen wäre. Handelte es sich bei ihnen bereits um ein afrikanisches „Proletariat“ mit einem entsprechenden Bewusstsein? Zum anderen waren die Fluchtgründe der Farmarbeiter mitunter weniger politisch, als ein Aufbegehren gegen „das System“ Glauben macht. Denn viele Arbeiter blieben nicht nur hoffnungslos, sondern auch hungrig. Ein Bezirksamtmann führte „das häufige Entlaufen der Eingeborenen [von den Farmen] vor allem auf schlechte, ungenügende Ernährung, de[n] häufigen Viehdiebstahl auf direkten Fleischhunger zurück“. Daraufhin ließ sich das Gouvernement über die „Verpflegung und Entlohnung der eingeborenen Farmarbeiter“ berichten.384 Versorgung als koloniales Sicherheitsrisiko Farmarbeit bot häufig keine angemessene Lebensgrundlage für einen afrikanischen Farmarbeiter und seine Familie. Der Arzt Dr. Bail diagnostizierte an einem von ihm untersuchten Farmarbeiter einen „Ernährungszustand“, der „zu wünschen übrig“ ließe. 1912 wurde festgestellt, dass im günstig gelegenen Zentralhereroland 75 % der Arbeiter Rationen bekamen, die unter dem Minimum an lebensnotwendigen Kalorien und Proteinen lagen.385 Im Gouvernement wurde dies in Einzelfällen thematisiert. So hieß es über die tägliche Ration eines bei Farmer Wulff arbeitenden Herero: „Ein Becher Mais, welcher an Gewicht kaum 34 Pfund ausmacht, ist für einen Eingeborenen, der den ganzen Tag arbeiten muß zu wenig; noch dazu wo Fleisch, Milch und Fett überhaupt nicht gegeben wird.“386 Da auch ein Lohn in Geld oft nicht, oder (trotz Verbots) in Waren, ausgezahlt wurde, was ein „offenes Geheimnis“ war, waren die Arbeiter gezwungen, ihre Versorgung durch Aas, ,Wilderei‘, Diebstahl, Viehvergiftung und Sammeln aufzubessern.387 Es erstaunt deshalb, wenn in der Forschung vom „Rückzug in das Dienstverhältnis“ als einer „neue[n] ungewöhnliche[n] Sicherheit“ für die Afrikaner die Rede ist.388 Diese waren umso eher geneigt, in den ,Busch‘ zu entfliehen, als sie dort zwar ebenso Hunger leiden konnten wie auf einer Farm, doch nicht mehr geschlagen wurden. Der häufig gemeldete Diebstahl von Lebensmitteln durch Arbeiter

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NAN BSW 73, E 1 a 1, Gouv an BA Swakopmund, 12.11.12. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.61, Bail an BA Windhuk, 19.1.09; vgl. Bley, 1968, S. 287 f. NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.48, Gouv an BA Windhuk, 23.11.12. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.119, Vernehmung, 7.10.11; NAN ZBU 2365, VII m, Bl.20, DA Bethanien an Gouv, 6.6.13; Bl.34, Hirschberg an Gouv, 11.6.13; Bl.44, Pueschel an Gouv, 6.6.13. 388 Bley, 1968, S. 288; zur Armut der Landarbeiter im kolonialen Afrika Iliffe, 1987, S. 143 f.

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kurz vor einer Flucht betont diesen Zusammenhang ebenso,389 wie der Hinweis des Bezirkschefs Schultze-Jena, dass die „weitaus größte Zahl dieser [Vieh-] Diebstähle … von den Viehwächtern der Farmer an deren eigenem Vieh vorgenommen wurden.“390 Für die Sicherheitslage innerhalb der Kolonie bedeutete diese wissentlich hingenommene Verelendung eines Teils der Bevölkerung eine schwere Hypothek – was sich in der täglichen Polizeiarbeit zeigte: Der Zusammenhang zwischen schlechter Verpflegung und Behandlung und dem „Viehdiebstahl“ sowie der „Bandenbildung“ war nachvollziehbar. Das Gouvernement wollte der schlechten Ernährung 1912 durch die Einführung der Kartoffel entgegenwirken und erwartete, dass die Amtsvorstände sich „mit dieser für unser Land besonders wichtigen Angelegenheit selbst befassen“.391 Doch führte auch dies zu keiner besseren Ernährung der Arbeiter. Einige Arbeiter informierten das Bezirksamt über die schlechte Versorgung und baten „häufig …, sie doch zu einem anderen Dienstherrn zu geben, damit sie zu essen bekämen.“392 Solchen Wünschen wurde mitunter stattgegeben. Distriktschef Fromm aus Okahandja gab bereits 1908 den Farmern die Schuld für die Missstände: „Wo der Eingeborene, vor allen Dingen der Herero, genügend Beköstigung und den vereinbarten Lohn in bar bekommt, bleibt er auch bei schwerer Arbeit.“393 Ein Amtsnachfolger Fromms konnte den Klagen der Arbeitgeber ebenso wenig abgewinnen und wusste von „vielen“ Beispielen, „die zeigen, dass der Eingeborene im allgemeinen nicht auf dem niederträchtigen Standpunkt steht, auf den ihn viele Leute stellen wollen.“ Auch er sah in der schlechten Behandlung und Versorgung den Hauptgrund für das anhaltende Entweichen. „Ein grosser Prozentsatz der heute noch im Busch sitzenden Eingeborenen, hält sich dort, wie bestimmt angenommen werden darf, nur aus den angeführten Gründen auf.“394 Wegen dieser Abneigung vieler Arbeiter gegen ihre Arbeitgeber hielt der Distriktschef von Omaruru es selbst für „möglich“, „daß die Eingeborenen sich ihrer zu entledigen suchen werden.“395 (Un-)Vermeidbarkeit der Brutalität? Einsichten der Kolonialbeamten Doch das Gegenteil war der Fall. Nicht nur die Versorgung der Farmarbeiter blieb auf einem unzureichenden Niveau. Auch die Gewaltbereitschaft vieler Farmer wurde durch die Vertreter des Kolonialstaats nicht eingedämmt, obwohl sich seit Leutwein alle Gouverneure dieses Problems bewusst waren. Das Gouvernement ersah 1913 „aus den Zeitungen“, wie es in einem Schreiben an 389 390 391 392 393 394 395

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Vgl. NAN BOM 53, 28, PolSt Okozongutu an BA Omaruru, 9.9.14. NAN ZBU 158, A VI a 3, Bd.23, Bl.10, Jahresbericht des BA Outjo, 1910/11, 10.4.11. NAN BWI 37, E 1 g, Bd.2, Bl.33, Gouv an alle BA + DA, 16.3.12. NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.77, DA Gobabis an Gouv, 3.1.12. NAN ZBU 694, F V f 1, Bd.1, Bl.209, DA Okahandja an Gouv, 9.7.08. NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.228, DA Okahandja an Gouv, 16.11.13. NAN ZBU 2365, Geheimakten – VII m, Bl.12, DA Omaruru an Gouv, 27.5.13.

das Bezirksamt Windhoek hieß, dass „in letzter Zeit mehrere Male von dortigen Farmern Eingeborenen gegenüber von der Schußwaffe Gebrauch gemacht worden [sei,] z. T. mit tödlichem Ausgang.“396 Der Bezirkschef berichtete daraufhin von zwei Fällen, in denen „Eingeborene von Farmern erschossen“ worden waren. Im ersten Fall – einem Handgemenge mit einem Gewehr – waren die Ermittlungen gegen den Farmer bereits eingestellt, da ihm Notwehr zugebilligt worden war. Nach Ansicht des Bezirksamtmann Todt „zu Unrecht“. Er hielt den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung mit Todesfolge erfüllt. Auch sei es „dringend erforderlich, dass die Sache zur Verhandlung kommt; denn [die Eingeborenen] sehen sich sonst rechtlos den Gewalttätigkeiten und Missbräuchen ihrer Dienstherren ausgesetzt. Schon die lange Dauer des Kramerprozesses macht sie stutzig; selbst Farmer, die das Abschiessen und sinnlose Verprügeln der Eingeborenen billigen, haben mir gegenüber geäussert, dass sich in letzter Zeit eine gewisse Widerspenstigkeit, selbst bei sonst tüchtigen Eingeborenen, bemerkbar mache. Sie führen das allerdings auf die milde Eingeborenenpolitik der Regierung zurück; mir scheint aber die rohe Eingeborenenpolitik der Farmer der wahre Grund zu sein.“

Der Bezirksamtmann sprach sich für die Wiederaufnahme des Verfahrens aus, was das Gouvernement aus Mangel an Beweisen ablehnte. Im zweiten Fall war Anklage – wegen Tötung auf Verlangen – erhoben worden.397 Auch auf Seiten des Militärs, und nicht nur in den oberen Rängen, wurden die (Vermeidbarkeit der) Brutalität der Farmer und die schlechte Verpflegung der Arbeiter diskutiert. So berichtete der Vizefeldwebel Lange von einem „blinden Buschmann“, dem er am Nossob begegnet sei: „Auf meine Frage, warum er jetzt blind und verrückt sei, erzählten seine Frau und die Klippkaffern, ein Farmer ,Kapp oder Bapp‘ von Witvley hätte ihn mit einem Spaten vor den Kopf geschlagen.“ Ein von Lange Gefangengenommener war „bei Farmer Thalheim gewesen, dort aber entlaufen, weil er keine Kost bekommen.“ Die Kommentierung solcher Aussagen konnte er seinem Vorgesetzten, Hauptmann Mansfeld, überlassen.398 Dieser bezog Stellung und hielt eine Untersuchung der „Erzählung des mißhandelten Buschmanns“ für angebracht. Auch berichtete er an das Kommando, die „eingefangenen Klippkaffern und die Hottentotten klagten über schlechte Behandlung durch die Farmer, viele Hiebe, wenig Kost. Wollten gern bei der Truppe arbeiten, aber nicht beim Farmer. Möglich, dass sie übertreiben und lügen. Indessen habe ich diese Klage von zugelaufenen Eingeborenen doch nun schon häufiger gehört; z.Zt ist wieder ein zugelaufener Herero bei der Kompagnie … Er soll faul und verlogen sein, 396 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1,Bl.242, Gouv an BA Windhuk, 28.1.13. 397 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.15, BAWindhuk an Gouv, 11.2.13; Bl.17, Gouv an BAWindhuk, 25.2.13. Zum Prozess Baas: Keetmanshooper Zeitung I. Jg # 2, 1.5. 1913, S. 2. 398 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl. 109, Bericht über Patrouillen, 13.2.14.

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gilt hier als einer der besten Leute. … Es scheint also nicht immer allein an den Eingeborenen zu liegen.

Kommandeur v. Heydebreck sandte das Schreiben Mansfelds, der die Sache beim „nächsten Landesrat zur Sprache gebracht“ wissen wollte, an das Gouvernement. Er versprach sich von einer „Besprechung der Behandlung Eingeborener durch Farmer im Landesrat … keinen Erfolg.“ Doch „teil[t]e“ er die Ansichten Mansfelds.399 Die Flucht von Farmarbeitern war ein wirtschaftliches wie polizeiliches Problem für die Kolonialverwaltung. Die Aufnahme der Sachverhalte, Nachforschungen und Wieder- oder Neuzuweisungen von Arbeitern banden Kräfte auf den Stationen wie in den Bezirksverwaltungen.400 Als das Distriktsamt Gobabis, wo das „Entlaufen“ einen Umfang angenommen hatte wie „wohl in keinem anderen Bezirk“, im Januar 1912 einen „Austausch [entlaufener] Eingeborenen zwischen den einzelnen Ämtern“ vorschlug, lehnte das Gouvernement dies ab. Statt solcher verwaltungstechnischen Maßnahmen, war „in erster Linie … dem Grund zum Entlaufen nachzugehen.“ Der Hinweis, dies müsse „z.gr.T. an der schlechten Behandlung der Eingeborenen seitens der Bevölkerung liegen“, wurde jedoch gestrichen.401 Für manche Autoren belegt auch das hier beschriebene Verhalten der Farmer einen „ursächlichen Zusammenhang zwischen dem damaligen Siedlerkolonialismus und der NS-Diktatur.“ „Seine besonders zugespitzte Ausdrucksform und Praxis fand das … deutsche Herrenmenschentum in DSWA“.402 Doch ist es fraglich, ob diese Wortwahl analytische Schärfe besitzt: Nicht ein ideologisch gestähltes „Herrenmenschentum“, sondern eine oft alkoholschwangere Maßlosigkeit zeichnet für die Brutalität jener verantwortlich, die von ihrer afrikanischen Umwelt ebenso überfordert waren, wie von den wirtschaftlichen Zwängen eines Farmbetriebs. Der Verlust jeden Maßes über die Frustration enttäuschter Hoffnungen vermag in Verbindung mit einer weitgehenden Hinnahme von Seiten der Verwaltung das Verhalten der Farmer und die Zustände auf ihren Anwesen eher zu begründen als eine bestimmte, womöglich schon aus Deutschland ,mitgebrachte‘ Ideologie, die sich aus ihren Äußerungen nicht belegen lässt.403

399 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl. 112, Hpt Mansfeld an KdoSüd, 13.2.14; Bl.105, KdoSchTr an Gouv, 9.4.14. 400 Vgl. NAN BWI 36, E 1 d, wo die Flucht von Farmarbeitern behandelt wird. 401 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl.109, DA Gobabis an Gouv, 3.1.12; Bl.111, Gouv an DA Gobabis, 23.1.12. 402 Kößler/Melber, 2004, S. 58, 37; zum europ. Vergleich Gerwarth/Malinowski, 2007, S. 448 f. 403 Zum „völkischen Denken“ im Imperialismus: van Laak, 2005, S. 57; ob Farmer damit vertraut waren, bleibt offen, vgl. Bley, 1995, S. 141; Gewald, 2003a; zur zeitgenöss. Kritik z. B. Blaschke, 1997, S. 204.

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5.2.4. Die wirtschaftlichen Situation der Farmer „Deutsch-Südwestafrika [ist] ein armes Land“.404 „[U]nsere Kolonien [sind] bisher noch nicht Quellen von Einnahmen für das Reich und Quellen von Reichtum für einzelne geworden, und das hat viele enttäuscht“405

Fragt man nach den Ursachen der Gewalt auf den Farmen, so ist die wirtschaftliche Lage der Farmer zu berücksichtigen – die nicht entschuldigen, aber teilweise zu erklären vermag, wie Frustration und Gewalt zusammen wirkten. Für den Historiker T. Emmet war die „increasing brutality [der Farmer] in large measure a product of the contradictions and strains, in short, the unworkability, of the labour system imposed after 1907.“406 Die Ausbeutung von Rohstoffen sowie die Einführung von Lohnarbeit und Geldwirtschaft in den abhängigen Gebieten sollten den Kolonialismus zu einem wirtschaftlich lohnenden Unterfangen machen. Erfolg wurde diesen Bestrebungen nur begrenzt zu Teil.407 Früh schon, in seinem zweiten Jahrgang, (1900) hielt es der Windhoeker Anzeiger für geboten, darauf hinzuweisen, dass dem südwestafrikanischen Ansiedler „Energie, Verständnis für die Verhältnisse und Kapital zur Verfügung stehen“ müssten. Diese „drei Dinge [seien] nöthig“, wenn „der Unternehmer Freude an dem Unternehmen haben soll“.408 Doch der durchschnittliche Einwanderer am Swakopmunder Hafen vermochte diesen Anforderungen nur schwer zu genügen. War ihre fachliche Kompetenz auch von gutem Ruf, so blieb die Kapitalausstattung der Farmer fast durchweg ungenügend.409 20.–25.000 Mark brauchte ein Ansiedler als Startkapital, so die Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung 1901. Diese Zahl beruhte auf der Erfahrung der vielen Gescheiterten: Zehn Jahre zuvor galten 7.–9.000 Mark als ausreichend.410 Staatssekretär Dernburg bemerkte 1908 in Swakopmund: „Südwest“ sei „kein Land, in das man hineinkommen kann mit allzu geringen Mitteln und sagen kann: Nun will ich mal ein bischen anfangen“. Vielmehr sei „Südwest“ ein Land, „in das jedermann, was er zunächst besitzen muss, selbst mitbringen muss, in dem man nicht unerhebliche Kapitalien braucht.“411 Über derartige Summen verfügte kaum jemand. Schon 1893 scheute sich die Kolonialabteilung nicht, von „der traurigen Lager der Ansiedler in Windhoek“ zu sprechen.412 Den finanziellen Schwierigkeiten versuchte die 404 405 406 407 408 409 410 411 412

Rathenau, 1928 [1908], S. 132 f.; vgl auch Dernburg, 1909. Merensky, 1905, S. 4; vgl. Schmidt, 2008, S. 273. Emmet, 1999, S. 62. Vgl. Torp, 2005, S. 31; 78; Hiery, 2002, S. 31; Sombart, 1927 I, S. 70. Windhoeker Anzeiger II. Jg # 3, 17.1. 1900, S. 6; vgl. Zastrow, 1926, S. 163 f. Vgl. Arendt, 1906, S. 41; Bongard, 1909, S. 25. DSWA-Ztg III. Jg # 28, 11.12. 1901, S. 2; BAB R 8023/600, fol.1, Bl.3, o.D. (~1890). Bongard, 1909, S. 134 f. (Programmrede, 21.8. 1908); vgl. Walther, 2002, S. 16. BAB R 8023/600, fol.1, Bl.75, AA an Syndikat, 27.12.93; Bl.64, Anlagen, 20.12.94.

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Verwaltung durch „Ansiedlerbeihilfen“ zu begegnen, doch konnten damit allenfalls Anfangsschwierigkeiten wie der Landkauf bewältigt werden. Auf die Verwendung dieser staatlichen Gelder nahmen die Vorläufer der Landespolizei, die Polizeiämter mit ihren abkommandierten Militärs Einfluss. Sie hatten nach einem „Schema“ die „Persönlichkeit des zu Unterstützenden“ einzuschätzen und diese Einschätzung dem Bezirksamt zu übermitteln.413 Doch erlebte die Kolonialverwaltung vor allem mit Kleinsiedlungen („Heimstätten“), durch die das Hereroland so schnell wie möglich besiedelt werden sollte, eine herbe Niederlage. Anfangs hatte die Deutsche Kolonialgesellschaft hehre Hoffnungen gehegt und geweckt.414 Es galt Anteile an einem Siedlungssyndikat zu zeichnen. Doch die Nachfrage hielt sich in Grenzen. Es fehlte an Kapital und Kompetenz. Bereits Reichskommissar Göring hatte sich gegenüber Bismarck über koloniale Unternehmer mokiert: „Auf der einen Seite also eine Gesellschaft, die nichts unternehmen will und auf der anderen Seite eine solche, die es nicht kann.“415 Hinzu kamen 1895 Korruptionsskandale, Prozesse und eine unerfreuliche Presse über „Kolonialschwindel“ und „koloniale Zechpreller“. Siedler fühlten sich unter falschen Angaben ins Land gelockt und um ihre Ersparnisse betrogen.416 Dem Reichstag blieb dies nicht verborgen. Es hagelte Kritik an einer Landpolitik, die riesige Gebiete an einige wenige – mitunter britische – Gesellschaften konzessionierte. Kolonialdirektor P. Kayser hatte einen schweren Stand und berichtete resignierend: „es liegt in der Tendenz der Zeit, das Großkapital totzuschlagen. Ohne dasselbe ist aber in den Kolonien nichts zu machen“.417 Die Verwaltung sah daher keine Alternative zur Politik der kleinen Schritte und setzte ihre Versuche mit den Heimstätten fort. Staatssekretär v. Lindequist war als Gouverneur ein bekennender Anhänger der Kleinsiedlungen gewesen, wohingegen sein Nachfolger „Solf seine Abneigung gegen die Förderung kolonialer Kleinsiedlung … nicht verbergen konnte.“418 Bis zu 6.000 Mark Zuschuss gewährte die Verwaltung auch später pro Ansiedler, der bei einem neuen „Aufstand“ sich einer „Bürgerwehr“ hätte anschließen sollen. Doch auf sechs bis zehn Hektar, die ihnen für Acker- und Gartenbau zugedacht waren, konnten diese, in der Landwirtschaft oft wenig erfahrenen „Wehrbauern“,419 kein Auskommen finden. In einem Land, in dem es zu wenig Konsumenten und Regen, aber zu viele Heuschrecken420 und Dürreperioden 413 414 415 416 417 418 419 420

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NAN BKE 291, U.A.33/3, BHpt Keetmanshoop an Polizeiamt, 15.6.00. Vgl.BAB R 8023/600, fol.1, Bl.36, Südwestafrikan. Siedlung an Abtlg. DKG, 12.5.92. BAB R 1001/9328, Bl. 1538, Dr. Göring an v. Bismarck, 15.5.87. BAB R 8023/602, fol.1, Bl.272; Giesebrecht, 1895, S. 1084 – 1100; Erzberger, 1910; Valentin, 1936, S. 706; vgl. Smith, 1978, S. 159 f. Kayser an Baron, 11.6.96, zit. in: Frank, 1943, S. 557; vgl. Schwarz, 1999, S. 110. Vietsch, 1961, S. 99; vgl. Newbury, 1967, S. 477; Rathenau, 1928 [1908], S. 134. Vgl. Kundrus, 2003, S. 62. Vgl. NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.52, BHpt Windhoek an Gouv, 6.11.99.

gab, mussten nicht nur „verkrachte Existenzen und Abenteurer“ wieder aufgeben. Diese „traurige Erfahrung“ der „Heimstätten“ und der finanzielle Verlust ließen die Regierung vorsichtiger mit Ansiedler-Beihilfen verfahren. Auch W. Rathenau kritisierte nach seiner Reise mit Staatssekretär Dernburg: „Nicht klare Kenntnis des Landes und richtige Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Fähigkeiten haben die meisten hinübergeführt, sondern phantastische Vorstellungen und dilettantische Ratschläge, zuweilen auch Lust am Abenteuer.“421 Aus der Umgebung Dernburgs hieß es unumwunden, die bisherige Siedlungspolitik sei „verkehrt“ gewesen. Denn der Grundsatz, immer mehr Menschen in das Land zu lassen, auch solche, die nur über unzureichenden Mittel verfügten, könnte, so die Befürchtung, „ein gefährliches Proletariat“ entstehen lassen.422 Der Gefahr, die von einer „weißen“ Unterschicht ausging, war sich die deutsche Verwaltung auf Grund der Erfahrungen Südafrikas und den dortigen blutigen Streiks bewusst. Der Begriff „poor whites“ war, wie auch in BritischIndien, seit den 1870er Jahren gebräuchlich, um jenes „Problem“ zu beschreiben, nach dem Armut keine Frage der Hautfarbe zu sein hatte.423 Mit dem Ende des Südafrikanischen Krieges verschärfte sich die Situation der „poor whites“ noch. Arme blankes aber bedrohten durch ihren niedrigen Lebensstandard („going native“) den sozial konstruierten ,Rassegegensatz‘ zwischen Europäern und Afrikanern. Die Gefahr „kultureller Degeneration“, einer „Verkafferung“ wirtschaftlich gescheiterter Einwanderer, stand der Kolonialverwaltung und -publizistik stets vor Augen.424 Die Möglichkeit der Verarmung blieb für Farmer und andere real. Das Bezirksamt Karibib berichtete 1905 über sich häufende Fälle von „völlig mittellosen Menschen, denen es nicht gelungen ist, Arbeit und Unterkommen zu finden“. Daher sei die Einwanderung dieses „internationalen Proletariats zu unterbinden.“425 Der Tätigkeitsbericht des Gibeoner Wirtschaftsvereins für 1910 schilderte die Schwierigkeiten im Bezirk, die ähnlich auch für die übrige Kolonie zu konstatieren waren: Danach gab es zum einen zu wenig Verkehr, der einen zügigen Warenabsatz ermöglicht hätte, zum anderen würden „bei dem Mangel an Bargeld … die Waren meist auf Kredit gegeben werden, was ein dauerndes Anwachsen der Aussenstände zur Folge hat.“426 Über andere Sachwerte, die in Geld umgesetzt werden konnten als das Muttervieh ver421 Rathenau, 1928 [1908], S. 115; zur Reise nach DSWA vgl. Schölzel, 2006, S. S. 76 – 118. 422 Bongard, 1909, S. 94 f. auf P. Rohrbach verweisend; vgl. v. Laak, 2004, S. 261 f. 423 Saunders, 1993, S. 242; vgl. Fischer-Tin, 2005, S. 171; Terblanche, 1995, S. 139; zur Diskussion über den White Trash vgl. Walgenbach, 2005, S. 37 f. 424 Walker, 1957, S. 545; Davenport/Saunders, 2000, S. 280 f.; Visser, 2005, S. 133 – 6; Hall, 2004, S. 49; Axter, 2005, S. 53; Walgenbach, 2005, S. 193 f.; 202 f.; Iliffe, 1987, S. 114 f. 425 NAN ZBU 770, G III e 2, Bd.1, Bl.79, BA Karibib an Gouv, 3.12.05; vgl. Gann/Duignan, 1977, S. 240 f; vgl. Schmidt, 2008, S. 278 – 284; Aitken, 2007. 426 NAN ZBU 159, AVI a 3, Bd.24, Bl.177, Geschäftsjahr 1910; vgl. Rathenau 1928 [1908] S. 134 f.; Külz, 1909, S. 367; vgl. schon Andersson, 1989, S. 132 (Eintrag vom 15.6. 1864).

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fügten die Farmer oft nicht; ihren Viehbestand anzugreifen war ihnen nicht möglich – hätten sie sich doch ihrer wirtschaftlichen Grundlage entledigt. Damit war die schon von Gouverneur Leutwein bekämpfte Kreditwirtschaft nach wie vor üblich und drückte durch überhöhte Preise auf das Einkommen der Farmer. Hinzu trat eine auffällige Unbedarftheit der Händler und Farmer in wirtschaftlichen Dingen: „Es wird nicht gerechnet“, klagte W. Rathenau.427 Wirtschaftlicher Erfolg stellte sich daher nur bei wenigen ein. Über P. Schmerenbeck bemerkte der Ansiedlungskommissar Rohrbach: „vor 30 Jahren hat er hier in Afrika mit nichts angefangen und jetzt ist er reich.“428 Sehr selten war in der Kolonie der unverhohlene Wohlstand eines Albert Voigts. Während aber Voigts’ Farm Tsubgarris 50.000 Hektar umfasste, auf denen er überwiegend Kleinvieh hielt und dabei „unter Berücksichtigung der eigenartigen strichweisen Regenverhältnisse vier Hektar Weideland“ für ein Schaf einrechnete, ging die Siedlungspolitik des Gouvernements von deutlich kleineren Flächen (rund 5.000 ha im Norden und 20.000 ha im Süden) aus. Da für einen Farmer alles vom teils äußerst seltenen Regen abhing, erklärte es sich, warum „man auf einer Farm von 5.000 Hektar, wenn sie in den Strich des ausbleibenden Regens fällt, keine 50 Stück Kleinvieh erhalten kann.“429 Wiederholt kamen Klagen darüber auf, dass es versäumt worden sei, „Maßregeln zu treffen, die es dem ankommenden Ansiedler ermöglichen, so schnell und kostenlos wie möglich in den Besitz seiner Scholle zu treten.“430 Denjenigen, die Land erhalten hatten, erschien ihre Farm oft zu klein. Auf einer Versammlung des Farmvereins Hasuur, auf der über die vom Gouvernement verkauften und ,zu kleinen‘ 5.000 ha Farmen diskutiert wurde, soll „ein Beamter, der die Regierung vertrat [geäußert haben], von 4 Farmen müßten immer drei bankerott machen und der vierte soll dann die Farmen kaufen und somit existenzberechtigt werden.“ Die Wut der Farmer richtete sich vor allem gegen die „Träger unserer Besiedlungspolitik, die [Referenten] Hintrager und Blumhagen“, die „noch jeden Gouverneur zu ihrer Ansicht zu beeinflussen gewußt“ hätten.431 Hintrager war bekannt dafür, kein Freund freigiebiger Landpolitik und Regierungsbeihilfen zu sein. In den ersten Tagen seiner Tätigkeit als stellvertretender Gouverneur ließ er sich vom ehemaligen Präsidenten des Oranjefreistaats, M.T. Steyn, 1904 in der Überzeugung bestärken, dass die Forderung der Siedler nach kostenloser Landvergabe zwar berechtigt sein könnte. Doch sprachen sich beide gegen sonstige „staatliche Geldunterstützung ohne Verpflichtung zur Rückgabe aus“: „Der Mann wird sonst immer wieder nach der Regierung und Hilfe und Unterstützung schauen.“432 427 428 429 430

Rathenau, 1928 [1908], S. 118. SHStA 12829, Nachlass Stübel Nr. 10, Bl.19, P. Rohrbach an seine Frau, 18.10.03. Bongard, 1909, S. 83 f. Herrmann, 1900, S. 54; vgl. Leserbrief in der Keetmanshooper Zeitung, I. Jg # 18, 21.8. 1913, S. 3; rechtfertigend: Blumhagen, 1934, S. 89. 431 Keetmanshooper Zeitung, I. Jg # 13, 17.7. 1913, S. 2; # 11, 3.7. 1913, S. 3. 432 NAN ZBU 1058, L II a 1, Bd. 1, Bl. 5 – Aufzeichnung, 1904; vgl. Liehr, 1995, S. 181 f.

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Auch wenn die Keetmanshooper Zeitung 1913 vom stetig zunehmenden Viehbestand als einem „sicheren Maßstab für die wachsende Wohlhabenheit der Kolonisten“433 sprach, hatte Gouverneur Seitz einen schweren Stand, als er vor dem Farmverein Keetmanshoop seine Ansicht verteidigte, „daß die bestehenden Farmgrößen ausreichend seien. … große Latifundien sollten nicht geschaffen werden. Es wäre der ständige Grundsatz: Mehr Menschen in das Land.“434 Die Forderung, „der schädlichen Ansammlung des Grundbesitzes in den Händen weniger entgegenzutreten“, war seit langem aufgestellt worden.435 Gleichwohl wurde insbesondere Hintrager vorgeworfen, die Verhältnisse im Süden nicht zu kennen und die Farmen zu klein abzumessen.436 Besuchern aus Deutschland fielen die dortigen schlechten Weideverhältnisse auf. Als „geradezu hoffnungslos aussehendes Land“ beschrieb ein Begleiter des Staatssekretärs B. Dernburg im Juli 1908 die Gegend um Keetmanshoop und hoffte auf den Bau von Brunnen. Wo solche Arbeiten aus finanziellen Gründen nicht möglich waren, bestanden kaum Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg. Auf zu kleinen Farmen hatten viele Farmer einen Teufelskreis aus zu wenig Regen, zu wenig Vieh und Überschuldung zu erwarten, der sie „dem Untergang entgegenführt“.437 G. Noske konzedierte 1912, „daß der weitaus größte Teil der Ansiedler in Südwestafrika gegenwärtig ein ziemlich kümmerliches Dasein führt“.438 Der Mangel an Kapital hatte negative Folgen für die Investitionen, vor allem aber für die Arbeitskräfte. Da aufgrund des Arbeitermangels und der zunehmenden Nachfrage mit steigenden Löhnen zu rechnen war, wirkte sich dies negativ auf finanziell angeschlagene Farmer aus.439 Eine Möglichkeit der Farmer, ihre Geldknappheit auszugleichen, war die Verringerung der Löhne oder sonstiger Leistungen für ihre Arbeiter. Da sich einige nicht scheuten, dabei jedes erträgliche Maß zu unterschreiten, schufen sie den Anreiz zu Flucht und Diebstahl. Enttäuscht in ihren Erwartungen und den Bankrott vor Augen, steigerte dies die Frustration (und mitunter den Alkoholkonsum) dieser Farmer, der sie durch Gewalt gegen ihre Arbeiter Ausdruck verliehen. Ihr Verhalten wurde zur maßgeblichen Belastung der Sicherheitslage in der Kolonie, je maßloser und enthemmter sie auftraten. Auch den Zeitgenossen fiel das abschreckende Verhalten vieler Siedler auf, wie die oben angeführten Äußerungen selbst der Verwaltungsspitzen über die „moralische Minderwertigkeit“ der Deutschen in DSWA zeigen. Die Gründe dafür wurden gern in einer diffusen Mischung aus Medizin und Sozialver433 Keetmanshooper Zeitung, I. Jg # 1, 24.4. 1913, Beilage, S. 1; vgl. Mogk, 1972, S. 177; Südwestbote, 11. Jg. # 64, 29. 5. 1914, S. 1. 434 Keetmanshooper Zeitung, I. Jg # 20, 4.9. 1913, S. 2; vgl. Rathenau, 1928 [1908], S. 130. 435 Stengel, 1898, S. 245. 436 Keetmanshooper Zeitung, I. Jg # 20, 4.9. 1913, S. 3. 437 Bongard, 1909, S. 64; 111; Südwestbote, 11. Jg. # 12, 27. 1. 1914, S. 1. 438 SBRT, Bd. 285, 13. Leg. Per. 1. Sess. 1912/14, 53. Sitzung, 2.5. 1912, S. 1640. 439 Vgl. Bley, 1968, S. 234 f. zur Interessendurchsetzung der Farmer durch Selbstverwaltung.

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halten gesucht und entschuldigend ein eigenes Krankheitsbild entworfen: Während kritischere Geister im „Tropenkoller“ den „ironischen Ausdruck“ für eine „Emporkömmlingskrankheit“ sahen, galt dieser einigen Ärzten als ,Krankheitsform‘, mit der ein „die Angehörigen gemäßigter Klimate in den Tropen häufig befallender Zustand“ beschrieben wurde, über dessen Ursachen und Folgen eine gewisse Übereinkunft herrschte: „Alkoholmissbrauch, Malaria, Dysenterie, Überanstrengung, Vereinsamung, das Gefühl großer Verantwortlichkeit gegenüber einer als minderwertig angesehenen Rasse, das Fortfallen aller konventionellen Rücksicht bringen den T[ropenkoller] zum Ausbruch. Es zeigt sich ein rapides Sinken des moralischen Urteils, der einzelnen ethischen Prinzipien bei scharf pointiertem, oft ausartendem Selbstgefühl, launenhaften, eigensinnigen, sprunghaft wechselnden Stimmungen, auffallender Reizbarkeit, rohen, oft unmotivierten Gewalttaten ohne merkliches Sinken der Intelligenz, ja häufig bei gesteigerter Beobachtungsgabe und reger Auffassung. Wollüstig-grausame (sadistische) Handlungen finden sich allgemein bei T[ropenkoller].“440

„Vor diesem Hintergrund konnten die Argumente, mit denen sich koloniale Gewalttäter zu Patienten stilisierten, durchaus einige Plausibilität beanspruchen.“ Doch gab es Ärzte, die bestritten, „daß äußere Einflüsse überhaupt eine Störung des ,Moralgefühls‘ hervorrufen könnten.“ Ein prägnanter Einzelfall, der bei aller Exzessivität doch beispielhafte Züge für jenes Verhalten trug, das schon dem Prinzen Prosper von Arensberg mit dem „Tropenkoller“ entschuldigt wurde,441 ebenso wie für ein gescheitertes ,südwester Farmerleben‘ in Verrohung und Maßlosigkeit, lässt sich aus den Gerichtsakten über Kurt Berner rekonstruieren: Der wohl situierte Sohn eines Rechtsanwalts war nach dem Tode des Vaters 1908 im Alter von 23 Jahren nach Südwestafrika gekommen, hatte eine Farm bei Epukiro am Rand der Kalahari-Wüste erworben, „binnen kurzem aber das ihm zur Verfügung stehende Vermögen von 50.000 M vertan“. Er arbeitete in den folgenden Jahren auf verschiedenen Farmen; kam jedoch mit seinen Arbeitgebern nicht aus. In dieser Zeit stellte sich auch sein erheblicher Alkoholkonsum ein. Im August 1913, nachdem er abermals eine Stellung aufgegeben hatte, bedrohte er auf dem Weg nach Grootfontein „seine 3 Eingeborenen“. Nach mehreren Flaschen Alkohol griff er schließlich zum Gewehr : „Als Goareb ihm vorhielt, er dürfe doch nicht schießen, es gäbe doch eine Polizei, erwiderte er [Berner], er sei selbst ein Polizist, ein Polizist schieße Leute tot und deshalb werde er auch schießen.“ Dies tat Berner daraufhin. Sein Fahrer „Hans fiel sofort tot um.“ Berner stellte sich am nächsten Tag der Polizei, ein Schuss müsse sich versehentlich gelöst haben, im Übrigen sei er betrunken gewesen und könne sich „an nichts mehr erinnern“. Doch 440 Art. Tropenkoller, in: Meyers Großes Konversationslexikon, Bd.19, Leipzig (6. Aufl.) 1909, S. 745; Maß, 2006, S. 150; Besser, 2004, S. 302; 307. 441 Besser, 2004, S. 303 f.; Wdhk Anzeiger, II. Jg. # 5, 28. 2. 1900, S. 1; Wildenthal, 2001, S. 76.

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weder das Bezirksgericht, noch das Obergericht schenkten ihm Glauben. Er wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Auch der Gouverneur zeigte sich ob dieser motivlosen Brutalität beunruhigt und wollte die Akten selbst einsehen. Er wies Berner daraufhin aus dem Schutzgebiet aus, der einer „heimischen Strafanstalt zur Strafverbüßung“ überwiesen wurde.442

5.2.5. Das Zusammenwirken von Farmern mit der Polizei Die „Stimmung, die gegen die Polizei im Lande herrscht[e]“443 änderte nichts an der Abhängigkeit der Farmer von der Landespolizei. Zwar konnte auch diese Viehdiebstähle und Arbeiterflucht nicht unterbinden, weil die Farmer nicht willens waren, deren Ursachen abzustellen. Doch ohne die Polizei auszukommen, wäre kaum eine praktikable Alternative gewesen. Nähe und Ferne der Polizeistationen Dass sich die Farmer ihrer Abhängigkeit von der Polizei bewusst waren, zeigt sich an dem Interesse, das viele daran hatten, ihre Farm in der Nähe einer Polizeistation zu wissen. Mit dramatischen Worten bat etwa der Farmverein Kalkfeld um die Verlegung einer Bahnstation und deren Polizeibesatzung.444 Mit gleichem Anliegen machte sich auch der Farmer V. v. Oertzen für die Beibehaltung der aufgehobenen Polizeistation Brakwater stark. Er begründete sein Ersuchen damit, dass die nun für ihn zuständige Station „2 Tage von hier entfernt“ läge. Für „eilige Angelegenheiten“ sei sie unerreichbar. Er verwies auch auf Sicherheitsaspekte: die Gegend sei „für umhertreibende Elemente eine sehr gesuchte“.445 Zum Ärger des Gouvernements war auch die Landespolizei organisatorisch von den Farmern abhängig. 1911 befanden sich 19 Polizeistationen (d. h. 20 %) auf privatem Farmgelände. Häufig waren die Stationen in Häusern der Farmer untergebracht. Während für manche Miete gezahlt wurde, stellten andere Farmer ihr Land kostenlos zur Verfügung und gestatteten die Weideund Wassernutzung. Verträge darüber fehlten meist.446 Dass das Gouvernement mit der rechtlichen Unsicherheit solcher Abmachungen nicht zufrieden sein konnte, lag auf der Hand. Im Streitfall wäre die Station auf Verlangen des 442 BAB R 1002/2363, Bl.190 – 93, Urteil. Strafsache Berner, 30.12.13; Bl.139, BA G‘fontein an BG Omaruru, 15.10.13; Bl.207, Gouv an BG Omaruru, 16.1.14; BAB R 1002/2363a, Bl.5, Aussage, 17.12.13; Bl.13, Aussage Eingis, 21.12.13; Bl.18, Vernehmung Berner, 5.1.14; Bl.48, Urteil, 8.4.14; Bl.263, BA Swakopmund an BG Omaruru, 2.7.14; vgl. Osterhaus, 1990, S. 170; Schmidt, 2008, S. 279 f. 443 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.21, BA Grootfontein an Gouv, 18.3.13. 444 NAN ZBU 748, G I c 2, Bd.2, Bl.28, BA Omaruru an Gouv, 29.4.14; Bl. 30, Eingabe Farmverein 1.4.14: das BA Omaruru erachtete die Eingabe für „masslos übertrieben.“ 445 NAN ZBU 748, G I c 2, Bd.2, Bl.100 – 101, V. v. Oertzen an Gouv, 10.7.14. 446 NAN LPO 4, O I c 27, Polizeistationen und Depots,[~1909].

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Eigentümers aufzulösen gewesen. Die Berechnung der Investitionen hätte gerichtliche Auseinandersetzungen zu Folge haben können. Daher waren die Farmer zu bewegen, etwa 1 ha um die Station herum an den Fiskus zu verkaufen. Während einige Farmer das gewünschte Land kostenlos abtraten,447 lehnten andere einen Verkauf ab. In der sich über ein Jahr hinziehenden Auseinandersetzung zwischen der Inspektion und dem Farmer Schmerenbeck um die Station Hasuur musste schließlich der stellvertretende Gouverneur Hintrager ein Machtwort sprechen: „Wenn Schmerenbeck … kein Land abtreten will, so besteht keine rechtliche Möglichkeit, ihn dazu zu zwingen.“448 Eine Enteignung des angesehenen ,alten Afrikaners‘ zu polizeilichen Zwecken kam nicht in Frage. Die Vorteile für die Farmer, eine Polizeistation in ihrer unmittelbaren Nähe zu haben, waren offenkundig. Neben der Sicherheit, die die Beamten boten, waren sie die ersten Ansprechpartner in allen administrativen Angelegenheiten. Während andernorts tagelang geritten werden musste, um einen Beamten zu sprechen, war er hier ,vor Ort‘. Auch hingen die Farmer bei vielen Verwaltungsentscheidungen vom Votum der Stationsbeamten ab, da sie häufig dem Amt eine Stellungnahme zu den Anträgen der Farmer zu übermitteln hatten – ob es sich nun um die Genehmigung „zum Abrennen von Sauergrass“ oder um das Gesuch um Unterstützung einer Frau handelte, deren Mann zum Militär eingezogen worden war.449 Durch die Nähe und besonderes Entgegenkommen bot sich die Möglichkeit, die Beamten im eigenen Sinne zu beeinflussen. Falls Mietzahlungen vereinbart waren, schuf dies eine Zusatzeinnahme. Auch sahen manche Vereinbarungen vor, dass nach Ablauf der Vertragsdauer die staatlich errichteten Gebäude in den Besitz des Farmers übergingen. Farmer konnten im Notfall auf Bestände der Polizeistationen zurückgreifen.450 Umgekehrt konnten sich Beamte bei ihren Patrouillen auf viele Farmer verlassen; wenn die Weide schlecht war, liehen sie sich Hafer für ihre Pferde.451 Darüber hinaus spielte der soziale Aspekt eine Rolle: In der Abgeschiedenheit des Farmlebens brachte die Anwesenheit Deutscher eine willkommene Abwechslung.452 Nur eine Minderheit der Farmer konnte für sich den Vorteil, der manchen zum Nachteil gereichte,453 einer Polizeistation in unmittelbarer Nähe verbu447 NAN LPO 4,O I c 27, Bl.174, DAWarmbad an Gouv, 14.9.11; Bl.110, BAWdh an Gouv, 19.12. 10. 448 NAN LPO 4, O I c 27, Bl. 65, BA Karibib, 18.9.09; Bl.49, Gouv an ILP, 8.11.12. 449 NAN BOM 53, 28, DA Omaruru an PolSt Omaruru, 21.8.12; vgl. ebd. Anna Naß an PolSt Burgkeller, 6.5.15. 450 Vgl. NAN BWI 438, Nachweisung Sanitätsmaterial PolSt Hatzamas, 1.4.13. 451 NAN BKE 199, B II 66 a, Bd. 2, Bl.75, Dienstbuch Hasuur, Eintrag vom 9.2.08. 452 Vgl. Mamozai, 1982, S. 148; NAN BWI 160, L 2 i, Bd.7, PolSt Hohenwarte an BA Windhuk, 9.2.15: die Tochter eines Polizeibeamten wohnte auf einer der Station benachbarten Farm. 453 Vgl. NAN LPO 4, O I c 27, Bl.154, DA Maltahöhe an Gouv, 8.12. 10. Es kam vor, dass Ansiedler auf „Verlegung der Station … drängt[en].“ Hier war es die verstärkte Aufsicht der nahe gelegenen Stationen, die es den Farmern günstiger erscheinen ließ, die Polizei in möglichster

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chen. Da es aber die Farmer waren, die die Schwäche des Kolonialstaats als erste und ihrem Eigentum, dem gestohlenen Vieh, wahrnahmen, verwundert es nicht, dass sie sich – so sie fernab von Stationen lagen – mit ihrer Bitte um „Polizeischutz“ durch Patrouillen mitunter direkt an Bezirksämter oder das Gouvernement wandten.454 So bat der Farmer Krasemann um eine Patrouille, da es ihm „sehr lieb [sei,] wenn ich von den so ausreichenden Gesetzen vor weiteren Viehdiebstählen geschützt würde.“ Diesem Wunsch kam das Bezirksamt Windhoek nach und wies eine Patrouille an, „daß sie um den 1. Juli herum [auf] Krasemanns Farm gastiert.“455 Doch teilweise ging es der Verwaltung lediglich darum, die Farmer durch Polizeipräsenz zufrieden zu stellen oder einer ,Legendenbildung‘ vorzubeugen.456 Gerüchte banden Finanzen und Personal. Daher beklagte das Gouvernement, „in welch unerhört leichtsinniger Weise von Farmern Gerüchte über angriffsweises Auftreten der Buschleute in die Welt gesetzt werden.“ Im Wiederholungsfalle drohte man „Farmern, die so leichtsinnig beunruhigende Gerüchte in die Welt setzen, die Kosten der behördlicherseits getroffenen Maßnahmen… auf[zu]erlegen.“457 Ähnlich resolut zeigte sich das Gouvernement, als die wegen der häufigen Viehdiebstähle durchgeführten Polizeipatrouillen im Bezirk Rehoboth „zur Beruhigung der aufgebrachten Farmergemüter … im Amtsblatt“ bekannt gegeben werden sollten. Der Referent in Windhoek bemerkte dazu: „unnötig. Jeder Farmer weiß, daß die Patr. geritten sind.“458 ,Polizierende‘ Farmer Da anerkanntermaßen eine angesichts der Sicherheitsprobleme ausreichende ,Polizeidichte‘ nicht zu ermöglichen war, regte das Bezirksamt Grootfontein 1906 die Übertragung von Polizeibefugnissen auf Farmer an, wie dies vor den Kriegen üblich war. Das Gouvernement aber lehnte dieses mit dem Gewaltmonopol unvereinbare Ansinnen als „ganz ausgeschlossen“ ab.459 Doch als der Polizeisergeant a.D. Boy 1914 die aufgegebene Polizeistation Zessfontein als

454 455 456

457 458 459

Entfernung zu wissen – sei es, weil sie sich über polizeiliche Gängelung beklagten oder wegen illegaler Geschäfte und/oder schlechter Behandlung ihrer Arbeitskräfte. NAN ZBU 748, G I c 2, Bd.2, Bl.78, Kowalke an BA Outjo, 1.8.14. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1, Bl.153, Gouv an Farmverband Mitte, 8.10.12. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 61, Krasemann an Gouv, 25.5.13; Bl.64, BAWindhuk an Gouv, 20.6.13; Bl.65 Gouv an Krasemann, 3.7.13. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 39a, Gouv an DA Gobabis 23.4.13; Bl.90, DA Gobabis an Gouv, 12.8.13: So sollte eine Patrouille in das Sandfeld entsandt werden, um den „Behauptungen der Farmer, das Sandfeld wäre voller Eingeborener, entgegenzutreten.“. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl. 2, Gouv an BA Grootfontein 5.2.14; Bl.12, BA Grootfontein an Gouv, 13.2.14. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.1,Bl. 154, BA Rehoboth an Gouv, 6.11.12. NAN ZBU 748, G I c 2, Bl. 8 – 10, BA Grootfontein an Gouv, 22.8.06. Antwort, Bl.11.

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Farm pachtete, verpflichtete er sich, die „Eingeborenenverhältnisse“ zu überwachen und über sie zu berichten.460 Generell maßten sich Farmer im Alltag polizeiliche Befugnisse ohne besondere Abmachung an. Belangt wurden sie dafür selten. In der Strafsache Berner zitierte ihn ein Zeuge mit den Worten: „Ach was, jetzt ist jeder Polizei.“ Oftmals waren die Polizeibeamten auf diese ,Mithilfe‘ angewiesen. Als A. Voigts eine Kuh abgetrieben wurde, bekam – einen Tag später – der „Hottentott Jakob … von dem Buren St. Burger den Auftrag mit den Buschleuten Nawib und Gorosib zusammen auf der Spur der Kuh zu folgen und wenn möglich die Buschleute (Viehdiebe) zu fangen.“461 Nach den – auch in der Kolonie – geltenden Bestimmungen des RStGB war ein solches Vorgehen unzulässig, da nach § 53 Notwehr und -hilfe nur geleistet werden durfte, wenn der Angriff „noch vorlieg[t]“. Auch die Festnahme der Viehdiebe durch die drei war nach der StPO nicht statthaft, da Privatpersonen einzig auf frischer Tat angetroffene Täter hätten festhalten dürfen – hier aber lagen zwei Tage zwischen dem Viehdiebstahl und ihrer Festnahme.462 Das in rechtlichen Fragen so auf die Einhaltung der Bestimmungen achtende Gouvernement, dessen Referatsleiter fast durchweg Juristen waren, legitimierte diese Praxis; kein Fragezeichen, nicht eine Randbemerkung findet sich auf dem Vernehmungsprotokoll des Jakob. Farmer ,verteilten‘ aber nicht nur polizeiliche Aufgaben, sie übernahmen sie auch selbst: Ein Farmer nahm, als er sein Vieh auf eine andere Farm brachte, „ [b]ei dieser Gelegenheit … 1 Kaffern, 2 Weiber, 3 Kinder gefangen.“ Zum Schutz der Tiere bewaffnete er seinen Viehwächter mit einem Gewehr M 71, was das Bezirksamt genehmigte.463 Der Farmer F. Ziegenbein wurde gar für die Kolonial-Denkmünze vorgeschlagen, da er sich an Patrouillen „von gutem Erfolg … freiwillig beteiligt“ hatte.464 Für ihre Dienste erhielten die Farmer teilweise eine Entschädigung. Die „Vergütung für 1 Weissen, der 1 Nacht bei dem Gefangenen ,Adam‘ Wache gehalten hat“ betrug 14,– M.465 Der Farmer Röder aber, der seinen eigenen „Zug“ gegen Viehdiebe unternommen und dabei drei Menschen erschossen hatte, wurde zu neun Monaten Gefängnis und Geldstrafe verurteilt.466 Eine Hilfe waren die Farmer nicht immer beim Aufspüren von Viehdieben. Die Patrouillenleiter beschwerten sich über Farmer, die „auch ohne böse Absicht“ ihre Arbeiter von der Ankunft einer Patrouille in Kenntnis setzten. Ein anderer dagegen, „der bei der Polizei den Namen ,Buschmannskapitän‘ 460 461 462 463 464

NAN ZBU 748, G I c 2, Bd.2, Bl. 45, BA Outjo, 21.5.14; NAN BOU 9, 4 Zessfontein. Zit in: Osterhaus, 1990, S. 170; NAN ZBU 479, D IV o, Bd.1, Bl. 58, Aussage, 4.10.08. Merkel, 1889, S. 163. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 159, BA Rehoboth an Gouv, 24.10.13. NAN ZBU 266, B I x 9, Bl.27, DA Maltahöhe an Gouv, 21.12.12.NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.91, Bericht Eschen, 8.8.13. 465 NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 100, Kostenaufstellung, 20.8.12. 466 AELCRN, II 1.2, Missionar Brockmann an Präses Eich, 16.10.09.

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führt“, hatte „schon oft die Polizei bei ihren Patrouillen falsch angesetzt … und scheint hier eine gewisse Absicht vorzuliegen.“467 Ähnlich äußerte sich ein Oberleutnant über den Farmer Klose (Nam-Adlershorst), dessen „außerordentlich geringes Entgegenkommen“ er für „bemerkenswert“ hielt. Klose hatte durch „absichtlich unrichtige Angaben über Wasser und Weideverhältnisse der Patrouille passiv Schwierigkeiten“ gemacht.468 Die Motive für dieses Verhalten bleiben vorerst offen; verbotener Handel mit Jagdprodukten und Waffen mag eine Rolle gespielt haben. Aber Farmer konnten auch andere Gründe für ihr feindliches Gebaren gegenüber der Verwaltung und den Polizisten im Besonderen haben. Neben den häufig unvereinbaren Anschauungen über den Umgang mit Afrikanern, die zu Auseinandersetzungen führten, konnte den Farmern auch das polizeiliche Berichtswesen als Instrument obrigkeitlicher Willkür zuwider sein. Polizeibeamte als Arbeitsvermittler und Berichterstatter Zwar ging von den Ämtern die Verteilung der Arbeitskräfte an die Farmer aus, doch den Polizisten kam dabei eine Mittlerposition zu. Die Farmer hatten Anträge auf ,Zuteilung‘ an das Amt zu stellen: ,Ihre‘ Polizeistation aber hatte gegebenenfalls zu Anfragen wie – „die Leute gegen andere umtauschen zu wollen“469– Stellung zu nehmen. Als 1912 der Mangel an Arbeitskräften spürbarer wurde und die Farmer dazu übergingen, ohne Nachfragen Personen einzustellen, die vorgaben „aus dem Busch“ gekommen zu sein, tatsächlich aber aus anderen Arbeitsverhältnissen entwichen waren, griff die Polizei gegen „solche Verfehlungen weisser Arbeitgeber“ durch. Okahandjas Distriktschef Ahlhorn berichtete, es seien ihm „von zahlreichen Farmern Vorwürfe gemacht worden, dass ich mich zu streng an die Eingeborenen-VO hielte und die Leute stets an die heimischen Bezirke zurückgäbe, was bei andern Ämtern durchaus nicht immer geschähe.“470 Nicht nur mussten die Farmer damit rechnen, ,ihre‘ Arbeitskräfte durch Polizeibeamte ,konfisziert‘ zu sehen, wenn diese nominell noch in einem anderen Arbeitsverhältnis standen. Auch beim Farmerwerb hingen sie vom Votum eines Polizisten ab. Wollte ein (angehender) Farmer Regierungsland erwerben, wozu es angesichts der undurchsichtigen Geschäftspraktiken der Landgesellschaften kaum Alternativen gab, hatte er dafür sein Vermögen offen zu legen – dazu gehörten neben Geld auch Sachwerte, wie Vieh und Gerätschaften. Diesen Angaben wurde nicht ohne weiteres Glauben geschenkt. Vor dem Verkauf von Farmen auf fiskalischem Land informierten sich die Amtsvorstände über die Käufer. L. Georg etwa, ein Landwirt aus Hessen467 468 469 470

NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl. 133, Bericht, 3.11.13. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.3, Bl.59, Bericht des Olt v. Cossel, 16.2.14. NAN BOM 53, S I l g, Bl.19, Schmidt (Farm Etemba) an DA Omaruru, 4.6.07. NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.1, Bl. 127, RVerf Gouv, 26.6.12; Bl.135, DA Okahandja an Gouv, 3.10.12.

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Nassau, machte als „Bewerber“ auf Distriktschef Runck „einen vorzüglichen Eindruck und ist nach des Farmers Steeb Versicherung ein Muster von Fleiß und zähem Eifer.“471 Aber es waren die Polizisten, die die Angaben über Sachwerte zu überprüfen hatten. Bezirkschef v. Zastrow etwa beauftragte die Beamten der Station Neitsas mit der „Prüfung, ob die Angaben R[aschkes] wegen des Viehs richtig sind“ – in diesem Fall waren sie es.472 Doch konnte davon nicht durchweg ausgegangen werden. Der Farmer L. Fischler war mit dem Vorwurf konfrontiert, über seine Vermögenslage falsche Angaben gemacht zu haben, um die Farm Oviraura vom Fiskus erwerben zu können. Bevor der Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten wurde, sollte die tatsächliche Vermögenslage des Farmers in Erfahrung gebracht werden. Die Nachforschungen oblagen der Polizeistation Kalkfeld. Es war in Erfahrung zu bringen, „wie viel Vieh der Farmer Fischler auf Oviraura stehen hat, welche Anlagen er auf der Farm geschaffen hat, was ihn diese Anlagen kosten und wie viel Geld er überhaupt schon in die Farm hineingesteckt hat. Gehört das angeführte Vieh ihm persönlich? Wie bewirtschaftet er die Farm? Wie ist seine Vermögenslage? Kommt er seinen Verpflichtungen pünktlich nach? … Welchen Ruf besitzt Fischler bezüglich seiner Kreditwürdigkeit und welchen Ruf besitzt er unter der Farmerschaft“?

Das Bezirksamt Omaruru wies die Station an, die Angelegenheit „vertraulich zu behandeln.“ Ein Sergeant brachte die Informationen binnen zehn Tagen zusammen. Vermerkt wurde auch: „(Löhnung und Proviant für Eingeborene regelmäßig, Klagen sind noch nicht vorgekommen.)“ „In der hiesigen Farmerschaft ist Fischler gut angesehen. Bei unseren besten Leuten im hiesigen Bezirk ist F. gern gesehener Gast.“473 Selbst nach einem ordnungsgemäßen Kauf blieb der Farmer unter Beobachtung. Die für ihn zuständige Polizeistation musste nach sechs Monaten berichten, „ob Genannter [die Farm] bewohnt und in ordnungsmäßige Bewirtschaftung genommen hat“, wie es vereinbart worden war.474 Mitunter kam es auch zu Inspektionen, so, wenn der Verdacht auf eine Seuche aufgekommen war.475 Der in der britischen Presse gegen die deutsche Kolonialverwaltung erhobene Vorwurf, sie würde allem nachspionieren und sich interessieren für „every little thing you say and every little thing you do“, schien nicht aus der Luft gegriffen.476 Es waren vorrangig die Polizeibeamten, denen die Überwachung verdächtiger Personen übertragen wurde. Sie waren die ,Augen‘ des Kolonialstaats, sie entschieden, welches Wissen die Vorgesetzten über Vorgänge ,vor Ort‘ erwerben konnten: So beobachteten sie den Farmer Kröhnert 471 472 473 474 475 476

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NAN ZBU 1939, U V o 63, Bl. 40, DA Gobabis an Gouv, 3.7. 13. NAN BGR 12, L 6 c, Bl.10, BA Grootfontein an PolSt Neitsas, 21.3.10; 26.3.10. NAN ZBU 1957, U.O.v.371, Bl.29, DA Omaruru an PSt Kalkfeld, 18.2.14; Bl.30, 28.2.14. NAN BOM 53, 28, BA Omaruru an PSt Otjiwarongo [Vordruck], 14.12.14. NAN BWI 37, E 1 g, Bl.81, Regierungsarzt Dr. Seibert an BA Windhuk, 3.12.10. NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.60, Daily Dispatch, 28.9.12.

„scharf“. Selbst das Gouvernement erfuhr so, dass das „Hereroweib Maria“ seine „Konkubine“ sei und er vermutlich Afrikaner mit Jagdmunition ausrüstete.477 Die Gefahr, dass diese Angaben unüberprüft oder falsch und damit willkürlich zusammengetragen wurden, nahm die Verwaltung in Kauf. Es überwog das Vertrauen in das Wort eines Beamten. Bei aller Abhängigkeit der Farmer von den Polizisten ist zusammenfassend das bemerkenswert schlechte Verhältnis eines großen Teils dieser wichtigen Bevölkerungsgruppe zur Polizei wie zur Kolonialverwaltung insgesamt hervorzuheben. Es steht zu vermuten, dass das Verhältnis umso schlechter wurde, je schlechter die wirtschaftliche Lage des sich von der Verwaltung bedrängt fühlenden Farmers war, da die Wahrscheinlichkeit stieg, dass er Verordnungen übertrat. Unter den Streitpunkten stach die „Eingeborenenbehandlung“ hervor, wenn es auch Farmer gab, die um das Kontraproduktive der Prügelkultur wussten. Doch wäre es falsch, die Polizeibeamten als ,Anwälte der afrikanischen Bevölkerung‘ zu beschreiben, da sie, selbst wenn sie die Absicht des schützenden Eingreifens äußerten und die Farmer regelmäßig kritisierten, zu wenig zu einer Verbesserung der Situation auf den Farmen beitrugen und vor allem selbst (verbotener Weise) prügelten. Gewalt blieb ein Teil des Farmalltags. Polizei, Bezirks- und Zentralverwaltung beließen es dem gegenüber bei bloßen Appellen und einem ausgedehnten Berichtswesen. Nach den Kriegen erwiesen sich so die Farmer im Vergleich zu den Afrikanern als die größere polizeiliche Herausforderung für die Kolonialverwaltung. Und dies sowohl wegen ihres ausgeprägten Unwillens, ihr gefährliches Verhalten gegen ihre Arbeiter einer Kontrolle zu unterwerfen, als auch wegen der Aussichtslosigkeit, für sie (wie dies mit den „Eingeborenen-Verordnungen“ für den afrikanischen Bevölkerungsteil möglich war) ein Sonderrecht zu schaffen, mit dem die deutschen Rechtsgarantien stärker noch hätten eingeschränkt werden können, als das durch das Kolonialrecht ohnehin der Fall war. Selbst mit renitenten Farmern hatte sich der Kolonialstaat und seine Beamten gutzustellen. Dahinter stand auch ein Gebot kolonialpolitischer Klugheit. Sollten doch weder den Afrikanern noch den Kolonialkritikern in Deutschland Beispiele eines „Dualismus“ geliefert werden – der diesen jedoch ohnehin nicht verborgen blieb, wie Noskes Klage über die „Entfremdung zwischen Kolonialverwaltung und Kolonisten“ belegt. Das Unvermögen der Polizei, die Farmer zu kontrollieren, ergab sich nicht allein aus einer unzureichenden Anzahl der Beamten, wie sie selbst gern anführten – das Verhältnis der Polizei zur Farmerschaft war teils bemerkenswert hoch –, sondern aus den schwachen politischen Vorgaben der Vorgesetzten, die zögerten, gegen Missstände vorzugehen. Zu dieser Unschlüssigkeit trat der schwer zu kontrollierende Raum der Kolonie, der nicht nur „Aufständischen“ oder „Räubern“, sondern auf Grund der Entfernungen auch den Siedlern Schutz vor Entdeckung ihres unrechtmäßigen Handelns bot. Es war die Ein477 NAN ZBU 108, A III e 1, Bl.38, Südwestbote #103, 28.8.12; Bl.39, Vernehmung, 9.10.12.

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sicht in die Unpolizierbarkeit der weiten Räume, die 1907 zur administrativen ,Teilung‘ der Kolonie geführt hatte: in eine „Polizeizone“, innerhalb derer Farmer Land erwerben konnten und wo ihnen Schutz für Leben und Eigentum garantiert werden sollte, und solche Räume, wo dies nicht der Fall war. Angesichts der nach eigener Aussage kaum zu verhehlenden Schwäche gegenüber Farmern wie „Viehdieben“, war eine Ausweitung der Polizeizone aus Sicht des Inspekteurs der Landespolizei unrealistisch.478 Gleichwohl bemühte sich die Kolonialverwaltung, von den Vorgängen jenseits der „Polizeizone“ nicht nur ein Bild zu erhalten, sondern dort auch Einfluss zu gewinnen.

5.3. Im Norden jenseits der „Polizeizone“ – Afrikanische Machthaber und deutsche Ohnmacht 5.3.1. Die vier unpolizierbaren Regionen des ,Nordens‘ „Colonial officials were usually keenly aware of the weakness of their own authority and their dependence upon African elites to help them govern.“479

Nirgendwo im „Schutzgebiet“ war die deutsche Kolonialherrschaft so schwach ausgeprägt wie im Norden DSWAs. Von der Mündung des Kunene im Westen bis zum Sambesi im Osten erstreckte sich die Grenze zu Angola und Rhodesien. Der gesamte Caprivistreifen sowie der Raum zwischen dem Atlantik, der angolanischen Grenze und der Etoschapfanne lagen außerhalb der „Polizeizone“. Zwar gab es auch dort Gebiete, wie „die notorisch gefährliche Südostecke des Schutzgebiets“480, die bei der Verwaltung verrufen waren und belegten Viehdiebstähle und Raubüberfälle, dass auch innerhalb der „Polizeizone“ Übergriffe auf das Eigentum üblich waren. Doch stand damit nach 1908 allenfalls sporadisch die Herrschaftsausübung in Frage, auf die sich die Kolonialmächte in Art. 35 der Kongoakte unter dem Stichwort der „Effektivität“ geeinigt hatten. In den teils dicht besiedelten Regionen Caprivizipfel, Kavango, Ovamboland und Kaokoveld jedoch lag die tatsächliche Herrschaft bei den afrikanischen Autoritäten.481 Die kolonialherrschaftsfernen Kolonialgebiete aus staatsrechtlicher Sicht Dies hatte aus Berliner Perspektive zunächst staatsrechtliche Konsequenzen. Denn man wollte sich ob der eigenen Machtlosigkeit von der Verantwortung 478 479 480 481

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BAB R 1002/2696, Bl.1 – 3, ILP an Gouv, 6.1.11; Bl.4, Gouv an ILP, 31.1.11. Roberts, 2000, S. 307. NAN ZBU 406, D II d 2, Bd.2, Bl.197, Gouv an Kdo SchTr, 31.12.13. Vgl. Young, 1994, S. 100: „the doctrine of effective occupation, immediately required a skeletal grid of regional administration.“ Dieses Erfordnis änderte nichts am Unvermögen der deutschen Kolonialverwaltung „im Norden“ auch nur „a skeletal grid of regional administration“ einzusetzen. Schildknecht, 2000, S. 197 f.; Eicker, 2009, S. 133 – 143.

für Vorgänge in jenen Gebieten frei wissen, die unter deutsche Kontrolle zu stellen in nächster Zeit nicht geplant war. Verpflichtungen zur Durchsetzung deutschen Rechts waren zu vermeiden. Daher wurde unterschieden zwischen „Schutzgebiet“ und „Interessensphäre“. Doch 1894 klagte der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, A. v. Marschall, dass die Kolonialverwaltung bei ihrer Verwaltungstätigkeit zwar zwischen beiden unterscheide, wobei die zur „Herbeiführung staatlicher Ordnung eingeführten Gesetze und Einrichtungen zunächst“ nur für das „Schutzgebiet im engeren Sinne“ Geltung haben sollten. Aber die Grenze zwischen beiden wäre nicht „mit Sicherheit anzugeben“. Dennoch sprach er sich für die Beibehaltung der Unterscheidung aus, da es an den „Machtmitteln fehlen würde, um die Organisation auch im Interessengebiet durchzuführen“. Marschall verwies auf die Reichstagsdebatte vom Vorjahr über DSWA und wollte danach auch weiterhin Bestimmungen nur auf die Schutzgebiete „im engeren Sinne“ angewandt sehen. Doch fragte er sich, wie eine Ausweitung auf die „Interessensphäre“ möglich wäre, die „völkerrechtlich durch S.M. den Kaiser vertreten wird“ – etwa für die Ausübung der Gerichtsbarkeit. Marschall schlug vor, den Reichskanzler dazu vom Kaiser ermächtigen zu lassen. Bei den Beratungen über diese Fragen kam er mit dem Reichsjustizamt überein: „Die Ausdehnung der einzelnen Schutzgebiete braucht sich nicht nothwendig auf die ganze Interessensphäre zu erstrecken“.482 In der Kaiserlichen Verordnung vom 2. Mai 1894 findet sich das terminologisch bemerkenswerte Ergebnis dieser Beratungen: „Der Reichskanzler wird ermächtigt, für diejenigen innerhalb einer deutschen Interessensphäre in Afrika gelegenen, zu dem Schutzgebiete bisher nicht gehörenden Gebietstheile, hinsichtlich deren der fortschreitende Einfluß der deutschen Verwaltung die Vereinigung mit dem Schutzgebiete angezeigt erscheinen lässt, die hierzu erforderlichen Anordnungen in Betreff der Organisation der Verwaltung und Rechtspflege nach Maßgabe der für das Schutzgebiet geltenden Vorschriften zu treffen.“483

Der Norden DSWAs war demnach lediglich „Interessensphäre“ und er blieb es, da von einem „fortschreitende[n] Einfluß der deutschen Verwaltung“ keine Rede sein konnte. Die Gründe dafür sowie die deutschen Versuche, Einfluss zu gewinnen, sind Gegenstand der folgenden Darstellung. Erste Reisen und Berichte Für die Kolonialverwaltung galt es zunächst, sich über Möglichkeiten und Gefahren des Anmarschweges und des Nordens selbst durch Expeditionen und Berichte ein Bild zu verschaffen. Nachrichten waren vorerst spärlich. Der 482 BAB R 3001/5247, Bl.94, AA an RJA, 3.3.94; Bl.107, RJA an AA, 15.3.94, Bl.110 – 114, Protokoll der Beratung RJA u. AA, 3.4.94 [Vgl. für DSWA VO v. 1.4.1890, Riebow, S. 299; VO v. 6.9.1892, Riebow, S. 310] [SBRT 1893, Bd.2, S. 1362]; Bornhak, 1897a, S. 47 f. 483 BAB R 3001/5247, Bl.126, VO v. 2.5.1894 (RGBl. S. 461); vgl. Lenz, 1895, S. 57.

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Bericht des Jägers Ch. Andersson von 1861 über den nördlichen Teil des späteren deutschen Gebiets entlang des Kavango betonte die Gefahren für die Gesundheit und beschwor die kommerziellen Aussichten in jenen Gegenden.484 25 Jahre später riet der Missionar H. Brincker dazu, die „Schätze der äusserst fruchtbaren und gut bewässerten Gegenden“ an Tshobe, Kavango und Sambesi für „deutsche Unternehmungen“ zu öffnen. Deutsche Missionare hätten bisher vornehmlich dem Handel Englands zugearbeitet: „Man bedenke das und handle, ehe es zu spät ist.“485 Chancen und Risiken galt es abzuwägen: Durch Oberleutnant V. Franke war 1899 „die Ovambogrenze zum ersten Male von deutschem Militär überschritten worden“.486 1901 hatte sich der Oberleutnant R. Volkmann mit den Ovakuangari ein Gefecht geliefert; einige chiefs sollten für „viele, der an Weissen … verübten Morde“ verantwortlich sein;487 der erst ein halbes Jahr in der Kolonie anwesende E. Hiller wurde 1908 „zuletzt auf der Polizeistation Neidsas [110 km nördlich von Grootfontein] gesehen“, von wo aus er nach Norden ziehen wollte, um dort „Tauschhandel“ zu treiben.488 Im Dezember 1909 war der Kaufmann Rohde am Kavango „von Elephanten zertreten worden“489, und „die günstige Badegelegenheit [war] etwas getrübt … wegen der Krokodile“,490 die „geradezu massenhaft sich dort aufhalten“.491 Nicht weniger gefährlich war es an Land: Ein Gefreiter wurde nachts, „etwa 40 km westlich von Libebe, durch einen Löwen von seinem Lager … fortgeschleppt.“492 Zu diesen ,natürlichen Unbilden‘ des Nordens, die alles andere als eingebildet waren,493 kam der politische Eigensinn seiner Bewohner. Für die vier entlang ethnographischer Linien getrennten (kolonialen) Grenzregionen494 sollen im Folgenden die ordnungspolitischen Interaktionen des Kolonialstaats mit ihnen skizziert werden. Das Ovamboland Insbesondere mit den chiefs des nördlich der Etoschapfanne gelegenen Ovambolands – obwohl kolonialem Einfluss nicht entzogen – war von deutscher Seite ein regelrecht diplomatischer Umgang erforderlich. Sie galten als „vollkommen unabhängig“, und die deutsche Seite war „froh, dass die Häuptlinge ihres eigenen Vorteils wegen einen Teil ihrer Leute, die Leibeigene 484 485 486 487 488 489 490 491 492 493 494

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Andersson, 1861, S. 218 f. Brincker, 1886, S. VI. Windhoeker Anzeiger I. Jg # 29, 9. 11. 1899, S. 1. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.139, Das deutsche Okavango-Gebiet, 1.2.11. NAN BGR 12, S 8 o, Bl. 129, BA Grootfontein an E. Hilller, 3.12.09. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.26, Bl.116 [Hirschberg] über die Expedition, 14.9.10. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.165, Bericht betr PSt Kuring-Kuru, 5.2.11 NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.10, BAm Schulze an Gouv, 3.10.09. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.5, Bl.104, Bericht, 20.11.11. Vgl. Kundrus, 2003, S. 155 f.; 140; Maß, 2006, S. 124. Die Einteilung wird in Namibia administrativ beibehalten. Interaktionen zwischen den Völkern waren in vor- wie kolonialer Zeit alltäglich, vgl. Bollig/Bollig, 2004, S. 263.

sind, als Sachsengänger zur Arbeit heruntersenden.“495„The dense settlement patterns [von 100.000 Einwohnern war die Rede] and cohesive social organization of the Ovambos … provided an important constraint on colonial penetration of the area.“496 Sie waren „von jeher ein handel- und erwerbslustiges Völkchen“, so Missionar M. Rautanen, betrieben Ackerbau, waren „seßhafter“, hatten es „in einigen Künsten, namentlich im Schmieden, weiter gebracht“, und vor allem hatte „die Macht ihrer Häuptlinge viel mehr zu bedeuten … als bei den Herero“ – wie die Rheinische Mission seit ihren ersten Kontakten in Ondonga 1857 erfahren hatte.497 Obwohl die Deutsche Kolonialgesellschaft einst eine „Station im Owamboland … für die wichtigste“498 hielt, prognostizierte der spätere Staatssekretär Fr. v. Lindequist 1896 zutreffend, dass „das Vordringen in das Ovamboland zwecks Einrichtung einer Militär- oder Civilverwaltung noch in weiter Ferne liegt.“499 Die South West Africa Company hatte gleichwohl durch ihren Bevollmächtigten Dr. Hartmann Interesse an Landkonzessionen im Ovamboland angemeldet. Hartmann hatte gar Kriegspläne ausgearbeitet. Doch die Kolonialverwaltung blieb zurückhaltend. Direktor P. Kayser gab zu verstehen, dass zunächst die ,staatsrechtlichen‘ Fragen – noch gab es keine „Schutzverträge“ mit den Ovambo – geklärt sein müssten, bevor private Ansprüche angemeldet werden könnten.500 Immerhin wurde, so Hauptmann L. v. Estorff, „jetzt [1897] schon begonnen, mit dem Häuptling Kambonde in Olukonda Beziehungen anzuknüpfen“.501 Bereits zehn Jahre zuvor hatte der Beamte L. Nels den Reichskanzler v. Bismarck wissen lassen, Kambonde „hat bis jetzt immer großen Werth auf die Freundschaft mit den Weißen gelegt.“ Zugleich aber räumte er ein, „bis jetzt keine Beziehungen“ zu den Ovambo gehabt zu haben. Es erschien ihm „nothwendiger, zunächst die Verhältnisse in dem deutschen Schutzgebiete zu regeln.“502 Ovamboland sah er nicht in seinem Zuständigkeitsbereich gelegen. Auch Major Leutwein hatte bis 1896 auf seinen Zügen durch die Kolonie zwar immerhin das Kaokoveld „kennen gelernt“, nicht aber das Ovamboland.503 Nur der Missionar Rautanen berichtete ihm gelegentlich aus Ondonga: Auf

495 Bongard, 1909, S. 125 f.; vgl. Scheulen, 1998, S. 100; dass Ovambo im Hereroland arbeiteten, war keine koloniale Neuerung: vgl. BAB R 1001/9328, Bl. 1447, Goldammer an Nels, 8.8.86. 496 Emmet, 1999, S. 47; Nampala/Shigwedha, 2006, S. 117: „In the pre-colonial period the term ,Ovamboland‘… was not populary used among the Aawambo“; Noyes, 1992, S. 204 f. 497 AELCRN, C II 1.13, Missionar M. Rautanen an Präses Eich, 19.3.08; Rheinischer MissionsAtlas, 1891, S. 6; Berichte der RMG, Nr. 2, 61.Jg. (1904), S. 50; vgl. S. 55; Nr. 5, S. 175; Tönjes, 1911, S. 111; 248 – 259; Nampala, 2006, S. 74 – 80; Siiskonen, 1990. 498 BAB R 8023/600, fol.1, Bl.17, In SWA zu errichtende Stationen, o.D. (~1890). 499 NAN ZBU 249, B I qu 1, Bl. 7, BHpt Windhoek an Gouv, 25.1.96; vgl. Hayes, 1992. 500 Vgl. NAN A.430, 4/4, Hartmann, 18.7.95; Drechsler, 1996, S. 102; Peltola, 2002, S. 160 f. 501 NAN ZBU 147, A VI a 3, Bd.2a, Bl.212, Jahresbericht des Bezirks Outjo, 28.6.97. 502 BAB R 1001/9328, Bl. vgl. 1460/2, Nels an RK v. Bismarck, 1.9.86; Peltola, 2002, S. 159. 503 BAB R 1001/1489, Bl.51, Leutwein an RK v. Hohenlohe, 26.8.96; vgl. Stals, 1968.

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drei Missionsstationen waren 1897 zwölf „weisse Bewohner“ ansässig, Missionare und deren Familienangehörige.504 Als 1896 die Rinderpest ausbrach, verlegte sich die Verwaltung darauf entlang der Nordgrenze des Hererolandes Kontrollposten einzurichten, die eine Ausbreitung der Seuche unterbinden sollten. Die Rinderpest führte wie in den südlicher gelegenen Gebieten zu erheblichen sozialen Verwerfungen und Verarmung. Immer mehr Ovambo sahen keine Alternative zur Wanderarbeit, die massive Auswirkungen auf ihre Gesellschaften hatte.505 Die Versuche der Kolonialverwaltung, mit den chiefs506 Verbindung aufzunehmen, führten auch später nur bedingt zu ,Erfolgen‘. Ein Überfall auf zwei Händler im August 1900 bei Uukwambi belegt die deutsche Einflusslosigkeit: Nachdem die beiden von Leuten des chief Nechumbo ausgeraubt wurden, „zogen sie sich in der Richtung auf Ondonga, den Sitz der deutschfreundlich gesinnten Ovambohäuptlinge Kembondo [Kambonde] und Nechale zurück“507 – wie der Windhoeker Anzeiger berichtete. Gouverneur Leutwein, der bestrebt sein musste, die deutsche Autorität auch in den Augen der „deutschfreundlich [G]esinnten“ mit seinen begrenzten Machtmitteln zu wahren und auszudehnen, blieb nichts anderes, als Nechumbo ein Ultimatum zur Zahlung einer Entschädigung und Auslieferung der Täter zu setzen – dem Nechumbo nachkam. Außerdem hatte er – wie vor ihm schon Kambonde – sowohl Leutwein als auch dem Bezirkschef von Outjo, H. Kliefoth bedeutet, es wäre „nicht nötig, daß Du hierher kommst“.508 Von einer Strafaktion konnte keine Rede sein. „Die hier in Frage kommenden Bezirke des Ovambolandes gehören zum Schutzgebiet, die deutsche Herrschaft ist darüber aber noch nicht ausgedehnt“.509 Dabei blieb es. Dennoch hätte Leutwein, der die Antwort Nechumbos für „im höchsten Maße anmaßend und gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung“ hielt, die Gelegenheit gern genutzt und hielt es für „kein Unglück“, nun der „OvamboFrage“ näher zu treten. Er versuchte, die Kolonialabteilung für einen Einmarsch in das Ovamboland zu gewinnen, da von „einem Ansehen der Deutschen Regierung dort keine Rede mehr sein könnte.“ Der Referent für DSWA A. Golinelli aber schrieb ruhig an den Rand: „hat nie bestanden?“ Er war vielmehr mit der jetzigen Lage „zufrieden“ und „sehr dagegen“, militärische Schritte in einem Gebiet zu unternehmen, das „lediglich Interessensphäre“ war ; „auch wegen der Beschaffung von Arbeitern aus dem Ovamboland“. Kolonialdirektor O. Stübel und Reichskanzler B. v. Bülow schlossen sich die504 NAN BOU 9, 1/1, M. Rautanen an BHpt Outjo, 3.7.97; vgl. Miettinen, 2005, S. 87 – 92. 505 McKittrick, 2003, S. 39 f.; Kreike, 2004, S. 37, 82 f.; zu Kenia: Berman/Lonsdale, 1992, S. 86. 506 Schaller, 2003, S. 134 bevorzugt den Begriff „König“; vgl. aber Nampala/Shigwedha, 2006, S. 117; Miettinen, 2005, S. 56 – 68; McKittrick, 2003, S. 36; Hartmann, 1998, S. 268. 507 Windhoeker Anzeiger II. Jg. # 26, 20.12. 1900, S. 2. 508 BAB R 1001/1491, Bl. 68, Nechumbo an Leutwein, 10.12.00; Bl.101, BHpt Outjo an Gouv, 6.7.01; vgl. Peltola, 2002, S. 162, 178. 509 Windhoeker Anzeiger II. Jg. # 23, 8.11. 1900, S. 2; ebd. III. Jg # 3, 31.1. 1901, S. 3.

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sem Votum in einer Vorlage für den Kaiser an, in der sie vor dem „Malariafieber“, der Pferdesterbe und den „sehr erheblichen Opfern an Geld und Menschen“ im Falle eines Kriegszugs warnten. „Seine Majestät bef[a]hlen Vorsicht“. Leutwein erhielt Weisung, von seinem kriegerischen Vorhaben „Abstand zu nehmen.“510 Ein Jahr später hatte auch Leutwein eingesehen: „Der unbedeutende wirtschaftliche Wert des Landes für uns lohnt auch die Aufwendung von großen Opfern nicht“. Golinelli quittierte diese Erkenntnis mit einem erleichterten „enfin!“.511 So blieb es bei einer Situation des Abwartens, eines gegenseitigen Belauerns.512 Mit dem Beginn des Krieges im Hereroland 1904 änderte sich die Lage kurzfristig, als die Militärstation Namutoni an der Etoschapfanne von Männern des chief Nehale im Januar angegriffen wurde, der sich mit seinem älteren Bruder Kambonde wegen der Herrschaft über Ondonga und der Haltung gegen die Deutschen überworfen hatte. Auch nachdem Nehale abgewehrt war, blieb eine Gegenaktion undenkbar. Die Schutztruppe zog sich zurück. Für die kommenden Jahre lautete die das Ovamboland betreffende Formel: „Nechale bleibt der Feind, Kambonde scheinbar der Freund der Deutschen; die anderen treten in keine Beziehung zu uns.“513 Viel erfuhren die deutschen Behörden nicht über die Vorgänge zwischen Kunene und Kavango. Leutwein beklagte gegenüber der Kolonialabteilung, er sei, wenn er keine Expeditionen entsenden dürfe, „gezwungen, lediglich mit den Augen der Ovambo-Missionare zu sehen“, die ihm gelegentlich schrieben.514 Einzig die Berichte des Konsuls in Luanda über die „Verhältnisse im Ovamboland und Südangolagebiet“ lieferten weitere Hinweise. Ihnen war vorrangig zu entnehmen, dass auf portugiesischer Seite die Dinge ähnlich lagen: Angesichts der „lächerlich geringen Effektiv-Besetzung der einzelnen Posten“ könne keine „Rede davon sein, daß die betreffenden Völker je ernsthaft unterworfen worden sind.“515 Erst nach dem Ende der Kriege im Süden der Kolonie nahm die deutsche Verwaltung die Fühlungnahme mit dem Norden wieder auf. 1908 galt es daher, „nach englischem bewährtem Muster, die Häuptlinge an dem Bestande der deutschen Herrschaft zu interessieren und ihnen die Abgabe von Arbeitern aus ihren Untertanen, weil mit persönlichem Vorteil verbunden, wünschenswert zu machen.“ Hauptmann V. Franke, als Bezirkschef in Outjo auch für das Ovamboland zuständig, hatte daher zum Zweck der Arbeiteranwerbung durch die Vermittlung des finnischen Missionars M. Rautanen 510 BAB R 1001/1491, Bl.48, Gouv an KolA, 16.11.00; Bl.65, Bülow an Wilhelm II., 4.2.01; Bl.69, Telgr, 13.2.01; Bl.72, KolA an Gouv, 25.2.01. 511 BAB R 1001/1491, Bl.119, Gouv an KolA, 10.1.02. 512 Vgl. Eirola, 1992, S. 163 f. 513 NAN ZBU 153, AVI a 3, Bd.13, Bl.266, Jb des Gouv, 1905/06; vgl. Eirola, 1992, S. 165 – 168 sowie die Berichte der RMG, Nr. 7, 61.Jg. (1904), S. 265; Williams, 1994. 514 BAB R 1001/1491, Bl.118, Gouv an KolA, 10.1.02; vgl. Hayes, 1992, S. 84. 515 BAB R 1001/9023, Bl.208, Konsul Luanda an RK, 11.11.04; vgl. Kreike, 2004, S. 45 – 47.

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„Schutzverträge“ mit den chiefs Kambonde und Ipumbu abgeschlossen, nachdem diese um „Schutz gegen [die] Portugiesen gebeten“ hatten. Allerdings verstanden sie die Verträge als bilateral und nicht als Aufgabe der eigenen Souveränität, während Franke aus den darunter gesetzten Kreuzen „Gehorsamserklärungen“ ableiten wollte.516 M. Rautanen sagte zutreffend voraus: „Von einer nachhaltigen Bedeutung dieser Reise [Frankes] kann kaum die Rede sein“; worüber er sich „freute“, „denn deutschen Schutz haben wir nicht nötig“.517 Missionar Welsch von der Rheinischen Mission sah es ähnlich: Auch er versprach sich „nicht zu viel von den Verhandlungen. … Wir würden uns freuen, wenn wir noch eine Zeitlang ohne den ,Schutz‘ des deutschen Reiches hier sein könnten, dann blieben auch andere Erscheinungen noch fern, die wenig Erfreuliches bringen.“518 Der ehemalige Bezirksamtmann O. Bongard, an die „zweifelhafte Natur“ der mit „Wilden“ abgeschlossenen Verträge erinnernd, dagegen hielt, wie Franke selbst, die Entsendung eines Residenten in das Ovamboland für geboten – „ehe noch der Eindruck des Besuchs des bekannten und gefürchteten ,grossen Orloogkapitäns“ [Franke] verflogen sei.519 Zwar wurde dieser Gedanke später von Gouverneur Seitz aufgegriffen, doch kam es dazu nicht. Seine Arbeitskräfte waren das Wichtigste, was „der Norden“ aus Sicht der Verwaltung und der Siedler dem Schutzgebiet zu bieten hatte. Daher blieb ein gutes Verhältnis zu den dortigen Autoritäten von Bedeutung. Während einer Hungersnot 1908 sandte das Gouvernement wiederholt Nahrungsmittel in das Ovamboland.520 In den Monatsberichten der Station Namutoni wurde stets die Anzahl der ankommenden oder zurückkehrenden Ovambo vermerkt. Da der Weg in den Süden beschwerlich war und nicht nur die Otavi-Minengesellschaft sich über ausbleibende Arbeitskräfte sorgte, richtete man zeitweilig in Namutoni eine „Verpflegungsstation“ ein. Damit sollte ein Anreiz geboten werden, die Reise anzutreten.521 Insgesamt blieb es bei einer merklichen deutschen Zurückhaltung bei allen das Ovamboland betreffenden Angelegenheiten. Der Landmesser Görgens sah sich zwar während seiner Grenzerkundungen 1909 bereits als „Resident“ in Ondonga, doch der Gouverneur zog ihn, auch aus finanziellen Erwägungen, bald ab. Für alle anderen Reisenden war, „[u]m Reibereien mit [den Ovambo] zu vermeiden, … [im Januar 1906] der Norden von Deutsch-Südwest für den Handel und die Besiedlung gesperrt“ worden.522 Es war zuvor bekannt ge516 Bongard, 1909, S. 127; AELCRN, C II 1.13, Rautanen an Präses Eich, 19.3.08; Wulfhorst an Präses Eich, 21.11.07, Eirola, 1992, S. 237 f.; Peltola, 2002, S. 183 f. 517 AELCRN, C II 1.13, Missionar Rautanen an Präses Eich, 10.8.08. 518 AELCRN, C II.1.13, Missionar Welsch an Präses Eich, 3.6.08. 519 Bongard, 1909, S. 127; vgl. Schaller, 2003, S. 141. 520 Vgl. AELCRN, C II.1.13, Missionar Wulfhorst an Präses Eich, 2.11.08. 521 BAB R 1001/1914, Bl.71, Station Namutoni. Monatsbericht März 1909, 1.4.09; BAB R 1001/2184, Bl.53, Station Namutoni. Monatsbericht Juni 1910, o.D. 522 Bongard, 1909, S. 52 f.; vgl. Eirola, 1992, S. 258 – 62.

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worden, dass im Ovamboland „Buren und Händler aus Damaraland schwunghaften Spirituosenhandel“ trieben.523 Nicht noch einmal wollte die Kolonialverwaltung riskieren, durch „Händler und Abenteurer, die in brutaler Weise ihren Vorteil suchen“, Afrikaner gegen sich aufzubringen und einen erneuten Krieg zu provozieren. „Weiße“ wurden aus dem „Sperrgebiet“ ausgewiesen.524 Im Bezirk Grootfontein war es vor allem die Polizeistation Tsumeb, die nicht nur „in der bunt zusammen gewürfelten Arbeiterschaft der Otavimine ,Ruhe und Ordnung‘ aufrecht zu erhalten [1908 rund 1.000 afrikanische und 100 „weisse Arbeiter“525], sondern … auch den Zugang zum Ambolande [zu] sperren [hatte]“. Ganze drei Beamte standen dafür zur Verfügung – verfügte doch der Bezirk Grootfontein 1907 nur über zehn Polizeibeamte. Es war daher „leider nicht möglich, den Zugang zum Ambolande völlig zu sperren.“ Eine Aufhebung der Sperre, wie von Siedlern gefordert, kam nicht in Frage. Bezirkschef H. Schultze-Jena, dessen Arbeit die „vollste Anerkennung“(526) des Reichskanzlers v. Bülow fand, hatte Sorge, dass sich bei Öffnung des Ovambolands zweifelhafte „Elemente“ „über das Land ergießen…, die leicht Konflikte mit den noch ziemlich selbständigen Eingeborenen hervorrufen würden“.527 Wer entschlossen war, das Ovamboland zu betreten, dem hatten die Polizeistationen und selbst ein „Geheimpolizist“ in Tsumeb wenig entgegenzusetzen, wie „Eingeborenenreferent“ Streitwolf nach einer Reise 1913 einräumte. Er wusste, „daß die Weißen, die in das Ovamboland gehen, oft aus Mangel an Mitteln ihre Gewehre an die Häuptlinge verkaufen.“ Die Händler aufzuhalten gelang fast nie, da sie sich „in’s Portugiesische“ absetzten. Auch von dem sich über solche „Wanderer“ bedeckt haltenden Missionar Rautanen, den Geheimrat Hintrager um Bericht über alle das Ovamboland betretenden „Weißen“ bat, versprach sich Streitwolf keine Aufklärung.528 Das militärische Potenzial der Ovambo chiefs war nicht zu unterschätzen.529 Leutnant Steinhausen, Distriktschef von Grootfontein, schätzte 1897 ihren Bestand an Gewehren nach Angaben des Händlers Ericksson auf „über 5.000“.530 Als das Bezirksamt Outjo im April 1912 darauf spekulierte, dem Nganjera-chief Tschanika den Prozess machen zu können, weil er angeblich San beauftragt hatte, feindliche Ovambo bei ihrer Rückkehr aus der Polizeizone auszurauben, und ein Referent im Gouvernement dem zustimmte, lautete eine amüsierte Bemerkung: „Ref. 3 will doch nicht den Ovambofeldzug 523 524 525 526 527 528

NAN ZBU 1657, S II g 4, Bl.90, EtpKdoSchTr an Gouv, 16.8.05. Bongard, 1909, S. 127; Fleischmann, 1911, S. 289; VO v. 25.1.06 KolG X, S. 126. Vgl. Bongard, 1909, S. 98. BAB R 1002/1586, Bl.36, RK v. Bülow an BA H. Schultze u. DChf v. Vietsch, 25.8.08. NAN ZBU 155, A VI a 3, Bd.16, Bl.227, Jb BA Grootfontein, 1907/08, 15.5.08. NAN ZBU 2374, XI a, Bl.144, Streitwolf an Hintrager, 12.11.13; Bl.148, Notiz Streitwolf; Gouv an Rautanen, 28.2.14; Bl.149, Rautanen an Gouv, o.D. [Eingegangen 25.2.14]. 529 Zum Gebrauch von Gewalt in Ovambo-Gesellschaften vgl. Miettinen, 2005, S. 68 – 74. 530 NAN ZBU 809, G VI e 1, Bl.24, DA Grootfontein an LHpt, 5.2.97.

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beginnen.“ Der Leiter des „Eingeborenenreferats“ (Ref. 8) Hauptmann Streitwolf war deutlich realistischer : „man [wird] Tschaanikas nie habhaft werden. Er ist Häuptling von Ongandjera (ca. 15.000 Einwohner, 3.000 Krieger.)“531 Über chief Mandume hieß es gar, er verfüge „über 30.000 Krieger …, die fast alle mit Gewehren bewaffnet sind.“532 Schon in den 1880er Jahren hatten die Portugiesen von Norden kommend versucht, sie zu unterwerfen. Doch trotzdem die „Portugiesen sich in forwährendem Kriegszustand mit den Ovambo befinden und die Hülfe der Boers in Anspruch“ nahmen, hatten sie keinen Erfolg.533 Auch 1914 waren die „Ovambostämme trotz der stellenweise in ihrem Gebiet angelegten [portugiesischen] Forts keineswegs unterworfen.“534 Die deutsche ,Ovambo-Politik‘ nahm diese Erfahrungen zum Anlass, es bei der Arbeiteranwerbung zu belassen, obwohl „die Ansicht verbreitet [war], dass jetzt, nach Beendigung des Herero- und Hottentottenaufstandes, mit den Ovambos abgerechnet werden müsse.“ Im Umfeld des Staatssekretärs Dernburgs aber wurde die von den Briten in Rhodesien angewandte Herrschaftstechnik der ,indirect rule‘ auch für deutsche Gebiete empfohlen. Cecil Rhodes „kaufte die Häuptlinge für billige Jahresgehälter … Für [DSWA] kann das genannte System im Norden, im Ambolande, in Frage kommen.“ Daher war statt eines neuerlichen Krieges zu versuchen, „ob man nicht auf dem oben geschilderten Wege durch Unterhändler schneller und besser zum Ziele gelangt. Jedenfalls werden dem deutschen Volke dann Millionen erspart werden können, die ein Ovambofeldzug in Malaria verseuchter Gegend kosten würde. Die paar Jahresgehälter sind dagegen eine Kleinigkeit.“

O. Bongard, im Bewusstsein der Bedeutung der Ovambo für die wirtschaftliche Entwicklung, stilisierte daher die „Ovambofrage“ zur „Lebensfrage für“ DSWA, die mit der „allergrössten Vorsicht“ zu behandeln sei – „ein Krieg mit den Ovambos wäre das grösste Unglück, was der Kolonie passieren könnte.“ „Wir würden durch ihn, abgesehen von den eigenen Verlusten und Opfern, die Leute totschießen, die unsere Arbeit verrichten sollen“.535 Das abschließende Kapitel deutscher ,Ovambo-Politik‘ war die Planung einer „Ambolandbahn“, die Gouverneur Seitz schon 1911 neben einer „starke[n] farbige[n] Truppe“ als „Vorbedingung“ für die Erschließung und Sicherung des Gebiets betrachtete hatte.536 Erst dann, so schrieb er dem Präses der Rheinischen Mission im Ovamboland, A. Wulfhorst, würde „das Gouvernement in der Lage sein, seinen Befehlen den nöthigen Nachdruck zu 531 532 533 534 535 536

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NAN ZBU 688, F V b 2, Bl.22, Ref 8 an Ref 3, 26.4.12; vgl. Eirola, 1992, S. 269 – 275. BAB R 1001/9027, Bl.107, Dr. P. Vageler, o.D. [~ 12/14]; vgl. Iliffe, 1995, S. 192. BAB R 1001/9328, Bl. 1455, Nels an Bismarck, 28.8.86. BAB R 1001/9027, Bl.108, Geheimbericht Dr. P. Vageler, o.D. [~ 12/14]. Bongard, 1909, S. 52 f.;127;130; vgl. Miettinen, 2005, S. 102 f.; Gewald, 2003. BAB R 1001/2184, Bl. 162, Ovambofrage, in: Hamburger Nachrichten v. 10.8.1911. Vgl. NAN ZBU 2355, L IX 1 b, Eisenbahnvorarbeiten für die Ambolandbahn (1911 – 1913).

verleihen“.537 G. Noske kritisierte die Pläne, „das Ovamboland in die Verwaltung einzubeziehen“. Der Bahnbau und die „Stationierung dieser Truppe“, so Noske, „würde – darüber besteht kaum ein Zweifel – die Gefahr der Wiederholung eines Aufstandes hervorrufen“.538 Aufgrund der Vorbehalte im Reichstag wie der Zentralverwaltung kam die Zweigbahn nicht über die Polizeizone hinaus. Sie diente vorrangig dem Transport der Wanderarbeiter. Eine „farbige Truppe“ kam genauso wenig zustande wie eine deutsche „Residentur“ im Ovamboland. Dieses blieb daher „weitgehend autonom“,539 wenn auch die Formulierung abwegig erscheint, das Ovamboland „was left untouched by German Imperialism.“540 Zwar hatten schon Zeitgenossen Anleihen bei der britischen Herrschaftstechnik der „indirect rule“ für das Ovamboland empfohlen, doch ist zu betonen, dass es sich dabei um Pläne für die Zukunft handelte. Die deutschen Versuche, über von ihnen so genannte „Gehorsamserklärungen“ Einfluss zu gewinnen, bereits als eine „indirect rule“ über das Ovamboland zu qualifizieren, wie das der Historiker G. Steinmetz getan hat, hieße, den Herrschaftsbegriff in einem Grade auszuhöhlen, dass ihm kein analytisches Gewicht mehr zukäme und zeugt eher von dem Bedürfnis, historiographische Schemata anzuwenden. Herrschaft umfasst das Potenzial, Zwangsgewalt auszuüben. Dieses Vermögen besaß die deutsche Kolonialverwaltung gegenüber den Bewohnern des Ovambolandes nicht – „Verträge“ und „Erklärungen“ waren dem gegenüber „no more than words“.541 Missionar Rautanen hatte dies 1908 erkannt, als er „irgendeine Art Verwaltung“ für die Zeit nach dem Vertragsabschluss anmahnte, denn „ohne das sind die Verträge Null u. Nichts.“ Da eine deutsche Verwaltung bis 1915 nicht eingesetzt wurde, blieb es bei diesem „Null und Nichts“.542 Die gelegentliche Anwesenheit eines deutschen Beamten besaß nicht einmal Drohpotenzial. Es macht daher wenig Sinn, von einer deutschen Herrschaft über das Ovamboland zu sprechen – denn auch ,indirekt‘ konnte kein Zwang ausgeübt werden. Eine Unterordnung unter deutsche Befehle akzeptierten seine Herrscher nicht: So wäre es absurd, chief Mandume als „Teil der Kolonialverwaltung“ zu bezeichnen und in ihm eine Verkörperung „beider Ordnungen“ zu sehen.543 Er beanspruchte „Gleichberechtigung“, als er gegenüber dem „Eingeborenenreferenten“ Streitwolf den Gouverneur Seitz „seinen ,Bruder‘ in Windhuk“ nannte. Diesem blieb nichts als sich schon darüber erfreut zu zeigen, dass Mandume 1914 „aus Angst vor NAN ZBU 2365, VII a -Geheimakten, Bl.4, Gouv an Präses Wulfhorst, 16.7.14. SBRT, Bd. 285, 13. Leg.Per. 1. Sess. 1912/14, 53. Sitzung, 2.5. 1912, S. 1640. So Schaller, 2003, S. 141; vgl. BAK R 1001 Kart/ 1715 d, Skizze des Ambolandes ~1914. Gewald, 2003b, S. 300; zur Ovambo-Wanderarbeit vgl. McKittrick, 2003, S. 39 – 41. Steinmetz, 2003, S. 47; Eirola, 1992, S. 237; vgl. Thomas, 2005, S. 54. AELCRN, C II 1.13, Missionar Rautanen an Präses Eich, 19.3.08, vgl. NAN BGR 1, F 9 b, Gouv an BA Grootfontein, 31.10.11. 543 Harding, 2006, S. 50 beschreibt so die „ambivalent[e]“ Position der chiefs innerhalb einer Native Authority ; auf Mandume und andere chiefs vor 1915 kann dies nicht angewandt werden.

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einem Rachezug der Portugiesen … die Vorteile guter Beziehungen zu der deutschen Regierung“ anerkannte: Mandume soll bei der Polizeistation Kuring-Kuru angefragt haben, „ob er dort eventuell Aufnahme finden könnte.“544 Das Kaokoveld Den, soweit erkennbar, weniger dicht besiedelten Regionen am Kunene und Kavango sowie dem dahinter liegenden Caprivizipfel vermochte die Verwaltung keineswegs größere Aufmerksamkeit beizumessen als dem Ovamboland. Das Kaokoveld südlich des Grenzflusses Kunene, bereits in vorkolonialer Zeit von europäischen Händlern und Jägern bereist, blieb Spekulationsobjekt einer Minengesellschaft seit kaptein Cornelius Zwartbooi im Juni 1885 sein kaum näher abgegrenztes Land an den Vertreter der Firma Lüderitz, Koch, für £150 „verkauft“ hatte.545 1895 erreichte L. Estorff mit einer Expedition über das von den Topnaars bewohnte Zessfontein „ohne besondere Gefahr und Strapazen“ die Uniabmündung, wo er in einem Salzsumpf einbrach und sich „nur mühsam retten“ konnte.546 1898 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Bewohnern Franzfonteins und Zessfonteins, wo daraufhin Distriktsstationen errichtet würden. Erforderlich schien dies nach einem Bericht des Gouverneurs auch wegen „Schwierigkeiten im nördlichen Kaokoland“, wo „portugiesische Händler wahre Raubzüge unternehmen und zwar soll dieses Unwesen schon seit Jahren und immer von denselben Leuten betrieben worden sein.“547 Diese Begründung für die geplante ,Überwachung‘ des Kaokovelds steht im Gegensatz zu einer in der Forschung geäußerten Meinung, nach der dieses Gebiet „too distant from market centers to attract even itinerant traders“ gewesen sei. Zumindest Wanderhändler waren dort unterwegs, wenngleich es richtig ist, zu sagen, das Kaokoveld „remained on the periphery of the colonial economy“.548 Noch 1911 konnte es einer kleinen Polizeipatrouille nur darum gehen, sich über die Wasser- und Futterverhältnisse zwischen Zessfontein und dem Atlantischen Ozean zu orientieren: das „Gelände eignet sich zu nichts, es ist eine öde, trostlose Gegend.“ Eine Patrouille, die kurz zuvor gen Norden zum Kunene marschiert war, berichtete immerhin, dass „sämtliche Ovatjimba freundlich“ waren.549 Eine deutsche Besiedlung des Kaokoveldes, dessen verhältnismäßiger Wasserreichtum betont wurde, kam vorerst nicht in Frage. Das Land wurde nicht in die Polizeizone integriert. Das Scheitern späterer Ansiedlungsversuche nahm Staatsse-

544 Südwest, 5. Jg., 28.4.14, S. 2; NAN ZBU 2365, VII a, Bl.4, Gouv, 16.7.14; vgl. Hayes, 1993. 545 AELCRN, C I 1.10, Bl.135; 189, Beilagen Konferenz-Protokoll, 1885; vgl. Tabler, 1973. 546 NAN BOU 1, B 10 q, Bl.1, Vertrag C. Zwartboy-Fa. Lüderitz,19.6.85; Bl.40, Gouv an Franke, 27.12.01; Andersson, 1861, S. 67; Bollig, 1998b; v. Wolputte, 2003, 40; 2004, S. 204 f. 547 NAN ZBU 748, G I c 2, Bd.1, Bl. 3, Gouv an KolA, 15.11.1900. 548 Bollig, 1998a, S. 506 f.; vgl. Rafalski, 1930, S. 166; Clarence-Smith, 1979, S. 50. 549 NAN BOU 1, B 10 q, Bl.165, PolSt Zessfontein an BA Outjo, 8.7.11; Bl.187, PolSt Zessfontein an BA Outjo, 6.6.11; vgl. Demhardt, 2000, S. 216 – 221; Bollig/Bollig, 2004, S. 264 – 270.

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kretär W. Solf mit „Bedauern“ zur Kenntnis.550 Aufgabe der Polizeistationen Zessfontein und Franzfontein blieb es daher, den Zugang zum Kaokoveld und insbesondere die eifersüchtig gehüteten Minenrechte der Landgesellschaft notdürftig zu überwachen.551 Dass sie dabei auch das Verhalten der Prospektoren selbst reglementierten, verärgerte diese: Der Geologe der KaokoLand- und Minengesellschaft, Dr. C. Krause, beschwerte sich im April 1912 nach einer Expedition ins Kaokoveld, es seien „Polizisten … an uns herangetreten mit Aeusserungen und Handlungen, die uns nicht ,fair‘ erschienen“. Er bezog diese Einschätzung auf die Verhaftung eines Prospektors, weil dieser mit seinem Gewehr einen „Jungen“ verletzt hatte.552 Derartige Polizeieinsätze änderten nichts daran, dass das Kaokoveld und seine Bewohner außerhalb der deutschen Machtsphäre blieben. Von einer „colonial hegemony“ zu sprechen, die bereits durch die Aufnahme von Karten und Landschaftsaufnahmen dem Kaokoveld „eingeschrieben“ sei, hieße, eher kolonialen Wunschvorstellungen zu folgen als eine Realität vor Ort darzustellen.553 1914 wurde die Polizeistation Zessfontein geschlossen. Die Rheinische Missionsgesellschaft dagegen plante, 1914 die „Mission unter den Ovatjimba“ aufzunehmen, die ein „Anrecht auf unsere Arbeit unter ihnen haben“.554 Der Caprivi-Zipfel Nachrichten aus dem Caprivizipfel waren während eines Großteils der deutschen Kolonialzeit fast nicht zu erlangen. Dieser nordöstlichste Teil des Schutzgebiets, im Grenzbereich der Kolonien Portugiesisch-Angola, BritischBetschuanaland und Rhodesien gelegen, in dem staatliche Präsenz so gut wie nie zu vernehmen war, zog „lichtscheue“ Gestalten an, zumal sich dort durch Waffen-, Alkohol- und Elfenbeinhandel gute Geschäfte machen ließen. Daher waren die Beamten im Gouvernement über den Bericht des späteren Polizeibeamten Brunk erfreut, der ab Oktober 1907 durch den Caprivizipfel nach Grootfontein gereist war. Aus seinem „Gutachten über das Andara Gebiet“ ging vor allem hervor, dass die britische Überwachung des Gebiets von Rhodesien aus sehr viel weiter gediehen war als die deutsche. So erhielten die Reisenden ihre versiegelten Waffenkisten erst im britischen Livingstone. Vor dem Überqueren des britisch-deutschen Grenzflusses Linianti wurde Brunk von einem britischen Polizisten kontrolliert, der Zoll auf das ausgeführte Vieh erhob. „Derselbe war bewaffnet und hatte … eingeborene Polizisten“ bei sich. Ausdrücklich wurden Brunk und der ihn begleitende Händler vom dortigen „Kommissar“ gewarnt, „uns ja vor zu sehen vor d[en] dort im Andara-Gebiet sitzen[den] weißen Leuten, daß wir uns gegen sie zu schützen hätten vor evtl. 550 NAN BOU 1, B 10 q, Bl.70, Gouv an KLMG, 11.6.07; Bl.85, RKA an Gouv, 7.9.07; Bl.207, RKA an Gouv, 9.1.12; vgl. Miescher, 2002. 551 NAN BOU 1, B 10 q, Bl.93, PolSt Franzfontein an BA Outjo, 14.9.09. 552 NAN A.327, C. Krause an KLMG, 18.4.12, S. 7; C. Krause an KLMG, 20.1.12, S. 3. 553 Bollig/Bollig, 2004, S. 260. 554 AELCRN, C I 1.29, Bl.181, Protokoll, 21.10.13; Bl.139, Antwortschreiben, 27.1.14.

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Überfällen. Einen von diesen machte er uns namhaft … Dieser hatte damals vor nicht langer Zeit die englische Post [um die Erträge einer Goldmine] beraubt“. Brunks Schilderung des formell unter deutscher Kontrolle stehenden Gebiets gab den Beamten einen beredten Eindruck von den dortigen Zuständen. Er berichtete von Engländern, die sich auf deutscher Seite am Sambesi niedergelassen hätten und von Farmern aus dem Transvaal, die jährlich „nach dem deutschen Andara Gebiet ziehen um dort zu jagen. Es waren zwei Wagen schwer beladen mit Hörnern, Elfenbein und Fellen. Auch zum Preparieren vorbereitete Tiere und Vögel waren dabei, welche für Museums bestimmt“ seien. Der erste „Kapitän (Induma)“, dem sie in der Nähe von Sesheke – wo damals nach seiner Schätzung etwa „60 Weiße“ lebten – auf „deutschem“ Gebiet begegneten, „klagte sein Leid und bat, wir möchten [der] deutschen Regierung mitteilen was dort für Unfug getrieben wird im deutschen Gebiet. Er könne es nicht verstehen, daß dort so viele Weiße kämen“. Brunk beschrieb das wasser- und artenreiche Land als ein „durchaus fruchtbares“. „Krokodille sind auch dort fast in jedem größeren Wasser“. Aber : „Elefanten und Flußpferde sind schon fast ganz ausgerottet. Büffel sind auch [nur] noch sehr wenige dort“. Der Jäger, „ein Engänder, der schon 4 Jahre dort im deutschen Gebiet wohnt, … rühmte sich schon in der Zeit 400 Nielpferde geschossen zu haben.“555 Dieser Zustand augenscheinlicher Staatslosigkeit konnte juristische Folgen haben, wie der Fall zweier mutmaßlicher Schmuggler 1908 zeigte: Der „ehemalige Feldwebel und jetzige Frachtfahrer Rohloff und de[r] Händler August Geik“, „schon seit längerer Zeit des Waffenschmuggels an Eingeborene verdächtig“, waren darauf verfallen, ihren Schmuggel als Viehtransporte entlang des Caprivizipfels in die Polizeizone zu tarnen und sprachen deshalb beim Gouvernement wegen einer Einfuhrgenehmigung vor. Während des ,Transports‘ hätten die Waffen dann an die umliegenden Käufer gebracht werden können. Diese Möglichkeit, sich durch eine Einfuhrlizenz den Anschein der Legalität geben zu können, unterband das Gouvernement im September 1907 „wegen der Gefahr der Einschleppung von Seuchen“, durch ein Vieh-Einfuhrverbot aus Rhodesien. Polizeikontrollen hatten die Händler nicht nur wegen des Viehs, sondern auch „daraufhin genau zu untersuchen, ob sie etwa Waffen und Munition über die Grenze eingeführt und ob dieselben sich gegen die Jagdgesetze vergangen haben.“556 Das gegen Geik und Rohloff eingeleitete Verfahren wegen Verstoßes gegen die Viehseuchen-, Jagd- und Waffenverordnung wurde jedoch eingestellt, weil Bezirksrichter Stintzing der Ansicht war, diese Verordnungen seien im Caprivizipfel noch nicht eingeführt worden. Sein Urteil erboste das Gouvernement. Waren die Händler doch unter Rückgriff auf ein Argument freige555 BAB R 1002/2704, Bl.5 – 10, Brunk: Gutachten. o.D. [~9/08]. ]; vgl. Fisch, 1996, S. 44 – 53. 556 NAN BOM 52, S I, Bl.145, 167, Gouv an DA Omaruru, 13.9.07; 8.7.07, vgl. Lüders, 1913.

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sprochen und die Beschlagnahme ihrer Waffen aufgehoben worden, das erhebliche Teile der Kolonialherrschaft auszuhebeln im Stande gewesen wäre. Richter Stinzing war der Ansicht, im Caprivizipfel sei das im Schutzgebiet geltende Recht nicht in Kraft, da dieser Landesteil noch nicht deutsches Schutzgebiet, sondern erst eine deutsche „Interessensphäre“ sei, die es noch effektiv zu okkupieren gelte. „Eine Schutzgewalt besteht aber bislang nicht im Kaprivizipfel.“ Der Gouverneur vermochte diesen Ausführungen trotz der oben erörterten Verordnung von 1894, die der Unterscheidung von Richter Stinzing zugrundelag, „nicht zu folgen“. Die Grenzen des Schutzgebiets seien durch völkerrechtliche Verträge (1886; 1890) festgelegt und von niemandem bestritten worden. „Wollte man den Rechtsausführungen des Beschlusses folgen, so würden noch eine grosse Anzahl weitausgedehnter Gebietsteile des hiesigen …. Schutzgebiet[s] noch der tatsächlichen Besitzergreifung bedürfen, denn nicht überall ist die Verwaltung so ausgedehnt, dass eine Obrigkeit vorhanden ist“. Schuckmann erinnerte an die Kalahari, das Sandveld und die Namib, deren Zugehörigkeit zum Schutzgebiet niemand bezweifeln wolle; „und trotzdem ist es auch dort nicht … möglich, erworbene Rechte oder Handels- und Durchgangsfreiheit dauernd zu schützen“, wie er unumwunden mit Blick auf die oben dargestellte Patrouillentätigkeit von Schutztruppe und Landespolizei einräumte. Zwar sei gegen das „Erfordernis für die Erwerbung der Landeshoheit: ,wirkliche und effektive Besitzergreifung‘ [Errichtung einer örtlichen Verwaltung]“, nichts einzuwenden, doch könne damit nicht ein einzelner „Gebietsteil“ eines bereits völkerrechtlich festgelegten Territoriums gemeint sein. Andernfalls „wäre es ein Unding, die Besitzergreifung eines Landes in seiner ganzen Ausdehnung überhaupt auszusprechen“. Was der Gouverneur von Richter Stinzing damit einforderte, war die Gewährung von Zeit für die effektive Herrschaftsaufrichtung. Zeit, die notwendig war, um ein Land Stück für Stück in Besitz zu nehmen, ohne damit die bisher nicht okkupierten Gebiete für andere Mächte zu öffnen.557 Staatssekretär Dernburg vermied es, sich direkt zu den juristischen Streitpunkten zu äußern, da er den „Anschein eines Eingriffes in die richterliche Unabhängkeit“ vermeiden wollte. Doch stimmte er dem Gouverneur „im Wesentlichen zu“.558 Zuvor hatte er sich vor Ort selbst ein Bild machen können. Nach seinem Besuch an den Viktoriafällen räumte dessen Begleiter O. Bongard ein: „der Caprivizipfel, der als Zugang zu[m] … Zambesi gedacht war, ist … nur dem Namen nach deutsch. In Wirklichkeit haben wir nicht die geringste Machtbefugnis dort. Ja wir haben es noch nicht einmal wagen

557 BAB R 1001/2183, Bl.69 – 72, Gouv an RKA, 21.11.08; Bl.73 – 75, Urteil, BG Windhuk, 29.7.08; vgl. Stengel, 1901, S. 8. 558 BAB R 1001/2183, Bl.79, RKA an Gouv, 21.4.09; zu Geik/Rohloffs Handelszug: NAN ZBU 809, G VI e 2, Bd.2, Bl.115 – 164.

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können, einen Posten daselbst zu stationieren.“ Dieser Zustand von Staatslosigkeit sei baldmöglichst zu beenden.559 Die Gründung zumindest einer deutschen Grenzstation im Caprivizipfel, die den „fortgesetzten Zuzug von lichtscheuen Elementen“ überwachen und bestenfalls verhindern sollte, wurde während Dernburgs Anwesenheit 1908 verabredet. Der High Commissioner in Johannesburg, Lord Selbourne hatte seinen Gast gerängt, den Caprivizifel endlich effektiv besetzen zu lassen, andernfalls „würden wir Simon Copper Geschichten in Hülle und Fülle erleben.“560 Es galt „Polizeistationen in jenen Grenzgebieten zu errichten und durch deren gegenseitiges Zusammenwirken Ordnung zu schaffen“, wie Gouverneur v. Schuckmann Lord Selborne schrieb, nachdem dieser dessen „Aufmerksamkeit darauf gelenkt hatte, daß [im Caprivi-Zipfel] ein Zufluchtsort“ für „zweifelhaften Personen“ entstanden sei.561 Eine effektive Okkupation war einzuleiten, damit dem Urteil Stinzings die Grundlage entzogen würde.562 Doch räumte v. Schuckmann ein, er sei sich „bewusst, dass die Verordnung [zur Sperrung des Caprivizipfels] bei dem derzeitigen Stand der Verkehrsmittel und der vorhandenen Organe zur Durchführung der Verwaltung … nicht völlig durchzuführen sein wird.“563 Die Gründung der „Residentur Schuckmannsburg“ Anfang 1909 gegenüber der englischen Station Sesheke am Sambesi unter dem Kommando von Hauptmann K. Streitwolf sowie die von ihm ausgebildeten „Hilfspolizisten“ und gelegentlich veranstalteten „Expeditionen“ in den Caprivizipfel, konnten den rein symbolischen Charakter der dortigen deutschen ,Herrschaft‘ kaum verschleiern. Streitwolfs Anregung, eine Missionsstation „am Zambesi in der Nähe meiner Station“ einzurichten, ließ sich nicht verwirklichen.564 Zwar mochte er anfangs „an eine Besiedlung mit Weißen denken“; war doch mit „diesem wasserdurchtränkten Strich … sicher etwas zu machen.“565 Doch bald erwog er, den Caprivizipfel als Verhandlungsmasse zu nutzen. Ein Austausch gegen Walvis Bay schien vorteilhaft. Auch eine Vergrößerung Togos um „wirklich gutes Land“ im Tausch für den Caprivi-Zipfel erachtete Streitwolf für beachtlich.566 Vorerst aber waren den wenigen „Weißen“ gegenüber die Gesetze des Schutzgebiets „nur insoweit“ zur Anwendung zu bringen „als die Machtmittel des Amts die Durchführung der Gesetze gewährleisten.“ Auch hier zeigte sich der realistische Geist der Verordnung von 1894 über die „In559 Bongard, 1909, S. 53. 560 BAB R 1001/2183, Bl.50, Aufzeichnung Dernburgs, 19.[~5.08], o.D. 561 BAB R 1001/2183, Bl.58, v. Schuckmann an Lord Selborne. 14.9.08; Bl.62, Entwurf für Artikel in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, 24.11.08. 562 BAB R 1001/2183, Bl.69 – 72, Gouv an RKA, 21.11.08. 563 BAB R 1001/2183, Bl.51, Gouv an RKA, 16.8.08, Bl.52, VO v. 16.10.08. 564 AELCRN, C II 1.13, K. Streitwolf an Präses Eich, 4.11.08. 565 BAB R 1001/2183, Bl.101, Streitwolf an Gouv, 6.2.09; BAK N 1042/29, Bl.120, Dt. Kol Ztg 27 (4/ 1910), S. 54 ”Caprivi-Zipfel”. 566 BAB R 1001/2183, Bl.260, Bericht, 13.11.09; vgl. Kaulich, 2001, S. 65 FN151.

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teressensphären“; unabhängig davon, dass seit 1911 die Station nur noch mit Personal der Landespolizei besetzt und also eine reguläre Polizeistation war. Die afrikanische Bevölkerung war „vorläufig möglichst wenig mit Verwaltungsmaßregeln zu behelligen.“567 Mit Recht hieß es über Hans Kaufmann, der als Nachfolger Streitwolfs Resident im Caprivizipfel wurde, er habe sich dort in „einer vom weißen Mann noch unverletzten Natur …[bewegt]; nur auf sich gestellt und ein paar Polizeisergeanten, die mehr den Anschein geben mußten als beweisen konnten, daß Deutschland eine Großmacht war“.568 Die Kavango-Region Den portugiesisch-deutschen Grenzfluss Kavango, der den „Eingang“ zum Caprivi-Zipfel markierte, erreichten in den Jahren 1891, 1899 und 1901 drei deutsche „Expeditionen“. Noch im Oktober 1911 schrieb der Kommandeur der Schutztruppe, v. Heydebreck: „Der Okavango galt bisher als ein Märchenland.“569 Der Distriktschef von Grootfontein, Oberleutnant R. Volkmann, dem das Gebiet formell unterstand, regte nach seiner Reise 1901 zunächst die Niederlassung von Missionaren bei den dort ansässigen Sklavenhandel treibenden Völkern an. Eine Ansiedlung von Deutschen war, abgesehen von verkehrstechnischen Schwierigkeiten – von Grootfontein aus war eine erhebliche Durststrecke zu durchqueren –, wegen des Klimas problematisch. Der Norden galt, ob der (sub)tropischen Lage zur Ansiedlung von Europäern nicht geeignet. Diese „können wohl Landbau- und Bergbau-Arbeiten leiten, aber nicht selbst verrichten.“570 Von den europäischen Händlern wagten sich „nur solche“ in diese Gegenden, „die nichts mehr zu verlieren hatten, und noch nicht einer ist zurückgekommen, der nennenswerten Gewinn zu verzeichnen gehabt hätte.“571 Ihnen wurde der Zugang zum Kavango nicht verwehrt. Doch hatten sie zu unterschreiben, dass ihnen bekannt gegeben wurde, dass die Verhältnisse „unsicher sind“ und die „deutsche Regierung dort keinen Schutz gewähren kann“. Allein im Oktober 1903 zogen neun Händler, meist Buren, an den Kavango.572 Zumindest ein chief, der hompa Himarua, zeigte massive Vorbehalte selbst gegen die Anwesenheit von Missionaren, die ihn mit der „kategorische[n] Erklärung“ zitierten: „Er werde unter keinen Umständen dulden, daß irgendein Weißer sich auf seinem (vermeintlichen) Grund und Boden niederlasse.“573 Dies führte 1903 zu einer „Strafexpedition“ Volkmanns gegen ihn, deren relativen Erfolg er mit einer deutschen Station am Kavango abzusichern 567 568 569 570 571 572 573

BAB R 1001/2184, Bl.106, Gouv : Instruktion, 17.12.10; vgl. Fisch, 1996, S. 102; 122. Fischer, 1935, S. 150. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.290, Kdo an RKA, 10.10.11. Gabriel, 1897, S. 90; vgl. Partsch, 1893, S. 53; Eckl, 2007, S. 13 f. NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.11, BA Schulze an Gouv, 3.10.09. NAN BGR 2, F 9 b, Bl.107, Vermerk DstKdo Grootfontein, 2.10.03. NAN BGR 12, M 2 d, Bl.1, Gouv an DKdo Grootfontein, 24.10.02; Bl.2, Pater Hermandung an DKdo Grootfontein, 24.3.03.

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gedachte. Doch durch den Ausbruch des Krieges 1904 wurde die Gründung verschoben. Erst 1906 bereiste mit Hauptmann Franke wieder ein Deutscher die Region am Kavango. Er schlug abermals die Einrichtung einer „Station am Okavango“ vor und zeigte sich nach einem Besuch bei hompa Libebe in Andara „von der durchaus friedlichen ja ängstlichen Haltung der Ovambos jener Gegend“ überzeugt. Franke klagte über „englische Wühlereien“, die das Ziel verfolgten, „die Deutschen in Misskredit zu bringen. Er glaubte, dass das Kavangotal einstmals in die „Kornkammer des Schutzgebiets“ verwandelt werden könne.574 Doch auch in der Folgezeit galt es, aus militärischen wie fiskalischen Gründen Zurückhaltung gegenüber den dortigen afrikanischen Machthabern zu üben. Als 1908 in Andara eine katholische Missionsstation gegründet werden sollte, bestanden zwar (im Gegensatz zum Vorjahr) keine Bedenken. Doch drang Bezirkschef v. Zastrow darauf, dass „die in Betracht kommenden Persönlichkeiten so ausgewählt werden, daß ein taktvolles Vorgehen gewährleistet wird“.575 Erst mit der Errichtung der Polizeistation Kuring-Kuru 1910 änderte sich die Lage aus deutscher Perspektive grundlegend. Dieser Vorgang soll im abschließenden Kapitel beschrieben werden. Es war die unliebsam erscheinenden Personen zum Vorteil gereichende ,Staatslosigkeit‘ auf ,deutschem Gebiet‘, die stärkere Präsenz der anderen Kolonialmächte und die sich daraus ergebende Konkurrenzsituation sowie deren Drängen auf schärferes Durchgreifen, die die deutsche Kolonialverwaltung bewogen, sich für die weit entfernten und wirtschaftlich kaum nutzbaren Grenzregionen im Norden DSWAs zu interessieren. Doch waren Schutztruppe und Landespolizei mit der Sicherung der Polizeizone hinreichend überfordert, als dass – abgesehen von der Errichtung der ihren symbolischen Charakter kaum verbergenden Stationen am Kavango und Sambesi – weitergehende Schritte hätten unternommen werden können. Der „Norden“ blieb unpolizierbar. Den dortigen afrikanischen Machthabern gegenüber blieb der deutsche Kolonialstaat ohnmächtig.

5.3.2. Die Errichtung der Polizeistation Kuring-Kuru am Kavango „Groß ist … der Nutzen … keineswegs.“576

Die koloniale Konkurrenzsituation zeigte sich nirgendwo im „deutschen Einflussgebiet“ so deutlich wie am Kavango, wo sich die deutsche Verwaltung gezwungen sah, aus Prestigegründen eine Polizeistation zu errichten. Die dabei auftretenden Probleme beleuchten exemplarisch die Errichtung einer solchen Station sowie das Konkurrenzverhalten innerhalb verschiedener 574 NAN BGR 2, F 9 b, Bl.8,13, Hpt Franke an Gouv, 20.11.06; vgl. Eckl, 2004, S. 34 – 53. 575 NAN BGR 12, M 2 d, Bl.3, BA G’fontein an Gouv, 12.7.08; Bl.6, Gouv an Präfekten Nachtwey, 22.7.08; vgl. Eckl, 2004, S. 131 – 39. 576 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.142, Das deutsche Okawango-Gebiet, 1.2.11.

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Verwaltungszweige; drittens zeigt sich, welchen (nur eng begrenzten) Einfluss auf ihre Umwelt eine Polizeistation zu entfalten vermochte. 1909 hatte entlang der Grenze am Kavango ein kolonialer Wettstreit um „Herrschaft, Macht und Einfluss“ eingesetzt. Der ehrgeizige Gouverneur des südangolanischen Huila, Jo¼o d’Almeida errichtete 1909 in Cuangar und weiter flussabwärts mehrere Forts. Von diesen Truppenbewegungen war der Leiter der deutschen Station Namutoni, Zawada, überrascht, als er ihrer – anlässlich einer Patrouille entlang des Kawango – gewahr wurde.577 Vorläufer Bereits vor den Kriegen gegen Herero und Nama waren in Windhoek Pläne zur Errichtung von Stationen im Norden in Aussicht genommen worden. Gouverneur Leutwein plante ab 1903 eine Station in Andara am Kavango, zu der Kolonialdirektor Stübel seine Zustimmung gegeben hatte, auch wenn er warnte, es dürften „hieraus unter keinen Umständen kriegerische Verwickelungen mit den Ovambos erwachsen.“ Bei der „leiseste[n] Gefahr“ sollte das Unternehmen abgebrochen werden.578 Auch damals war es darum gegangen, dem wachsenden portugiesischen Einfluss etwas entgegen zu setzen. Der Gouverneur in Luanda ließ ab 1902 die Kolonialgrenze durch das Ovamboland bestimmen. Mit dem Uukuanjama chief Nejulu vereinbarte er, Forts entlang dieser Grenze zu errichten.579 Als sich Anfang 1904 Schwierigkeiten abzeichneten, schrieb Leutwein aus Keetmanshoop an den Oberleutnant Volkmann in Grootfontein, dass am Kavango nichts unternommen werden könne, auch wenn „das ganze Jahr 1904 darüber hingeht.“580 In den Folgejahren blieb das Gebiet um den ,Eingang‘ zum Caprivi-Zipfel zwischen Angola, Südwestafrika und Betschuanaland Rückzugsraum für europäische Händler und Jäger. Von den Bewohnern des Kavango war ihnen „gegen eine geringe Entschädigung eine skrupellose Trophäenjagd“ gestattet.581 Patrouillen war mit einem Grenzübertritt auszuweichen. Mit Blick auf solche „Elemente“ verwies der Bezirksamtmann von Grootfontein, Dr. Schultze im Februar 1909 darauf, „dass es notwendig ist am Okavango eine Polizeistation zu errichten, wenn das [seit Oktober 1908 geltende] Verbot betreffend das Betreten des Caprivizipfels durchgeführt werden soll. Gerade jetzt, wo die deutsche Herrschaft, durch Errichtung einer Residentur [im Caprivizipfel] festen Fuss zu fassen beginnt, ist es wichtig, dass keine Elemente, die die Ruhe stören könnten, dort eindringen.“582 577 578 579 580 581 582

Eckl, 2004, S. 70 – 75. BAB R 1001/2183, Bl.29, KolA an Gouv, 18.1.04. NAN BGR 2, F 9 b, Bl.58, Dr. Gerber an Mj v. Estorff, 3.9.02. NAN BGR 2, F 9 b, Bl.119, Gouv an Olt Volkmann, 2.1.04. Fisch, 1994, S. 10. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.3, Bl.91, BA Grootfontein, 26.2.09; Bl.131, Bericht, 9.9.09; der stellv. Gouv Hintrager, 1899, S. 40 hatte zum Problem des Grenzübertritt promoviert.

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Planungen und Diskussionen über eine Station am Kavango Zwar sollte „eine Besiedlung am Okavango als außerhalb der Polizeizone liegend, noch nicht vorgenommen werden“,583 doch die neuen portugiesischen Forts verlangten nach einer sofortigen Entsprechung am deutschen Ufer – auch wenn dafür keine Gelder budgetiert waren. Ein Offizier fürchtete andernfalls, „diesen fruchtbarsten und schönsten Teil unserer Kolonie“ zu verlieren.584 Daher genehmigte Staatssekretär Dernburg, der sich noch im Februar 1909 gegen die Ausdehnung der Besiedlung auf das Kavangotal und „insbesondere“ gegen Polizeistationen am Kavango gewandt hatte,585 Ende November die Errichtung einer Station. Die Planungen des Vorhabens aber warfen erhebliche Probleme auf. Zum einen war geeignetes Personal nicht verfügbar, zum anderen fehlte Geld. Im Februar 1910 besprachen sich daher Hauptmann Streitwolf, der Resident im Caprivizipfel, und der Distriktschef von Namutoni, Oberleutnant Zawada, über die Errichtung von größeren Stationen am Kavango, nachdem der Plan, einen Polizisten mit der Leitung einer Handelsstation zu beauftragen, verworfen worden war. Zawada hatte das Gebiet mehrfach besucht und im August 1909 in der Nähe des Orts Kuring-Kuru mit dem Ovakwangari chief Kanjemi, „ein[em] sehr reinliche[n], intelligente[n] Mann von etwa 30 Jahren, der genau weiss was er will“,586 einen Vertrag abgeschlossen. Diesen erachtete das RKA aber nicht als „zweckmäßig oder notwendig“ und genehmigte ihn nicht. Kanjemi hatte „die deutsche Oberhoheit auf dem rechten Ufer des Okavango an[erkannt]“ und billigte „den Bau von deutschen Polizeistationen auf diesem Gebiet“.587 Entgegen den Plänen von Streitwolf und Zawada konnte von „einer kostspieligen Residentur keine Rede sein“. Doch „beabsichtigt[e]“ das Gouvernement, „im Laufe der kommenden Monate [1910] zwei Polizeistationen am Okavango einzurichten“. Geeignet erscheinende Polizeibeamte sollten vorgeschlagen werden. In Frage kamen „nur unverheiratete, vollständig gesunde, im Verkehr m. Eingb. erprobte und gut ausgebildete Beamte“; selbst auf „etwaige Sprachkenntnisse“ hoffte das Gouvernement.588 Erkundungen vor Ort Nachdem die vorherigen Expeditionen von der Schutztruppe durchgeführt wurden, erhielt mit Inspektionsoffizier v. Hirschberg im April 1910 erstmals ein Vertreter der Landespolizei den Auftrag, die Lage am Kavango zu begut583 584 585 586 587

BAB R 1002/2704, Bl.24, ILP an Depot Waterberg, 8.1.09. NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.4, Olt Fischer an Gouv, o.D. [8/09]. NAN BGR 2, F 9 b, RKA an Gouv, 27.2.09. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.3, Bl.159, Olt Zawada, Die Owakwangari, 9.9.09. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.3, Bl.157, Vertrag mit dem Oberhäuptling der Owakwangari, 17.8.09; Bl.170, RKA an Gouv [Verweis auf Liszt, Völkerrecht, S. 100 f.], 12.1.10. 588 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.47 – 49, Errichtung einer Residentur am Okavango,18.2.10; Bl.1, Gouv an BA Grootfontein/Outjo, 3.3.10; Bl. 2 – 3, Olt Zawada an ILP, 2.3.10.

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achten. Er sollte landeskundliche Informationen beschaffen über Wege- und Weideverhältnisse, die Schiffbarkeit des Kavango, die Eignung von Transportmitteln und die Möglichkeiten zum Landbau. Zum anderen hatte er über die politischen Verhältnisse zu berichten und im Hinblick darauf den Ort der zukünftigen Stationen vorzuschlagen.589 Der neue Bezirksamtmann von Grootfontein, B. v. Zastrow, der den bei Gouverneur v. Schuckmann ob seines allzu zögerlichen Auftretens bei den Kavango-chiefs in Ungnade gefallenen und nach Outjo versetzten H. Schultze im Februar 1910 abgelöst hatte, klagte unterdessen über seine mangelnden Instruktionen hinsichtlich des Kavango-Gebiets. Er drang auf seine Beteiligung an der Expedition in den Norden seines Bezirks,590 sorgte er sich doch um die „Verproviantierung“ neuer Stationen.591 Auch mit Blick auf diese praktischen Problem und Mehrkosten bestimmte Staatssekretär Dernburg im April 1910 nur eine Station zu errichten.592 Gouverneur v. Schuckmann hatte sich zuvor für die Errichtung einer Station „gegenüber Kuring Kuru“ ausgesprochen.593 Die Auswahl der Besatzung gestaltete sich schwierig.594 Oberleutnant v. Hirschberg bat um einen Lazarettgehilfen, ausgebildete Handwerker und „sprachgewandte Leute“. Doch stellte sich die Frage „Woher sollen die nur kommen“? Immerhin, einen Französisch sprechenden Sergeanten konnte v. Hirschberg benennen. Entgegen der ursprünglich geplanten 10 sollten nur vier Beamte ausgewählt werden.595 Noch fehlte eine „Instruktion des Stationsältesten über Benehmen den Eingeborenen, den Portugiesen und weißen Händlern gegenüber“.596 Zumindest war durch Zawada bekannt, dass „[f]ast alle Owakwangari Gewehre und reichlich Munition [haben]. Ich sah fast alle jemals erfundenen Modelle“597 Auch war zu klären, inwieweit deutsches Recht in dem Gebiet zur Anwendung kommen sollte.“598 Die Instruktion an den Patrouillenführer v. Hirschberg machte ihm „die größte Vorsicht zur Pflicht“. Fragen von „portugiesische[n] Funktionären“ war „auszuweichen“ und die Vorläufigkeit des Ganzen zu betonen. Trotzdem es sich um „Voruntersuchungen“ handelte, sollte der „politische Fehler“ vermieden werden, „die Patrouille, die sich dort einmal gezeigt hat, wieder

589 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.43 – 44, ILP an v. Hirschberg und BA Grootfontein, 28.4.10. 590 NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.14, Gouv an BA Schulze, 13.10.09; Bl.32, BA Grootfontein an Gouv, 16.2.10. 591 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.45 f.; Bl.52, BA Grootfontein an Gouv, 5.4.10; 18.5.10. 592 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.61, RKA an Gouv, 16.4.10; Bl.55, ILP an v. Hirschberg, 1.6.10; zur Kartierung: NAN STR 21, II n 1, KdoSchTr an Gouv, 5.7.10. 593 NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.10, Gouv an 1. Ref Hintrager, 9.2.10. 594 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.15, ILP an Olt v. Hirschberg, 1.6.10. 595 NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.13, BA Schulze an Gouv, 3.10.09. 596 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.12, Polizeidepot Waterberg an ILP, 28.5.10. 597 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.3, Bl.160, Bericht. Die Owakwangari, 9.9.09. 598 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.12, Polizeidepot Waterberg an ILP, 28.5.10.

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zurückzuziehen“. Eine „stehende Patrouille [war] am Okavango“ zu belassen, doch „dürfen keinerlei Kosten für Bauten entstehen.“599 Die ,versehentliche‘ Gründung der Station Entgegen seiner Instruktion wurde v. Hirschberg, der bereits unterwegs war, aufgrund von Unstimmigkeiten über die Kostenverteilung angewiesen, von der Errichtung einer vorläufigen Station („stehende Patrouille“) abzusehen. Der Befehl erreichte ihn jedoch auf seinem 300 km langen Weg von Grootfontein zu dem von Zawada vorgesehenen Platz nicht mehr. Am 20. Juli 1910 ging das Telegramm ein: „Station ist errichtet“.600 In der Nähe der Residenzen Himaruas und Kandjimis, mit denen Zawada dies im Jahr zuvor vereinbart hatte, in Kuring-Kuru gegenüber dem Fort Cuangar, bezogen nun der Wachtmeister Westphal, die Sergeanten Ostermann und Ulrici sowie die Polizisten Fahrig und Zeller mit acht namentlich nicht genannten Polizeidienern einige eilig selbst gefertigte Basthütten. Kaum aber war sie (versehentlich) errichtet, stellte sich die Frage, ob die Station während der bevorstehenden Regenzeit eingezogen werden müsse. Während Bezirksamtmann v. Zastrow, dem die Station unterstand, sich mit Blick auf die Kosten und aus Rücksicht auf die Gesundheit der Polizeibeamten dafür aussprach, sie wieder abzuziehen, war Inspektionsoffizier v. Hirschberg dafür, die Station besetzt zu lassen, da „noch vor der Regenzeit 1 – 2 Räume aus Ziegeln fertig werden“ könnten.601 Das Gouvernement entschied aus Gründen der ,politischen Klugheit‘, Kuring-Kuru besetzt zu lassen. Um die Annäherung an den benachbarten „Ovambokapitän“ zu ,untermauern‘, wurde ihm ein Pferd geschenkt. Auch wurden im November 1910 die Frauen der Polizeidiener an den Kavango gesandt.602 Das politische Umfeld der Station Die nun permanente Anwesenheit der Deutschen führte bald zu Streitigkeiten mit den Portugiesen, denen ein deutscher Besucher in Angola „eine fast krankhafte Furcht vor Wegnahme der Kolonie durch einen fremden Staat“ unterstellte.603 Tatsächlich hatte Deutschland Interesse an den portugiesischen Kolonien angemeldet.604 Diese ,große Politik‘ stand im Hintergrund, wenn der Ausgangspunkt der Grenzlinie vom Kavango zum Kunene zwischen den 599 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.53 – 55, Gouv an v. Hirschberg, 1.6.10; Bl.57 – 58, Mehrausgaben durch Patrouille und Polizeistation am Okavango, 1.6.10. 600 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.69, Tlgr. BA G’tein, 20.7.10; Bl.59 – 60, Vermerke, 6.–10.6.10. 601 Vgl. Rafalski, 1930, S. 148; NAN LPO 4, O I c 25, Bl.70, BA Grootfontein an Gouv, 20.7.10; Bl.72, v. Hirschberg an BA Grootfontein, 6.7.10. 602 NAN LPO 4, O I c 25, Bl. 102, Gouv an BA G’fontein; Bl.83, PolDep Waterberg an Gouv, 10.11.10; Bl.84, Gouv an BA G’fontein, 8.11.10; Bl. 11, PolDep Waterberg an ILP, 28.5.10. 603 BAB R 1001/9027, Bl.131, Geheimbericht, o.D. [~12/14]; vgl. Heintze, 1999, S. 23 f. 604 Vgl. Tschapek, 2000; Canis, 1999, S. 291 f.; Forsbach, 1997, S. 331; 498; 506 FN 567; 530 f.; 564 – 7; Nipperdey, 1992, S. 670; Gollwitzer, 1982, S. 246.

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Stationsbesatzungen strittig blieb.605 Doch war ihr Verhältnis zueinander so schlecht nicht. Als der Polizist Zeller an Schwarzwasserfieber erkrankte, versorgte ihn der Kommandant von Cuangar, S. NuÇes.606 Die Station wurde „von Seiten der Portugiesen mit Aufmerksamkeiten überhäuft …, die aus Höflichkeit nicht zurückgewiesen werden können.“607 Hirschberg verfasste nach seiner Rückkehr aus Kuring-Kuru im September 1910 einen Bericht über die Station. Darin ging er auch auf das Verhältnis zu den umwohnenden Afrikanern ein. Er äußerte sich über sie fast ausschließlich positiv : „Die Leute sind durchweg sehr kräftig und gut gewachsen, arbeitsam, intelligent und unverdorben. Zuerst waren sie sehr ängstlich, beruhigten sich aber bald, als sie sahen, dass wir ihnen nichts Uebles wollten.“ Sie wären „freundlich, entgegenkommend und heiter“ und würden „niemals zudringlich“, besäßen „Ehrlichkeit und natürliche[s] Taktgefühl“. Von dem katholischen Missionar Bierfert hatte v. Hirschberg gehört, dass „die Leute sehr ängstlich waren, als sie hörten, dass Polizei kommt“, weshalb er dem chief Njangana gegenüber zum Ausdruck brachte, „dass die Polizei nichts Schlimmes von den Eingeborenen wolle“.608 Doch ist v. Hirschbergs Schilderung mit Vorsicht zu lesen, weil er wegen des von ihm gewünschten personalintensiven Stationsausbaus bestrebt sein musste, das Verhältnis zu den Landesbewohnern in ein positives Licht zu rücken. Der Eindruck, sich am Kavango auf ein Wagnis mit ungewissem Ausgang einzulassen, sollte bei der vorgesetzten Behörde vermieden werden. Hirschbergs Beobachtungen über die Portugiesen zeugen von Aufmerksamkeit für das Verhältnis zwischen Kolonialmacht und afrikanischer Bevölkerung. Da die Portugiesen länger und mit größerem Personalaufwand vertreten waren, nutzte er die Gelegenheit, vor ihren Fehlern zu warnen. Im Juli 1910 hatte er beobachtet, dass die Portugiesen „äußerst unbeliebt“ wären. So hätte der chief Karupu geäußert: „wenn eine deutsche Station kommt, ziehe er mit seinem ganzen Stamm [auf das deutsche Ufer des Kavango] herüber.“ Die offenbar nachdrückliche Durchsetzung portugiesischer Bestimmungen („nicht nur Hüttensteuer, sondern auch ein Zehnt von aller Frucht“) nahm v. Hirschberg zum Anlass, davor zu warnen, „unsere Bestimmungen zu Anfang zu schroff durch[zu]führen“.609 Es galt den „tiefgehende[n] Hass“ gegen die Portugiesen für DSWA zu nutzen.610 Auch Hauptmann Streitwolf nahm die Abneigung der Bevölkerung gegen die Portugiesen wahr und vermerkte sar605 Vgl. NAN ZBU 10, A I d 3, Bl.2 – 5, Bericht, 16.6.11; zu Grenzfestlegungen, die bis 1914 nicht abgeschlossen waren: Kaulich, 2001, S. 60 – 70; Vigne, 1998, S. 289 f.; Demhardt, 1997. 606 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.91, BA Grootfontein an Gouv, 18.11.10. 607 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.146 – 159 (149), Bericht über die Okawangoexpedition, 24.1.11. 608 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.105 – 116 (107/112), Bericht über die Expedition, 14.9.10. 609 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.70, BA Grootfontein an Gouv, 20.7.10; Bl.72, v. Hirschberg an BA Grootfontein, 6.7.10. 610 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.105 – 116 (111), Bericht [des Olt.v. Hirschberg] über die Expedition nach dem Okavango, 14.9.10; NAN ZBU 10, A I d 3, Bl.16, Bericht PS Ostermann, 12.11.13.

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kastisch den sich daraus ergebenden Vorteil: „Die Portugiesen verwalten, wie wir dankbar anerkennen müßen, so vorzüglich, daß sie bereits die Hälfte der Eingeborenen hinausverwaltet haben. Stationen unsererseits könnten den wohltätigen Einfluß der Portugiesen eher hindern als fördern.“611 Bezirkschef v. Zastrow vermerkte als „Grundton fast jeder Unterredung“: „,Der Deutsche ist gut, der Portugiese ist schlecht‘“ und hielt, kein Freund des deutschen Unternehmens am Kavango, ähnlich wie Streitwolf die Errichtung von Stationen für eher hinderlich, um Arbeitskräfte auf das deutsche Ufer zu ziehen.612 Sergeant Ostermann berichtete mehrfach von versuchten Vieh-Konfiskationen und Feuergefechten zwischen Portugiesen und den Leuten Kanjemis, nach denen er alle Mühe gehabt hätte, diese vom „Schutz“ durch die deutsche Polizeistation zu überzeugen.613 Selbst eine portugiesische Kolonialzeitschrift klagte 1910 über die Steuereintreibung im südlichen Angola. Es war die Rede von „Erpressungen“ und „Bedrückungen …, die seitens der Steuereinnehmer ausgeübt werden, und die die Behörden bisher ungestraft gelassen haben.“614 Die Übersiedlungen auf das von der Kolonialherrschaft kaum beeinflusste ,deutsche‘ Ufer schien nachvollziehbar ; obwohl v. Zastrow im Januar 1911 „noch ein grosses Misstrauen gegen jeden Weissen, insbesondere Soldaten oder Polizisten“ feststellte.615 Kuring-Kuru war 1904 auf portugiesischer Seite verzeichnet worden, während gegenüber Okambombo, die Ansiedlung um die Residenz des chiefs Himarua, lag. Auch Zawada vermerkte auf seiner Karte von 1909 Kuring-Kuru noch auf ,portugiesischer‘ Seite. Doch hatten dessen Einwohner im folgenden Jahr ihre Ansiedlung samt Namen auf das ,deutsche‘ Ufer verlegt.616 Die Diskussion um die Schließung der Station Die gesundheitlichen Gefahren, denen man das Personal ohne hinreichende Unterkunft aussetzte und vor denen v. Zastrow gewarnt hatte, fanden keine Beachtung, obwohl sie seit Jahrzehnten bekannt waren.617 Ein Fehler, wie sich noch vor Anbruch der Regenzeit herausstellen sollte. Am 7. November 1910 starb der Polizist Zeller an Schwarzwasserfieber. Zastrow, der sich aus gesundheitlichen Rücksichten um die Auflösung der Station bemühte, blieb der „Zweck“ der Station unverständlich, weshalb es ihm schwer fiel „zu beurteilen, 611 612 613 614

NAN LPO 4, O I c 25, Bl.143, Das deutsche Okavango-Gebiet, 1.2.11. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.146 – 159 (153), Bericht über die Okavangoexpedition, 24.1.11. NAN ZBU 10, A I d 3, Bl.2 – 5, Bericht, 16.6.11; Bl.16 – 19, Bericht, 12.11.13. NAN STR 21, II m 1, Bl.18, Übersetzung: „Portugal em Afrika“, Nr. 224, S. 118, 20. 4. 1910; vgl. BAB R 1001/2184, Bl.109, Gouv an RKA, 19.3.11. 615 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.146 – 159 (153), Bericht über die Okavangoexpedition, 24.1.11. 616 Vgl. Kriegskarte DSWA, Berlin 1904. (Reprint Windhoek 1987 [Archeia 6], Index, S. 18, 23; vgl. Lindholm, 2006, S. 112 f.; Eckl, 2004, S. 105; BAB R 1001/2183, Bl.214, Olt Zawada, 9.9.09; BAB R 1001/2184, Bl.29, Skizze, 1909; Fleisch/Möhlig, 2002, S. 218; S. 315 FN 44. 617 Vgl. A.W. Ericksson an N.N., 27. 2. 1888, in: Rudner, 2006, S. 137; Andersson, 1861, S. 217.

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ob die geäußerten Bedenken gegenüber dem Zweck … zurücktreten müssen“ – so seine vorsichtige Kritik an dem Unternehmen.618 Das Gouvernement nahm diese Kritik ernst, doch, wie der neue Gouverneur T. Seitz im Dezember an das RKA schrieb, würde er sich zur „Zurückziehung des Postens … schon aus politischen Gründen nicht entschließen können.“ Vor allem aber aus „wirtschaftlichen Erwägungen“ heraus sei er gezwungen, „unseren Einfluss … nach und nach zu stärken.“ Mit Rücksicht auf die Aufrechterhaltung des Diamantenabbaus und des Eisenbahnbaus sei die Station erforderlich, um „alle verfügbaren Kräfte“ zu gewinnen.619 Gleichwohl entsandte der Gouverneur im Dezember 1910 v. Zastrow sowie den Residenten im Caprivizipfel, Streitwolf, und Oberarzt Greiner zu einer Inspektionsreise nach Kuring-Kuru. Greiner sollte die sanitären Verhältnisse der Station prüfen und feststellen, ob die Beibehaltung des Postens „mit Rücksicht auf die Gefahren für die Gesundheit und das Leben der Europäer überhaupt möglich ist.“ Darüber hinaus sollten sie einschätzen, ob „politische, militärische und wirtschaftliche Gründe den hohen Kostenaufwand rechtfertigen“. Streitwolf wurde die Grenzfestlegung mit den Portugiesen und die militärische Beurteilung des Postens aufgegeben. Zastrow war als Leiter der Reise ermächtigt, Kuring-Kuru aufzuheben. Doch betonte Seitz, „dass die letztere Maßnahme mit Rücksicht auf unser Ansehen gegenüber Portugiesen und Eingeborenen nur im äussersten Notfall getroffen werden darf.“620 Ende Dezember, als der Staatssekretär v. Lindequist „zwecks eventueller Verwertung“ im Reichstag über Personalstärke und Dauer der Stationierung am Kavango informiert werden wollte, hieß es: „Polizeibesatzung Caprivizipfel und Okawango dauernd.“ „5 Beamte [und] 10 Eingeborene“ waren zu diesem Zeitpunkt in Kuring-Kuru stationiert.621 Selbstverständlich war diese Entscheidung nicht. Die drei ,Inspektoren‘, die Mitte Dezember 1910 in Kuring-Kuru angekommen waren, entschieden sich zwar gegen eine sofortige Aufhebung aus gesundheitlichen Rücksichten. Doch legten ihre Schreiben an den Gouverneur diesem bei Abwägung aller Kosten einen solchen Schritt nahe. In seinem Bericht über den „Wert des OkavangoGebiets und seine eventuelle Verwaltung“ betonte Hauptmann Streitwolf: „Groß ist … der Nutzen, den uns das Okavangogebiet bringen kann, keineswegs. Wir können dafür auch mit den Aufwendungen für dasselbe… sparsam sein.“622 Dem schloss sich v. Zastrow an. Seiner von Anfang an kritischen Haltung folgend, sprach er sich auch im Januar 1911 für die Einziehung Kuring-Kurus aus. Statt der Station schlug er jährliche Patrouillen vor, die sich 618 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.91, BA Grootfontein an Gouv, 18.11.10; Bl.96, Tlgr BA Grootfontein an Gouv, Antrag auf Auflösung, 17.11.10; vgl. Crosby, 2004, S. 138. 619 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.173 – 174, Gouv an RKA, 12.12.10; vgl. NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.4e, BA Schultze an Gouv, 3.10.09; vgl. Eckl, 2007, S. 34. 620 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.118 – 120, Gouv an v. Zastrow, Streitwolf, Greiner, 3.12.10. 621 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.126, RKA an Gouv, 29.12.10; Bl.127, Tlgr. Gouv an RKA, 24.1.11. 622 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.142, Das deutsche Okawango-Gebiet, 1.2.11.

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auch nicht „in die internen Angelegenheiten der Eingeborenen einmischen“ müssten.623 Auch Oberarzt Greiner zeigte sich wenig überzeugt. Er erklärte, es wären „Malaria und … Schwarzwasserfieber … die Hauptfeinde des hier ansässigen oder reisenden Europäers.“ Er konnte die Situation daher auf die Frage zuspitzen: „Malaria oder Mensch?“ – kam aber zu dem Ergebnis, letzterer „brauche nicht der Malaria das Feld zu räumen.“ Aus seiner Perspektive war die Aufrechterhaltung zwar möglich, er riet aber zu „Sanierungsarbeiten“.624 Dass sich Seitz entschied, „die Station zunächst nicht aufzuheben“, obwohl er ihr weder politisch noch wirtschaftlich eine „besondere Wichtigkeit“ beimaß, begründete er gegenüber dem RKA im März 1911 mit der Erwägung, „dass wir unser Ansehen bei den Eingeborenen durch Zurückziehung der Station schwächen … würden“; auch verwies er auf die Portugiesen.625 Im Jahresbericht der Verwaltung für 1910 hieß es zurückhaltend: „Auf KuringKuru am Okavango wurde eine Polizeistation gegründet, um die dortigen Verhältnisse zu beobachten.“626 An die Ausübung kolonialer Macht war nicht zu denken. Ein Kosten-Nutzen-berechnender Realismus war von den Bestrebungen kolonialer Eitelkeit, es den Portugiesen gleich zu tun, ausgebremst worden. Die Möglichkeiten der Arbeiterrekrutierung waren durch die geringe Anzahl freier Arbeitskräfte und die große Entfernung zur Polizeizone begrenzt. Die Ansiedlung Deutscher war nicht praktikabel. Es blieben die symbolischen Faktoren der Macht wie „Ansehen“ und „Einfluss“, die dem Gouverneur, im Gegensatz zu v. Zastrow und Streitwolf, eine Polizeistation am Kavango wert schienen, die unzweifelhaft die bisher teuerste sein würde. Doch räumte Seitz damit ein, dass Kuring-Kuru nichts weiter war als ein koloniales Symbol. Herrschaft und Macht hafteten nicht den (schwachen) Strukturen an, sondern blieben „zentriert um den Körper des Kolonisierenden“ – den fünf Beamten vor Ort.627 Afrikaner und Deutsche in Kuring-Kuru Da die Station nun ausgebaut wurde, liegt die Frage nahe nach dem Verhältnis zur ansässigen Bevölkerung sowie dem Alltagsleben auf der Station und in ihrem Umfeld. Bemerkenswert ist zunächst, dass die anwesenden Beamten dieses Verhältnis, wie in den Schilderungen v. Hirschbergs angedeutet, als überwiegend positiv darstellten. Schon im Januar 1909 hatte der Oberleutnant Fischer berichtet, „die grosse Waffentat – die Niederwerfung des Hererovolkes – hat uns dort sehr viel Achtung eingetragen.“628 Gleichwohl, Resident Streitwolf, der zwar nach eigenem Bekunden die politischen Verhältnisse bei 623 624 625 626 627 628

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NAN LPO 4, O I c 25, Bl.146 – 158 (155), v. Zastrow: Bericht, 24.1.11. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.161/6/7, Bericht, 5.2.11; vgl. Marmoreck, 1901, S. 58 – 79. BAB R 1001/2184, Bl.109, Gouv an RKA, 19.3.11. NAN ZBU 159, A VI a 3, Bd. 24, Bl.2, Jb der Verwaltung, o.D.[~6/1911]. Pesek, 2005, S. 254. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.3, Bl.110, Olt Fischer : Bericht, 15.1.09.

Himarua und Niangana nicht kannte, aber wusste, „dass alle Stämme auf portugiesischem Gebiet sind“, glaubte 1909 nicht, „dass diese je zu uns übersiedeln werden. Unser Renomee ist zu schlecht bei den Eingeborenen.“629 Bezirksamtmann v. Zastrow aber konnte im Mai 1911 berichten, dass die „Abwanderung auf das deutsche Gebiet“ anhielt. Das Motiv dafür könnte, neben den portugiesischen Steuereintreibern, der mit dem Sanitätsdienst beauftragte Sergeant Ostermann geliefert haben. Er erwähnte in seinem Gesundheitsbericht, die Station sei „vielfach von kranken Owambo-Männern und Frauen aufgesucht [worden], die um Behandlung baten, welche stets und in den meisten Fällen mit Erfolg gewährt wurde.“630 Wenig später hieß es, es „sitzen so gut wie alle Eingeborenen am Okavango auf [deutscher] Seite.“ Zwar existiert für diese Aussage keine Bestätigung Dritter, doch lässt sie auf eine Attraktivität des deutschen Stützpunkts für die Bevölkerung schließen. Der Polizeisergeant Fahrig berichtete nach einer Patrouille, die „Eingeborenen … zeigten sich überall sehr freundlich“.631 Den von Ostermann beschriebenen Heilerfolgen wird dabei eine Schlüsselfunktion zuzuschreiben sein. Die Anwendung europäischer Medikamente und Heilmethoden und die daraus resultierenden Erfolge führten nicht allein zu individueller ,Wertschätzung‘ der Neuankömmlinge am Kavango, sondern war auch deren Mittel, um sich als Überbringer zivilisatorischer Errungenschaften ins rechte Licht zu setzen.632 Wegen dieses Erfolgs sprach sich v. Zastrow nun gegen eine Aufhebung der Station aus. Im Oktober 1911 präzisierte er : „Die Station Kuring-Kuru zählt etwa 300 Männer, 420 Frauen und 500 – 600 Kinder.“ Nach Ansicht der Vorgesetzten hatte die ansässige Bevölkerung „großes Vertrauen zur Polizeistation, insbesondere dem Polizeisergeanten Ostermann, der mit den Eingeborenen ausgezeichnet umzugehen versteht“.633 Oswald Ostermann, Jahrgang 1881, war bis zu seiner Einstellung im Kolonialdienst Sanitätssergeant in Mainz gewesen und hatte sich dann für die Schutztruppe, später für den Polizeidienst gemeldet. Als der Bezirksamtmann von Windhoek 1908 die Inspektion um einen „schreibgewandten Polizeisergeanten“ bat, wurde ihm der bisher in Kupferberg stationierte Ostermann überwiesen.634 Hirschberg, der Inspektionsoffizier in Kupferberg, war schon damals mit Ostermann zufrieden. Auch Windhoeks Bezirkschef Brill stellte ihm ein gutes Zeugnis aus635 und setzte sich dafür ein Ostermann „im Dienste

629 BAB R 1001/2183, Bl.255, Olt Streitwolf: Bericht, 13.11.09. 630 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl. 98, BA Grootfontein an Gouv, 16.5.11; Bl.99, Bericht PolSt Kuring-Kuru, 15.5.11. 631 NAN BGR 2, F 9 b PolSt Kuring-Kuru an BA Grootfontein, 25.7.10. 632 Vgl. Lugwuanya, 2000, S. 23. 633 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.109, BA Grootfontein an Gouv, 27.5.11; Bl.147, BA Grootfontein an Gouv, 31.10.11. 634 BAB R 1002/3282, Bl.17, ILP an PolDep Kupferberg, 11.11.08. 635 BAB R 1002/3282, Bl.21, Qualifikationsbericht PS Ostermann, 6.1.10.

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der [Windhoeker] Ortspolizei [zu] erhalten“.636 Da Ostermann aber eine Ausbildung zum Sanitäter vorzuweisen hatte und ihm auch eine „selbständige Stellung“ zugetraut wurde, nahm ihn der neue Inspekteur Bethe 1910 für eine „spätere Verwendung am Okavango“ in Aussicht. Dort kam er zum Einsatz, doch sein neuer Vorgesetzer Bezirkschef v. Zastrow konnte sich eines widersprüchlichen Eindrucks nicht erwehren: „Tüchtig und besonders als Sanitätssergeant brauchbar. Er ist sich dessen bewußt und leidet deshalb an dem so viel hier verbreiteten afrikanischen Größenwahnsinn.“. Trotz der Allüren befürwortete v. Zastrow Ostermanns Verwendung am Kavango, hatte er sich doch „den Portugiesen gegenüber sehr besonnen und umsichtig benommen“.637 Mit der ersten Besetzung Kuring-Kurus 1910 war v. Zastrow weniger zufrieden gewesen. Zwar erkannte er an, dass diese sich Mühe gegeben hatte, doch nannte er die Auswahl der Beamten „keine glückliche.“ Die Einsicht in die Notwendigkeit, sich den „besonderen Verhältnissen anzupassen“, vermisste er bei ihnen. Insbesondere der Stationsälteste Westphal sei „seiner Aufgabe nicht gewachsen“. Er wurde auch aus gesundheitlichen Gründen abgelöst. Der Oberarzt Greiner diagnostizierte „Zeichen beginnender Nervenschwäche“.638 Nach v. Zastrows Einschätzung waren auf der Station Leute nötig, „die sich in jeder Lebenslage selbst zu helfen wissen“.639 Nach Westphals Ablösung Ende Januar 1911 wurde Sergeant Ostermann „Stationsältester am Okavango“. Eine Aufgabe, bei der er „besondere Energie, Gewandtheit und Ruhe gezeigt“ hatte, so v. Zastrow in einem Qualifikationsbericht.640 Auch wenn seine Schießfertigkeiten nur „befriedigend“ waren, wurde Ostermann auf Vorschlag des Bezirkschefs v. Zastrow zum Wachtmeister befördert. Dabei konnte Ostermann „an dem [vorgeschriebenen Wachtmeister-]Kursus in Windhuk nicht teilnehmen, da er in Kurinkuru nicht abkömmlich ist.“641 Es sei „seinem Einfluß nicht zum wenigsten zu verdanken …, daß die Abwanderung der Eingeborenen auf unsere Seite stattgefunden hat, trotz der vielfachen Bemühungen der Portugiesen, sie nördlich des Okavango zu halten.“ Allzu große Freundlichkeit aber zeitigte Probleme: Immer wieder kämen „Häuptlinge von den Ovambo-Stämmen und erbitten Geschenke, … angeblich“ hatte Ostermann in zwei Jahren 400,– M aus eigenen Mitteln gezahlt.642 Als die chiefs Himarua und Kanjemi dem Inspektionsoffizier v. Hirschberg je eine Kuh schenkten – „wirklich das Beste was sie geben 636 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, Bl.24, BA Windhuk an Olt Hollaender, Kupferberg, 13.4.10. 637 BAB R 1002/3282, Bl.21, ILP an BA Windhuk, 20.4.10; Bl.27, Qualifikationsbericht PS Ostermann, 2.2.11; Bl.30, BA Grootfontein an ILP, 17.5.11; Bl.32, Gouv an RKA, 2.10.11. 638 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.161, Bericht, gesundheitliche Verhältnisse, 5.2.11. 639 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.146 – 158 (149/157), Bericht, 24.1.11. 640 BAB R 1002/3282, Bl.37, Qualifikationsbericht PSgt Ostermann, 29.12.11. 641 BAB R 1002/3282, Bl.41, Qualifikationsbericht, 7.2.13; Bl.43, BA Gr’tein an ILP, 16.6.13; Bl.48, Qualifikationsbericht, o.D.[24.12.14], Notiz Bethe. 642 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.5, Bl.85, ILP an Gouv, 13.9.12.

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konnten“ – und v. Hirschberg auf Gegengeschenke drängte, ohne die er nicht nach Kuring-Kuru könne, mahnte v. Zastrow jedoch zur Zurückhaltung. Ein Pferd sei „erst dann zu geben, wenn die Kapitäne Arbeiter herunterschicken.“643 Zwar wurde das Verhältnis zwischen Stationsbesatzung und der afrikanischen Bevölkerung als einvernehmlich beschrieben, doch blieb eine Distanz, die sich im Alltag bemerkbar machte. Gouverneur Seitz wusste: „Wir sind diesen Eingeborenen durch die bisher vorhandenen geringen Verbindungen weniger bekannt.“644 Er plante daher, sie mit einem Truppenaufmarsch zu beeindrucken. Bei dem „grosse[n] Misstrauen gegen jeden Weissen, insbesondere Soldaten oder Polizisten“, war es nicht verwunderlich, dass sich kaum helfende Hände für den Stationsbau fanden.645 Der Stationsbau Bis 1911 bestand die Station aus einer Ansammlung von Schilf- und Lehmhütten; die Fenster notdürftig mit Gaze verhangen, die Decken mit braunem Drell bezogen – „viel Licht ist in den Zimmern nicht vorhanden.“ Zastrow meinte mit Blick auf das „Ungeziefer“, die Hütten hielten vielleicht eine Regenzeit, „länger aber nicht.“646 Diese mangelhafte Wohnsituation führte zu gesundheitlichen Problemen. Ohnehin hatte man sich im Gouvernement über das dort herrschende „gefährliche Klima“ keinen Illusionen hingegeben. Es wurde eingestanden, dass die Polizisten „mangels jeglicher Unterkunft ihre Gesundheit noch besonders aufs Spiel setzen.“647 Im Mai 1911 berichtete v. Zastrow zwar, „[d]ie Besatzung der Station Kuring-Kuru hat die Regenzeit leidlich überstanden.“ Trotz Chinins aber waren die Europäer, ebenso wie die zehn Polizeidiener, an Malaria erkrankt. „Die Frauen der Eingeborenen [Polizeidiener] fühlten sich schlecht.“ Der Stationsälteste Ostermann erlitt „einen Anfall mit Temperatursteigerung bis 40,5. Eine solche Tour wiederholte sich öfters.“648 Der Sergeant Graulich schließlich „erschoss sich [im Juni] 1911 im Fieberdelirium.“649 Diese mit zwei Toten innerhalb des ersten Jahres „katastrophale Bilanz“650 setzte sich Anfang 1912 mit dem Tod des „Kameruner Strafgefangenen“ N’ko fort, der an Skorbut gestorben war. Derartig tragische Folgen schlechter Unterbringung und Versorgung verlangten nach einer Entscheidung, was es 643 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.5, Bl.117, OffzP I an ILP, 5.2. 13; Bl. 118 BA Grootfontein an Gouv, 2.3.13; vgl. BAB R 1001/9098, Bl.1116, Bestimmungen, 2/06. 644 NAN ZBU 10, A I d 3, Bl.11, Gouv an RKA, 25.7.11. 645 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.146 – 159 (153), Bericht, 24.1.11; Rafalski, 1930, S. 150. 646 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.165; 161; Bericht betr. gesundheitlichen Verhältnisse, 5.2.11. 647 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.40, Vermerk im Gouv, November 1909. 648 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.98, BA Grootfontein an Gouv, 16.5.11; Bl.99, Bericht. 649 Rafalski, 1930, S. 150; NAN LPO 4, O I c 25, Bl.176 f., Hirschberg an ILP, 22.6.11. 650 Eckl, 2004, S. 196; vgl. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.105 – 116 (111/116), Bericht [des Olt. v. Hirschberg], 14.9.10; Bl.146 – 158 (146), Bericht über die Okavangoexpedition, 24.1.11.

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heißen sollte, „die Station zunächst nicht aufzuheben“.651 Zastrow mahnte den Bau eines massiven Hauses vor der nächsten Regenzeit an und bat, „mit dem Stationsbau beginnen zu dürfen.“652 Im Juli 1911 traf die Bewilligung für die erforderlichen 10.000,– M ein:653 „Für den Bau der Häuser mussten Ziegel gebrannt und Kalk gewonnen werden. Dazu war zunächst der Bau von Ziegelund Kalköfen nötig.“654 Bis „Ende 1911“ wurde ein Gebäude mit Grasdach errichtet. 1912 waren zwar Dachpappe und das für einen Neubau erforderliche Werkzeug an den Okavango transportiert worden, doch kam es über die Abwicklung des Baus zu einer Auseinandersetzung zwischen der Inspektion und dem Bezirksamt Grootfontein: Zastrow bat daher das Gouvernement, dass „entweder die Landespolizei oder der Bezirksamtmann die Sache selbständig erledigt.“ Der Gouverneur, daran interessiert, die wichtigsten Arbeiten noch vor Beginn der Regenzeit abgeschlossen zu wissen, erteilte ihm im Oktober 1912 „freie Hand“.655 Persönliche Eitelkeiten hatten verhindert, dass der Bau eher in Angriff genommen werden konnte. Die Bauphase geriet in die Regenzeit. Doch im April 1913 konnte v. Hirschberg melden, dass während der letzten „Regenzeit sowohl bei Weißen wie Eingeborenen wenig Malaria und diese nur von schwachen Fieberanfällen begleitet war. Es ist dies wohl auf die bessere Unterbringung und eine … Chininprophylaxe zurückzuführen.“ Die Polizeidiener waren „vollkommen regensicher“ untergebracht. Für die Beamten stand ein Gebäude „mit 3 geräumigen Zimmern“ zur Verfügung. 1914 wurden zwei Ziegelbauten vollendet.656 Der neue Inspektionsoffiziers Mannhardt beurteilte nach einer Inspektionsreise Kuring-Kuru „[a]ls besonders gut“. Der Wachtmeister Ostermann durfte sich der „besonderen Anerkennung seiner Tätigkeit“ durch den Inspektionsoffizier erfreuen.657 Wie ,normalisiert‘ die Situation am Okavango unter den Vorgesetzten galt, zeigte sich, als Ostermann im April 1914 um die Genehmigung seiner Heirat mit der 24 jährigen Lehrerin Margarete Berdrow aus Rietfontein für den Oktober oder November d.J. nachsuchte. Bezirkschef v. Zastrow hegte ebenso wenig wie der Inspektionsoffizier Bedenken, da eine „Verheiratetenwohnung“ dann „voraussichtlich vorhanden“ sei. Ostermanns „Gesuch“ wurde darauf-

651 BAB R 1001/2184, Bl.109, Gouv an RKA, 19.3.11; Echenberg, 2001, S. 36 f.: „From the beginning, the newly emerging field of tropical medicine was an ,instrument of empire‘, employed to enable Europeans to live anywhere on the globe.“; Wallace, 2002, S. 6; Eckart, 1997. 652 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.109; 147, BA Grootfontein an Gouv, 27.5.11; 31.10.11. 653 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.112, Gouv an BA Grootfontein, 3.7.11. 654 Rafalski, 1930, S. 148: „Und alle diese Arbeiten mußten die Beamten selbst ausführen.“ 655 NAN BAU 15, A 25, Bd.4, Bl. 289, ILP an Gouv, 30.8.12; Bl.290, Tlgr Jacubowsky, 30.8.12; Bl.294 Gouv an BA Grootfontein, 9.10.12; Bl.295, BA Grootfontein an Gouv, 21.10.12; Bl.296, Gouv an BA Grootfontein, 31.10.12. 656 NAN LPO 4,O I c 25,Bl. 209, v. Hirschberg an ILP, 25.4.13; Rafalski, 1930, S. 150. 657 BAB R 1002/2432, Bericht Inspektionsreise, 25.7.14; Rafalski, 1930, S. 148.

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hin von Gouverneur Seitz genehmigt. Die Heirat fand mitten im Krieg, am 3. Dezember 1914 in Grootfontein statt.658 Personalmangel und fehlende koloniale Präsenz Auch wenn bis 1914 eine ,kleine deutsche Welt‘ etabliert wurde, die auch das Gouvernement als einer Beamtenfrau für würdig befand, blieb diese auf den unmittelbaren Umkreis der Polizeistation beschränkt. Die Präsenz der Kolonisierenden blieb „ephemer“, wie es für die Stationen auch anderer kolonialer Territorien beschrieben wurde.659 Die Einführung und Durchsetzung deutscher Gesetze am Kavango erschien bis 1915 illusorisch. Kuring-Kurus Besatzung war die längste Zeit mit dem Stationsbau und der Malaria hinreichend beschäftigt: „durchschnittlich waren [1910/11] drei Viertel der Besatzung, einschließlich der Eingeborenen, ständig dienstunfähig.“ Die Dienstfähigen hatten die Versorgung sicherzustellen. Dazu waren Lebensmittel aus Grootfontein heranzuschaffen oder von der Bevölkerung einzuhandeln; auch ein Garten wurde angelegt. Für polizeiliche Tätigkeiten blieb kaum Zeit. Ostermann beschrieb diese als „sehr vielfältig: Patrouillen zur Grenzüberwachung, Verhandlungen mit den Ovambos, Aufklärung und Beilegung der Grenzzwischenfälle und Streitigkeiten zwischen den portugiesischen Farbigen und den Ovambos auf deutscher Seite.“660 Die Einhaltung der Jagdgesetze (Erwerb eines Jagdscheins und Beachtung von Schonzeiten) konnte nicht überwacht werden; ebenso wenig der Alkohol- und Waffenhandel.661 Deshalb versuchten die Beamten, Europäern das Betreten des Kavango-Gebiets zu untersagen, was jedoch „rechtlich nicht einwandfrei [war, denn] der Okavango ist nicht durch VO gesperrt.“662 Die geringe Personalausstattung Kuring-Kurus verhinderte eine Ausweitung der Tätigkeit. Man verfuhr in Grootfontein und Windhoek nach dem Grundsatz: je weniger Besatzung die Station hätte, desto weniger könnten krank werden – und verminderte das Personal. 1911 wollte Gouverneur Seitz die Station lediglich mit zwei Beamten und sechs Arbeitern besetzt wissen. Er erwog gar die Aufhebung Kuring-Kurus und wollte stattdessen weiter stromabwärts bei der Missionsstation Andara eine größere Polizeistation mit einem Offizier an der Spitze errichten. So hätte auch eine Verbindung zum Caprivizipfel durch deutsches Gebiet hergestellt werden können.663 Die In658 BAB R 1002/3282, Bl.50, Ostermann an ILP, 9.4.14; Bl.52, Heiratsurkunde, 3.12.14; Bl.56, BA G’tein an ILP, 26.12.14; Bl.55, ILP an BA G’tein, 3.2.15; vgl. zur ,kolonialen‘ Ehefrau: Walgenbach, 2005, S. 128; Siegle, 2004; Wildenthal, 2001, S. 52; Eckenbrecher, 1907. 659 Pesek, 2005, S. 255. 660 Rafalski, 1930, S. 148; vgl. NAN LPO 4, O I c 25, Bl. 211, Gouv an ILP, 18.5.13. 661 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.146 – 159 (147/150), Bericht Okawangoexpedition, 24.1.11. 662 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.5, Bl.112, BA Grootfontein an Gouv, 14.11.12; Bl. 112, Thiemann an BA Grootfontein, 10.11.12; Bl.114, Gouv a BA Grootfontein, 29.11.12; vgl. NAN ZBU 157, A VI a 3, Bd.20, Bl.121, Jahresbericht Bezirk Grootfontein 1909/10, 7.5.10. 663 BAB R 1001/2184, Bl.109, Gouv an RKA, 19.3.11.

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spektion billigte Kuring-Kuru im Februar 1912 gerade noch den Wert eines „Außenposten[s] mit 2 Polizeisergeanten und 10 eingeborenen Soldaten“ zu.664 Der Inspekteur sah die Station auf seiner Revisionsreise 1912 durch den Norden nicht, obwohl er Namutoni und Franzfontein aufsuchte.665 Die Station war 1912 zwischenzeitlich mit drei Beamten besetzt, sollte aber auf fünf verstärkt werden, „sobald dort Unterbringungsmöglichkeit vorhanden ist.“666 Ausserdem waren in Kuring-Kuru die aus Kamerun deportierten „Meuterer“ untergebracht; ehemalige „eingeborene Soldaten“, die laut Gouverneur Seitz dem Klima am Kavango besser gewachsen waren und „der Station mehr nützen als kränkelnde Polizeisergeanten“.667 Auch für eigene Strafgefangene erschien Kuring-Kuru ein angemessener Ort. Gegen den mehrfach Verurteilten Baster Daniel Diergaard, der nach Kamerun deportiert, aber im Oktober 1913 zurücktransportiert worden war, behielt sich das Gouvernement bei „irgendwelchen Umtrieben“ die „Abschiebung an den Okavango vor.“668 Trotz dieser unfreiwilligen Verstärkung war es bei den schwachen Besatzungszahlen geblieben, wie das Gouvernement unzufrieden feststellte. Im April 1913 waren ganze drei Sergeanten, fünf Polizeidiener (von denen einer mit einer „längern Gefängnisstrafe“ belegt wurde669) und drei Arbeiter dort stationiert.670 Die Unzweckmäßigkeit der Station Die eingestandene Schwäche der eigenen Präsenz stand in scharfem Kontrast zu den in Windhoek gehegten Plänen für die weitere Herrschaftsverdichtung am Kavango. Kaum war Kuring-Kuru eingerichtet, wurde der Sinn der Station in Zweifel gezogen. Es war nicht zu übersehen, dass sie zu klein war um Einfluss zu entfalten. Nach Einschätzung des Inspektionsoffiziers Medding, der im Oktober 1911 Standorte für zusätzliche Polizeistationen erkunden sollte, bestand eine „Aufgabe“ der Deutschen am Kavango darin, die „Eingeborenen … allmählich zu Arbeitern erziehen.“ Doch könne dies „unmöglich die am äußersten Westen im Juni 1910 errichtete kleine Polizeistation Kuring-Kuru lösen.“671 Noch kritischer äußerte sich der Kommandeur der Schutztruppe v. Heydebreck: „Die bisher in Kuring-Kuru errichtete Polizeistation bedeutet keinen Schutz, sondern eine Gefährdung unserer Machtstellung.“672 Zur Sicherung des Kavango-Gebiets hielt er nur die Schutztruppe

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NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.329, ILP an Gouv, 23.2.12. BAB R 1002/2718, o.D [~3.7.12]: Reiseplan,vgl. ebd. ILP an BA G’fontein, 25.7.13. NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.12, ILP an Gouv, 18.11.12, Bl.15, Gouv, 28.12.12. BAB R 1001/2184, Bl.109, Gouv an RKA, 19.3.11. Vgl. Kap. 4.3, S. 154 – 156 oben. NAN ZBU 716, F V p 5, Bd.2, Bl. 18, Gouv BA Rehoboth, 29.12.13. BAB R 1002/2594, Bl.31, BA Grootfontein an Gouv, 11.5.14. NAN ZBU 750, G I e 3, Bl.26, Gouv an BA Grootfontein, 17.4.13. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.179 – 180, Bericht Hpt. Medding, 17.10.11; Conrad, 2006, S. 74 f. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.291, Kdo SchTr an RKA, 10.10.11.

für geeignet. „Schwache Polizeiposten genügen für diesen Zweck nicht“.673 Die Verstärkung der deutschen Präsenz schien ihm erforderlich, weil von portugiesischer Seite Forts auf deutschem Gebiet errichtet wurden. Den Forderungen des deutschen Gouverneurs diese zu verlegen entsprach sein Amtskollege in Luanda.674 Selbst Inspekteur Bethe war inzwischen der Ansicht, Kuring Kuru hätte sich zwar „durchaus bewährt, genügt aber den jetzigen Verhältnissen nicht mehr.“675 Besonders kritisch äußerte sich der „Eingeborenenreferent“ Streitwolf. Er hielt kleine Polizeistationen wie Kuring-Kuru für eine „Lächerlichkeit“. Keinesfalls wollte er derartige Einrichtungen auf das Ovamboland übertragen sehen. Wenn überhaupt, dann solle dort ein „geschlossener Truppenteil“ stationiert werden.676 Die angestrebte Verdichtung des deutschen Einflusses am Kavango schien daher trotz der Kosten eine stärkere militärische Präsenz erforderlich zu machen. Zukunftspläne Stand es im Jahr zuvor in Frage, ob die Station aufrechterhalten werden sollte, so wurde 1911, kaum dass Geld für den Stationsbau aufgebracht war, die Einrichtung einer speziellen ,tropentauglichen‘ Polizeitruppe mit Personal aus Kamerun und dem Caprivizipfel in Erwägung gezogen. Denn der „Gedanke, das Amboland und die Gegenden am Kavango etwa späterhin mit weissen Truppen zu besetzen oder gar in diesen Gegenden mit weissen Truppen Krieg zu führen … [musste] mit Rücksicht auf die klimatischen und sanitären Verhältnisse von vornherein ausgeschaltet werden“.677 Staatssekretär v. Lindequist stimmte diesem Vorhaben zu und verwies auf den Gouverneur von Kamerun, der berichtete, dass sich „sofort 65 Angehörige der hiesigen Polizeitruppe für Südwest gemeldet“ hätten.678 Tropische Assoziationen waren dem Inspekteur Bethe schon 1910 bei dem Bericht v. Hirschbergs und den beiliegenden Abbildungen gekommen, aus denen er „ersehen [hatte], daß im Allgemeinen am Okavango Verhältnisse vorliegen, wie sie mir aus dem Innern Deutsch-Ostafrikas bekannt sind. … Als Postenleiter würden Unteroffiziere der ostafrikanischen Schutztruppe … Gutes leisten.“679 Entsprechend hieß es im Jahresbericht der Landespolizei für 1911: „Die Erschließung des Nordens des Schutzgebiets macht es erforderlich,

673 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.5, Bl.101, Bericht. Okavango-Expedition, 20.11.11. 674 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.115, Telgr Gouv Luanda an Gouv, 23.10.11; Bl.299, Gouv Luanda an Gouv, 26.9.11. 675 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.184, Entwurf. Polizeitruppe am Okavango, 25.10.11. 676 NAN BGR 2, F 9 b, Gouv an BA Grootfontein – Bericht, S. 35, 31.10.11. 677 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.173, Gouv an RKA, 12.12.10. 678 NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.106, RKA an Gouv, 21.6.11; NAN LPO 4, O I c 25, Bl.183, Gouv Buea an Gouv, 11.9.11; im Konzept in: BAB R 1001/2184, Bl.145 – 148, 3.6.11. 679 NAN LPO 4, O I c 25, Bl.102, ILP Bethe an stellv. Gouv Hintrager, 1.10.10.

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daß bei der Landespolizei Unterpersonal mit tropischen Erfahrungen bereitgestellt wird.“680 Der Inspekteur erträumte sich eine ausschließlich polizeiliche Einflusssphäre entlang des Kavango mit eigener Polizeitruppe, bestehend aus drei Offizieren, zehn Wachtmeistern oder Sergeanten und achtzig farbigen Soldaten, wovon „40 aus Kamerun [und] 40 im Caprivizipfel (Masubier) anzuwerben“ seien. Ausrüstung, Lohn und Rechtsverhältnisse sollten die gleichen wie in Kamerun sein, um die „eingeborenen Soldaten hier so behandeln zu können, wie sie es in ihrer Heimat gewöhnt sind.“681 Das Gebiet, so Bethes Plan, sollte als „Polizei-Distrikt Okavango“ aus dem Bezirk Grootfontein herausgelöst und dem ältesten dort stationierten Offizier als Distriktschef unterstellt werden. Der über den Inspekteur direkt dem Gouverneur verantwortliche Offizier hätte dem Bezirksamt nur in wichtigen politischen Angelegenheiten sowie bei der „Arbeiterfrage“ Mitteilung zu machen gehabt. Deutlich wird der Wunsch des Inspekteurs nach einem Verwaltungsalltag ohne die Streitigkeiten mit den Bezirkschefs.682 Die Zivilbehörde, der Bezirkspolizeichef, erschien ihm als ein Hindernis. Zur Begründung für eine von der Schutztruppe getrennte militärische Polizeieinheit, führte Inspekteur Bethe mögliche „Mißverständnisse“ „hinsichtlich der Stellung der weißen Reiter zu den farbigen Chargen und Soldaten“ an.683 Dem Kommandeur der Schutztruppe, v. Heydebreck, wiederum war daran gelegen, das dortige Gebiet durch die Schutztruppe – gleichfalls „mit einer farbigen Truppe“ – besetzen zu lassen. Er konnte „keine Bedenken tragen, eine solche farbige Truppe der Schutztruppe anzugliedern“. Doch blieb ihm nur, zu konstatieren: „Der Herr Gouverneur beabsichtigt aber für die Besetzung des Okavangos nicht die Schutztruppe[,] sondern die Landespolizei zu verwenden.“ Dieser führte gegenüber dem RKA aus, „daß die farbige Truppe nicht in eine weiße Truppe mit weißen Mannschaften paßt“. Ginge es doch darum, zu vermeiden, „daß sich die farbigen Mannschaften als den weißen gleichberechtigt betrachten.“684 Die Anfrage des Gouvernements an die Inspektion, „wie hoch sich die Kosten für diese Maßnahmen belaufen“ würden, konnte nicht beantwortet werden.685 Auch wenn im Jahresbericht für 1911 angekündigt wurde: „Im äußersten Norden soll ein Versuch mit Eingeborenen aus Kamerun gemacht werden“,686 konnten die Mittel zur Errichtung der Polizeitruppe weder 1912 noch 1913 aufgebracht werden. Von der Anwerbung Kameruner „Polizeisol-

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NAN ZBU 159, A VI a 3, Bd. 24, Bl.32 – 43, Jb der Landespolizei, 12.6.11. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.189, ILP an KdoSchTr für Kamerun [Konzept], 29.11.11. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.180, Bericht Hptm Medding, 17.10.11. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.184 – 86, Gründung Polizeitruppe am Okavango, 25.10.11. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.292, Kdo an RKA, 10.10.11; Bl.297, Gouv, 8.11.11. NAN LPO 4, O I c 25, Bl.188, Anfrage Ref 15 an ILP, 6.11. 11 [dort auch Antwort]. NAN ZBU 159, A VI a 3, Bd.24, Bl.33, Jb der Landespolizei 1910/11,12.6.11.

daten“ wurde abgesehen.687 Das RKA lehnte die Errichtung weiterer Stationen am Kavango ab. Nur „politische Gründe“ hätten den neuen Staatssekretär W. Solf dazu bewegen können, die für die dichtere Besetzung des Kavango veranschlagten 100.000,– M zu bewilligen.688 Zwar erinnerte Bethe nach einem Grenzzwischenfall 1913 an „die s.Zt. im Prinzip auch vom [RKA] genehmigte Errichtung mehrerer Polizeistationen unter Leitung eines Offiziers“. Wachtmeister Ostermann sei gegenüber dem Leutnant d’Almeida in einer „sehr schwierigen Lage“. Die Kosten würden sich durch den Arbeiterzuzug „bezahlt machen“. Doch Gouverneur Seitz, obwohl er „im Prinzip“ zustimmte, wusste, dass „vorläufig … nichts zu machen“ sei.689 Bis zum Ende der deutschen Herrschaft wurde die Idee eines Polizeibezirks am Okavango nicht wieder aufgegriffen; auch wenn Bethe in seiner Planung für 1915 dort einen „detachierten Hauptmann“ vorsah.690 Die Errichtung neuer Stationen, etwa bei Libebe, unterblieb.691 Kuring-Kuru als Muster kolonialstaatlicher Schwäche 1914 schienen sich alle Beteiligten darüber einig zu sein, dass der Nutzen, den der deutsche Kolonialstaat aus der Polizeistation Kuring-Kuru bisher gezogen hatte, gering war. Lage und Ausstattung der Station begründeten Zweifel an ihrer Zweckmäßigkeit. Wer um „Herrschaft, Macht und Einfluss“ entlang des Kavango (mit)ringen wollte, bedurfte anderer, stärkerer Einrichtungen. In den fünf Jahren seiner dortigen Präsenz hatte der deutsche Kolonialstaat die dominierende Rolle am Kavango, die sich seine Vertreter für ihn erträumten, nicht im Ansatz erlangt. Kuring-Kuru erwies sich so als Muster kolonialstaatlicher Schwäche. Die Besatzung der Station war vom Wohlwollen der umliegenden afrikanischen Bevölkerung abhängig. Schon der Versuch der Stationsbesatzung über den Ort Kuring-Kuru ,Herrschaft‘ auszuüben, wäre illusorisch gewesen. Vielmehr bedurfte der dortige Stationsleiter einer „diplomatische[n] Ader“, wie Inspekteur Bethe „im Hinblick auf [chief] Kanjemi“ betonte.692 Es wäre somit unzutreffend, am Beispiel Ostermanns die „Stationsleiter des ,Hinterlands‘ [als] die ,wahren Herrscher‘ der Kolonialreiche“ charakterisieren zu wollen.693 Der Einfluss, den die Polizeistation auf ihre afrikanische Umwelt auszuüben vermochte, war marginal. Die Interaktion ihrer Besatzung blieb auf ein enges Umfeld beschränkt. Das heißt nicht, dass sie keine Wirkung auf die in ihre Nähe gezogenen Menschen entfaltete. Will man die Berichte über Ostermanns 687 688 689 690 691

NAN ZBU 750, G I e 3, Bl. 3, ILP an Gouv, 20.3.12 NAN ZBU 2365-Geheimakten, VII h, Bl.40, StS RKA an Gouv, 2.3.12. NAN ZBU 10, A I d 3, Bl.25, Bethe an Gouv, 23.12.13; Bl.26, Gouv an Bethe, 26.12.13. BAB R 1002/2788, Beilage I zum Etat der Gendarmerie für DSWA, o.D. [~1914]. NAN ZBU 1010, J XIII b 4, Bd.4, Bl.108, Gouv an ResCaprivi, 28.6.11; NAN LPO 4, O I c 21, Bl.11, ILP an OffzP Waterberg, 23.4.12. 692 BAB R 1002/3282, Bl.55, ILP an BA Grootfontein, 3.2.15. 693 So v. Trotha, 1994, S. 445; vgl. Pesek, 2005, S. 258.

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Heilerfolge nicht als verwaltungsinterne Propaganda abtun, so zeigt sich, dass die Station attraktiv sein konnte. Allerdings ist die Abwanderung auf das rechte Kavango-Ufer nicht so sehr der deutschen Tätigkeit zuzuschreiben als den gegenüber liegenden Portugiesen. Die deutsche Anwesenheit entfaltete eher Auswirkungen auf diese, die nun seltener das ,deutsche‘ Ufer betreten konnten, als auf die Afrikaner. Diese ließ sich von dem überzeugen, was die Deutschen nicht taten: Steuern zu erheben und die Beachtung kolonialer Verordnungen einzufordern. Angesichts eines marginalen Einflusses der Station auf ihre Umwelt bleibt der Blick auf das geschilderte Innenleben der Kolonialverwaltung, der KuringKuru zu einem lohnenden Objekt der Kolonialgeschichte macht. Im Fokus werden die maßgeblichen Hinderungsgründe für den Ausbau der kolonialen Ordnung erkennbar : An vorderster Stelle erscheinen die unzureichenden finanziellen Mittel, gegen deren Diktat kein planender Offizier ankam. Natürliche Hindernisse wie weite Entfernungen, schlechte Wege, unsichere Versorgung, Krankheiten und mangelhafte Unterkünfte traten hinzu. Ihnen war nur mit erheblichem Aufwand zu begegnen. Umso bezeichnender ist es, dass, nachdem nach vier Jahren eine Grundsicherung der Polizeistation erreicht war, die Verantwortlichen ihr die Relevanz für jene Aufgaben absprachen, für die sie errichtet worden war. Denn alles Erreichte genügte nicht, um über Afrikaner oder unliebsame Europäer Macht auszuüben Das Prestigedenken der Jahre 1909/10 hatte sich als schlechtes Richtmaß für die künftige strategische Ausrichtung am Kavango erwiesen. Kuring-Kuru wurde so zu einem Streitobjekt der Verwaltungszweige. Das Konkurrenzverhalten einzelner Personen war durch die Probleme, die sich während der Errichtung der Station ergaben, noch gesteigert worden. Insbesondere Inspekteur Bethe und der Bezirksamtmann v. Zastrow erwiesen sich als veritable Kontrahenten; aber auch der Kommandeur der Schutztruppe, v. Heydebreck und andere Militärs, ließen keinen Zweifel an ihrer Geringschätzung des Außenpostens. Dieses Gegeneinander band Energie und Zeit. Die Kolonialadministratoren waren hinreichend mit sich selbst und ihren Plänen, andere Verwaltungszweige auszuschließen, beschäftigt. Die schwache Stellung der Station geriet ihnen dabei zwar nicht aus dem Blick; eher noch war sie geeignet, anderen zum Vorwurf zu gereichen. Doch lässt sie sich zum Teil auf jene Streitereien zurückführen, die die Entwicklung einer stringenten Politik gegenüber der Region und der Polizeistation verhinderte. Aus dem geplanten Symbol deutscher Herrschaft am Kavango, das zumindest „Ansehen“ und deutschen Einfluss hätte erhöhen sollen, wurde ein Beispiel kolonialer Mangelwirtschaft.

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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung. Ein Rechtsstaat in der Kolonie?

Die Polizei als eine Form der staatlichen Zwangsgewalt war seit dem 19. Jahrhundert allen europäischen Staaten gemein. Sie war ein Teil des Staatsapparats und an „den Ordnungsinteressen des städtischen Bürgertums [orientiert], ausgerichtet auf den Schutz von Besitz und bürgerlicher Handlungsfreiheit vor dem ,kriminellen‘ Begehren der Unterschichten“.1 Diese Einrichtung in den zu errichtenden Kolonialstaat zu überführen, wurde für notwendig befunden, als die europäische Zivilbevölkerung in der Kolonie eigener Kontrollinstanzen bedurfte – mithin auch ,kriminell‘ geworden war –, die dem Militär zu übertragen im Lichte der metropolitanen Rechtsentwicklung nicht angängig erschien. Während die afrikanische Bevölkerung auch weiterhin (wie in Nicht-Siedlungs-Kolonien) mit Soldaten hätten poliziert werden können, zeigte sich das Erfordernis der Zivilisierung staatlicher Gewalt, als die Zahl der Siedler zunahm – so auch in DSWA.2 Die staatsrechtliche Einordnung der deutschen „Schutzgebiete“ durch das Schutzgebietsgesetz von 1886 und dessen Verweis auf das Konsularrecht zeigten, dass die rechtsstaatlichen Standards des BGB, des RStGB und der Verfahrensvorschriften für die Siedlerbevölkerung nicht unbeachtlich bleiben konnten. Bei aller im Vorangehenden geschilderten Brutalität des Kolonialstaats, schien doch auch die Forderung nach dessen Verankerung im metropolitanen Recht des Kaiserreichs hervor. Diesen Ansprüchen konnte sich die Kolonialverwaltung in ihren Verordnungen nicht entziehen. Zwar ging es zu Beginn des kolonialen Unterfangens aus rechtspolitischer Sicht vorerst nur darum, durch das Kolonialrecht, so Justizstaatssekretär v. Schelling 1886, „die Anfänge staatlicher Bildung ins Leben zu rufen“,3 doch wurden mit den Jahren strengere Maßstäbe angelegt, wie eine Äußerung des Kolonialjuristen Hoffmann von 1907 beispielhaft zum Ausdruck bringt: „Den heimatlichen vollkommen gleichartige Zustände lassen sich erst bei fortschreitender Entwicklung schaffen.“4 Es ging nicht mehr allein darum, einen ,Staat‘ zu etablieren. Der Fokus lag vielmehr auf den „heimatlichen Zuständen“, denen diejenigen in den Kolonien zukünftig angeglichen werden sollten. Noch nach 30 Jahren war dieses erweiterte Ziel längst nicht erreicht. Vielmehr blieb die 1 Funk, 1986, S. 312. 2 Vgl. NAN ZBU 746, G 1 a 1, Bl. 88, Richter an Gouv, 4.11.99; Bethe, in: Rafalski, 1930, S. 9; Anderson/Killingray, 1991, S. 10. 3 SBRT, 6. L.P., 2. Sess. 1885/86, Bd. 1, Sitzung vom 20.1. 1886, S. 653. 4 Hoffmann, 1907, S. 98.

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,Gleichsetzung‘ der deutschen und kolonialen (Rechts-)Verhältnisse eine Utopie und damit eine Zukunftsaufgabe für die Kolonialbeamten. Die Äußerung Hoffmanns ist realistisch wie programmatisch zugleich. Von einer Wahrnehmung der Kolonien als Laboratorium, das legale Freiräume für obrigkeitliche Gewaltentfaltung schuf, war diese Utopie ebenso weit entfernt wie die koloniale Rechtsordnung.5 Aus der Betrachtung der Kolonialverwaltung und ihrer kolonialen Polizeipraxis ist deutlich geworden, dass Verwaltung wie Siedler bis 1915 Abweichungen von deutschen Rechtsstandards in Kauf nahmen; unabhängig davon, ob es sich um das deutsche Verfassungsrecht, das durch das SGG ersetzt worden war, um Selbstverwaltungsangelegenheiten oder die Verwaltungsgerichtsbarkeit und damit die Abwehr polizeilicher Eingriffe handelte. Solche Abweichungen bedeuteten eine legale ,Verknappung‘ des deutschen Rechtsstaats. Die Verwaltungstätigkeiten konnten freilich Abweichungen einschließen, die in „viele[n] Angelegenheiten positiv schaffend weitergehen als in der deutschen Heimat“,6 wie die Beschäftigung von Privatpersonen als Polizisten oder die polizeiliche Zusammenarbeit mit Farmern gezeigt hat. Es ist aber auch deutlich geworden, dass zukünftig für die Siedler ein mit ,der Heimat‘ übereinstimmendes, insofern ,normales‘ Rechts- und Verwaltungssystem errichtet werden sollte. Wunschtraum und Zielsetzung eines „neuen deutschen Vaterlande[s]“,7 wie es in den Grenzboten propagiert wurde, eines auch von Kolonialjuristen erträumten „größeren Deutschland über See“,8 in dem „allmählich Kultur, Gesittung und Lebensart einzuführen [waren], wie in der Heimat“9 treten hervor. Das Kolonialrecht sollte ein Mittel sein, um dieses Ziel zu realisieren. Für das nach Weltgeltung, nach Weltpolitik heischende Deutsche Reich musste, nachdem die Bismarck’schen Vorbehalte hinfällig geworden waren, jede einzelne Kolonie die kolonisatorische Befähigung unter Beweis stellen. Die verwaltungstechnische Durchdringung, die Umwandlung in ein europäisch dominiertes Land bot dafür den günstigsten Maßstab – wenngleich „Gesetze und Verordnungen an sich auch in der Häufung noch keine koloniale Kultur [schufen].“10 Die der Kolonialpraxis zugrunde liegenden Normen sollten dabei ,Europäisierung‘ und wirtschaftliche Nutzbarmachung gleichermaßen ermöglichen. Ihre Betrachtung selbst unabhängig von der Rechtswirklichkeit lässt die Vorstellung erkennbar werden, wie die Rechtspraxis vor Ort hätte ausgestaltet werden können. Für die Frage nach der Zielsetzung des deutschen Kolonialrechts ist dieser Konjunktiv von gleichem Interesse wie die koloniale Rechtswirklichkeit. Die Perspektive bleibt dem 5 6 7 8 9 10

Vgl. Hoffmann, 1911, S. 102; Kaulich, 2001, S. 559; v. Laak, 2004, S. 271. Gareis, 1902, S. 18. Bruck, 1899, S. 292: vgl. Naendrup, 1907, S. 8. Köbner, 1904, S. 1077. Gareis, 1902, S. 18. Köbner, 1903, S. 1; vgl. Meyer, 1888, S. 167; Smith, 1978, S. 174 – 179.

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Gesetzgeber verhaftet, doch werden die Normen der Verwaltung zu einem Gradmesser für die ,Berliner‘ und ,Windhoeker‘ Wunschvorstellungen über die koloniale Wirklichkeit. Greifbar wird durch sie nicht, was war, sondern was sein sollte. Im Kolonialrecht spiegeln sich Herrschaftsutopien, die als „handlungsleitende Träume“ bezeichnet wurden.11 War es der Traum einer stetigen ,Normalisierung‘ und Angleichung, der in den kolonialen Gesetzen und Verordnungen zum Ausdruck kam? Insbesondere beim juristischen Umgang mit Angelegenheiten der Afrikaner zeigt sich, dass neben der allmählichen Angleichung an bestehendes deutsches Recht diesem gegenüber auch Sonderrecht geschaffen wurde. Hier sollten bewusst andere Rechtsverhältnisse geschaffen werden. Durch die diesbezüglichen Verordnungen wurde eine hierarchisierte Gesellschaft zwischen ,Schwarz‘ und ,Weiß‘ konstruiert, die in ihrer Zielsetzung unmissverständlich auf sozialdarwinistische Motive eines Oben und Unten, auf Sieger und Besiegte verwies. Unterwerfung, ,Fügigmachung‘, wirtschaftliche Ausbeutung, Erfassung und Kontrolle der afrikanischen Einwohner lauteten diese kolonialrechtlichen Ziele. Sie bedurften im „Zeitalter des Rechtspositivismus“12 eines juristischen Rahmens, um den Anforderungen an die Gesetzlichkeit allen Verwaltungshandelns zu genügen. ,Normalisierung‘ und ,Abgrenzung‘ erscheinen demnach als die zwei Kategorien, die dem Kolonialrecht und damit dem Handeln seines vorrangigen Anwenders – der Kolonialverwaltung – zu Grunde lagen. Bei aller „Exotik der Rechtsordnung“, bei aller Verformung der bürgerlichen Rechtserrungenschaften des Kaiserreichs, der Verknappung, Militarisierung und häufig genug Brutalisierung des preußisch-deutschen Rechts, die mit den „andersartigen Verhältnissen“ gerechtfertigt wurde, zeigte sich, dass metropolitane, rechtsstaatliche Maßstäbe in der Kolonie nicht unbeachtet bleiben konnten – auch nicht im Polizeirecht und seiner Anwendung. Die Organisationsmuster und internen Kontrollmöglichkeiten der Landespolizei entsprachen heimischen Modellen. Die Zuständigkeiten blieben weitgehend in jenem Rahmen, den das preußische Verwaltungsrecht (und in geringerem Maße andere Landesrechte) vorgab(en). Auf sie wurde in den internen Diskussionen Bezug genommen. Im Spannungsverhältnis von „law and order“ konnten sich jene nicht durchsetzen, die die Möglichkeiten einer kolonialen ,Ordnungsstiftung‘ nicht eingeschränkt sehen wollten – sei es bei der Prügelstrafe oder dem Schusswaffengebrauchsrecht, dass erst 1911/1914 Abweichungen von der heimischen Rechtsordnung zuließ und auch dies nicht in dem Umfang, den die Leiter von Schutztruppe und Landespolizei für erforderlich hielten. Der Schutzgehalt (kolonial-)rechtlicher Bestimmungen wie dem Schusswaffengebrauchsrecht ließ sich nur schwer so einschränken, dass die Rechtsdogmatik sicherheitspolitischen Erwägungen über die Unzuläng11 Trotha, 1994, S. 13; vgl. Zorn, 1908, S. 127 f. 12 Nipperdey, 1992, S. 103.

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lichkeit polizeilicher Mittel verfügbar wurde. Erst im 30. (und letzten) Jahr deutscher Kolonialherrschaft einigten sich die leitenden Kolonialbeamten auf einen Kompromiss, der eine Verschärfungen ermöglichte. So stellt das koloniale Schusswaffenrecht eine spezifische Form legaler Gewalt dar, die die im Reichsgebiet eingehaltenen Grenzen überschritt. Diese Außerachtlassung rechtstaatlicher Standards wurde legitimiert durch den permanenten Ausnahmezustand (im zeitgenössischen Jargon „Belagerungszustand“) in der Kolonie13 – er war Ausdruck kolonialer „Belagerungsmentalität“ und „Festungspraxis“, die gleichwohl auch in der ,Heimat‘ noch von Bedeutung waren, wie der Verweis auf Zabern zeigte. Aus diesen Gründen lässt sich auch von einer Entmilitarisierung der polizeilichen Strafgewalt, wie sie – mit Abstrichen – für die Metropole konstatiert wird, in der Kolonie nicht sprechen. Während in Deutschland eine „Tendenz zur Verpolizeilichung von Konflikten“ und ein „Rückgang [wenn auch kein Ende] der Militäreinsätze im Innern“ zu verzeichnen war,14 konnte in der Kolonie angesichts der Sicherheitsprobleme und der Schwäche der Polizei auf das ,polizeiliche‘ Mitwirken der Schutztruppe nicht verzichtet werden. Die Trennung zwischen militärischen und polizeilichen Aufgaben, einer der Hauptgründe für die Etablierung der Landespolizei, war in der kolonialen Praxis noch weniger durchzuhalten als in Deutschland. Die Polizei blieb dafür, so bei den Patrouillen gegen „Viehdiebe“, zu schwach. Sie musste auf das Militär zurückgreifen – und wollte sich selbst militarisieren, wie die Planungen für eine „Polizeitruppe“ in Kuring-Kuru gezeigt haben. Auf Grund dieser Schwäche wurden die Organisationsformen beider Institutionen, die Sicherheit garantieren sollten, für unzureichend erachtet. Es war das unbefriedigende Verhältnis von (finanziellem) Aufwand und (ausbleibendem) Erfolg gegen Sicherheitsrisiken wie „Banden“, das Kolonialbeamte wie Bethe zu diesem Befund führte. Die Entwicklung hin zu spezifischen Kolonialkarrieren deutete sich in Lebensläufen wie dem des Fr. v. Lindequist an, der innerhalb von 15 Jahren vom Windhoeker Bezirksamtmann zum Kolonialstaatssekretär aufstieg. Für die Kolonialpolizisten war nach der sechsjährigen Dienstzeit in der Schutztruppe und zwei Dienstperioden bei der Landespolizei der Kolonialdienst meist beendet. Nur selten stand eine Stellung als Unterbeamter in den Ämtern zur Verfügung. Wahrscheinlicher waren eine Anstellung im heimischen Staatsdienst oder eine private Ansiedlung in der Kolonie.15 Ständige Versetzungen und Fluktuationen der Beamten erschwerten ihre Integration in die Siedlergesellschaft. Dass die Beamten sich wie ein

13 Zum „immerwährenden Kriegszustand“ in den Kolonien Florack, 1905, S. 49. 14 Knöbl, 1998, S. 315; Johansen, 2005, S. 1. 15 Schieder, 1980, S. 263: „Nirgendwo sonst haben sich Traditionen, Ausbildungssysteme und Karrieren des Kolonialbeamtentums so klar herausgebildet wie in England.“

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„Fremdkörper“ betätigen würden, war daher ein Vorwurf gegen sie.16 Stetigkeit war auch in personeller Hinsicht ein Problem der Kolonialverwaltung. Es gab, erschwert durch Erkrankungen oder Beurlaubungen, zu wenig Kolonialbeamte um den zu kolonisierenden Raum zu durchdringen und zu ,beherrschen‘. Die süffisant gemeinte Frage: „Wo war die Polizei?“, die von Farmern immer dann gestellt wurde, wenn den Ordnungskräften ihre mangelnde Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Afrikanern vorgehalten werden sollte, sie hatte einen konkret räumlichen Bezug – eine Berechtigung war ihr nicht abzusprechen: kaum 500 Polizeibeamte konnten unmöglich in der gesamten Polizeizone präsent sein. Trotz aller Abhängigkeit der Farmer von den Polizisten ist das bemerkenswert schlechte Verhältnis eines großen Teils dieser wichtigen Siedlergruppe zur Polizei wie zur Kolonialverwaltung insgesamt hervorzuheben. Es kann von einem Legitimitätsverlust der Polizei bei den Farmern gesprochen werden. Der Ruf nach einer ,Entgrenzung‘ der Polizeigewalt ging besonders von ihnen aus. Unter den Streitpunkten stach die „Eingeborenenbehandlung“ hervor; wenn es auch Farmer gab, die um das Kontraproduktive der Prügelkultur wussten. Gewalt blieb bis 1915 ein zentraler Bestandteil des Farmalltags. Polizei, Bezirks- und Zentralverwaltung beließen es dem gegenüber allzu oft bei Appellen und einem ausgedehnten Berichtswesen. Es wäre daher unzutreffend, die Polizeibeamten als ,Anwälte der afrikanischen Bevölkerung‘ zu beschreiben; auch weil sie selbst (verbotener Weise) prügelten. Nach den Kriegen erwiesen sich die Farmer als die gegenüber den Afrikanern größere polizeiliche Herausforderung für die Kolonialbeamten. Noch mit renitenten Farmern hatten sie sich gut zu stellen. Dahinter stand ein Gebot kolonialpolitischer Klugheit. Sollten doch weder den Afrikanern noch den Kolonialkritikern in Deutschland Beispiele eines „Dualismus“ geliefert werden – der diesen jedoch ohnehin nicht verborgen blieb. Das Unvermögen der Polizei, die Farmer zu kontrollieren, ergab sich nicht allein aus einer unzureichenden Anzahl der Beamten, wie sie selbst gern anführten, sondern aus den schwachen politischen Vorgaben der Vorgesetzten, die zögerten, gegen Missstände vorzugehen. Zu dieser Unschlüssigkeit trat der kaum zu kontrollierende Raum der Kolonie, der nicht nur „Aufständischen“ oder „Räubern und Viehdieben“, sondern auf Grund der Entfernungen auch den Siedlern sowie Polizeibeamten Schutz vor der Entdeckung von Regelübertretungen bot. Diesen Raum kolonial zu strukturieren durch Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen- oder Bahnbau, die Anlage von Stationen und die Vernetzung einzelner Punkte durch Patrouillen war ein imperialer Imperativ. Doch die technischen und personellen Möglichkeiten blieben auch angesichts restriktiver Haushaltsvorgaben des Reichstags begrenzt. Die „thin white line“ der Kolonialbeamten

16 Noske in: SBRT, Bd. 285, 13. L.P. 1. Sess. 1912/14, 30.4. 1912, S. 1552.

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war und blieb ungeeignet, das koloniale Territorium zu umspannen.17 Vorrangig die Polizeipatrouillen waren es, die dennoch koloniale Herrschaft repräsentieren sollten, indem sie den Afrikanern „die Anwesenheit bewaffneter Macht nicht in Vergessenheit geraten“18 lassen sollten. Mehr Einfluss auf Afrikaner kam der Polizei abseits der Ortschaften nicht zu, was sich vor allem bei der „Bandenbekämpfung“ durch Patrouillen zeigte. Die Möglichkeiten, den zu kolonisierenden Raum zu beherrschen, wurden von einen Dilemma dominiert: mit erheblichem Zusatzaufwand konnte in begrenzten Räumen kurzfristig ,erfolgreich‘ gegen „Banden“ vorgegangen werden; wobei „Polizeidiener“ und andere afrikanische „Hilfskräfte“ sich als ebenbürtig und unentbehrlich für den Kolonialstaat erwiesen. Substantiell änderten diese Maßnahmen nichts: weder am Unwillen einiger Afrikaner, sich in die Kolonialwirtschaft einbinden zu lassen, noch am Unvermögen des Kolonialstaats, eine höhere Kontrolldichte zu finanzieren. So, wie Patrouillen an der kolonialen Peripherie meistenteils repräsentativexemplarischen Charakter hatten (was brutale Hetzjagden einschließen konnte), so waren auch die Polizeistationen, je weiter sie von den kolonialen Zentren entfernt lagen, immer weniger „Inseln von Herrschaft“. Stattdessen oblag Stationen wie Kuring-Kuru oder Schuckmannsburg allenfalls die Beobachtung und Informationsbeschaffung. Über ihren rein repräsentativen Charakter gaben sich die leitenden Kolonialbeamten keinen Illusionen hin. Insbesondere die schwache Stellung der Station Kuring-Kuru geriet ihnen nicht aus dem Blick; eher noch war sie geeignet, anderen zum Vorwurf zu gereichen; doch lässt sie sich zum Teil auf Auseinandersetzungen innerhalb der Verwaltung zurückführen. Aus dem geplanten Symbol deutscher Herrschaft am Kavango, das zumindest „Ansehen“ und deutschen Einfluss erhöhen sollte, wurde ein Beispiel kolonialer Mangelwirtschaft. Die Versuchung, diese auch andernorts wahrgenommene Schwäche durch kolonialstaatliche Maßlosigkeit und unbegrenzte Gewaltsamkeit zu kaschieren, lag auf der Hand, wie schon den Zeitgenossen bewusst war. Der Kammergerichtsrat F. Meyer, der sich als Rechtsvergleicher und Kenner des „Recht[s] der Herero“ hervor getan hatte, mahnte: Es gelte „für die Lösung des Afrikaproblems, das sich im wesentlichen mit einer befriedigenden Beantwortung des Eingeborenenfrage deckt, der alte germanische Grundsatz: ,Mit dem Gesetz soll man das Land regieren.‘“19 Hat sich die deutsche Kolonialverwaltung an diesen Grundsatz gehalten? Die Tendenz zur Verrechtlichung des Polizeiwesens in DSWA seit 1894 war offensichtlich. Auch die Vorwürfe des „Assessorismus“ und „Bürokratismus“ kündeten davon. Amtshaftungsansprüche wie die individuelle Haftung von Beamten, daran erinnerten Vorgesetzte wie Hintrager regelmäßig, waren auch in der Kolonie zu gewährleisten. 17 Kirk-Green, 1980, S. 25 f.; Eckert, 2005, S. 275; vgl. v. Laak, 2004 b, S. 148 f. 18 BAK N 1042/29, Bl. 65, W. Külz: Von Bückeburg nach DSWA, Nr. 12, 1908. 19 Meyer, 1905, S. 539.

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Eine andere Frage ist es, ob damit eine Verringerung staatlicher Gewalt einherging. Das Disziplinarwesen der Polizeiverwaltung deckte gewalttätige Übergriffe auf, wenn auch gerichtliche Verurteilungen von Kolonialbeamten wegen Amtsvergehen die Ausnahme blieben. Die internen Disziplinar-Kontrollen dagegen, von denen die Öffentlichkeit nichts erfuhr, die aber von den Vorgesetzten als maßgeblich für das Verhalten der Polizisten erachtet wurden, zeichneten sich durch betonte Unnachsichtigkeit aus. Möglichkeiten der Beamten, sich gegen Weisungen Vorgesetzter zu wehren, bestanden kaum. Ihr Beschwerderecht wurde verkürzt. Im Disziplinarverfahren war das Ansehen der Verwaltung nicht in gleichem Maße wie bei einer Gerichtsverhandlung bedroht, in der das Ausmaß der Steuerungs- und Kontrolldefizite der Vorgesetzten vor der Öffentlichkeit hätte offenbar werden können. Nicht vorrangig als Garantie gegen staatliche Übergriffe waren koloniale Polizeiregularien gedacht, sondern als Markierungen eines Erwartungshorizonts, innerhalb dessen sich (kolonial-)polizeiliches Handeln zu bewegen hatte – aus Sicht der vorgesetzten Behörde. Die Toleranzschwelle des metropolitanen Rechtsstaats20 gegenüber Abweichungen in der Kolonie lässt sich dort verorten, wo der Vorrang des Gesetzes (hier der Verordnungen) für die Kolonialverwaltung unbeachtlich zu werden drohte. Deportationen ließen sich auf diese Weise zwar nicht verhindern, doch konnten Parlamentarier und Missionare einen politischen Druck aufbauen, der dieses Strafinstrument gegen Ende der deutschen Kolonialzeit als obsolet erscheinen ließ. Auch die Prügelstrafe sah sich einer beachtlichen Opposition in Deutschland gegenüber. Doch wurde diese aufgewogen von jenen Stimmen, die sie nicht nur für koloniale Zwecke, sondern auch für Strafzwecke in Deutschland als angemessen erachteten. In der Kolonie wurde von Beamten nach 1911 zwar die Notwendigkeit einer Eindämmung der Prügel erkannt, doch gelang es nicht, sie auf den Rahmen zu beschränken, den die Verordnungen seit 1896 vorgaben. Daher heißt es: „Die Frage, ob die deutschen Schutzgebiete Schwarzafrikas zu Recht mit den Begriffen ,Prügelkolonien‘ oder ,Fünfundzwanzigerland‘ charakterisiert werden können, muss wohl bejaht werden.“21 Diese Charakterisierung ist zutreffend. Da die Polizei die Institution war, durch die „den Bürgern am unmittelbarsten der Staat als Macht vor Augen trat“,22 lässt die Frage nach der rechtsstaatlichen Verankerung kolonialstaatlichen Handelns mit Blick auf die Polizei Rückschlüsse auch auf den Alltag der ,Polizierten‘ zu. Widersetzlichkeiten gegen den Kolonialstaat äußerten sich meist zuerst in Handlungen gegen dessen Polizisten oder in Handlungen, die von diesen als solche wahrgenommen wurden. Die langwierige Festlegung und Durchsetzung einer 20 Vgl. aber zum (polizeilichen) Gewaltpotenzial des metropolitanen Rechtsstaats: Lüdtke, 1982, S. 53 f.; 327; Lindenberger, 1995b, S. 205; Wirtz, 1998, S. 215 f. 21 Schröder, 1997, S. 131; vgl. Zurstrassen, 2008, S. 163. 22 Nipperdey, 1992, S. 125.

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zentralen „Werft“ in Windhoek und die erzwungene Segregation seiner Bewohner waren dafür Beispiele. Gegen protestierende Deutsche, die ihre Arbeitskräfte stets in der Nähe wissen wollten, waren Zwangsmaßnahmen kaum möglich, da Vorschriften dazu keine Handhabe boten. Gegenüber der afrikanischen Bevölkerung waren die Strafandrohungen deutlicher, falls sie das Segregationsgebot verletzten. Dass die Windhoeker Polizei gleichwohl regelmäßig Veranlassung fand, gegen Verstöße einzuschreiten, zeigt, dass die deutschen Regelungsversuche nicht ohne weiteres hingenommen wurden. Jahrelang konnte die Kolonialverwaltung die für notwendig erachtete eine Werft nicht durchsetzen. Die Auswirkungen dieser ,Notwendigkeit‘ auf die afrikanische Bevölkerung in Windhoek blieben den Verwaltungsleitern nicht verborgen. Dass eine Verbesserung herbeigeführt werden musste, lag auf der Hand, wollte die Kolonialverwaltung ihre eigenen zivilisatorischen Verheißungen (auch gegenüber der Metropole) nicht Lügen strafen und wurde paternalistisch angeordnet. Der Blick auf die Lebensumstände in der „Werft“ beleuchtete zugleich die auszuhandelnde Machtbalance zwischen den afrikanischen Autoritäten und den Kolonialbeamten. Der Eigensinn der zu Kolonisierenden und ihre möglichen Handlungsräume bildeten stets den maßgeblichen Bezugspunkt kolonialstaatlicher Erwägungen. Zwar blieb es bei einem Ungleichgewicht zugunsten des Kolonialstaats, der in Windhoek über das Gewaltmonopol verfügte. Doch erzwangen die „Werftältesten“ mit ihrem Unwillen, stets als willfährige Instrumente des Kolonialstaats zu dienen, immer neue Reaktionen der Kolonialverwaltung, die als Teil eines gegenseitigen Anpassungsprozesses zu begreifen sind und sich, soweit die kolonialen Quellen darüber Auskunft geben, im wachsenden afrikanischen Viehbesitz vergegenständlichte. Dieser war umso notwendiger, als die Kolonialverwaltung ein elementares wirtschaftliches Interesse an verbesserten Gesundheitsverhältnissen auf den afrikanischen Wohnplätzen hatte. Während aber ein unliebsam gewordener „Werftältester“ wie F. /Hosemab ohne weiteres abgesetzt werden konnte, blieb der Umgang mit Farmern oder anderen Einwanderern, die sich nicht an die kolonialstaatliche Ordnung halten wollten, welche auch ihnen Schranken auferlegte, an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden. Die „kleinen Könige“ auf ihren Farmen fühlten sich den Beamten häufig überlegen. Sie wussten um die Beschränkungen staatlicher Macht und zögerten nicht, ihre Beachtung einzufordern. Ihnen konnte, trotz aller „Exotik der Rechtsordnung“, der zeitgenössische Rechtsstaat nicht vorenthalten werden. Die Zielsetzung des kolonialrechtlichen Gesetz- und Verordnungsgebers kann darum, wie oben angedeutet, nach zwei Richtungen (intern und extern) hin beantwortet werden: Aus seiner Perspektive ging es um eine duale Kolonialrechtsordnung, um eine ,Normalisierung‘ der Verhältnisse gegenüber den europäischen Rechtsanwendern nach deutschen Maßstäben, von denen die Rechtsverhältnisse der Afrikaner um so schärfer abgegrenzt wurden. Zugleich aber hatte die durch das Kolonialrecht gelenkte Verwaltung einen darüber 348

hinausweisenden impliziten Auftrag vom Gesetzgeber erhalten, die dem Recht eine eminente „wirtschaftliche Wichtigkeit“23 zusprach: Durch das deutsche Engagement sollten die Kolonien den deutschen Anspruch in der Welt auf eine ,Weltpolitik‘ manifestieren und zu bedeutenden Wirtschaftsfaktoren gemacht werden (was in DSWA scheiterte). „Denn [so Gouverneur Leutwein] um ein schlechtes Geschäft zu machen, geht der Staat so wenig wie der Einzelne in die Kolonie.“24 Die Kolonialverwaltung trat einerseits paternalistisch ,pazifizierend‘, ordnend und ,normalisierend‘ auf. Andererseits schrieb sie in ihren „Eingeborenen-Verordnungen“ eine legale Andersartigkeit gegenüber dem Geltungsbereich der Reichsverfassung fest. Diese Instrumentalisierung des Kolonialrechts diente zum einen dem Zugriff auf die afrikanische Arbeitskraft. Der Beitrag, den die Polizei dazu leistete, bestand unter anderem darin, Prügelstrafen auszuführen, die Niederlassungsfreiheit einzuschränken, „Werften“ zu kontrollieren und Strafen gegen ,beschäftigungslose Eingeborene‘ zu verhängen – soweit man ihrer habhaft werden konnte. Zum anderen transportierten diese Verordnungen ein Bild der Afrikaner, das die Vorstellung einer notwendigen „Domestizierung des Wilden“ in die verwaltungsrechtliche Wirklichkeit überführte. Die Adressaten dieser Botschaft waren die Beamten, die sich damit willfährig „dem Prozeß der Zurichtung zum beutemachenden Europäer“ unterzogen und einen rassistischen Konsens in ihren Arbeitsalltag übernahmen.25 Diese kulturell-mentale Prägung zeigte sich an den Ordnungsvorstellungen der Polizisten und ihrer Polizeipraxis, die die „Wohlfahrt“ und „Hebung“ der „Eingeborenen“ behauptete und an die sie glaubten – die Niederschlagung von Widerstand gegen derart „wohltätige“ Bestimmungen war daher umso leichter zu ,legitimieren‘. So bedeutsam das Kolonialrecht ist – all diese Vorschriften und die auf ihnen beruhenden Handlungen blieben Versuche, waren Bestrebungen, der staatlichen Macht im zu kolonisierenden Raum Herrschaft zu ermöglichen, um so „dem, was man in Europa einen Staat nennt, wenigstens in einigen Beziehungen nahe“ zu kommen, so Reichskanzler v. Caprivi.26 Dies aber wurde in 30 Jahren nur an einzelnen Orten erreicht. Selbst dort, wo die koloniale Herrschaft als gesichert galt, vermochten Polizei und Schutztruppe keineswegs, „jeden noch so leisen Hauch von Widerstand seitens der afrikanischen Bevölkerung mit Gewalt zu unterdrücken“,27 wie die immer wieder erforderlichen (und häufig „erfolglosen“) Patrouillen gegen „Banden und Viehdiebe“ gezeigt haben. Auch auf den Farmen herrschte oft nicht der „Kolonialstaat“ und das von ihm geforderte, aber kaum durchzusetzende 23 24 25 26 27

So Köbner, 1903, S. 3. Leutwein, 1908, Vorwort. Kreuzenberg/Mergner, 1989, S. 151. RK v. Caprivi, in: SBRT, 8. L.P., 1. Sess. 1890/91, Bd.1, Sitzung vom 12. 5. 1890, S. 41. So aber für Deutsch-Ostafrika Pesek, 2006, S. 138.

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Recht, sondern die Willkür der Farmer. Und noch in den eigenen Reihen fiel die Durchsetzung zentraler Direktiven dem Kolonialstaat – seinen leitenden Beamten – schwer, da das Personal, auf das er zurückgreifen konnte, nicht immer den Erwartungen entsprach. Die von Beamten oder Siedlern ausgeübte Gewalt gegen Afrikaner entsprach nicht den politischen, noch weniger ideologischen Vorgaben aus Windhoek oder Berlin, wie diesbezügliche Mahnungen zeigen. Das Unvermögen der Verwaltung, die Rechtlosigkeit der Afrikaner im Alltag einzudämmen, stellt sich aus dieser Perspektive als weiteres Kennzeichen kolonialstaatlicher Schwäche dar. Diese Schwäche, das kolonialstaatliche Unvermögen, die weiten Räume der Kolonie effektiv zu beherrschen und dem eigenen Kolonialrecht zur Beachtung zu verhelfen, der fragmentarische Charakter und die territoriale Ausdünnung der Kolonialherrschaft wie sie im vorangehenden geschildert wurden, machen eine Vorläuferfunktion des Kolonialstaats in DSWA für die nationalsozialistische Herrschaftspraxis unplausibel. Ein „frühfaschistisches“,28 totalitäres Gebilde konnte dieser trotz aller Gewalt schon deshalb nicht sein, weil ihm das Zwangspotenzial fehlte, gegen seine Einwohner stets und überall vorzugehen. Er besaß keine uneingeschränkte Verfügungsgewalt über sie. So, wie sich der Kolonialstaat DSWA räumlich überwiegend auf die „Polizeizone“ beschränkte, so schränkte er sich sachlich in seinem Zugriffsrecht auf die Afrikaner ein, indem er die „Einmischung in rein interne Angelegenheiten und Streitigkeiten der Eingeborenen“29 vermied. Totalitäre Machtansprüche maßten sich die Kolonialbeamten hier nicht an. Wenn auch in dieser Arbeit über die Kolonialpolizei der militärische Gewaltapparat meist ausgeklammert blieb, zeigte sich doch, dass noch die Einbindung der Schutztruppe und auch ziviler Helfer afrikanischer wie deutscher Provenienz in die kolonialstaatliche Herrschaftssicherung keinen erheblichen Machtzuwachs brachte. Totalitäre Machtausübung ermöglichten 500 Polizisten sowenig wie 1.900 „Schutztruppler“ in dem zu kolonisierenden Territorium – und noch ihr Zusammenwirken erbrachte nicht den erhofften Machtzuwachs in den herrschaftsfernen Gebieten der Kolonie. Gleichwohl, das Urteil über die nur eingeschränkte Wirksamkeit kolonialer Herrschaftsgewalt muss trotz des geschilderten polizeilich-militärischen Vorgehens gegen „Banden und Viehdiebe“ und andere ein vorläufiges bleiben. Eine umfassende Untersuchung der Schutztruppe steht noch aus.30 Es bedarf einer stärker vergleichenden Forschung, um die behaupteten spezifisch totalitären Herrschaftsstrukturen deutscher Kolonialherrschaft und einen deutschen kolonialen „Sonderweg“ in DSWA aufzudecken, der auch zeitgenössisch nicht wahrgenommen wurde.31 Bis dies, trotz all der hier ge28 29 30 31

Helbig, 1988, S. 102 f. NAN BSW 73, E 1 a 1, UStS Lindequist, Gouv an BA Swakopmund, 18.7.07. Vgl. Tiebel, 2008; Morlang, 2008; zu: DOA Mann, 2002; Kamerun Hoffmann, 2007. Melber, 2005, S. 13 f.; Kößler, 2005a; Kößler/Melber, 2004, S. 58; Mamozai, 1982, S. 256, kritisch:

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schilderten fragmentarischen deutschen Herrschaftspraxis, gelungen ist, kann die These „von Afrika“ – oder konkreter noch: von Windhoek „nach Auschwitz“32 nicht überzeugen. Damit bleibt unbestritten, dass „Hitler kein Betriebsunfall“ war. Historiker so unterschiedlicher politischer Couleur wie Fritz Fischer und Joachim Fest verwiesen schon vor Jahrzehnten auf „[e]ine lange und elende Tradition der deutschen Geistesgeschichte, die … in jene Erscheinung eingegangen [ist], die wir Nationalsozialismus nennen – er hatte seine Geschichte, längst bevor es eine Geschichte des Nationalsozialismus gab.“33 Diese aber in den Kolonien, speziell in Deutsch-Südwestafrika beginnen zu lassen, ist eine Überforderung der Kolonialgeschichte,34 die – als Teil auch der afrikanischen Geschichte – Anspruch darauf hat, aus eigenem Recht erzählt zu werden.

Gerwarth/Malinowski, 2007, S. 439 f.; v. Laak, 2003, S. 74; Sippel, 2001, S. 354 f.; Schlottau, 2007, S. 378; Mamdani, 1996, S. 16; Harding, 2006, S. 28; Bley, 1968, S. 313; Steinmetz, 2002, S. 139 (FN 12); Eckert, 2003; Kundrus, 2006, S. 49; Graichen/Gründer, 2005, S. 10; zum „Sonderweg“ Winkler, 2000, S. 2 f.; Spenkuch, 2003; zur Wahrnehmung dt. Kolonialtätigkeit in Frankreich: Leroy-Beaulieu, 1908. 32 Madley, 2005, S. 452; vgl. Zimmerer, 2003; 2004b; zu dessen „luftige[r] Beweisführung“ Wehler, 2006, S. 164; Conrad, 2006, S. 122 f., 306; Kundrus, 2006, S. 45 f.; Kundrus/Strotbek, 2006, S. 401 f.; zur Imperialismus-Ideologie als pan-europäischem Phänomen: Walkenhorst, 2007, S. 318 f.; 332; Eckert, 2005, S. 274; Thomas, 2005, S. 55 f.; Gollwitzer, 1982, S. 228. 33 Fischer, 1992 [1989], S. 181; Fest, 1993 [1963], S. 410. 34 Zu Recht kritisiert Wehler, 2006, S. 168, manche Historiker des deutschen Kolonialismus hätten ihren „sense of proportionality“ verloren.

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Karte der Bezirks- und Distriktsämter in DSWA sowie einiger Polizeistationen, Stand 1912 (nach: Deutschen Kolonial-Lexikon, Koloniales Bildarchiv, UB Frankfurt/Main)

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„Verzeichnis der im Schutzgebiet [1912] vorhandenen Polizeistationen getrennt nach Verwaltungsbezirken

Bezirk Windhuk: Neudamm Hohenwarte Seeis Hatzamas Lauwater. Bezirk Karibib: Usakos Otjimbingwe Erora. Bezirk Swakopmund: Ururas Conception-Bay Heigamkhab Sandwichhafen. Bezirk Outjo: Urioneis Franzfontein Chairos Okaukweyo Zeßfontein. Bezirk Grootfontein: Tsumeb Choantsas Nuragas Otjituo Esere Namutoni Otavi Kuring-Kuru (Okavango). a)

Bezirk Gibeon: Mariental Geitsabis Kamagams Kuis Karaam Fahlgras. Bezirk Keetmanshoop: Seeheim Holoog Kochena Berseba Tses Gr. Aub. Bezirk Lüderitzbucht: Aus Kolmanskuppe Prinzenbucht Angras-Juntas Weißbrunn Hohenfels Pomonapforte Wüstenkönig Sendlingsdrift Charlottental Bogenfels Bismarckfeld.

Distrikt Okahandja: Otjosasu Gr. Barmen Owikokorero Osona. Distrikt Omaruru: Okombahe Otjohorongo Kalkfeld Otjiwarongo Waterberg Otjosondu Burgkeller. Distrikt Gobabis: Witvley Steinhausen Epikuro Oas Aminuis Reitfontein Sandfontein. Distrikt Bethanien: Kuibis Brackwasser Nuichas. Kosos Naisip.

Distrikt Warmbad: Ramansdrift Nakab Stolzenfels Kalkfontein Karious, flieg. Stat. Distrikt Maltahöhe: Alt-Maltahöhe Nam Lahnstein. Bezirk Rehoboth: Hoachanas Büllsport Gochaganas Slip Donkersand Gosorobis Hornkranz. Distrikt Hasuur : Klipdam Dawignab Aninus. Residentur im Caprivizipfel: Schuckmannsburg.“a)

aus: Amtsblatt-DSWA, 1912, S. 253.

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Abkürzungen aA AA AöR ALR BA BG BGB BHpt BR DA DKdo DKG DKL DSWA ebd EK gem Gouv Hpt ILP JAH Jb Jg Kdo Kdr KGG KLMG KolA Lt LHptm L.P. M Mj o.D. OffzP OG Olt OKSchTr

anderer Ansicht Auswärtiges Amt Archiv des öffentlichen Rechts Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Kaiserliches Bezirksamt / Bezirksamtmann Kaiserliches Bezirksgericht Bürgerliches Gesetzbuch Kaiserliche/r Bezirkshauptmann/schaft Kaiserlicher Bezirksrichter Kaiserliches Distriktsamt Distriktskommando (militärischer Vorläufer der Distriktsämter) Deutsche Kolonialgesellschaft Deutsches Koloniallexikon (1920), Bd., S. Deutsch-Südwestafrika ebenda Eingeborenenkommissar(iat) gemäß Kaiserliches/r Gouvernement / Gouverneur für DSWA Hauptmann Inspektion der Kaiserlichen Landespolizei in DSWA Journal of African History Jahresbericht Jahrgang Kommando Kommandeur Konsulargerichtsbarkeitsgesetz Kaoko- Land- und Minengesellschaft Kolonialabteilung (bis 1907) Leutnant Landeshauptmann/schaft Legislaturperiode Reichsmark Major ohne Datum Offiziersposten (OffzP I in Waterberg; usw.) Kaiserliches Obergericht Windhuk Oberleutnant Oberkommando der Schutztruppe 355

OR PolDep PreußOVG PSgt PolSt RA Ref RGBl. RGSt RJA RK RKA RMG RR RSA RStGB RT RVerf SBRT SchTr SGG StPO StS Tlgr Uffz UStS Verf vgl. VO Zit

356

Oberrichter Polizeidepot Preußisches Oberverwaltungsgericht Polizeisergeant Polizeistation Rechtsanwalt Referat Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsjustizamt Reichskanzler Reichskolonialamt Rheinische Missionsgesellschaft Regierungsrat Reichsschatzamt Reichsstrafgesetzbuch Reichstag Rundverfügung Stenographische Berichte des Reichstages Schutztruppe Schutzgebietsgesetz Strafprozessordnung Staatssekretär Telegramm Unteroffizier Unterstaatssekretär Verfügung vergleiche Verordnung Zitat

Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalische Quellen Archives of the Evangelical Lutheran Church in the Republic of Namibia, Windhoek (AELCRN) AELCRN, II 1.2, II 1.3 a; II I 1.4; V 25; V 36, V 37; VI 27.1; VI 36.1; VI 36.2; VII 28.32; C I 1.2 – 4; C I 1.10; C I 1.11b; C I 1.25; C I 1.29; C I 1.39; C I 1.40; C I 1.43 – 44; C II 1.12 – 13

Archiv der Deutsch-Evangelisch Lutherischen Kirche, Windhoek (ADELK) ADELK, 27 – Staatliche Behörden

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAB) Nachlässe: BAB N 2139 – Dr. Paul Kayser ; N 2272 – Bruno Schuckmann RKA – Reichskolonialamt: BAB R 1001/1489; 1490; 1481; 1959; 1914; 1915; 1918; 2185; 2190; 2192; 2199; 2200; 8748; 9023; 9024; 9025; 9091; 9092; 9098; 9099; 9326; 9328; 9330 Gouv – Gouvernement DSWA: BAB R 1002/47; 980; 1430; 1586; 2086; 2159; 2194; 2363a ILP – Inspektion der Landespolizei: BAB R 1002/2431; 2432; 2465; 2466; 2549; 2594; 2692; 2718; 2788; 2943; 3282; 3332 RJA – Reichsjustizamt: BAB R 3001/5343; 5246; 5247; 5248; 5249; 5251; 5252; 5253; 5255 DKG – Deutsche Kolonialgesellschaft: BAB R 8023/600; 602; 642; 865; 873; 880; 890

Bundesarchiv Koblenz (BAK) Nachlässe: BAK N 1037 –Dr. Oskar Hintrager ; N 1042 –Dr. Wilhelm Külz; N 1053 –Dr. Wilhelm Solf; N 1130 –Bernhard Dernburg; N 1138 –Dr. h.c. Ludwig Kastl; N 1145 –Paul Leutwein; N 1165 – Oswald Freiherr v. Richthofen; N 1175 –Dr. Theodor Seitz; N 1408 –Dr. Paul Rohrbach

National Archives of Namibia, Windhoek (NAN) Accessions: A.327 – Reports by C. Krause/ J.Kuntz; A.321– Accession Geisler BAU – Bauverwaltung des Kaiserlichen Gouvernements Windhuk: NAN BAU 15, A 25, Bd. 4, Bd. 5; 15, A 27; 52, B 78; 74, H 13; 95, G Wi 4 BGR – Bezirksamt Grootfontein: NAN BGR 2, F 9 b; 12, S 2 e; 12, M 2 d; 12, S 8 o; 12, L 6 c; 12, L 6 c 1; 12, L 6 c 4; 12, L 6 e BKE – Bezirksamt Keetmanshoop: NAN BKE 17, F 2 a; 22, F.12.g; 22, G.2.a; 22, G.3.a; 22, G.3.c; 23, G.3.d; 23, G.3.f; 23, G.3.l; 23, G.3.m; 23, G.3.n; 23, G.3.o; 199, B II 66 a,

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Bde.1 – 2; 199, B II 66 a, spec I; 199, B II 66 b; 291, U.A.33/1; 291, U.A.33/2; 291, U.A.33/3; 292, U.A.33/4; 292, U.A.33/6; 292, U.A.33/7; 292, U.A.33/8; 292, U.A.34/1; 292, U.A.35/1 BOM – Bezirksamt Omaruru: NAN BOM 34, 2; 34, GA 3; 34, GA 4; 34, GA 5; 52, G II; 52, K I g; 52, N I 1; 52, P I G; 52, S I; 52, S I spec; 53, S I l g; 53, S V; 53, 26 – 31 BOU – Bezirksamt Outjo: NAN BOU 1, B 10 q; 9, 1/1; 9, 4/1 BSW – Bezirksamt Swakopmund: NAN BSW 73, E 1 a 1; 80, G 3 a, Bd. 1; 80, G 3 c, Bd. 1; 80, G 3 d, Bd. 1; 80, G 3 e, Bd. 1; 87, L 6 c; 87, M 1 p-s BWA – Bezirksamt Warmbad: NAN BWA 3, 9; 3, 10; 3, 13; 3, 14 BWI – Bezirksamt Windhoek: NAN BWI 36, E 1 d; 36, E 1 e; 36, E 1 f, Bd. 1 – 2; 37, E 1 g, Bd. 1 – 2; 37, E 1 h; 37, E 1 i; 155, L 2 a, Bde.1 – 2; 155, L 2 b, Bde.1 – 2; 155, L 2 c; 160, L 2 m; 160, L 2 n; 160, L 2 l, Bd. 2; 160, L 2 i, Bd. 7; 208, O 1 a; 208, O 1 e; 208, O 1 f; 208, O 1 g; 208, O 1 h; 208, O 1 d 2; 304, S 17 a; 304, S 17 b; 304, S 17 d; 304, S 17 g Bde.1 – 3; 304, S 17 e; 307, S 17 p, Bde.4 – 7; 417, P I 13 spec.; 417, P I; 417, P II, Bd. 1; 438 DAR – Distriktsamt Aroab: NAN DAR 32, U.A. 4/1; 32, U.A. 4/2; 32, U.A. 4/3; 32, U.A. 4/4 EKW – Kaiserliches Eingeborenen-Kommissariat Windhuk: NAN EKW 1, F V k 1; 1, F Vk3 GLU – Bezirksgericht Lüderitzbucht: NAN GLU 241, D 74 06; 241, D 90 06; 313, Gen F I; 313, Gen F II; 313, Gen F III, Bd. 1 – 2 GWI – Bezirksgericht Windhoek: NAN GWI 752, Gen IV 8, Bd. 3; 752, Gen IV 10; 758, Gen VII 1, Bd. 3; 758, Gen VII 1, Bd. 4; 758, Gen VII 5; 760, Gen VIII 5; 769, Gen VIII 7; 760, Gen VIII 9; 762, U A 9; I 810 LPO – Inspektion der Landespolizei: NAN LPO 4, O I c 21; 22; 23; 24; 25; 27 OGW – Kaiserliches Obergericht Windhoek: NAN OGW 37, Gen XVI 1; 37, Gen XVI 2; 37, Gen XVI 3; 46, Gen XIX 5; 46, Gen XIX 10; 53, Gen II F; 53, Gen II G; 53, Gen II H; 53, Gen II J, Bd. 1 – 2; 67, Gen XIII/1, Bd 1 STR – Kaiserliche Schutztruppe: NAN STR 21, II m 1; 21, II n 1 ZBU – Zentralbureau des Kaiserlichen Gouvernements Windhuk: NAN ZBU 10, A I d 3; 10, A I d 6; 10, A I d 12; 68, A II m 32; 68, A II m 34; 79, A II t , Bd. 1 – 2; 108, A III e 1; 108, A III e 2; 145, A VI a 1; 145, A VI a 2; 146, A VI a 3, Bd. 1 – 2; 147, A VI a 3, Bd. 2a-3; 148, AVI a 3, Bd. 5; 153, AVI a 3, Bd. 12; 153, AVI a 3, Bd. 13; 155, AVI a 3, Bd. 16 – 17; 156, AVI a 3, Bd. 18 – 19; 157, AVI a 3, Bd. 20; 158, AVI a 3, Bd. 23; 159, AVI a 3, Bd. 24; 161, AVI a 5, Bd. 1 – 2; 162, AVI a 6, Bd. 1 – 2; 162, AVI a 8; 249, B I qu 1; 249, B I qu 2; 249, B I qu 3; 249, B I qu 4; 265, B I x 6 a, Bd. 1; 266, B I x 7; 266, B I x 8; 266, B I x 9; 285, B II f 2 , Bd. 1 – 2; 287, B III b 1; 288, B III c 1; 288, B III c 15; 288, B III c 16; 289, B III c 23; 289, B III c 24; 406, D II d 1; 406, D II d 2, Bd. 1 – 3; 479, D VI o, Bd. 1 – 2; 523, E II b 1; 523, E II b 2; 606, F I d 1; 635, F III a 1; 635, F III a 2; 688, F V b 1; 688, F V b 2; 693, F Ve 1; 694, F V f 1, Bd. 1 – 2; 694, F V f 2; 714, F V n 2; 714, F V n 7; 715, F Vo 1; 715, F Vo 2, Bd. 1 – 2; 716, F V p 1; 716, F V p 2; 716, F V p 3; 716, F V p 4; 716, F V p 5, Bd. 1 – 2; 721, F VII a 1; 721, F VII a 2; 746, G I a 1; 746, G I a 2; 747, G I b 1; 747, G I b 2, Bd. 1 – 3; 748, G I c 1; 748, G I c 2, Bd. 1 – 2; 749, G I d 2; 749, G I d 3; 749, G I d 4; 749, G I d 5; 749, G I d 6; 749, G I d 7; 749, G I d 8; 750, G I

358

e 2; 750, G I e 3; 750, G I e 4; 753, G II f 2; 770, G III e 2, Bd. 1; 770, G III e 4; 772, G III g 1; 772, G III g 2; 772, G III g 3; 782, G IVa 1; 782, G IVa 2; 783, G IV b 1; 783, G IV b 2; 785, G IV d 1; 785, G IV d 2; 809, G VI e 1; 809, G VI e 2, Bd. 2; 810, G VI f 1; 810, G VI f 2, B.1; 922, J II d 1; 922, J II d 4; 934, J IV c 1; 940, J V c 1; 1010, J XIII b 4, Bd. 3 – 5; 1058, L II a 1; 1059, L II a 4; 1085, L II p 1; 1651, S II g 1, Bd1 – 3; 1657, S II g 4, Bd. 1 – 2; 1657, S II g 5; 1657, S II g 6; 1939, U.V.o. 55; 1939, U.V.o. 58; 1939, U.V.o. 63; 1957, U.V.o.384; 1957, U.O.v.370; 1957, U.O.v.366; 1957, U.O.v.371; 2019, W I b 1, Bd. 1 – 2; 2045, W III b 1; 2045, W III b 2; 2045, W III b 4; 2045, W III b 5, Bd. 1 – 2; 2048, W III f 1; 2048, W III f 2, Bd. 1; 2048, W III f 3; 2048, W III f 4; 2053, W III p 1; 2053, W III p 2; 2365 -Geheimakten, VII a; 2365-Geheimakten, VII h; 2365Geheimakten, VII i; 2365-Geheimakten, VII m; 2372-Geheimakten, IX b; 2372Geheimakten, IX h; 2374-Geheimakten, XI a ADM – Akten der Südafrikanischen Militäradministration (1915 – 1920): NAN ADM 5, 19/28; 8, 25/21; 8, 25/30; 9, 29/31; 9, 29/38; 9, 33/2; 9, 34/2

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SHStA) SHStA 10573/Nr. 69; 11248/Nr. 7579; 11248/Nr. 7583; 11248/Nr. 7676; 11248/ Nr. 7590; 12829

Gedruckte Quellen Zeitungen1 „Amtlicher Anzeiger für das Deutsch-Südwestafrikanische Schutzgebiet“ „Amtsblatt für das Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika“ „Keetmanshooper Zeitung“ „Lüderitzbuchter Zeitung“ „Südwest“ „Swakopmunder Zeitung“ „Windhoeker Anzeiger“ [1901 fortgeführt als:] „Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung“ [1913 vereinigt mit „Swakopmunder Zeitung“] „Windhuker Nachrichten“ [1911 fortgeführt als:] „Der Südwestbote. Organ des Farmerbunds“

1 Vgl. Schmidt, 2008, S. 67 f.

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Etat 18, 46, 48, 58, 70, 127, 196, 217, 249f. Familie 73, 75, 87f., 99, 155, 229, 233–235 Farmverein 182, 279, 284f., 296f., 299 Flugzeuge 197f. Geldstrafe 80, 121, 147, 200, 207, 302 Gendarmerie 38, 43f., 48, 166f., 173 Gericht 43, 53, 78, 96, 119, 123, 165, 173, 182, 231, 318f. Gewaltmonopol 14, 23, 25, 36, 189f., 213, 250, 301, 348 Geschenke 84, 118, 265, 326, 332f. Geschlechtskrankheiten 161, 236–238, 240, 267, 272 Gottesdienst 137, 139, 217, 257 Grundrechte 15 Hafturlaub 137 Herero-/Namakrieg 39–42, 46, 54, 86, 113, 123, 133, 138, 180, 225f., 251, 253f., 263, 269, 274, 305, 311, 322 Infantilisierung 70, 125f., 252 Kollaboration 24, 57f., 86, 90, 261, 264–268 Kolonialabteilung 32, 38, 65, 67, 110, 116f., 129, 252, 293, 310 Kolonialrat 149, 252, 280 Kolonialrecht 10, 30–32, 51–53, 63, 97–106, 129, 200f., 305–307, 341–351

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Konsularrecht 30–32, 341 Korruption 207f., 294 Landesrat 70, 190f., 195, 205, 239, 248, 263, 267, 280, 292 Männlichkeit 67, 88, 126, 186–189, 274f. Malaria 161f., 298, 311, 314, 330, 333–335 Militärpolizist 35f. Mundraub 115, 182, 184 Namen 89, 91, 105, 126, 199, 282 Notwehr 154, 163–170, 177, 206f., 291, 302 Peitsche/Sjambok 86, 108, 114, 122 „Polizeischmerzen“ 142, 277 Polizeizone 9, 45f., 189, 198, 213, 270, 306, 313–316, 322–324, 330, 345, 350 ,Policey’ 15f., 34, 102 Prostitution 157, 236–240, 256 Rechtsstaat 15, 19, 21–23, 49–53, 53, 106, 110, 125, 167, 172f., 182f., 342–351 Reichsgericht 107, 168, 170, 190, 206 Reichstag 22, 32, 69, 96, 98, 100, 110f., 117, 119, 151f., 157, 161f., 167, 178, 181f., 191, 200f., 208–210, 251, 280f., 280, 294, 307, 315, 329, 345 Rinderpest 217, 253, 269, 310 RJA 14, 63, 151, 167, 307 Schule 71, 107f., 113, 147, 217, 224, 243, 260, 283

398

Schutzgebietsgesetz 15, 30–32, 97 Schutzvertrag 31, 33, 39, 97, 225, 260, 309, 311f. Selbstjustiz 119f., 215, 285f. Sippenhaft 131, 160 Sklaverei 112, 179, 244, 288, 321 Spitzel 83, 255 Sprache 26f., 71–73, 87, 156, 259f., 273, 282, 286 Staatsrechtslehre 14f.; 50 Steuern 213f., 218, 246, 327f., 331, 340 StPO 53, 109, 114f., 123, 129, 302 Todesstrafe 111, 139, 148, 159, 179–183, 194f., 197, 210 Totale Kontrolle 9, 12, 18 Typhus 133, 231, 250, 273 Uniform

36, 68–72, 85–91

Verkafferung 295 Verwaltungsgerichtsbarkeit 49–52, 201, 342 Wasser 23, 37, 40, 150, 188, 193, 197, 216, 223, 229, 246, 261, 263, 299, 303, 316, 318 Widerstand 63f., 90, 164f., 168, 186, 189f., 199, 227, 268–270, 288f., 349 Wegepolizei 36f. Witbooi-Polizist 64–68, 85 Zivilpolizist

36–38, 41, 43

2. Ortsregister Aminuis 207 Andara 155, 317f., 322f., 335 Angola 148, 306, 311, 317, 323, 326, 328 Angra Pequena 33, 127 Aroab 75, 79, 207 Äthiopien 13, 95, 104 Aus 158 Australien 148

Groß-Aub 82, 139 Guayana 148 Gurumanas 278

Berlin 16, 33, 35, 40f, 113, 115, 162, 176, 200, 206, 276, 281, 306, 343 Bethanien 80, 104, 178, 248, 280 Betschuanaland 72, 317, 323 Brakwater 299 Buea 154f., 157–162, 337

Indien

Cuangar

323, 326–332

Dar es Salam 153, 219, 259 Dchang 157–160 Deutsch-Ostafrika 13, 39, 60, 83, 109, 153f., 159, 162, 276, 337 Duala 162, 227 Elisabethbucht 77 Elsaß-Lothringen 127, 167 Epukiro 298 Franzfontein 112, 227, 316f., 336 Friedrichsruh 16 Ghana 133, 251, 255 Gibeon 58, 66, 104, 121, 135, 198, 252, 269, 277, 295 Gobabis 117, 130f., 146, 181f., 283–285, 292 Grootfontein 36, 72f., 78, 100, 156, 159, 181, 248, 298, 301, 313, 317, 321, 323–325, 334f.

Hasuur 296, 300 Hohenwarte 35, 300 Hoolog 207 Hornkranz 195–197 147, 251, 295

Johannesburg

24, 320

Kalkfeld 299, 304 Kalkfontein 154 Kamerun 10, 71, 83, 109, 122, 153–163, 181, 214, 336–338 Kapkolonie 58, 128, 135f., 142, 148, 151, 184, 216, 252, 254f. Kapstadt 24, 215 Karibib 103f., 113f., 119f., 137, 245, 295 Kenia 275, 310 Keres 261, 263 Kuring-Kuru 25, 154–157, 215, 316, 322–340, 344, 346 Kupferberg 45, 71, 194, 331 Lauwater 256, 277 Livingstone 317 Lom 159 Luanda 148, 216, 311, 323, 337 Lüderitzbucht 46, 70, 81, 103, 119f., 136, 139, 154–157, 219, 257 Maltahöhe 83, 122, 133, 179 Namutoni 120, 311f., 323f., 336 Neitsas 304, 308

399

Neu-Guinea 10, 162 Neu-Kaledonien 148 Okahandja 39, 77, 124, 133, 139, 178, 193, 198, 221, 248, 282, 286–288, 290, 303 Okanjande 162 Okaukuejo 120, 124 Okawayo 162 Olukonda 309 Omaruru 39, 65, 72, 76, 82, 84, 100, 104, 115, 118, 128, 131, 135, 181, 194, 248, 282, 286, 288, 290, 304 Omburo 194 Ondonga 309–312 Otjituo 86 Otjimbingwe 33, 66, 216f., 260, 263 Otjiwarongo 115 Otjosazu 139 Outjo 82, 112, 121, 195, 272, 285, 310f. 313, 325 Rehoboth 36, 68, 121, 143, 180, 195–198, 203, 221, 242, 301 Rhodesien 257, 306, 314, 317f. Rietfontein 72, 334 Schuckmannsburg Sesheke 318, 320

400

25, 215, 320f., 346

Seeis 142 Spitzkoppe 45, 206 Stockholm 148 Südafrika 19, 42, 70f., 89, 103, 254f, 271, 283, 295 Südsee 31, 50, 150, 152, 162, 271 Swakopmund 34, 37, 43, 65, 68, 103f., 115, 128, 130, 134, 142, 144f., 152, 159, 217, 219, 257, 293 Togo 10, 70, 122, 153, 158f., 163, 250, 255, 320 Transvaal 103, 318 Tsau 72 Tsumeb 78, 313 Uabis 188 Usakos 158 Uukwambi 310 Walvis Bay 33, 216, 320 Warmbad 59, 74, 103, 139 Waterberg 35, 40, 75 Witvley 291 Zabern 167, 178, 344 Zessfontein 301, 316f.