Kognition und Übersetzen: Zu Theorie und Praxis der menschlichen und der maschinellen Übersetzung 9783110935844, 9783484220416

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Kognition und Übersetzen: Zu Theorie und Praxis der menschlichen und der maschinellen Übersetzung
 9783110935844, 9783484220416

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Erster Teil
I. Zum Theoriebegriff in der Übersetzungswissenschaft
II. Handlungstheorie und Übersetzungswissenschaft
III. Die Rolle des Obersetzers im Übersetzungsprozeß
IV. Der Übersetzungsprozeß als Problemlösungsoperation
V. Übersetzen als Entscheidungsprozeß
VI. Der Begriff der Kreativität in Übersetzungsprozeß
VII. Intuition und Obersetzen
Zweiter Teil
VIII. Theoretische Aspekte der maschinellen Übersetzung
IX. Methodische Probleme der maschinellen Übersetzung
X. Syntaktische Probleme der maschinellen Übersetzung
XI. Möglichkeiten und Grenzen der Disambiguierung in einem System der maschinellen Übersetzung
XII. Menschliche und maschinelle Obersetzung - Eine Bilanz
Bibliographie
Namenregister
Sachregister

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Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Klaus Baumgärtner

41

Wolfram Wilss

Kognition und Übersetzen Zu Theorie und Praxis der menschlichen und der maschinellen Übersetzung

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wilss, Wolfram: Kognition und Übersetzen : zu Theorie u. Praxis d. menschl. u. d. maschinellen Übers. / Wolfram Wilss. - Tübingen : Niemeyer, 1988 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 41) NE: GT ISBN 3-484-22041-4

ISSN 0344-6735

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck, Darmstadt.

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

ERSTER TEIL I. II.

Zum Theoriebegriff in der Ubersetzungswissenschaft

1

Handlungstheorie und Übersetzungswissenschaft

27

Die Rolle des Ubersetzers im Übersetzungsprozeß

41

Der Ubersetzungsprozeß als Problemlösungsoperation

60

V.

Ubersetzen als Entscheidungsprozeß

92

VI.

Der Begriff der Kreativität im übersetzungsprozeß

108

Intuition und Ubersetzen

129

III. IV.

VII.

ZWEITER TEIL VIII. Theoretische Aspekte der maschinellen Ubersetzung IX. X. XI. XII.

144

Methodische Probleme der maschinellen Ubersetzung

170

Syntaktische Probleme der maschinellen Ubersetzung

189

Möglichkeiten und Grenzen der Disambiguierung in einem System der maschinellen Übersetzung

206

Menschliche und maschinelle Ubersetzung Eine Bilanz

233

VII VORWORT

Es ist eine altbekannte Feststellung, daß ein Ubersetzer beim übersetzen mit Problemen unterschiedlicher Art rechnen muß. Diese Probleme rühren daher, daß Sprachen nicht, jedenfalls nicht vollumfänglich, auf der Basis von Eins-zuEins-Entsprechungen aufeinander abbildbar sind. Diese Feststellung ist übersetzungswissenschaftlich nicht trivial; sie bedeutet, daß die Ubersetzungswissenschaft auf introspektivem Weg Antworten auf die Frage nach den situativ richtigen Strategien, Methoden und Techniken der Ubersetzung von Texten und nach den Kriterien für die Beurteilung des Wirkungsverhältnisses von Ausgangstext und Zieltext suchen muß. Aus der Textgebundenheit des Übersetzungsprozesses resultiert die übersetzungswissenschaftlich zentrale Frage, wie Ubersetzen als funktional bestimmte Transferprozedur abläuft und welche Rolle dabei die übersetzungsprozessual relevanten Variablen, der Ausgangstextsender und seine Mitteilungsabsicht, der Ubersetzer und seine den Transfer steuernden Wissensbereiche und Zieltextvorstellungen sowie der Zieltextempfänger und seine qualitativen Zieltexterwartungen, spielen. Jede Ubersetzungssituation stellt eine komplexe Rollenkonstellation dar, deren wissenschaftliche Aufarbeitung Objektivierungsprobleme aufwirft, aber gerade dadurch das Bedürfnis nach Objektivierung übersetzerischer Sachverhalte weckt. Allerdings ist es schwierig,' ein hinlänglich binnendifferenziertes Forschungsparadigma zu entwerfen, das dem Wesen des Ubersetzungsprozesses als eines mental bestinmten kreativen Transferprozesses gerecht wird und die kognitiven Bedingungen übersetzerischen Vorgehens reflektiert. Ubersetzungswissenschaftlich gesprochen, geht es darum, deklaratives Wissen und prozedurales Wissen im richtigen Verhältnis zu aktivieren. Unter deklarativem Wissen sind die vom Ubersetzer abrufbaren Wissenspotentiale zu verstehen. Prozedurales Wissen bezieht sich dagegen auf die Fähigkeit, aus der Menge verfügbarer Informationen jenes Wissen auszuwählen, das für erfolgreiches übersetzerisches Handeln relevant ist. Wer sprachlich handelt, und dies gilt gleichermaßen für einsprachiges wie für übersetzerisches Handeln, hat ein kommunikatives Ziel vor Augen. Im übersetzerischen Handlungszusammenhang ist dieses Ziel die Herstellung eines pragmatischen oder ästhetischen Gleichgewichts zwischen Ausgangstext und Zieltext. Dabei fällt dem Übersetzer die Aufgabe zu, vor dem Hintergrund des intertextuell Gemeinten

VIII die Bedingungen für einen unvoreingenommenen, situationsadäquaten Texttransfer zu ermitteln, daraus die richtigen übersetzungsprozessualen Schlußfolgerungen zu ziehen und diese evaluativ zu begründen. Der Übersetzer kann allerdings übersetzerische Handlungszusammenhänge für sich selbst und für den Zieltextempfänger nur dann transparent machen, wenn er gelernt hat, im Rahmen mehr oder minder komplexer Informationsverarbeitungsprozesse Strukturen und Funktionen zu erkennen und sich für deren Wiedergabe in der Zielsprache erfolgversprechende Texttransferprogramme zurechtzulegen. Solche Überlegungen laufen auf eine übersetzerische Gesamtplanung hinaus, in der alle übersetzungsprozessual relevanten Dimensionen kognitiv vermessen werden, um den für das Erreichen des übersetzerischen Gesamtziels möglichst günstigen Navigationspfad zu ermitteln. Dazu bedarf es eines methodischen Ansatzes, dessen Ziel sein muß, die notorische behavioristische "black box" des Übersetzers im Rahmen des Möglichen durch eine "Wendung nach innen" zu entziffern und so zu einer kognitiven "white box" des Übersetzers zu kommen. Es geht darum, mit Hilfe psychologischer und informationstheoretischer Begriffe die dem Ubersetzen zugrundeliegenden mentalen Zustände und Prozesse ans Licht zu heben und Ubersetzen als eine komplexe Form der Sprachverwendung vorzuführen. Die folgenden Ausführungen bedeuten natürlich in übersetzungswissenschaftlicher Hinsicht keinen radikalen Neuanfang - etwa im Sinne der Paradigmenwechseltheorie oder eines kognitiven Kopernikanismus. Sie sind vielmehr zu verstehen als ein Versuch, die in den letzten Jahren in Gang gekommene Diskussion über die psychologischen Aspekte des Ubersetzens weiterzuführen und sich über die Fundamente übersetzerischen Denkens und Formulierens im Rahmen des Möglichen zu vergewissern. Der hier vertretene übersetzungswissenschaftliche Ansatz gewinnt damit Anschluß an Wilhelm WUNDT, der mit seiner These von der "inneren Wirklichkeit" der Sprachtätigkeit vieles von dem, was die kognitive Psychologie heute im Kontext der Erforschung mentaler Repräsentationen diskutiert, vorweggenommen hat. Fertige Lösungen wird man von diesem Buch, das sich um eine beispielbezogene Darstellungsweise bemüht, nicht erwarten dürfen. Es ist eher problem- als resultatorientiert. Es versucht, auf kognitiver Grundlage die inneren Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der modernen, vielgestaltigen Ubersetzungswissenschaft sichtbar zu machen und - vielleicht - weitere Untersuchungen zum Funktionieren von Sprache im Ubersetzungskontext zu stimulieren. Dieser Versuch bleibt notwendigerweise fragmentarisch, weil es bisher keine erschöpfende Theorie der Bewußtseinsinhalte gibt, u n d es ist die Frage, ob es eine solche jemals geben wird oder, metatheoretisch gesprochen, überhaupt

IX wird geben können. Jedenfalls ist die Zeit für eine umfassende Monographie zur Theorie kognitiver Systeme im allgemeinen und zur kognitiven Theorie des Ubersetzens im besonderen noch nicht gekommen. Deshalb ist das Buch keiner bestimmten kognitiven Theorie durchgängig verpflichtet. Die Möglichkeiten für die Integration von Sprachwissenschaft, Kommunikationstheorie und Kognitionspsychologie sind noch nicht hinreichend geklärt. Der Mensch hat von sich und seiner psychischen Natur noch nicht allzuviel begriffen, obwohl unser Handeln nur kontrollierbar wird, wenn wir seine psychischen Strukturen wenigstens einigermaßen kennen. Meine Absicht ist deshalb, auf der Grundlage eines seit dem Erscheinen meines Buches (WILSS 1977a) hoffentlich geschärften Problembewußtseins im Rahmen eines bescheidenen Begriffsapparats und ohne großartigen Notationsaufwand einige Gedanken zu einer kognitiven Theorie und Praxis des Ubersetzens beizusteuern. Dabei ist ein für mich wichtiger Aspekt, erfolgreiches Ubersetzen als Ergebnis mehr oder minder systematischer Problemlösungsstrategien und Entscheidungsprozesse zu bestimmen. Wo kognitionsorientiert argumentiert wird, sind allerdings Grauzonen einzukalkulieren: Man kann in der Ubersetzungswissenschaft nicht nur rational diskutieren, sondern muß sich auch mit definitorisch und methodisch schwer faßbaren Begriffen wie Kreativität und Intuition mit ihrem reichen Assoziationsüberschuß auseinandersetzen. Die Ubersetzungswissenschaft ist und bleibt letztlich eine Grenzwissenschaft, die durch das oft problematische, gleichzeitig zentripetal und zentrifugal wirkende Kräftespiel zwischen objektiven und subjektiven Faktoren charakterisiert ist. Welche methodischen Implikationen sich daraus ergeben, zeigt der zweite, der maschinellen Ubersetzung gewidmete Teil des Buches. Diesem Thema gehört seit 1978, d.h. seit der Ingangsetzung des DFG-geförderten Saarbrücker Forschungsprojekts "Maschinelle Ubersetzung Englisch-Deutsch", mein besonderes Interesse, war es doch dieses Projekt, das mich dazu bewogen hat, mich intensiv mit den Möglichkeiten und Grenzen der kognitiven Betrachtung von Ubersetzungsproblemen zu beschäftigen. Dabei hat sich einerseits gezeigt, daß es in den letzten Jahren zwischen den beiden Bereichen maschinelle Übersetzung und Ubersetzung durch den Menschen (im Jargon der maschinellen Ubersetzung oft als "Humanübersetzung" bezeichnet) deutliche Annäherungen gegeben hat. Andererseits hat sich bestätigt, daß die Ubersetzungswissenschaft nicht die Ultrastabilität eines kybernetischen Systems mit seinem methodischen Absolutheitsanspruch besitzt. In vielen Texten, die übersetzt werden sollen, ist mit Unbestimmtheitsstellen zu rechnen, die eine auch noch so ausgefeilte Theorie und Praxis der maschinellen Ubersetzung nicht aus der Welt schaffen kann, sondern als unaufhebbares Element kommunikativer Interaktion akzeptieren muß. Das ist übrigens die (oder zumindest eine) Erklärung dafür, daß - anders als in den Naturwissenschaften - die

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sogenannte "Konsensfähigkeit" übersetzungswissenschaftlicher Ergebnisse begrenzt ist und daß die Öffentlichkeit von der Übersetzungswissenschaft nur wenig Notiz nimmt. Frau Diplom-Dolmetscherin/Diplom-Ubersetzerin Elke NowakLehmann, Frau Professor Dr. Katharina Reiß, Frau Dr. Gisela Thome, die Herren Diplom-Obersetzer Achim Blatt und KarlHeinz Freigang sowie Herr Professor Sven-Olaf Poulsen und Herr Dr. Klaus-Dirk Schmitz haben die Entstehung dieses Buches mit gleichermaßen konstruktiven wie kritischen Kommentaren begleitet. Zusätzliche Anregungen zur Klärung der Rolle des Übersetzers im Ubersetzungsprozeß (Kap.III) verdanke ich Mitgliedern des Sonderforschungbereichs 309, Die literarische Ubersetzung, Universität Göttingen, und Angehörigen des Bundessprachenamtes in Hürth. Frau Nowak-Lehmann hat mir ferner bei der Beschaffung und Auswertung der Fachliteratur geholfen und die Bibliographie zusammengestellt. Frau Dr. Thome hat die Register erstellt. Frau Diplom-Übersetzerin Claudia Jost, Frau Klaudia Leidner und Frau Annette Wagner danke ich für ihre nie versagende Geduld und ihr Durchstehvermögen bei der Niederschrift der verschiedenen Fassungen dieses Buches. Für alle Schwächen des Buches bin ich natürlich selbst verantwortlich. Dank sagen möchte ich auch dem Max Niemeyer-Verlag, der sich bereit erklärt hat, dieses Buch in sein Verlagsprogramm aufzunehmen. Saarbrücken, im Januar 1988

Wölfram Wilss

1 ERSTER TEIL

I. Zum Theoriebegriff in der Obersetzungswissenschaft Einleitung in die Problemstellung Unter allen Charakterisierungen, die unser Zeitalter bisher erfahren hat, ist die Charakterisierung als wissenschaftlich-technologisches Zeitalter vermutlich die umfassendste und zutreffendste. Wissenschaft entfaltet heute eine nur noch mit Bürokratie und Korruption vergleichbare Macht und bestimmt entscheidend das gesamte Umfeld des Menschen in unserem Jahrhundert. Sie durchdringt ebenso selbstbewußt wie rücksichtslos alle wichtigen Organisationsformen der modernen Gesellschaft und ermöglicht den Auf- und Ausbau von Technologien nach der Logik einer flächendeckenden Superstruktur, die unter dem Schlagwort "instrumenteile Vernunft" den Menschen vereinnahmt und ihn sich unterwirft. Dabei steht dem deutlichen Prestigegewinn der Naturwissenschaften und der Sozialwissenschaften ein ebenso deutlicher Prestigeverlust der Geisteswissenschaften (vom derzeitigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar SPÄTH verächtlich "Diskussionswissenschaften" genannt) gegenüber. Niemand wird leugnen können, daß wissenschaftliche und technologische Prozesse - man denke nur an die Mikroelektronik, die Genforschung und die Kernkrafttechnologie - unser Dasein in wachsendem Maße bestimmen. Die Bedeutung solcher Prozesse, die durch einen systematischen "transfer of technology" inzwischen fast die gesamte Menschheit erreicht und strukturell verändert haben, ist so groß wie die Bedeutung der Theologie in früheren Jahrhunderten. Die Rolle der Priester als Auguren haben heute die Wissenschaftler und Technologen übernommen. "Die Gelehrten", schreibt Walter JENS, "sitzen in unserer Zeit auf den Stühlen, die einst den Dichtern vorbehalten waren; sie geben dem Tag das Gesicht, sie gilt es zu fragen, wenn man wissen will, wer wir sind" (Süddt. Zeitg. 28-29/10/1968). Sich einen Stab von Beratern zu halten und die Möglichkeit zu besitzen, ökologische, ökonomische, ernährungs- und ressourcenwissenschaftliche Erkenntnisse und Hypothesen durch hochbezahlte PR-Fachleute und "ghost-writers" (neuerdings deutsch "Redenschreiber") möglichst überzeugend in der Öffentlichkeit zu verbreiten, ist heute eine der wichtigsten Bedingungen für die erfolgreiche Tätigkeit von Politikern und Wirtschaftsbossen. So wie früher riesige Sunmen für den

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Bau von Kathedralen und Palästen ausgegeben wurden, fließen heute riesige Summen in wissenschaftlich-technologische Unternehmungen wie Atomkraftwerke, Staudämme, EUREKA und SDI. Und so wie sich früher die Kirche in der Rolle einer alleinseligmachenden Instanz sah, richtet sich heute das Augenmerk der Menschheit auf Naturwissenschaften, Technologie und Zukunftsplanung; sie erfreuen sich großer gesellschaftlicher Wertschätzung und deutlicher staatlicher Protektion, weil wir von ihnen die Impulse erwarten, die wir für unser Uberleben brauchen, ökonometrische Modelle, in denen technische und kalkulatorische Faktoren von zentraler Bedeutung sind, nehmen in unserer computergesteuerten, fortschrittsgläubigen Informationsgesellschaft eine Schlüsselposition ein. Gleichzeitig wächst auch die Zahl ihrer Kritiker, wie u.a. CAPRAs Plädoyer für ein ganzheitliches "ökologisches" Weltbild zeigt (1983). Ihre dominierende Rolle verdanken Naturwissenschaften und Technologie der auf die Aufklärung zurückgehenden Uberzeugung, daß nur die Wissenschaft den Schlüssel zur Wahrheit besitzt und Gewißheit vermittelt. Nur Wissenschaft und Technologie sind, so heißt es, in der Lage, ein objektives Bild der Wirklichkeit zu vermitteln. Nach unserem Wissenschaftsverständnis haben in erster Linie die Naturwissenschaften die Aufgabe, ihre Erkenntnisse zu Nutz und Frommen der Menschheit zu operationalisieren und auf diese Weise Zivilisations- und Sozialisationsprozesse wirksam zu beeinflussen. Wir leben heute im Umfeld einer Philosophie der Technik, die uns einhämmert, daß die Prinzipien technischer Funktionsabläufe identisch sind mit den Prinzipien der menschlichen Lebenswelt überhaupt. Ob der Glaube an die Ordnungsallmacht der Naturwissenschaften berechtigt ist oder nicht, ob die Naturwissenschaften die Menschheit glücklich machen oder ob wir uns nicht in einem wissenschaftlich-ökonomisch-ökologischen Amoklauf befinden, der die Erde auf Dauer unwirtlich macht, steht hier nicht zur Diskussion. In unserem Zusammenhang ist nur die Tatsache relevant, daß die Wissenschaft mit ihren vielfältig diversifizierten Aktivitäten eine riesige Informationsexplosion ausgelöst hat. Diese Informationsexplosion ist ihrerseits die Ursache für riesige Informationsbedürfnisse, die großenteils auf dem Weg über einen internationalen Informationsaustausch in Form von Ubersetzungen gedeckt werden müssen. Es ist folgerichtig, daß sich die Ubersetzung in einem Zeitalter, wo sie als Instrument internationaler Kommunikation große Bedeutung gewonnen hat, sich in das Blickfeld der Wissenschaft geschoben hat. In den letzten 30 Jahren hat die Übersetzungswissenschaft (UW), nicht zuletzt unter dem Einfluß der maschinellen Übersetzung (MÜ), aktiv am "Turmbau der Wissenschaft" (Karl POPPER) mitgewirkt und das Spektrum sprach-, kultur-, kommunikations- und computerwissenschaftlicher Fragestellungen nicht unerheblich erwei-

3 tert. Damit soll nicht gesagt sein, daß man erst in unserem Jahrhundert begonnen hätte, über die Übersetzung intensiv nachzudenken. Die Übersetzung ist seit der Antike unter theologischem, philosophischem, ästhetischem, psychologischem und anthropologischem Aspekt immer wieder Gegenstand theoretischer und methodischer Reflexion gewesen (WILSS 1977a; 1982). Trotz dieser ganz unterschiedlichen Theorietraditionen ist auf dem Gebiet des Ubersetzens eine umfassende Theoriediskussion bisher nur ansatzweise geführt worden. Ganz anders ist die Entwicklung in der modernen Sprachwissenschaft verlaufen, wo vornehmlich durch die generative Hypothese, man habe "in der abstrakten Ordnung der Sprache die Evidenz für ein inneres mentales System" (PLEH 1984, 291) zu sehen, der Theoriebegriff so stark aufgewertet worden ist, daß man meinen könnte, nur die Theoriebildung sei sprachwissenschaftlich von Belang. In fast allen sprachwissenschaftlichen Teildisziplinen redet man seitdem - oft auf einschüchternde Weise - von Theorie; man versucht, Theorien oder wenigstens Theorieansätze zu entwickeln, polemische Theoriediskussionen zu führen oder gar "metatheoretisch" (über Theorie theoretisierend) zu Theorien Stellung zu beziehen und alles theoretisch nicht Fundierte in geradezu ideologischer Manier als "vortheoretisch" abzuqualifizieren. Die Untersuchung der Sprachwirklichkeit trat hinter theoretischen Überlegungen, sei es im generativen, valenztheoretischen, sprechakttheoretischen oder neuerdings auch im handlungstheoretischen Kontext, deutlich zurück, überall machte sich ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Theoriebildung, nach theoretischer Selbstvergewisserung, nach "Tieferlegung der theoretischen Fundamente" bemerkbar. Wer - zu Recht oder zu Unrecht - ein "Theoriedefizit" bescheinigt bekam, galt als diskussionsunfähig; nicht minder überheblich war die ausschließliche Bewertung wissenschaftlicher Arbeit nach dem Grad ihrer "Theoriebewußtheit". Neuerdings zeigt die Linguistik ein anderes Bild. Es gibt Indizien dafür, daß nicht den Theoretikern, sondern den Empirikern unter den Sprachwissenschaftlern die Zukunft gehört. Das hat weder etwas mit Theoriefeindlichkeit noch mit einem grundlegenden Perspektivenwandel zu tun; wohl aber spielt eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit den eher bescheidenen Ergebnissen der theoretischen Linguistik eine korrektive Rolle. Deshalb ziehen solche Richtungen wachsende Aufmerksamkeit auf sich, die zu konkreten sprachlichen Erscheinungen, zum Verhältnis des Sprachbenutzers zu sich selbst und zu den verschiedenen Formen der Sprachverwendung thematisierend Fragen stellen. Woher kam diese manchmal fast pathologische Theoriebesessenheit in der modernen Sprachwissenschaft? Maßgeblichen Anteil daran hat m.E. die Verwendung des Theoriebegriffs in den Naturwissenschaften. Dort versteht man unter Theorie die faktenorientierte Beschreibung und Erklärung eines mit

4 präzisen wissenschaftlichen Methoden untersuchten Objektbereichs. D.h., man trifft überprüfbare Feststellungen über beobachtbare Erscheinungen und Vorgänge, die in einem systematischen Darstellungs- und Begründungszusammenhang diskutiert werden. "... theoretisches Verhalten (besteht) aus Handlungen, die unter intentionalen Regeln stehen und zu Komplexen von Aussagen in regulierten Zusammenhängen führen ..." (BLUMENBERG 1987, 9). Jede hypothetische Feststellung über sprachliche Zusammenhänge kann, wenn ihre Richtigkeit empirisch überprüft worden ist, ein Beitrag zu einem umfassenden Theoriegebäude sein. Ein solches Theoriegebäude erfaßt nicht nur das Gesetzmäßige in allen beobachteten Erscheinungen, sondern soll womöglich auch noch dazu taugen, sprachliche Entwicklungen vorauszusagen. Indes, dieses weitgesteckte Ziel hat sich wegen der theoretisch nicht mehr zu bändigenden und damit auch nicht mehr systematisierbaren Fülle von sprachlichen Einzelerscheinungen als unerreichbar erwiesen, zumal der Anspruch auf theoretische Detailgenauigkeit spürbar gewachsen ist. Dm die Theoriediskussion dennoch aktuell zu halten, verfiel die Sprachwissenschaft, vor allem die mathematisch orientierte, auf den Ausweg, mit Theoriekonstruktionen zu arbeiten. Diese haben mit dem Bereich der unmittelbaren sprachlichen Erfahrung und Beobachtung nur noch wenig zu tun und können deshalb zu Recht als wissenschaftstheoretisch "nützliche Fiktionen" (HERRMANN 1983, 88) bezeichnet werden. Das beweisen solche inzwischen berühmt gewordenen generativen Beispiele wie "Flying planes can be dangerous" oder "Colorless green ideas sleep furiously" oder "The killing of the hunters was terrible". Sie wurden präsentiert im Rahmen wirklichkeitsabstrahierter "Modelle", von denen man kühn behauptete, man könne damit die Totalität sprachlicher Zusammenhänge theoretisch erfassen. Die Abbildung sprachlicher Realität war damit nicht beabsichtigt; wohl aber hoffte man, man könne mit solchen Modellvorstellungen einen theoretischen Bezugsrahmen für darauf aufsetzende empirische Untersuchungen schaffen. In exemplarischer Form ist die neue konstruktivistische Form der Theoriebildung in der Systemtheorie verwirklicht (Kap.VIII). Sie postuliert, und das kann man u.a. bei LÜHMANN (1984) nachlesen, daß alles mit allem - oder zumindest vieles mit vielem - "autopoietisch", "selbstreferentiell", "interaktiv", "eigendynamisch" zusammenhängt (Kap.XII), aber es ist bisher nicht erwiesen, daß die Systemtheorie tatsächlich die Gesamtheit der sprachlichen Zusammenhänge erkenntnistheoretisch in den Griff bekommen wird. Denn eine Sprachtheorie, die diesem gewaltigen Anspruch gerecht werden soll, müßte nicht nur eine enzyklopädische Theorie der Wirklichkeit und der ihr zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten, sondern auch und vor allem eine Theorie der Bewußtseinsinhalte und der ihnen zugrundeliegenden historischen (lebensweltlichen) Prozesse sein, aber von einer solchen Theorie ist die kognitive Psychologie noch ebenso weit ent-

5 fernt wie von einer Gedächtnistheorie, einer Verhaltenstheorie und einer Lerntheorie (vgl. VON FOERSTER 1985, 176). So nimmt es nicht wunder, daß neben der positivistischen Theorie der Naturwissenschaften und der als heuristisches Erkenntnismittel dienenden systemtheoretischen Modelltheorie in der Sprachwissenschaft eine dritte theoretische Entwicklung zu verzeichnen ist, die man als normative Theorie bezeichnen kann. Strittig ist allerdings, ob eine normative Theorie wirklich eine Theorie im engeren Wortsinn ist oder ob man nicht besser von normativen Zielsetzungen oder Postulaten sprechen sollte, die von einem wie immer gearteten koimiunikativen, moralischen oder ästhetischen Impuls gesteuert werden. Normen erwachsen immer aus bestimmten Wertsystemen, aber das bedeutet nicht, daß sie "unwissenschaftlich" sind, daß sie sich jeder Objektivierung entziehen und wissenschaftlich unbegründbar sind. Normen können lebenspraktische Richtlinien geben und damit den Boden bereiten für die Erkenntnis dessen, was für unser Verhalten funktional brauchbar und was unbrauchbar ist. Die Bedeutung normativer Theoriebildung kann man sehr gut in der Geschichte der Obersetzungstheorie beobachten, in der seit CICERO bis in die Gegenwart hinein die Kontroverse über die Relevanz der freien bzw. der treuen Obersetzung eine zentrale Rolle gespielt hat. Die traditionelle Übersetzungstheorie ist durch den Umstand charakterisiert, daß sie zwischen Tatsachenfeststellungen und Wertbehauptungen nicht konsequent unterschieden hat. Genau genommen war die traditionelle Übersetzungstheorie nicht eine Theorie, sondern eine Weltanschauung. Man hat von ihr erwartet, daß sie das, was Ubersetzen ist und was Obersetzen leisten soll, in einer Weise bestimmt, die den jeweiligen Bedürfnissen und Wünschen des Lesers Rechnung trägt. Was gut war für den Leser, bestimmten damals allerdings die Übersetzer, die gleichzeitig ihre eigenen Übersetzungstheoretiker waren. Sie haben die Auseinandersetzung über die Prinzipien und Postulate des Übersetzens vor allem unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Engagements, d.h. der Klärung und Rechtfertigung des eigenen übersetzungsstrategischen Standpunkts, weniger dagegen zum Zweck des Aufweises übersetzungstheoretischer Zusammenhänge geführt. Wer sich auf solche strategischen Leitlinien festgelegt hat, schafft damit zugleich eine quasi-theoretische Gewißheit, denn er weiß sich im Besitz einer Strategie, die sich nicht immer wieder aufs Neue um die Erkenntnis der übersetzerischen Wahrheit bemühen muß, sondern bereits über die Voraussetzungen richtiger Erkenntnis und adäquaten übersetzerischen Verhaltens verfügt. Daran hat sich eigentlich erst neuerdings etwas geändert. Seit den 60er Jahren gibt es Anzeichen für ein neues übersetzungstheoretisches Bewußtsein. Dabei geht es nicht mehr um die Selbstrechtfertigung der eigenen übersetzerischen

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Produktion, sondern um die Verdeutlichung der Prinzipien, Strukturen und Kategorien übersetzerischen Handelns. In Ubereinstimmung mit dem allgemeinen Problembewußtsein der Gegenwart versucht die Ubersetzungstheorie, allgemeine interaktionale Ordnungen herauszuarbeiten und für die Beschreibung und Erklärung von Übersetzungsprozessen und Ubersetzungsresultaten einen Darstellungs- und Begründungszusammenhang zu entwickeln, der durch Objektivierung der Reflexion über die Übersetzungsproblematik gekennzeichnet ist. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, weil das übersetzungstheoretische Denken in den letzten Jahren an Flexibilität, Komplexität, Perspektivenreichtum und Detailgenauigkeit gewonnen hat und damit auch für Widersprüche offen geworden ist. So gerät die übersetzungstheoretische Diskussion immer wieder zu einer Auseinandersetzung über die "relevanten" Bezugspunkte mit der besonderen Eigenart, daß man sich endlos darüber die Köpfe heißreden kann, ob die jeweils in Anspruch genommene Theorieperspektive die richtige ist. Kognitive Psychologie und Ubersetzen Dies ist natürlich keine tragfähige Basis für die dauerhafte Lösung übersetzungstheoretischer Probleme, und in der Tat gibt es in der modernen ÜW ein deutliches Unbehagen über die bislang vorherrschenden Formen gleichermaßen begrenzter wie fragmentarischer Theoriebildung. Vereinfacht formuliert, könnte man sagen, daß sich in der ÜW der Wunsch nach einer Begegnung und Integration theoretischer Horizonte artikuliert. D.h., man sucht eine Theorie, in der sich empirisch-induktive (positivistische), modelltheoretische (systemtheoretische) und normative Elemente zu einem integrierten Theoriegebilde verbinden. Aber solche Wünsche sind zu ambitioniert. Denn im Gegensatz zu den Theorien anderer Wissenschaftsdiziplinen ist die Ubersetzungstheorie noch längst nicht am Ziel, wenn sie lediglich widerspruchsfrei und logisch folgerichtig ist; ein übersetzungsbezogenes Theoriegebilde soll vielmehr die Totalität übersetzerischer Erscheinungen erfassen und dabei auch Platz lassen für das Verständnis der soziokulturellen Grundbefindlichkeit und der Wertwelt der Person des Übersetzers (Kap.III). Hier setzt die ÜW - und mit ihr die ganze Sprachwissenschaft (LANGACKER 1983) und auch die Computerlinguistik (BATORI/WEBER 1986) - auf die kognitive Psychologie. Man vermutet in ihr einen wissenschaftlichen "Zentralbegriff" (DÖRNER 1982, 2) mit einer gleichermaßen interdisziplinären wie einheitlichen Forschungsperspektive. Diese ermöglicht es u.a., der Frage nachzugehen, wie das im Gedächtnis abgelegte, mehr oder minder strukturierte Wissen durch externe Stimuli (z.B. durch einen zu übersetzenden Text) aktiviert wird. Die kognitive Psychologie besitzt nach allgemeinem Konsens so viel an handlungs- und verhaltensbeschreibender Integrationskraft, daß man die Faszination durch Kognition

7 verstehen kann, deren Zeuge wir in den letzten Jahren geworden sind. Für den Versuch der kognitiven Einbettung des Obersetzungsprozesses spricht, daß übersetzen, wie jede Art der Sprachverwendung, eine zielgerichtete Sprachhandlung ist, in deren Verlauf der Ubersetzer im Rahmen der ihm von vornherein gesetzten Handlungsgrenzen einen Anlauf bzw. eine integrierte Folge von Anläufen nimmt, um einen von einem ausgangssprachlichen (as) Sender mit einer bestimmten Mitteilungsabsicht verfaßten Text funktionsadäquat und adressatenspezifisch in eine Zielsprache (ZS) zu übersetzen. Im pragmatischen Sinn kann man also Ubersetzen auffassen als einen spezifischen Typ situationsabhängiger, wertorientierter und ablaufkontrollierter sprachlicher Aktivität. Solche Überlegungen sind in der Ubersetzungstheorie verhältnismäßig neu; sie bedeuten mit ihrem Versuch einer kognitiven (nicht "kognitivistischen") Argumentation (HERRMANN 1982) den Abschied von all dem dunklen Geraune, das noch vor nicht allzu langer Zeit als übersetzungstheoretisch gelten mochte. Sie repräsentieren den selbstbewußten Standard gegenwärtiger Denkweise, die mancherorts im Begriff steht, sich den Nobeltitel "Translationstheorie" zuzulegen. (Neuerdings ist für einen Teilbereich der ÜW auch der Terminus "Paenidentematik" (REINER 1987) vorgeschlagen worden.) Dabei bleibt allerdings die Frage offen, ob sich ein solcher Terminus auf das Selbstverständnis der Ubersetzungstheorie eher vorteilhaft oder eher nachteilig auswirken wird (WILSS 1987a). Wichtiger als solche terminologischen Quisquilien scheint mir die Tatsache zu sein, daß, gleichgültig, ob man von ÜW oder von "Translatologie" spricht, "in jedem ... Wissenschaftsnamen ... ein Vorverständnis des betreffenden Gegenstandsbereichs, ein vorgängiger 'Bereichsbegriff', enthalten (ist). Dieser faßt einen Komplex alltagsweltlicher Einzelphänomene zusammen zu einem einheitlichen ideal-abstraktiven 'Bereichsgegenstand'... Um ihrer eigenen Identität willen muß jede Wissenschaft etwas als den ihr eigenen 'Bereichsgegenstand' begreifen, d.h. eine 'Bereichskonstitution' leisten" (KAMP 1984, 51). Mit ihren Bemühungen um die "Bereichskonstitution" (genauer: Bereichskonstituierung) ist die ÜW allerdings trotz einer inzwischen unüberschaubar gewordenen Flut von Veröffentlichungen noch nicht sehr weit gekommen, weil - zumindest in den Augen der kritischen Öffentlichkeit - die Ubersetzung gegen die Entwicklung spezieller, übersetzungspraktisch relevanter wissenschaftlicher Erkenntnisformen und Erkenntnisziele weithin resistent ist. Man läßt natürlich gelten, daß die Geschichte der Ubersetzung ebenso ein Feld historischer Forschung sein kann wie die Geschichte der

8 Sprache oder die Geschichte der Literatur, empfindet aber offenbar Skepsis bei der Vorstellung, daß die Ubersetzung, mit der man sich befaßt, sei es als Leser einer Übersetzung oder als praktizierender Übersetzer, zum Gegenstand einer Wissenschaft gemacht wird, deren Resultate nicht nur theoretischer, sondern auch angewandter Natur sein sollen. Der Laie nimmt i.a. an, daß man, wenn man über entsprechende Kenntnisse in einer Ausgangssprache (AS) und einer ZS verfügt und in Zweifelsfällen ein mehr oder minder zuverlässiges zweisprachiges Wörterbuch zu Rate zieht, übersetzen kann und daß es beim Ubersetzen, banal ausgedrückt, darauf ankommt, einen vorformulierten Text unter optimaler Wahrung der Sinnkonstanz in einer anderen Sprache mehr oder minder mechanisch zu reproduzieren. (Verbürgt ist die Weisung eines hohen Bonner Ministerialbeamten an einen Übersetzer: "Schreiben Sie diesen (deutschen) Text mal eben rasch ins Französische ab!") Jeder praktizierende Ubersetzer weiß natürlich, daß es beim Ubersetzen mit "Reproduzieren" allein nicht getan ist. "Reproduzieren" ist lediglich die Endphase einer mentalen Operationskette, in welcher Prozesse wie Analysieren, Vergleichen, Analogisieren, Inferenzieren, Abwägen, Auswählen, Planen, Kombinieren etc. interaktiv in Verbindung treten. Wenn der Ubersetzer textangemessen vorgeht, führen diese Prozesse zu einem Ubersetzungsresultat, welches einer kritischen Bewertung standhält. Alle genannten Operationen sind intellektuelle Operationen, die zwischen dem Verstehen des Ausgangstextes und der (Re-)Produktion des Zieltextes vermitteln und den Ubersetzungsprozeß, wie letztlich jede Art sprachlicher Tätigkeit, als eine kognitive Aktivität ausweisen (LONGUET-HIGGINS 1981; TOMMOLA 1986). Diese Aktivität kann im Rahmen eines linearen Decoding/Encoding-Modells, wie es in der Uw bis vor einigen Jahren immer wieder diskutiert wurde (u.a. von KOSCHMIEDER 1965, KADE 1968a, WILSS 1977a), auch nicht annähernd vollständig beschrieben werden. Dieses Modell ist, um ein Modewort der deutschen Gegenwartssprache zu benutzen, zu "undifferenziert". Die empirische Auseinandersetzung mit Übersetzungsprozessen, das "experimentum crucis" eines jeden Modells, erweist seine Gegenstandsunangemessenheit. Es wird der kognitiven Leistung des Ubersetzers, weder in der Verarbeitung des Ausgangstextes noch in der Erarbeitung eines akzeptablen Zieltextes, gerecht. Es vermittelt kein angemessenes Bild von der mentalen Komplexität des Ubersetzungsprozesses (KÖNIGS 1986; KRINGS 1986), die damit zu erklären ist, daß zwei mehr oder minder unstimmige Sprachmengen intertextuell zu harmonisieren sind. Diese Aufgabe zwingt den Ubersetzer zur Aktivierung all seiner kognitiven Ressourcen; trotzdem ist sie oft nur annäherungsweise zu lösen, weil es interlingual i.d.R. keine ideale Schnittmenge gibt. Dem intertextuellen Gleichgewichtsproblem haben JAKOBSON (1959) und NIDA (1964) mit ihren inzwischen vielzitierten Formulierungen "equivalence in dif-

9 ference" und "dosest natural equivalent" in programmatischer Form Ausdruck verliehen. Wenn man sich dafür entschieden hat, für die Beschreibung und Erklärung von Ubersetzungsprozessen einen kognitiven Darstellungs- und Begründungszusammenhang zu wählen, ist dies natürlich nur dann sinnvoll, wenn man bereit ist, den Vorgang des Ubersetzens in operationeilen Begriffen zu untersuchen. Solche Begriffe sind Handlung, Verhalten, Problemlösen, Entscheiden, Kreativität, Intuition, Ubersetzungsstrategie, Ubersetzungsmethode, Ubersetzungstechnik, Ubersetzungsroutine, und mit diesen Begriffen wird sich auch der erste Buchteil befassen (Kap.II-VII). Ubersetzen als Verständigungshandlung Jede Art sprachlichen Handelns ist letztendlich als Verständigungshandlung zwischen Textsender und Textempfänger konzipiert (BROWN/YULE 1983; SCHERNER 1984). Ubersetzen, obwohl seinem Wesen nach eine "monologische" Sprachhandlung, impliziert ein von Einzeltext zu Einzeltext jeweils neu festzulegendes subtiles Interaktionsgefüge zwischen as Sender, Ubersetzer und zielsprachlichem (zs) Empfänger (VERMEER 1983, 58f.). Verständigungshandeln basiert im Ubersetzungskontext oft auf einem implizierten Kooperationsprinzip. Dessen Gewährleistung hängt primär von der Initiative des Übersetzers ab (WRIGHT et al. 1987, 114). Der zs Empfänger erwartet mehr oder minder vertrauensvoll, daß ihm der Ubersetzer einen Text vorlegt, in welchem die Mitteilungsabsicht des as Senders und die Informationsbedürfnisse des zs Empfängers sorgfältig aufeinander abgestimmt sind. Der Übersetzer muß sich also darüber im klaren sein, daß er an Maßstäbe, Normen und Standards gebunden ist, die seinen textuellen Individualvorstellungen u.U. nur sehr wenig Spielraum lassen (Kap.III). Um sich nach beiden Seiten, dem as Sender und dem zs Empfänger, genügend abzusichern, braucht der Ubersetzer ein Wissenspotential, in dem deklaratives Wissen (Sachverhaltswissen, "Domain"-Wissen, "stationäres" Wissen, Verfügungswissen) und prozedurales Wissen (strategisches Wissen, heuristisches Wissen, Orientierungswissen) (Kap.IV) integrativ zusammenwirken. Dieses Wissenspotential, das für alle effizienten Kommunikationsprozesse unabdingbar ist, hat für die Ubersetzung um so größere Bedeutung, als der Ubersetzer den zu verarbeitenden Text nicht nur in all seinen konstitutiven Perspektiven rekonstruieren, sondern den rekonstruierten Text antizipatorisch, d.h. die Informationsbedürfnisse des zs Lesers vorwegnehmend, rekonstituieren muß. Damit kommen wir zu einem Verstehens- und Reproduktionsbegriff, der die im Ubersetzungsprozeß manifesten Beziehungen zwischen as Sender, Übersetzer und zs Empfänger transparent macht. Dieser Begriff ermöglicht in einem von Texttyp zu Texttyp unterschiedlichen Umfang eine kognitive Faktorisie-

10 rung des Ubersetzungsprozesses, die ihrerseits die u.U. problematische Überführung deklarativen Wissens in prozedurales Wissen erleichtert (OSWALD/GADENNE 1984, 182). Hilfestellung bei der Aufarbeitung kognitiver Zusammenhänge kann die ÜW, wie angedeutet, von der kognitiven Psychologie erwarten: "Cognitive psychology attempts to understand the nature of human intelligence and how people think ... Cognitive psychology is dominated by the information processing approach, which analyzes cognitive processes into a sequence of ordered stages. Each stage reflects an important step in the processing of cognitive information" (ANDERSON 1980, 3). Wer kognitiv argumentiert, legt sich auf eine wissenschaftliche Beobachtungsperspektive fest, die es gestattet, Ubersetzen als eine spezifische Form praktischen Sprachhandelns zu verstehen (Kap.II). Dessen konstitutives Prinzip ist Instrumentalität. Sie ist der Impuls, der in der ÜW Fragen nach der Regelhaftigkeit, Produktivität, Texttypdifferenziertheit, Normativität, Kontextualität, Implizität und Verständlichkeit von Ubersetzungsprozessen provoziert. Für die kognitiv bestimmte UW kommt es also darauf an, sich nicht primär von kommunikationstheoretischen, sondern von kommunikationspraktischen Erwägungen leiten zu lassen. D.h., sie muß das Wesen übersetzerischer Tätigkeit in Kategorien wie Mustererkennung, Homogenität, Heterogenität, Intentionalität und Funktionalität sehen. Ubersetzen als rationales Handeln Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß die ÜW ihr Ziel (jedenfalls eines ihrer Ziele) darin sehen muß, eine rational bestimmte Handlungs- und Verhaltenswissenschaft (zum Unterschied zwischen Handeln und Verhalten s. Kap.II) zu werden. D.h., sie muß - und damit kommen übersetzungsdidaktische Perspektiven ins Blickfeld - die Fähigkeit wecken und entwickeln, das Übersetzerische Handeln und Verhalten ökonomisch einzurichten und, soweit möglich, text(typ)gemäß festzulegen, und zwar unter Beachtung typischer und untypischer Transferbedingungen und Transferziele. Der Begriff der Rationalität löst heutzutage in der ÜW gemischte Gefühle aus, nicht nur, weil Rationalität mit dem Odium der "Generativität" belastet ist, sondern weil man die Gefahr sieht, daß Rationalität auf Zweckrationalität reduziert wird, die nur noch in Kategorien einer radikalen Aufwand/Nutzen-Kalkulation operiert und ausschließlich in Kategorien der instrumentalen Vernunft argumentiert.

11 Solche "Berührungsängste" sind verständlich, wenn man sich vor Augen hält, daß in der gegenwärtigen Ubersetzungspraxis die Forderung nach einer Input/Output-Maximierung, z.B. unter Einschluß des Post-editing maschinell übersetzter Texte oder in Form sog. "interaktiver Mensch/Maschine-Schnittstellen", immer massiver gestellt wird (Kap.IX). Wie jeder Sprachbenutzer, so handelt aber der Übersetzer nicht nur zweckrational, sondern auch "irrational". Jeder einigermaßen versierte Übersetzer kann auf die Tatsache verweisen, daß "irrational" nicht unbedingt Übersetzerische Desorientiertheit und schon gleich gar nicht eine Aufforderung zu übersetzerischer Unvernunft bedeuten muß: "Irrationalität ist nicht notwendig Ziellosigkeit" (SCHLAGENHAUF 1984, 693). Dazu kommen wissenschaftstheoretisch begründete Bedenken: Ist nicht, spätestens seit FEYERABEND sein postmodernes, antimethodologisches Postulat des "anything goes" verkündet hat (1983), der Traum von einer methodisch rigoristischen, streng rationalitätsgeleiteten Wissenschaft ausgeträumt? Und gilt dies nicht vor allem für eine Wissenschaft, die es mit Texten zu tun hat, mit einem Objektbereich also, in dem hermeneutisches Verstehen angeblich immer schon wichtiger war als die prototypische Erklärung nach naturwissenschaftlichem Vorbild? Müssen wir uns nicht eingestehen, daß in jedem von uns nur"ein begrenztes Maß an Rationalität steckt und daß unsere Lebenswelt seit den Zeiten des Neandertalers auf einem mindestens ebenso stark ausgeprägten emotionalen Fundament beruht? Andererseits sind rationale Verhaltensweisen im Übersetzungsbereich besonders wichtig, weil sich ein Übersetzer, streng genommen, nicht im Umfeld von originären "Weisen der Welterzeugung" (GOODMAN 1984) betätigt; er befindet sich nicht im Zentrum einer Welt, die er aus sich selbst heraus geschaffen hat oder zu schaffen im Begriff steht (Kap.III). Sein Sinn ist auf Texte gerichtet, die er in Form einer kognitiv verarbeiteten Information an den zs Empfänger weitergibt. Dabei ist die Wiedererkennbarkeit der vom Übersetzer vermittelten Wirklichkeit prinzipiell nur dann gesichert, wenn er überprüfbare Informationsverarbeitungsstrategien (Kap.IV) entwickelt. Sie legen den für die Erreichung des kommunikativen Gesamtziels optimalen Zielfindungsweg fest und tragen dazu bei, die in Textform sich objektiv manifestierenden Strukturen zu objektivieren. Zurückschrauben läßt sich diese Entwicklung nicht mehr; das bezeugt der unaufhaltsame Vormarsch der Sprachdatenverarbeitung, mit der sich dieses Buch, beschränkt auf den MüAspekt, in seinem zweiten Teil befaßt. Eine rationale Bewältigung der Übersetzungsproblematik liegt um so mehr im Trend der Zeit, als, wie andere Lebensbereiche auch, die gesamte Sprachverwendung als Bereich gesellschaftlicher Praxis einem allgemeinen Rationalitätspostulat unterliegt (SCHNSDELBACH 1984). Die Folge ist eine funktionale Sprachmoral, die die sprachlichen Verhaltensweisen von Sender und Empfänger - und damit auch die Ver-

12 haltensweise des Übersetzers als Empfänger des Ausgangstextes und als Sender des Zieltextes - steuert. Im Umgang mit dem zu übersetzenden Text ist der Ubersetzer gehalten, optimale Konformität mit der Mitteilungsabsicht des as Senders und den kommunikativen Bedürfnissen des zs Empfängers zu praktizieren und auf diese Weise die internationale Verständigung durch rational begründete Textstrategien zu entproblematisieren. Wenn man im übersetzungswissenschaftlichen (üw) Rahmen rational argumentieren will, kann man an die deutsche Soziologie, vor allem an Max WEBER und Jürgen HABERMAS, anknüpfen. WEBER hat bekanntlich die geistesgeschichtliche Besonderheit des 20. Jahrhunderts darin gesehen, daß in ihm ein Prozeß zur vollen Entfaltung gekommen ist, den er als "Rationalisierung", d.h. als Entwicklung "vom Mythos zum Logos", bezeichnet hat (WEBER 1968). HABERMAS (1981) hat versucht, vor dem Hintergrund einer universell instrumentelien Vernunft den Begriff der kommunikativen Rationalität so zu entwickeln, daß in ihm das Verhältnis des Sprachbenutzers zu seiner Umwelt eine zentrale Rolle spielt. Der Sprachbenutzer operiert heute - in der Alltags- und in der Fachkommunikation - mit Handlungsmaximen, die phänomenologisch auch in der Ubersetzung sichtbar gemacht werden können und auf einen funktionalen Zusammenhang zwischen der menschlichen Lebenswelt einerseits und der Hervorbringung und dem Verständnis sprachlicher Äußerungen andererseits verweisen. Unverkennbar ist jedenfalls die Tatsache, daß die Rationalität zu den wenigen zeitgeschichtlichen Begriffen zählt, "in denen sich die Grundmerkmale unserer Epoche wie in einem Punkt versammeln. Unter der Fahne der Rationalität wird die Idee der Vernunft, die das Zeitalter der Aufklärung beflügelt hat, nach Philosophen wie Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche aber in eine Krise geraten ist, in einer schärferen, freilich auch engeren Bedeutung aufgegriffen. Ob aus Einsicht, Bescheidenheit oder Resignation - nicht mehr die praktische Vernunft, sondern die Rationalität soll unser Handeln bestimmen" (HÖFFE 1984, 141). Rationalität ist als "idée générale" (SPINNER 1986, 934) ein Leitgedanke unserer Lebenspraxis. Sie ermöglicht es dem Menschen, Sachverhalte aus reinem Erkenntnisinteresse zu erforschen und einen optimalen Grad an objektivem, kognitiv fundiertem Wissen zu erreichen. In einem dualen Konzept der Doppelrationalität hat die subjektentbundene Grundsatzrationalität mehr Gewicht als die Gelegenheitsrationalität, weil der Mensch ein "prinzipiertes Subjekt" (SPINNER 1986, 935) ist, das in allgemeine Sinn- und Sachzusammenhänge eingebunden ist. Mit diesen Zusammenhängen kommt er nur noch zurecht, wenn er als "animal rationale" handelt und sein Handeln in einen kognitiven Rechtfertigungs- und Begründungszusammenhang stellt.

13 Eins der wichtigsten Rationalitätspostulate ist heutzutage die Ökonomie sprachlichen und außersprachlichen Handelns. "Human cognitive processes ... are geared to achieving the greatest possible cognitive effect for the smallest possible processing effort. To achieve this, the individual must focus his attention on what seems to him to be the most relevant information available" (SPERBER/WILSON 1986, VII). Daß Übersetzen eine zweckbestimmte Tätigkeit ist, gilt in unserem informationssüchtigen Zeitalter als eine konsensfähige Feststellung. Es ist daher einleuchtend, daß sich die UW neuerdings verstärkt darum bemüht, die Zweckrationalität des Ubersetzens theoretisch und methodisch dingfest zu machen. Diese objektbedingte Perspektivenverkürzung ist allerdings nicht etwa das Ergebnis wissenschaftlicher Phantasielosigkeit oder der Unfähigkeit zu begrifflicher Unterscheidung. Sie beruht vielmehr auf der Erkenntnis, daß der universalhistorische Prozeß der Rationalisierung unserer Lebenswelt zwangsläufig eine Verengung übersetzerischen Handelns auf zweckrationales Agieren zur Folge gehabt hat. Die ÜW verfügt heute, nicht zuletzt unter dem Einfluß der Mü-Forschung, über ein Erkenntnispotential, das darauf hinausläuft, den Ubersetzungsprozeß als eine Manifestation objektiver vorgegebener Faktoren zu verstehen, die dem subjektiven, zwecksetzenden Geist des Übersetzers als Handlungsrahmen dienen. Die ÜW bestätigt damit auf eine von der wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Welt kaum wahrgenommene Weise eine Entwicklung, die HÖFFE folgendermaßen beschrieben hat: "Seit Jahrtausenden ... findet ein Intellektualisierungsprozeß statt, in dem der wissenschaftliche Fortschritt der wichtigste Teil, die Erfahrungswissenschaft aber der konsequent letzte Schritt ist. Der abendländische Rationalisierungsprozeß drängt den Glauben an die Magie zurück und "entzaubert" die Vorgänge in der Welt. Nach seiner (Max Webers; W.W.) Grundannahme gibt es "prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte", die noch in die Lebensbedingungen hineinspielen, vielmehr kann man "alle Dinge - im Prinzip - durch Berechnung beherrschen"" (1984, 143). Die daraus resultierende "methodische Lebensführung" (Max WEBER) und das zugrundeliegende Informationsverarbeitungsmodell ist natürlich in manchen Ohren eine Provokation, besonders in solchen Ohren, deren Träger glauben, man dürfe einen Text nur aus sich selbst heraus verstehen: "... we have no means of describing the goals and intentions of the individual as he moves around in a complex social environment" (UNDERWOOD 1978, vii). Ich glaube, man kann eine solche Provokation, wenn es denn

14 eine ist, im Kontext der UW und der Ubersetzungspraxis durch zwei Argumente entschärfen: Erstens darf die ÜW nicht vergessen, daß sie - trotz MüForschung - in einer humanistischen Tradition steht. Man kann sie deshalb nicht zu einer Art physikalischer Sozialwissenschaft machen. Die ÜW kann nicht voraussetzungslos operieren. Jede Ubersetzung ist ein kommunikatives Ereignis, bei dem die ganze Komplexität der Person des Ubersetzers in Aktion tritt (WILSS 1981a). Wie jeder Mensch, so hat auch der Ubersetzer seine ganz privaten Erwartungen, Vorstellungen und Bedürfnisse; er hängt an religiösen, politischen und lebensphilosophischen Uberzeugungen und Grundsätzen; er pflegt bestimmte Lebens- und Geschmacksformen. Diese basieren sehr viel mehr auf individueller Veranlagung und Erfahrung als auf einem ausgeprägten Theoriebewußtsein (Kap.III). Deshalb weisen Ubersetzungen eines und desselben Textes durch verschiedene Ubersetzer ein u.U. breites Spektrum an zs Varianten auf. " ... there is no one-to-one relationship between grammatical form and communicative function; there are many ways of expressing one function and one form can serve many different functions, depending on context" (KRASHEN 1981, 60). So wie es keine ganz identischen Lebensläufe gibt, gibt es auch keine ganz identischen Ubersetzungen, weil zwar unser Gehirn isomorph, unsere Bewußtseinsabläufe dagegen anisomorph sind (HOFSTADTER 1979). Jede Übersetzung ist nicht nur situations-, sondern auch personzentriert. M.a.W.: Ubersetzen ist eine triadische Relation: Eine Menge von as Informationen wird mit einer Menge von anderen zs Informationen im Bewußtsein von jemand verknüpft, der diese Verknüpfung im Rahmen seiner auftragsgebundenen Tätigkeit herstellt. Zweitens muß der Ubersetzer beim übersetzen mit bestimmten Schwierigkeiten rechnen, weil ihm der zu übersetzende Text als eine mehr oder minder fremde Welt entgegentritt. Weil es die UW mit den verschiedensten Erscheinungsformen im Bereich der Sprachverwendung zu tun hat, muß sie ihren Blick auf berechenbare und auch auf unberechenbare, zufälligkeitsbestimmte Textkonfigurationen richten. Den Versuchen, den Ubersetzungsprozeß zu rationalisieren und Erkenntnisse zu gewinnen, die eine genaue Diagnose eines Ubersetzungsresultats und sichere Prognosen für zukünftige Ubersetzungsereignisse erlauben und damit eine Grundlage für eine Regular isierung des Ubersetzungsprozesses ermöglichen, sind letztlich relativ enge Grenzen gesetzt. Das Gesagte bedeutet nicht, daß sich die ÜW theorieabstinent zu verhalten hat, auch wenn die traditionelle Erkenntnistheorie keine absolute Gültigkeit mehr besitzt. Das gilt sogar für die Naturwissenschaften, vor allem für die Phy-

15 sik. Sie muß, wie die von Werner HEISENBERG in Gang gesetzte Diskussion über die Unschärferelation zeigt, ihre idealen Vorstellungen von einer exakten Wissenschaft mit klarer Subjekt/Objekt-Trennung revidieren und sich trotz des Einspruchs von Albert EINSTEIN mit dem Gedanken vertraut machen, daß "der liebe Gott würfelt" (Kap.VIII). Parallel zu der Einsicht in die Unschärferelation ist die Relativierung der klassischen, auf ARISTOTELES zurückgehenden Begriffslehre durch die natürliche, prototypische Begriffslehre zu sehen: "People use concepts to categorize things, and they act on those categorizations. Without the ability to conceptualize and categorize, we could not function at all, either in the physical world or in our social or intellectual lives. The theory of categorization is therefore central to any understanding of our conceptual system, and therefore necessary to any understanding of how we human beings function and what makes us human" (LAKOFF 1982, 2; vgl. auch ROSCH 1978 und HOFSTADTER 1979). Hinter dieser neuen Denkweise steht Ludwig WITTGENSTEINS Konzeption der "Familienähnlichkeiten". Diese besagt, daß wir der komplexen Wahrnehmungs- und Begriffsfähigkeit des Menschen mit einer objektivistischen Psychologie nicht gerecht werden: "The available evidence suggests that some version of the theory of natural categorization will be necessary. Categories of mind are not simply reflections of categories that supposedly exist objectively in the world, independent of all beings. Nor is human reason merely an attempt to match the logical relations among externally existing categories of objects. Both categories of mind and human reason depend upon experiential aspects of human psychology - perception, imaging, motor movements, bodily experience, social and emotional experience, desires, intentions, expectations, goals, plans, and the capacity to construct idealized models and to understand one kind of thing metaphorically in terms of another" (LAKOFF 1982, 99). Diese Bemerkungen sind üw relevant. Die Frage, die sich die t)W zentral zu stellen hat, lautet, welche Perspektiven des Ubersetzungsprozesses theoretisch aufschlußreich sind und wie man die gefundenen theoretischen Einsichten auf ihren praktischen Aufschlußwert hin beurteilen soll. Solche Fragen lassen sich nicht mit einer spekulativen, sondern nur mit einer empirischen Theorie beantworten. Dabei deutet manches darauf hin, daß neue übersetzerische Beobachtungen nur begrenzt als Katalysator für eine neue übersetzerische Theoriebildung gewirkt haben. Die Ursache/Folge-Relation ist eher umgekehrt zu sehen. Die empirische, introspektive

16 Theorie, die der modernen ÜW ihr Gepräge gibt, ist die Basis neuer übersetzerischer Einsichten, weil es die Theorie ist, die im Sinne KANTs die Bedingung der Möglichkeit neuer differenzierter Erfahrungen darstellt. Analytische und hermeneutische Tendenzen in der Ubersetzungswi ssenschaf t Prinzipiell kann man sich üw Erkenntnisse auf verschiedenen Wegen, einem analytischen oder einem hermeneutischen, nähern. Diese Wege schließen sich nicht gegenseitig aus; sie stehen in einer komplementären und nicht in einer disjunktiven Relation zueinander. Der Wahrheitsbegriff der modernen Übersetzungstheorie ist vielschichtig, was nicht zu verwechseln ist mit einem relativistischen Wahrheitsbegriff, wie er etwa der eher agnostizistisch einzuschätzenden SAPIR/WHORF-Hypothese oder Leo WEISGERBERs Weltbildtheorie zugrundeliegt. Beide laufen auf ein Unübersetzbarkeitspostulat hinaus, das wohl nicht mehr ernsthaft zur Diskussion steht, seitdem WITTGENSTEIN die Ausdrucksadäquatheit aller Sprachen betont hat. Wer analytisch vorgeht, argumentiert, idealtypisch vereinfacht, als Aristoteliker, nicht als Platoniker. Die Platoniker glauben an Sprache als eine unveräußerliche geistige Realität; für sie ist die Sprache der Inbegriff der erscheinenden Dinge. Für die Aristoteliker hat Sprache angesichts der außersprachlich existierenden Wirklichkeit nur eine zeichenhafte Funktion, eine Verweisungs- und Anweisungsfunktion; sie sind die Instrumentalisten unter den Sprachphilosophen. Die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des analytischen Ansatzes diskutiert in exemplarischer Form POPPER (1969), der vier Wahrheitstheorien unterscheidet, die Korrespondenztheorie, die Kohärenztheorie, die Evidenztheorie und die pragmatische Theorie. Alle vier Theorien sind auf die eine oder andere Weise übersetzungstheoretisch relevant. Die Übersetzungstheorie hat etwas von einer Korrespondenz theorie, weil Wahrheit und Tatsachen miteinander korrespondieren und übersetzerische Tatsachen nicht an eine apriorische Theorie angepaßt werden sollen; sie hat etwas von einer Kohärenztheorie, weil sie auf logische Widerspruchsfreiheit zielt; sie hat etwas von einer Evidenztheorie, weil sie fordern muß, daß ihre Wahrheiten objektiv erkennbar und überprüfbar sind; und sie hat schließlich auch etwas von einer pragmatischen Theorie: Wenn die ÜW die notorische Kluft zwischen Theorie und Praxis des Ubersetzens überwinden will, kommt sie nicht darum herum, konsensfähige Handlungsorientierungen und Handlungsanleitungen für diejenigen zu liefern, die im Bereich des Übersetzens als Lehrende, als Lernende und als Praktiker tätig sind.

17 Im Gegensatz zum analytischen Ansatz, dessen Ziel der Aufbau von transsubjektiven Erfahrungshorizonten im Sinne einer "evidens experientia" ist, geht es der Hermeneutik - in den Worten Odo MARQUARDs - darum, "sich verstehend in Kontingenzen zurechtzufinden" (FAZ 14/11/1981) und sich auf "Kontingenzbewältigung" (LÜBBE 1986) einzustellen. Während der Analytiker auf Distanz zum Objektbereich geht, strebt die hermeneutische Reflexion auf der Basis eines sinnstrukturierenden Vorverständnisses nach verstehender Aneignung des zu untersuchenden Gegenstands. Diesen Aneignungsvorgang hat GADAMER in die griffige, wissenschaftstheoretisch aber auch anfechtbare Formel der "Horizontverschmelzung" gekleidet. Anfechtbar ist diese Formel deshalb, weil die hermeneutische Erfahrung, wie GADAMER selbst schreibt, "den Kontrollbereich wissenschaftlicher Methodik übersteigt" (1965, XXV) und sich auf das "hermeneutische Reparaturprinzip" stützt. (Jemand versteht jemanden besser, als dieser sich selbst versteht.) Diese Selbstrelativierung nimmt die Hermeneutik offenbar verhältnismäßig leichten Herzens in Kauf, weil sie glaubt beweisen zu können, daß das aus den Naturwissenschaften stammende Prinzip der Trennung von Forschung und Forschungsobjekt angesichts der sprachlichen "Verfaßtheit der Welt" (KIMMERLE 1972, 14) für den Bereich der Sprachwissenschaft untauglich, gegenstandsunangemessen ist. Denn sprachliche Daten, Prozesse, Gesetzmäßigkeiten sind nicht abstrakte Gegebenheiten, die sich in einer idealen Kommunikationssituation manifestieren; sie stehen vielmehr im Umfeld eines gesellschaftlich-geschichtlich determinierten Lebenszusammenhangs; sie sind Gegenstände lebendiger, unabschließbarer subjektiver Erfahrung. Die subjektive Perspektive muß in den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß einbezogen werden, wenn dieser nicht am Wesentlichen vorbeizielen soll, weil er den Objektbereich vorschnell vereinnahmt. Man muß den Sinnhorizont sprachlicher Prozesse schon verstanden haben, bevor man eine angemessene Forschungsmethodologie entwickeln kann. Der "Anspruch auf Voraussetzungslosigkeit" ist nach VON BRENTANO "selbst bloße Ideologie" (1967, 108). Die skizzierten Positionen der analytischen und der hermeneutischen Philosophie sind für jede Theorie der sprachlichen Kommunikation, der einsprachigen wie der zweisprachigen, aus zwei Gründen relevant: 1. Sie zeigen, daß auf dem Gebiet der Theoriebildung unterschiedliche Triebkräfte wirksam sein können, eine auf objektiver Erfahrung beruhende, eher skeptische Lebensauffassung, und ein auf subjektiver Erfahrung beruhender, eher optimistischer Glaube an die intuitive Harmonisierbarkeit der vordergründig auseinanderstrebenden Dynamik des menschlichen Geistes. Hinter diesen Triebkräften stehen unter-

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schiedliche Bilder vom Menschen, die man als Versuch der distanzhaltenden Horizontbeobachtung und der distanzüberwindenden Horizontverschmelzung betrachten kann. In beiden Fällen geht es um Fragen der Lebensbewältigung. Eine übersetzungstheoretisch grundlegende Formulierung von Friedrich SCHLEIERMACHER modifizierend, könnte man sagen, daß im einen Fall der Mensch unter Hintanstellung seiner Person sich vorsichtig auf eine Sache zubewegt, um diese Sache in all ihren beobachtbaren Dimensionen so objektiv wie möglich zu ergründen und zu protokollieren. Im anderen Fall bewegt der Mensch im ständigen Bewußtsein der "Unerschöpflichkeit des Sinnhorizonts" (HABERMAS, 1967, 166) eine Sache auf sich zu; dabei ist sein Verhalten dem zu untersuchenden Gegenstand gegenüber durch seine persönliche Weltsicht und durch seine persönliche Biographie bestimmt. 2. Die beiden Verhaltensweisen sind zwar konträr, aber nicht kontradiktorisch; sie schließen sich nicht grundsätzlich aus, im Gegensatz zu einem Binärsystem, wo die Entscheidung für einen bestimmten Weg automatisch die Entscheidung gegen einen anderen Weg impliziert. Es besteht also kein Anlaß, in der Theoriebildung, sei sie übersetzungswissenschaftlich orientiert oder auch auf einen anderen Objektbereich bezogen, auf Kollisionskurs zu gehen. Wie in allen menschlichen Dingen, so ist auch auf dem Gebiet der Theorie Vollkommenheit, Exhaustivität unmöglich. Deshalb ist jeder Versuch einer totalitären Verabsolutierung des eigenen theoretischen Ansatzes unangebracht. "Die gleichen Fakten lassen sich durch unendlich viele verschiedene Theorien erklären" (HOLENSTEIN 1981, 199). In jeder Theorie steckt ein Wahrheitsanspruch, aber die jeweils verkündete Wahrheit ist weder ewig noch unantastbar, sondern jeweils das Ergebnis erkenntnisleitender theoretischer Interessen und zeitbedingter Konstellationen. Jeder theoretische Zugriff auf die Welt ist notwendigerweise selektiv, weil niemand alle Zugriffsmöglichkeiten kennt. Nicht eingestandene Selektivität und Subjektivität beruht auf einer Uberschätzung der Reichweite der eigenen theoretischen Konzeption, auf theoretischen Standpunktverhärtungen oder auf abstrakten Verallgemeinerungen, die Gefahr laufen, sich in Spekulationen über Ideologien aufzulösen. Um die Relativität theoretischer Bemühungen zu begreifen, muß man nicht HEGELs Formel von der Dialektik bemühen, da genügt der gesunde Menschenverstand und die Kenntnis von ein paar (zeitgeschichtlichen Zusammenhängen. Unvollkommenheit, Widersprüchlichkeit, das Jederzeit-auch-anders-Können sind Grundelemente des menschlichen Wesens. Mit einem theoretischen Alleinvertretungsanspruch erweist man der ÜW, t)W hier verstanden als Konglomerat theoretischer, deskriptiver und anwendungsorientierter Fragestellungen, einen schlechten Dienst, weil damit ein Rückfall in die notorische Polarisierung zwischen verstehender Wissenschaft einerseits und erklärender Wissenschaft andererseits droht.

19 Wie man im Kontext der ÜW aus dem theoretischen Dualismus herauskommt und den Konflikt zwischen strukturalistischer Semiologie und existentieller Hermeneutik entschärfen kann, zeigt M. FRANK in seinem Buch "Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interprétation nach Friedrich Schleiermacher" (1977). Hinter dem nur durch den Untertitel semantisch aufschließbaren Obertitel verbirgt sich der mühsame Versuch der Vermittlung zwischen sinnverstehender Deutung eines Gegenstandsbereichs durch ein in einem geschichtlichen Zusammenhang stehendes Subjekt und einer strukturanalytischen (semiotischen) Zuordnung von Zeichen zu einem Zeichensystem, das unabhängig von einem personzentrierten Sinnverständnis existiert und auf die Ermittlung von objektiv überprüfbaren Gesetzmäßigkeiten abzielt (Kap.VIII). Die Möglichkeit einer Verbindung beider Aspekte sieht FRANK bei SCHLEIERMACHER. Dieser entpuppt sich damit als Vertreter einer Textinterpretationsmethode, die die traditionellen Grenzen hermeneutischen Denkens entscheidend erweitert und moderne Vorstellungen von dem, was Rationalität und Intellektualität in der Sprache ist, vorwegnimmt. Dies ist wichtig, nicht nur weil die hermeneutische ÜW ihr Bild von SCHLEIERMACHER revidieren muß, sondern weil noch heute die Meinung weit verbreitet ist, die ÜW sei, sofern sie überhaupt einen autonomen Status im Rahmen der modernen Sprachwissenschaft hat, eine eidetische (idiographische), nicht eine nomologische Wissenschaft, d.h. ihr Erkenntnisinteresse sei primär auf das Besondere gerichtet, und dieses Besondere verkörpere sich in erster Linie in dem zu übersetzenden Einzeltext. Dieser wird als organische oder sonstwie charakterisierte Ganzheit gesehen, der man sich produktiv nur empathisch, d.h. auf dem Weg der individuellen Texteinfühlung, nähern dürfe (Kap.III). Dies ist eine - vor allem im literarischen Umfeld - legitime Betrachtungsweise, weil jeder Einzeltext etwas Einmaliges ist und in einem spezifischen historischen oder situationslogischen Kontext angesiedelt ist. Aber es läßt sich im Rahmen der üw Hypothesenbildung auch so argumentieren, daß jeder Text in einem einzeltextübergreifenden Ordnungszusammenhang steht, den man als Textsemiose auffassen kann und der die vier Dimensionen Textbedeutung, Textfunktion, Textpragmatik und Textoberfläche umfaßt, wobei die Textoberfläche signalisiert, wie ein Text semantisch, funktional und pragmatisch aufgefaßt werden soll. Das sichtbare Süßere gibt Aufschluß über das Wesen von Texten; es läßt Schlußfolgerungen in bezug auf die Funktion von Textelementen zu, Schlußfolgerungen, die über die Ergebnisse der generativen Methode hinausführen oder zumindest deren Ergebnisse ergänzen sollen.

20 Generative Theorie und Obersetzungswissenschaft Gegen einen generativen Beschreibungsansatz spricht der Umstand, daß man sich da, wo es um das Ubersetzen geht, nicht damit zufriedengeben kann, das sprachliche Bewußtsein gleichsam zu naturalisieren und die rezeptive und die produktive Seite des Obersetzungsprozesses im Rahmen einer vorweg entworfenen, automatentheoretisch fundierten Sprachtheorie, wie es die generative Sprachtheorie nun einmal ist, zu diskutieren. Es ist deshalb kein Zufall, daß es eine generative Übersetzungstheorie eigentlich nie gegeben hat (WILSS 1977a; KELLY 1979). Mit dem szientifischen Selbstverständnis der generativen Theorie und mit der von ihr propagierten allgemeinen Kategorienlehre hat die Übersetzungstheorie nie viel anfangen können; die Illusion der möglichen binären Totalansicht aller sprachlichen Erscheinungen hat sie nie geteilt. Sie sieht sich heute mehr denn je mit der Aufgabe konfrontiert, über die mentalen Grundlagen übersetzerischen Handelns nachzudenken, Reflexionen über das Wesen des Übersetzungsprozesses anzustellen, die Steuerung von übersetzerischen Denk-, Verstehens- und Formulierungsprozessen zu problematisieren, übersetzerisches Handeln nicht kausal, sondern teleologisch zu erklären und die den übersetzerischen Handlungsentwürfen zugrundeliegenden Pläne zu erforschen. Sie führt damit Überlegungen weiter, die NORMAN/RUMELHART so formuliert haben: "(The aim of cognitive science) ... would be to understand cognitive processes in order to understand what is involved in intelligent behavior ... cognitive science would appear to combine the efforts of the linguist who is primarily interested in the study of natural language ... and the psychologist who wishes to understand how the human cognitive system operates" (1975, 409). Gegen die Integration von generativer Theorie und Ubersetzungstheorie spricht, neben der Vernachlässigung der Empirie durch die generative Theorie, vor allem die konsequente Syntaktisierung der Sprache, die offenbar bei den Vertretern der generativen Theorie die Hoffnung geweckt hat, man könne so etwas wie eine Satz- oder Textalgebra konstruieren . "These versions of generative grammar have maintained the centrality of syntax; semantics has been relegated to a peripheral position in the model, and has to some extent been abandoned altogether ... Pragmatics does not enter into the model at all, and indeed Noam Chomsky has strongly maintained the independence of a grammar, as a theory of a 'mental organ' or 'mental faculty', from consideration of the use and functions of language " (LEECH 1983, 3). Damit ist gesagt, daß die generative Sprachtheorie außer-

21 stände ist, konkrete sprachliche Kommunikation senderseitig und empfängerseitig auch nur annähernd wirklichkeitsnah abzubilden. Allerdings lag, dies sei fairerweise hinzugefügt, ein solches Unterfangen auch gar nicht in der Absicht der generativen Theorie; ihr ging es um die analytische Klärung der "idealen "Bedingungen der Möglichkeit" einer Reproduktion des Sprachsystems, nicht (um) die faktischen Prozesse seiner Reproduktion im Sprechen" (KNOBLOCH 1984, 2). Deshalb arbeitet die generative Sprachtheorie mit Daten, die sie von allen Zufälligkeiten unabhängig machen. Was sie will, ist eine abstrakte Beschreibung der Sprache jenseits aller Anschaulichkeit; diese Beschreibung ist so angelegt, daß sie dem Sprachbenutzer keine wie immer geartete moralische Haltung abnötigt. Die generative Sprachtheorie glaubt, sprachliches Handeln ohne Rekurs auf einen tragenden Sinn erfassen zu können. Oberspitzt formuliert, könnte man sagen, daß sie Sprache gleichsam wie ein Stück lebloser Materie behandelt. Sie sucht nach den Grundprinzipien und Grundstrukturen, die sich in allen Bereichen sprachlicher Aktivität wiederholen und Irrtümer in der logischen Typisierung von Sprache ausschließen. Sie will nächweisen, daß ein Sprecher mit einem begrenzten Inventar an sprachlichen Regeln eine unbegrenzte Menge grammatisch wohlgeformter Sätze generieren kann, die ein Hörer deswegen zu verstehen vermag, weil er genau über dasselbe Inventar an sprachlichen Regeln verfügt wie der Sprecher. Sprecher und Hörer verhalten sich in generativer Sicht wie zwei Automaten, deren Cpracherzeugungs- und Sprachverstehensmechanismen so synchronisiert sind, daß Mißverständnisse ausgeschlossen sind. Sprache ist vollumfänglich algorithmisierbar; ihre Regeln haben apriorischen Charakter. Da hinter jeder Ungleichförmigkeit sprachlichen Verhaltens Gefahr für den universalen Geltungsanspruch des generativen Systems lauert, beruhen alle sprachlichen Äußerungen auf einem Kreativitätsbegriff, der einzelsprachenund einzelpersonunabhängig ist; daher das Postulat eines idealisierten Sprecher/Hörer-Verhältnisses. Die generative Theorie faßt Sprache auf als ein logisches Kalkül mit einer begrenzten Menge streng formalisierter Übergänge, deren Abfolge dem Prinzip der biogenetischen Selbstregulierung unterliegt. Die Methode der generativen Theorie ist darauf gerichtet, "eine eindeutige O r d n u n g und V e r k n ü p f u n g zwischen allen Einzeläußerungen des Denkens herzustellen. Nicht der I n h a l t eines bestimmten Gedankens entscheidet über seinen reinen Erkenntniswert, sondern die N o t w e n d i g k e i t, kraft deren er aus letzten ursprünglichen Grundsätzen in lückenloser deduktiver Folge hergeleitet ist. Die erste Vorschrift alles rationalen Wissens muß ... darin bestehen, die Erkenntnisse derart zu gliedern, daß sie e i n e e i n z i g e , in s i c h a b g e s c h l o s -

22 s e n e R e i h e bilden, innerhalb deren es keine unvermittelten Ubergänge gibt. Kein Glied darf hier als gänzlich neues Element zu den vorangehenden hinzutreten, sondern es muß schrittweise aus dem früheren nach einer bestimmten Regel hervorgehen" (CASSIRER 1923, 91f.). Alle Fragen, die nicht in einem an den "harten" Naturwissenschaften orientierten Darstellungs- und Erklärungszusammenhang beantwortet werden können, tropfen an den Immunisierungsstrategien der generativen Theorie ab. Die zentrale Frage der generativen Theorie lautet nicht, wie wird Sprache in Form von Texten verwendet, sondern wie ist Sprache in Form von Sätzen strukturiert (ANDRESEN 1974). Ziel der generativen Theorie ist die Entwicklung einer logisch-mathematischen Universalgrammatik, in der sprachliche Erscheinungen in einer streng algebraischen Notation formuliert werden können - ohne Berücksichtigung konkreter Produktions- und Rezeptionsbedingungen (VAN DIJK/KINTSCH 1983, 261f.). Gegen einen in seiner Art zweifellos faszinierenden mathematisierenden Ansatz wäre nun trotz seiner wissenschaftstheoretisch schmalen Basis prinzipiell nichts einzuwenden, hätte die generative Fragestellung nicht dazu geführt, daß das Spannungsverhältnis zwischen Subjektivität der Erfahrung und Xntersubjektivität der Sprache als irrelevant hinter dem Versuch einer formalen Rekonstruktion der Sprachkompetenz auf der Basis formaler Ordnungsstrukturen verschwindet. Die für jeden empirischen Linguisten entscheidende Frage, ob es überhaupt möglich ist, Sprache und Erfahrung in einer naturwissenschaftlichen Theorie zu verbinden, wird von CHOMSKY nicht gestellt, obwohl es nach KNOBLOCH viel plausibler ist, "anzunehmen, daß Sprachbenutzer ... Alltagswissen mitverwerten, anstatt Sätze auf Tiefenstrukturen zurückzuführen, in denen das grammatisch explizit gemacht ist, wofür ein Explikationsbedürfnis psychologisch gar nicht besteht" (1984, 16). Aber auch für die Generativisten gilt natürlich, daß sich der Wert einer Theorie nicht an der Uberzeugungskraft ihrer theoretischen Begründung erweist, sondern in ihren konkreten Ergebnissen. Der Nettogewinn an Wissenschaftlichkeit, den die generative Sprachtheorie zweifellos bewirkt hat, hat gleichzeitig erkenntnistheoretisch in eine Sackgasse geführt, weil er auf Kosten sprachlicher Spontaneität, Offenheit und Natürlichkeit erreicht worden ist. Selbstverständlich gelten für jede Art der Sprachverwendung, die auf die Verständigung zweier (oder mehrerer) Kommunikationspartner abzielt, allgemeine und notwendige Prinzipien. Aber in ihrem Streben nach formalem Perfektionismus ignoriert die generative Theorie bewußt die Tatsache, daß natürliche Sprache kein ideales System ist, das man mit einer automa-

23 tentheoretisch konzipierten Methodologie vollumfänglich beschreiben kann. Die generative Theorie ist notwendigerweise eine begrifflich einfache Theorie, weil eine differenzierte Theorie, wie sie für den Bereich der Sprachverwendung gefordert werden müßte, nicht mathemati3ierbar ist (VON FOERSTER 1985, 177). Die generative Theorie ist, weil sie nicht zu den empirisch-theoretischen, sondern zu den mathematisch-logischen Wissenschaften zählt, eine "eingleisige Wissenschaft". Man kann in ihr "... gewiß verschiedene Abstraktionsebenen unterscheiden - etwa Symbole für Beziehungen von Symbolen und wiederum Symbole für deren Beziehungen - , aber es geht immer um die Schlüssigkeit der Denkoperationen, in denen sich die immanente Ordnung der Symbole entfaltet; und eben weil es sich hier allein um die innere Konsistenz der Symboloperationen handelt, kann man die Ergebnisse ihrer Untersuchung, wenn man so will, in der herkömmlichen Manier als endgültig "wahr" oder "falsch" bezeichnen ... Im Unterschied zu den rein mathematisch-logischen Wissenschaften sind die empirisch-theoretischen Wissenschaften zweigleisig. Das Gemeinsame ihres Vorgehens ist nicht das, was man heute physikalistisch als "die wissenschaftliche Methode" bezeichnet, sondern eine spezifische Form der Interdependenz zwischen theoretischen und empirischen Forschungen ... Dementsprechend ist es eine Simplifizierung, die irreführt, das Auffinden einer endgültigen und absoluten Wahrheit oder Falschheit auch als das Ziel dieser zweigleisigen Wissenschaften hinzustellen" (ELIAS 1983, 62f.). So betrachtet, ist es kein Zufall, daß es der generativen Theorie mit ihren selbstauferlegten Beschränkungen nicht gelungen ist, und wenn nicht alles täuscht, auch gar nicht gelingen kann, eine formale, mathematisierbare Sprachtheorie zu entwerfen, die beides leistet, einmal die adäquate Darstellung der allgemeinen Strukturmerkmale der Sprache auf universalistischer Grundlage und zweitens die Darstellung der Art und Weise, wie diese Strukturmerkmale sich einzelsprachlich, texttypspezifisch und einzeltextspezifisch zu kommunikativen Zusammenhängen verbinden. Natürliche Sprache ist kein logisch kalkulierbares System von Übergängen, das sich kompromißlos dem Prinzip "nulla transitio fit per saltum" unterwirft und aus dem alles nicht rigoros Objektivierbare sorgfältig ausgefiltert wird, weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf. Anders als die generative Theorie steht die Ubersetzungstheorie, weil eben Ubersetzen eine sinnvermittelnde Funktion hat, im Kontext handlungs- und verhaltenswissenschaftlicher Fragestellungen. Sie versucht, den dynamischen Charakter interlingualer Sprachverwendung in den Mittelpunkt ihrer theoretischen Überlegungen zu stellen. Dabei kann sie, wie angedeutet, den generativen Beschreibungsansatz nicht übernehmen, weil ohne Subjektbezogenheit der Sinnbe-

24 griff nicht konstituiert werden kann. Deshalb hat PLEH recht, wenn es heißt: "Einer der bleibenden Werte des Bühlerschen Modells ist gerade darin zu suchen, daß es die Unterscheidung in subjektiv und objektiv bewahrt, und zwar in der Weise, daß es auf der subjektiven Seite nicht die "Kenntnis", sondern den Prozeß, nicht das "Wissen von etwas", sondern das "Wissen wie" betont" (1984, 290). Im Gegensatz dazu operiert die generative Theorie (mit der ich mich in WILSS 1986 ausführlich auseinandergesetzt habe) , mit einem präzisen Regelsystem, das eine oberste Regel und hierarchisch geordnete, auf dem Weg der Umschreibungstechnik gewonnene, mit algorithmischen Ablaufsystemen vergleichbare Unterregeln umfaßt. Dies ergibt ein im Grunde einfaches und ökonomisches Modell, aber es ist einfach und ökonomisch nur in einem mathematisch-abstrakten, nicht in einem konkret-deskriptiven oder gar didaktischen Sinn. Vor die Wahl zwischen "sicheren" und "informativen" Erkenntnissen gestellt, hat sich die generative Sprachtheorie für die "Sicherheit" entschieden. Damit ist ihr Aufschlußwert notwendigerweise auf mathematisierbare sprachliche Erscheinungen im Satzrahmen beschränkt. Aber: "A sentence is not a purpose unto itself" (ENKVIST 1985, 31). Man fühlt sich hier an Gottlob FREGEs Vergleich von Logik und natürlicher Sprache mit Mikroskop und Auge erinnert. Das Mikroskop ermöglicht zwar eine bis ins letzte Detail scharfe Beobachtung von Einzelphänomenen, aber es deckt immer nur einen winzigen Ausschnitt der Wirklichkeit ab und läuft damit auf eine erkenntnistheoretisch wünschenswerte, aber unbrauchbare Blickfeldverengung hinaus. übersetzungswissenschaftliche Rahmenbedingungen Wenn man Ubersetzen als transitorischen Vorgang ansieht, stellt der Ausgangstext den Anfangszustand dar; dieser Anfangszustand ist aus Gründen, die später zur Sprache kommen werden, nicht wohldefiniert, sondern allenfalls approximativ definiert. Dasselbe gilt analog für den Zieltext; der Zieltext stellt im Ubersetzungsprozeß den Endzustand dar; auch dieser Endzustand ist, wie die endlosen Erörterungen über den Begriff der Ubersetzungsäquivalenz (KOLLER 1979) zeigen, nicht, jedenfalls nicht vollumfänglich wohldefiniert, sondern allenfalls partiell definiert. Der beste Beweis dafür ist die - im folgenden wiederholt erwähnte Tatsache, daß man bei der Wiedergabe eines Ausgangstextes in der Regel mit ungefähr gleichwertigen Ubersetzungsalternativen rechnen muß, weil unsere Gedächtnisinhalte verschieden sind und wir diese Gedächtnisinhalte in unterschiedlicher Weise aktivieren (HOFSTADTER 1979). Dabei geht es i.d.R. nicht um nennenswerte Unterschiedlichkeiten in der as Textwahrnehmung, sondern um Unterschiede im oberflächenstrukturellen Zugriff bei der zs Textherstellung. Alle

25 Ubersetzer ein und desselben Textes stehen in einer vergleichbaren Situation und verfolgen ein vergleichbares Ziel. Aber trotz identischer "fiquifinalität" (HECKHAUSEN 1980, pass.) bestehen mannigfaltige sprachliche Handlungsmöglichkeiten. Daß verschiedene Übersetzer verschieden beobachten und verschieden formulieren, bedeutet freilich nicht, daß die verschiedenen zs Versionen eines Ausgangstextes makrokontextuell prinzipiell unvereinbar sind. Erkenntnisgewinnung über einen Ausgangstext und dessen zs Reproduktion ist (fast) stets zugleich ein individueller und ein kollektiver Prozeß (Kap.IV). Bei der Beschreibung solcher Prozesse muß sich die ÜW darüber im klaren sein, daß sie nicht wissenschaftlicher handeln darf, als es vom Wesen und der Komplexität ihres Objektbereichs her möglich und sinnvoll ist. M.a.W.: Sie muß pragmatische, nicht dogmatische Wissenschaftlichkeit betreiben; unter einem dogmatischen Wissenschaftsansatz ist zu verstehen, daß sich "hinter dem Schein konventioneller Beliebigkeit ... (der) Methoden ein standpunktbedingtes Vorverständnis des eigenen Gegenstandsbereichs verbirgt, das unreflektiert oder verschwiegen in die jeweilige Untersuchungsmethodologie einfließt" (KAMP 1984, 92). Die Wissenschaftlichkeit der ÜW muß Mittel zum Zweck sein, nicht Selbstzweck, und sie muß die von ihr ermittelten Erkenntnisse in angemessener, für Lehrende und Lernende gleichermaßen produktiver Weise präsentieren. Dies gelingt wahrscheinlich dann am besten, wenn der übersetzungswissenschaftler etwas von der Ubersetzungspraxis und der Übersetzungspraktiker etwas von ÜW versteht. Man muß das, was sich im Vorgang des Übersetzens konkret ereignet, so genau wie möglich erforschen. Dabei geht es nicht um theoretische Letztbegründungen oder um den Nachweis absoluter Evidenz, sondern um die Erarbeitung und Vermittlung von orientierungsbeständigem Wissen, das der "Rätselhaftigkeit der Welt, wie sie nun einmal ist" (Nicolai HARTMANN), Rechnung trägt. Wenn sich die ÜW an diese Prämissen hält, kann sie im Rahmen der durch ihren Objektbereich gesetzten Grenzen Aussagen machen, die einen Multiplikationseffekt haben. Zu bedenken ist allerdings, daß üw Fragestellungen und Erklärungsmöglichkeiten nicht alle übersetzerischen Handlungsweisen erfassen können, sondern sich auf die Verdeutlichung von Grundsachverhalten beschränken müssen: "When we theorize about human thought, action, understanding, motivation, purpose, choice, the adoption of means to achieve determinate ends and so on, we move into a zone of infinite complexity" (WALDRON 1985, 9).

26 Wie jede Wissenschaft, so muß auch die UW versuchen, schlüssige Antworten auf die für sie spezifischen Grundfragen zu finden. Sie muß ihre Dimensionen, ihre Beziehungen zur Öffentlichkeit, ihre Ziele, Möglichkeiten und Grenzen klarstellen. Ohne solche Grundfragen und die dazugehörigen Antworten gibt es keine Wissenschaft. Wissenschaft konstituiert sich u.a. dadurch, daß sie den ihr zugeordneten Fragenkomplex heuristisch einkreist. In der ÜW kann ein solcher Einkreisungsversuch damit beginnen, daß man übersetzerische Aktivität als eine bestimmte Form sprachlichen Handelns bezeichnet. Davon soll im nächsten Kapitel eingehender die Rede sein.

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II. Handlungstheorie und Obersetzungswissenschaft

Die Relevanz der Handlunqstheorie für die Obersetzungswissenschaft Zu den ins Auge springenden Merkmalen der gegenwärtigen linguistischen Diskussion gehört die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten der Sprachverwendung. Zwar ist unser linguistisches Bewußtsein noch immer mit generativem Gedankengut durchsetzt, aber es steht inzwischen fest, daß die generative Linguistik die Bedingungen und Ziele konkreter sprachlicher Kommunikation nicht formulieren kann. Es mehren sich daher die Zweifel daran, daß die generative Sprachtheorie der Stoff ist, aus dem sich ein tragfähiges Fundament für einen kontextuellen Beschreibungs- und Erklärungszusammenhang konkreter (und nicht konstruktlinguistischer) sprachlicher Rußerungen entwickeln läßt. Die Tatsache, daß die generative Sprachtheorie für einen Zeitraum von ungefähr 20 Jahren die linguistische Theoriebildung maßgeblich beeinflußt hat, kommt freilich nicht von ungefähr. Sie ist im Rahmen einer damals in der Luft liegenden wissenschaftlichen Blickpunktveränderung durchaus plausibel. Es scheint, als ob ein Verzicht auf die Einbeziehung der sozialen Dimension sprachlicher Kommunikation in das linguistische Forschungsspektrum, eine Art semiotischer Enthaltsamkeit, der Preis gewesen ist, den die moderne Linguistik bezahlen mußte, um sich gegenüber anderen, "erklärungsstärkeren" Formen der Wissenschaftspraxis durchsetzen und behaupten zu können. Daß sich heute in der Linguistik ein neuer Paradigmenwechsel abzeichnet, hängt mit der Aporie der generativen Theorie zusammen. Diese Theorie ist, wie in Kap. I ausgeführt, automatentheoretisch-mechanistisch bestimmt. Sie kann den Ablauf sprachlicher Kommunikation weder senderseitig noch empfängerseitig auch nur annähernd wirklichkeitsnah abbilden. Die Linguistik sucht deshalb nach anderen Orientierungspunkten, und einer dieser Orientierungspunkte ist der Handlungsbegriff. Mit seiner Hilfe versucht die Sprachverwendungslinguistik, sich über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen, über die methodischen Bedingungen theoretischen Erkenntniszuwachses und die praktische Anwendbarkeit theoretischen Erkenntnisgewinns Klarheit zu verschaffen. Seit einigen Jahren gibt es nun auch Anzeichen dafür, daß sich die ÜW bemüht, handlungstheoretische und verhaltenswissenschaftliche Konzeptionen in ihr Forschungsparadigma

28 zu integrieren. Diese Entwicklung ist Ausdruck eines methodischen Umdenkens: Die Aufgabe der Sprachwissenschaft besteht in der Rekonstruktion und nicht (nur) in der Reduktion sprachlicher Handlungszusammenhänge (WERLEN 1984, 143f.). Der Begriff Handlungstheorie kommt aus dem Amerikanischen; er stellt die Übersetzung von "theory (philosophy) of action" dar; diese ist in den 50er und 60er Jahren von den Vertretern des amerikanischen Funktionalismus (PARSONS/ SHILS 1962) und den Vertretern der analytischen Philosophie entwickelt worden. Heute gilt der Handlungsbegriff als "der wichtigste Begriff einer Psychologie der Tätigkeit" (HACKER 1978, 60). Unter Handlung werden verstanden "subjektgeleitete, aktive Sinnvollzüge, die Wirklichkeit verändern und ereignishaft-intentional ausgrenzbar sind" (HEINRICHS 1980, 22). Die handlungstheoretische Wende in der Sprachwissenschaft ist im wesentlichen durch fünf Perspektiven gekennzeichnet: - Sie signalisiert ein wachsendes Verständnis für die rationale Durchdringung sprachlicher Sachverhalte; - sie favorisiert die Rückwendung zu einem empirischen Darstellungszusammenhang; - sie legt verstärkten Wert auf kognitive Aspekte der Sprachverwendung (unter Einschluß des Präsuppositionswissens); - sie thematisiert funktionale Kommunikationsbezüge; - sie untersucht den sozialen Kontext von kommunikativen Ereignissen. Dieses neue parole-orientierte Forschungsparadigma ist naturgemäß an der UW nicht spurlos vorübergegangen, weil die Ü W ein Teilbereich der Sprachverwendungslinguistik ist. Ubersetzen geht unter Bedingungen vor sich, für die die Formel: nicht "in vitro", sondern "in vivo" gilt (VON FOERSTER 1985, 81). Deshalb werden auch hier neuerdings handlungstheoretische Fragen virulent - ohne exakte begriffliche Differenzierung zwischen Handlungstheorie und Verhaltenswissenschaften (WILSS 1981b; REISS/VERMEER 1984; HOLZMSNTTSRI 1984), denn "... kommunikative Akte aller Art sind auch und auf jeden Fall soziale Handlungen ..." (LUCKMANN 1981, 520; vgl. auch MOTSCH/PASCH 1987, 77). Kommunikative Akte manifestieren sich in Texten. "Könnte man das Konzept der Saussureschen Semiologie nennen 'Handlung als Sprache', so ist für Texte das Konzept umgekehrt zu lesen: 'Sprache als Handlung'" (STIERLE 1975, 15). Trotzdem ist noch nicht ausgemacht, ob man in der ÜW nicht - aus verständlichem Aktualitätsstreben heraus -, einem von einer anonymen wissenschaftstheoretischen Regie propagierten Modetrend folgend, das Etikett "kommunikativ" durch das Etikett "handlungstheoretisch" ersetzt hat oder ob hier wirklich der Versuch einer theoretischen Neufundierung der ÜW gemacht wird. TOMMOLA hat darauf aufmerksam gemacht, daß ohne umfangreiche empirische Untersuchungen

29 "... the theoretical analysis of the 'cognitive function of language' ... might lead to little more than yet another abstract translatological 'systématisation', this time with the conceptual apparatus of cognitive science instead of communication theory" (1986, 122). Auch SCHWEMMER mahnt mit der im folgenden zitierten Feststellung eher zur Vorsicht: "Daß der Mensch handelt, ist uns eine Selbstverständlichkeit. Die Hochstilisierung dieser alltäglichen Wahrheit zu einer philosophischen bzw. anthropologischen These ... hat ihre - zumindest zeitweilige - Dramatik eben daher bezogen, daß mit ihr die Verständlichkeit eines ganz und gar Selbstverständlichen in Frage gestellt wurde und überhaupt erst hergestellt werden sollte" (1986, 88). Man wird also ernsthaft fragen müssen, ob man im Rahmen einer genetischen Wissenschaftstheorie (KUHN 1970) von einem "Paradigmenwechsel" sprechen kann, der darauf abzielt, den Begriff der Handlung als umfassendes Thema in den Mittelpunkt übersetzungstheoretischer und übersetzungsdidaktischer Forschung zu stellen. Wer der ÜW skeptisch gegenübersteht, könnte auf die Idee kommen, daß der Verweis auf die handlungstheoretische Dimension des Übersetzens nur eine Art interdisziplinärer Trick ist, um wenigstens terminologisch Anschluß an neue wissenschaftstheoretische Entwicklungen zu halten. Schließlich ist die vielbeschworene kommunikative Kompetenz nichts anderes als die richtige (verbale und nonverbale) Handlungs- und Verhaltensweise in einer bestimmten Situation. Gerade in einer so jungen Wissenschaft wie der ÜW ist die Gefahr der "überterminologisierung" groß. Dennoch spricht vieles dafür, daß die ÜW mit der Hinwendung zur Handlungstheorie nicht nur bei der inflatorischen Verwendung des Handlungs- und des Handlungsregulationsbegriffs (OESTERREICH 1981) mitmacht, sondern tatsächlich eine theoretische Neuorientierung versucht, weil damit die Möglichkeit eröffnet wird, übersetzen als das aktive Zusammenwirken kognitiver Faktoren beim Zustandekommen eines übersetzerischen Handlungszusammenhangs zu bestimmen, übersetzen steht also in einem teleologischen Handlungskontext, in dem es einen Handelnden gibt, der in einer bestimmten Situation zweckmäßig agiert und für das Erreichen dieser Zwecke ihm geeignet erscheinende Mittel einsetzt. Die ÜW setzt dabei allerdings voraus, daß die Handlungstheorie schon einen systematischen, kohärenten, von den Verhaltenswissenschaften hinlänglich abgegrenzten Darstellungs- und BegründungsZusammenhang vorweisen kann. Aber das ist offenbar nicht der Fall, sonst hätte HERRMANN keinen Grund, provokatorisch von der "Unausgereiftheit handlungstheoretischer Interpretationen" (1982, 9) zu sprechen. Die-

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se Unausgereiftheit mag mit einem Umstand zusammenhängen, den ELIAS so formuliert hat: "Eine der Unzulänglichkeiten der meisten soziologischen "Handlungs"- und "Interaktions"theorien besteht darin, daß sie implizit oder explizit Handlungen, die mit Bewegungen der Skelettmuskulatur verbunden sind, und Tätigkeiten wie Denken oder Reflektieren, die ohne solche Bewegungen ablaufen, als Tätigkeiten auf derselben Ebene darstellen. Vertreter von Handlungstheorien bestehen oft darauf, beide Typen menschlicher Tätigkeiten schlechtweg als "Handlungen" zu begreifen. Ihre unterschiedliche Funktion im Leben der Menschen und damit ihr unterschiedlicher Charakter wird auf diese Weise ebenso verdunkelt wie das Problem ihrer Beziehung zueinander" (1983, 178f.). Ein Konsens zwischen den verschiedenen Handlungstheorien ist nur insofern möglich, als alle Handlungstheoretiker alles menschliche Handeln als zielgerichtet begreifen (S.F. SAGER 1982). Zielloses Handeln ist nicht vorstellbar, wohl aber ein Handeln, dessen Ziele sich erst anhand situativer Möglichkeiten und Konstellationen herauskristallisieren. Eine zentrale Frage der Handlungstheorie ist deshalb, unter welchen situativen Bedingungen und in welchem Funktionszusammenhang gehandelt wird und wie dieses Handeln organisiert ist. KAMLAH (1972) hat darauf hingewiesen, daß die Annahme einer Existenzweise "sich verhalten zu" eine notwendige Vorbedingung für die Klärung des Handlungsbegriffs ist. Der Verhaltensbegriff ist der Oberbegriff für den Handlungsbegriff. "Alles Handeln ist ... Sich-Verhalten, aber nicht alles Verhalten ist Handeln. Handlungstheorie ist demnach der Spezialfall einer Verhaltenstheorie" (SCHMÄLT 1984, 524; ausführlich dazu auch SCHÜTZ 1960). Sinngemäß bezeichnet HECKHAUSEN Handeln "als eine breite Unterklasse des Verhaltens" (1980, 43). Allerdings wird man den Verhaltensbegriff, den die Psychologie teilweise dem Behaviorismus, teilweise der Biologie verdankt, und den Handlungsbegriff nicht immer säuberlich voneinander trennen können. ZELGER hat festgestellt: "Man könnte ... durch Variation der verwendeten Grundbegriffe (Verhalten und Handlung; W.W.) ... auch verwandte Verhaltens- und Handlungsbegriffe erzeugen, wie etwa "reflexhaftes Verhalten", "instinktgemäßes Verhalten", "automatisches Handeln" ..., "geplantes Verhalten" usw. Um eine ausgereifte Typologie der Handlungsbegriffe zu erzeugen, müßten wir aber auf eine angemessene Theorie der Bewußtseinsinhalte und Bewußtseinszustände zurückgreifen können, (aber) ... eine solche (steht) nicht zur Verfügung" (1984, 500; vgl. auch BRANDSTÄDTER 1984, 849).

31 Deshalb ist die Position nicht ganz eindeutig. Er "aktivem Sich-Verhalten" daß Handeln jede Art von der Handelnde einen Sinn

WEBERS (1922) in diesem Punkt auch grenzt zwar "Handeln" von bloß ab, stellt aber andererseits fest, menschlichem Verhalten ist, dem unterlegt.

In der Auseinandersetzung um die Abgrenzung und Abgrenzbarkeit des Handlungsbegriffs vom Verhaltensbegriff hat man dem Handlungsbegriff primär "logomorphe" und dem Verhaltensbegriff primär "mechanomorphe" Eigenschaften zugeschrieben (GRAUMANN 1984, 567). Im übrigen ist nach GRAUMANN das für den Behaviorismus grundlegende Stimulus/Response-Modell des Verhaltensbegriffs durch "unsichtbare Zutaten" (1984, 547ff.) in Form von hypostasierten Zwischenprozessen längst nicht mehr so starr wie zu der Zeit, als SKINNER einen radikal deterministischen, streng funktionalen Verhaltensbegriff im Rahmen seines Konzepts eines operanten Behaviorismus verteidigte (1957). Vereinfacht formuliert, wird man sagen können, daß der Verhaltensbegriff eher algorithmisch (im Sinne einer geregelten Wenn/Dann-Beziehung) und der Handlungsbegriff eher heuristisch (wenn/dann ... oder dann bis zur nten Position) bestimmt ist. Heuristische Methoden folgen dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Sie dürfen nicht mit algorithmisch geregelten Verfahrensweisen gleichgesetzt werden. Algorithmisches Verhalten ist regelbasiert, kontextunabhängig; es spezifiziert eine mengenmäßig begrenzte Folge von abstrakten Operationen, die mechanisch, unter weitgehender Bewußtseinsabstinenz ausgeführt werden können und die in der Regel zu korrekten Resultaten führen. Dagegen ist eine heuristische Prozedur immer situationsabhängig; sie beginnt mit einer Reihe von strategischen Überlegungen, die eine Handlung steuern und die Chancen für die Entwicklung einer praktikablen Lösung für ein spezifisches Problem verbessern, ohne daß bei diesem Verfahren Erfolgsgarantie besteht (VAN DIJK/KINTSCH 1983). Indes, obwohl der Verhaltensbegriff und der Handlungsbegriff im Rahmen einer kognitiven Wissenschaft einen unterschiedlichen Status haben, muß man sich davor hüten, den jeweiligen Bewußtseinsgrad zum Kriterium für die Zuschreibung von Intentionalität zu machen. Auch Verhalten - etwa im Rahmen verbalstereotypischer Äußerungen - involviert Intentionalität (WILSS, erscheint). Auch routiniertem, reflexhaftem Verhalten liegt ursprünglich eine kognitive Bewegung zugrunde; allerdings hat diese im Verlauf von Lernoder Internalisierungsprozessen ihre Dominanz verloren und einem Gewohnheitsverhalten Platz gemacht. M.a.W.: Handlung und Verhalten sind Lebensorientierungen, die eine je spezifische Form der Bedürfnisbefriedigung darstellen und der Erreichung eines bestimmten Ziels dienen (Kap.VI). Für die ÜW sind diese Überlegungen wichtig, weil übersetzen eine spezifische Form der kommunikativen Bedürfnisbefriedi-

32 gung ist. Hier geht es darum, zwischen den Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften durch intertextuelles Sprachhandeln kommunikativ zu vermitteln. Der Übersetzer begreift sich als ein Sachverwalter der praktischen Vernunft, die sich in der übersetzerischen Wirklichkeit auf vielfältige Weise entfaltet und eine Wirkung verursacht. Dabei kann der Ubersetzer - in der Terminologie PIAGETs (1947) - zwei Verfahrensweisen, akkommodierendes und assimilatorisches Handeln, praktizieren. Akkommodierende Ubersetzungsprozeduren verlaufen vom Objekt zum Subjekt; d.h., der Ubersetzer setzt sich mit den konstitutiven Merkmalen des zu übersetzenden Textes kognitiv auseinander; er bewältigt die Situation, in der der betreffende Text steht, textanalytisch unter dem Aspekt des "knowing that" und textreproduktiv unter dem Aspekt des "knowing how" (RYLE 1949), also in einer Kombination von semasiologischen und onomasiologisehen Fragestellungen. Auf akkommodierendes Handeln rekurriert der Ubersetzer, wenn er die von ihm aufgebauten kognitiven Schemata an eine Ubersetzungssituation anpassen oder gar einen neuen Übersetzerischen Handlungsplan entwerfen muß, der im Rahmen eines übersetzerischen Rationalitätskalküls Auskunft darüber gibt, für welche der theoretisch möglichen Handlungswege sich der Übersetzer vor dem Hintergrund seines spezifischen Handlungsziels entschieden hat (Kap.V). Assimilatorische Ubersetzungsprozeduren verlaufen hingegen vom Subjekt zum Objekt; d.h. der Übersetzer kann auf den zu übersetzenden Text internalisierte Verhaltensmuster in Form von kognitiven Schemata anwenden. Assimilatorisches Verhalten praktiziert der Ubersetzer dann, wenn er es mit sprachlichen, außersprachlichen und soziokulturellen Eins-zuEins-Entsprechungen zwischen Ausgangs- und Zieltext und Textumfeld zu tun hat und wenn as Senderintention und zs Empfängererwartung konvergieren (z.B. in fachsprachlichen Texten; STIERLE 1979). Aus der Differenzierung zwischen akkommodierenden und assimilatorischen Verfahrensweisen folgt, daß Ubersetzen sowohl eine Handlungs- als auch eine Verhaltensdimension aufweist. Ubersetzen steht sozusagen im Schnittpunkt von Handeln und Sich-Verhalten. Welche Handlungsperspektive jeweils dominiert, wird dadurch geklärt, daß man diejenigen "Begründungsschritte" (GETHMANN 1981, 30), die zu ihnen hinführen, rekonstruiert. Diese Doppelorientierung, die übrigens für viele menschliche Verfahrensweisen charakteristisch ist, muß man im Auge behalten, wenn im folgenden von handlungstheoretischen Aspekten des Übersetzens die Rede ist. Wenn man Ubersetzen als sprachliches Handeln charakterisiert, ist dies m.E. deswegen gerechtfertigt, weil übersetzen jedenfalls bei schwierigen Texten, und nur solche sind heute im menschlichen Ubersetzungskontext relevant - ein hohes Maß an kognitiven Handlungsdispositionen erfordert. In allen Übersetzungsprozessen sind drei Handlungsdimensionen unterscheidbar: Handlungsvoraussetzungen (situativer und

33 personeller Art), Handlungsablauf und Bewertung von Handlungsergebnissen. LEWIN (1936) folgend, kann man übersetzerisches Handeln (H) als eine Funktion (f) der jeweilig momentanen Verfassung der Person (P) des Ubersetzers und seiner Umwelt(Text)Wahrnehmung (U) auffassen: H=f(P,U). Zum Wesen des Übersetzungsprozesses Eine handlungstheoretisch fundierte Definition des übersetzungsprozesses könnte etwa folgendermaßen lauten: übersetzen ist ein sowohl auf den Ausgangstext als auch auf den zs Leser gerichtetes Handeln, das funktionsbestimmt ist, bewußt, planmäßig und kontrollierbar abläuft und den Zweck verfolgt, Verständigung zwischen den Angehörigen verschiedener Sprach-, Kommunikations- und Kulturgemeinschaften zu ermöglichen. M.a.W.: übersetzen ist durch spezifische Handlungsumstände und Handlungsvoraussetzungen geprägt. Der wichtigste Handlungsumstand ist die Vorlageabhängigkeit des Übersetzungsprozesses (KRINGS 1986, 504), die die Wahlfreiheit des Übersetzers erheblich einschränkt. Der Übersetzer arbeitet - und dieser Umstand macht die Bestimmung seiner Rolle im interlingualen/interkulturellen Kommunikationsprozeß so schwierig - nicht selbstbestimmt; er kann sich sein Handeln nicht selbst zuschreiben; er steht nicht im Kontext einer unmittelbaren, sondern einer vermittelnden Handlungssituation, in welcher er im Rahmen verbindlicher text(typ)spezifischer und empfängerspezifischer Bedingungen auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Wissensbasen reaktiv antwortet (Kap.III), übersetzen kann als spezifischer Fall der "Konstitution eines gemeinsamen Handlungshorizonts" (STIERLE 1981, 538f.) aufgefaßt werden, insofern als der Übersetzer den Ausgangstext auf den zs Leser zuordnet. Eine Übersetzung steht, wie jeder Text, in einem interaktiven HandlungsZusammenhang, der durch die jeweilige Auftragsspezifikation bestimmt ist. "Interaktionen vollziehen sich zwischen Subjekten, die von der Subjektivität des Anderen ein Bewußtsein haben und durch dieses Bewußtsein sich selber als Subjekte identifizieren können. Dazu gehört das Bewußtsein, daß die miteinander Handelnden sich in ihrem Handeln auf eine allen gemeinsame Welt beziehen" (GIEGEL 1978, 281). Die Verständigung über diese gemeinsame Welt ist in der interlingualen Kommunikation dann blockiert, wenn zwischen den Kommunikationspartnern Sprachbarrieren bestehen. Deshalb besteht die entscheidende Determinante übersetzerischen Handelns darin, auf der Basis einer "komplexen Voraussetzungssituation" (SCHERNER 1984, 172) in einer analytisch-hermeneutisch und synthetisch bestimmten Verbindung von mentalen Operationen kommunikative Gemeinsamkeitsbedingungen zu schaffen. übersetzerisches Handeln gilt nach handlungstheoretischem

34 Verständnis dann als rational, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: "- der Handelnde verfolgt ein bestimmtes Ziel; - er wendet Mittel an, um es zu erreichen; - er benutzt nur empirisch begründete Annahmen, die Mittel und Zwecke verknüpfen; - er macht gewisse normative Annahmen, die seine Präferenzen für gewisse Ziele begründen und (möglicherweise) Annahmen, die gewisse Mittel als ethisch oder ästhetisch inakzeptabel verbieten; - er macht den bestmöglichen Gebrauch von seiner Kenntnis der Umstände und von anderen Informationen, die für seine Handlungen relevant sind; - er ist bestrebt, seine Handlungen in eine breitere Strategie einzubauen, so daß die Verfolgung eines erwünschten Zieles nicht die Verfolgung anderer Ziele behindert; - er benützt logische Prozeduren, so daß Aussagen, die seine Handlungen beschreiben, gültig aus seinen Annahmen abgeleitet werden können ..." (ACHAM 1984, 51). Allerdings kann es beim Ubersetzen, vielleicht noch mehr als in anderen Handlungskontexten, vorkommen, "daß wir zwar die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für einen intentionalen Akt kennen, aber nicht wissen, wie wir sie erfüllen können" (STOUTLAND 1978, 107). Der Fall, daß eine Übersetzung aus dem Ruder läuft, kann z.B. eintreten, wenn der Übersetzer mit dem Schwierigkeitsgrad des zu übersetzenden Textes sprachlich und/oder außersprachlich überfordert ist oder Schwierigkeiten hat, die kommunikativen Bedingungen für den zs Transfer festzulegen. Wenn ihm in solchen Situationen die ÜW mit der Bereitstellung von Handlungsorientierungen helfen will, heißt dies, daß sie prozedurale Theorien auf empirischer Grundlage entwickeln muß, die primär darauf ausgerichtet sind, praktische, verwertbare, effiziente Handlungsvorschriften und Verhaltensnormen vor handlungs/verhaltensrelevantem Hintergrundwissen bereitzustellen. Den Extremfall solcher Theorien stellt eine "technologische" Theorie dar, wie sie neuerdings von NIDA vertreten wird: "It is best ... to regard translation as essentially a technology in that it is based upon several different scientific disciplines, including especially linguistics, information theory, psychology, and anthropology. It is essentially the application of insights from a variety of scientific disciplines which makes possible both the study of the processes of translation and the development of useful pedagogical techniques for improving translators' capacities for effective translation. One may say, therefore, that translation is essentially a skill, an art, and a technology, in the sense of a

35 related set of techniques derived from the sciences of human behavior" (1982, 23). Ob dieses Technologieverständnis dem Wesen des Ubersetzungsprozesses vollumfänglich gerecht wird, soll uns hier nicht weiter beschäftigen; darüber wird ausführlicher zu reden sein, wenn es um die Rolle des Ubersetzers im Ubersetzungsprozeß geht (Kap.III). Hier ist zunächst nur ganz allgemein festzustellen, daß Ubersetzen eine spezifische Form sprachlichen Handelns und Sichverhaltens ist, die sich vom einsprachigen Handeln und Sichverhalten dadurch unterscheidet, daß der Ubersetzer auf der Basis as und zs Wissens "code switching"-Prozesse ausführt; er ist in die Prozessualität des as Textverstehens und die Prozessualität des zs Textproduzierens eingebunden. Diese Doppelfunktion erfordert überlegtes Handeln. Das bedeutet, daß der Ubersetzer die Gründe für oder gegen eine zs Perspektive objektiv abwägen, auf der Grundlage fundierter Kriterien antizipatorische Hypothesen über seine Aufgaben und die Konsequenzen seines Handelns aufstellen und daraus Schlußfolgerungen für sein übersetzerisches Handeln ableiten muß. Dieses Verhalten ist nicht so sehr durch die Frage nach dem Warum (die Ermittlung kausaler Beziehungen) als vielmehr durch die Frage nach dem Wozu (die Festlegung finaler Vorstellungen) bestimmt. Wenn man Ubersetzen als überlegtes sprachliches Vorgehen auffaßt, heißt das, daß der Ubersetzer nicht den Weg des geringsten Widerstands einschlagen darf oder in einem selbstgenügsamen Opportunismus verharrt, sondern daß er seine kognitiven Ressourcen aktiviert. Er muß eine Handlungsweise an den Tag legen, die durch Umsicht charakterisiert ist. Sie muß erkennen lassen, daß er den nötigen Durchblick hat, um die Ubersetzung eines Textes zu einem plausiblen Abschluß zu bringen, ohne daß die Handlungsvorbereitung und Handlungsdurchführung mehr Zeit in Anspruch nehmen darf, als für den jeweiligen Auftrag zur Verfügung steht. Ubersetzen ist meistens Akkordarbeit. In vielen Ubersetzungssituationen ist der Zeitdruck der ranghöchste Faktor (HENSCHELMANN 1984). Der in der Berufspraxis stehende Übersetzer kann die Lektüre des Ausgangstextes normalerweise nicht beliebig oft wiederholen und seinen Rezeptionsund Reformulierungsprozeß nicht an beliebigen Stellen beliebig lang unterbrechen oder dilatorisch zu Ende führen. Deshalb muß der Übersetzer alles daransetzen, "Minimalstrategien" zu entwickeln, d.h. mit einem Minimum an Aufwand ein inhaltlich und stilistisch akzeptables Ubersetzungsergebnis zu erzielen - nach dem vielzitierten Motto von NIDA/ TABER: "Translation consists in reproducing in the receptor language the closest natural equivalent of the sourcelanguage message, first in terms in meaning and secondly in terms of style" (1969, 12).

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Handlungstheoretische Aspekte des Ubersetzungsprozesses Die ÜW muß ihren Objektbereich in einer Art und Weise organisieren, die es dem Ubersetzer ermöglicht, ihren Erkenntnisgewinn nicht nur episodisch, sondern systematisch nachzuvollziehen und ihn in methodisch gesicherten Bahnen in die Ubersetzungspraxis umzusetzen. Dazu ist es erforderlich, daß sie den kritischen Dialog mit den ihr inhaltlich und methodisch benachbarten Disziplinen sucht, diesen Dialog aber nicht in einer Art Geheimsprache führt, die dem Verhältnis zwischen Theorie und Praxis eher schadet als nützt. Um die notorische Distanz zwischen Theorie und Praxis des Ubersetzens abzubauen, braucht die ÜW eine empirisch gestützte Theorie und klare methodische Maßstäbe, mit deren Hilfe der Ubersetzer in der Berufspraxis sein eigener Kritiker und Aufsichtsführender sein kann. Dies kann er aber nur dann leisten, wenn er weiß, wie er übersetzungsprozessual vorgehen muß, um ein funktionales Gleichgewicht zwischen Ausgangs- und Zieltext zu erreichen. In diesem Sinn steht Wissenschaft nicht gegen Praxis und Praxis nicht gegen Wissenschaft. Wissenschaft wird vielmehr durch Praxis und Praxis durch Wissenschaft nachprüfbar; antizipierende Hypothesenbildung und empirische Uberprüfung hypothetischer Überlegungen sind dialektisch aufeinander bezogen. Für die Klärung der Beziehungen zwischen Theorie und Praxis des Ubersetzens sind handlungstheoretische Begriffe nützlich. Die UW kann von der Handlungstheorie lernen, wie Ubersetzen als kognitiver Umsetzungsprozeß vonstatten geht, welche Funktion den am Ubersetzungsprozeß beteiligten Größen, dem Ausgangstext und seinem Autor, dem Ubersetzer und seiner rezeptiven und produktiven Kompetenz und dem Empfänger des Zieltextes im einzelnen zukommen. Antworten auf diese Fragen sind allerdings schwierig, weil Ubersetzen i.d.R. nicht in einen kommunikativen Rückmeldekreis eingebettet ist; daraus ergibt sich der spezifische Handlungsaspekt des Ubersetzens. Jeder zu übersetzende Text stellt ein fremdinszeniertes Ereignis dar. Dementsprechend ist jede Ubersetzung nicht primär durch das Streben nach Informationsgewinn, sondern durch das Streben nach Informationsweitergabe motiviert. Der Ubersetzer kann sich über Ziel und Ergebnis seiner übersetzerischen Aktivität mit dem Autor des Ausgangstextes i.d.R. nicht unmittelbar verständigen. Es ist also fraglich, ob die folgende Feststellung von ARENDT im Übersetzungskontext einschränkungslos zutrifft: "Handeln, im Unterschied zum Herstellen, ist in Isolierung niemals möglich; jede Isoliertheit, ob gewollt oder ungewollt, beraubt der Fähigkeit zu handeln" (1978, 31). In der Tat ist einerseits zweifelhaft, ob für das Ubersetzen immer eine Handlungszuschreibung möglich ist, wenn "wenigstens zwei verschiedene Handlungsalternativen offengestanden haben (müssen), um eine Verhaltensweise als Hand-

37 lung zu qualifizieren" (SCHMÄLT 1984, 532). Andererseits steht jeder Text in einem semiotischen Ordnungs- und Verweisungszusammenhang. Die Herausarbeitung textsemantischer, textfunktionaler und textpragmatischer Bezüge durch die Untersuchung der Textoberfläche ist für jede Art von Ubersetzungstätigkeit von grundlegender Bedeutung (WILSS 1980): Der Ubersetzer muß also, wenn er nicht intuitiv arbeiten will oder arbeiten kann (Kap.VII), den Ubersetzungsprozeß in eine Folge von Teilschritten zerlegen, die man als Vorbereitungs-, Ausführungs- und Bewertungsphase im Rahmen einer Problemlösungsmethode (Kap.IV) bezeichnen kann. Ein konstitutives Merkmal einer jeden dieser drei Handlungsphasen ist Bewußtheit - als Vorbedingung dafür, daß der Ubersetzer erkennt, wo und mit welchem Gewicht übersetzungsrelevante Faktoren auftreten und unter welchen Bedingungen sie handlungsleitend sind. Handlungsvorbereitung, Handlungsausführung, Handlungsbewertung Im Rahmen der kognitiven Handlungsvorbereitung muß der Ubersetzer Suchprozesse (ZELGER 1984, 510; WERBIK 1984, 646) in Gang setzen. Diese dienen dem Ziel, fallspezifische Problemfelder aufzudecken, Funktionszuordnungen herauszuarbeiten und Lösungsansätze zu entwickeln, die die Eigentümlichkeiten des zu übersetzenden Textes deutlich in das Bewußtsein des Ubersetzers treten lassen. Dabei kann man nach ZELGER drei Arten von Suchverfahren unterscheiden (1984, 510f.): 1. zufällige Suchverfahren, 2. systematische Suchverfahren (Algorithmen), 3. heuristische Suchverfahren. Zufällige (blinde) Suchverfahren sind dadurch charakterisiert, daß "Variationen einer vermuteten Lösung erzeugt und nach dem biologischen Evolutionsmuster im Hinblick auf (wenigstens) ein Selektionskriterium beurteilt (werden). Wenn die variierte Lösung besser ist als die des vorhergehenden Suchschrittes, dann wird sie beibehalten und weiter variiert, wenn nicht, wird sie verworfen, und man geht wieder vom Ergebnis des vorhergehenden Suchschrittes aus und verändert dieses weiter" (1984, 510). Systematische (algorithmische) Suchverfahren "führen mit Sicherheit zum Erfolg, sind aber für viele Problemsituationen zu zeitaufwendig. So kann man einen in einem Feld verlorenen Schlüssel dadurch suchen, daß man systematisch jeden Quadratmeter untersucht und zwar so, daß dieselbe Stelle nie zweimal berührt wird" (1984, 510).

38 Heuristische Suchverfahren praktizieren heißt, "unsystematisch zu sein - jedoch auf kluge Art. Durch unser Vorwissen können wir den systematischen Plan abkürzen - indem wir nur in den wahrscheinlichen Erfolgsgebieten suchen" (1984, 510). Wenn man nun bedenkt, daß die Erfolgsaussichten zufälliger Suchverfahren vage sind und daß die ÜW, wie die bisherigen Resultate der Mü zeigen, für viele übersetzungsrelevante Probleme keine algorithmischen Lösungen hat und auch in Zukunft keine haben wird, liegt es nahe, den Schwerpunkt der übersetzerischen Handlungsvorbereitung auf heuristische Methoden zu legen (HAMANN 1987). Dann ist es die Aufgabe der ÜW, im Rahmen einer auf den Ausgangstext und auf den zs Empfänger gerichteten Doppelstrategie für jeden zu übersetzenden Text auf der Basis genereller operationeller Vorgaben ein umfassendes, empirisch geordnetes Wissen systematisch in der Weise zu erarbeiten, daß es auf die je spezifische Obersetzungssituation anwendbar ist. Durch die systematische Nutzbarmachung von Wissen für übersetzerische Handlungen bilden sich Verhaltensnormen; diese entschärfen die neuralgischen Punkte einer Arbeitspraxis, die durch das komplexe Zusammenwirken von systemimmanenten und kommunikativen Regeln bestimmt ist. Die Regelorientiertheit übersetzerischen Handelns trägt allerdings d e m intuitiven Verhalten des Ubersetzers nicht genügend Rechnung. WERBIK hat darauf hingewiesen, daß Menschen "sich oft von sprachlich relativ unscharf etikettierbaren Lebens- und Handlungsprinzipien leiten (lassen). Solche Lebensorientierungen werden situationsgerecht ausgelegt, ausgestaltet und zu Zielen oder Regeln konkretisiert" (1984, 648). Daraus entwickelt sich ein Arbeitsschema, das die Handlungsbedingungen und die jeweils zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume festlegt. Es motiviert den Übersetzer dazu, "psychologische Erkenntnisse über den Aufbau menschlischen Handelns mit linguistischen Erkenntnissen über die Struktur natürlicher Sprachen fruchtbar kombinieren" (KNOBLOCH 1984, 1). Dabei stützt sich der Übersetzer auf sein internalisiertes Vorwissen sowie auf die von ihm im Laufe der Handlungsvorbereitung recherchierten zusätzlichen text(typ)spezifischen Informationen. Orientierungshilfen für den Aufbau eines solchen Arbeitsschemas bietet u.a. das von MILLER et al. entwickelte, behavioristisch inspirierte TOTE-Modell des phasengegliederten Problemlösungsverhaltens (TOTE: TextOperate-Text-Exit) (1960). Es kann dazu dienen, das sprach-

39 liehe und außersprachliche Textverständnis des Übersetzers schrittweise zu explizieren und den Transfer als "multiple stage translation" sichtbar zu machen (Kap.IV). Weiterführende Untersuchungen dazu gibt es neuerdings von HOLZMfiNTTSRI (1984), jedoch ist dieser Hinweis mit der Einschränkung zu versehen, daß der von ihr geltend gemachte methodologische Universalitätsanspruch überzogen ist. Mit Hilfe eines übersetzerischen Handlungsplans kann es dem Obersetzer gelingen, den für einen optimalen Transfer maßgeblichen HandlungsZusammenhang festzulegen und beim übersetzen entsprechend systematisch zu verfahren. Das übersetzerische Handeln wird dadurch ein kognitiv regulierter Vorgang. Diese kognitive Regulierung verbessert auf zweierlei Weise die Rechtfertigungsansprüche dem eigenen Handeln gegenüber : 1. Der Übersetzer kann einen plausiblen Zusammenhang zwischen Handlungsabsicht und Handlungsvollzug herstellen und auf diese Weise das übersetzerische Handeln in bestimmtem Umfang überprüfbar machen. 2. Der Übersetzer lernt mit "unterschiedlichen Handlungskonzepten" umzugehen: "nicht alle Typen von Handlungen lassen sich über den gleichen Leisten schlagen" (WERLEN 1984, 380) . Für die Handlungsausführung ist wichtig, daß der Übersetzer Mittel und Wege findet, die Handlungssituation dadurch zu entschärfen, daß er den Aufwand für die Textverarbeitung, und übersetzen ist eine spezifische Form der kognitiven Textverarbeitung, im Rahmen des Möglichen senkt und so ein für ihn selbst und für seinen Auftraggeber vertretbares, d.h. ökonomisches Input/Output-Verhältnis schafft. Dazu ist es erforderlich, daß er im Einklang mit seinem makrokontextuellen Handlungsziel den zu übersetzenden Text in Textsegmente zerlegt und diese in Form von hierarchisch aufeinander zugeordneten mikrokontextuellen Handlungsketten aufarbeitet (Kap.IV). Die Bewertung übersetzerischer Handlungen bezieht sich sowohl auf das Handlungsergebnis als auch auf die das Handlungsergebnis herbeiführenden Handlungsfolgen. Sie orientiert sich immer an dem vom Übersetzer im Rahmen seiner Handlungsvorbereitung ermittelten "Sollwertgeber" (SCHMÄLT 1984, 537). Zwischen Sollwertgeber und übersetzerischem Handlungserfolg besteht eine Beziehung, die durch einen retrospektiven, vom Zieltext zum Ausgangstext verlaufenden Ist/Soll-Vergleich festgestellt wird. Solche Ist/Soll-Vergleiche dienen der Handlungs- und Verhaltenskorrektur. Allerdings muß bei einem Ist/Soll-Vergleich gerade der Übersetzer mit Komplikationen rechnen, weil ihm der zu übersetzende Text als eine mehr oder minder fremde Welt entgegentritt. Wie die Geschichtsschreibung, so ist auch das Übersetzen, weil es mit den verschiedensten lebensweltlichen

40 Erscheinungen zu tun hat, eine komplexe Tätigkeit, die dem Handelnden Schwierigkeiten bereiten kann, wenn er versucht, den zu übersetzenden Text einem Frageprozeß auszusetzen, der u.U. eine Vielzahl von Frageperspektiven aufreißt. Einer genauen Diagnose eines Ubersetzungsresultats sind daher relativ enge Grenzen gesetzt, jedenfalls da, wo sich ein Text außerhalb der Standards und Konventionen unserer lebensweltlichen Praxis bewegt. Der Ubersetzungskritiker interpretiert die Interpretation des Ausgangstextes durch den Ubersetzer. Die Ubersetzungskritik ist nur dann verläßlich, wenn sie sich die Aufgabe stellt, die Wirklichkeit, in die der Ubersetzer hineingestellt ist, in jenen besonderen Zügen zu erfassen, die den Ubersetzer im Hinblick auf das vorgefaßte Handlungsziel interessieren. Dabei gibt es Objektivierbarkeitsgrenzen. Jeder Ubersetzer hat im Rahmen seines subjektiven (aber nicht beliebig subjektiven) Handlungskonzepts die Möglichkeit, nach Maßgabe der eigenen Erfahrung, des eigenen Textverständnisses und der Einschätzung des zs Empfängers die Distanz zum Ausgangstext zu verringern oder zu vergrößern. "Translation always brings expanded horizons and multiple perspectives" (ROSE 1987, 1). Der Ubersetzer entziffert einen Text immer auch unter persönlichen Rahmenbedingungen - vor dem Hintergrund seiner eigenen soziokulturellen Sozialisation. "Die Beziehung zwischen Bedürfnis und Konstellation im Zweck ist nur in wenigen Fällen derart determiniert, daß der Zweck über einen einzigen Handlungsweg realisiert werden kann" (EHLICH/REHBEIN 1979, 245). M.a.W.: Der Ubersetzer, der Ubersetzungstheoretiker und der Ubersetzungskritiker müssen lernen und akzeptieren, daß es einen Bestand an Wahrheit gibt, der nicht dem methodologischen und dem zweckrationalen Konsens unterworfen ist, sondern ihm vorausgeht und ihn ermöglicht. Dies wird deutlich, wenn wir die Rolle des Übersetzers im Übersetzungsprozeß genauer unter die Lupe nehmen. Diesem Thema ist das nächste Kapitel gewidmet.

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III. Die Rolle des Obersetzers im ObersetzungsprozeB

Die Abhängigkeit des Ubersetzers vom Ausgangstext und vom Zieltextleser Die moderne linguistisch orientierte Uw hat sich zur Rolle des Ubersetzers im Ubersetzungsprozeß bisher nur selten klar und umfassend geäußert. Zwar ist für NIDA der Ubersetzer "the focal element in translating" (1964, 145), aber er sieht keine Möglichkeit, diese Rolle kognitiv näher zu bestimmen: "We actually do not know precisely what takes the translator's mind when he translates, for gists and neurologists do not know the manner language data are stored in the brain" (1964,

place in psycholoin which 145).

Dieser Umstand hat nach NIDA für die Erforschung des Ubersetzerverhaltens keine gravierenden Folgen: "Fortunately, however, for the purpose of our study of the translator's role, we need not have a comprehensive understanding of the psychological processes involved. These we shall simply have to take for granted (hervorgehoben von W.W.). More important for us is a careful analysis of the larger cultural context into which the translator's activity fits" (1964, 146). Die Selbstverständlichkeit, mit der NIDA so etwas wie ein soziokulturelles Ubersetzerbewußtsein postuliert, hängt damit zusammen, daß er sich als Leiter der Forschungsabteilung der United Bible Societies in New York jahrzehntelang intensiv mit der Bibelübersetzung beschäftigt hat, die er als eine Verflechtung von kulturellen, sozialen und personalen Faktoren versteht: "... in his double role the translator becomes ... a dual or even multiple person, participating at the same time in more than one linguistic and cultural world" (1964, 149). Den m.W. ersten Versuch einer detaillierten Auseinandersetzung mit der Person des Ubersetzers stellt VAN QUEKELBERGHE (1972) dar, aber diese Arbeit ist begrifflich vage, und sie hat zu Recht in der üw Literatur keine Spuren hinterlassen. Weitere Ansätze zur Bestimmung der Rolle des Ubersetzers im Ubersetzungsprozeß stellen HOUSE (1977), LEFEVERE (1981), NEWMARK (1981), WILSS (1985a) und NORD (1986) dar; alle

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diese Arbeiten manifestieren direkt oder indirekt die Schwierigkeiten, die sich zwangsläufig einstellen, wenn man sich daranmacht, das "Blackbox-Modell" des Übersetzens durch ein "Informationsverarbeitungsmodell" zu ersetzen und damit Ubersetzen als spezifischen Fall eines kognitiven Handlungszusammenhangs zu definieren. Diese Schwierigkeiten rühren daher, daß der "Blackbox"-Begriff, wie viele psychologische Begriffe, ein "hypothetisches Konstrukt" ist, das man nicht beobachten, sondern nur diagnostisch erschließen kann. Genaugenommen ist dieser Begriff nur ein Name für unerforschte Wenn/Dann-Beziehungen und hat dementsprechend nur "einen gedanklichen Stellenwert". "Es vermittelt erklärend zwischen beobachtbaren Gegebenheiten, die wir nacheinander beobachten können, d.h. zwischen den vorauslaufenden Bedingungen der Situation, individuellen Besonderheiten der Person und dem nachfolgenden Handeln" (HECKHAUSEN 1980, 29). Die Komplikationen bei der Dingfestmachung der Rolle des Übersetzers im Übersetzungsprozeß stehen nach NIDA (auch) im Zusammenhang mit dem negativen Verhalten der Öffentlichkeit gegenüber dem Ubersetzer: "The translator's task is essentially a difficult and often a thankless one. He is severely criticized if he makes a mistake, but only faintly praised when he succeeds, for often it is assumed that anyone who knows two languages ought to be able to do as well as the translator who has labored to produce a text. But even if his work is rarely rewarded by the praise of others, the task itself has its own rewards, for successful translating involves one of the most complex intellectual challenges known to mankind. Moreover, in our present world the need for extensive, accurate, and effective communication between those using different languages gives the translator a position of new and strategic importance" (1964, 155). Die kommunikationsstrategische Bedeutung des Übersetzers ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen, und zwar aus zwei Gründen: a) weil wir unsere Lebenswelt in wachsendem Maße als vermittelte Wirklichkeit oder, in Arnold GEHLENs Formulierung, als "Wirklichkeit aus zweiter Hand" erleben; b) weil die Übersetzung es möglich macht, menschliches Wissen sprachgrenzenübergreifend zu erweitern und international zugänglich zu machen. Letzteres ist besonders evident auf dem Gebiet der fachsprachlichen Texte, die die technische und wissenschaftliche Wirklichkeit als eine für die Menschheit wichtige Teilwirklichkeit repräsentieren. Aber von den weltweiten Bemühungen um sachgerechte Informationen auf wissenschaftlichtechnologischem Gebiet dringt wenig in das Bewußtsein der

43 Öffentlichkeit: Dies nicht zuletzt deswegen, weil fachsprachliche Obersetzungen - im Gegensatz zu literarischen Obersetzungen - im wesentlichen für hausinterne Zwecke angefertigt werden. Nur wenige fachsprachliche Übersetzungen erreichen den Status einer veröffentlichten Ubersetzung, und wenn dies der Fall ist, werden sie von der breiteren Öffentlichkeit i.a. nicht kritisch bewertet. Feuilletonistische Obersetzungskritik bezieht sich vorwiegend auf literarische Texte; dabei ist die Kritik eher beiläufiger Natur, denn die Rezensenten beschränken sich meistens darauf, einzelne lexikalische oder syntaktische Schwachstellen zu monieren. Ganz selten kommt es vor, daß ein Rezensent eine literarische Ubersetzung umfänglich und methodisch fundiert kritisch unter die Lupe nimmt. Eine Ausnahme bildet die Neue Zürcher Zeitung. (Diese Information verdanke ich Katharina REISS.) Die von NIDA erwähnte Geringschätzung der Arbeit des Obersetzers hängt vermutlich entscheidend damit zusammen, daß Obersetzungen auf der Existenz von Primärtexten beruhen, die der Übersetzer in Sekundärtexte umsetzt. Dabei unterliegt sein Tun dem "Postulat nach Erfassung des fremden gemeinten Sinnes" (SCHÜTZ 1960, 108); es steht in einem "eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen Eigenpsychischem und Fremdpsychischem" (SCHÜTZ 1960, 5). Deswegen kann man m.E. Ubersetzungen nicht ohne weiteres den Status einer eigenen Textsorte zuschreiben (anders DRESSLER 1975; H. BÜHLER 1984). Am ehesten trifft dies auf literarische Ubersetzungen zu, weil "Literatur übersetzen heißt, eine Interpretation eines literarischen Werks übersetzen" (Sonderforschungsbereich 309, 1987, xif.). Das Verhalten des Übersetzers ist nicht nur, wie neuerdings manchmal behauptet wird, durch die Erwartungen des zs Empfängers, sondern auch durch die Mitteilungsabsicht des as Textautors determiniert. Jede Ubersetzung, auch die literarische, ist im Kontext einer originaltextbezogenen "réécriture" zu sehen. Das bedeutet zwar nicht, daß der Ubersetzer dem zu übersetzenden Text gegenüber immer ein affirmatives Verhalten praktizieren muß, aber er kann sich vom Ausgangstext auch nicht nach Belieben lösen. Er arbeitet mit vorgegebenen und von ihm mehr oder minder systematisch rekonstruierten sprachlichen Daten; er "antwortet in seinem Verhalten auf die Fragen und Herausforderungen eines Textes, der selber schon Antwort auf die Fragen und Herausforderungen einer Situation ist" (Harald WEINRICH, FAZ 20/4/1968). Jede Ubersetzung ist nur so gut, wie der Ubersetzer eine konkrete Vorstellung von seinem Kommunikationspartner hat und durch dieses Bewußtsein sich selbst als sprachlich Handelnden identifizieren kann. "Nicht erst so komplexe Gebilde wie der Lebensraum sind subjektiv überformt, schon einfachste Wahrnehmungen erweisen sich als Kombination aus objektiver Einwirkung und subjektiver Interpretation. Daß 'subjektiv' nicht

44 willkürlich heißt, belegen die Gesetze, in denen sich dieser Prozeß beschreiben läßt" (FISSENI 1986, 4). Im übersetzerischen Handlungskontext heißt dies, daß der Übersetzer die Sendervariablen und die Empfängervariablen möglichst genau kennen muß, wenn er sich in dem für jeden Ubersetzungsprozeß charakteristischen kommunikativen "Dreiecksverhältnis" als verläßlicher Kommunikator im Rahmen eines festgelegten Handlungszwecks mit festgelegter Partnereinschätzung erweisen will. Alles was um den Ubersetzer herum vorgeht, nimmt er als Beobachter wahr und fertigt im Rahmen seiner kognitiven Fähigkeiten, um deren Explikation es in jeder Erkenntnistheorie geht, zielsprachenbezogene Beschreibungen von Weltausschnitten an. Wenn wir also wissen wollen, wie es um das Verhältnis zwischen dem Ubersetzer und dem zu übersetzenden Text bestellt ist, müssen wir uns den Übersetzer als einen Beobachter vorstellen, dessen Aufgabe darin besteht, unter Beachtung der jeweiligen Auftragsspezifikation (im einzelnen dazu NORD 1986; besonders wichtig ihre Ausführungen zu der Rolle des "Initiators" einer Ubersetzung) eine möglichst "charakteristische Beziehung" (Horst TÜRK) zwischen Ausgangs- und Zieltext herzustellen, "möglichst" charakteristisch deswegen, weil die Ergebnisse von Ubersetzungsaktivitäten nicht immer kohärent und auch nicht immer vorhersagbar sind. Sie hängen nicht nur vom Ausgangstext, sondern auch von den mentalen Zuständen des Ubersetzers und seinen spezifischen Wertungsdispositionen ab. Jede Übersetzung ist das Ergebnis eines person- und situationszentrierten Kovariationsmusters (Kap.II). Eigenschaftstheoretische und situationstheoretische Überlegungen müssen bei der Bestimmung der Rolle des Ubersetzers im Ubersetzungsprozeß interaktional zusammenwirken (CRONBACH 1957). Dasselbe gilt für die übersetzungskritische Lokalisierung der Ursachen für das spezifische Erscheinungsbild einer Ubersetzung. Im Anschluß an die von HECKHAUSEN referierte "Interaktionismus-Debatte" bei MAGNUSSON/ENDLER (1977) kann man für das Übersetzen, wie für jede psychologisch fundierte Interaktion, vier "Basis-Elemente" unterscheiden : "1. Aktuelles Verhalten ist eine Funktion eines kontinuierlichen Prozesses einer vielfach gerichteten Interaktion oder Rückkoppelung zwischen Individuum und den Situationen, in die es eintritt. 2. Das Individuum ist in diesem Interaktionsprozeß ein Aktiv-Handelnder, der Intentionen verfolgt. 3. Auf der Personseite der Interaktion sind kognitive und motivationale Faktoren wesentliche Determinanten des Verhaltens. 4. Auf der Situationsseite ist die psychologische Bedeutung, die Situationen für das Individuum haben, der entscheidende determinierende Faktor" (HECKHAUSEN 1980, 21f.).

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Jede Obersetzungstheorie, die von der Person des Ubersetzers abstrahiert oder sich damit begnügt, ihn kommunikationstheoretisch als eine Art "Superkommunikator" zu bestimmen, begibt sich in Gefahr, ihren Objektbereich zu verfälschen oder zu idealisieren. In der Tat hat sich die Ubersetzungstheorie ihre Aufgabe in dieser Hinsicht manchmal zu einfach gemacht und ist einer "simplicist fallacy" (z.B. wortgetreue vs. freie Ubersetzung) zum Opfer gefallen. Neuerdings sind übersetzungstheoretische Ansätze vorsichtiger, pluralistischer, aber damit eben auch "relativistischer". Die Ubersetzungstheorie ist heute weiter denn je von einer monistischen Einstellung entfernt; kaum jemandem würde es heute noch einfallen, das Verhalten des Übersetzers im Kontext einer homogenen Motivation oder einer einzigen verbindlichen Methodik des Ubersetzens zu erklären. Dafür ist das Spektrum an übersetzungsrelevanten Texten und an übersetzerischen Handlungs- und Verhaltensweisen zu groß. So wünschenswert diese Pluralisierung ist, so problematisch erscheint mir die neuerdings propagierte Forderung nach einem prinzipiellen "Mitbestimmungsrecht" des Ubersetzers bei der Herstellung des Zieltextes. Diese Forderung ist z.B. dort berechtigt, wo es um die Akzeptanz einer Übersetzung im Bereich der Zielkultur geht, aber sie erweckt manchmal fast den Eindruck, der Übersetzer könne (und müsse) sich generell zum Richter über den zu übersetzenden Text aufschwingen und eine Verhaltensweise praktizieren, die an Willkür grenzt. Diese Gefahr sehe ich auch in der Feststellung, "daß die literarische Ubersetzung notwendigerweise von ihrer Vorlage abweicht (anders gesagt, daß in ihr Differenzqualitäten artikuliert werden)" (Sonderforschungsbereich 309 1987, xi). Willkür ist nur insofern zu vertreten, als man zwischen ""willkürlichen" und "unwillkürlichen" Aktivitäten unterscheiden muß, je nachdem ob sie vom Handelnden oder Erlebenden intendiert sind, für ihn ein Ziel haben, von ihm auf Zweckmäßigkeit überwacht und korrigiert werden können" (HECKHAUSEN 1980, 2). Ubersetzen beruht nicht vollumfänglich auf Ermessensentscheidungen. Man kann nicht, wie HOLZ-MÄNTTÄRI (1984) dies tut, argumentieren, der Ausgangstext habe keinen eigenen Stellenwert und sei der Zieltext-Funktionalität absolut untergeordnet (vgl. dazu die Unterscheidung zwischen semantischer und kommunikativer Ubersetzung bei NEWMARK 1981). Der vorgegebene Text behält m.E. für den Ubersetzer seine ursprüngliche Verbindlichkeit; diese endet nur dort, wo sie mit Gesichtspunkten praktischer Vernunft oder mit ästhetischen Prinzipien unvereinbar ist, d.h. wo der Ubersetzer, um seine Ubersetzungskonzeption zu verwirklichen oder um nicht selbst in ein schiefes Licht zu geraten, aus dem Bereich der "Umkodierung" in den Bereich der "Neukodierung" (KADE 1968a) im Rahmen einer subjektiven Handlungsrationa-

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lität überwechselt (z.B. bei der Übersetzung von soziokulturell markierten, von werbesprachlichen oder von literarischen Texten). Maßgebend für jede Art von übersetzerischer Tätigkeit ist und bleibt der "Fremdtextbezug" (BROICH 1985, 32, Anm. 4). Dies wird deutlich in der Feststellung von Susanne RADEMACHER, einer bekannten literarischen Übersetzerin: "Ich schreibe leidenschaftlich gern, aber mir fällt nichts ein. So versuche ich denn, meine Lust am Schreiben in den Dienst fremder Autoren zu stellen, mich in sie einzufühlen, geradezu in sie hineinzukriechen, um das, was sie mir in ihrer Sprache schenken, in meiner Sprache weiterzugeben" (Der Übersetzer, Januar/Februar 1986, 1) . "übersetzen heißt in Ketten tanzen" (Heinrich HEINE). Der Übersetzer arbeitet mit "gelenkter Phantasie". Der Autor des Ausgangstextes konstruiert einen Text um eine Situation herum; der Übersetzer rekonstruiert eine Situation um einen bereits existierenden Text herum. So unbequem die Tatsache ist: Der Übersetzer steht nicht im Rampenlicht, sondern in (oder gar hinter) den Kulissen; wer "Ulysses" in deutscher Übersetzung liest, hat nicht nur ein Werk von Hans WOLLSCHLÄGER, sondern auch und vor allem ein Werk von James JOYCE im Bewußtsein. H. BÜHLER hat festgestellt, "daß der Übersetzer einer Textvorlage, sei sie nun als literarisch oder als nichtliterarisch einzustufen, allenfalls denselben, wahrscheinlich aber einen niedrigeren Status haben wird als der Autor des Originals, sei er nun Arzt oder Poet" (1987, MS). Während der Autor des Ausgangstextes, jedenfalls in bestimmtem Umfang, seine Handlungsdispositionen frei wählen und eine "Selbstauslegung des Ich" (SCHÜTZ 1960, 92) praktizieren kann, steht der Übersetzer zwischen zwei Fronten: Er muß sich in den Ausgangstext hineinversetzen und diesen Ausgangstext nach Durchlaufen einer Anzahl von mehr oder minder präzise angebbaren kognitiven Zwischenstufen (Kap.IV) so sach- und textkompetent wie möglich in einer für den as Textautor und den zs Leser akzeptablen Form reproduzieren. Dabei gibt es, wie angedeutet, bei stilistisch, appellativ oder soziokulturell markierten Texten Handlungsalternativen, auch solche negativer Art. So hat POPP an einem eindrucksvollen Beispiel gezeigt, was herauskommt, wenn ein Übersetzer - offenbar aus ästhetisch-moralischen Gründen - einem bewußt ordinär gehaltenen amerikanischen Roman stilistisch ein Biedermeierkostüm umhängt, indem er alle "anstößigen" Stellen auf einen harm- und farblosen Zieltext heruntertypisiert (1976). Ein gutes Beispiel für eine soziokulturelle Verschiebung der Übersetzungsperspektive bietet eine Stelle der deut-

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sehen Ubersetzung der Biographie Winston CHURCHILLS "My Early Life": Dort berichtet CHURCHILL über die Modalitäten bei der Aufnahme von Schülern in Harrow und Eton folgendes: The Harrow custom of calling the roll is different from that of Eton. At Eton the boys stand in a cluster and lift their hats when their names are called In der gedruckten Ubersetzung lautet der zweite Satz: In Eton standen die Schüler in Haufen beieinander und lüfteten bei der Nennung ihres Namens die Mütze" (Unterstreichungen jeweils von W.W.) Im Rahmen unserer Überlegungen richtet sich unser Interesse auf die Übersetzung von "lift their hats". Hier gibt es zwei Erklärungen für "... lüfteten die Mütze ...". Entweder hat der Ubersetzer nicht gewußt, daß Eton-Boys Zylinderhüte tragen; in diesem Fall kann man ihm den Vorwurf mangelnden landeskundlichen Wissens nicht ersparen. Oder aber er hat, und dies ist übersetzungskritisch relevant, die fragliche Textstelle ganz bewußt in das Milieu des deutschen Gymnasiums des 19. Jahrhunderts übertragen, wo die Schüler tatsächlich Schülermützen trugen. In diesem Fall hat er also "prospektiv" und nicht "retrospektiv" (POSTGATE 1922) übersetzt. Es ist allerdings auch denkbar (darauf hat mich Rudolf SOELLNER aufmerksam gemacht), daß nicht der Ubersetzer, sondern der zuständige Verlagslektor eine solche Perspektivenverschiebung vorgenommen hat. I.d.R. operiert der Übersetzer nicht im Rahmen eines eigenen, sondern eines fremden Koordinatensystem, das er sich im Vollzug seiner Ubersetzung anverwandelt. Dieses Koordinatensystem repräsentiert das "unabänderliche Gehäuse" (Max WEBER), in dem sich der Ubersetzer aufgrund seiner Rollenbestimmung bewegt. Die Rollenbestimmung gestattet ihm die subjektive Sinngebung nur im Rahmen einer nachträglichen subjektiven Identifizierung mit dem objektiv vorliegenden Text. Für Selbstverwirklichungsbedürfnisse ist hier nur wenig Platz, weil die Rolle des Ubersetzers darin besteht, einem Publikum, das er nicht kennt, Gedanken, die nicht von ihm stammen, zu übermitteln. Der Ubersetzer ist nicht Textproduzent, sondern Textrezipient und Textreproduzent, auch wenn er dabei seinen eigenen formalen, semantischen oder pragmatischen Vorstellungen folgt. Die oft spannungsreichen Beziehungen zwischen Ausgangstextsender und Ubersetzer kann man in folgendem Zitat von WINOGRAD ablesen: "Language is a process of communication between intelligent active processors, in which both the producer and the comprehender perform complex cognitive operations. The producer begins with communicative goals, including effects to be achieved, information to be conveyed, and attitudes to be expressed. These include such things as: causing an action, either verbal or non-verbal, on the

48 part of the comprehender; causing the comprehender to make inferences or have reactions, either about the subject matter or about the interaction between producer and comprehender; conveying information about some thing assumed to be known to the comprehender; getting the comprehender to be aware of some new thing known to the producer; and directing the comprehender's attention to some thing or some of its properties, to establish context for a subsequent utterance" (1983, 13f.). Die Situation, in der der Ubersetzer steht, zwingt ihn zu einem Verhalten, in welchem er primär nicht sich selbst, sondern den zu übersetzenden Text wahrnimmt. Zwischen Ausgangstext, Ubersetzer und zs Empfänger bestehen kausaldynamische Beziehungen. Diese drei Variablen beeinflussen sich gegenseitig in der Weise, daß der Ubersetzer als abhängige Variable zwischen zwei unabhängigen Variablen, dem Ausgangstext und dem zs Empfänger, steht und auf diese beiden Variablen sein Handeln zuordnen muß. Eine Ubersetzung ist immer eine Reaktion auf einen vorausgegangenen Text; dieser bildet die Handlungsgrundlage, an die der Ubersetzer anknüpfen muß (H. BUHLER 1984, 255). Deshalb geht für mich die folgende programmatische Äußerung zu weit: "Translate sind Texte "eigenen Rechts". Sie basieren auf Ausgangsmaterial (sie), müssen aber unabhängig davon funktionieren ... Zieltexte werden von einem Translator unter dem Primat ihres eigenen Skopos produziert" (HOLZMfiNTTÄRI et al. 1986, 5). Relativ "frei" handelt der Ubersetzer, wenn es keine "Zieltextvorgaben" (NORD 1986, 17) gibt, wenn er also, aus welchen Gründen auch immer, die Zieltext-Perspektive selbst bestirmen muß, um die Funktionalität seiner Ubersetzung zu gewährleisten. In solchen Fällen befindet sich der Ubersetzer in einer makrokontextuellen Entscheidungssituation (Kap.V); diese ist ein konstitutives Merkmal eines jeden Übersetzerischen Tuns, sofern es sich als kooperatives Handeln versteht und nicht der Selbstprofilierung des Ubersetzers dient, wie sie etwa CICERO mit seinem Postulat des oratorischen Ubersetzens in exemplarischer Form vorgeführt hat (Kap.I). Mit seiner übersetzungspraktischen Dichotomie "ut orator" und "ut interpres" hat er zwei Squivalenzklassen postuliert. Vermutlich aus einem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und einem rhetorischen Geltungsstreben heraus hat er sich kompromißlos dem erstgenannten Prinzip verschrieben. Ubersetzen als verstehensbasierte Handlung Man kann die Funktion des Ubersetzers durch die Frage charakterisieren: "Was sagt der zu übersetzende Text transaktional (semantisch) und interaktional (pragmatisch) aus?" (BROWN/YULE 1983). Die ergänzende Frage: "Was habe ich als

49 Obersetzer dazu zu sagen?" wird virulent nur im Rahmen des vorgegebenen übersetzerischen Aktionsraums. Dieser Aktionsraum provoziert u.U. - je nach subjektiver Handlungskompetenz - eher Handlungsunsicherheit als Handlungssicherheit. In diesem Fall muß der Obersetzer mit dem "Risiko der mangelnden Zielerreichungsgarantie" (BLUMENBERG 1986, 22) leben. Wie sich ein Ubersetzer in einer Obersetzungssituation zu verhalten hat, ist, wie die notorische Diskussion zum üw Evergreen der "Übersetzungsäquivalenz" zeigt, außerordentlich schwer auf den Begriff zu bringen. Denn übersetzen ist trotz - oder vielleicht gerade wegen - des erwähnten Fremdtextbezugs keine buchhalterische Tätigkeit. Wer übersetzen will, braucht Erfahrung, kombinatorische Phantasie und methodischen Erfindungsreichtum, um die Richtung seines Handelns im Rahmen seiner Handlungsbedingungen eindeutig festzulegen und Konfliktsituationen zu entschärfen. Konfliktsituationen entstehen dadurch, daß der Übersetzer as Sachverhalte und Wertorientierungen durchschauen und in zieltextbestimmte Handlungen umsetzen muß. Diese Operationen glücken nicht jedem Übersetzer im gleichen Maße; übersetzerisches Verhalten ist die Funktion einer operativen Intelligenz, die auf einer unterschiedlich großen Menge sprachlichen und außersprachlichen Wissens beruht (Kap.IV). Die Frage, inwieweit bei diesem Prozeß alternative Möglichkeiten ins Bewußtsein treten, wird man vorwiegend texttypspezifisch beantworten müssen; in fachsprachlichen Texten ist die Hypothesenbildung des Übersetzers über die Funktion des Zieltextes sicher einfacher als in literarischen Texten oder in Texten, wo die außersprachliche Wirklichkeit nicht unmittelbar, sondern erst nach Durchlaufen eines kulturellen Filters (REISS/VERMEER 1984) weitergegeben werden kann. Je klarer die von außen gesetzten kommunikativen Bezugspunkte sind, je niedriger die Übersetzerischen Wahrnehmungsschwellen liegen, desto höher ist die Handlungssicherheit des Übersetzers und die Chance intertextueller Konsensbildung, desto geringer ist zugleich die Gefahr eines Wertkonflikts. Diese Handlungssicherheit beruht zunächst und vor allem auf dem umfassenden Verstehen des Ausgangstextes als notwendiger Vorphase übersetzerischer Handlungsvergewisserung (WILSS 1977b). "Einen Text angemessen zu verstehen, kann bedeuten, keine Verständnishilfen unbeachtet zu lassen, die historische, kulturelle, sozioökonomische Bedingtheit, die literarische Form, die psychologische (sie) Situation des Verfassers u.ä. zu berücksichtigen. Sofern diese Aspekte das Verstehen des Textes ermöglichen, erleichtern oder vervollständigen, wird und muß sich auch eine ausschließlich problemorientierte Interpretation dieser Verständnishilfen bedienen" (GATZEMEIER 1973, 293). Textuelle Verstehensprozesse können, müssen aber nicht müh-

50 sam sein. Sie sind da verhältnismäßig problemlos, wo empfängerseitige Verstehensvoraussetzungen und textseitige Verstehenserfordernisse konvergent sind. Nur für solche Fälle gilt m.E. KAPLANS fast apodiktisch anmutende Feststellung: "Language comprehension, one of our most intricate cognitive abilities, happens so automatically and with so little conscious effort that it is not easily susceptible to scientific observation or introspective analysis. Thus it is not surprising that there is still no satisfactory explanation of how the listener deciphers and assimilates the conceptual relationships that are conveyed by spoken and written language" (1975, 117). Differenzierter argumentieren VAN DIJK/KINTSCH, die zwar auch den Automatisierungsgrad von Verstehens- (und Produktions-)Prozessen verhältnismäßig hoch ansetzen, daneben aber von der Möglichkeit komplexer Verstehenssituationen sprechen: "... the production and comprehension of verbal utterances is an automatized activity. Unless an utterance has specifically difficult, problematic, or unusual properties, production and comprehension is not monitored at each step by the language user. If we do not know the meaning of a word, we may apply the strategy of asking somebody, consulting a dictionary, or guessing the meaning of the word from context, and if a sentence structure is particularly complex, we may - in written communication - backtrack and start reading again. Similarly, in discourse, we may have texts that are so complex that various external aids, such as schemata, summaries, or notes, are necessary to control the meaning of the text in production or comprehension. But such devices are rather special: Understanding and speaking are usually almost automatic processes" (1983, 70). Ziel des Verstehens des Ausgangstextes ist es, die Handlungsperspektiven von dessen Autor beurteilungskompetent nachzuvollziehen und daraus Zieltext-Orientierungen abzuleiten. Dabei ist der Übersetzer an Maßstäbe und Standards gebunden, die ihn - sozialwissenschaftlich gesprochen - zur Verhaltensanpassung zwingen (TOPITSCH 1984, 17ff.). Max WEBER hat gezeigt, daß Anpassung nur vor dem Hintergrund einer Norm ein sinnvoller Begriff ist. Folgerichtig ließe sich, wenn man die Normorientiertheit des Ubersetzers ernst nimmt, sagen, daß ein Ubersetzer dann besonders effizient arbeitet, wenn seine Anpassungsfähigkeit besonders ausgeprägt ist, wenn er seinen eigenen Sinnhorizont, seine eigene Erlebnis- und Wertwelt zugunsten eines fremden Sinnhorizonts, zugunsten fremder Erlebnis- und Wertwelten relativieren kann. Dazu bedarf es einer mentalen Ausstattung, in

51 der die "adaptive Flexibilität" (GUILFORD/HOEPFNER 1976) rollenspezifisch besonders ausgeprägt ist.

Andererseits ist übersetzen ein Prozeß der Vermittlung zwischen subjektivem und objektivem Sinn, zwischen Ich und Welt, ein Prozeß, in dem Prozesse selektiven Wahrnehmens und Verstehens eine große Rolle spielen. Das Verständnis eines zu übersetzenden Textes ist oft nicht gleichbedeutend mit Einverständnis. An die Stelle des identifikatorischen Verhaltens tritt dann ein kritisch-distanziertes Handeln. Hier zeigt sich, daß die Tätigkeit des Ubersetzers nicht durch mentale Passivität, sondern durch mentale Aktivität bestimmt ist. Typisch für die Rolle des Ubersetzers ist seine nicht immer genau bestimmbare Position zwischen Norm und Freiheit. Dabei kann man zwei Extremsituationen unterscheiden, erstens die Substitution von Sachverhalten im Kontext von (kulturell) übereinzelsprachlich gültigen Wfelten, zweitens die Modifikation von as Welten durch die Transformation einzelsprachlich repräsentierter Welten im Kontext der zs Sprach-, Kommunikations- und Kulturgemeinschaft. Dazwischen gibt es ein Spannungsfeld von unterschiedlichen Vorwegdispositionen, über die sich der Ubersetzer im Rahmen einer übersetzungsvorbereitenden Analyse des Ausgangstextes größtmögliche Gewißheit verschaffen muß. Der Erfolg des Ubersetzers beruht also in entscheidender Weise auf der Tragfähigkeit seines kognitiven Kalküls; dieses Kalkül basiert auf der Funktion der Ubersetzung als einer gerichteten Sprachhandlung. Diese manifestiert sich zwischen as Autor und Ubersetzer einerseits und zwischen Ubersetzer und zs Leser andererseits. Die Ubersetzung als methodisch kontrollierter Prozeß Um eine optimale Interdependenz zwischen Ausgangs- und Zieltext zu erreichen, ist es, besonders bei fachsprachlichen Texten, erforderlich, den Ubersetzungsprozeß bestimmten Standardisierungen methodischer Art zu unterwerfen. Ihr Sinn besteht darin, das komplexe Aufgabenfeld des Übersetzers in eine Anzahl von möglichst systematisch aufeinander aufbauenden methodischen Einzelschritten aufzulösen, in die allgemeine Erfahrungsregeln Eingang finden. Die Methode des einfühlenden Verstehens, die Max WEBER im sozialwissenschaftlichen Kontext diskutiert hat, genügt nicht, und WEBER war selbst vorsichtig genug, darauf hinzuweisen, daß sie weder universell anwendbar ist, noch in jedem Fall zuverlässig funktioniert. Ähnlich äußert sich HEMPEL: "Bloße Einfühlung und subjektives "Verstehen" geben keine Gewähr für objektive Gültigkeit, sie können keine Grundlage bilden für eine systematische Erklärung vergangener oder Prognosen zukünftiger spezifischer Phänomene. Beide Verfahren müssen auf allgemeinen empi-

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rischen Regeln, auf nomologischem Wissen aufgebaut sein" (1984, 93). Die Objektivierung seines Wissens erspart dem Ubersetzer eine Fülle von Unsicherheiten, denen er in seiner Doppelfunktion als Rezipient des Ausgangstextes und als Produzent des Zieltextes ohnedies nicht gewachsen wäre, vor allem dann nicht, wenn er seine Übersetzungstätigkeit "solitär" im Umgang mit sich selbst ausübt. Entgegen anderslautenden Behauptungen ist dies auch heute noch eher die Regel als die Ausnahme, auch wenn, vor allem im Bereich des freiberuflichen Obersetzens, die Möglichkeiten für eine Rückkoppelung zwischen Obersetzer und as Sender einerseits und Übersetzer und zs Empfänger andererseits deutlich besser geworden sind. Die Arbeitserleichterungen, die sich beim übersetzen im Gefolge objektivierten Wissens einstellen, erklären die außerordentliche Bedeutsamkeit methodologischer "Führungssysteme" (TOPITSCH 1984, 16). Wo von methodologischen Führungssystemen die Rede ist, muß natürlich auch gesagt werden, daß der Übersetzer erfolgreiche Verhaltensweisen, auch wenn sie systematisch eingeübt worden sind, wegen der Heterogenität natürlichsprachlicher Texte und der Vielschichtigkeit des zs Leserkreises nicht durchgängig beibehalten und erfolglose Verhaltensweisen ein für allemal verwerfen kann. Er kann auch nicht davon ausgehen, daß er psychophysisch stets gleich disponiert ist oder daß sein Tun auf einfache Transfersituationen beschränkt ist. Einfache Texte mit elementaren Verstehens- und Transferleistungen sind heute im menschlichen Obersetzungskontext nicht mehr relevant. Der Übersetzer muß damit rechnen, daß er gezwungen ist, immer wieder neue, methodisch überlegte Hypothesen über die Funktion der zu übersetzenden Texte zu bilden. Bei der Aufstellung solcher Hypothesen können Irrwege eine notwendige Zwischenphase im Prozeß der übersetzerischen Wahrheitsfindung sein. Sie ermöglichen es dem Übersetzer, aufgestellte Hypothesen zu modifizieren, das Risiko des funktionalen Fehlschlags einer Übersetzung zu reduzieren und zu einer im Rahmen des Möglichen objektiven Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit seines übersetzerischen Handelns zu gelangen. Der Übersetzer kann allerdings, wenn er seine Situation realistisch beurteilt, nicht alle Wertalternativen und Erfolgswahrscheinlichkeiten im Kontext einer homogenisierten übersetzerischen Methodologie erfassen und daraus im Rahmen einer optimalen Erwartungshaltung jeweils die günstigste Übersetzungsoption ableiten. So sind z.B. für literarische Texte ganz andere Textrezeptions- und Textproduktionsbedingungen maßgebend als etwa für fachsprachliche Texte. Von Marcel REICH-RANICKI stammt das Wort: "Der literarische, der künstlerische Text läßt sich auf sehr unterschiedliche, mitunter sogar auf gegensätzliche Weise verstehen und deuten". Und Marie-Luise KASCHNITZ hat gesagt: "Das gedruckte Gedicht, die gedruckte Geschichte sind Freiwild; sie gehören mir nicht mehr, und jeder kann sie sich

53 auslegen, wie er will". Und von Friedrich SCHILLER ("Uber das Schöne") stammt das großartige Wort: "Mitten im fruchtbaren Reich der Kräfte und mitten in dem heiligen Reich der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb unbemerkt an einem dritten fröhlichen Reich des Spiels und des Scheins, worin er dem Menschen die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt und ihn von allem, was Zwang heißt, sowohl im Physischen als im Moralischen entbindet." Solche Äußerungen machen SCHERNERs Frage verständlich, ob es "möglich sein wird, auch die historische Dimension des Textverstehens (Hermeneutik) kognitionswissenschaftlich zu rekonstruieren ..." (1984, 243f.). Natürlich ist der Ubersetzer prinzipiell verpflichtet, im Rahmen einer übersetzungsbezogenen Textanalyse alle übersetzungsprozessual relevanten Dimensionen systematisch zu erfassen, um den für das Erreichen des Gesamtziels möglichst günstigen übersetzerischen Zielfindungsweg zu ermitteln und einen geordneten Denkablauf zu ermöglichen. Dafür bedarf es einer Methode, die Teilpläne und Teilsysteme nicht mehr partiell analysiert, sondern von vornherein eine ganzheitliche Methode zugrundelegt. Diese Methode will den optimalen übersetzerischen Navigationspfad dadurch sichern, daß sich der Ubersetzer in der kognitiv aktiven Begegnung mit der erfahrbaren Welt der Texte jenes methodische Wissen aneignet, welches er braucht, um in Verbund mit allen anderen an einer Ubersetzung beteiligten Faktoren zu einer situationsadäquaten Zieltextproduktion zu kommen und die vielfältigen Verflechtungen von Handelndem und Handlungen im Rahmen eines quasi-kybernetischen Handlungsgefüges zu erkennen (HOLZ-MÄNTTÄRI 1984). Dieses methodische Wissen ist für denjenigen besonders wichtig, der versucht, trotz der in der Ubersetzungspraxis oft feststellbaren negativen Begleitumstände das Ubersetzen risikoärmer zu machen. Man kann die Verhaltensdisposition des Ubersetzers eigentlich nur dann richtig einschätzen und seine Leistung intersubjektiv richtig beurteilen, wenn man rekonstruieren kann, wie er intentional (im Rahmen eines Mittel/Zweck-Schemas) vorgegangen ist und wie er das rollenspezifische Dilemma Beobachtung des zu übersetzenden Textes und kritische Selbstbeobachtung - aufgelöst hat. Für eine Methodisierung des Ubersetzungsprozesses spricht natürlich vor allem übersetzungsdidaktisch sehr viel, aber es geht m.E. zu weit, effizientes Ubersetzen ausschließlich von der Zuschreibung eines stromlinienförmigen, womöglich algorithmisierten methodologischen Konzepts abhängig zu machen (MUDERSBACH 1979, MS; 1987, MS). Ein Zuviel an Festlegungen, an strukturell aufeinander bezogenen mentalen Abläufen, an Zwang und Monotonie kann das Gegenteil von dem bewirken, was eigentlich erreicht werden sollte. Mir scheint es realitätsnäher, den Ubersetzungsprozeß als einen

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Fall der methodisch kontrollierten Einwirkung des Ubersetzers auf den zu übersetzenden Text aufzufassen; diese methodisch kontrollierte Einwirkung gibt dem Obersetzer die Möglichkeit, aufgrund seiner eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und mentalen Dispositionen eine Handlungsstrategie zu entwickeln, für die er rechenschaftspflichtig ist. Arbeitet ein Ubersetzer allein und nicht im Team, so kann man seine Handlungsvorbereitung als inneren Dialog mit dem Text und die Handlungsdurchführung als Ergebnis dieses inneren Dialogs auffassen. Übersetzungsprozesse haben als spezifische Handlungen einen objektiven Sinn, aber dieser ist durch einen subjektiven Handlungssinn mitbestimmt. Dieser Dialektik hat MARQUARD durch das Postulat einer Wechselbeziehung zwischen "code-knackender" und "hermeneutischer Verstehenstheorie" Rechnung zu tragen versucht: "... die code-knackende Verstehenstheorie ... begibt sich methodisch-künstlich heraus aus jener - phänomenologisch ausgezeichneten - Situation, in der wir lebenswelttagtäglich existieren: aus der lebensweltlichen Situation der immer schon (irgendwie) verstandenen oder vorverstandenen Sprache, des immer schon (irgendwie) verstandenen oder vorverstandenen Textes, der immer schon (irgendwie) verstandenen oder vorverstandenen Sozialwelt. Bei dieser aber setzt die Hermeneutik an: die code-knackenden Wissenschaften gehen aus von der grundsätzlich fremden, noch unverstandenen Welt (Sprache, Literatur, Sozietät); die Hermeneutik geht aus von der grundsätzlich vertrauten, schon verstandenen Welt (Sprache, Literatur, Sozietät); darum ist die hermeneutische Rekursinstanz nicht der 'Code', sondern die Geschichte" (1981a, 587). Das Handlungsumfeld des Ubersetzers Wenn man dem Ubersetzen überhaupt eine systematische Handlungsperspektive zuschreiben kann, muß diese aus drei Gründen relativiert werden: 1. weil man auf Identität und Begabung des Übersetzers Bezug nehmen muß, 2. weil der Aspekt der Selbsteinschätzung der Fähigkeiten und Kenntnisse des Übersetzers wichtig ist, 3. weil es noch keine vollständigen Beschreibungen komplexer Texte gibt, wie sie in der Ubersetzungspraxis tagtäglich anfallen. Die Schwierigkeiten der übersetzerischen Handlungssituation werden noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, daß die übersetzerischen Handlungsbedingungen komplex und multifaktoriell sind. So können in einem übersetzerischen Handlungsablauf sozialpsychologische, individualpsychologische, ökonomische und verhaltenspsychologische Faktoren wie Auftragsspezifikation, Rückfragemöglichkeit, Zeitdruck etc. virulent werden. Dies sind Faktoren, die der Übersetzer

55 nicht ohne weiteres oder überhaupt nicht in ein integriertes Handlungskonzept umsetzen kann. Man kann deshalb den Ubersetzungsprozeß nur in verhältnismäßig bescheidenem Umfang methodisch parametrisieren. Am ehesten geht das im Bereich fachsprachlicher oder institutioneller Texte. Ihr Gestaltungsanspruch besteht darin, ein hinlängliches und verbindliches Instrument für sachverhaltsspezifisches Handeln zu schaffen (Kap.VI). Hier haben situative Gegebenheiten mehr handlungsbestimmenden Charakter als personelle Faktoren. Auch darf man nicht vergessen, daß, von hochroutinisierten Übersetzungsleistungen abgesehen, wie sie ein entsprechend programmierter Computer zu erbringen vermag, übersetzerisches Handeln, wie jede Art des Handelns, einer speziellen Stimmungslage und einem spezifischen Weltverständnis unterworfen ist. ACHAM hat darauf hingewiesen, daß in der zeitgenössischen Erkenntnistheorie die Tendenz besteht, den Zusammenhang zwischen individuellen Wertvorstellungen und vor- und außerwissenschaftlichen Erfahrungen und Fertigkeiten zu ignorieren (1983, 169; s. auch LAKOFF 1982 und LANGACKER 1983, 65ff.) (Kap.VIII). Von dieser Tendenz ist auch die moderne Sprachtheorie nicht frei, und Ähnliches scheint sich nun auch in der modellorientierten Übersetzungstheorie abzuzeichnen. Sie geht offenbar davon aus, daß das Verhältnis zwischen as Sender, Übersetzer und Empfänger des Zieltextes durch gemeinsame Wertorientierungen und Werterwartungen charakterisiert ist, die sich beim Übersetzen in Form von internalisierten Verhaltensmaximen niederschlagen. Auf der Basis eines rein funktionalistischen Programms wird ein Zielzustand postuliert, der durch Konsens und Konformität charakterisiert ist. Daß man dieses Postulat leicht widerlegen kann, mag vom szientistischen Standpunkt aus ein Ärgernis sein, aber man sollte die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, daß übersetzen keine Selbstregulierungsmechanismen mit idealisierten Bedingungskonstellationen aufweist: "Can we have a scientific definition of personality? ... A huge gap exists between the arrays of an individual's neural structure and the decisions that individuals make about socially meaningful messages that hop to and fro along their neural pathways" (FISHER 1985, 1). übersetzerisches Handeln wird durch drei Faktoren konstituiert, 1. durch ein handlungsfähiges Subjekt, den Übersetzer, 2. durch einen handlungsauslösenden Objektbereich, den Ausgangstext, 3. durch einen handlungsrezipierenden Empfänger, der erwarten darf, daß der Zieltext seinen speziellen Bedürfnissen entspricht, die der Auftraggeber u.U. genau spezifiziert hat (J.C. SAGER 1984, 339).

56 Handlungssubjekte können als Einzelperson oder - seltener als Kollektiv tätig werden. Ihr Handeln ist dann zielgerichtet, "wenn sich die Handlungen des Subjektsystems an den voraussichtlichen Handlungswirkungen und damit verbundenen angestrebten Zustandsausprägungen im Objektsystem orientieren" (ZANGEMEISTER 1977, 334). Ziel übersetzerischen Handelns ist Wirkungsgleichheit (Wirkungsähnlichkeit) zwischen Ausgangs- und Zieltext. Sie ist dann (approximativ) erreicht, wenn der Ubersetzer erfolgreich versucht hat, zwischen Ausgangs- und Zieltext ein semantisches, funktionales und pragmatisches Gleichgewicht herzustellen und sein Handeln am Prinzip des "tertium comparationis" festzumachen (Kap.VI). Die Beachtung des "tertium comparationis" beläßt dem Ausgangstext seine Eigenständigkeit; sie schließt gleichzeitig aus, daß der Ubersetzer die jeweils maßgeblichen Übersetzungsprozeduren in eigener Regie bestimmt, es sei denn, eine Ubersetzung ist ein bewußtes und beabsichtigtes Spiel zwischen dem Ausgangstext und den kreativen Möglichkeiten des Ubersetzers. Wie jedes kommunikative Handeln, so verlangt auch das Ubersetzen, wenn es ökonomisch und mit dem vom Empfänger stillschweigend erwarteten Maß an Effizienz betrieben werden soll, eine kognitive Zielplanung, die nicht nur analytisch, sondern auch hermeneutisch ausgeprägt sein kann (Kap.I). Hermeneutische Ansätze sind vor allem dann notwendig, wenn der zu übersetzende Text nur in begrenztem Umfang systematisch durchdacht werden kann, weil für den Ubersetzer nicht alle handlungsrelevanten Merkmale und Dimensionen einer spezifischen übersetzerischen Problemsituation erkennbar sind. Dies trifft z.B. zu, und dieser Fall ist in der Ubersetzungspraxis häufig, wenn der Ubersetzer den Autor des Ausgangstextes nicht kennt oder, u.a. aus Termingründen, nicht in Erfahrung bringen kann, für wen der von ihm zu übersetzende Text bestimmt ist. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der zs Leserkreis anonym ist oder auf eine Rückkoppelung mit dem Ubersetzer aus welchen Gründen auch immer gar keinen Wert legt. Es wäre deshalb eine nicht zuletzt unter übersetzungspsychologischem Aspekt lohnende Aufgabe, die Ubersetzungspraxis einmal daraufhin zu durchleuchten, ob das von HOLZ-MÄNTTÄRI (1984) kompromißlos aufgestellte Postulat der Kooperation zwischen Ubersetzer und zs Empfänger einerseits und Auftraggeber andererseits in großem Umfange tatsächlich praktiziert wird. Wenn man als wesentliches Merkmal übersetzerischen Handelns versteht, daß ein Ubersetzer im Rahmen eines psychischen Gesamtprozesses sorgfältig abwägt und begründet, welche Mittel er zur Erreichung des angestrebten Ziels einsetzen will, hängt das damit zusammen, daß jeder Ubersetzungsprozeß eine den ausgangstextuellen Widerstand durchlaufende und überwindende Bewegung ist. Dabei ist nicht ausgeschlos-

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sen, daß sich der Übersetzer manchmal selbst im Wege steht, daß er sich wegen der Diskrepanz zwischen seinem übersetzerischen Können und der ihm übertragenen übersetzerischen Aufgabe zwischen alle Stühle setzt, daß Kompetenzzweifel entstehen. Diese werden dadurch genährt, daß der Ubersetzer Erfahrungen, die bereits im Ausgangstext von der unmittelbaren Lebenswirklichkeit abgelöst sind, zum zweitenmal auf eine sprachliche Symbolebene transformieren muß. Diese Vermittlungssituation ist schwierig; sie enthält nicht nur eine Erfolgschance, sondern birgt auch die Gefahr einer Entfremdung, eines Zwiespalts zwischen dem zu übersetzenden Text und dem eigenen Ich in sich. Dazu kommt, daß der oft nicht vermeidbare Rückzug auf die individuelle Erfahrung den Verlust intersubjektiver Akzeptanz einer Übersetzung bedeuten kann. übersetzen ist selten eine methodische Einbahnstraße; es ist eher, wenn man sich die Fälle der möglichen konkreten übersetzerischen Verhaltensweisen vor Augen hält, ein Neben- und Miteinander, u.U. auch ein Gegeneinander vieler Wege. Diese laufen auseinander und zusammen und führen nach und nach zu einem Handlungskonzept, das nicht nur auf objektiven, sondern auch auf subjektiven Kognitionen beruht. Ob diese Kognitionen immer bewußter Art oder manchmal auch unbewußter Art sind, ist m.E. sekundär, zumal die Handlungstheorie sich inzwischen darüber im klaren ist, daß auch unbewußte kognitive Prozesse in einem handlungstheoretischen Kontext berücksichtigt werden müssen (KALBERMATTEN 1984, 663). Ubersetzungsprozesse lassen sich auf der Basis von automatisierten Verhaltensmustern nicht vollumfänglich kanonisieren; der Übersetzer arbeitet im Rahmen seiner spezifischen Rolle auch nach subjektiven Handlungsplänen (MILLER et al. 1960). Der Übersetzer muß je nach seinem spezifischen übersetzungsauftrag seine Handlungspläne immer wieder neu entwerfen und seine Blickrichtung immer wieder neu festlegen; er kann sich dabei nur in bescheidenem Umfang auf alte, im Gedächtnis gespeicherte Handlungspläne stützen, weil viele Texte etwas Episodisches an sich haben. Deshalb sind einer instrumenteilen Konditionierung des Übersetzers verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt, zumal es von Übersetzer zu Übersetzer erhebliche Unterschiede dahingehend gibt, wie er Wissen erwirbt, welche Art von Wissen er erwirbt und auf welche Weise er Wissen aktiviert und kombiniert. Wo übersetzt wird, sind die mentale Verfassung des Übersetzers, sein übersetzerischer Erfahrungshorizont, seine Fähigkeit, makro- und mikrokontextuelle Entscheidungen zu treffen, Transferregularitäten zu erkennen, dispositionelle Konstanz, Anspruchsniveau, die Kongenialität (bzw. Nichtkongenialität) des zu übersetzenden Textes, Erkennen von Textnormen, die relative Korrespondenz zwischen dem Schwierigkeitsgrad des zu übersetzenden Textes und der Transferkompetenz des Übersetzers, die subjektive Kompetenzein-

58 Schätzung, der Grad an syntaktischer, lexikalischer und soziokultureller Kontrastivität zwischen AS und ZS, die Variabilität des zs Ausdruckspotentials, Textkomplexitätsgrad, Interaktion zwischen Motivation und Kognition etc. wichtige Gesichtspunkte für effektive Übersetzungsprozesse. Diese Faktoren müßten unter Rückgriff auf die Erkenntnisse der Kreativitätspsychologie stärker binnendifferenziert werden, als es bisher geschehen ist (Kap.VI). Vermutlich würde sich dabei ergeben, daß sich rationale, emotionale, normorientierte und normabweichende Verhaltensweisen in übersetzerischen Handlungssituationen oft überlagern, daß es eine einheitliche Natur des Übersetzungsprozesses nicht gibt und daß man die Subjektivität übersetzerischer Verhaltensweisen nicht hinwegargumentieren kann. Es liegt nun einmal im Wesen des subjektiven Bewußtseins, seine Vorstellungen und Intentionen in die Wirklichkeit umzusetzen. Diese Überlegungen zielen in die Richtung einer Theorie der Bewußtseinsinhalte und Bewußtseinszustände, die auch die Tatsache berücksichtigt, daß sich Individuen offensichtlich darin unterscheiden, "inwieweit sie sich in der Aufforderungs- und Ausführungsphase einer Handlung durch Erlebnisinhalte begleiten und steuern lassen. So unterscheiden sich etwa "Impulsive" und "Reflexive" darin, inwieweit sie in Problemsituationen die Güte ihrer Lösungsbemühungen überprüfen. Der Grad der kognitiven Handlungssteuerung ist danach bei reflexiven Personen größer als bei impulsiven Personen" (SCHMÄLT 1984, 542; vgl. Kap.V). Dementsprechend unterschiedlich ist auch das Maß an Motivation, die sich, als Voraussetzung übersetzerischen Handelns, nach den Wertperspektiven richtet, die übersetzerisches Handeln steuern. Deshalb ist es auch oft so, daß verschiedene Übersetzer bei der Übersetzung ein und desselben Textes zu einer unterschiedlichen Abschätzung ihrer Handlungseffekte kommen (Kap.IV). Fazit: Der Übersetzer muß lernen, sein übersetzerisches Handeln rational zu kalkulieren, doch muß man sich davor hüten, dem methodologisch fundierten Handlungsrahmen den Status eines "geschützten Axioms" zu verleihen, das nicht mehr kritisierbar ist. Man kann den wissenschaftlichen Umgang mit den Problemen des Übersetzers nicht dadurch zu einer strengen Wissenschaft machen, daß man Methodenperfektionierung - mit dem oft dazugehörigen wichtigtuerischen Pomp - betreibt. Methoden sind immer nur Erkenntnismittel, nie Erkenntniszweck. Die ÜW muß die Wirklichkeit, in die der Übersetzer hineingestellt ist, und die Rolle, in der er sich befindet, in jenen besonderen Zügen erfassen, die in dem jeweiligen Übersetzungskontext bedeutsam sind. Ich meine deshalb, daß der ÜW mit einem Konzept begrenzter Rationalität mehr gedient ist, als mit einem verabsolutier-

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ten Rationalitätsmodell. Ich kann mich dabei auf Max WEBER berufen, für den es selbstverständlich war, daß es neben rationalen Handlungsweisen auch affektbestimmte, selbsterfahrene Handlungsweisen gibt; diese werden in Übersetzungshandlungen - je nach Obersetzungskontext - auf unterschiedliche Weise wirksam. Wie eng oder wie weit der Rahmen übersetzerischen Erkennens und Handelns auch gesteckt sein mag, stets liegt ein moralischer Anspruch auf adäquate Aufgabenbewältigung vor. Insofern wir als Übersetzer tätig werden, müssen wir daran interessiert sein, uns Rechenschaft über unser Verhältnis zu dem von uns zu übersetzenden Text zu geben. Das Verhältnis zu diesem Text ist aber immer auch ein Verhältnis zu uns selbst als Person, die zum Zweck der Erledigung eines Übersetzungsauftrags in die Rolle des Übersetzers geschlüpft ist. Die während eines übersetzungsprozesses ablaufenden Bewußtseinsprozesse sind unterschiedlicher Art; sie können, müssen aber nicht zu einem homogenen Zielzustand führen. Alle erreichten Zielzustände sind akzeptabel oder zumindest diskutabel, solange der Übersetzer die bewirkten Handlungsergebnisse vor dem Autor des Ausgangstextes, dem zs Empfänger und nicht zuletzt vor sich selbst mit überprüfbaren Gründen verantworten kann. Die überprüfbarkeit ist an die Problemlösungskompetenz des Übersetzers gebunden. Davon mehr im nächsten Kapitel.

60 IV. Der übersetzungsprozeß als Problemlösungsoperation

Der Stand der Problemlösungsdiskussion in der Übersetzungswissenschaft Es ist, wie im Vorwort festgestellt, eine altbekannte Tatsache, daß der Übersetzer bei seiner Tätigkeit mit Problemen rechnen muß. Von der Übersetzung interlingual hochstandardisierter Texte abgesehen, gibt es kein problemloses übersetzen. Übersetzungsprobleme können sehr unterschiedlicher Art sein; sie können sich auf die semantische, funktionale und pragmatische Gesamt- oder Teilkonstitution eines Textes beziehen; sie können aber auch (und vor allem) die sprachliche Dimension eines Textes unter lexikalischem, syntaktischem oder stilistischem Gesichtspunkt betreffen. Übersetzungsprobleme sind wie Stromschnellen, um die man vorsichtig herummanövrieren muß, wenn man sein Ziel, aus der Textvorlage eine sprachlich und außersprachlich akzeptable Übersetzung zu machen, nicht aus den Augen verlieren will. Wer übersetzt, muß damit rechnen, daß er in Konfliktsituationen gerät, aus denen er allein mit Hilfe seiner übersetzerischen Intuition nicht herausfindet, übersetzen ist, salopp ausgedrückt, eine mehr oder minder komplizierte Denksportaufgabe, für die oft keine generell praktikable Verhaltensweise, keine routinemäßige Programmierung zur Verfügung steht. Der Übersetzer muß für die Beseitigung von Übersetzungsproblemen Problemlösungsmethoden entwickeln und ihre Leistungsfähigkeit anhand gleichermaßen text- wie texttypspezifischer Beurteilungsmaßstäbe überprüfen. Die Diskussion über Problemlösungsmethoden (Problemlösungsstrategien) wird in der Psychologie (DUNCKER 1945; 1963) und vor allem in den Wirtschaftswissenschaften schon seit längerer Zeit geführt (KIRSCH 1970; 1971a und b; NEWELL/ SIMON 1972); sie zeigt, daß Problemlösen als klassische kognitive Funktion, als "Grundtypus des Denkens" (SEEBASS 1981, 112) als "Prototypen der kognitiven Tätigkeit" (AEBLI 1981, 13) gilt: "Kognitive Tätigkeit - Denken - ist Sicherung, Aufbau und Ausbau der Strukturen des Handelns, des Operierens, des Wahrnehmens und des Deutens. Wo anders sollte Anlaß zum Denken entstehen, als wo dem Menschen sein Handeln, sein Rechnen, sein Wahrnehmen und sein Deuten problematisch wird? ... Immer wieder ist der Mensch auf sich selbst angewiesen. Er muß sein Tun und sein Sehen aus

61 eigenen Kräften ordnen. Das nennen wir Problemlosen" (AEBLI 1981, 13). In einer Handlungssituation entsteht ein Problem, wenn der oder die Handlungsbeteiligten auf eine unvorhergesehene oder routinemäßig nicht zu bewältigende Schwierigkeit stoßen. "Ein "Problem" entsteht ... dann, wenn ein Lebewesen ein Ziel hat und nicht "weiß", wie es dieses Ziel erreichen soll. Wo immer der gegebene Zustand sich nicht durch bloßes Handeln (Ausführen selbstverständlicher Operationen) in den erstrebten Zustand überführen läßt, wird das Denken auf den Plan gerufen. Ihm liegt es ob, ein vermittelndes Handeln allererst zu konzipieren. Die "Lösung" eines solchen praktischen Problems hat somit zwei Forderungen zu genügen: ihre Verwirklichung (Umsetzung in die Praxis) muß erstens die Verwirklichung des erstrebten Zustandes zur Folge haben und zweitens vom gegebenen Zustand aus durch "bloßes Handeln" erreichbar sein" (DUNCKER 1963, 1; ähnlich GUILFORD/HOEPFNER 1971, 48 und STKUDE1 1987, 6). Ein solcher in der einschlägigen Literatur öfters diskutierter Fall ist das sog. Kannibalen/Missionar-Problem: Auf einer Seite des Flusses befinden sich drei Kannibalen und drei Missionare. Sie haben ein Boot mit einem Fassungsvermögen von zwei Personen. Alle sechs Personen wollen auf die andere Seite des Flusses. Zu keinem Zeitpunkt dürfen auf einer der beiden Seiten des Flusses mehr Kannibalen als Missionare sein, weil erstere sonst letztere verspeisen würden. Wie kommen alle sechs Personen über den Fluß, und zwar so, daß sich auf einer der beiden Flußseiten nie mehr Kannibalen als Missionare befinden (KRAUSE 1982b, 143; vgl. auch ANDERSON 1980, 269)? Den meisten Problemlösungsaktivitäten ist gemeinsam, daß sie auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum beruhen. Es kann zwar vorkommen, daß sich die Lösung eines Problems als plötzliche Erleuchtung einstellt (Kap.VII), aber: "Eine große Zahl von Problemen erfordert den sukzessiven Abruf einzelner Objekt- und Relationsbegriffe und ihre Kombination zu einer Lösungsstruktur. Diese Kombination erfordert häufig Konstruktionsprozesse, die lange Zeit dauern und in deren Ablauf man vergeblich nach einem Moment der plötzlich aufleuchtenden Einsicht suchen wird" (AEBLI 1981, 60). In diesem Sinne hat DEWEY bereits 1910 sein richtungweisendes Problemlösungsfünfschrittschema vorgeschlagen: 1. Problemerkennung, 2. Problemdefinition, 3. Problemlösungsvorschläge, 4. Vermeidung von unerwünschten Konsequenzen einer Problemlösungsstrategie, 5. Ergebnisbeurteilung.

62 Die Mehrstufigkeit von Problemlösungsmethoden beruht auf einem Umstand, den BUNGE folgendermaßen formuliert hat: "Between the recognition of a problem and its Solution there are - in the psychological order - various stages: the preparation, or assimilation of relevant knowledge; the imagining and trial of various hypotheses; the synthesis that seems to solve the problem, and, finally, the test of the conjecture. All psychical dispositions ... take part in these stages" (1962, 117f.). Einen deutlichen Aufschwung hat die Problemlösungsdiskussion durch die Entwicklung der Spieltheorie erfahren: Hier geht es darum herauszufinden, wie sich ein Spieler in einer bestimmten Spielsituation verhält, um sein Ziel zu erreichen, wobei er die zu erwartenden Spielzüge seines Gegenspielers in sein eigenes Kalkül einbezieht. In der ÜW war bisher von Problemlösen im Sinne einer systematischen, deskriptiven Methode wenig die Rede, vielleicht auch deswegen, weil übersetzerische Lehr- und Lerninhalte bisher nur wenig festgelegt sind. Der Begriff Problemlosen/ Problemlösung fehlt u.a. im Stichwortregister von REISS/ VERMEER (1984), HOLZ-MKNTTÄRI (1984) und VERMEER (1986a); auch in der programmatischen Einleitung von SNELL-HORNBY zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband (1986) gibt es keinen entsprechenden Hinweis. Das heißt nicht, daß die ÜW kein ausgeprägtes Problembewußtsein besitzt oder besessen hat: Uw Titel, in denen das Wort "Problem" oder "Problematik" vorkommt, sind Legion (D. LEHMANN 1982). Aber das Problemverständnis, das in diesen Publikationen zum Vorschein kommt, ist uneinheitlich, und die Vorschläge für die Aufarbeitung von Obersetzungsproblemen oder Ubersetzungsschwierigkeiten (zum Versuch einer begrifflichen Differenzierung vgl. NORD 1987a) scheinen, so durchdacht sie im einzelnen sein mögen, bisher eher vorläufiger Art zu sein. Diese Feststellung ist kein Werturteil, sondern soll zum Ausdruck bringen, daß die ÜW offenbar große Schwierigkeiten hat, für ihren Objektbereich ein intersubjektiv stabiles Problemlösungsforschungsparadigma festzulegen. Dies gilt vor allem für die unter dem Problemlösungsaspekt besonders wichtige Angewandte ÜW (Ubersetzungsdidaktik), deren begriffliche und methodologische Perspektiven neuerdings POULSEN (1987) kritisch diskutiert hat. Dafür gibt es zwei Gründe: 1. Die Angewandte ÜW muß - im Gegensatz zur kontrastiven Linguistik und auch zum multilateralen Übersetzungsvergleich (WANDRUSZKA 1969) - parole-orientiert argumentieren. Anders, etwas technischer ausgedrückt: Sie muß primär funktionalistisch, nicht strukturalistisch denken und handeln; sie steht, um mit KANNGIESSER (1977) zu sprechen, nicht im Zentrum einer "C-Matrix" (C = CHOMSKY), sondern einer "FMatrix" (F = Funktion; W.W.).

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"Linguistischer Strukturalismus und linguistischer Funktionalismus unterscheiden sich ... nicht nur durch einen inhaltlich verschiedenen Fragetypus, sondern auch durch eine formal wohl unterschiedene Problemperspektive" (FINKE 1977, 48). 2. Wie jeder parole-orientierte Zweig der Sprachwissenschaft, so steht auch die Angewandte ÜW im Rahmen lebensweltlich entwickelter sprachlicher, außersprachlicher und soziokultureller Handlungszusammenhänge. Dabei können Texte je nach Mitteilungsabsicht und Textherstellungskompetenz des as Autors, nach ihrem Explizitäts- bzw. Implizitätsgrad und nach ihrer Texttypzugehörigkeit unterschiedliche "TextKontext-Relationen" (SCHMIDT 1976) aufweisen. Dies läuft auf unterschiedliche Bedingungen für die Realisierung des zs Gesamttextes hinaus. Es ist daher wahrscheinlich kein Zufall, daß die ÜW den Begriff "Ubersetzungsdidaktik" erst in jüngerer und jüngster Zeit thematisiert hat (WILSS 1977a; 1978a; 1982; WILSS/THOME 1984; HENSCHELMANN 1980; DELISLE 1981; NEWMARK 1981; GALLAGHER 1981; 1982; HÖNIG/ KUSSMAUL 1982; TRUFFAUT 1983; KÖNIGS 1987 u.a.). Die Schwierigkeiten bei der text- und texttypspezifischen Untersuchung übersetzerischer Sachverhalte hängen wohl damit zusammen, daß übersetzen eine kognitive Tätigkeit ist, die sprachliche Äußerungen auf dynamische Weise erfaßt. Sie sieht sich mit Fragen konfrontiert, für deren Beantwortung oft keine festen operativen Verhaltensweisen zur Verfügung stehen. Die von der modernen Wissenschaftstheorie nach naturwissenschaftlichem Vorbild erhobenen Forderungen nach Objektivität und Wertfreiheit der praktizierten Verfahrensweisen kann die ÜW nur in begrenztem Umfang erfüllen. Die ÜW befindet sich also in einer methodologisch schwierigen Schnittpunktsituation. Hält sie an dem Anspruch fest, die Übersetzungsproblematik als Ganzes erschöpfend zu erfassen, sieht sie sich einem grundsätzlichen Dilemma gegenüber. Sie muß entweder einen im buchstäblichen Sinn grenzenlosen Objektbereich methodisch aufarbeiten; oder sie entscheidet sich für eine selektive Betrachtungsweise. So oder so ergibt sich früher oder später ein "Relevanz"-Problem (SPERBER/WILSON 1986). übersetzen als Aufgabenlösung und als Problemlösung Selbstverständlich bedarf jeder Kommunikationsprozeß, der auf Verständigung über außersprachliche Sachverhalte abzielt, eines Minimums an sprachlicher Verhaltensstabilität; er vollzieht sich deshalb nach sprach- und situationsabhängigen Gesetzmäßigkeiten. Diese üben im kommunikativen Verhalten des Sprachbenutzers im allgemeinen und des Übersetzers im besonderen eine handlungsleitende Funktion aus und ermöglichen in bestimmtem Umfang eine quasi-kybernetische Selbststeuerung interlingualer Kommunikation.

64 Jede Obersetzung stellt den mehr oder minder erfolgreichen Versuch einer Synchronisation von syntaktischen, lexikalischen und idiomatischen Regelmengen zweier Sprachen dar. Allerdings sind diese Regeln, wie die Obersetzungspraxis Tag für Tag zeigt, z.T. so subtil, daß ihre Beschreibung unter problemlösungsmethodischem Aspekt alles andere als einfach ist, und zwar aus folgendem Grund: Viele Übersetzer tendieren dazu, z.T. weil sie methodisches übersetzen nicht gelernt haben, z.T. weil sie in der Obersetzungspraxis ständig unter massivem Zeitdruck stehen (Kap.III), "drauflos zu übersetzen", d.h., sie sehen nur die zu erledigende Aufgabe, aber nicht die mit der Aufgabenlösung verbundenen Probleme. M.a.W.: Sie grenzen nicht oder nicht deutlich genug Aufgabe und Problem gegeneinander ab. "Aufgaben sind geistige Anforderungen, für deren Bewältigung Methoden bekannt sind ... Aufgaben erfordern nur reproduktives Denken ..." (DÖRNER 1979, 10). Ein Problem ist dagegen "durch drei Komponenten (gekennzeichnet): 1) Unerwünschter Anfangszustand ... 2) Erwünschter Endzustand ... 3) Barriere, die die Transformation (in den Endzustand) ... im Moment verhindert ... Was für ein Individuum ein Problem und was eine Aufgabe ist, hängt von seinen Vorerfahrungen ab. Für den Chemiker ist die Herstellung von Ammoniak aus Luft kein Problem, sondern eine Aufgabe. Für den Laien im Bereich der Chemie ist die Ammoniaksynthese ein äußerst schwieriges Problem. Bei einer Aufgabe fehlt von den drei oben aufgezählten Komponenten der Problemsituation die dritte, nämlich die Barriere" (DÖRNER 1979, 10f.). Eine Verwechslung von Aufgabe und Problem ist vor allem bei Übersetzerstudenten oft beobachtbar, weil das Problembewußtsein, zumindest in der Anfangsphase der Ausbildung, unterentwickelt ist. Die Folge sind eklatante Fehlleistungen, die hätten vermieden werden können, wenn der Übersetzer ein durchdachtes Problemlösungsprogramm aufgestellt und dieses Programm in einer Folge von methodisch kontrollierten Problemlösungsschritten in die Zieltext-Wirklichkeit umgesetzt hätte. Makro- und mikrokontextuelle Problemperspektiven Eine weitere Ursache für die Schwierigkeiten bei der Überwindung von übersetzerischen Barrieren ist der Umstand, daß in vielen Ubersetzungssituationen motivationale Bedingungen im Spiel sind. Diese lassen sich nicht in ein Problemlösungsmodell integrieren, wenn wir unter Problemlösungsmodellbildung den Versuch verstehen, eine Übersetzungssituation in einen überschaubaren Darstellungs- und Begründungszusammenhang mit einer begrenzten Zahl von Parametern auf-

65 zulösen und daraus eine abstrakte Theorie der Übersetzungsäquivalenz aufzubauen. Ein solches Modell kann, so wünschenswert dies wäre, dem Ubersetzungspraktiker, wenn er als Problemloser tätig ist, die eigentliche konkrete Problemlösungsarbeit nicht abnehmen, zumal objektiv vorfindbare Obersetzungsprobleme von den einzelnen Übersetzern (und Ubersetzerstudenten) nicht in gleichem Maß als subjektive Ubersetzungsschwierigkeiten empfunden werden: "... der translatorische Schwierigkeitsgrad eines Texts (ist) wohl weniger ein absolutes Charakteristikum eines Texts, als ein Merkmal, das dieser Text aus der Sicht eines bestimmten Übersetzers hat ..." (SCHMITT 1986, 253) . Was für den einen Ubersetzer ein Problem ist, ist für einen anderen, routinierteren, eine Aufgabe. So erklärt sich, daß sich mehrere Übersetzer mit z.T. sehr unterschiedlichen stilistischen Mitteln und auf unterschiedlich langen (oder kurzen) Problemlösungsbahnen auf das zs Textprodukt hinbewegen (Kap.III). Dabei ist ihr übersetzerischer Handlungsspielraum auf der makrokontextuellen Ebene des Gesamttextes vielfach begrenzter als auf der mikrokontextuellen Ebene des Satzes und der Ebene satzkonstituierender Satzsegmente; deshalb muß man zwischen makrokontextuellen und mikrokontextuellen Problemperspektiven unterscheiden. Für makrokontextuelle Problemlösung braucht der Ubersetzer einen übergeordneten Gesamtplan, der sich an der Gesamtkonstitution des zu übersetzenden Textes orientiert und somit eine beliebige Sinnentnahme ausschließt. D.h., der Übersetzer muß sich darüber schlüssig werden, worum es in dem betreffenden Text inhaltlich geht, welche Mitteilungsabsicht ihm zugrundeliegt und für welchen Leserkreis der Zieltext bestimmt ist. Hier genügt meistens eine Groborientierung, wobei die LASSWELL-Porme1 mit ihren sieben Peristasen als makrokontextuelles Problemlösungsschema hilfreich sein kann. Es ist naheliegend, daß ein fachsprachlicher, ein werbesprachlicher, ein narrativer oder ein literarischer Ausgangstext in der ZS i.d.R. als fachsprachlicher, werbesprachlicher, narrativer oder literarischer Text rezipiert wird. Es ist unwahrscheinlich, daß sich solche Texte für die verschiedenen Kommunikationsbeteiligten - as Sender, Übersetzer, zs Leser - unterschiedlich darstellen. M.a.W.: Zwischen Ausgangstext und Zieltext besteht i.a. "Funktionskonstanz", auch wenn sie verschiedenen Kulturgemeinschaften angehören (HÖNIG/ KUSSMAUL 1982). Der Ubersetzer muß keine grundlegenden "reader-based shifts" (BLUM-KÜLKA 1986, 34) vornehmen. Funktionsvarianz ist eher die Ausnahme als die Regel. Die Feststellung von NORD, ""Funktionskonstanz" gegenüber dem AT (= Ausgangstext; W.W.) (kann) eigentlich ... nur als Sonderfall, nicht als Regelfall betrachtet werden" (1986, 62), will mir nicht einleuchten, und ich kann auf H. BÜHLER verweisen, die - zumindest in der fachsprachlich orientierten "funktionell/kommunikativen Translation" (1987, MS) -, d.h. in der funktionskonstanten Ubersetzung, den "bei wei-

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tem häufigste(n) Übersetzungstyp" (1987, MS) sieht. Punktionskonstanz beruht auf "Makrooperatoren" (Textfunktionssignalen), die der Ubersetzer dem Ausgangstext entnimmt und intuitiv oder reflexiv seiner Übersetzung zugrundelegt. Es gehört m.E. nicht zu den Standardaufgaben des Übersetzers, originäre (besser: quasi-originäre) Textentwürfe und Textprognosen auszuarbeiten. Auch NORD ist der Meinung, es sei nicht Sache des Übersetzers, "den ihm vorliegenden AT (=Ausgangstext; W.W.) als "Text" zu definieren und seine Textualität unter Beweis zu stellen" (1986, 29). Wahrscheinlich muß man hier texttypspezifisch und arbeitssituationsspezifisch - das Umfeld des fest angestellten Übersetzers und des freiberuflichen Ubersetzers - klar unterscheiden. Nur der freiberuflich arbeitende Übersetzer kann m.E. darüber entscheiden, ob er einen Übersetzungsauftrag annimmt oder ablehnt. Deswegen muß die folgende Peststellung von NORD relativiert werden: "Ob die gewünschte Translation überhaupt auf der Grundlage des gegebenen AT realisierbar und, wenn ja, mit welchen Mitteln und Methoden sie realisierbar ist, darüber entscheidet allerdings der Translator in eigener Verantwortung, da er (und nicht der Initiator) der Translationsfachmann ist" (1986, 18). Was dem Übersetzer, auch dem praxiserfahrenen, dagegen in vielen Fällen erhebliche, oft sogar fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet, ist die Aufarbeitung von mikrokontextuellen Problemen. Zu diesen gehören u.a. singuläre Textbedingungen, so etwa semantische Vagheit (dagegen nicht semantische Ambiguität, weil das Situationswissen des Übersetzers Semantisierungshilfen bietet; BINNICK 1970; FRIES 1980), syntaktische Komplexität, syntaktische Ellipsen, die Verteilung von thematischen und rhematischen Informationen im Satzzusammenhang, metaphorische Ausdrucksweisen, ironische Verfremdungen, verschrobene oder verunglückte Formulierungen, morphologische Idiosynkrasien, Adjektiv/Substantiv-Kollokationen und - im Kontext Englisch-Deutsch - Gerundial- und Partizipialkonstruktionen usw. Hier wird deutlich, daß allgemeine Problemlösungsmethoden, wie sie die Spieltheorie oder die normative Entscheidungstheorie entwickelt haben, für den Ubersetzer, wenn er in einer Konfliktsituation steht, bei der Suche nach Optimalitätskriterien nur wenig hilfreich sind. Der Grund dafür ist, daß die für ein mikrokontextuelles Übersetzungsproblem gefundene Lösung nur begrenzt verallgemeinert werden kann (im Gegensatz zu einer grammatischen Regel). M.a.W.: Je singulärer ein Übersetzungsproblem ist, desto weniger sind generelle Problemlösungsverfahren praktikabel, weil es im Bereich des Ubersetzens keine systematische Koordinierung von textuellen Einzelperspektiven unter allgemeinen, theoretisch fundierten Wertgesichtspunkten gibt (etwa im Gegensatz zum Schachspiel). Deshalb hat sich die problemorientierte ÜW auch klar von der traditionellen mechanistisch-technokratischen Übersetzungsplanung mit der globalen Start- und Ziel-

67 Vorstellung der wortgetreuen bzw. der freien Übersetzung distanziert. Solche übersetzungsmethodischen Postulate pflegen sich in nichts aufzulösen, wenn man sie beim Wort nimmt und auf die Übersetzung textueller Einzelerscheinungen im Satzrahmen anzuwenden versucht. Der Teufel steckt, wie bei vielen Problemlösungsfällen, im Detail. Das zeigt ganz deutlich die bemerkenswerte Arbeit von KRINGS (1986), die unter dem programmatischen Titel "Was in den Köpfen von Übersetzern vorgeht" versucht, das übersetzungsverhalten von RomanistikStudenten (nicht von Studierenden des Studiengangs übersetzen!) mit Hilfe der Methode des lauten Denkens (thinkingaloud-method) zu protokollieren und daraus allgemeine Einsichten in die kognitive Dimension des Übersetzens abzuleiten (vgl. dazu auch HOUSE/BLUM-KULKA 1986). Der Versuch, die mentalen Ursachen übersetzerischen Handelns im Rahmen einer planmäßigen Erhebung aufzuspüren, zeigt, daß unter sonst gleichen äußeren objektiven Umständen deutliche interindividuelle Handlungsunterschiede bestehen. Daraus folgt einmal, daß übersetzerische Handlungsstandards nur global (makrokontextuell) vorgegeben sind, zum anderen, daß personale Faktoren beim Übersetzen (fast) ebenso wichtig sind wie situative. Fraglich ist m.E., ob der Handelnde die selbstregulatorischen Zwischenprozesse zwischen der Rezeption des Ausgangstextes und der Herstellung des endgültigen Zieltextes tatsächlich laufend und vollständig registriert. Was registriert wird, sind mehr oder minder detaillierte kognitive "Momentaufnahmen", die im Rahmen einer bedingungskontrollierten Fremdbeobachtung einiges an personalen Dispositionen sichtbar machen, aber nicht algorithmisierbar oder auch nur generalisierbar sind. Beispieldiskussion Die Beobachtung, daß ein Übersetzer mit mikrokontextuellen Übersetzungsproblemen oft mehr Schwierigkeiten haben kann als mit makrokontextuellen Übersetzungsproblemen, soll jetzt anhand eines längeren Textstücks aus einem Artikel vorgeführt werden, den SNELL-HORNBY (1986) dem Bereich des gemeinsprachlichen Übersetzens (zwischen literarischem und fachsprachlichem übersetzen) zuordnen würde. Diesen Text hat Max LERNER in der Ausgabe des Encounter vom Juni 1985 (S. 33-39) unter folgendem Titel veröffentlicht: "Of Presidents and their Splendours & Miseries. From F.D.R. to R.R.". Der Artikel hat einen einleitenden und einen abschließenden Teil (erster und elfter Teiltext); die restlichen neun Teiltexte, die jeweils in sich abgeschlossen sind, befassen sich in chronologischer Reihenfolge mit F.D. Roosevelt, H.S. Truman, D.D. Eisenhower, J.F. Kennedy, L.B. Johnson, R. Nixon, G.R. Ford, J. Carter und R. Reagan. Der Reagan-Teiltext wurde für eine Übersetzungsübung ausgewählt, nicht nur, weil er ein erstaunliches Maß an politischer Hellsichtigkeit verrät, sondern weil ich meinen Stu-

68 denten Gelegenheit geben wollte, ihre Problemlösungskompetenz an einem aktuellen Sachverhalt zu beweisen, der Gelegenheit zur Parallel-Lektüre in der Tagespresse bot (zur übersetzungsdidaktischen Bedeutung der Lektüre von Paralleltexten vgl. THIEL 1985 und NORD 1987b). Auf den Originaltext folgen zwei UberSetzungen; davon ist die erste eine kollektive Hausarbeit von Studenten des ersten Fachsemesters mit Englisch als erster Fremdsprache in der Fachrichtung "Angewandte Sprachwissenschaft sowie Ubersetzen und Dolmetschen", Universität des Saarlandes, Saarbrücken; die zweite ist das Ergebnis detaillierter Diskussionen zwischen den (etwa 25) Studierenden und mir in der besagten Übersetzungsübung :

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In January 1981, when Jimmy Carter and his Georgians left the White House in desolation, Ronald Reagan and his Californians entered it in triumph, bruiting a "revolution" by one of the unlikeliest revolutionaries in history.

Ronald Reagan's small-town Illinois boyhood was Arcadian in a Mark Twain way but it had its rough edges. Only with Truman has there been such a disproportion between a President's earlier life and his mature 10 performance in office. His inner security survived an alcoholic father, straitened family resources, and the hazards of a somewhat less than starring film career. The testing experience came in the 1940's when Reagan, then head of the Screen Actors Guild, met a Stalinist 15 attempt to take over the union and learned that it could be resisted. It turned him from an F.D.R. liberal loyalist into a hard-bitten foe of Communism, whose opposition struck close to the bone. His Odyssey as a General Electric speechmaker on the chicken circuit re20 freshed his insight into blue-collar lives and values. It also prepared him for his spirited and acclaimed TV speech in the 1964 Goldwater campaign and - spurred on by a junta of wealthy Californian conservatives - for a try at the Governorship. 25 The response of his Hollywood friends was characteristic. "Not Ronald Reagan for Governor", said Jack Warner, the acrid studio head. "Jimmy Stewart for Governor, and Ronald Reagan for Best Friend." It bespoke the shadowy line between make-believe and reality which ran 30 through Reagan's career and gave it a lightness of being to balance his political tough-mindedness. While using consummately all the arts of communication, Reagan has succeeded by always returning to the reality principle. 35 He was a pragmatic success as two-term Governor of California. His start as a national candidate came late, yet even his failed bids for the Presidential nomination

69 in 1968 and 1976 carried excitement. When he finally made it in 1980, he had been through a long test40 ing-period that tried his grit and soul, and one just had to take him seriously as a strong leader. He is the first President since Franklin Roosevelt to have "Revolution" authentically attached to his name, for he marks a watershed for the deep currents of Amer45 ican tendency. Historians are bound to see him as a Jungian mirror image of Roosevelt. He has set himself to undoing a half-century of state supports and entitlements, and to opening America - and through it the world - to an expansive free-market economy. He will 50 not be spared by history for leaving American troops exposed to massacre in Lebanon, nor for piling up an unparalleled deficit while preaching a balanced budget. Yet a restored economy and an enhanced American world position created the climate of national confidence 55 which won him a second term by a Himalayan electoral majority. His optimism, his capacity to relate and communicate, his sensory organic feel for the popular mind - these have been Rooseveltian means that Reagan has turned to 60 anti-Rooseveltian ends. But the same imaginative flair is there for carrying off contradictory messages, as in Reagan's heavy Keynesian deficit-spending within a frame of anti-Keynesian "supply-side" economics, and in a high-tech "Star Wars" weaponry research joined to a 65 promise to use it for reducing, in the end abolishing, offensive weapons systems. This is a more complex personality and mind than Reagan is generally credited with. He fits in with a high-tech information revolution but has baffled the nation's po70 litical high culture. America's most effective President since Truman and Eisenhower has never been taken seriously by an intellectual and media elite which regards him as indolent, insensitive, slow-witted, and a Doonesbury cartoon figure of fun and grotesquerie. 75 Reagan may, of course, somewhere is his second term, tumble off the high-wire of Presidential politics and have a great fall. Despite his remarkable survival capacity I don't rule it out. But if it happens it will be because - while shaping a climate of popular confi80 dence - he has thus far (unlike Roosevelt) failed to build a protective intellectual counter-culture that will reach the media and the academics. Yet I must stop short of an assessment of Reagan because history is not yet through with him. This actor 85 is still on the stage; his actions are too close to yield the luxury of perspective. The moment, for him,

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is too filled with alarums and excursions and the noise of continuing battle in which presidents are tested. 1. Übersetzung

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Im Januar 1981, als Jimmy Carter und seine Georgier das Weiße Haus in Trostlosigkeit verließen, betraten es triumphierend Ronald Reagan und seine Kalifornier. Dabei verkündeten sie eine "Revolution" von einem der ungewöhnlichsten Revolutionäre in der Geschichte.

Ronald Reagans Jugend, die sich in einer Kleinstadt von Illinois abspielte, war idyllisch auf eine Weise von Mark Twain, aber sie hatte ihre harten Zeiten. Nur noch mit Truman hat es ein solches Mißverhältnis zwischen 10 dem früheren Leben eines Präsidenten und seiner reifen Vollbringung im Amt gegeben. Seine innere Sicherheit überlebte einen alkoholischen Vater, begrenzte finanzielle Mittel der Familie und die Gefahren einer ziemlich erfolglosen Filmkarriere. 15 Die erprobende Erfahrung kam in den vierziger Jahren, als Reagan, zu der Zeit Leiter des "Screen Actors Guild", dem Versuch der Stalinisten entgegentrat, die Gewerkschaft zu übernehmen, und erfuhr, daß man ihr Widerstand leisten könnte. Dies verwandelte ihn von einem 20 F.D.R.-treuen Liberalen zu einem hartnäckigen Gegner des Kommunismus, dessen Opposition sehr offensichtlich war. Seine Odyssee als Sprecher für "General Electric" im Radio frischte seinen Einblick in das Leben und die Werte der Leute aus dem einfachen Volk auf. Dies berei25 tete ihn auch für seine lebhafte und bejubelte Fernsehrede im "Goldwater"-Wahlkampf von 1964 vor und, angespornt durch eine Versammlung von reichen kalifornischen Konservativen, bereitete es ihn auch für den Versuch vor, sich als Gouverneur zu bewerben. 30 Die Erwiderung seiner Freunde aus Hollywood war typisch. "Ronald Reagan als Gouverneur? Nein!", sagte Jack Warner, der scharfe Studioleiter. "Wählt Jimmy Stewart zum Gouverneur, und Ronald Reagan zum besten Freund". Dies kündigte die schattige Linie zwischen 35 Schein und Realität an, die durch Ronald Reagans Karriere lief, und gab ihr eine Leichtigkeit, um seine politische Zähigkeit auszugleichen. Indem er sich aller Arten der Kommunikation vollständig bediente, war Reagan erfolgreich, weil er immer zu dem Realitätsprinzip 40 zurückkehrte. Er war ein pragmatischer Erfolg als Gouverneur von Kalifornien für zwei Amtsperioden. Sein Anfang als ein nationaler Kandidat kam spät. Trotzdem brachten seine fehlenden Stimmen für die Berufung zum Präsident in 45 1968 und 1976 Aufregung mit sich. Als es ihm endlich

71 1980 gelungen war, hatte er bereits eine lange Testzeit hinter sich, die seinen Mut und Geist zur Probe stellten, und man mußte ihn als starken Anführer annehmen. Er ist der erste Präsident seit Franklin Roosevelt, 50 dessen Name der Begriff "Revolution" glaubwürdig anhaftet, da er eine Wasserscheide der tiefen Strömungen der amerikanischen Vorstellung darstellt. Geschichtswissenschaftler halten ihn zwangsläufig für ein Jungsches Spiegelbild Roosevelts. Er hat sich daran gemacht, ein 55 halbes Jahrhundert staatlicher Zuschüsse und Ansprüche zunichte zu machen und Amerika - und damit die ganze Welt - einer expansiven freien Marktwirtschaft zu öffnen. Er wird von der Geschichte weder dafür geschont werden, daß er die amerikanischen Truppen dem Massaker 60 im Libanon ausgesetzt ließ, noch dafür, daß er ein noch nie dagewesenes Defizit aufgebaut hat, während er einen ausgeglichenen Staatshaushalt propagierte. Und doch, eine Gesundung der Wirtschaft und eine gesteigerte Weltmachtstellung Amerikas schufen das Klima nationalen 65 Vertrauens, durch welches er die Wahl zur zweiten Amtsperiode mit überwältigender Mehrheit gewann. Sein Optimismus, seine Redegewandtheit und Ausstrahlungskraft, sein Gespür für die Stimmung im Volk - dies waren Mittel Roosevelts, die Reagan für Ziele verwen70 det, die denen Roosevelts genau entgegengesetzt sind. Aber derselbe einfallsreiche Spürsinn ist da, um mit widersprüchlichen Aussagen fertig zu werden, wie in Reagans schwerwiegendem keynesianisehen Haushaltsdefizit innerhalb eines Rahmens einer anti-keynesianischen 75 "angebotsorientierten" Wirtschaft, und in einer hochtechnologischen Weltraumwaffenforschung "Star Wars", verbunden mit dem Versprechen, es zur Reduzierung and schließlichen Abschaffung offensiver Waffensysteme zu nutzen. 80 Es handelt sich um eine komplexere Persönlichkeit und Seele, als Reagan im allgemeinen zugetraut wird. Er steht im Einklang mit einer Revolution auf dem Gebiet des Hochtechnologiewesens, aber er hat die hohe politische Kultur des Landes in Unordnung gebracht. Amerikas 85 effektivster Präsident seit Truman und Eisenhower ist von einer Elitegruppe Intellektueller und Medienvertreter niemals ernst genommen worden. Sie halten ihn für träge, unempfindlich, schwerfällig und für eine groteske Witzfigur von Doonesbury. 90 Es ist natürlich möglich, daß Reagan während seiner zweiten Amtszeit irgendwo von dem Hochseil der Präsidentschaftspolitik herunterfällt und einen großen Sturz erlebt. Trotz seiner bemerkenswerten Fähigkeit, sich oben zu halten, würde ich es nicht ausschließen. Aber 95 wenn es geschähe, dann deshalb, weil er, während er ein

72 Klima allgemeinen Vertrauens schafft, es bis jetzt versäumt hat (im Gegensatz zu Roosevelt) eine schützende intellektuelle Gegenkultur aufzubauen, die die Medien und Akademiker erreicht. 100 Doch muß ich mich mit einer Bewertung Reagan's zurückhalten, da die Geschichte mit ihm noch nicht abgeschlossen hat. Dieser Schauspieler ist immer noch auf der Bühne, sein Handeln ist noch zu unmittelbar, um den Luxus zu gewähren, eine Perspektive abzugeben. Der Au105 genblick ist für ihn noch zu angefüllt mit Unruhe und Abstechern und dem Getöse einer andauernden Schlacht, in welcher Präsidenten geprüft werden.

2. Übersetzung

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Als im Januar 1981 Jimmy Carter und seine Parteifreunde aus Georgia völlig demoralisiert das Weiße Haus verließen, hielten dort Ronald Reagan und seine Parteifreunde aus Kalifornien ihren triumphalen Einzug. Damit keim eine "Revolution" durch einen Mann in Gang, dem man alles andere als eine revolutionäre Handlungsweise zugetraut hätte. Ronald Reagan verbrachte seine Jugend in einer Kleinstadt in Illinois. Im Mark Twain'sehen Sinn war seine Jugend idyllisch, aber sie hatte auch ihre Schattenseiten. Nur bei Truman gibt es noch ein solches Mißverhältnis zwischen der frühen Lebensphase eines Präsidenten und seiner späteren Tätigkeit im reifen Mannesalter. Dank seiner seelischen Stabilität verkraftete er einen alkoholabhängigen Vater, finanziell beengte Familienverhältnisse und das Auf und Ab einer nicht gerade glanzvollen Karriere als Filmschauspieler. Die Bewährungsprobe kam in den vierziger Jahren, als Reagan, damals Vorsitzender der "Screen Actors Guild" (Filmschauspielergewerkschaft), einem stalinistischen Versuch, die Gewerkschaftsleitung an sich zu reißen, entgegentrat und die Erfahrung machte, daß Widerstand möglich war. Dieses Erlebnis machte aus einem loyalen, liberal gesinnten Parteigänger F.D. Roosevelts einen unnachgiebigen Kommunistengegner, der politisch hart zuzuschlagen wußte. Durch seine Odyssee als Redner der "General Electric" bei vielen offiziellen Veranstaltungen (mit standardisiertem Veranstaltungsablauf; zuerst ein "chicken dinner", dann eine Ansprache Reagans als "guest-speaker"; Anm. der Übersetzer), gewann er zusätzlichen Einblick in die Lebens- und Denkweise der Arbeiterklasse. Diese Phase diente auch als Vorbereitung für seine temperamentvolle und begeisternde Fernsehansprache im Goldwater-Wahlkampf 1964 und für seine von einer Junta reicher Kalifornier betriebene Kandidatur für das Amt des Gouverneurs von Kalifornien.

73 Die Reaktion seiner Freunde in Hollywood war aufschlußreich. "Bloß nicht Ronald Reagan als Gouverneur; Jimmy Stewart als Gouverneur und Ronald Reagan als sein Kum40 pel ("Best Friend" ist die Bezeichnung für den Inhaber einer Filmrolle, der für den Hauptdarsteller Probleme wegräumt"; Anm. der Übersetzer), sagte Jack Warner, der bissige Studioleiter. Sie ließ die Überlappung von Schein und Wirklichkeit ahnen, die sich durch Reagans 45 Karriere zog und ihr eine Unbestimmtheit verlieh, die einen Ausgleich zu seiner politische Kompromißlosigkeit darstellte. Er hat immer alle Register seines rhetorischen Könnens gezogen, aber politischen Erfolg hatte er deswegen, weil er sich stets an das Realitätsprinzip 50 hielt. In pragmatischer Hinsicht war seine zweimalige Amtszeit als Gouverneur von Kalifornien erfolgreich. In den Wahlkampf auf nationaler Ebene griff er erst spät ein, aber selbst seine vergeblichen Anläufe, 1968 und 1976 55 eine Nominierung als Präsidentschaftskandidat zu erreichen, sorgten für Aufregung. Als er es schließlich 1980 schaffte, hatte er eine lange charakterliche und seelische Bewährungsprobe hinter sich, und man mußte ihn als politischen Faktor ernst nehmen, weil er ausgesprochene 60 Führungseigenschaften besaß. Seit Franklin Roosevelt ist er der erste Präsident, dessen Namen legitimerweise mit dem Begriff "Revolution" in Verbindung gebracht wird, denn er hat in der amerikanischen Gesellschaft eine tiefe Zäsur bewirkt. 65 Historiker sehen in ihm zwangsläufig ein Jungsches Spiegelbild von Roosevelt. Er hat sich zum Ziel gesetzt, ein halbes Jahrhundert staatlicher Subventionspolitik und staatsbürgerlichen Anspruchsdenkens rückgängig zu machen und Amerika - und damit die ganze Welt 70 - für eine expansive freie Marktwirtschaft zu öffnen. Die Geschichte wird ihm weder verzeihen, daß er ein Massaker an amerikanischen Soldaten im Libanon zugelassen hat, noch daß er ein beispielloses Haushaltsdefizit angehäuft hat, obwohl er immer für einen ausgeglichenen 75 Haushalt plädiert hat. Aber die Wiedergesundung der Wirtschaft und der Zuwachs an internationalem Ansehen der USA schufen ein Klima nationalen Selbstvertrauens, dem er seinen überwältigenden Sieg bei seiner Wiederwahl verdankt. 80 Sein Optimismus, seine Redegewandtheit und seine Ausstrahlungskraft, sein Gespür für die Stimmungen beim Mann auf der Straße - das waren auch Roosevelt 1 sehe Mittel, aber Reagan hat sie zur Durchsetzung einer anti-Roosevelt'sehen Politik eingesetzt. Mit seiner 85 einfallsreichen Suggestionskraft hat er auch erfolgreich Widersprüche in seinen politischen Aussagen verschleiert, z.B. seine sich auf Keynes berufende Staat-

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liehe Verschuldungspolitik im Rahmen einer antiKeynes'sehen "angebots-orientierten" Wirtschaft und sein "high-tech" SDI-Programm, das mit dem Versprechen verbunden war, Offensivwaffen zu reduzieren und schließlich abzuschaffen.

Reagans Persönlichkeit und Verstand sind komplexer als man gemeinhin annimmt. Er verkörpert alle Wesensmerkma95 le der gegenwärtigen Informationsrevolution, aber er hat die politisch engagierte Schicht der Bevölkerung vor Rätsel gestellt. Der effizienteste Präsident Amerikas seit Truman und Eisenhower ist von der Elite des Landes auf kulturellem und medienpolitischem Gebiet nie 100 ernst genommen worden. Sie halten ihn für träge, wenig einfühlsam, schwerfällig und eine groteske DoonesburyWitzfigur. Es ist möglich, daß Reagan irgendwann in seiner zweiten Amtsperiode auf seinem politischen Hochseil ausrutscht 105 und einen tiefen Sturz erlebt. Trotz seiner bemerkenswerten politischen Überlebensfähigkeit schließe ich eine solche Entwicklung nicht aus. Wenn sie eintrifft, dann deswegen, weil er zwar ein Klima politischen Selbstvertrauens geschaffen, aber im Gegensatz zu 110 Roosevelt nichts getan hat, das Vertrauen der akademischen Welt und der Medien zu gewinnen und seine Position durch einen von der Intelligenz des Landes gebildeten Schutzwall zu sichern. Hier muß ich die Beurteilung der Persönlichkeit Reagans 115 abbrechen, weil es für eine endgültige Stellungnahme noch zu früh ist. Dieser Schauspieler steht noch immer auf der Bühne. Sein Handeln ist noch zu unmittelbar als daß man sich den Luxus einer perspektivischen Beurteilung erlauben könnte. Die Gegenwart ist noch zu ange120 füllt mit Unklarheiten und vage konturierten Aktionen, mit der Hektik und dem Getöse unablässiger Kämpfe und Auseinandersetzungen, in denen sich das Bild eines Präsidenten formt. Semantische Textanalyse Betrachten wir zunächst den Originaltext unter textanalytischem Gesichtspunkt. Wie man dabei - im Rahmen eines intuitiven Verfahrens - empirisch-induktiv vorgehen kann, habe ich in WILSS (1977b) und in WILSS (1982, Kap.VI) vorgeführt. Thematisch gesehen, ist der Text in zehn Abschnitte gegliedert. Jedem Abschnitt (mit Ausnahme des vierten) kann man im Rahmen der leicht durchschaubaren, deutlich an chronologischen Gesichtspunkten orientierten thematischen Progression einen thematischen Schwerpunkt zuordnen. Der erste Abschnitt hat Einleitungsfunktion; er läuft auf eine Charakterisierung Reagans als atypischer Revolutionär hinaus.

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Der zweite Abschnitt schildert seine Jugend und seine ersten beruflichen Erfahrungen als nicht gerade erfolgsverwöhnter Filmschauspieler. Der dritte Abschnitt geht auf Reagans erste politische Aktivitäten ein; als Vorsitzender der Screen Actors Guild erlebte er seine erste Konfrontation mit dem Kommunismus in seiner stalinistischen Ausprägung; als offizieller Vertreter von "General Electric" gewann er Einblick in das Leben und die Wertvorstellungen der Arbeiterklasse; den Durchbruch aus der politischen Provinz in die große Politik schaffte er 1964 mit seiner bemerkenswerten Fernsehansprache im Rahmen des Goldwater-Wahlkampfes und seiner von konservativen Kreisen unterstützten Kandidatur um das Amt des Gouverneurs von Kalifornien. Der vierte Abschnitt ist, wie angedeutet, thematisch diffus: Er berichtet zunächst über die Reaktion von Reagans Hollywood-Freunden auf seine (erfolgreiche) Kandidatur und verweist dann unvermittelt auf das Grundproblem in Reagans politischer Handlungsführung; er schildert die durch seine Schauspielertätigkeit bedingte Ambivalenz zwischen politischem Schein und politischem Sein, zwischen rhetorischen Persuasionsstrategien und politischem Realitätsdenken. Der fünfte Abschnitt schildert Reagans (zunächst vergebliche) Ambitionen auf das Präsidentenamt und verweist dann auf den Umstand, daß Reagan während seiner zweimaligen Amtszeit in Kalifornien immerhin so viel an politischer Statur hinzugewonnen hatte, daß man ihm Präsidentenqualifikationen nicht absprechen konnte. Der sechste Abschnitt nimmt Bezug auf den ersten (Reagan hat eine - gewaltlose - "Revolution" in Gang gesetzt) und stellt dann Reagan als wirtschaftspolitisches Spiegelbild von F.D.R. vor. Er hat zwar das militärische Engagement der USA im Libanon und ein astronomisches Haushaltsdefizit zu verantworten, aber die Festigung der amerikanischen Wirtschaft und der Weltmachtstellung der USA haben ihm so viele innen- und außenpolitische Pluspunkte eingebracht, daß er einen überwältigenden Wahlsieg feiern konnte. Der siebte Abschnitt intensiviert die kritischen Töne. Reagan weiß zwar, wie man sich verhalten muß, um "draußen im Lande" populär zu sein und zu bleiben, aber seine Innenund Außenpolitik ist widersprüchlich. Einerseits ist er für eine immer höhere Staatsverschuldung, andererseits tritt er für eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ein; einerseits will er sein SDI-Programm durchsetzen, andererseits will er Offensivwaffen abbauen und letztendlich sogar verschrotten. Der achte Abschnitt schildert Reagans Erscheinungsbild in

76 der amerikanischen Öffentlichkeit. Er gilt zwar als fortschrittlich, als erfolgreicher "Technokrat", aber er hat die Intelligenz seines Landes so verprellt, daß sie in ihm nur die Karikatur eines Präsidenten sieht. Der neunte Abschnitt setzt die Kritik an der gegen die politische Intelligenz gerichteten Politik Reagans fort und reißt Perspektiven auf, die im Kontext der "Irangate"-Enthüllungen von 1986 geradezu prophetischen Charakter haben: Es ist nicht ausgeschlossen, daß Reagan das Gleichgewicht verliert und trotz seiner bemerkenswerten Uberlebensfähigkeit einen tiefen Sturz tut. Der zehnte und letzte Abschnitt relativiert die düstere Prognose des neunten Abschnitts. Man hat fast den Eindruck, als hätte Max LERNER Angst vor seiner eigenen Courage bekommen: Sein Urteil ist vielleicht vorschnell: "This actor is still on the stage" (Z. 84f.). Man muß abwarten, wie sich Reagan in den tagtäglichen innen- und außenpolitischen Turbulenzen bewährt und wie er einmal vor der Geschichte dastehen wird, "whether he leaves the country more governable than those who preceded him", wie es in dem die Gesamtdarstellung aller Präsidenten zusammenfassenden elften Teiltext einmal heißt. Daß der Text insgesamt kohärent ist, versteht sich angesichts seines thematischen Zuschnitts auf eine bestimmte Person und ihr politisches, wirtschaftliches, militärisches und soziales Umfeld fast von selbst. Deshalb erübrigt sich eine ins Einzelne gehende Diskussion der verschiedenen semantischen Isotopiestränge. Außerdem ist zu bedenken, daß in der Sprachverwendung ohnedies kaum einmal ein nichtkohärenter Diskurs vorkommt (HOBBS 1982, 223), weil Nichtkohärenz gegen das natürliche Konvergenzprinzip zwischen Senderintention und Empfängererwartung verstoßen würde und einen "untext" (JOHNSON-LAIRD 1983, 356) signalisiert. Texttypologisch betrachtet, fällt der Text unter die Rubrik "Kommentar"; er gestattet also eine prototypische Bereichsbestimmung. Diese bedeutet eine Kombination von Darstellungs- und Wertungsfunktion. Die Darstellungsfunktion ist durch die ständige Bezugnahme auf Fakten dokumentiert; die Wertungsfunktion ist im ganzen Text, vor allem aber in den Abschnitten sechs bis zehn, sprachlich so deutlich ausgeprägt, daß eine Beispielauflistung überflüssig ist. Als Kommentar basiert der Text auf "ceteris-paribus"-Prämissen, d.h. der Autor hält sich an die für Kommentartexte festgelegten Texttypkonventionen - mit einem erheblichen Anteil an narrativen Textelementen. Der Leser kann sich darauf verlassen, daß der Text in bestimmtem Umfang strukturiert ist. Die Gefahr, daß verschiedene Leser Verschiedenes wahrnehmen, ist weitestgehend gebannt. Nicht alles ist durch unser Bewußtsein erfaßbar, aber was wir in diesem Text erfassen, erfassen wir alle ungefähr in gleicher Weise. Der Text spricht gleichsam für sich selbst. Es ist nicht

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schwierig, wie NIDA sich ausdrückt, "to capture the "spirit" of the text" (1987, MS). Der Leser kann hier - in anderen Texten mag sich dies anders verhalten - dem textuellen Boden, auf den er tritt, vertrauen. Er kann davon ausgehen, daß dieser Text einen vernünftigen, nachvollziehbaren Sinn hat. Dieser Text ermöglicht durch seine klare Autorintention ein konvergentes Rezipientenverhalten. Dies ist ein Umstand, den wir in vielen Texten beobachten können; er ist vielleicht eine Erklärung dafür, daß die Textrezeption bisher weniger erforscht ist als die Textproduktion (vgl. aber neuerdings AUST 1983; SCHERNER 1984). Die Texttypkonventionen sind hier zwar nur relativ vage ausgeprägt, aber insgesamt gesehen, ergeben sie doch einen "stable point of reference" (VAN DIJK/KINTSCH 1983, 339) oder, wie STIERLE sich ausdrückt, eine "übergreifende Sachlage", die jedem Diskursmoment "sein endgültiges Maß an Bestimmtheit und Eindeutigkeit (gibt)" (1979, 173). Die "übergreifende Sachlage" fungiert als eine Art textueller Kontroll- oder "Monitor"-Instanz; sie gewährleistet globale Kohärenz und enthebt den Leser der Mühe, sich das Textverständnis mit Hilfe von "elaborative inferences" (VAN DIJK/ KINTSCH 1983, 51) erarbeiten zu müssen. Das Spannungsverhältnis zwischen der subjektiven Erfahrung des Lesers und der Intersubjektivität des Textes ist verhältnismäßig gering; es erfordert keine paraphrasierend-reduktiven Textverstehensoperationen. Ich kann deshalb der Feststellung FILLMOREs nicht vollumfänglich zustimmen: "... when one comprehends a text ... one mentally creates a kind of world; the properties of this world may depend quite a bit on the individual interpreter's own private experiences - a reality which should account for part of the fact that different people construct different interpretations of the same text" (1977, 61). Zutreffender scheint mir eine andere Beobachtung von FILLMORE zu sein: "A particularly important notion, figuring especially in recent work in linguistics, cognitive psychology, and artificial intelligence, is the notion that goes by such names as "frame", "schema", and "scenario". Briefly, the idea is that people have in memory an inventory of schemata for structuring, classifying, and interpreting experiences, and that they have various ways of accessing these schemata and various procedures for performing operations on them" (1976, 25). Funktionale und pragmatische Textanalyse Auch dem hier diskutierten Text liegt ein Szenario mit bestimmten "Erwartungsstereotypien" (HACKER 1978, 305) und der Möglichkeit einer "default interpretation" (LEECH 1983,

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43) zugrunde. Neben den für einen Kommentartext obligatorischen Darstellungs- und Wertungsgesichtspunkten ist - in mehr oder minder verdeckter Form - eine appellative, auf Reagan bezogene Dimension erkennbar. LERNER artikuliert diese Funktion im neunten Abschnitt, wo er - in der Möglichkeitsform - davon spricht, daß Reagan u.U. einen tiefen Sturz tun wird, weil er nicht mit den Intellektuellen seines Landes, sondern gegen sie regiert und deswegen (eventuellen) Angriffen durch sie schutzlos ausgeliefert ist. Er muß deshalb, so LERNERs implizite Aufforderung, seine Politik ändern. In textpragmatischer Hinsicht wendet sich der Autor an eine kultivierte Leserschaft, wie sie für den "Encounter" typisch ist, eine Leserschaft, die mit den wirtschaftlichen und politischen Ereignissen der Reagan-Präsidentschaft einigermaßen vertraut ist, die auch über seine Biographie (z.B. als "General Electric speechmaker on the chicken circuit"; Z. 18f.) Bescheid weiß und die sich, unabhängig von der offiziellen Meinungsmache, ein eigenes Bild von seinen Leistungen und den wesensbedingt latenten Gefahren für ihn selbst und damit auch für die amerikanische Nation machen kann. Für alle Leser, die diese Voraussetzungen mitbringen, ist der Text semantisch und funktional leicht und mit einem verhältnismäßig hohen Grad an Homogenität rekonstruierbar. Deshalb erscheint mir die uneingeschränkte Geltung der folgenden Feststellung von STIERLE anfechtbar: "In gewisser Weise ist jeder Akt der Rezeption zugleich eine Reduktion der Diskurskomplexität. Das, was als Bedeutung des Diskurses und seiner Diskursmomente erfaßt wird, ist eine Funktion der Erfassungsleistung in der Rezeption selbst ... Dabei stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von intendierter Bedeutung, in Sprache verankerter Bedeutung und rezipierter Bedeutung immer neu als zentrales semantisch-hermeneutisches Problem" (1979, 173f.). Der hier diskutierte Text liegt vor dem Leser wie eine Landkarte, in der die von ihm einzuschlagende Fahrtroute mit deutlichen Markierungen eingezeichnet ist. Der Leser befindet sich zu keinem Zeitpunkt seiner Lektüre in einem Verstehensvakuum. Intendierte und rezipierte Bedeutung befinden sich (ungefähr) im Gleichgewicht, weil Autor und Leser in einem gemeinsamen Erfahrungshorizont stehen. Der empirische Bezugsrahmen ist - von einigen Details vielleicht abgesehen - für die Textproduktion und Textwahrnehmung gleich. Der Text ist aus sich selbst heraus verständlich. Der Leser ist nicht ständig zu intensiver Wissensaktivierung und zu "kognitiven Ergänzungen" (SELESKOVITCH 1983) gezwungen.

79 Ubersetzungsproblematik Daß der Text durch eine Vielzahl von Oberflächensignalen den Empfänger unmißverständlich darüber instruiert, wie er ihn semantisch und funktional einzuordnen hat, gilt nicht nur für den as Leser, sondern auch für den Übersetzer, sofern er über das für die Bewältigung dieses Textes notwendige sprachliche und außersprachliche Wissen verfügt. (Die "Sofern"-Klausel ist eigentlich trivial; sie gilt für jede Art von Übersetzungstätigkeit.) Deshalb schreibt TOMMOLA zu Recht: " ... one wonders whether the primary problems of translation in action necessarily lie at the maximally global textual levels" (1985, 166f.). Außer Frage steht, daß die Ubersetzung erhebliche Probleme aufwirft. Man kann den Text nicht im Rahmen einer routinierten Verfahrensweise "herunterübersetzen". Jedenfalls geht das dann nicht, wenn die Ubersetzung sowohl inhaltlich richtig sein, als auch den an einen Zieltext zu stellenden gebrauchsnormativen Bedingungen gerecht werden soll, wenn also der Zieltext nicht eine "overt", sondern eine "covert translation" (HCXJSE 1977) sein soll, im Sinn des von NIDA (1964) geforderten "dosest natural equivalent", dem ungefähr der Ubersetzungstyp "autonomous message in a TL (karget language; W.W.)" von J.C. SAGER (1984, 336) entspricht. Vergleicht man die beiden vorgestellten Ubersetzungen unter dem Gesichtspunkt dieser Forderung, so kann man festhalten, daß die erste eher die Merkmale einer "auffälligen" (overt) Ubersetzung, die zweite dagegen eher die Merkmale einer "verdeckten" (covert) Ubersetzung aufweist, obwohl in beiden Fällen Handlungsanreiz und Handlungsziel identisch sind: Es geht darum, aus einem Ausgangstext mit verbindlichem Geltungsbereich unter Wahrung der Sinn- und der Funktionskonstanz und unter vergleichbaren äußeren Bedingungen einen möglichst äquivalenten Zieltext zu machen. Die für die Zielverwirklichung maßgebliche Handlungssteuerung ist allerdings unterschiedlich effizient, weil unterschiedliche Handlungspotentiale aktiviert werden und dementsprechend das Resultat der Informationsverarbeitung, jedenfalls in der Synthesephase, unterschiedlich ist. M.a.W.: Die beiden Ubersetzungen sind das Ergebnis unterschiedlicher Erfahrungsniederschläge und unterschiedlicher übersetzerischer Verarbeitungskapazität. So ähnlich in beiden Fällen die Welterfahrung ist, so unähnlich ist die Reverbalisierungskompetenz und die ihr zugrundeliegende heuristische Kompetenz (s.u. in diesem Kap.). Zweifellos haben beide Übersetzungen einen gemeinsamen semantischen Nenner. Sie sind eher Variationen über ein Thema als eine Pluralität von thematischen Wegen. Die Erklärung für die semantische Konvergenz ist, daß es so etwas wie eine semantische "Einheitsvorstellung", "a kind of rough isomorphism, partly global, partly local" (HOFSTADTER 1979, 373) bei den Autoren der beiden Ubersetzungen gegeben haben

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muß. Unklar ist, ob man auf das Ubersetzen die von DIEHL entwickelte, kognitionspsychologisch hochinteressante "Noem"-Theorie anwenden kann (1981; 1984). In stilistischer Hinsicht dagegen sind die beiden Obersetzungen unterschiedlich zu bewerten. Daraus läßt sich schließen, daß im Ubersetzungskontext ausgangstextuelle (top-down) Verstehensprozesse in der Regel homogener sind als zs (bottom-up) Reproduktionprozesse und daß beim Produzieren das Sprachwissen entschieden stärker gefordert ist als beim Verstehen (KOHN 1987, MS). Relativ wenig stilistische Problemlösungsaktivität haben die Autoren der ersten Ubersetzung investiert. Der Kompromiß "between the demands of the fidelity to content and the need for an effective style" (NIDA 1987, MS) ist nicht gelungen. Das Ergebnis ist eine Obersetzung, die zwar im großen und ganzen verständlich ist, aber erhebliche und nachweisbare stilistische Schwächen hat und deswegen als "minimal transfer" (NIDA 1964) einzustufen ist. Man kann nicht behaupten, daß die erste Ubersetzung ein Text geworden sei, "wo jedes Wort wie unser eigenes klingt" (A. NEUBERT 1987, 44). Die zweite Übersetzung ist das Ergebnis eines "brainstorming", dessen Sinn es war, einen Zieltext zu liefern, der nicht nur inhaltlich (approximativ) richtig ist, sondern auch die stilistischen Erwartungen des zs Lesers im Rahmen des Möglichen erfüllt. Insgesamt sind die Formulierungsprobleme auf die verschiedenen Sprachebenen ungleichmäßig verteilt. Relativ wenig Klippen gibt es auf morphologischem Gebiet; hier ist zu erwähnen, daß man den Parallelismus "his Georgians" (Z.l) und "his Californians" (Z.3) im Deutschen auf der Basis einer formalen Direktentsprechung nicht nachbilden kann, weil die Affigierung "Georgier" semantisch besetzt ist. Will man dennoch den as Parallelismus ins Deutsche hinüberretten, muß man auf relativ umständliche Formulierungen wie "seine Parteifreunde aus Georgia", "seine Parteifreunde aus Kalifornien" ausweichen. Daneben zwingt das Suffix "-ial" (Presidential nomination", Z.37; Presidential politics" Z.76) zu Umformulierungen, weil die Verwendung des "-ial"-Suffixes im Englischen und die Verwendung des "-ial/-iell"-Suffixes im Deutschen asymmetrisch ist. Anders steht es dagegen mit Bildungen wie "Jungian" (Z.46), "Rooseveltian" (Z.59) und "Keynesian" (Z.62); diese kann man im Deutschen mit Hilfe des "-sche"-Suffixes ohne Schwierigkeiten stilistisch einigermaßen akzeptabel nachbilden. Auch auf der Lexikonebene halten sich die stilistischen Probleme in Grenzen. Sie umfassen eigentlich nur die beiden US-spezifischen Kultureme "chicken circuit" (Z.19) und "Best Friend" (Z.28) sowie "entitlements" (Z.47) und "alarums and excursions" (Z.87). In den beiden ersten Fällen ist die Konsultation von Wörterbüchern (SOED; WEBSTER; Random House Dictionary) ergebnislos geblieben; dafür hat die Befragung angloamerikanischer Muttersprachler weiterge-

81 holfen. Im Fall "entitlements" ist die Lexikonrecherche unbefriedend verlaufen; sie zeigt, daß man längst nicht immer mit lexikalisierten Standardäquivalenten operieren kann, sondern sich Entsprechungen ausdenken muQ, die die kontextuelle Aura solcher Wörter einfangen (STIERLE 1979; A. NEUBERT 1987; KUSSMAUL, erscheint). Eine überraschende Erklärung für "alarums and excursions" bot das Chambers Twentieth Century Dictionary (1977): Hier handelt es sich um "a stage direction for a sketchy conventionalised representation of skirmishing or the outskirts of a battle; hence, vague hostilities or confused activity"(S.28; vgl. auch The Random House Dictionary 1967, 33). Die Syntaxebene weist ebenfalls keine ausgesprochenen stilistischen Stolpersteine auf; erwähnenswert sind der stilistisch ebenso elegante wie semantisch vage Ubergang von "... entered it in triumph" zu "revolution" (Z.3) mit Hilfe der uneingeleiteten Partizipialkonstruktion "bruiting ..." (Z.3), sowie die Kombination von zwei Gerundialkonstruktionen "... for leaving American troops ... for piling up an unparalleled deficit ..." (Z.50ff.) mit einer Partizipialkonstruktion "... while preaching a balanced budget" (Z.52). Am widerspenstigsten erweist sich der Text - und dies bestätigen von mir immer wieder gemachte Erfahrungen - auf der syntagmatischen Ebene: Keines der folgenden Beispiele paßt in ein wie immer geartetes Schema; deshalb muß der Ubersetzer für jede einzelne Stelle je nach ihrer kotextuellen Einbettung einen individuellen zs Rekonstruktionsprozeß in Gang setzen: one of the unlikeliest revolutionaries (Z.4) small-town Illinois boyhood (Z.6) Mark Twain way (Z.7) a President's earlier life (Z.9) his mature performance in office (Z.9f.) less than starring film career (Z.12) F.D.R. liberal loyalist (Z.16f.) blue-collar lives and values (Z.20) spirited and acclaimed TV speech (Z.21f.) 1964 Goldwater campaign (Z.22) the shadowy line between make-believe and reality (Z.28f.) lightness of being to balance his political toughmindedness (Z.30f.) pragmatic success (Z.35) two-term Governor of California (Z.35) national candidate (Z.36) Presidential nomination (Z.37f.) strong leader (Z.41) deep currents of American tendency (Z.44f.) restored economy (Z.53) enhanced American world position (Z.53f.) Himalayan electoral majority (Z.55f.)

82 sensory organic feel for the popular mind (Z.58) imaginative flair (Z.60) heavy Keynesian deficit-spending (Z.62) anti-Keynesian "supply-side" economics (Z.63) high-tech "Star Wars" weaponry research (Z.64) high-tech information revolution (Z.68f.) the nation's political high culture (Z.69f.) intellectual and media elite (Z.72) Presidential politics (Z.76) a climate of popular confidence (Z.79f.) protective intellectual counter-culture (Z.81) Hier erweist sich übersetzen als ein Experimentierfeld, in welchem man mit den konstruktivistisch-geradlinigen textgrammatischen Methoden gleich welcher sprachtheoretischer Provenienz nicht entscheidend weiterkommt. Die "Erstmaligkeit" der jeweiligen syntagmatischen Konfiguration setzt eingefahrene Formulierungsschemata außer Kraft; an jeder einzelnen Stelle erfährt der Ubersetzer, daß sich ein neuer Ausgangstext der Versprachlichung in der ZS widersetzt und daß auf der Suche nach akzeptablen Äquivalenten Umgestaltungsprozesse in Gang gebracht werden müssen, die trotz aller bohrenden Gründlichkeit längst nicht immer zu einem voll befriedigenden Ergebnis führen und auch nicht zum Aufbau einer neuen Gedächtnisstruktur beitragen. "Multiple Stage Translation" Welche Problemlösungsmethode ein Übersetzer in jedem einzelnen Fall praktiziert, hängt von seinem deklarativen Wissen und von seinem übersetzungsprozessualen Wissen ab (s.u. in diesem Kap.). Beide Wissensbereiche ergeben zusammen seine aktuelle übersetzerische Kompetenz. Es darf - in hypothetischer Form - als sicher gelten, daß ein Übersetzer (auch ein versierter) in der Mehrzahl der soeben aufgeführten Fälle ein akzeptables Ergebnis nicht in einem einzigen Transferanlauf, sondern nur in einer Folge von mehr oder minder integrierten, rückgekoppelten Transferanläufen mit einem entsprechend hohen Einsatz an kognitiver Energie erzielt. D.h., er bedient sich eines Verfahrens, das vermutlich zuerst VOEGELIN (1954) unter der Bezeichnung "multiple stage translation" diskutiert hat. Darunter ist eine Vorgehensweise zu verstehen, die für den Übersetzer aus folgendem Grund vorteilhaft ist: Er kann auf der Basis selbstregulativer Rückmeldungen im Rahmen eines ständigen "selfmonitoring" Vergleichsprozesses zwischen dem in jeder Transferphase (stage) erreichten Zwischenergebnis und den selbstgesetzten Ausführungsstandards durchführen und durch korrigierende Eingriffe sein Transferprodukt schrittweise verbessern. Dafür hat MARQUARD die glanzvolle Formulierung "Wir irren uns empor" (1986, 22) gefunden. Die kognitive Stützfunktion der "multiple stage translation" (einschließlich ihrer übersetzungsdidaktischen Impli-

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kationen) ergibt sich aus dem Umstand, daß sich - abgesehen von phraseologisch verfestigten Ubersetzungsautomatismen die Umsetzung vieler as Textsegmente oder Ubersetzungseinheiten in die ZS in einer Reflexionskette, d.h. in sukzessiven Annäherungsschritten, in kleinen Sprüngen, vollzieht. Ein gutes Beispiel hierfür ist in Faust I, Studierzimmer, der mit "Im Anfang war das Wort" beginnende Ubersetzungsprozeß. Mit Hilfe kleiner Sprünge werden die Probleme der Herstellung des Zieltextes nach einem Verfahren abgearbeitet, das zwar heuristisch, z.B. im Rahmen der schon erwähnten Methode des lauten Denkens (des protokollierten Selbstgesprächs) sichtbar gemacht werden (KRINGS 1986; vgl. auch DÖRNER 1982 und STÄUDEL 1987), das sich aber jeder schematischen Fixierung entzieht. Jeder Annäherungsschritt ergibt im Rahmen der zs Textoptimierung ein qualitativ kontrollierbares Zwischenergebnis (FREIGANG 1981; vgl. auch IVIR 1981 und A.P. FRANK 1986). Alle Zwischenstufen zusammen ergeben eine operative Sequenz, die dazu beiträgt, vom "minimal transfer" (kleine Texteinheiten) über verschiedene "subsurface levels" zum "maximal transfer" (große Texteinheiten) (NIDA 1964) zu gelangen. Wieviele Annäherungssöhritte jeweils erforderlich sind, hängt von der übersetzerischen Erfahrung ab (TOURY 1986). In dem Maße, wie diese sich erweitert, verleiht sie dem Ubersetzer jene übersetzerische Disponibilität, die es ihm ermöglicht, sich auf die einzelnen Textsegmente richtig einzustellen. Entfernt erinnert diese Verfahrensweise an die von WIENER (1948) entwickelte Konzeption der Kybernetik, einen Begriff, den er von dem griechischen Wort für (Schiffs-)Steuermann "Kybernetes" abgeleitet hat. Ein Schiff kann seinem Ziel nicht auf dem kürzesten Weg entgegenfahren, weil es Wind, Wetter und Wellen ausgeliefert ist. Deshalb muß der Steuermann den Kurs des Schiffes ständig justieren. Das Ergebnis ist ein Zickzack-Kurs. Dieser ist zweifellos nicht optimal, aber er ist, da der direkte Weg zum Ziel blockiert ist, auf jeden Fall die zweitbeste Lösung. Was kybernetische Verfahrensweisen und "multiple stage translation" unterscheidet, ist, daß letztere nicht dem Prinzip formaler Steuerung unterworfen ist. Sie erlaubt einen geordneten, aber "aleatorisch" aufgelockerten Denk- und Formulierungsablauf, der keine Exaktheitsansprüche stellt, aber durch seine Praktikabilität besticht und dazu dient, das Operationsfeld des Ubersetzers sicherer und überschaubarer zu machen. Wenn man die Methode der "multiple stage translation" als Möglichkeit der Konstruktion eines zs Lösungswegs mit Hilfe zwischengeschobener kognitiver Prozesse ernst nimmt, ergibt sich daraus, wie gesagt, allerdings nicht, daß man Ubersetzungsprobleme schematisch in modulartige Einzelschritte zerlegen kann, die sich zu einem Standardprogramm mit genau vorgeschriebenen Instruktionssequenzen und Arbeitsphasen

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heruntertypisieren lassen. Dies geht schon deswegen nicht, weil die von einem Ubersetzer gewählte Problemlösungsmethode ein kontingenter Handlungsweg ist und deshalb keineswegs die einzig mögliche und auch nicht die beste zu sein braucht. Beim Abwägen der Leistungsfähigkeit konkurrierender Problemlösungsmethoden im Rahmen einer Gewinn/VerlustBilanz kann als Relevanzkriterium gelten, in welchem Maß eine Problemlösungsmethode dazu beiträgt, im Ausgangstext das "Gemeinte im Gesagten" zu identifizieren (was ist z.B. genau mit "national confidence" (Z.54) und "populär confidence" (Z.79f.) in dem jeweiligen Kontext gemeint?) und dann das Gemeinte normgerecht in die ZS hinüberzubringen. Dabei wird das Qualitätsniveau durch die maßgebenden Faktoren der jeweiligen Übersetzungssituation bestimmt. Eine negative EinfluBgröße ist der Zeitdruck (Kap.III), unter dem übersetzen i.d.R. steht: "Handeln unter Zeitdruck macht ... Schwierigkeiten, weil ... unter Zeitdruck die Situationsanalyse und das Abwägen der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten nicht mehr bis zu dem eigentlich wünschenswerten Punkte getrieben werden kann. Sachverhalt und Operatorinventar sind meist zu komplex, als daß man sie unter Zeitdruck detailliert betrachten könnte. Dies bedingt, daß unter Zeitdruck den ... Methoden zur Komplexitätsreduktion eine große Bedeutung zukommt" (DÖRNER 1979, 20). Einer (als latente Gefahr fast immer vorhandenen) "Anspruchsanpassung nach unten" kann der Ubersetzer nur dann entgehen, wenn er weiß, wie er in dem vom innerbetrieblichen Kommunikationsfluß diktierten Tempo vorgehen muß, wenn er sich von einem gegebenen (unerwünschten) Sachverhalt, dem Ausgangstext, zu dem erwünschten Sachverhalt, dem Zieltext, hinbewegen und dabei den durch das Dickicht der Ubersetzungsprobleme führenden Weg in möglichst vielen Einzelheiten erkennen will. Im Prinzip besitzt jeder Ubersetzer im Umgang mit Texten mit dem in der Ubersetzungspraxis heute üblichen Schwierigkeitsgrad nur unvollständiges Wissen und damit nur eine begrenzte Transferkompetenz. Dementsprechend gering sind die Chancen für eine problemlose Erreichung des übersetzerischen Handlungsziels. Wenn der Ubersetzer es also nicht darauf ankommen lassen will, den Ubersetzungsprozeß inhaltlich und stilistisch zu verkürzen durch welche Vereinfachungsstrategie auch immer - und damit als Stümper zu gelten, muß er Wissensdefizite abbauen und Erkenntnislücken schließen. Deklaratives und heuristisches Wissen im Ubersetzungsprozeß Um sich effizient verhalten zu können, braucht der Ubersetzer eine konzeptionelle Vorstellung, die auf zwei Säulen, einer "epistemischen Struktur" und einer "heuristischen Struktur" (DÖRNER 1979, 27) ruht.

85 Unter "epistemischer Struktur" ist zu verstehen, daß der Übersetzer über in seinem Gedächtnis gespeicherte Wissensund Erfahrungsvorräte verfügt, die er im Laufe seiner Tätigkeit aufgebaut und in ein "encylopaedic memory" (SPERBER/WILSON 1986, 139) integriert hat. Keine Ubersetzung beginnt als "tabula rasa", sozusagen bei einem kognitiven Nullpunkt. Unter "heuristischer Struktur" ist zu verstehen, daß der Übersetzer nicht nur über statisches Sachverhaltswissen, sondern auch über dynamisches Wissen verfügt, d.h., er weiß (bzw. er muß wissen), auf welche textuellen Konfigurationen er welche "Operatoren" anwenden muß und welche spezifischen Wirkungen er mit der Durchführung einer bestimmten Ubersetzungsoperation erzielen will. Allerdings: "... not all chunks of encyclopaedic information are equally accessible at any given time. We have no precise and well-grounded theory of conceptual information retrieval, but various plausible assumptions come to mind" (SPERBER/WILSON 1986, 138). Aufgrund seiner Textwahrnehmung stellt sich für den Ubersetzer die Aufgabe, Lösungswege zu erarbeiten, weil eine Problemlösungsmethode nicht aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann, sondern mehr oder minder systematisch entwickelt werden muß. Dazu ist planmäßiges Handeln erforderlich, das als "means-ends analysis" (LEECH 1983, 36) konzipiert ist und zum Ziel hat, hochkomplexe zs Formulierungsleistungen zu ermöglichen, die, wie gesagt, normalerweise nicht als Gedächtnisstrukturen sedimentiert werden. Gut wäre es, wenn der Problemloser über eine Verfahrensbibliothek verfügen würde, die neben dem ... Probierverfahren eine Menge anderer, den jeweiligen Problemen und Realitätsbereichen angemessene Konstruktionsverfahren enthielte. Solche Konstruktionsverfahren als mehr oder minder präzise festgelegte Pläne für die Konstruktion von Überführungen eines gegebenen Sachverhalts in den gesuchten wollen wir Heurismen (= Findeverfahren) nennen, und die Gesamtmenge solcher Pläne und ihre Organisation im Gedächtnis eines Problemlösers nennen wir heuristische Struktur ... Sowohl ES (epistemische Strukturen; W.W.) als auch HS (heuristische Strukturen; W.W.) sind Gedächtnisstrukturen. Die Ausprägung der ES bestimmt die Fähigkeit eines Individuums, innerhalb eines Realitätsbereichs "reproduktiv" Aufgaben zu lösen, während die Ausprägung der HS entscheidend für die Fähigkeit zum "produktiven" Denken ist" (DÖRNER 1979, 27). Die Unterscheidung von "epistemischer" und "heuristischer" Struktur, für die CATTELL (1963) die einleuchtenden Bezeichnungen "kristallisierte" und "fluide" Intelligenz ge-

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funden hat, ist übersetzungsprozessual und übersetzungsdidaktisch relevant. Je umfänglicher das epistemische Wissen, desto geringer ist vermutlich der Aufwand an heuristisch zu bewältigendem Suchverhalten. Daraus den Schluß zu ziehen, daß man bei der Ausbildung von Übersetzern den Schwerpunkt auf die Vermittlung von epistemischem Wissen legen sollte, wäre allerdings ein fataler Irrtum, genauso wie es umgekehrt ein Trugschluß wäre anzunehmen, man könnte ohne ausreichende epistemische Basis gleich mit dem (Jbersetzungsunterricht beginnen. (Deshalb gehört eine umfassende, Breitenwissen und Vertiefungswissen verbindene Schulung in den Fremdsprachen und in der Grundsprache unter Einschluß landeskundlichen Wissens zu den Vorbedingungen für eine effiziente übersetzungsdidaktik; vgl. BDÜ-Memorandum 1986.) Offensichtlich hängt die vernünftige Kontrolle und Beherrschung des Ubersetzungsprozesses von der sinnvollen Verbindung epistemischen und prozeduralen Wissens ab. Der Ubersetzer kann durch methodische Disziplin und Selbstkritik dafür sorgen, daß sich sein Verhalten im Rahmen dessen bewegt, was im Kontext der as/zs Doppelorientierung des Ubersetzers notwendig ist. Barrieretypen im Ubersetzungsprozeß Jedes Problemlösungsverhalten schließt die Fähigkeit ein, ein Ubersetzungsproblem problemgerecht in seine Elementarstrukturen aufzulösen und dann nach "Rekompositionsregeln" zu suchen, die es dem Ubersetzer erlauben, die ermittelten Elementarstrukturen in der ZS wieder zu größeren Konfigurationen oder sprachlichen Superzeichen zusammenzusetzen. Welche Art von Kalkulation ein Übersetzer in Gang setzt, hängt von der Art der Barrieren ab, auf die er im Verlauf seiner Zielfindungsoperationen stößt. Welche Faktoren können die Überführung des Anfangszustandes in den Endzustand behindern? Hier kann man, vereinfacht formuliert, zwei Barrieretypen unterscheiden: 1. Der Übersetzer hat Wissensdefizite; sein Wissen reicht für die Bewältigung der sich im Rahmen einer Übersetzung stellenden Probleme nicht aus; der Ubersetzer ist mit der gestellten Aufgabe überfordert, weil er keine oder nicht genügend sachgemäße Problemlösungsverfahren entwickeln kann und deshalb auf den systematischen Einsatz von Methoden des Inferenzierens verzichten muß. Solche Situationen sind auf allen übersetzungsrelevanten Sprachebenen, Morphologie, Lexikologie, Idiomatik, Syntagmatik, Satzsyntax, Textsyntax, vorstellbar. Jeder Übersetzer erinnert sich an Fälle, wo er zwar wußte, daß ein Übersetzungsproblem vorliegt, aber nicht wußte, wie er das vorgefundene Problem entschärfen und damit den angestrebten Zielzustand erreichen kann. Dazu kommt, daß sich, vor allem bei inhaltlich und/oder formal komplexen Texten, Probleme unterschiedlicher Sprachebenen überlagern können. Es kann also vorkommen, daß ein Übersetzer mehrere Probleme gleichzeitig in Angriff nehmen muß.

87 Übersetzungsdidaktisch ergibt sich daraus die Schlußfolgerung, daß der Übersetzer lernen muß, komplexe Suchstrategien zu entwickeln und sein Wissen in Form richtiger Problemlösungsoperationen auf den zu übersetzenden Text zu projizieren (Kap.II). 2. Der andere Fall von Barrieren, mit denen ein Übersetzer rechnen muß, ist die Unmöglichkeit, exhaustiv zu operieren, d.h. alle Operationen, die von einem Anfangs- zu einem Endzustand führen können, systematisch auf ihre Textadäquatheit gegeneinander abzuwägen und dann eine s.E. optimale Problemlösungsoperation durchzuführen. Eine solche Situation liegt vor, wenn nicht ein Zuwenig, sondern ein Zuviel an Übersetzungsmöglichkeiten vorliegt. Zwar ist die Zahl der in jeder Ubersetzungssituation vorstellbaren Übersetzungsprozesse endlich. (Dasselbe gilt für die Zahl der möglichen Übersetzungssituationen.) Trotzdem kann der Übersetzungsaufwand so groß werden, daß er unter dem Gesichtspunkt der Kosten/Nutzen-Relation nicht vertretbar ist. Dies ist vor allem bei Texten der Fall, die durch einen Reichtum an assoziativen und konnotativen Ober- und Untertönen markiert sind. Hier erreicht die Übersetzung wegen der Eigendynamik solcher Texte die Dimension eines logisch nicht mehr exakt definierbaren, kalkulierbaren und begründbaren Sprachspiels. Andererseits sind solche Barrieresituationen dort selten und auf die syntaktische Textebene reduziert, wo die referentielle Textdimension dominiert oder wo Texttypkonventionen maßgebend sind, die den Übersetzer zwingen, in einem semiotisch restringierten Handlungskontext zu operieren, so etwa bei fachsprachlichen Texten mit ausgeprägtem Formatcharakter oder anderen Subsorten gebrauchssprachlicher Texte (Anzeigentexte). Von solchen Restriktionen abgesehen, ist das Faktoreninventar für Problemlösungen von Text zu Text und von Übersetzer zu Übersetzer verschieden. Hier können z.B. institutionelle und personale Voraussetzungen und Festsetzungen die Rolle von "intervenierenden Variablen" übernehmen. Solche Variablen schließen kognitive und habituelle Verfahrensweisen und qualitative Sprünge beim übersetzen ein; sie schließen andererseits die totale Automatisierung und Determinierung von Übersetzungsprozessen im technologischen Sinn aus. Wechselwirkungen zwischen epistemischer Datenstruktur und algorithmischem Verarbeitungsprogramm sind nur im Bereich der Mü voll institutionalisiert und homogenisiert (Kap.VIII). Dagegen sind auf dem Gebiet der Übersetzung durch den Menschen die übersetzerischen Handlungsspielräume heterogen. Ein Text stellt immer nur eine allgemeine Handlungsanweisung dar. Es dürfte kaum einmal vorkommen, daß, von phraseologisch verfestigten und interlingual kodifizierten Textsegmenten abgesehen, mehrere Übersetzer beim Transfer ein und desselben Textes zu mikrokontextuell identischen Ergebnissen kommen, weil ein Übersetzer fast immer nur ei-

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nen Teil der sich bietenden zs Möglichkeiten sieht. Das läßt sich u.a. feststellen, wenn man Ubersetzer auffordert, alle ihnen zu einem bestimmten Textsegment einfallenden Ubersetzungsvarianten aufzuschreiben. Leistungsfähigkeit des Problemlösungsverhaltens Angesichts der Pluralität potentiell koexistierender bzw. rivalisierender ZS-Alternativen ist eine orthodoxe Selbstbegründung eines Problemlösungsverfahrens oft nicht möglich. Maßgebend ist neben dem "Bekanntheitsgrad der Mittel" auch die "Klarheit der Zielkriterien" (DÖRNER 1979, 14). Bei einer (hausinternen) Rohübersetzung oder Informationsübersetzung kann ein minimalistisches Problemlösungsverhalten ausreichen, wogegen bei einer für eine Veröffentlichung vorgesehenen Ubersetzung ein maximalistisches Problemlösungsverhalten notwendig ist. Natürlich gibt es zwischen minimalistischem und maximalistischem Problemlösungsverhalten ein Kontinuum an Zwischenstufen. Abgesehen von solchen übersetzungssituationsbedingten Unterschieden ist die Beherrschung von Problemlösungsmethoden für die Einschätzung der Transferkompetenz eines Ubersetzers aufschlußreich. Man kann Problemlösungsmethoden auch als übersetzungsmethodische Probierbewegungen bezeichnen. Der Anwendungsbereich eines Problemlösungsverfahrens ist dann besonders groß, wenn sein Einsatz nur an eine geringe Zahl von Bedingungen geknüpft ist. Ein Fall par excellence für ein Problemlösungsverfahren mit einer geringen Zahl an Bedingungen ist die wörtliche Ubersetzung (Kap.VI); deshalb kann man mikrokontextuell die wörtliche Ubersetzung auch als Übersetzerische Elementaroperation bezeichnen. Anders liegen die Dinge bei der nichtwörtlichen Übersetzung (Kap.VI). Hier muß der Ubersetzer entweder syntaktischtranspositionell und/oder semantisch-modulatorisch vorgehen; d.h., nichtwörtliche Übersetzungen erfordern einen größeren Problemlösungsaufwand als wörtliche Ubersetzungen, deren Reichweite in der Übersetzungspraxis oft überschätzt, aber auch unterschätzt wird (THOME 1981) . Wo überlegte Methoden zum Einsatz kommen, wird der Ubersetzungsprozeß berechenbar: Die in ihre rational bestimmbaren Segmente aufgelöste Totalität des zu übersetzenden Textes wird nach einem rational kontrollierten Programm in der ZS wieder so zusammengesetzt, daß die Ubersetzung den Bedingungen ihrer Kalkulierbarkeit genügt. Allerdings: Vor überzogenen Hoffnungen sei gewarnt: Ubersetzen ist keine "technokratische" oder gar "planokratische" Tätigkeit, die alle Probleme durch entsprechende Problemlösungsmethoden aus der Welt schaffen kann. Man kann nicht alle an einem Ubersetzungsauftrag beteiligten Faktoren in Problemlösungsaktivitäten einbeziehen. Anzustreben ist nicht ein Problemlösungsfanatismus oder eine Problemlösungsheilslehre, sondern

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die Fähigkeit, die jeweils anstehenden Übersetzungsnotwendigkeiten durch vernünftige Konzentration auf das Wesentliche in eine sinnvolle, produktive Ordnung zu bringen. Man bringt längst nicht jedes Übersetzungsproblem dadurch zum Verschwinden, daß man ein allgemeines, sich in einer festgelegten Abfolge schrittweise entfaltendes Problemlösungsverfahren praktiziert, das dann, wenn es für den Übersetzer kritisch wird, regelmäßig in Aktion tritt. Man kann übersetzerische Problemlösungsmethoden nur begrenzt computerisieren und schon gleich gar nicht verabsolutieren. Neben kognitiven Faktoren gibt es im Übersetzungsprozeß auch nichtkognitive, emotionale Faktoren, die die "prognostische Verläßlichkeit" (LENK 1972, 94) von Problemlösungsverfahren u.U. relativieren. Für Typisierungen und Verallgemeinerungen von Problemlösungsverfahren ist in der Ubersetzungspraxis - und damit auch in der Ubersetzungsdidaktik - nur begrenzt Platz. Für die Lösung von Ubersetzungsproblemen gibt es kein hieb- und stichfestes Flußdiagramm. Dies vor allem deswegen nicht, weil mit einem objektiven Problemkontinuum von einfach bis schwierig und einem einheitlichen subjektiven Problembewußtsein und einer entsprechenden Problemlösungsmotivation nicht zu rechnen ist. Was die Ubersetzungspraxis braucht, und dafür muß die Ubersetzungsdidaktik die Wege ebnen, ist eine mittlere Position zwischen totalem Problemlösungsoptimismus und völliger Problemlösungsabstinenz . Es wäre illusorisch zu glauben, daß es jemals ein Pro'olemlösungsmodell für alle übersetzerischen Ereigniswahrscheinlichkeiten mit einer wohldefinierten, institutionalisierten Sequenz problemlösender Operationen geben könnte. Ein solches Modell wäre allenfalls vorstellbar im Rahmen einer Problemaufarbeitung "mit abgeschlossenem Problemraum". Übersetzen ist aber (fast) immer ein Vorgang der Problemaufarbeitung "mit offenem Problemraum" (KRAUSE 1982a, 35). Jeder Text weist - je nach Texttypzugehörigkeit und nach der vom Autor gewählten Textstrategie - obligatorische und fakultative Konstituenten auf. Das Vorkommen obligatorischer Konstituenten rührt daher, "daß es im Bereich der Verwendungszwecke der Sprache außereinzelsprachliche Invarianten gibt" (GÜLICH/RAIBLE 1977, 36). Das Vorkommen fakultativer Konstituenten (z.B. von Metaphern oder von (nichtlexikalisierten) Adjektiv-Substantiv-Kollokationen) hängt damit zusammen, daß jeder Textproduzent aufgrund seiner sprachlichen und außersprachlichen Wirklichkeitserfahrung, seiner kommunikativen Interessen- und Bedürfnislage, seiner stilistischen Kompetenz, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft individuelle Textherstellungsnormen praktiziert. Individuelles Textherstellungsverhalten ist auch ein Merkmal der Ubersetzung (Kap.III). Ubersetzen ist keine monolithische Form der Textverarbeitung, sondern immer nur eine Annäherung an eine Idealmethode. "Kein Text übersteht eine

90 Übersetzung unverändert" (Horst TÜRK bei einem üw Kolloquium in Hildesheim, April 1987). Auch und gerade für das Übersetzen gilt, was Wilhelm GRIMM einmal im lexikographischen Kontext gesagt hat: "Definitionen können nicht erschöpfen, was das lebendige Wort in sich faßt". Aus den letzten Sätzen so etwas wie einen übersetzungsmethodischen Defätismus herauszulesen wäre falsch. Übersetzungsprozesse sind nicht unauslotbar; was fehlt, ist empirische Detailforschung, die sich vorab auf die Beantwortung zweier Fragen konzentrieren muß: 1. Was leisten Problemlösungsmethoden für übersetzerische Prozeßoptimierung? 2. Was tragen Problemlösungsmethoden zur Explikation übersetzerischer Kreativität und Intuition bei?

übersetzungsdidaktische Implikationen Solche Fragestellungen sind übersetzungsdidaktisch relevant: Sie schärfen das Bewußtsein des Übersetzerstudenten für die Möglichkeiten der textuell adäquaten Identifizierung, Isolierung und Überwindung von Übersetzungsproblemen. Sie können ein Ausgangspunkt für Versuche sein, übersetzerische Vorgehensweisen zu ändern und zu verbessern. Es stimmt m.E. nicht, daß man übersetzen, "nur durch übersetzen" (ZALAN 1984, 200), lernt; die Methode "learning by doing" ist viel zu zeitaufwendig (NORD 1987b, 42). Außerdem wäre es auch falsch anzunehmen, der Übersetzer sei ein Datenverarbeitungssystem, dessen Leistungsfähigkeit proportional zu der Menge des verfügbaren Wissens wächst, übersetzen muß so angelegt sein, daß es zwei Irrtümer, "methodische Strenge ohne normative Basis" und "normative Strenge ohne methodische Basis" (KAMBARTEL/MITTELSTRASS 1973, IX) vermeidet. Das letztendliche Ziel einer problemlösungsorientierten Ubersetzungsdidaktik wäre dann, dem zukünftigen Übersetzer die Notwendigkeit des planmäßigen, kreativen Operierens in einem übersetzerischen HandlungsZusammenhang vor Augen zu führen - im Sinne der Feststellung GUILFORDs: "Problem solving and creative thinking can very well be included under the general heading of learning ... problem solving is an instance of learning" (1968, 63). Dabei muß man prinzipiell zwischen makrokontextuellem Verhaltenstraining und mikrokontextuellem Verhaltenstraining unterscheiden. Makrokontextuelles Verhaltenstraining bedeutet, daß der Ubersetzer durch Rahmenplanungsstrategien antizipatorisch herausfinden muß, wie er sich als Problemloser verhalten muß, um den kommunikativen Vorstellungen des as Autors und den kommunikativen Erwartungen des zs Lesers gerecht zu werden. Mikrokontextuelles Verhaltenstraining bedeutet, daß der Ubersetzer für die unter übersetzungsprozessualem Aspekt kritischen Textstellen sensibilisiert wird. D.h., er muß lernen, Problemlösungsverfahren zu entwickeln, die erkennen lassen, daß er seinen Zielfindungsweg

91 unter dem Gesichtspunkt einer akzeptablen Input/Output-Relation zu finden vermag und daß er entscheidungskompetent handeln kann. Dem letztgenannten Aspekt ist das nächste Kapitel gewidmet.

92 V. übersetzen als Entscheidungsprozeß

Entscheidungstheorie und Ubersetzungswissenschaft Labyrinthisch nennen wir eine Situation, wenn sie unübersichtlich, verworren ist, wenn Orientierungen fehlen, wenn der Weg zum Ziel unklar oder überhaupt nicht erkennbar ist. Labyrinthisch ist eine metaphorische Ausdrucksweise; sie geht auf die Vorstellung von einem Irrgarten oder einem Irrganggebäude zurück, das dem Eintretenden mehrere Wege zur Wahl anbietet, von denen alle außer einem in Sackgassen führen. Als ein solches Irrganggebäude ist uns aus der Antike der legendäre minoische Knossos-Palast auf Kreta bekannt; dort soll der attische Nationalheld Theseus den stierköpfigen, jungfrauenfressenden Minotauros erschlagen haben. Den Weg aus dem Labyrinth zurück soll er mit Hilfe eines Fadens gefunden haben, den ihm die ihn liebende Ariadne vor Beginn seines gefährlichen Abenteuers zugesteckt hatte. Von Indianern wissen wir, daß sie bei der Erkundung eines ihnen unbekannten Reviers mit ihren &xten Markierungen an in Sichtweite voneinander stehenden Bäumen angebracht haben und sich auf diese Weise den Rückweg in vertrautes Gelände gesichert haben. Die beiden Verhaltensweisen sind vergleichbar; Theseus und die Indianer haben mit sog. "Orientierungsfiguren" gearbeitet, um sich für das Handlungsziel "Rückwegsicherung" eindeutige Wegweisungen zu schaffen und damit komplizierten, frustrierenden, u.U. sogar lebensbedrohenden Entscheidungssituationen aus dem Weg zu gehen. Auch übersetzen hat oft Labyrinth-Charakter; hier den richtigen Navigationspfad zu finden ist schwierig, weil es beim übersetzen nicht um einfache Ortsveränderungen in einem physikalischen Umfeld, sondern um komplexe Bewußtseinsvorgänge geht, für die es keine leicht kopierbaren Ariadnefäden gibt. Anders ausgedrückt: Dem Übersetzer werden Entscheidungen abverlangt. Darauf haben in der neueren ÜW schon die Vertreter der "stylistique comparée" mit ihrer Unterscheidung zwischen "servitude (grammaticale)" und "option stylistique" hingewiesen (VINAY/DARBELNET 1958; MALBLANC 1961 ) . Von jedem Ubersetzer wird verlangt, daß er im Sinne des erwarteten bzw. des vorgeschriebenen Zielzustandes operiert. Ubersetzen als bewußte und intentionale Zieltext-Herstel-

93 lung ist aber nur möglich, wenn der Ubersetzer auf der Basis eines informationsgestützten Entscheidungsverhaltens und unter Berücksichtigung der jeweiligen "situational constraints" (J.C. SAGER 1984, 342) die Wirkung und die Folgen seines übersetzerischen Tuns antizipatorisch abschätzen und unerwünschte Nebeneffekte gleich welcher Art vermeiden kann. D.h., er muß die Vor- und Nachteile seiner Handlungsweise abwägen und sich im Rahmen der durch die jeweilige Ubersetzungssituation vorgegebenen Wert- und Zielvorstellungen so verhalten, daß ein plausibles, überzeugendes Resultat herauskommt. Dabei sieht er sich auf sich selbst und seine übersetzerische Kompetenz verwiesen. Diese muß so beschaffen sein, daß er unter übersetzungsspezifischer Berücksichtigung der GRICEschen Kooperationsprinzipien (1975) zwischen dem Autor des Ausgangstextes und dem Empfänger des Zieltextes aufgrund seiner eigenen Handlungsdispositionen vermitteln kann. D.h., der Ubersetzer muß sich in seiner Doppelrolle als gleichzeitig ausgangstextrezipierendes und zieltextplanendes Handlungssubjekt an handlungsbestimmenden Variablen wie Texttyp, Inhalts- und Beziehungsaspekten sowie stilistischen Wertzuschreibungen etc. orientieren, um in der jeweiligen Auftragssituation die richtigen Entscheidungen zu treffen. In Anbetracht der Komplexität übersetzerischen Entscheidungsverhaltens wäre es naheliegend, daß die ÜW eine intensive Diskussion über das Wesen übersetzerischer Entscheidungsprozesse in Gang gesetzt hätte, aber diese Diskussion hat bisher in nennenswertem Umfang nicht stattgefunden. In der umfangreichen üw Fachliteratur kommt, soweit ich sehe, der Begriff "Entscheidungsprozeß" nur dreimal im Titel einer Veröffentlichung vor, und zwar in dem Aufsatz von LEVY "Translation as a Decision Process" (1967), in KUSSMAULS Aufsatz "Ubersetzen als Entscheidungsprozeß. Die Rolle der Fehleranalyse in der Ubersetzungsdidaktik" (1986) und im Aufsatz von REISS "Type, Kind and Individuality of Text. Decision Making in Translation" (1981). Nach LEVYs Meinung stehen as und zs Textsegmente in der Regel nicht in einer Eins-zu-Eins-Entsprechung, sondern in einer Eins-zu-Viele-Entsprechung. Die übersetzungsprozessuale Konflikt- und Entscheidungssituation ist für den Ubersetzer um so schwerer zu bewältigen, je komplexer das zu übersetzende Textsegment in syntaktischer, semantischer, pragmatischer und stilistischer Hinsicht ist. Umgekehrt ist das Ergebnis eines übersetzerischen Entscheidungsprozesses um so besser, je mehr Methodenbewußtsein und Methodenkompetenz ein Ubersetzer besitzt. Hat sich ein Ubersetzer erst einmal für eine bestimmte Formulierung entschieden, ist damit oft gleichzeitig eine Vorentscheidung über die nachfolgenden Ubersetzungsprozeduren gefallen. Das übersetzerische Ablaufschema läßt sich nur noch dann rückgängig machen, wenn ein Ubersetzer seine erste Lösung - z.B. weil ihm im nachhinein eine textadäquatere Formulierung eingefallen ist - revidiert und den zs Textherstellungsprozeß von vorne be-

94 ginnt. Nach LEVY kann man auf die Beschreibung von Übersetzungsprozeduren die Methode der Spieltheorie anwenden und retrospektiv das "generative Muster" einer Ubersetzung rekonstruieren . KUSSMAUL (1986, 209) diskutiert einige den Übersetzungsprozeß determinierende Variablen (Kultur, Situation, Text, Textsteller), aber der Entscheidungsbegriff selbst wird, genau besehen, nicht problematisiert. Das ist von der Themenstellung des Beitrags her eigentlich auch gar nicht möglich: Das Hauptgewicht seiner Ausführungen liegt auf der Fehleranalyse, einem vom Zieltext zum Ausgangstext rückverweisenden Verfahren. Ubersetzerische Entscheidungsprozesse sind dagegen immer vom Ausgangstext zum Zieltext hin orientiert. Auch die Ausführungen von REISS erwecken eigentlich nicht den Eindruck, daß es hier um den Entscheidungsbegriff geht. Ihr Ansatz ist eher normorientiert - im Rahmen einer Wenn/ Dann-Beziehung: "... besides a text typology relevant to translating, a translation typology should be worked out" (1981, 122). Noch deutlicher wird ihre präskriptive Einstellung anhand des folgenden Zitats: "If there is a difference between the original text function and the function of the translation, the text typology relevant to translation as well as the establishment of the given text variety are of no significance at all for the question what mode of translating should be adopted to attain functional equivalence. In that case a typology of translation should replace the text typology in order to supply suitable criteria for the mode of translating" (1981, 131). Von LEVY, KUSSMAUL und REISS abgesehen, gibt es in der Fachliteratur hier und da Hinweise darauf, daß Ubersetzen ein Entscheidungsprozeß ist oder zumindest ein solcher sein kann, z.B. bei GERZYMISCH-ARBOGAST (1986, 160) oder bei VERMEER (1986a, 35), der von einer "Entscheidungsphase" im Ubersetzungsprozeß spricht. Wenn man aber wissen will, wie Entscheidungen

im Ubersetzungsprozeß

Zustandekommen

und

welche Ursachen sie haben, stellt man fest, daß die ÜW mit ihren diesbezüglichen Überlegungen noch ziemlich am Anfang steht (Ansätze bei HOLZ-MfiNTTÄRI 1984 und bei NORD 1986). Uber das übersetzerische Verhalten in Entscheidungssituationen wissen wir wenig; wer sich dafür interessiert, findet dazu reichlich Gelegenheit im Rahmen von Untersuchungen auf theoretischem und vor allem auf empirischem Gebiet. Eine Reduktion übersetzerischen Entscheidungsverhaltens auf "eine Art mathematisierter kognitiver Theorie" (LEE 1977, 353) erscheint mir dabei nicht erfolgversprechend. Offenbar hat die ÜW die in den 60er und 70er Jahren entstandene umfängliche Literatur zur Entscheidungstheorie (vgl. u.a. KIRSCH 1970; 1971a und b) bisher nicht rezi-

95 piert. Man kann die Entscheidungstheorie, in der man einen deskriptiven und einen präskriptiven Zweig unterscheiden muß (SAUGER 1981), keiner etablierten Wissenschaftsdisziplin zuordnen. Maßgeblich beteiligt an ihrer Entstehung und rapiden Entwicklung sind die Wirtschaftswissenschaften, aber in Anbetracht des breiten Spektrums von Entscheidungsproblemen ist die Entscheidungstheorie heute zentraler Diskussionsgegenstand auch in der Kybernetik, der Philosophie, der Mathematik, der Informationstheorie, der Systemtheorie und dem Operations Research (LEE 1977). Ziel der Entscheidungstheorie ist es, die Bedingungen für bewußte, überlegte, begründbare und verstehbare, wertorientierte Entscheidungen im Rahmen von Handlungsalternativen zu klären und damit die Voraussetzungen für rationale, zielgerichtete Entscheidungsprozesse zu schaffen. "Wie sich das rationale Handeln des Entscheidenden in einer konkreten Situation darstellt, hängt neben dessen Zielen vom subjektiven Informationsstand über die Menge der Wahlmöglichkeiten und die damit verbundenen Konsequenzen ab" (SALIGER 1981, 1). Entscheidungstheorien sind heutzutage relevant im Rahmen der Diskussion von Zweck/Mittel-Relationen (KOCH 1978). Von Zweck/Mittel-Relationen ist die Rede, wenn es darum geht, Entscheidungsprozesse aus dem Bereich des irrationalen Dezisionismus herauszuhalten und einen "negierten Normativismus" (SPINNER 1986, 931) zu vermeiden. Dies ist in all den Fällen wichtig, wo sich der Mensch nicht im Umfeld naturgesetzlich berechenbarer oder naturgesetzlich fixierter Vorgänge und Sachverhalte befindet, sondern wo er unter zwei oder mehr Möglichkeiten eine erfahrungsgebundene und wissensbasierte Entscheidung treffen muß. Dabei geht es nicht nur darum, ein Ziel zu erreichen, sondern sich diesem Ziel auf optimalem Weg (mit dem jeweils notwendigen Maß an Effektivität und im Rahmen des von der jeweiligen Kommunikationssituation vorgeschriebenen Arbeitstempos) zu nähern. Entscheidungsverhalten im Ubersetzungskontext Entscheidungsverhalten und Problemlösungsverhalten sind m.E. nicht identisch; andererseits sind sie auch nicht immer exakt gegeneinander abgrenzbar; deshalb kommt es gelegentlich zur Gleichsetzung der beiden Verhaltensweisen. Problemlösen ist m.E. der umfassendere Begriff; Entscheidungsprozesse beginnen erst, wenn im Rahmen einer entscheidungsvorbereitenden Problemlösungsoperation das Entscheidungsfeld so weit abgesteckt ist, daß klar ist, welche Ent— scheidungsfaktoren und Entscheidungskriterien in dem jeweiligen Handlungszusammenhang virulent sind und wie sie gewichtet werden müssen. Im Rahmen von Problemlösungsmethoden tragen wir "kognitive Kategorien an die Objekte und Ereignisse der

96 Außenwelt heran. Wir erkennen, was in der Außenwelt ist, indem wir die Gegenstände der Außenwelt kategorisieren" (ENGELKAMP 1986, 111). Für übersetzungswissenschaftler und Ubersetzungspraktiker klingen solche Überlegungen heute einigermaßen vertraut. Das Bild vom Ubersetzer als "Subsumptionsautomaten" (WERBIK 1984, 644), der mehr oder minder sachkundig "der Spur nach" übersetzt, verschwindet langsam, aber sicher. Heute lernt der angehende Übersetzer schon in der Ausbildung, daß er auswählen, Wertungen vornehmen und den übersetzerischen Handlungseffekt abschätzen muß. Dabei sieht er sich oft mit der Tatsache konfrontiert, daß er nicht nur sprachliche, sondern auch situative Entscheidungen zu fällen und zu verantworten hat. (Vgl. dazu NORDs Unterscheidung zwischen Übersetzungsprozeß und Ubersetzungsvorgang (1986).) In solchen Fällen muß der Ubersetzer besonders intensiv die Voraussetzungen seines Tuns reflektieren, seine eigenen Möglichkeiten und Grenzen erkennen und die Folgen seiner Entscheidungen für die Kommunikationsbeteiligten abwägend bedenken. Dazu gehört einerseits, daß er nicht "submissiv", unter kritikloser Anerkennung fremder Autorität, übersetzt; dazu gehört andererseits, daß er sich ständig vergegenwärtigt, daß er in seinen Entscheidungen nicht seinen persönlichen Vorzugswerten folgen und parteilich entscheiden darf (es sei denn, er ist an eine "Parteidisziplin" gleich welcher Art gebunden; vgl. dazu KADE 1966). Der Ubersetzer selbst ist nicht "Partei"; zum Bild des Ubersetzers gehört die prinzipielle Unparteilichkeit gegenüber seinen direkten und indirekten Kommunikationspartnern, m.a.W., die "Rquidistanz" zu sich selbst und zu seinem Text. Parteilichkeit ist weithin gleichbedeutend mit Befangenheit; wenn Befangenheit vorliegt, kann der Ubersetzer seine Aufgaben objektiv nicht mehr ausführen. Die dem Ubersetzer von seiner Rolle her aufgezwungene Weisungsgebundenheit verbietet es ihm, seine Tätigkeit an rein subjektiven Wertfaktoren zu orientieren. Der Ubersetzer bewegt sich in keinem realistischen Ubersetzungskontext auf absolute Freiheitserlebnisse zu. Das Sich-Bewußtmachen der Einflußfaktoren, denen eine Ubersetzung unterliegt, ist deshalb eine wichtige Phase im Prozeß der Sammlung von Erfahrungen, auf denen das Entscheidungsverhalten des Ubersetzers aufbaut. Das Entscheidungsverhalten wird gestätzt durch die Beachtung methodischer Prinzipien, die darüber befinden, welche Position ein Ubersetzer im Rahmen einer bestimmten Textsituierung einzunehmen, durchzuhalten oder gegebenenfalls auch wieder aufzugeben oder zu verändern hat. Die Entscheidungssituation, die sich hier stellt, kann kompliziert sein, weil die Ubersetzung zweimal einen Prozeß der Konsensbildung durchlaufen muß, einmal im Bereich der as Textanalyse und einmal im Bereich der zs Textsynthese. Hier meldet sich das Bedürfnis nach einem Inventar text(typJangemessener Äquivalenzkriterien, die übersetzerische Willkür einschränken und dem durch eine evtl. zu großzügige

97 Handhabung des übersetzerischen Möglichkeitsspielraums unsicheren Obersetzer Rückhalt und Orientierungshilfen geben. Ubersetzerische Methodenlehren geben meistens nur Hinweise darauf, daß, aber nicht, wie zu werten und abzuwägen ist (FRIEDERICH 1969). Daraus ergibt sich die Aufforderung an den Übersetzer, durch die bewußte Kontrolle von Wertentscheidungen die Rationalität übersetzerischen Handelns zu begründen. Nun ist dies alles leichter gesagt als getan. Methodische Postulate für übersetzerische Entscheidungsprozeduren sind allemal einfacher zu formulieren, als in die Übersetzerische Wirklichkeit umzusetzen. Der Ubersetzer befindet sich in einer Situation, die ihn zwingt, aus den Möglichkeiten seines mehr oder minder offenen Handlungshorizonts im Rahmen einer umfassenden Informationsverarbeitung normwidrige Varianten (auf die sich der ungeübte Ubersetzer nur allzu vertrauensselig einläßt; s. Kap.IV) progressiv auszufiltern und unter den akzeptablen Varianten diejenige auszuwählen, die seinen Vorstellungen von einem adäquaten Zieltext am ehesten entspricht. Die Entscheidung für eine Variante bedeutet natürlich gleichzeitig auch eine Entscheidung gegen alle anderen möglichen und akzeptablen Varianten. Dabei kann man zwischen Entscheidungen in einem relativ risikoarmen und in einem relativ risikoreichen Umfeld differenzieren. Risikoreich ist übersetzerisches Entscheidungsverhalten, wenn der Ubersetzer unter Unsicherheitsumständen arbeitet, die ihn beim Entwurf eines sachgerechten Handlungsplans behindern. Risikoarm dagegen ist eine übersetzerische Entscheidungssituation dann, wenn dem Übersetzer ein verhältnismäßig hohes Maß an sprachlichen und außersprachlichen Informationen zur Verfügung steht, wenn er also aus einem umfangreichen Wissens- und Erfahrungspotential schöpfen kann, welches die Gefahr des "Zusammenbruch(s) der Standardmechanismen der Entscheidungsfindung" (MARCH/SIMON 1958, 112, zit. nach KIRSCH 1970, 96) ausschließt. Am ehesten entgeht der Ubersetzer, entsprechendes sprachliches und außersprachliches Wissen vorausgesetzt, dieser Gefahr bei fachsprachlichen Texten oder anderen Gebrauchstexten (z.B. Betriebsanleitungen, Wetterberichten, Resolutionen); deshalb kann man hier auch mit sog. "Standardäquivalenten" operieren, die auf einer standardisierten Relation zwischen der eigenen Handlung und den Textfaktoren beruhen. Hier kann man von einer entscheidungsprozessualen Routinisierung des Ubersetzungsvorgangs sprechen (Kap.VI). Der Ubersetzer bewegt sich in einem Umfeld, in dem das Prinzip der übersetzungsprozessualen Selbstregulierung dominiert. Sie enthebt ihn bei Fachtexten der Auseinandersetzung mit textuellen Pluralitätsperspektiven. Der Ubersetzer kann gleichsam "standpunktlos" operieren. Im übrigen können die Beziehungen zwischen Umweltfaktoren und dem Entscheidungsvermögen des Ubersetzers ganz unterschiedlich sein. ZELGER hat darauf aufmerksam gemacht, daß

98

""Handlung" ein Geschehen ist, das nicht vollständig durch Ausdrücke beschrieben werden kann, die sich ausschließlich auf objektive Prozesse beziehen, welche intersubjektiv zuverlässig festgestellt werden können. Handlungen lassen sich aber auch nicht adäquat durch Ausdrücke beschreiben, die bloß subjektive Bewußtseinszustände beschreiben, welche durch Methoden der Introspektion, der Interpretation usw. erschlossen werden müssen" (1984, 497). Diese Wechselbeziehung von subjektiven/objektiven Faktoren darf freilich - und darauf ist schon hingewiesen worden nicht als Legitimation für ein beliebiges Herausgreifen übersetzerischer Möglichkeiten verstanden werden. Der Ubersetzer steht unter der Verpflichtung einer (möglichst) rationalen Wahl, deren Maßstab die Fähigkeit ist, Alternativen zu erkennen und sie in ihren Folgen gegeneinander abzuschätzen, ohne sich auf einen blinden Dezisionismus einzulassen. Ein Ubersetzer muß Entscheidungsprozesse als reflektierte Akte steuern und optimal zum Abschluß bringen. In Fällen, wo ein Ubersetzer die möglichen Alternativen und vor allem ihre Konsequenzen für die Akzeptabilität des Zieltextes nur unvollständig kennt und daher nur ungefähr abwägen kann, wie er sich zu verhalten hat, ist es - nicht zuletzt unter dem Gesichtpunkt übersetzerischer Effizienz unabdingbar, Normen für die Informationsbeschaffung und Informationsauswahl festzulegen. Wann soll ein Ubersetzer vernünftigerweise aufhören, Informationen zu sammeln; wann hat er genug Informationen für eine verantwortbare übersetzungsprozessuale Entscheidung; wann ist es zulässig, eine Entscheidung ins Ungewisse hinein zu riskieren, auch wenn die Informationssuche eigentlich noch nicht abgeschlossen ist? Anders ausgedrückt: Wann ist es im Sinne einer ökonomischen Verhaltensweise, wie sie in der Berufspraxis tagtäglich gefordert wird, vertretbar, einen Entscheidungsprozeß zum Abschluß zu bringen, auch wenn die epistemischen Grundlagen noch lückenhaft sind? Was kann das Fehlen bestimmter Wissenselemente für unser Verhalten als Ubersetzer und für unsere übersetzerischen Entscheidungen für Folgen haben? Dies sind Fragen, die sich vor allem an die in der Ubersetzerausbildung tätigen Lehrkräfte wenden: Sie müssen eine nur von Fall zu Fall fixierbare mittlere Linie finden, die einerseits das Verhalten der Übersetzerstudenten stützt und ihnen andererseits die Erfahrung der Notwendigkeit des Abwägens zwischen verschiedenartigen Konsequenzen nicht vorenthält. Dazu gehört auch, daß man als Ubersetzer lernt, im Rahmen eines Ubersetzungsprozesses nur ein paar "relevante" Daten zu berücksichtigen, damit sich eine Entscheidung nicht durch eine nur noch schwer zu überschauende und oftmals heterogene Datenmenge in übersetzungspraktisch nicht mehr vertretbarem Maß verzögert. Die Lehrkräfte müssen nicht nur das Wort "Priorität" kennen, sondern auch und vor allem den damit gemeinten Sachverhalt. Sie müssen den

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Studierenden beibringen, was im Hinblick auf ein vertretbares Input/Output-Verhältnis nötig und möglich ist. Ist die Entscheidungsfähigkeit des Ubersetzers trainierbar? Wichtig ist, ob bei der Diskussion von Entscheidungsprozessen ein generalisierbarer Lerneffekt vermittelt wird, m.a.W., ob das Ergebnis einer solchen Diskussion im Rahmen eines "transfer of training" auf andere Übersetzungsprobleme übertragen werden kann. Was dazu bisher an übersetzungsdidaktischen Erkenntnissen vorliegt, mahnt allerdings eher zur Vorsicht. Offenbar kann ein auch noch so entscheidungsorientierter Ubersetzungsunterricht nicht das Entscheiden schlechthin vermitteln, sondern muß sich darauf beschränken, das objektive Sich-Entscheiden-Müssen zu problematisieren und das subjektive Sich-Entscheiden-Können in bestimmten sprachlichen und außersprachlichen Zusammenhängen zu üben. Die abstrakte Zusammenfassung verschiedener Entscheidungsakte zu einer allgemeinen Entscheidungsfähigkeit ist, wenn überhaupt, nur langfristig und mit großem kognitivem Aufwand möglich. Entscheidungen, die vernünftig und nachvollziehbar sein sollen, müssen auf Einsicht und auf der Kenntnis von Maßstäben und Grundsätzen beruhen. Jedes Entscheidungstraining ist nur so weit sinnvoll, wie Sachkompetenz und Urteilsfähigkeit vorliegen. Deshalb gibt es keine automatische Ableitung von Praxisanweisungen aus einem entscheidungsorientierten Ubersetzungsunterricht. Entscheidungsprozesse sind nicht harmonisierbar. Ob übersetzerische Entscheidungskompetenz geradlinig und kontinuierlich von weniger zu mehr Entscheidungskompetenz anwächst, wissen wir nicht - und auch nicht, ob man diesen Akkumulationsprozeß kollektiv steuern kann oder ob dafür ein individualisierter Ubersetzungsunterrieht erforderlich ist. Dafür fehlen in der Ubersetzungsdidaktik die von der Angewandten Linguistik seit längerem propagierten "longitudinal studies" (CORDER 1973), deren Verwirklichung schwierig ist, weil die Festlegung der Versuchsbedingungen methodische und ökonomische Probleme aufwirft. Jedenfalls ist hier, wie etwa auch bei der Aufschlüsselung des in der Fremdsprachendidaktik diskutierten Globalbegriffs "Interlanguage" (SELINKER 1969), mit Hilfe von simplen "prozeduralen" Denkmodellen kein erheblicher Erkenntnisgewinn zu erwarten. Man kann die Forderung nach Entscheidungsorientiertheit des Ubersetzungsprozesses nicht verabsolutieren, sondern muß sich auf das Wesentliche beschränken und auch auf die Fähigkeit zu übersetzerischer Improvisation und Intuition (Kap.VII) setzen. Die Entscheidungstheorie, gleichgültig ob deskriptiver oder präskriptiver Orientierung (s.o. in diesem Kap.), kann dem Übersetzer Entscheidungshilfen bieten; sie kann ihm Entscheidungen nicht abnehmen.

100 Von welchen Faktoren ein Entscheidungsprozeß abhängt, ist von Text zu Text und von Ubersetzer zu Ubersetzer verschieden. Hat sich der Ubersetzer für einen ihm geeignet erscheinenden Ubersetzungsprozeß entschieden, setzt er i.d.R. eine Kette mit einer bestimmten "Rekursions-Tiefe" (DAWKINS 1987, 99) in Gang. Diese Entscheidungskette schränkt seinen Handlungsspielraum progressiv ein. D.h., die Sicherheit von Prognosen über die syntaktische und semantische Entfaltung einer Äußerung nimmt gegen das Satzende hin deutlich zu. Dies ist ein Umstand, der nicht so sehr für das Ubersetzen als vielmehr für das Dolmetschen wichtig ist. Eine solche Entscheidungskette kann man sich in Form eines links/rechtsverzweigten Entscheidungsbaums folgendermaßen vorstellen (ähnlich VAN DIJK/KINTSCH 1983, 64); dabei wird angenommen, daß der Ubersetzer nicht nach dem Prinzip der "Zufallsvariation", sondern nach dem Prinzip der "kumulativen Selektion" (DAWKINS 1987, 98) vorgeht:

e

Wenn a, dann b oder c oder d; wenn a und b, dann e oder f; wenn a und b und e, dann g. Oder: Wenn a und d, dann h oder i; wenn a und d und i, dann k. In der Praxis des Ubersetzens sind die einzelnen Entscheidungsprozesse allerdings längst nicht immer so übersichtlich wie in dem hier vorgeführten Diagramm. Je komplexer die syntaktisch-lexikalischen Verhältnisse im Ausgangstextsegment sind, desto komplexer ist auch die Entscheidungsproblematik. "... der Ubersetzungsprozefl hat den Charakter eines AUF DER KENNTNIS ALLER INFORMATIONEN BERUHENDEN SPIELS; der Ubersetzungsprozeß ist also ein Spiel, in welchem jeder Zug, der auf einen anderen folgt, durch die Kenntnis vorausgehender Entscheidungen und der aus ihnen resultierenden Situation beeinflußt wird (dies gilt z.B. für das Schachspiel, dagegen nicht für Kartenspiele)" (LEVY 1981, 220). Ubungsklausuren, die in Saarbrücken die Grundlage übersetzungsdidaktischer Überlegungen bilden, haben gezeigt, daß

101 die Zahl der Klausurteilnehmer und die Zahl der von ihnen gelieferten Übersetzungsvarianten nicht selten deckungsgleich oder fast deckungsgleich sind (WILSS 1978a). Natürlich sind in solchen Fällen nicht alle Übersetzungsvarianten in gleichem Maße akzeptabel. Daraus folgt, daß die Ausfilterung der nichtakzeptablen Übersetzungsvorschläge mit Angabe der Gründe eine wichtige Aufgabe einer systematischen Ubersetzungsdidaktik ist. Andererseits hat die Diskussion solcher Übersetzungsklausuren, deren Ergebnisse von mir in Form von Synopsen zusammengefaßt werden, immer wieder gezeigt, daß, von syntaktisch und semantisch ganz einfachen und eindeutig denotativen Textsegmenten abgesehen, immer mehrere zs Varianten übrigbleiben, die qualitativ nicht mehr hierarchisierbar sind und wo der Übersetzer nur noch sagen kann, daß ihm eine bestimmte Variante eben besser gefällt als eine andere, ohne daß er dieses Werturteil explizit begründen kann. Ein Übersetzungsprozeß nimmt also längst nicht immer einen streng logischen oder auch nur situationslogisch determinierten Verlauf. M.a.W.: Übersetzungsprozesse sind "relative" Ereignisse, wobei die Relativität des Ubersetzens dort ihre Grenzen findet, wo ein Ubersetzungsprozeß in subjektive Willkür ausartet. Allerdings ist dieser Grenzpunkt vielfach nicht objektiv bestimmbar. Das zeigt sich sehr deutlich an dem notorischen Ubersetzungsprinzip "so treu wie möglich, so frei wie nötig", das KADE wegen seiner Vagheit zu Recht kritisiert hat (1968b; vgl. auch NORD 1986). Die Mehrfachübersetzung eines Textes durch verschiedene Ubersetzer mit vergleichbarer Übersetzungskompetenz vermittelt Einblicke in die Vielfalt übersetzerischer Verhaltensweisen. Ubersetzen ist eine Probierhandlung im Sinne einer allmählichen Verfertigung des Zieltextes (Kap.IV). Diese Probierhandlung verläuft in verschiedenen Phasen oder Interimsschritten. Dies gilt vor allem da, wo sich der Ubersetzer, aus welchen Gründen auch immer, an einer bestimmten Textstelle festbeißt oder wo er im Rahmen einer übersetzungsprozessualen Selbstkorrektur die zuerst getroffene Entscheidung zugunsten einer von ihm als treffsicherer erachteten anderen Lösung verwirft. Ein eindrucksvolles Beispiel stammt von HARTMANN (1981), der in einer australischen Bibliothek die verschiedenen handschriftlichen englischen Versionen des Titels des von Erich Maria REMARQUE verfaßten Buches "Im Westen nichts Neues" gefunden hat und somit das seltene Glück hatte, einen Blick in die Werkstatt eines literarischen Ubersetzers tun zu können. HARTMANN macht auch deutlich, daß die übersetzungsprozessualen Kombinationsmöglichkeiten in literarischen Texten u.U. breiter gestreut sind als in fachsprachlichen Texten und daß Erkenntnisse über das Entscheidungsverhalten von Übersetzern im Umgang mit literarischen Texten nur schwer zu gewinnen sind. Dies mag, neben anderen Faktoren, die ge-

102 legentlich zu hörende Feststellung erklären, eine literarische Ubersetzung habe immer nur Vorläufigkeitscharakter, weil mit der Möglichkeit latenter, d.h. noch zu entdeckender Textperspektiven zu rechnen sei. Beispieldiskussion Daß aber auch in literarischen Texten Entscheidungsprozesse rekonstruierbar sind, zeigt das folgende Beispiel (aus einer Übungsklausur, Englisch erste Fremdsprache, zweites Fachsemester, 25 Teilnehmer). Es handelt sich dabei um eine Textstelle aus dem ersten Abschnitt des Romans "The loneliness of the long-distance runner" von Alain SILLITOE. Die folgende Diskussion der Ergebnisse von Obersetzungsprozessen beschränkt sich auf die Wiedergabe der attributiven Partizipialkonstruktion "wearing ..." und des Relativansatzanschlusses mit "who ...": A middle-aged man wearing a dirty raincoat, who badly needed a shave and looked as though he hadn't washed for a month, came out of a public lavatory with a cloth bag of tools folded beneath his arm. 1.

Ein Mann mittleren Alters, der einen schmutzigen Regenmantel trug, eine Rasur dringend nötig hatte und aussah, als ob er sich seit Monaten nicht gewaschen hätte, verließ, eine Stofftasche mit Werkzeug unter dem Arm tragend, einen öffentlichen Waschraum.

2.

Ein Mann mittleren Alters, der einen schmutzigen Regenmantel trug, eine Rasur dringend nötig gehabt hätte und so aussah, als hätte er sich monatelang nicht gewaschen, trat aus einem öffentlichen Waschraum mit einer Werkzeugtasche aus Stoff unter den Arm geklemmt.

3.

Ein Mann mittleren Alters, der einen schmutzigen Regenmantel anhatte, eine Rasur ziemlich nötig hatte und so aussah, als ob er sich seit einem Monat nicht mehr gewaschen hätte, verließ ein öffentliches Bad mit einer Stofftasche voll Werkzeug unter dem Arm.

4.

Ein Mann in mittleren Jahren in einem schmutzigen Regenmantel, der sich dringend hätte rasieren müssen und der aussah, als ob er sich einen Monat lang nicht gewaschen hätte, kam mit einer Werkzeugtasche aus Stoff unter dem Arm aus einer öffentlichen Toilette.

5.

Ein Mann mittleren Alters in einem schmutzigen Regenmantel , der dringend eine Rasur brauchte und aussah, als ob er sich seit einem Monat nicht mehr gewaschen hätte, kam aus einer öffentlichen Wasch-

103 anstalt mit einer Stofftasche voll Werkzeug unter den Arm geklemmt. 6.

Aus einem öffentlichen Waschraum kam ein Mann mittleren Alters in einem schmutzigen Regenmantel, der dringend eine Rasur benötigte und so aussah, als ob er sich seit einem Monat nicht gewaschen habe. Unter dem Arm trug er eine Stofftasche mit Werkzeugen.

7.

Aus einer öffentlichen Wäscherei trat ein Mann mittleren Alters, einen schmutzigen Regenmantel tragend und eine Stofftasche mit Werkzeugen unter den Arm geklemmt. Er sah aus, als ob er sich einen Monat lang nicht gewaschen hätte und auch dringend eine Rasur benötigte.

8.

Ein Mann mittleren Alters kam mit einer Stofftasche voller Werkzeug unter den Arm geklemmt aus einer öffentlichen Toilette. Er trug einen schmutzigen Regenmantel, sah aus, als hätte er sich seit einem Monat nicht mehr gewaschen und hatte eine Rasur bitter nötig.

Uberprüft man die acht zs Varianten unter syntaktischem Gesichtspunkt, zeigt sich, daß sich die Klausurteilnehmer recht unterschiedlich verhalten haben. Grob gesprochen, lassen sich drei Ansätze unterscheiden: Die drei Varianten 1. - 3. bleiben syntaktisch relativ nah am Original, eine Feststellung, die sich durch einen Rückübersetzungstest erhärten ließe. Die Varianten 4. und 5. und - mit Einschränkungen - auch 6. weichen, gesamtsatzsyntaktisch betrachtet, auch nicht entscheidend von der as Satzsyntax ab. Anders als in den zuerst genannten drei Varianten haben die Studenten hier die einzige ernsthafte Schwierigkeit, die der as Satz bietet, nämlich die Wiedergabe des englischen Relativpronomens "who", nicht oder jedenfalls nicht elegant gemeistert. Der Relativsatzanschluß mit "der" nach "Regenmantel" ist nicht glücklich, weil falsche syntaktisch-semantische Relationen hergestellt werden (vgl. die Ausführungen zu "garden-path sentences" in Kap. XI). Eine dritte Gruppe bilden die Varianten 6., 7. und 8.: Hier ist der as Satz mit seiner relativ komplexen Syntax jeweils in zwei Hauptsätze aufgeteilt worden, wobei sich die semantischen Informationen unterschiedlich auf die beiden Hauptsätze verteilen. Die Frage, ob sich dadurch Verschiebungen der funktionalen Perspektive des as Satzes ergeben, bleibt, weil m.E. in diesem Kontext relativ unerheblich, hier außer Betracht. Auch auf die z.T. falschen Wiedergaben von "lavatory" gehe ich, weil in unserem Argumentationszusammenhang irrelevant, hier nicht ein. M.E. verstößt die Auflösung des

104 englischen Satzes in zwei deutsche Hauptsätze bei einem Erzähltext wie dem vorliegenden nicht gegen wichtige Rquivalenzforderungen. Wenn man diesen Weg nicht beschreiten will, bleibt als Alternative nur die Beibehaltung der as Syntax. Von den Klausurteilnehmern, die sich für diesen Ansatz entschieden haben, scheint mir die unter 1. gebotene Variante die beste zu sein, weil in ihr durch Einbeziehung des Satzsegments "wearing a dirty raincoat" in den mit "der" eingeleiteten Nebensatz die Schwierigkeit der Wiedergabe der attributiven Partizipialkonstruktion gemeistert und gleichzeitig die kotextuelle Nachbarschaft von "Regenmantel" und "der" vermieden wird. Typologie des Obersetzerverhaltens in Entscheidungssituationen Entscheidungspsychologisch steht das unterschiedliche Ubersetzerverhalten mit der allgemeinen Erfahrung im Einklang, daß jeder Mensch einem Bündel von Wahrnehmungen und Vorstellungen eine spezifische Ausrichtung gibt; es gibt also so etwas wie eine Kovariation zwischen Person und Entscheidungsverhalten oder eine Entscheidungswirksamkeit personaler Merkmale, so daß derselbe Text, unterschiedlich geordnet und lebensweltlich bezogen, zu unterschiedlichen übersetzerischen Ergebnissen führen kann. So ist es denkbar, daß ein Übersetzer in einem Text das offenkundig Nächstliegende in den Vordergrund rückt, während andere, wichtigere Faktoren entweder im Dunkel bleiben oder daß zentrale Transferumstände völlig ignoriert werden. Die ÜW hat, um eine eingangs dieses Kapitels getroffene Feststellung in abgewandelter Form zu wiederholen, bisher nicht viel Mühe darauf verwandt, über die Charakterisierung der Übersetzung als Entscheidungsprozeß und die ihr innewohnenden Implikationen hinaus zu klären, was sich alles an mentalen Prozessen abspielt, wenn der Ubersetzer versucht, einen Text auf seine persönliche Erfahrungswelt zu projizieren; dabei kann es vorkommen, daß der von ihm entwickelte Bewußtseins zustand mit dem im Ausgangstext vorgegebenen Bewußtseins zustand nicht identisch ist. So wie jede Handlung einen Handelnden voraussetzt, setzt jede Ubersetzung einen Übersetzer voraus. Zur ÜW gehört also auch die Beschreibung der Ubersetzungssituation mit dem Ziel, die Leistung des Ubersetzers unter dem Gesichtspunkt des übersetzerischen Könnens, der übersetzerischen Handlungsbedingungen und des jeweils zumutbaren Schwierigkeitsgrades des Ausgangstextes zu untersuchen. Hier stellt sich die Frage nach einer Typologie der Ubersetzer, die die unterschiedlichen Temperamentsdispositionen herausarbeitet. Man kann dem prospektiven, zielorientierten Übersetzer den retrospektiven, unschlüssigen Ubersetzer gegenüberstellen, der bei der Herstellung des Zieltextes schwankt, ein Sachverhalt, der auch unter der Bezeichnung

105 "Pilatussyndrom" bekannt ist. Man kann auch vom halsstarrigen, vom skeptischen, vom bedenklichen, vom geltungssüchtigen, vom empfindsamen, vom logischen, vom gehemmten und vom inkonsequenten Ubersetzertyp sprechen. All das sind Aspekte des Übersetzerverhaltens, die im Rahmen einer Persönlichkeitstheorie des Obersetzers im Anschluß an die in der Motivationsforschung entwickelte Eigenschaftstheorie (HECKHAUSEN 1980) diskutiert werden müßten. Dabei würde sich wahrscheinlich herausstellen, daß viele Übersetzungssituationen durch ein kaum oder nur schwer zu entwirrendes Geflecht von personalen, soziokulturellen und intellektuellen Dispositionen charakterisiert sind, durch ein Milieu also, in dem sich der Ubersetzer oft nur mit Schwierigkeiten zurechtfindet. Natürlich ist es nötig, im Auge zu behalten, daß es sich bei diesen Typisierungen um heuristische Hilfsbegriffe für Sachkundige handelt. Unvermischt kommen ideale Typen in der Ubersetzungswirklichkeit ohnedies kaum einmal vor. Daraus ergibt sich die Verpflichtung für den Ubersetzer, sich selbst zu kontrollieren und auf das, was als das Unbewußte gilt, zu achten. Denn das Programm der objektiven Textverwirklichung in der ZS ist und bleibt die höchste berufliche Aufgabe und Zielsetzung des Ubersetzers. Das Betroffensein von persönlichen Lebens- und Handlungsumständen, von psychischen und sozialen Beeinflussungen kann nur dann neutralisiert werden, wenn der Ubersetzer fähig ist oder befähigt wird. Unbewußtes bewußt zu machen und von einer intuitiven zu einer reflexiven Ubersetzungstätigkeit zu gelangen. (Die Intuition kommt chronologisch nach der Reflexion; Kap.VII.) Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, ein realistisches Bild von der übersetzerischen Entscheidungsfindung und der damit verbundenen Verantwortung zu gewinnen. Die textuellen Rahmenbedingungen werden dann nicht nur als unerwünschte Einschränkungen empfunden, sondern dienen zugleich als Schutzmauer gegen Unbestimmtheit und Handlungszweifel. Das Wissen um die eigene Doppelverantwortung gegenüber Ausgangstext und Zieltext-Leser muß den Ubersetzer veranlassen, seine Fähigkeiten so gut wie möglich für die situationsangemessene Zieltext-Herstellung einzusetzen. Ist das Verantwortungsbewußtsein unterentwickelt, entsteht eine Situation, in der der übersetzerische Subjektivismus Terrain gewinnt und sich im Sinne einer dezisionistischen Haltung entfaltet. Deshalb müssen dezisionistische Einstellungen, die sich durch sich selbst rechtfertigen, situationsbezogenen methodischen Überlegungen weichen. Diese methodischen Überlegungen sollen das Gefühl der Unsicherheit dem zu übersetzenden Text gegenüber mindern und das Gefühl der (relativen) Souveränität des Ubersetzers dem zu übersetzenden Text gegenüber steigern. Damit hätte der Berufsstand der Ubersetzer einen Gewinn an Selbstlegitimation zu verzeichnen, die erkenntnistheoretische, wissenssoziologische

106 und psychologische Zweifel daran ausräumt, ob es objektive Entscheidungsfindungen im Rahmen der jeweiligen kommunikativen Interessenslage überhaupt geben kann. Es bleibt freilich eine offene Frage, inwieweit eine Objektivierung der übersetzerischen Entscheidungsfindung möglich ist, weil allen Objektivierungsversuchen letztlich die Konstitution der menschlichen Persönlichkeit entgegensteht. Diese subjektive Komponente, die übrigens in der Öffentlichkeit noch immer nicht überall als selbstverständlich vorausgesetzt wird ("Ubersetzen Sie das, was dasteht!"), ist nur zu reduzieren, wenn man zwischen einer generellen (lebensweltlichen) Entscheidungsfähigkeit und einer besonderen , am konkreten Übersetzungstext zu erprobenden Entscheidungsfähigkeit differenziert. Von Entscheidungen ist heute im diskursiven und im algorithmischen Zusammenhang die Rede. Die entscheidungsorientierte ÜW muß sich folglich auch mit den Computerwissenschaften auseinandersetzen, gleichgültig, ob sich das nun mit ihrem Selbstverständnis als anthropologische Wissenschaft verträgt oder nicht. Selbstverständlich wird, wie angedeutet, die entscheidungsorientierte Ü W nie eine exakte Wissenschaft im Sinne des Szientismus werden; sie kann sich nicht an radikale, naturalistisch vorgegebene, nicht mehr reflektierte Verfahrensweisen binden, aber sie kann - und muß - heuristische Methoden für die übersetzerische Entscheidungsfindung entwickeln. Eine solche Entwicklung könnte dazu beitragen, daß die ÜW ihr Dilemma, mehr Anspruch als Wirklichkeit zu sein, überwindet und daß ein komplexer Begriff von ÜW entsteht. Was die ÜW braucht, ist kein "Begriffsdomino", sondern eine Theorie des praktischen Wissens, die, aufbauend auf übersetzungsbezogenen Denkinhalten und Denkoperationen, zu einem entscheidungsfundierten Formulierungsresultat führt. übersetzungsdidaktische Implikationen In diesem Kontext stellen sich der Übersetzungsdidaktik spezielle Aufgaben, wobei auch bedacht werden muß, daß viele Menschen Sachverhalten, die für sie persönlich bedeutsam sind, größeres Interesse entgegenbringen als Sachverhalten, die sie nicht persönlich (existentiell) angehen. Von dem zu übersetzenden Text ist der Ubersetzer nur mittelbar betroffen, vor allem dann, wenn er sich seine Übersetzungstexte nicht selbst aussuchen kann, sondern erledigen muß, was ihm auf den Tisch gelegt wird. Deswegen ist es - schon im Sinne einer besseren Motivierung - wichtig, daß der Übersetzer prinzipiell die Möglichkeit hat, sich mit allen an einem Übersetzungsvorgang direkt oder indirekt Beteiligten in Verbindung zu setzen, um damit die Voraussetzung für entscheidungsorientierte Festlegungen zu schaffen, die der Mitteilungsabsicht des as Autors und den Informationsbe-

107 dürfnissen des zs Lesers optimal Rechnung tragen. Allerdings muß man sich hier vor Idealisierungen hüten: "Da die Funktion eines Textes, also auch des Translats, durch die Situation bestimmt wird, in der er als Botschaftsträger steht, sind möglichst vollständige Angaben über die Situationsfaktoren der vorgesehenen ZT-Rezeption (ZT=Zieltext; W.Vf.) erforderlich: über Empfänger, Orts- und Zeitbedingungen der ZT-Rezeption, über das für den ZT zu wählende Trägermedium etc.... Informationen über den soziokulturellen Hintergrund des Empfängers (z.B. über Bildungsstand, Beruf, Alter, regionale Herkunft etc.) sind infolgedessen genauso wichtig wie Hinweise auf die Intention oder Erwartung, mit der er den ZT rezipieren wird, oder die Wirkung, die der Initiator bei ihm erzielen will, usw., kurz: alle Informationen oder Informationssorten, die auch in bezug auf den AT-Empfänger (AT=Ausgangstext; W.W.) von Bedeutung sind ..." (NORD 1986, 19). Wozu aber dieser Aufwand, wenn es in demselben Argumentationskontext heißt: "Meines Erachtens unterliegt die Fixierung der Translatfunktion nicht dem Ermessen des Translators, sondern der Entscheidung des Initiators der Translation, zumal dieser später darüber befindet, ob das Translat seinen Vorstellungen entspricht" (NORD 1986, 18). Daß der Übersetzer dem Initiator einer Übersetzung und dem Empfänger gegenüber Verantwortung trägt, ist unbezweifeibar (Kap.IV). Dies hat zur Folge, daß man dem Ubersetzer den Status der Professionalität zuerkennen muß. Ein Professionalitätsschub ist allerdings nur dann zu erreichen, wenn Berufspraxis und Ausbildungsseite auf der Basis funktionaler Sachlichkeit zusammenarbeiten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des, wenn überhaupt, nur gemeinsam zu erreichenden Ziels, der Öffentlichkeit die Komplexität und Vielfältigkeit der übersetzerischen Arbeits- und Entscheidungssituationen plausibel und überzeugungskräftig vor Augen zu führen (WILSS 1987). Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem ungemein problematischen Gegenstand der Übersetzungskreativität. Davon soll im nächsten Kapitel die Rede sein.

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VI. Der Begriff der Kreativität in Übersetzungsprozeß

Zum Stand der Kreativitätsforschung Wenn wir die geistigen Horizonte der Gegenwart (das was man heute "Zeitgeist" nennt) absuchen, stoßen wir auf Ideen und Theorien, die darauf abzielen, die Erscheinungen unseres Universums miteinander in Beziehung zu setzen und die dazu anregen, "interdisziplinär" zu denken. So hat die Physik neue Einsichten in die Struktur der Materie und der Energie gewonnen. Der Künstler hat gelernt, mit Hilfe lebloser Materie Zeit- und Bewegungsdimensionen auszudrücken, und in den kognitiven Wissenschaften entdecken wir Wechselwirkungen zwischen diskursivem und algorithmischem Denken, zwischen Handeln und Verhalten, zwischen schematischem und innovativem Denken. In all diesen Entwicklungen spielt der Begriff der Kreativität eine zentrale Rolle. Er ist gleichsam eine Ikone der Gegenwart. Dessen ungeachtet ist die Kreativitätsforschung noch immer ein problematisches Gebiet der Psychologie mit einer Vielzahl verschiedener Forschungsmethoden, Forschungsperspektiven und Forschungsziele. Darauf hat GUILFORD, der als Begründer der Kreativitätsforschung gilt (1950), schon vor zwei Jahrzehnten aufmerksam gemacht (1968), aber inzwischen hat sich an dieser Situation nichts Entscheidendes geändert. Kreativität ist noch immer ein "smoke-screen"-Begriff; dies hängt u.a. auch damit zusammen, daß klare begriffliche und definitorische Unterscheidungen zwischen Kreativität, Produktivität, Originalität und Imagination fehlen (SCHOTTLAENDER 1972; MCFARLAND 1985). Allerdings ist fraglich, ob solche Unterscheidungen überhaupt möglich sind, weil es schwierig ist, diesen Begriffen eine präzise Bedeutung zuzuordnen. Wir kennen zwar die Bedeutung der Wissenschaft für den Fortbestand unserer Gesellschaft, und wir wissen auch, daß Kreativität ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens ist; aber mit der wissenschaftlichen Dingfestmachung des Begriffs Kreativität und mit der Erkundung der Dimensionen menschlicher Kreativität tun wir uns noch immer schwer, u.a. vielleicht deswegen, weil wir uns unter dem Einfluß der Systemtheorie in einen wissenschaftstheoretischen Methoden- und Regulierungszwang verstrickt haben, der neuerdings viel Kritik erfahren hat (Kap.VIII). I.A. TAYLOR hat die sechs s.E. zentralen Fragen der Kreativitätsforschung folgendermaßen formuliert: "What is creativity? What are the systematic approaches

109 to its study? What are the important areas of research? How is creativity assessed? Can creativity be developed? Finally, Why the growing concern with creativity?" (1975, 2). Wenn wir unser gegenwärtiges Wissen über Kreativität zusammenfassen, können wir, vereinfacht formuliert, folgende Feststellungen treffen: 1. Kreativität hat etwas mit Intelligenz zu tun (GUILFORD 1970, 178; I.A. TAYLOR 1975, 12; vgl. auch GUILFORDs "Structure-of-Intellect Model"; 1975, 40ff.), aber daraus die Gleichung "höherer Intelligenzquotient = höherer Kreativitäts-Quotient" abzuleiten ist nach den Erkenntnissen der Kreativitätsforschung falsch (MANIS 1966). 2. Eine "creatio ex nihilo" gibt es nicht; Kreativität ist, wie Intuition (Kap.VII), immer Wissens- und erfahrungsbasiert; sie setzt ein bestimmtes Maß an Problemverständnis (GUILFORD 1968, 91, 107; WEWETZER 1973, 54) voraus und artikuliert sich im Entwurf und in der Durchführung von Verhaltensplänen. Augenfällig ist die Wissens- und Erfahrungsbasiertheit kreativer Handlungsweisen in sog. "brain storming "-Diskussionen (VERNON 1970; SCHOTTLAENDER 1972). 3. Kreativität ist immer zielgerichtet und wertorientiert; Kreativität ist also nicht identisch mit einer ziellosen, wertindifferenten Originalität. "Ein Einfall, der in dem Sinn originell ist, dass er sonst niemandem in den Sinn kommt, kann sich als wertlos erweisen" (MANIS 1966, 128); Kreativität ist so etwas wie eine irrationale, nicht mechanisierbare Form der Rationalität. Aber sie ist nicht identisch mit einem "ungesteuerten Luxurieren" der Phantasie (FACAOARU 1985, 2). 4. Es gibt ganz unterschiedliche Manifestationen der Kreativität, z.B. künstlerische, wissenschaftliche, technische, organisatorische, didaktische, theoretische und praktische Kreativität (ULMANN 1968, 68). Ein kreativitätsübergreifendes Merkmal ist die Fähigkeit zur "innovatorischen", "nichtbehavioristischen" Kombination von bislang unverbundenen Ideen und Sachverhalten (FLOSSDORF 1978, passim; VERMEER 1986b, 46); so kann man CHOMSKYS sprachtheoretisches Denken mit seiner Verbindung von Sprachwissenschaft, Mathematik und Psychologie kreativ nennen; allerdings ist es ihm nicht geglückt, selbst einen kohärenten, überzeugenden Begriff sprachlicher Kreativität zu entwickeln. Es ist deshalb kein Zufall, daß er Kreativität einmal "a "mysterious ability"" genannt hat (zit. nach HIORTH 1974, 117). VERHAAR hat sich zu CHOMSKYS Begriff der Kreativität folgendermaßen geäußert: "Chomsky's 'creativity' is of a strange sort, confined to the rules of the grammar, and open-ended only in that one may always produce sentences that

110 have never been used. Basically, therefore, there is something of the determinism of structuralism ... Chomsky's theory, then, is somewhere between structuralism and phenomenology, and at the same time incompatible with both" (1980, 213). Kreativitätsforschung und Ubersetzungswissenschaft In der modernen Linguistik, insbesondere in der modernen Sprachtheorie, ist innerhalb und außerhalb des generativen Kontextes über sprachliche Kreativität intensiv nachgedacht worden. Da sich sprachliche Kreativität in bestimmten Formen der Sprachverwendung äußert und da übersetzen eine spezifische Form der Sprachverwendung ist, wäre es naheliegend gewesen, auch in der modernen UW im Verbund mit sprachwissenschaftlichen Kreativitätsüberlegungen eine Diskussion über das Wesen übersetzerischer Kreativität zu führen, aber diese hat bisher nicht stattgefunden. Ubersetzungskreativität ist noch weiterhin eine "terra incognita". Das läßt sich u.a. an der Tatsache ablesen, daß in der schon erwähnten "Arbeitsbibliographie übersetzen" (D. LEHMANN 1982) das Stichwort "Kreativität" fehlt (übrigens auch die Stichwörter "Problemlösung", "Entscheidungsprozeß" und "Intuition") . Um die Abstinenz der ÜW auf diesem Gebiet verstehen zu können, muß man sich die folgende weitverbreitete Vorstellung von den Voraussetzungen und Bedingungen des Übersetzens vor Augen halten: Die übersetzungsfähigkeit gehört, wie die Fähigkeit zum Erlernen einer oder mehrerer Fremdsprachen, zur mentalen "Grundausstattung" des Menschen. Sie kann von ihm im Rahmen eines mehr oder minder systematischen Trainings zu einer interlingualen Sprachtechnik ausgebaut werden. Während nun aber die Sprachlehr- und -lernforschung trotz aller definitorischen und methodischen Schwierigkeiten versucht hat, z.B. über Kreativitätstests und die Operationalisierung des Lernziels "Kommunikative Kompetenz", der Kreativität im fremdsprachlichen Lernprozeß auf die Spur zu kommen (VON FABER et al. 1978), hat die ÜW bisher gezögert, die systematische Untersuchung der Ubersetzungskreativität in ihr Forschungsparadigma einzubeziehen. Es gibt zwar in der Fachliteratur hier und da Hinweise darauf, daß Ubersetzen ein kreativitätsbestimmter Vorgang ist (neuerdings z.B. RABASSA 1984, 35; VERMEER 1986b, 52; A. NEUBERT 1986, 104; 1987, 42; NORD 1986, 43; STOLZE 1986, 157; TOMMOLA 1985, 162; VANNEREM/SNELL-HORNBY 1986, 189; H. BÜHLER 1987, MS; LILOVA 1987, 17; NIDA 1987, MS), aber diese eher beiläufigen Bemerkungen sind nicht informativ genug, wenn man wissen möchte, was denn - etwa im Gegensatz zu den oben erwähnten Kreativitätsformen - das Charakteristikum der Übersetzungskreativität ist; ja sie lassen noch nicht einmal mit letzter Sicherheit erkennen, ob mit Uber-

111 setzungskreativität eine Art interlingualer Disponibilität (im Sinne von DE SAUSSUREs "faculté du langage" oder CHOMSKYS "language acquisition device") oder eine vage Umschreibung der im konkreten Obersetzungsvorgang wirksamen übersetzerischen "black box" ist. So nimmt es nicht wunder, daß da, wo Versuche zur Definition des Begriffs der Ubersetzungskreativität gemacht werden, dessen Komplexität durch die Inanspruchnahme informationstheoretischer Begriffe überspielt wird: "Translation ... is a creative process, consisting of the transformation of the units of (the) language ..., in which is encoded the sender's message M, into units of another language ..., reproducing so far as possible a constant information 1 = 1 ' " (LUDSKANOV 1975, 6). Die Unsicherheit bei der Bestimmung des Begriffs der Ubersetzungskreativität hat mehrere Ursachen: 1. Ubersetzen ist eine spezifische Form der Verbindung von Verstehen und Erfinden. Im Ubersetzungsprozeß manifestiert sich eine spezifische Form sprachlicher Kreativität, Kreativität hier verstanden im individualpsychologischen, nicht im generativen Sinn. Übersetzungskreativität ist ein schillernder Begriff. Man kann sie weder begrifflich richtig packen noch exakt messen, gewichten oder beschreiben. Welcher unserer geistigen Kräfte wollen wir sie zuordnen? Kreativität ist offenbar ein mentales Superdatum, in welchem Vernunft, Verstand, Intuition und Phantasie integrativ zusammenwirken. Kreativität im allgemeinen und Ubersetzungskreativität im besonderen lassen sich nicht vorherbestimmen. Man kann sogut wie nicht vorhersagen, was wir als Ubersetzer morgen an kreativen Einfällen haben werden und ob wir mit unserem Kreativitätspotential dem zu übersetzenden Text gerecht werden oder nicht. 2. Man kann die Meinung vertreten, daß Kreativität im W i derspruch zum Wesen des Ubersetzungsprozesses steht; sein Ziel ist die Nachbildung eines Ausgangstextes in einer ZS. "(The translator) must be Willing to express his own creativity through someone eise's création" (NIDA 1976, 58). M.a.W.: Ein Übersetzer muß seine eigenen mentalen Kreativitätsressourcen aktivieren, u m in einer spezifischen Übersetzungssituation in semantischer, funktionaler und pragmatischer Hinsicht ein Ebenbild des Ausgangstextes zu erreichen. übersetzen ist eine "transformative" Tätigkeit; sie steht also prinzipiell im Spannungsfeld zwischen Kreativität und Rekreativität. 3. Ubersetzungskreativität ist weder auf induktivem noch auf deduktivem Weg voll objektivierbar; es läßt sich kein theoretisch fundierter und empirisch eindeutig überprüfbarer übersetzungskreativer Beschreibungs- und Erklärungszusammenhang entwickeln. Für die Volatilität des Begriffs der Ubersetzungskreativität spricht auch, daß bis heute nicht

112 entschieden ist, ob übersetzen eine Kunst, eine Fertigkeit oder ein wissenschaftliches Unterfangen im Sinne einer Sachverhalts- und text(typ)bezogenen Methodologie ist (NIDA 1976, 66f.) . 4. Es gibt offenbar keinen homogenen Begriff von Übersetzungskreativität; man muß in der Übersetzungspraxis verschiedene Kreativitätsebenen, Kreativitätsbereiche und Kreativitätsmanifestationen ansetzen (SASTRI 1973). Die Relativität des Begriffs der Übersetzungskreativität ist ungefähr so vage wie die Relativität der Zuordnung eines zu übersetzenden Textes zu einem bestimmten Schwierigkeitsgrad. Texttypspezifische Differenzierung des Kreativitätsbegriffs Die Relativität des Kreativitätsbegriffs, von der eben die Rede war, wird deutlicher, wenn man den Kreativitätsbegriff texttypspezifisch differenziert. Dabei orientiere ich mich an der übersetzungspraktisch bewährten, üw nicht unumstrittenen Dichotomie zwischen literarischen und fachsprachlichen Texten (H. BÜHLER 1987, MS). Der Übersetzer sieht nicht alle übersetzungsrelevanten Texte durch dasselbe Fadenkreuz der Kreativität. In literarischen Texten ist das Sender/Empfänger-Verhältnis asymmetrisch, d.h., der Übersetzer als Empfänger eines literarischen Textes reagiert auf einen solchen Text nicht, jedenfalls nicht immer, auf vorhersagbare Weise. Das gilt vor allem für lyrische Texte, die MAYER als "Momentaufnahmen des sozialen Geschehens" (1980, 12) bezeichnet. Das unterschiedliche Reaktionsverhalten läßt sich z.B. anhand verschiedener Übersetzungen ein und desselben literarischen Werks gut dokumentieren. Ein literarischer Text steht nicht in einem beiden Kommunikationspartnern, dem Ausgangstext-Autor und dem Übersetzer, gleichermaßen bekannten und bewußten Erwartungshorizont; das Einverständnis über eine literarische Übersetzungssituation, m.a.W.: über das Gemeinte, wird erst über "Irritation" und auf dem Weg hermeneutischer Textbewältigung hergestellt. "... literary translation is an adventure in diversification ..." (A.P. FRANK 1986, 319). Literarische Texte sind u.U. extrem "rücksichtslos"; sie verkünden keine verordneten Meinungen; sie können durchaus so beschaffen sein, daß der Übersetzer ins Leere läuft, daß er Leerstellen ausfüllen, Ungesagtes, nur Angedeutetes ergänzen, einen Text gleichsam "gegen den Strich" lesen muß. Voraussetzung dafür ist, daß der Übersetzer eines literarischen Textes bereit ist, sein alltagssprachliches (habituelles) Textverständnis, seine eigene Erfahrungswelt in Frage zu stellen und sich in die vom Autor des Ausgangstextes intendierten Sinnzusammenhänge hineinzudenken. Literarische Texte stehen außerhalb der Wahr/ Falsch-Dichotomie; GOETHEs Ausspruch "das Gedichtete behauptet sein Recht wie das Geschehene" erweist literarische

113 Texte als komplizierte Ereignisse, denen mit einer übersetzerischen Standardmethode nicht beizukommen ist (REICHERT 1967). "When a person hears a poem or reads a novel, much more goes on than a transfer of information or knowledge. A thorough analysis of the lexical, syntactic, and semantic structure may be of use to the scholar, but it doesn't begin to touch upon the issues that are of interest when we look at language as literature. In some ways the issues are ... social. Literature is what it is because it plays a part in an ongoing tradition of a culture. In other ways it is individual, affecting the emotions of the reader or hearer. But the cognitive approach has not had any significant insights to offer along the emotive dimension, and despite some feeble attempts at 'computer poetry1, it seems ill suited to the task" (WINOGRAD 1983, 29). In einem fachsprachlichen Text ist das Sender/ÜbersetzerVerhältnis, einigermaßen vergleichbares sprachliches und außersprachliches Wissen vorausgesetzt, zumindest tendenziell symmetrisch, allerdings mit u.U. erheblichen Inkongruenzen zwischen Norm und Wirklichkeit (SOELLNER 1980; SCHMITT 1986). Die Produktions- und Verstehensbedingungen fachsprachlicher Texte sind primär objektzugewandt; fachsprachliche Texte sind im Hinblick auf ihre texttypbestimmten Merkmale weithin sender/empfänger-unabhängig, weil sie, jedenfalls in den "harten" Naturwissenschaften, rigiden lexikalischen und ziemlich rigiden syntaktischen Konstitutionsprinzipien unterliegen. Fachsprachliche Texte zielen auf die Beschreibung und Erklärung wissenschaftlicher und technischer Sachverhalte; sie sind daher weitgehend "entpersonalisiert". Am augenfälligsten ist diese Tendenz in den Formalsprachen der Mathematik, der Physik, der Chemie und der Sprachdatenverarbeitung (als Teilgebiet der Computerlinguistik). Das kommunikative Bewußtsein löst sich hier vom Substrat der natürlichsprachlichen Anschaulichkeit. (Allerdings wird diese Entwicklung durch stärkere Metaphorisierung der Fachsprache, z.B. in der Sprachdatenverarbeitung, teilweise wieder ausgeglichen.) Solche Formalsprachen sind abstrakte Zeichensysteme, die der Bezeichnung von mehr oder minder abstrakten Beziehungen und Konfigurationen in einem nichtsprachlichen Funktionszusammenhang dienen. Hermeneutische Bedeutungskonstitution erweist sich als Methode für den inhaltlichen Nachvollzug fachsprachlicher Texte als unproduktiv, wenn nicht gar als gefährlich. Es geht in fachsprachlichen Texten nicht darum, Unbekanntes auf Bekanntes zu reduzieren, sondern darum, den wissenschaftlichen und technologischen Wissenshorizont durch die analytische Verarbeitung fachsprachlicher Argumentationszusammenhänge zu erweitern und zu festigen (WILSS 1979). Dementsprechend ist für die Ubersetzung fachsprachlicher Texte ein analytischer Kreativitätsbegriff anzusetzen.

114 Die - im Prinzip noch immer gültige - strikte Subjekt/Objekt-Trennung bei der Erarbeitung wissenschaftlicher oder technologischer Sachverhalte hat sprachliche Folgen: Fachsprachliche Texte enthalten auf lexikalischer und syntaktischer Ebene, wie angedeutet, konventionalisierte Textbausteine und entsprechende Textstrategien. Sie sind - im Gegensatz zu literarischen Texten - "konvergent", nicht "divergent". Fachsprachliche Texte weisen ein spezifisches kommunikatives Kalkül auf, das auf Mengendurchschnitten von strukturierten, zumindest strukturierbaren Textelementen beruht. Aus diesen Mengendurchschnitten kann man in bestimmtem Umfang Texttypkonventionen ableiten. Sie erleichtern die Verständlichkeit und Verläßlichkeit fachsprachlicher Texte. Diese Konventionen kann man sich als wiederkehrende Formate, als Form der "wiederholten Rede" (Eugenio COSERIU) vorstellen. Sie haben Anweisungscharakter und sind damit ein wichtiger Faktor bei der Abfassung fachsprachlicher Texte und bei der Ermittlung von übersetzungstechnisch verfestigten, umkehrbaren Standardäquivalenten (s.u. in diesem Kap.). Beispieldiskussion Daß man die Diffusität des übersetzerischen Kreativitätsbegriffs, wenn man texttypologisch argumentiert, zumindest reduzieren, wenn auch nicht aufheben kann, zeigt die folgende Beispieldiskussion. Dazu zunächst ein Textstück aus einem gebrauchssprachlichen Text (A.B. CHERNS, Some Thoughts on Microelectronics and Social Effects, Dialogue 4, 1981, 60-65, Textanfang): Microelectronics will affect us all. But it will affect us in different ways. It will expand the range and raise the quality of existing products. It will foster new products and processes. It will accelerate the communications revolution. As consumers, we will all experience some of these developments to a large degree and all of them to some degree. But as producers we will be differentially prone to dislocation of our working lives. Some will be displaced from jobs or industries which microelectronics will render obsolete. Others will be employed in the microelectronics industry or in the new industries that microelectronics promote. The consequences for employment as a whole are nowhere known. Many claim that the loss of jobs will be of calamitous proportions; others argue that similar fears were expressed when computers were first introduced but the predicted disaster failed to occur. But it seems that some industries will be affected sooner and more gravely than others; therefore some categories of workers, some regions, and some countries will be hit especially hard. Für dieses Textstück wurden im Rahmen einer Diskussion über den Begriff der übersetzerischen Kreativität u.a. die bei-

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den folgenden Ubersetzungen geliefert: 1. Die mikroelektronische Technologie wird sich auf uns alle auswirken. Aber sie wird sich auf uns in unterschiedlicher Weise auswirken. Sie wird die Produktbandbreite erweitern und die Qualität vorhandener Produkte und Prozesse verbessern, sie wird neue Produkte und Prozesse anregen. Sie wird die Revolution des Kommunikationswewesens beschleunigen. Als Verbraucher werden wir alle einige dieser Entwicklungen in hohem Maße und andere in geringerem Maße erleben. Aber als Erwerbstätige werden wir unterschiedlich für Verschiebungen in unserer Arbeitswelt anfällig sein. Einige werden aus ihrem Arbeitsplatz oder aus ihrem Betrieb verdrängt, weil er durch die Mikroelektronik veraltet ist. Andere werden in der Mikroelektronik oder in neuen Industrien, die die Mikroelektronik fördert, Arbeit finden. Die Folgen für den Arbeitsmarkt als Ganzes sind nirgendwo bekannt. Einige behaupten, daß der Verlust von Arbeitsplätzen katastrophale Ausmaße annehmen wird; andere meinen, daß ähnliche Befürchtungen ausgesprochen wurden, als die ersten Computer auftauchten, daß aber das vorhergesagte Desaster ausgeblieben sei. Aber es scheint klar zu sein, daß einige Industriezweige früher und stärker darunter zu leiden haben werden als andere, daß deshalb einige Gruppen von Beschäftigten, einige Regionen und Länder davon besonders hart betroffen sein werden. 2. Die Mikroelektronik werden wir alle, wenngleich auf unterschiedliche Weise, zu spüren bekommen. Das Produktangebot wird sich verbreitern, und vorhandene Produkte werden besser werden. Neue Produkte werden auf den Markt konmen, und die Industrie wird neue Produktionstechniken erproben. Die Revolution des Kommunikationswesens wird rascher vor sich gehen. Als Verbraucher werden wir mit einigen dieser Entwicklungen stärker, mit anderen dagegen weniger stark konfrontiert sein. Als Erwerbstätige werden uns die StrukturverSchiebungen unserer Arbeitswelt unterschiedlich treffen. Einige werden ihren Arbeitsplatz verlieren oder aus ihren angestammten Betrieben verdrängt, weil diese nicht mehr konkurrenzfähig sind. Andere werden in die Mikroelektronik überwechseln oder in den von der Mikroelektronik neu geschaffenen Industriezweigen Arbeit finden. Die Auswirkungen auf den Gesamtarbeitsmarkt sind noch vollkommen unabsehbar. Einige behaupten, daß der Verlust an Arbeitsplätzen katastrophale Ausmaße annehmen wird; andere sind der Meinung, daß es ähnliche Schwarzmalereien auch bei der Umstellung der Produktionstechniken auf Computerbetrieb gegeben habe, daß aber der vorausgesagte Zusammenbruch des Arbeitsmarkts ausgeblieben sei. Auf jeden Fall ist so gut wie sicher, daß einige Industriezweige unter diesen Auswirkungen früher und stärker zu leiden haben werden als andere, daß deshalb bestimmte Beschäftigtengruppen, bestimmte Regionen und Länder davon besonders hart betroffen sein werden.

116 Die beiden Übersetzungen zeigen, daß in der Einstellung der Ubersetzer zum Text das Verhältnis zwischen "Reflexion" (Verständnis des Ausgangstextes) und "Projektion" (Umsetzung in die ZS), übersetzungskreativ gesprochen, unterschiedlich ausgeprägt ist. Die erste Obersetzung ist primär retrospektiv, die zweite primär prospektiv konzipiert (POSTGATE 1922). Die erste Ubersetzung bleibt vor allem auf syntaktischer Ebene möglichst nahe am Ausgangstext. Sie praktiziert weitestmöglich syntaktische Isomorphie (wörtliche Ubersetzung). Der englische - und in seinem Kielwasser der erste deutsche - Text sind im wesentlichen nach einfachen Satzbaumustern organisiert; diese Satzbaumuster stellen für beide Texte einen festen Konstruktionsrahmen dar. Die Dominanz der Subjekt/Prädikat/Objekt-Strukturen in beiden Texten läßt erkennen, daß syntaktische Strukturen (und nur diese Textdimension ist hier übersetzungsprozessual von Belang) englischer und deutscher Texte bidirektional (Englisch-Deutsch und Deutsch-Englisch) leichter übersetzbar (und rückübersetzbar) sind als syntaktisch komplexere, "transformationeil" abgeleitete Satzkonfigurationen. Hier erreicht der Ubersetzer auch ohne viel übersetzungskreatives Denken ein verhältnismäßig hohes Maß an übersetzerischer Effizienz und Ökonomie. Anders ausgedrückt: Er kann fast durchweg imitative und dennoch leistungsfähige Obersetzungsprozeduren praktizieren; er kommt, weil er gleichsam syntaktisch ungefiltert übersetzen kann, mit einem Bruchteil des kognitiven Inputs aus, den er bei obligatorischen syntaktischen (und/oder lexikalischen) Ausdrucksverschiebungen mit ihrem oft erheblichen Rephrasierungsaufwand braucht. Es ist unmittelbar einleuchtend, daß die wörtliche Ubersetzung unter übersetzungskreativem Aspekt i.a. weniger aufwendig ist als die nichtwörtliche Ubersetzung (übrigens ein Umstand, der den Übersetzer, vor allem den Anfänger, dazu verleiten kann, auch dort wörtlich zu übersetzen, wo er nur mit einer nichtwörtlichen Ubersetzung interferenzfrei sein Ziel erreicht). Wörtliche Ubersetzungsprozeduren können überall da praktiziert werden, wo zwischen AS und ZS ein struktureller (syntaktischer) Gleichgewichtszustand herrscht, der eine Quasi-Selbststeuerung des übersetzungsprozesses bewirkt. Bei wörtlichen Ubersetzungen reduziert sich der Transferaufwand auf die Aktualisierung von Verhaltensschemata (s.u. in diesem Kap.). Wo wörtlich übersetzt wird, tritt die "Unidirektionalität" des Ubersetzungsprozesses außer Kraft. Der Übersetzer braucht im Grunde nicht mehr zu leisten, als das betreffende Textsegment im Rahmen internalisierter, unreflektiert abrufbarer, weitgehend voraussagbarer Standardoperationen substitutiv auf die ZS zu projizieren. Dies läßt den Schluß zu, daß das zahlenmäßige Verhältnis von (stilistisch akzeptablen) wörtlichen Ubersetzungsprozeduren und zs zwingend vorgeschriebenen nicht-

117 wörtlichen Ubersetzungsprozeduren ein wichtiges Kriterium für den Schwierigkeitsgrad eines Textes sein kann, ein Gesichtspunkt, der auch und gerade in übersetzungskreativer Hinsicht bedenkenswert ist. Nichtwörtliche Übersetzungsprozeduren resultieren aus interlingualen Konfliktsituationen; as und zs Segmente sind syntaktisch, lexikalisch, idiomatisch oder soziokulturell divergent. Wie wörtliche übersetzungsprozeduren, so sind auch nichtwörtliche Übersetzungsprozeduren erklärbar. D.h., der Ubersetzer kann in der Regel Auskunft darüber geben (oder sollte zumindest Auskunft darüber geben können), warum er zur Erreichung eines akzeptablen Ubersetzungsergebnisses auf eine nichtwörtliche Ubersetzungsprozedur zurückgegriffen hat. Dies ist immer dann der Fall, wenn aus sprachsystematischen oder gebrauchsnormativen Gründen eine Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen AS und ZS fehlt und eine wörtliche Ubersetzung einen eindeutigen Verstoß gegen die syntaktischen, lexikalischen, idiomatischen und soziokultureilen Regelapparate der ZS zur Folge hätte. Während wörtliche Ubersetzungsprozeduren, wie angedeutet, dem Übersetzer leichter von der Hand gehen, weil er as Textsegmente auf die ZS direkt abbilden kann und im Rahmen der zs Textkonzeptionalisierung nur einen minimalen Transferaufwand investieren mufl, erfordern nichtwörtliche Ubersetzungsprozeduren oft ein verhältsnismäßig hohes Maß an kreativer Energie und intertextueller Sprachhandlungskompetenz. Der im Umgang mit Gebrauchstexten der vorgeführten Art erfahrene Leser merkt wahrscheinlich, daß die erste Ubersetzung ein sekundärer Text ist, auf den die bereits erwähnte Klassifizierung "overt translation" (HOUSE 1977) zutrifft. Das Ergebnis ist eine Art Text aus zweiter Hand, eine für manchen Übersetzer (fast) schmerzfreie Form der Entpersönlichung. Sie ist vor allem dort zu beobachten, wo die manchmal fast magische Kraft der Vereinfachung dominiert. Wer so übersetzt, läßt sich durch das Spektrum der übersetzerischen Möglichkeiten, Experimente und Muster nicht verwirren; die übersetzerische Herstellungsschablone triumphiert ohne Rücksicht auf die Tatsache, daß jede Sprach-, Kommunikations- und Kulturgemeinschaft mit einem hochentwickelten industriellen, wirtschaftlichen und technologischen Standard über eine subtile gebrauchsprachliche Idiomatik verfügt. Davon ist in der ersten Ubersetzung kaum etwas zu erkennen. Der Übersetzer hat, aus welchen Gründen auch immer, weitgehend darauf verzichtet, "den Ubersetzungsvorgang durch Umschalten von Reflex auf Reflexion bewußt zu steuern" (HÖNIG 1986, 231). Die zweite Übersetzung verändert das lexikalische und syntaktische Profil des Originaltextes unter Berücksichtigung zs Textnormen. Dadurch ist diese Übersetzung zwar nicht semantisch, aber idiomatisch (phraseologisch) deutlich besser geraten. Sie weist den Ubersetzer als eine Person mit einem höheren Grad an Ubersetzungskreativität aus. Diese Fest-

118 Stellung hat übersetzungsdidaktische Implikationen: Wer von texttypspezifischen Textstrategien mehr versteht und die Bedingungen idiomatisch-phraseologischer gebrauchssprachlicher Textherstellung kennt, ist auch übersetzungskreativ aktiver und dynamischer und kann einen Zieltext produzieren, der nicht (ohne weiteres) als Ubersetzung erkennbar ist und deswegen das Prädikat "covert translation" (HOUSE 1977) verdient. Hier wird deutlich: Wir wissen relativ wenig darüber, was Ubersetzungskreativität ist, aber wir wissen offenbar einiges darüber, wie man das Kreativitätspotential eines Ubersetzers stimulieren (PARNES 1970, 352), wenngleich nicht systematisch operationalisieren kann. Ein weiteres kreativitätsrelevantes Problem ist der bereits erwähnte Umstand, daß man bei der Ubersetzung ein und desselben Textes durch verschiedene Ubersetzer mit einem u.U. breiten Spektrum formal verschiedener, qualitativ aber (ungefähr) gleichrangiger zs Versionen rechnen muß. Auch dafür ein Textbeispiel, diesmal aus der literarischen Ubersetzungswerkstatt Deutsch-Englisch. Es handelt sich dabei um einen Textabschnitt aus Peter HÄRTLINGs Erzählung "Oma". Von den beiden Übersetzungen stellt die erste die gedruckte Fassung dar; die zweite ist 1981 im Rahmen eines von mir geleiteten Ubersetzungsseminars als kollektives Werk von Dozenten und Studenten des German Department der McMaster University Hamilton, Canada, entstanden. In der ausgewählten Textpassage erzählt H&RTLING die Geschichte einer in bescheidenen Verhältnissen lebenden alten Frau. Sie zieht ihren Enkel Kalle auf, der bei einem Autounfall beide Eltern verloren hat. Sie hat mehrfach brieflich eine Waisenrente für ihren Enkel beantragt, aber vom Sozialamt nie eine Antwort erhalten. Eines Tages packt sie die Wut, und sie beschließt, mit Kalle dort persönlich vorzusprechen. Nun ist sie inmitten eines hitzigen Gesprächs mit dem zuständigen Beamten: Der Mann fragte: Sind Sie darauf angewiesen (auf die Waisenrente; W.W.)? Oma stand auf, schob den Stuhl mit einem Ruck von sich weg und sagte: Na, hören Sie mal, Sie wissen doch, wie hoch meine Rente ist. Das steht doch da drinnen, und Sie wissen auch, was so ein Bengel am Tag vertilgt, und daß er Strümpfe und Hosen zerreißt, daß er was braucht. Bin ich ein Krösus? Bin ich eine Fabrik? Kalle fand das Amt jetzt prima. Er sagte: Ich esse wirklich eine Menge. Die Oma hat recht. Und das mit den Hosen stimmt auch. Oma sagte: Also bitte! Da begann der Mann zu lachen. Er sagte: Ich werde versuchen, den Vorgang zu beschleunigen. Er drückte sich richtig geschwollen aus. Oma sagte: Beschleunigen Sie mal, sonst stehe ich nächste Woche wieder da, das schwöre ich Ihnen! Der Mann lachte wieder und sagte: Es wäre mir ein Vergnügen. Aber ich werde alles tun, damit die Sache in Ordnung kommt. Er verabschiedete sich von beiden mit Handschlag. Kaum waren sie auf dem Gang, machte Oma einen kleinen Satz, einen kleinen Hüpfer (so richtig

119 hüpfen konnte sie nicht mehr) und sagte: Wir können es fabelhaft miteinander, Kalle. So müssen wir weitermachen. Da wird jeder Beamte weich. Das fand Kalle auch. 1. Are you dependent on it? asked the man. Granny stood up, pushing the chair away from her quite violently, and said: Now you just listen to me! You know what my pension is, it's all written down in there somewhere, and I bet you know how much a boy like this eats every day, and I suppose you know that boys wear out their socks and their trousers and they need clothes! Am I a millionaire? Am I a clothing factory or something? By now Karl was enjoying his visit to the Children's Welfare Office. I eat ever such a lot, Granny's right, he said. She is right about my trousers, too. So there! said Granny. At that the man began to laugh. He said: I'll try to expedite the matter. He really did know some long words. You just expedite it! said Granny. Otherwise I'll be right back here next week, I promise you! The man laughed again and said: That would be a pleasure! But I'll do what I can to straighten things out. He shook hands with them as they left. The moment they were out in the corridor Granny did a little skip and a little hop (though she couldn't hop properly any more), and said: What a team we make, Karl! We must keep in practice! We can soften 'em up all right! Karl thought so, too. 2. The man asked: Are you sure you really need it? Granny got up, shoved the chair abruptly away and said: Now wait a minute! You know very well what my pension is, don't you? You have it right in front of you, and you know what a kid like this puts away every day, that he wears and tears socks and pants and all the things he needs. Am I a Rockefeller? Does money grow on trees? Karl decided he now really liked the place. He said: I really do eat a lot. And Granny is right about my pants, too. Granny said: There you are! At that the man began to laugh. He said: I shall attempt to expedite the matter. He was really pompous about it. Granny said: You go ahead and expedite things, or else I'll be standing here next week again, you better believe it. The man laughed again and said: The pleasure would be all mine. However, I will do everything I can to see that things get straightend out. He said good-bye to them with a handshake. They were hardly in the hallway when Granny took a little jump, a small hop (she really couldn't jump anymore) and said: We 're a great team, Karl. This is the way we have to go on. This way we'll soften up any official. Karl thought so, too. Die beiden Übersetzungen stellen ungefähr vergleichbare erfolgreiche Versuche dar, einen dem as Situationskontext entsprechenden zs Situationskontext aufzubauen und dabei

120 das jeweils eigene Kreativitätspotential zu erproben. Wollte man nun herausfinden, warum sich Ubersetzungskreativität im einen Fall so und im anderen Fall anders artikuliert, käme die übersetzungsorientierte Kreativitätsforschung in Schwierigkeiten. Ein kreativer Übersetzer ist eben mehr als ein biologisches Wesen, das je nach Textvorgabe "biomorph", "technomorph" oder "soziomorph" übersetzt, und er ist auch mehr als eine Ansammlung kultureller Erfahrungen. Ubersetzer sind nicht beliebig austauschbar. Die Art, wie ein Übersetzer übersetzt, ist Ausdruck seiner personalen und seiner kulturellen Identität. Er legt seine Übersetzungsstrategie in Einklang mit dem ganzen Gewicht interner und externer Bedingungen fest. Ubersetzungskreativität kann man - etwa im Gegensatz zu grammatischen Sachverhalten - nicht an formalen Kriterien allein festmachen. Da man kreatives, weniger kreatives und nichtkreatives Verhalten im Ubersetzungskontext nicht klar unterscheiden kann, sondern mit einem Kontinuum vieler kreativer Zwischenstufen rechnen muß, sind der wissenschaftlichen Erforschung des Begriffs der Ubersetzungskreativität wesensmäßige Grenzen gesetzt. Das heißt nicht, daß Ubersetzungskreativität chaotisch ist; man kann zwischen einer Vorbereitungs-, einer Inkubations-, einer Illuminations- und einer Verifikationsphase unterscheiden (WALLAS 1970; HAYES 1978; vgl. auch SCHOTTLAENDER (1972, 164), der von "Problematisierung" als "einleitendem Stadium einer schöpferischen Inangriffnahme eines Problems" spricht). Aber diese Kreativitätsphasen sind nicht an feste Regeln gebunden oder systematisch aufeinander bezogen. Deshalb entwickelt der Ubersetzer auf der Grundlage seiner gesamtpsychischen Verfassung im Rahmen seiner subjektiven Kreativitätskompetenz seine eigenen qualitativen Wert- und Zielvorstellungen und setzt sich auf seine individuelle Weise mit der "articulative latitude" (ROSS 1981, 20) von Texten auseinander. Daraus folgt, daß es vermutlich kein allgemeines Maß, keine allgemeine Norm für Übersetzungskreativität gibt, sondern daß man hier von Übersetzer zu Übersetzer, von Text(typ) zu Text(typ) und von Ubersetzungssituation zu Übersetzungssituation unterscheiden muß (WILSS 1981a). Für die Untersuchung der Obersetzungskreativität gilt in verstärktem Maße C.W. TAYLORS und ELLISONS kreativitätspsychologische Feststellung: "WORKING WITH CREATIVITY resembles working with electricity. In neither case do we understand very fully what "it" is, but we may gradually learn how to partially uncover "its" potentials and set the stage so "it" turns on a little, and otherwise learn to work with "it"" (1975, 191). Rhnlich heißt es bei GETZELS: "There is no universally agreed upon definition of creativity - any more than there is of intelligence" (1975, 327).

121 Der Begriff der Übersetzungskreativität in der Geschichte der Übersetzungstheorie Die Problematik des Begriffs Übersetzungskreativität wird durch den Verlauf der übersetzungstheoretischen Diskussion in den letzten zweitausend Jahren bestätigt. So intensiv diese Diskussion streckenweise geführt worden ist, so unverkennbar ist, daß die übersetzungstheoretische Literatur der Vergangenheit bisher nicht zu einer expliziten Thematisierung übersetzerischer Kreativität gelangt ist. Dies bedeutet nicht, daß in der Vergangenheit ein Gespür für das, was man heute Übersetzungskreativität nennt, gefehlt hätte: Wenn man die einschlägigen Dokumente prüft, wird deutlich, daß man sie - jeweils in einem spezifischen übersetzungspraktischen Zusammenhang - durchaus auch als Stellungnahmen zum Problem der Ubersetzungskreativität sehen kann. Aufschlußreich ist zunächst einmal die übersetzungsmethodische Polarisierung, für die CICERO die beiden Bezeichnungen "ut interpres/ut orator" gefunden hat (Kap.III). Er hat damit zwei Grundpositionen formuliert, die den Gang der übersetzungstheoretischen Diskussion bis in das 20. Jahrhundert hinein in entscheidender Weise bestimmt haben. Im deutschen Sprachraum hat sich diese Auseinandersetzung in den beiden diametral einander gegenüberstehenden Forderangen nach wörtlicher oder wortgetreuer Übersetzung ("ut interpres") einerseits und nach freier, sinngemäßer Übersetzung ("ut orator") andererseits konkretisiert. CICERO selbst war in seiner ambitioniert-aggressiven Konzeption von der rhetorisch-stilistischen Funktion der Übersetzung so befangen, daß er nur in einer oratorisch konzipierten Übersetzung Möglichkeiten für die kreative Entfaltung des Übersetzers gesehen und in seinen eigenen Übersetzungen entsprechend gehandelt hat. Im Gegensatz zu ihm argumentiert HIERONYMUS ein paar Jahrhunderte später in methodischer Hinsicht differenzierter. Er geht davon aus, daß übersetzen an textuelle Faktoren gebunden ist. Diese entscheiden darüber, welche Squivalenzmaßstäbe jeweils bei der zs Textreproduktion anzulegen sind. Dabei gilt bei HIERONYMUS, wie KLOEPFER überzeugend gezeigt hat (1967, 28), für weltliche Texte das Prinzip der sinngemäßen, für biblische Texte hingegen das Prinzip der wörtlichen Übersetzung, weil das Wort Gottes unantastbar ist. Wir wissen nicht, ob HIERONYMUS in Analogie zu seiner funktionalen Textdifferenzierung auch unterschiedliche Kreativitätsebenen beim übersetzen angesetzt hat. HIERONYMUS läßt die Frage offen, ob unter bestimmten textuellen Bedingungen auch eine wörtliche Übersetzung - wörtliche Übersetzung hier verstanden als durchgängige übersetzungsmethodische Norm - die Dimension kreativen Ubersetzens gewinnen kann. Eine positive Antwort auf diese Frage ist durchaus denkbar, wenn man an Wolfgang SCHADEWALDTs Postulat der "dokumenta-

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rischen Übersetzung" (KLOEPFER 1967, 73), an Friedrich SCHLEIERMACHERs Forderung nach Erhaltung der "Ursprache" oder an Walter BENJAMINS übersetzerische Zielvorstellungen denkt. Bei Martin LUTHER, dessen übersetzungsmethodischen Ansatz der Bibelübersetzung NIDA (1964) aufgegriffen hat, ist die Antwort auf die Frage nach dem Wesen einer kreativitätsbestimmten Übersetzung einfacher als bei HIERONYMUS. LUTHER hat eine adressatenspezifische Konzeption der Bibelübersetzung entwickelt, wobei der Mann auf der Straße, nicht der Klerus, die primäre Zielgruppe für seine Bibelübersetzung ist. übersetzerische Kreativität sieht LUTHER dort verwirklicht, wo beim übersetzen dem Volk aufs Maul geschaut wird. Auch SCHLEIERMACHER äußert sich nicht explizit zum Thema Übersetzungskreativität. Gleichwohl ist sein Aufsatz "Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens" (1813) ein wichtiger Beitrag zur Klärung dieses Begriffs. Er unterscheidet nämlich zwischen dem eigentlichen übersetzen, d.h. der Wiedergabe künstlerischer und naturwissenschaftlicher Texte, und dem mechanischen übersetzen, d.h. der Umsetzung pragmatischer Texte (Auslandskorrespondenz). Diese beiden Textbereiche sieht SCHLEIERMACHER als eine qualitative Rangordnung unterschiedlicher Kreativität: Das Ubersetzen wissenschaftlicher und literarischer Texte fordert vom Übersetzer wesentlich ausgeprägtere kognitive und sprachliche Fähigkeiten als sprachliche Trivialkommunikation, die aus interlingual weithin determinierten Denk- und Ausdrucksmustern besteht. Neue Perspektiven unseres Themas kommen bei Wilhelm VON HUMBOLDT zum Vorschein. Er hat in seinem oft zitierten Brief an August Wilhelm SCHLEGEL vom 23. Juli 1796 unmißverständlich festgestellt, daß er eine Verschmelzung von Ausgangs- und Zieltext im Sinne einer funktionalen Äquivalenz für unmöglich hält, weil für die einzelnen Sprachen das Prinzip der Inkommensurabilität gilt. Anderswo hat HUMBOLDT allerdings seine Hypothese von der Nichtäquivalenz einer jeden Übersetzung in entscheidender Weise relativiert. Einer theoretischen Unübersetzbarkeit steht, sprachenergetisch betrachtet, eine potentielle übersetzbarkeit gegenüber. Man darf die Vermutung wagen, daß HUMBOLDTS eigene umfangreiche übersetzerische Erfahrung den Ausschlag für die trotz aller prinzipiellen Vorbehalte grundsätzliche Bejahung des übersetzbarkeitsprinzips gegeben hat. Gleichzeitig zeichnet sich bei ihm eine Dynamisierung des interlingualen Squivalenzbegriffs ab; sie schlägt sich in der Einsicht nieder, daß qualitative Gleichrangigkeit von Ausgangs- und Zieltext auch gerade dann möglich ist, wenn eine Übersetzung kein oberflächenstrukturelles Faksimile des Ausgangstextes ist. Dies ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einer klaren Stellungnahme HUMBOLDTS zur übersetzerischen Kreativität. Wir wissen nicht, ob er den Ubersetzungsprozeß als eine Form kreativitätsbestimmter sprachli-

123 eher Aktivität sieht oder ob Ubersetzen für ihn eine Art zweitrangiger sprachlicher Tätigkeit ist. Auch in der übersetzungstheoretischen Diskussion nach HUMBOLDT finden sich keine Hinweise auf eine Problematisierung des Begriffs der Übersetzungskreativität. Dies rührt wahrscheinlich daher, daß die übersetzungstheoretische Diskussion wieder auf die übersetzungsmethodische Kontroverse zurückschwenkte, ob eine Ubersetzung wörtlich oder frei zu sein habe. Diese Kontroverse kann auch nach der von COSERIU (1978) vertretenen Forderung nach einer Neuorientierung der Obersetzungstheorie am Begriff des interlingualen, d.h. gleichzeitig as und zs gerichteten "tertium comparationis" noch nicht als beendet gelten. Zur begrifflichen und operativen Klärung des Begriffs der Ubersetzungskreativität hat der Begriff des "tertium comperationis" keine entscheidend neuen Erkenntnisse beigesteuert. Möglichkeiten und Grenzen der Begriffspräzisierung Bei ihren Bemühungen um die Präzisierung des Begriffs der Ubersetzungskreativität sieht sich die UW allem Anschein nach letztlich auf ihre eigenen Möglichkeiten verwiesen, d.h., sie muß versuchen, die Übersetzungskreativität aus ihren wesensmäßigen Bedingungen und Manifestationen heraus zu beschreiben und zu erklären. Wir wissen aus früheren Überlegungen bereits, daß Ubersetzen, wenn man darunter kommunikatives Handeln versteht, eine bestimmte Form instrumentalen, zweckbestimmten Sprachhandelns ist. übersetzen dient in ganz bestimmter Weise sprachlicher Bedürfnisbefriedigung, nämlich der Herstellung von Kommunikation zwischen Angehörigen zweier verschiedener Sprachgemeinschaften, von denen jeweils die eine der Sprache des anderen nicht mächtig ist. M.a.W.: Intralinguales und interlinguales sprachliches Handeln sind grundverschieden: Antriebsmotor für intralinguale Sprachhandlungen ist die Mitteilungsabsicht des Senders und das von ihm antizipierte Informationsbedürfnis des Empfängers oder die Informationspflicht des Senders gegenüber dem Empfänger. Intralinguale Kommunikation zielt auf Situationsbeschreibung, Situationsklärung, Situationsbestätigung, Situationskommentierung oder Situationsveränderung; ob die Handlungsabsicht des Senders erfolgreich ist oder nicht, ist eine andere Frage. Der Empfänger braucht sich mit der vom Sender übermittelten Nachricht, von empfängerseitigen Opportunitätsüberlegungen einmal abgesehen, nicht zu identifizieren. Er ist im Rahmen seiner verbalen oder nichtverbalen Anschlußhandlungen längst nicht immer auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt. Bezugspunkt für interlinguale Kommunikation ist nicht eine wie immer motivierte authentische Mitteilungsabsicht, sondern ein as vorformulierter Text, der für den Ubersetzer

124 Handlungsanweisungscharakter besitzt. Der Ausgangstext steuert das Verhalten des Übersetzers. Gäbe es keinen Originaltext, gäbe es keine Übersetzung. Ohne entsprechende Instruktionen erhalten zu haben, kann der Übersetzer aus einem Fachtext nicht einen Sachtext machen, und er kann auch einen literarischen Text wie "Exercices stylistiques" (Raymond QUENEAU) nicht so verändern, wie es der Autor, seine Geschichte als "Spielmaterial" für das Ausprobieren der verschiedensten Textstrategien benutzend, auf höchst geistreiche Weise getan hat. Das Ergebnis übersetzerischen Handelns ist vermittelte Interaktion. Die Aufgabe des Übersetzers besteht darin, unter übersetzungssituationsbezogener Aktivierung seiner kreativen Möglichkeiten auf dem Weg über einen u.U. höchst komplizierten intertextuellen Balanceakt ein funktionelles Gleichgewicht zwischen Ausgangs- und Zieltext herzustellen. Er gewährleistet die Voraussetzungen für ein Informationskontinuum zwischen zwei ihm oft unbekannten Kommunikationspartnern. Dabei verläßt sich der Übersetzer in seinem Handeln vorwiegend oder ausschließlich auf seinen übersetzerischen Erfahrungsbereich; er lernt im Laufe der Zeit abschätzen, wieviel Kreativität er in die sachgerechte Lösung eines Übersetzungsauftrags investieren muß und in welchem Umfang er interlinguale Zuordnungsstereotypen aktivieren kann. STEINER macht sich m.E. die Sache zu einfach, wenn er, JAKOBSON (1959) aufgreifend, formuliert: "But although poetry is, as always, the critical instance, every translation of a linguistic sign is, at some level, a 'creative transposition"' (STEINER 1975, 261). Ubersetzungsmethodik und Übersetzungstechnik als zwei Formen kreativen Übersetzerverhaltens Eine kreativitätsinteressierte UW kann sich natürlich nicht damit zufriedengeben, kreatives Verhalten im Übersetzungsprozeß schlicht zu konstatieren oder zu postulieren. Sie muß versuchen, über die mentalen Grundlagen kreativen Verhaltens nachzudenken und die kreativem übersetzen zugrundeliegenden Operationen zu erforschen. Allerdings ist eine exakte wissenschaftliche Erklärung des menschlichen Verhaltens nur begrenzt möglich, "da die lebensweltliche Erfahrung kulturvariant und entsprechend nicht universalisierbar (ist) und da die interessantesten menschlichen Leistungen ... nicht regelgeleitet (sind) ... daß für die lebensweltliche Erfahrung universale, kulturinvariante Gesetzmäßigkeiten konstitutiv sind, und daß das menschliche Verhalten prinzipiell regelgeleitet ist und auch nur so verstanden werden kann " (HOLENSTEIN 1981, 198) . Dementsprechend kann man beim übersetzen - im Rahmen einer

125 makrokontextuell festgelegten Obersetzungsstrategie - unterschiedliche Vorgehensweisen praktizieren, die sich grosso modo unter die Begriffe Ubersetzungsmethode und Überset-

zungstechnik subsumieren lassen. Diese beiden Begriffe sind m.E. nicht inhaltsgleich (WILSS 1983). Sie repräsentieren im übersetzerischen Handlungs/Verhaltenskontext unterschiedliche Bewußtseinsstufen. Die darauf aufbauenden Prozesse sind nicht exakt gegeneinander abgrenzbar; sie stellen eher ein Verhaltenskontinuum dar - von langsamen, hierarchisch geordneten, kognitiv aufwendigen zu schnellen, assoziativ verfügbaren automatischen Prozessen. Obersetzungsmethoden sind immer reflexiv oder "bewußtseinspflichtig". Sie setzt der Übersetzer in Gang, wenn es darum geht, in der Konfrontation mit den transaktionalen und interaktionalen Gegebenheiten der jeweiligen Übersetzungssituation Textanalyse- und Texttransferprozeduren auf heuristischer Basis zu praktizieren und sich - durch Ergänzungen, Streichungen, Verkürzungen, kommentierende Äußerungen usw. - schrittweise an ein optimales, qualitativ überprüfbares Übersetzungsresultat heranzuarbeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist die in Kap.IV diskutierte Methode der "multiple stage translation", in der das Ergebnis der einen Übersetzungsphase den Input für die darauf aufbauende nächste Ubersetzungsphase bildet. Man muß sich allerdings davor hüten, die einzelnen Ubersetzungsphasen grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt einer linearen Kreativitätsprogression zu sehen. Im Gegensatz zu Ubersetzungsmethoden sind Ubersetzungstechniken durch Routiniertheit und Wiederholbarkeit geprägte übersetzerische Verhaltensweisen, in denen abstrakte Gedächtnisinhalte in konkreten Handlungszusammenhängen automatisch aktiviert werden. Ubersetzerisches Routineverhalten ist das Gegenteil einer übersetzerischen Konfliktlösungsstrategie; es beruht auf dem Prinzip, daß unter gleichen oder zumindest vergleichbaren übersetzerischen Bedingungen bei ökonomischem übersetzerischem Mittelansatz situationsunabhängig ein gleiches oder zumindest vergleichbares Ergebnis erzielt werden kann. Ubersetzungstechniken setzen eine "allmähliche Sedimentierung eingeübter Praxisvollzüge" (BUBNER 1984, 209) voraus, die auf Selbstregulierungsmechanismen beruhen, in denen "ursprünglich bewußtseinspflichtige Bestandteile der psychischen Struktur aus dem Bewußtsein zurück(treten)" (HACKER 1978, 81). Ubersetzungstechniken repräsentieren eine spezifische Form standardisierter Informationsverarbeitung. Sie ermöglichen eine invariante, auf jeden Fall nur begrenzt variable Zuordnung von Input und Output und verlangen eine Relativierung der Feststellung, daß "(in) einem Wissenschaftsbereich (wie dem der Ubersetzungswissenschaft) wissenschaftliche Kriterien wie Objektivität und Wiederholbarkeit nicht sinnvoll angewandt werden können" (MUDERSBACH 1987, MS). Ubersetzungstechniken sind das Ergebnis von Lernprozessen. Sie beruhen auf Erinnerungsfaktoren. Der Ubersetzer vergegenwärtigt sich in

126 seinem Langzeitgedächtnis verfestigte Handlungsschemata und setzt diese bei der Erreichung seines Handlungszieles ein. Dadurch daß Ubersetzungstechniken weithin regelhafter Natur sind, werden sie in bestimmtem Umfang vorhersagbar. Diese Vorhersagbarkeit übt eine Entlastungsfunktion aus; der Übersetzer kann von vorgegebenen Handlungsmustern Gebrauch machen, oder er kann von ihm für geeignet und unverwechselbar gehaltene Textbausteine zu neuen übersetzerischen Handlungsmustern zusammensetzen.(Vgl. dazu die Ausführungen von DANIEL (1981, 170ff.) zu Routineerwartungen und Routinehandlungen.) Zu beachten ist allerdings, daß eine solche Verhaltensweise nicht dispositionell gesteuert, sondern sprach- und text(typ)determiniert ist. Ubersetzungstechniken sind zu Gewohnheitstätigkeiten (habits) verfertigte Transfermechanismen, die allerdings effizient nur dann praktiziert werden können, wenn der Ubersetzer über eine ausgeprägte interlinguale "Framekompetenz" (WEGNER 1984, 50) verfügt. Diese - bewußt oder unbewußt aktivierte "Framekompetenz" baut sich allmählich durch induktive Sammlung vereinzelter Beobachtungen zu einem verläßlichen Spurensystem auf und wird so nach dem Prinzip der "increasingstrength hypothesis" (WICKELGREN 1979, 276) Teil eines übersetzerischen Handlungskalküls, das prototypisches Denken und Formulieren ermöglicht. Es setzt voraus, daß es zwischen as und zs Ausdrucksinventaren strukturhafte oder strukturierbare Squivalenzbeziehungen gibt, die der Ubersetzer text(typ)spezifisch mehr oder minder unreflektiert aus seinem Gedächtnis abzurufen imstande ist (vgl. dazu TOMMOLAs Ausführungen zu "contrastive inventories" (1985, 171). Die zuletzt angestellten Überlegungen verweisen auf COSERIUs (an ARISTOTELES anknüpfende) Unterscheidung zwischen nichtkreativen Handlungen, die eine schon gegebene Dynamis bloß anwenden, und der schöpferischen Tätigkeit, die der Dynamis vorausgeht" (1970, 215). Auf das Übersetzen bezogen, würde COSERIU, wenn ich ihn richtig interpretiere, unter der Anwendung einer schon vorgegebenen Dynamik die Entwicklung und die Konsolidierung von standardisierbaren lexikalischen, idiomatischen und syntaktischen Übersetzungsprozessen zu Ubersetzungstechniken verstehen, und unter kreativen Handlungen, die der Dynamik vorausgehen, eine originalitätsbestimmte Ubersetzungstätigkeit, wie sie sich, vereinfacht formuliert, in allen "nichtformatierten" Texten manifestiert. Ob man so weit gehen kann, die Anwendung einer schon vorgegebenen Dynamik als nichtkreativ zu bezeichnen, möchte ich bezweifeln. Man könnte umgekehrt argumentieren und das Wissen um die vorgegebene Dynamik geradezu als Vorbedingung für eine bestimmte (sekundäre) Art übersetzerischer Kreativität betrachten, für die ALLEN den Begriff "ostinato" (das Erwartbare) im Gegensatz zu "capriccio" (das Nichterwartbare) geprägt hat (1982, 17ff.). Die kognitive Psychologie geht heute davon aus, daß geistige Prozesse analog zu biologischen Evolutionsstrukturen

127 verlaufen: Beide Bereiche müssen beharrende und stabilisierende Tendenzen vereinen mit der Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten. Ein biologisches oder ein geistiges System, das - im Sinne einer gesamtmenschlichen Verhaltenssteuerung - nur noch "streng", also nicht mehr "kreativitätsfähig" wäre, würde den Ubersetzer bis zur Handlungsunfähigkeit hin lähmen. Systeme hingegen, die ausschließlich oder vorwiegend auf einer individuellen Innenlenkung beruhen, würden sich verselbständigen und sich der Korrektur durch die Realität entziehen. Beide Verhaltensweisen entsprechen nicht dem Wesen übersetzerischer Tätigkeit. Übersetzungskreativität wird also in übersetzerischen Handlungszusammenhängen auf zweierlei Weise virulent: Sie bringt einerseits Ordnung und Stabilität in übersetzerisches Verhalten. Das entscheidende Merkmal dieser Art von Ubersetzungskreativität ist ihre Kraft, "Regelmäßigkeit im Handeln zu stiften. Diese Kraft ist in der Gemeinschaft verankert ... Wo diese gemeinschaftliche Verankerung fehlt, ist auch nicht mit einer sicheren Geregeltheit des Handelns durch Normen zu rechnen" (MÜNCH 1984, 617). In dieser Funktion steht sie in engem Bezug zu Problemlösungsmethoden (Kap.IV). Deshalb hat GUILFORD recht, wenn er sagt: "There is something creative about all genuine Problem solving" (1975, 47; vgl. auch FACAOARU 1985, 3). Übersetzungskreativität setzt andererseits Kräfte frei, durch die sich die Dynamik des Übersetzers außerhalb einer soziotechnischen Verhaltenspragmatik mit einer kollektivistischen übersetzerischen Grundhaltung verwirklichen kann. Eine Ubersetzerpraxis, "die sich nur auf diese normative Geregeltheit des Handelns stützt, erstickt jedoch im reinen Konformismus und im Stillstand. Sie wird zur bloßen Gewohnheit ... , ohne Wandelbarkeit und auch ohne Durchsetzungskraft in den Sphären außerhalb des gewohnheitsmäßig Geltenden" (MÜNCH 1984, 617). Stabilität und Innovation widersprechen sich nicht; sie sind komplementäre Manifestationen eines sich an den Gegebenheiten des jeweiligen Ubersetzungsauftrags orientierenden Ubersetzerverhaltens, übersetzerische Routine wird e r gänzt durch einen übersetzerischen "Möglichkeitssinn", der die beklemmende Vision einer total durchrationalisierten übersetzerischen Praxis mit durchgängig praktizierten festen Denk- und Ausdrucksschemata als gegenstandslos erweist. Man kann den übersetzerischen Produktionsprozeß nicht vollumfänglich dem Prinzip der Maschinenlogik unterwerfen. Neben vorhersagbaren, typisierbaren Ubersetzungsprozessen gibt es auch nicht vorhersagbare, nicht "generierbare", gleichsam "unbefestigte" Ubersetzungsprozesse außerhalb eines "instituierten" Sprachgebrauchs mit gere-

128 geltem Erwartungshorizont. Für Ubersetzen gibt es keinen operativen Blankoscheck; der Ubersetzer hält sich viele Wegrichtungen offen; sein Erfindungsreichtum ist, jedenfalls in literarischen Texten, fast unauslotbar. Deshalb ist es sinnwidrig, immer und überall zu allgemeinen Regeln Übersetzerischen Geschehens vorstoßen zu wollen. Es kommt im Gegenteil darauf an, die jeweilige übersetzerische Gesamtsituation in all ihren Eigentümlichkeiten möglichst präzise zu erfassen und in der ZS durch Aktivierung aller kreativen Ressourcen möglichst konturscharf und unverfälscht wiederzugeben. "An S t e l l e d e n a b s t r a e i n e r m ö g l h e i t h i s t o F ä l l e t r i t d i e v o l l e z e l n e n S i t 455f.).

d e r B e z u g n a h m e a u f k t e n D u r c h s c h n i t t i c h s t g r o ß e n V i e l r i s c h g e g e b e n e r t d i e B e z u g n a h m e a u f K o n k r e t h e i t d e r e i n u a t i o n " (LEWIN 1930/1931,

Der Ubersetzer erweist sich also keinen Dienst, wenn er seine kreativen Möglichkeiten durch ein vorschnelles Standardverhalten einengt und sich gleichsam vom Ausgangstext vorschreiben läßt, wie er zu reagieren hat. Zwar sind uns sprachliche Rollen verordnet, und auch Ubersetzen ist eine Art sprachliches Rollenspiel (Kap. III); aber gerade im Bewußtsein dieses Rollenspiels eröffnen sich dem Ubersetzer Möglichkeiten und Perspektiven eines kreativen Verhaltens, das in der jeweils eigenen Sprach-, Text- und Welterfahrung begründet ist und die Auffassung vom Ubersetzen als stereotypischer "Aktivierung von frante durch frame" (VANNEREM/ SNELL-HORNBY 1986, 203) widerlegt. Der Gegenpol zum "frame durch frame" ist das intuitive Ubersetzerverhalten, um welches es im nächsten Kapitel geht.

129 VII. Intuition und Obersetzen

Begr i f f sbes t immung Man kann ziemlich oft - vor allem von Vertretern der Ubersetzungspraxis - die Behauptung hören, daß übersetzen ein intuitiver Vorgang ist. Bezeichnend für diese Einstellung ist das von REISS (1986) zitierte Diktum einer literarischen Übersetzerin: "übersetzen kann man nicht lernen - ich übersetze mit Intuition. Und Intuition hat man oder man hat sie nicht". Versucht man nun herauszubekommen, ob diese eher beschwörende als analytisch durchdachte Behauptung stimmt, d.h. was Übersetzungsintuition ihrem Wesen nach ist, was sie leistet und ob man sie didaktisch vermitteln kann, ist das Ergebnis gleich Null. Übersetzungsintuition ist offenbar kein analytisch präzisierbarer, sondern ein erfahrungsgesättigter, subjektzentrierter Begriff. Übersetzungsintuition ist eine Art sechster Sinn, das "Gegenteil einer berechenbaren Dynamik", die sich in "intuitive leaps" (BRUNER 1969, 60) bewegt und auf Erinnerungen, Beobachtungen und Assoziationen beruht (ROWAN 1987, 48). Übersetzungsintuition ist Teil der geheimnisvollen notorischen "black box" des Übersetzers, von der man zwar weiß, daß es sie gibt, aber von der bisher niemand so recht zu sagen vermag, welche operative Bewandtnis es mit ihr hat, wie man sie in einem kategorialen Rahmen protokollieren und wie man sie unter Eliminierung aller Zufälligkeiten begrifflich erfassen kann, überspitzt formuliert: Wir haben nur eine intuitive Vorstellung von übersetzerischer Intuition, ohne Rückgriffsmöglichkeit auf ein theoretisches Intuitionsmodell. Dies gilt offenbar auch für den generativen Begriff der Intuition, in dem die generative Theorie das "tacit knowledge" (WINOGRAD 1983, 11) eines Sprachbenutzers über seine Sprache zusammenfaßt. Intuition ist eine Art mentales Axiom, das nicht hinterfragbar ist. Den Intuitionsbegriff zu definieren ist deshalb ein bisher wenig geglücktes Unterfangen. Da wo die Kette der wissenschaftlich überprüfbaren Erkenntn isse zu Ende ist, hat die Intuition ihren angestammten Platz. Intuition ist die Fähigkeit, Lösungen für Probleme nicht rational zu konstruieren, sondern spontan zu erzeugen, wenn die Situation sie erfordert. Intuitive Verfahrensweisen sind "Orte des wilden Denkens" (GUGGENBERGER 1987, 82); sie stellen eine nicht kontrollierbare Strategie des mentalen Operierens dar. Angesichts der unklaren Voraussetzungssituation ist es verständlich, daß die ÜW den Begriff der Übersetzungsintuition bisher nicht thematisiert hat. Selbst ein für neuere kogni-

130 tive Entwicklungen in der UW so repräsentatives Werk wie das von KRINGS läßt den Leser in dieser Hinsicht ziemlich im Stich. KRINGS begnügt sich damit, Intuition als ein "Wort der Alltagssprache mit ... "unscharfen Rändern"" (1986, 172) zu bezeichnen und mit implizitem sprachlichem Wissen (1986, 438) gleichzusetzen, aber eine schlüssige Antwort auf die Frage nach dem Wesen und der spezifischen Leistung der Ubersetzungsintuition gibt KRINGS nicht; allerdings ist das auch nicht seine erkenntnispraktische Intention. Mir ist auch sonst kein üw Titel bekannt, mit dessen Hilfe man sich über den Begriff der Intuition sachkundig machen könnte. M.a.W.: Auf dem Begriff der Ubersetzungsintuition kann man offenbar noch nicht einmal eine Arbeitshypothese aufbauen; Ubersetzungsintuition ist allenfalls eine "Perspektive", mit deren Hilfe man bestimmte übersetzerische Fakten zwar sichtbar machen, aber in keinen kognitiven Zusammenhang einbetten kann. Hier stellt sich die Frage, ob die Charakterisierung der Intuition durch KRINGS sachverhaltsbedingt richtig ist und ob sich eine Sachverhaltsklärung überhaupt lohnt. Von der UW selbst ist, wie gesagt, bei der Beantwortung dieser Frage keine Hilfe zu erwarten. Wir wollen deshalb zunächst versuchen, uns mit Hilfe der Erkenntnisse der Intuitionsforschung sachkundig zu machen. Dies geschieht am besten, indem wir uns vor Augen halten, daß Intuition vom lateinischen Wort "intuitio" abstammt, welches bedeutet, daß man Einsichten nicht durch rationales, Schritt für Schritt aufeinander aufbauendes Denken, sondern durch unmittelbare Anschauung gewinnt. In diesem Sinn definiert beispielsweise die Encyclopaedia Britannica in ihrer Ausgabe von 1968 "Intuition" als "The power of obtaining knowledge directly, without recourse to inference or to reasoning". Intuition ist also eine ganz andere Verhaltensweise als Introspektion, worunter die Wissenschaftstheorie beobachtungskontrollierte Methoden der Analyse von wissenschaftlich aufzuklärenden Sachverhalten versteht. Für die ältere Fachliteratur ist die Ansiedlung der Intuition in einer begrifflich und methodisch schwer faßbaren mentalen Grauzone symptomatisch. So stellt WILD, dem wir eines der wichtigsten Werke über Intuition verdanken, gegen Ende seiner Abhandlung zwei Definitionen für "Intuition" zur Diskussion: "A. "An intuition is an immediate awareness by a subject, of some particular entity, without such aid from the senses or from reason as would account for that awareness." B. "Intuition is a method by which a subject becomes aware of an entity without such aid from the senses or from reason as would account for such awareness"" (1938, 226) .

131 Gleich darauf heißt es: "There is no necessary (hervorgehoben von W.W.) dependence of intuition on reason ... Intuition is not antagonistic to reason but the two are alien, one appearing natural and the other supernatural (hervorgehoben von W.W.) to the ordinary mind when considering the two" (1938, 227). WILDs Fazit: "It is very obvious that from whatever side we have approached intuition we have come up against a wall of blank ignorance. Doors, however, can be made in walls, even if a little destruction in solid masonry has to occur, even if the general plan of the estate has to be modified. It cannot be that a subject so vital to the understanding of our fellows and ourselves will be left in its present vague formulation (hervorgehoben von W.W.), practically just asserted or denied" (1938, 232). Nun könnte man zu bedenken geben, daß WILDs Ausführungen 50 Jahre zurückliegen und daß die Intuitionsforschung inzwischen möglicherweise erhebliche Fortschritte gemacht hat. Aber 24 Jahre später, bei BUNGE, herrscht ebenfalls ein defätistischer Unterton vor: "Intuition is the collection of odds and ends where we place all the intellectual mechanisms which we do not know how to analyze or even name with precision, or which we are not interested in analyzing or naming" (1962, 68) ... "(There is no) cogent theory of intuition; (there is no place for intuition in the) construction of abstract theories (or in) the refinement of factual theories" (1962, 112ff.; vgl. auch BAHM 1960). Unbehagen im Umgang mit dem Begriff der "Intuition" ist hier unverkennbar, und dieses ist auch in der jüngsten Literatur noch zu spüren. So stellt B&RTSCHI fest, daß wir in antagonistischen Kategorien wie Verstand/Gefühl, Intuition/ Erfahrung, Ratio/Intuition denken, daß es ein "Wechselspiel von intuitiver Stellungnahme und begrifflicher Bewusstheit" (1984, 51) gibt, aber dieses Wechselspiel wird nicht näher unter die Lupe genommen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Intuition ist ein komplexer Forschungsgegenstand, jedenfalls ein viel komplexerer als meßbare Sachverhalte, etwa im Bereich der Physik oder der Chemie. Deshalb ist die Geschichte der Intuitionsforschung verwirrend; andererseits ist sie aber auch nicht zusammenhanglos (BJELKE 1972). Einvernehmen scheint insofern zu bestehen, als man unter Intuition offenbar unterschiedliche mentale Operationen verstehen kann, die man im Rahmen einer systematischen Protokollierung nicht exhaustiv beschreiben kann. So verweist BUNGE (1962, 90f.) u.a. auf

132 KANTs Begriff der reinen Intuition und auf Henri BERGSONs Begriff der metaphysischen Intuition; er kommt dann zu dem Schluß, daß sich Intuition auf den Wahrnehmungsbereich, den (imaginativen) Vorstellungsbereich, den Inferenzbereich, auf Synthese- und Bewertungsprozesse beziehen kann, alles Bereiche, die wir heute als erfahrungs- und/oder wissensbasiert bezeichnen. BUNGE sieht hier offenbar keinen Zusammenhang: Für ihn ist ""intuitive knowledge" ... a contradiction in terms" (1962, 23). Solche Feststellungen hängen damit zusammen, das die Intuition offenbar keinen eindeutig lokalisierbaren Platz im Gehirn hat; anders ausgedrückt: Intuition ist kein apriorischer, sondern ein aposteriorischer Begriff, für dessen Untersuchung kein analytisches Kriterieninventar zur Verfügung steht - im Gegensatz etwa zu Begriffen wie Kausalität, Regelhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit. Konzeptionell befindet sich Intuition im Umfeld von Intelligenz, Verstehen, Kreativität, Phantasie, Vorstellungsfähigkeit, Originalität, vielleicht auch von Inferenzfähigkeit, aber die Sachverhalte, die damit über unserem Denkhorizont auftauchen, sind bisher wissenschaftstheoretisch und auch fachwissenschaftlich (denkpsychologisch) kaum angeleuchtet, geschweige denn ausgeleuchtet. Ein forschungspraktisches Paradigma, das hier klare begriffliche oder auch nur heuristische Verhältnisse schaffen könnte, ist m.E. nicht in Sicht. Dies wird indirekt durch die Feststellung von CARROLL et al. (1981) bestätigt, daß die Beziehungen zwischen sprachlichen Daten und Intuition über sprachliche Regeln noch nicht geklärt sind. So leicht es, wie gesagt, sein mag, einen Konsens darüber herbeizuführen, daß es so etwas wie Intuition gibt, so sehr geraten wir in Verlegenheit, wenn wir versuchen, Intuition zu beschreiben, zu erklären oder methodisch zu kontrollieren. Fest steht vorläufig offenbar nur, daß Intuition (wie Kreativität) eine Leistung der rechten Gehirnhemisphäre darstellt (HAMANN 1987; vgl. auch ROWAN 1987, 37). Für Intuition gilt das Prinzip der "systematische(n) Unableitbarkeit" (BLUMENBERG 1981, 401). Intuition ist kein Beschreibungsbegriff, sondern - wie Kreativität - ein "hypothetisches Konstrukt". Wenn wir von einem produktiven Einfall, einer Erleuchtung, einem Aha-Erlebnis, einem "Heureka-Effekt" oder von einem Geistesblitz sprechen, so können wir zwar das Faktum als solches konstatieren, aber wir können keine Bedingungen angeben, unter denen sich Intuition manifestiert. Man weiß offenbar noch nicht einmal genau, ob Intuition unversehens, impulsiv, da ist oder ob sie sich in Form einer nichtverbalisierten kognitiven Operation im Innern eines Menschen entwickelt. Gewöhnlich ist der Eindruck der, daß man plötzlich die Lösung eines Problems hat, ohne genau zu wissen, was man selbst dazu beigetragen hat. Wir können in bestimmten Situationen mit Hilfe der Intuition unsere Wissens- und Be-

133 wußtseinsgrenzen überschreiten, aber wir wissen nicht, warum wir es können. Man kann lediglich sagen, daß es sich beim Wirksamwerden der Intuition nicht um koordinierte, logisch folgerichtige, klar artikulierte Bewußtseinsabläufe handelt, sondern um eine auf logischem Weg nicht mehr erklärbare Wissenskombination oder gar Wissensexplosion, in der eine bestimmte Menge mentaler Energie im Rahmen einer nichtkontrollierbaren Gedächtnistätigkeit zur Entladung kommt, wobei sich Bewußtes mit Un- oder Unterbewußtem vermischt. Deutlich tritt die Natur intuitiven Denkens zutage, wenn man es mit analytischem Denken vergleicht: "Analytic thinking characteristically proceeds a step at a time. Steps are explicit and usually can be adequately reported by the thinker to another individual. Such thinking proceeds with relatively full awareness of the information and operations involved. It may involve careful and deductive reasoning, often using mathematics or logic and an explicit plan of attack. Or it may involve a step-by-step process of induction and experiment ... intuitive thinking characteristically does not advance in careful, well-defined steps. Indeed, it tends to involve maneuvres based seemingly on an implicit perception of the total problem. The thinker arrives at an answer, which may be right or wrong, with little if any awareness of the process by which he reached it" (BRÜNER 1960, 57f.). Dazu paßt eine Äußerung von BURCKHARDT: "Das Mittel zur Erzielung von Lösungen bei ungenügender Transparenz der Bedingungen nennt man Intuition" (1984, 59). Intuition ist eine Art selbstregulatorischer Prozeß: Wir verfahren nach intuitiven Prinzipien, kennen aber nicht deren Wirkungsweise. Wenn es gelänge, Mechanismen intuitiver Verhaltensweisen zu finden und diese womöglich in Regelform zu bringen, d.h. intuitiv gleichsam als eine Form "objektiver Phantasie" (Ernst BLOCH) zu verstehen, wäre das "ineffabile", das letztendlich jede Diskussion über den Intuitionsbegriff charakterisiert (und in bestimmter Weise lähmt), aufgehoben, aber die Begriffsbestimmung dessen, was Intuition ist, scheitert an der Unwiederholbarkeit und Nichtregulierbarkeit intuitiver Ereignisse: "De singularibus non est scientia". Intuition trägt alle Wesensmerkmale des Homo sapiens und nicht des Homo faber (WYSS 1976, 446). Antriebe zu intuitivem Verhalten entspringen nicht wissenschaftlichen Hypothesen, sondern assoziativ organisierter Erfahrung; sie sind nicht begründbar, aber sie sind nachprüfbar unter dem Gesichtspunkt ihrer Zielorientiertheit und ihrer Effektivität. "The rightness or wrongness of an intuition is finally decided not by intuition itself but by the usual methods of proof" (BRUNER 1960, 60). Intuitive Verhaltensweisen unterliegen nicht gewohnheitsmäßigen Plänen; sie verlaufen von außen nach innen und von innen nach außen, aber dies ge-

134 schieht in einer nicht (oder kaum) rekonstruierbaren Weise. Intuition ist als Begriff verwaschen, erratisch, kontingent; es gibt keine allgemeinen, strukturierbaren Intuitionsbedingungen. Das Gütezeichen der Intuition ist, nicht rubrizierbar und damit auch nicht erwartbar zu sein. "For a working definition of intuition, we do well to begin with Webster: "immediate apprehension or cognition". "Immediate" in this context is contrasted with "mediated" - apprehension or cognition that depends on the intervention of formal methods of analysis and proof. Intuition implies the act of grasping the meaning, significance, or structure of a problem or situation without explicit reliance on the analytic apparatus of one's craft" (BRUNER 1960, 60). Wenn intuitive Bewußtseinsereignisse eintreten, sind sie an Voraussetzungen gebunden, die WOHLGENANNT folgendermaßen formuliert hat: "Ohne Zweifel steht ... in sämtlichen Gebieten die Intuition, der schöpferische Einfall, nicht am Beginn der Arbeit" (1969, 58). Auch für BERGSON ist "gesättigte Materialkenntnis" eine unbedingte Voraussetzung für intuitive Bewußtseinsleistungen. Ähnlich äußert sich WILD: "... intuition ... follows rather than precedes rational thought" (1938, 232). Konkreter äußert sich dazu SACHSSE, der im Anschluß an PLATON Intuition als "Wiedererinnerung" bezeichnet, weil mit der intuitiven Einsicht das Gefühl verbunden ist, "auf eigentlich schon Bekanntes zu stoßen" (1979, 167). Wenn es so ist, daß intuitive Erkenntnis auf Vergleichbarkeitsoperationen beruht, bedeutet dies, daß im Gedächtnis gespeicherte Wissensvorräte aktiviert werden, "und zwar als Einsichten, wenn es sich um Entsprechungen von Sachverhalten handelt, und als Werte und Prinzipien, wenn es Methoden und Programme sind, die bewußt werden" (SACHSSE 1979, 168). Solche Formulierungen deuten darauf hin, daß das Verhältnis zwischen Wissen und Intuition viel komplexer ist, als DE GROOT wahrhaben will, der zwischen "knowledge" und "intuitive experience" einen klaren Trennungsstrich zieht: "... knowledge ... can be verbalized while intuitive experience cannot. Knowledge ... is retrievable from memory by verbal cues. Intuitive experience, on the other hand, is an intuitive know-how - as distinct from 'knowing that' - that is only actualized by situations ... In principle, intuitive experiential linkings may at any time become knowledge ('knowing that', in addition to 'knowing how'), namely, at that moment when the subject becomes fully aware of them" (1970, 147). Daß sich aus Intuition Wissen ergeben kann, ist unbestreitbar, aber man könnte auch umgekehrt argumentieren und sagen, daß Intuition ohne Wissensbasis nicht möglich ist. Das

135 wird anhand des folgenden, von VERMEER (1980) ausführlich diskutierten englisch-deutschen Ubersetzungsbeispiels deutlich: Im Rahmen einer Touristikwerbeaktion gibt es an einem Werbestand in Deutschland viele Reiseprospekte über Großbritannien, aber alle sind auf französisch. Darauf fragt eine überraschte Interessentin eine Waliserin: "Are all your pamphlets in French?" Darauf die Waliserin: "Oh, that would be awful, wouldn'it." Im Deutschen bieten sich zwei Ubersetzungen an, eine syntaktisch-semantisch konstante und eine kommunikativ "transformative": (1) "Sind alle Ihre Prospekte auf französisch?" "Oh, das wäre ja schrecklich, nicht wahr?" (2) "Haben Sie denn nur französische Prospekte?" "Um Gottes willen! Das darf doch nicht wahr sein!" Die Variante (1) ist eine wörtliche Übersetzung des englischen Originals, d.h., der Übersetzer hat das syntaktische Muster des englischen Satzes mit allen lexikalischen Korrespondenzen unverändert in die ZS überführt. Das Resultat ist eine Ubersetzung, die zwar die as Mitteilung semantisch korrekt wiedergibt und für einen deutschen Muttersprachler auch durchaus verständlich ist, die aber die natürlichen Adäquatheitsnormen der ZS (im Sinne des NIDAschen Prinzips des " d o s e s t natural equivalent"; 1964) - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - ignoriert und damit den Sachverhalt stilistisch verfremdet. Die Ubersetzung (1) ist deshalb nur syntaktisch-semantisch adäquat; kommunikativ-situationskontextuell ist sie nicht adäquat, weil sie die komplizierten Idiomatizitätsbedingungen der ZS nicht erfüllt. Die Ubersetzung (2) ist in dieser Hinsicht wesentlich besser; um diese Version zustande zu bringen, ist nicht nur syntaktisch-semantisches, sondern auch situatives Wissen erforderlich; ist dieses Wissen vorhanden, kann es der Ubersetzer unreflektiert aktivieren und erzielt intuitiv ein Ergebnis, das im Rahmen des situativen Erwartungshorizonts des zs Lesers oder der zs Leserschaft liegt. Intuitionsforschung und Ubersetzungswissenschaft Mit der Charakterisierung intuitiver Denkprozesse als komplexe wissensbasierte Bewußtseinsvorgänge ist natürlich wissenschaftstheoretisch und forschungspraktisch wenig anzufangen, wenn man Anstalten machen will, für die Erforschung der Intuition im allgemeinen und der übersetzerischen Intuition im besonderen einen plausiblen Darstellungs- und Begründungszusammenhang zu entwickeln. Dazu kommt, daß einem Außenstehenden nicht ohne weiteres klar zu machen ist, wozu Intuitionsforschung gut sein soll, wenn Intuition offenbar gegen die Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisformen und Fragestellungen weithin resistent ist.

136 Sicher ist, daß man die Intuitionsforschung nicht zu einer Art reduktionistischer Psychowissenschaft machen kann, die das zu erklärende Phänomen so lange erklärt, bis es restlos verschwunden ist oder sich in Merkmalgruppen aufgelöst hat. Zu einer klaren Vorstellung vom Wesen der Intuition kommt man nicht, wenn man im Sinne der kartesianischen Methode versucht, "mit den einfachsten und am leichtesten zu durchschauenden Dingen zu beginnen, um so nach und nach, gleichsam über Stufen, bis zur Erkenntnis der zusammengesetzten aufzusteigen, ja selbst in Dinge Ordnung zu bringen, die natürlicherweise nicht aufeinanderfolgen" (PÖPPEL 1985, 70). M.E. hat LUHMANN unrecht, wenn er schreibt: "Allem Erleben und Handeln liegt die Wirklichkeit als immer schon reduzierte Komplexität zugrunde" (1971, 381); und es ist, jedenfalls im Ubersetzungskontext, auch nicht richtig, daß "Komplexität ... selbststabilisierend, ... kontingenzausschaltend (wirkt) insofern, als immer nur weniges anders erlebt oder anders gemacht werden kann" (1971, 381). Jede Mehrfachübersetzung eines Textes durch verschiedene (nicht unbedingt unterschiedlich qualifizierte) Ubersetzer weist teils konvergierende, teils divergierende Textsegmente auf. Inwieweit die einzelnen Varianten intuitionsabhängig sind, wo Intuition anfängt, wo übersetzerisches Problemlösen aufhört, ist ebenso offen wie die Frage, ob man auf dem Weg über experimentelle Forschung mehr Klarheit schaffen kann. Anscheinend trifft auf die Intuition in der Ubersetzungspraxis in besonderer Weise zu, was KRAFT über die wissenschaftliche Selbstlegitimierung der Intuition sagt: "Die Psychologie der Intuition lehrt ..., daß sie gar nicht übereinstimmend ausfallen kann. Denn sie hängt von ihren Vorbedingungen in der einzelnen Person ab und von deren individueller Eigenart, von der Weite ihres Gesichtskreises und ihrer Fähigkeit der Einfühlung" (1984, 75). Diese Formulierung besagt, daß über Intuition eine methodisch kontrollierte Verständigung nicht möglich ist. Dies hat um so mehr Gewicht, als die Uw sich heute im Sog einer Wissenschaftstheorie und Wissenschaftspraxis befindet, die ihre eigenen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen auf der Basis einer rationalen Konzeption erkennen will (Kap.I). Wer rational argumentiert, stellt inhaltliche und/oder formale Zusammenhänge zwischen Fakten her und löst damit deren Unbestimmtheit im Rahmen des Möglichen auf. Die begrifflichen Koordinaten rationalen Denkens sind Kalkül, Reglementierung, Stringenz und Instrumentalität. Ihre methodische Grundorientierung ist die analytische Reduktion; diese ist zweifellos eine der erfolgreichsten Forschungsstrategien, die jemals erdacht worden sind. Ihr verdanken wir die Uber-

137 zeugung, daß sich ein Ganzes im mathematisch-physikalischen Sinn als Funktion seiner Teile darstellen läßt. "Statt ... nach der absoluten Einheit der Substanz zu fragen, ... wird jetzt nach einer Regel gefragt, die die konkrete Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der E r kenntnisfunktionen beherrscht und die sie, ohne sie zu ... zerstören, zu einer ... geschlossenen geistigen Aktion zusammenfaßt" (CASSIRER 1956, 8). Die Eindrucksfülle der sinnlichen Erfahrungswelt im allgemeinen und die Eindrucksfülle der übersetzerischen Erfahrungswelt im besonderen wird durch entsprechende methodische Verfahrensweisen zu einem kohärenten System geordnet, in w e l c h e m Strukturmuster vorwalten, die Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck sind. Wissenschaft stellt die Frage nach analytischen Grundsachverhalten; sie ist auf der Suche nach der inneren Logik eines Objektbereichs und begreift die Wirklichkeit unter den Bedingungen technischer oder quasi-technischer Regeln; diese R e g e l n lassen sich in standardisierte Handlungsweisen umsetzen und ermöglichen zweckrationales, sachimmanenten Gesetzen gehorchendes Verhalten. Diese Einstellung ist in der M ü augenfällig; sie erklärt auch das große Interesse der Ü W an "strategischen" Denkprozessen. W o Zweckrationalität am Werk ist, wo systemtheoretisches Denken dominiert, ist Intuition notwendigerweise auf d e m Rückzug: Die allgemeine Tendenz geht dahin, das Individuelle, wenn es überhaupt noch wahrgenommen wird, in den Rang eines Allgemeinen zu erheben und im Rahmen eines sich immer mehr ausbreitenden Logozentrismus das selbstbezügliche Subjekt d u r c h das algorithmische S y s t e m zu ersetzen (Kap.VIII). Daher die Neigung, Intuition als eine nicht ins systemtheoretische Konzept passende Erscheinung aus der wissenschaftlichen Diskussion zu vertreiben und Komplexitätsreduktion als die einzig erfolgversprechende Methode für die G e w i n nung wissenschaftlicher Wahrheit und als Maßstab für eine zeitgemäße Daseinsbewältigung zu betrachten. Gegen eine systemtheoretische Sehweise ist aus ü w Sicht nichts einzuwenden, solange Klarheit darüber besteht, daß der Übersetzer mehr Möglichkeiten des Handelns hat, daß er mehr und komplexere mentale Ressourcen aktivieren kann, als systemtheoretisch dargestellt werden kann. Dazu gehört auch der Rückgriff auf übersetzerische Intuition; sie zeigt, daß der Ubersetzer in einem offenen Handlungshorizont steht; sie zeigt auch, daß die Verabsolutierung der monokausalen systemtheoretischen Weltinterpretation, die man auch schon als "naturalistischen Fehlschluß" bezeichnet hat, d e m K o m p l e x i t ä t s - und Kontingenzcharakter d e s Obersetzens nicht genügend Rechnung trägt. Wir alle sind Zeugen, ja oft mehr oder minder unfreiwillig Mitspieler eines dialektischen Prozesses, in welchem objektivistische und subjektivistische Tendenzen teilweise beziehungslos, teilweise bezie-

138 hungsvoll nebeneinander herlaufen. Außer auf eine Tendenz zur systemtheoretischen Vereinnahmung der Welt stoßen wir überall auf die Tatsache, daß wir das immer risikoreiche Spiel der ineinander verschlungenen menschlichen und sprachlichen Verhältnisse als den Ausdruck menschlicher Vieldeutigkeit begreifen müssen. Das erklärt das rebellierende Gefühl der Vertreter der sog. Postmoderne, dem wir im nächsten Kapitel im Mü-Kontext wiederbegegnen werden. Intuition ist weder auf Chips transformierbar noch in algebraische Konfigurationen übersetzbar. Die Digitalisierung der Intuition bleibt eine Utopie. Intuition ist nicht im Rahmen eines computerisierten Rechenvorgangs simulationsfähig; sie ist nicht identisch mit seriell ablaufenden Prozessen, die einen Sachverhalt so lange traktieren, bis das erwünschte Resultat verwirklicht ist (oder auch nicht) . Wir können die sprachliche und die außersprachliche Wirklichkeit nicht vollumfänglich durch Abstraktion bezwingen; wer das glaubt, unterwirft sich einem rationalistisch-romantischen Irrglauben, der genau so verkehrt ist wie die Auffassung, daß unsere Erkenntnis keine objektive Wirklichkeit abbilden kann. Objektivitätsstreben ist eine Grundstruktur des Denkens, aber jede Erkenntnis ist an subjektive Voraussetzungen gebunden. Wir wissen, und das hat CASSIRER, an LEIBNIZ anknüpfend, in programmatischer Form ausgedrückt, daß es eine "Macht des symbolischen Denkens" gibt. Dieses symbolische Denken ist der Schlüssel, der uns befähigt, Einzeltatsachen in größere Zusammenhänge einzubinden und zu objektivieren, aber es fordert uns auch auf, der Anmaßung zu mißtrauen, alles und jedes analytisch auflösen und auf seine Grundbestandteile zurückführen zu können. Deswegen braucht die t)W einen systemtheorieübergreifenden, multiperspektivischen Wissenschaftsbegriff, der nicht nur auf rationalen Denkprinzipien beruht, sondern auch "unordentliche" Verhaltensweisen in sein Kalkül einbezieht. Neben rationaler Erkenntnis gibt es auch eine intuitive Erkenntnis. Sie bildet gleichsam einen Rückstand, der wissenschaftstheoretisch noch nicht verarbeitet ist und wissenschaftstheoretisch auch gar nicht verarbeitet werden kann. Die intuitive Erkenntnisform ist mit subjektiven Werturteilen verbunden, die nicht auf der Basis von logischen Schlußfolgerungen Zustandekommen, sondern etwas Idiosynkratisches an sich haben können. Das bedeutet nicht, daß intuitives Denken gleichbedeutend ist mit willkürlichem oder gar chaotischem Denken. Auch wenn intuitive Urteile keine allgemeinen Wertnormen festlegen können, weil sie eben nicht allgemeinen Regeln folgen, so ist damit nicht gesagt, daß man über intuitiv gewonnene Werturteile oder schöpferische Einfälle nicht zu einer intersubjektiven Verständigung kommen könnte. Das Intuitive im Übersetzungsprozeß Intuition ist das Gegenteil prototypischer Konzepte. Dies

139 gilt für iibersetzerische Intuition wie für jede andere Form der Intuition. Natürlich wird jeder Übersetzer, wo immer er kann, sich an den von ihm mehr oder minder planmäßig erworbenen Prozeßmustern orientieren und eine methodisch oder sprachlich institutionalisierte Form der Sprachverwendung praktizieren. Aber er muß immer auf Situationen gefaßt sein, die außerhalb der übersetzungsmethodisch und übersetzungstechnisch geregelten Normalität des Ubersetzens stehen. Hier beginnt der Bereich intuitiven übersetzerischen Verhaltens. Der Ubersetzer kann, jedenfalls da wo es die textuellen Umstände erlauben oder gar erfordern, seine Intuition, wenn er über eine solche verfügt und sich zutraut, sich ihrer zu bedienen, aktivieren und kühne Formulierungen entwerfen, die mit dem Verhalten eines anderen Ubersetzers eben gerade nicht übereinzustimmen brauchen. Ein solches Verhalten ist allerdings nicht risikolos, vielleicht eine Erklärung dafür, daß Ubersetzungsintuition in der Ubersetzungspraxis viel weniger in Erscheinung tritt, als man aufgrund der notorischen Charakterisierung des Ubersetzungsprozesses als intuitiver Sprachhandlung annehmen möchte (s.o. in diesem Kap.). Es liegt in der Natur der Sache, daß es für Ubersetzungsintuition überall da ein reiches Betätigungsfeld gibt, wo es darum geht, für stilistisch markierte Textstellen akzeptable Äquivalente zu finden, d.h. den stilistischen Reiz einer Textstelle nicht durch mehr oder minder weit ausholende lexikalische und syntaktische Ausdrucksverschiebungen zu zerstören. Wie geschickt sich ein Ubersetzer aus der Affäre ziehen kann, wenn er intuitiv vorgeht, sei an der Wiedergabe eines Chiasmus illustriert. Er entstammt einem im "Observer" veröffentlichen Text über den Einfluß des internationalen Terrorismus auf das Leben in Großbritannien und veranschaulicht auf eine stilistisch außerordentlich raffinierte Weise, wie die Vertrauenskrise zwischen der Staatsmaschinerie und ihren sich ständig verfeinernden Abhörpraktiken einerseits und dem Mann auf der Straße und seinen dadurch in Gefahr geratenen Freiheiten andererseits wächst. Ein Satz in diesem Text lautet: "The rise of terrorism on an international scale, of subversion as a respectable military weapon - recognized by such classical strategists as von Clausewitz, it (sic) is a common tool of all modern governments - and the scope of sensitive technical information, jealously guarded by the average defence ministeries, have all helped to create a state of paranoia and a paranoia of the state" (hervorgehoben von W.W.). Abgesehen von der sehr komplexen Syntax mit der durch eine Parenthese bewirkten syntaktischen Erwartungsverschiebung,

140 ist es schwierig, den Chiasmus im Deutschen nachzubilden, weil ihm ein Äquivalent zu "state" mit seiner stilistisch ungemein praktischen Doppeldeutigkeit fehlt. (Im Deutschen muß man differenzieren zwischen "state" als "Zustand" und "state" als "Staat".) Trotzdem ist in einer übersetzungspraktisch erfahrenen Gesprächsrunde, in der dieses Beispiel zur Diskussion gestellt wurde, einer Gesprächsteilnehmerin auf Anhieb, gleichsam im Rahmen einer impulsiven übersetzerischen Handlungsweise, folgende stilistisch geradezu frappierende Lösung eingefallen: "(all das hat dazu beigetragen), daß sich der herrschende Verfolgungswahn in einem Verfolgungswahn der Herrschenden spiegelt". Diese Übersetzung kann als Indiz dafür gelten, daß in der Taxonomie übersetzerischer Verhaltensweisen - Wort-fürWort-Übersetzung, wörtliche Übersetzung, methodisch kontrollierte Übersetzung im Sinn einer kreativen, entscheidungsorientierten Problemlösungsstrategie, routinisierte Übersetzungstechnik, intuitiver Zugriff auf ein Übersetzungsproblem - die letztgenannte Verhaltensweise das differenzierteste Stadium in der Entwicklung übersetzerischer Bewußtseinsformen darstellt. Übersetzungsintuition resultiert in Einstellungen zum Text, die der Übersetzer im Rahmen seiner Subjektivität außerhalb von systemtheoretischen Erwartungshaltungen praktiziert, ohne das empfindliche Gleichgewicht zwischen den durch den zu übersetzenden Text vorgegebenen Normen und seiner intuitionsbestimmten IchIdentität zu verlieren. Weniger spektakulär, aber doch deutlich präsent ist der Einfluß übersetzerischer Intuition in folgendem Beispiel aus einer Übersetzungsübung (Anfang eines berühmten Feuilletontextes über New York von E.B. WHITE): "There are roughly three New Yorks. There is, first, the New York of the man or woman who was born here, who takes the city for granted and accepts its size and its turbulence as natural and inevitable. Second, there is the New York of the commuter - the city that is devoured by locusts each day and spat out each night. Third, there is the New York of the person who was born somewhere else and came to New York in quest of something." New York hat, grob gesprochen, drei Gesichter. Da ist zunächst das New York der Einwohner, die hier geboren sind, die sich in dieser Stadt zuhause fühlen und die ihre Größe und Hektik als etwas Natürliches und Unvermeidliches akzeptieren. Dann ist da das New York der Pendler, die jeden Morgen wie ein Heuschreckenschwarm über die Stadt herfallen und am Abend wieder verschwinden . Dann ist da schließlich das New York der Menschen, die anderswo auf die Welt kamen and in New York ihr Glück machen wollen.

141 Diese Textstelle wurde in Saarbrücken im Rahmen eines Versuchs, Intuition kategorial und prozessual dingfest zu machen, intensiv diskutiert. Keiner der Gesprächsteilnehmer war in der Lage, das Ubersetzerverhalten bei den vier unterstrichenen Stellen auch nur annähernd oder gar in allen Verästelungen nachzuzeichnen. Die Gesprächsteilnehmer waren sich nur darin einig, daß jeder einzelne versucht hatte, das Gemeinte im Gesagten zu identifizieren, und daß eine angemessene Ubersetzung in diesem Textzusammenhang nur im Rahmen einer nichtwörtlichen Übersetzung möglich war. Kein Konsens wurde darüber erzielt, ob der Zuwachs an übersetzerischer Intuition (ungefähr) proportional zum Zuwachs an übersetzerischer Erfahrung ist. Dieser Umstand bestätigt, daß es zuverlässige Wege, den Begriff der Ubersetzungsintuition zu rekonstruieren, zu modellieren und zu operationalisieren, offenbar nicht oder nur selten gibt. Die Reflexion über Kognition und übersetzen endet an der wissenschaftlich nicht mehr erreichbaren Zone der Intuition. Intuition zu beobachten und darüber wissenschaftlich zu sprechen ist zweierlei, und es gelingt offenbar nicht recht, ersteres mit letzterem zum Vorteil beider Perspektiven wissenschaftlich überprüfbar zu verbinden, weil man mit einer Unscharfe aller inneren Anschauungen rechnen muß. Angesichts dieser Sachlage stellt sich die Frage, wie sich die ÜW, die theoretische, die deskriptive und die anwendungsorientierte, verhalten soll, wenn sie sich sachkundig und plausibel zum Begriff der Ubersetzungsintuition äußern soll. Soll sie Übersetzungsintuition als ein "integriertes" mentales Phänomen abtun, dem wissenschaftlich-experimentell nicht beizukommen ist, weil es nicht faktorisierbar ist? Oder soll die ÜW versuchen, allen methodischen Schwierigkeiten zum Trotz die kritische Auseinandersetzung mit dieser volatilen Erscheinung zu riskieren, auf die Gefahr hin, daß sie zu keinen aufschlußreichen Erkenntnissen kommt? Wenn sie dieses Risiko eingeht, welche begrifflichen und methodischen Hilfen kann sie von den kognitiven Wissenschaften erwarten? Eine schlüssige Antwort auf diese Fragen ist in der UW derzeit nicht möglich. Das zeigt u.a. der Versuch von SACHSSE, rationale Erkenntnis und intuitive Erkenntnis gegeneinander abzugrenzen. Zur rationalen Erkenntnis rechnet er "Kalkül, Berechnung, Prüfung, logisch, möglichst quantitativ, intersubjektiv, allgemein und grundsätzlich verstehbar, einfache und allgemeine Sachverhalte, wertneutrale Erkenntnis, Beziehungswissen" (1979, 157). Zur intuitiven Erkenntnis rechnet er "Sicht, innere Anschauung, Einfall, Entwurf, außerlogisch, qualitativ, spezifisch subjektiv, speziell und

142 individuell verstehbar, komplexe und spezielle Sachverhalte, auch Werteinsichten, Erfahrungen des Soseins" (1979, 157). Diese Gegenüberstellung ist unbefriedigend: So präzise SACHSSE das Umfeld rationalen Erkennens angibt, so vage drückt er sich aus, wenn es darum geht, der intuitiven Erkenntnis mentale Sachverhalte zuzuordnen. Daraus SACHSSE einen Vorwurf zu machen wäre verkehrt: Es gibt, wie eingangs festgestellt, im Bereich der Intuition keine Einsichten, die im Sinne der modernen analytischen Wissenschaftstheorie theoretisierbar, paradigmatisierbar, falsifizierbar oder gar formalisierbar sind. Der Begriff der Intuition ist geprägt durch suggestive Unbestimmtheit. Sie behauptet sich ohne systematische Regel; sie schreibt nicht vor, was geschehen soll.

Auf unsere intuitiven Fähigkeiten greifen wir als Ubersetzer vor allem dann zurück, wenn wir auf der Basis rationaler Problemlösungsstrategien zu keinem brauchbaren Ergebnis gelangen. Analytisches Problemlösungsverhalten und intuitive übersetzerische Tätigkeit muß man komplementär zueinander sehen, übersetzen als Beobachtung eines Details oder vieler Details, als textuelle Verknüpfung dieser Details, bis eine Struktur sich merklich abzeichnet, eine Struktur, die im Rahmen erprobter Abstraktionsmechanismen womöglich das jeweils Besondere in den Rang einer allgemeinen, typisierten Verfahrensweise erhebt - das ist ein Vorgehensprinzip, aber nicht das einzig denkbare und praktizierbare. Denn es gibt auch Texte, an denen diese zweifellos oft bewährte Verfahrensweise abprallt und die sich gegen jede Form der "Produktuniformität", gegen jede Standardisierung der Ubersetzungsaktivität wehren. Intuition erlaubt kein strukturelles Vorgehen im Sinn einer schrittweisen Aufarbeitung eines Objektbereichs. Da wo sich das sorgfältig aufgebaute Reflexionsgerüst der methodisch fundierten Übersetzungsprozeduren als nicht mehr tragfähig erweist, wo Frames, Scripts, Szenarios, Schemata, routinisierte Praktiken, Durchschnittsverhalten versagen, liegt die Chance der Obersetzungsintuition. "Wir konstruieren und konstruieren, und doch ist intuition immer noch eine gute sache", hat Paul KLEE, über seine Tätigkeit am Bauhaus nachdenkend, im Jahr 1928 gesagt. Sie durchbricht die starre, puristische Architektur des Methodenwissens und eröffnet dem Architekten wie dem Übersetzer Möglichkeiten der kreativen Selbstbestätigung und Selbstartikulation. Diese Möglichkeiten braucht er angesichts der Anfechtungen und Anfechtbarkeiten seines Metiers, will er sich nicht in die Rolle des phantasielosen, positivistischen Textabschreibers abdrängen lassen, der nur noch in vorgegebenen Rahmenbedingungen funktionalen Verstehens und Handelns operieren kann. Intuitionsbasierte Einfälle stellen sich allerdings nicht

143 auf Kommando ein. Sie sind nicht voraussagbar. Und sie können auch eine u.U. gefährliche Fehlerquelle sein: "Obviously, some intuitive leaps are "good" and some are "bad" in terms of how they turn out. Some men are good intuiters, others should be warned off" (BRUNER 1960, 60). Insofern ist auf Intuition kein Verlaß. Sie ist oft ein Notbehelf - ohne Garantieversprechen. Sie nimmt sich das Recht, in einer ganz bestimmten Situation auf eine ganz bestimmte Weise zu antworten. Trotzdem ist generelles Mißtrauen gegen Intuition unberechtigt. Ein Eintreten für die Intuition ist nicht gleichbedeutend mit einem Votum gegen klare Übersetzerische Denk- und Formulierungsarbeit. Intuition ist der Treibstoff eines Denkens und Formulierens, das sich nicht an einer streng normativen Methodik orientiert. Intuition ist eine Verhaltensweise, die sich von der verbreiteten Fixierung des Bewußtseins auf technizistische Strukturen, Theorien und Modelle, wie sie in Kap. VIII zur Sprache kommen werden, löst. Sie erschließt eine rationalitätsüberschreitende (aber rationalitätsfundierte) Welt, in der sich der Ubersetzer ebenso zurechtfinden muß wie in der Welt übersetzerischer Problemlösungsmethoden (vgl. J.C. SAGER 1984, 343).

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ZWEITER TEIL

VIII. Theoretische Aspekte der maschinellen Ubersetzung Vom diskursiven zum algorithmischen Denken Ein Buch, in dem es um das Thema "Kognition und Ubersetzen" geht, muß sich auch mit der MO befassen; denn es ist die Aufgabe der Mü-Forschung, Mittel und Wege für die automatentheoretisch fundierte Simulierung von Ubersetzungsprozessen zu finden. Dabei steht, wie in den Kap. IX - XI deutlich werden wird, die Mü-Forschung vor einer ungleich schwierigeren Situation als die auf die menschliche Ubersetzung bezogene ÜW. Während der Ubersetzer mit Hilfe der kombinatorischen Kraft seines Intellekts das semantische Substrat des Ausgangstextes ermittelt, entbehrt der Rechner einer vergleichbaren Strategie, die einen kohärenten Zusammenhang von Textverstehen und Anwendung des Verstandenen im Ubersetzungsprozeß gewährleistet. Es ist - zumindest derzeit - ausgeschlossen, dem Rechner eine kreative Textverarbeitungskompetenz zu vermitteln, die über vorausgesetzter Textbedeutung extensional operiert. Wer sich auf das Gebiet der Mü vorwagt, hat es also mit einem besonders problematischen, faszinierenden, gleichzeitig aber auch mit dem schwierigsten Gebiet der Sprachdatenverarbeitung zu tun. Es geht bei der Mü um nichts weniger als um den Versuch, unvorstellbar komplexe mentale Prozeduren, die sich in Zusammenarbeit von Gehirn und Bewußtsein in Bruchteilen von Sekunden abspielen, auf ein technisches Verfahren zu reduzieren, das von einem Rechner mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ausgeführt werden kann. Wer auf Mü setzt, muß sich also einem Verhaltenskodex unterwerfen, der sich am Funktionsprinzip des Rechners orientiert und dem methodischen Rigorismus den Vorrang vor der Freiheit des Individuums einräumt. Er muß außerdem bereit sein, sprachliche Sachverhalte einer mikroskopischen Vergrößerung zu unterziehen, die all das schattenlos sichtbar macht und in Regelform bringt, was der Sprachbenutzer nicht sieht und auch gar nicht sehen muß, weil er sich aufgrund seines Sprach-, Welt- und Situationswissens und der Beweglichkeit seines Denkens in den verschiedensten Kommunikationssituationen angemessen (kontingent) verhalten kann. Niemand käme z.B. auf die Idee, die Zusammensetzungen "Drogenberater", "Stauberater" und "AIDS-Berater" im Sinne von "x berät Drogen/Staus/AIDS" zu interpretieren; jedermann weiß, daß es

145 um die Beratung von Menschen in bezug auf Drogen/Staus/AIDS geht. Für die maschinelle Behandlung solcher (und anderer) Zusammensetzungen gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man expliziert die semantischen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen "Berater" und "Drogen/Staus/AIDS" durch entsprechende Regeln und darauf aufsetzende Rechnerprogramme, oder man praktiziert ein datenintensives Verfahren und gibt solche Bezeichnungen en bloc in den Wörterbuchspeicher ein. Es ist unentschieden, was einfacher ist, "eine Theorie mit weniger Grundelementen und vielen Umwandlungsregeln oder eine Theorie mit vielen Grundeinheiten und weniger Umwandlungsregeln ..." (HOLENSTEIN 1981, 199). Für beide Computerprogrammkonzeptionen, die regelintensive und die datenintensive, gilt, daß der Rechner die Leitlinien für die Software-Entwicklung bestimmt. Es liegt in der Natur der Sache, daß im Mü-Kontext die Software-Entwicklung hinter der Hardware-Entwicklung herhinkt. Die MU-Forschung muß mit der Tatsache leben, daß es noch nicht gelungen ist, jedenfalls nicht in dem für jedes operative Verfahren notwendigen Minimalumfang, maschinelle Problemlösungsmethoden zu entwickeln, die auf der grundlegenden Verbindung von "Wissen daß" und "Wissen wie" beruhen und über ein hinlänglich differenziertes, Wissen integrierendes Inferenzpotential verfügen. Derzeit kann ein Rechner - und dies gilt für sprachliche und nichtsprachliche Zusammenhänge - nur in Mikroweiten operieren, die hinter der Alltagskomplexität weit zurückbleiben. Der große Abstand zwischen Mensch und Maschine ist vielleicht nirgends so augenfällig wie in den Fällen, wo es um die Auflösung von Intransparenz geht, von der in Kap. XI im Zusammenhang mit dem Ambiguitätsprinzip ausführlich die Rede sein wird. Nur der Mensch weiß, wie er situationskontextuell in dem Satz (1) Hier muß es eine Umgehungsstraße geben das Modalverb interpretieren muß (im Sinne von "angeblich" oder im Sinne einer verkehrspolitischen Forderung), und auch der Satz (2) Genscher kann nichts bewegen ist vom Menschen trotz seiner syntaktisch-semantischen Doppeldeutigkeit in dem betreffenden Kommunikationszusammenhang eindeutig zu identifizieren. Der Rechner muß dagegen, weil er kein Alltagswissen besitzt, in beiden Fällen passen; oder er liefert einen Mehrfachausdruck und überläßt dem Menschen die Entscheidung über die situativ richtige semantische Variante. Deswegen hat der Rechner prinzipiell nicht die Möglichkeit zur selbständigen Steuerung eines Ubersetzungsablaufs. Aber dies ist auch nicht seine Aufgabe; der Rechner ist ein pro-

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grammdeterminiertes Werkzeug, dessen Leistungsfähigkeit man nicht daran messen darf, daß er kein Problembewußtsein hat und die Qualität einer maschinell erzeugten Übersetzung nicht einschätzen und kontrollieren kann. Wer dem Rechner Eigenschaften zuschreibt, die er wesensmäßig nicht hat und auch gar nicht haben kann, bewegt sich im Umfeld anthropozentrischer Vorstellungen, die in sachverhaltsverfälschender Weise auf den Rechner projiziert werden. Die Geschichte der Wissenschaft zeigt, daß jedes Zeitalter unter dem Einfluß der jeweils zeittypischen Denkformen sein spezifisches theoretisches und forschungspraktisches Paradigma favorisiert. Wie alle Lebensbereiche, so haben auch die Wissenschaften ihre Konjunkturen. Wenn man die Mü-Forschung auf ihre theoretische und methodologische Schwerpunktbildung hin unter die Lupe nimmt, so zeigt sich, daß es eine die Vielzahl der einzelnen Forschungsperspektiven übergreifende Grundeinstellung gibt, die mit unterschiedlichen Spielarten ziemlich klar die Szenerie beherrscht: die Tendenz zu einer analytischen, klassifikatorischen, inventarisierenden Denkweise. Wir beobachten eine Veränderung in unserem Bewußtsein, das sich nicht mehr am diskursiven, sondern am digitalen Denken orientiert. Der "Zeitgeist" erschafft zwar nicht Wissenschaft, aber er beeinflußt die Bedingungen und steuert die Antriebe, die für die Wissenschaftspraxis maßgebend sind. Wissenschaft ist ein evolutionärer Prozeß, in dem die Relativierung alten Wissens und der Aufbau neues Wissens Hand in Hand gehen. Der schöpferische Wissenschaftler ist, so ein oft zu hörendes Diktum, Abbruchspezialist und Baumeister in einer Person. Auch in der modernen Sprachwissenschaft, vor allem in der "harten" Teildisziplin der Syntaxtheorie, sind solche Umschichtungen unverkennbar. Sie dokumentieren sich u.a. im Abbau der anthropozentrischen Auffassung der Sprache zugunsten einer positivistischen, rationalistischen, universalistischen Sprachtheorie. Diese steht im Gegensatz zu der Auffassung von kausal determinierten Wechselbeziehungen zwischen den Ausdrucksmöglichkeiten und dem Weltbild einer Sprachgemeinschaft, wie sie z.B. Leo WEISGERBER im Anschluß an Wilhelm VON HUMBOLDTS These von der Souveränität der für den Sprachbenutzer denkenden Sprache vertreten hat. Die theoretische Sprachwissenschaft der Gegenwart versteht natürliche Sprache als funktional bestimmten Zusammenhang, der Struktureigenschaften besitzt, die durch entsprechende Methoden in ihrem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis sichtbar gemacht werden können. Struktur hat Zwangscharakter; durch empiriebezogene Untersuchungen der strukturgebenden Kräfte in der Sprache kann man ausfindig machen, was die Sprache im Innersten zusammenhält. Ziel dieser Sprachtheorie ist es, die Voraussetzungen für die kognitive Parametrisierung sprachlicher Zusammenhänge zu schaffen. Sie läßt sich von der Überlegung leiten, "daß in dem Maße, als die unmittelbaren Inhaltsbestimmungen zu-

147 rücktreten, die allgemeinen Form- and Relationsmomente zu um so schärferer und reinerer Ausprägung gelangen" (CASSIRER 1956, 45). M.a.W: Im heutigen Forschungsparadigma verbindet sich der statische Begriff von Zuständen mit dem dynamischen Begriff von Prozessen. Beide Begriffe verbinden sich zum Begriff der Vernetztheit: "Mit Vernetztheit ist gemeint, daß die Variablen sich gegenseitig beeinflussen und so die Veränderung eines Teils des Systems sich auf andere Teile auswirkt" (STÄUDEL 1987, 6). Daraus resultieren neue Wirklichkeitsvorstellungen, die sich von der Metaphysik abgekoppelt haben und sich im Gravitationsbereich einer physikalistischen Wissenschaftstheorie bewegen. Dabei ist die Sprachwissenschaft im allgemeinen und die Mü-Forschung im besonderen auf erkenntnistheoretische und erkenntniskritische Fragen gestoßen, die man unter dem Stichwort Kommensurabilität von Aufgabenstellung und den zur Problemlösung einsetzbaren Methoden zusammenfassen kann. Wenn die Mü-Forschung mehr als Ad-hoc-Ergebnisse erzielen will, muß sie einen tragfähigen theoretischen Darstellungsund BegründungsZusammenhang entwickeln. Es stimmt nicht, daß der Mü-Theoretiker dem Mü-Praktiker von ferne nachfolgt, um, so gut er kann, zu registrieren und zu erklären, was aus der Arbeit des MU-Praktikers an grundlegenden Erkenntnissen abgeleitet werden kann. Ein Programm ist immer nur so gut wie die dahinterstehende Theorie. Allerdings ist die Umsetzung von Theorien in die Programmierarbeit, etwa in Form von effizienten syntaktisch-semantischen Analyse-, Transfer- und Synthesesystemen, die nicht auf Satz-, sondern auf Textbasis operieren, bisher noch eher Wunsch als Wirklichkeit, vielleicht weil diese Theorien noch unvollständig sind. Andererseits ist die Tatsache unabweisbar, daß das geistige Klima der Gegenwart in vielen Bereichen computergeprägt ist. Dabei kann man sich den Rechner als ein Supergerät vorstellen, das genau definierte Aufgaben in genau detaillierter, d.h. vom Menschen programmierter (determinierter) Weise erledigt. Man kann in ihm aber auch ein quasi-dynamisches, lernfähiges System sehen, das Teilbereiche natürlicher Sprache, etwa in Form von Frage/Antwort-Systemen, zu beherrschen vermag, einfache kognitive Prozesse nachvollziehen kann und die Fähigkeit zur Selbstorganisation besitzt. Hier ist noch fast alles offen, aber gerade in dieser Offenheit scheint die Faszinationskraft des Computers bzw. der Arbeit mit dem Computer zu liegen. Wissenschaftstheorie, Computerwissenschaft und mathematische Linguistik Die Faszinationskraft des Computers ist m.E. das Ergebnis

148 einer Anzahl teils konvergierender, teils interdependenter Faktoren, die im folgenden kurz dargestellt werden sollen: 1. Logifizierung empirischer Tatbestände Der Nachkriegstrend zur Logifizierung empirischer Tatbestände äußert sich in der Philosophie am konsequentesten bei den Vertretern des Neopositivismus und in der Sprachwissenschaft bei den Vertretern der generativen Linguistik und der MONTAGUE-Grammatik. Neopositivisten und Generativisten sind sich in der Oberzeugung einig, man könne alle sprachlichen Äußerungen und alle Aussagen über die Außenwelt in mathematisch-physikalische Sätze übertragen und dergestalt eine exakte, wertfreie "Einheitswissenschaft" (unified science) schaffen, die zunächst auf die "Gleichförmigkeit aller physikalischen Vorgänge" (ELIAS 1986, 471) setzt, aber dann darüber hinaus die Ausweitung naturwissenschaftlicher Denk- und Argumentationsformen auf einen universalen Denk- und Argumentationsstil anstrebt und damit alle nur denkbaren Einzelheiten einem einheitlichen erkenntnistheoretischen System unterwerfen will. Daß Geistesund Sozialwissenschaften dabei bereitwillig mitgespielt haben, liegt vielleicht an der weitverbreiteten Tendenz zur "planetarischen Unifikation". Jedenfalls haben sich die Geistes- und Sozialwissenschaften, vielleicht aus einem methodologischen Minderwertigkeitskomplex heraus, die Erklärungs- und Orientierungskraft der Naturwissenschaften zunutze gemacht. Sie waren offenbar von der aufklärerischen Macht der Naturwissenschaften so überzeugt, daß man beispielsweise auch von der Idee einer "sozialen Mathematik" träumte, die das Zusammenleben der Menschheit nach naturwissenschaftlichem Vorbild analysieren und regulieren sollte. Allerdings stellte sich bald heraus, daß der Versuch, aufgrund einer universalistischen Methodologie alle wissenschaftlich erforschbaren Sachverhalte unter ein einheitliches und durchgängiges Prinzip zu zwingen, ein nicht geringes Maß an Naivität erkennen ließ: Man kann nicht mit Hilfe einer Anzahl von Axiomen, einigen experimentellen Versuchsanordnungen und einer Handvoll Regeln alle lebensweltlichen Bereiche identifizieren, deuten, auf Ursachen zurückführen und dann alles in einem gewaltigen methodischen Uberbau vernetzen. Die Suche nach dem einfachen und einheitlichen Maßstab aller Dinge scheitert an der Komplexität der lebenswirklichen Erscheinungen. Für eine solche - z.T. glänzend formulierte - Einheitswissenschaft mit ihrem eingeschränkten Wahrheitsbegriff sind in exemplarischer Form der frühe WITTGENSTEIN in seiner Logisch-philosophischen Abhandlung (1921) und CARNAP in seiner axiomatisch fundierten logischen Syntax (1934) eingetreten. Die Forderung nach dieser Art von Syntax begründet CARNAP damit, daß die Möglichkeiten der Metaphysik, weitere Erkenntnisfortschritte zu erzielen, erschöpft sind. Er wollte beweisen, daß alle Naturvorgänge aus einer ein-

149 heitlichen Selbstbewegung des Geistes ableitbar sind, daß die Welt auf deduktive Logik aufgebaut ist und daß es die zentrale Aufgabe der Philosophie ist, Logik und Lebenswelt miteinander zu versöhnen. Hinter dieser Fiktion einer wertfreien Wissenschaft steht das Axiom von der Existenz einer logisch-mathematischen Grundstruktur der Welt, wie sie u.a. GALILEI, KEPLER und LEIBNIZ vorgeschwebt hat. So vertrat GALILEI die erkenntnistheoretische Vorstellung von der Homogenisierbarkeit der physikalischen Welt. Demnach liegt der Schlüssel zum Verständnis der Natur in der Mathematik, die Naturgesetze sind nur in mathematischer Symbolschrift zu formulieren, und die Mathematik hebt den Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Intellekt auf. In dieselbe Richtung zielt KEPLERS berühmtes Diktum "ubi materia, ibi geometria". Und LEIBNIZ hatte die Vision eines mathematischen Kalkulators (calculus ratiocinator), der mit Hilfe einer dafür zu entwickelnden logischen Wissenschaftssprache in der Lage sein müßte, Antworten auf Probleme zu finden, deren Lösung einen Denkprozeß erfordert. Das Ziel von LEIBNIZ war die Austauschbarkeit von Ziffern und Buchstaben; er wollte die Logik von der Umgangssprache unabhängig machen und Begriffe sowie ihre Beziehungen untereinander mit algebraischen Mitteln symbolisieren (Kap.IX). Deshalb lehnte er auch eine konsequente Abgrenzung zwischen "dem Angeborenen" und "dem Angelernten" ab. Wenn ich richtig sehe, praktiziert die mathematische Linguistik eine ähnliche Denkweise: Sie versucht, ihre Probleme durch eine Art "Leibnizisierung" des natürlichen Denkens zu lösen und damit eine Grundlagendisziplin für alle Fachwissenschaften zu werden. In exemplarischer Form ist diese "Leibnizisierung" in der "Government and Binding-Theorie", den sog. Unifikationsgrammatiken und der "Generalized Phrase Structure Grammar" verwirklicht (Kap.IX). Singulare Beobachtungen sind wissenschaftlich unerheblich, weil sie auf der Basis mathematischer Modelle nicht überprüfbar sind; über das Besondere und Einmalige kann und will die (Natur-)Wissenschaft keine Aussagen machen. Die Sprachwissenschaft ist damit in den Bannkreis einer Wissenschaftstheorie gelangt, die Auguste COMTE im Anschluß an GALILEI in seiner Sozialphysik dargestellt hat. Diese Wissenschaftstheorie hat 100 Jahre später von CARNAP die Bezeichnung "Physikalismus" erhalten und ist in den Denkbewegungen der "Philosophy of Science" (Wissenschaftstheorie) zu ihrem folgerichtigen Abschluß gekommen. Der Physikalismus ist der Beweis dafür, daß die Physik im 20. Jahrhundert eine der wichtigsten philosophischen Veränderungen im Selbstverständnis der Menschen bewirkt hat. Die Physik hat sich anheischig gemacht, das abendländische naturwissenschaftliche Weltmodell zu einer geistigen Weltherrschaft zu führen, ohne Rücksicht und Gespür für die Gefahr einer Minderung der Spontaneität, der Offenheit, der Bereitschaft, sich in

150 einer u.U. provozierenden Weise mit der Lebenswirklichkeit auseinanderzusetzen. Allerdings erweist die metatheoretische Uberprüfung der Voraussetzungen und Konsequenzen des Physikalismus dessen Vordergründigkeit, hinter der das Geheimnis des Lebens mehr denn je verborgen ist. Deshalb bläst der "Philosophy of Science", deren Methodologie durch die exakten Wissenschaften geprägt ist, der Wind inzwischen ziemlich ins Gesicht. Symptomatisch ist diese Entwicklung bei FEYERABEND (1983), dem POPPER-Schüler und POPPER-Renegaten, der mit seinem skeptischen Prinzip des "anything goes" das Falsifizierbarkeitspostulat des kritischen Rationalismus provokativ, aber auch mit einer gewissen Oberflächlichkeit in Frage stellt. Er hat in MARQUARD einen tiefschürfenden, rhetorisch mindestens ebenso virtuosen Weggefährten gefunden, der zuletzt durch seine bedenkenswerten Ausführungen zur "Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften" (1986) vor allem in der "postmodernen" Szene Furore gemacht hat. Auch HABERMAS (1985) ist hier zu nennen, der dem Positivismus die Halbierung der Rationalität vorgeworfen hat (SPINNER 1986, 924) und sich - zusammen mit FEYERABEND und MARQUARD - zum Apologeten des Pluralismus gemacht hat. Was sich hier an neuen wissenschaftstheoretischen Positionen abzeichnet, steht in einem großen wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang. Schon Blaise PASCAL, der Zeitgenosse von LEIBNIZ, hat die Grenzen der Mathematik, der "raison de la göometrie" erkannt und für die sinnsuchende Vernunft, die "raison du coeur" plädiert, obwohl - oder vielleicht gerade weil - letztere längst nicht mit derselben auftrumpfenden Fortschrittlichkeit aufwarten kann wie erstere. Die Abwehr der radikalen Versuche zur Geometrisierung der Welt, zur logikkalkülbasierten Beantwortung von logikkalkülbasierten Fragen, manifestiert sich in einer Gegenströmung, die in den letzten Jahren unter der eben erwähnten Bezeichnung "Postmoderne" immer mehr Anhänger gefunden hat. "In der Tat stoßen wir überall auf die Spuren eines radikalen "Subjektivismus": in der Lyrik und der Musik, in der Philosophie und der Wissenschaftstheorie, in der Architektur und der politischen Willensbildung, in der neuen Religiosität und in der gewandelten Einstellung zur Arbeit" (Bernd GUGGENBERGER, FAZ 24/3/1984). Noch ist diese - manchmal etwas forciert wirkende - Wertwandlungsbewegung mit ihrer Tendenz zum "fröhlichen Nihilismus", zur "profanen Erleuchtung" und zur Rehabilitierung des Zufalls konzeptionell nur schwach konturiert; deshalb wahrscheinlich die Zuflucht zu semantisch vagen, versatzstückartigen Vorsilben wie "post" und "nach"; sie besagen, daß man sich in einem "prozessualen Niemandsland" (Peter SLOTERDIJK) befindet, daß man die Gegenwart nicht mehr mit dem Begriffsinstrumentarium der Vergangenheit beschreiben

151 kann oder beschreiben will, aber auch noch kein präzises, zukunftsorientiertes Begriffsinstrumentarium gefunden hat, weil die Gefahr besteht, daß sich "(das) Ganze der Geschichte ... in ein Inventar alternativer Lebensformen aufzulösen (droht)" (SEIBT 1987, 903). Noch ist längst nicht sicher, ob die Postmoderne tatsächlich eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte ist; vielleicht stellt sie nur eine Pause dar, einen anekdotischen Übergangszustand bis zur nächsten Verständigung der Menschheit über sich selbst. Auf jeden Fall ist die Menschheit der Gegenwart gegenüber mißtrauisch geworden. Es gibt ein Gespür für die Ambivalenz des wissenschaftlich-technischen Fortschritts; dieses Gespür schlägt sich in Bemühungen nieder, "das postmoderne Wissen" (LYOTARD 1986) dingfest zu machen und einen "Affekt gegen das Allgemeine" zu erzeugen. Letzterer soll zur Restabilisierung der Welt beitragen und den Wunsch nach differenzierteren Lebensformen, nach einer neuen Deutung von Ursache und Wirkung, außerhalb "kreiskausal geschlossener und rückgekoppelter Mechanismen" (VON FOERSTER 1985, 6), berücksichtigen. 2. Systemtheorie und Systemanalyse Der zweite Faktor ist das Aufkommen der aus der Biologie stammenden Systemtheorie und der Systemanalyse mit ihren interaktiven Ordnungsstrukturen. Nun hat es natürlich so etwas wie Systemtheorie und Systemanalyse, gerade auch in der Sprachwissenschaft, schon immer gegeben, weil das Denken in Systemkategorien einen Wesenszug menschlichen Verhaltens sichtbar macht. Die Systemtheorie hat zweifellos ihren verführerischen Reiz, weil sie sich bei der Lösung der verschiedenartigsten Probleme bewährt hat. Was liegt also näher, als sie auch in der Sozialwissenschaft, der Ökonomie, der Ökologie und der Zukunftsforschung um präziser Resultate und genauer Erkenntnisfortschritte willen zu einer Standardkonzeption zu machen. Unsere Umwelt ist kompliziert; alles ist mit allem in funktionalen Einheiten vernetzt; wir verkraften aber nur ein begrenztes Maß an Komplexität. Trotzdem überrascht, in welchem Ausmaß heute immer mehr Wissenschaftler immer mehr Forschungsdisziplinen mit systemtheoretischen Kategorien und Prozeduren durchleuchten, weil heute die grundlegende Form wissenschaftlicher Erkenntnis das System ist. Offenbar geben alle wissenschaftlich relevanten Fragen keine Ruhe, bis alles wissenschaftlich Erkennbare sich zu einem Gesamtsystem mit einer sachverhaltsspezifischen Anzahl von Teilsystemen zusammenschließt, die nur an bestimmten Kreuzungspunkten (Schnittstellen) kontrolliert miteinander in Verbindung treten (dürfen). "Es gehört zu den faszinierenden Aspekten der neuen Systemtheorie, daß man in ganz verschiedenen Bereichen

152 der belebten und unbelebten Natur, ja sogar in sozialen Beziehungen trotz verschiedener Mechanismen doch ähnliche formale Prinzipien der Strukturbildungen auffindet" (GIERER 1985, 169). Einprägsame Beispiele für die wissenschaftliche Durchschlagskraft der Systemtheorie sind die Untersuchungen von HAKEN (1978), der die "Synergetik", die Lehre von der spontanen Selbstorganisation geordneter Strukturen in offenen Systemen, begründet hat, oder von PARSONS (1971), der in seinem Systemverständnis den Schlüssel für jede Art von funktionierender, weil anpassungsfähiger Gesellschaftsordnung gesehen hat. Das Forschungsinteresse der Systemtheorie richtet sich nicht auf das Einzelphänomen an sich, sondern auf seinen Stellenwert in einem spezifischen StrukturZusammenhang, den sie als eine Menge von Elementen und als eine Menge von Relationen zwischen diesen Elementen definiert, wobei das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Es ist kein Zufall, daß in der systemtheoretischen Argumentation der Begriff der "Verfahrensstrukturierung" eine zentrale Rolle spielt. Verfahrensstrukturierung, und hier werden die Querverbindungen von der Systemtheorie zur MU handgreiflich, läuft auf eine Selbststeuerung von Lebensweltbereichen mit dem Ziel optimaler Norm- und Regelwirksamkeit hinaus. Deshalb kann man auch nur da, wo so etwas wie ein System waltet, Abweichungen verstehen. Abweichungen setzen immer einen "Eukosmos", eine wohlgeordnete Welt mit ihren ineinandergreifenden Harmonien, voraus. Wie die Erfindung des Rads, die Einführung des Ackerbaus, die Gründung von Städten in früheren Zeiten, so ist die Systemtheorie mit ihrer holistischen Denkweise und die darauf aufbauende Planmäßigkeit und Rationalität des Handelns ein Teil des Selbstverständnisses der modernen Menschheit. Dem Zufall soll möglichst wenig überlassen bleiben. Die Systemtheorie, von Max WEBERs Hypothese des "okzidentalen Rationalismus" vorweggenommen, repräsentiert dominant die ahistorische Bewußtseinslage der "scienza nuova" (MORIN 1982, 119), die durch umfassende Rationalisierung aller Funktionszusammenhänge charakterisiert ist. Wir alle stehen unter dem Diktat des "funktionalen Imperativs"; dieser umschreibt Leitvorstellungen, die in unserer lebensweltlichen Praxis und damit auch in der Praxis der Sprachverwendung und des Nachdenkens über Sprache, sei es im theoretischen Kontext oder beispielsweise im Kontext der MO, eine wichtige Rolle spielen. Im Extremfall führt die Systemtheorie etwa bei LUHMANN (1984) - zu einem "methodischen Antihumanismus", in dem das selbstbezügliche Subjekt durch das selbstbezügliche, eigendynamische System ersetzt wird, dem ein eigentliches Selbst nicht mehr gegeben ist (Kap.XII). Im Vorübergehen sei angemerkt, daß das mechanistische Paradigma der Systemtheorie einen erheblichen Terrainverlust

153 der bisher lebensordnenden Hochreligionen zur Folge gehabt hat. Diese müssen sich gegen den Totalanspruch der Kybernetik wehren, man könne alles als Gegenständlichkeit verstehen und damit unter der Perspektive der Verfügbarkeit betrachten. Am offensivsten bei der Abwehr solcher Ansprüche, die auf eine totale Vermessung und Katalogisierung unserer Lebenswelt hinauslaufen, ist der Islam. Er will dem Menschen im Rahmen einer großangelegten Re-Islamisierungsaktion ins Bewußtsein zurückrufen, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht. Ihre eindrucksvollste und gleichzeitig zukunftsträchtigste Ausprägung hat die Systemtheorie in den Computerwissenschaften gefunden. Sie erklären den Ablauf von organischen und nichtorganischen Vorgängen als das Ergebnis des Zusammenwirkens von linear oder hierarchisch geordneten Regeln, die untereinander rückgekoppelt oder rückkoppelbar sind. Maßgebend beteiligt an diesem kybernetischen Zugriff auf unsere Sprach- und Lebenswelt ist die Entwicklung von programmgesteuerten Datenverarbeitungsanlagen, mit denen die Sprachwissenschaft das objektiv Mögliche erkunden kann; aber vor dem Nichtobjektivierbaren, dem nicht in Regeln Faßbaren, muß sie die Waffen strecken. Dies hat, bezogen auf die Mü-Forschung, nichts mit wissenschaftlichem Defätismus zu tun, sondern ist die logische Folge des Umstands, daß ein Rechnerprogramm "kein psychologisches Modell für sprachliche Prozesse ist" (WETTLER 1980, 5). Man kann dem Rechner mit Hilfe von mehr oder minder umständlichen algorithmischen Prozeduren so etwas wie eine künstliche Operativität vermitteln; aber diese reicht nach dem heutigen Erkenntnisstand nur bis zu einer vorerst nicht überschreitbaren Komplexitätsschwelle, obwohl inzwischen aus den kausalen, ontologischen Mechanismen GALILEIS und NEWTONS dynamische Wirkungsgefüge geworden sind, die zu immer größeren Verbundsystemen vernetzt werden. Die Komplexitätsproblematik ist offenbar nicht nur für die Mü-Forschung virulent, sondern auch und gerade für alle Einzelwissenschaften mit einem wesensgemäß mechanistisch geprägten Wirklichkeitshorizont. Als grundlegendes Prinzip naturwissenschaftlicher Methoden galt bisher, komplexe Erscheinungen durch Vereinfachungen mathematisch beschreibbar zu machen. Dies führte z.B. in der Geometrie zu Gebilden wie KEPLERS Ellipsenbahnen oder, in der Festkörperphysik, zu regelmäßigen Körpern. Der Zwang zur Vereinfachung war durch den Umstand bestimmt, daß komplizierte Systeme nicht berechenbar sind. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß auch in der Natur nicht alles glatt oder regelmäßig ist. Diese Entwicklung hängt mit neuen Erkenntnissen der Quantenphysik und der Relativitätstheorie zusammen, die unser Bild von der Wirklichkeit entscheidend verändert haben. Hier sind u.a. Albert EINSTEIN und Max PLANCK zu nennen. EINSTEIN war es, der im Rahmen seiner Relativitätstheorie zu neuen Erkenntnissen über die Transformierbarkeit von Masse in Energie kam. Und PLANCKS Theorie des Wirkungs-

154 quantums zerstörte den Glauben an streng deterministische und kontinuierlich aufgebaute Welten und setzte Wahrscheinlichkeitsmodelle und statistische Vorstellungen an dessen Stelle. Bisher galt, daß man bei ungenauer Kenntnis eines Zustands und seiner Randbedingungen auf präzise Aussagen und exakte Voraussagen verzichten muß und sich mit Wahrscheinlichkeitsaussagen zu begnügen hat. Jetzt hat sich herausgestellt, daß der Wahrheitscharakter von physikalischen Aussagen nicht allein von subjektiven Erkenntnisgrenzen abhängt, sondern auch durch das Naturgeschehen und die dort vorwaltenden Unschärferelationen vorgegeben ist. So können heute in Mikrosystemen, z.B. in der Ziehungsmaschine für die Lottozahlen, kleine Abweichungen unter den Anfangsbedingungen große Abweichungen im Ziehungsablauf bewirken. Ausgerechnet die Physik, von der die Wissenschaftstheorie einen erheblichen Teil ihrer Beispiele bezogen hat, hat die Grenzen zwischen erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt verwischt. Immer häufiger sieht sie sich mit jener Aporie konfrontiert, die schon COMTE zu schaffen gemacht hat, der zwischen kontrollierender Beobachtung und kontrollbedürftiger Theorie unterschieden hat. Diese erkenntnistheoretische Wendung läuft auf eine Verabschiedung der bisherigen naturwissenschaftlichen Absolutheitsansprüche hinaus. Es hat sich herausgestellt, daß die Vorstellung universell gültiger mathematischer Prinzipien der Wirklichkeit nicht standhält. Auch die Mathematik kann offenbar, so sonderbar dies klingen mag, keine letzten Gewißheiten vermitteln, sondern erweist sich als ein - allerdings ständig verbesserungsfähiges - Instrument zum Erkennen der Welt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die sog. Fraktalforschung, in der "die Irregularität quasi zum Grundprinzip der Naturbeschreibung" erhoben wird (Pierre FRANKHAUSER, FAZ 22/4/1987). D.h. daß die Philosophie ihren Vernunftbegriff von einem Begründungspostulat abgelöst verstehen muß, das auf mathematische Evidenz und Rigorosität festgelegt ist. Eine auch noch so genaue und vollständige Beobachtung aller Faktoren reicht offenbar nicht aus, um zukünftiges Geschehen sicher und vollumfänglich vorherzusagen, sondern eröffnet immer nur ein bestimmtes Feld von Möglichkeiten, für deren Verwirklichung sich bestimmte Wahrscheinlichkeiten und Prioritäten angeben lassen. Das zukünftige Geschehen im allgemeinen und das zukünftige Sprachgeschehen im besonderen ist also nicht voll determiniert und auch nicht voll determinierbar, sondern bleibt sachverhaltsspezifisch in bestimmter Weise offen. Sprache ist kein mechanistisches Uhrwerk, sondern befindet sich in einer fortwährenden Entfaltung mit sich immer wieder verändernden und damit nur ex post programmierbaren Konfigurationen. M.a.W.: Sprache ist ihrem Wesen nach "schmuddelig"; Homogenitätspostulate sind - jedenfalls in der Sprachverwendung - nicht einlösbar.

155 3. Finalisierung der Wissenschaft Der dritte Faktor in der wissenschaftstheoretischen Fundierung der Mü-Forschung ist die Finalisierung der Wissenschaft, d.h. der Versuch, die Erkenntnisse der Wissenschaft praxisorientiert zu verwerten. Das Interesse an der Naturbeherrschung konzentriert sich auf utilitätsbestimmte Eingriff smöglichkeiten. Deshalb hat Georg GADAMER zu Recht festgestellt, daß heute nicht der Fortschritt der Wissenschaft an sich, sondern die Anwendbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zählt. Dahinter steht ein instrumentelles Rationalitätsdenken, das nicht transzendental verankert ist und transzendental auch gar nicht verankert werden will. Der ihm verhaftete Mensch versteht sich als "Homo instrumentalis", der sich vornehmlich für die objektiv gegebene und mit den Mitteln der instrumenteilen Vernunft beherrschbare Welt interessiert. Da wo es nur noch um Verwertungszusammenhänge geht, haben theozentrische oder anthropologische Mythen und ihre Unendlichkeitsperspektiven keinen Platz; was zählt, ist die Sammlung, Verwaltung und Nutzbarmachung möglichst umfänglicher Datenmengen. Den Unterschied zwischen theoretischer und finalistischer Wissenschaft hat Arthur KOESTLER in die Begriffe der vom Wahrheitsprinzip geprägten "Yogi"-Wissenschaft und der nützlichkeitsgeprägten n Kommissar"-Wissenschaft gekleidet. Am augenfälligsten ist das Vordringen quantitativer Denkweisen in der Informations- und Kommunikationstheorie. Für die Informationstheorie und ihre Informationssuchprofile gilt nur das als informativ, was an einer Nachricht meßbar oder abzählbar ist. Dabei hat sich der Universalrechner als die Basis der modernen Informationstechniken erwiesen. Prinzipiell kann man an den Begriff der Information auf zweierlei Weise herangehen, entweder hermeneutisch, d.h. auslegend, oder semiotisch, d.h. die erkennbaren Zeichen ordnend, ohne Berücksichtigung ihrer historischen Bedeutungsdimension (Kap.I). Die extremste Form der semiotischen, systemimmanenten Betrachtungsweise ist das numerische Verfahren der teilweise nach statistischen Gesichtspunkten vorgehenden Informationswissenschaft, die nicht nur Auskunft, sondern auch und vor allem Auskunft über Auskunft erteilt. Sie sieht in der Speicherung, Kodierung, dem Wiederauffinden und der Weitergabe von Information ihre zentrale Aufgabe. So sind ganz neue Medien entstanden, die zu neuen, räum- und zeitsparenden Vermittlungs- und Ubermittlungstechniken geführt haben. Folgerichtig ist neben den Informationsvermittler der "Informationsberater" getreten. Er gibt dem potentiellen Benutzer Auskunft über die Handhabung der modernen Informationsmedien und zeigt, daß die Erkenntnisse der Informationswissenschaft eine Errungenschaft darstellen, die die Erfindung des Buchdrucks an gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Bedeutung womöglich noch übertreffen wird.

156 Diese Entwicklung hat natürlich - wie jeder verabsolutierte Standpunkt mit seinen inhärenten Kquivokationen - ihren Preis: Ist der kritische Punkt eines jeden wertenden Informationsverständnisses seine wissenschaftliche Nichtkontrollierbarkeit, so ist es im abstrakt-zeichenhaften Phänomenverständnis die Ungegenständlichkeit des Denkens. Es kommt nicht von ungefähr, daß die Kunst ein beliebtes Untersuchungsfeld der Informationstheorie (Informationsästhetik) ist (FUCKS 1968). Dort wird seit längerer Zeit in einer "kartesianisehen" Reaktion auf den irrationalen, intuitiven Ansatz der lebensphilosophisch-hermeneutischen Kunsttheorie die informationstheoretisch fundierte Zerlegung künstlerischer Gegenstände in formale, zeichenhafte Einzelelemente in großem Umfang betrieben. Hier läßt sich Information nicht mehr auf ein Subjekt beziehen, das durch die Verarbeitung von Informationen neue Erkenntnisse gewinnt und damit seine Handlungsdynamik erweitern kann. Für die Informationswissenschaft ist Information eine verdinglichte Leistung der instrumentellen Vernunft, ein Etwas ohne persönliche Erfahrung, Erlebnisse, Empfindungen, Erinnerungen, Gedanken und Vorstellungen. M.a.W.: Information ist ein reiner Strukturbegriff, am ehesten verständlich im Kontext der GALILEIschen Physik und Mathematik und der damit zumindest in indirektem Zusammenhang stehenden Phänomenologie Edmund HUSSERLs mit ihrem Versuch, die Welt zu entpsychologisieren und intersubjektive Beziehungen logisch zu fundieren. In einer informationstheoretisch überformten Welt affirmiert sich der Mensch selbst. " ... er setzt sich nur noch mit Dingen auseinander, die er selbst gemacht hat" (GUGGENBERGER 1987, 150). Das Ergebnis: Wir sind in eine ökologische Krise hineingeraten, die uns den Zusammenhang zwischen der Fragilität des menschlichen Lebens und der moralischen Pflicht zu seiner Bewahrung - jedenfalls spätestens seit Tschernobyl - unübersehbar vor Augen geführt hat und uns zu Risikoverminderungsstrategien zwingt. Nun mag sich mancher Leser fragen: Was hat der Verweis auf die ökologischen Folgen der Katastrophe von Tschernobyl, die den Mythos der totalen Machbarkeit zertrümmert hat, mit der Mü zu tun? M.E. sehr viel, jedenfalls indirekt. Erstens ist die Mü wie die gesamte Sprachdatenverarbeitung ein fester Bestandteil der modernen Informationsindustrie, die unsere informationssüchtige moderne Produktions- und Konsumgesellschaft aufgebaut und institutionalisiert hat; zweitens läßt sich an der Mü das Vordringen quantitativer Denkweisen, die für eine verwertungsorientierte Gesellschaft typisch sind, besonders deutlich beobachten. Mü gibt es ja nicht um ihrer selbst willen, sondern man sieht in ihr eine, wenn nicht die Möglichkeit, in Zukunft den internationalen Informationsaustausch schneller, billiger und umfassender zu machen, auch wenn im Rahmen dieser "Hyperkommunikation" qualitative Abstriche in Kauf genommen werden müssen. Daß man dabei eine Zeitlang - und manchmal auch heute noch (LAWSON 1985) - menschliche Übersetzungstätigkeit mit manueller Tätigkeit gleichgesetzt hat, ist konzep-

157 tionell gesehen aufschlußreich; gemeint war nämlich damit, daß man übersetzerische Standardsituationen automatisch verarbeiten kann und daß Sonderfälle zur manuellen (= kognitiven) Behandlung aus einem Programm gleichsam herausgeworfen werden. In einem solchen Klima gedeihen dann auch Witze wie der folgende: "Er kratzt sich am Hinterkopf. Er denkt noch von Hand." Systemtheorie und maschinelle Ubersetzung Die Bedeutung der modernen wissenschaftstheoretischen Entwicklungen für die Mü-Forschung ist daraus ersichtlich, daß letztere versucht hat und noch immer versucht, alles was regelhaft ist, in Regeln zu fassen und für das auf den ersten Blick nicht Regelhafte gleichfalls Regeln zu formulieren. Angefangen hat dies alles mit dem berühmten Memorandum von Warren WEAVER an Norbert WIENER; letzterer vertrat die absurde Auffassung, daß das menschliche Gehirn dem binären System des Rechners nachgebildet ist. Richtiger ist wohl, daß der Rechner ein Ergebnis der Evolution menschlichen Denkens ist. In diesem Memorandum heißt es u.a. in einer die kognitive Dimension des Ubersetzens geradezu grotesk verkennenden Weise: "... one naturally wonders if the problem of translation could conceivably be treated as a problem in cryptography. When I look at an article in Russian, I say: "This is really written in English, but it has been coded in some strange symbols. I will now proceed to decode"" (WEAVER 1955, 18; vgl. auch HOFSTADTER 1979, 380 und HUTCHINS 1986, 25). Dieser Definition des Übersetzungsprozesses liegt die Hypothese zugrunde, daß man natürliche Sprache als einen voll inventarisierbaren, reglementierbaren, binär organisierten, quasi-mathematischen Code begreifen kann, der maschinell manipulierbar und operationalisierbar ist. Mit dieser Hypothese hat WEAVER an der Schaffung der theoretischer Grundlagen für die Mü entscheidend mitgewirkt. Diese Hypothese kompensiert den Verzicht auf den Menschen als Maßstab aller Dinge mit der systematischen Suche nach Maßstäben, die jenseits der subjektiven Einflußnahme auf den Ubersetzungsprozeß liegen und auf personunabhängige, objektive Invarianzgegebenheiten fixiert sind. Menschliche Intelligenz und "Intelligenz" des Rechners Neurophysiologische Untersuchungen haben gezeigt, daß man den Menschen als informationsverarbeitendes System auffassen kann, aber es ist unwahrscheinlich, daß der Mensch dabei nach denselben Prinzipien verfährt wie ein Rechner. Der

158 Rechner ist kein Problemloser; für Problemstellungen gleich welcher Art hat er kein Gespür. Er ist, wie erwähnt, ein Werkzeug, das, wie jedes Werkzeug, dazu da ist, dem Menschen, der dieses Werkzeug konzipiert und entwickelt hat, bei der Lösung seiner Probleme zu helfen. Der Rechner hat zu dem, was er leistet, weder einen diagnostischen noch einen therapeutischen noch einen "selbstreferentiellen" Zugriff (Kap.XII). Im Gegensatz zum Rechner unterliegt der Mensch "Motivationsimpulsen", die seinen Bedürfnissen angepaßt sind. Als Handelnder ist sich der Mensch seines Handelns (allerdings nicht immer der Handlungsfolgen) bewußt. Er hat, wenn er handelt, ein Handlungsziel; er kann in einer Handlungssituation abwägen, bewerten und korrigierend eingreifen. Er ist als Urheber einer Handlung für diese verantwortlich und kann über sein Handeln, wenn nicht bestimmte Umstände (z.B. Trunkenheit oder Bewußtseinsstörungen oder gar "Blackouts") vorliegen, Auskunft geben (vgl. HECKHAUSEN 1980, 3). Sein Handeln beruht nicht nur auf binaristischen, sondern komplementär dazu auch auf nichtbinaristischen Informationsverarbeitungsstrategien, die er im Laufe des Evolutionsprozesses erworben hat. Die korrelativen Aktivitäten der beiden Gehirnhälften sind nicht in Programmform darstellbar. Der Rechner kann offenbar nur die linearen Verarbeitungsstrategien der linken Gehirnhälfte, nicht aber die ganzheitlichen, gestalthaften Verarbeitungsstrategien der rechten Gehirnhälfte nachahmen. Dabei heißt Nachahmung formale Simulation und nicht mentaler Nachvollzug. Vereinfacht formuliert, könnte man sagen, daß für den Menschen sowohl Gestaltwahrnehmung als auch Elementwahrnehmung, für den Rechner dagegen nur Elementwahrnehmung mit einer syntaktischen Element/Gestalt-Relation möglich ist. Den Unterschied zwischen Gestaltwahrnehmung und Elementwahrnehmung machen die folgenden, von der "Hörzu" gesammelten Beispiele klar: (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)

Hochträchtige Bullen zu verkaufen 9jähr. Wallach ganztägig per sofort gesucht; Schreibmaschinen- und Stenokenntnisse erforderlich; Englischkenntnisse erwünscht Weitere Aussichten: Anfangs noch freundlich, dann zunehmend unanständig, nachts nicht mehr so kalt "Der große Preis". Ein heiteres Spiel für gescheiterte Leute Videokamerad gestohlen Unser Penner: "Die Schlacht". Das Riesen-Filmspektakel in 5 Std. Lachfleisch extra mager Jan Harlow Modemarkt. Karohasen ab DM 69.90 Freund und Leid geteilt Noch wichtiger aber: Mikroprofessoren haben ein gutes Gedächtnis ... Nescaf(§ Golf, 100-g-Glas DM 5.99

159 Alle diese Beispiele sind druckfehlerbedingt semantisch abweichend. Das Erkennen der semantisch-erfahrungslogischen Nichtakzeptabilität dieser Sätze ist nur dem Menschen möglich, weil der Maschine die den Menschen auszeichnende Kraft des semantischen Denkens fehlt und sie deshalb keine intuitions- oder erfahrungsgestützten "Eigeneinstellungen" praktizieren kann. Solche Eigeneinstellungen sind genetisch bedingt; sie verweisen auf den Personcharakter des Menschen. Es gibt, anthropologisch gesehen, keine Serienfertigung von Menschen. Deswegen ist der Geltungsanspruch von KANTs kategorischem Imperativ fragwürdig; er suggeriert die Vorstellung von einem idealtypischen Einheitsmenschen, der die gleichen Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Wissenspotentiale, Fähigkeiten und moralischen Vorstellungen hat wie alle anderen Einheitsmenschen auch. Aber dieses Menschheitsbild ist falsch. Es ignoriert die Tatsache, daß unser Bewußtsein nur einen allgemeinen zerebralen Rahmen, eine allgemeine Form der zerebralen "Karosserie" (Jean-Pierre CHANGEUX) festlegt, in dem sich individuelle Verhaltensmerkmale und Verhaltensneigungen entwickeln. Diese individuelle seelisch-geistige Gesamtverfassung macht sich auch im Ubersetzen bemerkbar. Dafür ein Beispiel (Anfang eines Textes mit der Überschrift "Reagan aids are confident of foreign policy in campaign" aus "International Herald Tribüne", 4-5/2/84): (14) Faced by growing Democratic attacks on the Reagan administration's foreign policy record, administration officials say they are in a good position to face an election-year onslaught Short of catastrophes and surprises. Hier ist syntaktisch und lexikalisch eine ganze Reihe von Ubersetzungslösungen denkbar; zwei in einer Ubersetzungsübung erarbeitete Varianten sollen im folgenden kurz diskutiert werden: (15a) Angesichts der wachsenden Kritik der demokratischen Partei an Reagans außenpolitischer Bilanz haben Regierungskreise geäußert, daß sie für den Wahlkampf eine gute Ausgangsposition haben, vorausgesetzt, es kommt zu keinen Katastrophen oder unvorhergesehenen (unvorhersehbaren) Ereignissen. (15b) Die Demokraten üben an der außenpolitischen Bilanz der Reagan-Regierung wachsende Kritik. Trotzdem sind Vertreter der Regierung der Ansicht, daß Reagan gelassen in den Wahlkampf gehen kann, es sei denn, es käme zu irgendwelchen Katastrophen oder zu sonstwie unvorhersehbaren Ereignissen.

160 Die beiden Ubersetzungen weisen in syntaktischer Hinsicht unterschiedliche Profile auf, sind aber, von unterschiedlichen Fokussierungen abgesehen, semantisch grosso modo gleichbedeutend. Aus der Bedeutungsgleichheit der beiden Ubersetzungen folgt, daS die beiden Obersetzer den englischen Satz ungefähr in gleicher Weise verstanden, bei der Herstellung des Zieltextes aber unterschiedliche Wege der Oberflächenrekonstruktion eingeschlagen haben. Trotzdem sind beide Übersetzungen gleichermaßen akzeptabel. Das entscheidende Akzeptabilitätskriterium ist die beide Male geglückte Integration der syntaktischen und der semantischen Satzperspektive. Künstliche Intelligenz und maschinelle Übersetzung Die Interdependenz der semantischen und der syntaktischen Kußerungsdimension zeigt, daß ein effizientes Mü-System nicht nur syntaktische, sondern auch semantische Beziehungen in einem Analyseprogramm identifizieren und die identifizierten Beziehungen in einem Syntheseprogramm operationalisieren muß. Diese Forderung läuft darauf hinaus, daß das bisher von der Mü-Forschung praktizierte Verfahren der Sinnwiedergabe ohne Sinnverständnis und der Nutzbarmachung sprachlicher Form als Sinnträger durch ein Verfahren ersetzt werden müßte, das dem Rechner erlaubt, analog zum menschlichen Ubersetzer vorzugehen und auf der Basis einer umfänglichen Wissensrepräsentation den Sinn sprachlicher Zusammenhänge als semantische Funktion sprachlicher Zeichentexturen zu erfassen (SELESKOVITCH 1985; NIDA 1985). Gemeinhin gelten Fragen der Wissensrepräsentation als eine Domäne der Forschung auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI). Aber auch die Mü-Forschung weiß inzwischen natürlich, daß ein Rechner ohne programmiertes syntaktischsemantisches und außersprachliches Wissen keine noch so trivialen Mü-Operationen ausführen kann. Deshalb ist in der neueren Mü-Forschung immer häufiger von "knowledge-based machine translation" (KBMT) die Rede (NIRENBURG/CARBONELL 1986; CARBONELL 1987, 32). Ein Rechner kann, wenn überhaupt, eine intelligente Ubersetzung nur liefern, wenn "man ihm Wissen attribuiert" (TROST 1984, 48). Dieses Wissen muß im Rechner repräsentiert sein, damit es maschinell abrufbar wird. "Wir assoziieren also die Fähigkeit zur Vollbringung intelligenter Leistungen mit dem Vorhandensein entsprechenden Wissens. Von Repräsentation von Wissen kann man sprechen, wenn bestimmtes Wissen Subeinheiten des Systems assoziiert ist (wenn das Wissen sozusagen lokalisierbar wird)" (TROST 1984, 48f.). Hier werden Perspektiven sichtbar, die Mü-Forschung und KIForschung gleichermaßen interessieren müßten. Aber die Kooperation zwischen den beiden Disziplinen stagniert

161 (Kap.IX). Der Unterschied zwischen Mü-Forschung und KI-Forschung scheint mir derzeit darin zu liegen, daß erstere geglaubt hat, man könne Wissen als Datenstruktur repräsentieren, auf der ein quasiprozeduraler, algorithmisch organisierter Verarbeitungsmechanismus operiert, der unabhängig vom jeweiligen Inhalt der einzelnen Wissensmoduln ist. Die KI-Forschung hingegen setzt auf die integrierte Verbindung von deklarativer und prozeduraler Wissensrepräsentation. Sie verfährt dabei nach einem Prinzip, das ENKVIST folgendermaßen formuliert hat: "A structuralist makes use of processes to explicate structures, whereas a processualist makes use of structures to explicate processes" (1985, 31). Die KI-Forschung hat eine Art "inference engine" (Schlußfolgerungsmechanismus) entwickelt, die kognitive Leistungen des Menschen durch Computersimulation rekonstruieren soll. Diese "inference engine" beruht auf der Annahme, daß man mit Hilfe möglichst abstrakter Begriffe in Paketen organisiertes deklaratives Wissen dynamisieren kann. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind wohl das Restaurantscript (SCHANK/ABELSON 1977) und das EinkaufScript (FINDLER 1979). Sie sind Hinweise darauf, daß es der KI-Forschung darum geht, eine ganz unmythische Wahrheit zu ergründen: Sie will herausfinden, wie es mit dem menschlichen Denken bestellt ist, m.a.W., wie wir denken sollen und wie wir denken können . Wie weit der KI-Forschung mit ihrem binaristisch verengten Computerintelligenzbegriff Erfolg beschieden sein wird, steht dahin. Es gibt, wie in allen Wissenschaftsdisziplinen, in denen innovativ gearbeitet wird, skeptische Stimmen, wie die von DREYFUS (1985), der nicht daran glaubt, daß die KI-Forschung ihr Arbeitsprogramm metatheoretisch absichern kann, und eher optimistische Stimmen, wie die von STEINBUCH (1968), der behauptet, es gäbe keine erkennbare und definierbare Grenze für das, was die Computerwissenschaften einmal werden leisten können, weil das menschliche Gehirn später einmal nicht mehr der begrenzende Faktor wissenschaftlicher Veränderungen sein wird. Dies würde in letzter Konsequenz bedeuten, daß der Rechner sich selbständig macht, daß er produktiv denken kann und damit ein "intelligenter Partner" des Menschen wird. Allerdings ist bis zu diesem Punkt ein sehr weiter Weg. Sicher ist jedenfalls, daß die Computersimulation immer komplizierter und abstrakter wird, je mehr sie sich in Form von prototypischen "frames" der Wirklichkeit zu nähern versucht. Andererseits sind die Ergebnisse der KI-Forschung bescheiden, weil der Rechner nur aus vorgegebenen Regeln neue Regeln ableiten kann, dabei aber auf die vorausplanende Kraft der menschlichen Intelligenz angewiesen bleibt. Nach VON FOERSTER fehlen uns mathematische Modelle, "die unserem erkenntnistheoretischen Verständnis angemessen sind" (1985, 177). Ob es solche Modelle jemals geben wird, hängt davon ab, ob das Bewußtsein als Basis jeder objektiven Erkenntnis voll hinterfragbar ist oder ob es als das

162 (ausschließliche) Produkt neuronaler Prozesse anzusehen ist, die sich auf logisch-mathematischem Weg parametrisieren lassen. D.h., es geht um die Frage, ob es möglich ist, in der scheinbaren Unordnung eines Phänomens dessen zugrundeliegende Ordnung (oder die einander überlagernden Ordnungen) zu erkennen und sie in Modellform faßbar zu machen. Auch die KI-Forschung kann sich über die Tatsache nicht hinwegsetzen, daß es zwei Arten von Handlungen gibt, erstens die aus einem Repertoire erzeugten programmierbaren Handlungen, in denen die Funktion von Teilen und die Funktion von Ganzheiten eindeutig aufeinander bezogen sind, und zweitens die im wissenschaftlichen, soziokulturellen und philosophischen Pluralismus unserer Lebenswelt begründeten, nichtprogrammierbaren Handlungen und Handlungsmaximen. Vorläufig ist anzunehmen, daß im Rahmen der Versuche, menschliches Verhalten sprachlicher und außersprachlicher Art mit den Mitteln elektronischer Impulssteuerung darzustellen, nur einfache Standardverhaltensregeln programmiert werden können (LIPPMANN 1987), und dies auch nur dann, wenn das betreffende Script keine "nonscriptal properties" (VAN DIJK/KINTSCH 1983, 308) aufweist. Die Zeit wird lehren, ob man mit Hilfe von Computerprogrammen tatsächlich intelligente Leistungen auf der Basis von n Wissens-Engineering" (Faktenwissen, Handlungsvorschriften) simulieren kann. BEVER et al. (1984) melden Zweifel an: Ihres Erachtens steht die KI-Forschung vor der Aufgabe, kognitive Prozesse ohne Wissen um die kognitiven Aktivitäten des Menschen zu erforschen. Die von der KI-Forschung verwendeten Modelle sind zwar, wie angedeutet, rechneradäquat, aber als Basis für die Untersuchung menschlicher Intelligenz unzureichend, weil einer kybernetischen Theorie das Bewußtsein fehlt und weil nicht sicher ist, ob Intelligenz vollumfänglich maschinell darstellbar, d.h. auf logisch-mathematische Formeln reduzierbar ist. Mit solchen Überlegungen geraten wir in die Nähe der Spekulation. Auch die KI-Forschung weiß: Nichts ist so unbekannt wie die Zukunft, und das gilt vor allem für das Bewußtsein, "that blackest of black boxes", wie HERMANS (1985, 10) sich ausdrückt. Wir wissen nicht, wie differenzierungsfähig und wie flexibel das theoretische und das methodologische Instrumentarium der KI-Forschung sein wird und ob künstliche Sprachen genauso effektiv sind wie natürliche Sprachen. Vermutlich kann man längst nicht alles, was an Informationen für ein Kl-System notwendig ist, formalisieren, vor allem deshalb nicht, weil man mit "behavioural options" (FAWCETT 1980, 22) rechnen muß. Einstweilen wird die KI-Forschung, die unter großem, z.T. auch selbstverschuldetem, Erwartungsdruck steht, als Geheimwissenschaft einer "geschlossenen Gesellschaft" gehandelt, zu der nur Geister besonderer Art Zutritt haben. Dies liegt sicher nicht zuletzt an dem Terminus "Künstliche Intelligenz", der nichts anderes bedeutet als formal repräsentierte menschliche Intelli-

163 genz. Vielleicht ist Unzugänglichkeit eine unvermeidliche Folge einer Wissenschaft, deren Ziel es ist, den "Computer Aufgaben vollbringen zu lassen, die, wenn sie der Mensch vollführte, Intelligenz verlangen würden" (MINSKY 1968, zit. nach KOBSA 1984, 103). Solche Ziele erwecken leicht Mißverständnisse und Unbehagen. So hat Hartmut VON HENTIG 1986 bei der Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in München darauf hingewiesen, daß die Maschine die Komplexität des Fragens verbietet. Nun ist es zwar richtig, daß im KI-Bereich Fragen so gestellt werden müssen, daß der Rechner in seiner "teilnahmslosen Unerbittlichkeit" damit etwas anfangen kann. Aber daraus zu schließen, daß der Rechner die Menschheit entmündigt, daß es so etwas wie einen "digitalen Hirnfraß" gibt oder daß der Rechner sich als "herrschender Universalknecht" etabliert hat, ist m.E. eher ideologieverdächtig und kulturpessimistisch als sachzwangbegründet. Wir brauchen Aufklärung und einen kritischen Rationalismus und nicht neue Ideologien, die neue Abhängigkeiten schaffen. Wenn VON HENTIG sagt, "... wir werden nicht sprechen wie ein Computer, aber wir werden denken wie sie", läuft dies auf eine Mystifizierung des Rechners hinaus, die völlig außer acht läßt, daß, wie Wölfgang MENGEL auf derselben Jahrestagung sagte, natürlichsprachliche KI-Forschung eine zugespitzte Sonderform des Nachdenkens über Sprache ist. Schließlich gibt es ja auch noch den gesunden Menschenverstand. Diesen kann man als Gemeinsamkeit sozialer Erfahrungen definieren, und diese Erfahrungen sind wesensmäßig mehrdeutig und damit nicht formalisierbar.

Wissensrepräsentation und Wissenskombination Eins scheint allerdings ziemlich klar zu sein: Nach den Bemühungen der Menschheit, physikalisch-technische Abläufe zu begreifen, ist jetzt ein neuer Lernschub notwendig: Wir müssen uns ein Grundverständnis darüber erwerben, was Wissen ist, wie Wissen in unserem Gedächtnis gespeichert (repräsentiert) ist und wie wir wissensbasierte kognitive Prozesse in Gang setzen und zu einem erfolgreichen Abschluß bringen. Wenn wir solche Fragen stellen, werden wir an die schon mehrfach erwähnte Tatsache erinnert, daß der Mensch über mehr und über effizienter organisierte Wissensspeicher verfügt als der Rechner. Den prinzipiellen Unterschied zwischen menschlichen und maschinellen Wissensbasen machen die folgenden Beispiele klar: (16a) In vielen Punkten steht Kant Marx näher als Hegel Dieser Satz läßt zwei syntaktisch-semantische Interpretationen zu: (16b) In vielen Punkten steht (der) Kant (dem) Marx nä-

164 her als (der) Hegel (16c) In vielen Punkten steht (der) Kant (dem) Marx näher als (dem) Hegel (17) (Man) muß ... anerkennen, daß seit etlichen Jahren in der Bundesrepublik ... besserer Whiskey angeboten wird und nicht nur der ewige Black & Decker In (16a) ist ohne enzyklopädisches Wissen die Zuordnung von "Kant", "Marx" und "Hegel" nicht identifizierbar. In (17) weiß nur der Sachkenner, daß die Werkzeugfirma "Black & Decker" für eine Anspielung auf die bekannte WhiskeyMarke "Black and White" herhalten muß. Die beiden letzten Beispiele zeigen, daß menschliches Wissen zumindest in Teilbereichen in einen offenen Handlungshorizont eingebettet ist. Je offener dieser Handlungshorizont ist, desto individueller sind die menschlichen Wissenskombinationsmöglichkeiten. John VON NEUMANN hat in der Diskussion seiner Spieltheorie zu Recht darauf hingewiesen, daß jeder Spieler nach einem anderen Prinzip arbeitet und keiner alle Variablen bestimmen kann, von denen sein Vorgehen abhängt. Analoges gilt für die Sprachverwendung. Der Sprachbenutzer kann aus dem Schema festgefügter sprachlicher Verhaltensweisen ausbrechen und sein idiosynkratisches Sprachpotential aktivieren, Sprache einsetzen als Instrument, mit dessen Hilfe sich Altgewohntes umwerfen läßt und Distanz oder Nähe zum Empfänger hergestellt werden kann. Solches Verhalten läßt dem Sprachbenutzer einen kombinatorischen Unbestimmtheitsraum, den MARQUARD, auf allgemeine lebensweltliche Verhältnisse übertragen, als "Abschied vom Prinzipiellen" (1981b) und HABERMAS mit "neuer Unübersichtlichkeit" (1985) bezeichnet haben. Im Vergleich zur menschlichen Kombinationsfähigkeit sind die kombinatorischen Möglichkeiten des Rechners bescheiden; sie beschränken sich notwendigerweise auf eine Art ""Wandern" im System" (AEBLI 1981, 222). Diese Restriktivität hängt mit dem Wesen der Maschine zusammen; letztere ist der Inbegriff des Definierten. Deshalb kann die Maschine auch nicht unterscheiden zwischen Ernst und Spiel oder zwischen wahr und nicht wahr. Der Rechner besitzt auch keine selbstkritischen Qualitäten. Er ist gemäß seinem identitätslogischen Punktionsprinzip völlig dem ihn steuernden Programm und den darin verankerten Kombinationsmöglichkeiten ausgeliefert. Selbst die Fehler, die er macht, sind nicht seine eigenen, sondern die des Programmierers. Von dessen kognitiv-heuristischen Fähigkeiten hängt ab, welche Fehlersuchstrategien notwendig sind, um Fehler zu lokalisieren und sie durch möglichst programmunschädliche Prograirenänderungen zu beheben. Rechner haben keine Vorstellungskraft; was sie können, ist die blitzschnelle Verarbeitung von Daten. Aber diese Schnelligkeit ist relativ. Sie ist dort besonders effizi-

165 ent, wo komplizierte Rechenoperationen zu erledigen sind. Der Mensch ist zwar, von einfachen Rechenoperationen abgesehen, kein phantastisch schneller, aber ein phantasievoller Rechner: "... the brain achieves its speed largely through massive amounts of interactive parallel processing, a kind of computation difficult (if not impossible) to simulate in real time with contemporary hardware" (JACKENDOFF 1983, 12) . Der Grund für den qualitativen Abstand zwischen menschlichen Denkleistungen und maschinellen "Denkleistungen" ist, daß der Rechner zu einer kognitiven Gesamtplanung nicht fähig ist (AEBLI 1981). Er ist kein apperzipierendes System; deshalb kann er auch nur dann komplizierte Operationen ausführen, wenn diese algorithmisierbar sind; ihm fehlt die "emanzipatorische Kraft der Reflexion". Der Rechner weiß nicht, daß er etwas weiß (genausowenig wie die Sprache etwas weiß); er hat kein Organ für geistesgeschichtliche, kulturgeschichtliche und wissenschaftsgeschichtliche Veränderungen . Die so ganz unanthropomorphe Unempfindlichkeit des Rechners hat Dieter HÖSS in einem Gedicht auf den Punkt gebracht: Der Computer kennt nur meine Schuhgröße. Wo mich der Schuh drückt, weiß er nicht. Der Computer kennt meine Hutnunmer. Warum mir der Hut hochgeht, kümnert ihn wenig. Der Computer kennt meine Kragenwei te. Wann mir der Kragen platzt, ist ihm egal. Was HÖSS mit seinem Gedicht sagen wollte, kann man so paraphrasieren: Der Rechner verkündet keine ethischen Prinzipien; er formuliert auch keine metaphysischen Wahrheiten; für ihn gibt es kein Handeln auf Treu und Glauben. Aber das ist auch nicht seine Aufgabe. Der Rechner ist heute das klassische Datenverarbeitungsgerät. Datenverarbeitung basiert auf Software. Als Software gilt nur die in Programmform gespeicherte Information. Was nur im Kopf des Programmierers an deklarativem oder prozeduralem Wissen existiert, ist keine Software, kann aber in die Entwicklung von Software eingehen. Software ist ein Produkt der instrumentalen Intelligenz des Menschen; es ist, strenggenommen, Unsinn,

166 von "intelligenter" Software, von "intelligenten" Maschinen oder von "intelligenten" Editoren zu sprechen (STRUBE 1987). Richtiger wäre der Verweis auf "intelligent gemachte" Software, "intelligent gebaute" Maschinen, "intelligent konzipierte" Editoren. Der Rechner kann, wenn dieser anthropomorphisierende Zungenschlag erlaubt ist, den Plausibilitätsgrad der von ihm ausgeführten Operationen und ihrer Ergebnisse nicht beurteilen. Aber er erteilt, und dies ist im Hinblick auf sein Inferenzpotential wichtig, Lektionen in methodischer Rigorosität, die keine Kompromisse duldet. Er operiert auf der Basis von algorithmisch festgelegten, nicht heuristisch offenen Handlungszielen. Deshalb ist mir unklar, was eigentlich gemeint ist, wenn man von maschinellen Heuristiken spricht. Offenbar muß man zwischen geschlossenen Heuristiken (im Sinne des Inferenzierens) und offenen Heuristiken (im Rahmen von subjektiv gesteuerten Entscheidungsprozessen) unterscheiden. Jeder Algorithmus ist situationskontextuell blind; er ist gleichsam die Verkörperung erfahrungslosen Handelns. Kein Programm ist im Sinne der Kommunikationstheorie von WATZLAWICK et al. (1967) doppeladressiert - mit einer Unterscheidung zwischen Inhalts- und Beziehungsebene, zwischen Proposition und Illokution, zwischen Gesagtem und Gemeintem. Deshalb ist für mich auch die vielstrapazierte Formel von der Mensch/Maschine-Interaktion deplaziert, es sei denn, man versteht unter Interaktion so etwas wie zwei nach einem mechanischen Koordinationsprinzip ineinandergreifende Zahnräder. Im anthropomorphen Wortsinn setzt Interaktion zwei aktive, kooperativ handelnde Partner voraus, deren Verhalten teils determiniert, teils indeterminiert-voluntaristisch ist. "Interaktion heißt Abfolge eines gegenseitigen Handelns, das zwischen den Handlungspartnern hin und her geht" (HECKHAUSEN 1980, 279). Anders ausgedrückt: Der Mensch kann sich zwar wie eine Maschine verhalten - daher die Bezeichnung des Menschen als "homme machine" (Julien OFFROY DE LA METTRIE) -, aber die Maschine kann sich nicht wie ein Mensch verhalten. Der Mensch findet sich auch noch in einem durch Vagheit und Vieldeutigkeit charakterisierten Umfeld zurecht, dessen algorithmische Protokollierung schwierig, wenn nicht unmöglich ist. Die Maschine kann das nicht. Im Umgang mit ihr hat sich der Mensch im Rahmen eines methodisch schwierigen Anpassungs- und Konditionierungsprozesses zu disziplinieren. Viele Fähigkeiten seiner Informationswahrnehmung und seiner Informationsverarbeitung, insbesondere der ganze Bereich des Spontanen, der "fuzzy concepts", liegen im Rahmen der Mensch/Maschine-Arbeitsteilung brach. Wo programmiert wird, kann der Mensch nur ein relativ schmales Spektrum seiner Denkfähigkeiten aktivieren. Diese Denkfähigkeiten konzentrieren sich auf die Zerlegung eines komplexen Problems in eine Vielzahl von winzigen Einzelproblemen. Diese Zerlegungsoperationen zielen auf ein strukturelles, letztlich ontologisch, nicht

167 psychologisch fundiertes Verstehen. Dieses Verstehen kann nur kausal, nicht intentional definiert werden und ermöglicht deswegen auch nur Problemlösungen auf der Basis gespeicherter und im Programm systematisch geordneter, konventionalisierter und standardisierter Informationen. Menschliche und maschinelle "Aktionspläne" Die prinzipielle Unvergleichbarkeit menschlicher und maschineller "Aktionspläne" zeigt sich insbesondere darin, daß auf den Rechner die "innateness hypothesis" nicht übertragen werden kann. "Innateness" besagt, daß der Mensch von Lebensbeginn an über mentale Dispositionen verfügt. Diese ermöglichen es ihm, sich im Rahmen eines umfassenden sprachlichen und außersprachlichen Lernprozesses in seiner Umwelt fragend, verstehend und handelnd zu orientieren, die Bedingungen seines sprachlichen und seines außersprachlichen Handelns selbst festzulegen, seinen Mitteleinsatz beim Handeln zu begründen, im Rahmen eines mehr oder minder differenzierten Wert- und Normensystems Plausibilitätsprüfungen vorzunehmen und, falls erforderlich, getroffene Entscheidungen unter teleologischem Gesichtspunkt zu revidieren . Nun kann man auch dem Rechner eine gewisse Entscheidungsfähigkeit, jedenfalls im Rahmen eines Wenn/Dann-Paradigmas, nicht absprechen, aber diese Entscheidungen sind nicht autonom; sie sind nicht das Ergebnis eines hierarchisch geordneten Handlungswissens, sondern eines programmabhängigen Wissens, das nur mit Hilfe einer eingebauten Datenkontrollstruktur - ohne jede Selbstvergewisserung - maschinelle Operationen kontrollieren und gegebenenfalls quasi-heuristisch korrigieren kann. Dabei geht die Maschine kein Risiko ein, weil sie kein Risikobewußtsein hat. Überraschungen sind ausgeschlossen, weil der Rechner nur programmhaft vorgespurte Arbeiten erledigen kann. Deshalb sind Attribute wie "Kollege Roboter" oder "Kollege Computer" unangemessen. Sie sind das Ergebnis einer oft das Komische streifenden Metaphorik eines materialistischen Denkens, das vor dem System in die Knie geht. Dieses Denken ist sich der Tatsache nicht bewußt, daß man zwischen der Subjektivität des denkenden Menschens und den Strukturen und Prozessen des diese Subjektivität bedingenden Gehirns qualitativ unterscheiden muß. Das Gehirn ist ein System, in dem Milliarden von Zellen funktional so verschaltet sind, daß der Mensch komplexe Datenverarbeitungsprozesse in Gang setzen kann (Kap.XII). Diese Prozesse haben eine andere Qualität als maschinelle Prozeduren, deren Architektur, wie jedes herkömmliche Flußdiagramm zeigt, so einfach ist, daß man damit weder den reflexiven noch den intuitiven Bereich des "normalen" Denkens und Sprechens maschinell nachbilden kann.

168 Der Rechner ist und bleibt deshalb ein "Verhaltenskrüppel", für den Zufall, jedenfalls im MU-Kontext, ein Fremdwort ist. Uberall da, wo Zufälle im Spiel sind, kommt die Systemtheorie mit ihrem monolithischen Charakter ins Schleudern, weil ""Zufall" in der geplanten Welt ... ein eminent aufwendiges und vorbereitungsintensives Ereignis (ist)" (GUGGENBERGER 1987, 92). Wir bezeichnen Ereignisse als zufällig, für die wir keine Ursachen angeben können. Zufällig ist das, was sich aus anderen Sachverhalten im Rahmen von Inferenzprozeduren nicht ableiten läßt. Daß wir von Zufällen sprechen, hängt mit der Natur des menschlichen Erkenntnisprozesses zusammen. Dessen Ziel ist es, aus dem Strom der Ereignisse, Wahrnehmungen und Beobachtungen das Allgemeine, das Typische, das Regelhafte, eben das Nichtzufällige herauszuarbeiten, und zwar dadurch, daß wir vom Besonderen, vom Einmaligen abstrahieren und Einblicke in Naturgesetzlichkeiten oder (sozial)psychische Gesetzmäßigkeiten zu gewinnen versuchen. Dies geschieht dadurch, daß wir Funktionsgleichungen aufstellen: Wenn die und die Umstände eintreten, wird das und das die Folge sein. Uber das Besondere kann die Wissenschaft keine Aussagen machen, da sie es mit nichts vergleichen kann. Deshalb hat Karl POPPER dargelegt, daß singulare Aussagen nicht falsifizierbar sind, und Stanislaw LEM hat im Zufall, der in der Stochastik als das Unerklärbare gilt, eine zentrale lebensweltliche Kategorie gesehen. Nur das Durchschaubare ist im Rahmen der Bemühungen um wissenschaftlichen Fortschritt erklärbar und begründbar. Das Nichtdurchschaubare und Nichtgeneralisierbare müssen wir als Gegebenheit, als das, was uns "zufällt", akzeptieren, es sei denn, es gelingt uns, zunächst Undurchschaubares durchschaubar zu machen. Der Ausschluß des Zufalls aus der Lebenswelt ist auch deswegen unmöglich, weil dieser Ausschluß dem Wesen der "conditio humana" widerspricht. Der offene Horizont unserer Dispositionen, der uns natürlich auch gefährdet, kann nicht systemtheoretisch roboterisiert werden. Der Mensch geht mit differentiellen Handlungsmotivationen und Handlungskompetenzen an die Bewältigung seiner lebenspraktischen Aufgaben heran. Dabei können dem Menschen Irrtümer unterlaufen, zumal es absolute Gewißheit ohnedies nicht gibt. Wir stehen (fast) immer in der sokratischen Grenzsituation zwischen Wissen und Nichtwissen. Deshalb stellen wir leicht unrichtige Behauptungen auf und tun dies in der Überzeugung, daß sie wahr und richtig sind. "Irren ist menschlich, sich nicht irren zu dürfen (ist) nicht menschengemäß", sagt GUGGENBERGER, und fährt fort: "Wenn es aber zum Wesen des Menschen gehört, sich selbst und seine Lebensverhältnisse durch Irrtumserfahrungen zu bereichern und zu erweitern, ... dann gilt es, alles daranzusetzen, sich diese Art des Lernens und des Dazulernens auch zu erhalten" (FAZ 14/6/1986; vgl.

169 des Dazulernens auch zu erhalten" (FAZ 14/6/1986; vgl. auch 1987). Lernprozesse, die den Faktor Irrtum einschließen, sind nicht computerisierbar. Man kann sie formal nicht exakt beschreiben und somit auch nicht in einem physikalischen Apparat wie dem Rechner darstellen. Dies ist die Erklärung dafür, daß der Rechner an jedem nicht vorgesehenen Sonderfall oder, wie die KI-Forschung sagen würde, an jeder Scriptabweichung scheitert. Die Zahl der möglichen Bewußtseins- und Handlungsdispositionen ist zu groß, als daß sie in Form von physikalischen Zuständen repräsentiert werden könnte. Die Verarbeitung dieser Umwelten erfordert in ihrer perzeptiven wie in ihrer produktiven Dimension anthropomorphe, nicht technomorphe Intelligenz. So unfaßbar dem Laien die Leistungen des Rechners auch vorkommen mögen - mit Intelligenz haben sie nichts oder nur mittelbar zu tun. Ein Rechner wäre nur dann zu menschlichen Intelligenzleistungen fähig, wenn es gelänge, eine Maschine zu konstruieren, die in der Lage ist, aus sich selbst heraus, also aktiv, eigene Zielvorstellungen aufzubauen, die Erkenntnisgrenzen zwischen Wissen und Wissen über Wissen zu überschreiten und womöglich auch noch die "Produktivkraft des Irrtums" zu nutzen. Aber dazu sind Bewußtseinszustände erforderlich, die nur dem Menschen wesensgemäß sind. Sie ermöglichen es ihm, sich selbst und seine Umwelt zu verstehen und im Rahmen dieses Selbst- und Umweltverständnisses reflexive Verhaltensweisen zu entwickeln. Die jedem Verstehen zugrundeliegenden Prozesse sind nicht, jedenfalls nur zu einem relativ geringen Teil, binär organisiert; sie stellen vielmehr ""Verknotungen" von Bewußtheiten verschiedener Rangordnung, verschiedener Deutlichkeitsgrade und verschiedener Richtungsbestimmtheiten" dar (KÜRZ 1977, 278). Das Bewußtsein ist wie ein Kreiselkompaß, der dafür sorgt, daß der Mensch im Rahmen seiner selbstgeplanten Handlungsdispositionen aktiv handeln kann. Der Rechner verfügt über kein vergleichbares Steuerorgan; er kann nur das in Form von Datenstrukturen und Programmsequenzen organisierte Wissen verarbeiten. Für den Aufbau solcher Datenstrukturen und Programmsequenzen sind Methoden erforderlich, die im nächsten Kapitel diskutiert werden sollen.

170 IX. Methodische Probleme der maschinellen Obersetzung

Die Grundlagen der maschinellen Ubersetzung Von systematischen Mü-Versuchen kann man seit knapp 40 Jahren sprechen. Sie sind das Ergebnis einer Konzeption, die Ubersetzen nicht mehr als subjektbestimmten Prozeß, sondern als algorithmischen Prograinmablauf auffaßt. Diese Entwicklung läßt sich folgendermaßen erklären: Wir haben uns daran gewöhnt (oder uns einreden lassen), daß prinzipiell alles (das Wetter ausgenommen) technisch machbar und veränderbar ist. Dafür ist das bisher spektakulärste Ereignis die bemannte Mondlandung, die als die großartigste Leistung der mikroelektronikorientierten Informationsgesellschaft gelten kann und große technologische Erwartungshorizonte eröffnet hat. Gemäß einer anthropologischen Formel Helmuth PLESSNERs bestimmt nicht mehr "natürliche Künstlichkeit", sondern "künstliche Natürlichkeit" die Lebensweise des Menschen. Das kann man, wenn man will, bedauern, aber die Menschheit hat längst jene "Unschuld der Natürlichkeit" verloren, um noch überzeugend gegen die sich in fast allen lebensweltlichen Bereichen durchsetzende Künstlichkeit - man denke nur an das "Retortenbaby" - protestieren zu können. Die großen Erfolge der Naturwissenschaften sind bedingt durch das Vordringen mathematischer Denk- und Verfahrensweisen; sie haben sich, wie u.a. die Mü-Forschung zeigt, inzwischen auch auf ursprünglich nichtmathematischen Gebieten weithin durchgesetzt. Die Mathematik ist damit zum Katalysator für eine neue Art wissenschaftlicher Methodologie geworden. Diese Entwicklung ist, genau genommen, nicht neu. Die Mathematisierung der Wissenschaft hat mit der kopernikanischen Wende angefangen; sie wurde dann weitergetragen von GALILEI, der die Forderung aufstellte, die Wissenschaft müsse ihre Begriffe, Theorien und Methoden nach naturwissenschaftlichem Vorbild aufbauen. Daraus entwickelte LEIBNIZ die Formel von den "characteristica universalia". Sie verkörperten die Suche nach den Grundprinzipien und Grundstrukturen, die sich überall auffinden lassen. Man kann deshalb LEIBNIZ als einen Vorläufer der mathematischen Linguistik sehen. Letztere hat, wie nachher zur Sprache kommen wird, eine teils theoretische, teils applikative (operative) Ausrichtung. Für beide - vielfach interdependente Teildisziplinen ist ein Wesensmerkmal, daß sie für die Beschreibung sprachlicher Sachverhalte einen ungeheuren Regelaufwand praktizieren müssen. Dies gilt auch schon für

171 die Darstellung ganz einfacher sprachlicher Erscheinungen, wie u.a. die "Government and Binding"-Theorie (CHOMSKY 1984), die "Lexical Functional Grammar" (KAPLAN/BRESNAN 1982) und die "Generalized Phrase Structure Grammar" (GAZDAR et al. 1985) zeigen. Einen Überblick über die drei genannten Theorien gibt SELLS (1985). Alle drei Theorien, von denen vor allem die zweite - angeblich (ROHRER 1986a) Mü-relevant ist, postulieren prozedurale Notwendigkeiten und suchen deren Struktur und Wirkungsweise zu erkunden. Sprachliche Kompetenz ist für sie eine Art Superprogramm, das Anweisungen zu algorithmisch gesteuertem Sprachverhalten gibt. Die Tatsache, daß von einem solchen Ansatz wesentliche Dimensionen des menschlichen Sprachverhaltens nicht erfaßt werden, wird um der algorithmischen Geschlossenheit der Theorie willen bewußt in Kauf genommen. Man muß solche Versuche sehen im Zusammenhang mit der Suche nach immer universelleren Formaten für die Darstellung von Handlungs-, Sprach- und Wahrnehmungsstrukturen mit dem Ziel, universale Verhaltensweisen in den Kategorien einer allgemeinen Repräsentationstheorie abzubilden. Die vier Generationen der Mü-Forschung Die vom Funktionsprinzip des Rechners diktierte Reduktion des Ubersetzungsprozesses auf ein binaristisch organisiertes Ablaufschema hat in der Mü-Forschung zu einem breiten Spektrum methodischer Überlegungen geführt. Dafür bietet die Geschichte der Mü-Forschung reiches Anschauungsmaterial. Da dieses bereits mehrfach - mit unterschiedlichen Schwerpunkten - aufgearbeitet worden ist (vgl. u.a. FREIGANG et al. 1979; HENISZ-DOSTERT et al. 1979; BRÜDERER 1982; BLATT et al. 1985; SLOCUM 1985; BATORI 1986; HUTCHINS 1986; KING 1987), kann ich mich auf ein paar m.E. zentrale Gesichtspunkte beschränken. Erste Generation der maschinellen Übersetzung Die Mü der ersten Generation ist primär lexikalisch orientiert; Mü wird als Form linearer, mechanisierbarer, textoberflächenbezogener Substitutionsprozesse auf der Basis von Wort-für-Wort-Korrespondenzen (LIRO 1987) verstanden. D.h., ein Rechner ersetzt (oder transkodiert) im Rahmen seiner Programmierung routinemäßig as Zeichen(folgen) durch mathematische Konfigurationen und diese wiederum durch zs Zeichen(folgen). Ein gutes Beispiel für die - auch heute in modifizierter Form noch aktuelle - substitutionstheoretische Fundierung der Mü (s.u. in diesem Kap.) ist die deutsche Patentschrift Nr. 911187 vom 10.05.1954, in der Louis GOURDON "Verfahren und Vorrichtung zur selbsttätigen vollständigen und augenblicklichen Übersetzung von Schriftstücken in verschiedenen Sprachen" beschreibt. Der Rückgriff auf schematische Substitutionstechniken mag aus theoretischer Sicht primitiv erscheinen, ist aber aus

172 der Sicht Anfang der 50er Jahre aas zwei Gründen folgerichtig: 1. Die Mü ist nicht von Linguisten, sondern von Computerfachleuten und Kommunikationstheoretikern in Gang gesetzt worden; sie ist an den damaligen Möglichkeiten der numerischen Programmierung orientiert, und diese beschränkt sich im Mü-Bereich auf die Erstellung eines zweisprachigen Glossars, ergänzt durch rudimentäre syntaktische Substitutionshilfen . 2. Die Denkweise der MU-Forschung liegt im behavioristischen Trend der damaligen Zeit. Nach Auffassung des Behaviorismus praktizieren wir in vielen, wenn nicht in allen lebenspraktischen Bereichen "habits"; "habits" sind im Unterbewußtsein sedimentierte Verhaltensweisen mit einem hohen Maß an situationsgesteuerter Automatik. Letztere beruht auf der strukturellen Gesetzmäßigkeit von Erscheinungen und führt zur Entwicklung von Techniken der verschiedensten Art. Diese Denkweise wirkt bis in die Gegenwart nach. So sprechen wir heute u.a. von Biotechnik, Medicotechnik, Psychotechnik, Soziotechnik, Lerntechnik, Sprachtechnik und Ubersetzungstechnik (Kap.VI). All diesen Techniken liegt die Überlegung zugrunde, daß der Mensch, wo immer es möglich und wünschenswert ist, auf Handlungs- und Verhaltensschemata, auf "Standardsituationen", zurückgreift (BARTLETT 1932). Standardverhaltensweisen sind erfahrungsgestützt: Man operiert gleichsam im Rahmen eines Stimulus/ResponseSchemas bestimmten Gedächtnisspuren oder "Gedächtnisrillen" entlang, etwa so, wie sich eine Grammophonnadel entlang einer bestimmten Rille bewegt und jedesmal, vorausgesetzt es handelt sich um dieselbe Platte, dasselbe Resultat liefert. Ihren ersten öffentlichkeitswirksamen Auftritt hat die MüForschung mit dem von Léon DOSTERT 1954 initiierten "Georgetown-IBM-Experiment", das u.a. von HENISZ-DOSTERT et al. (1979) und von HUTCHINS (1986) beschrieben worden ist. Dabei handelt es sich um die lexikonbasierte Übersetzung von 49 Sätzen aus dem Russischen ins Englische. Dieses Experiment ist ein zweischneidiger Erfolg gewesen. Es hat zwar einen gewaltigen Aufschwung der amerikanischen MU-Forschung bewirkt, aber gleichzeitig zu einer Unterschätzung der mit der Mü verbundenen linguistischen Probleme geführt. Der Fehler der MU-Forschung ist gewesen, daß sie sich zu Beginn ihrer Arbeit nicht konsequent genug mit drei grundlegenden, für sie zweifellos recht unbequemen Tatsachen auseinandergesetzt hat: 1. Jede natürliche Sprache läßt im Gegensatz zu künstlichen Sprachen komplexe Verwendungsweisen zu; das Postulat der formalen Semantik, daß es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen Sprachen gibt, ist daher nicht aufrechtzuerhalten.

173 2. übersetzen ist eine komplizierte Form interlingualer Sprachverwendung, die in einer Folge von kontextuell und situativ eingebetteten Formulierungsprozessen von einem Ausgangstext zu einem möglichst äquivalenten Zieltext hinüberführt und das syntaktische, semantische, textpragmatische und stilistische Verständnis der Textvorlage (nicht nur einzelner Sätze) und eine textadäquate Transferkompetenz des Obersetzers voraussetzt. 3. Auch in genetisch eng verwandten Sprachen wie z.B. dem Englischen und dem Deutschen sind lineare Substitutionsprozesse (wörtliche Obersetzungsprozeduren) als textadäquate Transferoperationen eher die Ausnahme als die Regel. Deshalb geht die ÜW zu Recht davon aus, daß Obersetzen weitgehend ein funktionsgesteuerter Prozeß der Kompensation von interlingual nichtidentischen Textelementen ist, die der Obersetzer mit Hilfe nichtwörtlicher Übersetzungsprozeduren in die ZS überführen muß. Trotz des Georgetown-Erfolgs ist sich die Mü-Forschung damals, soweit sie ihre Zukunftschancen realistisch beurteilt, innerhalb und außerhalb der USA darüber im klaren, daß mit einem auf lexikalische Ersetzungsregeln reduzierten Mü-Modell ein operatives Mü-System nicht aufgebaut werden kann. Die Erkenntnis beginnt sich durchzusetzen, daß aufgrund der Strukturunterschiede zwischen den Einzelsprachen eine Wort-für-Wort-übersetzung den im Ubersetzungskontext auftretenden Transferproblemen nicht gerecht wird und daß eine erschöpfende Beschreibung und Programmierung der für das Ubersetzen sprachlicher Zusammenhänge relevanten (Text-)Faktoren mit den bis dahin praktizierten Methoden aussichtslos ist. Dies führt zu einer Verfahrensumstellung, die den Ubergang von der ersten auf die zweite, syntaxorientierte Mü-Generation markiert. Zweite Generation der maschinellen Ubersetzung Um die syntaktische Barriere in der MU zu überwinden, verlegt sich die Mü-Forschung jetzt auf die Entwicklung von oberflächensyntaxbezogenen Analysesystemen (Parsern, von "pars orationis", KARTTUNEN/ZWICKY 1985, 1); dies nicht zuletzt in der Erwartung, damit ihrer Arbeit wenigstens in begrenztem Umfang ein theoretisches Fundament zu geben. Damit ist eine stärkere Gewichtung linguistischer Fragestellungen auf der Basis der in den 50er Jahren diskutierten Grammatikmodelle verbunden. So werden bei der RAND-Corporation (HAYS 1964; 1966) und in fast allen sowjetischen Verfahren Dependenzgrammatiken benutzt. Andere Forschungsgruppen arbeiten mit Phrasenstrukturgrammatiken (DIETRICH/KLEIN 1974). Vieldiskutierte Projekte sind z.B. die auf RHODES (1961) zurückgehende, von KUNO (1965) weitergeführte "predictive analysis" und der "Cocke"-Algorithmus (HAYS 1966; DIETRICH/KLEIN 1974). Erwähnenswert ist ferner die von GARVIN (1980; 1982) konzipierte, an Lucien TESNIERE angelehnte "Fulerum"-Methode, die - etwa im Gegensatz zur Analyse von

174 RHODES - nicht "bottom-up", sondern "top-down" (d.h. von kleineren zu größeren Einheiten und umgekehrt) operiert. Dies geschieht in der Weise, daß ein "graduated context research" praktiziert wird mit dem Ziel, zuerst die "pivotal points" im Satzzusammenhang zu ermitteln (z.B. die Verbphrase als obersten Knoten einer syntaktischen Baumstruktur) und von da aus sukzessiv die Relationen zu den rangniedrigeren Satzsegmenten zu bestimmen. Hinzuweisen ist schließlich auch auf die inzwischen ausführlich dokumentierten ATN-Parser (ATN = Augmented Transition Network) (WOODS 1970; 1980; WANNER/MARATSOS 1978; BATES 1978; BOWER/ CIRILO 1985); sie haben in PLATH (1967) mit seinem "Multipath"-System einen heute praktisch vergessenen Vorläufer gehabt. Trotz der Abstützung bei den genannten konzeptionell und methodisch relativ weit fortgeschrittenen und zukunftsträchtigen Grammatikmodellen kommt die Arbeit nur mühsam voran, wie die folgende Feststellung bezeugt: "... the actual coding of the dictionary and the efficient phrasing of the rules pose many tedious and perplexing puzzles. They will probably be overcome, but at the present writing, mechanical translation is still not proceeding as a routine business anywhere in the United States" (MILLER et al. 1960, 53). Dazu kommt, daß man sich in der syntaxorientierten MU-Forschung nie ernsthaft darüber im Zweifel gewesen ist, daß syntaktische Parser nur eine begrenzte Reichweite haben, weil sie semantische Beziehungen nur in dem Maße berücksichtigen können, wie sie sich im syntaktischen Zugriff durch das Parsing von grammatischen Beziehungsbedeutungen im Satzzusammenhang erfassen lassen. Daher die Bemühungen, den syntaktischen Parser durch einen semantischen Parser zu ergänzen. Dritte Generation der maschinellen Obersetzung Die Einbeziehung semantischer Fragestellungen kennzeichnet den Übergang von der zweiten zur dritten Mü-Phase. Diese Phase ist bis heute (genau wie die zweite) aktuell (NITTA 1986; TOMITA/CARBONELL 1986). Allerdings scheint es noch immer keine klar konturierten Vorstellungen für ein operatives semantisches Parsing im Satzzusammenhang (geschweige denn im Textzusammenhang) zu geben. Relativ konkret ist im Mü-Kontext lediglich das "Sublanguage"-Konzept (KITTREDGE/ LEHRBERGER 1982), das, wenn ich richtig sehe, ungefähr in die gleiche Richtung zielt wie die - programmtechnisch aufwendigeren - "Expertensysteme" (z.B. "LEX" oder "Mycin"), die von den Kl-Vertretern als sog. Intelligenz- oder Entscheidungsverstärker entwickelt werden (Kap.VIII). Im Gegensatz zu konventionellen Datenbanken halten Expertensysteme nicht nur deklaratives Wissen abrufbereit, sondern verarbeiten das Wissen von Fachleuten dergestalt, daß sie

175 Informationen bewerten und Handlungsempfehlungen ableiten können. Sie stellen Wissen durch entsprechende Inferenzregeln (Folgerungsprozeduren) so zur Verfügung, daß dem Benutzer die Beherrschung komplexer Realität erleichtert wird. Dies funktioniert allerdings derzeit nur, wenn ein Expertensystem jeweils nur einen relativ kleinen Welt- oder Wissensausschnitt repräsentiert. Mit der semantischen Erweiterung ihres ohnedies ambitionierten Forschungsparadigmas versucht die Mü-Forschung, die Nachteile "semantikferner" syntaktischer Parser zu beseitigen und "semantiknähere" Mü-Systeme zu entwickeln. Es ist deutlich geworden, daß, solange in einem MÜ-Programm semantische Informationen weitgehend oder ganz fehlen, eine auch nur einigermaßen zufriedenstellende vollautomatische Ubersetzung eine Utopie bleiben würde. Die sich daraus ergebenden methodischen Konsequenzen sind allerdings alles andere als ermutigend. Auch heute gilt die semantische Aporie in der Mü-Forschung noch längst nicht als überwunden (CARBONELL 1987), obwohl sie seit mindestens zwei Jahrzehnten nach praktikablen Lösungen sucht. So hat YNGVE schon 1967 festgestellt: "Work in mechanical translation has come up against what we will call the semantic barrier ... we will only have adequate mechanical translations when the machine can 'understand' what it is translating and this will be a very difficult task indeed" (1967, 500). Die Feststellung YNGVEs ist deswegen bemerkenswert, weil er das für seine Argumentation entscheidende Wort "understand" in Anführungszeichen gesetzt hat (ebenso LIPPMANN 1987, 3), womit er vermutlich einem erkenntnistheoretischen Mißverständnis vorbeugen wollte, das sich - zumindest bei Außenstehenden - einschleicht, wenn vom Rechner als dem "intelligenten Partner" des Menschen die Rede ist. Zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz gibt es keine Identitäts-, sondern nur Analogiebeziehungen; am prinzipiellen und unaufhebbaren Unterschied zwischen heuristischen, intuitionsabhängigen, ganzheitlichen Ubersetzungsmethoden einerseits und algorithmischen, programmgesteuerten, atomisierten Verfahrensweisen andererseits ist nicht zu rütteln. Man kann zwar immer wieder die Ansicht hören, daß auch der Rechner Verstehenseigenschaften besitzt. Aber man kann diese Behauptung nur dann gelten lassen, wenn klar ist, daß man zwischen einem anthropomorphen und einem technomorphen Verstehensbegriff unterscheiden muß und daß der Rechner nur in Zahlen transkodierte Daten versteht. D.h., die Verstehensfähigkeit des Rechners beruht auf einem binaristischen Verstehensmodell, das den Rechner in die Lage versetzt, mit Hilfe eines Programms lineare Symbolketten im Rahmen einer bestimmten Strategie zu verarbeiten.

176 Die Öffnung der Mü-Forschung für semantische Fragen ist zwar ein sachlich notwendiger, aber auch ein riskanter Schritt. Die sachliche Notwendigkeit erklärt sich aus der, wie gesagt, begrenzten operativen Leistungsfähigkeit syntaktischer Parser; das Risiko bestand darin, daß Anfang/ Mitte der 60er Jahre nicht abzusehen war, ob und, wenn ja, wann sich der erhoffte semantische Durchbruch in der Entwicklung von lauffähigen Mü-Systemen einstellen würde. Von der semantisch orientierten Linguistik ist in jenen Jahren wenig Hilfe zu erwarten. Sie befindet sich damals selbst in großen methodischen Schwierigkeiten, die MORAVCSIK noch Mitte der 70er Jahre folgendermaßen skizziert: "... though much is being done today in the field of semantics, we have made little progress over the last 50 years. The difficulties facing the grammarian are dwarfed ... by the formidable obstacles confronting the student of semantics" (1976, 222; vgl. auch MILLER/ JOHNSON-LAIRD 1976 und BIERWISCH 1983). So ist es kein Wunder, daß die Mü-Forschung, anstatt Fortschritte zu machen, zu stagnieren anfängt, mit dem Ergebnis, daß ein Ereignis über sie hereinbricht, mit dem trotz aller Skepsis eigentlich niemand gerechnet hat, und das ist der ALPAC-Bericht (ALPAC = Automatic Language Processing Advisory Committee) (1966). Dieser stellt kategorisch fest, daß mit einem über experimentelle Arbeiten hinausgehenden praktischen Nutzeffekt der Mt) in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Dieser Bericht hat unterschiedliche Auswirkungen gehabt. Erstens hat er die Tatsache ins Bewußtsein gehoben, daß die Analyse und Synthese von Texten im Mü-Umfeld wesentlich mehr und komplexere methodische Probleme aufwirft, als man bis dahin angenommen hat (oder hat wahrhaben wollen). Dieses neue Problembewußtsein hat BAR-HILLEL bei einer Mü-Konferenz 1971 in Austin/Texas, einem traditionellen Schwerpunkt amerikanischer Mü-Forschung, folgendermaßen formuliert: "It seems, then, that we have turned full circle in MT (=Mechanical Translation; W.W.) research and are now approximately back where we started some 19 years ago. MT will probably have to rely on language-dependent strategies rather than on some highly developed theory, but it is quite clear that the detour has enormously helped to clarify the issue, has dispelled any Utopian hopes so that we are now in a much better position to attack this problem afresh" (1971, 75). Der ALPAC-Bericht hat zweitens eine drastische Kürzung der staatlichen Mittel für die Mü-Forschung bewirkt, die Ende der 60er Jahre in den USA offiziell für tot erklärt wird. Diese Feststellung ist voreilig gewesen. Zwar kommt die universitäre Mü-Forschung weitgehend zum Erliegen, aber da-

177 für wird die Mü-Forschung in der Privatwirtschaft um so lebendiger. Letztere interessiert sich trotz der negativen Kritik des ALPAC-Berichts für die Weiterentwicklung der Mt), weil man glaubt, in einem überschaubaren Zeitraum mit einem vertretbaren Kostenaufwand für bestimmte, international wichtige Textbereiche ein einigermaßen funktionsfähiges MüSystem schaffen zu können. Beispiele dafür sind ALPS, Logos, SYSTRAN und Weidner (HUTCHINS 1986). Eines der wenigen universitären Mü-Projekte, das auch nach dem ALPAC-Bericht relativ kontinuierlich weitergeführt wird, ist das vom Linguistics Research Center Austin konzipierte (und inzwischen von Siemens/München übernommene) System METAL. Es stellt den Versuch dar, ein Mü-Verfahren zu entwickeln, das durch den Einbezug syntaktischer Tiefenstrukturen wesentlich "semantiknäher" ist als die rein oberflächensyntaktisch orientierten Systeme. Man nimmt in Austin an, daß sich die einzelnen Sprachen auf der tiefenstrukturellen Ebene wesentlich näher sind als auf der Ebene transformationeil abgeleiteter Oberflächenstrukturen. Das meint SELLS, wenn er sagt: "While the lexicon and c-structure (constituent structure) are the loci of cross-cultural variation, the level of f-structure (functional structure) is intended to be fairly stable, in the sense that synonymous constructions in different languages might have radically different c-structure representations though very similar f-structures" (1985, 137; vgl. auch KUDO/NOMURA 1986 und HELLWIG 1986). Durch den Rückgriff auf Tiefenstrukturen bietet sich nicht nur die Chance, multilinguale MÜ-Systeme zu bauen, sondern es scheint auch möglich, den qualitativen Unterschied zwischen menschlichem Sprachverständnis und der dem Rechner wesenseigenen (schwächeren) formallinguistischen Dekodierfähigkeit auszugleichen und den Ubersetzungsprozeß so weit zu entpsychologisieren, daß er automatengerecht dargestellt werden kann. Die Hinwendung zu kombiniert syntaktisch-semantischen Fragestellungen kommt in den Schlußfolgerungen zum Ausdruck, die W.P. LEHMANN, der Leiter des Austin-Projekts, bei der erwähnten Mü-Konferenz in Austin zieht: "For machine translation, semantic representations derived from syntactic structures in the source language must be associated with syntactic structures in the target language" (1971, 45). Diese Feststellung ist im Prinzip richtig, aber man muß sich in diesem Zusammenhang vor Augen halten, daß die Ableitung semantischer Informationen aus syntaktischen (Tiefen-) Strukturen nur in dem Maße funktioniert, wie syntaktisch explizit ausgedrückte Relationen eine genaue Widerspiegelung semantischer Abhängigkeitsbeziehungen darstellen, anders ausgedrückt, wie semantische Syntax und formale

178 Syntax koextensional sind. Dies ist in der Sprachverwendung längst nicht immer der Fall. Der Sprachbenutzer denkt nicht "tiefenstrukturell"; er arbeitet nicht mit einem syntaktisch verkürzten Semantikbegriff. Das Koextensionalitätsprinzip wird laufend durchbrochen. Jedes Textverständnis ist, wie schon in anderem Zusammenhang erwähnt, an das Vorhandensein von zwei Wissensbasen, sprachlichem Wissen und außersprachlichem Wissen, gebunden. In jedem Text, der auf eine Verständigung zwischen Sender und Empfänger über einen Sachverhalt abzielt, sind diese zwei Wissensbasen virulent. Dies ist die Erklärung dafür, daß es sich ein Textsender in bestimmtem Umfang erlauben kann, in seinem Text mehr zu meinen, als zu sagen, ohne Gefahr zu laufen, den Verstehensprozeß des Empfängers zu blockieren. Der Rechner besitzt - entgegen anderslautenden Behauptungen - keine eigenständige Intelligenz, und alle Versuche, ihm zu einem intelligenten Verhalten zu verhelfen, sind bisher gescheitert. Daher ist für ihn die Möglichkeit verbaut, die im Text vorgefundenen Informationen reflexiv zu verarbeiten und durch Vergleich mit gespeichertem Wissen über ähnliche (oder unähnliche) Sachverhalte auf ihre Sinnfälligkeit hin zu überprüfen. Was sprachliches Wissen anbelangt, ist die Mü-Forschung heute in der Lage, solches weit über die für die erste MüPhase typische Glossarebene hinaus zu programmieren. Das geschieht dadurch, daß sie die einzelnen lexikalischen Einträge im automatischen Worterbuch mit morphologischen, wortartbezogenen, semantischen und phraseologischen Begleitinformationen ausstattet. Diesem Verfahren liegt die später wieder aufzugreifende - Annahme zugrunde, daß das Wörterbuch das Herzstück eines jeden Mü-Systems ist und daß die Qualität der einzelnen Wörterbucheinträge (und ihre Strukturiertheit) weitgehend über die Brauchbarkeit eines Mü-Systems entscheidet. Anders dagegen steht es mit der Programmierung außersprachlicher Informationen (des Weltwissens), wie sie z.B. für die Verarbeitung satzübergreifender semantischer Erscheinungen wie Pronominalisierung, Anaphorik und Kohärenz erforderlich sind. Dafür hat die Mü-Forschung im Rahmen ihres linguistischen Forschungsdesigns bisher keinen gangbaren Weg gefunden; sie konnte ihn auch nicht finden, weil man Weltwissen nur begrenzt in Programme umsetzen kann. Vierte Generation der maschinellen Übersetzung Hier setzt die vierte und bisher letzte Phase der Mü-Forschung ein. Sie versucht, die rechnerprozedurale Simulierung semantischer Erscheinungen durch den Rückgriff auf die Ergebnisse der natürlichsprachlichen KI-Forschung (WILKS 1972; 1973; 1975; 1979; 1980a und b; 1983; WINOGRAD 1976) zu erreichen. Ziel der KI-Forschung ist, wie in Kap.VIII angedeutet, ein algorithmisch fundiertes System der Weltbeschreibung und Welterklärung zu schaffen und die Zusammen-

179 hänge zwischen Sprache und Denken auf der Basis eines schematheoretischen Weltverständnismodells zu erforschen. Die Mü-Forschung sieht in dieser Konzeption eine Möglichkeit, die im Übersetzungsprozeß ablaufenden Verstehens- und Formulierungsvorgänge unter Einbezug des Weltwissens mit Hilfe einer semantischen Interlingua nachzubilden. Methodisch läuft dieser Ansatz auf eine Zweiphasenoperation hinaus: 1. Ubersetzung des Ausgangstextes in eine einzelsprachenübergreifende formale Begriffssprache (Interlingua) und Auffüllung dieser formalen Textrepräsentation durch automatentheoretisch gesteuerte Inferenzoperationen und Plausibi1itätskontrollen; 2. Übersetzung dieses semantisch präzisierten begriffssprachlichen Textes in die ZS. Das Ziel dieser Zweiphasenoperation hat MEIER, bezogen auf die Analysephase im maschinellen Ubersetzungsprozeß, prospektiv aus der Sicht von 1965 folgendermaßen bestimmt: "Beim Analyseprozeß - sei es für automatische Übersetzung oder für automatische Exzerption bzw. Dokumentation - handelt es sich darum, den Verstehensprozeß adäquat, d.h. hinsichtlich seiner Leistung, zu modellieren und zu "kopieren". Unter "Kopie" verstehen wir nicht die Kopie eines von der Neurophysiologie noch nicht erforschten Gehirnprozesses, sondern eine Analogie der durch das Gehirn erzielten Leistung" (1965, 51). Dieser Kopiervorgang ist, wie die bisherigen Erkenntnisse der KI-Forschung zeigen, bisher nur in so engen Grenzen geglückt, daß es ausgeschlossen ist, damit eine umfassende wissensbasierte Textbeschreibung zu erreichen. Ein Rechner versteht Sprache nur insofern, "als er in der läge ist, den inhalt deklarativer natürlichsprachlicher formulierungen über einen weltausschnitt in form seiner internen formalen repräsentation zu reformulieren und so eine symbolische darstellung des weltausschnitts aufzubauen" (WULZ 1976, 359). Deswegen muß sich der Mensch ständig Tricks ausdenken, die den Rechner in die Lage versetzen, Operationen auszuführen, die so beschaffen sind, daß letzterer damit wenigstens einfache Sachverhalte sprachlicher und außersprachlicher Art verarbeiten kann. Von daher gesehen, wird die Behauptung von Klaus HAEFNER suspekt, daß die kognitiven Fähigkeiten des Rechners die intellektuelle Kapazität des Menschen übertreffen (Zeit 7/10/1983). "Die Maschine", sagt schon HUSSERL, "ist freilich keine denkende, sie versteht sich selbst nicht und nicht die Bedeutung ihrer Leistungen" (1913, 68). Noch

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abenteuerlicher als die Behauptung HAEFNERs ist die geradezu demagogische Argumentation von Gotthard MÜLLER, der behauptet hat, die kybernetische Maschine sei imstande, Kinder zu erzeugen und diese wiederum eigene Kinder, und der Mensch sei nicht einmal mehr fähig, die Funktion der Enkel zu begreifen (FAZ 28/1/1984). Wenn G.R. TAYLOR schreibt: "Like the digital computer, the brain also consists of a network of switches - the nervecells or neurones" (1971, 25), so ist dies zwar richtig, aber man darf nicht vergessen, daß der Mensch nicht nur über ein Gehirn, sondern auch über Geist verfügt, und ich glaube, man muß an diesem prinzipiellen Unterschied zwischen Gehirn und Bewußtsein, "brain" und "mind" festhalten (Kap.XII). Es ist folglich auch noch niemandem in den Sinn gekommen, von "mindware" zu sprechen, wogegen "software" und "hardware" (gelegentlich auch "brainware") inzwischen etablierte Termini der Computerwissenschaften sind. Auch die Annahme, der Geist sei ein "physical symbol system" (WINOGRAD 1976, 263) ist nicht aufrechtzuerhalten. "... mind, unlike brain, is not a physiological concept at all ..." (WALDRON 1985, XII). Daß Geist nicht gleich Gehirn ist, wird durch die Tatsache bestätigt, daß der geistbegabte Mensch einen Gedankenweg rekonstruieren kann, wogegen ein Computer nur nach formalen Kriterien und Gruppierungen Beziehungen stiften kann und deshalb auch keine intelligente, sondern nur quasi-intelligente Arbeit leisten kann (LEINFELLNER 1983). Der Mensch kann deswegen ökonomischer operieren als die Maschine. In dem Satz "three masked gunmen robbed a bank yesterday" (VAN DIJK/KINTSCH 1983, 33) hat der Mensch im Gegensatz zur Maschine bei der Identifizierung der Bedeutung von "bank" keine Probleme; die Behauptung der Autoren, "... when a lexically ambiguous word is encountered during reading, all meanings of the word ... are activated momentarily and offered to a context-based decision process for selection" (VAN DIJK/KINTSCH 1983, 34), ist m.E. nicht aufrechtzuerhalten. Theoretische und operative Forschung in der maschinellen Ubersetzung Aus den Bemerkungen zum Verhältnis von Mü-Forschung und KIForschung dürfte klar geworden sein, daß die Integration der beiden Disziplinen auf sich warten lassen wird. In der Tat zögert die KI-Forschung bei der Zusammenarbeit mit der Mü-Forschung, weil sie die Möglichkeiten und Grenzen der Computerisierung menschlicher Verhaltensweisen genauer erforschen will, bevor sie sich an ein so komplexes Gebiet wie die Computerisierung des Übersetzungsprozesses heranwagt. Auch seitens der Mü-Forschung ist neuerdings Skepsis zu verzeichnen, wie der Umstand beweist, daß die derzeit in Erprobung befindlichen Mü-Systeme nicht der vierten, son-

181 dern der zweiten oder der dritten MU-Generation angehören (s.o. in diesem Kap.) und auf einem Dreiphasenschema - as Analyse, Transfer, zs Synthese - beruhen. Ein solches Dreischrittschema ist nach NIDA auch in vielen menschlichen Ubersetzungssituationen empfehlenswert: "Instead of attempting to set up transfers from one language to another by working out long series of equivalent formal structures which are presumably adequate to "translate" from one language into another, it is both scientifically and practically more efficient (1) to reduce the source text to its structurally simplest and most semantically evident kernels, (2) to transfer the meaning from source language to receptor language on a structurally simple level, and (3) to generate the stylistically and semantically equivalent expression in the receptor language" (1964, 68). Im Rahmen dieses Dreischrittschemas kann man grosso modo zwischen (primär) theoretischen und (primär) praxisbezogenen Projekten unterscheiden. Im Mittelpunkt der theoretischen Forschungen stehen, wie in der Sprachdatenverarbeitung generell, Bemühungen, "linguistische Theorien "berechenbar" zu machen, d.h. linguistische Theorien einerseits so zu gestalten, daß ihre formalen Eigenschaften überprüft werden können, und andererseits, daß aufgrund dieser Eigenschaften präzise Algorithmen entworfen werden können, die es erlauben, Modelle der Sprachverarbeitung zu entwerfen, welche z.B. anhand von Simulationen durch ausführbare Programme oder in psychologischen Experimenten - getestet und evaluiert werden können. Die theoretischen Grundlagen der formalen Beschreibung natürlicher Sprachen stammen aus einer Zeit, in der die heutigen Möglichkeiten, "Sprache" im Rechner zu "verarbeiten", nicht einmal geahnt werden konnten. Aber auch die heutigen Rechnermöglichkeiten - die im wesentlichen auf einer sequentiellen Rechnerarchitektur basieren - sind kaum als geeignete Bezugsrahmen für die theoretische Erforschung der menschlichen Sprache heranzuziehen. So ist zu erwarten, daß theoretische Entwicklungen in der Linguistik die Rechner der Zukunft (man denke an Parallelverarbeitung oder an die sogenannte logische Programmierung) mitbeeinflussen werden" (GUENTHNER 1987, 16). Ob sich die Erwartungen GUENTHNERs auch auf dem Mü-Gebiet erfüllen, ist mehr als zweifelhaft. Hier sei an BAR-HILLELs weiter oben zitierte Äußerung erinnert, die unmißverständlich erkennen läßt, daß er einer vorwiegend oder ausschließlich theoretisch orientierten Mü-Forschung keine Chance gibt. Tatsache ist, auch wenn dies ROHRER (1986b, 353) fast zornig konstatiert, daß die moderne Sprachtheorie vom Typ "Government and Binding", "Lexical Functional Grammar", "Generalized Phrase Structure Grammar" (s.o. in

182 diesem Kap.) zur Weiterentwicklung der MO so gut wie nichts beigetragen hat. "It is an embarrassing fact for those who believe there can only be better quality MT (=machine translation; W.W.) with more linguistically sophisticated systems that the most successful operational MT systems so far (based on the 'direct translation' approach) owe almost nothing to linguistic theory, or rather to be precise, to syntactic theory" (HUTCHINS 1986, 326). Die Ursachen hierfür sind für jeden, der sich mit der modernen Sprachtheorie befaßt hat, leicht einsehbar: Diese Theorie ist zu kompliziert geworden; sie leidet an einer argumentativen Esoterik, an einem unbändigen Trend zur Uberterminologisierung; das Verfahren ist wichtiger als der Gegenstand, die Methode hat Vorrang vor dem Inhalt. Die komplizierteren Fragen werden geschickt umgangen und apologetisch bereinigt und nicht offen und kritisch diskutiert. Die Fassade der elaborierten Beschreibungsnotation erschlägt die Sachdiskussion. Die moderne Sprachtheorie vergißt, daß Sprache ein Arbeitsinstrument ist; "sie erfüllt eine Funktion, es wird etwas geklärt, verhandelt, bewiesen, Sympathie ausgedrückt, kritisiert, Konversation gemacht, Zorn abreagiert, gewarnt, erzogen usw. usw." (PATZIG 1966, 23; vgl. auch WILSS 1985b). Wenn nicht alles täuscht, steht die moderne Sprachtheorie in einem extrem normativen Argumentationszusammenhang. Sie macht nichts anderes "als Rätsel auf die Art und Weise zu lösen, daß sie Antworten sucht auf Fragen, die bereits einen großen Teil dieser Antworten enthalten. Ziel dieser Wissenschaft ist nicht, unerwartete, substantielle Neuheiten ans Tageslicht zu bringen. Ziel ist vielmehr, innerhalb eines zu erwartenden Spielraums neue "Fakten", häufig in Form von esoterischen Einzelheiten, aufzufinden. Diese Fakten werden dann in die schon bekannten Kategorien eingeordnet oder mit ihnen verknüpft. Eine solche Tätigkeit ist mit einer "Aufräumarbeit" vergleichbar, bei der verschiedene Gegenstände in Fächer oder Schubladen hineingezwängt werden ... Für die Gegenstände ..., die in die Schubladen grundsätzlich hineinpassen, lassen sich immer besser angepaßte Fächer und Abteilungen finden" (GSTETTNER/SEIDL 1975, 24). Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß alle theoretischen Mü-Projekte langfristig angelegt sind und darauf abzielen, in mehr oder minder großem Umfang Sprachbeschreibungsdaten zusammenzutragen und so eine universale theoretisch-linguistische Basis für die Mü zu schaffen. Der Zeitpunkt der Operationalisierbarkeit solcher Projekte ist dementsprechend unbestimmt. Jedenfalls ist bei Prognosen im Rahmen der "computer-interpretable characterization of natural languages" (SHIEBER 1986, 5) Vorsicht geboten, wie folgendes Zitat zeigt:

183 "If linguistics is truly a branch of psychology (or even biology), as is often unilaterally asserted by linguists, it is so far the branch with the greatest pretensions and the fewest reliable results" (GAZDAR et al. 1985, 5). Dagegen haben die praxisbezogenen Projekte (z.B. SYSTRAN und Logos), die auf eine kommerziell verwertbare "good enough translation" hinarbeiten, ein Stadium erreicht, das eine relativ zuverlässige und objektive Einschätzung ihrer Operativität erlaubt. Sie sind zwar im konzeptionellen Ansatz bescheidener als die streng theoriefundierten Mü-Projekte; dafür sind jedoch die bisher erzielten und auch die erwartbaren Ergebnisse erfolgreicher und erfolgversprechender. Das entscheidende Kriterium hierfür ist die Antwort auf die Frage, ob und in welchem Umfang für eine qualitativ einigermaßen zufriedenstellende Mü eine Vor- und/oder Nachbereitung (Pre/Post-editing) der maschinell zu übersetzenden bzw. der maschinell übersetzten Texte erforderlich ist, denn davon ist die Konkurrenzfähigkeit der einzelnen Systeme in bezug auf Personal-, Zeit- und Kostenaufwand abhängig. Ohne Vor- und/oder Nachredaktion kommt derzeit genaugenommen kein System aus (SYSTRAN, eine Weiterentwicklung des Georgetown-Projekts, allenfalls bei bestimmten Texttypen; bei den EG läuft SYSTRAN mit Post-editing). Alle Systeme nehmen eine niedrige Output-Qualität in Kauf, weil für effektive Mü-Systeme noch viele linguistische Regeln fehlen und Mehrdeutigkeiten (Kap.XI) nur in bescheidenem Umfang aufgelöst werden können. Die Konzeption des "Pre/Post-editing" ist von Erwin REIFLER in den 50er Jahren entwickelt worden (HUTCHINS 1986, 40). Der Einsatz von Vor- und/oder Nachredakteuren, ursprünglich wohl als zeitlich befristete Notlösung gedacht, ist inzwischen fester Bestandteil der praxisbezogenen Systeme geworden, weil maschinell erstellte Rohübersetzungen, für die sich in den USA die Bezeichnung "quick and dirty" (PIGOTT 1986; LAWSON 1986a) eingebürgert hat, nur für einen begrenzten Kundenkreis geeignet sind. Dabei geht die Tendenz eindeutig zum Verfahren des Post-editing; wenngleich es auch handfeste Argumente für das Pre-editing gibt (VASCONCELLOS 1985; WHITELOCK et al. 1986; CARBONELL 1987; KRENN 1987; vgl. auch Kap.X in diesem Buch). Wieviel Post-editing, vom "minimal post-editing" ("quick fix") bis zum "maximal post-editing", für veröffentlichte Texte (WAGNER 1985; WALKER 1985) jeweils erforderlich ist, entscheidet der Kunde (mit deutlicher Tendenz zum "minimal Post-editing" ): "Acceptabi1i ty is ultimately defined by the user, according to his particular needs: what is acceptable to one user in one situation may be quite unacceptable in another situation, or to another user in the same situation" (SLOCUM et al. 1984, 26; vgl. auch J.C. SAGER 1984, 337).

184 Fest steht inzwischen auch, daß effektives und flexibles Pre/Post-editing ohne entsprechende Ausbildung nicht möglich ist (VASCONCELLOS 1986), nicht zuletzt deshalb, weil man unter allen Umständen verhindern muß, daß die Tätigkeit des Post-editing zu einer auf Dauer eintönigen Tätigkeit hochqualifizierter Fachübersetzer wird. (Ohne Fachübersetzer ist Post-editing viel zu zeitaufwendig und uneffizient.) Im Gegensatz zur "human-assisted machine translation" gibt es bei der "machine-aided human translation" (J.C. SAGER 1985, 93) kein Pre/Post-editing. Fachsprachliche Aspekte der maschinellen Übersetzung Zur Klärung der methodischen Probleme der Mü-Forschung gehört auch von Anfang an die Beschäftigung mit texttypologischen Rahmenbedingungen. Dazu MACDONALD: "The immediate reason for most research in machine translation has been the desire to be able to obtain quick translations of technical material. For this reason texts in scientific disciplines such as organic chemistry, aeronautics, astrophysics and meteorology, to name but a few, have been chosen. Texts of this sort reduce a number of the potential problems in machine translation since the terminology of international technology is much less likely to be ambiguous than that of literature or history, and there is likely to be much less cultural bias in technical texts to be transferred into a parallel cultural bias in the target language" (1979, 93; vgl. u.a. auch GARVIN 1980, 27 und SLOCUM et al. 1984, 10). An dieser fachsprachlichen Schwerpunktbildung hat sich bis heute nichts geändert. Fachsprachliche Texte stellen ein AusdrucksInstrumentarium dar, in dem drei für Mt)-Operativität vorteilhafte Tendenzen integrativ zusammentreffen: 1. die Tendenz zur analytischen (denotativen), nicht hermeneutischen (konnotativen) "Horizontverschmelzung", 2. die Tendenz zur expliziten, rekurrenzfundierten syntaktisch-semantischen Kohärenz, 3. die Tendenz zum Aufbau konventionalisierter, mehr oder minder durchstrukturierter Wortbestände, die in einzelnen Sinnbezirken organisiert sind und jeweils einen speziellen Wirklichkeitsausschnitt (domain) (KITTREDGE/LEHRBERGER 1982) abdecken. Allerdings ist damit das Wesen der Fachsprache nur unvollständig umschrieben. Wichtig sind vor allem auch folgende Faktoren: 1. Die Fachsprache als einen in sich geschlossenen Teilbereich menschlicher Kommunikation gibt es nicht (VON HAHN 1983). Fachsprache besteht aus einer Menge von primär lexi-

185 kaiisch (weniger syntaktisch) relativ selbständigen und deshalb voneinander abgrenzbaren Fachsprachen (Sublanguages). 2. Fachsprachliche Texte sind stilistisch nicht neutral oder gesichtslos (LAURIAN 1986). Im Gegenteil: Sie weisen unter morphologischem, lexikalischem und syntaktischem Aspekt sowie im Hinblick auf Textorganisation (Thema/RhemaGliederung), Format, Zahlen, Tabellen und Diagramme texttypkonstitutive Merkmale auf. Diese Feststellung ist nicht so zu verstehen, als gäbe es für die Autoren fachsprachlicher Texte keinen nennenswerten individualstilistischen Formulierungsspielraum (z.B. durch Metaphorisierung wissenschaftlich-technischer Sachverhalte). 3. Fachsprachliche Texte erfüllen nur begrenzt die Bedingungen technischer Rationalität. Auch fachsprachliche Texte weisen "Störfaktoren" auf, die ihre maschinelle Verarbeitung erschweren. Dazu gehören Eigenschaften wie Polysemie, Homonymie, Implizität, Asymmetrie von Form und Funktion. Es wäre schlicht eine Fiktion, wenn behauptet würde, Fachsprache sei immer und überall ein strenges Aussagekalkül, in dem die Mitteilungsabsicht auf die Vermittlung von Information beschränkt ist, wobei Information durch die Eigenschaften Eindeutigkeit oder gar Eineindeutigkeit charakterisiert ist. Natürlich ist Fachsprache ein Konmunikationsmedium, das auf Präzision und Durchsichtigkeit referentieller Sachverhalte abzielt, und natürlich ist ihr Vorbild die mathematische Ausdrucksweise; aber wir sind uns spätestens seit WITTGENSTEINS Philosophical Investigations (1958) darüber im klaren, daß die Fachsprache ihre Wurzeln in der Gemeinsprache hat. Die Existenz homogener Fachtexte ist eine Wunschvorstellung; die Schwierigkeiten der Fachsprachenforschung bei der Beschreibung fachsprachlicher Erscheinungen zeigen deutlich, wie weit wir auch im fachsprachlichen Bereich von einer idealen Sender/Empfänger-Relation entfernt sind. Die drei letztgenannten Faktoren reduzieren zwar die "MüFreundlichkeit" fachsprachlicher Texte, aber nicht in dem Maße, daß diese nicht letztendlich doch die relativ günstigsten Voraussetzungen für die Mü-Forschung mitbringen würden, weil die kontextuelle "Risikoschwelle" niedrig ist. Die Konzentration auf fachsprachliche Texte ist nicht nur für Systeme vom Typ Logos und SYSTRAN zwingend; sie gilt auch für MU-Projekte, die auf der Basis umfassender einzelsprachlicher und kontrastiver empirischer Untersuchungen eine "datengetriebene" Operativitätsebene anvisieren, die etwa in der Mitte zwischen BAR-HILLELs Konzeption einer "Fully Automatic High-Quality Translation" (1960; 1966) und maschinengestützten Systemen liegt. Dazu zählt auch das System SUSY, das vom Sonderforschungsbereich 100 "Elektronische Sprachforschung", Universität des Saarlandes, Saarbrücken (im folgenden SFB 100) im Zeitraum 1973 - 1986 ent-

186 wickelt worden ist. (Seit 1987 wird in Saarbrücken auf der Grundlage der im SFB 100 gewonnenen Erfahrungen an einem Projekt "Mensch/Maschine-Schnittstelle am Übersetzerarbeitsplatz" gearbeitet.) SUSY beruht auf einer Konzeption, die man als Kompromiß zwischen einem theoretischen und einem praxisbezogenen System bezeichnen kann (BLATT et al. 1985). Ziel sind Teilbeschreibungen von Sprachen (vorwiegend Deutsch und Englisch), die als Grundlage für ein operatives Mü-System dienen können. Fazit und Ausblick Bei ihren gegenwärtigen und zukünftigen methodischen Uberlegungen wird die Mü-Forschung, so wie in der Vergangenheit auch, vor allem folgende Gesichtspunkte beachten müssen: Ausschlaggebend für den Erfolg eines Mü-Systems ist zunächst einmal die Qualität der Wörterbuchkomponente, die man sich entweder als Stammformenwörterbuch mit einer kanonischen Lemmaform (z.B. "komm-"), ergänzt durch ein davon unabhängiges Flexionswörterbuch, oder als Wortformenwörterbuch, das alle (oder die wichtigsten) Flexionsformen eines Lemmas auflistet (z.B. kommen, kommt, kam, gekommen) vorstellen kann. Insgesamt sind dem Volumen eines jeden Wörterbuchs Grenzen gesetzt, wenn man nicht im Programmablauf das Risiko einer "kombinatorischen Explosion" ("ripple effects") eingehen will, die zwangsläufig eintritt, wenn zu viele Informationen interaktiv vernetzt sind. Daher neuerdings die Forderung nach "intelligenten" Wörterbüchern (WACHOWICZ 1986, 226). Damit ist gemeint, daß der Worterbuchorganisator vor allem beim Aufbau von Fachwortschätzen ökonomisch verfahren muß: "Instead of trying to translate any possible message from Language, into Language2 (which potentially required that elusive complete analysis of both languages), machine translation would be limited to welldefined subsets of natural language for which all the rules could, in principle, be written out" (BARON 1986, 3) . Das, was BARON "subsets of natural language" nennt, entspricht m.E. ziemlich genau der "Sublanguage"-Konzeption (Kap.VIII), die für die Mü-Forschung immer wichtiger zu werden beginnt, weil man damit lexikalische Ambiguitätsprobleme (Kap.XI) u.U. entscheidend reduzieren kann. Dazu kommen folgende Überlegungen: Wenn die einzelnen Sublanguage-Bereiche hinreichend differenziert sind (also nicht: Medizin, sondern Gehirnforschung, Krebsforschung, Kardiologie, Orthopädie usw.), sind sie für den Übersetzer, der über einen modernen PC-ausgerü-

187 steten Arbeitsplatz verfügt, leichter handhabbar als Großwörterbücher, die nur auf einem "main-frame"-Rechner implementiert werden können. Ein Rechner kann von einer Situation im allgemeinen und von einer Ubersetzungssituation im besonderen keine systeminterne, problemorientierte Beschreibung liefern. Wenn man die vielfältigen Probleme der MO lösen will, muß man also nach Verfahrensweisen suchen, die den Rechner (bzw. das von ihm abzuarbeitende Programm) da entlasten, wo die Strukturverschiedenheiten zwischen menschlicher Obersetzungstätigkeit und maschinellen Transferprozeduren am eklatantesten sind, nämlich in der Fähigkeit, komplexe Sinneinheiten situativ einzuordnen und gleichzeitig syntaktisch/semantisch zu verarbeiten. Auf eine kurze Formel gebracht, rühren die Schwierigkeiten der Mt) daher, daß der Rechner kein Faksimile des menschlichen Gehirns ist. Das Gehirn ist, in Adolf PORTMANNs Formulierung, eine "instrumentale Führungsstruktur", in der Platz ist für habituelle Strukturen und für kreative Eigenschaften. Diese Führungsstruktur ermöglicht es dem Menschen, Entscheidungsprozesse in Gang zu setzen und Problemlösungsstrategien zu entwickeln, an denen die imaginativen, kombinatorischen und differenzierenden Kräfte des Bewußtseins in situations- und textspezifischer Weise beteiligt sind. Während sich der Übersetzer bei der Problemlösung von empirisch abgesicherten Plausibilitätsüberlegungen leiten läßt, in die oft ganz persönliche, inviduell gefärbte Wert- und Normenvorstellungen einfließen, handelt es sich bei einem Mü-Verfahren um einen schematischen, durch die Abfolge der einzelnen stratifikationell organisierten Programmschritte (Programmoduln) bestimmten Programmablaufmechanismus, der den einzuschlagenden Lösungsweg von Anfang bis Ende rigoros vorschreibt. Die Parallelität zur automatischen Montage ist augenfällig: "Die automatische Montage läßt Änderungen an Teilen nach Produktionsbeginn gar nicht oder nur in sehr geringem Umfange zu. Montageroboter sind eben weit weniger flexibel als Menschen. Daraus resultiert die Forderung: Die der Produktion übergebene Konstruktion muß (möglichst) "änderungssicher" sein. Erfüllen läßt sich diese Forderung nur dann, wenn der Konstrukteur verstärkt vom Denken in Teilen zum Denken in Baugruppen übergeht, wenn er seine Konstruktion, sein Teil in die übergeordnete Baugruppe "hineindenkt" und Funktionen und Produzierbarkeit der Baugruppen denen des Teils überordnet. Mit dem rechnerunterstützten Entwurf, der das Zusammenwirken der einzelnen Bauteile in der Baugruppe auf dem Bildschirm ... einsichtig und durchschaubar macht, hat die moderne Konstruktionstechnik eine wesentliche Voraussetzung für diese Vorgehensweise geschaffen" (Hans-Dieter JORISSEN, FAZ 2/11/83).

188 Alle Komponenten des Ausgangstextes müssen so in eine Datenstruktur umgesetzt werden, daß ein Parser effizient darauf zugreifen kann. Solche Strukturierungen sind das Ergebnis von kognitiven Handlungen im Rahmen eines Abstraktionsprozesses. Unter Abstraktion ist nach AEBLI zu verstehen, daß zu mentalen Handlungen ein mathematisches Element dazukoirant (1980, 218ff.). Für den Ubergang von Handlungen zu Operationen ist algebraisches Denken notwendig. Dieses algebraische Denken artikuliert sich in Operationen, die viel subtiler strukturiert sind als nichtalgebraische Prozeduren. Daraus können algorithmische Formeln resultieren, die den Rechner langfristig in die Lage versetzen, mit einem relativ hohen Grad an syntaktischer (eventuell auch semantischer) Detailgenauigkeit zu operieren und den Abstand zwischen verständigungsorientiertem Handeln und algorithmischem Handeln, zwischen komplexen natürlichen (menschlichen) Systemen und artefaktartigen Systemen zu verringern. All dies verlangt einen langwierigen Lernprozeß des Menschen, in dem es darauf ankommt, prototypische und inferentielle Methoden sinnvoll miteinander zu verbinden. Ubersetzen wäre dann nicht mehr aufzufassen als ein mehr oder minder bewußter, aber letztendlich geheimnisvoller Prozeß, sondern als ein fertigkeitsorientiertes Operieren im Rahmen von Programmen, deren Herstellung man erlernen kann, so wie man beispielsweise Klavierspielen oder Fußballspielen oder Schachspielen lernen kann, weil es erlernbare Regeln gibt, nach denen ein solches Spiel abläuft. Die zuletzt gemachten Ausführungen laufen darauf hinaus, daß die Frage nach Gegenstand und Methode, nach den Möglichkeiten und Grenzen der Mü neu zu stellen ist. Man kann gelegentlich die Auffassung hören, daß es ein Zeichen für die Krise einer Wissenschaft ist, wenn in ihr Methodenfragen vordringlich werden. Ich möchte bezweifeln, ob dies für die MU zutrifft. Ich würde eigentlich eher sagen, daß die MU-Forschung erst jetzt, nach einem relativ langen Zeitraum der Unsicherheit über den richtigen Weg und der Ungewißheit über ihren Gegenstand und seine Beschaffenheit, gelernt hat, sachangemessene Fragen zu stellen. Es ist notwendig, diese neuen Einsichten zu einer methodischen Synthese zu verbinden. Heute zielt die MU-Forschung nicht mehr auf den Spezialfall und exerziert an herausgegriffenen Einzelfällen MU-Probleme beispielhaft durch, sondern sie sucht nach abstrakten, allgemeingültigen Darstellungsformen, die das Spektrum an maschinellen Operationsmöglichkeiten progressiv erweitern. Eine maschinelle "Kartierung" und "Bürokratisierung" der gesamten menschlichen Sprache erscheint dabei zwar theoretisch vorstellbar, aber praktisch keinesfalls wünschenswert und erst recht nicht machbar. Wo hier die Grenzen liegen, wird ansatzweise in Kap.X deutlich.

189

X. Syntaktische Probleme der maschinellen Obersetzung

Gründe für die Syntaxorientiertheit der maschinellen Ubersetzung Zu den Schwerpunkten der Mü-Forschung gehört die Beschäftigung mit dem Objektbereich Syntax. Dieses Interesse rührt einmal daher, daß die syntaktische Analyse für jede Art von Mü-System unabdingbar ist; ein anderer Grund ist, daß die Formalisierung oberflächensyntaktischer Abhängigkeitsbeziehungen im Satzrahmen trotz aller auch im Syntaxbereich beobachtbarer Schwierigkeiten weniger Probleme aufwirft als die Formalisierung semantischer Erscheinungen. Der Grund dafür ist, daß die Syntax einer Sprache eine begrenzte Regelmenge darstellt und daher algorithmisch leichter zu bewältigen ist als semantische Sachverhalte, die oft nicht in (algorithmische) Regelform gebracht werden können. Die MüForschung setzt diese Regelmenge einem algorithmischen Verarbeitungsprozeß aus, an dessen Ende die rechneradäquate Behandlung von Strukturbeziehungen steht, die dann in entsprechenden Mü-Programmen Brücksichtigung finden. Dabei hat sich herausgestellt, daß die Mü-Praxis, auch wenn sie über leistungsfähige syntaktische Analyseprogramme verfügt, syntaktisch mit begrenzteren Komplexitätsdimensionen arbeiten muß als der menschliche Obersetzer, der, wie jeder Sprachbenutzer, entweder auch größere textuelle Zusammenhänge auf Anhieb durchschauen und deshalb übersetzungsmethodisch entsprechend weiträumiger ansetzen (HÖRMANN 1976) oder mühelos Korrekturen vornehmen kann, wenn ihm bei der Verarbeitung syntaktischer Abhängigkeitsverhältnisse ein Irrtum unterlaufen ist. Beispieldiskussion Die Mü-Forschung hat syntaktische Fragestellungen auch deswegen favorisiert, weil sie sich auf die Tatsache stützen kann, daß formale Satzstrukturen in bestimmtem Umfang in sich selbst bedeutungstragend sind. So enthält der folgende, in strukturalistischem Zusammenhang oft diskutierte Nonsense-Satz (1) The diggled woggle ugged a woggled diggle ein als Agens fungierendes Subjekt, ein aktionsbezeichnendes Prädikat und ein als Aktionsziel (Patiens) fungierendes Objekt.

190 In den beiden folgenden Sätzen wirkt sich die unterschiedliche Position von "nicht" im Satzzusammenhang bedeutungsdifferenzierend aus: (2a) Er hat den ganzen Tag nicht ausgeruht (2b) Er hat nicht den ganzen Tag ausgeruht Im folgenden Satzpaar ergibt die unterschiedliche Position der beiden Wörter "Montag" und "übermorgen" ganz unterschiedliche semantische Lesarten: (3a) Montag ist erst übermorgen (Titel einer am Samstagabend ausgestrahlten Musiksendung des Südwestfunks) (3b) übermorgen ist erst Montag (und nicht etwa schon Dienstag oder Mittwoch) Da wo syntaktische Linearität unmittelbar semantisch relevant ist, anders ausgedrückt, da wo die Syntax eines Satzes und seine Bedeutung unmittelbar aufeinander abbildbar (koextensional) sind (Kap.IX), ist der maschinelle Zugriff zu einem Satz relativ leicht zu bewerkstelligen. So ist vorstellbar, daß ein entsprechend programmierter Rechner bei der Analyse der folgenden Sätze zwischen irrealer und konditionaler Modalität differenzieren kann, weil die Modalitätsunterschiede syntaktisch explizit sind und sich die Analyse auf die Verarbeitung kotextueller Informationen beschränken kann: (4a) (4b) (4c) (4d)

If he did it, he would be punished If he had done it, he would have been punished If he does it, he will be (might be) punished If he has done it, he has been (will be/must be) punished

Freilich sind solche (fast idealen) Analyse- und Transferbedingungen in der Sprachverwendung ziemlich selten. Dies gilt auch für mehr oder minder stark fachsprachlich markierte Texte. Die Vielzahl analyseerschwerender Faktoren, die die Abarbeitung komplizierter, langwieriger Suchprogramme erforderlich machen, veranschaulichen die folgenden Beispiele: (5a) It's a shame he never wins (5b) It's a game he never wins Die beiden Sätze, die von RUTHERFORD (1968) stammen, sind, vordergründig betrachtet, strukturgleich, weisen aber, wie die folgenden Paraphrasen zeigen, eine unterschiedliche Satzbedeutung auf: (5c) That he never wins is a shame (5d) He never wins this game RUTHERFORD hat darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen (5a) und (5b) nicht nur lexikalischer Natur ist, son-

191 dern daß die beiden Sätze, je nachdem, ob sie das Wort "shame" oder "game" enthalten, ein spezifisches syntaktisches Profil aufweisen. Das hängt damit zusammen, daß, funktional betrachtet, "it" in (5a) und in (5b) einen unterschiedlichen Status haben. Dies wird deutlich, wenn man "it" in (5a) durch "tennis" ersetzt: (5e) Tennis is a game he never wins Dagegen führt die Substitution von "it" durch "tennis" in (5b) zu einem semantisch nichtakzeptablen Satz: (5f) Tennis is a shame he never wins Die Erklärung dafür ist, daß "it" in (5a) als vorläufiges Subjekt syntaktische Stützfunktion hat (RUTHERFORD nennt diese Funktion ""extraposed" it"; 1968, 72), wogegen "it" in (5b) die Eigenschaft eines eigentlichen Subjekts hat. Das Programm muß hier mit dem unterschiedlichen Status von "shame" und "game" fertig werden: "shame" kann als Komplement einen "that"-Satz nach sich ziehen; ein "that" (oder "which") nach "game" kann nur als Relativsatz interpretiert werden. Ein anderes gravierendes Problem für die maschinelle Analyse ist das häufige Vorkommen von sog. "discontinuous constituents"; sie sind die Folge einer Strategie, die darin besteht, daß in ein noch nicht abgeschlossenes Satzsegment ein anderes Satzsegment eingeschoben und dadurch das Linearitätsprinzip durchbrochen wird. Dazu die beiden folgenden Beispiele: (6)

This means that in order for the rules to serve their intended purpose it is necessary that a fluent speaker exercises his linguistic abilities to guide their application

(7a) Since East-West trade is a larger factor in European than in American economic activity, not a few of my countrymen attribute European reluctance to adopt sanctions against Poland and the Soviet Union simply to financial motives In (6) wird der erste "that"-Satz durch einen mit "in order" eingeleiteten und durch die Fortsetzung mit "for the rules" in sich komplexen Infinitivsatz unterbrochen. Die Unterbrechung ist so lang, daß ein Rechner bei der syntaktischen Abarbeitung des Gesamtsatzes mit programmaufwendigen Rückkoppelungsmechanismen arbeiten muß. Dies gilt insbesondere, wenn teilsatzabgrenzende Satzzeichen fehlen, ein Umstand, der den Parsing-Aufwand zweifelsohne erheblich vergrößert. Derlei Komplikationen hätte der Autor vorbeugen

192 können, wenn er sich etwas "rechnerfreundlicher" ausgedrückt hätte; davon wird weiter unten die Rede sein. In (7a) geht es um die kotextuelle Distanz zwischen "adopt" und "(simply) to financial motives". Angenommen, in einem Analyseprogramm gibt es eine Regel, daß zu "attribute" eine mit "to" angebundene Ergänzung treten muß, ist naheliegend, daß der Rechner bei der Komplementsuche zunächst das bei "adopt" stehende "to" daraufhin untersucht, ob es die geforderte formalsyntaktische Valenz befriedigt. Das Ergebnis ist negativ, weil diesem "to" ein Infinitiv folgt, und eine Infinitivkonstruktion als Komplement zu "adopt" nicht möglich ist. Der Rechner muß also im Rahmen einer zyklischen Abarbeitung der einzelnen syntaktischen Probleme weitersuchen und stößt frühestens in einem zweiten Anlauf, nach vorläufigem "side-tracking" der Infinitivkonstruktion "to adopt sanctions against Poland and the Soviet Union", auf die von "attribute" geforderte präpositionale Ergänzung. Hätte der Satz gelautet (7b) ... attribute simply to financial problems (the) European reluctance to adopt sanctions against Poland and the Soviet Union ..., wäre der Analyseaufwand vermutlich niedriger, ein Umstand, der, wie noch zu zeigen sein wird, kumulativ erheblich zu Buch schlagen dürfte. Ein weiterer Komplikationsfaktor sind syntaktische Ellipsen, wie aus folgendem Beispiel deutlich wird: (8) Wenn phänomenologische Beschreibung einen methodischen Sinn hat, dann gewiß den, daß sie durch individuell nachvollzogene Meditation überprüft, nicht aber intersubjektiv getestet werden kann. Im Rahmen unserer Überlegungen richtet sich unser Interesse nicht auf die Textstelle "dann gewiß den, daß ...", obwohl es bei der Programmierung wegen der elliptischen Ausdrucksweise einiges an syntaktischen Problemen zu knacken geben dürfte, sondern auf das hinter "überprüft" aus sprachökonomischen Gründen fehlende "werden kann". Es steht zu erwarten, daß der Rechner "überprüft" in einem ersten Durchlauf als finite Verbform interpretiert, weil diese Zuordnung im Rahmen einer Analyse der unmittelbaren kontextuellen Nachbarschaftsbeziehungen naheliegt und weil er dieses Ergebnis erst im Rahmen einer erweiterten, den Gesamtsatz einbeziehenden Links/Rechts-Analyse korrigieren kann. Noch verwickelter sind die syntaktischen Identifizierungsprobleme, wenn sich ein Autor ohne erkennbaren Sachzwang einer Ausdrucksweise bedient, die selbst den menschlichen Leser zu Rückkoppelungsschleifen in Form einer Zweit- oder gar Drittlektüre eines Satzes zwingt:

193 (9a) Therefore, despite the fact that this first general summary of the rules of a transformational grammar of English has long since become antiquated, since the requests for a single-volume compendium continue unabated, I have agreed to reissue it without revision Die logische Abfolge der einzelnen Argumente ist mißglückt, ein Umstand, der sich auf die maschinelle Analyse mindestens insofern negativ auswirkt, als die heutigen Möglichkeiten der kotextuellen Nachbarschaftsanalyse nicht ausreichen, um einen Bezug zwischen "therefore" und "I have agreed ..." herzustellen. Dazu kommt die Deplaziertheit des mit "since" eingeleiteten Gliedsatzes, der eigentlich hinter dem Hauptsatz seinen Platz haben müßte und nur dann vor dem Hauptsatz stehen dürfte, wenn der mit "despite the fact that" eingeleitete Konjunktionalsatz an das Satzende gerückt worden wäre: (9b) Therefore, despite the fact that ..., I have agreed to re-issue it without revision, since ... (9c) (Therefore,) since ... unabated, I have agreed to re-issue it without revision, despite the fact that ... Die Diskussion solcher Beispiele könnte ad infinitum fortgesetzt werden. Sie zeigen, daß es bei der maschinellen syntaktischen Analyse von Satzkonfigurationen eine Komplexitätsobergrenze gibt, die um so mehr beachtet werden muß, als die semantische Analyse von Sätzen (oder gar von Texten) noch ganz am Anfang steht. Man muß also, zumindest vorläufig, nach anderen, weniger ambitionierten Lösungsstrategien Ausschau halten. Jemand hat einmal treffend gesagt, daß der schnelle Computer an einem langsamen Tropf hängt. Es ist also zu fragen, ob man den Tropf nicht schneller machen kann. Darauf gibt es zwei Antworten: 1. Die Linguistik muß erheblich mehr linguistische Regeln ermitteln und diese in syntaktische Analyseprogramme optimal integrieren. 2. Man kann pragmatisch vorgehen und die Verfasser von Mürelevanten Texten anleiten, syntaktische Vereinfachungsgesichtspunkte zu beachten. Argumente für syntaktische Einfachstrukturen und Beispieldiskussion Zu 2. möchte ich ein paar Bemerkungen machen, die sich an den Möglichkeiten einer einfachen syntaktischen Ausdrucksweise orientieren. Diese Bemerkungen werden von den MU-Experten vielleicht belächelt oder als Mü-Defätismus kritisiert, aber sie haben angesichts der vielen ungelösten Mü-

194 Probleme vielleicht doch ihre Berechtigung. Allerdings ist es mit der globalen Postulierung von syntaktischen Einfachheitsparametern nicht getan; man muß, wenn man mit syntaktischen Vereinfachungsstrategien arbeiten will, eine genaue Kenntnis des betreffenden Mü-Systems und seines deklarativprozeduralen Regelapparats besitzen. Ich möchte meine Überlegungen nicht abstrakt anstellen, sondern anhand von zwei Beispielen, die, so hoffe ich, mit einem kurzen Kommentar versehen, aus sich selbst heraus verständlich sind. Beim ersten Beispiel handelt es sich um einen Satz aus einem Text mit fachsprachendidaktischer Themenstellung: (10a) Die im zweiten Teil des Referats zur Didaktik der Fachsprache auf diese Weise aufgewiesene Strukturierung eines zunächst völlig amorphen, unübersichtlichen Objektbereichs ist mit gewissen Modifikationen für die fachliche Kommunikation der verschiedensten Wissenschaftsbereiche, d.h. konkret für Fachtexte der verschiedensten Art charakteristisch Die syntaktische Komplexität dieses Satzes wird deutlich, wenn man sie drucktechnisch sichtbar macht und den Satz rückparaphrasiert: (10b) Die im zweiten Teil des Referats zur Didaktik der Fachsprache auf diese Weise aufgewiesene Struktur ierung eines zunächst völlig amorphen, unübersichtlichen Objektbereichs ist mit gewissen Modifikationen für die fachliche Kommunikation der verschiedensten Wissenschaftsbereiche, d.h. konkret für Fachtexte der verschiedensten Art charakteristisch Die Sätze (10a) bzw. (10b) kann man u.a. folgendermaßen paraphrasieren: (10c) Im zweiten Teil des Referats zur Didaktik der Fachsprache wurde auf diese Weise ein Objektbereich strukturiert, der zunächst völlig amorph und unübersichtlich ist. Diese Strukturierung ist mit gewissen Modifikationen für die fachliche Kommunikation der verschiedensten Wissenschaftsbereiche charakteristisch und ist konkret auf Fachtexte der verschiedensten Art anwendbar (lOd) Der zweite Teil dieses Referats befaßt sich mit der Didaktik der Fachsprache. Hier wurde ein Ob-

195 jektbereich strukturiert, der zunächst völlig amorph und unübersichtlich ist. Diese Strukturierung ist mit gewissen Modifikationen für die fachliche Kommunikation der verschiedensten Wissenschaftsbereiche charakteristisch und ist konkret auf Fachtexte der verschiedensten Art anwendbar (lOe) Der zweite Teil dieses Referats befaßt sich mit der Didaktik der Fachsprache. Hier wurde ein Objektbereich strukturiert, der zunächst völlig amorph und unübersichtlich ist. Diese Strukturierung ist, wenn man sie entsprechend modifiziert, für die fachliche Kommunikation der verschiedensten Wissenschaftsbereiche charakteristisch; man kann die Strukturierung konkret auf Fachtexte der verschiedensten Art anwenden Beispiel (10a) repräsentiert das Textsegment in seiner gedruckten Fassung. Diese Fassung zeigt Merkmale, wie sie für eine unnötig verkomplizierte Syntax typisch sind: 1. ein erweitertes Partizipialattribut ("im zweiten Teil ... aufgewiesene"); 2. ein Genitivattribut zu "Strukturierung" ("eines ... Objektbereichs" ); 3. eine Adverbialphrase nach der Kopula "ist" ("mit gewissen Modifikationen"); 4. ein Genitivattribut und eine Apposition zur Adjektivergänzung des prädikativ gebrauchten Adjektivs "charakteristisch" ("der ... Art"). In Beispiel (10b) wird durch Unterstreichung die Basisstruktur des betreffenden Satzes hervorgehoben. Beispiel (10c) macht aus dem adjektivischen Attribut "zunächst völlig amorphen, unübersichtlichen" ein Attribut in Form eines Relativsatzes. Insgesamt stellt diese Variante den Versuch dar, das ursprüngliche Satzgefüge in zwei Einzelsätze zu unterteilen. Durch den Einschub "diese Strukturierung" am Anfang des zweiten Satzes wurde eine Pronominalisierung, etwa in Form von "dies", vermieden. Die Umgehung von Pronominalisierungen ist unter dem Mü-Aspekt wichtig, weil die richtige Zuordnung von Pronomina eine der größten transphrastischen Schwierigkeiten auf dem Gebiet der maschinellen Textanalyse sein dürfte (Kap.XI). Beispiel (lOd) besteht aus drei Sätzen. Der erste Satz ist eine intralinguale transpositionelle Obersetzung: Das Adverbiale "im zweiten Teil des Referats" wird Subjekt. Das Attribut "zur Didaktik der Fachsprache" wird Präpositionalobjekt; diese syntaktische Umordnung wird möglich durch die Einfügung einer Verbphrase "befaßte sich mit". Das Segment "auf diese Weise" entfällt ersatzlos. Im übrigen folgt (lOd) der syntaktischen Strukturierung von (10c).

196 Beispiel (lOe) hebt sich von (10c) und (lOd) durch die Umformulierung von "mit gewissen Modifikationen" durch einen mit "wenn" eingeleiteten Gliedsatz ab; diese syntaktische Aufwertung vom Wortgruppenrang zum Satzrang ist dadurch motiviert, daß der Nebensatz semantisch expliziter ist als die Präpositionalphrase. Eine Aufteilung der Gesamtinformation von (10a) auf vier Sätze wird durch die Einfügung von "man" und "anwendbar" erreicht. Die Erklärung für die verschiedenen Paraphrasen liegt auf der Hand. Alle stellen den Versuch dar, die komplexe Syntax von (10a) durch syntaktische Vereinfachungsmanipulationen in überschaubare Satzkonfigurationen umzuwandeln und für den Transfer in eine andere Sprache günstigere syntaktische Ausgangsbedingungen zu schaffen. Damit soll nicht gesagt sein, daß ein leistungsfähiges Mü-System außerstande wäre, Sätze mit hohem syntaktischem Komplexitätsgrad richtig zu analysieren. Ein Test hat gezeigt, daß das deutsche Analyseprogramm von SUSY mit (10a), von einer kritischen Stelle abgesehen, nämlich "d.h. konkret", keine prinzipiellen Schwierigkeiten hat; dies geht aus einem Auszug aus dem Analyseprotokoll hervor, der vereinfacht in dem folgenden Graphen veranschaulicht wird.

freie Erg.

die Slrvklurierung

mit Modifikationen

A

Adj. Gen. At(r. /

/

für die Kommunikation

I

Adj.

\

I

\

gewiss

d.h.

fachlich

der

charakteristisch

Gen. A t t r .

Adj. Gen. Attr.

/

für Fachtexte

I

A s

\

Wissenschaftsbereiche

I der Art

aufgewiesen

eines

A freie Erg.

freie Erg.

/

auf diese Weise

/

Adj.

freie freie A d j > A d j . Erg. Erg. \ "V

\

/

im Teil zunächst

Adj.

zweit

Objekthereichs

/tvl I

völlig

\

amorph

verschieden

Adj. verschieden

\ unübersichtlich

G«n. Attr.

\

des

Referats

freie Erg.

der

Fachsprache

Die Strukturen sind als Abhängigkeits(teil)bäume dargestellt. Die Kanten stellen Relationen (Abhängigkeiten) dar. Die Art der Relationen ist jeweils auf den Kanten notiert. Es werden hier folgende Relationen unterschieden: Nom. Nominativ freie Erg. freie Ergänzung Gen. Attr. Genitivattribut Adj. Adjektiv (attributiv)

Der Graph, den die Mitarbeiter des Teilprojekts Mü Englisch-Deutsch des SFB 100 nach Auswertung des Analyseprotokolls erstellt haben, zeigt einen m.E. relativ hohen Analyseaufwand. Entsprechendes würde für die Satzsynthese gel-

197 ten. Deswegen wäre zu überlegen, ob man mit Hilfe syntaktischer Restriktionen den Analyse- und Syntheseaufwand nicht senken und damit die M ü auf eine kostengünstigere Input/ Output-Basis stellen kann. Uber die Art und Weise, wie die Reduzierung von komplexen Satzgebilden in syntaktische Basisstrukturen vor sich geht, lassen sich vermutlich nur in begrenztem Umfange operative Regeln aufstellen. Rückparaphrasen sind ihrem Wesen nach sog. "Random"-Operationen, d.h., Art und Umfang der Rückparaphrasen ergeben sich von Fall zu Fall. Aus diesem Grund sind sie auch nicht - oder nur partiell - regulärisierbar. Zwischen komplexen syntaktischen Strukturen und einfachen syntaktischen Strukturen bestehen keine systematischen Squivalenzbez iehungen. Für die Mü ist die Anwendung syntaktischer Einfachstrukturen aus folgendem Grund wichtig: Sie verweisen auf die zentrale Rolle der Syntax beim Obersetzen. Jeder Ubersetzer weiß, und dies gilt in verstärktem Maße für die Mü, daß syntaktische Nicht-Eins-zu-Eins-Entsprechungen einen Großteil der beim interlingualen Transfer zu lösenden Ubersetzungsschwierigkeiten darstellen. In solchen Fällen hat der Ubersetzer dann nicht die Wahl zwischen wörtlicher Übersetzung und nichtwörtlicher Übersetzung; er muß vielmehr nichtwörtlich übersetzen. Da nichtwörtliche Ubersetzungen immer mehr Verarbeitungskapazität erfordern als wörtliche, ist es naheliegend, die für die maschinelle Verarbeitung vorgesehenen Texte in einer Syntax zu schreiben, die im Rahmen einer einfachen as syntaktischen Analyse, eines einfachen strukturellen Transfers und einer einfachen zs Synthese bleibt. Das zweite Beispiel ist das Vorwort zu einer didaktischen Untersuchung (Bewertung von Schulaufsätzen): (IIa) Wenn in der vorliegenden Abhandlung der Versuch unternommen wird, in die zentrale Problematik der hermeneutisehen Wissenschaft zur Problematik (literarischer) Wertung vorzustoßen und gleichzeitig 5 eine Methode sprachpädagogischer Textwertung zu entwickeln, die sich der Hilfe moderner Technologie bedient, so muß vorweg betont werden, daß nicht daran gedacht wird, durch maschinelle Verrechnung von Punktwerten die subjektiven Elemente 10 des Erkennens zu eliminieren. Denn es ist nicht möglich, durch Erkennen der Gesetzlichkeit unseres Gegenstandes (Text) ihn sozusagen zu beherrschen (Gadamer 1960, S. 429), wie man beispielsweise die elektronischen Maschinen "beherrscht", 15 die bei der Durchführung des zu entwickelnden Verfahrens Entscheidungshilfen errechnen. Hauptzielsetzung der Arbeit ist vielmehr, mit der Beschreibung des Vertextungsprozesses, durch den

198

in Situationen des Aufsatzunterrichts individuel20 le Entscheidungen über intentionsgerechte Normdurchbrechung und Normerfüllung herbeigeführt werden, auch die besondere Notwendigkeit individueller Bewertung von Schulaufsätzen aufzuzeigen. Andererseits ist es in der pädagogischen Praxis 25 notwendig, Aufsatztexte zu vergleichen, zu überprüfen, ob Lernziele erreicht worden sind und für die Abwicklung von Verwaltungsarbeiten Werturteile in Notenziffern auszudrücken. Wenn dieser Wechsel vom individuellen Werturteil zur quanti30 fizierenden Notenziffer in der Literatur zur Aufsatzbeurteilung bisher überhaupt problematisiert worden ist, so hat dies meistens dazu geführt, daß man die Abschaffung der Aufsatzzensur gefordert hat. 35 Erst mit der detaillierten Herausarbeitung derjenigen Vorgänge, durch die beim Korrigieren von Aufsätzen individuelle Wertung stattfindet, und derjenigen Maßnahmen, durch die eine quantifizierende Überprüfung des Lernerfolgs vorgenommen 40 wird, können die spezifischen Schwierigkeiten pädagogischer Textwertung sichtbar werden. Aufgrund einer Analyse dieser Schwierigkeiten soll der Versuch unternommen werden, diejenigen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Methoden zu 45 nutzen, durch die ein neues Verfahren pädagogischer Textwertung möglich scheint. Das stilistisch dominierende Merkmal dieses Textes ist seine syntaktische Komplexität, die, vom Sachverhalt her gesehen, nicht zwingend erforderlich ist. Besonders augenfällig ist diese Komplexität im ersten Textsatz, der aus 58 Wörtern besteht. Nun ist die Zahl der Worter in einem Satz nicht unbedingt ein Kriterium für syntaktische Komplexität; es gibt verhältnismäßig kurze Sätze, die syntaktisch (und damit nicht selten auch semantisch) ungleich komplizierter sind als lange Sätze. Deshalb hat BARTSCH zu Recht auf "die gegenläufige tendenz von ökonomischer, d.h. kurzer und in diesem sinne einfacher oberflächenform - einfach, da sie weniger kurzzeit-gedächtnis beansprucht - und perzeptueller komplexität andererseits" hingewiesen (1973, 17; vgl. auch GARDINER 1963, 321). In unserem Fall sind die erwähnten 58 Wörter - und dies gilt auch für die nächsten Textsätze - syntaktisch allerdings in einer Weise verschachtelt, daß, etwa im Rahmen eines Pre-editing, eine syntaktische Rückparaphrase (oder in NIDAs (1964) Terminologie, eine "back-transformation") angezeigt ist. Damit kann man komplexe syntaktische Strukturen in einfachere Strukturen ("near-kernels"; NIDA/TABER 1969, 154) umwandeln, die ein ganz anderes syntaktisches Profil des Ausgangstextes ergeben. Ziel der Rückparaphrase ist die Entlastung des Analyseprogramms, das auch bei Vor-

199 handensein eines umfangreichen syntaktischen Parsers überfordert ist, weil seine kombinatorischen Möglichkeiten für die Identifizierung der vielfach verschlungenen syntaktischen Abhängigkeitsbeziehungen nicht ausreichen. Eine Rückparaphrase von (IIa) könnte unter Inkaufnahme stilistischer Unzulänglichkeiten (s.u. in diesem Kap.) etwa folgendermaßen aussehen: (IIb) Die vorliegende Abhandlung hat zwei Ziele: erstens, in die zentrale Problematik (literarischer) Wertung vorzustoßen; zweitens, eine Methode pädagogischer Textbewertung zu entwickeln: 5 Letztere muß eine moderne Technologie benutzen. Ich beabsichtige jedoch nicht, die subjektiven Elemente des Erkennens dadurch zu eliminieren, daß ich vorschlage, Punktwerte maschinell zu verrechnen. Denn es ist nicht möglich, einen Text 10 dadurch zu beherrschen, das man seine Gesetzlichkeiten sozusagen beherrscht (Gadamer 1960, S. 429). Im Gegensatz dazu kann man elektronische Maschinen "beherrschen". Sie können Entscheidungshilfen errechnen, wenn man neue Verfahren 15 entwickeln will. Das Hauptziel der Arbeit ist es (vielmehr), Vertextungsprozesse zu beschreiben. Vertextungsprozesse verdeutlichen individuelle Entscheidungen über sachgerechte Normdurchbrechungen und Normer20 füllungen. Deshalb ist es notwendig, Schulaufsätze individuell zu bewerten. Außerdem ist es in der pädagogischen Praxis notwendig, Aufsätze zu vergleichen. Solche Vergleiche machen folgendes möglich: Man kann überprüfen, ob der Schüler sei25 ne Lernziele erreicht hat; man kann Werturteile in Notenziffern ausdrücken. Dies bedeutet einen Wechsel vom individuellen Werturteil zur quantifizierenden Notenziffer. Die Fachliteratur hat diesen Wechsel bisher wenig diskutiert. Das Er30 gebnis war meistens, daß man gefordert hat, die Aufsatzzensur abzuschaffen. Man kann außerdem die spezifischen Schwierigkeiten pädagogischer Textbewertung sichtbar machen. Dafür sind zwei Maßnahmen erforderlich: Erstens 35 muß man jene Vorgänge untersuchen, die dazu führen, daß man einen Aufsatz individuell bewerten kann. Zweitens muß man jene Faktoren ermitteln, die notwendig sind, wenn man einen Lernerfolg auf quantifizierende Weise überprüfen will. Die Ana40 lyse dieser Schwierigkeiten verfolgt das Ziel, aktuelle fachwissenschaftliche und fachdidaktische Methoden zu nutzen. Diese Methoden ermöglichen wahrscheinlich ein neues Verfahren pädagogischer Textbewertung.

200

Sehen wir uns zunächst den ersten Textsatz des Originaltextes an: Das Vorfeld dieses Satzes ist durch einen umfangreichen adverbialen Gliedsatz besetzt. Das Subjekt dieses Satzes ("Versuch", Z.l) ist attributiv ergänzt durch zwei nebengeordnete, parataktisch verbundene Infinitivsätze, wobei das Objekt des zweiten Infinitivsatzes wiederum mit einem Relativsatz erweitert ist. Das Subjekt des passivischen (Haupt-)Satzes ist durch einen "daß"-Satz im Nachfeld realisiert. Im Nachfeld dieses "daß"-Satzes steht ein Infinitivsatz als Ergänzung des adverbialen Komplements "daran" (Z.8). Das Resultat der Rückparaphrasierung (die natürlich nur eine unter mehreren Möglichkeiten darstellt), ist folgendes: Zuerst kommt ein Hauptsatz mit zwei, durch Doppelpunkt abgesetzten und mit "erstens" bzw. "zweitens" eingeleiteten Infinitivsätzen. Dann folgen zwei aktivische Hauptsätze. Der erste weist eine einfache Subjekt-Prädikat-ObjektStruktur auf; der zweite besteht aus einem Hauptsatz mit Infinitivsatz mit Objektfunktion im Nachfeld. Das kataphorische "dadurch" leitet zu einem "daß"-Satz über, wiederum mit angehängtem Infinitivsatz mit Objektfunktion im Nachfeld. Durch die Paraphrasierung, die übrigens ohne erkennbaren Informationsverlust als Nebeneffekt eine Einsparung von zwölf Wörtern erbringt, wird der Originalsatz syntaktisch deutlich transparenter. Dies hat den Vorteil, daß dem Analyseprogramm erheblich weniger Analyseaufwand abverlangt wird. Ein Hauptkennzeichen der syntaktischen Satzparaphrase ist die gegenüber dem Originalsatz größere Zahl an finiten Verbformen. Diese sind für das Textverständnis und für die automatische Textanalyse als syntaktische Orientierungspunkte wichtig. Die Satzsteuerungsfunktion des Prädikats ist in kürzeren Sätzen leichter analysierbar, weil das Verhältnis zwischen verbalen und nominalen Satzkonstituenten eher ausgewogen ist als in längeren Sätzen. Ausgewogenheit heißt, daß ein relatives Gleichgewicht zwischen nominalen und verbalen Textelementen besteht. Ausgewogenheit bedeutet nicht eine Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen verbalen und nominalen Konstituenten. Ein wesentlicher Faktor syntaktischer Komplexität ist der oft überdimensionale Ausbau der Satzbasisstruktur. Solche Ausbauelemente sind, von Nebensätzen abgesehen, Präpositionalgruppen, Uberfrachtung des Satzvorfeldes, attributive Ergänzungen der einzelnen Satzglieder, Satzeinbettungen in Form von erweiterten Partizipialkonstruktionen, Parenthesen etc. Wie der erste Satz, so ist auch der mit "erst" beginnende, aus 36 Wörtern bestehende Satz zu Beginn des dritten Absatzes (Z.35ff.) ein Beispiel für die überfrachtung des Satz-

201 Vorfeldes. Hier erfährt der Leser erst gegen Satzende, wo Subjekt und Prädikat des Hauptsatzes lokalisiert sind. Er kann sich also erst verhältnismäßig spät, nach Speicherung einer Fülle von syntaktischen Informationen im Kurzzeitgedächtnis, ein Bild von der syntaktischen Konfiguration des betreffenden Satzes machen. Der kognitive Aufwand, den der menschliche Empfänger treiben muß, wenn er sich hier syntaktisch (und damit auch semantisch) zurechtfinden will, läßt die Schwierigkeiten der automatischen Syntaxanalyse ahnen. Das Programm muß hier algorithmische Schwerstarbeit verrichten. Deshalb ist auch bei dieser Rückparaphrasierung das Ziel, durch die Rückführung komplexer syntaktischer Strukturen auf einfache Strukturen die Ausgangsbedingungen für die maschinelle Analyse zu verbessern. Dabei sind Zahl und Umfang der jeweils erforderlichen Paraphrasierungsoperationen ein Maßstab für den linguistischen (und verstehenspsychologischen) Komplexitätsgrad des jeweiligen Textteils. Die Paraphrasierung bewirkt, daß der Rechner den Text syntaktisch ungefähr ranggleich (als wörtliche Ubersetzung) bewerkstelligen kann. Allerdings muß er, anders als im ersten Textsatz, wo durch die Paraphrase zwölf Wörter eingespart werden konnten, hier eine im Vergleich zum Originalsatz um zwölf Wörter größere Textmenge bewältigen.

Argumente gegen syntaktische Vereinfachungsstrategien Ich nehme an, die zwei zuletzt diskutierten Beispiele machen klar, wo ich kurzfristig eine Verbesserung der Erfolgsbedingungen der Mü sehe. Bei syntaktisch komplexen Texten ist eine maschinelle Verarbeitung in methodisch festgelegten Einzelschritten offenbar nur mit einem Riesenaufwand an maschinellen Analyseprozeduren möglich. Deshalb muß man sich überlegen, wie maschinelle Analyseprozeduren und entsprechende maschinelle Syntheseprozeduren - sinnvoll beschränkt werden können. Ein Schritt in die richtige Richtung könnte eine Art syntaktischer "Lemmatisierung" sein, mit der dreierlei erreicht werden soll: 1. Sie soll dem Linguisten ersparen, für eine Unzahl von syntaktischen Möglichkeiten unablässig neue, eindeutige Regeln schreiben zu müssen, die womöglich den bereits erarbeiteten und programmierten Regelapparat durcheinanderbringen. 2. Sie soll zu einer Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine führen, die die Vorredaktion/Nachredaktion des maschinell zu übersetzenden Textes bzw. des maschinell übersetzten Textes auf das absolut Notwendige reduziert. 3. Die syntaktischen Abhängigkeitsbeziehungen, und zwar nicht nur die satzinternen, sondern auch und vor allem die transphrastischen, sollen so explizit wie möglich sein, um

202 Koextensionalität zwischen formaler Syntax und semantischer Syntax zu erreichen. Ob das, was ich unter 1. bis 3. formuliert habe, realistisch ist, hängt nicht zuletzt von den an einem Mü-Projekt beteiligten Personen ab, vom Linguisten, der den Informatiker zu seinen Überlegungen hinzuziehen und mit ihm zusammen praktikable Lösungsvorschläge ausarbeiten soll, und vom Informatiker, der die vom Linguisten offerierten Vorgaben in sein Programm integriert und sein Rechnermodell experimentell überprüft. Es ist möglich, daß meine Ausführungen mancherorts gemischte Gefühle wecken, und zwar aus Gründen, auf die noch kurz einzugehen ist: 1. Die vorgeschlagenen syntaktischen Vereinfachungs- und Vereinheitlichungsprogramme haben auch negative Implikationen, insofern als die technokratische Verwendung von Sprache zu stark in den Vordergrund tritt und der stilistische Freiraum für den Texthersteller unzulässig eingeschränkt wird. Die Sprache wird unter dem Zwang maschineller Erfordernisse massiv in die Zucht genommen. 2. Man kann die Durchsetzbarkeit solcher vom Rechner diktierter syntaktischer Normen bezweifeln und in diesem Zusammenhang auf vergleichbare Versuche verweisen, die wirkungslos geblieben sind, wie z.B. der von DODD (1955), der unter dem Titel "Model English" einen Aufsatz veröffentlicht hat, in dem die Einführung von maschinell orientierten Textnormen gefordert wird. 3. Parallel zur Mü-Forschung müßte man nach dem Muster von RANK XEROX (BLATT et al. 1985, 99ff.) für die Autoren fachsprachlicher Texte ein Formulierungstraining organisieren, das zum Ziel hat, den betreffenden Personenkreis mit den notwendigen syntaktischen Schreibkonventionen vertraut zu machen; d.h., das jeweils syntaktisch Zweckmäßigste wird ergriffen und mit dem Ziel eines optimalen Input/OutputVerhältnisses eingesetzt. Dies ist übrigens eine Sache, die im Hinblick auf die Defekte vieler fachsprachlicher Texte ("Ach was, jeder versteht doch, was ich meine") vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt besserer Textverständlichkeit für den Menschen nicht übel wäre (H. BÜHLER 1984; MAGNUSSON-MURRAY 1985; NORD 1986). Die Häufigkeit defekter Texte, die von der Ubersetzungspraxis immer wieder bemängelt wird (H. BÜHLER 1987, MS), kann ganz banale Gründe haben: "Translation may take over at any stage of the writing process, i.e. even before a 'satisfactory' stage has been achieved in the source language (SL) text and the translation may then be perfected, modified or further adapted in parallel with the SL text or separately ac-

203 cording to the specifications of use" (J.C. SAGER 1984, 334). Aber die Ursache für defekte Texte kann auch in der mangelnden Textherstellungskompetenz des Ausgangstextsenders liegen, und das kann zur Folge haben, daß die ohnedies oft problematische Verhaltenssicherheit des Übersetzers abbröckelt und er mit EntscheidungsZumutungen konfrontiert wird, die weit über das fairerweise von ihm Erwartbare hinausgehen . Gegen syntaktische Vereinfachungs- und Vereinheitlichungstendenzen könnte man auch einwenden, daß es in der Wissenschaft und in der Technologie Probleme gibt, die so kompliziert sind, daß man sie im Sinne eines "shallow approach" (NIRENBURG/CARBONELL 1986, 107) in einer einfachen Sprache nicht angemessen formulieren kann - quod esset demonstrandum. Oder man könnte kritisieren, daß hier einer Antirhetorik, einer "bereinigten" Sprache das Wort geredet wird, die sprachliche Durchschnittshandlungen mit stark formularhaftem Charakter favorisiert. Sprache wird ein Spiel mit Fertigelementen, mit Lego-Steinen, die nur noch semantische Elementaraussagen ermöglichen. Sprache wird verplant, normiert und reglementiert im Rahmen eines Sprachverständnisses, das dem frühen WITTGENSTEIN alle Ehre machen würde. Der Mensch wird zur Sprechmaschine abgerichtet, die einen syntaktischen Haut- und Knochenstil praktiziert. Also Triumph des Funktionalismus in Form sprachlicher Freiheitsberaubung? Eine von allen "dysfunktionalen" Elementen gereinigte Syntax als das fachtextstilistische Paradigma der Zukunft? Nicht die Sprache folgt dem Sprachbenutzer, sondern der Sprachbenutzer folgt maschinell verordneten Restriktionen; er steht sozusagen außerhalb der Sprache und praktiziert im buchstäblichen Wörtsinne abstraktes Sprachverhalten. Es dominiert das Prinzip des "weniger ist mehr", das übrigens VENTURI (1978) in exemplarischer Form in der puristischen Architektur von Walter GROPIUS, LE CORBUSIER und Ludwig MIES VAN DER ROHE und ihren gleichermaßen kühnen wie kühlen Raumkonfigurationen und mit ihrem Absolutsheitstraum des "konstruktiven Skeletts" verwirklicht sieht. Solche Bedenken kann man nicht mit einer lässigen Handbewegung abtun. Trotzdem: So berechtigt sie vordergründig sein mögen - die Gesamtperspektive ist falsch. Das Ziel der syntaktischen Standardisierung gilt nur für Texte, die maschinell verarbeitet werden sollen; meine Überlegungen sind pragmatisch, nicht theoretisch ausgerichtet. Texte sind unterschiedlich motiviert, und wir werden von ihnen in unterschiedlicher Weise ergriffen. Jedes Mü-Programm ist nur so gut wie die Annahmen, auf denen es beruht. Um ein Programm für textflächendeckende Mt) zu konstruieren, das überhaupt noch durchgerechnet werden kann und sich mit einer überschaubaren Operatorenhierarchie begnügt, kann man nur eine begrenzte Anzahl von syntaktischen Abhängigkeitsbeziehungen

204

berücksichtigen. Es ist zwar theoretisch möglich, aber praktisch unmöglich, alle in der Sprachverwendung nachgewiesenen und vielleicht irgendwann einmal vorkommenden syntaktischen Formulierungs- und Verhaltensweisen ökonomisch zu programmieren. Deshalb ist ein "linguistic core" (BARON 1986, 4) im Sinne einer "core-grammar" (CHOMSKY) erforderlich. Wenn man sprachliche Zusammenhänge mit dem gesichtslosen und geschichtslosen Funktionsprinzip des Rechners in Einklang bringen will, ist ein erhebliches Maß an syntaktischem Purismus unerläßlich, um die Ambiguitätsgefahr zu verringern und den Implementieraufwand in Grenzen zu halten. Syntaktische Einfachstrukturen sollen die möglichst ökonomische und gleichzeitig qualitativ bessere Verarbeitung syntaktischer Abhängigkeitsverhältnisse im Rechner ermöglichen. Das kann man z.B. dadurch erreichen, daß man in fachsprachlichen Texten, die Mü-relevant sind, alle Anaphern wegläßt und dafür mit lexikalischen Rekurrenzen arbeitet oder daß man die in fachsprachlichen Texten dominierenden, oft nur implizit ausgedrückten semantischen Relationen der Kausalität, der Konditionalität, der Temporalität, der Konzessivität und der Finalität oberflächenstrukturell durch entsprechende Konjunktionen explizit macht und auf Nominalisierungen gleich welcher Art verzichtet. Maschinell orientierte syntaktische Wohlgeformtheitsbedingungen gehorchen anderen Gesetzen als die syntaktischen Wohlgeformtheitsbedingungen in der freien, maschinellen Sachzwängen nicht unterworfenen Rede. Je weniger Beziehungen ein Textelement zu einem anderen Textelement aufweist, desto leichter ist es maschinell zu bewältigen. Sprachökonomie im maschinellen Kontext ist etwas anderes als Sprachökonomie im nichtmaschinellen Kontext. Daher empfiehlt es sich, von vornherein mit einer kontrollierten Syntax zu arbeiten und damit den maschinellen Rahmenbedingungen, so gut es geht, Rechnung zu tragen. Dazu ist ein bestimmtes Sprachverhalten und ein sprachliches Handlungswissen erforderlich, das auf eine neue modulartige Beweglichkeit des syntaktischen Operierens im Rahmen von kognitiven Gesamtstrukturen abzielt. Es geht darum, "relativ einfache Paradigmen für Basisprozesse im menschlichen Verhalten zu finden" (FISCH 1972, 18). Ein gutes Beispiel hierfür ist das französische Projekt TITUS (HUTCHINS 1986), das zwar primär eine Textildokumentation zum Ziel hat, aber im Rahmen der Ubersetzung von "Abstracts" auch Mü-relevant ist. Das zuletzt Gesagte klingt zugegebenermaßen ziemlich "technomorph", und es ist auch technomorph gemeint, weil man mit dem Rechner eben nur technomorph umgehen kann. Andererseits ist unleugbar, daß man sprachliche Zusammenhänge, auch solche fachsprachlicher Art, nur in begrenztem Umfang standardisieren und maschinell operationalisieren kann. Das hängt damit zusammen, daß Sprachverwendung weniger systematisch

205 ist als Sprachtheorie. Die von der Mü-Forschung im Rahmen syntaktischer Textstandardisierung erzielbaren Ergebnisse sind deshalb auch nur "lebensweltlich", nicht axiomatisch fundiert. Der beste Beweis dafür ist, daß die Alltagsforschung ein wichtiges Gebiet moderner philosophischer, soziologischer, anthropologischer und ethnomethodologischer Forschung geworden ist. Der Alltag, das, was alle Tage passiert oder passieren kann, ist keine homogene Einheit von Handlungs- und Bewußtseinsmustern. Der Alltag ist deshalb nicht nur objektiv determiniert; hier spielen auch subjektive Faktoren eine wichtige Rolle. Der Alltag ist keine durchgängig gestanzte Erfahrungswelt. Wir alle haben unsere individuellen Wünsche, Bedürfnisse und Illusionen. Die Menschheit hat inzwischen ja auch begriffen, daß nicht alles berechenbar, konstruierbar und planbar ist, daß die kritische Vernunft nicht ausreicht, um alles in vernünftige und verantwortbare Bahnen zu lenken (GUGGENBERGER 1987). Hier werden Reflexionen der modernen arbeitsteiligen Industrie- und Konsumgesellschaft über sich selbst notwendig. Obwohl die totale Domestizierbarkeit der Sprache unmöglich ist, muß man alles tun, um mit dem Rechner zweckmäßig und ökonomisch umzugehen. Ich vermeide in diesem Zusammenhang bewußt das Verbum "zusammenarbeiten", weil es keine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine geben kann (Kap.VIII; XII). Zusammenarbeit setzt Parität, Gleichberechtigung, Partnerschaft voraus. Die Maschine ist kein Partner für den Menschen; sie erledigt mehr oder minder erfolgreich das, was ihr der Mensch per Programm eingibt. Vernünftiger Umgang mit dem Rechner setzt einen Lernprozeß voraus. Ziel eines solchen Lernprozesses ist die Bewußtmachung und Sedimentierung sprachlicher Verhaltensweisen, die sich an den Bedingungen, Strukturen und Regeln des Rechners orientieren. Dies läuft auf eine Konzeption hinaus, die gleichermaßen Erkenntnisse und Befunde der Textverständlichkeitsforschung, der Fachsprachenforschung und der Informatik als der Mü-Forschung logisch vorgeordneter Wissenschaften verbindet. Diese Konzeption geht davon aus, daß die Verwendung einfacher Textsegmente u.U. erheblich mehr kognitive Vorplanung erfordert als die Verwendung komplexer Textkonfigurationen. Eine so konzipierte Mü-Strategie wäre gegenüber Verfahrensweisen, die sich um die Aufarbeitung syntaktisch offener Texte bemühen und die Möglichkeit der syntaktischen Textvereinfachung unreflektiert überspielen, zweifellos eine bedenkenswerte, allerdings zeitlich zu befristende Alternative. Diese ist auch deswegen in das MüKalkül einzubeziehen, weil sich dadurch Ambiguitätsfälle quantitativ reduzieren lassen. Davon soll im nächsten Kapitel die Rede sein.

206

XI. Möglichkeiten und Grenzen der Disambiguierung in einem System der maschinellen Ubersetzung

Vorbemerkungen Den Objektbereich Ambiguität im Mü-Kontext kann man in einem einigermaßen proportionierten Bachkapitel auch nicht annähernd erschöpfend abhandeln; dafür ist das Spektrum an Ambiguitätsproblemen - Ambiguität verstanden als sprachsystemfundierte, aber sprachverwendungsmanifeste Mehrdeutigkeit - zu umfangreich. Ich muß also eine Art "Ausgrenzungsstrategie" praktizieren, d.h. ich muß differenzieren zwischen Ambiguitätsaspekten, die ich nur kurz diskutieren kann, und einem Teilkomplex, auf den ich etwas näher eingehen werde. Bei letzterem handelt es sich um das Problem der Mü englischer Partizipialkonstruktionen ins Deutsche; die Dominanz englischer Beispiele im ganzen Kapitel erklärt sich aus der thematischen Orientierung des im Vorwort erwähnten DFG-geförderten Forschungsprojekts Mü EnglischDeutsch. Die Mü-Forschung hat bisher Ambiguitätsfragen nicht als eigenständigen Problembereich behandelt, ihn aber im Rahmen der Entwicklung von syntaktischen und semantischen Parsern mitdiskutiert (vgl. u.a. DOWTY et al. 1985; BATORI/WEBER 1986; NAGAO 1986; KING 1987; WILSS/SCHMITZ 1987), weil Ambiguität "an inherent property of any natural language" (KOOIJ 1971, 3) ist. Wo im Ambiguitätskontext Beispiele diskutiert wurden, waren diese meistens konstruiert: (1) Der Mann sah das Mädchen mit dem Fernrohr (ähnlich: The man saw the book on the boardwalk; the woman wanted the dress on the rack; Joe bought the book that I had been trying to obtain for Susan; I see the sausage roll under the table (dagegen ein Beispiel aus der - werbesprachlichen - Wirklichkeit: ... Frisier-Set für Männer aus Sterlingsilber ...) (2) Time flies like an arrow (3) They told the girl that Bill liked the story (4) People who apply for marriage licenses wearing shorts or pedal pushers will be denied licenses Die Distanzhaltung gegenüber Ambiguitätsproblemen ist verständlich. Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man, verkürzt formuliert, feststellt, daß zwischen Problemformulierung und Problemaufarbeitung, soweit es sich um die maschi-

207 nelle Bewältigung der Ambiguitätsproblematik handelt, eine tiefe Kluft besteht, und es sieht nicht so aus, als ob sich daran in absehbarer Zeit etwas Entscheidendes ändern würde. Andererseits wird die MU-Forschung um die Auseinandersetzung mit Ambiguitätserscheinungen nicht herumkommen, weil die textuell zulängliche Bewältigung von Ambiguitätsfällen als wichtiger Prüfstein eines jeden Mü-Projekts gelten kann, das mehr vorweisen will als eine "hit-or-miss"-Erfolgsquote. Beispieldiskussion Ambiguität manifestiert sich in der Sprachverwendung auf mehrfache Weise, auf lexikalischem, syntagmatischem und vor allem auf syntaktischem Gebiet, und sie hat jeweils semantische Implikationen, weil "syntaktische Ambiguitäten im semantischen Bereich desambiguiert werden" (VON FOERSTER 1985, 49; vgl. auch KOOIJ 1971). Ihre Auflösung erfordert situative Informationen. In dem Maße, wie solche Informationen in maschinelle Analyseprogramme einbezogen werden können, wächst deren Disambiguierungskapazität. Ambiguität bei Einfachlexemen (5a) She cannot bear children (5b) Sie kann keine Kinder bekommen (5c) Sie kann keine Kinder ertragen Die semantische Ambiguität beruht auf dem Zusammentreffen eines doppeldeutigen Verbs "to bear" mit der Geschlechtsspezifikation "weiblich": Ist die Geschlechtsspezifikation dagegen männlich, ist das Verbum nicht mehr semantisch zweideutig, sondern eindeutig: (5d) He cannot bear children (5e) Er kann keine Kinder ertragen Das folgende Beispiel stammt aus einem Werbeprospekt: (6a) Am achteckigen Tisch haben vier, acht und ausgezogen zehn Personen Platz Die unfreiwillige Komik beruht auf dem Umstand, daß "ausgezogen" sich auf Tisch und Personen beziehen kann. Die Ambiguität hätte durch einen Wenn-Satz vermieden werden können. (6b) Am achteckigen Tisch haben vier, acht und, wenn man ihn auszieht, zehn Personen Platz In dem Beispiel (7a) Die Sendung ist gut angekommen resultiert die Ambiguität aus dem Zusammentreffen eines (linksabhängigen) semantisch mehrdeutigen Substantivs "Sen-

208 dung" (= Postsendung oder Rundfunk/Fernsehsendung) mit einem (rechtsabhängigen) mehrdeutigen Verbum in Verbindung mit "gut": "gut ankommen" im physischen Sinn von "den Empfänger termingerecht und in unbeschädigtem Zustand erreichen" und - metaphorisch - "positive Aufnahme beim Publikum bewirken". Lautete der Satz (7a) (7b) Die Postsendung ist gut angekommen bzw. (7c) Die Rundfunk/Fernsehsendung ist gut angekommen, würde sich das Ambiguitätsproblem von selbst erledigen, weil "Postsendung" bzw. "Rundfunk/Fernsehsendung" eine relativ explizite Ausdrucksweise ist und jedes der beiden Substantive, die idealerweise im automatischen Wörterbuch als selbständige Einträge enthalten sein müßten, im Sinne des englischen "entailment" eine bestimmte Verbspezifikation enthält. Wenn diese Verbspezifikationen ("angekommen" im physikalischen und im übertragenen Sinn) zusammen mit den ihnen zuschreibbaren Substantiven im Wörterbuch kodiert sind oder für "Postsendung" und "Rundfunk/Fernsehsendung" entsprechende Analyseroutinen vorhanden sind, kann der Rechner durch eine inferenzsemantische Ableitungsprozedur das betreffende Ambiguitätsproblem lösen. Aber weder in der Alltags- noch in der Fachkommunikation sind explizite Ausdrucksweisen die Regel (Kap.X). Der Sprachbenutzer tendiert aus sprachökonomischen Gründen, im Vertrauen auf sein eigenes Situationswissen und das antizipierte Situationswissen des Empfängers, zu einem impliziten oder elliptischen Sprachverhalten und nimmt situativ kompensierte Leerstellen in Kauf. Diese Einstellung kann man bei vielen Zusammensetzungen und hier wieder vor allem bei Neologismen beobachten. Ein gutes Beispiel ist die von G. NEUBERT (1982) diskutierte Zusammensetzung "Schleiermittel", die eigentlich "Schleierschutzmittel" oder noch genauer "Schleierverhütungsmittel" lauten müßte (vgl. auch "Milchmann/Milchverkauf smann"; LUUKKAINEN 1984). Die Möglichkeit der Kodierung von Objektspezifikationen entschärft auch das Ambiguitätsproblem bei Verben wie "einstellen", das mindestens sechs ganz unterschiedliche Komplemente an sich binden kann: (8a) (8b) (8c) (8d) (8e) (8f)

einstellen einstellen einstellen einstellen einstellen einstellen

-

Motor (to adjust) Bücher (to shelve) Rekord (to equalize) Verfahren (to suspend) Personal (to hire) Patienten (to optimize (medication))

Hier ergibt sich ein valenzgrammatisch interessanter Sachverhalt. Während Anzahl und syntaktische Realisierung der Mitspieler vom Verb bestimmt werden, können in Fällen von Mehrdeutigkeit des Verbs die Komplemente die Verbbedeutung

209 festlegen, wie anhand der englischen Verbentsprechungen deutlich wird. Ein kompliziertes Spezifikationsproblem liegt im folgenden Beispielpaar vor: (9) Er hält seine Rede vor der Vollversammlung Eine maschinelle Disambiguierung der Präposition "vor" Zeitbestimmung vs. Ortsbestimmung - setzt voraus, daß der Substantiveintrag "Vollversammlung" bedeutungsdifferenzierende Zusatzinformationen enthält, die eine eindeutige temporale bzw. lokale Zuordnungsrelation ermöglichen. Ob dies bei dem gegenwärtigen Erkenntnisstand der Merkmalsemantik möglich ist, wäre experimentell zu prüfen. Als noch problematischer erweist das folgende oft diskutierte Beispiels (10a) Das Schloß liegt auf dem Berg (10b) Das Schloß liegt auf dem Tisch In beiden Fällen liegt die Spezifikation Ort (vgl. GLAS 1980) vor. Wenn man maschinell disambiguieren will, müßte die Spezifikation "Ort" subkategorisiert werden, und zwar in einer so subtilen Weise, daß in (10b) der Rechner die Zuordnung von "Schloß" in der Bedeutung von "Gebäude" zu "Tisch" verwirft (etwa mit Hilfe der Subkategorie "Größenordnung"), umgekehrt aber die semantische Zuordnung von "Schloß" in der Bedeutung von Schließapparat zu "Berg" und "Tisch" zuläßt. Damit wäre dann wenigstens die Ambiguität von "Schloß" in (10b), dagegen immer noch nicht die Ambiguität von "Schloß" in (10a) eliminiert. Man kann das Problem allenfalls insofern als "quantité négligeable" ansehen, as "Schloß" in der Bedeutung von Gebäude (10a) in einem Mü-relevanten (fachsprachlichen) Text nicht erwartbar ist. Man kann also darauf verzichten, Schloß in dieser Bedeutung zu programmieren. Aber das sind natürlich letztlich unbefriedigende und u.U. sogar riskante Vereinfachungsstrategien (s.u. in diesem Kap.). Ausgeschlossen ist derzeit die Disambiguierung satzübergreifender lexikalischer Ambiguität, die im nächsten Fall durch die maschinelle Nichterkennbarkeit der Isotopierelation zwischen "zurückgezogen" und "Aufgabe" bedingt ist: (11) Eine aussichtsreiche Bewerberin ... hatte kurz vor der Wahl ihre Kandidatur zurückgezogen. In den Reihen der Delegierten hielt sich hartnäckig das Gerücht, daß sie von oben dazu gedrängt worden sei und damit Regierungssprecher K. die Aufgabe mitzuverantworten habe

210 Syntagmatische Ambiguität Eine aridere, reichhaltige Ambiguitätsquelle sind sog. Mehrwortbezeichnungen; die einfachste Lösung ist hier die Aufnahme als feste (en bloc) Einträge in das Wörterbuch: (12a) starker Raucher, guter Bekannter, grüne Welle, steuerliche Belastungen, atomare Sprengköpfe, berufliche Anforderungen, schwarzer Markt, wilde Ehe, vollziehende Gewalt, ruhender Verkehr, schlagende Verbindung, schlafender Agent, blinder Passagier, (dagegegen z.B. nicht: entscheidender/überzeugender Gesichtspunkt). Alle Bildungen, u.U. mit Ausnahme von "blinder Passagier", sind im strengen Wortsinn keine Adjektiv/Substantiv-Kollokationen, sondern komplexe Sinneinheiten. Ein Indiz dafür ist, daß man daraus ohne lexikalische Zusatzinformationen aus verschiedenen Gründen - keine satzwertigen Prädikationen machen kann. (12b) * Der der die die die die der die die der die der

Raucher ist stark Bekannte ist gut Welle ist grün Belastungen sind steuerlich Sprengköpfe sind atomar Anforderungen sind beruflich Markt ist schwarz Ehe ist wild Gewalt ist vollziehend Verkehr ist ruhend Verbindung ist schlagend Agent ist schlafend

Unter die Kategorie "Mehrwortbezeichnungen" fallen auch die sog. "string compounds", die im Englischen laufend in großen Mengen hervorgebracht, aber meistens nicht lexikalisiert werden. Dafür folgende Beispiele: (13a) (13b) (13c) (13d) (13e) (13f) (13g) (13h) (13i) (13k) (131) (13m) (13n) (13o) (13p) (13q) (13r)

guided missile destroyer early potato market long distance call dry cargo report heavy lorry plan dynamic equivalence translation natural language understanding multiple choice question artificial intelligence group semantic network concepts general purpose routines short term memory particular meaning formulas anaphoric reference mechanisms rapid access memory better quality machine translation small Yorkshire shareholder

211 (13s) Beechams, the Bovril to Silvikrin consumer products and pharmaceuticals group In allen Fällen entsteht im Rahmen der maschinellen Disambiguierung ein Problem dadurch, daß formal (und damit auch semantisch) nicht klar ist, welches lexikalische Element oder welche lexikalischen Elemente welches andere lexikalische Element oder welche anderen lexikalischen Elemente dominieren. Handelt es sich im Fall (13a) u m einen (fern-)gelenkten Raketenzerstörer (mit der zusätzlichen Ambiguität "Zerstörer, der Raketen mit sich führt" oder "der Raketen zerstört") oder um einen Lenkwaffenzerstörer usw.? Entschärfen ließe sich dieses Problem u.U. in (13a) bis (13q), gäbe es im Englischen eine konsequente Bindestrichsetzung zwischen den beiden attributkonstituierenden lexikalischen Einheiten? also: (14a) (14b) (14c) (14d) (14e) (14f) (14g) (14h) (14i) (14k) (141) (14m) (14n) (14o) (14p) (14q)

guided-missile destroyer early-potato market long-distance call dry-cargo report heavy-lorry plan dynamic-equivalence translation natural-language understanding multiple-choice question artificial-intelligence group semantic-network concepts general-purpose routines short-term memory particular-meaning formulas anaphoric-reference mechanisms rapid-access memory better-quality machine translation

Aber eine solche Schreibkonvention existiert im Englischen nicht, und sie scheint, z.B. im Rahmen einer Textstandardisierung, auch nicht durchsetzbar zu sein. (Dasselbe gilt für die Standardisierung im Lexikon; SEDELOW/SEDELOW 1986, 77.) Im Gegenteils Das englische Beispiel macht im Deutschen offenbar Schule. Man sehe daraufhin einmal die Stellenangebote in der FAZ durch oder beachte die neue, wohlgemerkt offizielle Schreibweise von "Goethe Institut"; sie zeigt, daß man sich auch im Deutschen immer mehr auf wissensbasierte Verständnissicherung verläßt und damit "rechnerunfreundliche" Schreibweisen praktiziert (vgl. auch Wörter wie "Unfallinstandsetzung", "Familienisolierkanne", das - amputierte - "Pharma-Berater" u.v.m.). Wesentlich komplizierter als die unter (13a) bis (13q) genannten Beispiele sind (13r) und (13s). Mit (13r) ist eigentlich gemeint: shareholder from Yorkshire with a small holding (Aktionär aus Yorkshire mit einem kleinen Aktienbesitz)

212 Das Beispiel (13s) ist (ungefähr) folgendermaßen aufzulösen: Beechams, a group of industrial enterprises which produce consumer goods from Bovril to pharmaceutical items such as Silvikrin Fast alle Erscheinungen von (13a) bis (13s) können in fachsprachlichen - und damit Mü-relevanten - Texten vorkommen. Hier kann man sich also mit lexikalisch-syntagmatischen Reduktionsstrategien nicht behelfen. Mögliche Auswege sind die Einsetzung von Bindestrichen im Rahmen eines (kostenintensiven) Pre-editing (Kap.IX) oder (ebenso kostspielige) datenintensive Programmiermethoden, d.h., man speichert solche Einheiten im Rahmen von einzelnen Fachwortschätzen en bloc und versieht die gespeicherten Einheiten mit entsprechenden Begleitinformationen. Solche Begleitinformationen sind in den folgenden Fällen nicht möglich: (15) Eine 21jährige Studentin aus Ohio ist bei einem Autounfall in ihrem Wasserbett leicht verletzt worden (16a) NATO Advanced Studies Institute reports progress (17a) When turning over control operators will switch to zero (18) This firm has developed houses for growing families In (15) bleibt für den Rechner, jedenfalls dann, wenn kein Weltwissen programmiert ist, unentscheidbar, ob "in ihrem Wasserbett" eine präpositionale Ergänzung zu "Autounfall" ist oder zu "leicht verletzt worden" gehört. Beispiel (16a) stellt einen Satz mit sechs Wörtern dar, die sich auf drei Satzteile, ein viergliedriges Subjekt, ein eingliedriges Prädikat und ein eingliedriges direktes Objekt verteilen. Syntaktisch ist also dieser Satz eine einfache Konfiguration mit einem Minimum an syntaktischen Beziehungen und geringer Satztiefe. Trotzdem stößt der Rechner, jedenfalls dann, wenn er keine Großschreibungsregeln enthält, wegen der morphologischen Ambiguität von "Institute", "Advanced" und "Studies" auf das Problem der Identifizierbarkeit des viergliedrigen Subjekts "NATO Advanced Studies Institute". Wiese der Satz eine syntaktisch weniger kompakte Form auf wie (16b) NATO's Institute for Advanced Studies reports progress

213 wäre er leichter analysierbar, weil die Präposition "for" und der Genitiv "NATO's" die syntaktischen Beziehungen zwischen "NATO's Institute" und "Advanced Studies" explizit macht und damit die ganze Zeichenfolge als eine syntagmatisch komprimierte komplexe Sinneinheit maschinell erkennbar wird (vgl. auch STEFFENS 1987). Für (17a) bieten sich syntaktisch (und damit auch semantisch) drei Lesarten an: (17b) When 'turning over control / operators will switch to zero (17b') Beim Wenden über dem Kontrollpunkt ist auf Null zu schalten (17c) When turning 'over / control operators will switch to zero (17c') Beim Wenden schaltet das Kontrollpersonal auf Null (17d) When "turning 'over control / operators will switch to zero (17d') Bei der Obergabe des Kontrolldienstes (Ablösung vom Kontrolldienst) ist auf Null zu schalten Ohne programmierte Interpretationshilfen, z.B. in Form von Expertensystemen, kann ein Rechner die richtige Lesart nicht ermitteln, zumal ein Komma als satz(teil)abgrenzendes Signal fehlt; dies kommt gerade bei Partizipialkonstruktionen häufig vor, weil vereinheitlichte Interpunktionsregeln im Englischen fehlen (s.u. in diesem Kap.). In (18) kann "growing" als Gerundialform oder als Partizipialform interpretiert werden. Dazu sind, wie in (17a), satzübergreifende Analysehilfen erforderlich, die gegenwärtig nur dem Menschen zur Verfügung stehen. Syntaktische Ambiguität Die Fälle syntaktisch-semantischer Ambiguität auf Satzebene sind Legion (Kap.VIII). Ein aus der generativen Diskussion bekanntes Beispiel ist (19a) Flying planes can be dangerous Hier wird die Ambiguität durch die morphologische Mehrdeutigkeit von "can" als Singular- oder Pluralform verursacht. Hieße es stattdessen (19b) It can be dangerous to fly planes (the flying of planes can be dangerous) bzw. (19c) Airborne planes can be dangerous wäre der Sachverhalt eindeutig.

214 Andere Vorkommensweisen syntaktisch-semantischer Mehrdeutigkeit illustrieren die folgenden Beispiele: (20)

The police were ordered to stop drinking after midnight (ähnlich BLATT et al. 1985, 40)

(21a) The Commission submitted to the Council proposals which were, however, not accepted (22)

Jagdverbot für Jungrobben empfohlen (Uberschrift einer Zeitungsmeldung)

(23)

Zentrum für neue Lernverfahren der Universität Tübingen

In (20) ist ohne situative Information unentscheidbar, ob sich "to stop drinking" auf die Polizeibeamten oder auf Dritte (z.B. die Besucher von Kneipen) bezieht. In (21a) läßt die syntaktische Ambiguität von "submit" (transitiver und intransitiver Gebrauch möglich) mit den sich daraus ergebenden Parsingproblemen zwei semantische Lesarten zu: Satzgliedzäsur zwischen "Council" und "proposals" oder komplexe Sinneinheit "Council proposals" (Ratsvorschläge) : (21b) Die Kommission unterbreitete dem Rat Vorschläge, die jedoch nicht angenommen wurden (21c) Die Kommission fügte sich Ratsvorschlägen, die jedoch nicht angenommen wurden In (22) ist ohne Weltwissen nicht erkennbar, ob hier jemand empfohlen hat, das Jagen von Jungrobben zu verbieten oder ob jemand den Jungrobben ein Jagdverbot empfehlen will. In (23) ist maschinell nicht entscheidbar, ob das Genitivattribut "der Universität Tübingen" zu "Zentrum" oder zu "Lernverfahren" gehört. Für alle diese Beispiele gibt es m.W. bisher keine Disambiguierungsalgorithmen. Maschinelle Lösungen sind auch kurzfristig nicht erwartbar, weil die Mü-Forschung gegenwärtig auf Situationsmodelle nicht rekurrieren kann. Gegen syntaktisch-semantische Dunkelheit ist der Rechner machtlos, weil er kein "discourse knowledge" ("non-propositional knowledge") besitzt (NIRENBURG/CARBONELL 1986). ""Problems of discourse and context are still great to tackle", a researcher was recently quoted here as saying. In fact, the word "too" should have appeared before "great"" (LAWSON 1986b, 196).Mit kategorischen Forderungen wie der folgenden von SCHUBERT ist nichts gewonnen: "For the practical purposes of machine translation, the consequences should be an architecture of ordered and ranked rule applications, carefully designed on the ba-

215 sis of thorough theoretical insight into the relations between linguistic and extra-linguistic knowledge" (1986, 150). Der vorerst einzige realistische Ausweg ist also, Schreibkonventionen einzuführen, die den Autoren von maschinell zu übersetzenden Texten nahelegen, syntaktische Ambiguitäten zu vermeiden und damit Monosemierungsoperationen (etwa in Form von Pre- oder Post-editing-Verfahren) von vornherein auszuschließen oder zu minimieren (Kap.X). Zu den auszuschließenden Konstruktionen müßten auch die sog. "garden path sentences" (the dealer sold the forgery complained) gehören (BEVER 1970; VAN DIJK/KINTSCH 1983; WINOGRAD 1983; CRAIN/STEEDMAN 1985). Ambiguität durch Pronominalisierung Ein weiteres Ambiguitätsproblem ist die Pronominalisierung. Dafür drei Beispiele (weitere Beispiele u.a. bei NORMAN et al. 1975, 6; LEECH 1983, 66ff.; HUTCHINS 1986, pass.; ROOT 1986) (24) Die Beamten haben sie verhört (25) Hans sah den Mont Blanc, als er nach Italien flog (HERZOG 1986, 8; ähnlich HABEL 1984, 5) (26) Die Urlauber kauften dem Jungen einen Fußball, weil er so billig war. Während für (24) wegen Kasusmehrdeutigkeit situatives Wissen erforderlich ist, verlangen (25) und (26) Weltwissen, dessen Programmierung, wie angedeutet, aussichtslos ist. Bei (25) könnte man allenfalls geltend machen, daß "fliegen" i.d.R. ein belebtes Subjekt erfordert. Auch mit Inferenztechniken ist wenig auszurichten. Das maschinell operationalisierte und maschinell operationalisierbare Inferenzpotential ist minimal und wird auch aller Wahrscheinlichkeit minimal bleiben. Es ist auf deduktive Fälle des bekannten Typs transitiver Inferenz (KAIL/PELLEGRINO 1985, 140) beschränkt: A=B, B=C, also A=C. Wie komplex selbst bei ganz einfachen Sachverhalten die inferenzsemantische Problematik sein kann, zeigt das folgende Beispiel (mit dem BAR-HILLEL (1960; 1966) die Unmöglichkeit der "Fully Automatic High-Quality Translation" beweisen wollte): (27a) The box was in the pen (im Kontext: "Little John was looking for his toy box. Finally, he found it. The box was in the pen. John was very happy"; vgl. HUTCHINS 1986, 154f.)

216 Die maschinelle Monosemierung von "pen" (Feder, Stall/ Pferch) wäre zu erreichen, wenn es gelänge, einen Inferenzmechanismus in der Art einer "Enthaltensein-Relation" (WINOGRAD 1972) zu verallgemeinern, wonach ein Gegenstand mit einer bestimmten räumlichen Ausdehnung (box) nur in einem anderen Gegenstand mit größerer räumlicher Ausdehnung (pen) enthalten sein kann, was besagen würde, daß hier die Lesart "Feder" für "pen" auszuschließen ist. Das Umgekehrte gilt, wenn man "box" und "pen" vertauscht: (27b) The pen was in the box Wahrscheinlich wäre es in (27a) und (27b) ökonomischer, wenngleich nicht optimal, beide Bedeutungen von "pen" auszudrucken und dem Leser die richtige semantische Zuordnung zu überlassen. Ähnlich verzwickt liegen die Verhältnisse, wenn (19a) in einem größeren Satzkontext vorkommt: (19d) Although flying airplanes can be dangerous, he decided not to apply for a job as a pilot (vgl. VAN DIJK/KINTSCH 1983, 36) Hier müßte eine Inferenzrelation konstruiert werden, die die Nichtbewerbung dem Umstand zuordnet, daß man als Flugzeugpilot in Lebensgefahr geraten kann (nicht: weil fliegende Flugzeuge manchmal gefährlich sein können; das gilt für Flugzeugpiloten und andere Personen in gleichem Maße). Aber ob es jemals ein inferenzsemantisches "script" gibt, das die Formalisierung so komplexer semantischer Relationen gestattet, ist, jedenfalls nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse und Möglichkeiten der KI-Forschung, unwahrscheinlich. Einfacher ist das Disambiguierungsproblem in folgendem Fall: (19e) Flying planes can be dangerous, but it is profitable Hier kann die Mehrdeutigkeit von "flying planes" durch eine sprachliche Zwar/Aber-Relation monosemiert werden; diese besagt, daß "flying planes" eine Singularform im Sinne von "the flying of planes" sein muß, wenn der Rückbezug von "it" auf das Subjekt des vorangegangenen Satzes im Rahmen einer Rechts/Links-Inferenz plausibel sein soll. Noch weniger Inferenzaufwand erfordert folgendes Beispiel: (19f) Flying bees can be dangerous (HABEL 1984, 5) Die Kollokation von "flying" und "bees" erweist "flying" als Attribut eines mit dem semantischen Merkmal "lebend"

217 versehenen Substantivs. Die Interpretation von "flying bees" als "the flying of bees" ist ausgeschlossen. Partizipialkonstruktionen in einem System der maschinellen Ubersetzung Ein spezielles syntaktisch-semantisches Ambiguitätsproblem der Mt) ist die Analyse von englischen Partizipialkonstruktionen. Das charakteristische Merkmal der Partizipialkonstruktionen ist, daß sie, obwohl sie formalsyntaktisch keinen Teilsatzstatus haben (Wegfall der finiten Verbform und oft auch der Subjektkomponente), Satzfunktion übernehmen können. Wegen ihrer formalsyntaktischen Insuffizienz tritt eine Partizipialkonstruktion nie isoliert auf; sie bedarf vielmehr als formalsyntaktisch verkürzter Konstituentensatz der Abstützung durch einen ihr übergeordneten Bezugssatz (Matrixsatz), der ihre syntaktisch-semantische Steuerung im Satzgefüge übernimmt (WILSS 1971; 1978b). M.a.W.: Eine Partizipialkonstruktion muß von ihrem Bezugssatz formal eindeutig abgrenzbar sein; sie muß in dem jeweiligen Satzgefüge unter Wahrung der vorwaltenden Bedeutungsrelationen in einen formalsyntaktisch vollständigen Haupt-, Glied- oder Attributsatz oder in eine syntagmatisch verkürzte Nominalisierung umwandelbar sein: (28)

Arriving at the airport, he found his plane gone;

(29a) When he arrived at the airport, he found his plane gone (29b) He arrived at the airport and found his plane gone (29c) On arrival at the airport he found his plane gone Unter dem Mü-Aspekt sind die mit dem ing-Suffix gebildeten aktivischen Partizipialkonstruktionen besonders problematisch. Wo ing-Formen auftreten, besteht, wie die Arbeiten am SUSYProjekt gezeigt haben, die Notwendigkeit einer Disambiguierung, weil ing-Formen in sieben verschiedenen syntaktischen Funktionen vorkommen; davon können drei dem Lexikon und vier der Syntax zugeordnet werden: 1. als lexikalische Einheiten, die in gemeinsprachlichen und/oder fachsprachlichen Wörterbüchern verzeichnet sind: (30a) disappointing, amusing, interesting (30b) meeting, painting; pattern-matching, consistencychecking 2. als attributives Adjektiv bzw. verbal zu interpretierende Partizip I-Form: (31) remaining costs, leading position, coming year.

218 varying methods, preceding years; networkimplementing hardware, tree-adjoining grammar, representations-interlinking nobs 3. als Verbalsubstantiv: (32) I dislike his painting my daughter 4. als Teil einer Gerundialkonstruktion: (33a) ... the method of calculating the levy (33b) ... heavy responsibility for ensuring the equilibrium ... (33c) The negotiating countries did not succeed in concluding a world agreement ... (33d) The Commission has proposed reducing the levy ... (33e) Traditional grammar needs improving and completing rather than scrapping 5. als Partizipialform bei Verlaufsformen: (34a) Production is increasing (34b) Trade is gradually being freed (34c) Production is continuing to rise 6. als Teil einer attributiven Partizipialkonstruktlon: (35a) Measures governing more than 90 percent of agricultural production have now been laid down ... Letztere vertreten ausschließlich attributive Nebensätze, die mit einem Relativpronomen eingeleitet sind; dabei spezifiziert eine attributive Partizipialkonstruktion immer ein - in der Regel unmittelbar vorausgehendes - nominales Satzglied: (35b) Measures which govern more than 90 percent of agriculture ... 7. als Teil adverbialer Partizipialkonstruktionen, wovon es mehrere Unterklassen gibt: a. nichteingeleitete prämodifizierende Partizipial konstruktionen: (36) Acting as a unit, the Community has not only defended its own interests b. konjunktional eingeleitete prämodifizierende Partizipialkonstruktionen (konjunktional und nicht präpositional deshalb, weil die ing-Formen ihren Verbalstatus behalten): (37) In fixing the grain price, the Commission and Council took as a base level a price ...

219 c. nichteingeleitete postmodifzierende Partizipialkonstruktionen: (38) The output ... is somewhat higher ..., corresponding to 105 percent of expected sugar consumption d. konjunktional eingeleitete postmodifizierende Partiz ipialkonstruktionen: (39) The regulation ... completely freed trade ... by abolishing all important restrictions ... e. nichteingeleitete Partizipialkonstruktionen in Binnenstellung zwischen Nominalgruppe und Verbalgruppe des übergeordneten Bezugssatzes: (40) The shoplifter, eyeing a policeman at the entrance of the department store, quickly turned around and disappeared through the emergency exit f. konjunktional eingeleitete Partizipialkonstruktionen in Binnenstellung zwischen Nominalgruppe und Verbalgruppe des übergeordneten Bezugssatzes: (41) ... a common farm policy, while ensuring the protection needed, takes into account the interests of other food-exporting countries Man muß allerdings damit rechnen, daß die syntaktischen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen finiten und mit dem ingSuffix gebildeten Verbformen nicht immer so glasklar sind, wie es unter dem Aspekt ihrer maschinellen syntaktischen Identifizierung wünschenswert wäre. In der Sprachverwendung kommen Fälle vor, wo nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden kann, ob eine Partizipialkonstruktion oder eine andere, ebenfalls auf das ing-Morphem rekurrierende Verbform vorliegt: (42a) At a guess he would have said that it was the body of a man of sixty, suffering from some malignant disease (42b) Im ersten Moment hätte er gesagt, daß es sich um den Körper eines 60jährigen Mannes handelt, der an einer bösartigen Krankheit litt (who suffered from ...) Diese ing-Form läßt sich in einen syntaktisch vollständigen Nebensatz umwandeln, in dem das Partizip als Prädikat fungiert. Andererseits kann man, wie (42c) zeigt, die ing-Form auch als einen ellipsierten Nebensatz mit "expanded form" interpretieren:

220 (42c) At a guess he would have said that it was the body of a man of sixty who was suffering from some malignant disease (der ... zu leiden schien) Derlei Klassifikationsprobleme liegen laut LAMPRECHT (1973) durchaus im Wesen der -ing-Form; sie haben LEISI (1955) zu der Feststellung veranlaßt, daß die Grenzen zwischen den einzelnen ing-Formen fließend sind (vgl. auch MUES 1954). Trotzdem kann man daraus nicht den Schluß ziehen, daß man auf eine Unterscheidung der syntaktischen Funktionen der ing-Formen am besten ganz verzichtet. Das wird deutlich an dem folgenden Beispiel von STRANG (1962, 154): (43a) He was calculating (Er rechnete gerade) (43b) He was very calculating (Er war sehr berechnend) (43c) He was busy calculating (Er war eifrig am Rechnen) Eine solche Verzichtshaltung wäre zweifellos die einfachste Lösung; sie ist allerdings nicht unbedingt zwingend, weil Abgrenzungsschwierigkeiten der genannten Art ein Randphänomen darstellen. Unter dem Mü-Gesichtspunkt ist sie aus den folgenden Gründen auf jeden Fall abzulehnen: 1. Partizipialkonstruktionen kommen in englischen Texten häufig vor; sie sind offenbar im kollektiven Sprachbewußtsein der englischen Sprachgemeinschaft besonders produktiv. Damit wird LEISIs Hypothese bestätigt, daß Partizipialkonstruktionen - wie alle infiniten Verbformen des Englischen - zu den gestärkten grammatischen Kategorien der englischen Gegenwartssprache gehören (1955). 2. Partizipialkonstruktionen treten in einer Vielzahl von Typen, Typenkombinationen und Typenvarianten mit z.T. konstanten, z.T. variablen Elementen und Relationen auf. 3. Bestimmte Partizipialkonstruktionsmuster verhalten sich texttypspezifisch, d.h., für bestimmte Texttypen, z.B. für literarische und fachsprachliche Texte, sind bestimmte Partizipialkonstruktionsmuster konstitutiv. 4. Partizipialkonstruktionen können i.a. Englisch-Deutsch nicht wörtlich, auf der Basis einer formalen Eins-zu-EinsEntsprechung, übersetzt werden; ein Mü-Programm müßte also in der Synthesephase auf syntaktisch paraphrasierende, nichtwörtliche Ubersetzungsprozeduren zurückgreifen können. Partizipialkonstruktionen stellen demzufolge eine exemplarische MU-Schwierigkeit dar; ihre Überwindung bedarf der planmäßigen empirischen Untersuchung durch die Mü-Forschung. Methodische Überlegungen Wie alle syntaktisch organisierten Zeichenfolgen sind auch

221 Partizipialkonstruktionen nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten ablaufende sprachliche Äußerungen, die sich im jeweiligen Satzzusammenhang in einer bestimmten syntaktisch-semantischen Determinationsrichtung entfalten. Strukturell am einfachsten sind Sätze mit nur einer Partizipialkonstruktion. Dieser Typ ist in der Sprachverwendung am häufigsten. Man kann ihn als "Standardereignis" bezeichnen: (44a) Entering Saarbrücken University through the main gate, we find ourselves in front of the main administration building (44b) Wenn wir die Universität Saarbrücken durch das Haupttor betreten, stehen wir vor dem zentralen Hauptverwaltungsgebäude Daneben gibt es aber auch Partizipialkonstruktionen in komplexeren Satzzusammenhängen: (45a) I have noticed, speaking with colleagues who teach French, that the same type of translation errors does not appear in English and in French (45b) In Gesprächen mit Kollegen, die Französisch unterrichten, habe ich festgestellt, daß in englischen bzw. französischen Ubersetzungen unterschiedliche Typen von Übersetzungsfehlern auftreten Die beiden letzten Beispiele lassen erkennen, daß Partizipialkonstruktionen eine Fülle von konkreten Verwendungsmöglichkeiten erlauben, denen bei aller Verschiedenheit im Detail doch das eine gemeinsam ist, daß sich mit ihnen Sätze bauen lassen, deren Spektrum von relativ einfachen und syntaktisch-semantisch leicht durchschaubaren Satzgefügen bis zu außerordentlich komplexen Satzaggregaten reicht. Durch die Verwendung von Partizipialkonstruktionen ist der Sprachbenutzer in der Lage, kompakte, sprachökonomisch optimal organisierte Sätze zu bilden. Die syntaktische Komprimierung wird im vorliegenden Fall durch das Fehlen der Subjektkomponente in der Partizipialkonstruktion erreicht, d.h., die Partizipialkonstruktion enthält keinen expliziten Hinweis auf den ihre Bedeutung determinierenden "Geschehensträger"; dieser muß aus dem Gesamtsatz erschlossen werden. Der Prädikatsteil ist bezüglich Numerus und Person nicht markiert; auch hier läßt sich nur durch eine Analyse im Satzrahmen, die Partizipialkonstruktionen übergreift, Klarheit gewinnen. Dabei ist zwischen einer syntaktischen und einer semantischen Analysephase zu unterscheiden. Zuerst ein paar Bemerkungen zur syntaktischen Analyse von aktivischen Partizipialkonstruktionen. Die durch das Fehlen des Subjektteils bedingte syntaktische Verkürzung der Partizipialkonstruktion wird teilweise ausgeglichen durch das als formalsyntaktisches Signal fungierende ing-Suffix. Allerdings ist, wie angedeutet, das ing-Suffix syntaktisch mehrdeutig. Man muß deshalb zunächst ein Verfahren ent-

222 wickeln, das die zuverlässige Identifizierung von Partizipialkonstruktionen anhand bestimmter wiederkehrender Merkmalbedingungen ermöglicht. Nach den im DFG-Projekt "Maschinelle Übersetzung Englisch-Deutsch" gemachten Erfahrungen eignet sich dafür eine valenzgrammatisch fundierte Konzeption, d.h., für die Beschreibung und Vereindeutigung von Satzstrukturen ist ein oberflächensyntaktisch orientierter Valenzrahmen entwickelt worden. Dabei konzentriert sich die maschinelle Behandlung von ing-Formen auf den Bereich der Homographenanalyse; es wird versucht, eine Vereindeutigung der einzelnen ing-Funktionen durch ihre Zuordnung zu oberflächensyntaktisch bestimmten Analysewortklassen zu erreichen. Anders ausgedrückt: Es kommt darauf an, im Rahmen der Homographenanalyse Verfahrensweisen zu entwickeln, die eine eindeutige Identifizierung der syntaktischen Funktion der jeweiligen ing-Form ermöglichen. Hier bieten oberflächensyntaktisch orientierte Verbots- und Gewichtungstabellen einen brauchbaren, operationalisierbaren Ansatz. Dabei dient die Verbotstabelle zur Ausschaltung aller unter dem Gesichtspunkt der syntaktischen Wohlgeformtheit nicht zulässigen Ketten von Analysewortklassen. Mit Hilfe von Gewichtungstabellen werden die nach Durchlaufen der Verbotstabelle noch möglichen Ketten hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Aufeinanderfolge von Analysewortklassen geordnet. Verbots- und Gewichtungstabellen stützen sich auf kotextuelle Analysen, die sich auf jeweils ein oder mehrere vorausgehende und jeweils ein oder mehrere nachfolgende Wörter erstrecken. Mit der formalsyntaktischen Identifizierung von Partizipialkonstruktionen ist allerdings noch nichts über deren semantische Modalität gesagt, und hier stoßen wir nun auf die eigentlichen Schwierigkeiten der maschinellen Partizipialkonstruktionsanalyse und der Partizipialkonstruktionssynthese. Wie man einen semantischen Parser in die maschinelle Verarbeitung von Partizipialkonstruktionen einbauen kann, ist unklar. Fest steht nur, daß ein semantischer Parser unumgänglich ist, es sei denn, man begnügt sich mit einer wie immer gearteten "minimalistischen" Mü-Lösung (mit einem entsprechend hohen Pre- oder Post-editing-Aufwand), oder man führt, wie gesagt, für Texte, die maschinell übersetzt werden sollen, Schreibkonventionen mit einem Verbot der Verwendung von adverbialen Partizipialkonstruktionen ein, aber das wäre eine nur schwer durchsetzbare Radikalremedur (Kap.X). Ein semantischer Parser ist deswegen unverzichtbar, weil adverbiale Partizipialkonstruktionen in einem bestimmten semantischen Verhältnis zu ihrem Bezugssatz stehen und je nach Kontext unterschiedliche Abhängigkeitsverhältnisse ausdrücken können. Diese sind an der Satzoberfläche entweder gar nicht oder nur partiell repräsentiert. Dies bestä-

223 tigt RUTHERFORDs Auffassung (1968), daß die Satzoberfläche oft nur wenig Aufschlußwert für die Ermittlung der Satzbedeutung besitzt. Dazu die folgenden Beispielsätze: (46)

Having finished his book, he emptied his glass and went to bed

(47a) Nachdem er sein Buch ausgelesen hatte, leerte er sein Glas und ging zu Bett (47b) Da er sein Buch ausgelesen hatte, ... (48a) Having forgotten his book, he went home and fetched it (48b) Da er sein Buch vergessen hatte, ging er nach Hause und holte es Die Sätze (46) und (48) stellen zwei syntaktisch gleich gebaute Sätze mit drei syntaktischen Einheiten, einer Partizipialkonstruktion am Satzanfang und einem übergeordneten Bezugsatz mit zwei Prädikaten dar. Die beiden Satzgefüge gleichen sich auch insofern, als die in der Partizipialkonstruktion ausgedrückte Handlung zur Handlung im Bezugssatz jeweils im Verhältnis der Vorzeitigkeit steht, die durch das Auxiliar "have" in Verbindung mit dem ing-Suffix zum Ausdruck kommt. Trotz dieser strukturellen Parallelen ergibt sich aber, wie beim Obersetzen deutlich wird, eine klare Sinndifferenzierung, da (46) temporal oder kausal, (48a) hingegen nur kausal zu interpretieren ist. Ausgeschlossen ist, auf jeden Fall standardsprachlich, eine temporale Interpretation von (48); der Satz (48c) Nachdem er sein Buch vergessen hatte, ging er nach Hause und holte es ist logisch nicht akzeptabel (vgl. DUDEN-Grammatik 1959, 517). Sucht man nach einer Erklärung für die unterschiedliche semantische Beziehung zwischen Partizipialkonstruktion und Bezugssatz, ergibt sich, daß semantisch-logische Steuerungsfaktoren im Spiel sein müssen, die den Gesamtsatz in jeweils spezifischer Weise determinieren. Daraus folgt, daß jede Partizipialkonstruktion einer semantischen Interpretation bedarf, die bei der Ubersetzung die im as Satz fehlenden Determinanten nachzuliefern hat und damit eine inhaltlich eindeutige Zuordnung von Partizipialkonstruktion zum Bezugssatz ermöglicht. So betrachtet, können Partizipialkonstruktionen auf höherer Ebene in der Hierarchie syntaktischer Rangstufen als Analogon zur Wortzusammensetzung gelten, die JESPERSEN folgendermaßen charakterisiert: "The merit of Compounds lies in their conciseness ... Compounds express a relation between two objects or notions, but say nothing of the way in which the

224 relation is to be understood. That must be inferred from the context or otherwise ..." (1942, 137). Auf die Mü-Problematik übertragen, bedeutet JESPERSENs Feststellung, daß der Rechner auf das Erkennen des jeweiligen Sinnzusammenhangs angewiesen ist, der sich aus dem funktionalen Zusammenspiel der im Satzgefüge wirksamen inhaltlichen Faktoren konstituiert. Dieses funktionale Zusammenspiel ist in Satzgefügen mit Partizipialkonstruktionen i.a. nicht standardisiert und auch nicht standardisierbar. Eine Ausnahme sind Partizipialkonstruktionen, die mit Hilfe der Verbform "be" gebildet sind; sie sind in der Regel kausal determiniert: (49) Being ill, my daughter cannot take part in athletic activities (50) Being in haste, he left the door wide open (51) Not being old enough to work, he was badly off (52) Being more sophisticated than his opponent, he had no difficulties in pushing his arguments through (53) Things being as they are ... (54) Verbs with dynamic descriptivity ... are difficult to explain, being dependent on the speaker's attitude and intuition Auf andere semantische Orientierungshilfen kann der Rechner zurückgreifen, wenn zwischen Partizipialkonstruktion und Bezugssatz nur eine einzige semantische Relation möglich ist. Solche Bedingungen liegen vor, wenn die semantische Abhängigkeitsrelation zwischen Bezugssatz und Partizipialkonstruktion durch konjunktionale Einleitung der Partizipialkonstruktion explizit gemacht worden ist, also nicht: (55) Having passed his final examination he opened a bookshop sondern: (56a) After passing his final examination, he opened a bookshop (56b) Nachdem er seine Abschlußprüfung bestanden hatte, eröffnete er eine Buchhandlung Der semantische Explikationsgrad der beiden Partizipialkonstruktionen ist eindeutig verschieden. Während die Partizipialkonstruktion in (55) nur syntaktisch markiert ist, enthält (56a) durch die temporale Konjunktion "after" und ihre logische Stützfunktion eine zusätzliche Information, die die maschinelle Identifizierung der Gesamtsatzbedeutung

225 durch die disambiguierende Wirkung von Oberflächensignalen erheblich erleichtert. Leider ist auf den semantischen Aufschlußwert von Konjunktionen bei der Vereindeutigung der semantischen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Partizipialkonstruktionen und Bezugssatz nicht immer Verlaß. Das zeigen die ausgerechnet in fachsprachlichen Texten besonders zahlreichen mit "in" eingeleiteten Partizipialkonstruktionen (für diese Gruppe ist in Saarbrücken eine gesonderte Untersuchung in Vorbereitung) : (57) In writing this book, we have assumed that studying grammar for the overseas students makes most sense, if ... (58) In dealing with emotive meaning, ... we have moved directly from the expression of emotion to the description of emotion (59) In explaining the kinds of effects of context that are investigated in the second, experimental half of the paper, we assume that ... (60) In contemplating mechanical translation, most observers have stereotypes which are as erroneous as there are stereotypes concerning human translation (61) In learning to speak a language, we are acquiring a skill (62) In working with the material, we took the following approach ... (63) In pursuing hypothesis II, we made the following five generalisations ... (64) In doing so, we made the discovery that ... (65) In experimenting with a Script Applier Mechanism, Lehnert was in a position to use different representational structures ... (66) In dealing with these questions, each chapter often works from assumptions that ... (67) In arguing for this, the linguistic nativist has taken the high ground by appearing to lump together learning by induction with learning c, thus placing the linguamental nativist on the defensive Exkurs: "Syntaktische Phraseologie" Die Häufigkeit und die relative strukturelle Ähnlichkeit der mit "in" eingeleiteten Partizipialkonstruktionen läßt

226 den Schluß zu, daß diese Vorkommensweisen den Status syntaktischer Versatzstücke haben, die man als eine bestimmte Form fachsprachlicher Phraseologie bezeichnen kann. Das wesentliche Merkmal von Phraseologismen ist ihre syntaktische Vorstrukturiertheit, und eben diese macht ihre Verwendung in fachsprachlichen Texten so beliebt. Wer sich solcher Phraseologie bedient, stützt sich auf sprachliche Handlungsmuster, die im Sprachbewußtsein mehr oder minder fest internalisiert sind und dort im Rahmen eines ganz bestimmten Konmunikationsrahmens mehr oder minder unreflektiert abrufbereit sind. Phraseologismen sind eine Art sprachlicher Superzeichen; der subsumierten Rationalität außersprachlicher Funktionszusammenhänge entspricht eine sprachliche Rationalität. Diese sprachliche Rationalität wird in syntaktische Ausdruckskonfigurationen umgesetzt, die durch ihre Scriptartigkeit der fachsprachlichen Syntax einen apparativen Charakter verleihen. Das Resultat einer phraseologisch verfestigten Schreibweise sind textuell auf das Äußerste abgemagerte Formulierungen, die dem Sender eine oberflächenstrukturell normierte Praktik der Textherstellung und dem Empfänger eine ebenso normierte Praktik der Texterschließung ermöglichen. Funktional gesehen, haben solche Formulierungsweisen durchaus ihre Berechtigung; dem Sprachbenutzer steht in Form von Phraseologismen ein Ausdruckspotential zur Verfügung, dessen Wert vornehmlich durch Repetierbarkeit bestimmt ist. Repetierbarkeit ist eine entscheidende Vorbedingung für die textuelle "Fungibilität" der mit "in" eingeleiteten Partizipialkonstruktionen. Diese Fungibilität sprachlicher Ausdrucksmuster ist eine in der Natur der Sache begründete Eigenschaft fachsprachlicher Texte. Sie ist das Abbild einer extrem instrumentalen Sprachauffassung. Charakteristisch für phraseologisch verfestigte und damit multiplizierbare und modifizierbare Ausdrucksmuster ist ein Streben nach "Entlastung", um einen von Arnold GEHLEN in die sozialphilosophische Diskussion eingeführten Begriff zu benutzen. Entlastung bedeutet eine Reduzierung von Arbeitsvorgängen, in unserem Fall der Produktion und Rezeption sprachlicher Äußerungen durch die konzeptionelle Standardisierung der den betreffenden fachsprachlichen Formulierungen zugrundeliegenden Denkleistungen und - als Pendant dazu - durch formale Standardisierung des formulativen Energieaufwands. Standardisierung besagt in diesem Fall nichts anderes, als daß die mentale Leistung, sei sie produktiver oder rezeptiver Natur, in bestimmtem Umfang an eine sprachliche Apparatur abgegeben wird, die aufgrund ihrer spezifischen, "modulartigen" Beschaffenheit gleichsam einen Teil der Arbeit im Bereich fachsprachlicher Textproduktion und Textrezeption übernimmt. Fachsprachliche Phraseologismen wären also das Ergebnis einer Art Sprachtechnik "zweiter Natur".

227 Semantische Vagheit von Partizipialkonstruktionen Die soeben angestellten Überlegungen sind aus zwei Gründen Mü-relevant. 1. Der hier diskutierte Partizipialkonstruktionstyp (Ähnliches gilt z.B. für mit "thus" eingeleitete postmodifizierende Partizipialkonstruktionen) ist wegen seines formalsyntaktischen Schemacharakters ein interessantes Untersuchungsgebiet für die ihrem Wesen nach schematheoretisch fundierte Mü-Forschung. Auch ohne eine ins Einzelne gehende Beobachtung der Erscheinungsformen dieses Partizipialkonstruktions-Typs müßte man eigentlich davon ausgehen dürfen, daß solche Partizipialkonstruktionen relativ einheitliche, maschinell identifizierbare Eigenschaften aufweisen und daß die in fachsprachlichen Texten feststellbaren "in"-Partizipialkonstruktionen auf einen semantischen Grundtyp mit wiederkehrenden Strukturmerkmalen reduzierbar sind. Aber diese Annahme trifft, wie die Paraphrasierung (und Übersetzung) von "in"-Partizipialkonstruktionen zeigen würde, nicht zu. 2. Problematisch blei.bt der schon erwähnte Umstand, daß man "in"-Partizipialkonstruktionen (wie fast alle Partizipialkonstruktionen) - jedenfalls beim Transfer Englisch-Deutsch - nichtwörtlich übersetzen muß, weil das in beiden Sprachen vorhandene Partizipialkonstruktions-Ausdruckspotential im syntaktischen Inventar der jeweiligen Sprachbenutzer eine unterschiedliche Rolle spielt und daher unterschiedlich aktualisiert wird. Dazu kommt bei "in"-Partizipialkonstruktionen die Notwendigkeit der semantischen Präzisierung der vagen Konjunktion "in". Grundsätzlich kann man sagen, daß die Möglichkeiten zur Bildung von Partizipialkonstruktionen im Englischen stärker genutzt werden als im Deutschen (LEISI 1955). Dafür spricht einmal die Tatsache, daß sich bestimmte Partizipialkonstruktionen idiomatisch verfestigt haben (concerning/regarding this problem, talking about, allowing for, generally speaking, other things being equal, in doing so, weather permitting, bearing in mind etc.) und deshalb maschinell am besten en bloc gespeichert und verarbeitet werden. Zum andern zeigen englische Übersetzungen deutscher Texte, daß ohne Systemzwang, aber unter dem Druck stilistischer Normen, Partizipialkonstruktionen häufig den Platz finiter Sätze einnehmen, obwohl syntaktische Isomorphie ohne weiteres möglich gewesen wäre. Die Mü-prozessualen Implikationen sind augenfällig. Die fehlende Präzisierung der semantischen Abhängigkeitsrelation zwischen Bezugssatz und Partizipialkonstruktion bewirkt eine "semantic versatility" (QUIRK et al. 1972, 759), die auch beim menschlichen übersetzen oft (überwindbare) Schwierigkeiten bereitet. Die semantische Vagheit ist für den Sprachbenutzer von erheblichem Vorteil und wird offenbar auch in fachsprachlichen Texten häufig praktiziert. Er hat auf diese Weise die Möglichkeit einer subtilen Differenzierung zwischen zentralen und peripheren Inhalten eines

228

Satzgefüges mit Partizipialkonstruktionen. ERBEN hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß die "scheinbare Ungenauigkeit" der Partizipialkonstruktionen "die Ausdrucksmöglichkeiten des Sprechers" erhöht (1970, 20). Die durch die relative Undeutlichkeit der partizipialen Ausdrucksweise bedingte Erweiterung der kommunikativen Leistungsfähigkeit von Partizipialkonstruktionen hat natürlich im Mü-Kontext einen hohen Preis. Sie übersteigt bei weitem die derzeitigen satzanalytischen/satzsynthetischen Möglichkeiten von MU-Programmen. Dies gilt vor allem für solche Partizipialkonstruktionen, die selbst eine komplexe Sinnstruktur aufweisen oder nicht in unmittelbarem Kontakt zu ihrem Bezugssatz stehen oder Teil eines längeren, durch mehrere verschiedene Aussageperspektiven charakterisierten Satzgefüges sind. Aus den bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden, daß der Rechner bei vielen Partizipialkonstruktionen ohne semantische Orientierungen hilflos ist. Man wird sich also, zumindest vorderhand, aber vermutlich langfristig, mit standardisierten semantischen Zuordnungen (im Sinne von "quick and dirty", Kap.IX; LAWSON 1986a, 111) behelfen müssen. Dabei könnte eine gewisse Rolle spielen, daß in fachsprachlichen Zusammenhängen kausale und konditionale Perspektiven qualitativ dominieren. Auf jeden Fall dürfte deutlich geworden sein, daß die erfolgreiche Analyse von Partizipialkonstruktionen, die mit dem ing-Suffix gebildet werden, einen wichtigen Test für das Funktionieren eines Mü-Systems Englisch-Deutsch darstellt. Zunächst wird es darum gehen zu klären, inwieweit mit den beispielsweise in SUSY vorgesehenen Verbots- und Gewichtungstabellen und der darauf aufbauenden Homographenanalyse algorithmisierbare Lösungen gefunden werden können und welche Strategien zur semantischen Vereindeutigung von Partizipialkonstruktionen notwendig und möglich sind. Ein wichtiger Teilaspekt ist die im Englischen schwierige Identifizierung und Vereindeutigung von Satzsegmentgrenzen (SCHMITZ 1986). Mit welchem Aufwand bei ing-Formen auf formalsyntaktischem Gebiet zu rechnen ist, zeigen die folgenden Beispiele: (68) Production SUB (Substantiv)

is

gradually

FIV ADV (Finites (Adverb) Verb)

increasing PTZ (Partizip I) GER (Gerundium) APZ (Adverbialpartizip) SBI (Verbalsubstantiv) ADJ (Attributives Adjektiv)

229

Die im Rahmen von SUSY entwickelte Verbotstabelle kann keine dieser fünf Lesarten für "increasing" ausschließen. Deshalb sind, wie die folgende Darstellung zeigt, fünf Ketten von Analysewortklassen möglich: PTZ GER APZ SBI ADJ

ADV

SEN

(Satzende)

Von den fünf theoretisch möglichen Ketten ist nur eine akzeptabel. Ein Gerundium als komplementsatzwertige Einheit ist nicht möglich, weil die ing-Form das letzte Wort im Satz ist. Ein Adverbialpartizip ist nicht möglich, weil keine Segmentgrenze vorliegt. Ein Verbalsubstantiv kann ausgeschlossen werden, weil die ing-Form nicht durch ein Possessivpronomen oder ein Substantiv im Genitiv determiniert ist. Eine Interpretation als Adjektiv fällt auch weg, weil vor "increasing" kein Artikel und nach "increasing" kein Substantiv steht. Bleibt also nur die Interpretation als Partizipialform in der Funktion einer Verlaufsform. In der Tat kann man mit Hilfe der Gewichtungstabelle für die Wortklassenübergänge die folgenden Gewichte errechnen: ADV ADV ADV ADV ADV

16 7 8 10 12

PTZ GER APZ SBI ADJ

6 6 1 6 5

SEN SEN SEN SEN SEN

= = = = =

96 42 8 60 60

Die Tabelle zeigt, daß die richtige Kette, nämlich die Analyse von "increasing" als Partizipialform in der Funktion einer Verlaufsform, das höchste Gewicht erhält und deshalb vom Operator Homographenanalyse als die in diesem Fall wahrscheinlichste Lösung ausgegeben wird. Eine Analyse über die unmittelbaren Nachbarschaftsbeziehungen von "increasing" hinaus ist nicht notwendig. (69) Being too nervous to reply, he stared at the floor Hier liefert das Programm sechs Lesarten für die ing-Form, da "being" im Worterbuch noch zusätzlich als Substantiv eingetragen ist. Die Verbotstabelle schließt lediglich die Kette SAN (Satzanfang) - PTZ - ADV aus, da PTZ am Satzanfang verboten ist. Wenn man auch hier wieder mit Hilfe der Gewichtungstabelle für die Wortklassenübergänge Gewichtungsberechnungen anstellt, kommt folgendes Ergebnis heraus:

230

SAN SAN SAN SAN SAN

10 10 18 5 5

SUB GER APZ SBI ADJ

1 7 3 5 1

ADV ADV ADV ADV ADV

10 70 54 25 5

Das Ergebnis zeigt, daß mit Hilfe von Gewichtungsberechnungen allein die richtige Interpretation nicht immer gewährleistet ist. Es ist daher notwendig, einen weiteren Analyseschritt auszuführen, der mit folgenden Kriterien operiert: GER haben den Status infiniter Komplementsätze. Dieser Status liegt hier nicht vor; deshalb kann in diesem Fall die Lesart GER ausgeschlossen werden, obwohl sie nach den Gewichtungsberechnungen die höchste Punktzahl erreicht. (70)

He likes painting

Hier liefert das Programm sechs Lesarten; davon sind nur die Ketten APZ und PTZ verboten. Die Gewichtungsberechnungen haben folgendes Ergebnis: FIV FIV FIV FIV

12 10 1 2

SUB GER SBI ADJ

21 6 6 5

SEN SEN SEN SEN

= = = =

252 60 6 10

Das Ergebnis zeigt, daß auch hier die richtige Kette nicht die höchste Punktzahl erreicht. Hier ist es schwierig, eine Monosemierungsstrategie zu entwickeln, da nach "like" ein Substantiv eine hohe Auftretenswahrscheinlichkeit besitzt: (71) He likes apples (72) He likes music Eine mögliche Lösung zur Beseitigung dieser Mehrdeutigkeit könnte die bei Substantiven kodierte syntaktisch-semantische Subklassifizierung in "count nouns" und "mass nouns" bieten, weil "count nouns" im Singular einen Artikel erfordern. Am kompliziertesten liegen die Dinge bei dem bereits diskutierten Satz (19a) Flying planes can be dangerous (19g) Fliegende Flugzeuge können gefährlich sein (19h) Flugzeuge zu fliegen kann gefährlich sein Dieses Beispiel zeigt, daß ohne Kontext weder durch eine Analyse der Nachbarschaftsbeziehungen noch durch eine Analyse des Gesamtsatzes die hier auftretenden Mehrdeutigkeiten (vor allem SAN - ADJ - SUB) beseitigt werden können. Hier kommt man also nur über eine die Satzgrenzen übergreifende Analyse weiter, ein Umstand, der natürlich nicht nur für die maschinelle Verarbeitung von Partizipialkonstruk-

231 tionen gilt. Die Entwicklung von satzübergreifenden Analyseverfahren wäre allerdings erst dann ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn sich herausstellen sollte, daß eine oberflächenstrukturell orientierte Analyse im Satzrahmen so viele Probleme der Verwendung von ing-Formen offenläßt, daß zur Gewährleistung des von einem fachtextorientierten MüSystem geforderten Qualitätsminimums auf textbezogene Analyseoperatoren nicht verzichtet werden kann. Wie weit bei der syntaktisch-semantischen Disambiguierung von adverbialen Partizipialkonstruktionen die KI-Forschung mit Problemlösungsstrategien aufwarten kann, ist ungewiß. Die KI-Forschung versteht sich als antimetaphysische Wissenschaft, die nicht die Welt verändern, sondern die Welt verstehen lernen will. Dazu bedient sie sich einer begrenzten Menge von Denk- und Handlungsschemata. Ziel der KI-Forschung ist es, das zeitlos Beharrende, das was sich durch den Strom der Zeit hindurchrettet, ausfindig zu machen; aber die anthropologische Grundfrage, wie sich im Denken und Handeln Einheit und Vielheit zueinander verhalten, wie Norm und Abweichungen zueinander stehen, gehört nicht, jedenfalls nicht in programmatischer Form, zu ihrem Forschungsparadigma. Sie setzt auf determinierte Interaktion, auf starke Systematisierung, auf übergeneralisierung, auf die Kraft der normativen Konstruktion. Dabei ist es der KIForschung ziemlich gleichgültig, daß sie durch die Uberbetonung des "patterned behaviour" unser irrtumseinkalkulierendes (fallibilistisches) Mißtrauen provoziert. Der "Entzauberung der Welt durch das Denken", von der Max WEBER sprach, folgt jetzt offenbar - evolutionslogisch durchaus folgerichtig - die "Entzauberung des Denkens" selbst. Schon 1966 hat BIERWISCH in einem bemerkenswerten wissenschaftsgeschichtlichen Überblick die Aufhebung des methodologischen Dualismus zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften als die entscheidende Leistung des modernen Denkens bezeichnet und für alle Wissenschaftsdisziplinen den "strukturalistischen Imperativ" verkündet. Den damit verbundenen methodologischen Universalitätsanspruch hat er, wenn ich richtig sehe, 1983 unter kognitionspsychologischem Aspekt wieder aufgegriffen. Ob man mit einem "kategorischen Strukturalismus", der nicht auf menschliches Wissen, sondern auf maschinelle Wissenssimulation setzt, alltagspraktisch operieren kann, erscheint mir allerdings fraglich. Ich glaube, gerade ein semantisch (und auch syntaktisch) so verwickeltes Problem wie die maschinelle Disambiguierung von adverbialen Partizipialkonstruktionen zeigt, daß Sprache eher ein "ungeheures Gewebe" im Sinne Wilhelm VON HUMBOLDTS als eine automatentheoretisch funktionierende Apparatur im generativ-regulativen Sinne ist. Natürlich ist auch die Textur der Sprache nicht chaotisch, sondern regelhafter Natur, aber diese Regeln sind, jedenfalls im semantischen Bereich, so subtil, daß man sie vollumfänglich nicht auf den Rechner bringen kann.

232 Deswegen ist die BAR-HILLELsche Konzeption einer "Fully Automatic High-Quality Translation" (Kap.IX), wie im abschließenden Kapitel deutlich werden wird, nicht mehr oder noch nicht wieder - aktuell.

233 XII. Menschliche und maschinelle Obersetzung - Eine Bilanz

Computertechnologie als Schlüsseltechnologie Die Ausführungen der Kapitel VIII-XI machen deutlich, daß kaum einmal eine Fragestellung in der Sprachwissenschaft so provozierend gewirkt hat und daß kaum einmal die Ansichten über die operative Lösbarkeit eines Problems so hart aufeinandergeprallt sind wie in der Diskussion über die Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen der Mt). Dem totalen Mü-Pessimismus, den BAR-HILLEL, einer der Pioniere der MüForschung, Anfang der 60er Jahre verbreitet hat (Kap.IX), steht heute ein MU-Optimismus gegenüber, den HUTCHINS, einer der besten Kenner des MU-Umfelds, folgendermaßen ausgedrückt hat: "The periods (of MT; MT = mechanical translation; W.W.) are roughly decades, and so it is tempting to believe that a new decade is now beginning. If so, it may possibly be marked by a burst of activity associated with the Japanese 'fifth generation' project and by a resurgence of MT research in the United States, for which there are already signs (conferences at Georgetown and Colgate University in 1985, and the foundation of a new specialist journal Computers and Translation). Whether entering a new period or not, the future of MT is secure: it satisfies a genuine urgent need, it is the subject of worldwide research and development, and it is becoming a commercial product like other technical aids and office equipment; the application of the computer to translation is a reality, for many it is already as much a part of life as the computer itself" (1986, 334f.). Nun ist nicht in Abrede zu stellen, daß die Mü-Forschung seit ihrem Beginn Ende der 40er Jahre deutliche Fortschritte gemacht hat. Diese Fortschritte sind aber eher im Rahmen einer umfassenden Problematisierung des Mü-Objektbereichs als in konkreten Mü-Ergebnissen zu sehen. Es gibt zwar operative maschinengestützte Systeme, jedoch kein operatives Mü-System im Sinne des BAR-HILLELschen Postulats der "Fully Automatic High Quality Translation" (Kap.IX). So paradox es klingen mag: Mit der fortschreitenden Entwicklung der Mt) türmen sich die Probleme auf. Die Entwicklung von MU-Algorithmen stößt bisher an Grenzen der Programmarchitektur und der Programmaktualisierung, und gerade letztere erweist sich als notwendig, weil das Volumen der sprachlichen Kenntnisse, die algorithmisch verarbeitet werden müssen, ständig wächst, jedenfalls dann, wenn man empirisch

234 mit natürlichsprachlichen, frei formulierten Texten arbeitet. Wenn dessen ungeachtet an der Mü festgehalten wird, dann wohl nicht zuletzt aus folgendem Grund: Die nationale und die internationale Kommunikation unserer Zeit ist durch komplexe Systeme, Strukturen und Mechanismen geprägt. In exemplarischer Form ist diese Entwicklung in den EG zu beobachten. Aus den ursprünglich vier Amtssprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Niederländisch) sind im Laufe der Zeit durch den Beitritt Großbritanniens, Irlands, Dänemarks und Griechenlands sieben geworden. Diese Zahl hat sich neuerdings durch den Eintritt von Spanien und Portugal auf neun erhöht. Die Spracheninflation in den EG hat ihren Preis: Aus den ursprünglich vier Sprachen (mit zwölf Sprachenkombinationen) sind inzwischen neun (mit 72 Sprachenkombinationen) geworden, da die EG bei ihrer egalitären Sprachenpolitik geblieben sind. (Die Sprache eines jeden Mitgliedsstaates ist automatisch Amtssprache.) Eine Verringerung der EG-Amtssprachen auf zwei oder drei ist derzeit nicht durchsetzbar; dafür ist das Beharrungsvermögen der einzelnen Sprachen in den EG zu stark. Die Einführung einer Welthilfssprache (z.B. Esperanto) als eines universalen Kommunikationsmediums steht nicht zur Diskussion, denn die Muttersprache ist Trägerin und Vermittlerin der Erfahrungserstwelt. Jeder Versuch, die internationale Kommunikation auf eine künstliche Welthilfssprache umzustellen, wird als Angriff auf die eigene Muttersprache gewertet. Die starke Bindung des Menschen an seine Muttersprache bewirkt, daß sich die einzelnen Sprachgemeinschaften, auch wenn sie europäisch denken, gegen ein Verständigungsmedium wehren, das bei all seinen praktischen Vorzügen den entscheidenden Nachteil hat, keine natürlich gewachsene Sprache, sondern ein logifiziertes, extrem normatives, synthetisches Informationskalkül zu sein. Die aktuelle Kommunikationsproblematik wird dadurch verschärft, daß ständig neue wissenschaftliche und technische Sachverhalte aufgearbeitet und vermittelt werden müssen (Kap.I). Diesem Trend entspricht der rasche Ausbau der Computertechnologie. Die neueste Entwicklungsphase auf diesem Gebiet stellen preiswerte Arbeitsplatzrechner und Heimcomputer dar. Hier herrscht Aufbruchstimmung. Es ist heute schon deutlich abzusehen, daß in den nächsten Jahren immer mehr Berufstätige und Studierende, und sicher nicht an letzter Stelle die Übersetzer(Studenten), mit Computern zu tun haben werden. "... translator training will in future have to acknowledge the existence of MT (=Machine Translation; W.W.) in the same way as it has already acknowledged terminology as a separate discipline and is taking account of the techniques of word-processing" (J.C. SAGER 1984, 333) .

235 Niemand wird heute noch ernsthaft bestreiten wollen, daß die Computertechnologie eine "Schlüsseltechnologie" geworden ist, die nahezu alle Bereiche menschlicher Tätigkeit so massiv durchdringt, daß "Computer literacy" ein wichtiger Faktor beruflicher Dialogfähigkeit geworden ist. Von der Computertechnologie gehen gesellschaftliche und politische Impulse aus, deren Wirkungen in bestimmtem Umfang vorhersehbar sind. Sie bieten die Möglichkeit, in wirtschaftliche, politische, militärische, soziale und kommunikative Entwicklungen und Abläufe verändernd einzugreifen und ganz neue Formen interdisziplinärer Kooperation zu entwickeln. Sicher ist, daß die Maschine nicht eine Entwicklung in Richtung auf den Menschen nimmt. Die Mü-Technologie kann man - bei allem Bemühen um "Bedienerfreundlichkeit" - nicht so konzipieren, daß sie sich dem Menschen anpaßt. Der Mensch hat sich dem Joch der Computertechnologie unterzuordnen, was aber noch lange nicht bedeutet, daß der Mensch ein "maschinennaher Software-Symbiot" (GUGGENBERGER 1987, 124) wird. Der Versuch, dem Computer beizubringen, so zu "denken", wie der Mensch denkt, ist aussichtslos. Daran ändert im Prinzip auch die Tatsache nichts, daß man sich heute daran macht, Programme zu konstruieren, die zwar den Leistungen vernetzter biologischer Systeme näherkommen, aber nur im Umfeld stark vereinfachter Sachverhalte operativ werden können. In der "Interaktion" mit dem Rechner nützt es dem Menschen nichts, daß er ein dem Funktionsprinzip des Rechners qualitativ weit überlegenes mentales Verknüpfungssystem besitzt. Deshalb ist die Befürchtung abwegig, der Rechner könne sich im Rahmen selbsterdachter Welten gleichsam verselbständigen und in Konkurrenz zum Menschen treten. Der Rechner kann sich nicht selbst programmieren; er ist und bleibt ein "Rechenknecht" , der auf die Programmierleistung des Menschen angewiesen ist. Der Rechner hat weder Intuition noch Imagination. In seinem System waltet keine teleologische Kraft; er hat keine Vorstellung von der Zukunft. Die Vorstellung von einem "schöpferischen" Rechner ist wirklichkeitsfremd. Kein Rechner kann einen anderen Rechner eines Besseren belehren; er kann auch nicht über sich selbst nachdenken oder über einen anderen Rechner reflektieren. Wie man einem Blinden nicht die Erfahrung von Farbe mitteilen kann, so kann man einem Rechner keine Bewußtseinserfahrung vermitteln. "(The) machine doesn't care" (SLOCUM et al. 1984, 26). "Given that microelectronics, through process control and data-processing, affects a great deal of occupations, this only concerns some aspects of jobs. The more microelectronics is diffused, the less it is constitutive of its own sector of occupations, and the more has it to be seen as a differentiated phenomenon, adjusted to the specificities of different activities which do

236 not lose their "traditional" process characteristics" (SORGE 1981, MS). Diese Feststellung wird durch den Umstand bestätigt, daß, wie auf der Computer-Messe 1987 in Hannover deutlich zu hören war, die Zeit der Computereuphorie erst einmal vorbei ist und daß es bis zum Jahr 2000 große Überraschungen hier nicht geben wird. Vergleich zwischen menschlicher und maschineller Datenverarbeitung Ausmaß und Grenzen der Computerisierung unserer Umwelt liegen noch weitgehend im Dunkeln; dies ist bei der Vielfachverwendbarkeit des Rechners auch nicht anders zu erwarten. Die applikative Offenheit ist im Bereich der Sprachdatenverarbeitung, und hier wieder auf dem Gebiet der MÜ, unverkennbar. Vertreter der Computerwissenschaft sehen die beiden Manifestationen des Ubersetzens, die Ubersetzung durch den Menschen und die Ubersetzung durch den Rechner, als eine Art Systemvergleich, der es ihnen ermöglicht, gemeinsame und unterschiedliche Merkmale des Ubersetzens durch den Menschen und durch die Maschine herauszuarbeiten. Sowohl das menschliche System als auch das System des Rechners empfangen Informationen, die die Grundlage für menschliche Ubersetzungstätigkeiten und Mü-Prozeduren darstellen. Beide Systeme verfügen über eine Speichereinheit; beide besitzen operative Möglichkeiten, die bestimmen, in welcher Weise der "Input" verarbeitet werden soll; beide können das Ergebnis der einzelnen Verarbeitungsschritte überprüfen, beispielsweise um den tatsächlichen Ablauf eines Prozesses mit dem geplanten Prozeßablauf zu vergleichen. Beide Systeme arbeiten nach einem Plan, der Anweisungen zu prozeßhaftem Handeln gibt. Trotzdem bestehen zwischen menschlicher Übersetzungsaktivität und Mü-Prozeduren mehr grundlegende Unterschiede als Gemeinsamkeiten: 1. Sprache ist, wie wir seit PLATON (Kratylos-Dialog) wissen und wie uns in diesem Jahrhundert durch DE SAUSSURE (1916) und später in differenzierterer Form durch K. BÜHLER (1934) ins Gedächtnis gerufen wurde, ein Zeichensystem (COSERIU 1967). D.h., Sprache besteht aus Symbolen, die in paradigmatischen und syntagmatisehen Relationen zueinander stehen und die in der Sprachverwendung in Form von texthaften, situativ eingebetteten Äußerungen aktualisiert werden. Dieses Zeichensystem ist, wie jedes Zeichensystem, gleichgültig, ob indexikalischer, ikonischer oder symbolischer Natur (REICHENBACH 1947), strukturiert. Aber das sprachliche Zeichensystem ist mit dem Zeichensystem der mathematischen Symbolsprache oder einer Programmiersprache nur begrenzt vergleichbar. 2. Jedes System ist durch Regeln determiniert. Allerdings gilt diese Regeldeterminiertheit nicht für alle Systeme in

237 gleichem Maße. So ist z.B. die Mathematik ein geschlossenes System, die Sprache dagegen ein offenes, dynamisches System, das i.a. Regelbefolgung verlangt, aber auch Regelabweichungen und Regeländerungen (GÖTTERT 1979) zuläßt. Deshalb ist es schwierig, sprachliche Ordnungen ausschließlich algorithmisch zu erfassen und in Form logischer Kalküle darzustellen. Sprache befindet sich immer nur im Zustand einer relativen Fixiertheit; jede Sprache weist stets eine synchrone und eine diachrone Perspektive auf. Ein gutes Beispiel dafür ist in der deutschen Gegenwartssprache die allmähliche, aber inzwischen auch schon von der DUDEN-Grammatik (1959, 296) akzeptierte Erweiterung des "-weise"-Suffixes von einem Adverb-Suffix zu einem Adverb- und Adjektiv-Suffix. Die Ursache für die Funktionserweiterung des "-weise"-Suffixes ist vermutlich in der starken Nominalisierungstendenz der deutschen Gegenwartssprache zu sehen. 3. Uber sprachliche Regeln hat man diskutiert, seitdem man sich wissenschaftlich mit Sprache befaßt, aber bei dieser Regeldiskussion ging es ausnahmslos um strukturalistische oder sprachgenetische Regeln, wie z.B. die Standardabfolge der Satzglieder in der Reihenfolge Subjekt-Prädikat-Objekt oder das sog. Lautverschiebungsgesetz. Den prozeduralen allerdings automatentheoretisch orientierten - Regelbegriff verdankt die Linguistik der generativen Transformationsgrammatik, die von CHOMSKY (1957; 1965), bezeichnenderweise einem Physiker, nicht etwa einem Linguisten, in die sprachwissenschaftliche Diskussion eingebracht worden ist, und es ist kein Zufall, daß er den Begriff des "rule-governed behavior" geprägt hat. Dabei verstand er, und das erklärt das große Interesse der Mü-Forschung an der generativen Transformationsgrammatik, "rule-governed behavior" als einen Formalismus oder als ein Kalkül, mit dessen Hilfe man sprachliche Äußerungen erzeugen, explizit beschreiben und erklären kann. Allerdings sind, wie wir wissen, der sog. "operativen Relevanz binärer Schematisierung" enge Grenzen gesetzt. Nicht alles Denken ist in Chips transformierbar. Die Sprache versagt sich dem streng reglementierten Kalkül; der nur phänomenologisch zu beschreibende Sprachgebrauch läßt sich von keiner wie immer gearteten binaristisch fundierten Theorie ableiten: "In hypothesizing that the relevant aspects of language knowledge can be characterized in formal structures, the cognitive paradigm is in disagreement with views such as phenomenology, which argue that there is an ultimate limitation in the power of formalization and that the most important aspects of language lie outside its limits. Much of the debate about the possibility of artificial intelligence centers around this question" (WINOGRAD 1983, 20f.).

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Das, was wir üblicherweise Wirklichkeit nennen, ist ohne die konstruktive Leistung des erkennenden Subjekts nicht vorstellbar. So nimmt es nicht wunder, daß die Sprachwissenschaft inzwischen komplementär zur generativen Transformationsgrammatik neue theoretische Ansätze entwickelt hat, und zwar unter Einschluß der rezeptiven Dimension der Sprachverwendung, weil die Produktion sprachlicher Äußerungen eine Sache ist und die Rezeption sprachlicher Äußerungen eine andere. Die von der Kommunikationswissenschaft postulierte Spiegelbildlichkeit sprachlicher Produktion und sprachlicher Rezeption ist eine Fiktion. Sonst gäbe es wohl kaum eine sprachliche Hermeneutik, sonst wäre wohl auch nicht die Verständlichkeitsforschung eine ganz neue und wichtige Teildisziplin für die moderne Sprachwissenschaft geworden. Das binäre, streng kausalgesetzliche Denken ist in der Sprache, Sprache hier verstanden als Sprachperformanz und nicht als Sprachkompetenz im generativen Wortsinne, nicht so ausgeprägt, wie die generative Transformationsgrammatik postuliert hat. "... language-makers, that is ordinary speakers, are not very accurate thinkers. But neither are they devoid of a certain natural logic ..." (JESPERSEN 1951, 81). 4. Der Hauptuntefschied zwischen formaler und natürlicher Logik (Erfahrungslogik) besteht darin, daß die natürliche Logik viel komplexer ist als die formale Logik und deswegen auch effektiver arbeiten kann, übertragen auf die Mt) bedeutet dies, wie gesagt, daß die Mü-Forschung einen Riesenapparat an Formeln und Regeln in Gang setzen muß, um zu konkreten Ergebnissen zu gelangen, die der Mensch mit weniger Aufwand erreichen kann. Dies rührt daher, daß der Ubersetzer das praktiziert, was WICKELGREN "self-terminating search" nennt, wogegen die Maschine auf der Basis eines "exhaustive search" (1979, 262) operiert. D.h., Mensch und Maschine haben unterschiedliche Informationsverarbeitungsweisen: Der Ubersetzer ordnet aufgrund seiner Wahrnehmung sprachliche Strukturen situativ bedingten Prozessen zu; die Maschine ordnet Prozesse auf der Basis eines Programms den algorithmisch repräsentierten sprachlichen Strukturen zu. Im Gegensatz zu Informationsverarbeitungsprozessen durch den Menschen sind Informationsverarbeitungsprozesse durch den Rechner jederzeit kontrollierbar. "Unlike the human mind, the Computer's workings are completely open to inspection and study, and we can experiment by building programs and knowledge bases to our specifications (WINOGRAD 1983, 13). Im Bereich des menschlichen Wahrnehmungsraums beruht das Ergebnis der Informationsverarbeitung auf aktiven mentalen Eigenleistungen, die auf der menschlichen Fähigkeit zur teils stereotypgebundenen, teils stereotypfreien Selbstorganisation von Wissen aufbauen. Maschinelle Informationsverarbeitung ist dagegen prinzipiell prototypischer Natur;

239 dabei ist der Wissenshorizont des Rechners auf digitalisierbares Wissen eingeengt (KAIL/PELLEGRINO 1985, 59). Den Unterschied zwischen menschlichen Ubersetzungsprozessen und maschinellen Transferprozeduren kann man auch durch einen Vergleich zwischen dem Verfahren der "multiple stage translation" (Kap.IV) und den in der Sprachdatenverarbeitung praktizierten Flußdiagrammen deutlich machen. Wenn ein Ubersetzer nach der Methode der "multiple stage translation" arbeitet, orientiert er sich zunächst weitgehend am Ausgangstext und vergrößert dann im Rahmen einer linearen oder nichtlinearen "cumulative self-correction" (STEINER 1975, 269) durch kognitive Operationen den Abstand zu diesem Ausgangstext unter zunehmender Berücksichtigung lexikalischer, idiomatischer, phraseologischer, syntaktischer, semantischer, soziokultureller und stilistischer Ausdrucksmittel der ZS, bis er glaubt, eine den zs Normen entsprechende situationsgerechte zs Formulierung gefunden zu haben. In vereinfachter Form kann man die Methode der "multiple stage translation" folgendermaßen veranschaulichen, wobei die einzelnen Arbeitsschritte nicht unbedingt sequentiell aufeinander zu folgen brauchen:

Analyse

Synthese

Ausgangstext

Zieltext

\\

\

\

\

\

\

V

I n t e r l i n g u a l Gemeintes Flußdiagramme sind dagegen streng binaristisch-linear angelegt. Sie müssen so organisiert sein, daß das darauf aufsetzende Verarbeitungsprogramm in dem jeweils erforderlichen Umfang Informationen erfolgreich suchen, kombinieren oder auch verwerfen kann:

240

Hier scheint nun freilich neuerdings einiges in Bewegung geraten zu sein. Während man bisher davon ausging, daß am linearen Prinzip von Flußdiagrammen nichts zu ändern ist, wird heute, bedingt durch neue Erkenntnisse in der kognitiven Psychologie, die strenge Vorausbestimmtheit der Ergebnisse flußdiagrammorganisierter Prozeßabläufe relativiert. Begriffe wie "Chaos-Theorie" (DEKER/THOMAS 1983) oder Verfahrensweisen wie die "Monte-Carlo-Methode" sind heute in der Physik nicht mehr tabu. Neben das Prinzip der Linearität ist heute das von Hans-Joachim QUEISSER als "nicht-Tendenz" bezeichnete Prinzip der Nichtlinearität getreten: "Die strenge Vorausbestimmung, die Determiniertheit der klassischen Physik beruht auf einer wesentlichen Vereinfachung, nämlich der Annahme linearer Zusammenhänge. Das Ohmsche Gesetz ist hierfür einfaches Beispiel. Doppelte Spannung ergibt doppelten Strom. Genügend kleine Abweichungen vom Gleichgewicht lassen solche Linearisierung als Näherung fast immer zu. Lineare Wechselwirkungen sind mit relativ einfacher Mathematik zu

241 beschreiben; sie gestatten geschlossene Lösungen; die Differentialgleichungen enthalten also auch keine unerwarteten Überraschungen. Diltheys Protest gegen die mechanische Naturerklärung betrifft also gerade diese Vereinfachung einer geradlinigen Fortsetzung, denn Leben ist durch Nichtlinearität gekennzeichnet: Komplexe Organismen ertragen oft Änderungen äußerer Einflüsse ungestört bis zu einer gewissen kritischen Grenze, an der sie schlagartig mit einer meist fundamentalen Umstellung auf die äußeren Bedingungen antworten. Solches schlagartige, nichtlineare Verhalten ist typisch auch für menschliches Zusammenleben; wir kennen es zum Beispiel bei wirtschaftlichen, bei historischen Abläufen. Eine andere Folge nichtlinearer Beziehung ist es, daß kleine Anlässe oft weit überproportionale Einflüsse ausüben (SZ 31/7-1/8/1982). Dementsprechend ist die Sprachdatenverarbeitung - experimentell - dabei, sich vom Prinzip der seriellen Organisation maschineller Verhaltensschemata (in Form von Stammbäumen) zu lösen und komplexe Strukturnetze ("vermaschte" Strukturgebilde) auf der Basis assoziativer Netze (QUILLIAN 1968) zu entwickeln und dadurch Programmsysteme zu flexibilisieren und zu optimieren (HABEL 1984). Allerdings stehen diese Vernetzungsversuche noch ganz am Anfang und sind bisher auch nur bei ganz einfachen Rahmenbedingungen aussichtsreich. Immerhin laufen diese Entwicklungen darauf hinaus, naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Erkenntnisse zu verknüpfen und die Dichotomie heuristischer vs. algorithmischer Denkformen zu überwinden (z.B. bei Schachcomputern). Diese Tendenz beruht auf der Erkenntnis, daß erfahrungsgemäß jemand, dem die Lösung eines Problems aufgegeben ist, in seinem Gedächtnis nachforscht, ob er nicht zu einem früheren Zeitpunkt ein ähnliches Problem gelöst hat und, wenn dieser Test positiv ausfällt, die damals gefundene Lösung im Rahmen eines "transfer of training" auf die neue Problemsituation überträgt. In einem solchen Fall braucht der Betreffende keine heuristischen Problemlösungsstrategien in Gang zu setzen, sondern kann sich "algorithmisch" verhalten und den Lösungsweg im Rahmen von "search reduction methods" (WICKELGREN 1979, 373) abkürzen. Auf dem Mü-Gebiet sind Abkürzungsstrategien im anthropomorphen Wortsinn nicht möglich. Man kann zwar Programme so anlegen, daß maschinell entscheidbar ist, welches der ökonomischste Zielfindungsweg ist. Läuft aber ein Programm erst einmal, so kann man keine Abkürzungswege mehr beschreiten. Natürlich kann man jederzeit ein Programm abschalten oder unterbrechen, z.B. um Korrekturen vorzunehmen, aber das ist mit einem Abkürzungsverfahren, wie es ein Mensch - etwa mit Hilfe von "qualitativen Sprüngen" - praktizieren kann, nicht vergleichbar. Jedes Programm ist gleichsam voll durchgerechnet, und zwar auf der Basis von vereinfachten

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Modellzuständen. D.h., man versucht, nach dem Vorbild des naturwissenschaftlichen Experiments alle nichtrelevanten Größen auszufiltern und nur jene Faktoren in ein Programm einzubauen, die die gestellte Aufgabe wesentlich bestimmen. Dies läßt sich z.B. dadurch erreichen, daß man, wie etwa beim System TITUS oder bei TAUM/METEO (BLATT et al. 1985), nicht nur mit einem eingeschränkten Lexikon, sondern auch und vor allem mit einer kontrollierten Syntax operiert (Kap.X). Das Ziel dieser Vereinfachungsstrategien ist es, den Autor maschinell zu übersetzender Texte auf eine möglichst geringe "Satztiefe" (Victor YNGVE) festzulegen und dadurch mit einem begrenzten syntaktischen Programmieraufwand auszukommen. Solche Vereinfachungsstrategien beruhen auf folgenden Überlegungen: "... the level of syntactic analysis which is found in books intended for human beings is much shallower than the level needed for computational work. An adequate syntactic analysis for machine translation requires an intensive study of the language structure, and the establishment of refined subcategorizations. It is necessary to make explicit many mechanims of the grammar which the speakers of the language, and particularly the native speakers, know only subliminally; native speakers of the language have learned to use these mechanisms at so early an age, and have so reduced that use to the level of habit that, as adults, they are not conscious of what these mechanisms are" (MACDONALD 1979, 91). Im Gegensatz zum Rechner verfügt der Mensch nicht nur über ein schematisches Verhaltenswissen (welches er aktiviert, wo immer er kann), sondern auch über variable Handlungsstrategien. Letztere basieren auf dem Umstand, daß der Mensch ein assoziatives Gedächtnis besitzt, mit dem er eng oder auch nur ganz entfernt zusammengehörige Daten(muster) verknüpfen kann. In diesem Fall aktiviert er gleichzeitig eine Vielzahl von Nervenzellen und kann auf diese Weise komplexe Aktivitätsmuster aufbauen. Vergleichbares sollen die in der Entwicklung befindlichen sog. "Parallelrechner" leisten. Kategorialsemantik vs. Prozeßsemantik Wenn die MU-Forschung sich heute mit dem Gedanken trägt, mit Parallelrechnern zu experimentieren, dann deswegen, weil man hofft, damit den "Stil" (die Funktionsweise) neuronaler Systeme nachahmen zu können. Dies bedeutet gleichzeitig den Abschied von dem Glauben, eine logisch fundierte Semantiktheorie ("markerese semantics"), wie sie etwa von KATZ/FODOR (1963), entwickelt worden ist, sei mit einer psychologisch fundierten Semantiktheorie gleichzusetzen. Erstere kann man als abstrakte, statische "Bedingungsseman-

243 tik", letztere als dynamische "Prozeßsemantik" (procedural semantics) bezeichnen. Das Ziel der Prozeßsemantik, mit der die Mü-Forschung menschliches und maschinelles Verhalten einander anzunähern versucht, hat WINOGRAD so formuliert: "... "procedural semantics" ... looks at the underlying structure of language as fundamentally shaped by the nature of processes for language production and comprehension" (1976, 261). Mit diesem Ansatz, der allerdings z.Zt. noch eher Zielvorstellung als forschungspraktische Wirklichkeit ist, wären, wenn er operativen Status erlangen sollte, viele Mü-Probleme viel effektiver lösbar, als dies bisher der Fall ist. In bestimmtem Sinn stellt die Prozeßsemantik in der Mü-Forschung so etwas wie einen Umkehrtrend dar. Während es bisher darum ging (und auch heute noch im wesentlichen darum geht), sprachliche Zusammenhänge mit Hilfe prädikatenlogischer Begriffe abzubilden, wie es WITTGENSTEIN in seinem Tractatus logico-philosophicus (1942) versucht hat, strebt die Mü-Forschung, wie angedeutet, die Strukturbeschreibungen auf der Basis "normaler" Textrealität an. M.a.W.: Die Mü-Forschung will die Software durch prozeßgesteuerte Algorithmen dynamisieren. In letzter Instanz wird dies bedeuten, daß man die ganze Fülle sprachlicher Ereignisse, wenigstens soweit sie Mü-relevant sind, in entsprechend komplexen Modellen durchzurechnen, abzubilden, zu speichern und zu operationalisieren hätte. Die Frage, wieweit dabei die "Konsituativität" sprachlicher Äußerungen berücksichtigt werden kann, ist derzeit nicht beantwortbar. Die Prozeßsemantik geht davon aus, daß die Verarbeitung von sprachlichen Daten im Rahmen hierarchischer Strukturen erfolgt, wobei drei Ebenen, die Verarbeitung von Wörtern und Wortgruppen, die Verarbeitung von Propositionen (Sätzen und Satzgefügen) und die Verarbeitung von satzübergreifenden Texteinheiten, unterschieden werden müssen. Dabei ist das Erkennen und das Abrufen von Wortern weniger prozeßaufwendig als das Erkennen von Sätzen und Texteinheiten. Dieser Umstand erklärt, daß der maschinengestützten Übersetzung, bei der es im wesentlichen um das Erkennen und Transferieren lexikalischer Einheiten geht, bisher größere Erfolge beschieden waren als der Mü im engeren Wortsinn. Wie schon mehrfach angedeutet, klaffen in der Mü Wunsch und Wirklichkeit auseinander: "... vast areas of meaning and use still elude formal description - Computers are much too stupid to appreciate them ..." (LONGUET-HIGGINS 1981, 303). Wenn man einmal davon absieht, daß LONGUET-HIGGINS dem Rechner anthropomorphe Eigenschaften zuschreibt, könnte man seine Feststellung umdrehen und folgendermaßen argumentieren: Dem Menschen fehlt die Fähigkeit, sprachliche Zusammenhänge vollständig zu physikalisieren oder zu "mediatisieren" (Hartmut VON HENTIG). Darunter ist die Fähigkeit zu

244 verstehen, alle nur denkbaren Sachverhalte vollumfanglich explizit zu machen und zu regularisieren. Wir sind (noch) nicht darauf eingestellt, das vermeintlich Selbstverständliche in Frage zu stellen, und wir gewöhnen uns erst langsam an den Gedanken, daß uns der Computer einen Vergrößerungs- oder Zerrspiegel vorhält, in dem bestimmte Erscheinungen, die uns im Alltag nicht auffallen, so deutlich vor Augen geführt werden, daß wir daraus Erkenntnisse für eine verbesserte Computerprogrammierung ableiten können. Dabei ist die bloße Erkenntnis, daß es so, wie wir es bisher gemacht haben, nicht geht, unzureichend, weil sie im Regelfall nur zu einer vagen Veränderung der bisher praktizierten Verfahrensweisen führen würde. Wichtig ist die Erkenntnis, warum es so nicht geht, d.h., wir müssen den Konfliktursachen nachspüren, wenn wir die erkannten Fehler systematisch korrigieren wollen. Wenn durch ein solches heuristisches Verhalten im Laufe der Zeit Mü-Programme besser werden, woran kein Zweifel besteht, dann deswegen, weil, wie angedeutet, der Mensch - und nicht etwa die Maschine - etwas dazugelernt und neue Einsichten gewonnen hat, die er im Rahmen des sog. "periodic updating" - in Form von neuen Algorithmen oder Subroutinen dem Computer zugänglich machen kann. Allerdings gibt es hier Grenzen: "... we have come to understand ... that if we are to ever build natural-language systems with both depth and breadth, we must come to grips with either the problem of learning from experience, or the problem of designing and building software systems of a scope and subtlety beyond anything yet accomplished" (WALTZ 1982, 29). Deshalb wird, wie angedeutet, die Maschine den Menschen nicht überholen; sie wird ihn noch nicht einmal einholen, solange der Mensch an die Chance seiner autonomen Selbstverwirklichung glaubt. "Für Roboter gibt es vorerst keinen besseren Ersatz als den Menschen", hat Raimund VIDRANYI einmal gesagt. Die Maschine beißt sich an den vielschichtigen Wirkungszusammenhängen der menschlichen Sprachverwendung die Zähne aus, weil diese Sprachverwendung zu komplex ist, als daß sie vollumfänglich in Form von Programmen verarbeitet werden könnte. Zukunftsperspektiven der maschinellen Übersetzung M ü wird es in absehbarer Zeit ohne robuste Vereinfachungen, wie sie etwa RIESBECK (1982) in seinem "Realistic Language Comprehension"-System anstrebt, nicht geben. Das menschliche Gehirn ist eine Art "Kombinationsmaschine", die zwar für alle möglichen nichtautomatischen Probleme geeignete Lösungskonzeptionen entwickeln kann, die sich aber bei der maschinengerechten Aufarbeitung von sprachlichen Sachverhalten im Mü-Kontext sehr schwer tut. Man wird sich ebenso damit abfinden müssen, daß es in der Mü-Forschung den Effekt des abnehmenden Grenznutzens gibt, wie mit der Tatsa-

245 che, daß es in der ComputerImplementierung interpretative und wertende Verfahrensweisen, wie sie der Ubersetzer tagtäglich praktiziert, nicht gibt. Deswegen wird der Ubersetzer in Zukunft nicht die Rolle eines Lückenbüßers spielen, sondern zusätzlich zu seinen traditionellen Aufgaben im Einsatz von MU-Systemen konstruktiv und kritisch tätig werden. Sprache ist nun einmal keine "Trivialmaschine" (VON FOERSTER 1985); sie widersteht, wie Werner ROSS einmal gesagt hat, "allen Knopfdruckversuchen unserer Zivilisation" (FAZ 2/5/1970). Daher VON FOERSTERs kühner Vorschlag, die "Kybernetik erster Ordnung", die sich mit der Außensteuerung von in Regelkreisen operierenden Systemen befaßt, durch eine "Kybernetik zweiter Ordnung" zu ergänzen. Letztere hätte herauszufinden, welche "selbstreferentiellen" Eigenschaften offene Systeme psychischer oder sozialer Art haben und in welchem Maß sie sich selbst organisieren und sich selbst adaptieren können. "Selbstreferentielle" Eigenschaften werden im Kontext der Systemtheorie neuerdings auch als "autopoietisch" bezeichnet, aber dieser Begriff ist genauso vage und schillernd wie der Begriff der "black box" des Ubersetzers oder der Begriff der KI, und es ist sehr die Frage, ob Selbstreferentialität ein neues Forschungsparadigma der Systemtheorie wird. ROTH hat mit Recht darauf hingewiesen, daß man, wenn man von "Autopoiesis" spricht, drei Dimensionen, Selbstherstellung, Selbsterhaltung und Selbstreferentialität, unterscheiden muß: "Lebewesen sind selbstherstellende und selbsterhaltende Systeme, und sie sind die einzigen bekannten Systeme dieser Art. Dies schließt ... nicht aus, daß es einmal technische Systeme dieser Art geben kann ... Selbstreferentielle Systeme sind solche Systeme, deren Zustände miteinander zyklisch interagieren, so daß jeder Zustand des Systems an der Hervorbringung des jeweils nächsten Zustands konstitutiv beteiligt ist. Selbstreferentielle Systeme sind daher intern zustandsdeterminierte Systeme ... Selbstreferentialität ist ein universales Organisationsprinzip, das nicht auf lebende Wesen beschränkt ist. Allerdings sind selbsterhaltende Systeme, Organismen, immer auch selbstreferentielle Systeme ... Selbstreferentielle Systeme müssen aber nicht auch selbsterhaltend sein. So ist das Gehirn ... ein selbstreferentielles System par excellence, aber es ist keineswegs selbsterhaltend ... Selbstreferentielle Systeme sind hinsichtlich ihrer Zustände operational abgeschlossen. Sie sind zwar - zumindest teilweise - durch externe Ereignisse modulierbar oder beeinflußbar, sie sind eiber nicht steuerbar. Sie definieren, welche Umweltereignisse in welcher Weise auf die Erzeugung ihrer Zustandsfolge einwirken können" (1986, 157f.).

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Aus diesen Formulierungen kann man schließen, daß die menschliche Ubersetzung und die Mü selbstreferentiell sind, daß aber nur der menschliche Ubersetzer die Fähigkeit zur Selbsterhaltung und zur Selbstherstellung, d.h. zum Handeln aus eigenem Antrieb besitzt. Indes, ich bin mir nicht sicher, ob diese Interpretation stimmt. M.E. ist kein künstliches System, jedenfalls kein geschlossenes, selbstreferentiell, weil es weder aus sich selbst heraus lebt, noch imstande ist, sich selbst zu differenzieren oder sich gar zu regenerieren. Selbstreferentiell ist eine Eigenschaft, die man nur bio-kybernetischen Systemen, aber nicht technischen Systemen zuschreiben kann. Jedenfalls wird dadurch, daß man dem Rechner oder dem ihn steuernden Programm selbstreferentielle Eigenschaften zuschreibt, kein einziges konkretes Mü-Problem gelöst. Allenfalls werden falsche Hoffnungen genährt. Was dagegen feststeht, ist, daß wir im Zeitalter kybernetischer Sachzwänge stehen, deren Reichweite durch anwendungsbezogene Grundlagenforschung bestimmt werden muß. Möglicherweise behält im Zeitalter der Computerkultur die digitalisierte Forschung gegenüber der nichtdigitalisierten Forschung (vorerst) das bessere Ende für sich, aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Computerwirklichkeit nur eine Teilwirklichkeit ist, bei der es darum geht, auf der Grundlage empirischer Denkmethoden bestimmte Sachverhalte mit einem Höchstmaß an Objektivität zu erforschen, hinter dem der Mensch manchmal zu verschwinden scheint. Die digitalisierte Forschung muß akzeptieren, daß die Erforschung der ganzen Wirklichkeit auch nichtdigitalisierte Methoden erfordert, die das prototypische, numerische, quantifizierende Denken mit qualitativ bestimmten Denkformen verbinden. Jeder erkennende Organismus lebt in seiner eigenen subjektiven Wirklichkeit, die der besonderen Art seiner lebensweltlichen Konstitution entspricht und die er nicht überschreiten oder aufgeben kann. Vom algorithmischen "Kältetod" des Binarismus sind wir so weit entfernt wie eh und je. In unserem lebenspraktischen und wissenschaftlichen Umfeld ist kein Platz für szientistische Hypertrophie. Die menschliche Erfahrung, und das gilt nicht zuletzt auch für übersetzerische Erfahrung, ist sehr viel reicher und differenzierter, als daß man sie in den Begriffen eines universal gültigen Denksystems erfassen könnte. Die Welt, der Mensch, die Geschichte, die Sprache und damit auch die Ubersetzung sind so komplex, daß man sie mit nur einer einzigen Denkmethode vollumfänglich nicht wahrnehmen kann (GOOD 1985). Sprache und Verstehen auch einfacher Äußerungen beruhen auf einer Vielzahl von äußerst verwickelten Prozessen, so daß der Ubersetzungschip - und dasselbe gilt für den Biochip oder den Biocomputer - allenfalls als "Prophetie des Möglichen" (Adolf MUSCHG) gelten kann. Es ist bis auf weiteres ausgeschlossen, die formalen (formallogischen) Möglichkeiten des Rechners mit dem inhaltlichen Reichtum des menschlischen Denkens und Bewertens in einer

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produktiven Synthese zu verbinden. Der Rechner erfaßt den Menschen nicht in seinem Wesenskern. Eine fundamentale Algebra der Welt oder entsprechend differenzierte Algebraisierungsprogramme sind nicht in Sicht. Man wird u.U. sogar aufpassen müssen, daß der Rechner die ihm zugeteilte Funktion als Intelligenzverstärker nicht verliert und zum Intelligenzhemmschuh wird. Im Mü-Bereich gilt: Der Mensch denkt, und der Mensch lenkt; der Rechner ist nur eine Welt bürokratisierter Rationalität. Deren notorische Gefahr besteht darin, das Wesentliche zu ignorieren, weil der Zwang besteht, das Komplizierte, das schwer Zugängliche auf einfache, handliche Untersuchungsformen zu reduzieren. Hier steht die Kognitionswissenschaft im allgemeinen und die Intelligenzforschung im besonderen vor großen Aufgaben. Dabei muß man zwischen strukturalistischer und heuristischer Intelligenzforschung unterscheiden. Erstere zielt auf die Herausarbeitung prototypischer Verhaltensmuster und interpersonaler Eigenschaften ab; die Untersuchung der allgemeinen intersubjektiven Intelligenzstrukturen hat Vorrang vor der Erforschung der spezifischen, individuellen mentalen Fähigkeiten, deren Aufhellung eher in die Zuständigkeit der Kreativitätsforschung fällt. Letztere interessiert sich dafür, wie sich jemand bei der Bewältigung eines Problems anstellt, wie er sich an die Lösung eines Problems heranarbeitet, welche Lösungsschritte für die Lösung einer speziellen Aufgabe notwendig sind, ob der Lösungsweg ökonomisch ist oder nicht, ob es Lösungsalternativen gibt etc. Der große Unsicherheitsfaktor ist dabei, daß derlei Experimente oft in einer künstlichen "kommunikationsfreien" Versuchsanordnung stattfinden, in der entweder die Versuchsbedingungen konstant gehalten werden oder alle unkontrollierbaren Variablen ausgefiltert sind. Die Problematik dieser Forschungssituation wird manchmal anhand der Geschichte des betrunkenen Spätheimkehrers veranschaulicht, der unter dem Licht einer Straßenlaterne auf dem Boden herumrutscht und offenbar etwas sucht. Nach dem Sinn seines Tuns gefragt, antwortet er, er habe beim Nachhauseweg seinen Hausschlüssel verloren, wo genau, wisse er nicht. Auf die Frage, warum er gerade hier suche, antwortet er: "Weil hier das Licht besser ist." Wir müssen uns darauf einstellen, daß es viele Wege des Denkens gibt, und jeder enthält ein großes oder ein kleines Stück dessen, was wir gemeinhin als Wahrheit bezeichnen. Zweifellos verfügt die Kybernetik über wirksame Mittel und Methoden, um zu einem tieferen Verständnis kognitiver Prozesse vorzustoßen, und ihre wissenschaftlichen Bemühungen sind auch von packender Aktualität, aber sie bietet letztendlich nur eine unter vielen Möglichkeiten des Zugriffs auf die Wirklichkeit. Wir werden alle Möglichkeiten, diskursive und digitale, komplementär ergreifen müssen, wenn wir jene Bewußtseinserweiterung erreichen wollen, die für ein umfassendes Verständnis sprachlicher Zusammenhänge im

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allgemeinen und übersetzerischer Sachverhalte im besonderen notwendig ist. Wie stehen also, so sei abschließend gefragt, die zukünftigen Chancen für die Mü? Eine klare Antwort ist derzeit noch nicht möglich, weil wir, überspitzt formuliert, bisher nur die Schwierigkeiten kennen, aber noch keine textuell befriedigenden Gesamtlösungen anbieten können. Folgt man der ernüchternden Argumentation von HAUENSCHILD, so stehen die Chancen schlecht: Für sie ist die Mü eine "utopische" oder "futuristische" Möglichkeit (1986, 192). Folgt man der Argumentation von PAUSE, so erledigt sich die Mü von selbst, weil die menschlichen Ubersetzer auf die Dauer nicht mitspielen werden, weil sie nicht bereit sind, die Rolle einer Randvariablen zu spielen. Wenn PAUSE meint, die Aufgabe der Mü-Forschung sei es, "intelligente komplexe Wörterbücher zu simulieren als Hilfe für den menschlichen Übersetzer" (1986, 72), und wenn er dazu noch meint, man könne mit Hilfe von Mü-Systemen nur "stark mangelhafte Ad-hoc-Ubersetzungen produzieren ..., die den menschlichen Übersetzer dazu benötigen (degradieren), den Ubersetzungsmüll zu beseitigen" (1986, 72), bleibt die Mü-Forschung allenfalls ein theoretisch interessantes Untersuchungsfeld, ein Umstand, der den ALPAC-Bericht (1966) im wesentlichen bestätigen würde. Beide Ansichten sind m.E. unrealistisch, die eine, weil sie perfektionistisch argumentiert, die andere, weil sich in ihr Kassandrarufe artikulieren, die allenfalls dann berechtigt wären, wenn sich die Mü-Forschung dazu verleiten ließe, Aufgaben in Angriff zu nehmen, die maschinell nicht lösbar sind. Dieser Gefahr wird sie entgehen, wenn sie im Bereich dessen bleibt, was sich rational-regelhaft darstellen und schaltungsalgebraisch operationalisieren läßt. Allerdings bleibt dabei mehr als nur ein Restrisiko: Auch mit Hilfe von "Megamaschinen" (fünfte Rechnergeneration) und der Möglichkeit der Parallelverarbeitung von Daten kann man Sprache nicht auf ein geschlossenes Informationssystem heruntertypisieren. Die Sprachverwendung lebt nicht von logischen Konstruktionen, sondern von der Vermittlung von Lösungszusammenhängen, für die das Prinzip der "reflexiven ko-orientierung" gilt (VERMEER 1983, 41). Es gibt keinen Grund für die Annahme, das Bewußtsein folge ausschließlich abstrakten formalen Regeln. Deshalb ist Skepsis gegenüber Versuchen zur Totalisierung algorithmischer Denkformen angezeigt. Wer also nüchtern abwägt, wird zu dem Ergebnis kommen, daß eine Zielsetzung mittlerer Reichweite realistisch ist, wie sie etwa in den Saarbrücker Ansätzen zur Schaffung integrierter Übersetzerarbeitsplätze mit einer klaren Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine angestrebt wird (SCHMITZ 1987). Die erwähnte Arbeitsteilung setzt voraus, daß die Mü-Forschung auf empirischem Weg analytische Be-

249 griffe und Kategorien entwickelt, die so beschaffen sind, daß man damit sprachliche Strukturen und Prozesse maschinell bearbeiten kann und daß algorithmische Orientierungsmuster und Handlungsanleitungen sichtbar werden. Eine solche Vorgehensweise würde auch klarstellen, daß man die Sprachwissenschaft, Sprachwissenschaft verstanden als "linguistique de la parole", nicht zu einer ganz und gar systematischen, quantifizierenden, Gesetzmäßigkeiten erforschenden Wissenschaft machen kann. Die menschliche Fähigkeit, komplexe Wirklichkeit in (mathematischen) Modellen abzubilden, ist begrenzt und nicht nennenswert steigerbar. Der Rechner ist kein "Alltagsdietrich", mit dem man in alle mentalen Funktionsabläufe vordringen kann. Eine Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine scheint mir auch deswegen sachangemessen zu sein, weil die Mü-Forschung heute noch nicht sagen kann, wie sie sich die Auseinandersetzung mit den vier lebensweltlich zentralen Begriffen der Komplexität, der Unbestimmtheit, der Implizität und der Mehrdeutigkeit vorstellt und ob es tatsächlich möglich ist, Maschinen zu bauen, die sich selbst organisieren und die sich als lernfähige Maschinen selbst weiterentwickeln. Hier dringt die Mü-Forschung in die bereits angedeutete metatheoretische Grundfrage menschlichen Selbstverständnisses ein, ob das Bewußtsein den Menschen zu einem im idealistischen Sinn freien Geistwesen macht oder ob das Bewußtsein eine "zerebrale Maschine", eine "semantische Maschine" ist. Danach wäre das Bewußtsein gleichsam ein "kybernetischer Trick", der es dem Menschen ermöglicht, eine anders nicht mehr zu bändigende Fülle von Einzeldaten auf ein empirisch zu definierendes Zweckmäßigkeitsprinzip zurückzuführen, das logisch-mathematisch darstellbar ist (Kap.VIII). Hier gibt es derzeit noch viele Streitpunkte. Man kann die Ansicht vertreten, daß Erfahrung durch den seiner selbst bewußten Geist vermittelt wird, "a conscious mind ... can reflect upon itself and criticize its own Performances ..." (HOFSTADTER 1979, 389). In diese Richtung scheint die Argumentation von POPPER und ECCLES zu gehen. In ihrem gemeinsamen Werk "Das Ich und sein Gehirn" (1982) sind sie zu dem Ergebnis gekommen, daß man das Ich nicht zu eng und mechanisch an das Gehirn als den Träger der Ichidentität des Menschen binden darf. Das Gehirn ist als Wirklichkeitsabbildendes, informationsverarbeitendes und handlungserzeugendes Zentrum die Brücke zwischen Ich und Außenwelt; es ist die Grundlage aller mentalen Funktionen. Es weist eine komplexe Architektur auf, die die "verschiedenen Weisen der Erkenntnis und das Selbstverständnis des Menschen" (CREUTZFELD 1987, 18) ermöglicht; diese ist so zu erklären, daß das Gehirn im Gegensatz zum Rechner gleichsam "voll verkabelt" ist. Während die Bauelemente eines Rechners (die Transistoren) nur mit wenigen anderen Bauelementen vernetzt sind, ist jede der etwa 10 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die alle ungefähr die Kapazität eines Halbleiterchips oder eines Mikroprozessors

250 besitzen, mit 1000 bis 10 000 anderen Nervenzellen verbunden. Dies ist die Voraussetzung dafür, daß "das Ich fast immer aktiv (ist). Die Aktivität des Ich ist ... die einzige echte Aktivität, die wir kennen. Das aktive, psychophysische Ich ist der aktive Programmierer des Gehirns (das der Computer ist), es ist der Ausführende, dessen Instrument das Gehirn ist. Die Seele ist, wie Piaton sagte, der Steuermann. Sie ist nicht, wie David Hume und William James behaupteten, die Gesamtsumme oder das Bündel oder der Strom ihrer Erlebnisse: Das hieße Passivität" (POPPER/ECCLES 1982, 156f.). Das Gehirn denkt nicht, genausowenig wie die Sprache denkt; deswegen kann man auch nicht, etwa so wie Williard QUINE das getan hat und der frühe WITTGENSTEIN das zu tun versucht hat, die "mentale" Sprache durch eine "physikalische" Sprache ersetzen. Das Bewußtsein wirkt auf Gehirnzustände selektiv und interpretierend ein; die parallelistische Theorie der eindeutigen Zuordnung von Bewußtseinsatomen zu Hirnzuständen wird durch die Einheit der bewußten Erfahrung widerlegt. Gehirn und Bewußtsein bilden eine funktionale Einheit. Selbst wenn wir, wie KUHLENBECK (1986) meint, das KANTsche Ding an sich nicht wahrnehmen können, wissen wir noch lange nicht, wo die Grenze zwischen dem Ding an sich und seiner bewußten Wahrnehmung verläuft. Wäre die Welt anders, als wir sie wahrnehmen, würden wir sie wahrscheinlich anders wahrnehmen. Gegen eine solche das Bewußtsein autonom setzende, idealistische Bewußtseinsforschung steht die entmythologisierende Ansicht, daß das Bewußtsein materieller Natur ist, daß alle Leistungen des Bewußtseins biochemische, phänomenologisch beschreibbare Funktionsabläufe in der Großhirnrinde sind und daß es zwischen geistigen Zuständen und physiologischen Zuständen eine Identitätsbeziehung gibt (SPERRY 1983; DELBRÜCK 1986). In dieselbe Richtung weist die anti-mentalistische Hypothese von CHANGEUX, einem Schüler von Jacques MONOD, in seinem Buch "L'homme neuronal" (1983). Was wir als Seele oder Geist bezeichnen, ist für ihn ein höchst komplexes Gefüge von Nervenzellverbänden. Theoretisch spricht nach CHANGEUX heute nichts mehr dagegen, menschliches Verhalten als Neuronenaktivität zu beschreiben und geistige Ereignisse mit maschinellen Ereignissen gleichzusetzen. Das Gehirn ist für ihn ein ganzheitlich tätiges "Regulationssystem", mit einer Vielzahl von Verkettungen und Verzahnungen. Es gibt keinen Graben zwischen geistigen und neuronalen Aktivitäten. Von einem vergleichbaren Denkansatz aus argumentiert PÖPPEL in seinem Buch "Grenzen des Bewußtseins" (1985). Er versucht, einen Ort im Gehirn zu finden, wo die Zuordnung von Bewußtsein und Gehirn stattfindet. Er hält nichts von einer dualistischen Auffassung, etwa im Sinne der Zweisubstanzen-

251 lehre von DESCARTES, der zwischen einer "res cogitans" und einer "res extensa" unterscheidet. Hier beginnt eine "Biologie der Erkenntnis" (Rupert RIEDL) Gestalt anzunehmen, die sich auf Mathematik und Physik als die allgemeinsten Naturwissenschaften stützt. Sie räumt mit dem von Friedrich ENGELS apostrophierten "Seelengespenst" auf und reduziert das Denken auf molekulare Prozesse, die nach neuesten neurobiologischen Erkenntnissen in allen raum-zeitlichen Ereignissen nachweisbar sind. Hier dringen die Naturwissenschaften in Bereiche vor, für deren wissenschaftliche Erforschung die Vorstellungskraft der "traditionellen" Geisteswissenschaften nicht ausreicht. Danach ist das Bewußtsein ein Evolutionsprodukt; es ist gleichsam die adaptive Antwort der Natur des Menschen auf die ihn umgebende Lebenswelt und verlangt eine wissenschaftliche Neubestimmung alter philosophischer Begriffe wie Kausalität und Intentionalität als erkenntnisleitender Prinzipien der Lebenswelt im allgemeinen und der Mü im besonderen. Es wird nicht zuletzt eine Aufgabe der Mü-Forschung sein, frei von einer kontraproduktiven intellektualistischen Zwangsneurose hier pragmatisch Klarheit zu schaffen und den Zusammenhang von heuristischen und algorithmischen Zuständen und Prozeduren, von Diskursivität und Digitalität leidenschaftslos zu erforschen. Die Mü-Forschung hat also nicht nur eine diagnostische, sondern auch eine therapeutische Funktion. Sie kann zu neuen Einsichten in die Natur kognitiver Ubersetzungsprozesse und ihrer Operationalisierbarkeit gelangen. Und sie kann im Wechselspiel von Erscheinungsvielfalt und Methodenvielfalt eine klare Grenze zwischen Utopie und Realität ziehen und der Furcht der "Lebensweltler" vor der Kolonialisierung der Geisteswissenschaften durch die technokratisch-funktionalistische Intelligenz ein Ende bereiten.

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290 NAMENREGISTER Abelson, R.P. 161 Acham, K. 34, 55 Aebli, H. 60f., 164f., 188 Allén, S. 126 ALPAC 176f., 248 Anderson, J.R. 10, 61 Andresen, H. 22 Arendt, H. 36 Aristoteles 15f., 126 Aust, H. 77 Bärtschi, W. 131 Bahm, A.J. 131 Bar-Hillel, Y. 176, 181, 185, 215, 232 Baron, N.S. 186, 204 Bartlett, F.L. 172 Bartsch, R. 198 Bates, M. 174 Bätori, I. 6, 171, 206 BDÜ 86 Benjamin, W. 122 Bergson, H. 132, 134 Bever, T.G. 162, 215 Bierwisch, M. 176, 231 Binnick, R.I. 66 Bjelke, J.F. 131 Blatt, A. 171, 186, 202, 214, 242 Bloch, E. 133 Blumenberg, H. 4, 49, 132 Blum-Kulka, S. 65, 67 Bower, G.H. 174 Brandstädter, J. 30 von Brentano, M. 17 Bresnan, J. 171 Broich, U. 46 Brown, G. 9, 48 Bruderer, H.E. 171 Bruner, J.S. 129, 133f., 143 Bubner, R. 125 Bühler, H. 43, 46, 48, 65, 110, 112, 202 Bühler, K. 24, 236 Bunge, M. 62, 131f. Burckhardt, L. 133 Capra, F. 2 Carboneil, J.G. 160, 174f., 183, 203, 214 Carnap, R. 148f.

Carroll, J.M. 132 Cassirer, E. 22, 137f., 147 Cattell, R.B. 85 Changeux, J.-P. 159, 250 Cherns, A.B. 114 Chomsky, N. 20, 22, 62, 109, 111, 171, 204, 237 Churchill, W. 47 Cicero 5, 48, 121 Cirilo, R.K. 174 Comte, A. 149, 154 Corder, S.P. 99 Coseriu, E. 114, 123, 126, 236 Crain, S. 215 Creutzfeld, 0. 249 Cronbach, J. 44 Daniel, C. 126 Darbelnet, J. 92 Dawkins, R. 100 Deker, U. 240 Delbrück, M. 250 Delisle, J. 63 Descartes, R. 136, 156, 251 Dewey, J. 61 DFG 222 Diehl, E. 80 Dietrich, R. 173 van Dijk, T.A. 22, 31, 50, 77, 100, 162, 180, 215f. Dilthey, W. 241 Dodd, S.C. 202 Dörner, D. 6, 64, 83ff., 88 Dostert, L. 172 Dowty, D.R. 206 Dressler, W.U. 43 Dreyfus, H.L. 161 Duden 223, 237 Duncker, K. 60f. Eccles, J.C. 249f. Ehlich, K. 40 Einstein, A. 15, 153 Elias, N. 23, 30, 148 Ellison, R.L. 120 Endler, N.S. 44 Engelkamp, J. 96 Engels, F. 251 Enkvist, N.E. 24, 161 Erben, J. 228 von Faber, H. 110 Facaoaru, C. 109, 127 Fawcett, R.P. 162

291 Feyerabend, P. 11, 150 Fillmore, C.J. 77 Findler, N.V. 161 Finke, P. 63 Fisch, R. 204 Fisher, H. 55 Fisseni, H.-J. 44 Floßdorf, B. 109 Fodor, J.A. 242 von Foerster, H. 5, 23, 28, 151, 161, 207, 245 Frank, A.P. 83, 112 Frank, M. 19 Frankhauser, P. 154 Frege, G. 24 Freigang, K.-H. 83, 171 Friederich, W. 97 Fries, N. 66 Fucks, W. 156 Gadamer, H.-G. 17, 155 Gadenne, V. 10 Galilei, G. 149, 153, 156, 170 Gallagher, J.D. 63 Gardiner, A. 198 Garvin, P.L. 173, 184 Gatzemeier, M. 49 Gazdar, G. 171, 183 Gehlen, A. 42, 226 Gerzymisch-Arbogast, H. 94 Gethmann, C.F. 32 Getzels, J.W. 120 Giegel, H.J. 33 Gierer, A. 152 Glas, R. 209 Goethe, J.W. 112 Göttert, K.-H. 237 Good, P. 246 Goodmann, N. 11 Gourdon, L. 171 Graumann, C.F. 31 Grice, H.P. 93 Grimm, W. 90 de Groot, A.D. 134 Gropius, W. 203 Gstettner, P. 182 Gülich, E. 89 Guenthner, F. 181 Guggenberger, B. 129, 150, 156, 168, 205, 235 Guilford, J.P. 51, 61, 90 108f., 127 Habel, C. 215f., 241

Habermas, J. 12, 18, 150, 164 Hacker, W. 28, 77, 125 von Hahn, W. 184 Haken, H. 152 Haefner, K. 179f. Härtling, P. 118 Hamann, C.M. 38, 132 Hartmann, N. 25 Hartmann, R.R.K. 101 Hauenschild, C. 248 Hayes, J.R. 120 Hays, D.G. 173 Heckhausen, H. 25, 30, 42, 44f., 105, 158, 166 Hegel, F. 18 Heine, H. 46 Heinrichs, J. 28 Heisenberg, W. 15 Hellwig, P. 177 Hempel, C.G. 51 Henisz-Dostert, B. 171f. Henschelmann, K. 35, 63 von Hentig, H. 163, 243 Hermans, T. 162 Herrmann, T. 4, 7, 29 Herzog, 0. 215 Hieronymus 121f. Hiorth, F. 109 Hobbs, J.R. 76 Höffe, 0. 12f. Hönig, H.G. 63, 65, 117 Hoepfner, R. 51, 61 Hörmann, H. 189 Höss, D. 165 Hofstadter, D.R. 14f., 24, 79, 157, 249 Holenstein, E. 18, 124, 145 Holz-Mänttäri, J. 28, 39, 45, 48, 53, 56, 62, 94 House, J. 41, 67, 79, 117f. von Humboldt, W. 122f., 146, 231 Hume, D. 250 Husserl, E. 156, 179 Hutchins, W.J. 157, 171f., 177, 182f., 204, 215, 233 Ivir, V. 83 Jackendoff, R. 165 Jakobson, R. 8, 124 James, W. 250 Jens, W. 1 Jespersen, 0. 224, 238

292

Johnson-Laird, P.N. 76, 176 Jorissen, H.-D. 187 Joyce, J. 46 Kade, O, 8, 45, 96, 101 Kail, R. 215, 239 Kalbermatten, U. 57 Kambartel, F. 90 Kamiah, W. 30 Kamp, R. 7, 25 Kanngießer, S. 62 Kant, I. 132, 159, 250 Kaplan, R.M. 50 Karttunen, L. 173 Kaschnitz, M.-L. 52 Katz, J.J. 242 Kelly, L.G. 20 Kepler, J. 149, 153 Kimmerle, H. 17 King, M. 171, 206 Kintsch, W. 22, 31, 50, 77, 100, 162, 180, 215f. Kirsch, W. 60, 94, 97 Kittredge, B. 174, 184 Klee, P. 142 Klein, W. 173 Kloepfer, R. 121f. Knobloch, C. 21f., 38 Kobsa, A. 163 Koch, L. 95 Königs, F.G. 8, 63 Koestler, A. 155 Kohn, K. 80 Koller, W. 24 Kooij, J.G. 206f. Koschmieder, E. 8 Kraft, V. 136 Krashen, S.D. 14 Krause, W. 61, 89 Krenn, M. 183 Krings, H.P. 8, 33, 67, 83, 130 Kudo, I. 177 Kuhlenbeck, H. 250 Kuhn, T.S. 29 Kuno, S. 173 Kurz, G. 169 Kußmaul, P. 63, 65, 81, 93f. Lakoff, G. 15, 55 Lamprecht, A. 220 Langacker, R.W. 6, 55 Lasswell, H.D. 65 Laurian, A.-M. 185

Lawson, V. 156, 183, 214, 228 Le Corbusier 203 Lee, W. 94f. Leech, G.N. 20, 77, 85, 215 Lefevere, A. 41 Lehmann, D. 62, 110 Lehmann, W.P. 177 Lehrberger, J. 174, 184 Leibniz, G.W. 138, 149f., 170 Leinfellner, W. 180 Leisi, E. 220, 227 Lern, S. 168 Lenk, H. 89 Lerner, M. 67, 76, 78 Levy, J. 93f., 100 Lewin, K. 33, 128 Lilova, A. 110 Lippmann, E. 162, 175 Liro, J. 171 Longuet-Higgins, H.C. 8, 243 Luckmann, T. 28 Ludskanov, A. 111 Lübbe, H. 17 Luhmann, N. 4, 136, 152 Luther, M. 122 Luukkainen, M. 208 Lyotard, J.-F. 151 MacDonald, R.R. 184, 242 Magnusson, D. 44 Magnusson-Murray, U. 202 Malblanc, A. 92 Manis, M. 109 Maratsos, M. 174 March, J.G. 97 Marquard, 0. 17, 54, 82, 150, 164 Mayer, G. 112 McFarland, T. 108 Meier, G.F. 179 Mengel, W. 163 Mies van der Rohe, L. 203 Miller, G.A. 38, 57, 174, 176 Minsky, M. 163 Mittelstraß, J. 90 Monod, J. 250 Montague, R. 148 Moravcsik, J.M. 176 Morin, E. 152 Mötsch, W. 28 Mudersbach, K. 53, 125

Mues, W. 220 Müller, G. 180 Münch, R. 127 Muschg, A. 246 Nagao, M. 206 Neubert, A. 80f., 110 Neubert, G. 208 von Neumann, J. 164 Newell, A. 60 Newmark, P. 41, 45, 63 Newton, J. 153 Nida, E.A. 8, 34f., 41ff., 77, 79f., 83, H O f f . , 122, 135, 160, 181, 198 Nietzsche, F. 12 Nirenburg, S. 160, 203, 214 Nitta, Y. 174 Nomura, H. 177 Nord, C. 41, 44, 48, 62, 65f., 68, 90, 94, 96, 101, 107, 110, 202 Norman, D.A. 20, 215 Oesterreich, R. 29 Offroy de la Mettrie, J. 166 Oswald, M. 10 Parnes, S.J. 118 Parsons, T. 28, 152 Pascal, B. 150 Pasch, R. 28 Patzig, G. 182 Pause, P.E. 248 Pellegrino, J.W. 215, 239 Piaget, J. 32 Pigott, I.M. 183 Planck, M. 153 Plath, W.J. 174 Platon 16, 134, 236, 250 Pléh, C. 3, 24 Plessner, H. 170 Poppe1, E. 136, 250 Popp, K.-J. 46 Popper, K.R. 2, 16, 150, 168, 249f. Portmann, A. 187 Postgate, J.P. 47, 116 Poulsen, S.-O. 62 van Quekelberghe, R. 41 Queisser, H.-J. 240 Queneau, R. 124

Quillian, M.R. 241 Quine, W. 250 Quirk, R. 227 Rabassa, G. 110 Rademacher, S. 46 Raible, W. 89 Rand-Corporation 173 RANK XEROX 202 Rehbein, J. 40 Reichenbach, H. 236 Reich-Ranicki, M. 52 Reichert, K. 113 Reifler, E. 183 Reiner, E. 7 Reiß, K. 28, 43, 49, 62 93f., 129 Remarque, E.M. 101 Rhodes, I. 173f. Riedl, R. 251 Riesbeck, C.K. 244 Rohrer, C. 171, 181 Root, R. 215 Rosch, E. 15 Rose, M.G. 40 Ross, S.D. 120 Ross, W. 245 Roth, G. 245 Rowan, R. 129, 132 Rumelhart, D.E. 20 Rutherford, W. E. 190f. 223 Ryle, G. 32 Sachsse, H. 134, 141f. Sager, J.C. 55, 79, 93, 143, 183f., 203, 234 Sager, S.F. 30 Saliger, E. 95 Sapir, E. 16 Sastri, M.I. 112 de Saussure, F. 28, 111 236 Schadewaldt, W. 121 Schank, R.C. 161 Schemer, M. 9, 33, 53, Schiller, F. 53 Schlagenhauf, K. 11 Schlegel, A.W. 122 Schleiermacher, F. 18f. 122 Schmält, H.-D. 30, 37, 58 Schmidt, S.J. 63 Schmitt, P.A. 65, 113

294 Schmitz, K.-D. 206, 228, 248 Schnädelbach, H. 11 Schopenhauer, A. 12 Schottlaender, R. 108f., 120 Schubert, K. 214 Schütz, A. 30, 43, 46 Schwemmer, 0. 29 Sedelow, S.Y. 211 Sedelow, W.A. 211 Seebaß, G. 60 Seibt, G. 151 Seidl, P. 182 Seleskovitch, D. 78, 160 Selinker, L. 99 Seils, P. 171, 177 Shieber, S.M. 182 Shils, E.A. 28 Siemens 177 Sillitoe, A. 102 Simon, H.A. 60, 97 Skinner, F.B. 31, 97 Slocum, J. 171, 183f., 235 Sloterdijk, P. 150 Snell-Hornby, M. 62, 67, 110, 128 Soellner, R. 47, 113 Sokrates 168 Sonderforschungsbereich 309 43, 45 Sorge, A. 236 Späth, L. 1 Sperber, D. 13, 63, 85 Sperry, R. 250 Spinner, H.F. 12, 95, 150 Stäudel, T. 61, 83, 147 Steedman, M. 215 Steffens, P. 213 Steinbuch, K. 161 Steiner, G. 124, 239 Stierle, K. 28, 32f., 11t., 81

Stolze, R. 110 Stoutland, F. 34 Strang, B.M.H. 220 Strube, G. 166 Taber, C.R. 35, 198 Taylor, C.W. 120 Taylor, G.R. 180 Taylor, I.A. 108f. Tesniere, L. 173 Thiel, G. 68 Thomas, H. 240

Thome, G. 63, 88 Tornita, M. 174 Torninola, J. 8, 28, 79, 110, 126 Topitsch, E. 50, 52 Toury, G. 83 Trost, H. 160 Truffaut, L. 63 Turk, H. 44, 90 Ulmann, G. 109 Underwood, G. 13 Vannerem, M. 110, 128 Vasconcellos, M. 183f. Venturi, R. 203 Verhaar, J.W.M. 109 Vermeer, H.J. 9, 28, 49, 62, 94, 109f., 135, 248 Vernon, P.E. 109 Vidranyi, R. 244 Vinay, J.P. 92 Voegelin, C.F. 82 Wachowicz, K. 186 Wagner, E. 183 Waldron, T.P. 25, 180 Walker, P.A. 183 Wallas, G. 120 Waltz, D.L. 244 Wandruszka, M. 62 Wanner, E. 174 Watzlawick, P. 166 Weaver, W. 157 Weber, H.-J. 6, 206 Weber, M. 12f., 31, 47, 50f. , 59, 152, 231 Webster 134 Wegner, I. 126 Weinrich, H. 43 Weisgerber, L. 16, 146 Werbik, H. 37f., 96 Werlen, I. 28, 39 Wettler, M. 153 Wewetzer, K.-H. 109 White, E.B. 140 Whitelock, J. 183 Whorf, B.L. 16 Wickelgren, W.A. 126, 238, 241 Wiener, N. 83, 157 Wild, K.M. 130f., 134 Wilks, Y.A. 178 Wilson, D. 13, 63, 85

295 Wilss, W. III, 3, lt., 14, 20, 24, 28, 31, 37, 41, 49, 63, 74, 101, 107, 113, 120, 125, 182, 206, 217 Winograd, T. 47, 113, 129, 178, 180, 215f., 237f., 243 Wittgenstein, L. 15f., 148, 185, 203, 243, 250 Wohlgenannt, R. 134 Wollschläger, H. 46 Woods, W.A. 174 Wright, S.E. 9

Wulz, H. 179 Wundt, W. II Wyss, D. 133 Yngve, V.H. 175, 242 Yule, G. 9, 48 Zalän, P. 90 Zangemeister, C. 56 Zeiger, J. 30, 37, 97 Zwicky, A.M. 173

296

SACHREGISTER Äquivalenz (s. auch Übersetzungsäquivalenz) 8f., 48, 79, 81f., 94, 96f., 104, 114, 121f., 126, 135, 139f., 173, 181, 197 AkzeptabiIitat 57, 60, 80, 82, 97f., 116, 159f., 183, 191, 223 Algorithmus 21, 24, 31, 37, 53, 67, 87, 106, 108, 137, 144, 161, 165f., 171, 175, 178, 181, 188f., 201, 228, 233, 237f., 241, 243f., 246, 248f., 251 ALPAC-Bericht 176f., 248 Alps 177 Ambiguität 66, 145, 166, 180, 183ff., 204ff., 207f., 213, 215ff., 221, 230, 248 -, -, -, -, -,

lexikalische 186, 209 morphologische 212f. semantische 207 syntagmatische 210 syntaktische 207,

213ff. -, syntaktisch-semantische 213f., 217 Analyse 85, 147, 173, 176, 180, 190, 192f., 196f., 201f., 221, 228ff., 231 -, maschinelle 191f., 201, 222 Homographenanalyse 222, 228f. Analysebedingung 190 -hilfe 213 -operator 230 -phase 221 -programm 160, 189,

192f. , 196, 198, 200, 207 -Protokoll 196 -routine 208 -system 173 -Wortklasse 222, 229 Automatentheorie 20, 22f.,

27, 96, 179

Bedeutung 35, 78, 113, 134 155, 160, 174, 180f., 189f., 209, 216f., 221, 224, 243 black box II, 42, 111, 129 162, 245 Chaos-Theorie 240 Code 8, 35, 45, 54, 157 Computer 55, 89, 113, 138, 147, 163, 166f., 172, 180, 193, 233ff., 236, 238, 243f., 246, 250 Computerimplementierung 245 -linguistik 113 -programm 145, 162, 244 -Simulation 161

-technologie 233ff. -wissenschaft(en) 2,

106, 147, 153, 161, 180 Computerisierung 169, 180, 236 Daten 98, 145, 174f., 242, 249 Sprachdaten 41, 43, 132 243 Sprachdatenverarbeitung 11, 113, 144, 156, 181, 236, 239, 241 Datenstruktur 87, 161, 167, 169, 188 -Verarbeitung 99, 153,

164f., 167, 236, Disambiguierung 206f., 214ff., 217, 221f., 228, 230f. -, maschinelle 209, 231

248 209 225 211

Eins-zu-Eins-Entsprechung I, 32, 93, 117, 197, 200, 220

Empfänger If., 9, llf., 21 27, 33, 36, 38, 40, 43f. , 48, 50, 52, 55f., 59, 79, 93, 107, 112f., 123, 164, 178, 201, 208 226

Empfängererwartung 32, 76

297 Entscheidung 9, 92ff., 95ff., 98ff., 100f., 106f., 167, 203 Entscheidungsfindung 97, 105f. -prozefl III, 92ff., 95, 97ff., 100, 102, 104, 110, 166, 180, 187

-Situation 93f., 96f., 104, 107 -theorie 92, 94f., 99 -verhalten 93ff., 96f., 101, 104 Erkenntnistheorie 4, 14, 16, 22, 24, 44, 55, 105, 148f., 161, 175 Explizität 63, 208, 237, 244 Frame 77, 126, 128, 142, 161 Fully Automatic High-Quality Translation 185, 215, 232 Funktionalität 10, 14, 19, 28, 45, 48f., 52, 56, 60, 62, 65, 76ff., 79, 111 Geisteswissenschaften 1, 148, 150, 231, 241, 251 generative Theorie 20ff., 23f., 27, 129, 213 Generativität (s. auch Grammatik, Linguistik, Sprachtheorie, Ubersetzungstheorie) 3f., 10, 20ff., 94, 231, 238 Gewichtungstabelle 222, 228f. good enough translation 183 Government and BindingTheorie 149, 171, 181 Grammatik 20ff., 66, 82, 109, 120, 148, 173f., 242 -, generative 20 Dependenzgrammatik 173 Phrasenstruktur- 173 Transformations-, generative 237f. Unifikations- 149 Valenz- 208, 222 core grammar 204

Generalized Phrase Structure Grammar 149, 171, 181 Lexical Functional Grammar 171, 181 Handeln 10, 12, 30f., 33, 35f., 39, 44, 48f., 51, 55f., 60f., 84f., 107, 124, 127, 137, 142, 152, 158, 166f., 188, 231 -, akkomodierendes 32 -, assimilatorisches 32 -, außersprachliches 13, 167 -, kommunikatives 56, 123 -, sprachliches 9, 13, 21, 25f., 28, 32, 35, 43, 123, 167 -, übersetzerisches If., 13, 20, 33, 35, 38f., 48, 52, 55f., 58, 67, 97, 124 Verständigungshandeln 9 Handlung 9, 27ff., 30, 32ff., 36ff., 39f., 42, 47ff., 53ff., 56, 58f., 60, 63, 67, 79, 84, 87, 95, 97f., 104, 123, 125, 158, 162, 166f., 171f., 175, 188, 223, 248f. -, kreative 126 -, soziokulturelle 63 -, sprachliche 47, 63, 226 standardisierte 137 -, übersetzerische 25, 29, 38f., 44f., 49, 90, 96, 125, 127, 140 Routinehandlung 126 Handlungsablauf 33, 39 -absieht 39 -alternative 46, 95 -anweisung 87, 124 -bedingung 38, 49, 54, 104 -disposition 93, 169 -durchführung 35, 37, 39, 54 -ergebnis 33, 39, 59 -folge 39, 158 -horizont 33, 137, 164 -kalkül 126 -kompetenz 168

298

-konzept 39f., 55, 57 -motivation 168 -muster 126, 205, 225 -plan 39, 57 -rahmen 58 -rationalität 45 -schema 126, 172 -situation 33, 39, 54, 61, 158 -Spielraum 38, 65, 87, 100 -standard 67 -Steuerung 58, 79 -Strategie 54, 241

-theorie 3, 27ff., 30, 32, 36, 57 -Voraussetzungen 32f.

-Vorbereitung 35, 37ff., 54 -wissen 167, 204 -ziel 32, 39f., 79, 84, 126, 158 -Zusammenhang 39

Handlungs- und Verhaltenswissenschaft 10, 23 Hermeneutik 11, 17, 19, 33, 54, 56, 78, 112f., 155f., 238 Heuristik 31, 83, 86, 105f., 125, 132, 164, 166f., 175, 241, 244, 251 human-assisted machine translation 184 Idiomatik 64, 86, 117f., 126f., 135, 239 Implizität 10, 63, 185, 208, 249 Inferenz 48, 77, 86, 130, 132, 161, 168, 179, 188, 215f. Inferenzfähigkeit 132 -mechanismus 216 -potential 145, 166, 215 -regeln 175 -Semantik 215f. Information I, 2, 11, 13f., 34, 36, 38, 47f., 66, 85, 93, 97f., 100, 103, 107, 111, 123f., 155f., 166f., 175, 178, 185f., 196, 200, 209, 224, 236, 238f.

-, außersprachliche 97, 178 -, kotextuelle 190 -, semantische 175, 177 -, situative 207, 214 Begleitinformation 178, 212 Informationsaustausch 2, 156 -bedürfnis 2, 9, 106f., 123 -berater 155 -gesellschaft 2, 170 -kalkül 233 -system 248 -theorie II, 34, 95, 111, 155f. -Verarbeitung II, 10f., 13, 42, 79, 97, 125, 157f., 166, 236, 249 -Wissenschaft 155f. Input/Output 11, 125, 197 Input/Output-Verhä1tn i s 39, 91, 99, 202 Interaktion 9, 11, 30, 33, 44, 48, 166, 231, 235 -, vermittelte 124 Mensch/Maschine-Interaktion 166 Interlanguage 99 Interlingua -, semantische 179 Intuition III, 9, 37, 60, 90, 99, 105, 109ff., 128ff., 131ff., 134ff., 137ff., 140ff., 143, 158, 175, 235 -, Übersetzerische 129, 135, 137, 139ff. Übersetzungsintuition 129f., 139ff., 142 Intuitionsforschung 130f., 135f. Kalkül 62, 88, 136, 138, 141, 150, 237 -, kognitives 51 -, kommunikatives 114 -, logisches 237 Kognition Iff., 6ff., 9ff., 12f., 20, 28f., 31f., 35ff., 39, 41f., 44., 46f., 50, 53, 56ff., 60, 63, 67, 82, 85, 87, 89, 94f., 113, 116, 122,

299

125, 130, 132, 134, 141, 144, 146f., 157, 161ff., 164f., 179, 188, 201, 204f., 231, 237, 240, 251 Kognitionswissenschaft 29, 31, 53, 108, 247 kognitiver Prozeß 82, 162

kognitive Theorie III Kommunikation I, 2, 5, llf., 14, 17, 21, 23, 21t., 31ff., 34, 36, 38, 42, 44f., 47, 49f., 63, 84, 89f., 106, 113, 122f., 134, 145, 156, 184, 225f., 228, 233f. Alltagskommunikation 12, 208

Fach- 12, 208 Kommunikationsbeteiligte 65, 96 -gemeinschaft 33, 51, 89, 117 -medium 185, 234 -partner 22, 33, 43, 112, 124 -prozeß 9, 33, 47, 63 -Situation 17, 95, 144

-theorie III, 10, 29, 45, 155, 166, 172 -Wissenschaft 2, 238 Kommunikative Interaktion III Kompetenz (s. auch Transfer) 46, 57, 99 -, heuristische 79 -, konmunikative 29, 110 -, produktive 36 -, rezeptive 36 -, sprachliche 171 -, stilistische 89 -, übersetzerische 82, 93 Handlungskompetenz 49 Komplexität 84, 193, 210, 213f., 221, 227, 237, 248 -, linguistische 201 -, perzeptuelle 198, 201 -, syntaktische 66, 116, 194, 196ff., 200f. Konstruktion 85, 116, 215 Gerundialkonstruktion 66, 81, 213, 218, 229

Partizipial- 66, 81, 102, 104, 200, 206, 213, 216ff., 219ff., 222ff., 225ff., 228f., 231 Kontext 14, 19, 27, 31, 48, 50, 63, 81, 84, 173f., 180, 185, 192, 216, 222, 224, 230 -, kultureller 41 Makrokontext 25, 39, 48, 57, 64f., 67, 90 Mikro- 39, 57, 64ff., 67, 87f., 90 Situations- 119, 135, 145, 166 Kreativität III, 9, 21, 56, 90, 108ff., llOff., 117, 120ff., 124, 127f., 132, 140, 142, 144, 187, 247 -, sprachliche llOf. -, übersetzerische 90, 110, 114, 120, 122, 126 Nichtkreativität 126 Re- 111 übersetzungs- 116ff., 120ff., 123, 127 Kreativitätsebene 112, 121 -forschung 108ff., 120 -kompetenz 120 -Potential 111, 118, 120

-progression 125 Künstliche Intelligenz (KI) 77, 160, 162f., 174, 237, 245 KI-Forschung 160ff., 169, 178ff., 216, 231 Kulturgemeinschaft 2, 33, 45, 51, 65, 117 Kybernetik III, 83, 95, 153, 162, 180, 245ff., 249 Lexikon 43, 60, 64, 80f., 86, 90, 100, 113f., 116f., 126, 135, 139, 159, 171ff., 177f., 180, 184f., 190, 204, 207, 210f., 217, 239, 242f. Linguistik (s. auch Sprachwissenschaft) 3, 20, 22, 27, 34, 41, 62, 77, 110, 172f., 176, 177f.,

300 181ff., 193, 201f., 237, 249 -, Angewandte 99 -, generative 27, 148 —, kontrastive 62 -, mathematische 147, 149, 170 Computerlinguistik 6 Konstrukt- 27 Sprachverwendungs- 27f. Logik 24, 133, 147, 149, 162, 238, 249 Logos 177, 183, 185 machine-aided human translation 184 Mathematik 95, 109, 113, 133, 137f., 148f., 153f., 156f., 161f., 170f., 185, 188, 236f., 240, 247, 249, 251 Mensch-Maschine-Schnittstelle 11, 186 METAL 177 Model English 202 Modul 83, 204, 226 Monte-Carlo-Methode 240 Morphologie 66, 80, 86, 178, 185, 219 multiple stage translation 39, 82f., 125, 239 Naturwissenschaften III, lff., 5, 11, 14, 17, 22, 63, 113, 148f., 153, 170, 231, 241f., 251 Norm 50f., 58, 90, 94, 113, 127, 135, 202f., 231 -, stilistische 227 -, syntaktische 202 -, übersetzungsmethodische 121 -, zielsprachliche 239 Oberflächensyntax (s. auch Syntax) 160, 173, 177, 189, 222f., 225 Paenidentematik 7 Paraphrase 190, 196, 200f., 220 Rückparaphrase 194, 197ff., 200f. Paraphrasierung 200f., 227 Parser 173ff., 188, 191,

214 -, semantischer 174, 206, 222 -, syntaktischer 174ff., 199, 206 Philosophie 95, 149, 154, 156, 162, 205 -, analytische 28 Philosophy of Science 149f. Phraseologie 87, 117f., 178, 225f., 239 Phraseologismus 226 Physik 108, 113, 131, 137, 147ff., 153f., 156, 163, 169, 240, 251 Physikalismus 149f. Post-editing 11, 183f., 201, 215, 222 Postmoderne 138, 150f., Pragmatik I, 19f., 47f., 56, 60, 93, 111 Pre-editing 183f., 198, 201, 212, 215, 222 Problemlösen 9, 60ff., 63, 65, 67, 90, 95, 136 Problemloser 65, 85, 90 Problemlösung 61f., 64f., 88f., 110, 127, 167, 187, 244 Problemlösungsaktivität 61, 80, 88 -kompetenz 59 -methode 37, 60f., 64, 66, 82, 84f., 88ff., 95, 127, 143, 145 -mode11 64, 89 -operation 60, 87, 95 -schema 65 -Strategie III, 60f.,

187, 231, 241 -verfahren 66, 86, 88ff. -verhalten 38, 86, 88, 95, 142 Programm 145ff., 157f., 162, 164, 166f., 169ff., 174f., 186f., 188, 191, 201f., 205, 212f., 229, 235, 238, 241f., 244, 246 Suchprogramm 190 Programmänderung 164 -aktualisierung 233 -architektur 233 -modul 187 Programmierung 147,

171ff., 178, 181, 192, 201, 212, 215, 235f., 242 Pronominalisierung 178, 195, 215 Psychologie II, 28, 34, 42, 44, 54, 56, 60f., 104, 106, 108f., 120, 132, 136, 167, 181, 183, 231 -, kognitive Ilf., 4, 6, 10, 77, 79, 126, 240 -, objektivistische 15 Kreativitätspsychologie 58 Verhaltens- 54 quick and dirty 183, 228 quick fix 183 Rationalität 10, 12, 59, 109, 226 Rechner 144ff., 147, 157f., 160ff., 163f., 165ff., 168, 171, 175, 177ff., 181, 187ff., 190ff., 201f., 204f., 209, 212ff., 224, 228, 232, 235f., 238f., 242f., 246f., 249 Arbeitsplatzrechner 234 "main-frame"— 187 "Parallel"— 241 Regel 117, 132, 236ff. Regelbefolgung 237 Satz 21f., 24, 66f., 100, 103f., 109, 147, 160, 174, 189f., 196f., 199ff., 210, 213, 216ff., 219ff., 222ff., 221ft., 230 Satzalgebra 20 -basisstruktur 200 -bedeutung 190, 222 -gefüge 217, 221, 223f., 227f., 243 -konfiguration 116, 193 -rahmen 221, 230 -segment 65, 104, 174, 191, 228f. -struktur 50, 189 -Vorfeld 200f. Schema 77, 142 Schwierigkeitsgrad 57, 84, 104, 117

Script 142, 161f., 169, 216, 225 Semantik 19f., 37, 47f., 56, 60, 66, 76, 78ff., 81, 88, 93, 100f., 103, 111, 113, 135, 144f., 147, 159f., 163, 172ff. 175ff ., 178f., 181, 187 189ff., 193, 196, 198, 201ff., 204, 207, 209, 211, 213f., 216f., 221ff ., 224f., 227f., 230ff., 239, 242f., 249 Inferenzsemantik 208 Kategorial- 242 Merkmal- 209 Prozeß- 242f. Semantiktheorie 242 Semiotik 19, 27, 37, 87, 155 Sender I, 7, 9, llf., 21, 27, 32, 44, 47, 52, 55, 65, 76, lllff., 123, 178, 203 Sozialwissenschaften 1, 14 51, 148, 151 Soziokultur 6, 40f., 46, 105, 107, 117, 162, 239 Soziologie 12, 105, 205 Sprache (s. auch Daten) If., 3f., 7f., 11, 16f. 19ff., 22ff., 28f., 34f., 38f., 42, 46f., 49f., 54, 57, 60, 64, 76, 78f., 86, 89, 97, 99, 111, 113, 118, 122f., 126, 128ff., 132 138f., 145f., 149, 152, 154, 160, 162ff., 165, 167, 170f., 173, 176ff. 179, 181f., 185f., 188f., 196, 202f., 205, 215, 217, 220f., 223, 226ff., 231, 233ff., 236ff., 243f•, 245ff., 248, 250 -, künstliche 162, 172 -, natürliche 20, 22ff. 147, 157, 162, 172, 178, 181f., 186, 206 Ausgangssprache 7ff., 12, 14, 24, 35, 46, 49, 51f., 55, 58, 63 65, 78, 86, 93,

302 103f., 106, 116f., 119, 123f., 126, 171, 177, 180f., 197, 202, 223 Begriffs- 179 Einzel- 23, 51, 173, 179 Fach- 113, 184ff., 204f., 212, 217, 225f., 228 Gegenwarts- 8, 220, 237 Wissenschafts- 149 Ziel- II, 7ff., llf., 14, 21, 24f., 32f., 35, 38, 40, 42ff., 46, 48, 51f., 56, 58f., 65, 80, 82ff•, 85f., 88, 90, 93, 101, 103, 105, 107, 111, 116ff., 119, 121, 123, 126, 128, 135, 154, 171, 173, 177, 179f., 181f., 184, 197, 202, 239 Sprachbenutzer 3, llf., 21f., 50, 63, 129, 144, 164, 178, 189, 203, 208, 221, 226f. -bewußtsein 220, 225 -ebene 80, 86 -gebrauch 127, 237 -gemeinschaft 32f., 51, 89, 117, 123, 146, 220, 234 -handeln 7, 9f., 32, 51, 123 -kompetenz 22, 238 -lehr- und -lernforschung 110 -Ökonomie 204, 208, 221

-performanz 238 -Produktion 238, 243 -spiel 87, 203

-system 21, 117, 206 -tätigkeit II -technik 110, 172, 226 -theorie 4, 20, 23, 55,

82, 109f., 145, 181f., 205 -, generative 20ff., 24, 27 -verhalten 171, 203f., 208

-verstehen 21, 50, 177, 243 -Verwendung II, 3, 7,

11, 14, 23, 27f., 76, 110, 139, 152, 154, 173, 178, 190, 204, 206, 209, 219, 221, 236, 238, 244, 248 -wissen 80, 237 -Wissenschaft (s. auch Linguistik) III, 2f., 4ff., 17, 28, 63, 109f., 146ff., 149, 151, 153, 233, 237f., 249 Stil 35, 46, 60, 65, 80f., 84, 93, 116, 121, 135, 139f., 173, 181, 185, 198f., 202f., 239 Struktur 113f., 116, 126, 137, 142f., 146, 152, 156, 161, 166, 171f., 174, 177, 181, 187, 189f., 220f., 223, 226, 237, 241 -, einfache 197, 201 -, epistemische 84f. -, heuristische 84f. -, komplexe 201, 234 -, sprachliche 238, 249 -, syntaktische 116, 177, 197f., 201 Basisstruktur 195, 197 Einfach- 86, 170, 193, 197, 204 Ctoerflächen- 24, 122, 177, 204, 226 Sprach- 171, 243 Tiefen- 177f. Strukturbeschreibung 249 -unterschied 173, 187 Strukturalismus 19, 62, 109, 189, 231, 237 Sublanguage 174, 185f. Substitution 51, 116, 171ff., 191 SUSY 186, 217, 228f. Synergetik 152 Syntagma 81f., 86, 207, 213, 217 Syntax 20, 43, 60, 64, 66, 87f., 93, 100f., 103f., 113f., 116f., 126, 135, 139, 145ff., 148, 152, 158ff., 163, 172ff., 177f., 182, 185f., 187ff., 190ff., 193ff., 196ff., 199f., 201f.,

303 204f., 207f., 212f., 217, 219ff., 222ff., 226f., 230f., 236, 239 -, fachsprachliche 225 formale 177f., 192, 202, 217, 221, 226, 228 -, kontrollierte 204, 242 Synthese 79, 147, 160, 176, 180, 197, 201, 220, 228 -, maschinelle 201 Satzsynthese 196, 227 System 18, 21, 151ff., 154f., 157, 160, 165, 167, 174, 177, 185f., 188, 234ff., 237, 245 -, selbstherstellendes 245f. -, selbsterhaltendes 245f. -, selbstreferentielles 245f. Expertensystem 174f., 213 Systemtheorie 4f., 6, 95, 108, 137f., 140, 151ff., 157, 168, 245 SYSTRAN 177, 183, 185 Szenario 77, 142

-, literarischer 43, 46, 49, 52, 65, 101, 112ff., 122, 124, 128, 220 -, natürlichsprachlicher 52, 233 -, werbesprachlicher 46, 65 Ausgangstext I, 8, 12, 24f., 32f., 35f., 38ff., 41, 43ff., 46ff., 50ff., 55ff., 59, 65ff., 79f., 84, 93f., 100, 104, 107, Ulf., 116, 122, 124, 128, 144, 193, 179, 181, 188, 198, 202, 239 Einzel- 9, 19, 23 Fach- 97, 124, 185, 203, 231 Ziel- If., 8, 12, 24, 32, 36, 39, 41, 44f., 48ff., 51ff., 55f., 64f., 67, 79f., 83f., 92ff., 97f., 101, 104f., 107, 118, 122, 124, 160, 173 Textanalyse 32, 74, 96, 125 -, automatische 195,

TAUM-METEO 242 Text Iff., 7ff., 10f., 13f., 17, 19f., 22, 24f., 28, 32f., 35, 37, 40, 42f., 45ff., 48ff., 52, 54f., 58ff., 63, 65ff., 76ff., 79ff., 83f., 86f., 89f., 93f., 96f., 100ff., 104ff., 107, 112, 114, 116ff., 120ff., 124ff., 128, 139ff., 142, 146f., 173f., 176ff., 179, 182ff., 185, 187, 189, 192f., 197f., 201ff., 205, 211, 222, 226f., 230, 243 -, defekter 202f. -, fachsprachlicher 32, 42, 49, 51, 55, 65, 87, 97, 101, 112ff., 184f., 190, 209, 212, 220, 225f., 227

-, funktionale 77 -, pragmatische 77 -, semantische 74 -bedeutung 19, 50, 144 -funktion 19, 37, 65, 94 -herstellung 24, 63, 89, 93, 118, 202f., 226

200

-norm 57, 117 -Oberfläche 19, 37, 171 -Pragmatik 19, 37, 79,

173 -Produktion 47, 65,

77f., 89, 226 -segment 39, 83, 84f., 101, 116f., 136, 195, 205 -Strategie 12, 89, 114,

117, 124 -synthese 96 -typ 9f., 23, 33, 38, 49, 60, 63, 65, 76, 89, 93, 112f., 118, 120, 126, 183, 185,

304 220 - k o n v e n t i o n 7 6 f . , 87, 114 - t y p o l o g i e 9 4 , 1 1 4 , 184 -Verarbeitung 3 9 , 8 9 , 144 -Vereinfachung 205 -Verständlichkeit 3 5 , 3 9 f . , 5 3 , 77, 144, 1 7 8 , 202 -Wahrnehmung 2 4 , 3 3 , 7 8 , 85 TITUS 2 0 4 , 2 4 2 TOTE-Modell 38 Transfer I f . , 10, 34, 39, 52, 57, 80, 8 2 f . , 87, 104, 1 2 5 f . , 147, 173, 1 8 0 f . , 1 9 0 , 1 9 6 f . , 227 Transferkompetenz 57, 84, 8 8 , 173 -Prozedur I , 1 8 6 , 239 T r a n s l a t i o n 7, 28, 48, 6 5 f . , 107 U b e r s e t z e n I f . , I I I , 3, 5 f f . , 8 f f . , 10, 1 2 f f . , 1 6 , 1 9 f . , 2 4 f . , 29, 31ff., 34ff., 37ff., 41ff., 44ff., 47ff., 5 1 f f . , 5 4 f f . , 5 7 f . , 60, 6 3 f f . , 6 6 f . , 8 0 , 82, 84, 86ff., 89f., 92ff., 1 0 0 f . , 105, H O f f . , 116, 120ff., 123f., 126ff., 1 2 9 f . , 137, 1 3 9 f f . , 1 4 2 f . , 144, 157, 159, 170, 173, 175, 181, 183, 186, 188, 197, 201f., 215, 223, 227, 233, 236, 2 4 2 , 248 - , f a c h s p r a c h l i c h e s 67 - , k r e a t i v e s 1 2 1 , 124 - , l i t e r a r i s c h e s 67 Ü b e r s e t z e r I f . , IV, 5 f f . , 8 f . , l l f f . , 14, 2 5 f . , 32ff., 35ff., 38ff., 41ff., 44ff., 47ff., 50ff., 53ff., 56ff., 5 9 f . , 6 3 f f . , 6 5 f f . , 78, 8 1 f f . , 8 4 f f . , 8 7 f f . , 90, 92f., 96ff., 99ff., 1 0 4 f f . , 107, l l l f f . , 116ff., 120ff., 125ff., 128f., 135ff., 139ff., 1 4 2 f f . , 160, 173, 184,

1 8 6 f . , 189, 197, 203, 2 3 4 , 2 3 8 f . , 2 4 5 f . , 248 Obersetzerstudent 6 4 f . , 9 0 , 9 8 , 233 - v e r h a l t e n 41, 1 0 4 f . , 141 U b e r s e t z u n g IIf., 2t., 5 , 7 f f . , l l f . , 14, 24, 3 2 f f . , 3 5 f f . , 38, 4 0 f f . , 43ff., 46ff., 51ff., 5 6 f f . , 5 9 f . , 6 4 f . , 67, 79f., 85f., 87ff., 9 3 f f . , 96, 101, 1 0 3 f f . , 1 0 6 f . , l l O f f . , 113, 116ff., 120ff., 124f., 127, 136, 1 4 1 f . , 145, 157, 1 5 9 f . , 1 7 1 f f . , 175, 179, 182, 184, 187, 195, 2 2 3 , 2 2 7 , 233, 2 3 6 , 248 - , f r e i e 5, 45, 67, 121, 123 - , l i t e r a r i s c h e IV, 4 3 , 4 5 , 1 0 2 , 1 1 2 , 118 - , m a s c h i n e l l e (Mü) I I I , 2, 11, 38, 87, 1 3 7 f . , 1 4 4 f . , 152, 1 5 6 f . , 160, 167, 1 7 0 f . , 174ff., 177ff., 180ff., 183ff., 1 8 6 f f . , 189, 193, 197, 201, 2 0 3 f . , 206, 209, 211, 214, 217, 220, 222, 224, 2 2 6 f . , 2 3 2 f f . , 236, 2 4 1 f f . , 2 4 4 , 2 4 6 f f . , 251 Mü-Forschung 1 3 f . , 1 4 4 f f . , 147, 153, 155, 157, 1 6 0 f . , 170f., 173ff., 176f., 178f., 180f., 184ff., 1 8 8 f . , 202, 2 0 5 f f . , 214, 220, 226f., 232f., 235ff., 242f., 2 4 4 , 2 4 8 f . , 251 -Generation 171, 1 7 3 f . , 178, 181, 233 -Problem 1 8 7 f . , 1 9 3 , 2 2 3 , 2 4 3 , 246 -Programm 1 7 5 , 189, 203, 220, 2 2 7 , 244 -Projekt 177,

182f., 185, 202, 207 -System 160, 173, 175ff., 178, 180, 182f., 186, 189, 194, 206, 217, 220, 231, 233, 245, 248 -, nichtwörtliche 88, 116, 141, 197, 227 -, wörtliche 88, 116f., 121, 123, 135, 140, 197, 201 -, wortgetreue 45, 67, 121 Rohübersetzung 88, 183 Wort-für-Wort— 140, 173 Ubersetzungsäquivalenz 24, 45, 49, 65 -didaktik 10, 29, 53, 62f., 82, 85ff., 89f., 93, 99ff., 106, 118 -kreativität 107, H O f f . -methode 9, 45, 57, 67, 88, 90, 97, 121ff., 124f., 139, 175, 189 -praxis III, 7, 11, 14, 16, 25, 36, 48, 53, 56, 64f., 84, 88f., 96, 98, 100, 112, 121, 127, 129, 136, 139f., 202 -problem III, 6, 11, 60, 62f., 65f., 67, 79, 83f., 86, 89f., 99, 140 -Prozedur 56, 93f., 116, 142 -, assimilatorische 32 -, akkommodierende 32 -, wörtliche 116f., 173 -, nichtwörtliche 116f., 173, 220 -prozeß If., IV, 6ff., 9f., 13ff., 20, 24, 32ff., 35ff., 40ff., 44, 51, 53ff., 56ff•, 59f., 82ff., 85ff., 88ff., 93f., 96, 98ff., 101f., 108, 111, 116, 122, 124,

126f., 138f., 144, 157, 171, 177, 179f. 239, 251 -resultat 6, 8, 14, 35,

40, 125 -routine 9 -Schwierigkeit 62, 65,

197 -Situation I, 32, 35,

38, 49, 64, 84, 87f. 93, 104f., U l f . , 120, 124f., 156, 181 187 -Strategie 5, 9, 120,

125 -tätigkeit 37, 52, 105,

126, 156, 236 -technik 9, 114, 124ff. 139f., 172 -theorie III, 5ff., 15f., 18, 20, 23, 29 36, 40, 45, 55, 121, 123 -Unterricht 86, 99 -Variante 87, 101 -vergleich 62 -Vorgang 96f., 106, 111

117 -Wissenschaft Iff., lf.

6ff., 10, 12ff., 15f., 18ff., 24ff., 27ff., 31, 34, 36, 38, 41, 58, 60, 62f. 66, 90, 92ff., 96, 104, 106, 110, 112, 123ff., 129f., 135ff., 138, 141, 144, 173 -, Angewandte 62f. Vagheit 66, 81, 101, 166, 227 Valenz 3, 192, 222 Verbotstabelle 222, 229 Vereinfachung -, syntaktische 201ff. Vereinfachungsstrategie 209, 242 Verhalten 9f., 30ff., 34ff., 39, 44f., 48ff., 51ff., 55, 63, 86, 90, 93, 98, 101, 108, 120, 123ff., 127, 133, 138f. 143, 159, 162, 166, 169 171f., 178, 204, 242ff.

306

250 -, kreatives 120, 124, 128 -, nichtkreatives 120 -, übersetzerisches 57f., 124f., 127f., 139f. Routineverhalten 125 Standard- 128 Verhaltensnorm 38 -schéma 116, 172, 243 -Wissenschaft 27ff. Verstehen 10f., 49ff., 51f., 54, 80, 113, 132, 175, 238, 246 Weidner 177 Wissen 9, 82, 85f., 132ff., 135, 160f., 163f., 167, 174f., 178, 215 -, außersprachliches 160, 178, 215 -, deklaratives I, 9f., 82, 84, 161, 165, 174 -, digitalisierbares 238 -, dynamisches 85 -, epistemisches 86 -, heuristisches 9, 84 -, intuitives 132 -, prozedurales I, 9f„, 86, 161, 165

Weltwissen 178f., 212, 214f. Wissensbasis 134, 163, 178 —Engineering 162 -repräsentation 160f., 163 Wissenschaftstheorie 29, 63, 108, 130, 132, 135f., 138, 142, 147, 149f., 154f., 157 Wissenschaftspraxis 136 Wort 50, 178, 180, 184, 186, 196, 210, 212, 223, 229, 242f. Wörterbuch 80, 144, 174, 178, 186f., 208, 210, 217, 248 -, automatisches 178, 208

Flexionswörterbuch 186 Stammformen- 186 Wortformen- 186 Zeichen 16, 19, 171, 220 -, sprachliches 124, 160, 226, 236 Zeichensystem 19, 113, 236