»Könige der Alpen«: Zur Kultur des Bergführerberufs [1. Aufl.] 9783839422403

Der Bergführer wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Schweiz als prototypischer, gleichsam idealer Landsmann konst

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»Könige der Alpen«: Zur Kultur des Bergführerberufs [1. Aufl.]
 9783839422403

Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse und Fragestellung
1.2 Methodisches Vorgehen
1.3 Gliederung der Arbeit
1.4 Alpinismus und Bergführer in der wissenschaftlichen Literatur
1.5 Theoretische Einbettung
1.5.1 Berufssoziologie
1.5.2 Professionssoziologie und Professionalisierungstheorie
1.5.3 Geschlechtliche Segregation und Geschlechterkonstruktion
1.5.4 Männlichkeitsforschung
Teil I: Historische Darlegungen
2 Alpen, Alpinismus und die Schweiz
2.1 Alpen als Baustein einer »imagologischen Bastelei«
2.2 Die »grosse Erzählung« der Geschichte des Alpinismus
2.3 Alpinismus und Nation
2.3.1 Symbolische Eroberungen
2.3.2 Der SAC und die militärische und Geistige Landesverteidigung
2.4 Alpinismus und die bürgerliche Gesellschaftsordnung
2.4.1 Flucht vor den Niederungen
2.4.2 Wider den Klassenkampf
2.5 Alpinismus und die Geschlechterordnung
3 Geschichte, Struktur und Organisation des Bergführerwesens
3.1 Rechtliche Regelungen
3.1.1 Die ersten Bergführerreglemente
3.1.2 Heutige Rechtslage
3.1.3 Diszplinierung und Erziehung zur Gastfreundschaft
3.2 Das Verbandswesen
3.2.1 Erste lokale und kantonale berufsständische Organisationen
3.2.2 Die »Flachlandführer« organisieren sich
3.2.3 Der lange Weg zu einem schweizerischen Berufsverband
3.2.4 Eine internationale »Familie«
3.2.5 Föderalistische Strukturen und internationale Gemeinschaft
3.3 Bergführerausbildung
3.3.1 Von den ersten Kursen zur eidgenössisch anerkannten Berufsausbildung
3.3.2 Dauer, Zulassungsbedingungen und Inhalte
3.3.3 Aktuelle Bergführerausbildung
3.4 Pickel anstatt Suppenkelle
3.5 »Vom Bergler zum Unternehmer«
3.5.1 Klassische Hochtouren
3.5.2 Krisen und Gegenstrategien
3.5.3 Neue Beschäftigungsformen
3.5.4 Der Bergführer als Retter
3.6 Der SAC und die Bergführer – Eine ambivalente Beziehung
3.7 Schweizer Bergführer als ›Entwicklungshelfer‹
3.7.1 »Swiss Guides« in Kanada
3.7.2 Ausbildung von Sherpas und peruanischen Bergführern
3.7.3 Der Bergführer als Integrationsfigur
4 Der Schweizer Bergführer in der alpinen Literatur
4.1 Textkorpus
4.2 Vom Hirtenbub zum Bergführer: Biografische Eckdaten
4.3 Tourenberichte – »Kern der Alpinliteratur«
4.4 Dem Himmel nah
4.4.1 Schauderhaft schön
4.4.2 Der Blick vom Gipfel
4.4.3 »Inmitten der erhabensten Natur«
4.4.4 Anthropomorphisierung und Feminisierung des Berges
4.5 Arbeit und Kampf am Berg
4.5.1 Arbeit und Leistung
4.5.2 Sport versus Idealismus
4.5.3 Kampf um den Sieg
4.5.4 Bergsteigen als maskulin codierte kulturelle Praxis
4.6 ›Herren‹ und ihre Führer – Führer und ihre ›Herren‹
4.6.1 Konterkarierte Hierarchie
4.6.2 Wer verdient den »Lorbeer des Siegers«?
4.6.3 Beschworene Harmonie
4.6.4 Gehen oder nicht gehen?
4.7 Ängstliche Mütter und verliebte Damen
4.7.1 »Das Geld kann mir die Angst nicht nehmen«
4.7.2 »Stadtfräuleins« und andere Verführerinnen
4.8 Idealisierte Bergführer
4.8.1 Jammernde Feiglinge und ein stinkender Lötschentaler
4.8.2 »Hart und echt wie der Fels«
4.8.3 »Vornehmste Charaktere, treueste Seelen, beste Freunde«
4.8.4 Gerufen und berufen
4.8.5 Kameradschaft und Konkurrenz
4.9 Nationale Vereinnahmung und Charismatisierung
4.9.1 Der Schweizer Mann
4.9.2 Doppelte Charismatisierung
Teil II: Ergebnisse der Fallanalysen
5 Zwei kontrastierende Fallanalysen
5.1 Gondoliere der Viertausender: Alphons Beer
5.1.1 Ausweg aus der Prekarität
5.1.2 Liebe zum Schicksal
5.1.3 Bescheidenheit und Stolz
5.1.4 Inmitten der Viertausender
5.1.5 Ohne »Leim« und »Kleber«
5.1.6 Der Führer und sein Gast
5.1.7 Das weiche Geschlecht
5.1.8 Zusammenfassung: Das touristische Aushängeschild
5.2 Mit gutem Beispiel voran: Lukas Jacobi
5.2.1 »In einer spielerischen und gefährlichen Art«
5.2.2 Vom Autodidakten zum erfahrenen Bergsteiger
5.2.3 Etwas Gutes tun
5.2.4 Bergsteigerethos
5.2.5 Ausbildner und Vorbild
5.2.6 Willkommene Frauen – latente Maskulinität
5.2.7 Zusammenfassung: Vertreter einer Lebensphilosophie
5.3 Zwischenfazit
6 Bergführer von Beruf
6.1 Sozialisation in den Alpinismus
6.1.1 Sozialisationsinstanzen
6.1.2 Vom Virus befallen – der Sucht verfallen
6.1.3 Die Bewegung, der Berg und die Gemeinschaft
6.1.4 Ein Traum
6.2 Motivlagen für die Berufswahl
6.2.1 Mehr als ein Gelderwerb
6.2.2 Vom Hobby zum Beruf
6.2.3 Das Bergführerdiplom als Konsekration
6.2.4 Zum Bergführer bestimmt
6.3 Exkurs: Ober- versus Unterländer
6.4 Die Beziehung zum Gast
6.4.1 Gewinnen von Gästen
6.4.2 Der einheimische Führer
6.4.3 Das Vorbild mit therapeutischem Potential
6.4.4 Der Trainer und seine Mannschaft
6.4.5 Die Dienstleistungserbringerin und ihre Kunden
6.4.6 Professionalisierungstheoretische Überlegungen
6.5 Gefahr als berufliches Konstitutivum
6.5.1 Zugespitzte Krisenhaftigkeit
6.5.2 Risiko als Herausforderung
6.5.3 Begleiter Bergtod
6.5.4 Bedeutung von Religiosität
6.6 Präsenz und Absenz von Nation
6.6.1 Abwesender Patriotismus und Armeekritik
6.6.2 Internationalität – Nationalität – Lokalität
6.6.3 Befreiende Höhe
6.6.4 Vorbild gegen innen – Aushängeschild gegen aussen
7 Geschlecht am Berg
7.1 Herstellung von Maskulinität im homosozialen Raum
7.1.1 »Bis es tschäderet« – Aneignung eines »männlichen Habitus«
7.1.2 Seilschaften
7.1.3 Feminitätszuschreibungen
7.2 Frauen – Störfaktor oder Bereicherung?
7.3 Grenzüberschreitungen
7.3.1 Beschränkte Partizipation an den »ernsten Spielen des Wettbewerbs«
7.3.2 Selbstzweifel und Hartnäckigkeit
7.3.3 Mentoren
7.3.4 Kompensation des ›falschen‹ Geschlechts
7.4 Erfahrungen des Ausschlusses
7.4.1 Tabuisierte Diskriminierung
7.4.2 Die Leiden einer »violetten Kuh«
7.4.3 Formen der Ablehnung
7.4.4 Exponiertheit und beschränkte Inklusion
7.5 Strategien der Bewährung
7.5.1 Flucht nach vorn
7.5.2 Gratwanderung
7.5.3 Entmystifizierende Distanznahme
7.5.4 Kampf um Anerkennung
7.5.5 Symbolische Positionierung über den »Pin«
7.6 Exklusion und Inklusion über Konstruktionen von Geschlecht
7.7 Stärken und Schwächen eines hegemonialen Konzepts
8 Schlussbetrachtung
Dank
Abkürzungsverzeichnis
Allgemeine Abkürzungen
Abkürzungen von Dokumenten, Gesetzen und Periodika
Literatur- und Quellenverzeichnis
Literatur
Vereins- und Verbandszeitschriften
Archivalien des Schweizer Bergführerverbands
Rechtsquellen
Filme
Telefongespräche und E-Mails
Anhang: Transkriptionsregeln

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Andrea Hungerbühler »Könige der Alpen«

Materialitäten Hg. von Gabriele Klein, Martina Löw und Michael Meuser | Band 19

Andrea Hungerbühler (Dr. rer. soc.) studierte Soziologie, Ethnologie und Staatsrecht an der Universität Bern sowie an der Columbia University, New York. Sie ist Studiengangsleiterin am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB (Zollikofen/Schweiz). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kultursoziologie, Geschlechtersoziologie und Berufssoziologie.

Andrea Hungerbühler

»Könige der Alpen« Zur Kultur des Bergführerberufs

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Inauguraldissertation zur Erlangung der Würde eines Doctor rerum socialium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern. Die Fakultät hat diese Arbeit am 19. Mai 2011 auf Antrag der beiden Gutachter Prof. Dr. Claudia Honegger und Prof. Dr. Michael Meuser als Dissertation angenommen, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Auffassungen Stellung nehmen zu wollen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Die Umschlagabbildung basiert auf einem Filmstill aus »Profession: Guide de montagne«, 2003, Télévision Suisse Romande/Arte G.E.I.E., Genf/Lausanne, Regie: Benoît Aymon und Pierre-Antoine Hiroz. Lektorat & Satz: Andrea Hungerbühler Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2240-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

In Nomine Domini Des Schweizerlandes Kern und Zier, Das ist sein stolzes Bergrevier, Das ist der Alpen Riesenkranz Voll Firnenlicht und Gletscherglanz Ist unser liebes Führerreich, Es kommt ihm wohl kein anderes gleich. Der Heimat wunderbare Pracht, Hält uns in ihrer Zaubermacht Und lockt hinauf zum höchsten Grat, Wo sich der Himmel leuchtend naht. Und frei atmet ihre Brust: Da ist der Führer Freud und Lust. – Und ob Gefahr auch manchmal droht: Wir trotzen kühn dem weissen Tod! Wir bauen auf unsere Manneskraft Die nie erlahmt und nie erschlafft, Die Wind und Wetter ist gewohnt: Der Kampf ist’s, der den Führer lohnt. Und ruft uns auch das Vaterland, Wir kommen all und halten Stand. Wir stehen fest auf Felsenwacht Für Heimatland und Firnenpracht: Und winkt der Tod wenn Gott gebeut’s Der Führer stirbt fürs weisse Kreuz! (Statuten des Bergführervereins Uri, 1916, Präambel)

 

Inhalt 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Einleitung Erkenntnisinteresse und Fragestellung Methodisches Vorgehen Gliederung der Arbeit Alpinismus und Bergführer in der wissenschaftlichen Literatur Theoretische Einbettung 1.5.1 Berufssoziologie 1.5.2 Professionssoziologie und Professionalisierungstheorie 1.5.3 Geschlechtliche Segregation und Geschlechterkonstruktion 1.5.4 Männlichkeitsforschung

13 16 19 24 26 29 30 31 35 37

Teil I: Historische Darlegungen

45

2 2.1 2.2 2.3

Alpen, Alpinismus und die Schweiz Alpen als Baustein einer »imagologischen Bastelei« Die »grosse Erzählung« der Geschichte des Alpinismus Alpinismus und Nation 2.3.1 Symbolische Eroberungen 2.3.2 Der SAC und die militärische und Geistige Landesverteidigung 2.4 Alpinismus und die bürgerliche Gesellschaftsordnung 2.4.1 Flucht vor den Niederungen 2.4.2 Wider den Klassenkampf 2.5 Alpinismus und die Geschlechterordnung

47 47 54 57 57 58 64 64 66 69

3 Geschichte, Struktur und Organisation des Bergführerwesens 3.1 Rechtliche Regelungen 3.1.1 Die ersten Bergführerreglemente 3.1.2 Heutige Rechtslage 3.1.3 Diszplinierung und Erziehung zur Gastfreundschaft 3.2 Das Verbandswesen 3.2.1 Erste lokale und kantonale berufsständische Organisationen 3.2.2 Die »Flachlandführer« organisieren sich 3.2.3 Der lange Weg zu einem schweizerischen Berufsverband 3.2.4 Eine internationale »Familie« 3.2.5 Föderalistische Strukturen und internationale Gemeinschaft

75 77 78 81 82 84 84 85 88 90 92

 

3.3 Bergführerausbildung 3.3.1 Von den ersten Kursen zur eidgenössisch anerkannten Berufsausbildung 3.3.2 Dauer, Zulassungsbedingungen und Inhalte 3.3.3 Aktuelle Bergführerausbildung 3.4 Pickel anstatt Suppenkelle 3.5 »Vom Bergler zum Unternehmer« 3.5.1 Klassische Hochtouren 3.5.2 Krisen und Gegenstrategien 3.5.3 Neue Beschäftigungsformen 3.5.4 Der Bergführer als Retter 3.6 Der SAC und die Bergführer – Eine ambivalente Beziehung 3.7 Schweizer Bergführer als ›Entwicklungshelfer‹ 3.7.1 »Swiss Guides« in Kanada 3.7.2 Ausbildung von Sherpas und peruanischen Bergführern 3.7.3 Der Bergführer als Integrationsfigur 4 4.1 4.2 4.3 4.4

Der Schweizer Bergführer in der alpinen Literatur Textkorpus Vom Hirtenbub zum Bergführer: Biografische Eckdaten Tourenberichte – »Kern der Alpinliteratur« Dem Himmel nah 4.4.1 Schauderhaft schön 4.4.2 Der Blick vom Gipfel 4.4.3 »Inmitten der erhabensten Natur« 4.4.4 Anthropomorphisierung und Feminisierung des Berges 4.5 Arbeit und Kampf am Berg 4.5.1 Arbeit und Leistung 4.5.2 Sport versus Idealismus 4.5.3 Kampf um den Sieg 4.5.4 Bergsteigen als maskulin codierte kulturelle Praxis 4.6 ›Herren‹ und ihre Führer – Führer und ihre ›Herren‹ 4.6.1 Konterkarierte Hierarchie 4.6.2 Wer verdient den »Lorbeer des Siegers«? 4.6.3 Beschworene Harmonie 4.6.4 Gehen oder nicht gehen? 4.7 Ängstliche Mütter und verliebte Damen 4.7.1 »Das Geld kann mir die Angst nicht nehmen« 4.7.2 »Stadtfräuleins« und andere Verführerinnen

94 94 98 102 104 106 106 107 111 113 115 118 118 121 123 125 127 132 134 136 136 138 139 140 144 144 146 149 150 152 152 155 156 160 161 161 163

 

4.8 Idealisierte Bergführer 4.8.1 Jammernde Feiglinge und ein stinkender Lötschentaler 4.8.2 »Hart und echt wie der Fels« 4.8.3 »Vornehmste Charaktere, treueste Seelen, beste Freunde« 4.8.4 Gerufen und berufen 4.8.5 Kameradschaft und Konkurrenz 4.9 Nationale Vereinnahmung und Charismatisierung 4.9.1 Der Schweizer Mann 4.9.2 Doppelte Charismatisierung

166 167 168 171 173 176 179 180 186

Teil II: Ergebnisse der Fallanalysen

193

5 Zwei kontrastierende Fallanalysen 5.1 Gondoliere der Viertausender: Alphons Beer 5.1.1 Ausweg aus der Prekarität 5.1.2 Liebe zum Schicksal 5.1.3 Bescheidenheit und Stolz 5.1.4 Inmitten der Viertausender 5.1.5 Ohne »Leim« und »Kleber« 5.1.6 Der Führer und sein Gast 5.1.7 Das weiche Geschlecht 5.1.8 Zusammenfassung: Das touristische Aushängeschild 5.2 Mit gutem Beispiel voran: Lukas Jacobi 5.2.1 »In einer spielerischen und gefährlichen Art« 5.2.2 Vom Autodidakten zum erfahrenen Bergsteiger 5.2.3 Etwas Gutes tun 5.2.4 Bergsteigerethos 5.2.5 Ausbildner und Vorbild 5.2.6 Willkommene Frauen – latente Maskulinität 5.2.7 Zusammenfassung: Vertreter einer Lebensphilosophie 5.3 Zwischenfazit

195 196 197 202 204 206 208 211 213 215 217 218 221 224 228 230 232 234 235

6 Bergführer von Beruf 6.1 Sozialisation in den Alpinismus 6.1.1 Sozialisationsinstanzen 6.1.2 Vom Virus befallen – der Sucht verfallen 6.1.3 Die Bewegung, der Berg und die Gemeinschaft 6.1.4 Ein Traum 6.2 Motivlagen für die Berufswahl 6.2.1 Mehr als ein Gelderwerb 6.2.2 Vom Hobby zum Beruf

239 241 242 244 247 252 254 254 255

6.3 6.4

6.5

6.6

6.2.3 Das Bergführerdiplom als Konsekration 6.2.4 Zum Bergführer bestimmt Exkurs: Ober- versus Unterländer Die Beziehung zum Gast 6.4.1 Gewinnen von Gästen 6.4.2 Der einheimische Führer 6.4.3 Das Vorbild mit therapeutischem Potential 6.4.4 Der Trainer und seine Mannschaft 6.4.5 Die Dienstleistungserbringerin und ihre Kunden 6.4.6 Professionalisierungstheoretische Überlegungen Gefahr als berufliches Konstitutivum 6.5.1 Zugespitzte Krisenhaftigkeit 6.5.2 Risiko als Herausforderung 6.5.3 Begleiter Bergtod 6.5.4 Bedeutung von Religiosität Präsenz und Absenz von Nation 6.6.1 Abwesender Patriotismus und Armeekritik 6.6.2 Internationalität – Nationalität – Lokalität 6.6.3 Befreiende Höhe 6.6.4 Vorbild gegen innen – Aushängeschild gegen aussen

7 Geschlecht am Berg 7.1 Herstellung von Maskulinität im homosozialen Raum 7.1.1 »Bis es tschäderet« – Aneignung eines »männlichen Habitus« 7.1.2 Seilschaften 7.1.3 Feminitätszuschreibungen 7.2 Frauen – Störfaktor oder Bereicherung? 7.3 Grenzüberschreitungen 7.3.1 Beschränkte Partizipation an den »ernsten Spielen des Wettbewerbs« 7.3.2 Selbstzweifel und Hartnäckigkeit 7.3.3 Mentoren 7.3.4 Kompensation des ›falschen‹ Geschlechts 7.4 Erfahrungen des Ausschlusses 7.4.1 Tabuisierte Diskriminierung 7.4.2 Die Leiden einer »violetten Kuh« 7.4.3 Formen der Ablehnung 7.4.4 Exponiertheit und beschränkte Inklusion

257 259 260 264 264 266 269 272 275 278 286 287 289 293 295 298 298 301 302 307 313 316 317 319 321 323 326 327 330 331 334 336 336 338 339 343

 

7.5 Strategien der Bewährung 7.5.1 Flucht nach vorn 7.5.2 Gratwanderung 7.5.3 Entmystifizierende Distanznahme 7.5.4 Kampf um Anerkennung 7.5.5 Symbolische Positionierung über den »Pin« 7.6 Exklusion und Inklusion über Konstruktionen von Geschlecht 7.7 Stärken und Schwächen eines hegemonialen Konzepts

344 344 349 356 363 369 371 379

8

383

Schlussbetrachtung

Dank

395

Abkürzungsverzeichnis Allgemeine Abkürzungen Abkürzungen von Dokumenten, Gesetzen und Periodika

397 397 399

Literatur- und Quellenverzeichnis Literatur Vereins- und Verbandszeitschriften Archivalien des Schweizer Bergführerverbands Rechtsquellen Filme Telefongespräche und E-Mails

401 401 436 436 438 441 442

Anhang: Transkriptionsregeln

443

Abbildungen Abbildung 1: Die Jungfrau. Ansichtspostkarte aus dem Jahre 1896 72 Abbildung 2: Bergführerabzeichen des SBV und des IVBV 80 Abbildung 3: Teilnehmer des Führerkurses in Meiringen von 1903 95 Abbildung 4: Umschlag der Biografie über den Bergführer Martin Schocher 184 Abbildung 5: Karte aus dem Quartett-Spiel »Schweizer Heimat« 185 Abbildung 6: Cartoon »Neulich am Berglasferner« 314



1

Einleitung

»Das vorliegende Buch ist entstanden aus dem Wunsche, das Andenken an eine Elite von Männern wachzurufen, welche sich um die Schweiz verdient gemacht haben, nicht nur, indem sie mutig und unerschrocken Naturfreunden und Bergbegeisterten neue Wege in unserem köstlichsten Gut, der Alpenwelt, gewiesen, sondern auch durch ihre Ehrlichkeit und Treue ein Beispiel wahrer Schweizerart gegeben haben.«1 Mit diesen Worten beginnt das Vorwort der 1946 erschienenen Publikation »Pioniere der Alpen. 30 Lebensbilder der grossen Schweizer Bergführer«. Im Klappentext ist zudem zu lesen: »Wer die Lebensgeschichte dieser Führerpioniere liest, der wird vielleicht mit einem leisen Staunen entdecken, wieviel hervorragende ›männliche Eigenschaften‹ im besten Sinne des Wortes diese Söhne des Hochgebirges ihr eigen nannten. Charakteren aller Art wird er begegnen; in den Melodien ihres Lebens tönt es sehr verschieden; aber die vorklingenden Noten sind: Mut, Freude an der Tat, Liebe zur Heimat und Pflichtgefühl.«2 Bergführer3 sind in den Augen des Autors offensichtlich Menschen, die es wert sind, ein Buch über sie zu schreiben und ihnen damit ein »Andenken« zu bewahren. Sie werden zu Personen öffentlichen Interesses deklariert. Bergführer werden aber nicht nur als herausragende Menschen, sondern auch als besonders

1

Egger (1946: 11).

2

Egger (1946: Klappentext).

3

In dieser Studie werden entweder neutrale Begriffe verwendet oder es werden beide Formen – die weibliche und die männliche – angeführt. Wo dies die Lesbarkeit markant erschwert, wird zwischen den beiden Formen abgewechselt. Da es sich historisch gesehen bei Bergführern stets um Männer handelte, wird in den historischen Ausführungen sowie bei der Berufsbezeichnung lediglich die männliche Form verwendet.

 

14 | »KÖNIGE DER A LPEN«

männliche4 Männer bezeichnet. Ihnen werden Eigenschaften zugeschrieben, die als ausgesprochen maskulin gelten, ja geradezu heroisch anmuten, etwa Tatendrang, Mut und Unerschrockenheit. Der Autor bemerkt, es handle sich bei den portraitierten Bergführern um eine »Elite von Männern«. Gleichzeitig gelten sie ihm als pflichtbewusst und als vorbildliche Schweizer. Als »Söhne des Hochgebirges« ermöglichten sie anderen Menschen den Zugang zu den Alpen – dem »köstlichsten Gut« der Schweiz – und verkörperten dabei dank ihrer positiven (männlichen) Eigenschaften und ihrer Heimatliebe das Bild des wahren Schweizers. Geschlecht, Nation und Beruf sind in der Figur des Bergführers, wie sie hier beschrieben wird, also untrennbar miteinander verflochten. Dass das Bild des Bergführers gerade in einer Publikation aus den 1940erJahren so gezeichnet wird, ist kein Zufall. Es ist dies die Zeit der Geistigen Landesverteidigung, die von den 1930er- bis in die 1960er-Jahre dauerte, und in der verschiedenste Akteure die politische und kulturelle Eigenständigkeit der Schweiz gegenüber Nationalsozialismus und Kommunismus propagierten. Die Alpen wurden in diesem Zusammenhang sowohl militärisch wie auch symbolisch-ideologisch zum Zentrum der Schweiz deklariert und es verbreitete sich die Idee, alle Schweizerinnen und Schweizer seien Bergler. Bergführer wurden in diesem Zusammenhang neben Säumern und Hirten zu prototypischen Schweizern erklärt5 und damit – wie zu zeigen sein wird – charismatisiert. Alltagsbeobachtungen lassen erahnen, dass die Aspekte, die im eingangs angeführten pathetischen Zitat zutage treten, noch heute in transformierter Form eine gewisse Geltungskraft entfalten und die Charismatisierung der Bergführer fortbesteht. Wenn die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) den am 14. Juni 2004 verstorbenen Zermatter Ulrich Inderbinen in Nekrologen würdigt und als »Bergfüh-

4

In der deutschsprachigen Literatur zur Männlichkeitsforschung wird meist von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« gesprochen oder »Maskulinität« wird als Synonym für »Männlichkeit« gebraucht (»Feminität« findet sich hingegen sozusagen nie). In der vorliegenden Arbeit werden – in Anlehnung an Halberstam (1999), die als Konsequenz der Trennung von Sex und Gender vorschlägt, »Masculinity« von »Maleness« und »Femininity« von »Femaleness« zu unterscheiden – die Begriffe »Maskulinität« und »Feminität« verwendet, um die Konstruiertheit dessen zu unterstreichen, was sie bezeichnen. Von »männlich« und »weiblich« sowie von »Männern« und »Frauen« spreche ich, wenn sich die Begriffe auf Menschen beziehen, die sich selbst als Männer oder Frauen bezeichnen beziehungsweise von anderen als solche wahrgenommen werden, oder aber wenn Autorinnen und Autoren zitiert werden, die diese Begriffe verwenden.

5

Vgl. Wirz (2007a: 358).

 

1 E INLEITUNG | 15

rer wie das Matterhorn«, ja gar als »König der Alpen« bezeichnet, so deutet dies darauf hin, dass er als öffentliche Person von nationaler Bedeutung betrachtet wird.6 Das Bergsteigen scheint in der Schweiz nach wie vor als etwas Positives zu gelten und der Bergführerberuf geniesst offenbar in der Öffentlichkeit ein beträchtliches Ansehen. Dafür spricht beispielsweise auch, dass Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier sich gerne wander- oder bergsportfreudig geben und der damalige Bundesrat Joseph Deiss sich am 1. August 2005 – dem Schweizer Nationalfeiertag – aus Anlass des 150. Jahrestages der Erstbesteigung medienwirksam von einem Bergführer auf die Dufourspitze führen liess, den mit 4634 m höchsten Schweizer Berg.7 Der Direktor des Schweizerischen Nationalparks meinte in einem Interview, er würde sich »zum diplomierten Bergführer ausbilden lassen«8, hätte er die Möglichkeit, nochmals eine Ausbildung zu absolvieren, und Benedikt Weibel, der frühere CEO der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), gab sich in Interviews gerne auch als Bergführer.9 Schliesslich deutet auch die auffallend häufige Präsenz von Berichten rund um Bergsteigen und Bergführer in Zeitungen, Zeitschriften und im Schweizer Fernsehen auf die anhaltende Popularität dieser Themen hin. Es ist nicht so, dass in der Schweiz nur Erfolg haben kann, wer wandert, bergsteigt oder gar Bergführer ist. Offenbar sind aber sowohl der Bergsport als auch der Berufstitel des Bergführers ausgesprochen positiv konnotiert und lassen Menschen mit – gerade auch national relevanter – Führungsverantwortung als vertrauenswürdig, integer und besonders ›gute‹ Schweizer erscheinen. Auch die im Zitat betonte Maskulinität ist für den Bergführerberuf bis heute von zentraler Bedeutung. Zum einen ist der Beruf noch immer fast ausschliesslich von Männern besetzt. Die erste Frau schloss die Bergführerausbildung 1986 ab und Ende 2012 betrug der Frauenanteil unter den Mitgliedern des Schweizer Bergführerverbands rund 1,8 Prozent.10 Der Prozess der sozialen Schliessung

6

NZZ (2004a; 2004b).

7

In der Zusammenstellung der Kurzporträts der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die nach den National- und Ständeratswahlen im Jahr 2007 von der NZZ publiziert wurde, fällt auf, dass unter der Kategorie »Hobby« Wandern, Bergsteigen und Skifahren auffallend häufig genannt werden (vgl. NZZ 2007). In der Ausgabe zu den Wahlen 2011 wurde auf die Angabe der Hobbys verzichtet (vgl. NZZ 2011). Zumoberhaus (2005).

8

NZZ (2009).

9

Vgl. NZZ (2006).

10 Von den 1546 Mitgliedern des Schweizer Bergführerverbands waren Ende 2012 28 Frauen (SBV 2012d).

16 | »KÖNIGE DER A LPEN«

gegenüber Frauen geht mit der kulturellen Konstruktion von Geschlecht einher.11 Der Bergführerberuf scheint bis heute mit einem Männlichkeitsmythos behaftet zu sein, er ist nicht nur von Männern dominiert, sondern auch maskulin codiert, wobei sich die Maskulinität festmacht an der Kräfte raubenden und Mut erfordernden Überwindung der als gefährlich beschriebenen Alpen. Geschlecht hat sich in diesem Beruf gewissermassen ›verberuflicht‹.

1.1 E RKENNTNISINTERESSE

UND

F RAGESTELLUNG

Aufgrund von Alltagsbeobachtungen lässt sich also eine Charismatisierung der Berufsgruppe der Bergführer vermuten. Die vorliegende Studie greift diese Vermutung auf und befasst sich aus einer kultursoziologischen Perspektive mit dem Phänomen des »Schweizer Bergführers«. Dabei werden drei miteinander zusammenhängende Fragekomplexe bearbeitet, die auf drei Ebenen angesiedelt sind. Ausgehend von den eingangs geschilderten Beobachtungen fragt die Studie erstens danach, in welchem historischen Kontext die Heroisierung und Charismatisierung des Bergführers stattfand, wodurch sich das idealtypische Bild auszeichnet, das dabei vom Schweizer Bergführer entworfen wurde, wie sich dieses in den Alpinismusdiskurs einfügt und wie das Zusammenwirken von Nation, Maskulinität und – wie sich zeigen wird – auch Klasse in diesem Bild zu verstehen ist. Damit ist die Ebene symbolischer Repräsentationen angesprochen.12 Zweitens nimmt die Studie heutige Berufsakteurinnen und -akteure, also Bergführerinnen und Bergführer, in den Blick: Wie gestalten sich ihre Werdegänge? Wie beschreiben sie ihren Zugang zum Bergsteigen? Wie erklären sie sich ihre Entscheidung für den Bergführerberuf? Welches berufliche Selbstverständnis findet sich bei ihnen? Auf welche Deutungsmuster rekurrieren sie bei der Interpretation ihrer Tätigkeit? Dabei stellt sich die Frage, inwiefern sich im jeweiligen Selbstverständnis sowie in den Interpretations- und Deutungsmustern Fragmente des historisch entstandenen idealtypischen Bildes des Bergführers und andere im Alpinismus verbreitete Diskurselemente finden. Diese Ebene

11 Zur sozialen Schliessung vgl. Mackert (2004). 12 Mit der Verwobenheit der Kategorien Klasse, Rasse (»race«) und Geschlecht – sowie weiterer Kategorien – befasst sich theoretisch und empirisch die Intersektionalitätsdebatte (vgl. etwa Anthias 2001; Klinger/Knapp 2005; Knapp 2005; Winker/Degele 2009). Zu den drei Ebenen symbolische Repräsentationen, Identitätskonstruktionen und Strukturen vgl. Winker/Degele (2009: 25 ff.).

 

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kann als jene der Identitätskonstruktionen bezeichnet werden, wobei mit den zu beantwortenden Fragen auch Bezüge zu den Ebenen der symbolischen Repräsentationen und der Strukturen geschaffen werden.13 Drittens spürt die Arbeit auf einer Strukturebene den Ursprüngen des Bergführerwesens, dem Prozess der Verberuflichung und der Entwicklung sowie der heutigen Strukturiertheit des Berufsfeldes nach. Von besonderem Interesse sind auf allen drei Ebenen Fragen des Geschlechts. Auf der Ebene der symbolischen Repräsentationen wird der maskulinen Codierung des Bergführerberufs auf den Grund gegangen, die mit dem weitgehenden Ausschluss von Frauen auf der Strukturebene einhergeht, und es wird gefragt, in welchem Zusammenhang die symbolische Maskulinität zu anderen Kategorien wie Nation und Klasse steht. Bezüglich heutiger Bergführerinnen und Bergführer stellt sich die Frage, wie sich Geschlecht in ihrem Selbstverständnis manifestiert, welche Bedeutung Geschlecht auf der Identitätsebene zukommt und wie sich die Herstellung von Geschlecht auf der Ebene der Strukturen niederschlägt. Wie wird Maskulinität beziehungsweise Geschlecht in diesem Feld konstruiert und reproduziert? Auf welche Geschlechterkonstruktionen wird in den Deutungen zurückgegriffen? Inwiefern sind Ein- und Ausschlussmechanismen geschlechtlich geprägt? Wie verschaffen sich Frauen Zugang zu diesem männerdominierten und maskulin codierten Feld? Auf welche Hindernisse stossen sie dabei? Auf welche Strategien der Bewährung greifen sie zurück? Inwiefern rekurrieren sie darin auf einen »männlichen Habitus«14? Und schliesslich: Wie deuten Männer den Eintritt der Frauen in den Beruf? Die Studie nimmt also das Zusammenwirken von Beruf, Geschlecht und Nation sowie dessen Wandel in den Blick. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass nicht nur diese drei Kategorien ineinander verwoben sind, sondern dass auch die drei genannten Ebenen in einer Wechselwirkung zueinander stehen. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Wechselwirkungen zwischen der Ebene der symbolischen Repräsentationen und jener der Identitätskonstruktionen gelegt. Das berufliche Selbstverständnis heutiger Bergführerinnen und Bergführer konstituiert sich nicht im luftleeren Raum, sondern im Rahmen von historisch gewachsenen Institutionen und gesellschaftlich kursierenden symbolischen Repräsentationen wie Diskursen und Deutungsmustern. Die Interviewten entwerfen sich

13 Mit dem Label »Identitätsebene« ist noch nichts darüber gesagt, inwiefern bei den Berufsakteurinnen und -akteuren tatsächlich eine kohärente (Berufs-)Identität festzustellen ist. 14 Bourdieu (1997a: 203).

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im Rahmen dieser Vorgaben, wobei sie diese reproduzieren, aber auch transformieren. Mit diesem doppelten Blick greift die Arbeit den metaphorischen Titel »Gender: Scripts and Prescripts« des Graduiertenkollegs auf, in dessen Rahmen sie entstand.15 Die Metaphern Scripts und Prescripts verweisen auf jene des Palimpsests. Ein Palimpsest bezeichnet ein Manuskript, bei dem ein Text über einen anderen – zum Zeitpunkt des Überschreibens als weniger wertvoll erachteten – geschrieben wurde, wobei die ältere Schrift nicht ganz zum Verschwinden gebracht worden war, sodass sie unter der neuen hervorschimmert. Eine Auslegung des Palimpsests bedingt, dass man beide Texte liest, den unten liegenden und den darübergeschriebenen. In der vorliegenden Studie werden Vorstellungen von Maskulinität beziehungsweise Geschlecht, die im Zusammenhang mit dem Bergführer kursieren, ebenso als Prescripts – also als Vor-Schriften – aufgefasst wie andere im Feld festgestellte diskursive Elemente und Deutungsmuster, welche die Alpen, das Bergsteigen, den idealtypischen Bergführer und die nationale Konnotation derselben betreffen. Als Scripts, also als die obere, darübergeschriebene Schicht, werden die aus den Interviews rekonstruierten Interpretations- und Deutungsmuster verstanden, die auf Aneignungsprozessen früherer Scripts, deren Reproduktion, vor allem aber deren Umdeutung und Transformation beruhen und später selbst zu neuen Prescripts werden. Diese Wechselwirkung zwischen den beiden Ebenen der symbolischen Repräsentationen und der Identitätskonstruktionen findet im Rahmen der Strukturen statt, die das Feld charakterisieren, und wirkt letztlich modifizierend auf diese ein. Mit den mehrfach genannten Deutungsmustern ist ein Konzept angesprochen, mit dem sich die drei Ebenen Strukturen, symbolische Repräsentationen und Identitätskonstruktionen verbinden lassen:16 Der Bezug zur Strukturebene ergibt sich daraus, dass sich Deutungsmuster durch einen funktionalen Bezug auf objektive Handlungsprobleme auszeichnen.17 Die Ebene der symbolischen Repräsentationen ist im Deutungsmusterbegriff, wie er hier verwendet wird, insofern thematisch, als Deutungsmuster überindividuelles Wissen und kollektive Sinngehalte repräsentieren. Sie können in Anlehnung an Oevermann als »nach

15 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Binswanger/Bridges/Schnegg/Wastl-Walter (2009: 265 ff.). 16 Zum Deutungsmusterkonzept vgl. Oevermann (1973; 2001a; 2001b; 2001c); Meuser/Sackmann (1992); Lüders/Meuser (1997); Matthiesen (1994); Honegger (1978; 2001). 17 Oevermann (2001a: 5).

 

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allgemeinen Konsistenzregeln strukturierte Argumentationszusammenhänge«18 betrachtet werden. In individuellen Äusserungen, also auf der Ebene der Identitätskonstruktionen, schlagen sich die »Derivate«19 von Deutungsmustern nieder, aus denen sie empirisch erschlossen werden können. Gemäss Honegger, die in Anlehnung an Mannheim auf die Bedeutung der historischen Bedingungen hinweist, unter denen Deutungsmuster entstehen, verfügen diese über ein bestimmtes Mass an Autonomie sowie über Beharrungsvermögen, sind aber dennoch »an die schöpferische Leistung von Subjekten«20 – in unserem Fall interviewte Bergführerinnen und Bergführer – gebunden. Bei einer Analyse dieser schöpferischen Leistungen gilt es ihrer Seins-Gebundenheit Rechnung zu tragen.21 Wenn Deutungsmuster, wie Oevermann vorschlägt, als »tacit knowledge«22 aufgefasst werden, also Wissen repräsentieren, das nicht bewusst verfügbar ist, sondern »unbewusst operierend in die Praxis strukturierend eingeht«23, bedeutet dies, dass sie nicht direkt abgefragt werden können, sondern rekonstruiert werden müssen, was methodische Implikationen mit sich bringt.

1.2 M ETHODISCHES V ORGEHEN Die Annäherung an den Forschungsgegenstand, der hier im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, erfolgte auf der Basis vielfältiger Daten und durch die Kombination verschiedener Methoden. Zunächst galt es, einen Überblick über das »Feld«24 des Bergführerberufs, dessen Geschichte und Strukturiertheit, die Akteure sowie die Berufstätigkeit an sich zu gewinnen. Diese erste Annäherung fand auf drei Wegen statt, die parallel zueinander beschritten wurden: Zu Beginn des Forschungsprozesses wurden, erstens, vier Expertengespräche geführt – zwei mit dem Geschäftsführer des Bergführerverbands, eines mit dem Präsidenten der Qualitätssicherungs-Kommission der Bergführerausbildung in der Schweiz, und eines mit einem auf Alpinismus spezialisierten Historiker und Journalisten. In diesen Interviews wurden Informationen zur Datenlage und zum Berufsfeld erfragt.

18 Oevermann (2001a: 5). 19 Oevermann (2001a: 20). 20 Honegger (2001: 133). 21 Honegger (2001: 133 f.); Mannheim (1984 [1925]: 55 f.). 22 Oevermann (2001b: 41). 23 Oevermann (2001b: 56). 24 Vgl. Bourdieu (1992: 187). Bourdieu (1985: 74).

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Zweitens wurden schriftliche Quellen und mediale Erzeugnisse zum Bergführerwesen zusammengetragen und ausgewertet. Dabei handelt es sich um Literatur, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel über Bergführerinnen, Bergführer und den Bergführerberuf, entsprechendes Filmmaterial sowie um Dokumente wie Reglemente, Verordnungen, Statuten, Berufsleitbilder und Ausbildungsunterlagen. Im Verlauf dieser Quellenrecherche wurden sämtliche Zeitschriften des Schweizer Bergführerverbands und des Schweizer Alpen-Clubs wie auch die Archivbestände des Schweizer und des Walliser Bergführerverbands sowie des Schweizer Alpen-Clubs gesichtet. Diese Recherchen waren notwendig, da bisher weder die Geschichte des Bergführerberufs wissenschaftlich aufgearbeitet worden ist, noch sämtliche Dokumente zum Schweizer Bergführerwesen zentral archiviert sind.25 Die Ergebnisse dieser Recherchen und der Expertengespräche flossen hauptsächlich in das Kapitel 3 zum Feld des Bergführerberufs ein. Drittens besuchte ich verschiedenste Anlässe als (bedingt) teilnehmende Beobachterin:26 eine Delegiertenversammlung und eine Präsidentenkonferenz des Schweizer Bergführerverbands (SBV), eine Präsidentenkonferenz des Walliser Bergführerverbands, einen Informationsabend für Interessierte an der Bergführerausbildung, einen Eintrittstest, eine Abschlussprüfung und eine Brevetierungsfeier der Bergführerausbildung, ein Fest des Walliser Bergführerverbands, das Fest zum 100-Jahr-Jubiläum des SBV, ein internationales Treffen der Bergführerinnen in Chamonix (Frankreich) sowie diverse von Bergführerinnen und Bergführern geleitete und geführte Kletterkurse (indoor und outdoor), Kletter-, Hoch- und Skitouren. Zudem wohnte ich auch verschiedenen Anlässen wie öffentlichen Vorträgen von Extrembergsteigern und einem Gesprächsforum über Alpinismus und alpine Literatur bei. Während dieser Feldaufenthalte, die primär dem Ziel dienten, mit dem Forschungsfeld vertraut zu werden und Akteure wie auch spätere Interviewees kennenzulernen, wurden Notizen sowie teilweise Ton-, Foto- und Filmaufnahmen angefertigt. Dieses Material wurde ausschnittweise ausgewertet und analysiert; es fliesst an einzelnen Stellen ergänzend in die Arbeit ein. Im Zuge der Literaturrecherchen stellte sich heraus, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – insbesondere in den 1930er- und 1940er-Jahren – bemer-

25 Die Archive der verschiedenen Bergführervereine und -verbände sind dezentral (in Staatsarchiven, Privathaushalten, etc.) gelagert. Aufgrund der Menge und der Verstreutheit der Archivbestände hätte es den Rahmen dieser Arbeit gesprengt, sie alle vollständig und systematisch aufzuarbeiten. 26 Zur Teilnehmenden Beobachtung vgl. Girtler (1992: 49 ff.); Beer (1993) und Emerson/Fretz/Shaw (1995).

 

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kenswert viele Autobiografien und Biografien über Bergführer sowie mehrere Bergführerromane erschienen waren. In diesen finden sich Diskurse über die Berge, das Bergsteigen und die Bergführer, die in einer kultursoziologischen Arbeit über den Bergführerberuf nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Aus diesem Grund werden sie in die Analysen einbezogen. Diese Diskurse werden im Sinne der an Foucault anknüpfenden Perspektive der wissenssoziologischen Diskursanalyse als »relativ dauerhafte und regelhafte, d. h. zeitliche und soziale Strukturierung von (kollektiven) Prozessen der Bedeutungszuschreibung« und als »Ausdruck und Konstitutionsbedingung des Sozialen zugleich« betrachtet.27 Sie können somit als »Scripts« verstanden werden, die ihrerseits als »Prescripts« weiteren »Scripts«28 – beispielsweise Interpretationen heutiger Bergführerinnen und Bergführer – vorgelagert sind. Die wissenssoziologische Diskursanalyse zielt darauf ab, »Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d. h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren zu rekonstruieren und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren«29. Im vorliegenden Fall sollen diskursive Elemente und Deutungsmuster rund um den Alpinismus und den Bergführer rekonstruiert werden, die in den (Auto-)Biografien zutage treten. Das methodische Vorgehen bei der Analyse dieser Texte orientierte sich am von Keller vorgeschlagenen »Leitfaden für eine genealogische Diskursanalyse«30 sowie an der Grounded Theory31. Es wurden zentrale Kategorien eruiert, deren Ausprägungen analysiert und Verbindungen zwischen ihnen herausgearbeitet. Dabei wurden einzelne, als besonders aufschlussreich identifizierte Textstellen sequenzanalytisch im Sinne der Objektiven Hermeneutik untersucht.32 Die Rekonstruktion des beruflichen Selbstverständnisses heutiger Bergführerinnen und Bergführer erfolgte auf der Basis von 20 nichtstandardisierten Interviews mit Schweizer Bergführerinnen und Bergführern, drei Interviews mit

27 Keller (2008: 236). 28 Binswanger/Bridges/Schnegg/Wastl-Walter (2009: 11 ff.; 265 ff.). 29 Keller (2007: 57). 30 Keller (2007: 51). Es gilt festzuhalten, dass es sich bei der Diskursanalyse nicht um eine Methode, sondern um ein »Forschungsprogramm« (Keller 2008: 192) beziehungsweise eine »theoretische, vielleicht sogar philosophische Haltung« (Sarasin 2003a: 8) handelt. 31 Glaser/Strauss (1998); Strauss/Corbin (1996). 32 Vgl. Fussnote 38, Kapitel 1.

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einem angehenden Bergführer33 sowie einem gefilmten Interview mit Nicole Niquille, der ersten Bergführerin der Schweiz34. Insgesamt liegen der Studie also 24 Interviews mit 22 Personen zugrunde. Die Auswahl der Fälle erfolgte gemäss dem »theoretischen Sampling«35. Datenerhebung und Datenanalyse verliefen somit parallel und Entscheide für weitere Erhebungen erfolgten auf der Basis der Analysen bereits erhobener Daten, wobei das Prinzip der minimalen und der maximalen Kontrastierung befolgt wurde.36 Ergänzend wurde das »selektive Sampling«37 angewandt, indem vorweg bestimmt wurde, dass das Sample rund 20 Fälle, mindestens fünf Frauen, eine möglichst grosse Altersspanne sowie mindestens eine Person aus jedem kantonalen Verband umfassen sollte. Weiter wurde darauf geachtet, dass sich unter den Interviewten Vollzeit und Teilzeit im Beruf Tätige befinden, wie auch solche, die den Beruf nicht mehr aktiv ausüben. Vier Interviews liegen auf Französisch vor, die anderen auf Deutsch. Die ein- bis eineinhalbstündigen Interviews wurden zwischen Mai 2005 und Januar 2008 geführt. Sie wurden alle mit der gleichen Einstiegsfrage eröffnet, in der die Befragten aufgefordert wurden zu erzählen, wie es kam, dass sie Bergführer oder Bergführerin wurden. Danach folgten die Interviews dem sich in der Interaktion ergebenden Gesprächsverlauf, wobei die Interviewerin gezielt Nachfragen und Verständnisfragen stellte, Gesagtes rückspiegelte, die Interviewten mit bestimmten Sachverhalten konfrontierte und gegen Ende des Gesprächs einige zuvor nicht angesprochene Themen einbrachte. Der Interviewerin lag ein Leitfaden vor, der als Gedankenstütze diente. Im Anschluss an die Interviews wurden Daten zur Biografie und zum biografischen Herkunftsmilieu der Interviewten erhoben. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und anschliessend vollständig transkribiert. Die französisch geführten Gespräche wurden auf Französisch verschriftlicht. Die auf Schweizerdeutsch geführten Interviews wurden bei der Transkription ins Hochdeutsche übersetzt, wobei aber die schweizerdeutsche Satzstellung, grammatikalische Eigenheiten und Helvetismen, für die es keine

33 Alle drei Interviews wurden mit dem gleichen Bergführerkandidaten geführt: das erste vor, das zweite nach dem Eintrittstest und das dritte nach Abschluss des ersten Kurses. 34 Film »Nicole Niquille. Guide de montagne« (1987). Bei diesem Film, der 50 Minuten dauert und mit wenigen Schnitten auskommt, handelt es sich um die Aufzeichnung eines Interviews mit Nicole Niquille. 35 Glaser/Strauss (1998: 53 ff.); Strauss/Corbin (1996: 148 ff.); Kelle/Kluge (1999: 46 ff.). 36 Zur minimalen und maximalen Kontrastierung vgl. Strauss/Corbin (1996: 148 ff.). 37 Kelle/Kluge (1999: 47).

 

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eindeutige Übersetzung gibt, beibehalten wurden. Es wurde darauf geachtet, dass es beim Verschriftlichen zu keinen Bedeutungsverschiebungen kam. Der besseren Lesbarkeit halber wurden die zitierten Interviewausschnitte in der Darstellung (also nach der Analyse) leicht ›bereinigt‹, wobei auch hier auf eine Vermeidung von Bedeutungsverschiebungen geachtet wurde. Die Analyse der Interviews erfolgte mit der Sequenzanalyse, wie sie im Rahmen der Objektiven Hermeneutik entwickelt wurde.38 Dieses rekonstruktive Verfahren eignet sich besonders, wenn es wie im vorliegenden Fall darum geht, das berufliche Selbstverständnis, Deutungsmuster und habituelle Dispositionen herauszuarbeiten, wenn also nicht primär der subjektiv gemeinte Sinn interessiert, sondern latente Sinnstrukturen, das heisst Aspekte, die den Interviewten selbst nicht bewusst sind oder im Interview nicht explizit angesprochen werden. Die Methodologie der Objektiven Hermeneutik geht von der Sequenzialität der Lebenspraxis aus, der Annahme, dass jede Handlung an eine vorausgehende anknüpft und selbst wieder Anschlüsse für weitere Handlungen bietet. Diese Annahme liegt der Methode der Sequenzanalyse zugrunde. Anhand einer »Ausdrucksgestalt«39, die als Protokoll der sozialen Wirklichkeit fungiert – hier die Interviewtranskripte –, wird die dem Fall inne wohnende »Fallstruktur«40 rekonstruiert. In der konkreten Analyse erzählt die Forschende an einer Sequenzstelle eines Protokolls zunächst verschiedene, möglichst kontrastive »Geschichten« zum vorhergehenden Textausschnitt, in denen dieser als angemessene sprachliche Äusserung erscheint. Aus diesen Geschichten werden gemeinsame Struktureigenschaften herausgearbeitet und daraus verschiedene »Lesarten« entwickelt. Diese Lesarten werden mit dem darauffolgenden Textabschnitt konfrontiert und dabei verworfen oder für die weitere Analyse beibehalten. Dieses Verfahren wird unter Berücksichtigung der fünf Prinzipien Sequenzialität, Kontextfreiheit,

38 Ausführliche Darlegungen zur Methodologie der Objektiven Hermeneutik sowie der Methode der Sequenzanalyse finden sich in Oevermann (1991; 1996a; 2000). Eine anschauliche methodische Einführung legte Wernet (2000) vor. Die vollständige Sequenzanalyse eines Protokolls lässt sich in Oevermann (2003) nachlesen. 39 Oevermann (2000: 77 ff.). 40 Unter einer »Fallstruktur« versteht Oevermann den »je konkrete[n] innere[n] Zusammenhang [Hervorhebung im Orig.] im Leben und Handeln der bestimmten, je konkreten historischen Praxis eines Falles« (2000: 69) sowie »als je eigenlogische, auf individuierende Bildungsprozesse zurückgehende Muster der Lebensführung und Erfahrungsverarbeitung« (2000: 123).

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Wörtlichkeit, Extensivität und Sparsamkeit mehrmals wiederholt.41 Nach der Analyse mehrerer Sequenzstellen tritt eine »Fallstrukturgesetzlichkeit«42 zutage, die in einer Fallstrukturhypothese mündet. Diese wiederum gilt es anhand der Analyse anderer Textstellen zu präzisieren oder allenfalls zu falsifizieren. Ergänzt wurde die sequenzanalytische Auswertung mit Verfahrensschritten aus der Grounded Theory. Diese kamen dann zur Anwendung, wenn es darum ging, Aspekte und Befunde aus einer sequenzanalytisch erstellten Fallanalyse mit den Befunden der jeweils anderen Fallanalysen zu kontrastieren und zusammenzudenken. Ursprünglich zielte die Interviewanalyse auf eine Typenbildung: Auf der Basis der Fallanalysen sollten mehrere Idealtypen von Berufsverständnissen herausgearbeitet werden.43 Während der Analysen und des Typenbildungsprozesses erwies sich eine solche Typologie jedoch nur bedingt als geeignet, um dem Gegenstand gerecht zu werden. Zum einen legen die Bedeutung von Geschlecht und die spezifische Situation von Frauen in diesem Feld nahe, Geschlecht gesondert in den Blick zu nehmen. Zum anderen zeigte sich, dass transversale Themen, also diskursive Elemente und Deutungsmuster, die das Feld in Variationen durchziehen, für dieses äusserst prägend sind. Aufgrund dieser Befunde drängte sich eine andere Darstellungsweise der Ergebnisse auf als die anfänglich geplante.

1.3 G LIEDERUNG DER ARBEIT Die Einleitung dieser Arbeit wird mit einem Überblick über die wissenschaftliche Literatur zum Alpinismus sowie zum Bergführerberuf und der Erörterung der theoretischen Grundlagen der Studie abgeschlossen. Die darauf folgende Darstellung der Befunde gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste Teil enthält historische Darlegungen zum Alpinismus, zum Bergführerwesen sowie zum historisch entstandenen idealtypischen Bild des Bergführers. Der zweite Teil ist

41 Zu »Geschichten« und »Lesarten« vgl. Wernet (2000: 39 ff.), zu den fünf Prinzipien Wernet (2000: 21 ff.). 42 »Fallstrukturgesetzlichkeit« bezeichnet die den »inneren Zusammenhang einer Fallstruktur begründenden und explizierenden sinnlogischen Verknüpfungen, an die die Allgemeinheit der Gegenüber-Welt und die sie beherrschenden Gesetzmässigkeiten je individuiert assimiliert werden« (Oevermann 2000: 123). 43 Zum Idealtypus vgl. Weber (1988b [1922]: 191). Zur Typenbildung vgl. Kelle/Kluge (1999); Kluge (1999); Gerhardt (1991).

 

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den Ergebnissen der Interviewanalysen gewidmet, in ihm stehen also heutige Bergführerinnen und Bergführer und ihre Deutungen im Zentrum. Die Entwicklung des Bergführerberufs wie auch dessen symbolische Bedeutung ist nicht losgelöst von der Geschichte des Alpinismus in der Schweiz zu verstehen. Aus diesem Grund folgt im Anschluss an die Einleitung Kapitel 2 zum Alpinismus in der Schweiz, das insbesondere dem Zusammenhang von Nation, Klasse und Geschlecht auf den Grund geht. In Kapitel 3 werden die historische Genese sowie die heutige Struktur und Organisation des Feldes beschrieben. Dabei werden die rechtlichen Grundlagen, das Verbandswesen und die Ausgestaltung der Berufsausbildung dargelegt. Weiter werden der Eintritt von Frauen in den Bergführerberuf, die Veränderung der Tätigkeiten von Bergführern im Laufe der Zeit sowie die Beziehung zwischen Bergführern und dem Schweizer Alpen-Club (SAC) erörtert. Zum Schluss werden Projekte vorgestellt, in denen Schweizer Bergführer in persona oder als Idee zusammen mit bergführerspezifischem Wissen in andere Länder exportiert oder aber Bergführer für gesellschaftspolitische Anliegen in der Schweiz engagiert wurden. Ziel dieser Ausführungen und der dabei gesetzten Schwerpunkte ist zum einen die Darstellung von deskriptivem Hintergrundwissen, das für das Verständnis und die historische Einbettung der empirischen Befunde unerlässlich ist. Zum anderen werden Charakteristiken des Berufsfeldes herausgearbeitet, die einen wichtigen Beitrag zum Verständnis desselben leisten. Die Ergebnisse der diskursanalytischen Auswertung der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienenen Autobiografien, Biografien und Romane werden in Kapitel 4 dargelegt. Die einzelnen Unterkapitel sind den verschiedenen herausgearbeiteten Themen und Diskurselementen gewidmet. In einem zusammenfassenden Fazit wird die These ausgeführt, dass der Bergführer in den Publikationen als Schweizer Mann idealisiert und in doppelter Weise charismatisiert wird. Den Einstieg in den zweiten Teil bildet das Kapitel 5, das zwei vergleichsweise ausführlichen Fallanalysen gewidmet ist. Die beiden dargestellten Fälle, der 77-jährige, in einer touristischen Bergregion aufgewachsene Alphons Beer sowie der aus einer städtischen Region stammende, 36-jährige Lukas Jacobi wurden ausgewählt, weil sie zwei maximal kontrastierenden »Idealtypen«44 im Sinne Webers nahekommen: Sie kontrastieren nicht nur bezüglich ihrer objektiven biografischen Daten, sondern vor allem bezüglich ihrer Deutungen. In den beiden Analysen treten zudem alle Aspekte zutage, die sich in den Interviewanalysen allgemein als relevant erwiesen haben. Diese thematischen Aspekte wer-

44 Weber (1988b [1922]: 191).

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den in Kapitel 6 unter Berücksichtigung sämtlicher Interviews vertieft und präzisiert. Es folgen Ausführungen zu den Fragen, wie die Bergführer ihren Zugang zum Alpinismus schildern und welche Motivlagen für die Berufswahl unterschieden werden können. Nach einem Exkurs zur Bedeutung der Differenz zwischen Ober- und Unterländern in den Schilderungen wird ausgeführt, wie verschiedene Bergführertypen die Beziehung zum Gast interpretieren, welche Funktionen die Gefahr und das Risiko haben und welche Umgangsweisen mit dem Tod festgestellt werden können. Schliesslich wird der Bogen von den Deutungen der Interviewten zur historisch bedingten nationalen Konnotation des Alpinismus gespannt und es wird die Frage aufgegriffen, inwiefern sich in den Interviews Deutungen aufspüren lassen, die mit der Kategorie ›Nation‹ in Zusammenhang gebracht werden können. Kapitel 7 ist dem Thema Geschlecht gewidmet. Es geht der Frage nach, welche Bedeutung Maskulinität im Feld hat, wie sie unter Männern hergestellt wird, wie Männer den Eintritt von Frauen in das Berufsfeld interpretieren und auf welche Konstruktionen von Geschlecht sie dabei rekurrieren. Im Anschluss daran kommt die spezifische Situation von Frauen in diesem Feld zur Sprache. Es wird aufgezeigt, welche Grenzen sie überwinden müssen, um sich Zutritt zum Bergsteigen und zum Bergführerberuf zu verschaffen, welche Erfahrungen des Ausschlusses sie dabei machen und welche Strategien der Bewährung im Berufsalltag sich unterscheiden lassen. Auch bei ihnen wird beleuchtet, wie Geschlechterkonstruktionen zutage treten. Kapitel 8 schliesslich ist einer Schlussbetrachtung gewidmet, in der die wichtigsten Punkte vertieft und ein Ausblick gewagt werden.

1.4 ALPINISMUS

UND B ERGFÜHRER IN DER WISSENSCHAFTLICHEN L ITERATUR

Über Alpinismus wird gerne und viel geschrieben. Ausgesprochen zahlreich sind Schriften, die von Alpinisten und Alpinistinnen selbst verfasst wurden und sich an ein breites Publikum wenden. Meist stehen darin Namen von Bergen sowie Menschen, Daten und Ereignisse im Zentrum, wobei selten Bezüge zu gesellschaftlichen Zusammenhängen hergestellt werden.45 Wissenschaftliche Literatur beschäftigt sich vorwiegend aus einer historischen Perspektive mit dem Phänomen Alpinismus. Für die vorliegende Arbeit sind besonders jene Studien interessant, die den Alpinismus aus einer kultur-, gesellschafts- oder aber geschlechter-

45 Vgl. Wirz (2007a: 22).

 

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historischen Perspektive beleuchten. Auf eine inhaltliche Darlegung des Forschungsstandes wird an dieser Stelle verzichtet. Die wichtigsten Forschungsergebnisse werden in Kapitel 2 dargelegt und fliessen an entsprechenden Stellen in die übrigen Kapitel ein. Als besonders anschlussfähig erweist sich die Lizentiatsarbeit Ankers, die dem Schweizer Alpen-Club und dessen Einfluss auf die geistige, gesellschaftliche und politische Schweiz nachspürt.46 Die Geschichte des österreichischen und deutschen Alpinismus von dessen Anfängen bis in die Gegenwart arbeitet Amstädter aus einer gesellschaftshistorischen Perspektive auf, wobei er einen Fokus auf die Verstrickung der Alpenvereine mit politischen Strömungen, besonders mit dem Nationalsozialismus, legt.47 Ebenfalls mit der Vereinskultur der deutschen und österreichischen Alpenvereine befasst sich Günther48 in ihrer »Kulturgeschichte des bürgerlichen Alpinismus (1870 bis 1930)«. Diese Studie ist für die vorliegende Arbeit auch deshalb relevant, weil darin unter anderem Geschlechtercodierungen des Alpinismus nachgegangen wird. Eine umfassende und spannende »Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz 1840– 1940« legt Wirz mit ihren »Gipfelstürmerinnen« vor. Sie beschreibt die Bergtour als Männlichkeitsritual und beschäftigt sich mit frühen bergsteigenden Frauen in der Schweiz, der Geschichte ihres Ausschlusses aus dem SAC und ihres Zu-

46 Anker (1986). Zur Geschichte des Alpinismus in Genf zwischen 1865 und 1970 vgl. Le Comte (2008). 47 Amstädter (1996). Zur Geschichte des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins und dessen politischem Wirken vgl. auch Müller (1979) und Gidl (2007); zur Geschichte Münchens als Bergsteigerstadt vgl. Mailänder (2006). Tschofen (1999) untersucht den Alpinismus aus einer volkskundlichen Perspektive als Teil der modernen Alpenkultur. Scharfe (2007) schreibt eine Kulturgeschichte zum frühen Alpinismus (1750-1850) und Grupp (2008) nimmt sich die Geschichte des Alpinismus von der Antike bis in die Gegenwart vor. Weitere Studien beziehen sich auf den Alpinismus in Frankreich (Veyne 1979; Bourdeau 1988; Hoibian 2001), Italien (Ambrosi/Wedekind 2000), der DDR (Reinhart 2007) und der Sowjetunion (Maurer 2009; 2010). Verschiedene Studien existieren auch zu den Naturfreunden, dem proletarischen Pendant der bürgerlichen Alpen-Clubs (Hoffmann/Zimmer 1986; Kersten 2007; Pils 1994; Schumacher 2005; Zimmer 1984; 1987), sowie zur Wandervogel-Bewegung, die der Reformbewegung nahe stand (Blüher 1976 [1913/1914]; Herrmann 2006; Boller 2009). 48 Günther (1998).

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sammenschlusses im Schweizer Frauen-Alpen-Club (SFAC).49 An verschiedenen Stellen wird schliesslich auch auf Schnetzers Studie zur Bedeutung der visuellen Inszenierung der Alpen im Zusammenhang mit der Geistigen Landesverteidigung in der Schweiz sowie auf Moris Lizentiatsarbeit zur Alpinliteratur verwiesen.50 Lediglich am Rande fliessen Publikationen ein, die der Faszination auf den Grund gehen, welche Berge, der Bergsport oder das Extrembergsteigen auf Menschen ausüben,51 sich mit dem Tourismus im Alpenraum befassen,52 die Geschichte der Berge generell53 oder aber jene bestimmter Berge und ihrer Besteigungen in den Blick nehmen54. Dasselbe gilt für bisher unerwähnte Schriften zur Bedeutung der Berge und der Alpen im Film, in der bildenden Kunst, in der Fotografie oder in der Literatur.55 Die zum Bergführerberuf in der Schweiz publizierte Literatur umfasst vorrangig Biografien und Autobiografien von Bergführern, die besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienen, sowie ab den 1970er-Jahren verfasste Verbandsgeschichten über kantonale oder regionale Bergführerverbände und -vereine. Auf die erstgenannten Texte geht Kapitel 4 ausgiebig ein, die letztgenannten kommen in Kapitel 3 zur Sprache. Zwar finden Bergführer in historischen Studien zum Alpinismus häufig Erwähnung,56 wissenschaftliche Untersuchungen, die sich spezifisch mit dem Bergführerberuf befassen, sind aber rar: Zum Bergführerberuf in der Schweiz

49 Wirz (2007a). Zu Frauen im Schweizer Alpinismus vgl. auch Purtschert (2010), Regli (1997) und Amstutz/Lack (2007). Die Geschichte der Frauen im französischen Alpinismus zwischen 1874 und 1919 wurde von Ottogalli-Mazzacavallo (2006) aufgearbeitet. Mit frühen Alpinistinnen – besonders in Deutschland und Österreich – beschäftigt sich Amstädter (2006; 2007). Runggaldier (2011) widmet sich ohne nationalen Fokus frühen Bergsteigerinnen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 50 Schnetzer (2009); Mori (2005). 51 Peskoller (1997); Macfarlane (2005); Robinson (2008). In den vergangenen zehn Jahren erschien vor allem im englischen Sprachraum eine Reihe an Studien zum Klettern. Eine Zusammenstellung findet sich in Robinson (2008). 52 Antonietti (2000); Bätzing (2003: 143 ff.); Tschofen (2004); Dettling (2005). 53 Mathieu (2011). 54 U. a. Wyder (1987); Anker (1996a; 1998); Anker/Volken (2009). 55 Neate (1978); Rapp (1997); Bogner (1999); Reichler (2005); Bauer/Frischknecht (2007); Dautermann (2007); Hausler (2008). 56 Vgl. Amstädter (1996: 283 f.); Günther (1998: 69; 72); Antonietti (2000); Scharfe (2007: 73 ff.; 200 ff.); Wirz (2007a: 33 ff.; 116; 130; 147; 364); Grupp (2008: 185).

 

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existieren zwei rechtswissenschaftliche Arbeiten57 und eine historische Studie zur Auswanderung von Bergführern aus dem Berner Oberland zwischen 1899 und 1954 in die Rocky Mountains.58 Zimmermann unterzieht den Film »Bergführer Lorenz« aus dem Jahr 1943 einer filmwissenschaftlichen Analyse. 59 Zu erwähnen sind weiter eine psychologische Untersuchung zum Umgang von Bergführern mit psychischer Extrembelastung,60 der Ausstellungsband »In Fels und Firn«, der mehrere Artikel zum Bergführerwesen im Lötschental enthält,61 sowie einige studentische Abschlussarbeiten, denen der Bergführerberuf als Untersuchungsgegenstand zugrunde liegt.62 Die vorliegende Arbeit greift die wichtigsten Befunde der erwähnten Schriften auf und möchte einen Beitrag zur Schliessung der festgestellten Forschungslücke leisten.

1.5 T HEORETISCHE E INBETTUNG Die vorliegende Studie befasst sich aus einer kultursoziologischen Perspektive mit dem Bergführerberuf. Damit knüpft sie an die vor allem in der Geschichtswissenschaft diskutierte Bedeutung der Alpen für die schweizerische nationale Identität an und greift die bislang kaum erforschte Frage auf, welche Bedeutung dem Bergführer dabei zukommt. Mit ihrem Erkenntnisinteresse schliesst die Studie an berufssoziologische und professionalisierungstheoretische Überlegungen sowie an geschlechtersoziologische Theorien zur beruflichen Geschlechtersegregation und zur Erforschung von Maskulinität an. Diese theoretischen Bezüge ergaben sich aus der Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand. Ausgangspunkt dieser Arbeit war also nicht ein theoretisches ›Problem‹, sondern vielmehr ein empirisches Phänomen. Ausgehend vom empirischen Material folgte ein Hin und Her zwischen Theorie und Empirie. Aufgrund der Analysen, die mit einer möglichst hohen »theoretischen Sensibili-

57 Anthamatten (1986); Walser (2002); für Deutschland vgl. Beulke (1994). 58 Nobs (1987). 59 Zimmermann (2005; vgl. 2001); Film »Bergführer Lorenz« (1942/43). 60 Sommer/Ehlert (2002; 2004); Sommer (2001). 61 Antonietti et al. (1994). 62 Hüsser/Zehnder (1992) verfassten ein Berufsbild, Gurten/Pfammater (2004) schrieben eine Arbeit über Frauen im Bergführerberuf und Schwörer (1997) untersucht mögliche Auswirkungen der Klimaänderung auf den Beruf. Zum Bergführerwesen in Frankreich vgl. Majastre/Decamp (1988), Rousset/Leymarie (1995) und Bourdeau (1991; vgl. 1988). Zum Bergführerwesen in Norditalien vgl. Garimoldi (1986).

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tät«63 vorgenommen wurden, drängten sich Bezüge zu bestimmten theoretischen Konzepten und Entwürfen auf. Diese Konzepte und Theorien trugen zu einem besseren Verständnis der empirischen Befunde bei. In der Folge werden die wichtigsten theoretischen Ansätze, die sich als relevant und anschlussfähig erwiesen, in ihren Grundzügen skizziert. 1.5.1 Berufssoziologie Mit dem Bergführerberuf wird in dieser Studie eine Kategorie ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, die in der Soziologie einst sehr bedeutsam war und mit der sich schon soziologische Klassiker wie Weber, Durkheim, Simmel sowie Marx und Engels befassten.64 In den vergangenen Jahren war sie angesichts der Debatten um die »Entberuflichung«65 und die angeblich »sinkende subjektive Bindungskraft und eine abnehmende Ausstrahlungskraft auf Lebensführung, Biografie und soziale Identität«66 umstritten.67 Das Bergführen ist hier insofern als Beruf Thema, als die Tätigkeit, die einst lokale Gemsjäger und Bergbauern neben ihren Erwerbstätigkeiten informell Fremden anboten, ab Ende des 19. Jahrhunderts eine formale »Verberuflichung« durchlief. Unter Verberuflichung wird hier der Prozess verstanden, der den »Übergang von Arbeitsverrichtungen zum Beruf«68 markiert und der Professionalisierung vorgelagert ist. Arbeitsleistungen, die zuvor aufgrund diffuser Rollen ehrenamtlich erbracht wurden, werden fortan gegen Gratifikationen von Trägern einer spezialisierten Berufsrolle angeboten.69 Im Falle des Bergführerberufs schlug sich die Verberuflichung in der Schaffung rechtlicher Regelungen und obligatorischer Ausbildungen sowie der Gründung von Berufsverbänden nieder. Neben dieser formal-institutionellen Sicht interessiert in dieser Arbeit vor allem das berufliche Selbstverständnis von Bergführerinnen und Bergführern. Damit greift sie die wissenssoziologische Frage auf, was und wie heutige Berg-

63 Strauss/Corbin (1996: 25 ff.); vgl. Kelle/Kluge (1999: 25 ff.). 64 Weber (1972 [1921]: 80 f.; 1988a [1920]; 1978 [1910]; 2006 [1919]; 2008 [1919]); Durkheim (1992 [1893]; 1999), Simmel (1983 [1908]) und Marx/Engels (1969 [1845/46]). 65 Kutscha (1992). 66 Berger/Konietzka/Michailow (2001: 220). 67 Vgl. Bühler (2005: 7 ff.). 68 Hartmann (1972: 40). 69 Parsons (1976: 256 ff.); Hartmann (1972: 40 ff.); Kreutzer (2000: 45). Zur Professionalisierung vgl. Abbott (1988: 9 ff.).

 

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führer und Bergführerinnen über ihren Beruf denken und auf welche Deutungsmuster sie bei der Interpretation ihrer Aufgabe zurückgreifen.70 Weiter fragt sie nach der subjektiven Bedeutung des Berufs für die Berufsangehörigen.71 Diese können ihre Tätigkeit als reine Erwerbsarbeit, also als »äusseren« Beruf (»occupatio«) betrachten oder es kann sich bei ihnen eine Berufsidee im Sinne des »inneren« Berufs (»vocatio«) finden, die mit einer Begeisterung für den Beruf, einem Gefühl der »Berufung« und einem entsprechenden »Berufsethos« einhergeht.72 Mit Blick auf die Generationenlagerung73 der Interviewten gilt es zu klären, ob und inwiefern bei Bergführern die Idee des Berufs in Auflösung begriffen ist, wie dies Theoretiker nahelegen, welche für die heutige Gesellschaft einen Bedeutungsverlust des Berufs diagnostizieren, oder ob dem Beruf nach wie vor eine identitätsstiftende Bedeutung zukommt.74 1.5.2 Professionssoziologie und Professionalisierungstheorie Im Gegensatz zur ›führerlosen‹ Alpinistin, die in der Regel gemeinsam mit anderen Alpinisten selbständig Bergsport betreibt, besteht die Tätigkeit des Bergführers darin, dass er die Berge mit weniger erfahrenen Menschen aufsucht und dabei gegen Bezahlung die Führung übernimmt. Die Beziehung zwischen dem Führer – wie Bergführer im Feld abkürzend häufig genannt werden – und den Menschen, die sich ihm anvertrauen, ist für den Bergführerberuf also konstitutiv,

70 Vgl. dazu Bühler (2005); Honegger/Bühler/Schallberger (2002: 50 ff.). 71 Gemäss Voss (1994: 128 ff.) ist dies eine von sechs Perspektiven, aus denen der Beruf in der Soziologie betrachtet wird (vgl. Bühler 2005: 39 ff.). 72 Vgl. Weber (1972 [1921]: 80 ff.; 1988a [1920]: 17 ff.; 2006 [1919]; 2008 [1919]). Zur Berufung vgl. auch Simmel (1983 [1908]: 291 f.); zum Berufsethos vgl. Koppetsch (2006). 73 Vgl. Mannheim (1964). 74 Die These des Bedeutungsverlusts des Berufs wird von Voss (1997) und Kurtz (2001: 7 ff.) vertreten. Schaeper, Kühn und Witzel (2000) kommen in ihrer Studie hingegen zum Schluss, dass der Beruf für heutige Individuen trotz zunehmender Diskontinuitäten der Berufsverläufe nach wie vor von Bedeutung ist. Gemäss Bühler (2005: 203 ff.) hängt es stark vom jeweiligen Berufsfeld wie auch vom Herkunftsmilieu der Personen ab, ob bei Berufsangehörigen eine Bindung an den Beruf und eine Identifikation mit ihm vorhanden sind. Koppetsch (2006: 195 ff.) stellt für Werbeberufe einen »Wandel der Berufsmoral«, nicht aber deren Aufhebung fest.

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eine Eigenschaft, die er mit Professionen teilt.75 In der Professionstheorie, wie sie in der Soziologie ab den 1930er-Jahren mit den Schriften Parsons76 sowie Carr-Saunders und Wilson77 entstand, kommt dem Konzept des Klienten eine zentrale Bedeutung zu. Wenn in der Folge die These vertreten wird, der Bergführerberuf trage professionsähnliche Züge, so geschieht das nicht, um zu belegen, dass es sich bei ihm um eine Profession oder um eine professionalisierungsbedüftige78 Tätigkeit handle, wie dies für verschiedenste Berufe versucht wurde. Vielmehr liegt der These die Überzeugung zugrunde, dass die an Parsons’ Professionssoziologie anknüpfende Professionalisierungstheorie für die Analyse von Berufen hilfreich sein kann, die nicht als Professionen gelten, für die aber eine Beziehung zum Kunden oder zur Klientin konstitutiv ist.79 Die Professionalisierungstheorie bietet in diesem Sinne ein hilfreiches heuristisches Instrumentarium zur Analyse der Beziehung zwischen dem Berufsangehörigen und der Klientin. Gemäss der Professionssoziologie zeichnet sich professionelles Handeln durch die Interaktion zwischen einem Professionellen und einer Klientin aus; bei Parsons zwischen Arzt und Patient. Die Klientin nimmt dann professionelle Hilfe in Anspruch, wenn sie mit kritischen Situationen konfrontiert ist, zu deren Bewältigung ihr routinisierte Problemlösungen fehlen. Für die Rolle der Klientin sind Ungewissheit bestimmend, die dem Mangel an Routinen im Handlungsrepertoire entspringt, sowie Vertrauen, das unabdingbar ist, wenn die Interaktion gelingen soll. Im Gegensatz zu Beziehungen in der Geschäftswelt, in der das Selbstinteresse vorherrscht, zeichnet sich die Rolle des Professionellen durch einen »institutionalisierten Altruismus«80 aus: Für sie gilt das »Ideal des Dienens«81. Die Beziehung zwischen Professionellen und Klienten steht auch in der an Parsons anknüpfenden Professionalisierungstheorie im Zentrum, wobei als idealtypische Form die Beziehung zwischen Ärztin und Patient in der Psychoanalyse

75 Als klassische Professionen gelten in der Professionssoziologie die Theologie, die Jurisprudenz und die Medizin (vgl. Stichweh 2005: 31; Combe/Helsper 1996: 14). 76 Parsons (1939; 1958). 77 Carr-Saunders/Wilson (1933). 78 Zur

Differenz

zwischen

Professionalisierungsbedürftigkeit

und

faktischer

Professionalisiertheit vgl. Oevermann (1996b: 135). 79 Vgl. Bühler (2005: 9). 80 Stichweh (2005: 37 f.). 81 Goode (1972 [1957]: 158); vgl. Parsons (1939: 463).

 

1 E INLEITUNG | 33

fungiert.82 Oevermann, der von der Krisenhaftigkeit der Lebenspraxis ausgeht, konzeptualisiert diese Beziehung in Anlehnung an Sigmund Freud als »Arbeitsbündnis«83. Der Patient befindet sich aufgrund seiner Krankheit in einer Krise, die selbst zu bewältigen er nicht im Stande ist. Unter einem Leidensdruck stehend, sucht er sich mit seinen gesunden Anteilen freiwillig Hilfe bei einer Professionsangehörigen, die im Sinne einer stellvertretenden Krisenbewältigung seine Autonomie wieder herzustellen trachtet. Konstitutiv für dieses Arbeitsbündnis und für professionalisiertes Handeln ist neben der widersprüchlichen Einheit von Autonomie und Abhängigkeit des Patienten die widersprüchliche Einheit von diffusen und spezifischen Aspekten der Beziehung. Dies bedeutet in der psychoanalytischen Therapie, dass der Patient mit seinen gesunden Anteilen seine spezifische Rolle wahrnimmt und gleichzeitig die »Grundregel« befolgt und alles ausspricht, was ihn beschäftigt. Die Ärztin wiederum muss gemäss der »Abstinenzregel« Gegenübertragungsgefühle zulassen, womit sie innerlich an der diffusen Sozialbeziehung partizipiert, sie darf diese als Rollenträgerin aber nicht ausagieren.84 Krisenbewältigung, wie sie im professionalisierten Handeln vollzogen wird, besteht aus zwei Phasen. In einer ersten Phase trifft der Professionelle eine spontane Entscheidung, von deren Richtigkeit er überzeugt ist. In einer zweiten Phase rekonstruiert er diese Entscheidung, wobei er Geltungsfragen problematisierend bearbeitet. Diese Form der Krisenbewältigung erfordert einerseits eine Charismatisierung des professionellen Handelns, andererseits eine Neutralisierung derselben, denn die »methodische[n] Formen der Geltungsüberprüfung [sind] immer mehr auf die Nüchternheit des unvoreingenommenen Blickes und vor allem aber auf die dabei unverzichtbare Wert-Ungebundenheit, also Wertfreiheit im Sinne Webers, angewiesen«85. Diese Neutralisierung der Charismatisierung, die geschehen soll, ohne dass dabei das professionelle Handeln zu einem bürokratischen Routinehandeln wird, kann gemäss Oevermann in der Logik des professionellen Handelns dank der erwähnten »widersprüchlichen Einheit von

82 Mit seiner Professionalisierungstheorie, der »radikalisierte[n] Version einer Theorie der Professionen« (1996b: 71), knüpft Oevermann an die klassische Professionstheorie Parsons’ an, deren diagnostizierte analytische Defizite er überwinden möchte. Ein Vergleich der klassischen Professionalisierungstheorie Parsons’ und Oevermanns Reformulierung findet sich bei Rychner (2006: 23 ff.). 83 Zu den Begriffen Krise und Routine vgl. Oevermann (2000: 132 ff.); zum Arbeitsbündnis vgl. Oevermann (1996b: 115 ff.). 84 Oevermann (1996b: 118 ff.). 85 Oevermann (1996b: 85).

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ganzer Person und unpersönlicher Rollenförmigkeit, von diffuser und spezifischer Sozialbeziehung« gelingen. Professionalisiertes Handeln lässt sich demnach idealtypischerweise nicht mit der »Charismatisierung des Personals« vereinbaren, wie sie etwa in der Bezeichnung »Halbgott in Weiss« zum Ausdruck kommt, die gelegentlich ironisierend für Ärzte verwendet wird.86 Die Situation des »Gastes«87 des Bergführers unterscheidet sich insofern von jener eines gemäss Professionalisierungstheorie idealtypischen Klienten, als er sich nicht etwa aufgrund einer Krankheit (wie die Patientin) oder dem Nochnicht-erwachsen-Sein (wie der Schüler) in einer Krise befindet, sondern sich gewollt in diese begibt. Er setzt sich willentlich einer Situation aus, in der er an seine physischen und auch psychischen Grenzen stossen kann und für deren Bewältigung er auf den Bergführer angewiesen ist. Damit deautonomisiert er sich bis zu einem gewissen Grad selbst. Seine Krise ist somit freiwillig gewählt und künstlich erzeugt. Wie die Ärztin stützt sich der Bergführer bei der stellvertretenden Krisenbewältigung im Idealfall auf sein Wissen, das er individuell fallverstehend umsetzt. In den Interviewanalysen gilt es zu eruieren, wie die interviewten Bergführer und Bergführerinnen die Beziehung zu ihren Klientinnen und Klienten, den Gästen, interpretieren, und inwiefern sich darin Züge eines Arbeitsbündnisses finden. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Bedeutung der Alpen und des Bergführers für die Konstruktion der nationalen Identität interessiert zudem, inwiefern neben dem Gast als individuellem Klienten des Bergführers, mit dem dieser in direkte Interaktion tritt, auf einer symbolischen Ebene die Nation als ›Klientin‹ der generalisierten (und idealisierten) Figur des Bergführers betrachtet werden kann.88 Bezüglich beider Klienten, dem Gast und der Nation, stellt sich die Frage, welche Rolle die Charismatisierung des Bergführers dabei spielt. Ein Aspekt, der in der Professionssoziologie gerne mit Verberuflichung und Professionalisierung in Zusammenhang gebracht wird, betrifft die Prozesse der »sozialen Schliessung«, die beispielsweise »auf der Basis von Zulassungsmechanismen« stattfinden.89 Prozesse der sozialen Schliessung können sich auf

86 Oevermann (1996b: 86). 87 Mit »Gast« wird hier der derzeit im Feld gängige Begriff zur Bezeichnung der Geführten, also der Kundinnen und Kunden des Bergführers, der Bergführerin verwendet. 88 Stichweh (1996: 63) attestiert dem Militär eine Sonderstellung bezüglich der Beziehung zwischen Professionellen und Klienten und betrachtet »eine ganze Nation« als dessen Klient. 89 Stichweh (2005: 38 f.). Zur sozialen Schliessung vgl. Mackert (2004).

 

1 E INLEITUNG | 35

andere, als in der Hierarchie unterlegen betrachtete Professionen beziehen, aber auch auf bestimmte soziale Gruppen. Eine Gruppe, die aus dem Bergführerberuf formal lange Zeit und faktisch bis heute weitgehend ausgeschlossen blieb, sind die Frauen, weshalb für diese Arbeit Theorien zur geschlechtlichen Segregation und zu Maskulinität relevant sind. 1.5.3 Geschlechtliche Segregation und Geschlechterkonstruktion Mit einem Frauenanteil von rund 1,8 Prozent ist der Bergführerberuf äusserst stark horizontal geschlechtersegregiert.90 Die numerische Dominanz der Männer geht mit einer maskulinen Codierung der Tätigkeit und des Berufsfeldes einher. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass sich berufliche Segregation und die auf der Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit basierenden Geschlechterstereotype gegenseitig bedingen und verstärken: »Indem berufliche Segregation die Geschlechterdifferenz im wahrsten Sinne des Wortes ›augenfällig‹ macht, trägt sie massgeblich zu deren Reproduktion bei. Die auffällige ›Passung‹ von Berufs- und Geschlechterstereotyp verführt dazu, die berufliche Segregation auf eine grundlegende Differenz zwischen den Geschlechtern zurückzuführen: Frauen wählen Frauenberufe, weil sie ihnen besser entsprechen. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass die Bedingungskette genau umgekehrt verläuft. Die berufliche Segregation bringt die Geschlechterdifferenz erst hervor, die im Nachhinein dazu dient, die ungleiche Verteilung auf die Berufe zu legitimieren.«91 Vor diesem Hintergrund knüpft die vorliegende Arbeit mit ihrem Erkenntnisinteresse an theoretische Debatten und empirische Studien an, die sich

90 SBV (2012d). Während »vertikale Geschlechtersegregation« die ungleiche Besetzung hierarchisch unterschiedlicher Positionen durch Männer und Frauen bezeichnet, wird unter »horizontaler Segregation« die ungleiche Verteilung von Männern und Frauen auf verschiedene Tätigkeitsfelder verstanden (vgl. Charles/Grusky 2004: 12 ff.). Aufgrund der hierarchischen Gliederung der Berufe und der Einkommensdifferenz zwischen Frauen- und Männerberufen ist allerdings auch der horizontalen Segregation eine vertikale Komponente inhärent (vgl. Heintz/Nadai/Fischer/Ummel 1997: 16; Wetterer 2002: 81 ff.). Zur geschlechtlichen Segregation auf dem Schweizer Arbeitsmarkt vgl. Jann (2008); für einen internationalen Vergleich vgl. Charles/Grusky (1995; 2004) und Charles (1995). 91 Heintz/Nadai/Fischer/Ummel (1997: 66); vgl. Gildemeister/Wetterer (1992).

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mit dem Zusammenhang zwischen der horizontalen geschlechtlichen Segregation in Berufen und der Konstruktion von Geschlecht beschäftigen. Zum einen sind dies Theorien und Studien, die sich auf einer mikrosoziologischen Ebene mit der Herstellung von Geschlecht im interaktiven beruflichen Handeln befassen und den Debatten um »doing gender«, »undoing gender« oder »doing gender while doing the job« zugeordnet werden können.92 Zum anderen erweisen sich Ansätze als anschlussfähig, welche die Ebene der Berufskonstruktionen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Die mikrosoziologische Perspektive des »doing gender while doing the job« kommt in der vorliegenden Studie etwa dann zum Tragen, wenn nach Ein- und Ausschlussmechanismen im Feld des Bergführerberufs gefragt wird, nach der Herstellung von Geschlecht, den Bewährungsstrategien der Bergführerinnen oder nach Geschlechterkonstruktionen, auf die Bergführerinnen und Bergführer bei der Interpretation ihrer Arbeit zurückgreifen. Dabei wird das »Doing« anlässlich von Feldaufenthalten beobachtet, vor allem aber wird es aus Berufsbiografien sowie aus dem Darüber-Sprechen in Interviews rekonstruiert. Neben dieser interaktiven Ebene des beruflichen Handelns interessiert ganz besonders jene der geschlechtlichen Codierung des Berufs, also die Konstruktion des Bergführerberufs als ›Männerberuf‹ sowie die Wechselwirkungen dieser Konstruktion mit interaktiven Prozessen und Interpretationen. Diese MesoEbene fokussiert Wetterer, wenn sie vorschlägt, »den Prozess der Geschlechterkonstruktion als integralen Bestandteil von Prozessen der Berufskonstruktion und Professionalisierung zu konzeptualisieren und die inter- und intraberufliche Arbeitsteilung als einen spezifischen Modus der sozialen Herstellung von Geschlecht zu begreifen«93. Sie entwirft Berufskonstruktionen als »intermediäre Instanz«, die zwischen dem »doing gender while doing work« und den Strukturen des geschlechtersegregierten Arbeitsmarktes angesiedelt ist. Gemäss dieser Sichtweise sind Geschlechterarrangements nicht als »outcome« des »doing gen-

92 Zum »doing gender« vgl. West/Zimmerman (1991), zum »undoing gender« vgl. Hirschauer (1994) und zum »doing gender while doing the job« vgl. Leidner (1991) und Wetterer (2002: 129 ff.). Eine Zusammenstellung der theoretischen Ansätze zur Geschlechtersegregation findet sich in Heintz/Nadai/Fischer/Ummel (1997). Zur Untersuchung der Konstruktion von Geschlecht in geschlechtersegregierten Berufen und der spezifischen Situation der »go-betweens«, also der Frauen oder Männer, die in einem

gegengeschlechtlichen

Beruf

tätig

sind,

vgl.

Wetterer

(1992),

Heintz/Nadai/Fischer/Ummel (1997), Schmitt (1997), Nadai/Seith (2001), Heintz/ Merz/Schumacher (2004), Schumacher (2004), Ummel (2004), Katz/Mayer (2006). 93 Wetterer (2002: 24).

 

1 E INLEITUNG | 37

der« zu betrachten, sondern das »doing gender« ist »als Realisierung von Handlungsoptionen zu verstehen […], die die Geschlechterarrangements vermöge der ihnen innewohnenden institutionellen Reflexivität nicht nur eröffnen und nahelegen, sondern in gewisser Hinsicht überhaupt erst ermöglichen (vgl. hierzu auch Hirschauer 1994).«94 Als solch intermediäre Instanz zwischen dem »Doing« und den Strukturen wird im vorliegenden Fall die maskuline Codierung des Berufs verstanden. 1.5.4 Männlichkeitsforschung Da sich das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit unter anderem darauf richtet, worin die maskuline Codierung des Berufs besteht, wie sie reproduziert wird und wie Geschlecht in diesem Feld hergestellt wird, bietet es sich an, auf Konzepte zurückzugreifen, die im Zusammenhang mit der Erforschung von Maskulinität entwickelt wurden. Mit ihrem Artikel »Toward a Sociology of Masculinity« initiierten Carrigan, Connell und Lee95 in den 1980er-Jahren die soziologische Erforschung von Maskulinität. Die daran anschliessenden, insbesondere von Connell96 verfassten Schriften begründeten eine Männer- und Männlichkeitsforschung, die sich zunächst im englischsprachigen und seit den 1990er-Jahren auch im deutschsprachigen Raum etablierte. Das von Connell vorgeschlagene Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« erlangte dabei – trotz vielfacher Kritik97 – den Status einer »Leitkategorie der Men’s Studies«98; es prägt die sozial- und geisteswissenschaftliche Männer- und Männlichkeitsforschung bis heute. Bei dieser Forschungsrichtung handelte es sich zunächst hauptsächlich um eine Forschung »von Männern über Männer und für Männer«99. Heute nimmt sie vermehrt auch Geschlechterverhältnisse in den Blick. Auch Connell100 plädiert mittlerweile dafür, Frauen sowie die Wechselwirkung von Feminitäten und Maskulinitäten bei der Erforschung hegemonialer Männlichkeit zu berücksichti-

94 Wetterer (2002: 28 f.). 95 Carrigan/Connell/Lee (1985). 96 Connell (1993a; 1993b; 1995; 2006). Die hier zitierten Titel von Connell sind unter den Namen Robert, Bob oder R.W. Connell erschienen. Da Connell heute als (transsexuelle) Frau lebt und publiziert und sich Raewyn nennt, wird hier in der weiblichen Form von ihr gesprochen. 97 Eine Replik auf viele Kritikpunkte findet sich in Connell/Messerschmidt (2005). 98 Meuser (2006b). 99 Maihofer (2006: 68). 100 Connell/Messerschmidt (2005: 848).

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gen. Trotz dieses Bekenntnisses ist in der Forschung, die mit dem Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« arbeitet, bis heute eine einseitige Fokussierung auf Männer und Männlichkeit festzustellen. Die empirischen Befunde zum Bergführerberuf weisen darauf hin, dass eine solche Beschränkung für die Erforschung dieses noch so männerdominierten und maskulin codierten Feldes nicht sinnvoll ist. Der Relationalität, die Geschlecht auch in diesem Feld ausmacht, kann nur Rechnung getragen und den Geschlechterkonstruktionen nur dann auf den Grund gegangen werden, wenn Männer, Frauen, Maskulinität und Feminität sowie allfällige andere Geschlechtsidentitäten in die Analysen einbezogen werden. Die vorliegende Studie fragt deshalb nicht, was Männer tun und denken, und sie fragt auch nicht allein nach dem »doing masculinity«. Sie interessiert sich vielmehr dafür, wie Geschlecht in diesem Feld konstruiert wird und wie unter Rekurs auf Geschlecht »gesellschaftliche Beziehungen legitimiert und konstruiert«101 werden. Damit begreift sie Geschlecht – wie Dölling unter Rekurs auf Scott vorschlägt – nicht (oder nicht nur) als Strukturkategorie, sondern als analytische Kategorie.102 So soll auch vermieden werden, dass mit ›Geschlecht‹ etwas als gegeben vorausgesetzt und das Gesetzte lediglich reproduziert wird. Aus diesen Gründen verortet sich die Arbeit in der Geschlechterforschung und nicht etwa in der Maskulinitäts- oder gar Männerforschung. Trotz dieser Verortung sollen die zentralen Erkenntnisse der Maskulinitätsforschung – nämlich die Feststellung, dass auch Männer nicht als solche geboren, sondern dazu gemacht werden, und Hierarchien nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch unter Männern und unter Frauen bestehen103 – wie auch einige theoretische Entwürfe aus der Maskulinitätsforschung nicht unberücksichtigt bleiben. Connells Konzept der »hegemonialen Männlichkeit«, Bourdieus Überlegungen zur »männlichen Herrschaft«104 und Meusers Konzept der »hegemonialen Männlichkeit als generatives Prinzip«105 stellen theoretische Instrumentarien bereit, mit denen sich die empirischen Befunde aus den Interviewanalysen besser verstehen lassen, weshalb diese drei Positionen in der Folge in ihren Grundzügen umrissen werden. Wie zu zeigen sein wird, drängt sich bei der Konfrontation mit dem empirischen Material auch eine Kritik dieser theore-

101 Scott (1994: 58). 102 Dölling (1999); Scott (1994); vgl. Scholz (2004a: 14). 103 Vgl. Maihofer (2006: 69). 104 Bourdieu (1997a; 1997b; 2005). 105 Meuser (2006a).

 

1 E INLEITUNG | 39

tischen Konzepte auf, insbesondere an demjenigen der »hegemonialen Männlichkeit«. Hegemoniale Männlichkeit Das Geschlechterverhältnis ist – gemäss Connell – auf drei fundamentalen Ebenen organisiert: auf den Ebenen der Macht, der er den zentralsten Stellenwert einräumt, der Produktion und der emotionalen Bindungsstruktur. Die wichtigste »Achse der Macht« in der gegenwärtigen westlichen Geschlechterordnung sieht sie in der omnipräsenten Unterordnung der Frauen und der Dominanz der Männer.106 Das Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« hat aber nicht nur den Anspruch, Machtbeziehungen zwischen Männern und Frauen zu fassen, sondern auch Über- und Unterordnungsverhältnisse unter Männern beziehungswiese verschiedene Formen von Männlichkeiten. Hegemoniale Männlichkeit konstituiert sich demnach in doppelter Relation: in Bezug auf Weiblichkeit und in Bezug auf andere Männlichkeiten.107 Mit »hegemonialer Männlichkeit« bezeichnet Connell jene Form von Männlichkeit, die in einem bestimmten Kontext gegenüber den anderen kulturell herausgehoben wird. Es ist »jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis […], welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)«108. Es handelt sich dabei also um »jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann«, denn Hegemonie hat keine starre Gestalt, sondern sie verändert sich über Zeit und Raum, ist also eine »historisch bewegliche Relation«.109 Dass diese Form der Männlichkeit hegemonialen Charakter hat, heisst auch nicht, dass sie am häufigsten auftritt. Nur wenige Männer entsprechen gemäss Connell den normativen Ansprüchen dieser Männlichkeit in der Praxis, dennoch aber fungiert die hegemoniale Männlichkeit für

106 Connell (2006: 94); vgl. Meuser (2006a: 99 ff.); Dinges (2005: 12). 107 Connell (1993a: 186; 2006: 96). Mathes (2006: 176) weist darauf hin, Geschlechterforscherinnen hätten lange vor Connell die Forderung aufgestellt, zur Untersuchung dominanter Maskulinitäten die Beziehungen zwischen Männern in den Blick zu nehmen, dies sei also keineswegs sein Verdienst. 108 Connell (2006: 98). 109 Connell (2006: 97 f.).

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die Mehrheit als »verbindliches Orientierungsmuster, zu dem sich Männer (zustimmend oder abgrenzend) in Bezug setzen müssen«110. Der in Anlehnung an Gramsci verwendete Begriff der Hegemonie impliziert, dass die Dominanz nicht erzwungen ist, sondern die »aktive Zustimmung der Subalternen zu ihrer Unterwerfung«111 bedingt. Die Vorherrschaft einer Gruppe basiert somit nicht allein auf direkter »Durchsetzung ihrer Interessen und ökonomische[r] Abhängigkeit, sondern auch auf Bündnis und Konsensbildung mit den Beherrschten […]. Zur Aufrechterhaltung der Hegemonie wird eine Ideologie und Kultur aufgebaut, die die Beherrschten mittragen«112. In Connells Konzeption handelt es sich bei diesen Beherrschten um Vertreter nichthegemonialer Männlichkeiten sowie um Frauen. Als nichthegemoniale Männlichkeit nennt sie die »komplizenhafte Männlichkeit«. Diese wird von jenen Männern gelebt, die den normativen Ansprüchen der hegemonialen Männlichkeit nicht entsprechen, ihr aber zuarbeiten und von ihr profitieren. Diese Männer haben an der »patriarchalen Dividende«113 teil, die aus der Unterdrückung der Frauen durch die Männer entsteht, weshalb sie sich nicht dagegen auflehnen. Als »untergeordnete Männlichkeit« bezeichnet Connell jene, die sich am »unterste[n] Ende der männlichen Geschlechterhierarchie« befindet. Sie sieht sie vor allem von homosexuellen Männern verkörpert, aber auch von jenen heterosexuellen Männern, die »aus dem Kreis der Legitimierten ausgestossen«, als Schwächlinge beschimpft und damit in eine »symbolische Nähe zum Weiblichen« gerückt werden.114 Während Hegemonie, Unterordnung und Komplizenschaft aus internen Relationen der Geschlechterordnung hervorgehen, resultiert die »marginalisierte Männlichkeit« oder »Protest-Männlichkeit« aus der Interaktion des Geschlechts mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit wie Klasse oder Rasse.115 Bei ihr findet sich zwar der Anspruch auf Macht, welche die hegemoniale Männlichkeit verkörpert, aufgrund mangelnder ökono-

110 Scholz (2004a: 38); Connell (2006: 100). 111 Candeias (2007: 19). 112 Höyng/Puchert (1998: 102). 113 Unter der »patriarchalen Dividende« (2006: 103) versteht Connell den materiellen und immateriellen Gewinn, den Männer etwa in Form von höheren Löhnen oder erhöhten Chancen, politische Macht, Prestige und Befehlsgewalt zu erlangen, aus dem Geschlechterverhältnis ziehen. 114 Connell (2006: 99 f.). Die heterosexuelle Orientierung ist ebenso konstitutiv für hegemoniale Männlichkeit wie Homophobie (Dinges 2005: 9). 115 Vgl. Connell (2006: 101).

 

1 E INLEITUNG | 41

mischer Ressourcen und mangelnder institutioneller Autorität kann er aber nicht erfüllt werden.116 Für die Weiblichkeit stellt Connell keine Form fest, die sich als hegemonial bezeichnen liesse. Als am weitesten verbreitete Form der Weiblichkeit sieht sie die »emphasized femininity«, also die betonte Weiblichkeit, die sich durch Zustimmung zur Unterordnung auszeichnet und daran orientiert ist, sich den Interessen und Wünschen der Männer anzupassen. Zwischen hegemonialer Männlichkeit und betonter Weiblichkeit existiert also ein Passungsverhältnis. Daneben gibt es nach Connell andere Formen der Weiblichkeit, die sich durch Widerstand und Nichtzustimmung oder aber komplexe Strategien von Zustimmung, Widerstand und Kooperation auszeichnen.117 Männliche Herrschaft Wie bei Connell, konstituiert sich Männlichkeit auch in Bourdieus Überlegungen zur »männlichen Herrschaft« in doppelter Relation – gegenüber Frauen und gegenüber Männern. Die Herrschaft der Männer über Frauen gründet nach Bourdieu in der Geschlechtertrennung, die auf der Naturalisierung118 sozialer Unterschiede basiert und impliziert, dass der Mann als das Allgemeine gilt, dass das Männliche Vorrang hat, ›oben‹ ist. Die männliche Herrschaft stellt ein Beispiel »symbolischer Gewalt« dar. Sie ist in der sozialen Welt »objektiviert« und im Habitus »inkorporiert« und damit in der körperlichen »Hexis«, mit der Bourdieu die »realisierte, einverleibte, zur dauerhaften Disposition, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens und damit des Fühlens und Denkens [Hervorhebungen i. O.] gewordene politische Mythologie« beschreibt, ebenso verankert wie im Denken.119

116 Vgl. Meuser (2006a: 128). Meuser kritisiert diese Unterteilung Connells: »[U]ntergeordnet sind all diese Männlichkeiten, und marginalisiert ist eher die homosexuelle Männlichkeit als diejenige der Arbeiterklasse, welche sich im Sinne Connells durchaus als ›komplizenhaft‹ verstehen liesse.« (2006b: 165). 117 Vgl. Connell (1993a: 183 ff.). 118 »Ihre besondere Kraft zieht die männliche Soziodizee daraus, dass sie zwei Operationen in eins vollzieht: sie legitimiert ein Herrschaftsverhältnis, indem sie es in etwas Biologisches einschreibt, das seinerseits eine biologisierte gesellschaftliche Konstruktion ist.« (Bourdieu 1997a: 175). 119 Bourdieu (1999a: 129; vgl. 1997a: 160 ff.). Zum Habitusbegriff vgl. Bourdieu (1999a: 97 ff.).

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Der Habitus ist strukturiertes und strukturierendes Produkt dieses Herrschaftsverhältnisses, er ist vergeschlechtlicht und vergeschlechtlichend.120 Auf Seite der Männer bewirkt er, dass sie ihr »soziales Schicksal« annehmen und eine »libido dominandi« wie auch die Disposition entwickeln, die »ernsten Spiele des Wettbewerbs«121, jene agonalen Spiele, die als einzige gelten, die es wert sind, gespielt zu werden, ernst zu nehmen und die entsprechende »Ur-illusio«122 zu teilen. Der »männliche Habitus« – und hier tritt die zweite Seite der genannten doppelten Relation auf – wird also in sozialen Räumen gebildet, in denen Männer unter Männern die »ernsten Spiele des Wettbewerbs« spielen. Der Wettbewerb kann die verschiedensten Formen annehmen und sich etwa in einem verbalen Wettstreit, in der beruflichen Konkurrenz oder im Sport manifestieren.123 In diesen Spielen treten sich die Männer als »Partner-Gegner«124 gegenüber: »Der Wettbewerb trennt die Beteiligten nicht (oder nicht nur), er resultiert nicht nur in Hierarchien der Männer untereinander, er ist zugleich, in ein- und derselben Bewegung, ein Mittel männlicher Vergemeinschaftung. Wettbewerb und Solidarität gehören untrennbar zusammen […].«125 Bei den Frauen bewirkt der Habitus – so Bourdieu –, dass sie den untergeordneten Part in diesem Verhältnis annehmen. Von den ernsten Spielen des Wettbewerbs sind sie ausgeschlossenen und »auf die Rolle von Zuschauerinnen oder, wie Virginia Woolf sagt, von schmeichelnden Spiegeln [Hervorhebung i. O.] verwiesen, die dem Mann das vergrösserte Bild seiner selbst zurückwerfen«126. Damit tragen sie zur Reproduktion der männlichen Herrschaft bei – ähnlich wie die »betonte Weiblichkeit« bei Connell die hegemoniale Männlichkeit mitproduziert.127 Frauen wie Männer erwerben ihren Habitus in der Sozialisation:

120 Bourdieu (1997a: 167). 121 Bourdieu (1997a: 203). 122 Bourdieu (1997a: 189). »Die illusio, die für die Männlichkeit konstitutiv ist, liegt allen Formen der libido dominandi zugrunde, d. h. allen spezifischen Formen von illusio, die in den verschiedenen Feldern entstehen. Diese ursprüngliche illusio bewirkt, dass Männer (im Gegensatz zu Frauen) gesellschaftlich so bestimmt sind, dass sie sich, wie Kinder, von allen Spielen packen lassen, die ihnen gesellschaftlich zugewiesen werden und deren Form par excellence der Krieg ist.« (Bourdieu 1997a: 195 f.). 123 Bourdieu (2005: 93 f.); vgl. Meuser (2006b: 163 f.). 124 Bourdieu (2005: 83). 125 Meuser (2006b: 163). 126 Bourdieu (1997a: 203). 127 Für einen Vergleich zwischen Connell und Bourdieu vgl. Scholz (2004a: 41 f.).

 

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»[D]ie auf Geschlechtsdifferenzierung gerichtete Sozialisation [bestimmt] die Männer dazu […], die Machtspiele zu lieben, und die Frauen dazu, die Männer, die sie spielen, zu lieben […].«128 Hegemoniale Männlichkeit als generatives Prinzip Eine Verbindung von Connells Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« und Bourdieus Überlegungen zur »männlichen Herrschaft« schlägt Meuser mit seinem Konzept der »hegemoniale[n] Männlichkeit als generative[s] Prinzip«129 vor. Von Connell übernimmt er den Begriff der »hegemoniale[n] Männlichkeit«130 sowie die damit zusammenhängende Feststellung, dass die »allgegenwärtige Unterordnung von Frauen und die Dominanz von Männern«131 in westlichen Gesellschaften als die »wichtigste Achse der Macht«132 anzusehen ist. Von Bourdieu greift er den Vorschlag auf, den Blick auf die Konstitution von Männlichkeit in den »ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs«133 zu richten. Für Männlichkeit ist demnach die »doppelte Distinktions- und Dominanzstruktur«134 entscheidend. Distinktion findet gegenüber den Frauen und gegenüber anderen Männern statt, wobei Meuser vor allem die zweite, die homosoziale Achse fokussiert. Als »generatives Prinzip« ist hegemoniale Männlichkeit beim »doing masculinity«, also bei der Erzeugung hegemonialer und nicht-hegemonialer Männlichkeiten, wirksam.135 Hegemoniale Männlichkeit fungiert in den »ernsten Spielen des Wettbewerbs« als Spieleinsatz. In der Sozialisation von Männern – so Meuser unter Rückgriff auf Bourdieu – dienen solche Wettbewerbe als »Strukturübung zur Aneignung einer erwachsenen Männlichkeit«136. In ihnen lernen sie die Spielregeln, sie lernen das Spiel lieben und erwerben den »männlichen Habitus«137. Einen leicht anderen Vorschlag zur Zusammenführung der Ansätze von Connell und Bourdieu schlägt Scholz mit dem Konzept der »männlichen Hege-

128 Bourdieu (1997a: 201). 129 Meuser (2006a: 126). 130 Connell (2006: 97 ff.). 131 Connell (2006: 94). 132 Meuser (2006b: 164). 133 Bourdieu (1997a: 203). 134 Meuser (2008b: 422). 135 Meuser (2006b: 166). 136 Meuser (2006a: 127; vgl. 2005; 2008a: 117; 2008b). 137 Meuser (2005); Meuser/Scholz (2005: 222).

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monie« vor.138 Auf der Basis einer empirischen Studie zu Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer vertritt sie die These, dass es in verschiedenen sozialen Praxen einer Gesellschaft – so etwa innerhalb verschiedener Professionen – unterschiedliche Versionen hegemonialer Männlichkeiten gibt, die miteinander konkurrieren, in einem »Über- und Unterordnungsverhältnis« stehen und insgesamt »männliche Hegemonie« reproduzieren.139 Anhand der Analysen wird sich zeigen, inwiefern die vorgestellten Konzepte dabei helfen, die empirischen Befunde zu verstehen, wo ihre Stärken und wo ihre Schwächen liegen. Insbesondere Bourdieus Überlegungen zu den »ernsten Spielen« und Meusers Kombination von Bourdieus und Connells Ansätzen haben sich als fruchtbar erwiesen. Zu kritisieren sein werden hingegen Connells Kategorisierung der vier Maskulinitäten sowie sein Versuch, Weiblichkeit zu fassen, der sich als nicht ausreichend komplex herausgestellt hat.

138 Scholz (2004a; 2004b). 139 Scholz (2004b: 37; 2004a: 46).

 



Teil I: Historische Darlegungen

 



2

Alpen, Alpinismus und die Schweiz

Die Alpen machen 65 Prozent der Landesfläche der Schweiz aus und prägen sie somit topografisch massgeblich.1 Ihre Bedeutung für die Schweiz ist aber vor allem auch symbolischer Art. Für die nationale Identität2 spielen sie seit dem 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle. Im Zusammenhang mit den Alpen wurde auch der Alpinismus ab Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts mit nationalen Bedeutungsinhalten versehen. Für die symbolische Bedeutung des Alpinismus in der Schweiz sind zusätzlich zur Kategorie der Nation auch jene der Klasse und des Geschlechts relevant: Der Alpinismus war lange Zeit eine bürgerliche und männliche Praxis. Diese historisch gewachsene Bedeutung der Alpen und des Alpinismus ist für das Verständnis des Phänomens des Schweizer Bergführers unabdingbar, weshalb sie in ihren wichtigsten Grundzügen dargelegt wird.

2.1 A LPEN ALS B AUSTEIN EINER » IMAGOLOGISCHEN B ASTELEI « Die Bildung einer nationalen schweizerischen Identität fand, wie Morkowska3 aufzeigt, in einer Wechselwirkung von Fremd- und Selbstzuschreibungen statt. Bis ins 17. Jahrhundert wurden in Europa mit den Schweizern – und vermutlich auch den Schweizerinnen – negative Stereotype wie Dummheit, Einfältigkeit, Naivität, Unzivilisiertheit, Triebhaftigkeit sowie übertriebene Treue und Ehr-

1

Mathieu (2004: 92).

2

Nation wird hier als »imagined community« (Anderson 1983; vgl. Sarasin 2003b; Sarasin/Ernst/Kübler/Lang 1998: 21) verstanden und nationale Identität als etwas Imaginiertes und Konstruiertes.

3

Morkowska (1997).

 

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lichkeit assoziiert. Seit dem Sieg der Eidgenossen über die Habsburger bei Sempach im 14. Jahrhundert galten die Schweizer in Europa als kämpferische und abtrünnige Bauern. Damit wurde auf den Typus Bauer rekurriert, der seit dem 9. Jahrhundert entworfen wurde und das Gegenteil des idealen Ritters darstellte; der Bauer galt als »Inbegriff des Niederen, Törichten, Unhöfischen schlechthin«4, gleichzeitig aber auch als verschlagen und listig. Die Bezeichnung der Eidgenossen als »Bauern« war also – ebenso wie die Fremdbezeichnung »Schweizer« – zunächst negativ konnotiert, sie war abschätzig gemeint und wurde von den Eidgenossen als ehrverletzend empfunden.5 Im Laufe des 15. Jahrhunderts ging die eidgenössische städtische Elite dazu über, die negative Fremdzuschreibung zu einem positiven Selbstbild umzudeuten. Aktiv wurde das Selbstbild des edlen Bauern verbreitet, was zunächst zu einer eklatanten Ambivalenz von Fremd- und Selbstbild führte: Im Ausland galt der Schweizer noch längere Zeit als unzivilisiert, geistig beschränkt und als »Bastard unter den Völkern«, während die Eidgenossen selbst sich »für ein von Gott auserwähltes Volk« hielten.6 Es sollte – so die gängige historische Lesart – bis ins 18. Jahrhundert dauern, bis das abschätzige Bild in der Fremdwahrnehmung zu einem Vorbild uminterpretiert und damit idealisiert wurde.7 Dies geschah nicht zuletzt unter dem Einfluss der Schriften von Johann Jakob Scheuchzer8 sowie Albrecht von Hallers9 Gedicht »Die Alpen«, das er 1728 verfasst hatte.10 Dieses legte den Grundstein für die Ästhetisierung der Alpen und die Idealisierung der Alpenbewohner. Das neue Naturgefühl und die Zivilisationskritik, die in Hallers Gedicht zum Ausdruck kamen, fanden auch durch die 1756 erschienenen »Idyllen« des Poeten Salomon Gessner11 und durch Jean-Jacques Rousseaus Roman12 »La nouvelle Heloïse« Verbreitung.13 Als Folge dieser Umdeutung sollen Angst und Abneigung gegenüber den Alpen einer schwärmeri-

4

Martini (1944: 5 f.).

5

Morkowska (1997: 28 ff.).

6

Morkowska (1997: 43 ff.; 47; 65); Marchal (2006: 32 ff.). Zur Bauern- und Bauern-

7

Morkowska (1997: 96; 134 ff.).

staatsideologie vgl. Sablonier (1992) und Weishaupt (1992). 8

Scheuchzer (ohne Jahr; 1705-1707). Zu Scheuchzer als einer der Begründer des schweizerischen Alpenstaatsmythos vgl. Boscani Leoni (2010).

9

Haller (1984 [1732]).

10 Vgl. Marchal (2006: 68 ff.). 11 Gessner (1922 [1730-1788]). 12 Rousseau (1967 [1761]). 13 Vgl. Morkowska (1997: 138 ff.).

 

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schen Begeisterung Platz gemacht haben.14 Mathieu stellt die weitverbreitete Annahme eines solch klaren Übergangs in der Wahrnehmung der Alpen in Frage. Zum einen habe es bereits vor 1750 positive Wahrnehmungen des Gebirges gegeben, zum anderen sei das mit den Alpen assoziierte Grauen im 18. Jahrhundert nicht verschwunden, sondern fortan inszeniert worden.15 Mit der Umdeutung der Alpen soll sich – so Morkowska – auch die Aussenwahrnehmung der Alpenbewohnerinnen und -bewohner verändert haben: »Die ›Alten Eidgenossen‹ wurden zu den Prototypen der von der ›Zivilisation‹ unverdorbenen Naturmenschen.«16 Mit dem »schweizerischen Charakter« verband man Natürlichkeit, Einfachheit, Tugendhaftigkeit und Freiheitsliebe.17 Die Schweizer wiederum verinnerlichten in den 1770er-Jahren das klischierte, positive Fremdbild als Selbstbild.18 Eine wichtige Rolle spielte dabei zunächst die 1761 gegründete Helvetische Gesellschaft, deren Mitglieder die Alpen wie auch die Alten Eidgenossen verherrlichten. Die Alpen standen für die ›natürliche‹ Freiheit und Tugendhaftigkeit des Vaterlandes, den Alten Eidgenossen wurden »Sitteneinfachheit und republikanische Tugend«19 zugeschrieben. Bei dieser »imagologischen Bastelei«20 besann man sich also auf die Entstehungszeit der Eidgenossenschaft sowie auf die Besonderheit der Landschaft, die Alpen. Damit wurden eine spezifische Geschichte der Schweiz sowie die Alpen »erstmals zu den wichtigsten Bausteinen der nationalen Identität der Schweiz«21, was für die weitere Entwicklung des schweizerischen Nationalbewusstseins folgenreich sein sollte. In verschiedenen historischen Phasen wurden daraufhin in der Schweiz Bestrebungen unternommen, den Schweizerinnen und Schweizern unter Rückgriff auf diese Bausteine ein »Gemeinschaftsgefühl« und einen »Verbundenheitssinn« zu vermitteln.22 Erstmals geschah dies nach dem Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft 1798, als in der Helvetischen Republik (1798-1801) die Identifikation der Bevölkerung mit dem neuen Staat systematisch gefördert wurde; dies geschah auf verschiedensten Wegen, beispielsweise über die Ver-

14 Morkowska (1997: 107 ff.). 15 Mathieu (2009; 2011). Vgl. Kapitel 4.4.1. 16 Morkowska (1997: 102). 17 Morkowska (1997: 106). 18 Morkowska (1997: 126). 19 Tanner (2002: 181). Zur Helvetischen Gesellschaft vgl. Im Hof/Capitani (1983). 20 Marchal (1992; 2006: 231 ff.). 21 Tanner (2002: 182). Zur Bedeutung der Alten Eidgenossen im Zusammenhang mit der Konstruktion einer nationalen Identität vgl. Marchal (1990). 22 Morkowska (1997: 154).

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einheitlichung des Bildungswesens und die Förderung des Volksgesangs.23 In dieser Zeit entstand ein »Reservoir von Bildern, Vorstellungen und Geschichten über die Schweiz, die von verschiedenen politischen Bewegungen im 19. wie auch im 20. Jahrhundert immer wieder aktualisiert und zu neuen Konstruktionen oder imagologischen Basteleien verwendet werden konnten«24. Nachdem die Kantone wieder souverän geworden waren, widmeten sich Vereine und Gesellschaften verstärkt der Identitätsbildung. Ihr Wirken »schlug sich in rituellen Ausformungen des Stereotypeninhaltes nieder: Feste, Feiern, Denkmäler, Theaterstücke, Historienmalerei und Schulbuchgeschichten wurden zum Transkript der vereinheitlichten ›Schweizer‹ Kultur, an denen die Gemeinsamkeit ablesbar sein sollte«25. Einen weiteren Schub erhielt die Bildung einer nationalen schweizerischen Identität dann im Zusammenhang mit der Gründung des Nationalstaates 1848. Dabei wurden die Alpen zum Symbol der nationalen Einheit, der Gotthard zum Zentrum der modernen Schweiz und die Urschweizer, allen voran die Heldenfigur Wilhelm Tell, zu nationalen Identifikationsfiguren.26 Wiederum spielten die Vereine bei der Verbreitung von diesen »Ideen und Leitbildern« eine äusserst wichtige Rolle.27 Auch während der Zeit der Geistigen Landesverteidigung bemühte man sich aktiv um die Bildung einer schweizerischen Identität. Als Geistige Landesverteidigung wird in der Geschichtswissenschaft die Zeit von den 1930er- bis in die 1960er-Jahre bezeichnet.28 Ihre Anfänge fallen damit in eine Zeit des Umbruchs und der Krisen: Die zweite industrielle Revolution (1885-1914) hatte zu raschen wirtschaftlichen, strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Der Erste Weltkrieg war vorbei und hatte Spannungen zwischen der Romandie und der Deutschschweiz hinterlassen. 1917 war es aufgrund grosser sozialer Gegensätze zu sozialen Unruhen gekommen, die 1918 zum Generalstreik geführt

23 Morkowska (1997: 156); Tanner (2002: 183); vgl. Marchal (2006: 88 ff.). 24 Tanner (2002: 184; vgl. 189). Auch das erste Unspunnenfest, das im Jahr 1805 in Interlaken stattfand, und mit dem unter anderem das Ziel verfolgt wurde, die Hirtenkultur in einer Zeit des politischen Umbruchs zu pflegen und zu bewahren, fällt in diese Zeit (Gallati/Wyss 2005). 25 Morkowska (1997: 157). Besonders wichtig sollen in diesem Zusammenhang die Feste des Schweizerischen Schützenvereins gewesen sein (vgl. Tanner 2002: 189; Weishaupt 1998; Jost 1992: 474). 26 Altermatt (1984: 36 f.); Marchal (2006: 119 ff.; 255 ff.). 27 Mesmer (1987: 18). 28 Vgl. Jorio (2006).

 

2 A LPEN , ALPINISMUS UND DIE S CHWEIZ | 51

hatten. Ab 1930 war die Weltwirtschaftskrise auch in der Schweiz zu spüren und die Bedrohung durch den Nationalsozialismus und den Faschismus wuchs.29 Wie Schnetzer konstatiert, herrscht in der Geschichtswissenschaft keine Einigkeit darüber, wie der Begriff und das Phänomen Geistige Landesverteidigung zu verstehen und zu erfassen sind. Er stellt einen gewissen Eklektizismus fest, denn Geistige Landesverteidigung werde »als politisches Schlagwort, als Bewegung, als Mentalität oder als staatsgesteuerte Massnahme gegen Faschismus, Nationalsozialismus oder Kommunismus«30 verstanden. In Anlehnung an Mooser31, der den politischen Parteien entsprechend verschiedene Spielarten der Geistigen Landesverteidigung unterscheidet, beschreibt Schnetzer die Jahre von 1900 bis 1938 als eine Zeit, in der es in der Schweiz verschiedene politische, kulturelle, wirtschaftliche, militärische, akademische und populistische Trägergruppen gab, die im »patriotischen Sinne etwas spezifisch Schweizerisches festschreiben und gegenüber Nichtschweizerischem kulturell abgrenzen wollten, mit einer gegen innen kohäsiven und gegen aussen segregativen Wirkung«32. Die Abgrenzung gegenüber dem Nichtschweizerischen äusserte sich zum einen in der Propagierung der Eigenständigkeit der Schweiz gegenüber dem Nationalsozialismus, dem Faschismus und dem Kommunismus, wobei die historische Forschung zeigt, dass gerade die Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus durch ein komplexes Verhältnis von Anpassung und Widerstand geprägt war.33 Zum anderen äusserte sie sich in einer Abwehrhaltung gegenüber dem Fremden, die sich in einem ausgrenzenden Diskurs wie auch in einer Praxis des Ausschlusses

29 Vgl. Schnetzer (2009: 14 ff.); Meier (1991). Dass der Rekurs auf das »Nationale« gerade in dieser krisenhaften Zeit stattfindet, ist gemäss Marchal und Mattioli typisch. Er erfolgte immer dann besonders ausgeprägt, »wenn die jungen Industriegesellschaften gerade Modernisierungskrisen durchliefen und sich dadurch die sozialen Konfliktlagen verschärften« (1992: 15). 30 Schnetzer (2009: 16). 31 Mooser (1996). 32 Schnetzer (2009: 16 f.). 33 Tanner (1986: 307). Zur Metaphorik der Ambivalenz von Anpassung und Widerstand vgl. Sarasin (2003c: 178). Dass die Schweiz wirtschaftlich von der Kooperation mit dem nationalsozialistischen Deutschland profitiert hatte, förderte spätestens der Bericht der »Unabhängigen Expertenkommission Schweiz–Zweiter Weltkrieg« (UEK) – in der Öffentlichkeit als »Bergier-Bericht« bekannt – zutage (Bergier et al. 2002).

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niederschlug.34 Die Bestrebungen, das spezifisch Schweizerische festzuschreiben, zielten auf Kohäsion und manifestierten sich etwa in der Förderung der als traditionell schweizerisch geltenden Kultur. Dies wird bereits im Titel der »Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Organisation und die Aufgaben der schweizerischen Kulturwahrung und Kulturwerbung« von 1938 deutlich, in welcher der Bundesrat die Geistige Landesverteidigung erstmals offiziell als solche ausrief.35 In diesem Sinne wurde 1939 etwa die Stiftung »Pro Helvetia« gegründet, der die Aufgabe übertragen wurde, die Schweizer Kultur zu pflegen. Besonders stark wurde das spezifisch Schweizerische auch an der Landesausstellung (»Landi«) von 1939 betont und zur Schau gestellt. Sie wird gerne als erste deutliche Manifestation des Gedankenguts der Geistigen Landesverteidigung bezeichnet. Die Landi stellte einerseits eine Leistungsschau des nationalen Fortschritts dar, andererseits wurden etwa an vaterländischen Veranstaltungen in rückwärtsgewandter Manier Patriotismus und Bodenständigkeit zelebriert: Mit Jodel-, Trachten- und Schwingfesten, Tanzgelegenheiten und Theateraufführungen feierte man als traditionell schweizerisch (und bäuerlich) geltende Kultur.36 Damit bezweckte man eine ideologisch gefärbte Stärkung des schweizerischen Nationalbewusstseins, der Vaterlandsliebe und der Wehrbereitschaft.37 Während der Geistigen Landesverteidigung wurde einmal mehr auf die alten klischierten Bilder und ideologischen Bausteine aus dem 19. Jahrhundert – die Alpen, die Bauern und die Alten Eidgenossen – zurückgegriffen.38 Den Alpen kam besonders während des Zweiten Weltkriegs eine ganz konkrete Bedeutung zu, indem sie zum militärischen Rückzugsgebiet erklärt wurden. Das von verschiedenen Offizieren vorgeschlagene und im Jahr 1940 von General Henri Guisan ausgerufene Verteidigungskonzept des Réduits sah vor, dass sich die Hauptkräfte der Armee im Falle eines Angriffs auf die Schweiz in die Alpen zurückziehen würden.39 General Guisan griff damit das bis ins Spätmittelalter zurückgehende Bild der Alpen als »natürliche Festung und Schutzwall der Eid-

34 Vgl. Kury (2003). Zu Letzterer gehört die Einführung des »Bundesgesetztes über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern« (ANAG) von 1931 ebenso wie die Abweisung von jüdischen Flüchtlingen während des Zweiten Weltkriegs. 35 Vgl. Jost (1998: 42). 36 Meier (1991: 71). 37 Meier (1991: 72); Jost (1998: 41). 38 Morkowska (1997: 158). 39 Zum Réduit vgl. Heiniger (1989) und Schaufelberger (1992).

 

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genossen«40 auf. Mit dieser Strategie gewannen auch die Gebirgstruppen der Armee an Bedeutung.41 Ebenso wichtig wie ihre Funktion als Militärfestung war jedoch die symbolische Bedeutung der Alpen. Sie wurden im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung zum zentralen Element in der konstruierten nationalen Identität. In einem Prozess der »Naturalisierung der Nation« kam es zu einer »symbolischen Fusion« der Alpen als Landschaft und der Nation.42 Schweizer Alpenpässe – besonders der Gotthardpass, der »im politischen Imaginären der Schweiz seit langem tief verankertes Zeichen für die Wehrhaftigkeit und Unabhängigkeit des Landes«43 war – wurden zum Zentrum der Schweiz erklärt. Bergführer, Hirten und Säumer wurden zu »Protoschweizern« stilisiert und es verbreitete sich die Idee, im Grunde seien »alle Schweizer Bergler«, auch wenn sie in Städten aufgewachsen waren und lebten.44 Diese »Naturalisierung der Nation«45 setzte kurz nach 1900 ein und erfolgte – wie Schnetzer eindrücklich aufzeigt – massgeblich über visuelle Inszenierungen wie etwa Fotografien und Filme, darunter die ab 1917 zahlreich entstandenen Bergfilme. Bemerkenswert ist, dass der erste Schweizer Bergfilm, der 1917 in die Kinos kam und auch der erste Schweizer Spielfilm war, den Titel »Der Bergführer« trägt; ein Bergführer spielt darin denn auch eine zentrale Rolle.46 Neben dieser primären Funktion der Alpen und des Alpenbildes für die Herstellung einer nationalen Kohäsion zielte der Diskurs um die Alpen und die Stilisierung der Schweiz als Alpenland auch auf die Vermarktung der Schweiz im Ausland für den Fremdenverkehr.47 Es sollte bis in die 1970er-Jahre dauern, bis von Seiten kritischer Intellektueller eine Dekonstruktion nationaler Mythen einsetzte, in den 1980er-Jahren schliesslich konnte die Jugendbewegung »Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer!« fordern.48 Seit den 1990er-Jahren wurden im Zusammenhang mit der touristischen und wirtschaftlichen Vermarktung der Schweiz unter dem

40 Marchal/Mattioli (1992:17). 41 Die Gebirgstruppen der Schweiz wurden im Jahr 1911 ins Leben gerufen. Mit der Truppenordnung von 1925 und besonders mit jener von 1938 wurden sie stark ausgebaut (Riedi 1984: 71 ff.). 42 Zimmer (1998: 645). 43 Sarasin (2003c: 178). Zum Mythos Gotthard vgl. Stalder (2003). 44 Wirz (2007a: 358 f.). 45 Schnetzer (2009). 46 Film »Der Bergführer« (1917); Schnetzer (2009: 26; 134 ff.). 47 Vgl. Schnetzer (2009: 134). 48 Vgl. Mathieu (2009); Nigg (2001).

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Stichwort »Swissness« verschiedene nationale Symbole – darunter das weisse Kreuz auf rotem Hintergrund – und damit teilweise auch nationale Mythen rund um die Alpen wiederbelebt.49 Angesichts der militärisch wie auch symbolisch-ideologisch zentralen Bedeutung der Alpen erstaunt es nicht, dass gerade der Alpinismus schon im 19. Jahrhundert als eine Praxis von nationaler Bedeutung interpretiert und auch in das ideologische Konstrukt der Geistigen Landesverteidigung integriert wurde. Der Begleitband zur »Landi« von 1939 vermerkt im Kapitel »Alpinismus«, das Bergsteigen fördere die »Liebe zur Heimat«.50 Ebenfalls nicht erstaunlich ist, dass damit auch der Schweizer Alpen-Club (SAC) zu einem national bedeutsamen Club wurde. An der »Landi« von 1939 würdigte man ihn beispielsweise durch das Aufstellen einer voll ausgerüsteten und begehbaren SAC-Hütte.51 Der SAC seinerseits, der sich als eine Elite von Schweizer Männern verstand, beteiligte sich aktiv an der militärischen Verteidigung wie auch an der Identitätsbildung. Bevor auf dieses Engagement des SAC und auch auf die Bedeutung der Kategorien Nation, Klasse und Geschlecht im Alpinismus eingegangen wird, sei in groben Zügen die Geschichte des Alpinismus umrissen, wie sie sich in der populären und wissenschaftlichen Literatur gerne präsentiert.

2.2 D IE » GROSSE E RZÄHLUNG « DES ALPINISMUS

DER

G ESCHICHTE

Die Geschichte des Alpinismus wird gerne und oft erzählt. Sie findet sich – manchmal sehr ausführlich, manchmal auf einige Kernereignisse reduziert – in unzähligen populären und wissenschaftlichen Publikationen. Wie Wirz bemerkt, kommt sie bevorzugt als »grosse Erzählung«52 daher. Als solche fungiere sie als

49 Ein Beispiel dafür ist die Vermarktung einer Region in der Ostschweiz als »Heidiland« (vgl. Leimgruber 2005). 50 Gysin (1940: 408). 51 Der SAC war auch an allen früheren Landesausstellungen präsent gewesen. Die an der Landi von 1939 ausgestellte Leutschach-Hütte wurde nach der Ausstellung in Zürich abgebaut und anschliessend oberhalb von Amsteg wieder aufgebaut (vgl. Aebischer 2002). 52 Wirz (2007a: 14). Den Begriff der »grossen Erzählung« entlehnt Wirz Lyotard (1979), der damit Erzählungen beschreibt, wie sie für den Historismus des 19. Jahrhunderts typisch sind. Sie verlaufen »nach dem Muster religiöser Heilsgeschichten« (Wirz

 

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»Gründungsmythos der Alpinistengemeinschaft«. Ihre »Grundstruktur stammt aus dem 19. Jahrhundert und [ist] stark von den britischen Bergsteigern geprägt«. Es handle sich dabei um eine »bürgerliche Männergeschichte«, die nichtbürgerliche bergsteigende Männer und Frauen ebenso unbeachtet lässt wie gebildete Alpenbewohner.53 Trotz der Gefahr, diesen Mythos zu reproduzieren, werden an dieser Stelle die wichtigsten Eckpunkte der historischen Entwicklung des Alpinismus wiedergegeben; sie sind hilfreich zur historischen Einordnung der Entstehung des Bergführerwesens. Gemäss dieser Erzählung fürchteten die Menschen die Alpen lange Zeit, betrachteten sie als gefährlich und furchterregend, als Hort von Drachen und Dämonen. Das Gebirge wurde deshalb lediglich von Bergbauern, Gemsjägern, Hirten, Kristallsuchern, Händlern oder Schmugglern zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts aufgesucht.54 Im Zuge der Aufklärung wandelte sich das Bild der Alpen und das Interesse an ihnen nahm zu. Zum einen wurde der Bergwelt zunehmend ein naturwissenschaftliches Interesse entgegengebracht, was dazu führte, dass Geologen, Physiker, Geografen, Gletscherforscher, Botaniker und Mineralogen die Alpen wissenschaftlich zu untersuchen und zu erschliessen begannen.55 Zum anderen fand in der Aufklärung – ausgelöst durch die bereits erwähnten Schriften Scheuchzers, Hallers, Gessners und Rousseaus – ein Wandel des Alpenbildes statt. Ein neues Naturgefühl entstand und eine Begeisterung für die Alpen machte sich breit, die den Reisen in den Alpenraum – besonders in die Schweiz – Popularität verlieh. 1786 fand die Erstbesteigung des Montblanc statt, die verschiedentlich als Beginn des Alpinismus bezeichnet wird.56 Im Laufe des 19. Jahrhunderts machten die zunächst primär wissenschaftlich motivierten Touren vermehrt einem ›zweckfreien‹ Alpinismus Platz. Der Übergang vom Alpinismus, dem primär wissenschaftliches Interesse zugrunde gelegen hatte, zu

2007a: 391) und zeichnen sich durch Glättungen sowie Auslassung jener Elemente aus, die nicht hineinpassen. 53 Wirz (2007a: 15). 54 Wirz (2007a: 14). 55 Vgl. Amstädter (1996: 25); Grupp (2008: 30 ff.). 56 Vgl. Brawand (1973, 13); Amstädter (1996: 25); Philipp/Matossi (1996, 17); Ardito (2000: 8; 24 ff); Grupp (2008: 41); Grupp (2008: 35 ff.). Manche Autorinnen und Autoren erblicken die Vorläufer des Bergsteigens bereits in religiös motivierten Bräuchen, wie sie etwa im Alten Testament oder für die griechische Antike überliefert sind, in denen als heilig geltende Berge zu Ehren einer Gottheit bestiegen werden, oder in frühen Bergbesteigungen wie etwa der Besteigung des Mont Ventoux durch Francesco Petrarca im Jahr 1336 (Grupp 2008: 15; Amstädter 1996: 22 ff.).

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jenem, der von Abenteuerlust und sportlichem Ehrgeiz geprägt war, dürfte sich jedoch fliessender vollzogen haben als in der »grossen Erzählung« gerne dargestellt: Den wissenschaftlichen Touren dürfte immer schon auch Abenteuerlust zugrunde gelegen haben und umgekehrt wurden auch noch später Bergtouren etwa durch den Schweizer Alpen-Club mit einem wissenschaftlichen Interesse begründet und legitimiert.57 Die Schweizer Alpen wurden nun von Alpinisten und Alpinistinnen aus der Schweiz wie aus anderen Ländern aufgesucht. Besonders für Touristen und Touristinnen aus Grossbritanien, welche die Entwicklung des Alpinismus als Sport initiierten und massgeblich vorantrieben, wurden sie zum Pionierland des Alpinismus und zum »Playground of Europe«58. Dieser Aufschwung des Alpinismus gipfelte in einer Phase, die in der alpinen Literatur als das »goldene Zeitalter« des Alpinismus bezeichnet wird. Sie begann in den 1850er-Jahren und fand mit der Erstbesteigung des Matterhorns 1865 ihren Abschluss.59 Schlag auf Schlag wurde während dieser Zeit ein Gipfel nach dem anderen erstmals bestiegen, viele davon gemeinsam von britischen Bergsteigern und Schweizer Bergführern. 1857 – mitten im »goldenen Zeitalter« – schlossen sich die englischen Bergsteiger zum weltweit ersten Alpenverein, dem »Alpine Club« zusammen.60 Fünf Jahre später, 1862, wurde der Österreichische Alpenverein (ÖAV) gegründet, 1869 der Deutsche Alpenverein (DAV).61 Die Gründung des Schweizer AlpenClubs (SAC) erfolgte wie jene des Club Alpino Italiano (CAI) 1863, der Club Alpin Français (CAF)62 schliesslich entstand im Jahr 1874.63 Um 1900 herum wurden in der Schweiz verschiedene akademische Alpen-Clubs gegründet, eben-

57 Ein Ziel des SAC war gemäss den ersten Statuten des Clubs die »Erforschung des Alpengebietes« (Art. 2 Abs. c Statuten SAC 1866). Vgl. Grupp (2008: 56). 58 Stephen (1871). 59 Vgl. Ardito (2000: 40 ff.). 60 Amstädter (1996: 41). 61 Die beiden Vereine schlossen sich 1874 zum Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DÖAV) zusammen, der sich nach 1945 wieder in den ÖAV und den DAV trennte (Amstädter 1996: 21; 41 ff.). 62 Seit 2005 heisst er offiziell »Fédération française des clubs alpins et de montagne« (FFCAM) (www.ffcam.fr [Stand: 3.1.2010]). 63 Gegründet wurden weiter 1883 der Club Alpine Belge, 1881 der Himalaya Club (Indien), 1884 der Cape Town Alpine Club (Südafrika), 1891 der New Zealand Alpine Club, 1902 die Nederlandsche Alpenvereenigung, 1905 der Japanese Alpine Club, 1911 der Club Alpino Español sowie weitere, osteuropäische Bergsteigervereinigungen (Amstädter 1996: 175).

 

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so die dem Sozialismus nahestehenden Naturfreunde, auf die weiter unten eingegangen wird, und die bürgerliche Wandervogel-Bewegung.64 1932 wurde in Chamonix (Frankreich) die »Union Internationale des Associations d’Alpinisme« (UIAA), eine interenationale Vereinigung verschiedener Alpinistenverbände, ins Leben gerufen.65

2.3 A LPINISMUS

UND

N ATION

Der Alpinismus wurde – wie Historikerinnen und Historiker aufzeigen – verschiedentlich national aufgeladen, so Mitte des 19. Jahrhunderts im »goldenen Zeitalter«, als es um die Eroberung von Gipfeln ging, und besonders markant in der von einer nationalistischen Stimmung geprägten Phase Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts. 2.3.1 Symbolische Eroberungen Während die frühen, von Naturwissenschaftlern durchgeführten Bergbesteigungen primär wissenschaftlich motiviert waren, wurden die späteren nicht nur als sportliche Leistungen betrachtet, sondern besonders ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend mit nationalen Bedeutungsinhalten versehen. Wirz zeigt anhand von Leslie Stephen und Edward Whymper auf, wie Bergtouren, »passend zum damaligen politischen Klima, immer stärker als ›Eroberungen‹ eines angeblichen Niemandslandes inszeniert« wurden, wobei sich »Metaphern aus dem Bereich Krieg« mit solchen »aus den Bereichen Spiel, Sport und Theater« mischten.66 In solch ›gespielten‹ Eroberungen konnten »[e]nglische Durchschnittsbürger« symbolisch »an der imperialistischen Praxis ihrer Nation teilnehmen«. Interlaken wurde denn auch als »englische Kolonie« bezeichnet, »also im Grunde als Aussenposten des britischen Commonwealth«.67 Die Beschreibungen dieser symbolischen Eroberungen glichen häufig jenen der kolonialistischen Eroberungen in Übersee. Die Landschaft der Alpenregion wie auch deren Bewohnerinnen und Bewohner wurden in ihrer ›Wildheit‹ mit jenen der kolonia-

64 Vgl. Anker (1986: 83 ff.); Naturfreunde Schweiz (2005: 1); Blüher (1976 [1913/1914]); www.aacbasel.ch [Stand: 7.7.2010]; www.aacz.ch [Stand: 7.7.2010]; www.aacb.ch [Stand: 7.7.2010]. 65 Vgl. www.theuiaa.org [Stand: 7.10.2010]. 66 Wirz (2007a: 110). 67 Wirz (2007a: 111).

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len Gebiete gleichgesetzt: »Both Alpine and African worlds were populated by uncomplicated, small-scale societies that seemed to reflect a primitive past of communitarian values, firm social hierarchies and authentic traditions.«68 Die symbolischen Eroberungen wurden ab dem »goldenen Zeitalter« zu einem »simultane[n] nationale[n] Wettstreit im Kleinformat«.69 Alpinisten verschiedener Nationen versuchten, »für ihr Land Gipfel zu ›erobern‹«70. Die von Engländern geschaffene »imperialistische Variante des alpinistischen Diskurses« wurde bald von deutschen Autoren aufgenommen und verbreitet, wobei diese die »Bergtouren viel stärker als die Engländer religiös-mystisch überhöhten und nationalistische Pilgerreisen für jedermann daraus machten«.71 Dieser nationale Wettstreit lebte im nationalistisch geprägten Klima der 1930er-Jahre auch unter Extremalpinisten wieder auf, als es darum ging, grosse Nordwände – etwa die Eigernordwand – als Erster zu besteigen.72 Diese schwierigen Wände waren ins alpinistische Interesse geraten, da sie noch Möglichkeiten zu Erstbesteigungen boten, nachdem alle Gipfel ›erobert‹ waren. Angesichts der realen kriegerischen Auseinandersetzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs in den westeuropäischen Alpenländern die nationale Konnotation des Alpinismus und dessen Vereinnahmung für nationale Anliegen. In diesem Zusammenhang stellten sich die Alpen-Clubs militärisch und symbolisch in den Dienst der Nation, so auch der SAC in der Schweiz. 2.3.2 Der SAC und die militärische und Geistige Landesverteidigung Der SAC, der sich als Vereinigung von Experten in Sachen Alpinismus betrachtete, versuchte die militärische Verteidigung ebenso zu unterstützen, wie er sich im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung aktiv an der Identitätsbildung beteiligte. Obwohl er stets betonte, er sei unpolitisch, nahm er immer wieder Stellung zu politischen Fragen.73

68 Harries (2007b: 203; vgl. 2007a); Hansen/Smith (1995: 304). 69 Schnetzer (2009: 134); vgl. Amstädter (1996: 32). 70 Wirz (2007a: 111). 71 Wirz (2007a: 122). 72 Vgl. Amstädter (1996: 443; 1998); Anker (1998). 73 Anker (1986: 9).

 

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Der SAC und die Armee Seit seiner Gründung im Jahr 1863 unterhielt der SAC rege Beziehungen zur Armee.74 Die beiden Organisationen kooperierten beispielsweise bei der Erarbeitung der Landeskarte der Schweiz, an der sowohl Armeeangehörige wie auch die Alpinisten Interesse hatten. Guillaume-Henri Dufour, der General im Sonderbundskrieg, wurde 1864 erstes Ehrenmitglied des SAC,75 1886 bat das schweizerische Generalstabsbureau der Armee den SAC um Auskunft über militärisch relevante Informationen zu Pässen, Unterkünften im Gebirge und Ähnlichem und im Jahr 1914 brachte ein Clubmitglied die Idee auf, nicht militärdienstpflichtige SAC-Mitglieder in einem Freiwilligenkorps zusammenzufassen und auszubilden, um damit die Armee im Falle eines Krieges unterstützen zu können.76 Die Kooperation zwischen Armee und SAC bestand auch während des Zweiten Weltkriegs weiter, wobei sie vereinzelt von SAC-Mitgliedern auch kritisiert wurde. Die Interessen der beiden Organisationen ergänzten sich: Der SAC unterstützte die Armee, indem er nach 1938 den Gebirgstruppen Aus- und Weiterbildungskurse in Fels und Eis anbot, umgekehrt diente der Aktivdienst den Interessen des SAC, indem viele Männer im Militärdienst das Gebirge kennen und ›lieben‹ lernten.77 Weiter stellte der SAC der Armee während des Zweiten Weltkriegs seine Hütten zur Verfügung, das Militärdepartement wiederum beteiligte sich am Ausbau der Hütten in der Gotthardregion, die sie als Truppenunterkünfte benutzte.78 1946 wurde General Henri Guisan »als Dank des S.A.C. für die durch ihn geschaffene Idee des ›Reduit‹, das im Bergland zum unüberwindbaren Bollwerk unserer Freiheit geworden ist«79, zum Ehrenmitglied des SAC ernannt. General Guisan wiederum hatte den SAC zwei Jahre zuvor als »l’une des plus grandes [associations] de notre Pays«80 gewürdigt.

74 Die folgenden Ausführungen basieren auf Anker (1986: 132 ff.). 75 Nach Henri Dufour wurden auch eine topografische Karte sowie der höchste Gipfel der Schweiz, die Dufourspitze, benannt (Anker 1986: 133). 76 Die Idee wurde innerhalb des SAC zwar diskutiert, aber nicht umgesetzt. Auf die weitere Nationalisierung des Clubs dürfte sie dennoch einen Einfluss gehabt haben (Anker 1986: 133 ff.). 77 Anker (1986: 39; 20). Von »militärischer Seite« sollen Anfang der 1940er-Jahre auch »junge Bergführer zur Ausbildung der Armee verlangt« worden sein (Die Alpen Chr 1941: 171). 78 Anker (1986: 135). 79 Oechslin (1946b), zit. nach Anker (1986: 5). 80 Guisan (1944), zit. nach Anker (1986: 93).

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Der SAC betrachtete sich als eine »Front der Männer der Heimat«81, sah im Bergsteigen eine Art »paramilitärische Erziehungsanstalt«82 und stellte den Bergsport in den Dienst des Vaterlandes. Er machte die Erziehung der Bürger für die Armee zu seiner Pflicht, worin ihn die Armee unterstützte. Bundesrat Rudolf Minger, damals Vorsteher des Militärdepartements, soll gemäss dem Herausgeber des 1935 erschienenen »Jahrbuchs für die Schweizerjugend« in einem »Appell an die Schweizerjugend und ihre Erzieher« gesagt haben: »Unsere Berge, Symbol der Kraft und Unverrückbarkeit, das Wahrzeichen unserer Freiheit und die Verkörperlichung unseres unerschütterlichen Willens, unser Land gegen alle Angriffe zu schützen, sind ein Gut, dessen wir uns würdig erweisen müssen. Wer sie aufsucht, wer seine Kraft an ihnen misst, stählt Körper und Geist zum Nutzen der Volksgesundheit, zum Nutzen unserer Wehrkraft. Treue unsern Bergen ist Treue der Heimat.«83 Ganz ähnlich klingt es in den Monatsmitteilungen des SAC im Jahr 1941 unter dem Titel »General Guisan«: Die Kinder, die Jugend und überhaupt »alle, die im Augenblick der Gefahr dem Vaterland auf dem Posten dienen müssen, auf den es sie stellt, sollten im alpinen Sport bei den kältesten Temperaturen und in jeder Höhenlage Kraft und Ausdauer üben. […] Wir haben die Pflicht zur körperlichen Ertüchtigung in einem Lande, wo jeder als Soldat geboren wird und Herz und Muskeln auf die Anforderungen des Militärdienstes vorbereiten muss. Wir haben aber auch die Pflicht, Sport zu treiben, weil der Sport die Anspannung des Willens verlangt, weil er recht eigentlich den Charakter schult. […] Gleichzeitig mit dem Körpertraining und der Charaktererziehung erhebt die Schule des Sportes unsere Seele und entflammt in uns die Liebe zur Heimat«84. Engagiert betrieben wurde diese Schulung vom SAC. Dem SAC und der Armee war weiter gemeinsam, dass sie ein traditionalistisches und konservatives Gedankengut teilten und sich pathetisch auf »Tradition und Patriotismus« beriefen, wovon weiter unten die Rede sein wird.85 Bergsteigen als patriotische Tat Stärker und auch nachhaltiger als das militärische dürfte das ideologische Engagement des SAC gewesen sein. Anker stellt fest, dass der Club das Bild der Alpen, auf das in der Identitätsbildung wiederholt rekurriert wurde, bei seiner Gründung im Jahr 1863 übernahm, unterstützte und verstärkte und sich damit

81 Anker (1986: 133 f.; 137). 82 Wirz (2007b: 28). 83 Grunder (1935: 3). 84 Guisan (1941), zit. nach Anker (1986: 115). 85 Jost (1985: 112 f.).

 

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aktiv an der Identitätsbildung beteiligte. Der SAC habe von Beginn weg die Ideologie »Oben statt unten« vertreten, gemäss der das Oben, das die Alpen repräsentierten, positiv, und das Unten negativ besetzt waren.86 Diese ObenUnten-Unterscheidung hatte eine kulturkritische Dimension, wobei das Unten für die negativ konnotierte Stadt und das Oben für die idealisierten Alpen standen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert herum erhielt die »Oben-statt-Unten«Unterscheidung eine politische Komponente, wurde zunehmend national konnotiert und fügte sich in die Idee der Geistigen Landesverteidigung ein. Das Oben, die Alpen, stand dabei nicht mehr lediglich für das ›Gute‹ und ›Gesunde‹, sondern für die traditionelle Schweiz, das Vaterland, die nationale Einheit und die nationale Freiheit.87 Unter diesen Vorzeichen galten die Alpen als »quasi natürlich gewachsenes Nationalmonument« und eine Bergtour wurde zum »feierliche[n], rituelle[n] Besuch eines Denkmals der Heimat«.88 Diesem Denkmal, den Alpen, fühlte sich der SAC als eine Vereinigung von Alpinisten besonders nahe.89 Er verstand sich als »Elite des Schweizer Volkes, als dessen Ursubstanz sozusagen« und sah sich als »kleine, vorbildliche, urdemokratische Eidgenossenschaft im Grossen«. Auf dieser elitären Selbstkonzeption des SAC basierte sein »Sendungsbewusstsein«, aus der er eine »patriotische Mission« ableitete.90 Diese bestand in der Erziehung des Volkes im militärischen, aber auch im moralischen Sinne. Er verstand sich als »Charakterschmiede der Nation«91 und setzte sich die Aufgabe, dem einfachen Volk, das unten in den Niederungen lebte, die Liebe zu den Bergen und damit auch die Liebe zum Vaterland beizubringen.92 Ganz im Sinne der Geistigen Landesverteidigung verschrieb sich der SAC unter anderem auch der Förderung der ›guten‹, der Schweizer Tradition verpflichteten Kunst. Dieses Anliegen verfolgte er mit einer Ausstellung alpiner Kunst, die 1933 erstmals in Zürich stattfand und im Jahr 2009 zum 24. Mal

86 Anker (1986: 1 ff.). Die »reinliche Scheidung zwischen ›oben‹ und ›unten‹« gehörte in jener Zeit im Alpinismus allgemein »zu den unveräusserlichen alpinistischen Glaubenssätzen« (Günther 1998: 194). 87 Anker (1986: 15). 88 Wirz (2007a: 95). 89 Anker (1986: 162) betont, dass der SAC zwar nicht der einzige Verein war, der die Ideologie »Oben statt unten« vertrat, wohl aber derjenige, der dies am intensivsten und wirkungsvollsten tat. 90 Anker (1986: 107 f.). 91 Anker (1986: 118). 92 Vgl. Anker (1986: 109).

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veranstaltet wurde.93 1934 erwarb der Club die Gemälde »Aufstieg« und »Absturz« von Ferdinand Hodler, die ins Ausland hätten verkauft werden sollen; heute sind sie im Alpinen Museum in Bern ausgestellt.94 In ›guter‹ Gesellschaft Mit seinem militärischen und ideologischen nationalen Engagement stand der SAC in Europa nicht alleine da. Auch andere zentraleuropäische Alpen-Clubs waren diesbezüglich äusserst umtriebig. Besonders ausführlich wurde dies für den Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DÖAV) historisch aufgearbeitet.95 Wie in der Schweiz wurde das Bergsteigen in Deutschland und Österreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als nationaler Akt gedeutet. Der DÖAV war damals »ein der staatlichen Ordnung ergebener wirtschaftlicher und kultureller Interessensverband«, der an der »Mitstabilisierung der nationalen Identität, die zum Integrationsfaktor der deutsch(sprachigen) Gesellschaft der deutschen und österreichischen Kaiserreiche« wurde, massgeblich beteiligt war. In dieser Tätigkeit glich der DÖAV dem SAC ebenso wie in seinen Beteuerungen, vollkommen unpolitisch zu sein.96 Bereits während des Ersten Weltkrieges stellte sich der DÖAV real und symbolisch »in den Dienst des Krieges«97. Er proklamierte eine Verwandtschaft zwischen Alpinismus und Militär und schrieb sich selbst im Krieg eine »Vorreiterrolle«98 zu. Dabei unterstellte er dem Krieg und dem Alpinismus viele Parallelen: In Stellungnahmen des DÖAV wurden Krieg und Alpinismus »als Gegengift zum negativ besetzten Unten, zur städtischen, überfeinerten, formalisierten, konventionalisierten, leeren Zivilisation verordnet und als Wegweiser zum reinen Ursprung der ›Volkskraft‹ wirksam«99. Wie der SAC unterstütze der DÖAV die Armee, indem er ihr etwa Hütten zur Verfügung stellte und »den Gebirgskrieg mit flankierenden Massnahmen«100 begleitete, wie etwa dem Verfassen von Merkblättern für Soldaten zum Verhalten im Hochge-

93 Anker (1986: 30); www.sac-cas.ch [Stand: 8.8.2009]. 94 Anker (1986: 30). 95 Vgl. Amstädter (1996); Günther (1998: 243 ff.); Müller (1979). 96 Amstädter (1996: 177). 97 Günther (1998: 246). Günther (1998: 243 ff.) analysiert den Zusammenhang von Alpinismus und Krieg im metaphorischen und im realen Sinne sowie die Rolle des DÖAV während des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit. 98 Günther (1998: 247). 99 Günther (1998: 246). 100 Günther (1998: 245).

 

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birge.101 In der Zwischenkriegszeit unterstützte der DÖAV jene Politik, die zum Zweiten Weltkrieg führte. Bereits früher vorhandene faschistische Tendenzen gelangten in den 1920er-Jahren im DÖAV vollständig zum Durchbruch, was sich etwa in der Einführung des »Arierparagraphen« in der Sektion Austria im Jahr 1921 zeigte und zum Ausschluss der Sektion Donauland führte, die von ausgeschlossenen jüdischen Bergsteigern gegründet worden war.102 Wie der SAC verstand sich der DÖAV als vaterländische Elite, die in der Erziehung der Jugend zum – hier völkischen – Alpinismus eine patriotische Aufgabe sah.103 Eine Verbindung zwischen Alpinismus und Politik gab es auch im faschistischen Italien. Mehrere der besten italienischen Kletterer der 1930er-Jahre waren Mitglieder der faschistischen Kampfbünde, und auch hier arbeiteten Alpinisten und Armee Hand in Hand und unterstützten sich gegenseitig.104 Spezifisch für die Schweiz – im Vergleich zu Deutschland, Österreich und Italien – dürfte gewesen sein, dass die Bedeutung, die den Alpen und dem Alpinismus auch vom SAC verliehen wurde, weit über das Militärische hinausging und gerade auf symbolischer Ebene besonders nachhaltig war. Zudem wurde die Schweiz als ganze Nation »naturalisiert« und mit den Alpen gleichgesetzt – und dies in einem Ausmass, dass es bis heute nachwirkt.105 Trotz der vielen Parallelen, die in politischer und ideologischer Hinsicht zwischen den Alpen-Clubs bestanden, war man im SAC von der Einzigartigkeit der Schweiz überzeugt, was die Bedeutung der Alpen für den Nationalstaat anbelangt: »Pour d’autres pays, les Alpes sont tout au plus un coin de la maison, site riant ou pittoresque dont on parle avec fierté mais que les privilégiés ont seuls la joie de connaître; chez nous, l’Alpe c’est toute la maison. Je vous le dis, vous ne séparerez jamais dans notre cœur l’Alpe que nous aimons du pays dont nous sommes les enfants.«106

101 Vgl. Amstädter (1996: 203). 102 Amstädter (1996: 269). 103 Vgl. Amstädter (1996: 242; 391). 104 1931 wurde in Italien eine nationale Kletterschule gegründet, 1934 eine Militärschule für Bergsteiger. Zudem verlieh die faschistische Regierung Anführern von Seilschaften, die eine Erstbegehung im sechsten Schwierigkeitsgrad schafften, »Goldene Medaillen« (Amstädter 1996: 443). 105 Vgl. Wirz (2007a: 91). 106 Spiro (1920), zit. nach Anker (1986: 19). »Für andere Länder sind die Alpen allenfalls eine Ecke des Hauses, ein heiterer pitoresker Ort, von dem man mit Stolz spricht, den aber nur die Privilegierten das Glück haben, zu kennen; bei uns sind die Alpen das ganze Haus. Ich sage Ihnen, Sie werden in unserem Herzen die Alpen, die wir lieben, nie vom Land, dessen Kinder wir sind, unterscheiden können.«

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2.4 ALPINISMUS UND DIE BÜRGERLICHE G ESELLSCHAFTSORDNUNG Der Alpinismus in Westeuropa war in seinen Anfängen ein bürgerliches Phänomen.107 Wie bei den vergleichbaren Organisationen in den umliegenden Ländern stammten die Mitglieder des SAC – darunter viele Akademiker und Politiker – hauptsächlich aus der Oberschicht und dem Bildungsbürgertum, die meisten aus dem Unterland und viele aus städtischen Gebieten. Nach 1918 traten zwar vermehrt Mitglieder anderer sozialer und regionaler Herkunft in den SAC ein, dennoch blieb er bis nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend bürgerlich geprägt.108 Das Bergsteigen wurde von den bürgerlichen Männern im 19. Jahrhundert mit einem Kulturkonservatismus und Antimodernismus besetzt und als Flucht vor der Stadt, der als dekadent empfundenen Zivilisation und der rationalen Welt sowie vor dem Klassenkampf in die idealisierte Bergwelt und damit in die Freiheit konzipiert.109 Dies gilt für Österreich, Deutschland und den DÖAV ebenso wie für die Schweiz und den SAC, der in der Folge in den Blick genommen wird. 2.4.1 Flucht vor den Niederungen Mit der Konzeption des Bergsteigens als Flucht ging die bereits oben erwähnte, beim SAC des 19. Jahrhunderts verbreitete Ideologie »Oben statt unten«110 einher. Gemäss der bürgerlichen modernisierungs- und industrialisierungskritischen Haltung stand die ›reine‹ Natur der Gesellschaft mit ihren modernisierungsbedingten Problemen gegenüber. Zu Letzteren gehörten Fabriken, Verkehr, schmutzige Luft, Menschenmassen, Lärm und Krankheiten ebenso wie die als Ausdruck von Dekadenz und Zerfall empfundenen kulturellen Veränderungen, zu denen etwa das Aufkommen des Kinos gehörte.111 Das Bergsteigen ermöglichte den SAC-Mitgliedern neben der sportlichen und wissenschaftlichen Betätigung also die Flucht aus der Stadt, vor den Massen und vor den abgelehnten gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen und verhalf damit

107 Wirz (2007a: 22); Günther (1998: 43 ff.); Amstädter (1996: 181 ff.); Ambrosi/ Wedekind (2000); Veyne (1979); Maurer (2010: 41). 108 Anker (1986: 40 ff.). 109 Amstädter (1996: 97 ff.; 191; 315). 110 Anker (1986). 111 Vgl. Anker (1986: 22 ff.).

 

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zu individueller Freiheit.112 Das Gebirge wurde »zum idealisierten Gegenraum« zur Stadt, der dem städtischen Individuum »eskapistische Unterhaltung« bieten konnte.113 Entsprechend der positiven Konnotation des Gebirges war der Bergsteiger, der sich in diese Höhen begab – gemäss Überzeugung des SAC – ein »buchstäblich und sinnbildlich höherstehender Mensch«114. Diese Assoziation der Berge mit Gesundheit und individueller Freiheit und die eskapistische Bedeutung des Bergsteigens waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts im alpinistischen Diskurs allgemein verbreitet. Wirz115 weist darauf hin, dass der Gegensatz zwischen Stadt und Gebirge eines der zentralen Elemente in Henry Hoeks 1925 erschienenem Briefroman »Wanderbriefe an eine Frau«116 ist. Hoek verabscheut »die Stadt als Heimat der ›Massen‹ und aller moderner Entwicklungen« und ist überzeugt, »die Berge seien von Freiheit erfüllt, die Stadt hingegen von Benzingestank und Lärm«.117 Auch Felicitas von Reznicek erblickt in »Michael gewidmet«118 im Alpinismus ein Heilmittel für all jene Individuen, die unter der kranken Gesellschaft leiden, ja überhaupt für die ganze Gesellschaft. Der im Alpinismus verbreitete kulturkritische Diskurs fällt in eine Zeit, in der auch eine Vielzahl anderer Akteure etwa in den verschiedenen Reformbewegungen die negativen Folgen der Modernisierung beklagten und nach anderen Lebensformen und einem gesünderen Leben im umfassenden Sinne suchten.119 Mit dieser Gegenüberstellung von oben und unten wurde eine Deutung aufgegriffen und gerade auch vom SAC zu einer Ideologie gemacht, die bereits bei

112 Anker (1986: 12; 25). 113 Schnetzer (2009: 51). 114 Anker (1986: 175). In der Zeit von 1870 bis 1930 deutet sich auch der Alpinismus in Deutschland und Österreich »gern als Ort der Freiheit, der Authentizität, der Individualität, der reinen Menschlichkeit, geht auf symbolischen Gegenkurs zu einer flachländischen Welt des Uneigentlichen, des Zwanges, der Nivellierung, der Massen«, wie Günther feststellt. Durch den »therapeutisch-kompensatorischen Anspruch« werde im Diskurs über Alpinismus der Gegensatz zwischen dem Oben und dem Unten gekittet. So betrachtet, schwanke er »unentschieden zwischen weltablehnender und innerweltlicher Askese« (1998: 194). 115 Wirz (2007a: 351). 116 Hoek (1925). 117 Wirz (2007a: 335). 118 Reznicek (1937). 119 Zu Reformbewegungen vgl. Fritzen (2006), Kerbs/Reulecke (1998), Schwab (2003) und Schwab/Lanfranchi (2001).

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Albrecht von Haller und Jean-Jacques Rousseau angelegt war: Haller120 setzte die positiv konnotierten Alpen und ihre Bewohner der negativ konnotierten Stadt und den Städtern gegenüber. Rousseau121 schrieb den Alpen eine körperlich und geistig wohltuende Wirkung zu, sie wurden dabei zum medizinischen und moralischen Heilmittel.122 Das Motiv, wonach sich oben in den Bergen das Gute, die Gesundheit, Naturverbundenheit und Fröhlichkeit, in der Stadt hingegen die Krankheit, Steifheit und Naturferne findet, taucht schliesslich auch in den heute weltbekannten, um 1880 erstmals erschienenen Heidi-Erzählungen Johanna Spyris123 auf: In der Schweiz, oben auf der Alp, wird die im Rollstuhl sitzende Klara aus Frankfurt von ihrer Krankheit geheilt und lernt das Gehen; Heidi wiederum erkrankt in der Stadt an Heimweh, der »Schweizerkrankheit«124, und findet erst in der Bergluft ihrer Heimat wieder zur alten Frische zurück. 2.4.2 Wider den Klassenkampf Angesichts der bürgerlichen Zusammensetzung der Mitgliedschaft erstaunt es nicht, dass zum politischen Engagement des SAC, das auf die Herstellung der Einheit des Schweizervolkes zielte, auch der Kampf gegen klassenkämpferische Ideen und das Bestreben nach Erhalt der bürgerlichen Gesellschaftsordnung gehörten.125 Dieses Engagement gliederte sich in jenes des konservativen Bürgertums ein, das Ende der 1930er-Jahre unter anderem über die Etablierung des Alpenbildes seinen hegemonialen Anspruch durchsetzte.126

120 Haller (1984 [1732]: 21). 121 Rousseau (1967 [1761]: 45). 122 Vgl. Anker (1986: 13). Dass im 18. Jahrhundert die Berge als »moralisch heilsam« interpretiert wurden, führt Mathieu auf eine »Tendenz zur Sakralisierung der Berge« (2011: 164 f.) zurück. Das Oben wird bereits in Petrarcas Schilderung der Besteigung des Mont Ventoux im Jahr 1336 in einem Brief an einen Freund dem Unten gegenübergestellt. Der Berggipfel wird als Ort beschrieben, der sich in »Götternähe« befindet und auf dem der Besteiger seine Bekehrung erlebt (Wieland 1998: 178 ff.). 123 Spyri (1880; 1881); vgl. Zeller (2006). 124 Brand (2010); vgl. Leimgruber (2005). 125 Anker (1986: 69). Gegen sozialdemokratische Ideen und Alpinisten kämpfte in der Zwischenkriegszeit auch der DÖAV, wobei sich der Klassenkampf mit »antisemitischen Agitationen« vermischte beziehungsweise durch diese »verschleiert« wurde (Amstädter 1996: 315 ff.). 126 Schnetzer (2009: 13).

 

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Dabei verfolgte der SAC eine ambivalente Strategie. Einerseits fürchtete sich der Club vor dem »rothe[n] Gespenst« und stellte sich gegen die politische Linke.127 Menschen, die klassenkämpferische Ideen teilten und sich zum Kommunismus bekannten, wurden nach 1918 aus dem Club ausgeschlossen oder gar nicht erst in diesen aufgenommen.128 Denn klassenkämpferische Ideen – so die Überzeugung des SAC – vertrugen sich nicht mit dem »nationale[n] Charakter«129 des SAC. Die Ausschlusspolitik dürfte auch in einer Angst davor gegründet haben, die Alpen könnten tatsächlich plötzlich von Massen heimgesucht werden, denn Alpinismus sollte etwas Hehres und Elitäres bleiben.130 Weit weniger streng als mit politisch links Gesinnten verfuhr der SAC mit Angehörigen extremer rechter Parteien: Selbst in der NSDAP aktive Nationalsozialisten wurden im Club geduldet und erst ab 1945 ausgeschlossen.131 In Zusammenhang mit dem Antikommunismus und Antisozialismus wurde im SAC Ende der 1910erJahre auch eine Überfremdungsdebatte geführt, die sich in einem Artikel in den revidierten Statuten von 1923 niederschlug, wonach der Ausländeranteil in den einzelnen Sektionen so zu beschränken sei, »dass der nationale Charakter des Club gewahrt bleibt«132. Andererseits war man im SAC der Überzeugung, gerade das Bergsteigen würde den Arbeitern guttun. Anstatt im Wirtshaus zu trinken, könnten sie sich dabei von der Arbeit in der Fabrik ›erholen‹ – trotz oder vielmehr gerade wegen der Anstrengung, die das Bergsteigen erfordert.133 Zudem würde sie dies – war man im SAC überzeugt – von klassenkämpferischen Ideen abbringen. Bergsteigen sollte also nicht nur bürgerlichen Männern zur »Flucht« vor den Niederungen verhelfen, sondern auch der »Zucht« und der Disziplinierung der Unterschicht dienen.134 Über das Bergsteigen wollte man die Arbeiterschaft ihre soziale Position und die klassenkämpferischen Ideen vergessen machen und damit die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zementieren.135 Dominant war dabei die Idee des Männerbundes: Durch das Bergsteigen sollte unter den

127 Anker (1986: 35 f.). 128 Anker (1986: 46 ff.). 129 Anker (1986: 48). 130 Die Angst vor der »Vermassung« zeigte sich auch im Deutschen und Österreichischen Alpenverein (Günther 1998: 150). 131 Anker (1986: 56 f.). 132 Anker (1986: 60). 133 Vgl. Anker (1986: 34). 134 Anker (1986: 163 f.). 135 Anker (1986: 11; 116 ff.).

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Schweizer Männern eine »Bruderschaft über Klassenschranken hinweg«136 entstehen. Geradezu konträr dazu gestaltete sich der Anspruch des Vereins »Die Naturfreunde«137, dem proletarischen Pendant zum bürgerlichen SAC:138 Gemäss ihm sollte der Alpinismus den Arbeitern und ihren Familien nicht nur Momente in der Natur, weit weg von den Fabriken und Wirtshäusern ermöglichen, er sollte auch als Mittel im Klassenkampf dienen.139 Als solches zielte er ebenfalls auf Freiheit, allerdings nicht auf eine psychische oder nationale, sondern auf die politische Freiheit der Arbeiterklasse. Damit war das Bergsteigen anders als beim SAC offen politisch motiviert.140 Während der SAC Klassengegensätze in den Bergen vergessen machen wollte, bezweckten die Naturfreunde auf der Suche nach einer neuen Gesellschaftsordnung durch das Bergsteigen eine Stärkung des Klassenbewusstseins.141 Historisch noch kaum aufgearbeitet ist die Geschichte des SAC seit dem Zweiten Weltkrieg. Steigende Mitgliederzahlen des Clubs zeigen, dass er sich gerade in den letzten Jahren einer wachsenden Beliebtheit erfreut. Diese Popularisierung des Bergsports in jüngerer Zeit dürfte nicht zuletzt auf die Erfolge neuerer Bergsportarten wie des Plaisirkletterns zurückzuführen sein.142 Eine

136 Wirz (2007a: 166). 137 Der Touristenverein »Die Naturfreunde« war 1895 in Wien gegründet worden. 1905 entstanden in der Schweiz die ersten Ortsgruppen (Anker 1986: 83 ff.; Naturfreunde Schweiz 2005: 1). Zur Geschichte der Naturfreunde in der Schweiz vgl. Naturfreunde Schweiz (2005) und Schumacher (2005), für Österreich vgl. Pils (1994) und Amstädter (1996: 181 ff.) und für die Region Berlin-Brandenburg vgl. Kersten (2007). 138 Die damalige gesellschaftliche Überlegenheit der bürgerlichen Clubisten gegenüber den proletarischen Naturfreunden wiederspiegelt sich in der Lage der Hütten: Während die Hütten des SAC meist über der Waldgrenze liegen, befinden sich jene der Naturfreunde darunter (Anker 1986: 89). 139 Naturfreunde Schweiz (2005: 1). Anders als der SAC, der sich als Männerclub konzipierte, richteten sich die Naturfreunde explizit an die ganze Familie. 140 Der Freiheitsgedanke ging auch in den Titel des Vereinsorgans ein, das ab 1920 erschien und »Berg frei« hiess. Heute trägt es den Titel »Naturfreund« (Naturfreunde Schweiz 2005: 1). 141 Anker (1986: 86). Zu den Naturfreunden im deutschen und österreichischen Alpinismus vgl. Amstädter (1996: 181 ff.). 142 Als »Plaisirklettern« wird das Sportklettern in mit Bohrhaken gut abgesicherten Routen geringer Schwierigkeitsgrade bezeichnet (Dierendonck 2005; zum Sportklettern vgl. Fussnote 152, Kapitel 3).

 

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Bemerkung Ankers dürfte die Richtung anzeigen, in die sich der Club mittlerweile entwickelt hat. Demnach hat die »selbstauferlegte vaterländische Aufgabe des SAC in gewisser Hinsicht eine Schwerpunktverschiebung erfahren: Das Nationale ist zwar immer noch da, aber es steht nicht mehr ausschliesslich für eine vertikale Aufwärtsbewegung mit dem Ziel, die unteren sozialen Schichten den oberen anzugleichen, sondern es steht für eine mehr horizontale Einteilung zwischen denjenigen, die vor allem nach ökonomischen Kriterien, und den andern, die vor allem nach ökologischen die Zukunft der Berge und später vielleicht auch der Täler planen wollten. Anders gesagt: Der Kampf gegen die Politik der Roten weicht demjenigen für die Politik der Grünen«143. Ökologische Anliegen gehören heute zum Selbstverständnis des Clubs, wobei er sich diesbezüglich eine »Doppelrolle« zuschreibt. Er versteht sich als »Fürsprecher eines angemessenen Schutzes und als respektvoller Nutzer der Gebirgswelt«144. In dieser Doppelrolle verfolgt er das Ziel, »seine Nutzung konsequent nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit auszurichten und sich als ökologisch vorbildlicher Verband zu entwickeln«. Als solcher erhebt er den Anspruch, in »umwelt- und naturschutzrelevanten Bereichen mitzureden oder Forderungen zu stellen«.145

2.5 ALPINISMUS

UND DIE

G ESCHLECHTERORDNUNG

Der Alpinismus war – in der Schweiz wie auch in den umliegenden Alpenländern – von seinen Ursprüngen an nicht nur eine bürgerliche, sondern auch eine maskulin codierte Praxis, was nicht heisst, dass es nicht schon von Beginn an stets auch Bergsteigerinnen gegeben hätte. Bergtouren galten, wie Wirz aufzeigt, in der Schweiz wie überhaupt im alpinistischen Diskurs der Jahre 1870 bis 1930 als »Männlichkeitsritual«, das Züge des von Van Gennep146 beschriebenen Übergangsrituals trägt: »Der wanderlustige Mann löst sich aus seinem Alltag heraus, verlässt Frau, Familie und seinen Arbeitsort in der Stadt und begibt sich in den liminalen Raum Gebirge, der so ganz anders sein soll als die alltägliche Lebenswelt. Dort stösst er zur Gemeinschaft der ›Initianden‹, einer Seilschaft von als gleich geltenden Bergkameraden. Seine alltägliche Identität zählt dort nicht, nur

143 Anker (1986: 149 f.). 144 SAC (2005: 1). 145 SAC (2003: 37). 146 Gennep (2005 [1909]).

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die persönliche Leistung am Berg.«147 In diesem Kontext sammelt er nicht nur bergsteigerische Erfahrungen und erwirbt entsprechendes Wissen, er lernt auch »die Regeln des Männerbundes« kennen und eignet sich »neue, als besonders männlich geltende Eigenschaften an: Mut, Entschlossenheit, Selbstdisziplin, Autonomie, eine ›stählerne‹ Gesundheit, den kontrollierenden und ordnenden Blick von oben, die Befähigung, in unwegsamem Gebiet Experte zu sein«.148 Bergsteigen – so war man unter Alpinisten überzeugt – »macht den Mann männlicher« und sei überhaupt »der männlichste Sport«, wie 1903 beziehungsweise 1918 in den Mitteilungen des DÖAV zu lesen war.149 Die maskuline Codierung des Alpinismus zeigt sich auch an der »männliche[n] Rhetorik«150, die im Alpinismusdiskurs bis zum Zweiten Weltkrieg verbreitet war und teilweise bis heute anzutreffen ist. Die maskuline Codierung des Bergsteigens ist vor dem Hintergrund der Codierung der Geschlechterrollen in der Moderne zu betrachten, die in einem bürgerlichen »Unbehagen in der Zivilisation« gegründet hatte.151 Die »Zivilisation«, auf die sich das Bürgertum zu Beginn des 19. Jahrhunderts bezog, war aus einem »ersten Zivilisierungsschub« hervorgegangen, bei dem die europäischen Höfe entstanden. Sie galt ihm als adelig und französisch und wurde mit dem Weibischen in Verbindung gebracht. Als Reaktion darauf bemühte sich das Bürgertum um 1800 in einem »zweite[n] Zivilisierungsschub« um Abgrenzung gegenüber dem Adel sowie – als Reaktion auf einen wahrgenommenen Machtzuwachs der Frauen – um eine »bewusstere Formierung der neuen Kultur als ›Männerkultur‹«. Dabei wurde nach »wahrer Männlichkeit« und »wahrer Weiblichkeit« gesucht und es kam zu einer Betonung der Zweigeschlechtlichkeit.152 Im Zuge dieser »Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹« wurde Weiblichkeit biologisiert und die »Physis und Psyche der Frau […] nach dem Fortpflanzungs- bzw.

147 Wirz (2007a: 146 f.). Liminalität beschreibt nach Turner (1964) den Zustand des Übergangs in sozialen Riten. Er zeichnet sich dadurch aus, dass die Person sich zwischen dem befindet, was war, und dem, was sein wird. Liminalität steht aber auch für Situationen oder Orte, die sich durch eine Abwesenheit der sonst geltenden Normen und Strukturen auszeichnen. 148 Wirz (2007a: 147). 149 Günther (1998: 157); vgl. Wirz (2007a: 149). 150 Günther (1998: 155 ff.). 151 Honegger (1989: 143). 152 Honegger (1989: 143 f.). In diese Zeit fällt auch die Gründung von »Männerzirkeln und Männerklubs«, in denen sich das Männerbündlerische entfaltete, das mit Brüderlichkeit assoziiert war (Honegger 1989: 144).

 

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Gattungszweck […] bestimmt, die des Mannes hingegen nach dem Kulturzweck«.153 Als Folge davon galt die Zivilisation um 1900 als männlich. Das »Unbehagen in der Zivilisation«, das sich nun breit machte, bezog sich auf die negativen Aspekte von Kultur und äusserte sich in der Kulturkritik, die uns bereits im Zusammenhang mit der Flucht der bürgerlichen Männer aus den Niederungen begegnete.154 Die Betonung der maskulinen Codierung des Bergsteigens nach 1900, die im Ausschluss der Frauen aus dem SAC mündete, hatte ihre Wurzeln also im 19. Jahrhundert und ist vor dem Hintergrund der Bedrohung von Männlichkeit zu lesen, die angesichts von Urbanisierung, Industrialisierung und aufkommender Frauenbewegung empfunden wurde.155 Konstitutives Element der Männlichkeit im Alpinismus ist der Heroismus: »Alpinistische Narrative sind heroische Narrative«, stellt Schnetzer in seiner Studie zu visuellen Inszenierungen der Alpen und des Alpinismus fest: »Am Anfang [etwa von Bergspielfilmen, Anm. d. A.] stehen jeweils vertrackte oder bedrohliche Situationen, oft als ›unrein‹ beschrieben, die der Held durch sein alpinistisches Handeln bereinigen soll, oder eine ›innere Stimme‹, die den Helden ruft, damit er am Berg mit sich ins Reine kommt.« Dieser Held, der Alpinist, ist dabei immer ein Mann, während die Landschaft, die Bergwelt weiblich codiert ist oder gar mit einer Frau gleichgesetzt wird: »Der Berg […] erscheint als weibliches Wesen, das in seiner prekären Unberechenbarkeit durch den Alpinisten erobert, genommen, kontrolliert, dominiert und letztlich beherrscht werden soll. Die sexuelle Dimension der Bergbesteigung ist somit zwar klar erkennbar, wird im alpinistischen Narrativ aber tabuisiert, da dieses als Ausdrucksform eines bürgerlichen Diskurses der Keuschheitsnorm unterliegt. Nichtsdestotrotz steht der Alpinist am Hang seinen Mann, indem er seine Potenz durch Kraft und Technik unter Beweis stellt. Impotenz als Gegensatz bedeutet im alpinistischen Narrativ nicht nur Scheitern am Hang wegen mangelnder Eignung oder fehlerhaften Verhaltens, sondern auch eine Gipfelbesteigung mit einem Zuviel an Technik und damit gleichzeitig einem Zuwenig an Archaik.« Der »wahre Alpinist« kommt stets als Held von der Bergtour zurück: Entweder durch die erfolgreiche Besteigung des Gipfels und damit »die Beherrschung des Weiblichen (Berg und Frau) oder durch den Heldentod im Gebirge, womit er wieder in den

153 Hausen (1976: 369). Diesem »zweite[n] Zivilisierungsschub« war die wissenschaftliche »Entdeckung des Weibes« Ende des 18. Jahrhunderts vorausgegangen (Honegger 1989: 147; vgl. 1991). 154 Honegger (1989: 149 f.). 155 Vgl. Wirz (2007a: 146 ff.).

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Schoss der Mutter Natur zurückfällt«.156 Unzweideutig dargestellt ist sowohl die Darstellung des Berges – der Jungfrau – als weibliches Wesen wie auch die sexuelle Konnotation des Bergsteigens auf der untenstehenden Postkarte aus dem Jahr 1896.157 Abbildung 1: Die Jungfrau. Ansichtspostkarte aus dem Jahre 1896158

Die im Alpinismus repräsentierte heroische Männlichkeit wurde in der national aufgeheizten Stimmung ab 1900 auch mit Nation in Zusammenhang gebracht. Der Alpinist verkörperte demnach ein soldatisches Männlichkeitsideal:159 »Beim Bergsteigen sollte man nicht nur zum Mann werden, sondern zum Krieger und Sieger.«160 Obwohl die Überzeugung, Alpinismus sei eine Sache für Männer, Bergsteigen mache Männer besonders männlich und bergsteigende Männer seien besonders männliche Männer, auch im SAC verbreitet war, wurden Frauen bei dessen Gründung 1863 nicht explizit ausgeschlossen.161 Einige Sektionen nahmen dann auch vereinzelt Frauen auf. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts störte man sich

156 Schnetzer (2009: 139 f.); vgl. Günther (1998: 244). 157 Vgl. Abbildung 1. 158 Foto und Verlag Fritz Lauener, Wengen (1896). 159 Vgl. Wirz (2007a: 148; 2007b: 28). 160 Wirz (2007a: 148). 161 Statuten SAC 1866.

 

2 A LPEN , ALPINISMUS UND DIE S CHWEIZ | 73

jedoch besonders in den städtischen Sektionen des Clubs zunehmend an den weiblichen Mitgliedern: »[U]nsere Frauen und Meitscheni gehören in die Clubhütten im Thal, wo sie unsere Buben zu tüchtigen Clubgenossen zu erziehen haben, und nicht zu uns in die Clubhütten am Gletscherrand«162, soll ein Regierungsrat und Clubmitglied am ersten Jahresfest des SAC im Jahr 1880 betont haben. Während die (bürgerlichen) Männer also die Berge aufsuchen sollten, gehörten die Frauen zusammen mit den Arbeitern ins Tal. Die Diskussionen rund um die Frauenfrage mündeten schliesslich im offiziellen Ausschluss der Frauen aus dem Club im Jahr 1907.163 Daraufhin gründeten die Schweizer Bergsteigerinnen 1918 den Schweizer Frauen-Alpen-Club SFAC.164 Erst im Jahr 1978 beschloss der SAC, Frauen in seine Reihen aufzunehmen, worauf sich SFAC und SAC 1979 zusammenschlossen – beziehungsweise die Frauen in den SAC integriert wurden.165 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Alpinismus, wie er vom SAC – wie auch von anderen europäischen Alpen-Clubs – entworfen wurde, eine bürgerliche, männliche und national konnotierte Praxis und in seinen Ursprüngen ein Phänomen war, das der Moderne entsprang.166

162 Jahrbuch des SAC (1880/81: 578 f.). 163 Vgl. Wirz (2007a: 152 ff.; 2007b). Die Alpenvereine Deutschlands, Österreichs und Frankreichs nahmen von Beginn weg Frauen auf und der italienische Club CAI hatte getrennte Sektionen für Frauen und Männer. Der englische Alpine Club hatte Frauen bei seiner Gründung ausgeschlossen, worauf sich die englischen Bergsteigerinnen im Jahr 1907 zum »Ladies Alpine Club« (zunächst »Lyceum Alpine Club«) zusammenschlossen (Amstädter 1996: 129; Wirz 2007b: 30). 164 Zur Geschichte des SFAC vgl. Wirz (2007a: 183 ff.). 165 Wirz (2007b: 32); vgl. Die Alpen Mb (1978: 136 f.). Einzelne SFAC-Sektionen, so die Sektion Baldern, blieben als SAC-Sektionen bestehen und nahmen fortan Männer in ihre Reihen auf (vgl. Purtschert 2010: 24). 166 Das Zusammenwirken dieser drei Kategorien, wie es im Alpinismus zu beobachten ist, ist keine Ausnahmeerscheinung. In der Literatur wird besonders häufig auf die Verwobenheit der beiden der Moderne entsprungenen Konzepte Nationalität und Geschlecht hingewiesen. Theorien zu Nationalität sind meist – wie Yuval-Davis (2001) festhält – spezifische Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit inhärent (vgl. Gehmacher 2002: 6). Zum Zusammenwirken von Nationalismus, Patriotismus, Militarismus, Imperialismus und Maskulinität vgl. Nagel (2005).



3

Geschichte, Struktur und Organisation des Bergführerwesens

Die Geschichte des Bergführerberufs ist untrennbar mit jener des Alpinismus verflochten. Schon vor Aufkommen des Bergsteigens um des Bergsteigens willen waren Menschen, die Berggebiete aufsuchen wollten, auf Einheimische angewiesen, die aufgrund ihrer Tätigkeiten etwa als Jäger, Bergbauern oder Hirten ortskundig waren. So griffen schon die Naturwissenschaftler, die im 18. Jahrhundert die Alpen zu erforschen begannen, für ihre Erkundungstouren auf Einheimische zurück, die ihnen den Weg wiesen oder als Träger dienten.1 Die Ausflüge dieser Glaziologen, Topografen und anderer Naturforscher waren mitunter Riesenexpeditionen: Der Solothurner Naturforscher, Politiker und Theologe Franz Josef Hugi beispielsweise, der in den 1830er- und 1840er-Jahren verschiedene wissenschaftliche Studien verfasste, soll für eine seiner Touren 37 Führer und Träger engagiert haben, die unter anderem »46 Poulets, 4 Hammelkeulen und 93 Flaschen Wein«2 auf den Gipfel getragen hätten. Auch für die alpinistischen Bergbesteigungen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die primär wissenschaftlich motivierten Expeditionen abzulösen begannen, griffen die Bergsteiger und Bergsteigerinnen – meist Angehörige des Adels oder des Bürgertums – stets auf einheimische Führer und Träger zurück.3 Mit der Popularisierung des Bergsteigens und der Zunahme der Touristen und Touristinnen, welche die Alpen aufsuchten, stieg der Bedarf an Führern sowie an Trägern von Gepäck an. Viele Einheimische scheinen in diesen Reisenden einträgliche Erwerbsmöglichkeiten gewittert zu haben, sodass die Anzahl der Männer, die sich als Träger und Führer anboten, rasch zunahm. Diese ver1

Philipp/Matossi (1996: 25 f.); Mätzener (1993).

2

Mätzener (1993: 7); vgl. Hugi (1830).

3

Davon zeugen Listen der an Erstbesteigungen Beteiligten (vgl. Alpine Vereinigung Zermatt, ohne Jahr).

 

76 | »KÖNIGE DER A LPEN«

hielten sich jedoch offenbar nicht alle den Vorstellungen der Touristen und der Obrigkeiten entsprechend; nicht alle seien sie »Heilige«4 und »Engelein«5 gewesen. Überlieferte Klagen beziehen sich etwa auf fehlende Kenntnis des Gebirges, Unzuverlässigkeit, mangelnden Anstand, überhöhte Preise, Vertragsbruch, Prellerei und immer wieder auf den übermässigen Alkoholkonsum.6 In Berlepschs »Reisehandbuch für die Schweiz«, das 1861 erstmals erschien, steht zu lesen, es gebe zwar Führer, »welche in ihrer Gegend ziemlich gut instruirt sind, einige Kenntnisse in der Mineralogie und Botanik haben, auch die Gipfel der Berge richtig zu benennen verstehen; die grössere Mehrzahl aber sind Ignoranten, lediglich Taglöhner, die ein paar Brocken französisch oder englisch zu radebrechen verstehen und wo sie auf Fragen keine bestimmte Auskunft geben können, frech drauf und drein lügen«7. Zudem würden sie die Touristen belästigen, so dass man sich »kaum vor der Zudringlichkeit der sich anbietenden Führer retten«8 könne. Die angebliche Gier der Bergführer, mit den englischen Touristen das schnelle Geld zu verdienen, machte sie für Gottfried Keller zu einem Prototyp des durch den Tourismus verdorbenen Einheimischen. Angesichts des aufkommenden Tourismus um das Niveau der Schweizer Kunstschaffenden besorgt, stellte er 1847 fest: »[…] unsere Schweizermaler müssen sich zusammenraffen, wenn sie nicht zur Klasse der Gastwirte, Oberländerholzschneider, Bergführer [Hervorhebung d. A.] und aller jener Spekulanten herabsinken wollen, welche von nichts Anderem träumen, als von den Börsen der durchreisenden Teesieder.«9 Solche »Missstände«10 dürften ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass ab den 1850er-Jahren in verschiedenen Kantonen gesetzliche Vorschriften zur Ausübung des Bergführerberufs in Kraft gesetzt, staatliche Prüfungen und bald auch Ausbildungskurse eingeführt und in verschiedenen Regionen Bergführervereine gegründet wurden. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf Aspekte der Geschichte, Struktur und Organisation des Bergführerwesens, die sich während der Analysen als relevant erwiesen haben, entweder weil sie helfen, die empirischen Befunde

4

Philipp/Matossi (1996: 30).

5

Brawand (1973: 21).

6

Philipp/Matossi (1996: 28); Grupp (2008: 185). Entsprechende Klagen sind auch für

7

Berlepsch (1866 [1861]: 15).

8

Berlepsch (1866 [1861]: 14).

9

Keller (1996 [1847]: 28 f.), zit. nach Glauser (2009).

Deutschland und Österreich überliefert (vgl. Günther 1998: 71).

10 Brawand (1973: 21 f.); Bomio (2006b: 8); Golay (1971: 211).

 

3 G ESCHICHTE , S TRUKTUR UND ORGANISATION DES B ERGFÜHRERWESENS | 77

 einzubetten und zu verstehen, oder weil sie selbst zentrale Charakteristiken des Berufsfeldes darstellen.

3.1 R ECHTLICHE R EGELUNGEN Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam in einigen Bergkantonen der Wunsch auf, ›Ordnung‹ in das Bergführerwesen zu bringen. 1826, drei Jahre nach Verabschiedung des weltweit ersten Bergführerreglements in Chamonix (Frankreich),11 soll sich der damalige Oberamtmann von Interlaken an die Berner Regierung gewandt haben: »Da die Führer bis jetzt keiner Art von Controlle noch gewissen Regeln unterworfen waren, so konnte ein jeder Taugenichts, der zu träge war sein Brod durch Handarbeit zu verdienen, sich hierzu stempeln.«12 Um diesem Problem Herr zu werden, schlug er vor, das Führerwesen zu reglementieren. Bis dieses Anliegen in die Tat umgesetzt wurde, vergingen allerdings rund 30 Jahre. Nach vier gescheiterten Versuchen ab 1848 trat 1856 – also mitten im »goldenen Zeitalter« des Alpinismus – das erste »Reglement für die Bergführer und Träger«13 des Kantons Bern in Kraft, welches das erste kantonale Reglement in der Schweiz überhaupt gewesen sein dürfte. Ein Jahr später, 1857, wurde im Kanton Wallis das »Reglement für die Führer-Gesellschaften in Wallis«14 beschlossen. Die »Förderung und Verbesserung des Führerwesens«15 war besonders auch dem 1863 gegründeten Schweizer Alpen-Club von Beginn weg ein Anliegen. Bereits an der Generalversammlung von 1864 wurde den Sektionen empfohlen,

11 Chamonix hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der Führer mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, wie sie für die Schweiz überliefert sind. Schliesslich gab ein Unfall den Ausschlag: Im Jahr 1820 bestieg ein Berater des russischen Zarenhofes den Montblanc; dabei kamen drei Bergführer durch eine Lawine zu Tode. Darauf wurde ein Bergführerreglement verabschiedet und die »Compagnie des Guides de Chamonix« gegründete, der erste Bergführerverein überhaupt (Rousset/Leymarie 1995: 95 ff.). 12 Brawand (1973: 22 f.). 13 BR BE 1856; Bomio (2006b: 8 ff.). Von 1849 bis 1856 hatten die »Führer von Reisen« im Kanton Bern – zusammen mit den Hebammen, Badern, Hufschmieden und Hausierern – dem Gesetz über das Gewerbewesen unterstanden (Sterchi 1993: 13). 14 BR VS 1857. 15 Jahrbuch SAC (1873/74: 604).

78 | »KÖNIGE DER A LPEN«

sich des Führerwesens anzunehmen.16 In den 1870er-Jahren sandte das CentralComité (CC) Pilatus (Luzern) des SAC »Grundzüge zu einem Reglement für Bergführer und Träger«17 sowie die Schrift »Einige Regeln und Winke über die Aufgabe und das Verhalten der Bergführer«18 an sämtliche Sektionen sowie die Regierungen der Gebirgskantone, begleitet von einem Schreiben, in dem es das Interesse formulierte, das Bergführerwesen zu fördern und zu verbessern und es kantonsübergreifend zu regeln. Diese Bemühungen blieben jedoch zunächst erfolglos: Von den fünfzehn angeschriebenen Regierungen antwortete lediglich eine, sodass eine kantonsübergreifende Lösung nicht zustande kam.19 Ganz ohne Wirkung dürfte die Initiative des SAC aber nicht geblieben sein. Möglicherweise nahmen aber auch einfach die Klagen über die »Missstände« derart zu, dass der Handlungsbedarf evident wurde. Jedenfalls wurden in der Folge in den Kantonen Glarus (1875), Waadt (1882), Uri (1888), Graubünden (1902) und Obwalden (1905) kantonale Bergführerreglemente und -gesetze verabschiedet.20 Das erste SAC-Führerreglement, das »Reglement über die Führerkurse und die Erteilung der Führerdiplome des S.A.C.« trat im Jahr 1899 in Kraft und regelte insbesondere die Ausbildung und Diplomierung von Bergführern.21 3.1.1 Die ersten Bergführerreglemente Ein Vergleich der jeweils ersten Bergführerreglemente der Kantone Bern, Graubünden, Wallis und Uri zeigt, dass sie sich in ihren Grundzügen stark glichen. Ihre Inhalte verweisen darauf, dass es die oben erwähnten Probleme waren, die man bekämpfen wollte. Die Reglemente sollten ›Ordnung‹ herstellen, indem sie festlegten, wem die Aufsicht über das Führerwesen oblag, wer dazu befugt war, die Tätigkeit des Bergführens auszuüben, welche Pflichten (und auch Rechte) die Führer hatten und welche Strafen ihnen im Falle von Vergehen drohten. Das Bergführerwesen unterstand in allen vier Kantonen der kantonalen Obrigkeit. Die Berufsausübung war in diesen Kantonen lediglich Personen gestattet, die über ein Patent verfügten. Voraussetzung, dieses zu erlangen, war meist ein

16 Jahrbuch SAC (1864: 572 ff.); Golay (1971: 210); Philipp/Matossi (1996: 18 f.). 17 CC SAC (1874). 18 Jahrbuch SAC (1873/74: 604). 19 Jahrbuch SAC (1873/74: 605 f.). 20 BF Tödi 1875; Cochand/Demont (1998:4); BR UR 1888; BR GR 1902. 21 Reglement BF SAC 1899.

 

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 »guter Leumund« oder »bürgerliche Ehrenhaftigkeit«22 sowie ein erreichtes Mindestalter von 18 beziehungsweise 20 Jahren.23 Die Kandidaten mussten zudem einen Nachweis über ihre Befähigung erbringen. Berner Kandidaten hatten beispielsweise eine Prüfung abzulegen, in der »auf die erforderliche Lokalkenntnis der oberländischen Gebirgspässe, Namen und Höhenangabe der Gebirge und der besondern Merkwürdigkeiten dortiger Landesgegend Rücksicht genommen«24 wurde. Zudem mussten sie 500 Franken hinterlegen, die einen allfälligen vom Bergführer verschuldeten Schaden oder eine Busse abdecken sollten.25 Ein Walliser hingegen musste schlicht »im Besitz nöthiger Befähigung und Einsicht« sein.26 Erst wer diese Anforderungen erfüllte und mit dem Bestehen einer Prüfung oder eines Kurses Zeugnis seiner Fähigkeiten ablegte, sollte das Patent erhalten, das ihm die Ausübung der Berufstätigkeit erlaubte. Patentierte Bergführer wurden dann in das offizielle Verzeichnis des Kantons aufgenommen. In den Reglementen war weder explizit festgelegt, dass das Patent Männern vorbehalten war, noch dass diese in den Bergen aufgewachsen sein mussten. Implizit jedoch wurde beides als selbstverständlich angenommen. Das Patent wurde den Bergführern in Form eines sogenannten Bergführerbuches ausgehändigt. Ein solches Buch hatte etwa im Kanton Bern die Personalien sowie ein »Signalement« des betreffenden Führers und eine »Bescheinigung des Regierungsstatthalters« zu enthalten.27 Es enthielt weiter das aktuell gültige Bergführerreglement und in manchen Kantonen eine Tarifliste.28 Besonders wichtig dürften jedoch die leeren Seiten gewesen sein, auf welche die Geführten dem Führer ein Zeugnis über seine Arbeit ausstellen konnten, indem sie festhielten, wann er welche Tour führte und wie er sich dabei anstellte. Die Seiten waren nummeriert und durften nicht herausgerissen, die Einträge weder verändert noch gefälscht werden.29 Ein Berner Bergführer war verpflichtet, »sein Buch stets bei sich [zu] tragen und es auf Verlangen der Polizeibeamten und Angestellten des Staats, sowie bei dem Antritt und Ende der Reise, dem betreffenden Reisenden vor[zu]weisen und sich von Letzterm ein Zeugnis über Zufriedenheit

22 Art. 2a BR BE 1856; Art. 5 Abs. 2 BR GR 1902; Art. 1b BR VS 1857; Art. 2 Abs. 2 BR UR 1888. 23 Art. 1a BR VS 1857; Art. 2 Abs. 1 BR UR 1888; Art. 5 Abs. 1 BR GR 1902. 24 Art. 4 BR BE 1856. 25 Art. 5 BR BE 1856. 26 Art. 1c BR VS 1857. 27 Art. 7 und 8 BR BE 1856; vgl. Art. 1 BR GR 1902. 28 Art. 8 Abs. 4 BR BE 1856; Art. 3c BR VS 1857. 29 Art. 3d BR VS 1857; Art. 9 BR BE 1856; Art. 21 BR GR 1902.

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und Aufführung während der gemachten Reise u. s. w. darin eintragen [zu] lassen«30. Dieses Bergführerbuch diente also ebenso als Ausweis gegenüber den Behörden wie als Zeugnis für geleistete Touren, auf dessen Grundlage Reisende entscheiden konnten, ob sie sich dem betreffenden Bergführer anvertrauen wollten oder nicht. In diesem Sinne war es Abbild der Reputation des Führers. Das Bergführerbuch ist heute noch im aktuell gültigen Urner Reglement erwähnt.31 Bergführerbücher von früheren Führern werden heute gerne als historisch wertvolle Dokumente und Erinnerungsstücke gehandelt; Bucheinträge werden häufig auch in Publikationen über Bergführer zitiert oder gar abgebildet. Das Urner Reglement von 1888 erwähnt zusätzlich zum Bergführerbuch ein »Metallschild«32, also ein Bergführerabzeichen, das die Führer zu tragen angehalten waren. Auch diese Abzeichen, die bald in verschiedenen Kantonen wie auch vom SAC eingeführt wurden, sind nach wie vor in einigen aktuellen Reglementen aufgeführt und werden bis heute im Berufsalltag getragen.33 Heute sind die Abzeichen des SBV sowie des IVBV am stärksten verbreitet. Neben den üblichen metallenen, mit einer Anstecknadel versehenen Versionen gibt es auch solche zum Aufbügeln und Aufkleben.34 Abbildung 2: Bergführerabzeichen des SBV und des IVBV

Auch was die Pflichten der Führer anbelangt, glichen sich die vier untersuchten Reglemente stark. Ein Bergführer des Kantons Bern hatte »sich gegen die Reisenden höflich und anständig zu betragen und seine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, sie vor Gefahr zu warnen, nach bester Möglichkeit für ihre Annehm-

30 Art. 9 BR BE 1856. 31 Art. 7 und 13 BR UR 1982. 32 Art. 3 BR UR 1888. 33 Art. 7 BR Tödi 1993; Art. 7 BR UR 1982. 34 Vgl. Abbildung 2.

 

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 lichkeit und die Sicherheit ihres Gepäcks zu sorgen und sich namentlich vor Trunkenheit zu hüten«. Und weiter: »Überforderung und Prellerei ist ihm bei Strafe der Zuckung des Patents verboten; auch ist ihm untersagt, Reisende ohne ihr Vorwissen und fälschlich an andere Orte oder in andere als die ihm von ihnen bezeichneten Gast- oder Pensionshäuser zu führen.«35 Urner und Bündner Führern war es zudem untersagt, »sich dem Reisenden gegenüber durch Dienstanbietung aufdringlich [zu] machen«36. Im Berner Reglement ist vermerkt, dass der Führer »wenigstens 15 Pfund Gepäck« des Reisenden tragen muss.37 Die Strafen, die dem Führer bei Verstössen drohten, reichten von Geldbussen über den Entzug des Patents bis zu Gefängnisstrafen.38 Umgekehrt sollten die Reglemente verhindern, dass Bergführer von den Reisenden schlecht behandelt oder ungenügend bezahlt wurden. Das Berner Reglement von 1856 etwa legte den Führerlohn auf sechs bis acht Franken pro Tag fest, »je nach Beschwerlichkeit der Reise«, wobei die »Verköstigung inbegriffen« war.39 Es erlaubte den Führern auch, »[u]ngebührliche Zumuthungen oder üble Behandlung von Seite der Reisenden […] mit ruhigem Ernste zurückzuweisen« oder gar den »Dienst zu verweigern«.40 Dieses Recht hatten auch Bündner Führer, wenn Touristen »lebensgefährliche Unternehmungen durchsetzen« wollten oder wenn sie von ihnen »übel behandelt« wurden.41 3.1.2 Heutige Rechtslage Seit den ersten, Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen kantonalen Bergführerreglementen blieb das Bergführerwesen in der Schweiz – ganz im Sinne des Föderalismus – Sache der Kantone. Die ursprünglichen Reglemente und Gesetze wurden seit ihrer Inkraftsetzung mehrmals revidiert oder ersetzt.42 Immer wiederkehrende Themen sind darin die Bedingungen für den Erhalt des Patents

35 Art. 12 BR BE 1856; vgl. Art. 8 und 9 BR GR 1902. 36 Art. 7 BR UR 1888; Art. 9 BR GR 1902. 37 Art. 12 BR BE 1856. 38 Art. 16 und 19 BR BE 1856; vgl. Art. 4 BR UR 1888; Art. 21 BR GR 1902. 39 Art. 13 BR BE 1856. 40 Art. 12 BR BE 1856. 41 Art. 12 BR GR 1902 42 Für die Entwicklung der rechtlichen Grundlagen im Kanton Bern vgl. Bomio (2006b: 8 ff.), Sterchi (1993) und Brawand (1973: 24 f.), für den Kanton Graubünden vgl. Philipp/Matossi (1996: 24 ff.) und Golay (1971: 125 ff.) und für den Kanton Uri vgl. www.top-of-uri.ch [Stand: 9.6.2012].

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sowie die Bestimmungen zu Prüfungen und Ausbildung. Ein stets präsentes Thema sind weiter die Tarife. Von der Gründung des SAC an waren sie steter Gegenstand von Auseinandersetzungen und Aushandlungen zwischen dem SAC und den Bergführern. In den Zeitschriften des SAC sind sie ein omnipräsentes Thema. Reglementarisch festgehalten wurden in den meisten Kantonen bald auch die Pflicht des Führers, eine Haftpflichtversicherung abzuschliessen, sowie seine Pflicht, bei Rettungen im Gebirge Hilfe zu leisten.43 Bis heute haben die Kantone Appenzell Innerrhoden, Bern, Glarus, Graubünden, Uri, Waadt und Wallis Gesetze, Verordnungen oder Reglemente, die das Bergführerwesen betreffen.44 Auf eidgenössischer Ebene existiert bis heute einzig das »Reglement über die Erteilung des eidgenössischen Fachausweises als Bergführer oder Bergführerin«45, das die Abschlussprüfung regelt. Voraussichtlich am 1. Januar 2014 wird das »Bundesgesetz über das Bergführerwesen und das Anbieten von Risikoaktivitäten«46 in Kraft treten, das insbesondere die Sorgfalts- und die Bewilligungspflichten im Zusammenhang mit dem Anbieten von Risikoaktivitäten regelt. 3.1.3 Diszplinierung und Erziehung zur Gastfreundschaft Die Inhalte der ersten kantonalen Bergführerreglemente wie auch andere Schriftzeugnisse machen deutlich, dass es mit dem Ansehen der Bergführer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht zum Besten stand. Wie erwähnt, störten sich Alpinisten und kantonale Obrigkeiten am Fehlverhalten mancher Bergführer, das ihre alpinistischen Fähigkeiten ebenso betraf wie ihr Verhalten Reisenden gegenüber. Aus diesem Unmut heraus entstand das Bedürfnis, Bergführer zu prüfen und auszubilden, die Zulassung zur Tätigkeit an bestimmte Bedingungen

43 Die Einführung der Haftpflichtversicherung ist im Zusammenhang mit der seit dem 19. Jahrhundert immer wieder auftauchenden Frage nach der Verantwortlichkeit von an Unfällen beteiligten Bergführern zu betrachten (vgl. Beulke 1994). 44 Appenzell Innerrhoden: BV AI 1974; Bern: HGG und HGV; Glarus: BB GL 1971; BR Tödi 1993; Graubünden: BSG GR 2000; DV GR 2004; AB BSG GR 2004; Uri: BR UR 1982; VSB UR 1979, BT UR 1994; Waadt: LEAE, RLEAE, RSports; Wallis: BG VS 2007, BV VS 2008, LG VS 2007, OG VS 2008. 45 Reglement FA BF 2002. 46 Bundesgesetz Bergführer 2010. Die Idee, ein Gesetz über das Bergführerwesen und das Anbieten von Risikoaktivitäten zu schaffen, bestand bereits vor dem CanyoningUnglück im Saxetbach im Jahr 1999. Sie erhielt durch den Unfall, bei dem 21 Menschen verstarben, aber Auftrieb (vgl. Berg & Ski 3/1999: 3; Held 1999).

 

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 zu knüpfen und die Berufsausübung rechtsgültigen und sanktionierbaren Regeln zu unterstellen. Die getroffenen Massnahmen zielten nicht nur auf eine Verbesserung der Fähigkeiten der Führer, sondern auch auf deren Disziplinierung: Den Bergführern sollten Verhaltens- und besonders auch Anstandsregeln für den Umgang mit den ›Herren‹47 beigebracht werden, die einer höheren sozialen Schicht entstammten und denen sie gewissermassen »Diener«48 waren. Dies wird in den Reglementen ebenso deutlich wie etwa in der Schrift »Einige Regeln und Winke über die Aufgabe und das Verhalten der Bergführer«, die der SAC in den 1870er-Jahren versandte, oder dem von Pfarrer Gottfried Strasser verfassten, 1910 erschienenen »ABC für Schweizer Bergführer«. In den »Regeln und Winken« erhält der Bergführer nicht nur praktische Tipps etwa zur »Diät«, zum »Verhalten beim Bergsteigen« und zur »Ausrüstung«; er wird beispielsweise auch ermahnt, »sich im Genusse geistiger Getränke der Mässigkeit [zu] befleissen«, »unnötige Zudringlichkeit« zu unterlassen, auf die »Sicherheit der Person und des Eigenthums des Reisenden« zu achten sowie sich in »Gewissenhaftigkeit« und »Bescheidenheit« zu üben.49 Ähnlich klingt es im von Gottfried Strasser in Reimen abgefassten »ABC für Schweizer Bergführer«: Der Leser erhält Ratschläge zum Bergsteigen und wird unter anderem zu mässigem Alkoholkonsum, Höflichkeit und Kameradschaft angehalten. Gerade auch Reisenden aus dem Ausland gegenüber soll er ein beispielhafter Schweizer sein: »Strömt es international, Führer, in dein Alpenthal, Sorge, dass sich treu bewahrt Deine gute Schweizerart […].«50 Wie sich zeigen wird, besserte sich das Fremdbild des Bergführers ab 1900. Das Bedürfnis, den Führern Anstand und das richtige Verhalten ihren Gästen gegenüber beizubringen, blieb aber bestehen, wie die 1993 erschienene Broschüre »Im Umgang mit seinem Gast«51 zeigt. Den Bergführern und Skilehrern werden darin unzählige Verhaltens- und Anstandsregeln etwa zur Begrüssung und zum »Benehmen während des Unterrichts« sowie »[g]astronomische Kenntnisse und Tischmanieren« inklusive einer Einführung in die Weinkunde vermittelt.

47 Der Begriff »Herr« war im Feld des Bergführerberufs bis Mitte des 20. Jahrhunderts üblich zur Bezeichnung der Geführten (vgl. Kapitel 4.6.1); danach wurde er durch den Begriff »Gast« abgelöst. In dieser Studie ist dort von »Herren« die Rede, wo sich die Ausführungen auf Quellen stützen, in denen der Begriff verwendet wird; ansonsten wird der Begriff »Gast« verwendet. 48 Berlepsch (1866 [1861]: 14); Fink (2008a). 49 CC SAC (1874: 1 ff.). 50 Strasser (1900: 4). 51 Bohren/Grundisch/Strässle (1993); vgl. Berg & Ski (2/1993: 4).

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Die Führer und Skilehrer werden beispielsweise ermahnt, »das Schlürfen am Glas und an der Suppe« zu unterlassen, kein »Buggeli« zu machen, saubere Kleidung zu tragen und das »›Bergler-Image‹ zu unterstreichen«.52 Was noch um die Wende zum 20. Jahrhundert Disziplinierung war, macht hier einer Erziehung zur Gastfreundschaft Platz. Die Vermittlung solcher Verhaltensregeln bleibt auch heute in der Bergführerausbildung nicht ganz ausgespart. Vor dem Nachtessen in einem Hotel während des Eintrittstests, an dem ich als Beobachterin teilnahm, wurden die Kandidaten darauf hingewiesen, Restaurants und Hotels, die sie mit ihren künftigen Gästen aufsuchten, mit sauberen und nicht zerschlissenen Kleidern zu betreten und beim Eintritt Sonnenbrillen wie auch Kopfbedeckungen abzulegen.53

3.2 D AS V ERBANDSWESEN Die unbefriedigenden Zustände im Führerwesen im 19. Jahrhundert riefen nicht nur den SAC und die kantonalen Behörden auf den Plan, sondern auch die Bergführer selbst, das heisst jene, die sich als die ›richtigen‹ Bergführer verstanden, sich von den »Taugenichtsen« abgrenzen wollten und sich um ihren Ruf sowie vor zu viel, unqualifizierter und auch auswärtiger Konkurrenz fürchteten.54 Sie begannen sich in Vereinen zusammenzuschliessen. 3.2.1 Erste lokale und kantonale berufsständische Organisationen Der erste Bergführerverein überhaupt, die »Compagnie des Guides de Chamonix«, entstand 1823 im Zusammenhang mit der Einführung des dortigen Bergführerreglements.55 In der Schweiz schlossen sich die Führer gewisser Ortschaften ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu Vereinigungen und »Führercorps« zusammen oder gründeten »Führerbüro[s]«.56 Es sollte aber noch bis in die

52 Bohren/Grundisch/Strässle (1993: 9; 3). 53 Feldnotizen: Eintrittstest Bergführerausbildung, Grindelwald, 30.9.-2.10.2005. 54 Als fremd und auswärtig galten Bergführer aus anderen Kantonen ebenso wie solche aus Bayern und Österreich (Schneeli 1894: 8; Berg & Ski 3/1993: 5). 55 Rousset/Leymarie (1995: 95 ff.). 56 So beispielsweise in Grindelwald (Brawand 1973: 61) und Klosters (Philipp/Matossi 1996: 46).

 

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 1870er- und gar 1890er-Jahre dauern, bis die ersten offiziellen lokalen Bergführervereine ins Leben gerufen wurden.57 Die Mitglieder dieser lokalen Vereine scheinen sich rasch gewahr geworden zu sein, dass sie ihre Interessen – gerade auch gegenüber den Kantonsbehörden – besser vertreten konnten, wenn sie mit anderen Vereinen ihres Kantons zusammenarbeiteten. Zwischen 1904 und 1909 wurden jedenfalls in den Kantonen Uri, Bern, Graubünden und Wallis kantonale Bergführerverbände gegründet.58 Die Statuten des Bergführervereins Uri legen exemplarisch Zeugnis der Motivation ab, die diesen Gründungen zugrunde lag. Der Verein bezwecke den »engern Zusammenschluss der Führer des Kantons Uri, behufs Hebung und Förderung der Berufsinteressen und der Kollegialität« sowie die »Pflege guter Beziehungen zu der kantonalen Regierung, zum S.A.C., zu andern alpinen Vereinen und zu den Bergsteigern überhaupt«.59 Der Gründung der ersten Kantonalverbände zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgten weitere, sodass heute in der Schweiz die Bergführerverbände Bern, Glarus, Graubünden, Unterwalden, Uri und Wallis, die »Association Vaudoise des Guides de Montagne« und der »Interkantonale Bergführerverband« existieren.60 3.2.2 Die »Flachlandführer« organisieren sich Das erwähnte, 1899 in Kraft gesetzte SAC-Führerreglement61 sah »zwei Kategorien« Bergführer vor: solche, die »unter Aufsicht der Kantonsregierungen« standen und von diesen patentiert wurden sowie solche, die »unter Aufsicht einer Sektion des S.A.C.« standen und das Bergführerdiplom wie auch das Bergfüh-

57 Unter anderen wurden 1871 in Pontresina, 1893 im Haslital, 1894 in Zermatt sowie 1898 in Grindelwald Bergführervereine gegründet. Manche Vereine entstanden erst viel später, so zum Beispiel die Bergführervereine Arosa 1926, Saastal 1927, Chur 1971, Rhonetal 1989 oder Surselva 1991 (Berg und Ski 2/1997: 35; Berg & Ski 4/1994: 13; Brawand 1973: 61; Golay 1971: 7; Mätzener 1993: 4; Philipp/Matossi 1996: 49; 52). 58 Bomio (2006a: 16 f.). 59 Art. 1 Statuten BV Uri 1916. 60 Die Gründung der »Association Vaudoise des Guides de Montagne« (AVGM) erfolgte 1948 (Cochand/Demont 1998: 192). Der Bergführerverband Unterwalden dürfte gemäss Auskunft des heutigen Präsidenten 1912 gegründet worden sein. Die Bergführer des Kantons Glarus unterstanden ab den 1880er-Jahren der SAC-Sektion Tödi (Truffer 1983b). Das Gründungsdatum dieses Kantonalverbands ist nicht bekannt. 61 Reglement BF SAC 1899.

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rerbuch und ein Bergführerabzeichen vom SAC erhielten.62 Nachdem bis Mitte des 20. Jahrhunderts alle Bergkantone eigene Bergführerverbände hatten, handelte es sich bei diesen sogenannten SAC-Führern um »UnterländerBergführer«63. Es sollte bis 1969 dauern, bis die SAC-Bergführer beim Schweizer Bergführerverband (SBV), auf den weiter unten eingegangen wird, ein Aufnahmegesuch stellten, dem die Delegierten des SBV ein Jahr später stattgaben.64 Daraufhin schlossen sich die »Flachlandführer«65 im Jahr 1971 zu einem eigenen Verband, dem SAC-Bergführerverband zusammen, der heute offiziell »Interkantonaler Bergführerverband« (IKBV) heisst.66 Mit der Gründung strebten diese Bergführer mehr Unabhängigkeit gegenüber dem SAC und wohl auch eine stärkere Position gegenüber den kantonalen Bergführerverbänden an.67 Verschiedentlich wird aus den Dokumenten deutlich, dass die Bergführer aus dem Unterland bei den Mitgliedern des SBV auf eine gewisse Skepsis stiessen. Die SAC-Bergführer, denen ein Mangel an alpiner Erfahrung angelastet wurde, mussten »um ihr Ansehen kämpfen« und waren bisweilen auch »Hänseleien« oder »bösen Worte[n]« ausgesetzt.68 Vertreter der Bergkantone befürchteten das »Ueberhandnehmen von Unterland-Bergführern«69. Davon, dass diese Befürchtungen bis heute nicht gänzlich verschwunden sind, zeugt die Tatsache, dass sich bis heute die inoffizielle Regel hält, wonach die drei für die Ausbildung verantwortlichen Technischen Leiter aus den kantonalen Bergführerverbänden Bern, Graubünden und Wallis zu kommen haben.70 Versuche von Unterländern, in das Bergführerwesen einzusteigen, sowie Diskussionen darüber, ob sie zuzulassen seien, wurden nicht erst in den 1970erJahren geführt. Bereits im Jahr 1908 berichtete die Zeitschrift »Alpina« des SAC von der Reklamation eines SAC-Mitglieds der Sektion Bern, dem die »Zulassung zum Führerkurs in Grindelwald verweigert« worden war.71 In den 1950er bis Ende der 1970er-Jahre äusserte sich der SBV wiederholt skeptisch zu Unter-

62 Art. 13 Reglement BF SAC 1899; Anthamatten (1986: 15 f.). 63 Fähndrich (1992). 64 Häussler (1971); vgl. Häussler (1970). 65 Held (1997c: 24). 66 Cuignard (1972a; 1972b). 67 Protokoll BV SAC (1971). 68 Held (1997c: 24). 69 Protokoll DV SBV (1973). 70 Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 Wegleitung FA BF 2010. 71 Alpina (1908: 197).

 

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 länder Führern. Es wurde etwa die »Verdrängung der Führer aus den Bergkantonen« befürchtet und gefordert, der Führerberuf solle »der Bergbevölkerung als Privileg erhalten bleiben«.72 Gleichzeitig mussten sich Ende der 1970er Jahre aber auch gewisse Bergler vom SBV Kritik gefallen lassen. Es gebe »immer noch Kandidaten aus renommierten Alpinzentren, die glauben, Name und Herkunftsort garantierten schon den Erfolg« stellte der Präsident des SBV 1979 fest. »Wie lange dauert es wohl noch, bis man überall begriffen hat, dass man heute andere Forderungen an den Bergführer stellt als vor 30 und 40 Jahren? Es geht einfach nicht an, bei schlecht vorbereiteten Kandidaten beide Augen zuzudrücken, nur weil sie aus Gebirgsregionen stammen […].«73 Der SAC stand der Frage der Führer aus dem Unterland in den 1950erJahren ambivalent gegenüber. Einerseits war er selbst zuständig für sie, andererseits wollte er es sich mit den Bergführern aus den Bergregionen nicht verderben. Das Central-Comité Basel etwa vertrat 1957 den Standpunkt, »dass der Führerberuf prinzipiell der Bergbevölkerung vorbehalten bleiben soll«74. Festgestellt wurde jedoch durch das gleiche CC auch, es gebe »immer weniger junge Männer aus den eigentlichen Berggebieten«, die sich »für den Führerberuf interessieren«, denn »[a]nderweitige gute Verdienstmöglichkeiten locken, und die unsicheren Erwerbsaussichten als Führer bilden auch keinen besonderen Anreiz«.75 Noch 1976 proklamierte man die »Förderung der Bewerber aus den Gebirgskantonen«, »damit die neuernannten Führer ihren schönen Beruf auf heimatlicher Scholle ausüben können«.76 Im Spannungsfeld zwischen unter- und oberländer Führern bemühte sich der SAC um eine vermittelnde Position. 1979 hielt ein Autor um Herstellung von Harmonie bemüht fest: »Obschon die Bergführer aus den Patentkantonen und die SAC-Führer aus dem Unterland in ihrer Auffassung über den Bergführerberuf nicht immer einiggehen, ist unter den Fittichen des Schweizerischen Bergführerverbandes ein vermehrtes Verständnis füreinander spürbar.«77

72 DV SBV 1967. Vgl Protokoll AV SBV (1954); Jahresbericht SBV (1955/56: 3); Jahresbericht SBV (1979: 1); Bomio (2006c: 25 f.). 73 Jahresbericht SBV (1979: 3). Umgekehrt gab 1995 die »steigende Zahl von SACAnmeldungen zum Aspirantenkurs mit zunehmender Durchfallquote« dem SAC »Anlass zum Nachdenken« (Funk 1995). 74 Die Alpen Mb (1957: 213). 75 Die Alpen Mb (1958: 226). 76 Schärli (1976b). 77 Thomann (1979).

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3.2.3 Der lange Weg zu einem schweizerischen Berufsverband Als sich die Berner Bergführer 1906 in Interlaken zusammenfanden, strebten sie nicht die Gründung eines kantonalen, sondern vielmehr eines eidgenössischen Verbands an, des »Verbands Schweizerischer Bergführer« (VSB).78 Aufgrund des mangelnden Interesses der Bergführer aus den anderen Kantonen beschlossen die Berner 1910, den Schweizerischen Verband in den Berner Bergführerverband umzuwandeln.79 Im Jahr 1929 initiierten die Bündner Bergführer einen Anlauf zur Gründung des »Schweizerischen Bergführerverbandes«, der jedoch ebenso scheiterte.80 1941 bat der damalige Zentralpräsident des SAC, ein Bündner, die Berner erneut darum, dem Verein beizutreten. Diese leisteten der Bitte 1942 ebenso Folge wie die Walliser, womit die definitive Gründung des Schweizer Bergführerverbands (SBV) durch die drei grossen Kantonalverbände Bern, Graubünden und Wallis vollzogen war.81 Die damaligen Ziele des Verbands waren gemäss seinen ersten Statuten die Wahrung der Berufsinteressen, die »Pflege treuer Kameradschaft zu allen Berufskollegen und Unterstützung in Not geratener Bergführer« sowie die »Wahrung guter Beziehungen« zu anderen Vereinigungen und »den Bergsteigern überhaupt«, womit sie jenen der lokalen und kantonalen Verbände stark glichen.82 Ein Jahr nach Gründung des SBV schlossen sich ihm auch die Bergführer der Kantone Unterwalden, Uri und Glarus an.83 Noch nicht dabei waren die SAC-Bergführer, die – wie bereits erwähnt – erst 1970 in den Verband aufgenommen wurden. Mit der Revision der Statuten

78 Vgl. Alpina (1906: 92). 79 Berg & Ski (3/2006: 7); Bomio (2006c: 18 f.). 80 Die Alpen Chr (1930: 242); Berg & Ski (3/2006: 8); Bomio (2006c: 22 f.). 81 Berg & Ski (3/2006: 8); SBV (2006: 22 f.); Die Alpen Chr (1942: 394); Truffer (1983a). Im definitiven Gründungsjahr 1942 erschien in der Zeitschrift »Die Alpen« erstmals »Die Seite der Bergführer«, die fortan ihren festen Platz hatte (Die Alpen Chr 1942: 394 f.). Entsprechende nationale Verbände wurden 1946 in Frankreich (»Syndicat national des guides de montagnes«, SNGM, www.sngm.com [Stand: 8.6.2012]), 1966 in Österreich (»Verband der Österreichischen Berg- und Schiführer«, VÖBS, www.berg fuehrer.at [Stand: 8.6.2012]), 1968 in Deutschland (»Verband Deutscher Berg- und Skiführer«, VDBS, www.bergfuehrer-verband.de [Stand: 8.6.2012]) und 1997 in Italien (»Collegio guide alpine nazionale«, www.guidealpine.it [Stand: 8.6.2012]) gegründet. 82 Die Alpen Chr (1942: 394). 83 Die Alpen Chr (1943: 295).

 

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 des SBV im Jahr 2008 wurden auch »Wanderleiter« und »Kletterlehrer« in den Verband integriert.84 Die über 40 Jahre dauernde Gründungsgeschichte des SBV zeugt von der starken kantonalen Verankerung des Bergführerwesens und von der Bedeutung der föderalistischen Strukturen, die bis heute anhalten. Der SBV zählte 1950, also acht Jahre nach seiner zweiten Gründung, 900 Mitglieder.85 Sein Bestand sank bis 1968 auf 674 Mitglieder, bevor er wieder anzusteigen begann. Im Jahr 1983 umfasste der Verband 1000 und im Jahr 2012 gar 1546 Mitglieder.86 Dem SBV gehörten im Herbst 2012 acht Regionalverbände an, sieben kantonale und der interkantonale Bergführerverband.87 Nach Anteil der Mitglieder wie auch nach Einfluss sind die Verbände der Kantone Wallis, Bern und Graubünden bis heute am grössten: rund 34,5 % aller Mitglieder des SBV sind im Walliser Verband organisiert, 24,4 % im Berner und 13,3 % im Bündner. Insgesamt vereinen diese drei Kantone heute also knapp drei Viertel aller Schweizer Bergführer.88 Diese Kräfteverhältnisse führten in den letzten Jahren zu verbandsinternen Diskussionen. Im Januar 2010 diagnostiziert der Waadtländer Bergführerverband gar einen »Mangel an Demokratie« im SBV, denn die Entscheidungen würden »fast immer durch die beiden grossen Regionalverbände Wallis und Bern getroffen«89. Der SBV kennt keine Einzelmitgliedschaft; der einzelne Bergführer ist heute Mitglied einer Sektion – falls der Regionalverband mehrere Sektionen hat – und damit automatisch auch Mitglied eines Regionalverbands, des SBV und der »Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände« (IVBV), auf die weiter unten eingegangen wird.90 Obwohl die Verbandsmitgliedschaft nicht obligatorisch ist, sind – wie Beobachtungen und Expertengespräche zeigten – mit weni-

84 Art. 1 Abs. 1 Statuten SBV 2011. 85 Die Alpen Chr (1950 : 222). 86 Vgl. Jahresbericht SBV (1968; 1983); SBV (2012d). 87 In den Kantonen Waadt, Glarus, Unterwalden und Uri sind die Bergführer direkt Mitglieder des kantonalen Verbands. Der Bergführerverbände Bern, Graubünden und Wallis umfassen sieben, fünf beziehungswiese neun Sektionen, also lokale Bergführervereine (SBV 2012d). Am 1. Dezember 2012 beschlossen die Delegierten des SBV, den rund zwei Monate zuvor gegründeten Interkantonalen Wanderleiterverband als neunten Regional-Verband in den SBV aufzunehmen (SBV 2012c). 88 Das andere Viertel verteilt sich auf den interkantonalen Bergführerverband (11,1%) sowie die Verbände der Kantone Waadt (7,6 %), Unterwalden (4,2 %), Uri (3,4 %) und Glarus (1,4 %) (SBV 2012d). 89 AVGM (2010: 10). 90 Art. 3 Abs. 1 Statuten SBV 2011; Truffer (1983b).

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gen Ausnahmen alle praktizierenden Bergführerinnen und Bergführer Verbandsmitglieder.91 Viele scheinen die Mitgliedschaft auch aufrechtzuerhalten, wenn sie wegen einer anderen Berufstätigkeit oder aus Altersgründen nicht mehr als Bergführer arbeiten.92 Gemäss den heute gültigen Statuten bleibt der SBV den bereits 1942 formulierten Zwecken wie der Wahrung der Berufsinteressen, der Pflege der Kameradschaft, der Unterstützung in Not geratener Bergführer und der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu anderen Akteuren treu, erweitert seinen Zuständigkeitsbereich aber um einige Themen, darunter die »Gewährleistung einer gründlichen Berufsausbildung«, die »Werbung«, Bemühungen im Versicherungs- und im Rettungswesen, die Förderung der Sicherheit und den Einsatz für »eine schonende Nutzung der Natur«.93 Der SBV sieht sich unter Wahrung der kantonalen Interessen für die Koordination der schweizerischen Zusammenarbeit zuständig.94 3.2.4 Eine internationale »Familie« Die Gründung eines internationalen Bergführerverbands wurde anlässlich der Hundertjahrfeier der Erstbesteigung des Matterhorns 1965 in Zermatt beschlossen; vollzogen wurde sie 1966 mit der Verabschiedung der ersten Statuten der »Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände« (IVBV) durch Vertreter der Berufsverbände Italiens, Frankreichs, Österreichs und der Schweiz.95 Im Jahr

91 Wer nicht Verbandsmitglied ist, so der Geschäftsführer des SBV, profitiert nicht von Vergünstigungen auf Bergbahnen und in Hütten, darf die »hochgeschätzte[n]« Abzeichen des SBV und des IVBV nicht tragen und die Fortbildungskurse nicht besuchen. Letzteres könnte sich künftig in Gerichtsverfahren negativ auswirken (SBV 2010). 92 Gemäss den aktuell gültigen Statuten des SBV können Mitglieder, die das 65. Altersjahr überschritten haben und den Beruf nicht mehr aktiv ausüben, »auf Gesuch hin« Passivmitglieder bleiben (Art. 3 Abs. 5, Statuten SBV 2011). 93 Art. 2 Statuten SBV 2011; vgl. auch das Leitbild des SBV (SBV 1998). 94 Vgl. SBV (1998: 4). Seit 1997 besitzt der SBV eine Geschäftsstelle mit Sitz in Zürich (Held 1997a). Im Zuge der Gründung dieser Geschäftsstelle wurden die Statuten des SBV erarbeitet und ein Leitbild erstellt (Statuten SBV 1999; SBV 1998; vgl. Berg und Ski 2/1998: 5; Wörnhard 1998; Held 1998b). Mit der viermal jährlich erscheinenden Zeitschrift »Berg & Ski« (von 1997 bis 1998 hiess sie »Berg und Ski«) hatte der SBV bis zu dessen Einstellung Ende 2011 ein Verbandsorgan. Seit dem Jahr 2000 führt er unter www.4000plus.ch einen Internetauftritt. 95 Vgl. Statuten IVBV; Die Alpen Mb (1965: 289; 290).

 

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 2012 gehörten der Vereinigung 23 Bergführerverbände mit insgesamt 5936 zahlenden Mitgliedern an.96 Mitglied der IVBV kann jede Organisation werden, die in ihrem Land als Berufsverband die Interessen der Bergführer auf nationaler Ebene vertritt und deren Mitglieder ein Bergführerdiplom besitzen, das sie aufgrund eines bestandenen staatlichen Examens erhielten.97 Zweck der Vereinigung ist es gemäss den aktuellen Statuten, »die Beziehungen zwischen den Instanzen, die auf nationaler Ebene für den Bergführerberuf massgebend sind, enger zu knüpfen«98. Sie strebt die Angleichung der Bergführergesetze sowie eine möglichst einheitliche Berufsausbildung an und gibt den Mitgliedern der zusammengeschlossenen Verbände einen einheitlichen internationalen Ausweis ab. Weiter beabsichtigt die Vereinigung, »Probleme allgemeiner und wirtschaftlicher Natur, die den Bergführerberuf betreffen, zu studieren«. Die Bestrebungen zielen darauf ab, den »Bergführern die Ausübung des Berufes im Ausland zu erleichtern« und die »Kameradschaft und den Gedankenaustausch unter den Bergführern aller Nationen« zu fördern.99 Dass die Vereinigung neben den materiellen gerade auch »moralische«100 Ziele verfolgt, kommt deutlich in einem Manifest der IVBV zum Ausdruck, das 1990 zum 125-Jahr-Jubiläum der Erstbesteigung des Matterhorns publiziert wurde: Bergführer, die in der Bergwelt leben und arbeiten, »bilden eine grosse Familie, welche über die Landesgrenzen und die politischen Strukturen hinweg, fern von jeglichem nationalen Chauvinismus, vereint ist«101. Auch an der Brevetierungsfeier im Jahr 2005

96 Aufgenommen sind Aosta/Italien (187), Argentinien (29), Bolivien (40), Deutschland (358), Frankreich (1395), Griechenland (5), Grossbritannien (116), Italien (643), Japan (29), Kanada (141), Nepal (24), Neuseeland (37), Norwegen (67), Österreich (1112), Peru (83), Polen (20), Schweden (38), Schweiz (1220), Slowakei (49), Slowenien (48), Spanien (89), Südtirol/Italien (154), Tschechien (19), USA (77). Im Kandidatenstatus befinden sich Chile, Equador und Kirgistan. Griechenland war bis 2010 Mitglied des IVBV. (IVBV 2012; www.ivbv.info [Stand: 9.6.2012]). Die Zahlen in Klammern benennen die Anzahl der bis 60-jährigen Mitglieder im Jahr 2012. Generalsekretär des IVBV hat gemäss Statuten immer ein in der Schweiz wohnhafter Bergführer zu sein. Die anderen Mitglieder des Vorstandes, inklusive der Präsident, werden nach dem Rotationsprinzip von den Alpenländern Frankreich, Schweiz, Österreich, Italien und Deutschland gestellt (Art. 10 Statuten IVBV). 97 Art. 4 Statuten IVBV. 98 Art. 3 Statuten IVBV. 99 Art. 3 Statuten IVBV. 100 Die Alpen Mb (1965: 289; 290). 101 Die Alpen Mb (1990: 360).

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ermahnte der Generalsekretär des IVBV in seiner Rede die frischgebackenen Bergführer, Berufskollegen, die sie im In- oder Ausland treffen, »zu begegnen wie Brüdern«102. 3.2.5 Föderalistische Strukturen und internationale Gemeinschaft Die berufsständische Organisation der Schweizer Bergführer ist heute also auf vier Ebenen geregelt, der lokalen (einzelne Gemeinden oder Täler), der kantonalen, der nationalen und der internationalen. Die Entstehung dieser Vereine und Verbände vollzog sich vom Kleinen zum Grossen: Ab den 1870er-Jahren entstanden lokale Bergführervereine und ab 1900 kantonale Bergführerverbände. Die nationale Ebene kam mit der Gründung des SBV 1942 und die internationale mit jener des IVBV 1966 hinzu. Auffallend ist, dass die lokalen und kantonalen Verbände in der Verbandslandschaft – trotz der Existenz des SBV und des IVBV seit rund 70 beziehungsweise 50 Jahren – nach wie vor eine überaus zentrale Rolle spielen. Das Bergführerwesen ist noch heute stark vom föderalistischen Prinzip geprägt, was sich neben der rechtlichen Situation und der Verbandslandschaft in der Organisation der Bergführerausbildung manifestiert: Diese ist eidgenössisch anerkannt und die Berufsprüfung untersteht dem Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT).103 Einer inoffiziellen Regel folgend, werden die Kurse aber nach wie vor abwechselnd in den Kantonen Bern, Graubünden und Wallis abgehalten. Die drei Technischen Leiter repräsentieren traditionsgemäss diese drei Kantone. Die Identifikation der Bergführer mit ihren Kantonalverbänden wurde gerade auch nach Entstehen des SBV und des IVBV bewusst gefördert, etwa durch die Einführung regelmässiger lokaler oder kantonaler Bergführerfeste sowie Bergführeruniformen. Damit wurde und wird noch heute aktiv Traditionen beschworen. Bergführerfeste wurden in den 1960er-Jahren erstmals in den Kantonen Wallis, Waadt, Bern und seit 1990 im Kanton Graubünden durchgeführt.104 Das Programm des 44. Bergführerfestes des Kantons Wallis, das am 11. Juni 2005 in

102 Rede von Armin Oehrli, Generalsekretär des IVBV, an der Brevetierungsfeier der Bergführerausbildung, Brig, 21.9.2005. 103 Am 1. Januar 2013 wurde das BBT zusammen mit dem Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF) zum Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). 104 Vgl. Skilehrer + Bergführer (66/1987: 18 ff.); Protokoll DV SBV (1967); Nauer (1990).

 

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 Saas Fee stattfand, verdeutlicht, wie diese Anlässe – besonders jene im Kanton Wallis – typischerweise aufgebaut sind: Nach einer katholischen Messe und einem Aperitif auf dem Dorfplatz fand ein Umzug durch das Dorf statt, an dem die verschiedenen Walliser Bergführervereine in Uniformen und mit ihren Fahnen, die Musikgesellschaft »Alpenrösli« und »Musik der Alten Zeit«, der Jodlerclub »Gletscherecho«, eine Trachtentanzgruppe, die Bergführermusik Zermatt und ein Bergführerchor aus dem Unterwallis teilnahmen. Am Abend gab es ein Bankett mit anschliessenden Ehrungen sowie einem Unterhaltungsabend mit »Disco und Tanzmusik«.105 Wie die Bergführerfeste dürften auch die ersten Uniformen in den 1960er-Jahren eingeführt worden sein.106 Die Bergführerfeste scheinen eine doppelte Funktion zu haben. Zum einen sind sie vergemeinschaftende Anlässe, an denen sich Bergführer eines Kantons wie auch Eingeladene aus anderen Kantonen treffen und die vielbeschworene Kameradschaft pflegen. Zum anderen sind sie Teil einer folkloristischen, sich auf ›Traditionen‹ berufenden und auf die touristische Vermarktung abzielenden »konservierenden Inszenierung«107 von Tourismusdestinationen. Hausegger erachtet diesen Aspekt gar als den wichtigeren, wenn sie über ein Fest der Zermatter Bergführer schreibt: »Zermatter Bergführer in Uniformen, Frauen in Tracht – alle unter sich beim jährlichen Bergführerfest der Stadt. Die TouristInnen bewegen sich irgendwo dazwischen. Nahezu wie Eindringlinge möchte man meinen, wäre nicht alles für sie so vorbereitet […].«108 Der Bedeutung der lokalen und kantonalen Ebene steht die Feststellung gegenüber, dass in den Statuten des SBV und des IVBV genauso wie in jenen der kantonalen Verbände als eines der Ziele die Pflege der Kameradschaft unter den Bergführern genannt wird. Die Bergführer eines Ortes, eines Kantons, der ganzen Schweiz oder gar der ganzen Welt werden darin als Gemeinschaft gezeichnet, die gepflegt werden will und – wie erwähnt – mitunter auch mit der Metapher der Familie umschrieben wird.109

105 BV VS Saas (2005: 25); Feldnotizen: 44. Walliser Bergführerfest, Saas Fee, 11.6.2005. 106 Sterchi (1993: 28). 107 Hausegger (2008: 38). 108 Hausegger (2008: 38). 109 Die Alpen Mb (1990: 360).

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3.3 B ERGFÜHRERAUSBILDUNG Ein wichtiges Element im Zusammenhang mit der Reglementierung des Bergführerwesens war die Bindung der Erlaubnis zum Ausüben des Berufs an das Bestehen einer Prüfung.110 Bald setzte sich die Überzeugung durch, dass künftige Bergführer nicht nur geprüft, sondern auch ausgebildet werden sollten. In der Folge wird die Entwicklung von der Einführung der ersten Kurse bis zur heute dreijährigen, eidgenössisch anerkannten Ausbildung in groben Zügen nachgezeichnet. 3.3.1 Von den ersten Kursen zur eidgenössisch anerkannten Berufsausbildung Federführend bei der Idee, Bergführer auszubilden, war – im Zusammenhang mit seinem allgemeinen Interesse, das Bergführerwesen zu fördern – der SAC. Schon kurz nach der Gründung des Alpen-Clubs beauftragten die CentralComités die kantonalen Sektionen damit, die Ausbildung von Bergführern an die Hand zu nehmen. Daraufhin begannen die Sektionen, in verschiedenen Kantonen Führerkurse abzuhalten.111 1899 erliess der SAC das erwähnte »Reglement über die Führerkurse und die Erteilung der Führerdiplome des S.A.C.«112, in dem Kurs- und Diplomierungsmodalitäten geregelt waren. Der Alpen-Club verpflichtete sich darin, Führerkurse durch Subventionen zu unterstützen. Dieses SACReglement sollte für beide Kategorien Bergführer gelten: die von den Kantonen patentierten und die vom SAC diplomierten.113 Die Pflicht, einen Kurs zu besuchen, fand bald auch Eingang in die kantonalen Reglemente.114 Ab 1900 fanden

110 Vgl. Art. 4 BR BE 1856; Art. 1c BR VS 1857; Art. 2 BR UR 1888; Art. 2 BR Chur 1873. 111 Erste Kurse sollen beispielsweise 1868 im Kanton Graubünden, 1879 in Interlaken, 1882 im Wallis und 1893 im Kanton Uri durchgeführt worden sein (Phillip/Matossi 1996: 7; Jahrbuch SAC 1879/80: 609; Antonietti 2000: 84; Alpina 2/1893: 19; www.top-of-uri.ch [Stand: 9.6.2012]). 112 Reglement BF SAC 1899. Dieses Reglement wurde 1925 durch das »Reglement über die Kurse und die Diplomierung von Bergführern und Skiführern des S.A.C.« (Reglement BF SAC 1925) ersetzt, welches in der Folge mehrmals revidiert und 1977 durch das »Reglement für die Bergführer des SAC« (Reglement BF SAC 1976) abgelöst wurde. 113 Art. 13 Reglement BF SAC 1899. 114 Vgl. Bomio (2006b: 12).

 

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 in den Kantonen Bern, Graubünden, Wallis und teilweise auch in Uri und Nidwalden in unregelmässigen Abständen Bergführerkurse statt.115 Abbildung 3: Teilnehmer des Führerkurses in Meiringen von 1903116

Die Einführung von Kursen wurde nicht von allen Bergführern mit Begeisterung aufgenommen. Die Führer von Engelberg beispielsweise weigerten sich im Jahr 1900, einen von den Kantonen Ob- und Nidwalden für obligatorisch erklärten und von der SAC-Sektion Titlis angebotenen Kurs zu besuchen, dies – wie in der Zeitschrift »Alpina« des SAC vermerkt wurde – »unter der frivolen Vorgabe, dass sie sich in der Sache keinen Zwang anthun lassen und sie eine weitere Instruktion nicht bedürfen, da sie ohnehin auf dem Gebiete des Führerwesens in der Schweiz ihresgleichen [Hervorhebung i. O.] nicht finden [...]«117. Der geplante Kurs musste mangels Interesse abgesagt werden. Auch die Bergführer 115 1903 fand der erste Kurs des Kantons Bern und 1907 der erste des Kantons Graubünden statt (Brawand 1973: 74; Golay 1971: 232). In den Kriegsjahren 1915 bis 1917 sowie von 1938 bis 1940 stand das Kurswesen still (Alpina 1915: 205; 1916: 144; 1917: 174; Die Alpen Chr 1938: 242; 1940: 12). Vgl. Abbildung 3. 116 Alpines Museum der Schweiz, Bern, C. Metzener (1903). 117 Alpina (1900: 160).

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Pontresinas opponierten gegen die Versuche des SAC, sie zu Kursen zu verpflichten. Sie sollen erklärt haben, solche Kurse seien »vollständig überflüssig«, und »wehrten sich auch gegen diese Männer vom SAC, die für die Patentierung absolut nicht fähig und zuständig wären«.118 Bis anhin waren die Kurse nämlich nicht nur vom SAC organisiert, sondern häufig auch von Mitgliedern des SAC – meist Städtern und Akademikern, nicht selten auch mit militärischem Rang – und nur in manchen Fällen mit der Unterstützung von Bergführern durchgeführt worden. Beim Leiter des ersten Kurses im Kanton Uri im Jahr 1893 beispielsweise soll es sich um den damaligen Präsidenten des Central-Comités des SAC, gestellt durch die Sektion Oberland, einen Pfarrer, und bei den Unterrichtenden um einen Professor, einen Ingenieur, einen Mediziner, einen Fürsprecher, einen Rektor, einen Oberförster sowie eine weitere Person unbekannten Berufs gehandel haben.119 Die anfänglichen Widerstände scheinen sich jedoch bald gelegt zu haben. Im Jahr 1942 arbeitete der soeben neu gegründete SBV Direktiven für die Führerprüfung aus und legte diese dem SAC und den kantonalen Bergführerkommissionen vor, worin die Absicht des Berufsverbands deutlich wird, die Ausbildung von Bergführern nicht allein dem SAC und den Kantonen zu überlassen.120 An der Abgeordneten-Versammlung des SBV im Jahr 1950 einigten sich die Delegierten, in der Folge alle drei Jahre einen gesamtschweizerischen Bergführerkurs zu veranstalten, wobei die kantonalen Reglemente gewahrt bleiben und die Kantone die Patente gegenseitig anerkennen sollten.121 1968 wurden im entsprechenden Bergführerkurs im Wallis erstmals »ausserkantonale Klassenlehrer zugezogen«122. 1975/76 wurde die Technische Kommission (TK) des Schweizer Bergführerverbands (SBV) ins Leben gerufen, die aus den drei Technischen Leitern (TL) der Kantone Bern, Graubünden und Wallis sowie je einem Vertreter der übrigen Patentkantone, des Verbands der SAC-Bergführer und einem Mitglied des Central-Comités des SAC bestand. Der TK wurde unter anderem die Aufgabe übertragen, die Bergführerausbildung in der Schweiz zu koordinieren und zu

118 Golay (1971: 127). 119 www.top-of-uri.ch [Stand: 9.6.2012]. Ähnlich sahen die Organisationskomitees der Kurse aus, die 1918 in Pontresina (Alpina 1918: 91), 1919 im Wallis (Alpina 1919: 115) und 1920 in Andermatt (Alpina 1920: 131) zur Durchführung kamen. 120 Die Alpen Chr (1942: 394). 121 Protokoll AV SBV (1950); Die Alpen Chr (1950: 222); Tischhauser (1992: 285). 122 Die Alpen Mb (1970: 74). Vgl. Protokoll DV SBV (1968); Protokoll Zusammenkunft SBV (1968); Die Alpen Mb (1972: 20).

 

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 vereinheitlichen. Sie erarbeitete ein neues Ausbildungskonzept, das anfangs der 1980er-Jahre erstmals zur Anwendung kam.123 Damit war der Einfluss des SAC auf die Bergführerausbildung zugunsten des SBV ein grosses Stück zurückgebunden.124 1988 traf der Vorstand des SBV erste Vorabklärungen hinsichtlich der Anerkennung des Bergführerberufs durch das damalige Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA).125 Diese mündeten in der erstmaligen Durchführung der Bergführerprüfung unter Aufsicht des BIGA im Jahr 1992.126 Heute ist »Bergführer/Bergführerin mit eidgenössischem Fachausweis« ein vom Bund anerkannter und geschützter Berufstitel auf Niveau »Höhere Berufsbildung«. Die Ausbildung untersteht dem Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG)127 und wird vom SBV getragen.128 Die Kurse der dreijährigen Ausbildung werden weiterhin im Turnus von den jeweiligen kantonalen Chefs der Technischen Kommission in den drei Kantonen Bern, Graubünden und Wallis durchgeführt.129 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Verberuflichung des Bergführens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Im Gegensatz zu anderen Berufen, für die es bis etwa um 1900 bereits eidgenössisch anerkannte und vom Bund subventionierte Berufslehren gab,130 bestand die Bergführerausbildung lange Zeit in kurzen, vom SAC beaufsichtigten und durchgeführten Kursen. Erst in den 1990er-Jahren wurde eine Ausbildungs- und Prüfungsform gefunden, die eidgenössisch anerkannt werden konnte. In der Geschichte der

123 Gadola (1984). 124 Das 1976 neu eingeführte SAC-Bergführerreglement galt erstmals nicht mehr für die Bergführer der ganzen Schweiz, sondern lediglich für jene, die vom SAC diplomiert wurden (vgl. Art. 2 Abs. 1-3 Reglement BF SAC 1976). 125 Biner (1992); Hüsser/Zehnder (1992: 11 ff.). Das BIGA wurde 1998 zum Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT). 126 Biner (1992). Vgl. Reglement BF BIGA 1993. 127 BBG 2008. 128 Vgl. Reglement FA BF 2002. Mit der Übertragung der Verantwortung für die Ausbildung an den SBV wurde die Technische Kommission durch die Qualitätssicherungskommission abgelöst. Im Jahr 2012 wurde zusätzlich die Ausbildungskommission ins leben gerufen (vgl. Art. 11 Abs. 1 Statuten SBV 2011), die die Aufgabe hat, die verschiedenen Ausbildungen, die der SBV verantwortet, aufeinander abzustimmen (SBV 2012e). 129 Held (2001b). 130 König (2009).

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Berufsausbildung treten Aspekte zutage, die bereits in anderen Zusammenhängen erwähnt wurden: Der starke Einfluss des SAC auf das Bergführerwesen und die Bestrebungen der Bergführer, sich vom Alpen-Club zu emanzipieren, sowie die starke kantonale Verankerung des Bergführerwesens, die bis heute – was die Ausbildung betrifft – zwar gelockert wurde, aber nach wie vor feststellbar ist. Auf beide Aspekte wird weiter unten näher eingegangen. 3.3.2 Dauer, Zulassungsbedingungen und Inhalte Von den ersten Kursen, die Ende des 19. Jahrhunderts abgehalten wurden, bis zur heutigen Ausbildung haben sich Dauer, Zulassungsbedingungen und Inhalte des Lehrgangs stark verändert. Die ersten Kurse dauerten zwischen sechs und zehn Tagen und fanden entweder am Stück oder verteilt auf einige Sonntage statt.131 Wer den Kurs bestand, erhielt ein »Diplom zweiter Klasse (Anfängerdiplom)«, das nach drei Jahren unter bestimmten Bedingungen und auf Gesuch hin in ein »Diplom erster Klasse« umgewandelt wurde.132 Nachdem vor der Jahrhundertwende das Skifahren aufgekommen war, ergriff – einmal mehr – der SAC die Initiative, die Sportart unter den Bergführern zu fördern. 1901 fand ein Skikurs in Zermatt statt, in dem zwei »Herren« aus Zürich und Bern die Bergführer im Skifahren unterrichteten.133 1914 trat ein vom SAC erlassenes Skiführer-Reglement in Kraft und ab den 1920er-Jahren wurden regelmässig Skiführerkurse für Bergführer angeboten; einige Jahre später wurden diese Kurse für obligatorisch erklärt.134 1941 beschloss das Central-Comité Bernina des SAC, nur noch Führerkurse zu subventionieren, bei denen der Sommer- und der Winterteil getrennt abgehalten wurden.135 Diese hatten neu mindestens drei, ab 1965 sogar vier Wochen zu dauern.136 Im SAC-Reglement von 1976 ist erstmals die Aufteilung der Ausbildung in einen »Bergführerkandidaten-Kurs« und einen »Bergführer-Kurs« festgehal-

131 Jahrbuch SAC (1879/80: 609; 1881/82: 544 f.); www.top-of-uri.ch [Stand: 8.6.2012]; Art. 4 Reglement BF SAC 1899. 132 Art. 10 und 11 Reglement BF SAC 1899. Diese Aufteilung sieht auch das Reglement von 1925 vor. Danach wird sie aufgegeben. 133 Alpina (1902: 35). 134 Skiführer-Reglement SAC 1913; vgl. Alpina (1914: 15; 1920: 183); Die Alpen Chr (1926: 96; 1930: 242; 1937: 239). 135 Die Alpen Chr (1941: 171). 136 Vgl. Art. 11 Reglement BF SAC 1943 und 1965.

 

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 ten.137 Bedingung für die Anmeldung zum Bergführerkurs war eine mindestens zweijährige Tätigkeit als Bergführerkandidat. Die Ausbildung zum Bergführer dauerte damit erstmals drei Jahre.138 Die Zulassung zu den Bergführerkursen war von Beginn weg an Bedingungen geknüpft. Die Anforderungen an technische Kenntnisse und Erfahrungen nahmen im Laufe der Zeit zu. Während das Reglement von 1899 von den Kandidaten lediglich verlangte, dass sie »mit ihrer Landesgegend genau vertraut« waren, schrieb jenes von 1925 vor, dass sich der Kandidat einige Jahre lang als Träger auf den Führerberuf vorbereitet hatte. Ab 1943 mussten die Kandidaten nachweisen, dass sie mindestens zehn Hochtouren unter »kundiger Leitung« durchgeführt und sich »gründlich« auf den Kurs vorbereitet hatten. 1949 kam das Beherrschen des Tourenskilaufs hinzu und 1965 wurden »Klettertouren« erstmals explizit erwähnt.139 Gewähr, dass die Kandidaten die notwendigen körperlichen, charakterlichen und alpinistischen Voraussetzungen mitbrachten, versuchte man seit dem Reglement von 1899 etwa über das Verlangen eines Mindest- und später auch Höchstalters140, einer ärztlichen Bescheinigung141, eines besuchten Samariterkurses142 sowie eines guten Leumunds143 zu erlangen. Das Reglement von 1925, mitten in der damaligen national aufgeheizten Stimmung erlassen, liess nur noch Schweizerbürger zur Ausbildung zu, die

137 Reglement BF SAC 1976. Ein Kurs für Bergführerkandidaten fand erstmals im Jahr 1972 statt (Die Alpen Mb 1972: 24). 138 Art. 15 und 19 Reglement Bergführer SAC 1976. 139 Art. 3 Reglement BF SAC 1899; Art. 10 Reglement BF SAC 1925; Art. 10 Reglement BF SAC 1943; Die Alpen Chr (1949: 107); Art. 10 Reglement BF SAC 1965. 140 Die Altersbeschränkungen variierten im Laufe der Zeit zwischen 18 und 22 für das Mindestalter beziehungsweise 28 und 36 Jahren für das Höchstalter. 1990 wurde die obere Altersbeschränkung aufgehoben, sodass heute lediglich das Mindestalter 19 gilt (Art. 3 Reglement BF SAC 1899; Art. 10 Reglement BF SAC 1925; Art. 10 Reglement BF SAC 1943; Art. 10 Reglement BF SAC 1965; Art. 15 Reglement BF SAC 1976; Schärli 1976a; Fähndrich 1990; SBV 2003). 141 Art. 3 Reglement BF SAC 1899; Art. 16 Reglement BF SAC 1976. 142 Art. 11b Reglement BF SAC 1899; Art. 14d Reglement BF SAC 1925; Art. 10e Reglement BF SAC 1943; Art. 10e Reglement BF SAC 1965; Art. 16g Reglement BF SAC 1976). 143 Teilweise wurden zusätzlich mehrere Referenzen oder Empfehlungen durch Vertrauenspersonen verlangt oder gar die Beilage eines Strafregisterauszugs (Art. 3 Reglement BF SAC 1899; Art. 10 Reglement BF SAC 1925; Art. 10 Reglement BF SAC 1943; Art. 10 Reglement BF SAC 1965; Art. 15 Reglement BF SAC 1976).

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militärdiensttauglich waren.144 Damit waren Ausländer, nicht militärdiensttaugliche Männer und indirekt auch Frauen von der Ausbildung ausgeschlossen. Die Militärdiensttauglichkeit blieb bis zum Reglement von 1976 Zulassungskriterium. Dass es danach nicht mehr auftaucht, dürfte eine Folge des Bundesgerichtsentscheids zum Fall Aldo Caminada gewesen sein.145 Die Schweizer Staatsbürgerschaft blieb bis mindestens 1980 als Zulassungskriterium bestehen.146 Neben den Anforderungen an Kandidaten waren in den Reglementen ab 1925 auch die Pflichten bereits diplomierter oder patentierter Bergführer festgehalten: Sie hatten etwa eine Unfallversicherung und ab 1976 eine Haftpflichtversicherung abzuschliessen und sich an Rettungsaktionen im Gebirge zu beteiligen. In der Veränderung der Ausbildungsinhalte im Laufe der Zeit widerspiegeln sich die Entwicklung des Alpinismus wie auch allgemeine gesellschaftliche Tendenzen. Von Beginn weg wurde zwischen praktischen und theoretischen Fächern unterschieden. In den ersten Reglementen nahm die Beschreibung der theoretischen Fächer weit mehr Platz ein als jene der praktischen. Offensichtlich ging man davon aus, dass die Kandidaten das praktische Wissen mitbrachten und vor allem theoretisch ausgebildet werden mussten. Gemäss dem Reglement von 1899 bestand der praktische Unterricht »in Exkursionen im Hochgebirge und Übungen auf Felsen, Firn und Gletscher«147 und in jenem von 1925 war schlicht von »praktischen Übungen«148 die Rede, in denen der Kandidat seine Fähigkeiten unter Beweis stellen musste. In den Reglementen von 1943 und 1965 beinhaltet die praktische Ausbildung neben der Technik des Bergsteigens unter anderem jene »des alpinen Skilaufens und der Skihochtouren«149. Die theoretischen Ausbildungsinhalte bezogen sich einerseits auf technisches Wissen wie etwa das Kartenlesen oder die »Technik des Bergsteigens«, andererseits auf

144 Art. 10 Reglement BF SAC 1925. 145 Aldo Caminada hatte nach Absolvieren der Rekrutenschule den Militärdienst verweigert, worauf ihm 1975 der Zutritt zum Bergführerkurs vom Central-Comité des SAC verwehrt wurde. Caminada reichte daraufhin eine staatsrechtliche Beschwerde ein, die vom Bundesgericht gutgeheissen wurde (vgl. BGE 103 Ia 544; vgl. Anthamatten 1986: 167 ff.). 1978 beschloss der SAC in einer knapp ausgefallenen Abstimmung, den Artikel zur Militärdienstpflicht aus dem Reglement zu streichen (Die Alpen Mb 1978: 226 f.). 146 Die Alpen Mb (1980: 26). 147 Art. 6 Reglement BF SAC 1899. 148 Art. 13 Reglement BF SAC 1925. 149 Art. 12 Reglement BF SAC 1943; Art. 12 Reglement BF SAC 1965.

 

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 Verhaltensregeln wie die »Pflichten der Führer gegen ihre Reisenden«, die »Aufgabe der Führer bei Unglücksfällen« oder »Hygiene und Reinlichkeit«, wobei die technischen Inhalte im Laufe der Zeit gegenüber den Verhaltensregeln an Bedeutung gewannen.150 Nachdem festgestellt wurde, dass die Anzahl der Lawinenunfälle, von denen auch Bergführer betroffen waren, von 1944/45 bis 1973/74 stark zugenommen hatte, wurde die Ausbildung ab 1981 um einen einwöchigen Lawinenkurs auf neun Wochen verlängert.151 1985 beschloss die Technische Kommission des SBV, das Sportklettern in den Kurs zu integrieren.152 Der Einführung des Sportkletterns standen einige Bergführer und Clubisten von Beginn weg skeptisch gegenüber. In den »Alpen« bemängelte man 1980, »viele jungen Burschen […] [seien] der irrigen Auffassung, ein extremer Fels- und Eiskletterer sei zum Bergführer prädestiniert«153. Über zwanzig Jahre später wurde in der Verbandszeitschrift der Bergführer beklagt: »Die Kletter-Cracks können nicht mehr (gut) Ski fahren« und haben »keine alpinistische Erfahrung mehr«.154 Dass das Sportklettern bis heute die Geister zu spalten vermag, wird in den Interviewanalysen deutlich werden. 1998 stand in der Verbandszeitschrift zu lesen, »[d]ie Anforderungen an den Bergführer werden neben der eigentlichen Führungsaufgabe immer vielfältiger. Er müsste heute nicht nur Führer und Animator, sondern auch Ausbildner, Historiker, Glaziologe, Geologe und Mythologe sein. Doch in der Bergführerausbildung werden diese Themen stiefmütterlich behandelt«155. Im Zusammenhang mit der Modularisierung der Bergführerausbildung im Jahr 2002 versuchte man zumindest einen Teil dieser Mängel zu beheben. Die Ausbildung wurde um Inhalte aus den Bereichen Marketing, Betriebsführung, Kommunikation, Grup-

150 Art. 5 Reglement BF SAC 1899; Art. 12 Reglement BF SAC 1937; Art. 12 Reglement BF SAC 1943; Art. 12 Reglement BF SAC 1965. 151 Schild (1982: 13). 152 Skilehrer + Bergführer (63/1987: 13); Berg & Ski (4/1994: 4); Tischhauser (1995). Mit »Sportklettern« wird das Klettern an gut abgesicherten Felswänden oder künstlichen Wänden im Freien oder in der Halle bezeichnet (vgl. www.jugendundsport.ch [Stand: 9.6.2012]). Anders als beim alpinen Bergsteigen geht es beim Sportklettern nicht primär darum, einen Gipfel zu besteigen, sondern um die sportliche Bewältigung einer meist kurzen Kletterroute. 153 Die Alpen Mb (1980: 57). 154 Held (2003). 155 Meyer (1998: 28).

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pendynamik, Recht sowie Natur- und Umweltkunde und um einen zweitägigen Eintrittstest erweitert und entsprechend verlängert.156 3.3.3 Aktuelle Bergführerausbildung Voraussetzung, um zur Bergführerausbildung zugelassen zu werden, sind heute neben einem Abschluss auf Sekundarstufe II das vollendete 19. Altersjahr, der Besitz eines Samariterausweises, ein Arztzeugnis, die Empfehlung eines Bergführers, der Abschluss einer Unfall- und einer Privathaftpflichtversicherung sowie der Nachweis von mindestens 50 absolvierten Touren.157 Die Ausbildung dauert – sofern kein Ausbildungsteil wiederholt werden muss – drei Jahre und umfasst insgesamt 13 (Teil-)Module. Das erste Modul besteht in einem obligatorischen zweitägigen Eintrittstest; er dient als »Standortbestimmung« und ist »nicht eliminierend«, das heisst, wer ihn nicht besteht, darf die Ausbildung trotzdem beginnen.158 Die weiteren Module müssen in der vorgeschriebenen Reihenfolge absolviert werden, wobei die Zulassung zu einem Modul vom Bestehen des vorhergehenden abhängig ist.159 Die Module dauern zwischen 1 und 16 Tagen. Insgesamt umfassen alle Module zusammen 91 bis 93 Ausbildungstage.160 Die Module werden mit Erfahrungsnoten, technischen Fachprüfungen und beziehungsweise oder Theorieprüfungen abgeschlossen.161 Damit ist der Ausbildung jenes Strukturmerkmal bis heute inhärent, das bereits bei den ersten Bergführerkursen augenfällig wurde: In den Kursen, die Prüfungscharakter haben, müssen Kandidatinnen und Kandidaten Können unter Beweis stellen, das sie sich zuvor selbst angeeignet haben. Zusätzlich wird ihnen führerspezifisches Wissen und Können vermittelt.162

156 Held (2001a); Berg & Ski (2/2002: 10 f.); Meyer (2003). 157 Art. 11 Abs. 2 Wegleitung FA BF 2010; SBV (2003; 2012b); Art. 26 Abs. 2 BBG. 158 SBV (2003). 159 Art. 19 Wegleitung FA BF 2010. 160 Art. 19 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 Wegleitung FA BF 2010. 161 Art. 22 Wegleitung FA BF 2010. 162 Die Selektivität dieser Kurse kommt besonders deutlich im fünfteiligen, im Jahr 2003/2004 im Westschweizer Schweizer Fernsehen ausgestrahlten Dokumentarfilm »Profession: Guide de montagne« zum Ausdruck. Angehende Bergführerinnen und Bergführer werden darin durch die Ausbildung begleitet. Die Frage, wer von ihnen den jeweiligen Kurs besteht, ist zentrales Spannungselement des Films. Damit orientiert er sich am Muster von Reality-TV-Shows.

 

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 Zum ersten Teil der Ausbildung gehören die Module Lawinen, Steileis163, Medizin, Winter I, Material/Sturzmechanik, Sportklettern und Sommer I. Kandidatinnen und Kandidaten, die diesen ersten Teil der Ausbildung erfolgreich absolviert haben, erhalten den Bergführeraspirantenausweis und gelten fortan als Aspiranten oder Aspirantinnen.164 Der zweite Teil besteht in einem Zwischenjahr; in dieser Zeit soll der Bergführeraspirant oder die -aspirantin auf mindestens 40 Touren Praxiserfahrung sammeln.165 Die Touren sind unter »Oberaufsicht« von IVBV Bergführern zu absolvieren.166 Zudem müssen in diesem Teil die Module Natur und Umwelt, Betriebsführung sowie Kommunikation besucht werden.167 Im dritten Teil werden die Module Winter II und Sommer II besucht, wobei im Rahmen des Sommer-II-Moduls auch die Abschlussprüfung stattfindet.168 Die Kosten für die Ausbildungskurse müssen vom Kandidaten, von der Kandidatin selbst getragen werden und belaufen sich für das Jahr 2013 auf 25 800 Schweizerfranken.169 Von 1992, dem Jahr der BIGA-Anerkennung der Ausbildung bis 2011 haben durchschnittlich rund 35 Personen pro Jahr die Bergführerausbildung erfolgreich abgeschlossen.170 Bergführer und Bergführerinnen mit eidgenössischem Fachausweis sind heute verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren mindestens zwei frei wählbare Fortbildungskurse zu besuchen.171 Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, verliert die Jahresmarke des SBV. Neben der Bergführerinnen- und Bergführerausbildung bietet der SBV heute auch die Ausbildungen »Wanderleiter/-in« (seit 2007) und »Kletterlehrer/-in«

163 Das Steileisklettern wurde im Jahr 2000 in die Bergführerausbildung aufgenommen (Held 2000b). 164 Art. 19 Abs. 2 Wegleitung FA BF 2010. 165 Art. 20 Abs. 1 Wegleitung FA BF 2010. 166 Art. 20 Abs. 1 Wegleitung FA BF 2010. 167 Art. 20 Abs. 3 Wegleitung FA BF 2010. 168 Art. 21 Wegleitung FA BF 2010. 169 SBV (2012a). Zu diesen Kurskosten kommen Auslagen für Ausrüstung, Material und Reisen hinzu. 170 BfS (2010a; 2012). Von 2005 bis 2011 nahmen pro Jahr durchschnittlich rund 46 Personen am Eintrittstest teil, durchschnittlich 28 Personen absolvierten die Aspirantenprüfungen und 28 die Bergführerprüfungen erfolgreich (Ausbildungssekretariat SBV 2012). Diese Zahlen deuten darauf hin, dass im ersten Ausbildungsjahr über ein Drittel der Kandidatinnen und Kandidaten die Selektionshürden nicht überwinden. 171 Art. 3, Fortbildungsreglement SBV 2010.

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(seit 2004) sowie die Zusatzausbildungen »Canyoning-Guide« und »Kurse für Arbeiten am hängenden Seil« an.172

3.4 P ICKEL

ANSTATT

S UPPENKELLE

1983 begann Nicole Niquille als erste Frau in der Schweiz die Bergführerausbildung, 1986 schloss sie diese ab. Seither haben es ihr bis 2012 28 Frauen gleichgetan. Ende 2012 machten Frauen rund 1,8 Prozent der 1546 SBV-Mitglieder aus.173 Nicole Niquille war nicht die erste Frau, die sich darum bemühte, zur Bergführerausbildung zugelassen zu werden. Erste entsprechende Versuche von Frauen gab es spätestens Ende der 1950er-Jahre. Die 1934 geborene Alpinistin und spätere Professorin für Volkswirtschaftslehre, Heidi Schelbert, wandte sich – wie sie sich erinnert – etwa 1958 mit der Bitte an den SAC, in die Bergführerausbildung aufgenommen zu werden. Als ihr gesagt wurde, die Aufnahme bleibe militärdiensttauglichen Personen vorbehalten, trat sie in den Frauenhilfsdienst der Armee (FHD) ein, um bei einer weiteren Anfrage beim SAC zu erfahren, dass die Mitgliedschaft in diesem Hilfsdienst für die Aufnahme in die Bergführerausbildung nicht reiche.174 Auch Eva Isenschmid, einer Alpinistin und wissenschaftlichen Fotografin, soll der Eintritt in die Bergführerausbildung in den 1970er-Jahren verwehrt worden sein.175

172 SBV (2006: 2); Protokoll DV SBV (2006). Beim Canyoning werden Schluchten entlang des Wasserlaufes durchstiegen, häufig im wilden Wasser und verbunden mit Abseilen, Klettern und Schwimmen. »Arbeiten am hängenden Seil« sind Arbeiten, die in der Höhe oder unter Absturzgefahr ausgeführt werdenund deshalb angeseilt erfolgen (vgl. www.4000plus.ch [Stand: 9.6.2012]). 173 SBV (2012d). Die Zusammensetzung der Absolventinnen und Absolventen der Bergführerausbildung der letzten Jahre weist darauf hin, dass sich dieser Anteil in naher Zukunft kaum stark erhöhen wird: Im Herbst 2012 wurden zwar drei Frauen brevetiert (SBV 2012d). Unter den 25 im Jahr 2008, den 30 im Jahr 2009, den 23 im Jahr 2010 und den 28 im Jahr 2011 brevetierten Bergführern war jedoch keine einzige Frau (Berg & Ski 4/2008: 27; www.4000plus.ch [Stand: 31.1.2010, 10.10.2010 und 22.9.2011]). 174 Purtschert (2010: 57); Schelbert (2010). 175 Stattdessen begleitete sie den Bergführer-Ausbildungskurs im Jahr 1970 als Fotoreporterin. Einige ihrer Fotos sind noch heute im Alpinen Museum in Bern archiviert (Stalder 2005).

 

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 Dass der Bergführerberuf Männern vorbehalten bleiben solle, scheint bis in die 1970er-Jahre derart selbstverständlich gewesen zu sein, dass es weder in den ersten kantonalen Bergführerreglementen noch in den zitierten Ausbildungsreglementen des SAC explizit festgehalten werden musste.176 Ab den frühen 1970erJahren tauchen in vereinzelten Dokumenten des SBV und des SAC Hinweise auf Diskussionen über die Zulassung von Frauen zum Bergführerberuf auf. So befasste sich der SBV 1972 mit der »Gleichberechtigung der Frauen«: »Es sind Anfragen gemacht worden, ob Frauen zu den Bergführerkursen zugelassen werden könnten. Ich glaube, wir sollten das zu einem Beschluss erheben, dass die Zulässigkeit zum Bergführerkurs nur Personen männlichen Geschlechtes gestattet sein darf. Das wollen wir den Frauen doch ersparen!«177, vermerkte der Präsident in seinem Jahresbericht, ohne genauer auszuführen, was den Frauen (oder etwa den Männern?) erspart bleiben soll. Während der SBV vorerst bei seiner Haltung blieb, beschloss der Kanton Uri 1973, Frauen den Zutritt zum Beruf zu gewähren. Urner Führerinnen hätten den Kurs allerdings in einem der drei Gebirgskantone Wallis, Bern oder Graubünden besuchen müssen, wo sie noch nicht zur Ausbildung zugelassen waren. Eine Urnerin soll den Kurs dann Anfang der 1980er-Jahre begonnen, ihn jedoch abgebrochen haben.178 Auslöser für die Diskussionen rund um die Aufnahme von Frauen dürften zum einen Frauen wie Heidi Schelbert und Eva Isenschmid gewesen sein, die mit ihren Gesuchen die Verbände zur Stellungnahme zwangen. Zum anderen fallen die Diskussionen in die Zeit der zweiten Frauenbewegung nach 1968, die unter anderem zur Einführung des Frauenstimmrechts 1971 und zur Verankerung der Gleichstellung in der Bundesverfassung im Jahr 1981 führte.179 Schliesslich dürfte vor allem auch der bereits erwähnte Bundesgerichtsentscheid von 1977 zu Aldo Caminada, der den Militärdienst verweigert hatte, zur Aufhebung des Ausschlusses von Frauen beigetragen haben. Zunächst allerdings wollte zumindest die interkantonale Bergführer-Kommission am Kriterium der Militärdiensttauglichkeit festhalten. Diese sollten nun auch Frauen durch die Mitgliedschaft im FHD erfüllen können: »Grundsätzlich ist niemand gegen eine Zulassung von Frauen zum Führer-Beruf. Die Bedingungen zum Führerberuf

176 Jedoch stand in der Bergführerverordnung des Kantons Bern von 1972 zu lesen, der Beruf sei Männern vorbehalten (Bomio 2006b: 13), und auch in den »Alpen« wurde 1976 gemeldet, zum Bergführerkurs würden »nur Schweizer Bürger männlichen Geschlechts« zugelassen (Schärli 1976a). 177 Jahresbericht SBV (1972: 2). 178 Oechslin 1982. 179 Joris (2008); Voegeli (2006).

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könnten auch von Frauen erfüllt werden. Insbesondere die Diensttauglichkeit könnte durch Eintreten in den FHD bestimmt werden. Beschluss: Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, sollen Frauen an den Eintrittsprüfungen teilnehmen können und wenn sie dieselben bestehen, sollen sie zu Führern ausgebildet werden.«180 Etwas mutiger klingt es zwei Jahre später im Jahresbericht des Präsidenten des SBV von 1983, in dem bemerkt wird, die Protokolle dürften viel interessanter werden, »wenn endlich einmal eine emanzipierte Schweizerfrau wagt, an Stelle der Suppenkelle beruflich den Pickel zu schwingen«181. Nun schien der Boden für Frauen soweit geebnet zu sein, dass Nicole Niquille in die Ausbildung aufgenommen wurde, ohne dass sie sich dieses Recht hätte erkämpfen müssen.182

3.5 »V OM B ERGLER

ZUM

U NTERNEHMER « 183

In der Entwicklung der Bergführerausbildung widerspiegelt sich jene der Berufstätigkeit des Bergführers. Diese wiederum wandelte sich in Abhängigkeit von alpinistischen, technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Es veränderten sich die Art der Touren, die Art und Anzahl der Kundinnen und Kunden und auch die Art und Weise, diese zu gewinnen. 3.5.1 Klassische Hochtouren Im 19. Jahrhundert bestand die Arbeit von Führern und Trägern ausschliesslich in der Begleitung ihrer damals so genannten Herren auf – heute als ›klassisch‹ geltenden – Sommer-Hochtouren. Diese führten über Gletscher und Felsen und zielten auf die Besteigung von Gipfeln. Ab etwa 1900 kamen Winterbesteigungen auf Skiern hinzu.184 Die Erstbesteigungen von Beginn bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden meist von einem oder mehreren ›Herren‹ in Begleitung

180 Protokoll IKBK (1981). FHD steht für den Frauenhilfsdienst. Dieser war 1939 gegründet worden und wurde im Jahr 1986 durch den Militärischen Frauendienst (MFD) abgelöst (Weck 2008). 181 Jahresbericht SBV (1983). 182 Jedenfalls findet sich im Archiv des SBV keine Korrespondenz rund um ihre Aufnahme und auch sie selbst erwähnt in einem Interview nichts dergleichen (Film »Nicole Niquille. Guide de montagne« 1987). 183 Kopp (2001). 184 Alpina (1901: 35; 151; 1913: 173).

 

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 mehrerer Bergführer und Träger durchgeführt.185 Die Führer wurden für mehrere Tage, manchmal auch für mehrere Wochen, selten gar für den ganzen Sommer verpflichtet. In der Folge sank die Anzahl der Führer und Träger, die für eine Tour engagiert wurden. Es soll jedoch bis zum Ersten Weltkrieg üblich gewesen sein, für grössere Touren zwei Bergführer anzustellen.186 Neben den klassischen Hochtouren in den europäischen Alpen wurden Bergführer von ihren ›Herren‹ bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts für alpinistische Expeditionen etwa in den Himalaya, den Kaukasus, nach Neuseeland oder nach Südamerika verpflichtet.187 Bis zum Ersten Weltkrieg gewannen Bergführer ihre Kunden hauptsächlich durch »Lotzen«, besonders in von Reisenden häufig aufgesuchten Orten wie Grindelwald oder Zermatt: Die Bergführer, die weder ein Telefon besassen noch dort wohnten, wo sich die Reisenden aufhielten, sammelten sich an bestimmten Plätzen, wo sie auf Kunden warteten oder gar »lauerten«. In Grindelwald soll die Bank, auf der sie vor den Hotels sassen, »›Spetterbaich‹ (Spötterbank)« genannt worden sein, wobei sich der Spott auf Nichtführer männlichen, »aber besonders weiblichen Geschlechts« bezogen haben soll.188 Auch konnte es durchaus vorkommen, dass der Führer den Touristinnen und Touristen nachlief und sie zu überzeugen versuchte, mit ihm eine Tour zu unternehmen. Dieses »Lotzen« dürfte es gewesen sein, das – wenn es zu eindringlich oder von nicht qualifizierten Personen betrieben wurde – als belästigend empfunden wurde und zu den erwähnten Klagen führte. Neben dem »Lotzen« fanden Reisende und Führer teilweise auch über die Vermittlung von Hoteliers und Wirten zueinander. Manche Alpinisten und Alpinistinnen kannten ihre Führer bereits von früheren Touren her und fragten sie direkt an. Auch die Mund-zu-Mund-Propaganda dürfte damals eine wichtige Rolle gespielt haben. 3.5.2 Krisen und Gegenstrategien Verfolgt man die Berichte in der Zeitschrift »Die Alpen«, so wird deutlich, dass das Bergführerwesen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer veritablen Krise steckte. Während der Weltwirtschaftskrise und den beiden Weltkriegen ging die Anzahl der Touristinnen und Touristen, welche die Schweiz aufsuchten, stark zurück, und den Schweizerinnen und Schweizern fehlte das Geld, um Ur-

185 Vgl. Egger (1946). 186 Brawand (1973: 80). 187 Egger (1946: 337 ff.). 188 Brawand (1973: 65 f.)

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laub zu machen.189 Hinzu kam, dass das führerlose Bergsteigen ab 1900 an Bedeutung gewann.190 Viele Bergsteiger eigneten sich selbst so gute alpinistische Kenntnisse an, dass sie auf die Begleitung von Führern verzichten konnten. Der SAC bot Touren und Kurse an, für die immer öfter auf Bergführer verzichtet wurde, und auch die Armee bildete in Gebirgskursen ab den 1940er-Jahren Alpinisten aus.191 Gemäss den Berichten in den »Alpen« zog sich die Krise bis in die 1950er-Jahre.192 Der Bergführerberuf vermöge seine Leute nicht mehr zu ernähren, wobei sich die Lage von Jahr zu Jahr verschlimmere, war 1954 in den »Alpen« zu lesen.193 Noch pessimistischer klingt es zwei Jahre später: »Der Niedergang des geführten Bergsteigens scheint nicht mehr aufgehalten werden zu können.«194 Ganz so schlimm kam es nicht: Ab den 1960er-Jahren nahmen die Klagen über den mangelnden Verdienst ab.195 Ausdruck der schwierigen Situation und der darauffolgenden Besserung sind die erwähnten Mitgliederzahlen des SBV: Zwischen 1950 und 1968 sank die Anzahl der Verbandsmitglieder von 900 auf 674, bevor sie wieder anstieg.196 Von verschiedensten Seiten her wurde auf diese Krisen reagiert. Bereits während des Ersten Weltkriegs lancierte die »Association of British Members of the Swiss Alpine Club« (ABMSAC) eine Hilfsaktion, um die durch den Krieg in Not geratenen Bergführer zu unterstützten.197 Der SAC richtete zwischen 1938 und 1958 wiederholt Appelle an seine Mitglieder, gerade in schwierigen Zeiten

189 Philipp/Matossi (1996: 60); Die Alpen Chr (1949: 237). 190 Das ›Problem‹ der Führerlosen wird in der Zeitschrift »Alpina« des SAC zwischen 1896 und 1908 ausgesprochen intensiv diskutiert und taucht ab den 1920er-Jahren in den »Alpen« in regelmässigen Abständen auf. 191 Die Alpen Chr (1944: 314; 1950: 222). 192 Die Alpen Chr (1951: 169; 1953: 189). 193 Die Alpen Chr (1954: 189; vgl. 1955: 119). 194 Die Alpen Chr (1956: 227). 195 1960 wird in den »Alpen« erstmals festgestellt, die »Beschäftigungslage der Bergführer [sei] […] im Sommer 1959 […] erfreulich gut« gewesen und die »Zahl der ausländischen Alpinisten [habe] stark zugenommen«. (Die Alpen Mb 1960: 194). Der Aufschwung hielt bis in die 1970er-Jahre an, in denen sich die Folgen der Rezession bemerkbar machten (Jahresbericht SBV 1974; 1976; 1977). 196 Vgl. Die Alpen Chr (1950 : 222); Jahresbericht SBV (1968; 1983); SBV (2012d). 197 Philipp/Matossi (1996: 30). Die ABMSAC war 1909 gegründet worden und existiert bis heute (www.abmsac.org.uk [Stand: 9.6.2012]). Unter anderem ermöglichte sie durch Spenden den Bau der 1912 im Kanton Wallis erstellten Britanniahütte (Bartu 2007).

 

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 bei SAC-Touren nicht auf den Zuzug von Bergführern zu verzichten, wobei er mit zunehmenden Unfällen und mit der Sicherheit argumentierte: »Sicherlich hat der S.A.C. grösstes Interesse daran, dass unserem Land eine tüchtige Schar von Berg- und Skiführern einschliesslich Trägern erhalten bleibt. Die Zeiten werden wieder kommen, da auch der fremde Bergsteiger bei uns einen Führer verlangt. Bis dahin wollen wir nach Möglichkeit darnach trachten, in unseren S.A.C.Sektionen noch in vermehrtem Mass als bisher für die Touren die Dienste unserer Bergführer und Träger zu beanspruchen. Wir reduzieren damit die Verantwortung der Tourenchefs und vermindern die Gefahr von Unfällen.«198 Diese Verquickung von Argumenten der Sicherheit mit berufsständischen Interessen gehört bis heute zum rhetorischen Standardrepertoire von Akteuren, die sich für das Bergführerwesen stark machen.199 Bergführer selbst sollten – so die Devise des SAC ab Kriegsende – ein Handwerk kennen und eine Berufslehre absolviert haben, um nicht ausschliesslich von den Einkünften aus dem Führen abhängig zu sein. Während die SAC-Ausbildungsreglemente von den Bergführerkandidaten die Absicht verlangten, den Beruf tatsächlich auszuüben,200 wurde den Führern nun plötzlich vorgehalten, dass sie das Führen als ihren Hauptberuf betrachteten, und einige mussten sich von einem Autor gar den Vorwurf der Faulheit gefallen lassen: »[M]an trifft sie an Fremdenkurorten stundenlang auf Treppenstufen, Wegmäuerchen oder Bänken auf Dorfplätzen oder vor Hotels hocken, plaudernd, rauchend, oft genug auch vorbeigehende Bergsteiger kritisierend, und man trifft sie nur zu häufig abends in den Bars und Cafés, vor allem im Winter zur ›Skilehrerzeit‹…«201

198 Die Alpen Chr (1949: 237). 199 In den 1970er-Jahren warb der SBV mit dem Slogan »Bergführer = Sicherheit!« und in den 1980ern mit »Bergführer = mehr Sicherheit« (Jahresbericht SBV 1972; Die Alpen Mb 1982: 3; Thomann 1979). Jüngstes Zeugnis dieses Einsatzes für berufsständische Interessen unter Rückgriff auf den Sicherheitsdiskurs sind die Diskussionen um das »Bundesgesetz über das Bergführerwesen und das Anbieten von Risikoaktivitäten«, in denen der Sicherheitsaspekt als das schlagende Argument angeführt wird. Angesprochen auf die Frage, was sich der SBV von einem Rahmengesetz verspreche, meinte ein Vertreter des SBV in einem Interview: »Mit Protektionismus hat das nicht viel zu tun. Es geht um die Sicherheit des Gastes.« (Held 2000a: 16). 200 Im Reglement von 1925 war gar explizit festgehalten, der SAC anerkenne keine »Amateurführer« (Art. 3 BR SAC 1925). 201 Oechslin (1946a: 107); Die Alpen Chr (1945: 304; 1954: 219).

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Der schwierigen wirtschaftlichen Lage gewahr, versuchte der SAC aber auch Schweizerinnen und Schweizer zu Ferien in den Bergen zu motivieren: »Macht Ferien – schafft Arbeit!«202 wurde 1940 in den »Alpen« geworben. In die gleiche Richtung zielte die Subventionierung von Bergführertarifen mit Bundesgeldern über die »Schweizerische Zentrale für Verkehrsförderung« in den 1950er-Jahren, die es ermöglichte, Touren mit 30 Prozent Ermässigung anzubieten, und so der Beschaffung von Arbeit für Bergführer und der »Propaganda« für ihre Tätigkeit dienen sollte.203 Auf das Instrument der Werbung griff neben dem SAC und der »Schweizerischen Zentrale für Verkehrsförderung« auch der SBV zurück. Bereits in den Gründungsstatuten des SBV von 1942 war unter anderem festgehalten, der Verband bezwecke »[d]ie Wahrung der allgemeinen Berufsinteressen […] durch eine zielbewusste Werbung für das geführte Bergsteigen«204. Nun versuchte man die Presse zu mobilisieren, diskutierte Filmvorschauen und druckte Plakate. 1973 zog man die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift in Betracht, die der Werbung dienen sollte, und druckte Werbebroschüren.205 Ab 1988 tauchen in Dokumenten des SBV zunehmend die Schlagworte »Öffentlichkeitsarbeit«, »Medienarbeit« und »Marketing« auf.206 1989 präsentierte sich der SBV an der Ferienmesse und versuchte die Bergführer stärker in der touristischen Werbung zu positionieren – es handle sich bei der Tätigkeit der Bergführer um eine »unique selling position«, weshalb sie sich gut in die touristische Landeswerbung einbauen lasse.207 1992 erhielt der SBV gar einen Medienpreis, nämlich jenen der Tageszeitung »Walliserbote«.208 Medienpräsenz und positive Schlagzeilen wurden gesucht, negative hingegen sollten vermieden werden: 1994 erschien in der Verbandszeitschrift ein Appell an die Solidarität gegenüber Berufskollegen und der Aufruf, diese in den Medien nicht zu verurteilen – ein ungeschriebenes Gesetz, das bis heute gilt.209

202 Die Alpen Chr (1940: 110 I). 203 Die Alpen Chr (1951: I f.; vgl. 1951: 154; 1953: 189); Philipp/Matossi (1996: 62 f.). 204 Die Alpen Chr (1942: 395). Vgl. Protokoll AV SBV (1949); Protokoll DV SBV (1956; 1970); Philipp/Matossi (1996: 62). 205 Jahresbericht SBV (1955/56; 1972; 1976); Protokoll DV SBV (1956; 1973). 206 Skilehrer + Bergführer (69/1988: 28; 70/1988: 37; Held (1997b; 1997d); Berg und Ski (3/1997: 5); Jahresbericht SBV (1988; 1989); Protokoll DV SBV (1988); Protokoll Präsidentenkonferenz SBV (1991). 207 Skilehrer + Bergführer (75/1989: 5). 208 Berg & Ski (1/1992: 5). 209 Gantenbein (1994); Berg & Ski (3/1995: 27); Oehrli (1996); Peter (2007).

 

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 Die beträchtliche Medienpräsenz von Bergführern ist bis heute zu beobachten. Sie scheint eine doppelte Funktion zu haben und einem zweifachen Interesse zu dienen: Einerseits wird sie von manchen Bergführern der Werbung wegen gesucht, andererseits scheinen die Medien ein Interesse an diesem Thema zu haben, da es beim Publikum offensichtlich auf Anklang stösst. Mit der Modularisierung der Ausbildung im Jahr 2002 wurden schliesslich Marketing, Betriebsführung und Kommunikation als Unterrichtsinhalte in die Ausbildung aufgenommen. Neben dem Berufsverband, der Standespolitik betrieb, sollte jeder einzelne Bergführer darin ausgebildet werden, sich zu vermarkten. So werben heutige Bergführer für sich und ihre Touren mit Prospekten, Internetauftritten, Inseraten und Visitenkarten. 3.5.3 Neue Beschäftigungsformen Dass das Bergführergewerbe – wider den früheren Befürchtungen – ab den 1960er-Jahren nicht unterging, sondern im Gegenteil wieder erstarkte, dürfte weniger der Werbung, als vielmehr der Erweiterung der Tätigkeitsbereiche geschuldet sein. Bereits während der Krisenzeit begannen manche Bergführer, Gruppentouren anzubieten und durchzuführen, bei denen ein Bergführer mehrere Personen gleichzeitig führte, was den Preis für die Gäste senkte, die nun auch aus weniger begüterten Schichten als vor dem Ersten Weltkrieg stammten. Diese Entwicklung ging Hand in Hand mit einer »Breitenentwicklung des Alpinismus«210. Bis heute sind Gruppentouren und -kurse, zusätzlich zu Einzeltouren, üblich und äusserst verbreitet. Mit dem Zweck der »Propaganda« und der Absicht, die Angebote besser verkaufen zu können, wurden in den 1930er-Jahren erste Bergsportschulen gegründet.211 Sie boten gerade auch für Gruppen Touren und Kurse an und führten ihre Kunden nicht mehr lediglich auf Gipfel, sondern begannen sie auszubilden, nach »strengen, pädagogischen Grundsätzen«212, wie die Bergschule Pontresina 1942 in einem Inserat warb. Als Ausbildner waren Bergführer bereits während des Zweiten Weltkriegs in der Armee gefragt, wo einige als technische Berater und Leiter in Gebirgskursen

210 Philipp/Matossi (1996: 63). 211 Eine erste Bergsteigerschule entstand beispielsweise im Kanton Graubünden im Jahr 1934 (Philipp/Matossi 1996: 54). 1969 schlossen sich die Bergsportschulen im »Verband Bergsportschulen Schweiz (VBS)« zusammen, dem heute 34 Bergsportanbieter angehören (www.bergsportschulen.ch [Stand: 9.6.2012]). 212 Die Alpen Chr (1942: 395).

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eine Anstellung fanden.213 Mit der Gründung der »Zentralen Gebirgskampfschule« (ZGKS) 1967 in Andermatt entstand eine Einrichtung, die einigen Bergführern feste Anstellungen und damit ein festes Gehalt und anderen regelmässige befristete Anstellungen in der Zwischensaison ermöglichte.214 Im Jahr 2011 waren im »Kompetenzzentrum Gebirgsdienst der Armee«, der Nachfolgeorganisation der ZGKS, sechs Bergführer, vier zu 100 und zwei zu 50 Prozent als Fachlehrer angestellt. Zusätzlich wurden im gleichen Jahr für insgesamt 748 Tage weitere zivile Bergführer für Einsätze in anderen Truppen und Kursen engagiert.215 Einzelne Bergführer fanden auch eine Anstellung im militärischen Vorunterricht, der an der 1944 in Magglingen gegründeten Eidgenössischen Turn- und Sportschule stattfand.216 1972 wurde »Jugend + Sport« (J+S) gegründet, eine vom Bund und den Kantonen getragene Organisation, die den militärischen Vorunterricht ablöste und bis heute Aus- und Weiterbildungsangebote für Jugendliche in unzähligen Sportarten – darunter Bergsteigen, Skitouren und Sportklettern – anbietet.217 Von Beginn weg arbeitete der SBV mit J+S zusammen. Er hatte einen Vertreter in der Fachkommission für das Bergsteigen in der Sportschule Magglingen, einzelne Bergführer wurden fest bei J+S angestellt und weitere wurden als Fachleiter für Kurse beigezogen.218 J+S dürfte dem Bergführergewerbe zudem indirekt gedient haben, indem er mit seinen Kursen zur Popularisierung des Bergsports beitrug.

213 Die Alpen Chr (1943: 295); Golay (1971: 140 ff.). Philipp und Matossi vermuten, dass Bergführer bereits im Ersten Weltkrieg in der Armee als Lehrer, Ausbildner und »Vorbild der Truppe« (1996: 56) tätig waren. 214 Philipp/Matossi (1996: 57). 215 Kompetenzzentrum Gebirgsdienst der Armee (2012). 216 Im militärischen Vorunterricht sollten die jungen Männer turnerisch auf die Rekrutenschule der Armee vorbereitet werden (Furrer 2008). 217 Furrer (2008); Verordnung J+S 1972; www.jugendundsport.ch [Stand: 9.6.2012]. J+S unterscheidet sich in drei wesentlichen Punkten vom militärischen Vorunterricht: Erstens steht nicht mehr die Vorbereitung des Jugendlichen auf eine spätere Funktion in der Armee im Vordergrund, sondern die Förderung dessen »Gesundheit und Lebensqualität«. Zweitens nimmt J+S im Gegensatz zum militärischen Vorunterricht auch Mädchen auf. Und drittens bietet er Sportarten an, die »nicht direkt mit der Wehrtüchtigkeit zusammenhängen« (Josi 1987: 31). 218 Jahresbericht SBV (1972). 1986 wurden bei J+S insgesamt 7000 und 2011 2648 Bergführertage gezählt. Im Jahr 2012 ist lediglich ein Bergführer bei J+S fest angestellt (Josi 1987: 31; J+S 2012).

 

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 Bis heute sind die Armee, J+S und Bergsteigerschulen die einzigen Organisationen, in denen Bergführer Anstellungen finden. Mit wenigen Ausnahmen werden die Bergführer dabei nicht fest, sondern tageweise zu bestimmten Tagessätzen angestellt, deren Höhe in der Vergangenheit immer wieder Anlass für Diskussionen an der Delegiertenversammlung des SBV gab. Trotz dieser Anstellungsmöglichkeiten ist die grosse Mehrheit der Bergführerinnen und Bergführer bis heute selbständigerwerbend.219 Dass sich das Bergführergewerbe ab den 1960er-Jahren von den Krisen zu erholen begann, dürfte neben dem Aufkommen der genannten Organisationen auch der Tatsache zuzuschreiben sein, dass sich die Tätigkeiten des Bergführers ab den 1970er-Jahren mit dem Aufkommen neuer Sportarten diversifizierte und der Bergsport in den letzten Jahren einen Popularitätsschub erfuhr: Heliskiing, Steileisklettern, Canyoning, Snowboardtouren, Schneeschuhtouren, Trekking und allem voran das Sportklettern eröffneten Bergführern neue Verdienstmöglichkeiten. Neben den Arbeiten mit den Gästen gibt es auch weitere, bisher nicht erwähnte Tätigkeitsbereiche des Bergführers, die ohne Gäste durchgeführt werden. Es sind dies Höhenarbeiten220 und die Rettung. Heute kann jede Bergführerin, jeder Bergführer die Tarife selbst bestimmen. Der vom SBV empfohlene Richttarif für Selbständigerwerbende, der »je nach Länge des Engagements, der Tour, der Schwierigkeit, der Verhältnisse, der Anzahl Gäste, der saisonalen Auslastung nach unten oder oben angepasst werden« kann, beträgt im Jahr 2012 645 Schweizerfranken pro Tag.221 3.5.4 Der Bergführer als Retter Bergtouren können zu Unfällen führen, bei denen sich die Bergsteigerinnen und Bergsteiger verletzen oder gar sterben, sodass sie gerettet oder geborgen werden müssen. Von Beginn weg gehörte das Retten von Verunglückten zum Alpinismus. Bei der Organisation und Institutionalisierung der Bergrettung spielte – einmal mehr – der SAC eine zentrale Rolle. Er hatte das Rettungswesen seit seiner Gründung zu einer seiner Aufgaben gemacht. Ab 1900 begann er Rettungsstati-

219 Vgl. Hüsser/Zehnder (1992: 22). 220 Unter Höhenarbeiten fallen Arbeiten, die am Seil an schwer zugänglichen Orten durchgeführt werden, etwa im Rahmen von Felssicherungen und -räumungen, Vermessungen und Reparaturen oder bei Sicherungsarbeiten für Filmarbeiten im Gebirge. 221 Für Wanderleiter und Kletterlehrerinnen beträgt der empfohlene Richtpreis im gleichen Jahr 480 Schweizerfranken pro Tag (www.4000plus.ch [Stand: 9.6.2012]).

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onen aufzubauen.222 1903 verabschiedete der SAC den Entwurf eines Reglements betreffend die alpinen Rettungsstationen, 1942 begann er zusammen mit der Armee Rettungsleute auszubilden und in den 1960er-Jahren setzte er eine Rettungskommission ein. 1948 wurde auf Initiative des österreichischen Alpenvereins hin die »Internationale Kommission für alpines Rettungswesen« (IKAR) ins Leben gerufen, die ihren Sitz heute in der Schweiz hat.223 Mit der Gründung der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega 1952 veränderte sich das Rettungswesen stark, da viele Rettungen nun auf dem Luftweg erfolgen konnten.224 Bodenrettungen blieben aber nach wie vor unverzichtbar. 2005 gründeten der SAC und die Rega zusammen die Stiftung »Alpine Rettung Schweiz« (ARS)225 und 1988 wurde die »Arbeitsgruppe Expertisen bei Bergunfällen« (AEB) von Vertretern des SBV, des SAC, der Armee und J+S ins Leben gerufen, die unter anderem Gutachten für Gerichtsfälle verfasst.226 Von Beginn weg waren die Bergführer ins Rettungswesen eingebunden. In den ab 1900 verabschiedeten kantonalen Bergführerreglementen war die Pflicht der Bergführer, bei Unglücksfällen Hilfe zu leisten, ebenso festgehalten wie in den SAC-Ausbildungsreglementen ab 1925.227 Wie stark neben der rechtlichen auch die moralische Verpflichtung gewesen sein dürfte, wird im Spielfilm »Bergführer Lorenz« deutlich, in dem sich der Protagonist Lorenz mit einer Touristin vergnügt, statt an einer Rettungskolonne teilzunehmen, worauf er im Dorf geächtet wird.228 Bergführer blieben auch nach der Gründung der Rega unverzichtbare Retter; einerseits wurden sie bei der Rega selbst tätig, andererseits nahmen sie in der Bodenrettung leitende Funktionen ein.229 Noch heute ist

222 Im Jahr 1903 gab es zwei solche Stationen. 1908 wurden bereits 32 gezählt und heute sind es 92 (Philipp/Matossi 1996: 65; Alpina 1908: 198; www.alpine rettung.ch [Stand: 10.6.2012]; vgl. Huber 1991: 50; Die Alpen Chr 1942: 295; Jahresbericht SBV 1977). 223 www.ikar-cisa.org [Stand: 10.6.2012]. 224 Die Alpen Chr (1953: 189). 225 Jaggi (2006); www.alpinerettung.ch [Stand: 10.6.2012]. 226 SBV (2001). 227 Golay (1971: 131); Reglemente BF SAC 1925; 1943; 1965; 1976. Der Kanton Wallis erliess 1933 ein Reglement für die Rettungskolonnen (Die Alpen Chr 1934: 172; 1943: 146). 228 Film »Bergführer Lorenz« (1942/43). 229 Huber (1991: 50).

 

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 die Rettungspflicht der Bergführer in den gesetzlichen Grundlagen der Kantone Bern, Glarus, Uri und Wallis verankert.230 Die Hilfspflicht der Bergführer wird in der Literatur und den Medien bis heute von einem Diskurs begleitet, der Bergführer implizit oder auch explizit als Helden darstellt, die ihr Leben riskieren, um jenes von bisweilen unvorsichtigen, törichten und unfähigen Berggängerinnen und Berggängern zu retten, die es vorzogen, allein in die Berge zu gehen, statt die Dienste eines Bergführers in Anspruch zu nehmen.231 Die beiden Bergführer Hans Gabriel und Vittorio Gianotti votieren in ihrer 1936 erschienenen Erzählung dafür, die Leistungen der Bergführer bei der Bergung von Bergopfern ebenso zu würdigen wie jene von Erstbesteigern: »Von harter Bergungsarbeit, wozu jeder patentierte Führer verpflichtet ist, erfährt die Öffentlichkeit wenig, obwohl es sich oft um Leistungen handelt, die unter grösster Lebensgefahr ausgeführt werden und meist mehr Mut und Entschlossenheit verlangen als manche Erstbesteigung.«232

3.6 D ER SAC UND DIE B ERGFÜHRER – E INE AMBIVALENTE B EZIEHUNG In den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, dass der SAC bei der Förderung, Organisation und Reglementierung des Bergführerwesens von Beginn weg eine zentrale Rolle einnahm und sich in dieser Sache als Hauptverantwortlichen betrachtete. Der SAC beziehungsweise seine Mitglieder regten die Schaffung von Bergführerreglementen und Ausbildungen sowie teilweise auch die Gründung von Bergführervereinen an. Clubmitglieder waren zu Beginn selbst an der Ausarbeitung von Reglementen und Vereinsstatuten beteiligt und instruierten die Bergführer in den ersten Kursen gar persönlich. Die frühe Beziehung zwischen dem SAC und Bergführern ist durch eine gegenseitige Abhängigkeit geprägt, die sich sowohl am Berg wie auch auf der

230 Art. 13 HGV; Art. 9.7 und 9.8 BR Tödi 1993; Art. 22 BR UR 1982; Art. 13 BG VS 2007; Anthamatten (1986: 96). 231 Vgl. etwa Die Alpen Mb (1958: 162). Die Problematik der Rettung (extrem-)alpinistischer Führerloser, zu der Bergführer unter Gefährdung ihres Lebens moralisch verpflichtet waren, wurde in der Öffentlichkeit erstmals angesichts eines tödlichen Unfalls von Bergsteigern beim gescheiterten Versuch einer Erstbesteigung der Eigernordwand 1935 intensiv diskutiert (Wirz 2007a: 363 f.). Zum Bergführer als Retter vgl. Kohler (1993: 62 ff.). 232 Gabriel/Gianotti (1969 [1936]: 90).

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Ebene der Organisationen zeigt. Charakteristisch für die Beziehung ist weiter eine gewisse Ambivalenz, wobei die Kategorien Klasse und Stadt-Land (beziehungsweise Flachland-Berggebiet) eine zentrale Rolle spielten. Den häufig akademisch gebildeten, bürgerlichen, in Städten ansässigen Vertretern des SAC standen zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg die meist weniger gebildeten, aus bäuerlichem oder handwerklichem Milieu stammenden, in Berggebieten aufgewachsenen und wohnhaften Bergführer gegenüber. Auf Seite der »Herren« schlug sich die soziale Hierarchie in einer Haltung der Überlegenheit nieder, die sowohl belehrende wie fürsorgliche Züge annehmen konnte. Um ihren alpinistischen Unternehmungen nachgehen zu können, waren die Clubisten teilweise auf zuverlässige, kompetente und »anständig[e]«233 Führer angewiesen, die ihre Dienste zu erschwinglichen Preisen anboten. Diese Anliegen versuchte der SAC über eine Disziplinierung der Führer sowie über die Aushandlung verbindlicher Tarife durchzusetzen, wobei die Bergführer letzteres bisweilen als Drücken der Tarife empfunden haben sollen.234 Neben dem Verteidigen von Eigeninteressen wird aber immer wieder auch eine anwaltschaftliche und gar fürsorgliche Haltung des SAC den Führern gegenüber deutlich. Gerade in schwierigen Zeiten sorgte sich der SAC um das Auskommen der Führer, etwa indem er sich dafür einsetzte, dass die Tarife nicht allzusehr gesenkt und Familien von verunglückten Bergführern finanziell unterstützt wurden.235 Bereits in den 1870er-Jahren wurde im SAC die Gründung einer Führerkasse, »einer Lebensversicherung für Bergführer oder wenigstens einer Hülfskasse für die Familien verunglückter Bergführer«236 diskutiert. Um 1900 herum wurden die Huberstiftung sowie ein Führerunterstützungsfonds ins Leben gerufen, die von den Central-Comités des SAC verwaltet und aus deren Erträgen hilfsbedürftig gewordene Bergführer oder Hinterbliebene unterstützt wurden.237 Die Haltung der Bergführer gegenüber dem SAC war ebenfalls von Ambivalenz geprägt. Zum einen gab es bereits früh Bergführer, die den SAC und sein Engagement in Sachen Bergführerwesen schätzten. So war etwa der Bergführer Toni Brun (1829-1915) Mitbegründer der SAC-Sektion Piz Terri und auch

233 Art. 12 BR BE 1856. 234 Alpina (1906: 94). 235 Vgl. beispielsweise Jahrbuch SAC (1871/72: 571; 1872/73: 606); Alpina (1911: 91). Bereits im 19. Jahrhundert hatten verschiedentlich englische Alpinisten Hinterbliebene verunglückter Bergführer finanziell unterstützt (vgl. z. B. Egger 1946: 176). 236 Jahrbuch SAC (1872/73: 605). 237 Golay (1971: 253); Jahrbuch SAC (1903/04: 434 f.).

 

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 Christian Klucker (1853-1928), der später zum Ehrenmitglied der SAC-Sektion Bregaglia ernannt wurde, äusserte sich sehr wertschätzend über den SAC.238 Anderen wiederum war das Engagement des Clubs ein Dorn im Auge, wie das Beispiel des Protests einiger Bergführer anlässlich der Einführung der ersten Kurse deutlich machte.239 Kritisiert wurde damals, dass sich der SAC in Bergführerangelegenheiten einmischte. Spätere Klagen bezogen sich auf ein zu dominantes und »eigenmächtig[es]«240 Auftreten des SAC und auf die Tatsache, dass der Alpen-Club selbst Alpinisten ausbildete und damit – so die Befürchtung – den Führern Arbeit und Verdienst streitig machte. Die Konflikte tauchen in den Dokumenten selten explizit auf, sondern werden lediglich angedeutet – oft begleitet von der Betonung, wie gut die Beziehungen zwischen dem SBV und dem SAC seien.241 Die Machtverhältnisse fielen nicht immer zugunsten der Vertreter des SAC aus; bis heute lassen sich erfolgreiche Bemühungen der kantonalen Berufsverbände feststellen, den Einfluss der aus dem Flachland stammenden SAC-Bergführer und damit der Städter und Flachländer im SBV in Schach zu halten.242 Heute haben sich die Bergführer und ihre Verbände zu einem grossen Teil vom SAC emanzipiert. Dessen Einfluss auf das Bergführerwesen ist zurückgebunden und direkte Konflikte zwischen den beiden Parteien scheinen seltener geworden zu sein. Die Mehrheit der Bergführer und Bergführerinnen sind heute selbst Mitglieder des Alpen-Clubs.243 Ganz verschwunden sind die Konflikte aber nicht. So ist in inoffiziellen Gesprächen im Feld gelegentlich die bereits oben formulierte Befürchtung zu hören, der SAC, der trotz vieler Mitglieder aus Gebirgsregionen nach wie vor als ›Club der Unterländer‹ wahrgenommen wird, nehme mit seinen Touren und Kursen, die ohne Führer ausgerichtet werden, den Bergführern und Bergführerinnen Arbeit weg. Auch in Fragen des Naturschutzes geraten der SAC und Bergführerverbände seit den 1970er-Jahren immer wieder aneinander. Zum Heliskiing etwa äussern sich einige Sektionen des SAC und auch einzelne Bergführer und Bergführerinnen aufgrund ökologischer Überlegungen wiederholt kritisch, wohingegen das Gros der kantonalen Bergführerverbände es als unabdingbare Verdienstmöglichkeit vieler Führer und Führerinnen

238 Derichsweiler (1917: 7); Klucker (1930: 207; 232; 286). 239 Vgl. Kapitel 3.3.1. 240 Jahresbericht SBV (1977). 241 Vgl. Die Alpen Mb (1968: 52); Jahresbericht SBV (1976). 242 Vgl. Kapitel 3.2.2. 243 84,2 Prozent der Bergführer, die an der Befragung des SBV im Jahr 2004 teilnahmen, gaben an, Mitglied des SAC zu sein (SBV 2004).

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verteidigt.244 Die Positionen des SBV und des SAC-Zentralverbands gleichen sich insofern, als beide Verbände sich einerseits den Erhalt und damit den Schutz der Gebirgslandschaft auf die Fahne schreiben, sich andererseits für deren Nutzung einsetzen.245 Bezüglich des Heliskiings strebt der SBV die Stabilisierung des heutigen Stands an,246 während der SAC den »Verzicht auf neue und die Aufhebung von bestehenden Gebirgslandeplätzen in und nahe bei Schutz- und Inventargebieten«247 fordert.

3.7 S CHWEIZER B ERGFÜHRER ›E NTWICKLUNGSHELFER ‹

ALS

Die Tätigkeiten von Schweizer Bergführern beschränkten sich schon früh nicht auf den europäischen Alpenraum oder auf die Begleitung der ›Herren‹ auf Expeditionen in ferne Gebirge. Zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten und auf verschiedene Weisen wurden Schweizer Bergführer – ›in persona‹ oder aber als ›Idee‹ – in andere Gebirgsregionen exportiert. In der Geschichte finden sich Verbindungen von Schweizer Bergführern oder vom SBV zu den kanadischen Rocky Mountains, zum Himalaya, zu den Anden sowie zu anderen Berggebieten. In allen Fällen sollte so ein Beitrag zur Entwicklung der entsprechenden Region geleistet werden. 3.7.1 »Swiss Guides« in Kanada In der Zeitschrift »Alpina« des Schweizer Alpen-Clubs erschien 1912 in der Rubrik »Führerwesen« folgende Mitteilung: »Dieser Tage sind, wie der ›Bund‹

244 Vgl. Kapitel 2.3.2 und 6.3. Zur Debatte rund ums Heliskiing vgl. Foppa (2011); Fink (2009); Meyer (2007); Held (2005a); Wörnhard (2003); Tschopp/Meyer (1999); Oehrli (1999); Berg & Ski (6/1999: 16; 2/1999: 20); Protokoll DV SBV (1978; 1979). Das Dilemma zwischen dem Schutz der Natur auf der einen und deren Nutzung auf der anderen Seite wird auch im Zusammenhang mit anderen Themen immer wieder virulent, etwa bei Kletterverboten, dem Einrichten abgesicherter Routen am Fels oder dem Bau von Klettersteigen (vgl. Die Alpen 11/2004: 30 f.; Meyer/Ruff 2004; Meyer 2005; 2006; Berg und Ski 3/1998: 5; Held 1998a; Meier/Plüss 1998). 245 SBV (1998: 7); SAC (2005: 1). 246 SBV (1998: 7). 247 SAC (2002: 12).

 

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 meldet, wieder mehrere junge Oberländer Bergführer mit ihren Frauen nach Kanada abgereist, wo sie von der Canadian-Pacific-Bahn im Glacierhouse angesiedelt werden.«248 Diese Führer gehörten zu Dutzenden von Bergführern aus der Schweiz, die zwischen 1899 und 1954 nach Kanada reisten und sich zum Teil dort niederliessen. 1885 wurde in Kanada die von der Canadian Pacific Railway (C.P.R.) erstellte, damals 3000 Kilometer lange Eisenbahnlinie eingeweiht, die von der Pazifik- zur Atlantikküste führte und dem wirtschaftlichen und politischen Ziel dienen sollte, die kanadischen Provinzen miteinander zu verbinden, um sie von den USA unabhängiger werden zu lassen.249 Schon wenige Jahre nach Baubeginn geriet die Gesellschaft C.P.R. in finanzielle Schieflage, von der sie sich auch nach Fertigstellung der Bahnlinie nicht erholte. Zur Verbesserung der prekären Situation suchte das Management der C.P.R. nach neuen Einnahmequellen, die sie unter anderem in der touristischen und ab den 1890er-Jahren auch alpinistischen Vermarktung der Rocky Mountains fand, durch welche die Zuglinie führte. Eine touristische Infrastruktur wurde aufgebaut und die bisher als nicht besuchenswert befundenen Rockies wurden bald als eindrückliche, mit den europäischen Alpen vergleichbare Landschaft wahrgenommen. Mehrere Nationalparks wurden gegründet, Hotelprojekte entstanden und die C.P.R. begann mit Propaganda zur Anwerbung von Reisenden und später auch potentiellen Siedlern.250 Als Problem für die alpinistische Vermarktung stellte sich bald der Mangel an Führern heraus.251 Nach dem tödlichen Unfall eines Alpinisten im Jahr 1896 kam erstmals die Idee auf, Bergführer zu ›importieren‹, um die Sicherheit der Bergsteiger zu erhöhen.252 Auf Schweizer Bergführer fiel die Wahl wohl auch deshalb, weil es sich bei den ersten Alpinisten, die die Rockies aufsuchten, um Engländer handelte, für die die Schweiz das Land des Alpinismus war. Sie kannten Schweizer Bergführer persönlich und diese sprachen dank den Kontakten mit den Engländern zum Teil bereits etwas Englisch.253

248 Alpina (1912: 131). 249 Nobs (1987:5 f.). Hauser (1985: 19) spricht von einer Länge von 5000 Kilometern. 250 Nobs (1987: 16 ff.). 251 Nobs (1987: 32 ff.). 252 Nobs (1987: 41 ff.). 253 Vgl. Hauser (1985: 20).

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Der Schweizer Bergführer, Peter Sarbach, traf 1897 als erster mit einer englischen Expedition in den Rocky Mountains ein.254 Das Aufsehen, das seine exotische Erscheinung als »echter Bergführer aus dem Zentrum des Tourismus schlechthin, den Schweizer Alpen«255 erregte, schien die C.P.R. davon zu überzeugen, dass im Einsatz von Schweizer Bergführern in den Rocky Mountains Potential lag. Jedenfalls heuerte die C.P.R. 1899 drei Bergführer aus Interlaken für die Sommersaison an. Ihnen folgten später weitere. Bis 1911 kamen sie jeweils als Saisonniers – sie reisten im Frühling an und im Herbst wieder ab.256 Für die Bergführer dürfte die Aussicht auf ein vertraglich gesichertes Einkommen den Ausschlag dafür gegeben haben, sich für die Reisen zur Verfügung zu stellen.257 Im Rahmen einer neuen Siedlungs- und Immigrationspolitik der C.P.R. entstand 1909 die Idee, Schweizer Bergführer in den Rocky Mountains in einer Kolonie, einem »Swiss village« anzusiedeln, die sogleich in die Tat umgesetzt wurde: Direkt an der Bahnlinie bei der Ortschaft Golden wurde das Dorf Edelweiss gebaut, das aus Häusern bestand, die ›echten‹ Berner Oberländer Chalets nachempfunden sein sollten (mit diesen aber offenbar wenig gemeinsam hatten).258 Verheiratete Schweizer Bergführer wurden daraufhin von der C.P.R. ermuntert, nach Kanada auszuwandern und sich in Edelweiss niederzulassen.259 Insgesamt reisten ab 1912 bis in die 1950er-Jahre mindestens 48 Führer mit ihren Familien zuerst nach Edelweiss und, nachdem dieses Projekt gescheitert war, in andere nahegelegene Orte wie Calgary oder Lake Louise.260 In den ersten Jahren erschlossen die Bergführer das bisher unerforschte Gebirge, später boten sie alpinistisch wenig bewanderten Touristinnen und Touristen genau beschriebene Touren an. Nach 56 Saisons beschloss die C.P.R. 1954, das Anbieten von »Swiss guides« in den Rocky Mountains wegen Schwierigkeiten in der Anwerbung neuer Führer aus der Schweiz und mangels Nachwuchs aus Kanada einzustellen.261

254 Nobs (1987: 49). Gemäss Hauser (1985: 20) kamen die ersten Schweizer Bergführer bereits 1895 in den Rocky Mountains an. 255 Nobs (1987: 49). 256 Nobs (1987: 41 ff.; 109 ff.). 257 Nobs (1987: 121). 258 Nobs (1987: 175 ff.). 259 Nobs (1987: 182). 260 Nobs (1987: 252 ff.). Die Ortschaft Golden wirbt noch heute mit der Geschichte der Schweizer Bergführer: www.tourismgolden.com [Stand: 10.6.2012]. 261 Nobs (1987: 239 ff.).

 

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 3.7.2 Ausbildung von Sherpas und peruanischen Bergführern Während die Schweizer Bergführer im Falle der C.P.R. nach Kanada geholt wurden, um den dortigen Tourismus zu beleben, gingen spätere Initiativen für den Einsatz von Bergführern in anderen Bergregionen der Welt vom SAC oder vom SBV aus. Ab den 1950er-Jahren engagierten sich beide Organisationen für die Ausbildung von Bergführern aussereuropäischer Berggebiete, entweder indem einzelne Bergführer aus diesen Regionen eingeladen wurden, Bergführerkurse in der Schweiz zu absolvieren, oder aber indem sie in ihrer Heimat von Schweizer Bergführern unterrichtetet wurden. Ziel war nun nicht mehr primär, einer Region touristisch auf die Beine zu helfen, sondern das Bergführerwesen in diesen Ländern zu fördern, womit teilweise ein explizit entwicklungspolitischer Anspruch verbunden war. 1954 nahmen Sherpa Norgay262 Tensing, dem im Jahr zuvor zusammen mit dem Neuseeländer Edmund Hillary die Erstbesteigung des Mount Everest gelungen war, und ein weiterer Bergsteiger aus Indien an der Bergführerausbildung im Wallis teil. Wie »Die Alpen« berichteten, sollten sie dadurch eine Ausbildung im »Sinn« des SAC erhalten.263 Darin wird die Haltung deutlich, auch der Erstbesteiger des höchsten Berges der Welt könne bei den Schweizer Bergführern noch etwas lernen. Im gleichen Jahr wurden acht Sherpas in der Schweiz durch einen Bergführer instruiert. Sie sollten künftig in einer Bergsteigerschule in Darjeeling als Bergführer und Lehrer tätig sein, die auf Anregung des bengalischen Premierministers neu gegründet worden war.264 Langjähriger, intensiver und institutionalisierter als die Förderung von Bergführern aus dem Himalaya gestaltete sich die Zusammenarbeit mit künftigen Kollegen aus der Andenregion. 1977 beschlossen die Delegierten des SBV aufgrund des Berichts eines Schweizer Bergführers über seine Reise nach Peru, eine »Hilfsaktion zugunsten der Indianer in den peruanischen Anden«265 durchzufüh-

262 Manchmal auch »Norkay« geschrieben. 263 Die Alpen Chr (1954: 195). Norgay Tensing verliess den Kurs – aus nicht näher bezeichneten Gründen – vor den Abschlussprüfungen wieder (Die Alpen Chr 1954: 153). Die Teilnahme der beiden Gäste aus Darjeeling stiess in der Schweizer Öffentlichkeit auf breites Interesse. Eine 1945 gegründete Firma benannte gar eine Sonnencrème nach Tensing. Sie wirbt noch heute mit dem Slogan »Sherpa Tensing – Für ein sicheres Braun!«, bezieht sich auf die Erstbesteigung des Mount Everest und sponsert Schweizer Himalaya-Expeditionen. 264 Die Alpen Chr (1954: 195 f.). 265 Bericht Alpen-Anden 1979.

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ren und peruanische Träger zu Bergführern auszubilden. Bereits im darauffolgenden Jahr wurden erste Bergführerkurse in Peru durchgeführt. 1979 kamen elf Peruaner in die Schweiz, wovon acht erfolgreich zu Bergführern ausgebildet wurden. Von 1980 an fand die Ausbildung peruanischer Führer durch Schweizer Bergführer in Peru statt. Der Initiative für diese Zusammenarbeit lag das Ziel zugrunde, »auch die einheimische Bevölkerung am Bergtourismus teilhaben zu lassen«266. Ihnen sollte die Möglichkeit geboten werden, »aktiv an der touristischen Erschliessung ihrer einmalig schönen tropischen Schneeberge mitzuarbeiten, anstatt wie bisher die Invasion der Expeditionen aus dem Ausland nur zu erdulden«267. Mit dieser Begründung knüpft der SBV an die Vorstellung des Schweizers als eines »humitären Helfers« an, die von der Schweizer Aussenpolitik vertreten wird und im Selbstverständnis der Schweiz verankert ist.268 Ganz so selbstlos scheint die Aktion, die als Ersatz für eine gescheiterte »Expedition der Schweizer Bergführer zu Reklamezwecken« zustande kam, aber nicht gewesen zu sein. Sie sollte laut Protokoll der Delegiertenversammlung des SBV von 1977 drei Zwecken dienen: erstens dem Beweis, »dass die Solidarität der Gebirgsbewohner kein leeres Wort ist«, zweitens der Erschliessung einer »der schönsten Gebirgsregionen der Erde« und drittens sollte sie »[d]urch entsprechende Orientierung der Oeffentlichkeit das Image des Schweizer Bergführers« heben.269 Das Projekt, das später den Namen »Projekt Alpen-Anden«270 trug, wurde in der Berichterstattung des SBV als Aktion mit »nationalem Charakter«271 bezeichnet. Es wurde unter die Obhut des SBV gestellt, der dafür die »Kommission ›Alpen-Anden‹« gründete, und wurde fast von Beginn weg von offizieller Seite beider Länder – vom peruanischen Ministerium für Tourismus und von der Schweizer Gesandtschaft in Lima – unterstützt. 1979 schloss der SBV mit der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH) einen Dienstleistungsvertrag ab und übernahm fortan die technische Führung des Projekts. Einige Jahre später wurde auf Anregung des Vorstandes des SBV eine Stiftung zur Weiterführung des Projekts gegründet.272 In den frühen 1980er-

266 Berg & Ski (3/1991: 21). 267 Rychen (1986). 268 Purtschert (2008: 173). 269 Protokoll DV SBV 1977. 270 Skilehrer + Bergführer (61/1986: 6). Bisweilen wird es auch »Entwicklungsprojekt Alpen-Anden« genannt (Bertschi 1987). 271 Bericht Alpen-Anden 1979. 272 Jahresbericht SBV (1989).

 

3 G ESCHICHTE , STRUKTUR UND ORGANISATION DES B ERGFÜHRERWESENS | 123

 Jahren konnte ein Vertrag mit dem peruanischen Ministerium für Tourismus abgeschlossen werden. Der Peruanische Bergführerverband (AGMP273) wurde gegründet, die peruanische Regierung verabschiedete ein Gesetz über das Bergführerwesen und in Huaraz wurde ein »Bergführerhaus« gebaut.274 Nachdem der SBV 1991 festgestellt hatte, dass die peruanischen Bergführer nun »auf eigenen Beinen« standen, beschloss er, das Projekt abzuschliessen und »das Know-How der Schweizer Bergführer auch anderen Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen«, wofür er die Stiftung »Enfants d’ici, enfants d’ailleur« gründete.275 In der Folge fanden Projekte der Zusammenarbeit etwa mit Bergführern aus Georgien, Nepal, den Philippinen und Kirgistan statt.276 Im Jahr 2000 wurde die Anden-Alpen-Zusammenarbeit aufgrund einer Initiative der damaligen Zürcher Regierungsrätin Dorothée Fierz wieder aufgenommen. Das Projekt »Cooperación Alpinista Suiza-Peru« wurde gegründet, das von SAC, SBV, IVBV und privaten Sponsoren unterstützt wird. Es ermöglicht peruanischen Bergführern den Besuch von Kursen der Bergführerausbildung in der Schweiz und bezweckt damit, »den Tourismus in Peru mit gut ausgebildeten Bergführern vor Ort zu fördern«277. 3.7.3 Der Bergführer als Integrationsfigur Vor einigen Jahren kam zum entwicklungspolitischen Engagement des SBV ein sozialpolitisches hinzu. Anlässlich des UNO-Jahrs des Sports führte der SBV von 2005 bis 2006 ein »Integrationsprojekt« durch, welches das Ziel verfolgte, einen Beitrag »zur Integration von in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländern«278 zu leisten. Es umfasste Aktionen wie Berg- und Gletscherwande-

273 Asociación de Guías de Montañas del Perú. 274 Skilehrer + Bergführer (61/1986: 6). Das Projekt erhielt finanzielle Unterstützung von der Organisation »Enfants du Monde«, vom eidgenössischen Amt für Entwicklungshilfe, der DEH, dem SBV, Kantonen, der Industrie, Banken, dem SAC, dem Hilfswerk »Brot für Brüder« (heute »Brot für alle«), Rotariern aus Gstaad sowie privaten Geldgebern (Jahresbericht SBV 1987; Protokoll DV SBV 1980; Immer 1984; Berg & Ski 1/1992: 20). 275 Berg & Ski (3/1991: 21). 276 Berg & Ski (4/1993: 4). Bergführer aus Nepal wurden 1980, philippinische Bergführer 1998 und kirgisische 2008 vor Ort durch Schweizer Instruktoren unterrichtet (Gschwend 1982; Berg und Ski 2/1998: 34; Schlunegger 2009). 277 Fink (2008b). 278 Sedens (2005).

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rungen, Gipfelbesteigungen, Kletterlager und Klettersteigtouren, die Bergführer mit Kindern, Jugendlichen oder Familien durchführten. Das Projekt wurde über einen Integrationskredit des Bundes finanziell unterstützt und vom SBV in Koordination mit der Eidgenössischen Ausländerkommission (EAK) organisiert.279 Die Migrantinnen und Migranten sollten »die Möglichkeit erhalten, die Schweizer Alpenwelt hautnah zu erleben und zu erfahren«, ihnen sollte damit »ein Stück Schweizer Kultur« vermittelt werden. Gemeinsam sollten Ausländerinnen, Ausländer, Schweizerinnen und Schweizer etwas Verbindendes erleben und »mentale Stärke, Rücksichtnahme, Umsicht und Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren« sowie das Übernehmen von Verantwortung erlernen.280 In diesen Zielen wird nicht nur die symbolische Verbindung der Schweiz mit den Alpen ersichtlich, sondern auch das Fortbestehen des Deutungsmusters »Oben statt unten«, wie in einem Interview mit dem koordinierenden Bergführer des Projekts deutlich wird: »Wir holen sie [die Ausländerinnen und Ausländer, Anm. d. A.] aus der Stadt heraus und zeigen ihnen etwas, was man in der Stadt nicht tun kann.«281 Bergführer wurden in den letzten Jahren immer wieder auch für Kletter- und Bergsteig-Projekte mit anderen Gruppen wie etwa von Krebs betroffenen Kindern oder Drogenabhängigen engagiert, denen jeweils mediale Präsenz beschieden war.282

  

279 Held (2005b). 280 Sedens (2005); vgl. Jahresbericht SBV (2006). 281 Sedens (2005); vgl. Coulin (2005). 282 Vgl. beispielsweise Bachmann (2008); Krebsliga (2008).

 



4 Der Schweizer Bergführer in der alpinen Literatur

Über Alpinismus wird seit dessen Anfängen gern und viel geschrieben, gerade auch von Alpinistinnen und Alpinisten selbst, deren »Mitteilungsbedürfnis […] immer schon gross«1 war. Das öffentlich kursierende Bild des Alpinismus war stets Resultat dessen, was von Bergtouren in Texten – oder auch Bildern und Filmen – wiedergegeben wurde. Denn was in der Abgeschiedenheit der Bergwelt passiert, wird im Tal erst wahrgenommen, wenn darüber berichtet wird. Alpinismus konstituiert sich folglich wesentlich gerade durch das Schreiben darüber. So wurden der Alpenmythos, der Bergsteigermythos und – wie sich zeigen wird – auch der Bergführermythos ganz massgeblich über Literatur geschaffen.2 Unter einem Mythos wird hier mit Barthes eine »Weise des Bedeutens«3 verstanden, die nicht durch den Gegenstand selbst definiert wird, sondern durch die gesellschaftliche Aneignung desselben. Der Mythos ist beauftragt, »historische Intention als Natur zu gründen, Zufall als Ewigkeit«4. Der Korpus der alpinen Literatur ist ebenso vielfältig wie unüberblickbar. Touren- und Erlebnisberichte können ihm ebenso zugeordnet werden wie Autobiografien und Biografien, fiktionale Erzählungen, Lehrbücher, Reiseführer, Briefe, Chroniken, Einträge in Gipfelbücher, Gedichte, Liedtexte oder Witze.5 Im Folgenden wird der Blick auf eine Subkategorie der alpinen Literatur gerichtet: auf Publikationen, in denen Schweizer Bergführer im Zentrum stehen. Hauptsächlich sind dies biografische, seltener autobiografische Texte, die den 1 2

Anker (1996c). Zur Bedeutung der Schriftlichkeit im Alpinismus vgl. Anker (1996c); Mori (2005: 97 f.); Wirz (2007a: 71 ff.); Maurer (2010: 24); Zopfi (2009: 13).

3

Barthes (1964: 85 f.).

4

Barthes (1964: 130).

5

Vgl. Mori (2005: 86); Maurer (2010: 24).

 

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Anspruch erheben, die wichtigsten Aspekte und Stationen der Leben der betreffenden Bergführer wiederzugeben. Ergänzend werden Romane und Erzählungen, also fiktionale Texte, sowie die Filme »Der Bergführer« (1917) und »Bergführer Lorenz« (1942/43) beigezogen, deren jeweilige Hauptperson Bergführer ist. Überblickt man die verfügbaren Publikationen der erwähnten Textsorten, so fällt auf, dass ein grosser Teil davon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – gehäuft in den 1930er- und 1940er-Jahren – erschien. Es ist dies die Zeit der Geistigen Landesverteidigung, in welcher in der Schweiz eine aktive Identitätsbildung betrieben wurde, wobei den Alpen eine zentrale Bedeutung zukam. In diesem Zusammenhang wurde das Bergsteigen gerade auch vom SAC als national konnotierte, ja patriotische Praxis beschworen. Die Vermutung liegt nahe, dass das gehäufte Erscheinen von Bergführerpublikationen zu dieser Zeit im Zusammenhang mit dieser geistigen, politischen und kulturellen Strömung zu verstehen ist. Wenn diese Publikationen in der Folge genauer in den Blick genommen werden, so geschieht dies mit dem Anspruch, herauszuarbeiten, wie darin über die Berge, das Bergsteigen und die Bergführer geschrieben wird und welche diskursiven Elemente dabei zum Einsatz kommen. Es interessieren also nicht so sehr die einzelnen Werke in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit, als vielmehr diskursive Muster, die sich durch sie hindurch ziehen und das Schreiben und Denken über Bergführer in dieser Zeit prägten. Bergführerbiografien und -autobiografien verschwinden nach 1960 nicht vollständig aus der alpinen Literatur. Bücher, die diesen Textgattungen zugeordnet werden können, erscheinen erneut ab den 1980er-Jahren und besonders ab Ende der 1990er-Jahre. Auf sie wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Sie lehnen sich entweder in Aufbau wie Inhalt merklich an die Publikationen aus den 1930er- und 1940er-Jahren an – und reproduzieren damit den damals geschaffenen Mythos – oder sie entsprechen der in den 1990er-Jahren populär gewordenen Textsorte der Abenteuerberichte: Die Porträtierten sind darin weniger als Bergführerinnen und Bergführer thematisch denn als Extrembergsteigerinnen und Extrembergsteiger.6 Ebenso ausgeklammert bleiben hier – aufgrund

6

Ogi (1982), Lanz/De Meester (1996) sowie die in Bini (1987: 121 ff.) enthaltenen Porträts und Interviews gehören der Tendenz nach zur ersten Kategorie, Ammann (1997), Binsack (2002), Ulrich (2004) und Koller (2007) zur zweiten. Etter (1968) kann als früher Vorläufer der zweiten Kategorie betrachtet werden. Diese jüngeren Publikationen finden teilweise Eingang in die Kapitel 5, 6 und 7. Bergführerkurzbiografien, die an jene aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnern, finden sich auch in den ab 1970 erschienenen Publikationen zu lokalen und regionalen Berg-

 

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 der Notwendigkeit, das Thema einzugrenzen – Texte, die sich auf Bergführer aus Deutschland, Österreich, Frankreich oder Italien beziehen.7

4.1 T EXTKORPUS Der Textkorpus, auf den sich die folgenden Ausführungen beziehen, besteht aus zehn (auto-)biografischen Texten, dem Buch »Guides de montagne«8, dem Band »Schweizer Bergführer erzählen«9 sowie vier fiktionalen Texten. Acht der (auto-)biografischen Publikationen widmen sich jeweils einem einzelnen Bergführer.10 Das Buch »Pioniere der Alpen« enthält »30 Lebensbilder der grossen Schweizer Bergführer«11 und auch im Artikel »Unsere Bergführer«12 sind neben historischen Ausführungen zur Entwicklung des Führerwesens in der Schweiz Kurzbiografien von acht Bergführern wiedergegeben. All diese Publikationen erschienen zwischen 1917 und 1961, sieben davon in den 1930er- und 1940er-Jahren. Die porträtierten Bergführer stammen aus den Kantonen Graubünden, Wallis und Bern.13 Sie wurden zwischen 1799 und 1897 geboren; einige wirkten also vor und andere während des »goldenen Zeitalters« des Alpinismus und wieder andere kamen erst später zur Welt. Zum Erscheinungszeitpunkt waren die porträtierten Bergführer mindestens 68 Jahre alt oder – der häufigere Fall – bereits verstorben. In den Texten wird also eine Rückschau auf (fast)

führerverbänden (Golay 1971; Philipp/Matossi 1996; Eggler 1993; Ogi 1999). Auch sie bleiben hier ausgeklammert. 7

Vgl. Ott (1909); Haas (1937); Schmitt (1938); Neuhofer (1950); Wechs (1953); Bergen (1954); Welskopf-Henrich (1954); Rébuffat (1968); Laserer (2000); Grévoz (2001).

8

Spiro (1944 [1928]).

9

Brawand et al. (1969 [1936]).

10 Es sind dies die Biografien über Toni Brun (Derichsweiler 1917), Christian Klucker (Klucker 1930), Christian Zippert (Tanner 1933), Martin Schocher (Willy 1936), Matthias Zurbriggen (Zurbriggen 1937), Maurice Crettez (Christen 1952), Alexander Taugwalder (Fietz 1954) und Alexander Burgener (Fux 1961). 11 Egger (1946). Tatsächlich enthält das Buch nicht 30, sondern – je nach Zählart – 27 oder 33 Lebensbilder. 12 Hug (1941). 13 Matthias Zurbriggen wurde in Saas Fee im Wallis geboren und wuchs im italienischen Macugnaga auf.

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abgeschlossene Leben gehalten, was sich in Bezeichnungen wie »Memoiren«, »Erinnerungen« oder »Lebensbild« niederschlägt. Matthias Zurbriggen verfasste seine »Lebenserinnerungen« selbst.14 Auch Christian Klucker schrieb seine »Erinnerungen« eigenhändig nieder, sie wurden jedoch von Ernst Jenny, damals Redaktor der Zeitschrift »Die Alpen« und Ehrenmitglied des SAC, fertiggestellt, dabei anscheinend geglättet, gekürzt und ergänzt und zwei Jahre nach Kluckers Tod herausgegeben. Klucker soll vom ehemaligen Zentralpräsidenten des SAC zur Niederschrift angeregt, wenn nicht gar gedrängt worden sein und beklagt sich in einem Brief an diesen, ihm fehle »leider der Stil und die Sprache« zum Schreiben.15 Sowohl Zurbriggens wie auch Kluckers Text dürfte vom Übersetzer beziehungsweise vom Herausgeber beträchtlich bearbeitet worden sein.16 Alle anderen Texte wurden von Biografen verfasst. Bei den Autoren und Herausgebern handelt es sich – soweit sich dies heute noch feststellen lässt – mehrheitlich um Männer, die in enger Beziehung zum SAC standen und damit der Klasse der ›Herren‹ angehörten.17 Meist wird in den Publikationen einleitend beschrieben, was mit deren Herausgabe bezweckt wird. Matthias Zurbriggen möchte mit den Schilderungen seiner Erlebnisse jene Menschen zu Reisen ins Hochgebirge verlocken, die zu

14 Er schrieb sie auf Italienisch nieder, 1899 erschien die englische Übersetzung »From the Alps to the Andes« und 1937 – zwanzig Jahre nach seinem Tod – die deutsche. Da das Originalmanuskript in London offenbar verloren ging, erschien 2001 die italienische Rückübersetzung »Dalle Alpi alle Ande« aus dem Englischen (vgl. Stettler 2004: 28). 15 Klucker (1930: 3; 258); vgl. Etter (1968: 7). Kluckers Erinnerungen waren ein Erfolg. Sie erschienen in drei Auflagen und wurden 1932 ins Englische übersetzt (Klucker 1932). 1999 erschien eine italienische Übersetzung (Klucker 1999) und 2010 wurde der deutsche Text neu aufgelegt (Klucker 2010; vgl. Zopfi 2010: 19). 16 Vgl. Egger (1946: 358). 17 Entweder gab der SAC die Schrift heraus (vgl. Fietz 1954), der Verfasser oder Herausgeber war SAC-Mitglied (vgl. Derichsweiler 1917; Egger 1946), die Publikation wurde von einem Vertreter des SAC angeregt (vgl. Klucker 1930) oder ein prominentes Mitglied des SAC eröffnet die Schrift mit einem Geleitwort (vgl. Tanner 1933; Spiro 1944 [1928]). Auch die in den letzten Jahren erschienenen Publikationen über die extrembergsteigenden Bergführerinnen und Bergführer Erhard Loretan, Evelyne Binsack, Thomas Ulrich und Stephan Siegrist wurden nicht von ihnen selbst, sondern von Schriftstellerinnen oder Journalisten verfasst, allerdings ohne Beteiligung des SAC (vgl. Ammann 1997; Binsack 2002; Ulrich 2004; Koller 2007).

 

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 solchen Unternehmungen imstande sind. Die anderen sollen sich wenigstens eine Vorstellung davon machen können, »damit sie doch bis zu einem gewissen Grade an den Freuden teilnehmen, die ihnen die Wirklichkeit leider versagte«18. Für Derichsweiler steht der Bergführer für den prototypischen Bergler und damit den prototypischen Schweizer. Anhand des Lebens des Toni Brun, der ein »echter Sohn der Berge« und ein »Bündner von altem Schlag und Korn« sei, soll »dem für volkstümliche Eindrücke Empfänglichen« gezeigt werden, »wie das Volk da oben denkt, lebt und empfindet«.19 Am weitaus häufigsten aber lag den Publikationen offenbar der Wunsch zugrunde, die betreffenden Bergführer und ihre Leistungen zu würdigen, ihrer »Taten gebührend zu gedenken«20 und ihnen »Anerkennung und Dank«21 darzubringen. »Es ist für mich gewiss, dass lange nicht alle Alpenpionierkränze auf den Köpfen liegen, auf die sie gehören«22, stellt Ernst Jenny fest und spielt damit auf den ab Beginn des 20. Jahrhunderts kritisierten Umstand an, dass es bei Erstbesteigungen stets die ›Herren‹ waren, die »Ruhm und Ehre« für sich »einheimsten«23, während die Führer zumeist leer ausgingen. Diesem Unrecht möchte er mit der Herausgabe von Kluckers Erinnerungen entgegenwirken. – Bereits anhand dieser Begründungen wird deutlich, dass Bergführer in diesen Publikationen als heldenhafte Männer dargestellt werden sollen, die für die Allgemeinheit Aussergewöhnliches und Erinnerungswürdiges geleistet haben. Letzteres gilt auch für den Band »Schweizer Bergführer erzählen«: Das Buch »soll zeigen, welch ausserordentliche Anforderungen an Mut, Ausdauer und Zuverlässigkeit an diesen einzigartigen Beruf gestellt werden«. Neben diesem aufklärerischen Anspruch verfolgt es ein propagandistisches Ziel: Die Erlebnisse sollen »einem weiteren Publikum die Tätigkeit des guten Schweizer Bergführers vor Augen führen« und eine Mahnung sein, »dass man in den Bergen die nötige Vorsicht nie ausser acht lassen darf und schwierige Touren nur nach gründlicher Vorbereitung und unter zuverlässiger Führung unternehmen soll«.24 Obwohl die (auto-)biografischen Texte vom Umfang her stark variieren, orientieren sich viele – was ihren Aufbau betrifft – am gleichen Muster, wobei

18 Zurbriggen (1937: 9). 19 Derichsweiler (1917: 3 f.). 20 Willy (1936: 3). 21 Tanner (1933: 3). 22 Klucker (1930: 3). 23 Philipp/Matossi (1996: 18). 24 Brawand et al. (1969 [1936]: 5).

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einzelne Elemente im einen Fall weggelassen, im anderen ausgebaut werden.25 Nach einführenden Bemerkungen setzen die Ausführungen in der Kindheit des Bergführers ein. Die Leserin erfährt, wo, wann und in welche Familie er hineingeboren wurde, wo er erste Klettererfahrungen machte, wie seine Schulzeit verlief, welchen Beruf er ergriff und wie er zur Tätigkeit des Bergführers kam. Es wird dann von den bedeutsamsten Touren berichtet, die er im Laufe seines Lebens vollbrachte, wobei stets angeführt wird, mit welchen Alpinisten oder Alpinistinnen und allenfalls welchen anderen Führern und Trägern er diese unternahm. Einmal sind die wichtigsten ›Herren‹ das Ordnungskriterium für die Darstellung dieser Touren, ein andermal sind es markante Berge und im dritten Fall ist es die zeitliche Chronologie. Gegen Ende des Textes wird häufig auf die letzten Jahre des Lebens des Führers sowie allenfalls auf dessen Tod verwiesen. Ergänzt werden die Schilderungen des Autors durch eingeführte Zeugnisse Dritter. Dazu gehören etwa eine Grabrede, die der Pfarrer an der Beerdigung des Führers gehalten hat, Briefe, die der Bergführer geschrieben oder erhalten hat, Passagen aus Publikationen der ›Herren‹ und immer wieder Auszüge aus Einträgen in das Bergführerbuch des betreffenden Führers. Die Ausführungen werden stets mit Fotos des Bergführers und manchmal durch Bergfotografien illustriert. Mit ihrem Aufbau gleichen die untersuchten Biografien dem typischen »stereotypen Bauplan«26 der Bücher, die Bergsteiger in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Ende ihrer Bergsteigerkarriere gerne publizierten. Von diesen (auto-)biografischen Texten grenzen sich Spiros »Guides de montagne« sowie der Band »Schweizer Bergführer erzählen« ab. Spiros »Guides de montagne« gleicht mehr einem Berufs- als einem Lebensbild. Es blickt auf die Geschichte des Berufs zurück und beschreibt die Charakteristiken desselben anhand eines typischen Bergführerlebens von der Kindheit bis zum Tod. Verschiedentlich wird dabei auf reale, berühmte Bergführerfiguren und Elemente aus deren Leben verwiesen. Während die meisten der in den folgenden Kapiteln geschilderten Befunde auch in »Guides de montagne« festzustellen sind, trifft dies für die Sammlung der Erzählungen der zum Zeitpunkt des Erscheinens noch lebenden und teilweise noch jungen Bergführer in »Schweizer Bergführer erzählen« nur sehr bedingt zu. Im Zentrum dieser Erzählungen steht – quasi mikro-

25 Das Buch über Christian Klucker ist mit seinen über 300 Seiten die längste Einzelbiografie; bei der kürzesten handelt es sich um das 28 Seiten lange »Lebensbild« Alexander Taugwalders, das 1954 als Sonderbeilage zur SAC-Zeitschrift »Die Alpen« herausgegeben wurde. Die Lebensbilder in Egger (1946) umfassen wenige Seiten, die Biografien in Hug (1941) einige Zeilen. 26 Mori (2005: 54).

 

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 skopisch – stets eine humorvolle, risikohafte oder gar tragische Begebenheit aus dem Berufsalltag des betreffenden Führers.27 Ein Blick auf die untersuchten Werke macht zweierlei deutlich: Die Erinnerungen und lebensgeschichtlichen Daten werden meist mit grossem zeitlichem Abstand zu den tatsächlichen Ereignissen wiedergegeben und entweder von Herausgebern bearbeitet oder von Biografen niedergeschrieben. Das Geschilderte wurde also nachträglich rekonstruiert, neu interpretiert, umgedeutet und mit grosser Wahrscheinlichkeit auch mit fiktionalen Aspekten versehen.28 Gleichzeitig wird stets der Anspruch deutlich, die Realität korrekt abzubilden. Dies zeigt sich etwa daran, dass Ereignisse, Dialoge, Bewegungsabläufe bei besonders schwierigen Kletterstellen und Gefühlszustände der Beteiligten minutiös und mit minutengenauen Zeitangaben versehen wiedergegeben werden. Auch das Zitieren der Führerbucheinträge, das den Texten eine »dokumentarische Bedeutung«29 verleihen soll, zielt auf die Unterstreichung der Authentizität und Richtigkeit des Geschriebenen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Authentizitätsanspruch und den augenscheinlich fiktionalen Anteilen der Texte ist in der Bezeichnung »Tatsachenroman«30 für Alexander Burgeners Biografie enthalten. Der Text möchte einerseits Roman – also Dichtung – sein und andererseits »Tatsachen« wiedergeben. Nicht zuletzt angesichts der Unmöglichkeit, Autobiografisches von Biografischem und Authentisches von Fiktionalem eindeutig zu trennen, kann es nicht Ziel der Analysen dieser Texte sein, herauszufinden, wer die beschriebenen Bergführer tatsächlich waren, wie sie dachten und was sie genau erlebten. Vielmehr soll in der Folge mit einer diskursanalytischen Haltung rekonstruiert werden, wie diese Leben erzählt und die Berge, das Bergsteigen und die Bergführer dabei beschrieben werden. Die in diesen Dokumenten enthaltenen diskursiven Elemente sind insofern interessant, als man davon ausgehen kann, dass sie als Deutungsangebote oder »Prescripts«31 – zumindest der Möglichkeit nach – noch heute zur Verfügung stehen. In Anlehnung an Sarasins methodologische Vorschläge gilt es bei der Analyse der Texte, erstens der »Materialität der Quellen« Rechnung zu tragen, denn die Analyse des in den Schriften Zutagetretenden lässt

27 Brawand et al. (1969 [1936]: 5). 28 Klucker vermerkt selbst, dass er nicht sicher sei, ob ihm beim Aufschreiben seiner Erinnerungen »nicht die Dichtung behilflich sein« müsse, da sein Gedächtnis ihn »manchmal im Stich« (1930: 62) lasse. 29 Tanner (1933: 4). 30 Fux (1961). 31 Binswanger/Bridges/Schnegg/Wastl-Walter (2009: 265 ff.).

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sich nicht von diesen trennen. Zweitens gilt es, das Sprechen – oder vielmehr Schreiben – der »Subjekte nicht von ihren Intentionen her verstehen zu wollen, sondern von den diskursiven Mustern aus, in die dieses Sprechen eingeschrieben ist«. Drittens sollen unter Berücksichtigung der »Metaphorizität aller sprachlichen Äusserungen« die »Vielschichtigkeit von Bedeutungen« ebenso sichtbar gemacht werden wie Unterdrücktes und Verschwiegenes.32 Die Analysen ergeben, dass das Charakteristische der in den (auto-)biografischen Texten zutage tretenden Vorstellungen in rein fiktionalen Texten derselben Zeit häufig besonders deutlich zum Vorschein kommt. Aus diesem Grund wird in den Ausführungen zusätzlich zu den biografischen Schriften punktuell auf die Romane »Bergführer Melchior«33, »Der Bergführer Jöri Madji«34 und »Rudi der Bergführer«35, die Erzählung »Was Peterli als Bergführer erlebte«36 sowie die Filme »Der Bergführer«37 und »Bergführer Lorenz«38 (1942/43) verwiesen. In der Folge wird zunächst aufgezeigt, wodurch sich die erzählten Biografien der porträtierten Bergführer auszeichnen. Anschliessend kommen die Tourenberichte zur Sprache, die in verschiedenen Publikationen einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Danach wird den Fragen nachgegangen, wie in den Publikationen über den Berg und das Bergsteigen gesprochen wird, wodurch sich das Verhältnis zwischen ›Herr‹ und Führer auszeichnet, in welcher Form Frauen in den Publikationen auftauchen und wie Bergführer dargestellt werden.

4.2 V OM H IRTENBUB ZUM B ERGFÜHRER : B IOGRAFISCHE E CKDATEN Die in den Publikationen wiedergegebenen biografischen Daten der Porträtierten gestalten sich erstaunlich homogen und entsprechen in den meisten Punkten den Eigenschaften, die in Kapitel 3 bei den Bergführern der zweiten Hälfte des

32 Sarasin (2003a: 58 f.). 33 Jegerlehner (1929). 34 Marti (1937). 35 Ullman (1954). Diese Geschichte spielt auf die Matterhornerstbesteigung an. Sie wurde vom US-Amerikanischen Autor James Ramsey Ullman auf Englisch verfasst, 1954 unter dem Titel »Banner in the Sky« publiziert und im gleichen Jahr auf Deutsch übersetzt. 36 Barth (1930). 37 Film »Der Bergführer« (1917). 38 Film »Bergführer Lorenz« (1942/43).

 

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 19. Jahrhunderts festgestellt wurden: Die meisten Führer sind bergbäuerlicher Herkunft, einige sind Söhne von Bergführern. Alle entstammen Orten in den Berner, Walliser oder Bündner Alpen, die von Bergsteigern aus England und kontinentaleuropäischen Städten ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu alpinistischen Zwecken aufgesucht wurden. Bevor sie mit dem Führen von Gästen beginnen, arbeiten sie in der Berglandwirtschaft als Bergbauern, Knechte, Wildheuer, Alpkäser, Mähder oder Säumer oder sind als Handwerker tätig (Maurer, Schnitzler, Schreiner, Zimmermann, Schmid, Wagner).39 Viele hüteten bereits als kleine Buben Ziegen, Schafe oder Kühe und die meisten gehen – häufig auch noch parallel zu ihrer Führertätigkeit – der Gemsjagd oder allgemein der Jagd nach.40 Diesen Hirten- und Jägertätigkeiten verdanken sie den Autoren zufolge die grundlegenden Fähigkeiten, die für das Führen von Touristen nötig sind: Sie kennen die umliegenden Gebirge und sind gewandte Kletterer. Die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen eignen sich die meisten der porträtierten Bergführer zudem an, indem sie als »Träger« einen erfahrenen Führer auf dessen Touren begleiten, bis sie es sich – beziehungsweise die ›Herren‹ es ihnen – zutrauen, selbständig Reisende zu führen. Später geben sie ihr Wissen und ihre Erfahrung häufig auf dieselbe Art an jüngere Führer weiter. Alexander Burgener beispielswiese soll zunächst seinen älteren Bruder als Träger begleitet und später als Führer seine Söhne als Träger mitgenommen haben, die dann ebenfalls Führer wurden.41 Bei einem Grossteil der Geführten handelt es sich um Bergsteiger oder Bergsteigerinnen aus England sowie aus grösseren Städten Deutschlands, Österreichs, Italiens und der Schweiz. Zu ihnen gesellen sich vereinzelte ›Herren‹ aus anderen Ländern (etwa aus Russland, Ungarn oder den USA). Sie engagieren ihre Führer meist für mehrere Tage, Wochen, manchmal gar Monate, wobei sie neben dem Lohn des Führers gelegentlich auch die Kosten für Unterkunft, Reise, Verpflegung und teilweise auch für Material (etwa zusätzlich benötigte Seile) begleichen.

39 Die gleichen Herkunftsmilieus stellt Günther aufgrund eines Bergführerverzeichnisses von 1884 für Deutschland und Österreich fest. Demnach rekrutierten sich Bergführer damals aus dem »bäuerlichen, unterbäuerlichen, (klein)handwerklichen sozioprofessionellen Milieu der Gebirgsorte« (1998: 69). 40 Nicht so Christian Klucker, der, gemäss Ernst Jenny, dem Verfasser seines Lebensbildes, »Murmel und Gemse lieber geschützt als gejagt« sehen wollte (Klucker 1930: 292). 41 Fux (1961: 11; 155). Auch Melchior Anderegg soll eine »ganze Schule von jüngern, tüchtigen Führern herangezogen« (Egger 1946: 83) haben, darunter vier seiner Söhne.

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Die »Partien«, wie die Gruppen der zusammen bergsteigenden Menschen gerne genannt werden, setzen sich meist zusammen aus einem, gelegentlich zwei ›Herren‹ – manchmal sind es auch ›Herrinnen‹ –, je nach Tour einem oder zwei Führern und manchmal auch einem oder mehreren Trägern. Die Touren, die fast ausschliesslich im Sommer stattfinden, verfolgen stets das Ziel, einen Gipfel oder allenfalls einen Übergang zu besteigen, wobei meist Gletscher überquert und Felsen erklettert werden. Alle Porträtierten machen mit ihren ›Herren‹ mehrere Erstbesteigungen oder -begehungen. Einige bleiben ihr Leben lang in den umliegenden Bergen ihres Herkunfts- oder Wohnortes tätig. Andere arbeiten – nicht zuletzt dank ihren ›Herren‹, die sie dorthin mitnehmen – im ganzen Alpenraum. Vor allem unter den nach 1840 Geborenen gibt es auch einige Führer, die für Expeditionen in den Kaukasus, den Himalaja, die Anden, nach Neuseeland oder Kanada engagiert werden. Von jenen Porträtierten, deren Todesursache bekannt ist, sterben viele eines natürlichen Todes, mehrere kommen aber auch bei der Ausübung ihres Berufes ums Leben, weil sie abstürzen oder in eine Lawine geraten.42 Matthias Zurbriggen soll seinem Leben im hohen Alter selbst ein Ende gesetzt haben.43

4.3 T OURENBERICHTE – »K ERN

DER

ALPINLITERATUR «

Ein Element, das in der einen oder anderen Form in allen untersuchten Texten auftaucht und oft einen prominenten Platz einnimmt, sind Berichte von besonderen Bergtouren, welche die Bergführer im Laufe ihres Lebens – gewöhnlich mit ihren Geführten – unternahmen. Während in den Kurzbiografien lediglich die Eckdaten einiger herausragender Erstbesteigungen erwähnt werden, sind in anderen Publikationen manche Touren bis ins letzte Detail akribisch festgehalten. Die Berichte lehnen sich an die Tourenberichte an, die seit Beginn des Alpinismus etwa in Zeitschriften der Alpen-Clubs publiziert werden und den »Kern der Alpinliteratur«44 bilden. In ihnen wird beschrieben, wer wann bei welchen Verhältnissen welche Tour begangen hat. Besonders bedeutsam sind diese Tourenberichte im Falle von Erstbesteigungen. Seit der Moderne ist es in der symbolischen Praxis des Bergsteigens von besonderem Wert, als ›Erste‹ oder ›Erster‹ auf einem besonders schwierigen oder hohen Berg gewesen zu sein, ihn ›erobert‹

42 So zum Beispiel Alexander Taugwalder (Fietz 1954), Alexander Burgener (Fux 1961), Ferdinand Imseng und Franz Lochmatter (Egger 1946). 43 Egger (1946: 360). 44 Mori (2005: 51).

 

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 zu haben.45 Eine Erstbesteigung – dies ein »Standardtopos des alpinistischen Diskurses«46 – gilt aber erst als solche, wenn sie schriftlich beschrieben ist. Der Tourenbericht erfüllt also nicht nur die Funktion, möglichen Nachahmern die gewählte Route zu erklären; vor allem soll er gegenüber anderen Bergsteigern und der Öffentlichkeit Beweis für die vollbrachte Tat erbringen.47 Die Publikation des Berichts einer begangenen Tour war seit Beginn der ›Eroberung‹ der Alpen »eine zentrale Anforderung an alle, die zur Diskursgemeinschaft der gebildeten Alpenreisenden gehören wollten«48. In den Bergführerbiografien und -autobiografien geht es nun nicht darum, absolvierte Touren zu belegen, denn dies geschah etwa bei Erstbesteigungen meist schon durch den Tourenbericht, den der ›Herr‹ oder seltener die ›Herrin‹ direkt im Anschluss an die Tour publizierte. Ziel der Berichte in den Bergführerbiografien ist es vielmehr, die »Taten« und »Leistungen« des betreffenden Bergführers, die bisher vor allem als solche der ›Herren‹ betrachtet wurden, zusammenzutragen, sie in Erinnerung zu rufen und hervorzuheben. In manchen Fällen wird dabei auch die Chance genutzt, als fehlerhaft erachtete frühere Beschreibungen des ›Herrn‹ zu korrigieren und den damaligen Sachverhalt ›richtigzustellen‹.49 Diese Berichte enthalten dieselben Komponenten wie die seit dem frühen 19. Jahrhundert publizierten alpinistischen Tourenberichte und orientieren sich am gleichen »alpinliterarischen Skelett«50: Neben dem Datum der Besteigung, der Lage und dem Namen des Berges sowie den Namen der beteiligten Personen finden sich häufig minutiöse Beschreibungen der gewählten Routen, Höhenangaben sowie immer wieder peinlich genaue Zeitangaben. Häufig wird auch genau aufgeführt, wann, was und wie viel – oder eher: wie wenig – gegessen und getrunken wurde. Die Wetterverhältnisse werden ebenso genau beschrieben wie Beobachtungen zu Fels, Eis und Schnee. Der Gipfelerfolg wird meist mit der Freude der Besteiger und einer Beschreibung der schönen Aussicht kommentiert. Ebenso dazu gehört die Schilderung von Schwierigkeiten, (Todes-)Gefahren und

45 Wirz (2007a: 71); vgl. Kapitel 2.3.1. 46 Wirz (2007a: 72). 47 Beweise einer Erstbesteigung wurden gerne auch vor Ort deponiert, indem man etwa auf dem Gipfel ein Steinmännchen errichtete und eine ausgetrunkene Weinflasche oder eine Büchse mit einem von den Bezwingern signierten Papier darin hinterliess, auf dem die ›Tat‹ beschrieben war (vgl. Derichsweiler 1917: 54). 48 Wirz (2007a: 71). 49 Vgl. Klucker (1930: 75; 111; 131; 175). 50 Mori (2005: 55; vgl. 44).

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körperlichem Leiden. Je nach Ausführlichkeit des Berichts kommen auch Zwischenfälle zur Sprache, etwa der Sturz eines Bergsteigers in eine Gletscherspalte oder ein »lustiges Intermezzo«51. In diesen Tourenberichten treten sich wiederholende diskursive Elemente zu Bergen, Bergsteigen und Bergführern zutage, auf die in der Folge eingegangen wird.

4.4 D EM H IMMEL

NAH

Die Berge sind in den untersuchten Texten omnipräsent. Dabei fallen folgende Aspekte ins Auge: eine ambivalente Beschreibung der Bergwelt, der immer wiederkehrende Topos der schönen Aussicht, die Assoziation des Berges mit dem Guten sowie die Tendenz zur Anthropomorphisierung des Berges. 4.4.1 Schauderhaft schön Mitten in einer Wand des Kringel, erinnert sich Toni Brun, schweifte sein Blick nach oben und unten: »Über uns und unter uns fast senkrechte Felsen bis auf den zirka 600 Meter tiefer liegenden Lavadinasgletscher, der voll tiefer Runsen und weiter Spalten von oben aus ein grausiges Aussehen hatte.«52 Während er diesen Gletscher als »grausig« bezeichnet, spricht er an anderer Stelle von der »grossartigen Gletscherwelt«.53 Solch scheinbar gegensätzliche Beschreibungen der Bergwelt sind in den Bergführerbiografien verbreitet: Die Berge, Felswände und Eismassen werden bald als schön, bezaubernd, romantisch und faszinierend, bald als furchterregend, gefährlich und wild gezeichnet. Häufig werden die vermeintlich widersprüchlichen Bezeichnungen kombiniert, was zu einer charakteristischen Ambivalenz führt: Ein Bergführer spricht von der »romantischen Wildheit«54 eines Gletschers, ein anderer soll einen »schauerlich-schönen«55 Gipfel erklommen und die »Herrlichkeiten und das Grauen des Hochgebirges«56 erkannt haben. Die Ambivalenz, die in diesen Schilderungen steckt, entspricht der kanntschen dynamischen Erhabenheit. In ihrer Erhabenheit erscheint die Natur dem Menschen als furchterregend und gleichzeitig als unwiderstehlich:

51 Klucker (1930: 62). 52 Derichsweiler (1917: 17). 53 Derichsweiler (1917: 50). 54 Freimann (1969 [1936]: 32). 55 Fux (1961: 95). 56 Fux (1961: 173).

 

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 „Kühne überhangende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich aufthürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, […] u. d. g. machen unser Vermögen zu widerstehen, in Vergleichung mit ihrer Macht, zur unbedeutenden Kleinigkeit. Aber ihr Anblick wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden[;] und wir nennen diese Gegenstände gern erhaben, weil sie die Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmass erhöhen[,] und ein Vermögen zu widerstehen von ganz anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns Muth macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können.“57 Ambivalente Beschreibungen der Bergwelt sind für die alpine Literatur wie auch für den Alpinismusdiskurs generell typisch.58 Dieser »delightful horror« taucht bereits in den Reiseberichten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf und ist auch in der Alpenmalerei etwa eines William Turner festzustellen, wobei die Berglandschaft zu einem »emotionalen und beinahe sakralen Drama« wird und der »Schrecken« inszeniert.59 Glaubt man Friedrich Schiller, so wird damit an die menschliche Natur appelliert. Die Erfahrung lehre nämlich, »dass der unangenehme Affekt den grössern Reiz für uns habe und also die Lust am Affekt mit seinem Inhalt gerade in umgekehrtem Verhältnisse stehe. Es ist eine allgemeine Erscheinung in unsrer Natur, dass uns das Traurige, das Schreckliche, das Schauderhafte selbst, mit unwiderstehlichem Zauber an sich lockt, dass wir uns von Auftritten des Jammers, des Entsetzens mit gleichen Kräften weggestossen und wieder angezogen fühlen«60. In den untersuchten Publikationen spielen die Autoren und Erzähler mit dieser widersprüchlichen Faszination und verstärken damit die Wirkung des Geschilderten. Nie sind die dabei negativ konnotierten Beschreibungen ausschliesslich negativ gemeint, stets wird auf sie zurückgegriffen, um das Faszinierende der Berge zum Ausdruck zu bringen. Die Ambivalenz, die in der Beschreibung und Darstellung der Bergwelt zum Ausdruck kommt, übertragen die Autoren auch auf das Bergsteigen und die Tätigkeit der Bergführer: Gerade die Schilderung lebensgefährlicher Ereignisse bringt die bergsteigerischen und bergführerischen Leistungen zum Ausdruck.

57 Kant (1919 [1790]: 116). Kant unterscheidet das Erhabene vom Schönen. In den untersuchten Publikationen ist verschiedentlich von Schönheit die Rede, wenn Erhabenheit im kanntschen Sinne beschrieben wird. 58 Vgl. Mori (2005: 24 f.). 59 Mathieu (2009). 60 Schiller (1792: 176 f.).

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4.4.2 Der Blick vom Gipfel Die Ambivalenz der gefährlichen, furchterregenden, aber auch betörend schönen und erhabenen Bergwelt zeigt sich besonders deutlich von oben betrachtet. Entsprechend präsent sind in den untersuchten Texten Beschreibungen des Ankommens auf dem Gipfel und des Ausblicks, der sich von ihm aus bietet. »Wir waren die ersten oben, hatten also auch Zeit genug, die schöne Aus- und Fernsicht zu geniessen«61, lässt Derichsweiler Toni Brun das Ankommen auf der Scesaplana beschreiben. Der wunderbare Ausblick, der nicht selten durch das bisweilen minutiöse Aufführen der erblickten Gipfel beschrieben wird und von dem es oft heisst, er habe »unauslöschliche Erinnerungen«62 hinterlassen, wird als Lohn für die Mühsal, das Leiden und die Gefahren beim Aufstieg betrachtet: »Auf dem Gipfel unseres höchsten Oberländer Berges genossen wir eine wundervolle Aussicht bei klarblauem Himmel. Trotz unserem gefährlichen Abenteuer und allen Strapazen fühlten wir uns voll entschädigt.«63 Wie die Ambivalenz in der Beschreibung der Berge ist auch die Schilderung der schönen Aussicht vom Gipfel in der alpinen Literatur allgemein und besonders in Tourenberichten weit verbreitet. Sie gilt als Beweis dafür, dass der Bergsteiger, die Bergsteigerin auch tatsächlich ganz oben stand.64 Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts soll ein Autor in der Zeitschrift des DÖAV »das Motiv der ›schönen Aussicht‹ als grössten gemeinsamen Nenner der alpinistischen Antriebskräfte«65 bezeichnet haben. Diese »alpinistische Wertschätzung der ›Rundsicht‹« deckt sich mit einer »für das 19. Jahrhundert charakteristischen panoramatischen Ekstase«.66 Gemäss der Logik des Panoramas gehört zur Aussicht ein privilegierter, zentraler, statischer Betrachter mit Übersicht – in unserem Falle ist dies der Bergführer. Dieser Betrachter erfährt, was Untengebliebenen verwehrt bleibt: »Im Ideal der vom exponierten Berggipfel aus entworfenen ›Rundsicht‹ verbinden sich naturkundlich-aufklärerisches und naturästhetisch-empfindendes Interesse des Alpinismus der frühen Jahre; sie

61 Derichsweiler (1917: 78). 62 Klucker (1930: 12). 63 Gertsch (1969 [1936]: 30). 64 Wirz (2007a: 49 f.). Diese »Vorliebe für den Blick vom Gipfel« findet sich auch in den Beschreibungen europäischer Afrikareisender (Wirz 2007a: 395; vgl. Wirz 2000: 34; 38). 65 Günther (1998: 58). 66 Günther (1998: 58).

 

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 liefert sowohl instruktive Einblicke als auch erbauliche Ausblicke.«67 Die Erfahrung des Obenseins ist gemäss dieser Deutung also nicht bloss ein Genuss, sie ist auch im doppelten Sinne belehrend. Damit wird das Obensein und Herunterschauenkönnen zum Privileg, die Obenstehenden – hier die Bergführer – werden zu Privilegierten. 4.4.3 »Inmitten der erhabensten Natur« Die Assoziation des Hochgebirges mit dem positiv konnotierten ›Oben‹, die uns bereits in Kapitel 2 als vom SAC vertretene Ideologie »Oben statt unten«68 und ganz generell als zentrales Deutungsmuster des alpinistischen Diskurses begegnete, ist auch in den Bergführerpublikationen äusserst verbreitet, was nicht weiter erstaunt, zumal hinter deren Herausgabe auch häufig SAC-Mitglieder standen. Auch in den untersuchten (Auto-)Biografien und Romanen steht das Oben für Erhabenheit, Reinheit, Gesundheit und die Nähe zum Göttlichen, das Unten hingegen für die Stadt, den Lärm, Dekadenz, Überzivilisiertheit, Krankheit und Enge. Auf diese Deutung rekurriert Matthias Zurbriggen, wenn er in seinem Vorwort schreibt, er wolle mit den Schilderungen seiner Erlebnisse »alle Menschen, die dazu imstande sind, verlocken, wenn wärmere Lüfte wehen, aus der Stadt zu fliehen und eine Zeitlang ins Hochgebirge zu reisen, wo sie sich, fern von den häuslichen Plackereien und dem lärmenden Leben der Städte, angenehmen körperlichen Anstrengungen bei vollster Seelenruhe widmen kön69 nen« . Denn auf den Höhen der Berge – ist er überzeugt – »finden wir Gesundheit, Kraft und Mut; dort oben, inmitten der erhabensten Natur, werden wir den innigen Wunsch hegen, den Schöpfer des Alls zu preisen und zu segnen«70. Ähnlich klingt es bei Adolf Fux, der überzeugt ist: »Gratwind ist gesünder als Stadtluft«71, und über einen englischen ›Herrn‹ Alexander Burgeners schreibt: »In den Bergen war er frei vom Dunst der Niederungen, frei von Men-

67 Günther (1998: 58). Davon, dass die Beliebtheit des panoramatischen Ausblicks bis heute anhält, zeugen an Aussichtspunkten montierte Panorama-Tische ebenso wie Drehrestaurants auf Berggipfeln, Aussichtsterrassen, von denen aus das Alpenpanorama bestaunt werden kann, oder Ansichtskarten, auf denen ein Panorama abgebildet ist. 68 Anker (1986). 69 Zurbriggen (1937: 9). 70 Zurbriggen (1937: 9). 71 Fux (1961: 184).

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schengetöse, von Daten und Stundenschlag. Dort fand er wohl auch seinen Gott.«72 Der SAC nahm Anfang des 20. Jahrhunderts für sich in Anspruch, die Elite zu repräsentieren, der dieses Oben vorbehalten war. Hier nun wird das Oben den Bergführern zugeschrieben. Sie werden in den untersuchten Publikationen als Bergler dargestellt, die den Bergen entstammen, mit ihnen eins sind und dem Oben und damit der Erhabenheit, dem Guten und dem Göttlichen näher stehen als die meisten anderen Menschen. Sie werden als derart mit dem Oben verwachsen dargestellt, dass sie es unten und drinnen kaum aushalten. »Auf das Haus beschränkt«, erzählt Matthias Zurbriggen, »kam ich mir wie ein Gefangener oder bettlägeriger Kranker vor. Ab und zu entfloh ich in die Berge zur Gemsjagd«.73 Alexander Burgener wurde ob der unausweichlichen Enge auf dem Schiff, das ihn mit einem ›Herrn‹ nach Argentinien brachte, sogar richtig krank: »Wie ein Gefangener lief er über das Promenadendeck. Was er atmete, war nicht Bergluft.«74 Das Bedürfnis der Städter nach dem reinen ›Oben‹ wird da sein, gibt sich ein Autor 1941 – also mitten in der politischen Krise, die sich auf die wirtschaftliche Situation im Bergführergewerbe auswirkte – überzeugt, weshalb es die Bergführer auch immer brauchen werde: »Das rein vitale Bedürfnis nach Reinigung, nach Selbstbesinnung, nach Höhenluft und Sauberkeit, nach freiem Denken, Handeln und Reden wird ein derartig starkes und weitverbreitetes sein, dass unser Vaterland Mühe haben wird, allen Wünschen und Forderungen auf Besuch gerecht zu werden […].«75 4.4.4 Anthropomorphisierung und Feminisierung des Berges Ein weiteres Element, das in den Bergführerpublikationen bei der Darstellung der Berge und der ›Natur‹ äusserst verbreitet und für die alpine Literatur generell charakteristisch ist, ist die Personifizierung des Berges.76 Im Zuge dieser Anthropomorphose wird zur Beschreibung der materialen Erscheinung der Berge neben Begriffen aus der häuslichen Umwelt (wie Kamin, Dach, Wand etc.) und Werkzeugen (Joch, Wanne, Schneide) gerne auf Bezeichnungen menschlicher

72 Fux (1961: 64). 73 Zurbriggen (1937: 26). 74 Fux (1961: 110). 75 Hug (1941: 26). 76 Vgl. Günther (1998: 206 ff.); Mori (2005: 97).

 

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 Körperteile zurückgegriffen.77 Berge werden zu »Berggestalten mit ihren Eispanzern«78, sie haben Nasen, Schultern, ein Gebiss oder auch eine »unheimliche Gurgel«79, womit Ausdrücke verwendet werden, die in der alpinen Fachsprache allgemein verbreitet sind.80 Damit aber nicht genug: Den Bergen werden in den untersuchten Texten ein Gefühlsleben wie auch die Fähigkeit attestiert, absichtsvoll zu handeln. Sie können »stolz« und »elegant«81 sein und »Geheimnisse«82 haben. Berg und Bergsteiger stehen sich »von Angesicht zu Angesicht gegenüber«83, sie treten in Interaktion und kommunizieren miteinander. »Störet mich nicht zu oft, sonst könnte ich den einen oder den andern unfreiwillig hinunterspedieren«84, hört Bergführer Toni Brun den Piz Terri sagen, nachdem er ihn bestiegen hat. Gerne wird das Verhältnis zwischen Bergsteiger oder Bergführer und dem Berg als antagonistisches Kräfteringen beschrieben, bei dem mal der eine und mal der andere siegt. Dabei grinst der Berg den Bergführer »überlegen«85 an, erhebt den »göttlichen Drohfinger«86 oder lacht »höhnisch« herunter, als wollte er sagen: »›Ha, seht ihr, diesmal bin wieder ich Sieger geblieben!‹«87 Einmal nimmt der Berg »Rücksicht«88 oder lässt »Gnade walten«89, ein andermal wirft er »mit Steinen«90. Im schlimmsten Fall ergeht es dem Bergführer wie Alexander Taugwalder, dessen »Lebenslicht« die Berge »mit hartem Schlag« auslöschten.91 Die Anthropomorphisierung setzte in der alpinen Literatur im 19. Jahrhundert ein. Zunächst scheint man aus Bergen männliche Wesen gemacht zu haben, Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann die Darstellung der Bergland-

77 Vgl. Mori (2005: 99 f.). 78 Klucker (1930: 31 f.). 79 Klucker (1930: 211). 80 Mori weist darauf hin, dass die Anthropomorphose keine Erfindung des Alpinismus sei, sondern »von diesem erst auf die Spitze getrieben« (2005: 97) wurde. 81 Punz (1969 [1936]: 116; vgl. Klucker (1930: 172). 82 Schaller (1969 [1936]: 54). 83 Brawand (1969 [1936]: 9). 84 Derichsweiler (1917: 66). 85 Klucker (1930: 143). 86 Brawand (1969 [1936]: 14). 87 Giovanoli (1969 [1936]: 67). 88 Klucker (1930: 139). 89 Gabriel (1969 [1936]: 125). 90 Fux (1961: 157). 91 Fietz (1954: 19).

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schaft als weiblich üblich.92 So wird der Berg auch in den untersuchten Texten gerne mit weiblichen Attributen versehen; er wird in den Erzählungen zur Frau, auf die bisweilen gar die Ehefrauen der Bergsteiger eifersüchtig werden können.93 Die Begegnung zwischen Berg und Bergsteiger wird in den Schilderungen zum »Rendezvous zwischen Mann und Frau«94. Nachdem das schlechte Wetter eine Besteigung der Mejie nicht zuliess, gibt sich Bergführer Samuel Brawand humorvoll männlich gekränkt: »Wir konnten es immer noch nicht verwinden, dass sie [die Mejie, Anm. d. A.] uns heute früh nicht allzu höflich, aber sehr bestimmt erklärt hatte, nicht in der Lage zu sein, irgendwelchen Besuch zu empfangen.«95 Besonders gerne wird in den (Auto-)Biografien und Erzählungen die Metapher des Jungfräulichen verwendet. Ausserordentlich schwierige Kletterpassagen werden »Jungfernsteg«96 genannt und unbestiegene Berge oder unbefahrene Schneehänge als »jungfräulich«97 bezeichnet. Die Jungfrau – der Berg – muss als eine Art »Mona Lisa des Alpinismus«98 denn auch besonders häufig für solche Beschreibungen herhalten, wie etwa im Roman »Bergführer Melchior«: »Nein, so gemütlich hatte er sich das Heranpirschen an den kalten Leib der Jungfrau nicht vorgestellt. ›Mrs. Isabel‹, scherzte er, ›die weisse Dame legt die Hände in den Schoss und lässt uns bequem anstürmen. Nichts von Sprödigkeit, scheint eine gutmütige Schweizerin zu sein.«99 Die »sexuelle Eroberungsmetaphorik«100, die in Bergführer Melchiors Bemerkung zutage tritt, ist in der alpinen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitet. Der Berg wird in Tourenschilderun-

92 Wirz (2007a: 326); vgl. Mori (2005: 97). 93 Ein ›Herr‹ Christian Kluckers soll einmal gemeint haben: »Und wenn ich im nächsten September meinem Fraueli verrate, dass ich an die Rasica gegangen, dann wird sie ganz gewiss schalus und wird mich fragen: was ist das für eine, die Rasica?« (Klucker 1930: 239). 94 Günther (1998: 207). 95 Brawand (1969 [1936]: 11). Eine ähnliche Darstellung des Berges als zwar launische, aber insgesamt »wohlwollende Berg-Frau«, die den Bergsteiger nicht immer zu sich vor lässt und die der Alpinist »aus einem gewissen Unrechtsbewusstsein« heraus nicht ständig belagert, diskutiert Günther (1998: 208). 96 Derichsweiler (1917: 19). 97 Klucker (1930: 83). 98 Mori (2005: 97). 99 Jegerlehner (1929: 282). 100 Günther (1998: 327); vgl. Amstädter (1996: 133 f.).

 

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 gen dieser Zeit gerne »als Objekt des bergsteigerischen Begehrens«101 dargestellt, wird zur »zu erobernden Bergfrau«102, so auch in der in Abbildung 1 abgedruckten Postkarte aus dem Jahr 1896.103 Dass das Bergsteigen explizit mit Sexualität in Verbindung gebracht wird, ist gemäss Wirz ab Beginn des 20. Jahrhunderts zu beobachten, wobei auch die Psychoanalyse ihren Beitrag dazu leistete, indem sie die Frage, weshalb Menschen in die Berge steigen, mit der Sublimation der Libido erklärte.104 Zur gleichen Zeit diskutierte man in den Alpinismuszeitschriften über die Einflüsse der Sexualität auf den Alpinismus, die weibliche Codierung des Berges und die Frage, ob Frauen Bergkameradinnen sein können, wobei das Fazit weitgehend kritisch und ablehnend ausfiel.105 Günther erklärt die Abwehr gegenüber dem »gemischtgeschlechtliche[n] Bergsteigen«, die teilweise auch mit einer Kritik der Feminisierung der Berge und gar an grammatikalisch weiblichen Bergnamen einherging, mit der Befürchtung, die »[auch] vergeschlechtlichte Grenze zwischen den ›männlichen‹ hehren Höhen und dem ›weiblichen‹ profanen Flachland« könnten symbolisch aufgehoben werden.106 Weiblichkeit, Sexualität und Urbanität bilden gemäss dieser Deutung ein unheilvolles Dreigestirn, das von der Bergwelt ferngehalten werden sollte.107

101 Günther (1998: 327). Berge konnten aber auch ›geschändet‹ oder ›vergewaltigt‹ werden. Davon war ab Ende des 19. Jahrhunderts etwa im Zusammenhang mit dem Bau von Bergbahnen die Rede (Wirz 2007a: 326). 102 Wirz (2007a: 327). 103 Karten wie diese entstanden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts – besonders zur Jungfrau – verschiedene. War die erotische Anspielung zu deutlich, waren sie nicht von allen gern gesehen. 1911 wurde ein Kartenhändler aus Interlaken wegen einer solchen Karte angezeigt und gebüsst (Schärli 1984: 172; vgl. Wirz 2007a: 333). Zu »Jungfräulichkeitsideal und Sexualisierung im männlichen Kampfalpinismus« vgl. Amstädter (1996: 133). 104 Wirz (2007a: 325). vgl. Günther (1998: 332). 105 Diese Diskussion setzte in der Schweiz 1918 ein, im Jahr, in dem der SFAC gegründet wurde (Wirz 2007a: 325; vgl. Amstädter 1996: 131 ff.; 428 ff.; Günther 1998: 327 ff.). Wirz weist darauf hin, dass es Autoren gab, die für Frauen die Rolle der »Bergkameradin« sehr wohl vorsahen, jedoch um den »Preis des Verzichts auf ihre Sexualität«: Sie hatte eine »entgeschlechtlichte junge Frau« (Wirz 2007a: 256) zu sein. 106 Günther (1998: 331 f.). 107 Wirz (2007a: 331).

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4.5 ARBEIT

UND

K AMPF

AM

B ERG

Angesichts der Verbreitung des Deutungsmusters, wonach das Oben mit dem Guten assoziiert wird, versteht sich von selbst, dass Bergsteigen als sinnvolle, wohltuende und gesunde Tätigkeit gilt. In den untersuchten Publikationen finden sich zudem verschiedene weitere Diskurselemente und Metaphern, mit denen das Bergsteigen beschrieben wird, sowie Fragen, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden. Es sind dies die Metaphern der Arbeit und der Leistung, die Frage, ob es sich beim Alpinismus um Sport handle, die Verbreitung von Kriegsmetaphern sowie die Darstellung des Bergsteigens als maskulin codierte Praxis. 4.5.1 Arbeit und Leistung Bergsteigen ist für die in den Lebensbildern porträtierten Bergführer Arbeit; sie verdienen damit ihren Lebensunterhalt: »Seine Tüchtigkeit als Führer«, schreibt Willy über Martin Schocher, »war für ihn nicht sommerliche Erholung, sondern recht schwere Lebensberufsarbeit; denn auf seinen Schultern lag die Fürsorge für eine grosse Familie«.108 Als ›Arbeit‹ wird aber auch der Akt des Bergsteigens selbst bezeichnet. Sie wird meist als »schwer«, »mühsam«, »hart«, »anstrengend« und manchmal »gefahrvoll« oder »kitzlich« beschrieben.109 »Nur ungern nehmen wir Abschied von unserm schönen Ringel, dessen Ersteigung uns so schwere Arbeit verursacht hatte«110, erzählt beispielsweise Toni Brun. Christian Klucker kommentiert seinen Blick am Fusse einer Nordwand: »Mir war ganz klar, dass die Überwindung dieser brutal aufspringenden Felswand eine schwere Arbeit bedeute […].«111 Und auch Rudolf Taugwalder hatte auf seiner Erstbesteigung in Peru mit Miss Perk aus New York hart zu arbeiten: »Noch eine halbe Stunde anstrengender Arbeit und der Huascaran war besiegt.«112 Ebenso verbreitet wie die Metapher der Arbeit ist jene der Leistung. Bergführer, so stellt etwa Tanner fest, seien »durch trotzige Leistungen geadelt«113.

108 Willy (1936: 9). 109 Derichsweiler (1917: 21); Fietz (1954: 12); Gabriel (1969 [1936]: 122); Giovanoli (1969 [1936]: 64); Klucker (1930: 90; 91; 114); Willy (1936: 6); Zryd (1969 [1936]: 21). 110 Derichsweiler (1917: 21). 111 Klucker (1930: 180). 112 Taugwalder (1969 [1936]: 107). 113 Tanner (1933: 3).

 

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 Auch andere Autoren loben die glanzvollen Leistungen der Führer.114 Diese wiederum streichen ihre Leistungen selbst meist implizit hervor, sie »bewundern«115 gelegentlich erstaunt die Leistung ihrer Herrschaften oder aber sie stellen bei diesen einen Mangel an »Leistungsfähigkeit«116 fest. Die Metapher der Arbeit zur Beschreibung des Bergsteigens ist im alpinistischen Sprachgebrauch zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet.117 Sie findet sich vor allem, wenn es um die »Überwindung von Schwierigkeiten, Mühen und Gefahren«118 geht. Dass der Akt des Bergsteigens, der im Falle des Geführten keine Arbeit im produktiven Sinne, sondern reiner Selbstzweck ist, Anfang des 20. Jahrhunderts stets als Arbeit bezeichnet wird und sich viele Alpinisten – wie weiter unten deutlich werden wird – dagegen verwahren, Bergsteigen als ›Sport‹ zu betrachten, dürfte, so Günther, damit zu tun gehabt haben, dass das Bergsteigen als maskuline und bürgerliche Tätigkeit verstanden werden sollte. Die Arbeitsmetapher sollte zum einen darauf verweisen, dass der bürgerliche Mann, der sich hauptsächlich über Arbeit und Beruf definierte, auch arbeitete, wenn er zu Berge ging. Zum anderen verweist sie darauf, dass Bergsteigen als ernste Angelegenheit aufgefasst werden sollte.119 In diesem Zusammenhang ist auch die im allgemeinen Alpinismusdiskurs ebenfalls verbreitete Metapher der Leistung zu sehen.120 Die Idee, dass Erfolg von Leistung abhängt, ist in der bürgerlichen Leistungsgesellschaft zentral. Bergsteigerische Leistung entspricht der protestantischen Arbeitsethik in dem Sinne, dass sie positiv konnotiert und nie abgeschlossen ist: Nach jedem Gipfel ruft der nächste. Zudem ist Bergsteigen ein »Ritual […], das die Werte und Normen der modernen Leistungsgesellschaft in Szene setzt und in die Körper der Menschen einschreibt und in diesem Sinn ihren Habitus formt«121. Wenn in den untersuchten Bergführerpublikationen bezüglich des Bergsteigens von »Arbeit« die Rede ist, schwingt dabei häufig auch mit, dass die Führer

114 Vgl. Hug (1941: 25). 115 Inäbnit (1969 [1936]: 95). 116 Klucker (1930: 194). 117 Günther (1998: 186 ff.); Wirz (2007a: 369 ff.). 118 Günther (1998: 188). 119 Günther (1998: 195 ff.). 120 Vgl. Wirz (2007a: 368 ff.). 121 Wirz (2007a: 370).

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für ihre ›Herren‹ arbeiten. Im Falle des Stufenschlagens122 wird dies besonders augenscheinlich: Anders als beim Klettern, bei dem tatsächlich beide ›arbeiten‹ müssen, damit sie den Gipfel erreichen, ist das Stufenschlagen stets eine Arbeit des Bergführers, die er verrichten muss, um den Geführten den Aufstieg etwa über eine steile Eisflanke zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Christian Klucker tat dies zum Beispiel für seinen schwedisch-englischen ›Herrn‹ Ludwig Norman-Neruda an der Wellenkuppe: »Ein steiler Firnhang von etwa 250 m Höhe erforderte eine energische Stufenarbeit von 2½ Stunden.«123 In der Mehrdeutigkeit der Metapher der Arbeit ist also – wenn sie für Bergführer verwendet wird – auch das komplexe hierarchische Verhältnis zwischen ›Herr‹ und ›Führer‹ abgebildet.124 4.5.2 Sport versus Idealismus Während die Metaphern der Arbeit und der Leistung in der untersuchten Literatur vergleichsweise unreflektiert verwendet werden, machen sich die Bergführer beziehungsweise die Autoren, die über diese schreiben, immer wieder explizite Gedanken zur Frage, ob Alpinismus Sport sei. Die Antwort fällt – wie bei Christian Klucker – meist entschieden negativ aus: »Ich tät es ungemein bedauern, wenn das ideale Bergsteigen durch den reinen Sport verdrängt würde! Nach meiner Auffassung treibt derjenige, welcher nur das Sensationelle bei einer Bergfahrt pflegt, wirklich Sport.«125 Auch Hug stellt in seinem Artikel fest: »Die rein sportliche Einstellung hat dem Schweizer Bergsteiger – übrigens zu seinem Vorteil – gefehlt.«126 Bergsteigen wird in den Texten mit Idealismus in Verbindung gebracht, was bedeutet, dass es mit Ehrfurcht gegenüber der »herrlichen Gebirgslandschaft, […] [der] Natur und deren Schöpfungen«127 betrieben werden soll. Sport hingegen wird mit falschem Ehrgeiz, mangelnder Strammheit und Strenge, »Rekordtreiberei«128 und Wettbewerb assoziiert. Lobend schreibt etwa Fux über Alexander Burgener, er sei »[…] kein von Abenteuerlust und Renom-

122 Beim Stufenschlagen schlägt der Bergführer mit seinem Pickel Stufen in eine glatte und steile Eis- oder Firnfläche, sodass die ihm Nachfolgenden ihre Füsse in diese stellen und so leichter und sicherer gehen können. 123 Klucker (1930: 99). 124 Vgl. Kapitel 4.6.1. 125 Klucker (1930: 127). 126 Hug (1941: 23). 127 Klucker (1930: 20). 128 Klucker (1930: 261).

 

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 miersucht besessener Draufgänger, der der Verantwortung spottet«, gewesen: »Nicht Sensation, keine Zeit- und Höhenrekorde waren ihm erstrebenswert. Er achtete die Berge, weil sie seine Bestimmung waren.«129 Diese Abwehr des reinen Sportsgedankens beim Bergsteigen ist nichts Bergführerspezifisches, wie man aufgrund der Tatsache vermuten könnte, dass die Führer mit dem Bergsteigen ihren Lebensunterhalt verdienen. Mitte der 1920erJahre setzt in den Zeitschriften des SAC – wie auch innerhalb des SFAC und des DÖAV – eine Debatte zur Frage ein, ob Bergsteigen Sport sei, die bis Ende der 1940er-Jahre intensiv geführt wird und meist in ein dezidiert negatives Fazit mündet.130 Die Unterscheidung, die diesen Diskussionen zugrunde liegt, entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich die Schweizer Clubisten vom Sportgedanken der englischen Bergsteiger abzugrenzen begannen.131 Es sollen vor allem ›traditionelle‹ Alpinisten der älteren Generation gewesen sein, Mitglieder der bürgerlichen Alpen-Clubs, die den in öffentlichen Wettkämpfen und Siegesprämien repräsentierten Sportgedanken ablehnten, eine Ablehnung, die in den 1930er-Jahren angesichts einer jüngeren Generation von Kletterern, die sich vermehrt als Sportler verstanden, Auftrieb erhielt.132 Wirz erklärt diese sportkritische Position mit dem Bedürfnis, den bürgerlichen Alpinismus den Eliten vorzubehalten, denen es »um ›Idealismus‹ ging, um wissenschaftliche Erforschung der Alpen, um Patriotismus und um individuelle Selbstverwirklichung. Den Massensport verurteilten diese Kreise als ›materialistisch‹; ›Rekordsucht‹ und der Ehrgeiz, eine Medaille oder gar ein Preisgeld zu erringen, wurden abgelehnt«. Wirz vermutet den Grund für diese Ablehnung darin, dass sie »die Hoheit darüber zu behalten wünschten, wer ins kollektive Gedächtnis eingehen sollte«.133 Das Jagen nach Rekorden habe diesen elitären

129 Fux (1961: 21). 130 Vgl. beispielsweise Die Alpen Chr (1935: 177 f.; 1937: 59; 1942: 3 f.; 1942: 61 f.). Zur entsprechenden Debatte im SFAC vgl. Wirz (2007a: 318 ff.). In den Zeitschriften des DÖAV setzten die Diskussionen bereits kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert ein (vgl. Günther 1998: 188 ff.). Das Verhältnis von (Leistungs-)Sport und Bergsteigen wird in der Zeitschrift des SAC bis heute in regelmässigen Abständen diskutiert (Die Alpen Mb 1961: 1; 1969: 157; 1982: 149). 131 Vgl. Anker (1986: 138 ff.). 132 Vgl. Wirz (2007a: 317 f.). Angeheizt wurde die Debatte unter anderem durch die Erstbesteigung der Eigernordwand 1938 durch deutsche und österreichische Bergsteiger, die von den meisten Schweizer Clubisten als »Symbol für das sportliche Bergsteigen« (Anker 1986: 140) betrachtet wurde. 133 Wirz (2007a: 318).

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Anspruch womöglich insofern gefährdet, als beim Rekord Leistungen schriftlich festgehalten, öffentlich erinnert und damit mess- und vergleichbar wurden und somit von allen, also auch von nicht-bürgerlichen Männern oder von Frauen nachgeahmt werden konnten. Damit stand es »jedem und jeder offen, sich um einen Platz auf dem Siegerpodest zu bemühen; ›grosse Taten kleiner [Hervorhebung i. O.] Leute‹ traten somit an die Stelle der ›grossen Taten grosser Männer‹ der Historiografie des 19. Jahrhunderts«134. Die in den untersuchten Texten beschriebenen und zitierten Bergführer scheinen grösstenteils die sportkritische Haltung dieser Elite zu vertreten. Oder aber – was nicht ausgeschlossen werden kann – die zu dieser Elite gehörenden Autoren legen ihnen diese Haltung in den Mund. Allerdings tauchen in den Schilderungen auch Brüche auf. So ist beispielsweise verschiedentlich und ganz selbstverständlich von »Bergsport«135 die Rede. Zudem sprechen sich die Bergführer beziehungsweise die Autoren bisweilen gegen eine »rein [Hervorhebung d. A.] sportliche Einstellung«136 aus, womit sie die sportliche Dimension zumindest partiell legitimieren. Der Wettbewerbsgedanke ist zudem implizit auch im Wetteifer um die Erstbesteigung nahmhafter Gipfel vorhanden, an dem sich auch die porträtierten Bergführer beteiligen. Und schliesslich gibt es auch Beispiele von Bergführern, die selbst an solch umstrittenen Wettbewerben teilnahmen. In der Kurzbiografie Fritz Steuris wird beispielsweise erwähnt, dass er an »Schweizerischen Skirennen« mehrmals Sieger von »alpinen Dauerläufen und Langläufen« wurde.137 Und der Zermatter Führer Hermann Schaller erzählt stolz, wie er gemeinsam mit einem Alpinisten in der damaligen Rekordzeit von drei Stunden und fünfzehn Minuten auf das Matterhorn gerannt sei und wieder herunter, allerdings nicht ohne zu bemerken, dass er dies zunächst als »hirnverbrannte Idee eines Amerikaners« eingeschätzt und dem »Herrn« zunächst »offen heraus« gesagt habe, »dass ein solches Bergauf- und Bergabrennen Blödsinn sei«.138 Möglicherweise zeichnet sich in diesen Brüchen der von Wirz angedeutete Generationenwandel ab. Es könnte aber auch sein, dass die Bergführer gerade angesichts der erwähnten Implikationen der »Rekord«-Jagd sich erhofften, ›grosse Taten‹, die bislang allein ihren Herrschaften zugeschrieben worden waren, würden künftig von der Öffentlichkeit als die ihren anerkannt.

134 Wirz (2007a: 318). 135 Vgl. etwa Willy (1936: 8). 136 Hug (1941: 23). 137 Hug (1941: 26). 138 Schaller (1969 [1936]: 138).

 

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 4.5.3 Kampf um den Sieg Die Interaktion zwischen Bergführer oder Bergsteiger und Berg wird in den untersuchten Publikationen gerne als Kampf beschrieben. Die Bergsteiger befinden sich in einem Kampf mit dem Berg,139 bei dem es etwa um die erstmalige Bezwingung desselben geht, sie kämpfen »gegen die sich oft widersetzenden Gewalten der Bergwelt«140 oder schlicht um ihr »Leben«141. Die Kampfmetapher tritt in den untersuchten Texten gepaart mit einer Vielzahl anderer Metaphern aus der Kriegsrhetorik auf: Eine Bergtour wird zum »Feldzug«142, Berge werden angegriffen143, die Bergführer sind »mit Gletscherseil und Pickel bewaffnet«144, bei Schwierigkeiten wird »ernstlich Kriegsrat gehalten«145, »Rückschläge«146 müssen eingesteckt werden, »Ausharren«147 ist erforderlich und allenfalls wird zum »Rückzug geblasen«148. Wird der Kampf, dessen Ziel die Eroberung des Berges ist, gewonnen, so gleicht dies einem »Sieg«149 und der Sieger wird zum »Helden«150. Wird er verloren, bedeutet dies eine Niederlage, die zu Schmach oder schlimmstenfalls zum Tod führt. Diese Kriegsmetaphern sind – wie die meisten der bisher beschriebenen Elemente – in der alpinistischen Sprache generell verbreitet. Sie dürften mit den Analogien in Zusammenhang stehen, die gerade in den 1930er-Jahren etwa in Deutschland und Österreich zwischen Krieg und Alpinismus beschworen wurden. Günther erklärt dies unter Rückgriff auf Fries damit, dass Krieg und Alpinismus um die Jahrhundertwende »kulturkritische Positionen« vermittelten: »Im expressionistischen Untergangs- und Aufbruchspathos der Vorkriegszeit interessiert ›Krieg‹ dabei nicht als politische, militärische, ökonomische Wirklichkeit,

139 Klucker (1930: 270). 140 Willy (1936: 12). 141 Willy (1936: 6); vgl. Reichenbach (1969 [1936]: 128). 142 Klucker (1930: 272). 143 Vgl. Klucker (1930: 173; 176); Fux (1961: 43; 92). 144 Klucker (1930: 17). 145 Klucker (1930: 48). 146 Fux (1961: 92). 147 Vgl. Klucker (1930: 48). 148 Klucker (1930: 173 f.; vgl. 48; 226). 149 Klucker (1930: 102; 270); vgl. Derichsweiler (1917: 20; 65); Brawand (1969 [1936]: 17); Taugwalder (1969 [1936]: 107); Jegerlehner (1929: 248); Hug (1941: 23); Fux (1961: 95; 96; 117). 150 Tanner (1933: 4; 5); Fux (1961: 230).

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sondern ist wie ›Alpinismus‹ eine poetische Chiffre für das reizvolle ›ganz andere‹, meint Aufbruch, Begeisterung, Lebenssteigerung, Abenteuer, soziale Entgrenzung, die Möglichkeit, eine bedeutsame Existenz zu führen.«151 Die Häufung von Kriegsmetaphern in der schweizerischen alpinen Literatur begründet Mori damit, dass sie »vom Sprachtrend der damaligen Kriegsnationen Europas«152 übernommen wurde. Vor dem Hintergrund des in Kapitel 2 ausgeführten Zusammenhangs von Alpinismus und Nation in der Schweiz, erscheint die These einer solch quasi-naiven Übernahme eines Trends selbst etwas naiv. Plausibler erscheint da Ankers These, wonach einige Schweizer Alpinisten das Bergsteigen in den 1930er- und 1940er-Jahren »als eine Art Kriegsersatz betrachteten. Das selbstlose Opfern für eine neue Volksgemeinschaft ohne angebliche Degeneration und Kulturzerfall war, wenn nicht durch den Kampf im Feld, so durch den Kampf im Fels zu bewerkstelligen«153. Wenn auch die Bergführer selbst nicht von nationalistischen Motiven getrieben sein mochten,154 so schrieb sich die damalige Rhetorik doch in ihre Sprache ein oder sie wurde ihnen von den Autoren in den Mund gelegt. 4.5.4 Bergsteigen als maskulin codierte kulturelle Praxis Bei den in den (Auto-)Biografien porträtierten Bergführern, den Hauptprotagonisten der Bergführerromane wie auch den Autoren und Herausgebern der untersuchten Publikationen handelt es sich – mit Ausnahme Rosa Barths, Autorin der Erzählung »Was Peterli als Bergführer erlebte«155 – um Männer. Die Darstellungen der Bergführer und ihrer Tätigkeit sind zudem stark maskulin aufgeladen. Bergsteigen und Bergführen werden als anstrengende, kräfteraubende und gefährliche Tätigkeiten beschrieben, die Kraft, Energie, Mut, Wille und Tatendrang erfordern – Eigenschaften, die, wie Hausen aufzeigte, gerne dem »männlichen Charakter« zugeschrieben werden.156 Diese Eigenschaften werden in den Texten auch mit dem Verwachsen-Sein der Führer mit dem Berg in Zusammenhang gebracht: ›Richtige‹ Bergler, so die Devise, sind auch ›richtige‹ Männer. Damit wird ein Diskurs reproduziert, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts in publizistischen Texten anzutreffen ist und gemäss dem im »Männerraum« Hochgebirge

151 Günther (1998: 244); vgl. Fries (1994: 96 ff.). 152 Mori (2005: 101). 153 Anker (1986: 137). 154 Vgl. Zopfi (2010: 9). 155 Barth (1930). 156 Hausen (1976: 368).

 

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 ein »urtümliches Patriarchat« vorzufinden war, »innerhalb dessen die Männer noch Männer waren«. Alphirten wurde in diesem Zusammenhang eine »erhöhte Männlichkeit« zugeschrieben.157 Auch die wiederholten Schilderungen der Entbehrungen, des Ertragens von Kälte, Durst, Hunger, Schmerz und Müdigkeit sowie des Zurückstellen der körperlichen Bedürfnisse zugunsten der ›grossen‹ Taten am Berg, zielen auf eine Maskulinisierung und Heroisierung der Bergführer ab. Schliesslich sind auch die omnipräsenten Metaphern der Arbeit und der Leistung sowie die Kriegs- und Eroberungsrhetorik, die mit einer Feminisierung des Berges einhergehen, einer maskulin codierten Rhetorik entlehnt.158 Diese Aufladung der Bergführer ist im Zusammenhang der in Kapitel 2.5 ausgeführten allgemeinen maskulinen Codierung des bürgerlichen Alpinismus zu verstehen. Während Bergsteigen generell im alpinistischen Diskurs als maskuline Praxis gilt, werden die beschriebenen Bergführer in den untersuchten Publikationen als Anführer der Bergsteiger, als herausragende Bergführer und damit als in gesteigertem Masse maskuline Männer dargestellt. Mehrere von ihnen werden zudem als sehr gute Jäger beschrieben, wobei den beiden Tätigkeiten Jagen und Bergsteigen eine gewisse Homologie unterstellt wird. Historische Studien zeigen, dass auch der Diskurs um die Jagd stark maskulin codiert ist und darin teilweise dieselben Elemente und Metaphern erscheinen wie in jenem um den Alpinismus.159 Mit dem Verweis auf die Fähigkeiten im Jagen wird die Maskulinität der Bergführer also zusätzlich unterstrichen. Insgesamt repräsentieren die Bergführer eine gesteigerte Maskulinität. Hin und wieder nehmen die porträtierten Bergführer auf Touren auch weiblich codierte Tätigkeiten wahr, wie das Kochen für die ganze Partie, das Reinigen einer schmutzigen Hütte oder das fürsorgliche Verarzten eines verletzten ›Herrn‹. Diese Schilderungen stehen nicht in Kontrast zur gezeichneten Maskulinität, sondern fügen sich in diese ein: Wird gekocht oder geputzt, so geschieht dies in der Liminalität des Gebirges, wo Bergsteiger unter sich und Frauen weitgehend abwesend sind. Den Tätigkeiten haftet dabei der Charakter des Männerbündlerisch-Vergemeinschaftenden ebenso an wie jener des Ausseralltäglichen. Die fürsorglichen Handlungen gegenüber den Geführten fügen sich in das Ideal der dienenden Haltung des Bergführers ein. Zudem wird damit auch männliche Überlegenheit gegenüber dem ›Herrn‹ demonstriert: Der Führer ist so stark und widerstandsfähig – dies die Botschaft –, dass er trotz der Strapazen sogar noch

157 Wirz (2007a: 147). 158 Vgl. Günther (1998: 155). 159 Vgl. Tschanz (1999: 82 ff.).

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Energie aufbringt, für den ›Herrn‹ zu sorgen, während dieser teilweise nicht einmal mehr imstande ist, seine Grundbedürfnisse zu erfüllen.

4.6 ›H ERREN ‹ UND IHRE F ÜHRER – F ÜHRER UND IHRE ›H ERREN ‹ Bergführer braucht es erst, wenn Menschen da sind, die einer Führung bedürfen; diese Geführten sind für das Bergführerwesen also konstitutiv. Ihnen kommt in allen untersuchten Texten denn auch eine wichtige Bedeutung zu. In den fiktionalen Werken fungieren sie gerne als zentraler Baustein des Plots, aber auch in den (auto-)biografischen Texten sind sie omnipräsent. Keine Bergführerbiografie – sei sie noch so kurz – verzichtet darauf, die Namen der ›Herren‹ des Bergführers zu nennen, mit denen dieser seine ruhmreichsten Touren unternahm. Die ›Herren‹ sind wichtige Akteure in den Tourenberichten und sie werden von den Autoren gerne als Zeugen angerufen, wenn es darum geht, die Ausserordentlichkeit des betreffenden Bergführers zu belegen. Auf vier Aspekte, die sich in den Texten für die Beziehung zwischen ›Herr‹ und Führer als charakteristisch erweisen, wird in der Folge eingegangen: die konterkarierte Hierarchie zwischen Führer und ›Herr‹, die Frage, wem der Ruhm der Gipfelerfolge zuzuschreiben sei, Konflikte zwischen Führer und ›Herr‹ beziehungsweise deren Abwesenheit, die Beschwörung von Harmonie sowie ein zentrales Handlungsproblem des Führers und des Bergsteigens überhaupt, das sich mit der Frage »Gehen oder nicht gehen?« umschreiben lässt. 4.6.1 Konterkarierte Hierarchie Ein Blick auf die Namen, Titel und Berufsbezeichnungen der ›Herren‹ der Porträtierten zeigt, dass auffallend viele von ihnen Doktoren- oder Professorentitel tragen und es sich bei ihnen um Angehörige des Bürgertums, gelegentlich auch um Adelige handelt, wie es für die Alpinisten der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg typisch war.160 Die vergleichsweise ungebildeten Führer bergbäuerlicher Herkunft stehen also Reisenden gegenüber, die einer höheren Klasse angehören und über ein beträchtliches Mass an ökonomischem und kulturellem Kapital verfügen.161

160 Vgl. Kapitel 2.4. 161 Zu den Kapitalformen vgl. Bourdieu (1985: 9 ff.; 1987: 193 ff.).

 

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 Der Begriff »Herr«, der in allen untersuchten deutschsprachigen Schriften für die Bezeichnung der Geführten verwendet wird, dürfte zum einen von diesem sozialen Unterschied herrühren.162 Zum anderen verweist er auf die funktionale Beziehung zwischen Führer und Geführtem. Der ›Herr‹ engagiert den Führer, der ihm nicht nur den Weg weist, sondern gewisse anstrengende, zum Teil auch unangenehme Arbeiten am Fels und im Eis übernimmt und ihm im entscheidenden Moment – beim ruhmhaften Betreten des Gipfels – den Vortritt lässt.163 Sein Zudienen geht aber über das Bergsteigerische hinaus. Der Führer ist in den Schilderungen häufig auch eine Art ›Diener‹, der um das Wohl des ›Herrn‹ bemüht ist und ihn umsorgt. Er kocht wenn nötig eine heisse Suppe, flickt die kaputten Schuhe des ›Herrn‹, putzt auch mal eine schmutzige Hütte oder frottiert den Bergsteiger, wenn diesem kalt ist. Ihm überlässt er selbstverständlich »das Herrenbett als Schlaflager«, während er selbst es sich im Zelt oder auf dem »Hüttenboden auf Alpenrosenbelag« einrichtet.164 Damit entsprechen die Führer der dienenden Rolle, die von ihnen damals erwartet wurde und in den frühen Bergführerreglementen festgehalten war.165

162 In den französischsprachigen Publikationen dominiert der Begriff »messieurs« weniger stark und wird häufiger durch »touristes«, »voyageurs« oder gar »clients« ersetzt (vgl. Spiro 1944 [1928]: 51; 54; 84; 90). 163 Noch heute praktizieren dies gewisse Bergführer, so zum Beispiel Edi Bohren im Film »Die Bergführer – Drei Seilschaften, drei Gipfel, drei Abenteuer« (2008: 43:34), der seinem Gast wenige Schritte vor dem Gipfel mit einem »Bitte, der Gipfel gehört Dir. Geh nur vor.« den Vortritt lässt, um ihm anschliessend zum Gipfelerfolg zu gratulieren. Um 1900 wurde von den Bergführern schlichtweg erwartet, dass sie ihren ›Herrschaften‹ den Vortritt liessen. Entsprechend empört soll etwa die New Yorker Bergsteigerin Annie S. Peck reagiert haben, als ihr Führer Alexander Taugwalder ihr bei der Besteigung des Huascaran im Jahr 1908 in Peru diesen symbolträchtigen Schritt vorenthalten und den Gipfel als Erster betreten habe (Wirz 2007a: 106). Taugwalder selbst erwähnt in seiner Darstellung der Ereignisse nichts dergleichen (vgl. Taugwalder 1969 [1936]). 164 Klucker (1930: 142). 165 Während Zopfi Kluckers Autobiografie als »Zeugnis des Wandels im Verhältnis zwischen Führer und Geführten« (2010: 14) liest und feststellt, der Führer stehe einem »Gast« und nicht mehr einem »Herrn« gegenüber, scheint mir in Kluckers Autobiografie – trotz den selbstsicheren Abrechnungen mit seinen Herren und seiner Abscheu gegenüber der Unterwürfigkeit mancher Führer – das Herren-FührerVerhältnis nach wie vor stark zum Ausdruck zu kommen.

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Dieses Verhältnis, das jenem von Herrschaft und Knechtschaft im Sinne Hegels166 entspricht, hat allerdings auch seine Kehrseite: Während der ›Herr‹ einer sozial höheren Klasse angehört als der Führer, ist ihm dieser am Berg überlegen. Der Führer wird in den Publikationen als »Schicksalshüter«167 des Alpinisten bezeichnet, ihm ist dieser – bis zu einem gewissen Grad – ausgeliefert, ihm vertraut er sich »auf Gedeih und Verderb«168 an. Im »Lebensbild« über Christian Klucker schreibt Ernst Jenny: »Und tritt dann der gar nicht seltene Fall ein, dass der Herr nur mit Hilfe des vorangehenden Führers eine schwierige Stelle überwindet, oder dass Schneesturm, Nebel, Lawinen und Steinschlag Herr und Führer bedrohen, der Führer aber den Kopf oben behält, dann ist für einen ehrlichen und feinfühligen Herrn der Augenblick gekommen, den Herrn abzulegen und im 169 Führer den Mann und Freund, ja sogar den Überlegenen zu erkennen.« Am Berg also, wo der Führer den ›Herrn‹ ans Seil nimmt und die Verantwortung für ihn übernimmt, wird das »soziale Gefälle […] durch ein alpintechnisches Gefälle konterkariert«170. »[P]aysan au village, chef en montagne«171, bringt Spiro diese Rolle des Führers auf den Punkt. Das Verhältnis zwischen ›Herr‹ und Führer ist nicht nur durch diese gegenläufige hierarchische Struktur, sondern auch durch eine Interdependenz geprägt, wie sie für die Herr- und Knechtschaft gemäss Hegel charakteristisch ist.172 Die ›Herren‹ sind für die Durchführung ihrer ruhmreichen Touren auf die Träger und Führer angewiesen. Umgekehrt sind die Führer ökonomisch von den meist wohlhabenden ›Herren‹ abhängig. Zudem nimmt der ›Herr‹ den Führer nicht selten in Berggebiete jenseits seiner Heimatregion mit, was diesem eine Erweiterung des geografischen wie auch bergsteigerischen Horizonts ermöglicht.173

166 Hegel (2006 [1807]: 127 ff.). 167 Tanner (1933: 3). 168 Tanner (1933: 4). 169 Klucker (1930: 270). 170 Günther (1998: 69). Auf ähnliche Weise existiert diese konterkarierte Hierarchie heute zwischen westlichen Bergsteigerinnen und Bergsteigern und ihren Sherpas im Himalaya (vgl. Film »Sherpas – Die wahren Helden am Everest« 2009; Zopfi 2010: 12). 171 Spiro (1944 [1928]: 101). 172 Hegel (2006 [1807]: 127 ff.). 173 Vgl. Klucker (1930: 54; 19); Fietz (1954: 8); Egger (1946: 53). Bauer und Frischknecht beschreiben diese gegenseitige Abhängigkeit am Beispiel Christian Kluckers und seines ›Herrn‹ Anton von Rydzewski. Rydzewski und Klucker habe eine Art »Zweckehe« verbunden: »Die beiden Männer – der Herr nur wenig grösser als der

 

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 Gelingen einem ›Herrn‹ mit seinem Führer ruhmreiche Besteigungen, so färbt dieser Ruhm – auch wenn der ›Herr‹ ihn für sich in Anspruch nimmt – auf den Bergführer ab, was ihn im besten Fall für andere ›Herren‹ mit Potential zu einem gefragten Führer werden lässt: »Hat so ein junger Führer das Glück, einen unternehmenden und ungewöhnlich tüchtigen Herrn zu bekommen und also ausserordentliche Ziele zu erreichen, und gibt dieser Herr in seinen gedruckten Berichten den Namen des Führers bekannt, dann ist die Reklame für den Träger gemacht«174, stellt Jenny, der Verfasser von Kluckers Lebensbild fest. 4.6.2 Wer verdient den »Lorbeer des Siegers«? Lange Zeit galten die ›Herren‹ als treibende Kraft der alpinistischen Unternehmungen und ihnen fiel der ganze Ruhm zu. Bergführern fiel dabei die Rolle der »Proletarier am Berg, jedoch ohne Klassenbewusstsein«175 zu. Diese Situation, die von den Autoren und Herausgebern als ungerechtfertigt empfunden wird, soll mit den Publikationen zugunsten der Führer modifiziert werden. Christian Klucker, der eine Art »Klassenbewusstsein« entwickelt, ärgert sich über seinen ›Herrn‹ Rydzewski, da dieser »in seinen Berichten sozusagen als Initiant unserer neuen Unternehmungen gelten will«, denn dies habe »der Wirklichkeit und den Tatsachen bei weitem nicht« entsprochen.176 Auch Hug hält fest, es sei »durchaus unrichtig, wenn man glaubt, die Führer seien nur ausführende Organe ihrer Herren gewesen. […] Die Führer sind sehr oft der mass- und richtunggebende Faktor in ihrem Team gewesen; auch ihrer selbständigen Initiative entspringen viele Erfolge«177. Wenn Ernst Jenny bemerkt, dass noch nicht alle »Alpenpionierkränze auf den Köpfen liegen, auf die sie gehören«178, möchte er diesbezüglich die Geschichtschreibung geraderücken: »Der Anteil des Führers in der Geschichte der Erschliessung der Hochalpen ist ohne Zweifel viel grösser als gemeinhin geglaubt wird. Gar nicht selten in der alpinen Literatur wird der Füh-

klein gewachsene Führer – waren in ihrem Streben aufeinander angewiesen. Klucker war es nicht gelungen, seine englischen und deutschen Lieblingskunden für die Erschliessung des geliebten ›Granitlands‹ zu gewinnen. Wollte der Fexer sein Bergell nicht den ebenfalls anrückenden Italienern überlassen, blieb ihm nur der Russe. Der seinerseits wusste: ›Ohne Führer war ich nichts.‹« (Bauer/Frischknecht 2007: 16). 174 Klucker (1930: 271). 175 Zopfi (2010: 14). 176 Klucker (1930: 123). 177 Hug (1941: 25). 178 Klucker (1930: 3).

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rer erst in zweiter Linie genannt, mitunter auch gar nicht, während der Geführte, also der Herr, als der Mann gilt, der den Lorbeer des Siegers verdiente. Und doch könnte mitunter leicht nachgewiesen werden, wer in Tat und Wahrheit die noch unbetretenen Joche und Grate und Gipfel besser gekannt, wer den ersten Angriff ausgedacht und wer den Angriff durchgeführt hat, nämlich der Führer und nicht der geführte Herr. Hinterdrein aber, wenn der Herr zur Feder griff und die alpine Tat bekanntgab, war der Herr der Problemsteller, der leitende Kopf und der Führer wurde zu seinem Arbeiter in Eis und Fels. Die Eitelkeit siegte über die Ehrlichkeit.«179 4.6.3 Beschworene Harmonie Im Idealfall – und dieser wird in den Biografien meist beschrieben – wetteifern Führer und ›Herr‹ am Berg selbst nicht um Ruhm. Die beiden ergänzen sich in ihrer doppelten Hierarchie vielmehr optimal, und aus der hierarchischen Beziehung entstehen dank den vielen gemeinsam durchgestandenen Erlebnissen, Abenteuern und Todesgefahren enge Bande: »Das Verhältnis Herr und Führer ist nicht einfach das Verhältnis Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sobald das Seil umgelegt wird, entsteht ein Band, das Herr und Führer auf Leben und Tod verknüpft.«180 Kameradschaft und Freundschaft, die unter diesen Umständen zwischen ›Herr‹ und Führer entstehen, werden von den Autoren, Herausgebern und von den ›Herren‹ in den Bergführerbucheinträgen gerne mit Pathos beschworen.181 Manchmal sei das Zusammenspiel so optimal gewesen, dass man von aussen nicht mehr sicher habe sagen können, »wer Herr und wer Führer war«182. Dafür, dass es sich bei den Freundschaftsbeteuerungen zwischen Führern und ihren ›Herren‹ nicht bloss um schöne Worte handelt, dürfte sprechen, dass mehrere der porträtierten Führer von ihren Herren eingeladen wurden, sie in England zu besuchen.183 Andere Zeugnisse lassen vermuten, dass die Verhältnisse von

179 Klucker (1930: 269 f.). 180 Klucker (1930: 270). 181 Vgl. Klucker (1930: 73; 255); Tanner (1933: 4); Steuri (1969 [1936]: 152); Fietz (1954: 14; 15) Fux (1961: 16; 17; 18; 39); Egger (1946: 48; 56; 212). Vgl. Kapitel 4.8.5. 182 Klucker (1930: 273; vgl. 58 f.). 183 Melchior Anderegg, Alexander Taugwalder und Alexander Burgener reisten auf Einladung ihrer ›Herren‹ hin nach England, wobei letzterer »in alten Schlössern Gastfreundschaft genoss und am Kaminfeuer sein ›Gletscherenglisch‹ bereicherte,

 

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 Bergführern zu ihren ›Herren‹ weit zwiespältiger gewesen sein dürften, als in den untersuchten Texten dargestellt.184 Entsprechende Klagen bleiben in diesen jedoch entweder ausgespart oder werden genannt, um sie zu widerlegen.185 Eine Kritik, die in frühen Publikationen der ›Herren‹ wiederholt auftaucht und in den untersuchten Biografien gelegentlich erwähnt wird, bezieht sich auf die angebliche Verweigerungshaltung der Führer. Kritisiert wird diese, wenn die ›Herren‹ den Eindruck gewinnen, ein Führer habe sich nicht etwa aus stichhaltigen bergsteigerischen Überlegungen zu Absage oder Abbruch einer Tour entschlossen, sondern aus Feigheit und Faulheit.186 So wird beispielsweise über Ulrich Lauener erzählt, er habe sich – aus Bequemlichkeit – bereits ab Mitte September vor einem Biwak gescheut.187 Schliesslich wird auch die Weigerung mancher Führer kritisiert, die Alpenregion zu verlassen, die der Engländer Douglas W. Freshfieldmit einem Mangel an Mut, Energie und Bildung erklärt haben soll: »Die Fähigkeit, die ordentlichen Reisemühseligkeiten in einer fremden und wilden Gegend frohen Mutes auf sich zu nehmen und zu meistern, findet sich selten bei Bergführern. Dem Ungebildeten ist das Unbekannte stets unheimlich. Den gewohnten Gefahren der Schneewelt sind die Führer stets bereit entgegenzutreten, aber die Aussicht, fremden Völkern, Ländern und Meeren zu begegnen, erregt ihren Verdacht. Selbst durch die Überredung, eine Forschungsreise auszuführen, gehen schweizerische Gebirgler in der Regel nur unwillig an

ohne in Büchern stöbern zu müssen« (Fux 1961: 40; vgl. Fietz 1954: 8; Egger 1946: 73). 184 Wirz (2007a: 115 ff.). Edward Whymper beispielsweise soll seine Führer als »pointers out of path, and large consumers of meat and drink, but little more« (1871: 72) bezeichnet haben. Ähnlich positiv wie in den schweizerischen Bergführerpublikationen fallen hingegen rund achtzig Jahre später die Beschreibungen der Schweizer Bergführer in Clarks »The Early Alpine Guides« (Clark 1949) aus. 185 Anton von Rydzewski soll sich einst beklagt haben, negative Bemerkungen über Führer seien bereits früher in den Tourenberichten der ›Herren‹ durch die Redaktoren der Alpenzeitschriften zensiert worden: »Tönt der leiseste Nachhall einer Missstimmung aus den Zeilen, so wirft sich der Redaktor zum Anwalt des seiner Meinung nach verleumdeten Führers auf, ändert und streicht nach Gutdünken, so dass der Zweck nicht erreicht wird, nämlich die Heranbildung des einfachen Mannes zum Besseren.« (Rydzewski 1893: 159, zit. nach Bauer/Frischknecht 2007: 18). 186 Ein anderer von städtischen Bergsteigern wiederholt kritisierter Grund, sich nicht zu einer Tour an einem Sonntag überzeugen zu lassen, bildete vor allem Ende des 19. Jahrhunderts der obligate Kirchgang (Günther 1998: 69 f.). 187 Egger (1946: 135; vgl. 138 f.; 151).

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ihre Aufgabe. Sie vermissen den fröhlichen Führerraum nach der Tagesarbeit, der Mangel an Alkohol entmutigt, die Anforderungen des Zeltlebens bedrücken sie, und bevor die Schneegrenze erreicht ist, ist ihre Energie mehr als halb ausgegeben. Viele gute Führer haben es – keineswegs zu ihrem Tadel – abgelehnt, ausserhalb der Alpen zu gehen. Andere haben, wenn sie dazu gebracht wurden, Gründe zur Heimkehr gefunden, die ihnen genügend erschienen.«188 Ein solches Heimkehren ohne stichhaltige Gründe warf auch Dr. Güssfeldt Alexander Burgener vor, mit dem er mit dem Ziel der Erstbesteigung des Aconcagua nach Argentinien gereist war. Burgener bestieg – kaum in Südamerika angekommen – einen Dampfer und reiste gegen den Willen seines ›Herrn‹ unverrichteter Dinge alleine wieder nach Hause. Dr. Güssfeldt war überzeugt, dass er dies aus Heimweh tat, war verärgert darüber und diffamierte ihn dementsprechend in Zeitungsartikeln und einem Reisebuch. Die Biografen Fux und Egger hingegen bestreiten seine Darlegungen und führen eine Krankheit Burgeners ins Feld.189 Die Kritik der Geführten an den Führern betraf bisweilen auch ernstere Themen und fiel entsprechend harsch aus. Edward Whymper soll Vater und Sohn Peter Taugwalder im Anschluss an die dramatische Erstbesteigung des Matterhorns, bei der vier Personen den Tod fanden, nicht nur Ängstlichkeit, Feigheit, Unfähigkeit, Geldgier und mangelnde Pietät, sondern sogar Mordabsichten unterstellt haben. Dem Sekretär des englischen Alpine Club soll er anlässlich einer Unterredung erzählt haben, »dass die Taugwalder die erbärmlichste Feigheit, einen vollkommenen Mangel an Haltung, äusserste und hilflose Verwirrung zeigten, dass der jüngere in fürchterlichen Leichtsinn geriet, indem er die brutalste Gefühllosigkeit zeigte, ass, trank, rauchte, lachte, fluchte …, dass ihm ihr Benehmen allmählich und fortgesetzt Gefühle von persönlicher Gefahr einflösste, dass sie ihn in der Nacht bedrängten, den weiteren Abstieg im Mondschein zu versuchen, dass sie ihn danach nötigten, sich niederzulegen, in einer so zudringlichen und drohenden Art, dass er sich veranlasst sah, sich mit dem Rücken gegen einen Felsen zu stellen und ihnen mit der Eisaxt in der Hand zu befehlen, sich in grösserer Entfernung von ihm zu halten, und dass er die Nacht in dieser Weise stehend verbrachte und sich zu verteidigen trachtete. Die Folgerungen, die wir aus E. Whympers Beschreibung zogen, bestanden darin, dass die Taugwalder den zusätzlichen Verlust Whympers als eine freie Bahn zu künftiger

188 Egger (1946: 338 f.) 189 Vgl. Fux (1961: 107 ff.); Egger (1946: 341). Mit dem Heimweh wird auf die sogenannte Schweizerkrankheit« angespielt (vgl. Brand 2010; Leimgruber 2005). Zum Heimweh der Schweizer Bergführer in »fremden Berggebieten« vgl. auch Rubi/Sutter (1998: 48).

 

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 Berühmtheit sehr einträglicher Art ansahen und dass sie bereit waren, jegliche Möglichkeit zu benützen, diesen Verlust auf dem Abstieg herbeizuführen – und Edward Whymper gab uns zu, ähnliche Gedanken während jener ganzen schrecklichen Nacht gewälzt zu haben«190. Solch grobe Beschuldigungen gegenüber den Führern weisen Egger, der den Fall berichtet, wie auch die anderen Autoren jedoch stets als unbegründet und falsch zurück. Diese Behauptungen seien – so Egger im Lebensbild zu Peter Taugwalder – nichts anderes als die »phantastische Ausgeburt eines Jünglingsgehirns«; sie bewiesen lediglich, wie geringschätzig Whymper von seinen Führern gedacht habe. Whymper habe »Fürsorge mit aggressiven Tendenzen« verwechselt und sei ein »asozialer, harter Egoist« gewesen. Die Bergführer hingegen nimmt er in Schutz: »Peter Taugwalder aber hat bei dem unglückseligen Vorfall sein Bestes zum Wohle seiner Schutzbefohlenen geleistet und ist über jeden schmutzigen Verdacht erhaben.«191 Auch Christian Klucker – mit solchen Äusserungen gegenüber einem ›Herrn‹ ein Einzelfall – greift die harschen Vorwürfe, die sein ›Herr‹ Anton von Rydzewski ihm gegenüber formuliert hatte, in seinen Erinnerungen lediglich auf, um sie zu entkräften. Anton von Rydzewski habe »grundlos bei jedem Anlass in Wort und Schrift die Ehre und den guten Namen seines Führers […] in den Kot«192 gezogen. Klucker holt sodann ausführlich zum Gegenangriff aus, wobei er sämtliche Register zieht und auch auf die Waffe der Feminisierung seines Kontrahenten zurückgreift. Rydzewskis Körper habe »einen eher schwächlichen Bau« aufgewiesen, er sei »kurzsichtig« und gegen »Witterungseinflüsse […] sehr empfindlich« gewesen, habe eine »starke gichtische Veranlagung« gehabt.193 In schwierigen Lagen habe Rydzewski lediglich die »Rolle eines Mehlsackes«194 spielen können. Zudem sei er ein »mit einem unglücklich veranlagten Charakter ausgestatteter Mensch [gewesen], welcher nicht in das hehre Hochgebirge passte«. Das Allerschlimmste sei »seine stark entwickelte Nervosität und

190 Egger (1946: 187 f.). 191 Egger (1946: 188 ff.). 192 Klucker (1930: 119). Klucker führt dies darauf zurück, dass er »von Anfang an die von ihm auch bei ernster Arbeit im Hochgebirge geforderte Servilität und Salonetikette unzweideutig« (1930: 119) abgelehnt habe. Zum Konflikt zwischen Anton von Rydzewskis und Klucker vgl. Bauer/Frischknecht (2007). Tanner vermerkt, dass Rydzewski keineswegs der einzige ›Herr‹ gewesen sei, der sich mit Klucker, dem »tuusigs Männli« (1934: 15), zerstritten habe. 193 Klucker (1930: 118 ff.). 194 Klucker (1930: 163).

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seine schrankenlose Ränkesucht« gewesen. Mit ihm sei es stets zu Reibereien und Zwistigkeiten gekommen. Zudem habe er ihn lediglich bescheiden entschädigt.195 Von negativen Erlebnissen mit ›Herren‹ berichtet vereinzelt auch Brun unter dem Titel »Führers Freud und Leid«. Dort lässt er sich beispielsweise über eine Gruppe von 26 ›Herren‹ aus, die »die Zeit verbummelt« hatten und »versoffen und schläfrig« zur Tour erschienen, so dass diese zu einer Tortur wurde.196 Einmal sei er mit »drei jungen Bengels« auf einem Gletscher gewesen, wobei ihn diese »die ganze Zeit foppten und ärgerten und zwar ganz respektwidrig.« Nachdem sie Schneebälle nach ihm geworfen und am Seil gerissen hatten, band er dieses los und konstatierte, er sei »ihr Führer und nicht ihr Prügeljunge«, worauf es mitten auf dem Gletscher zu einem »Wortwechsel und Streit« kam, der in einen regelrechten Fechtkampf mit den Stöcken führte, den er gewann: »Ich salutierte die jungen Herren, kehrte um und ging heim«. 197 Solche Klagen von Führern über ihre ›Herren‹ oder von ›Herren‹ über ihre Führer sind insgesamt in den Publikationen Ausnahmen, welche die grundsätzlich beschworene Harmonie zwischen dem Führer und seinen ›Herren‹ unterstreichen sollten. 4.6.4 Gehen oder nicht gehen? Ein Konfliktpunkt taucht quer durch die Publikationen wiederholt auf. Er kreist um die Frage »Gehen oder nicht gehen?« und damit um eines der zentralen Handlungsprobleme des Bergsteigens und Bergführens überhaupt. Diese Frage stellt sich schon beim Entscheid des Führers, ob er sich zu einer bestimmten Tour mit einem Alpinisten oder einer Alpinistin bereit erklären soll, und stellt sich während der Tour stets aufs Neue, etwa wenn es darum geht, eine Wand in Angriff zu nehmen oder vor Erreichen des Gipfels – zum Beispiel wegen aufziehenden schlechten Wetters – frühzeitig abzusteigen. Während in Berichten von Alpinisten verschiedentlich zu lesen ist, die Führer hätten sich – sei es aus Faulheit oder Angst – geweigert, ein schwieriges Unterfangen in Angriff zu nehmen, ist das Problem in den Bergführerbiografien stets aus der Perspektive des Bergführers beschrieben: Typischerweise schätzt der Bergführer die brenzlige Lage richtig ein und rät zum Abbruch der Tour. Manchmal gibt er in den Schilderungen dem Druck des ›Herrn‹ nach, womit beide in eine missliche Lage geraten –

195 Klucker (1930: 118 ff.). 196 Derichsweiler (1917: 36). 197 Derichsweiler (1917: 32).

 

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 häufig, weil der ›Herr‹ überfordert ist.198 Meist überstehen Führer und ›Herren‹ die Situation aber heil. Im Falle von Alexander Burgener kam es bei seiner letzten Besteigung der Jungfrau anders, wie Fux zu berichten weiss: »›Ich habe genug gesehen‹, murrte er [Burgener, Anm. d. A.]. ›Der Himmel ist zu blau und der Schnee trügt. Ich traue beidem nicht. Kehren wir um. Es ist besser.‹ Herr Kühn hingegen war voller Zuversicht. Seine Überredungskunst übertönte Burgeners warnende Stimme.«199 Schliesslich habe Burgener nachgegeben. Die Besteigung endete mit dem Niedergang einer Lawine, in der er zusammen mit fünf weiteren Personen, darunter einem seiner Söhne, der ebenfalls als Führer dabei war, den Tod fand. Der Konflikt ›Gehen oder nicht gehen‹ ist massgeblich durch die konterkarierte Hierarchie geprägt: Auf der einen Seite hat der ›Herr‹ das Sagen, da er sozial höher gestellt und gleichzeitig Auftraggeber des Führers ist und diesen in seinen Dienst nimmt. Auf der anderen Seite werden die Führer aufgrund ihrer Lokalkenntnis als weit kompetenter beschrieben, was die Einschätzung von Wetterumschwüngen, Schneeverhältnissen und Gefahren am Fels betrifft.

4.7 Ä NGSTLICHE M ÜTTER

UND VERLIEBTE

D AMEN

Angesichts des späten Eintritts von Frauen in den Bergführerberuf versteht es sich von selbst, dass es sich bei den Hauptpersonen der hier diskutierten schriftlichen Erzeugnisse ausschliesslich um Männer handelt. Dennoch spielen Frauen in den Texten eine Rolle, wenn auch eine marginale. Sie treten als Ehefrauen, Mütter und Töchter sowie als ›Herrinnen‹, Hüttenwartinnen oder Reisende in Erscheinung. 4.7.1 »Das Geld kann mir die Angst nicht nehmen« Die in den (auto-)biografischen Texten beschriebenen Bergführer sind fast allesamt verheiratet und haben Kinder. Sind sie es nicht, so wird dies entweder als

198 Vgl. Klucker (1930: 35 f.; 79; 97; 109); Fux (1961: 42). Das Narrativ des Bergführers, der einen Städter vor Gefahren warnt, die dieser ignoriert, spielt auch im Film »Bergführer« (1917) eine zentrale Rolle, wobei hier der Bergführer ohne den Städter umkehrt, daraufhin für dessen Tod verantwortlich gemacht und schliesslich zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wird (Film »Der Bergführer« 1917; Schnetzer 2009: 135). 199 Fux (1961: 217).

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Schicksalsschlag problematisiert, wie im Fall von Christian Klucker, der aus Mangel an Geld sein »Thuner Anneli« nicht heiraten durfte, »trotzdem sein feuriges Herz in Liebe schlug«200, oder das Ledigbleiben des Führers wird als zölibatärer Zustand beschrieben, den die Hingabe an den Beruf gewissermassen erfordert. So sei Alexander Taugwalder »so sehr in seinem Beruf auf[gegangen], dass dies wahrscheinlich der Grund war, warum der lebensfrohe und gütige Mann Junggeselle blieb«201. Die Situation der Ehefrau – beziehungsweise der Braut – ist in den Schilderungen durch die Abwesenheit des Ehemanns geprägt. Während er in den Bergen den grossen Teil des Familieneinkommens erarbeitet, besorgt sie zu Hause den Haushalt, die Erziehung der Kinder und häufig auch den Bauernbetrieb. Dabei ist sie von drei Gefühlsregungen betroffen: Angst, Stolz und Eifersucht. Die Angst um den abwesenden, sich Gefahren aussetzenden Gatten ist das in den Biografien und besonders in den fiktionalen Texten am dominantesten hervorgestrichene Gefühl der Ehefrau; sie teilt es mit der Mutter und allenfalls auch mit den Töchtern des Führers, kaum aber mit dessen Vater oder den Söhnen. Die Sorgen und Ängste um ihren Ehemann, Alexander Burgener, begleiten etwa Philomena Burgener durch den ganzen »Tatsachenroman«. »Ach, die Frau eines Bergführers komme kaum aus der Angst heraus«202, lässt der Autor Burgener in einem Biwak am Matterhorn zu seinem ›Herrn‹ sagen. Im Film »Bergführer Lorenz« ermahnt die Mutter, deren Ehemann ebenfalls Bergführer war und in den Bergen abstürzte, ihren Sohn mit Nachdruck, er solle bloss immer vorsichtig sein.203 »Das Geld«, das er nach Hause bringe, könne ihr »die Angst nicht nehmen«.204 Auch die Mütter von Rudi und Jörji, beide ebenfalls Witwen von in den Bergen verunglückten Bergführern, treten in den Romanen »Rudi der Bergführer« und »Der Bergführer Jöri Madji« primär mit der Angst um ihre Söhne in Erscheinung; sie versuchen, die jungen Männer vom Bergführen abzuhalten.205 In beiden Fällen unterliegen die Ängste der Mütter der Leidenschaft der Söhne. Diese Angst um Sohn, Verlobten, Gatten oder Vater kann bei dessen gesunder Heimkehr nach dem Vollbringen einer ›grossen Tat‹ in Stolz umschlagen: »Dankbar gegen ein gütiges Geschick umarmt die Mutter den glücklich heimkehrenden Mann, schon um den nächsten Tag besorgt, und doch so stolz auf den

200 Klucker (1930: 10; 297). 201 Fietz (1954: 10). 202 Fux (1961: 28). Zur bangenden Ehefrau vgl. Spiro (1944 [1928]: 136). 203 Film »Bergführer Lorenz« (1942/43: 2:05). 204 Film »Bergführer Lorenz« (1942/43: 7:51). 205 Ullman (1954: 32; 144); Marti (1937: 13 f.; 297).

 

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 Tüchtigen.«206 Dieses Zusammenspiel von Angst und Stolz erinnert an jenes, das im Diskurs um Soldatenmütter, deren Söhne sich für ihre Nation in Lebensgefahr begeben, beobachtet werden kann.207 Die Bergführer selbst werden gerne als gute Familienväter dargestellt. Willy etwa bezeichnet Bergführer Martin Schocher als »wackeren Gatten und Vater«, der sich väterlich um Frau und Kinder gesorgt habe und »mit grosser Liebe« an ihnen hing.208 Zu viel Heimweh zu haben und sich nach der Frau zu sehnen oder um ein Wiedersehen zu fürchten, wird allerdings als unmännliche Schwäche beschrieben. So macht sich Christian Klucker über einen Führerkollegen lustig, der »jammerte, dass er seine liebe Frau und seine Kinder nicht mehr sehen werde, denn wir seien ganz sicher verloren und unser Herr sei ja bereits am Sterben«209. 4.7.2 »Stadtfräuleins« und andere Verführerinnen Weniger explizit als die Angst und bisweilen auch der Stolz wird die Eifersucht der Ehefrauen thematisiert, die sich an der von ihrem Mann (oder Bräutigam) geführten weiblichen Kundschaft entzündet. Die meisten der beschriebenen Bergführer führen nämlich gelegentlich auch Frauen,210 wobei sie sich meist sehr lobend über ihre bergsteigerischen Leistungen und ihren Tatendrang äussern.211 In den (Auto-)Biografien wird stets betont, zwischen dem Führer und seiner ›Herrin‹ habe ein ›kameradschaftliches‹ Verhältnis geherrscht.212 Zwischen den Zeilen wird jedoch immer wieder auch auf eine erotische Komponente verwiesen, wobei diese – gemäss den Erzählungen – meist auf das Verhalten der Frau zurückzuführen sei. Christian Klucker erzählt, dass er in einem Sommer »zwei

206 Tanner (1933: 8); vgl. Fux (1961: 109; 149). 207 Zur Situation heutiger Bergführerfrauen sowie ihrem Umgang mit der Angst und der Abwesenheit ihrer Männer vgl. Loretan (1994). 208 Willy (1936: 11). 209 Klucker (1930: 39; vgl. 1930: 41). 210 Ein Beispiel dafür gibt Christian Zippert ab, der etwa mit den Engländerinnen Mrs. Bedwell und Mrs. Rona Roberts-Thomson regelmässig unterwegs war. Mit letzterer unternahm er gemäss Einträgen in seinem Führerbuch zwischen 1897 und 1906 über achtzig Gipfelbesteigungen in den Bündner, Berner, Walliser sowie in den italienischen Alpen (Tanner 1933: 34 ff.). 211 Vgl. Fietz (1954: 15). 212 So etwa zwischen Alexander Burgener und Eleonore Hasenclever (vgl. Fux 1961: 186).

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junge liebenswürdige deutsche Damen« geführt habe, wobei die Gletschertour bei diesen »nicht bloss hohe Begeisterung für die Tur selbst aus[gelöst habe], sondern wie es schien, auch für den Begleiter«.213 Wie sich diese Begeisterung genau äusserte und wie er darauf reagierte, verrät uns Klucker nicht. Auch Fux, der Verfasser des Tatsachenromans über Alexander Burgener, spielt verschiedentlich mit diesbezüglich zweideutigen Bemerkungen. Eine Zermatter Barbierin lässt er den Führer Burgener warnen: »Aber mit den Frauen pass auf, Xander. Mach keine Dummheiten. Und behüt dich Gott«214, wobei die Lesart zumindest angeboten wird, mit den Dummheiten seien nicht nur gefährliche Bergtouren gemeint. Die Schilderungen einer Tour mit dem englischen Ehepaar Mummery über den Teufelsgrat wird dann auch zu einem ›Pas de deux‹ zwischen Burgener und Mrs. Mummery, wobei dem Ehemann, dem Seilschaftsletzten, eine Statistenrolle zukommt. Burgener nennt seine ›Herrin‹ »mein liebes Fraueli« und scheint eine gehörige Wirkung auf sie auszuüben: »Wie ein Kraftstrahl wirkte des Führers sonore Stimme auf die Frau, und sie folgte ihm gern, folgte ihm über die Felsen und kroch auch hinter ihm her durch Spalten, die so eng waren, dass man sich durchzwängen musste.«215 Um die Anspielung der erotischen Verbindung zwischen den beiden zu unterstreichen, spielt der Autor gar auf einen Gattenmord an. Als sie einen Stein unter ihren Füssen wegkollern liess – ein grobes bergsteigerisches Vergehen –, habe der Bergführer die Frau gemahnt: »Frau Mummery, wir sind nicht allein. Passen Sie auf, meine Liebe, sonst werden Sie Ihren Mann töten.«216 Was in den (Auto-)Biografien allenfalls zwischen den Zeilen angedeutet werden darf, wird in den fiktiven Texten gerne zum geradezu entscheidenden Element des Plots: Die weibliche Touristin wird als erotische Verführung gezeichnet, welche die heile Welt in Gefahr bringt oder gar aus den Fugen hebt. Im

213 Klucker (1930: 16). 214 Fux (1961: 170). 215 Fux (1961: 164). 216 Fux (1661: 165). Anspielungen auf eine eheähnliche Beziehung zwischen Führer und ›Herrin‹ finden sich in der Literatur verschiedentlich. Lucy Walker, die als erste Frau auf dem Matterhorn stand und sich häufig von Bergführer Melchior Anderegg führen liess, soll auf die Frage, warum sie nie geheiratet habe, geantwortet haben: »Ich liebe die Berge und Melchior – aber der hat schon eine Frau!« (Egger 1946: 70) Mrs. Bedwell wiederum bemerkt in einem Schreiben an Christian Zippert, sie werde für ihn »auch nach ihrer Verheiratung ›immer Fräulein Elsa bleiben‹« (Tanner 1933: 45).

 

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 Roman »Bergführer Melchior«217 verliebt sich die Amerikanerin Isabel in ihren Grindelwaldner Bergführer, der selbst einer vorehelichen Liaison seiner Mutter mit einem englischen Touristen entstammt. Die Mutter fürchtet das Scheitern der Bindung Ihres Sohnes mit seiner Verlobten Sabine, worauf Melchior sie zu beschwichtigen versucht: »Du weisst doch Mutter, wie man in den Bergen nach einer längeren Tour aneinander wächst, gemeinsame Freuden und Entbehrungen schmieden zusammen. Bei den Männern nennt man es Kameradschaft, bei den Frauen Verliebtheit. Alle Damen verlieben sich in ihren Führer, und wenn er noch frei ist, so täseln sie taubentänzig um ihn herum.«218 Der Autor spricht dieses Thema in einer Zeit an, in der der Zusammenhang von Erotik und Alpinismus in den deutschsprachigen Alpen-Clubs kontrovers diskutiert wurde.219 In der Zeitschrift Alpina des SAC wurde die Debatte 1922 durch den Artikel eines damals 25-jährigen Basler Alpinisten und Schriftsteller losgetreten, der feststellte, dass »das Bergsteigen stark auf die erotische Seite hinneigt« und dass es ihm – wie auch das Wandern – »als eine Art verfeinerter Erotik« erscheint.220 Im erwähnten Roman »Bergführer Melchior« ›täselt‹ Isabel nicht nur um ihren Führer Melchior herum, sondern macht ihm gar einen regelrechten Heiratsantrag, was seine Braut Sabine liebeskrank werden und seine Mutter sterben lässt. Während Melchior den Avancen der Amerikanerin letztlich widersteht und Sabine zurückzugewinnen versucht, lässt sich der Bergführer Stephan Lorenz im Film »Bergführer Lorenz«221 auf das Liebesabenteuer mit dem »Stadtfräulein«222 Rita ein. Stephan erliegt ihrer Verführung in der Hütte,223 verpasst ihretwegen einen Rettungseinsatz, bei dem er eine Rettungskolonne hätte führen müssen, wird daraufhin im Dorf geächtet und flieht in die Stadt zu Rita, die ihn jedoch links liegen lässt, sodass er voller Reue wieder ins Dorf zu seiner Mutter und seiner Verlobten zurückkehrt. Die verführerische Touristin steht in beiden Fällen sowohl für die erotisch-sexuelle Verführung wie auch für die Verführung des Bergführers weg von der Tradition und der Bergwelt in die moderne grosse, weite Welt.224

217 Jegerlehner (1929). 218 Jegerlehner (1929: 276). 219 Vgl. Günther (1998: 327) und Wirz (2007a: 328 ff.). 220 Graber (1922), zit. nach Wirz (2007a: 328). 221 Film »Bergführer Lorenz« (1942/43). 222 Film »Bergführer Lorenz« (1942/43: 224:10). 223 Zum »Schauplatz« der Hütten in der alpinistischen Sittlichkeitsdiskussion der Nachkriegszeit vgl. Günther (1998: 322 ff.). 224 Vgl. Zimmermann (2005).

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Neben Reisenden laufen den Bergführern unterwegs aber auch andere Verführerinnen über den Weg. Der ledige Klucker erzählt von einer »schmucke[n] junge[n] Älplerin«, die ihm auf einer Tour »frische Milch kredenzte«225, sowie von einem halben Dutzend »dunkeläugiger anmutiger Tessinerinnen«, denen er in einer Hütte begegnete und die ihn seine »vielen Jahrzehnte«226 verwünschen liessen, und er erwähnt sogar »geringfügige Seitensprünge«227, die sich auf den Touren zugetragen haben sollen. Dass die erotische Komponente in den (Auto-)Biografien höchstens angetönt, selten aber explizit formuliert wird, korrespondiert mit der Feststellung, dass sie im ›realen‹ Alpinismus Anfang des 20. Jahrhunderts als Tabu galt: »›Chercher la Femme‹ geziemt sich nicht für einen echten Alpinisten, der die Berührung mit dem ›Weiblichen‹ zu vermeiden hat – sei es mit Frauen aus Fleisch und Blut, mit der ›weiblich‹ codierten Zivilisation oder mit den bergsteigerischen ›Genüssen ohne Anstrengung‹.«228 Dass die Beziehungen zu Frauen und die Erotik in Romanen und Filmen hingegen zum Thema schlechthin gemacht werden, dürfte erstens damit zu tun haben, dass in diesen fiktionalen Dokumenten benannt werden darf, was im realen Leben tabu ist. Zweitens nehmen Frauenfiguren in diesen Erzeugnissen eine Funktion wahr, die über jene der Stifterin von Erotik hinausgeht: Über sie wird »der alpinistische Idealtypus Mann konsolidiert«229. Letztlich nämlich zielen sowohl die Anspielungen und Auslassungen in den (auto-)biografischen Texten wie auch die Thematisierung der Erotik in den fiktionalen Werken auf eine Betonung der Maskulinität der Bergführer. Und drittens scheinen Liebe und Erotik schlichtweg ein Mittel zu sein, um erzählerisch Spannung zu erzeugen.

4.8 I DEALISIERTE B ERGFÜHRER Die Zwecke, die mit den Publikationen verfolgt wurden, machen deutlich, dass viele der (auto-)biografischen Texte mit dem Ziel verfasst wurden, die entsprechenden Bergführer zu ehren und ihnen die Anerkennung zu erweisen, die ihnen zuvor zu Unrecht nicht zuteil geworden war. Die Beschreibungen der porträtierten Bergführer fallen dementsprechend ausführlich, positiv und idealisierend

225 Klucker (1930: 58). 226 Klucker (1930: 234). 227 Klucker (1930: 59 f.). 228 Günther (1998: 329). 229 Schnetzer (2009: 135).

 

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 aus. Wo Bergführer selbst zu Wort kommen, geschieht dies meist implizit, Biografen oder Herausgeber hingegen sparen nicht mit expliziten und mitunter pathetischen Charakterisierungen. Auch die zitierten Bergführerbucheinträge von ›Herren‹ oder ›Herrinnen‹ fallen ausschliesslich lobend aus. Dies dürfte damit zu tun haben, dass die Autoren und Herausgeber wohlwollende Zitate auswählten, ging es ihnen doch darum, die Bergführer in ein möglichst gutes Licht zu rücken. Hinzu kommt, dass in den Bergführerbüchern tatsächlich mehrheitlich positive Bemerkungen zu lesen gewesen sein dürften. Zum einen hatten die Bergführer ein Interesse an guten Zeugnissen und dürften deshalb ihr Führerbuch vor allem Herren vorgelegt haben, die mit ihren Leistungen zufrieden waren. Zum anderen dürften auch die ›Herren‹ ein Interesse daran gehabt haben, ihre Führer und die gemachten Touren zu loben, stellt doch dies auch die eigene Leistung in ein positives Licht.230 Negative Charakterisierungen der Führer, unvorteilhafte Eigenschaften und Fehlverhalten am Berg oder gegenüber den Geführten bleiben in den untersuchten Texten ausgespart oder tauchen lediglich vereinzelt auf. Auf sie wird in der Folge ein Blick geworfen, bevor näher auf das in den Publikationen gezeichnete, idealisierte Bild eingegangen wird. 4.8.1 Jammernde Feiglinge und ein stinkender Lötschentaler Abschätzige oder kritisierende Aussagen über die porträtierten Bergführer sind in den untersuchten Texten rar. Wenn sie dennoch auftauchen, dann meist, um von Dritten erhobene Anschuldigungen zu widerlegen. Andere Führer hingegen werden besonders in Christian Kluckers Erinnerungen und vereinzelt in Toni Bruns Aufzeichnungen herabgesetzt. Spottend äussert sich Christian Klucker beispielsweise über einen Kollegen, der in einem Notbiwak am Monte Disgrazia die Nerven verlor, an allen Gliedern schlotterte, »wie ein beohrfeigter Schulknabe« zu heulen und in der Verzweiflung Heilige anzurufen begann.231 Auch ein Lötschentaler Führer kommt beim Engadiner nicht gut weg: Er habe derart gestunken, dass des Nachts keine Laterne notwendig gewesen sei, da man einfach seinem Geruch nachmarschieren konnte, und zudem habe er sich auf dem Gletscher sehr ängstlich benommen, so dass er und sein Geführter beschlossen, sich der »mehr hinderlichen als nützlichen Führung zu entledigen«232. Schliesslich lamentiert Klucker auch über seine

230 Vgl. Egger (1946: 48). 231 Klucker (1930: 39; vgl. 133; 159; 162; 181 ff.). 232 Klucker (1930: 58).

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Walliser Kollegen, die »meistens vor den Hotels herumlungerten oder im Wirtshaus beim Kartenspiel sassen«233. An einer Stelle berichtet auch der Flimser Führer Toni Brun von zwei Touristen, denen er begegnete: »Sie schimpften grausig über ihren Laviner Führer, der von der Klubhütte weg nicht zu bewegen war, sie weiter zu begleiten, um die Tour auszuführen.«234 Bemerkenswert ist, dass es sich bei den derart Kritisierten stets um Bergführer handelt, denen die Erzähler unterwegs begegneten und die aus einer anderen Region, einem anderen Kanton oder einem anderen Land stammen als der Lästernde. Die Herabsetzung dieser ›fremden‹ Führer verdeutlicht, welche Eigenschaften ein ›richtiger‹ Bergführer in den Augen des Schreibenden haben muss. Sie erfüllt die Funktion, die Leistungen und Vorzüge des porträtierten und damit des idealtypischen Führers zu unterstreichen, für den der Porträtierte steht, worauf letztlich alle untersuchten Publikationen abzielen. Über die Vorwürfe an andere wird mit der Qualität des entsprechenden Führers auch dessen Maskulinität hervorgehoben. Dies geschieht besonders dort, wo sich der Führer – wie Christian Klucker – über Ängste, Schwäche und als unmännlich geltendes Verhalten anderer Führer wie etwa Heulen lustig macht, also über die Zuschreibung weiblich codierte Eigenschaften und Verhaltensweisen, was typisch ist für die Herstellung von Maskulinität.235 Dass solche negativen Äusserungen über ›fremde‹ Führer in diesen beiden ältesten Publikationen noch auftauchen, danach jedoch kaum mehr anzutreffen sind, dürfte zum einen daran liegen, dass es sich bei ihnen um die beiden autobiografischsten Texte handelt. Zum anderen dürfte es eine Folge dessen sein, dass im Zusammenhang mit der Gründung des SBV eine schweizweite Bergführerkameradschaft beschworen wurde und sich ein ungeschriebener Ehrencodex etablierte, wonach sich Bergführer öffentlich nicht gegenseitig schlecht machen oder beschuldigen.236 4.8.2 »Hart und echt wie der Fels« In den (Auto-)Biografien werden die ausserordentlichen bergsteigerischen Leistungen der Bergführer hervorgestrichen. Als Beleg dafür dienen beispielsweise Schilderungen eines besonders raffinierten Kletterzugs, mit dem der Führer eine scheinbar unüberwindbare Stelle passiert, oder der perfekt ins Eis gehackten

233 Klucker (1930: 108). 234 Derichsweiler (1917: 83). 235 Klucker (1930: 39; vgl. 133; 159; 162; 181 ff.).; vgl. Ullman (1954: 100; 135 f.). 236 Vgl. Kapitel 3.2.3.

 

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 Stufen. Über Brun etwa wird geschrieben, er sei »unerschrocken wie eine Katze über alle Felsen weg«237 geklettert. In den Bergführerbucheinträgen der ›Herren‹ werden zudem auch Aspekte wie die Kenntnis des Gebirges sowie die Orientierungsfähigkeit des Führers trotz Nebel lobend erwähnt.238 Gemäss den Schilderungen wird den Bergführern Härte, Zähigkeit, Tapferkeit und das Aushalten von Belastung und Schmerz abverlangt. In teilweise riskanten Unternehmungen setzen sie ihre Leben aufs Spiel. Auffallend ist, dass die Körper der Führer stets auch in ihrer konkreten physischen Erscheinung thematisch sind. Sie werden als stark, kräftig, leistungs- und widerstandsfähig, unermüdlich, zäh und währschaft beschrieben, wobei gerne auf Metaphern aus der Natur zurückgegriffen wird: Bergführer seien stämmig, baumhaft, wetterfest oder »hart und echt wie der Fels«239. Was in den (auto-)biografischen Texten allgegenwärtig ist, tritt in den Romanen wiederum überzeichnet zum Vorschein. So wird etwa Jöri Madji als »beweglich und biegsam wie eine Bergesche, zäh und unnachgiebig in allem, was er unternimmt« beschrieben. Seine Ruhe sei zudem unerschütterlich, »als wäre er ein Stück des Berges, aus ihrem Felsgestein, von einer Ewigkeit für eine Ewigkeit erbaut, und diese Ruhe kommt auf die beiden Begleiter, macht sie stark und sicher selbst in schier unmöglichen Lagen«.240 Die Natur der Bergwelt hat sich – gemäss dieser Deutung – gewissermassen in die Körper eingeschrieben; die Körper und damit die Führer sind selbst Teil der Natur, was sie in besonderem Masse zu aussergewöhnlichen Taten am Berg befähigt: »Und dieses Verwachsensein mit den Bergen macht ihn wie keinen anderen Menschen dieses Landes zum vollen Gelingen fähig«241, schreibt Marti über Führer Madji. Dass in den untersuchten Publikationen unentwegt auf die Körper der Bergführer hingewiesen wird, widerspricht dem historischen Befund nur scheinbar, dass im Geschlechterdiskurs der bürgerlichen Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert insbesondere das weibliche Geschlecht mit Körperlichkeit in Zusammenhang gebracht und die Frau als dem Diktat ihres Körpers unterworfen

237 Derichsweiler (1917: 58). 238 Klucker (1930: 28; 29). 239 Derichsweiler (1917: 7); vgl. Derichsweiler (1917: 83); Jegerlehner (1929: 96; 249); Klucker (1930: 55). 240 Marti (1937: 277; 122). 241 Marti (1937: 281). Die Darstellung einer Verwachsenheit mit der Bergwelt ist auch für Porträts von Bauern oder Sennen von Schweizer Fotografen aus den 1920erJahren festzustellen, wobei diese damit national aufgeladen werden (Schnetzer 2009: 164).

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dargestellt wurde, während sich der bürgerliche, rationale Mann als »Souverän gegenüber seinem eigenen Körper«242 entwarf. Körperlichkeit wurde nämlich vom bürgerlichen Mann nicht nur an Frauen delegiert, sondern auch an ›andere‹ – nichtbürgerliche und nicht der hegemonialen Männlichkeit entsprechende – Männer.243 Körperliche Kraft war gerade auch für die Konstruktion von Maskulinität in der Arbeiterklasse zentral.244 Von einer solch »›rohen‹ Männlichkeit« grenzte sich die »feinsinnige«245 Männlichkeit des bürgerlichen Mannes ebenso distinktiv ab wie von der Weiblichkeit. Der Bergführer repräsentiert nun nicht eine proletarische, wohl aber eine bäuerlich-berglerische Männlichkeit, die ebenfalls mit Körperlichkeit aufgeladen wird. Die Beschreibungen ihrer Körper zielen darauf ab, sie als naturwüchsige Bergler und ›richtige‹ Männer zu zeichnen.246 Gemeinsam ist der bürgerlichen, der proletarischen und auch der berglerischen Männlichkeit im Gegensatz zur Weiblichkeit, dass der Mann stets über die Leistung definiert ist, die er erbringt – sei dies nun in der Fabrik oder am Berg –, »also über ein Tun, und nicht über ein blosses körperliches Sein, wie es den Frauen zugeschrieben wurde. […] Der Körper ist ein verfügbares Instrument männlichen Wollens, nicht auferlegtes Schicksal«247. Von dieser berglerischen Männlichkeit grenzten sich die bürgerlichen Alpinisten in der Schweiz – wie in Kapitel 2.4 aufgezeigt wurde – nicht einfach distinktiv ab, sondern sie idealisierten sie angesichts der Kulturkritik im Rahmen des zweiten Zivilisierungsschubes und der Angst um eine Verweichlichung der Männer als Folge der Industrialisierung. Mit der Darstellung der Bergführer als Bergler knüpften die Autoren und Herausgeber der untersuchten Publikationen somit an einen alpinistischen Diskurs an, der – wie Wirz zeigt – das Hochgebirge mit seinen Bewohnern seit Mitte des 19. Jahrhunderts als »Männerraum« zeichnete. Die Bergbevölkerung, so die damalige Vorstellung, lebte in einem »urtümliche[n] Patriarchat, innerhalb dessen die Männer noch Männer waren«; Bergler verkörperten eine »erhöhte Männlichkeit«.248 Mit der Darstellung der Bergführer als Bergler reproduzieren die Autoren der untersuchten Publikationen diese Assoziationen nicht einfach unreflektiert, sondern setzen sie bewusst ein: Der Bergführer soll als mit den Bergen und damit mit dem Herzen der Schweiz

242 List (1993: 132), zit. nach Meuser (2007: 155). 243 Meuser (2007: 155). 244 Welskopp (1995). 245 Meuser (2007: 156). 246 Vgl. Derichsweiler (1917: 7) und Imseng (1969 [1936]: 26). 247 Meuser (2007: 156). 248 Wirz (2007a: 147).

 

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 verwachsener Mann dargestellt und damit maskulin, aber auch national aufgeladen werden. Sie entstammen der Ur-Schweiz, tragen diese in sich, verkörpern sie. 4.8.3 »Vornehmste Charaktere, treueste Seelen, beste Freunde« Neben dem Körper und den bergsteigerischen Fähigkeiten ist es stets der »Charakter« des Bergführers, der in den Texten als erwähnenswert betrachtet und ausführlich beschrieben wird. Typischerweise wird betont, der Bergführer zeichne sich durch »Tatendrang«249, eine »unermüdete Schaffenskraft«250 und einen starken Willen aus. Er sei furchtlos und mutig, kaltblütig, aber auch vorsichtig und verantwortungsbewusst. Weiter gilt er als tüchtig, pflichtbewusst, gewissenhaft und zuverlässig. Grosszügigkeit und Bescheidenheit sind weitere Tugenden, die ihm zugeschrieben werden: Der Bergführer trage »Stolz im Herzen, Demut auf der Stirne«251. Der ideale Bergführer erscheint als kollegial, selbstlos und gemeinwohlorientiert. Letzteres äussert sich insbesondere, wenn berichtet wird, wie Führer für die Rettung oder Bergung Verunglückter ihr Leben aufs Spiel setzen.252 Abgesehen von diesen ausschliesslich positiven Eigenschaften, die fast jedem der Porträtierten zugeschrieben werden und zur Ausstattung des idealtypischen Bergführers gehören, wird teilweise auch versucht, der Individualität der Führer mit der Zuschreibung weiterer, spezifischer, selten auch negativer Eigenheiten Rechnung zu tragen. Christian Michel sei »von friedlichem, um nicht zu sagen tumben Gemüte, und von unersättlichem Appetit«253, Melchior Anderegg habe über eine »natürliche Gentilezza, eine Liebenswürdigkeit und ein[en] Adel der Gesinnung«254 verfügt und über Maurice Crettez ist zu lesen: »Sa vie n’a été que bonté et charité envers tout le monde«255. Ernst Jenny wiederum hebt Christian Kluckers »Intelligenz«, Weltgewandtheit und Tugendhaftigkeit hervor: Er »war weit in der Welt herumgekommen, war gesellschaftlich, hilfsbereit, schrieb

249 Klucker (1930: 17). 250 Derichsweiler (1917: 6). 251 Tanner (1933: 8). 252 Vgl. Gabriel/Gianotti (1969 [1936]: 90). 253 Egger (1946: 102). 254 Egger (1946: 56). 255 Christen (1952: 8). »Sein Leben bestand aus Güte und Barmherzigkeit allen gegenüber.«

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schöner als mancher Schulmeister und konnte auch rechnen und ohne Furcht den Mund auftun«256. In den Bergführerbucheinträgen streichen die Verfasser und Verfasserinnen besonders gerne die führerspezifischen Qualitäten ihres Führers hervor. Häufig wird betont, wie vorzüglich er die Tour geführt und selbst schwierigste Situationen mit kühlem Kopf gemeistert habe. Zusätzlich wird in diesen Zeugnissen gerne vermerkt, der Führer sei hilfsbereit, aufmerksam, ruhig, angenehm, liebenswürdig, dienstwillig und bieder, also rechtschaffen. Es wird festgehalten, er habe ein »freundliches Benehmen« gezeigt und habe sich »in jeder Beziehung musterhaft benommen«. Gerne wird auch auf den Unterhaltungswert des Führers hingewiesen. Er sei stets froh, humorvoll, unterhaltsam, »pleasant« oder schlicht ein guter Gesellschafter. Kurz und gut, wird gerne geschlossen, der Führer könne nur wärmstens empfohlen werden.257 Sowohl die ›Herren‹ als auch die Biografen streichen häufig die »Treue« des porträtierten Führers hervor, wobei meist nicht eindeutig festzustellen ist, auf wen sich diese bezieht. Einmal scheint der Führer seiner Heimat und seinen Bergen treu zu sein, ein andermal dem Beruf oder dem Bergsteigen. Meist aber scheint sich die Treue auf die Herrschaft zu beziehen. Wie ein Diener seinem ›Herrn‹ treu ist, ist es auch der gute Bergführer.258 Der idealtypische Führer erfüllt also nicht zuletzt auch jene Eigenschaften, die gemäss den frühen Bergführerreglementen von ihm verlangt werden.259 Besonders ausgeprägt werden diese positiven Charaktereigenschaften in den fiktionalen Texten gezeichnet. Peterli, der Protagonist in der Erzählung »Was Peterli als Bergführer erlebte«, wird als bescheidener, hilfsbereiter, tugendhafter und mutiger junger Mann beschrieben, der unter anderem zwei Touristen das Leben rettet.260 Die moralische und bergsteigerische Integrität von Bergführer Melchior und Bergführer Jöri Madji wird in beiden Fällen hervorgestrichen, indem den Protagonisten je ein Antagonist gegenübergestellt wird; im Falle

256 Klucker (1930: 287); vgl. Egger (1946: 320). 257 Tanner (1933: 26; 29; 22); vgl. Fietz (1954: 16). 258 Faktisch ist diese Treue häufig gegenseitig: Der Bergführer ist mindestens so sehr darauf angewiesen, dass ihm sein ›Herr‹ treu ist und ihn im kommenden Jahr wieder engagiert, wie umgekehrt. Die ›Treue‹ der Führer wurde manchmal auch vertraglich vereinbart. So hatte Matthias Zurbriggen mit seinem englischen Herrn Mr. FitzGerald, den er mehrmals auf Expeditionen begleitete, einen »festen Vertrag für fünf Jahre« (Zurbriggen 1937: 97), in dem er sich dazu verpflichtete, Europa ohne das Einverständnis seines Herrn nicht zu verlassen. 259 Vgl. Kapitel 3.1.3; Günther (1998: 72). 260 Barth (1930).

 

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 Melchiors ist es sein Halbbruder Petsch, im Falle von Jöri Madji der Nachbar und Konkurrent Gebaldus Flersch – beide ebenfalls Bergführer. Petsch Anderegg wird ein unsteter Lebenswandel zugeschrieben, der sich im Hang zum Spielen, Trinken von Alkohol und Verführen von Frauen, in seiner Faulheit sowie in seinem generell zweifelhaften Charakter äussert. Bei Flersch ist es die Unehrlichkeit gegenüber der Braut, die er Jöri Madji wegschnappte, sowie seine Selbstüberschätzung am Berg.261 In Abgrenzung zu diesen Kontrastfiguren, die eine Vielzahl negativer Eigenschaften in sich vereinen, werden die Protagonisten und damit der gezeichnete Idealtypus idealisiert. 4.8.4 Gerufen und berufen Christian Klucker erinnert sich an sein erstes Engagement als bezahlter Träger für einen »deutschen Herrn«: »Als Entgelt erhielt ich von ihm am Abend in Pontresina ein Goldstück von zehn Franken. Eine fürstliche Belohnung für meine damaligen Begriffe. ›Sapristi!‹ dachte ich, ›unter solchen Bedingungen wäre das Bergsteigen doch lukrativer als das Arbeiten in der Werkstätte als bezahlender Lehrjunge!‹«262 Zwar wird in mehreren Biografien deutlich, dass solch ökonomische Überlegungen für den Entscheid, Bergführer zu werden, eine Rolle spielten,263 stets wird aber betont, das wirkliche Motiv für die Tätigkeit als Bergführer habe im inneren Drang gelegen, in die Berge zu gehen. Über Burgener beispielsweise wird berichtet, dass er »als Bergführer mehr Geld verdiente als jeder andere Saaser«264. Zwar habe er oft mit dem Gedanken gespielt, die mühsame und gefährliche Tätigkeit an den Nagel zu hängen, »die Lockungen« seien aber immer wieder stärker gewesen. Ihn habe eine »leidenschaftliche Liebe zu den Bergen« getrieben und die Berge seien schlicht seine »Bestimmung« gewesen.265 Darin widerspiegeln sich drei in den Bergführerbiografien sehr verbreitete diskursive Elemente bezüglich der Haltung der Führer gegenüber ihrem Beruf: der unwiderstehliche Ruf des Berges, die Liebe des Führers zu den Bergen und seine Berufung zum Bergführen. Die von Fux beschriebenen »Lockungen« der Berge finden sich auch bei Bergführer Karl Freimann, den das Bergell »unwiderstehlich immer wieder

261 Jegerlehner (1929); Marti (1937). 262 Klucker (1930: 13). 263 Vgl. Willy (1936: 5); Fux (1961: 16). 264 Fux (1961: 116; vgl. 16). »Saaser« sind Leute aus dem Saas-Tal, einem Tal im Kanton Wallis. 265 Fux (1961: 149; 186; 21; 141).

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anzieht«266. Auch Rudolf Taugwalder zogen schon von »frühester Jugend […] Zaubergewalten zu den Bergen hin«267. Die Deutung, der Berg ziehe den Bergsteiger magisch an, locke und ›rufe‹ ihn, ist nicht nur in den Biografien und Erzählungen der Bergführer präsent, sie ist in der alpinen Literatur und im Alpinismusdiskurs generell verbreitet und kommt im Phraseologismus »Der Berg ruft« verdichtet zum Ausdruck. Diese Wendung soll in der alpinen Literatur bereits um 1920 erstmals aufgetaucht sein und ist seither im Alpinismusdiskurs allgegenwärtig.268 Ihren Ursprung sieht Mori in der Sinnfrage, warum Menschen in die Berge steigen, die sich besonders dann gestellt haben müsse, wenn junge Männer in den Bergen ihr Leben verloren. In Sagen werde sie mit einem »hübsche[n] Bergmädchen«269 beantwortet, das den Mann mit seinem Ruf in den Tod lockt. Dieses Motiv des Rufens des Berges, dem der Bergsteiger und Bergführer nicht widerstehen kann, korrespondiert mit der Personifizierung und Feminisierung des Berges: Der Berg zieht »den Bergsteiger quasi-erotisch, wie eine potentielle Geliebte in seinen Bann«270. Gleichzeitig steht das Motiv in gewissem Widerspruch zu jenem der ›Freiheit‹, das im Alpinismusdiskurs mit Bergsteigen und Bergführern in Verbindung gebracht wird. Der Berg nimmt den Bergsteiger über sein Rufen gefangen und beraubt ihn seiner Entscheidungsfreiheit. Das verführerische Locken und Rufen der Berge erwidert Christian Klucker mit seiner »Liebe« zu ihnen. Diese Liebe der Bergsteiger zu den Bergen, die wie schon der Ruf der Berge in der alpinen Literatur ein omnipräsentes Motiv ist,271 wird in den untersuchten Texten gerne beschworen: »Und wie liebt er seine Berge!«272, schreibt etwa Tanner mit Pathos über Christian Zippert. In den Romanen sind es die unwiderstehliche Anziehungskraft der Berge und die Liebe der Bergführer zu diesen, welche die Bitten der Mütter, ihre Söhne mögen die Berge meiden, unerhört verklingen lassen. »›Man kann ein Feuer nicht mit der

266 Freimann (1969 [1936]: 31). 267 Taugwalder (1969 [1936]: 103). 268 Vgl. Fellenberg (1925); Film »Der Berg ruft« (1937/38); Wildenauer (1948); Mori (2005: 110); Treml (2006). 269 Mori (2005: 110). Das Bild des Bergmädchens oder der Bergfrau, die den bergsteigenden Mann ruft und anlockt, korrespondiert mit der häufig anzutreffenden Anthropomorphisierung und Feminisierung des Berges (vgl. Kapitel 4.4.4). 270 Günther (1998: 212); vgl. Anker (1996a; 1996b). 271 Vgl. Mori (2005: 97). 272 Tanner (1933: 16); vgl. Derichsweiler (1917: 4); Egger (1946: 165); Freimann (1969 [1936]: 26); Klucker (1930: 19; 256; 272).

 

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 Hand auswischen. Man kann den Wind nicht einfangen‹«273, legt sich der altehrwürdige Bergführer Theo im Roman »Rudi der Bergführer« für den jungen Rudi bei dessen Mutter ins Zeug. Jöri Madji entgegnet seiner Mutter in einem entsprechenden Wortwechsel schlicht: »›Mutter, das versteht ihr Frauen nicht, das mit den Bergen.‹« Im Innersten aber weiss seine Mutter, »dass es Jöris Lebensnerv ist, den sie ihm durchschneiden würde, wollte sie ihm verbieten, als Bergführer auf Verdienst auszugehen«. Seine Braut Röse hingegen stellt ihn vor die Wahl, er möge sich für sie oder für die Berge entscheiden. Anders als sein Konkurrent, der sich von Röse später zum Versprechen verleiten lassen wird, er verzichte ihr zuliebe aufs Bergsteigen, und sie damit für sich gewinnt, bleibt Jöri den Bergen treu: »›Die Berge‹, sagt er nur. ›Die Berge?‹ erwidert sie bang, ›die können dich mir doch nicht nehmen?‹ ›Sie können es, Röse – ich bin ihnen verfallen, es ist kein übertriebenes Wort, keine Leidenschaft, die ich selber nicht spürte, aber davon lasse ich nicht, nein – nie!‹«274 Die Motive »Ruf der Berge« und »Liebe des Bergführers zu den Bergen« gehen in den Texten meist mit jener Deutung einher, die bei Klucker als drittes Element auftaucht und besagt, der Bergführer sei für die Berge und seinen Beruf bestimmt. Finanzieller Anreiz hin oder her, die Bergführer – dies der Subtext der meisten Texte – sind zu dieser Tätigkeit ›berufen‹. Dass dies stets mit Emphase betont wird, dürfte im Umstand begründet liegen, dass die ›Herren‹ zu Beginn des Alpinismus für sich in Anspruch genommen hatten, die einzig ›wirklichen‹ Alpinisten zu sein. Bergführer hingegen wurden nicht nur als rückständige Bergler betrachtet, denen es an ›Kultiviertheit‹ mangle, sondern auch als keine ›richtigen‹ Alpinisten. Gerne wurde ihnen von den ›Herren‹ offenbar unterstellt, sie seien berechnend und lediglich von Geldgier getrieben. So soll etwa Anton von Rydzewski Bergführer Martin Schocher »Überforderung« vorgeworfen und Christian Klucker mit der Bemerkung geärgert haben: »›Point d’argent, point de Suisse, Point d’amitié, point de Russe!‹«275 Diesem Bild des Bergführers möchten die Biografien augenscheinlich entgegenwirken. Der Bergführer soll als Alpinist gegenüber dem ›Herrn‹ rehabilitiert, ja gar über diesen gehoben werden. So jedenfalls dürfte Derichweiler zu verstehen sein, wenn er im Vorwort zu den »Memoiren des alten Toni Brun« schreibt, Bruns Aufzeichnungen zeigten, »wie auch ein einfacher Mann, einer der von ›Führerlosen‹ oft mit Unrecht

273 Ullman (1954: 31). 274 Marti (1937: 297; 14; 167). 275 Klucker (1930: 153). »›Kein Geld, kein Schweizer, keine Freundschaft, kein Russe!‹«

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herabgeschätzten Führer, in seinen Fahrten mehr sieht, als einen Erwerbszweck, wie auch in ihm die Liebe zu den Bergen, trotz ihren Gefahren lebt«276. Die Deutungen, wonach die Bergführer unwiderstehlichen Verlockungen des Berges ausgeliefert, von Liebe zu ihnen erfüllt und deshalb zur Tätigkeit als Bergführer berufen sind, kulminieren in der – bis heute verbreiteten – Überzeugung, Bergführer sei weit mehr als ein Beruf und Bergführer bleibe einer sein Leben lang. Letzteres schlägt sich in den Biografien dergestalt nieder, dass gerne betont wird, der Porträtierte habe noch bis ins hohe Alter schwierige Berge bestiegen und Touren geführt. Toni Brun etwa habe auch »nach Erreichung eines Alters von 70 Jahren noch viele, teils schwierige Touren gemacht«. Er selbst soll 1912 geschrieben haben: »[H]abe mit 77 und 83 Jahren Führerdienste nach dem Vorab geleistet, die letzten zu meinem eigenen Vergnügen, nicht etwa um Geld. Will nun aufhören zu schreiben, sonst müssen Sie mich für einen alten Schwätzer halten. Heute bin ich 83 Jahre alt, gesund und munter. Habe heute noch nicht im Sinn, zu kapitulieren«.277 4.8.5 Kameradschaft und Konkurrenz Ein guter Bergführer ist gemäss den Darstellungen in den (Auto-)Biografien stets auch ein guter Kamerad. Als freundschaftlich und kameradschaftlich werden zum einen die Beziehungen unter den Bergführern entworfen, zum anderen jene zwischen Bergführern und ihren ›Herren‹.278 In beiden Fällen wird das Verhältnis eher als diffuses denn als spezifisches, rollenförmiges beschrieben, und es wird symbolisch aufgeladen. Die »gemeinsame leidenschaftliche Liebe zu den Bergen«279, das Übernehmen von Verantwortung füreinander, das gegenseitige Anvertrauen des Schicksals und die Verbundenheit durch das Seil »auf Gedeih und Verderb«280 lassen zwischen den Seilgefährten quasi-familiäre Bande entstehen, so der Tenor: Wie »Brüder«281 sollen sich der ›Herr‹ Albert Fred Mummery und seine Führer Alexander Burgener und Benedikt Venetz nach dem Erreichen ihres Ziels umarmt haben und Hermann Tanner schreibt, die ›Herren‹

276 Derichsweiler (1917: 4). 277 Derichsweiler (1917: 10; vgl. 11; 56). Vgl. auch Lanz/De Meester (1996: 7). 278 Vgl. Kapitel 3.2.5 und 4.6.3; Klucker (1930: 18; 255); Steuri (1969 [1936]: 152). Willy (1936: 7; 14); Egger (1946: 48; 51; 216); Fietz (1954: 16; 17); Fux (1961: 18; 39; 95; 106; 154). 279 Fux (1961: 186). 280 Fux (1961: 92). 281 Vgl. Fux (1961: 97).

 

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 hätten mit ihren Bergführern »schwere« und »glückbedachte Tage treuer Bergkameradschaft«282 verbracht. Er beschwört damit ein Bild, das an das Versprechen der Brautleute bei der kirchlichen Trauung erinnert, sich in guten und in schlechten Zeiten treu zu sein, bis dass der Tod sie scheide. Wahre kameradschaftliche, bergsteigerische Treue dauert – wie in den Publikationen deutlich wird – bis ans Lebensende283 und hat gerade angesichts von Gefahren und Tod Bestand. Die Kameradschaft unter Bergsteigern ist im alpinistischen Diskurs ein omnipräsentes und bis heute verbreitetes Motiv. Im SAC wurde Kameradschaft unter den Clubmitgliedern von Beginn weg gross geschrieben und national aufgeladen.284 In Deutschland und Österreich wurde die Kameradschaft zwischen den Seilpartnern im national vereinnahmten Alpinismus der 1930er-Jahre zum Symbol des »gemeinsamen Kräfteeinsatzes für das grössere Ganze: die ›Volksgemeinschaft‹«285. Der Diskurs um Kameradschaft ist nicht nur unter Alpinisten, sondern auch unter Jägern, in der Armee sowie generell in Männerbünden verbreitet und tritt stets im Zusammenhang mit der Herstellung von Maskulinität auf. Sie definiert sich meist über gemeinsam vollbrachte, häufig sehr gefährliche Taten. Mit ihr ist die Forderung verbunden, den Kameraden im Männerraum, in dem Frauen nichts zu suchen haben, bis in den Tod bedingungslos beizustehen.286 Angesichts der zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommenden, vor allem von der Psychoanalyse genährten These, wonach Bergsteigen als Sublimation des Sexualtriebes zu verstehen sei, wurde in der Literatur jener Zeit auch die Frage kontrovers diskutiert, inwiefern in den männerbundähnlichen Beziehungen zwischen den männlichen Alpinisten eine homoerotische Komponente spiele oder gar spielen solle.287 In den untersuchten Publikationen wird sie in seltenen Fällen angedeutet, meistens kommt eine solche Komponente aber nicht vor.288

282 Tanner (1933: 4). 283 Vgl. Epp (1969 [1936]: 48). 284 Wirz (2007a: 159); Anker (1986: 117 f.). In den Zeitschriften des SAC finden sich in der Folge immer wieder Artikel, in denen Kameradschaft beschworen oder mangelnde Kameradschaft beklagt wurde (vgl. z. B. Die Alpen Chr 1932: 128; 1954: 336). 285 Amstädter (1996: 426). 286 Vgl. Tschanz (1999: 127 ff.); Kühne (1999; 2006); Günther (1998: 262 f.). 287 Vgl. Günther (1998: 332 ff.); Wirz (2007a: 325 f.). 288 Dieser Befund deckt sich mit Amstädters (1996: 134) Feststellung, homosexuelle und bisexuelle Erotik bleibe im alpinen Diskurs unerwähnt.

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Bergsteiger sind im alpinistischen Diskurs aber nicht nur Kameraden, sie sind auch Konkurrenten – etwa im Wetteifern um den Sieg am Berg. Konkurrenz unter männlichen Bergsteigern galt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allerdings höchstens als legitim, wenn sie einem »übergeordnete[n] Ideal« – etwa dem Vaterland – diente und sich die Kameraden sportlich fair verhielten.289 Mehrheitlich standen die Alpinisten der Konkurrenz unter Bergsteigern wie dem sportlichen Wettkampf am Berg kritisch gegenüber. Im Vergleich zur Kameradschaft, die in den Bergführerpublikationen unentwegt beschworen wird, finden sich Hinweise zur Konkurrenz unter Bergführern seltener und sind dann meist impliziter Natur, wie etwa die erwähnte Herabsetzung ›fremder‹ Berufskollegen. Deutlicher tritt sie etwa bei Klucker auf, der beschreibt, wie er und sein ›Herr‹ einer anderen Seilschaft den Plan für eine Erstbesteigung verheimlichten, um ihr zuvorzukommen.290 Konkurrenzgebaren galt im damaligen Alpinismus als Untugend, weshalb es den porträtierten und idealisierten Bergführern gerne abgesprochen wird. Der Zermatter Bergführer Alexander Taugwalder beispielsweise – schreibt Fietz – »sprach neidlos von überragenden Leistungen seines Freundes [ein Bergführer, Anm. d. A.] und freute sich aufrichtig über dessen Fahrten im Himalaya und seine Erstbesteigungen von Siebentausendern«291. Gerade die Beteuerung der Abwesenheit von Neid deutet darauf hin, dass er unter Führern sehr wohl verbreitet gewesen sein dürfte. Häufig sind es auch hier wieder die ›anderen‹, die nicht Porträtierten, denen das negativ konnotierte Konkurrenzgebahren zugeschrieben wird. So beklagt sich etwa der Silser Christian Klucker, seine Pontresiner Kollegen hätten ihn als »von minderwertiger Sorte« eingeschätzt, wobei ihm »[d]iese Überhebung und Rivalität gegenüber auswärtigen Kollegen« unverständlich gewesen sei.292

289 Wirz (2007a: 316). »Solidarität« und »Konkurrenz« prägen – wie Tschanz (1999: 127 ff.) aufzeigt – auch Beziehungen unter Jägern. 290 Klucker (1930: 101); vgl. Zurbriggen (1937: 34 f.); Egger (1946: 290 f.; 340). Bergführer Kluckers ›Herr‹ Rydnewski war derart beleidigt, dass Bergführer Schocher und dessen ›Herr‹ ihm bei der Erstbesteigung des Cengalo von Norden zuvor gekommen waren, dass er Klucker bat, ihn bei einer »Sühne«-Aktion zu unterstützen. Klucker unternahm mit ihm eine solche Tour, allerdings nicht ohne zu betonen, er tue dies »aus Freude für die Sache und aus Tatendrang« und nicht »für Sühnezwecke« (Klucker 1930: 159). 291 Fietz (1954: 17). 292 Klucker (1930: 12).

 

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 Letztlich gehören Kameradschaft und Konkurrenz im Alpinismus zusammen: Kameraden sind gleichzeitig auch Konkurrenten und umgekehrt, sie sind – wie es für die Konstitution von Maskulinität konstitutiv ist – »PartnerGegner«293, wobei die Partnerschaft die Gegnerschaft im Idealfall stets zu überragen hat. So betont Fux für Alexander Burgener, er habe viele Touren zusammen mit seinem »Bergkameraden« Ferdinand Imseng unternommen, am Zmuttgrat jedoch sei er ihm zuvorgekommen: »Trotzdem sind wir gute Freunde geblieben.«294

4.9 N ATIONALE V EREINNAHMUNG UND C HARISMATISIERUNG Mit den (auto-)biografischen Publikationen über Bergführer sowie den fiktionalen Texten, in denen Bergführer als Hauptpersonen auftreten, richtete sich der Fokus in diesem Kapitel auf Textgattungen, die dem schier unüberblickbaren Korpus der alpinen Literatur zugeordnet werden können. Das Herausarbeiten von darin enthaltenen diskursiven Elementen zum Berg und zum Bergsteigen sowie Vergleiche mit Befunden wissenschaftlicher Untersuchungen zum Alpinismus und zur alpinen Literatur machte diese Einbettung deutlich: In den Publikationen treten diskursive Elemente und Deutungen zutage, die für die im untersuchten Zeitraum erschienene alpine Literatur charakteristisch sind. Auch das Deutungsmuster »Oben statt unten«295, das der SAC in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertrat, wird in den Publikationen – auf verschiedenen Ebenen – reproduziert. Nicht nur werden die Bergwelt und das Bergsteigen mit dem Oben assoziiert; vor allem auch die Bergführer selbst werden als diesem Oben entstammend, in ihm beheimatet und mit ihm verwachsen gezeichnet. Gemeinsam ist den untersuchten Publikationen, dass sie Bergführer ins Zentrum stellen, die in der übrigen alpinen Literatur zuvor von eher marginaler Bedeutung waren. Diese werden durchwegs – im einen Fall emphatischer, im anderen zurückhaltender, manchmal implizit und häufig explizit – in vier Hinsichten idealisiert: Als Bergsteiger, als Bergführer, als Männer und als Schweizer. Zudem werden die einzelnen Bergführer wie auch der Bergführerberuf charismatisiert.

293 Bourdieu (2005: 83); vgl. Kapitel 1.5.4. 294 Fux (1961: 118). 295 Anker (1986).

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4.9.1 Der Schweizer Mann Bergführer werden in den untersuchten Publikationen erstens als exzellente Bergsteiger beschrieben, die über unübertreffliche und beinahe unmenschliche Fähigkeiten im Klettern, im Bergsteigen, in der Kenntnis der Bergwelt sowie in der Einschätzung von Gefahren verfügen und sämtliche Eigenschaften aufweisen, die gemäss dem damaligen Diskurs einen guten Alpinisten auszeichneten. Dank diesen Fähigkeiten und Eigenschaften gelingen ihnen immer wieder grosse, teilweise unmöglich scheinende alpinistische ›Taten‹. Sie werden – zweitens – auch als herausragende Bergführer dargestellt, wobei ihr bergführerisches Können, ihr Verhalten gegenüber den Geführten, ihre Körper und ihre Charaktere idealisiert werden. Viele von ihnen erscheinen als Verkörperung des perfekten, tugendhaften Bergführers. Die Idealisierungen werden durch exzessiv verwendete Superlative unterstrichen. Kaum eine Darstellung versäumt es zu betonen, beim betreffenden Bergführer handle es sich um einen der »allerbesten Bergführer aller Zeiten«296, einen der »markantesten unter unseren Führergestalten«297, um einen »der kühnste[n], verwegenste[n] Führer«298 oder schlicht um den »beste[n] Bergführer«299͘ Für Martin Schocher und Alexander Burgener wird gar die Metapher des »Königs« bemüht. Zum Tod von Letzterem wird vermerkt: »Auf den belebten Strassen und Plätzen von Paris und Rom wurde sein Tod von den Zeitungsverkäufern ausposaunt, wie wenn sich eines Königs glorreiches Leben vollendet hätte.«300

296 Klucker (1930: 267). 297 Willy (1936: 12). 298 Egger (1946: 282). 299 Fux (1961: 184). 300 Fux (1961: 230); vgl. Egger (1946: 48); NZZ (2004a). Am 23. April 2010 wurde im Wallis die Alexander Burgener Stiftung gegründet, die unter anderem das Ziel der »Aufarbeitung der Person Alexander Burgner« verfolgt (www.alexander-burge ner.ch [Zugriff: 12.5.2012]). Die Königs-Metapher ist allgemein in der Literatur rund um alpine Phänomene äusserst verbreitet. Neben Bergführern und guten Bergsteigerinnen und Bergsteigern (Wirz 2007a: 153) werden etwa markante Berge (Egger 1946: 43; Brawand 1969 [1936]: 9; 36; Anker/Volken 2009), die Jungfraubahn (Reichen 1996), der Steinbock (Swissmint 2007), der Adler (Heer 1953: 6), besonders gute Jäger (Heer 1953: 197; Tschanz 1999: 122; Grupp 2008: 186) oder ein herausragender Hotelier (Kämpfen 1945: 77; 141) als »König« oder »königlich« bezeichnet.

 

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 Drittens werden die Bergführer als Männer idealisiert. Gilt im Alpinismusdiskurs Bergsteigen an sich schon als maskulin codierte Tätigkeit, werden den Bergführern in den Publikationen in besonderem Masse als maskulin geltende Eigenschaften zugeschrieben. Der idealtypische Bergführer wird als der beste, stärkste, mutigste, entschlossenste, gewandteste und damit allen anderen überlegene Bergsteiger und Mann dargestellt. Er bezwingt heldenhaft die weiblich codierten Berge und ist dabei für seine Begleiterinnen nicht selten auch in erotischer Hinsicht attraktiv, wobei er kaum je der aktive Verführer ist, denn dies würde dem Ideal des tugendhaften Bergführers widersprechen. In den Charakterisierungen treten zudem Elemente auf, die gemäss der Maskulinitätsforschung als konstitutiv für Maskulinität gelten. So überstehen die Männer nicht nur Entbehrungen und Belastungen wie Hunger, Durst, Müdigkeit, Kälte und Schmerz stoisch, sondern setzen ihre Körper in den lebensgefährlichen Unternehmungen regelmässig aufs Spiel. Beides, das Riskieren des eigenen Körpers wie auch die Beschreibung der Männer als hart, zäh, belastbar und tapfer, gilt in der heutigen Maskulinitätsforschung als Strukturmerkmal von Männlichkeit.301 Das Eingehen von Risiken geschieht – gemäss dem in den Bergführerpublikationen dominanten Diskurs – allerdings nie leichtfertig, denn auch dies würde dem Ideal des guten Bergführers widersprechen: Der ideale Bergführer ist nicht nur kühn und mutig, sondern auch verantwortungsbewusst und lässt stets die notwendige Vorsicht walten. Auch mit der in den Texten zutage tretenden »Partner-Gegnerschaft« zwischen Bergführern oder zwischen Bergführern und Bergsteigern, die sich in der Betonung ihrer Kameradschaftlichkeit und der gleichzeitig angedeuteten Konkurrenz zeigt, ist ein Element in den Texten allgegenwärtig, das gemäss Bourdieu für Maskulinität konstitutiv ist.302 Schliesslich kann mit Scholz303 auch die Herstellung von Hierarchie über die Zuschreibung von Feminität, die in den Texten in der Abwertung ›fremder‹ Bergführer erscheint, als typisch für die Herstellung von Maskulinität betrachtet werden. Viertens schliesslich erscheint der in den Publikationen beschriebene, idealtypische Bergführer auch als ›idealer‹, gewissermassen prototypischer Schweizer.304 Diese nationale Konnotation wird nur selten derart explizt gemacht wie in

301 Meuser (2007: 161); vgl. Helfferich (1994: 48 ff.); Kolip (1997: 111); vgl. Kapitel 7.1.1. 302 Bourdieu (2005: 83). 303 Scholz (2004a: 262). 304 Wenn Wirz feststellt, Bergführer seien vor und während des Zweiten Weltkriegs neben Säumern und Hirten zu »Protoschweizern« (2007a: 358) stilisiert worden, tut sie dies, ohne genauer zu explizieren, was sie zu dieser Aussage kommen lässt.

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der eingangs der Einleitung zitierten Passage aus Egger, der die Bergführer mit Maskulinität und der Schweiz in Zusammenhang bringt, wenn er schreibt, er verfolge das Anliegen, mit seinem Buch ein »Andenken an eine Elite von Männern wachzurufen, welche sich um die Schweiz verdient gemacht haben«, und bemerkt, die Führer hätten »durch ihre Ehrlichkeit und Treue ein Beispiel wahrer Schweizerart« gegeben.305 Nie wird den Bergführern eine nationalistische Gesinnung zugeschrieben. Jedoch wird in den Schriften deutlich, dass die Bergführer darin national aufgeladen werden. Auf diese nationale Aufladung deutet schon die blosse Tatsache hin, dass in die Zeit der Geistigen Landesverteidigung, und besonders in die 1930er- und 1940er-Jahre, eine markante Häufung an Veröffentlichungen fällt, in denen Schweizer Bergführer im Zentrum stehen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der erste Schweizer Spielfilm überhaupt, der 1917 erschien und gleichzeitig weltweit der erste Bergspielfilm war, den Titel »Der Bergführer« trägt.306 Dass hinter vielen dieser Publikationen in der einen oder anderen Form Mitglieder des SAC stehen, also jenes Clubs, der sich aktiv an der Geistigen Landesverteidigung beteiligte, unterstreicht die These der nationalen Vereinnahmung des Bergführers. Gemäss den stets ausführlichen Charakterisierungen ist der Bergführer eins mit den Alpen: In den Bergen aufgewachsen, haben sich diese in seinen Körper und seine ganze Person eingeschrieben. Als Führer kennt, beherrscht, versteht und liebt er die Berge auf eine Art, die von Nicht-Berglern nicht erlernt und auch nur schwer nachvollzogen werden kann. Als Bergler und Anführer von Bergsteigern ist er dafür prädestiniert, in den Augen des SAC jene Eigenschaften in sich zu vereinen, die der Club damals als ›gut‹ und wünschenswert erachtete. Die Verwachsenheit mit dem ›Oben‹ macht ihn zu einem privilegierten, ›besseren‹ und für die Geführten, aber auch die Gesellschaft und das Vaterland, vorbildlichen Menschen. Auch die ihm unterstellte Liebe zu den Bergen macht ihn zu einem besonders guten Schweizer. Diese Liebe, die gemäss dem SAC bei ›gewöhnlichen‹ Schweizer Männern durch Gebirgsaufenthalte mit dem Militär gefördert werden sollte, ist ihm in besonderem Masse eigen.307 Er fungiert als Vermittler zwischen dem ›Oben‹ und dem ›Unten‹ und führt die Städter und neben internationalen Reisenden überhaupt möglichst alle Schweizer in die reine, erhabene, national vereinnahmte Bergwelt und wieder hinunter, womit er sie mit ihrer Heimat vertraut macht.

305 Egger (1946: 11). 306 Fim »Der Bergführer« (1917); vgl. Schnetzer (2009: 26). 307 Anker (1986: 39).

 

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 Wenn die dem SAC nahestehenden Autoren und Herausgeber jeweils betonen, sie bezweckten mit der Publikation, den betreffenden Bergführern jene Anerkennung zukommen zu lassen, die ihnen bis anhin versagt geblieben sei, so ist nicht ganz auszuschliessen, dass auch hierbei – in der damals national aufgeheizten Stimmung – nationale Interessen eine Rolle spielten. Zumindest bietet sich die Interpretation an, dass mit den Huldigungen nicht nur eine ›Umverteilung‹ des Ruhms von den ›Herren‹ auf die Führer, sondern auch von Engländern, Deutschen und anderen Europäern auf Schweizer Alpinisten vollzogen werden sollte. Weiter fällt auf, dass die dem Bergführer in den Publikationen typisierend zugeschriebenen Eigenschaften wie Einfachheit, Redlichkeit, Mut, Treue, Tugendhaftigkeit und Vaterlandsliebe an jene moralischen Stereotype erinnern, die gemäss Morkowska308 das Kernstück des Einheitsbewusstseins bildeten, das den Schweizern ab 1800 vermittelt werden sollte, und auf die im Zusammenhang mit der Identitätskonstruktion in den 1930er- und 1940er-Jahren zurückgegriffen wurde. Dem Bergführer werden in den Lebensbildern also als ur-schweizerisch geltende Charaktereigenschaften attestiert. Die (auto-)biografischen Publikationen sind zudem stets mit fotografischen oder gezeichneten Porträts der betreffenden Bergführer bestückt, wobei es sich bei den abgebildeten Männern stets um ältere – häufig bärtige – Männer mit zerfurchten Gesichtern handelt.309 Diese Art der bildlichen Darstellung mag damit zusammenhängen, dass die Porträtierten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ein gewisses Alter stets schon überschritten hatten oder bereits verstorben waren. Nicht auszuschliessen ist aber auch, dass mit einer solchen Darstellung der Bergführer Assoziationen an die Alten Eidgenossen geweckt werden wollten. Die Alterscharakterisierung in republikanischen Personifikationsdarstellungen ist, wie Stercken zeigt, in Europa bereits für das 17. Jahrhundert dokumentiert: »Landesspezifische Attribute und lokal verwurzelte Typen werden durch diese altersbezogene Festlegung zu Signifikanten von Tradition bzw. Geschichtlichkeit.«310 Der Alteidgenosse stellte in der Schweiz den männlichen Konterpart zur Eidgenossenschaftspersonifikation der weiblichen Helvetia dar. Er kompensierte »mit seinem fortgeschrittenen Alter die Jugend der neben ihm gezeigten Personifikation und damit ebenso die Jugend der politischen Einheit der städtischen Systeme«311. Bergführer würden

308 Morkowska (1997: 156). 309 Vgl. Abbildung 4. 310 Stercken (1998: 19). 311 Stercken (1998: 19).

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gemäss dieser Lesart quasi als Verkörperungen der Alten Eidgenossen dargestellt, womit gleichzeitig Tradition hergestellt und reproduziert und die Herstellung von nationaler Identität unterstützt würde. Abbildung 4: Umschlag der Biografie über den Bergführer Martin Schocher312

Die Darstellung der Bergführer als Repräsentanten einer Nation wird an einem weiteren Detail deutlich: Zwei der untersuchten Publikationen sind mit »Unsere Bergführer« betitelt.313 Es ist zu vermuten, dass sich das besitzanzeigende Pronomen »unsere« auf das Kollektiv der Schweizerinnen und Schweizer bezieht. Die Bergführer werden damit – ähnlich wie eine nationale Fussballmannschaft oder Soldaten, die im Dienste einer Nation in den Krieg ziehen – als Männer dargestellt, die einen Nationalstaat repräsentieren und stellvertretend für diesen kämpfen. Klein macht in ihren Überlegungen zu Militär und Männlichkeit in Israel auf eine ähnliche, in Israel weit verbreitete Formulierung im Zusammenhang mit Soldaten aufmerksam. Sie stellt fest, dass in Zeitungen, im Fernsehen

312 Willy (1936). 313 Vgl. Tanner (1933) und Hug (1941).

 

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 und bei Gesprächen häufig von »unseren Kindern«, »unseren Söhnen« oder »unseren besten Jungs« gesprochen wird, und liest dies als Ausdruck davon, dass Soldaten hiermit als Teil des nationalen Kollektivs dargestellt werden.314 Abbildung 5: Karte aus dem Quartett-Spiel »Schweizer Heimat«315

Der Bergführer als prototypischer Schweizer Mann sollte über die (Auto-)Biografien wie auch über die fiktiven Romane und die Erzählung »Was Peterli als Bergführer erlebte« in die Schweizer Stuben und Kinderzimmer getragen werden und dort – ganz im Sinne der Geistigen Landesverteidigung – seine Wirkung als

314 Klein (2001). 315 Quartett-Spiel des Spielwarenhauses Métraux-Bucherer Basel, 1930er Jahre. Dorfund Spielzeugmuseum Riehen, Inv.-Nr. RS 3886 (Antonietti et al. 1994: 175).

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Identifikationsfigur mit Vorbildcharakter entfalten. Ebenfalls in diesem Sinne kann das Quartettspiel »Schweizer Heimat« aus den 1930er-Jahren gelesen werden. Darin komplettiert der »Bergführer« – wiederum dargestellt als älterer Mann mit zerfurchtem Gesicht und Bart – zusammen mit dem »Sonntag in Engelberg« (dargestellt durch eine Frau und ein Mädchen in Tracht), der »Appenzeller Stickerin« und dem »Appenzeller Senn« die Vierer-Serie »Schweizer Volkstypen«. Dabei wird der Bergführer zu einem Teil der Schweizer Tradition gemacht und gar mit dem Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell verglichen: »Wen erinnert nicht dieses Bildnis eines Bergführers an Wilhelm Tell?«, wird die Betrachterin der Karte gefragt.316 Mit der Fotografie wird Heimat in einer Art konstruiert, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der »massenmediale[n] Typisierung von Mensch und Landschaft«317 – beispielsweise mittels Fotografien von Bauern – üblich war. In dieser vierfachen Idealisierung der Porträtierten als Bergsteiger, Bergführer, Männer und Schweizer sind die (Auto-)Biografien mehr als Darstellungen singulärer Leben. Denn eine Biografie ist wie ein »Lebensbild« nie einfach »Selbstzweck, blosse historische Illustration, sondern ihm eignet eine wichtige Funktion: Es ist Exempel; in ihm verbindet sich Besonderes und Allgemeines, Singularität und Typik«. Es ist weiter »Identifikationsmodell« und »spiegelt und vermittelt Normen sozialen und personalen Verhaltens«.318 4.9.2 Doppelte Charismatisierung Die Darstellung und Idealisierung der Bergführer in den untersuchten Publikationen kann als doppelte Charismatisierung im Sinne Webers gelesen werden.319 ›Doppelt‹ ist die Charismatisierung insofern, als zum einen die einzelnen porträtierten Bergführer und zum anderen der Bergführer als idealtypische Figur charismatisiert werden. Weber unterscheidet verschiedene Formen von Charisma: Das »reine« oder »genuine Charisma« ist an konkrete Personen gebunden, die in einer Situation der »Not« als »›natürliche‹ Leiter« und als »Träger spezifischer, als übernatürlich (im Sinne von: nicht jedermann zugänglich) gedachter Gaben des Körpers und Geistes« gelten. Dieses reine, ausseralltägliche Charisma ist vom Glauben der Anhänger an die Gabe des Charismaträgers abhängig, in dem dieser sich zu bewähren hat. Als mögliche konkrete Träger des reinen Charismas

316 Vgl. Abbildung 5. 317 Schnetzer (2009: 161). 318 Scheuer (1982: 11 f.). 319 Vgl. Weber (1972 [1921]: 654 ff.). Zum Charisma bei Weber vgl. Gebhardt (1993).

 

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 nennt Weber unter anderen Ärzte, Propheten, Zauberer, militärische Führer sowie Leiter von grossen Jagdexpeditionen.320 Von diesem Idealtypus grenzt Weber veralltäglichte und versachlichte Formen von Charisma ab. Diese entstehen, wenn versucht wird, »das Charisma und die charismatische Beglückung der Beherrschten aus einer einmaligen, äusserlich vergänglichen freien Gnadengabe ausserordentlicher Zeiten und Personen in ein Dauerbesitztum des Alltags zu verwandeln«321. Die Versachlichung geht nach Weber mit einer Institutionalisierung und einer Entpersönlichung einher. Das veralltäglichte und versachlichte Charisma ist »nicht an eine Person als solche, sondern an den Inhaber eines Amts oder an ein institutionelles Gebilde ohne Ansehen der Person geknüpft«322. Folge der »i n s t i t u t i o n e l l e n [Hervorhebung i. O.] Wendung« ist, dass »an die Stelle des charismatischen persönlichen Offenbarungs- und Heldenglaubens […] [die] Herrschaft der Dauergebilde und Traditionen« tritt.323 Mit Weber lassen sich mindestens zwei Varianten einer solchen »Auf-Dauer-Stellung« unterscheiden:324 Im »Gentil- oder Erbcharisma« wird das Charisma über Blutsverwandtschaft übertragen: »Wo ursprünglich die eigene Tat nobilitierte, wird nun der Mann nur noch durch Taten seiner Vorfahren ›legitimiert‹.«325 Noch stärker institutionalisiert und entpersönlicht ist das »Amtscharisma«. Es steht für den »Glaube[n] an die spezifische Begnadung einer sozialen Institution als solcher«326. Die Person, die ein Amt bekleidet, ist austauschbar, womit »die Trennung von Person und Institution in konsequenter Weise vollzogen«327 ist. In den untersuchten Texten werden die einzelnen porträtierten Bergführer in einer Weise beschrieben, die sie als charismatische Führer im Weberschen Sinne erscheinen lässt. Als direkte Gefolgschaft eines solchen Führers kann der von ihm Geführte betrachtet werden. Der ›Herr‹ vertraut sich dem von ihm gewählten Führer an und ordnet sich ihm – trotz seiner statusmässigen Überlegenheit – am Berg bis zu einem gewissen Grad unter. In einer durch den ›Herrn‹ willentlich erzeugten physischen und bisweilen auch psychischen Situation der »Not«

320 Weber (1972 [1921]: 654). 321 Weber (1972 [1921]: 661). Zum Verhältnis von Alltag und Charisma bei Weber vgl. Seyfarth (1979). 322 Weber (1972 [1921]: 671). 323 Weber (1972 [1921]: 674). 324 Vgl. Lenze (2002: 53 ff.) 325 Weber (1972 [1921]: 674). 326 Weber (1972 [1921]: 675). 327 Lenze (2002: 56).

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fungiert der Bergführer als Träger aussergewöhnlicher, quasi übernatürlicher »Gaben des Körpers und Geistes«328. Wie der Kriegsführer auf dem Schlachtfeld, hat er am Berg »Heldentaten«329 zu vollbringen, um sich die Gefolgschaft zu sichern und sich zu bewähren. Die in den Biografien zutage tretende Heroisierung fügt sich ideal in die Zeichnung eines solch genuinen Charismas ein. Dieses ruht, nach Weber, nämlich »in seiner Macht auf Offenbarungs- und Heroenglauben, auf der emotionalen Ueberzeugung von der Wichtigkeit und dem Wert einer Manifestation religiöser, ethischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, politischer oder welcher Art immer, auf Heldentum, sei es der Askese oder des Krieges, der 330 richterlichen Weisheit, der magischen Begnadung oder welcher Art sonst« . Der Heroismus besteht im Falle des Bergführers darin, dass er den Akt der Eroberung anführt, den eine Bergtour in den Augen vieler Autoren darstellt. Der Bergführer weiss sich in den Bergen, die als schön und ungeheuerlich beschrieben werden, zu bewegen. Er gewinnt dank seinem Mut, seiner Stärke und seinem Können den bisweilen lebensgefährlichen ›Kampf‹ gegen den Berg und führt die ihm Anvertrauten sicher zum ›Sieg‹. Die Heroisierung findet unter anderem auch in der Metapher des »Königs« Ausdruck, die bisweilen für Bergführer verwendet wird.331 Der genuinen Charismatisierung entspricht auch die Zeichnung der Bergführer als Männer, die qua Herkunft zu dieser Tätigkeit befähigt sind. Das, was es braucht, um ein guter Bergführer zu sein, lässt sich nicht von irgendwem erlernen. Auch das für den Bergführer geltende Gebot, der Tätigkeit nicht wegen des Geldes, sondern aus Liebe zu den Bergen nachzugehen, kann im Sinne einer solchen Charismatisierung gelesen werden: »Immer aber – das ist das Entscheidende – lehnt das Charisma den planvollen rationalen Geldgewinn, überhaupt alles rationale Wirtschaften, als würdelos ab.«332 Neben der Charismatisierung einzelner Bergführerpersönlichkeiten spricht aus den Biografien – und besonders aus den fiktionalen Texten – auch eine Cha-

328 Weber (1972 [1921]: 654). 329 Weber (1972 [1921]: 656). 330 Weber (1972 [1921]: 657). Von den von Weber erwähnten Trägern genuinen Charismas kommt der Bergführer wohl dem »Leiter von grossen Jagdexpeditionen« oder dem »militärische[n] Führer« (1972 [1921]: 654) am nächsten. 331 Der König wird bei Weber (1972 [1921]: 676) explizit als Träger von Charisma erwähnt. Je nach Glauben der Untergebenen kann er als Person (magisch-personales Charisma), das Königsgeschlecht (Gentilcharisma) oder das Königsamt (Amtscharisma) als Träger von Charisma betrachtet werden (Lenze 2002: 56). 332 Weber (1972 [1921]: 655).

 

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 rismatisierung der Institution des Bergführerberufs. Verschiedentlich wird deutlich, dass es den Autoren und Herausgebern nicht lediglich darum geht, einzelne Personen zu ehren, sondern den Berufsstand als solchen. So porträtiert der ganz zu Beginn der Arbeit zitierte Egger in seinem Buch »Pioniere der Alpen« zwar 30 spezifische Bergführer, die er würdigen möchte. Gleichzeitig zielen die Porträts – wie deutlich wird – aber auf die Charismatisierung der entpersonalisierten Figur des idealtypischen Bergführers. Dabei finden sich vereinzelt sowohl Anzeichen, die auf ein Gentilcharisma hindeuten, als auch solche, die in die Richtung einer Vorstufe des Amtscharismas gehen. Ersteres tritt etwa dort zutage, wo auf die Weitergabe des Berufs vom Vater an den Sohn und somit auf Bergführerfamilien angespielt wird. Adolf Fux etwa lässt Alexander Burgener zu einem Regierungsstatthalter sagen, er habe vier Buben: »[D]ie wollen alle Bergführer werden. Und eine Tochter, die will einen Bergführer heiraten.«333 Hinweise auf amtscharismatische Züge finden sich dort, wo über den porträtierten Bergführer der Beruf an sich thematisch ist. Bei dieser zweiten Form der Charismatisierung besteht die Gefolgschaft in der Leserinnen- und Leserschaft der Biografien. Die zwei Arten von Charisma – das genuine und das institutionalisierte – unterscheiden sich hinsichtlich der Nöte beziehungsweise »Krisen«334, auf die sie reagieren, der Gefolgschaft, die gesichert wird, und der Krisenbewältigung, die der Charismatiker anzubieten hat. Kernelement der von Weber exemplarisch gezeichneten typischen Form beruflichen Handelns »ist die ›alltägliche‹ […] Erbringung im Ursprung ›ausseralltäglicher‹ Leistungen in ausseralltäglichen

333 Fux (1961: 101). 334 Oevermann bezieht sich mit seinem bereits mehrfach erwähnten Modell von Lebenspraxis auf Webers Konzept des Charismas. Oevermanns »Krise« entspricht der »Not« in der Situation der Ausseralltäglichkeit bei Weber: »Der Charismatiker ist diejenige Lebenspraxis, die mit Bezug auf eine Gemeinschaft entweder eine Krise richtig diagnostiziert oder wirksam herbeiredet. Schon dafür muss er sich mit dem Verweis auf seine ausseralltägliche Befähigung eine Gefolgschaft verschaffen, die bereit ist, ihr Alltagsgeschäft für die Aufnahme der charismatischen Rede zu unterbrechen. Sodann muss diese Gefolgschaft den Charismatiker für befähigt halten, eine wirksame Lösung der Krise praktisch herbeizuführen oder doch zumindest konzipieren zu können. Diese Krisenlösung muss sich in the long run bewähren. In dem Masse, in dem sie das tut, wird sie zur Routine« (Oevermann 2008: 39 f.). Das Charismatische wird demnach immer dann wirksam, »wenn Krisen zu bewältigen sind, gewissermassen als der strukturelle Optimismus des habituellen Prinzips ›im Zweifelsfalle wird es gut gehen‹, […] auch in der Selbstcharismatisierung des unauffälligen individuellen Entscheidungsprozesses« (Oevermann 2008: 40).

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Situationen der ›Not‹, in denen die Möglichkeiten des Alltagshandelns erschöpft sind«335. Während die ›Not‹ im Fall der Charismatisierung einzelner Bergführerpersönlichkeiten in potentiell lebensbedrohenden Situationen am Berg besteht, ist sie im Fall der veralltäglichten und institutionalisierten Charismatisierung des Bergführerberufs in einer Situation des gesellschaftlichen Umbruchs und dem Gefühl der Bedrohung von aussen zu suchen. Die Charismatisierung, wie sie in diesen Biografien zutage tritt, fällt in die Zeit der Geistigen Landesverteidigung, in der die Schweiz unter Rückgriff auf die Alpen militärisch und ideologisch verteidigt werden sollte. Gleichzeitig sollte die ideologische Aufladung des Bergsteigens als bürgerliche und männliche Tugend – zumindest gemäss der Position des SAC – der Bewahrung der Geschlechterordnung wie auch der bürgerlichen Gesellschaftsordnung dienen. Der in den Biografien gezeichnete idealtypische Bergführer repräsentiert – obwohl selbst nicht bürgerlicher Herkunft – den Alpenbewohner ebenso wie den Bergsteiger. Die Gefolgschaft dieses institutionalisierten Charismaträgers besteht nun nicht lediglich im konkreten Bergsteiger, den er führt, sondern in der Leserinnen- und Leserschaft dieser Publikationen und letztlich in der ganzen Nation. In beiden Fällen bewältigt der Bergführer eine Krise, einmal stellvertretend für seinen Gast, das andere Mal für die Gesellschaft.336 Gemäss Weber schliessen sich das genuine und das institutionalisierte Charisma gegenseitig aus: »Der genuine Charakter des Charismas, als dem Alltag vollkommen gegensätzliche Kraft, geht dem institutionalisierten Charisma […] verloren.«337 Dass in den Biografien beide Formen auftauchen, dürfte erstens damit zu tun haben, dass die eine Form vermittelt über die andere hergestellt wird – die Charismatisierung der Institution des Berufs (institutionell) geschieht über die Charismatisierung von Einzelpersonen (genuin). Zweitens dürfte es

335 Seyfarth (1989: 379; vgl. 391 f.). Mit dem Begriff der »›Not‹ im Sinne von ›Betroffenheit‹ fehlender ›normaler‹ Handlungsfähigkeit« ist das angesprochen, was etwa in modernen Professionalisierungstheorien als »Krise« des Klienten bezeichnet wird (vgl. Kapitel 1.5.2; Seyfarth 1989: 401). 336 Die stellvertretende Krisenbewältigung durch »Expertise«, die sich gemäss Oevermann durch »Professionalität unter Vermeidung persönlichen Charismas« (2008: 39) auszeichnet, ist in den Biografien zwar angedeutet durch die Nähe zur Therapie, durch die sich das Verhältnis zwischen Führer und Gast auszeichnet; angesichts der noch kaum erfolgten Verberuflichung oder gar Professionalisierung der Tätigkeit des Bergführers zu der Zeit, auf die sich die Biografien beziehen, ist sie jedoch nicht entwickelt. 337 Lenze (2002: 53).

 

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 daran liegen, dass die Dokumente eine Phase des Übergangs dokumentieren; über die Publikation dieser Texte soll überhaupt erst eine Institutionalisierung erreicht werden. Wenn in der Einleitung dieser Studie vermutet wurde, die Charismatisierung der Bergführer bestehe bis heute, so ist damit diese Institutionalisierung angesprochen. Im zweiten Teil der Arbeit, in dem die Resultate der Interviewanalysen vorgestellt werden, gilt es, unter anderem zu fragen, ob und inwiefern dieses Charisma in den Deutungen und Interpretationen der Interviewten heute noch rekonstruiert werden kann – sei es beispielsweise in Form einer feststellbaren Wirkung des institutionalisierten Charismas oder in Form einer Selbstcharismatisierung.



Teil II: Ergebnisse der Fallanalysen

 



5 Zwei kontrastierende Fallanalysen

Während der erste Teil dieser Studie historischen Darlegungen zur Bedeutung der Alpen und des Alpinismus für die Schweiz, zur Geschichte, Struktur und Organisation des Bergführerwesens sowie zum Bild des Bergführers in Biografien, Autobiografien, Romanen und Filmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewidmet war, werden im zweiten Teil die Ergebnisse der Interviewanalysen dargelegt. Zunächst wird in Kapitel 5 anhand von zwei Fallanalysen das Spektrum aufgespannt, das die Interviewanalysen bezüglich der Deutungen und des beruflichen Selbstverständnisses aller Interviewten zutage förderten. Bei den beiden Fällen, Alphons Beer1 und Lukas Jacobi, handelt es sich um zwei besonders ›reine‹ Fälle des Samples, die zwei maximal zueinander in Kontrast stehenden Idealtypen nahe kommen. Sie kontrastieren zum einen hinsichtlich ihrer Generationenzugehörigkeit und ihrer sozialen und geografischen Herkunft: Alphons Beer, vor mehr als siebzig Jahren in einem Bergdorf geboren, wohnt noch heute in diesem; Lukas Jacobi hingegen ist Mitte dreissig und wuchs in der Stadt auf, in der er nach wie vor lebt. Zum anderen kontrastieren sie auch hinsichtlich ihres Selbstverständnisses und der Deutungen, auf die sie in ihren Schilderungen zurückgreifen. An den beiden Fällen treten viele der zentralsten Deutungen und Strukturlogiken des Feldes zutage, die in Kapitel 6 und 7 unter Beizug der anderen Interviews vertieft diskutiert werden. Die beiden Fallanalysen werden als soziologische Porträts dargestellt. Dies bedeutet, dass der einzelne Fall eine gewisse »Stilisierung« erfährt, um so dessen Allgemeinheit herauszuschälen.2 Am Anfang der Interview-Auswertung stand jeweils die sequenzanalytische Analyse der biografischen Falldaten, deren Ergebnisse hier der Anonymisierung wegen weggelassen und nur teilweise in die

1

Bei den Namen sämtlicher Fälle handelt es sich um Pseudonyme. Die biografischen Daten der Interviewten wurden zur Anonymisierung teilweise verändert.

2

Vgl. Bude (1997: 13; 2007).

 

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Porträts eingeflochten werden. Die beiden Porträts beginnen mit der Darlegung der Ergebnisse der Analyse der Einstiegssequenz des jeweiligen Interviews. Sie wird mit einer ersten provisorischen Fallstrukturhypothese abgeschlossen. Das sequenzanalytische Vorgehen kann dabei lediglich stark verkürzt wiedergegeben werden. Die herausgearbeitete Fallstrukturhypothese wird in der Folge unter Beizug weiterer Interviewsequenzen präzisiert und erweitert, wobei hier lediglich die Resultate der Sequenzanalysen dargelegt werden.

5.1 G ONDOLIERE DER V IERTAUSENDER : ALPHONS B EER Alphons Beer wird Ende der 1920er-Jahre als sechstes von zehn Kindern in Saas Fee geboren; das Dorf – die »Perle der Alpen«3, wie es sich heute selbst anpreist – liegt in einem südlichen Seitental der Rhone im deutschsprachigen Teil des Kantons Wallis. Seine Mutter, eine Trachtenstickerin, war Tochter eines Bergführers, der bei der Ausübung seines Berufs tödlich verunfallt war. Sein Grossvater väterlicherseits war Schreiner und betrieb zusammen mit der Grossmutter Landwirtschaft. Anfang der 1930er-Jahre eröffneten Alphons Beers Eltern eine Pension, die sie später zu einem Hotel ausbauten. Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit hilft Alphons Beer – wie bereits als Schüler – im elterlichen Betrieb aus und arbeitet in verschiedenen Fremdenverkehrsorten in Hotels. Nach der Rekrutenschule als Gebirgsfüsilier macht er Ende der 1940er-Jahre eine Schreinerlehre und lernt eine Zeit lang in einem Collège im Unterwallis Französisch. Bevor er Mitte der 1950er-Jahre die Bergführerkurse besucht, arbeitet er zwei Jahre lang als Träger. Nach Abschluss der Bergführerausbildung heiratet er seine Frau, eine aus einem anderen Tal stammende Walliserin, mit der er fünf Kinder hat. Bis heute arbeitet Alphons Beer als Bergführer; er unternimmt vorwiegend eintägige Touren mit Gästen im Saas-Tal.

3

Vgl. www.saas-fee.ch [Stand: 3.9.2008]; www.3906.ch [Stand: 25.8.2008].

 

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 5.1.1 Ausweg aus der Prekarität Das Interview mit Alphons Beer beginnt mit folgender Einstiegsfrage:4 »Also. Ja, zum Anfangen würde es mich als Erstes interessieren, wie Sie überhaupt dazu gekommen sind, Bergführer zu werden.«5

Nach dem »Also. Ja«, das den Übergang vom Vorgespräch zum eigentlichen Interview markiert, formuliert die Interviewerin ihr Interesse zu erfahren, wie Alphons Beer dazu kam, Bergführer zu werden. Die Interviewerin signalisiert ihr persönliches Interesse (»mich«) an dem, was Alphons Beer zu erzählen hat. Indem sie sagt, es interessiere sie, wie er »überhaupt dazu gekommen« sei, unterstellt sie, es sei nicht selbstverständlich, dass Alphons Beer Bergführer geworden sei. Mit dem »überhaupt« wird eine bisher unhinterfragte Prämisse problematisiert. Die Interviewerin stellt die Tatsache, dass ihr Gegenüber Bergführer ist, als etwas Ungewöhnliches und ihr Fremdes dar; in ihrer Frage schwingt eine Exotisierung im Sinne einer Darstellung des ›Anderen‹ als etwas Besonderes mit. Der Interviewee kann diese Exotisierung in seiner Antwort entweder aufgreifen oder abwehren. »Ja ganz früher, als i- wir äh, (.) etwa zwanzig gewesen sind, dann ist, (.) ist es nicht so einfach gewesen, einen Beruf zu lernen. (.) Es ist gar viel Arbeitslosigkeit gewesen, wird auch immer sein und bleiben.«6

Mit »ganz früher« verlegt Alphons Beer den Beginn seiner Erzählung in eine längst vergangene Zeit, in der alles noch anders war. Er holt mit diesem Einstieg weit aus, bettet seine eigene Geschichte in einen historischen Zusammenhang ein und nimmt eine betont distanzierte Sicht auf jene frühere Zeit ein. Das »ganz früher« bezieht sich auf die Zeit, als ›sie‹ »um die zwanzig« waren. Was er zu schildern im Begriff ist, war – wie die Verwendung des Plurals verdeutlicht – nicht nur für ihn persönlich, sondern für seine Generation charakteristisch. Al-

4

Im sequenzanalytischen Verfahren sind die Fragen der Interviewerin ebenso zu analysieren wie die Antworten der interviewten Person. Die Fragen geben die Rahmungen vor, innerhalb der gewisse Antworten überhaupt erst möglich werden (vgl. Wernet 2000: 62 f.).

5

Interview Alphons Beer (2005: 1). Die wichtigsten Transkriptionsregeln finden sich im Anhang.

6

Interview Alphons Beer (2005: 1).

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phons Beer musealisiert die vergangene Zeit und greift damit die Exotisierung der Interviewerin auf, allerdings nicht, indem er sie auf sein Bergführer-Sein beziehen würde, sondern indem er sich als Zeuge einer längst vergangenen, der Interviewerin fremden Zeit gibt. Damals sei es »nicht so einfach« gewesen, »einen Beruf zu lernen«, es habe viel Arbeitslosigkeit gegeben. In seiner Argumentation fliessen Berufsausbildung und Berufsausübung ineinander. Es war nicht einfach, einen Beruf zu erlernen, der gute Aussichten auf eine Anstellung geboten hätte. Beschränkte Berufswahlmöglichkeiten, mangelnde Erwerbsmöglichkeiten und – so lässt sich folgern – die sich daraus ergebende Armut prägten die damalige Situation. Seine Berufswahl war also nicht von individuellen Selbstverwirklichungsideen geprägt, sondern von der Aussicht, später damit ein existenzsicherndes Einkommen generieren zu können. Wohl in Anspielung auf aktuelle Debatten um das Problem der Arbeitslosigkeit fügt er an, Arbeitslosigkeit werde »auch immer sein und bleiben«, womit er den Bogen zur heutigen Zeit schlägt und die Musealisierung ein Stück weit zurücknimmt. In seiner Anmerkung klingt die Überzeugung an, es werde stets strukturelle Schwierigkeiten geben; wer das Leben in die Hand nehme, könne es aber nichtsdestotrotz zu etwas bringen, was auf den Habitus eines pragmatischen und optimistischen Machers hindeutet. Alphons Beer beginnt seine Erzählung weder mit einer Leidenschaft für das Bergsteigen oder einer Faszination, die die Natur auf ihn ausgeübt habe, noch mit einem Erweckungserlebnis, einem Gefühl der Berufung oder dem Bezug auf eine familiäre Tradition. Er beschreibt vielmehr die damals schwierige ökonomische Situation. Im Anschluss daran kann er nun entweder schildern, wie er es trotz dieser widrigen Umstände geschafft hat, seinen Wunsch zu realisieren und Bergführer zu werden, wodurch der Beruf als etwas Besonderes, Erstrebenswertes erscheinen würde. Oder aber er kann die Tätigkeit als Bergführer als pragmatische Möglichkeit einführen, in der schwierigen Zeit überhaupt einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können. In diesem Fall könnte seine Darstellung den Charakter einer Rechtfertigung tragen, keinen anderen Beruf erlernt zu haben. Gemäss der zweiten Lesart würde er das Exotisierungsangebot der Interviewerin nicht aufgreifen, sondern ihrem verklärten Blick die harte Realität entgegensetzen: Er wurde nicht aus einer romantischen Vorstellung heraus Bergführer, sondern primär aus ökonomischer Notwendigkeit. »Und eine Beschäftigung ist nur äh, in der Sommersaison gewesen. Winter ist keine Arbeit gewesen. (I.: Mhm.) Und Berufsmöglichkeiten sind wenige gewesen, (I.: Mhm.) Schreiner, Maurer, das ist nur im Sommer möglich gewesen, Handlanger pff, ist wenig Arbeit gewesen, im Hotelfach etwas, dann ist man die Sommersaison machen gegangen,

 

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 wenn sie einen angestellt haben als Portier, als Concierge, als, (.) irgend so, (.) kurze Saison, Sommersaison, zweieinhalb Monate, dann ist fertig gewesen, dann ist der ganze Winter keine Arbeit gewesen. Stempeln, Kasse ist noch nicht (da gewesen,) (I.: Mhm.) dann hat man keinen grossen Verdienst gehabt.«7

Alphons Beer konkretisiert nun die zuvor angesprochene Prekarität. Die Bewohnerinnen und Bewohner seines Dorfes seien zu jener Zeit – also Ende der 1940er-Jahre – vollständig vom Sommertourismus abhängig gewesen, was zu einer Arbeitslosigkeit während drei Vierteln des Jahres geführt habe. Zudem habe es wenige »Berufsmöglichkeiten« gegeben. Im Begriff »Berufsmöglichkeiten« ist die bereits im ersten Satz deutlich gewordene Vermischung von Berufsausbildung und Berufstätigkeit enthalten, wobei die Ausbildung in der Argumentation tendenziell verschwindet. Es ging nicht primär darum, einen Beruf zu erlernen, sondern darum, berufstätig zu sein, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. »Und die Verdienstmöglichkeiten sind gewesen: Postangestellter, ein Pöstler, oder ein Hüttenwart, eben Bergführer haben fast alle gehen wollen. Dann d-, viele Bergführer gegangen, nicht aus Freude aus, wegen dem, (I.: Mhm.) es hat schon ein paar Franken direkt Geld gegeben. (I.: Mhm.) Aber dann hat es fast mehr Bergführer gehabt als Gäste (I.: Mhm.) und dann ist das nicht einfach gewesen. (I.: Mhm.)«8

Bergführer sei damals die Möglichkeit gewesen, Geld zu verdienen und sich der Prekarität zu entziehen. »Fast alle« hätten als Bergführer arbeiten wollen und viele seien auch »gegangen«. Es waren also nicht herausragende Persönlichkeiten, die Bergführer wurden, und es scheinen auch keine besonderen Fähigkeiten dafür verlangt worden zu sein. Wer Bergführer werden wollte, und das waren die meisten, konnte dies offenbar in der Regel auch tun. Viele hätten es nicht aus »Freude« getan, sondern der »paar Franken« wegen, die sich damit verdienen liessen. Damit erklärt er die normative Überzeugung, wonach nur Bergführer werden solle, wer Freude und inneren Drang dazu verspüre, zu etwas, das damals selten gelebt wurde. In dieser normativen Überzeugung klingt implizit die Kritik am ökonomischen Motiv der Berufswahl an, die uns bereits in den Bergführerbiografien und -autobiografien begegnete. Der Ansturm auf den Bergführerberuf habe zu einem Überangebot an Bergführern geführt und bewirkt, dass auch in der an sich einträglichen Tätigkeit als

7

Interview Alphons Beer (2005: 1).

8

Interview Alphons Beer (2005: 1).

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Führer die Arbeit knapp wurde. Nach dieser Schilderung der allgemeinen, prekären damaligen Situation kommt Alphons Beer auf seine persönliche zu sprechen: »Und wir haben eine Pension gehabt, der Vater, und dadurch ist die Möglichkeit gut gewesen. Zuerst als Bub hat man in der Küche geholfen, jeder hat anfangen müssen, Kartoffeln schälen, Gemüse rüsten, dem Küchenchef helfen, diese paar Monate. Im Herbst ist man in den Wald gegangen, Holz holen, Heidelbeeren sammeln, Preiselbeeren und so weiter. Dann ist der Winter gekommen und wenn man dann im Hotelfach ein paar Franken verdient hat im eigenen Betrieb, in einem anderen Hotel arbeiten zu gehen, wenn du nicht verwandt gewesen bist oder einen guten Götti [Paten], gut, bist du gar nicht dazu gekommen. Und ohne zwei Sprachen hast du überhaupt keine Stelle bekommen.«9

Im Vergleich zu anderen Personen, die keine Hotelbesitzer in der Verwandtschaft hatten, stellt sich Alphons Beer als privilegiert dar, da er in der Pension der Eltern habe aushelfen können. Indem er verschiedene Hilfsarbeiten anführt, die »ein paar Franken« einbrachten, wird aber gleichzeitig deutlich, dass auch er von Prekarität betroffen war. Er gibt sich jedoch als einer, der nicht lamentiert, sondern sich in die Situation schickt und arbeitsam und genügsam ist. Das Erlernen eines Berufs verschwindet zugunsten der Erwerbsarbeit ganz aus der Erzählung; das Aushelfen als Bub geht fliessend in die Erwerbstätigkeit über, wird gar mit dieser gleichgesetzt. Die Tätigkeit als Bergführer wird nun als fast einzige ertragreiche Erwerbstätigkeit eingeführt: »Bergführer, das ist etwas gewesen, um direkt, bar Geld zu verdienen. (I.: Mhm.) Und da, ich habe sowieso immer Freude gehabt, so bisschen in den Bergen, hoch, aufwärts, laufen [gehen] und so und ein bisschen Steine trehle10. Und wir haben ja sowieso Beziehungen gehabt mit den Bergen, gerne gewesen. (.) Ein wenig im Hotel gearbeitet, nachher bin ich Schreiner lernen gegangen, und nachher den Hauptberuf Bergführer. ›Ski und Berg‹ [Hochdeutsch]. Nachher, äh, ist der Knopf [Knoten] aufgegangen. (I.: Mhm.) Und da ich sowieso immer Freude gehabt habe, nicht wegen dem Geld direkt gegangen, weil ich Freude gehabt habe, es ist nicht umgekehrt gewesen. (I.: Mhm.) Und das habe ich durch das Leben getrieben. Guter Führer gewesen, Sommer, Frühling mit den Skitouren, wunderbar alle Touren machen können, was ich heute noch mache, immer noch aktiv.«11

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Interview Alphons Beer (2005: 1).

10 Beim »Steine trehle« werden Steine den Berg hinuntergerollt. 11 Interview Alphons Beer (2005: 2).

 

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 Nachdem Alphons Beer expliziert hat, man habe mit dem Bergführen nicht lediglich ein paar Franken, sondern richtiges Geld, direkt, bar auf die Hand verdienen können, bringt er nun doch noch die Freude am Bergsteigen, die immer schon da gewesen sei, und die Beziehung zu den Bergen ins Spiel; allerdings eher als Faktoren, die die Entscheidung, Bergführer zu werden, begünstigten, denn als solche, die ihn nahegelegt oder gar erzwungen hätten. Er beschreibt sich nicht als damals passionierten Kletterer oder Bergsteiger, sondern mit einem Duktus der Bescheidenheit eher als Lausbuben, der spielerisch in den Bergen herumlief und -kraxelte. Zusätzlich führt er das Klischee ins Feld, wonach Bergbewohner quasi von Natur aus eine Beziehung zu den Bergen haben. In groben Zügen umschreibt er nun seine beruflichen Stationen, vom Arbeiten im Hotel über die Schreinerlehre bis zum Bergführer, wobei er letzteren mit dem hochdeutschen Ausdruck »Ski und Berg« präzisiert. Damit unterstreicht er, dass er beide, damals noch getrennt abgehaltenen Kurse besucht hatte und damit – im Gegensatz zu anderen zuvor erwähnten Berufsleuten – für Arbeiten im Sommer und im Winter gerüstet war. Dafür, dass er zuerst Schreiner lernte und dann Bergführer wurde, bieten sich zwei Lesarten an. Entweder hatte er ursprünglich vor, Schreiner zu bleiben, sah dann aber in diesem Beruf keine Möglichkeit, eine ganzjährige Beschäftigung zu finden. Oder aber er hatte schon vor der Schreinerlehre die Idee, Bergführer zu werden, musste aber warten, bis er 20 Jahre alt war, um die Kurse besuchen zu dürfen, und absolvierte während dieser Zeit die Lehre.12 Rückblickend jedenfalls bezeichnet er Bergführer als seinen »Hauptberuf«. »Nachher« – also nachdem er Ski- und Bergführer geworden war – sei der »Knopf« aufgegangen. Gemäss einer ersten Lesart bezieht sich der »Knopf« auf die ökonomische Situation, was bedeuten würde, dass er die finanziellen Sorgen früherer Zeiten als Bergführer nicht mehr hatte. In einer zweiten Lesart bezieht er sich auf das Bergsteigen: Während er zuvor ein unerfahrener Kraxler war, wurde er danach ein guter Bergsteiger und Bergführer; aus der kindlichen Freude wurde Leidenschaft. Entgegen der bisherigen Darstellung, gemäss der er wegen der Aussicht auf einen guten Verdienst Bergführer wurde, wobei ihm die Freude an den Bergen zugutekam, dreht er den Sachverhalt nun um und meint, er sei »nicht wegen dem Geld direkt gegangen«, wobei diese Umkehrung durch das »nicht direkt« relativiert wird. Er distanziert sich damit von vielen seiner damaligen Kollegen und damit auch von der in den Biografien zutage getretenen Negativfolie des Berg-

12 Gemäss den damaligen Regelungen war die Zulassung zu den Bergführerkursen an ein Mindestalter von 20 Jahren geknüpft (vgl. Kapitel 3.3.2).

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führers, dem allein das Geld Antrieb ist und dem jegliche Liebe zu den Bergen abgeht. Wenn Beer abschliessend berichtet, er habe das Bergführen sein Leben hindurch betrieben und sei noch heute aktiv, schlägt er einen Bogen von den 1950er-Jahren bis zur Gegenwart. Nicht ohne Stolz zieht er Bilanz: Er sei ein »guter Führer« gewesen und sei noch heute, im Alter von bald achtzig Jahren, als solcher tätig. Darin klingt die ebenfalls in den Biografien zutage getretene Deutung an, wonach das hohe Alter das Prestige eines Bergführers steigert und ein ›richtiger‹ Bergführer sein Leben lang einer bleibt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen lässt sich folgende vorläufige Fallstrukturhypothese formulieren: Alphons Beer führt seine Entscheidung, Bergführer zu werden, nicht auf die Faszination des Bergsteigens, eine familiäre Tradition oder ein Gefühl der Berufung zurück, sondern macht dafür zunächst pragmatische, ökonomische Überlegungen geltend. Sogleich bezieht er sich jedoch auf die normative Überzeugung, wonach der Bergführerberuf nicht aus ökonomischen Motiven ergriffen werden sollte. Er argumentiert nun, wenn auch nur halbwegs überzeugend, im Gegensatz zu anderen sei er aus Freude und nicht nur wegen des Geldes Bergführer geworden. Zu dieser Ambivalenz passt, dass sich bei Beer Bescheidenheit und Hang zum Understatement auf der einen und die Selbstdarstellung als interessanter Zeitzeuge und ein gewisser Berufsstolz auf der anderen Seite feststellen lassen. Unter Beizug weiterer Interviewsequenzen wird in der Folge unter anderem der Frage nachgegangen, worin die Gleichzeitigkeit von Pragmatismus und Passion sowie von Bescheidenheit und Stolz begründet liegt. 5.1.2 Liebe zum Schicksal Im Anschluss an die Einstiegssequenz führt Alphons Beer handfeste Zahlen an, um die damalige finanzielle Attraktivität der Führertätigkeit zu illustrieren. Sechzig Franken habe der Tarif für eine Führung auf das Allalinhorn – einen der Viertausender um Saas Fee – in den 1950er-Jahren betragen, während man für den gleichen Lohn in anderen Berufen damals elf Tage lang habe arbeiten müssen. Das sei etwas gewesen, »Gopfridstutz«! Als Hauptmotiv bestätigt Beer damit erneut die damals bestechenden Verdienstmöglichkeiten als Bergführer, bringt aber sogleich – diesmal als Supplement – die Freude wieder ins Spiel: »Und wenn da die Freude noch mitspielt, dann ist der Führerberuf schon etwas Schönes. (I.: Mhm.) Und dann wirst du nicht so müde. Wenn du nur wegen dem Geld gehst, wirst du schnell mal müde. (I.: Mhm.) Das ist eben nicht das Richtige. (I.: Hm) Das ist dann, da bist du dann auf dem falschen Weg, he. (I.: Mhm.) Dann treibst du es eben dann nicht

 

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 lange, he. (I.: Mhm.) Sobald eine andere Möglichkeit kommt, lässt du dann den Beruf auf der Seite. Und das hat es viel gegeben, dass nur wegen dem Geld Führer gegangen sind, und dann haben sie bald mal aufgehört. Und wenn man das umkehrt, dann bleibst du das Leben lang Führer. (I.: [schmunzelt]) Wie ich jetzt noch.«13

Wer allein des Geldes wegen Bergführer werde, ermüde schnell und höre bald auf damit. Wer es hingegen umdrehe und den Beruf primär aus Freude betreibe, der bleibe – wie er – »das Leben lang Führer«. Der Moment, in dem ihm selbst diese Umkehrung gelang, muss jener gewesen sein, in dem der vorhin erwähnte »Knopf« aufging. Das Aufgehen des Knopfes fungiert – sowohl biografisch wie auch narrativ – als vermittelndes Glied zwischen dem Motiv des finanziellen Anreizes und der Freude am Beruf. Biografisch scheint der »Knopf« in doppelter Hinsicht aufgegangen zu sein: Erstens erwies sich das Führen für Alphons Beer tatsächlich als finanziell einträgliches Geschäft: Stolz erzählt er, er habe trotz des damaligen Überangebots an Bergführern schon im ersten Jahr eine »Bombensaison« gehabt und danach sei es »gelaufen, voll durch«. Er habe »nicht einmal Zeit gehabt, im Herbst auf die Jagd zu gehen«, obwohl er »ein guter Schütze« gewesen sei.14 Zweitens scheint sich die Freude, die vielen anderen – später gescheiterten – Bergführern fehlte, bei ihm eingestellt zu haben. Die Tätigkeit wurde bald zu mehr als einem Gelderwerb, er entwickelte eine gewisse Leidenschaft für den Beruf und begann sich mit ihm zu identifizieren; ihm habe immer alles »Freude gemacht«, so dass er heute, wie er sagt, die Ausbildung »gerade wieder machen« würde.15 Das Zusammentreffen der beiden Elemente, die ökonomische Bewährung und die entstehende Freude am und Identifikation mit dem Beruf, war für ihn eine glückliche Fügung, die es ihm heute erlaubt, sich in der Erzählung über jene zu erheben, die nur aufgrund finanzieller Überlegungen Führer wurden. In der gelungenen Umkehrung liegt möglicherweise die Ursache für die Distanznahme, die Beer mit dem »ganz früher« in der Einstiegssequenz vornimmt und mit der er auf eine sehr weit zurück liegende Zeit verweist, in welcher der »Knopf« noch nicht aufgegangen war. Dass es Alphons Beer möglich war, die Motive »Geld« und »Freude« umzudrehen und Identifikation wie auch Berufsstolz auszubilden, liegt nicht zuletzt an seinen habituellen Dispositionen. Als pragmatischer und optimistischer Macher

13 Interview Alphons Beer (2005: 3). 14 Interview Alphons Beer (2005: 45). Zu Parallelen zwischen Jagd und Bergführen vgl. Kapitel 4.5.4. 15 Interview Alphons Beer (2005: 31; 17; 3).

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entwickelte er eine »amor fati«16, die noch heute darin zum Ausdruck kommt, dass er seine Geschichte auch ex post nicht mystifiziert. Alphons Beers Selbstverständnis hat sich gewandelt; entschloss er sich als junger Mann aus pragmatischen, finanziellen Überlegungen dazu, sein Geld mit dem Führen von Touristen zu verdienen, so versteht er sich heute als Bergführer, der sich so stark mit seinem Beruf identifiziert, dass er mit ihm sozusagen eins geworden ist. Dieser Wandel, so ist zu vermuten, gelang ihm nicht zuletzt deshalb, weil Bergführer in Saas Fee – einem für Bergtourismus berühmten Ort – öffentliche Personen mit beträchtlichem Ansehen sind. 5.1.3 Bescheidenheit und Stolz Wie bereits die Analyse der Einstiegssequenz verdeutlichte, ist das Hin und Her zwischen dem Motiv des »Geldes« und jenem der »Freude« verbunden mit einem Hin und Her zwischen Bescheidenheit und Stolz: Alphons Beer stellt das Bergsteigen und Bergführen im Interview verschiedentlich unprätentiös als etwas leicht zu Erlernendes und kaum Aussergewöhnliches dar: Das Klettern in der Kindheit und Jugend banalisiert er, indem er es als »Steine trehle«, also herumkraxeln, sowie als »umeschnaagge«, auf allen Vieren herumkriechen, bezeichnet. Die damalige Ausbildung sei weniger streng gewesen als heute, bemerkt er, und das Führen eines Gastes schildert er als etwas, das nicht sehr schwer zu lernen war: Das Bergsteigen und Klettern wie auch das Führen von Gästen habe er sich quasi naturwüchsig angeeignet, letzteres, indem er mit einem erfahrenen Bergführer »mitgegangen« sei. Er sei dessen Spur gefolgt, habe »alles abgeschaut« und es so mitbekommen. Auch die Essenz des Bergführens entdramatisiert er: Es gehe dabei lediglich darum, »das hintere Bein nach vorne [zu] nehmen«, meint er: »So, laufen [gehen], he.«17 Jede dieser Verharmlosungen findet allerdings im Interview irgendwo ihre Relativierung, was sie zu Understatements werden lässt. So scheint das spielerische Herumkraxeln in den Schluchten, bei dem die Buben geschaut hätten, wer sich am weitesten an den Rand hinaus wage, derart gefährlich gewesen zu sein, dass der Vater, der sie jeweils suchen gekommen sei, es nicht gewagt habe, ihre Namen zu rufen, aus Angst, sie könnten erschrecken und in die Schlucht stürzen. Auch die Bergführerausbildung scheint nicht ganz so einfach gewesen zu sein, wie es zunächst erscheint: Für ihn sei sie »nur Spass gewesen«, andere jedoch hätten »grännet [geweint, gejammert] vor Angst«, erzählt er. Was die Arbeit des

16 Bourdieu (1999a: 117 f.; 1987: 290). 17 Interview Alphons Beer (2005: 5; 6; 13; 29).

 

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 Führers betrifft, so scheint es mit dem »Bein nach vorne nehmen« doch nicht ganz getan zu sein: »Es ist doch noch hart. Du musst etwas leisten.«18 So, wie in Beers Argumentation zur Berufswahl zuerst das Motiv des »Geldes« im Vordergrund steht, dann jenes der »Freude« auftaucht, mit dem »Geld« ›konkurriert‹ und schliesslich obsiegt, dominiert am Ende des Wechselspiels zwischen den Äusserungen der Bescheidenheit und deren Relativierungen der Stolz. Er findet nicht zuletzt in der Erzählung Beers Ausdruck, wie er sich wenige Monate vor dem Interview selbst zwei ›Denkmäler‹ geschaffen hat. Er stiftete eine Holzbank, in die »Alphons Beer – Bergführer« geschnitzt ist und die heute oberhalb des Dorfes steht. Ausserdem errichtete er – zusammen mit dem damals jüngsten Bergführer des Dorfes – auf einem der umliegenden Berge ein Gipfelkreuz, in das er die beiden Namen sowie einen »Spruch«19 geschnitzt hatte, »Berge sind stille Meister« (ein Goethe-Zitat, das in Zusammenhang mit Alpinismus und Religion oder Spiritualität häufig anzutreffen ist). Der Berufsstolz bezieht sich bei Beer nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf Bergführer generell: Es gebe keine schlechten Führer, meint er an einer Stelle, »nur gute und ganz gute«20. Schliesslich relativiert Beer auch die Aussage, wonach Freude das einzige Kriterium ist, das ein Mensch mitbringen muss, um Bergführer zu werden und zu bleiben. »Du musst der Typ der- musst ein- ein Typ musst du sein. Sonst geht es nicht gut«21, meint er auf eine entsprechende Frage der Interviewerin. Der Typ für etwas zu sein, bedeutet, dass man zu einer bestimmten Sorte Mensch gehört, der etwas besonders gut liegt, sei es aufgrund eines ›angeborenen Charakters‹ oder einer in die Wiege gelegten ›Begabung‹. Ein Typ hingegen ist neben einem Charakter mit klaren Zügen – etwas pejorativ ausgedrückt – ein Mann. In Beers Antwort stecken beide Lesarten: Bergführer werden kann in seinen Augen nur, wer einem spezifischen Schlag Mann angehört. Beim Versuch zu umschreiben, was diesen Typen genau ausmacht, ringt Beer um eine Antwort: »Könnte ich nicht sagen, wie soll ich das erklären, (I.: Ja.) ›du bist nicht der Typ‹. (I.: Ja.) Das ist schwierig (zu erklären,) (I.: schwierig.) he. Aber (I.: Ja.) man könnte das sehen, der Ausdruck oder so. ›Ja, dieser Typ, der gefiele mir noch so als Bergführer da‹, so, ›und der,

18 Interview Alphons Beer (2005: 5; 17; 16; 10). 19 Interview Alphons Beer (2005: 55). 20 Interview Alphons Beer (2005: 30). 21 Interview Alphons Beer (2005: 39).

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ä-ä [verneinend], der nicht‹. (I.: Mhm.) Aber wie soll ich diese Figuren darstellen. (I.: Mhm.) Der muss, (.) ein Bild, ein paar Fotos zeigen [lacht].«22

Bergführer erscheint hier nicht mehr als ein Beruf, der einfach so erlernbar ist. Entweder man ist der Typ dazu oder nicht. Ein solcher Typ verfügt über eine entsprechende körperliche »Hexis«23 – man sieht es an seinem »Ausdruck«, an seinem Äusseren. Was für Bourdieus Hexis gilt, nämlich dass in sie stets auch Geschlecht eingeschrieben ist, trifft auch für Beers »Ausdruck« zu, er ist implizit maskulin codiert: Der Typ ist ein Typ.24 5.1.4 Inmitten der Viertausender Anders als damals, in seiner Jugend, als das Bergführen ein finanziell einträgliches Geschäft und deshalb unter einheimischen Männern eine begehrte Tätigkeit war, was zu einem Führerüberhang führte, diagnostiziert Alphons Beer heute einen Mangel an Nachwuchs aus seinem Dorf: »Heute gibt es auch andere Möglichkeiten und, Berufe zu lernen, ganz andere Möglichkeiten. Wegen dem, wegen dem Geld musst du nicht mehr Führer machen gehen, da kannst du andere Berufe lernen. (I.: Ja.) Da ist heute die Möglichkeit, die sind heute viel grösser als dannzumal. Aber wenn einer Freude an den Bergen, (…).«25

Im Gegensatz zu damals gebe es heute »andere Möglichkeiten«, einen Beruf zu lernen, und auch »wegen dem Geld« müsse heute niemand mehr Bergführer werden. Damit fallen die beiden Motive weg, auf die Alphons Beer seine Berufswahl zu Beginn zurückführte. Wenn aber »einer Freude an den Bergen« habe, dann – so hört man Alphons Beer den Satz vollenden – lässt es sich auch heute noch vom Führen leben. Damit wird die oben rekonstruierte Umkehrung auf die historische Entwicklung des Berufs übertragen: Für heutige Bergführer fällt der Anreiz des guten Verdienstes weg; was als Motiv bleibt, ist die »Freude«. Unvermittelt führt Beer einen weiteren Grund an, heute Bergführer zu werden:

22 Interview Alphons Beer (2005: 40). 23 Bourdieu (1999a: 129; vgl. 1997a: 160 ff.); vgl. Kapitel 1.5.4. 24 Vgl. Kapitel 7.6. 25 Interview Alphons Beer (2005: 9).

 

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 »Wir brauchen hier Bergführer. Die Berge, die Gäste kommen wegen den Viertausendern hierher, nicht wegen den Häusern. (I.: Mhm.) Die Häuser sind wegen den Bergen gekommen. (I.: [schmunzelt]) Und die Gäste sind wegen den Viertausendern gekommen. Alles ist wegen der Natur gekommen, nicht umgekehrt. (I.: Mhm mhm.) Und wenn wir mit diesen schönen Viertausendern zu wenig Bergführer haben, das i-, dann stimmt etwas nicht. Das ist das Gleiche, wie wenn in Venedig die Gondolieri nicht mehr, (I.: Mhm.) da sind, dann ist, dann fehlt auch etwas. (I.: Mhm.) ›Selbe hier‹ [Hochdeutsch].«26

Für Bergführer bestehe nach wie vor ein Bedarf: »Wir brauchen hier Bergführer«, stellt Beer fest, wobei »hier« für das Dorf Saas Fee stehen dürfte und »wir« für die Dorfgemeinschaft. In seiner Begründung, weshalb Bergführer gebraucht werden, stellt er mehrere kausale Verknüpfungen her. Im Zentrum der Argumentation stehen die Berge, im Speziellen die »Viertausender«. Sie hätten Gäste angezogen und Häuser entstehen lassen. Bergführer gehörten zu Saas Fee wie Gondolieri zu Venedig. Im Vergleich mit Venedig erklärt er das Bergdorf zu einem einzigartigen, zauberhaften Ort von international höchstem touristischem Interesse. Was für Venedig die Paläste und Kanäle sind, sind für Saas Fee die Viertausender. Bergführer sind wie die Gondolieri menschliche Vermittler zwischen dem Ort und den Touristinnen und Touristen, die diesen aufsuchen. Gondolieri rudern die Besucherinnen und Besucher durch die Gewässer, schaukeln sie von Palazzi zu Piazze und ermöglichen ihnen so, sich als Teil dieser Stadt zu fühlen, wobei sie in ihren gestreiften Leibchen selbst Teil der malerischen Stadtkulisse sind. Bergführer begleiten die Reisenden aus dem Flachland über für diese unpassierbares Gelände, führen sie von den Niederungen in die Höhen und machen ihnen die potentiell gefährlichen Berge und ihre Schönheit zugänglich. Wie der Vergleich mit den Gondolieri deutlich macht, gehören Bergführer für Alphons Beer zum Gesamterscheinungsbild Saas Fees. Sie sind Teil der folkloristisch inszenierten Kulisse des Dorfes und in ihrer pittoresken Erscheinung unerlässlich für dessen touristische Vermarktung. Dem blau-weiss gestreiften Leibchen des Gondoliere dürfte des Bergführers Uniform entsprechen, die bei besonderen Anlässen getragen wird, dem romantischen Lied, das der Gondoliere seinen Gästen vorsingt, das Stück, das Beer – wie auf einer Foto zu sehen ist, die er anlässlich des Interviews zeigt – seinen Gästen in gemütlichen Stunden in der Hütte auf seiner Handorgel zum besten gibt.27

26 Interview Alphons Beer (2005: 9 f.). 27 Den Vergleich eines alpinen Kurortes mit Venedig macht auch Hausegger in einem Essay zu Zermatt: »In Zermatt angekommen verflüchtigt sich zunächst die Euphorie der Reise. Als Teil der unzähligen internationalen BesucherInnen, die am Bahnhof

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5.1.5 Ohne »Leim« und »Kleber« Was im Vergleich mit den venezianischen Gondolieri deutlich wird, zeigt sich im Interview mehrfach: Das Gelände, in dem sich Alphons Beer bewegt, sind die Viertausender und seine Berufstätigkeit besteht darin, in ›klassischen Hochtouren‹ einen – oder mehrere – Touristen am Seil über Fels, Eis und Firn auf die Gipfel zu führen, so, wie es bereits seine »Vorahnen«28 getan hatten. Wenn man oben ankomme, sage man: »Berg heil, wunderbar, habt Ihr es geschafft.« Die »Freude« der Touristen sei dann jeweils so gross, dass einige fast weinten.29 »Für diese Leute, die, äh, im Flachen sind und das ganze Jahr, äh, (.) Fabrik oder was sie auch arbeiten, nachher dann so in den Ferien so auf einen Viertausender, (I.: Mhm.) das ist, äh, ganz etwas Schönes. (I.: Mhm.) Und diese Aussicht, wenn die stimmt, das ist eine wunderbare Sache.«30

In dieser Beschreibung klingen zwei Diskurselemente an, die uns bereits aus den Bergführerbiografien und -autobiografien bekannt sind: Zum einen assoziiert er das Flachland mit der Arbeit in der Fabrik, die für die aus seiner Sicht schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen als Folge der Industrialisierung steht, und stellt diesem die durch die Viertausender verkörperte positiv konnotierte Höhe gegenüber. Als Bergführer führt er die Leute aus den Fabriken auf die höchsten Berge, die für ihn etwas vom Schönsten sind, was es überhaupt gibt. Dieser Perspektivenwechsel müsse für seine Gäste eindrücklich sein, man spüre richtig, »wie die ausstrahlen«31. Zum anderen ist es der Topos der schönen Aussicht, den Beer hier reproduziert: Das Gefühl der Beglückung stellt sich angesichts der panoramatischen Aussicht vom Gipfel aus ein. Er könne den Touristinnen und Touristen darin nachfühlen; noch gut erinnere er sich, wie er als vierzehnjähriger Bub erstmals auf einem Gipfel – dem Allalinhorn – gestanden habe. Für immer werde er dieses Erlebnis »da«, im Herzen behalten:

›entladen› werden, zieht man im Strom der Menge die Hauptstrasse entlang. Die Menschenmassen, die enge Strasse, all das erinnert an einen Spaziergang in Venedig mit ausgetauschten Kulissenstilen: Kein Wasser und keine Palazzi, stattdessen eine ins Dunkel des Abends getauchte Stadt mit noch in der Sonne leuchtenden Berggipfeln darum herum.« (Hausegger 2008: 38). 28 Interview Alphons Beer (2005: 2). 29 Interview Alphons Beer (2005: 25). 30 Interview Alphons Beer (2005: 25). 31 Interview Alphons Beer (2005: 27).

 

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 »Den Ausblick, was man oben gesehen hat, habe ich heute noch da. (I.: Mhm.) Und so etwas Schönes, und das kann ich mir heute immer noch vorstellen, dass die Gäste das auch so sehen. (I.: Mhm.) Und ich sehe es immer noch so, (I.: Mhm.) dass es, wenn man da so sieht, die ganzen, da siehst du vom Bernina bis Montblanc, beim, Jungfraugebiet bis an, bis rüber in den, äh, Paradiso und so, (I.: Ja.) du siehst einfach die ganzen Westalpen. (I.: Mhm mhm.) Einen Gipfel nach dem anderen.«32

Obwohl er mittlerweile jeden Viertausender der Schweiz bestiegen und schon über tausendmal auf dem Allalinhorn gestanden habe, sei es auch für ihn »immer wieder schön, immer wieder faszinierend«, das könne einem »nicht verleiden«.33 Seine »Freude« am Beruf scheint sich – zumindest teilweise – davon zu nähren, die Freude an der Schönheit solcher Ausblicke seinen Gästen weiterzugeben. Ziel der Touren, die er führt, sind also die Gipfel, weshalb er zunächst auch dem Bau des in Saas Fee in einer Schlucht angelegten Klettersteigs34 äusserst »skeptisch« gegenüber stand: »Zuerst bin ich ein bisschen skeptisch gewesen und habe gesagt: ›Wa-, na-, Klettersteig, ein Führer, wir gehen, Führer, die müssen doch in die Berge! Rauf! (I.: Ja.) Jetzt gehen sie noch ins Loch runter berg-, (I.: [schmunzelt]) ich bin doch kein ›Talführer‹ [Hochdeutsch]! (I.: [lacht]) Da so herumkriechen, runter in diese Schluchten rein.‹ (I.: [schmunzelt]) Zuerst bin ich ein bisschen dagegen gewesen.«35

Mittlerweile aber, nachdem er es selbst ausprobiert habe, gefalle es ihm sehr gut. Eine Klettersteigtour sei zudem nicht so streng wie eine Hochtour, was einem älteren Führer entgegenkomme.

32 Interview Alphons Beer (2005: 26). Der Gran Paradiso ist ein Viertausender in Norditalien. 33 Interview Alphons Beer (2005: 25). 34 Als Klettersteig wird eine Kletterroute am Fels bezeichnet, die mit Stahlseilen, Leitern, Eisenstiften etc. gesichert ist und häufig auch von unerfahrenen Kletterinnen und Kletterern begangen werden kann. Frühe Klettersteige entstanden während des Ersten Weltkriegs vor allem im Südtirol zu militärischen Zwecken. In der Schweiz waren Klettersteige lange Zeit unerwünscht. Sie kamen besonders in den 1990er-Jahren auf; ihr Bau wird bis heute von einer kontrovers geführten Debatte begleitet (vgl. Anker 2005). 35 Interview Alphons Beer (2005: 41).

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Im Gegensatz zu Klettersteigen kann Alphons Beer dem »Kunst-Sportklettern«36, wie er es nennt, nicht viel abgewinnen. Der Begriff »Kunst«, den Beer dem sonst üblichen Begriff »Sportklettern« voranstellt, steht erstens für etwas Nicht-Natürliches, Artifizielles. Zweitens verweist »Kunst« auf eine zur Perfektion getriebene Fertigkeit innerhalb eines Fachgebiets und drittens ist »Kunst« auch im Sinne der Herstellung eines gegenständlichen oder flüchtigen Produkts mit ästhetischem Anspruch gebräuchlich. Für Beer vereint das Sportklettern alle diese Lesarten. Es entbehrt jeder Authentizität und lässt sich mit der ›Natürlichkeit‹ der Besteigung von Viertausendern nicht vereinbaren. »Da hast du keinen Rucksack, keinen Pickel, nichts. Nur Finken und leichte Hose und ein bisschen, bisschen, äh, äh, Mehl (I.: Ja) da so, (I.: Ja [schmunzelt]) damit es ein wenig klebt und, aber das brauchst du in den Bergen nicht. (I.: Mhm.) Diesen Viertausendern, die wir hier haben in unserer Westalpenregion, da kannst du mit diesem Leim nichts anfangen, mit diesem Kleber da, (I.: Mhm.) Magnesium. (I.: Mhm.) Pickel, Steigeisen, äh, Kompass, Höhenmesser, Kenntnis von den Gefahren, vom Blitz, Steinschlag, Lawine, da muss man stark sein. (I.: Mhm.) Da dieses Kunstklettern ist, ist weniger wichtig.«37

Richtiges Bergsteigen findet für ihn mit Pickel, Steigeisen, Rucksack, Kompass und Höhenmesser statt. Der Berg wird dabei ›authentisch‹ erklommen, wobei sich der Bergsteiger lebensbedrohlichen Gefahren wie dem Blitz- und Steinschlag oder Lawinen aussetzt, die er kennen muss, um ihnen zu entgehen. Dem Sportklettern hingegen haftet in seinen Augen Künstlichkeit an. Das Produkt, die gekletterte Route, ist – mag sie noch so virtuos bewältigt worden sein – artifiziell. Beer anerkennt zwar, dass das Sportklettern eine hochspezialisierte Tätigkeit ist, ist aber der Überzeugung, dass der Bergführer diese Spezialisierung nicht braucht. In der derzeitigen Ausbildung würden »Schwierigkeitsgrade« verlangt, die seiner »Ansicht nach unnötig« seien. Diese zu hohen Anforderungen seien mit ein Grund für den derzeitigen Mangel an einheimischen Bergführeranwärtern: Diejenigen, die ›richtig‹ und authentisch bergsteigen und die Berge mit ihren Gefahren kennen, laufen Gefahr, die Ausbildung nicht zu bestehen. Er schlägt deshalb vor, in der Ausbildung die Anforderungen im Sportklettern herunterzuschrauben und für diejenigen, die das unbedingt betreiben wollen, ein spezielles Sportkletter-»Brevet« zu schaffen.38

36 Interview Alphons Beer (2005: 8). 37 Interview Alphons Beer (2005: 6 f.). 38 Interview Alphons Beer (2005: 6 f.).

 

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 5.1.6 Der Führer und sein Gast Wenn Alphons Beer von seinen Kundinnen und Kunden spricht, verwendet er den Begriff »Gast«, der im heutigen Berufsfeld gebräuchlich ist. Als Gäste werden im privaten Leben Besucherinnen und Besucher bezeichnet, die man zu sich nach Hause einlädt oder sie vorübergehend beherbergt. Gäste sind aber auch Menschen, die in Hotels, Pensionen, Gasthäusern oder Restaurants bewirtet werden. In diesen Situationen ist ihre Leiblichkeit involviert: Sie erhalten zu essen, zu trinken oder Obdach wie auch Schutz. Im Gegensatz zu »Kundin«, »Kunde« beinhaltet der Begriff »Gast«, dass die betreffende Person nicht lediglich eine Dienstleistung gegen Entgelt erhält, sondern ihr dabei mit einer persönlichen Anteilnahme begegnet wird, die Ähnlichkeiten zur Gastfreundschaft im privaten Rahmen aufweist. Für die im Gastgewerbe Arbeitenden ist charakteristisch, dass ihr Handeln ebenso von Emotionalität wie von wirtschaftlichen Interessen geleitet ist und sie ein Ethos »professioneller Gastlichkeit«39 walten lassen. Über die Rolle des Gastes werden gemäss Stichweh Fremde in die Gesellschaft inkludiert.40 Der Bergführer, der von seinem »Gast« spricht, versteht sich also als Akteur des Fremdenverkehrs, der es mit Besucherinnen und Besuchern zu tun hat, die temporär bei ihm beziehungsweise in seinen Bergen zu Gast sind, wobei er sein berufliches Handeln am »Gastlichkeitsethos«41 ausrichtet. Alphons Beer sieht seine Aufgabe darin, seinen Gast auf den Gipfel eines Viertausenders zu bringen. Gelingt eine geplante Besteigung nicht, erachtet er seinen Auftrag als nicht erfüllt, was für ihn entsprechend unbefriedigend ist. Er führe nicht gerne Leute, bei denen man schon am Anfang sehe: »Ja, den bringe ich nicht auf den Gipfel.« Dies merke man nämlich sofort: »Dann gehst du ein Stück rauf, und nachher merkst du, wenn du jetzt viel hörst Schnaufen da hinten mit einem langsamen Schritt, dann weißt du schon Bescheid.« In solchen Situationen sage er sich jeweils: »Au, heute habe ich Pech, ich weiss nicht, der schafft das wahrscheinlich nicht.« Damit ein Gast eine geplante Tour durchstehe, müsse man aufpassen, dass man ihn nicht »kaputt« mache. Man müsse ihm »Zeit lassen, Pausen zu machen« und ihn auch auf geeignete Fotosujets wie Gletscherspalten, Eisbrüche oder eine schöne Aussicht hinweisen: »Hier habt Ihr jetzt schöne, da müsst Ihr jetzt eine Foto machen«, hört er sich sagen und »Ah, ja wunderbar!«, imitiert er die Begeisterung der Gäste.42

39 Honegger/Bühler/Schallberger (2002: 160). 40 Stichweh (2010: 76 f.). 41 Honegger/Bühler/Schallberger (2002: 160). 42 Interview Alphons Beer (2005: 17; 19; 30).

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Auf die Frage der Interviewerin, was denn einen guten Bergführer ausmache, meint Alphons Beer: »Gerade mal überlegen, wie das gewesen ist. Ein guter Führer? (I.: Mhm.) (...) Bei einer einfachen Tour musst du, äh, den Gast gut behandeln, und, äh, mo-, erklärst ja auch die Berge und, äh, das andere, bei einer schwierigen Tour musst du ihn gut sichern.«43

Anstatt aus dem Stegreif seine eigene Überzeugung zu formulieren, kommentiert er sein Nachdenken mit der Bemerkung, er müsse gerade überlegen, wie das gewesen sei, versucht also, etwas vor langer Zeit Erfahrenes wiederzugeben. Man müsse den Gast nicht nur auf den Gipfel bringen, ohne ihn »kaputt« zu machen, und ihn auf schöne Fotomotive hinweisen, sondern ihn auch »gut behandeln« und ihm die »Berge erklären«, womit das Nennen der Namen sowie vielleicht der Höhen der Berge gemeint sein dürfte. Wie bei der Aufforderung zum Fotografieren nimmt Beer beim »Erklären« der Berge die Rolle des Einheimischen ein, der dem Fremden seine Bergwelt zeigt. Wenn er sagt, man müsse den Gast »gut behandeln«, spielt er auf die Anstandsregeln an, die als Reaktion auf rüdes Verhalten von Führern gegenüber ihren noblen Herrschaften schon in den ersten Bergführerreglementen und später auch in Schriften wie etwa der Broschüre »Im Umgang mit seinem Gast«44 festgehalten waren. Schliesslich, bemerkt Beer, habe ein Bergführer auch für Sicherheit zu sorgen. Besonders bei anspruchsvolleren Touren müsse er den Gast gut sichern; nicht nur, um diesen vor einem Unfall zu bewahren, sondern vor allem auch, um selbst nicht von ihm in den Tod gerissen zu werden. Bisher sei dies immer gut gegangen: »Drum bin ich noch da, sonst wäre ich ja nicht mehr da, he.«45 Alphons Beers Selbstverständnis als Führer ist durch eine gewisse Deautonomisierung des Gastes geprägt: Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit wie auch die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, werden ihm zu grossen Teilen abgesprochen. Der Gast steigt, so das von Beer gezeichnete Bild, nicht primär selbst auf den Berg, sondern wird vom Bergführer hochgebracht. Als Aspirant sei es sogar vorgekommen, dass er den Gast hin und wieder »hinten noch ein bisschen stossen« oder am Seil »ziehen« musste.46 Auch liegt es gemäss Beer bis zu einem gewissen Grad in der Macht des Bergführers, ob der Gast etwa durch ein zu hoch angeschlagenes Tempo oder zu wenige Pausen »kaputt«

43 Interview Alphons Beer (2005: 30). 44 Bohren/Grundisch/Strässle (1993). Vgl. Kapitel 3.1.3. 45 Interview Alphons Beer (2005: 13). 46 Interview Alphons Beer (2005: 15).

 

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 gemacht wird oder nicht und ob er die wirklich schönen und fotografierenswerten Dinge sieht. In der Höhe verliert der Gast gemäss diesem Selbstverständnis bis zu einem gewissen Grad auch seine Individualität, zumindest was seinen sozialen Status angeht; auf den Gipfeln – und das sei das Schöne – seien alle Menschen gleich: »Ob du da einen Direktor führst oder einen Arbeiter, (I.: Mhm.) das ist, die sind alle gleich da oben, das ist, und das Empfinden ist auch wieder gleich und so.«47

›Unten‹ geltende soziale Unterschiede sind am Berg ausgehebelt, worin die in den Bergführerpublikationen angetroffene »konterkarierte Hierarchie« anklingt: »Hier oben ist für mich jeder gleich! Direktor oder Arbeiter, hier muss ich alle gleich behandeln.«48 Relevant ist im liminalen Raum des Gebirges einzig der Unterschied zwischen dem Führer und dem Gast, wobei ersterer letzterem überlegen ist. Hin und wieder sei er auch Gästen begegnet, die etwa ihren Doktortitel in die Waagschale geworfen hätten, um die Schuld für eine eigene Schwäche ihm in die Schuhe zu schieben, was er jeweils selbstsicher zu kontern wusste: »Das ist mir gleichgültig, was Ihr seid, Doktor hin oder her«49, habe er dem Gegenüber in einer entsprechenden Situation bestimmt entgegnet. 5.1.7 Das weiche Geschlecht Bergführer könne nur werden, wurde Alphons Beer bereits zitiert, wer der »Typ« dazu sei. Die Analyse der entsprechenden Textsequenz zeigte auf, dass damit implizit von einem Mann mit einer bestimmten »Hexis«50 die Rede ist. Auf die Frage der Interviewerin, was er davon halte, dass heute auch Frauen diesen Beruf erlernen können, meint er: »Ja, das ist, geht auch. (.) Man stellt sich nur vor, ja, es wä-, ›das weiche Geschlecht‹ [Hochdeutsch], es wäre ein wenig zu hart, stellt man sich vielleicht vor [schmunzelt]. Aber äh, du kannst die Berge, äh, gut führen, die, das mit dem nichts zu tun, du musst das ja nicht mit der Kraft machen, du musst (I.: Mhm.) es da oben, (.) gut sein, da. Das ist ohne Weiteres möglich, he. (I.: Mhm.) Es gibt aber wenige Frauen, die wirklich, es ist schon härter als sonst etwas. (I.: Mhm.) Es kann dann schon Momente geben, wo du einen

47 Interview Alphons Beer (2005: 17). 48 Interview Alphons Beer (2005: 22 f.). 49 Interview Alphons Beer (2005: 23). 50 Bourdieu (1999a: 129; vgl. 1997a: 160 ff.); vgl. Kapitel 1.5.4.

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aus der Spalte rausziehen musst und so, wo du manchmal so ein bisschen, aber da ist heute die Technik so gut, (I.: Mhm.) wenn du das beherrscht, musst du nicht mit voller Kraft nur arbeiten.«51

Frauen als Bergführerinnen, das gehe auch, meint Alphons Beer zunächst, relativiert die Aussage aber sogleich, indem er den Frauen die dafür nötige Härte abspricht, wobei er diese Relativierung dreifach abschwächt: Er bezeichnet die Haltung, Frauen seien »das weiche Geschlecht«, als seine Vorstellung und nicht als objektive Tatsache, auch lässt er mit dem »vielleicht« offen, ob Frauen tatsächlich das »weiche Geschlecht« sind und er bezeichnet den Beruf als lediglich ein wenig zu hart. Darauf folgt ein Hin und Her zwischen dem Argument, der Beruf sei physisch zu hart für Frauen, weil er viel Kraft erfordere, und den Gegenargumenten, wonach es eher den Kopf (»da oben«) als die Kraft brauche und mangelnde Kraft sich mit Technik kompensieren lasse, weshalb der Beruf gut auch von Frauen ausgeübt werden könne. Gemäss einer ersten Lesart ist die defensive Ausdrucksweise und das Hin-und-her-Lavieren darauf zurückzuführen, dass Beer sich selbst nicht sicher ist, was er zu dieser Frage denken soll, zum Beispiel, weil er dabei ist, seine langjährige Überzeugung, Frauen seien für diesen Beruf nicht geeignet, aufgrund von Begegnungen mit Bergführerinnen, die ihre Arbeit gut machen, zu revidieren. Oder aber – dies die zweite Lesart – Alphons Beer ist eigentlich der tiefen Überzeugung, Frauen hätten in diesem Beruf nichts verloren, scheut sich aber, dies – gerade einer Interviewerin gegenüber – so auszudrücken. Dem Lavieren zwischen den beiden Argumenten entzieht er sich, indem er von der Ebene der normativen Überzeugungen auf jene der Empirie wechselt und prognostiziert, es werde nie viele Bergführerinnen geben; die wenigen, die es gebe, würden stets »Einzelfälle« bleiben, denn es gebe schlicht »zu wenige harte Frauen«.52 »Das sind so Ausnahmefälle, (I.: Ja.) die einfach den Charakter so, ja vielleicht so ein bisschen, (I.: Ja.) ›Ich möchte auch ein bisschen Mann sein‹ oder so, (I.: Ja.) so ein wenig so [letzte vier Worte lachend]. (I.: Mhm.) Das i-, das ein wenig sucht, (?)das/dass(?) so ein wenig (I.: Ja.) etwas, etwas Härteres gerne machen, das kommt dann schon da, so ein feines Fraueli oder so, das steigt da gar nicht ein, (I.: Ja.) das ist ja ganz klar.«53

51 Interview Alphons Beer (2005: 36). 52 Interview Alphons Beer (2005: 36 f.). 53 Interview Alphons Beer (2005: 37).

 

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 Die meisten Frauen seien »fein« und würden den Bergführerberuf, der wie Kaminfeger oder Maurer auch kein »Frauenberuf« sei, nie wählen. Diejenigen, die es dennoch täten, wollten vom »Charakter« her auch ein wenig Mann sein, was ihnen – Beers Ansicht nach – nie ganz gelingen kann. Dass es der Frau an mehr als nur an Härte fehlt, illustriert seine Erzählung eines Erlebnisses, das er mit einer Bergführerin hatte. Diese habe ihn mal an »einem blöden Ort« bergauf überholt, wo »man« nicht überhole, weil es zu gefährlich sei. Da habe er gedacht: »Das da würden wir Männer nicht machen.« Diese Frau, ist er überzeugt, habe sich behaupten wollen und das habe ihm nicht gefallen. Die Frau in diesem Beispiel unterscheidet sich von den Männern also nicht durch mangelnde körperliche Leistungsfähigkeit – sie überholt den Mann, geht oder klettert also sogar schneller als er –, sondern dadurch, dass sie eine ungeschriebene Regel missachtet, die ein Mann, so ist Beer überzeugt, nie missachten würde.54 5.1.8 Zusammenfassung: Das touristische Aushängeschild Alphons Beers Selbstverständnis ist von der spezifischen Situation geprägt, in der sein Herkunftsort – Saas Fee – sich zum Zeitpunkt seines Einstiegs in den Beruf befand:55 Nachdem der erste englische Tourist 1825 im Saastal aufgetaucht war, soll der dort tätige Pfarrer Joseph Imseng in den 1830er-Jahren die Förderung des Fremdenverkehrs angeregt haben.56 In den 1850er-Jahren wurden im Tal erste Hotels eröffnet, von 1880 bis 1910 entstanden weitere. Als Beers Eltern Anfang der 1930er-Jahre ihre Pension eröffneten, war der Tourismus im Dorf bereits weiter vorangetrieben worden: Zwischen 1925 und 1931 waren der Verkehrsverein, der Bergführerverein, die Musikgesellschaft »Alpenrösli« sowie der gleichnamige Skiclub gegründet worden. Richtig Aufschwung erhielt der Fremdenverkehr in Saas Fee nach der Fertigstellung der Strasse 1951, die das Dorf, das zuvor lediglich zu Fuss oder per Maultier zu erreichen gewesen war, noch heute mit dem Rhonetal verbindet. Die neue Strasse und der wirtschaftliche Aufschwung der 1950er-Jahre führten zu einer rasanten Entwicklung: Unzählige Skilifte und Bergbahnen wurden auf Gemeindegebiet gebaut, ein Hotel nach dem anderen nahm den Betrieb auf, diverse touristische Vereine und Gesellschaften wurden ins Leben gerufen, die Logiernächte nahmen explosionsartig zu und der Fremdenverkehr wurde zum Haupterwerbszweig der einheimischen

54 Interview Alphons Beer (2005: 37 f.). 55 Für die folgenden Ausführungen zur Geschichte Saas Fees vgl. Ruppen/Imseng/ Imseng (1979). 56 Vgl. Fux (1957).

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Bevölkerung.57 Alphons Beer entschloss sich kurz nach der Fertigstellung der Strasse dazu, Bergführer zu werden. Er tat dies also zu Beginn eines immensen touristischen Aufschwungs, in dem das Bergführerwesen – anders als in anderen Regionen, wie der damalige ›Krisen-Diskurs‹ vermuten lässt – in voller Blüte stand.58 Beers Ausführungen sind von zwei anscheinend gegenläufigen Argumenten durchzogen: Einerseits schildert er, dass er in erster Linie aus finanziellen Überlegungen Bergführer wurde, und stellt den Beruf als die damals sozusagen einzige Möglichkeit dar, der Prekarität zu entfliehen. Andererseits tauchen im Interview wiederholt die Kritik am Motiv des blossen Gelderwerbs sowie die unabdingbare »Freude« am Beruf auf. Diese Gleichzeitigkeit findet ihre Entsprechung in der Gleichzeitigkeit von Bescheidenheit, Entdramatisierung und Herunterspielen des Bergsteigens und Bergführens einerseits und ausgeprägtem Berufsstolz andererseits. Dass im Endeffekt das Argument der »Freude« sowie der Stolz dominieren, lässt sich damit erklären, dass Beer im Laufe seines Lebens eine »amor fati«59 entwickelte. Ermöglicht wurde dies durch die glückliche Fügung, dass das Bergführen für Alphons Beer tatsächlich zu einer Tätigkeit wurde, die ihm ein sicheres Einkommen eintrug, und dass er eine Passion für den Beruf entwickelte und sich damit zu identifizieren begann. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass er zu verstehen gibt, er übe nicht einfach einen Beruf aus, sondern sei als ganze Person Bergführer und werde dies sein Leben lang bleiben. Die Identifikation mit dem Beruf wurde vermutlich dadurch erleichtert, dass dieser in der Schweiz auch damals schon ein hohes Ansehen genoss und sowohl die anreisenden Touristinnen und Touristen wie auch die Tourismusverantwortlichen Saas Fees ein prestigeträchtiges Bild des Bergführers kolportierten. Der Bergführer dürfte sich nahtlos in das Arsenal an folkloristischen Elementen eingefügt haben, das zu Zwecken einer touristischen Selbstdarstellung des Dorfes seit den 1920er- und

57 Zwischen 1948 und 1976 wurden auf dem Gemeindegebiet 28 Skilifte und Bergbahnen gebaut. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden die Schweizerische Skischule, der Hotelierverein, die Aktiengesellschaft der Luftseilbahn, der Jägerverein, der Eishockeyklub, der Trachtenverein sowie der Jodelklub gegründet. Die Logiernächte nahmen von 1950 bis 1978 um das Elffache zu. 1950 wurden 65 948 Übernachtungen gezählt, 1978 waren es 746 193 Übernachtungen (Ruppen/Imseng/Imseng 1979: 185 f.; 121; 131; 158; 160 f.; 224). 58 Vgl. Ruppen/Imseng/Imseng (1979: 149; 226). Zur Krise im Bergführerwesen vgl. Kapitel 3.5.2. 59 Bourdieu (1999a: 117 f.; 1987: 290).

 

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 besonders ab den 1950er-Jahren aufgebaut worden war. Die Gleichzeitigkeit der vermeintlich gegenläufigen Argumente beziehungsweise die Ablösung des einen durch das andere kommen darin zum Ausdruck, dass sich Beer sowohl biografisch wie narrativ im Interview zunächst gegenüber jeglicher Exotisierung und damit Charismatisierung des Bergführerberufs immun zeigt und erst im Laufe der Zeit eine gewisse Selbstcharismatisierung entwickelt. Die Selbstcharismatisierung kommt in seinem Selbstverständnis zum Ausdruck. Als Bergführer führt er die Flachländer, die den Plackereien des Alltags entfliehen wollen, in klassischen Hochtouren in die hehre, reinigende Bergwelt, auf die Gipfel der »Viertausender« seiner Heimatregion. Bergführer sind seines Erachtens zudem das menschliche touristische Aushängeschild der Feriendestination, in der er lebt: Wie die Gondolieri Venedigs vervollständigen sie das pittoresk berglerisch-folkloristische Bild, welches das Dorf vermitteln möchte. Wie für den Gondoliere ist auch für den Bergführer konstitutiv, dass er ein Mann ist. Zwar äussert Beer zunächst eine gewisse Offenheit Frauen im Bergführerberuf gegenüber, sogleich drückt aber eine deutliche Skepsis durch. Neben Argumenten der körperlichen Differenz, die er teilweise selbst widerlegt, beruft er sich auf eine Andersartigkeit von Frauen, die sich im Nichtbeachten bestimmter Regeln äussert. Die Vorstellung biologisch bedingter Differenzen spielt auch in seiner Überzeugung eine Rolle, die wenigen Bergführerinnen, die es gebe und geben werde, seien keine ›normalen‹ Frauen, sondern solche, die »auch ein bisschen Mann sein« wollten.

5.2 M IT

GUTEM

B EISPIEL

VORAN :

L UKAS J ACOBI

Lukas Jacobi wird Anfang der 1970er-Jahre in Zürich als älterer von zwei Brüdern geboren. In der siebten Klasse verlässt er die Sekundarschule und besucht die letzten zwei Schuljahre in einem Internat in einer Bergregion. Anschliessend absolviert er eine Berufslehre. Gleichzeitig tritt er der Jugendorganisation des SAC bei, wo er als Leiter tätig ist. Die Bergführerausbildung beginnt er einige Jahre nach Abschluss der Lehre. Er ist seit mehreren Jahren als Bergführer tätig.

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5.2.1 »In einer spielerischen und gefährlichen Art« Folgende Einstiegsfrage eröffnet das Interview mit Lukas Jacobi: »Also mich würde es als Erstes gerade einfach wundernehmen, wie du dazu gekommen bist, überhaupt Bergführer zu werden.«60

Die Frage unterscheidet sich in zwei Punkten von jener, die Alphons Beer gestellt wurde: Erstens sagt die Interviewerin, es würde sie »wundernehmen«, wie er dazu kam, Bergführer zu werden, während sie im Interview mit Alphons Beer von »interessieren« sprach. Damit erfährt die bereits bei Beer rekonstruierte Exotisierung eine gewisse Steigerung. An die Stelle des wissenschaftlichen Interesses tritt eine etwas naiv anmutende Neugierde; die Tatsache, dass Lukas Jacobi Bergführer wurde, wird als etwas Besonderes, fast Geheimnisvolles dargestellt. Zweitens duzt die Interviewerin ihr Gegenüber, was sich damit erklären lässt, dass das Duzen im Feld des Bergführerwesens und des Alpinismus allgemein üblich ist und die Interviewerin und der Interviewte etwa gleich alt sind. Beide Unterschiede verändern weder den Sinngehalt der Einstiegsfrage noch die sich daraus ergebenden Anschlussmöglichkeiten. »Ja, das ist eine ganz häufige Frage, [schmunzelt] die gestellt wird, (I.: Schon? [schmunzelt]) ja, (?) ganz häufig. Nein, ähm, ich habe das zuerst als Hobby gemacht, also besser gesagt, der Zugang (.) ist von den Eltern, dass ich mit ihnen klettern und wandern gegangen bin, (I.: Mhm.) und dann bin ich in A. in eine Schule gekommen, ich weiss nicht, ob du die kennst, B., (I.: Habe ich schon gehört davon, aber-) (ist so) etwas Ähnliches wie eine (I.: Mhm.) C-Schule.«61

Lukas Jacobi nimmt die Exotisierung der Interviewerin insofern auf, als er bemerkt, dass sie nicht die einzige sei, die sich darüber wundert, dass er Bergführer wurde. Er gibt sich damit als Kuriosum, das – im positiven Sinne – Aufsehen erregt und sich stets von Neuem erklären muss und darf. Er verortet die Ursprünge seines Bergführer-Werdens bei den ersten Kletter- und Wandererfahrungen in seiner Kindheit. Fliessend wechselt er von der Frage, wie er zum Bergführerberuf kam, zu jener, wie er zum Bergsteigen kam; die eine Frage scheint für ihn untrennbar mit der anderen verknüpft zu sein. Er sei dann in die Schule B. gekommen, die sich durch ihre geografische Lage und ihr spezifisches pädagogisches Profil auszeichnet. 60 Interview Lukas Jacobi (2007: 1). 61 Interview Lukas Jacobi (2007: 1).

 

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 »Und äh, (.) ja, dort sind wir ein bisschen dazu gekommen mit meinem Bruder zusammen, bisschen klettern gegangen (I.: Mhm.) und Kollegen kennengelernt und haben uns das eigentlich selber ein bisschen angeeignet, (I.: Mhm.) das Ganze, (I.: Mhm.) in einer spielerischen und gefährlichen Art (I.: [schmunzelt]) und haben überlebt (I.: [schmunzelt]).«62

Während der erste Zugang zum Klettern und Wandern über die Eltern erfolgt war, sei er im Internat »ein bisschen dazu« gekommen. Zusammen mit seinem Bruder und mit Kollegen, die sie bald kennenlernten, eigneten sie sich dort »das Ganze«, also das Bergsteigen mit allem Drum und Dran, »in einer spielerischen und gefährlichen Art« selbst an. Jacobis Erzählung, die Ähnlichkeiten zu Beers Beschreibung des Herumkraxelns der Buben in der Schlucht aufweist, erinnert an Charakteristiken einer männlichen Sozialisation, wie sie von Sozialisationsforschenden als typisch beschrieben wird:63 Beim Klettern handelt es sich um eine grobmotorische und bewegungsintensive Tätigkeit mit explorativem Charakter, die in der ›Natur‹ praktiziert wird. Sie findet anscheinend in einer männlichen Peergroup unter Ausschluss von Mädchen und in Opposition zur Erwachsenenwelt statt. Das jugendliche Klettern ist zudem maskulin aufgeladen, indem es als gefährlich und risikoreich beschrieben wird und unter Einsatz des ganzen Körpers, ja des Lebens geschieht.64 Die Schilderung enthält aber auch eine Ambivalenz, die als Understatement gelesen werden kann: Die augenscheinliche Dramatik des Inhalts – immerhin ging es um Leben und Tod – wird mit »ein bisschen« verharmlosend präsentiert. »Und schlussendlich, äh, bin ich dann in der JO65, das ist vom SAC, (I.: Mhm, die kenne ich.) (?)noch/nachher(?) dort eigentlich aktiv gewesen, sehr stark. Und dieses Leiten hat mir eigentlich gefallen neben dem Sport selber, oder. (I.: Mhm.) Und dann habe ich gedacht, ja, irgendwie, (.) Bergführer wäre auch noch etwas. Habe mit Bergführern, bin auch unterwegs gewesen und das hat mir eigentlich noch, auch sehr gut gefallen. Und dann ist es relativ schnell gegangen. Nachher habe ich mich entschieden neben der Lehre, als ich die fertig gemacht habe (I.: Mhm.) als D., (I.: Mhm.) und, darauf gearbeitet habe etwa ein Jahr, nach einem Jahr habe ich entschieden, jetzt mache ich Bergführer.«66

62 Interview Lukas Jacobi (2007: 1). 63 Vgl. Bilden (1998: 284; 287 f.); Flammer/Alsaker (2002: 202); Göppel (2005: 171); Schmalzhaf-Larsen (2004: 42). 64 Vgl. Meuser (2005); Connell/Messerschmidt (2005: 851); vgl. Kapitel 7.1.1. 65 Jugendorganisation des SAC. 66 Interview Lukas Jacobi (2007: 1).

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»Neben dem Sport selber« sei es das »Leiten« in der JO, der Jugendorganisation des SAC, gewesen, das ihm gefallen habe. Im Gegensatz zum »Sport selber«, also dem Klettern unter Kollegen, bezieht sich das »Leiten« in der JO auf das Anleiten jugendlicher Alpinisten. Ein Leiter ist für eine Gruppe von Menschen verantwortlich. Er trifft Entscheidungen, denkt über den aktuellen Moment hinaus und hat dabei jedes einzelne Gruppenmitglied, aber auch die Gruppe als ganze im Auge. Anders als bei einem Führer, der den Geführten stets hierarchisch übergeordnet ist und ihnen vorausgeht, kann ein Leiter seine Aufgabe auch darin sehen, Gruppenprozesse anzustossen und zu begleiten, wobei er die Gruppenmitglieder nicht nur anführt, sondern sie auch partizipativ in die Gruppe einbindet. Auffallend ist, dass Jacobi die Entscheidung für die Bergführerausbildung zunächst am Ende der Schulzeit ansiedelt, sie dann in die Lehrzeit (»neben der Lehre«), dann ans Ende der Lehrzeit (»fertig gemacht«) verschiebt, um sie schliesslich ans Ende des ersten Berufsjahres (»nach einem Jahr«) zu legen. Die Entscheidung für die Berufslehre bleibt unerwähnt. Entweder hat der erlernte Beruf retrospektiv an Bedeutung verloren, oder aber Jacobi hatte sich bereits während des Berufswahlprozesses für den Bergführerberuf zu interessieren begonnen, musste aber – wegen den geforderten Zulassungsbedingungen – zuerst einen Beruf erlernen, mit dem er sich nie wirklich identifizieren konnte. Auffallend ist weiter, dass er den Bergführerberuf mit dem Ausdruck »wäre auch noch etwas« und der häufigen Verwendung von »eigentlich« als Option unter mehreren erscheinen lässt, der er zunächst scheinbar emotionslos gegenüberstand, für die er aber rasch Feuer fing (»dann ist es relativ schnell gegangen«). »Relativ schnell« scheint er vom Jugendlichen, der nicht so recht weiss, was er in seinem Leben möchte, zu einem entschlossenen jungen Menschen geworden zu sein, der gefunden hat, was ihm gefällt, nämlich das Anleiten anderer Menschen in den Bergen. Zu Lukas Jacobis Berufswahl und dem beruflichen Selbstverständnis lässt sich folgende Fallstrukturhypothese aufstellen: Um zu erklären, wie er zum Bergführer wurde, greift Jacobi in seine Kindheit zurück und führt einerseits seine Eltern ein, die ihm den ersten Zugang zum Klettern und Wandern ermöglichten, andererseits seinen Bruder und Peers, mit denen zusammen er sich das Klettern aneignete. In seiner Schilderung der Klettererfahrungen während der Internatszeit kommen typische Elemente einer männlichen Sozialisation vor: Die Aktivität findet draussen und in einer homosozialen Gruppe statt, ist grobmotorisch, körperlich und (lebens-)gefährlich. Während die Wahl seines Erstberufs als Verlegenheitslösung eines Jugendlichen auf der Suche erscheint, markiert die Wahl des Bergführerberufs das Ende dieser Suche. Die Freude am »Leiten«, die

 

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 Lukas Jacobi als Hauptmotiv für die Entscheidung anführt, Bergführer zu werden, lässt auf ein Selbstverständnis als Bergführer schliessen, der gerne mit Gruppen arbeitet. Unter Beizug weiterer Interviewsequenzen gilt es nun zu vertiefen, wie Lukas Jacobi Zugang zum Bergsteigen und zum Bergführerberuf fand, und herauszuarbeiten, welche Bedeutung er dem Bergsteigen zuschreibt und welches Selbstverständnis er als Bergführer hat. 5.2.2 Vom Autodidakten zum erfahrenen Bergsteiger Als Kind habe ihm »eigentlich einfach das Draussensein«, das Bräteln, das Wandern, und später das Klettern »extrem gut« gefallen, erzählt Lukas Jacobi, als er von der Interviewerin dazu aufgefordert wird, seine ersten bergsteigerischen Erfahrungen etwas genauer zu schildern. Er gibt sich damit als Person, die sozusagen von Geburt an den Drang hatte, sich draussen – das er implizit einem ›Drinnen‹ gegenüberstellt – zu bewegen und aktiv zu sein. Irgendwann habe es ihn »dann mal ›gluschtet‹ so auf diese Berge hoch, die so sonnenbeschienen sind«.67 Der pure Anblick der sonnenbeschienenen Berge sei es gewesen, der in ihm die Lust, das Bedürfnis ausgelöst habe, sie zu besteigen, womit er sich zusätzlich zum quasi angeborenen Bewegungsdrang eine Neugierde Neuem und Unbekanntem gegenüber sowie einen hohen Grad an Eigeninitiative zuschreibt. Als Beispiel für sein inneres Getriebensein führt er eine Erinnerung ans Wandern mit den Eltern in der Kindheit an: »Dann bin ich immer vorausgerannt, (I.: Mhm.) irgendwie auf Berge hoch und bin ab und zu als Kind einfach weg und dann (I.: Mhm.) haben mich die Eltern nicht mehr gesehen. Und dann am Abend bin ich wieder gekommen (I.: Mhm.) und sie sind sauer auf mich gewesen und ich als, völlig verträumt irgendwie auf den Bergen gewesen.«68

Die Berge, so die märchenhaft anmutende Erzählung, übten eine unwiderstehliche Anziehung auf ihn aus. Er konnte nicht anders, als zu ihnen hochzulaufen, wo er in eine Art Traumwelt abtauchte, aus der er erst am Abend wieder zurückkehrte. Das In-den-Bergen-Sein habe ihn »vom Herzen aus« »fasziniert«69. Wie bereits in der Kindheit war es auch einige Jahre später bei der Besichtigung des Internats der Anblick der Berge, der in ihm das unwiderstehliche Bedürfnis auslöste, sie aufzusuchen. Er habe die Bergregion gesehen und sogleich

67 Interview Lukas Jacobi (2007: 2). 68 Interview Lukas Jacobi (2007: 2 f.). 69 Interview Lukas Jacobi (2007: 3).

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gewusst, dass er »sofort« dort hin wolle. Kaum dort angekommen, hätten er und sein Bruder sich gesagt, »jetzt müssen wir anfangen zu klettern«. Zusammen mit einem »Kollegen« seien sie ein »Team« gewesen, »das dann wirklich alles gemacht hat zusammen«. Sie seien »Felsen suchen« gegangen und hätten »einen Klettergarten70 eingerichtet«. Die Schule hätten sie etwas in den Hintergrund gerückt und auch Freundinnen hätten sie damals »noch nicht so wirklich gehabt«, so dass sie »jede freie Minute«, über Mittag, an den Nachmittagen und sogar vor dem Morgenessen Klettern und im Winter Skifahren gegangen seien.71 Neben der Bedeutung der Peergroup und der Aktivität, die diese auszeichnete, betont Jacobi die absolute Hingabe der drei Schüler an die Sache sowie ihre Eigeninitiative. Letzteres kommt besonders darin zum Ausdruck, dass sie nicht nur selbständig kletterten, sondern gar selbst einen Klettergarten einrichteten, was üblicherweise von erfahrenen, erwachsenen Kletterern getan wird. Die leidenschaftliche Hingabe bezog sich auch aufs Klettern selbst. In einem ständigen gegenseitigen Vergleich trieben sich die drei Jugendlichen zu besseren Leistungen an: »Dann sind wir halt extrem schnell in, dort reingekommen und dann hast du dich so hochgeschaukelt, dann hast du halt geschaut so als Kind, wer klettert was und der klettert ein bisschen besser.«72

Der Vergleich, wer besser klettert, erinnert an die »ernsten Spiele des Wettbewerbs«, wie sie Bourdieu formuliert, in denen sich die Spieler als »PartnerGegner« gegenübersthen.73 Die Jugendlichen messen sich gegenseitig im kompetitiven, hierarchiestiftenden und gleichzeitig vergemeinschaftenden Klettern. Sie schaukeln sich im Wettbewerb gegenseitig hoch und steigern so ihr Kletterniveau. Bald machten sich die drei Jugendlichen auf, die umliegenden Berge zu erkunden, wobei sie auch längeren und »schwereren Sachen« nicht widerstehen konnten: »Und da hat man dann halt all diese Vorbilder gehabt von diesen Bergbüchern, oder, irgendwie so Eigernordwand und so, das hast du alles mal ma-

70 Als Klettergärten werden Felswände bezeichnet, die meist einfach zu erreichen sind. Auf engem Raum gibt es in einem Klettergarten verschiedene, nach Schwierigkeitsgraden eingestufte Kletterrouten, die mit Bohrhaken und anderen Sicherungsmitteln versehen sind, sodass sich die Sportkletterer einfach sichern können. 71 Interview Lukas Jacobi (2007: 25 f.). 72 Interview Lukas Jacobi (2007: 25). 73 Bourdieu (1997a: 172 ff.; 2005: 83).

 

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 chen müssen.« Bald habe es »eigentlich nur noch das gegeben«. Das dafür nötige bergsteigerische Wissen eigneten sich die Jugendlichen selbst an. Sie hätten sich überlegt, was passieren könnte, hätten »vielleicht mal jemanden gefragt« und anhand von »Bildchen« in »Bergsteigerkataloge[n]« geschaut, »wie die das machen«. So hätten sie von Mal zu Mal das Material und die Technik optimiert und sich mit viel »Zeit« und »Glück« eine solide »Bergsteigererfahrung« angeeignet.74 »Irgendwie haben wir Schwein gehabt (I.: Mhm.) und sicher auch noch ein bisschen Können trotzdem so, (I.: Mhm.) das wir uns angeeignet haben, und durch dieses Überleben haben wir extrem viel gelernt. (I.: Mhm. [schmunzelt]) Das ist sicher meine beste, sage jetzt, Bergsteiger-, Basiserfahrung gewesen.«75

Gerade dem Überleben solch brenzliger Situationen schreibt Jacobi seine heutige Kompetenz zu. Wäre er nicht an seine Grenzen gegangen und hätte sein Leben nicht mehrfach aufs Spiel gesetzt, so liest man zwischen den Zeilen, würde ihm die entscheidende Erfahrung fehlen, die ihn zu dem guten Bergsteiger machte, der er heute sei. Sein Können hielt nun auch Vergleichen mit anderen Bergsteigern stand. Als er nach zwei Jahren vom Internat nach Hause zurückkam, trat er der JO bei und merkte bald: »Da können wir gerade Leiter machen, da, was die dort können.« Von da an sei es mit dem Bergsteigen »wie explodiert« und es habe »gar nichts anderes mehr gegeben«.76 In der Erzählung seiner Werdensgeschichte greift Lukas Jacobi, sowohl in der Einstiegssequenz wie auch im weiteren Verlauf des Interviews, auf seine Kindheit und Jugend zurück. Er erzählt zwei Geschichten, die durch mehrere Parallelen geprägt sind. In beiden löst der blosse Anblick der Bergwelt in ihm ein unwiderstehliches Bedürfnis aus, die Berge zu besteigen, das an den in den Bergführerbiografien und -autobiografien aufgetretenen Topos »der Berg ruft« erinnert. Das Bedürfnis führt zu einer absoluten und kompromisslosen Hingabe an das Bergsteigen, die mehrfach betont wird. Auch die Gefährlichkeit der Unternehmungen streicht er in einer herunterspielenden, kokettierenden Art verschiedentlich heraus. Beide Erzählungen sind zudem durch eine starke Autonomiebehauptung geprägt: Das Bergsteigen scheinen er und seine Kollegen sich weitgehend selbst beigebracht zu haben; Erwachsene kommen in den Schilderungen kaum vor. Indem Lukas Jacobi die Ursprünge seiner Berufswahl in der

74 Interview Lukas Jacobi (2007: 4; 26; 29). 75 Interview Lukas Jacobi (2007: 28). 76 Interview Lukas Jacobi (2007: 31; 3).

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Kindheit ansiedelt, sein Bedürfnis, die Bergwelt zu entdecken, auf einen unerklärlichen, schon immer in ihm angelegten Drang zurückführt und die Faszination, die diese bereits damals auf ihn ausübte, als rational nicht erklärbare Herzensangelegenheit beschreibt, macht er eine Berufung für das Bergsteigen und – folglich – auch für das Bergführen geltend. Diese Berufung wird durch den betonten autodidaktischen Zugang zum Bergsteigen unterstrichen. 5.2.3 Etwas Gutes tun Blumig beschreibt Lukas Jacobi die Krise, in der die beiden jugendlichen Brüder steckten, als eine Verwandte anbot, ihnen einen Aufenthalt im Internat zu ermöglichen. Die Ursache dieser Krise, die in Delinquenz ihren Ausdruck fand, führt Lukas Jacobi auf das Auseinanderfallen seiner Familie zurück: Es war »sozial ein bisschen eine schwierige Zeit, die Eltern haben sich getrennt, wir (sein Bruder und er) sind ziemlich in, ins Verbrechen integriert gewesen«. Innert kürzester Zeit scheinen sich die Brüder im Internat von devianten Jugendlichen zu selbständigen jungen Erwachsenen entwickelt zu haben. Bereits nach dem ersten Trimester seien sie wie ein »umgekehrter Handschuh« gewesen. Sie seien so sehr »in dieser Welt dort oben aufgegangen«, dass sie sogar »total ausgeblendet« hätten, dass ihre Eltern »eigentlich am Scheiden« waren. Und als sie zurückgekommen seien, sei »die ganze, irgendwie, Erziehungsfrage von den Eltern wie abgehakt gewesen«.77 »Jetzt ist es klar gewesen, wir tun selber, das Leben in den Händen, (I.: Mhm.) (?) in die Hände nehmen, und das ist eigentlich sehr gut gewesen. Also, wir haben wie die ganze, wirklich von den Verbrechern (I.: Mhm.) wieder eigentlich bis zu selbständigen Leuten (I.: [schmunzelt] Mhm.) sind wir zurückgekommen.«78

Diese rasche und wundersame Verwandlung von Jugendlichen zu Erwachsenen und von »ins Verbrechen integrierte[n]« zu gesellschaftlich integrierten Menschen, die in der Erzählung einer Konversion gleichkommt, führt Lukas Jacobi auf die Schule mit ihrem spezifischen pädagogischen Profil zurück, vor allem aber auf das Bergsteigen, das sie dort intensiv betrieben hätten. Das Bergsteigen sei eine »spannende Alternative«79 zur Delinquenz gewesen:

77 Interview Lukas Jacobi (2007: 24 f.; 26 f.; 30). 78 Interview Lukas Jacobi (2007: 30). 79 Interview Lukas Jacobi (2007: 27).

 

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 »Also ich meine, wenn man, was sind wir da gewesen, dreizehn vierzehn, oder, da ist man ja voll auf Abenteuer, (I.: Mhm.) und ich meine, Bergsteigen ist Abenteuer. (I.: Mhm.) Und da haben wir natürlich alles entdecken können (I.: Mhm.) und das Andere ist überhaupt nicht mehr interessant gewesen, (I.: Mhm.) (?)auf(?) einen Tag auch nicht mehr, und das hat uns nicht mehr interessiert. Und mein Bruder hat noch Drogen geschmuggelt (I.: Mhm.) und, und alles, (I.: Mhm.) das hat uns alles nicht mehr interessiert. (I.: Mhm.) Wir haben dann mit Bergsteigen angefangen und, und sind glaub dann gerade sofort auf diesem Schiff gewesen.«80

Das Bergsteigen erscheint in dieser Erzählung als positiv konnotierte Tätigkeit, die mit den Abenteuern, die sich dabei erleben liessen, und dem Kick, den es zu vermitteln vermochte, das negativ konnotierte Verbrechen in den Schatten stellte. Jacobi beschreibt es als »Schiff«, das die beiden Brüder in sich aufnahm und sie in neue Gewässer und in ein neues Leben führte. An die Stelle der Gesetzesüberschreitungen traten »Bubenstreiche« am Berg, auf kriminelle Handlungen im wörtlichen folgten solche im übertragenen Sinne, nämlich Abenteuer am Berg, die aufgrund mangelnder Erfahrung hätten tödlich ausgehen können: »Wir haben so viel Seich gemacht, nachträglich, jetzt mit meinem Wissen.«81 Das Bergsteigen ersetzt in Lukas Jacobis Erzählung die Delinquenz, sublimiert sie und erfüllt eine heilende Funktion. Es löst einen unvergleichlichen Sprung in der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen aus, die auf die schiefe Bahn geraten waren, dank ihm finden sie auf den richtigen Weg zurück. Er wisse nicht, was aus ihm geworden wäre, wäre er nicht ins Internat gekommen, meint Jacobi. Diese heilende Wirkung der Internatszeit und des Bergsteigens wird durch eine Dramatisierung der Situation vor dem Internatseintritt und die Verwendung von Begriffen wie »Verbrecher« – an einer Stelle spricht er gar vom »Grossverbrecher«82 – narrativ betont. Aus seiner eigenen Konversionserfahrung zieht Lukas Jacobi auch Schlüsse für die Allgemeinheit. Ebenso wie das Bergsteigen ihm persönlich half, Tritt im Leben zu finden, hat es in seinen Augen ganz generell einen positiven Einfluss auf die Menschen und letztlich auf die gesamte Gesellschaft. »Das Schöne« am Bergsteigen sei, meint er, dass man »etwas Gutes« tue, wobei dieses ›Gute‹ – wie sich herausstellt – vielschichtiger Art ist. Ähnlich wie es für ihn als Jugendlicher ein Ersatzabenteuer war, biete es anderen Leute jene Herausforderung, an der es heute meist mangle. Heute werde einem »extrem viel vereinfacht«, stellt

80 Interview Lukas Jacobi (2007: 27). 81 Interview Lukas Jacobi (2007: 28). 82 Interview Lukas Jacobi (2007: 27).

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Jacobi in kulturkritischer Manier fest. Während früher vieles »umständlich« gewesen sei und man beispielweise »heuen« oder »das Wasser am Brunnen holen gehen« musste, müsse man dank den Niederflureintritten heute nicht einmal mehr das Bein anheben, um das Tram zu besteigen. Der Bergsport sei deshalb für den einzelnen Menschen ein idealer Ausgleich, bei dem er sich »abreagieren« und für den Alltag »Energie tanken« könne, indem er »den Körper braucht« und sich bewegt. Bergsteigen erfüllt in seinen Augen eine quasitherapeutische Funktion. Die Leute, die er führt, so stellt er fest, seien vor und nach einer zweitägigen Tour häufig »wie Tag und Nacht«: Sie kommen »aus dem total gestressten Alltag« und »beim Heimkommen sind sie total ruhig« und man merkt, »sie haben jetzt runterfahren können, oder«.83 Eine zweite positive Eigenschaft des Bergsteigens, die eng mit der ersten zusammenhängt, sieht Jacobi darin, dass es Menschen dazu bringt, »Eigenverantwortung« zu übernehmen, etwas, das heute »extrem heruntergeschraubt« werde. »Es sind immer die anderen schuld, wenn etwas nicht ist, wenn man mit dem Leben nicht zu Rande kommt«. Bei einigen möge das stimmen, aber viele Leute seien »einfach zu faul, schlicht und einfach«. Im Bergsport hingegen sei man selbst schuld, wenn man irgendwo nicht hochkomme oder nicht aufpasse und deshalb »einen Stein auf den Kopf bekommt«. Indem es zur Vermeidung von Faulheit erzieht, einem Laster, das gerade dem protestantischen Arbeitsethos entgegensteht, erfüllt es in seinen Augen eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Trotz dieser Notwendigkeit der Übernahme von Eigenverantwortung sei das Bergsteigen – ausser vielleicht »in der Elite« – kein egoistischer Sport. Gerade im »Breitensport« könne man »sehr etwas Soziales draus machen, aus diesem ganzen Bergsteigen«, wenn man sich »so bisschen die Mühe nimmt, aufeinander zu schauen«. Bergsteigen fördert nach Jacobi also beides gleichermassen: die Entwicklung von Eigen- wie auch von sozialer Verantwortung.84 Eine dritte positive Eigenschaft sieht Jacobi darin, dass sich im Ernstfall am Berg alles auf das Wesentliche konzentriert: »Auf dem Berg spielt es schlussendlich im Sturm keine Rolle, was für eine Position du im Leben hast. (Ich ha-) (I.: Im, im,) im Sturm, weisst. (I.: Aha, im Sturm, ja.) Also weil, es sind alle gleich dem Wind ausgesetzt und alle haben gleich kalte Finger, oder. Und, (I.: Mhm.) und das ist so, auf eine Art reduziert es wieder auf das Wesentliche, das Leben. (I.: Mhm.) Also dass man überlebt.«85

83 Interview Lukas Jacobi (2007: 4; 5; 15). 84 Interview Lukas Jacobi (2007: 5 f.). 85 Interview Lukas Jacobi (2007: 5).

 

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 Vor dem Berg sind alle Menschen gleich, lautet die fast religiös anmutende Satzung. Wenn es ums nackte Überleben geht, verlieren weltliche Differenzen an Bedeutung. Viertens schliesslich schreibt Jacobi dem Bergsteigen eine staatskundlich edukative Funktion zu. Es bringe den Menschen ihr Land näher. Beim Bergsteigen lerne man »die Schweiz wirklich sehr, sehr gut kennen«, deshalb hätten auch viele Bergsteiger »eine gute Ahnung von Geografie, von der Schweiz«.86 »Du hast irgendwie, von jedem Gipfel hast du einen anderen Blick und mit der Zeit lernst du das total umfassend kennen eigentlich, (I.: Mhm.) so deine Heimat, und merkst, wie gross die kleine Schweiz eigentlich ist, (I.: Mhm.) wenn man das zu Fuss erlebt. Und das finde ich auch etwas ganz Spannendes.«87

Bergsteigen – so lassen sich diese Argumente zusammenfassen – ist gemäss Lukas Jacobi weit mehr als ein Sport oder ein Hobby. Es ist eine Tätigkeit, die dem Menschen gut tut, sinnstiftend, persönlichkeitsbildend, therapeutisch und edukativ wirken und eine gesellschaftliche Funktion erfüllen kann. Es wirkt Bequemlichkeit, Faulheit und einem Mangel an Selbst- und sozialer Verantwortung entgegen, also Problemen, die einer heutigen Dekadenz verschuldet sind. Dem Bergsteigen ist – so das romantisierend anmutende Postulat – eine ›gute‹ Lebensführung und eine ›richtige‹ Haltung dem Leben gegenüber inhärent, es geht dabei um etwas ›Pures‹, um das nackte Überleben, das Menschen einander gleich, glücklich, zufrieden und ›gesund‹ macht. Diese positiven Eigenschaften wiegen so stark, dass es sich lohnt, dafür ein »Restrisiko« einzugehen, das auch bestehe, wenn man sehr gut aufpasse. Er findet es »viel schlimmer« und viel tragischer, wenn er Leute »irgendwo sonst versauern«, »Arbeitslose herumhängen«, »Drogenjunkies«, »Alkoholiker« »Workaholiker« oder »Familiendramen« sieht, als wenn jemand in den Bergen abstürzt.88 Er selbst geniesse lieber beim Bergsteigen das Leben, auch wenn dies bisweilen gefährlich werden könne, als den ganzen Tag zu Hause zu sitzen: »Also das ist wie so ein Regenwurm, oder, (I.: Mhm.) der mal aus der Erde herausschaut, dafür wird er vielleicht vom Vogel gepickt, oder. (I.: Mhm. [lacht]) Der andere, der hat irgendwie den Himmel nie gesehen, oder.«89

86 Interview Lukas Jacobi (2007: 7). 87 Interview Lukas Jacobi (2007: 7). 88 Interview Lukas Jacobi (2007: 18; 21). 89 Interview Lukas Jacobi (2007: 19 f.).

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Das risikobehaftete Bergsteigen wird mit Neugierde und Lebenslust gleichgesetzt und einem dumpfen Dahinvegetieren gegenübergestellt. Es fungiert als Ventil, indem es ermöglicht, omnipräsente Verbote und ein übertriebenes Sicherheitsbedürfnis hinter sich zu lassen und »sich dem ›richtigen‹ Leben zuzuwenden«90. 5.2.4 Bergsteigerethos Lukas Jacobi hat nicht nur eine deutliche Vorstellung davon, wodurch sich eine ›gute‹ Lebensführung auszeichnet, er vertritt auch klare Prinzipien, was das Bergsteigen anbelangt, die sich in seinem Bergsteigerethos niederschlagen. Seine »Philosophie« sei, dass man das, was man macht, »möglichst gut« macht. Dieses normative Postulat bezieht sich unter anderem auf den Schutz der Umwelt. Er mache »neunundneunzig Prozent« seiner Touren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, um die Umwelt zu schonen. Meistens sei dies möglich und wenn behauptet werde, dass dem nicht so sei, so sei »man« »einfach zu faul« oder wolle eine »Gewohnheit« nicht ändern. Das Argument der Faulheit, das in seiner kulturkritischen Haltung einen wichtigen Stellenwert einnimmt, taucht auch beim Thema Heliskiing auf, das er – abgesehen vom Lärm, das es verursacht – für einen »ökologischen Schwachsinn« hält. Leuten, die Heliskiing betreiben, wirft er Egoismus vor und den Bergführern, die behaupten, darauf angewiesen zu sein, Faulheit. Es gebe genug Arbeit für Bergführer, ist er überzeugt, auch ohne Heliskiing.91 In ein Dilemma betreffend die Ökologie kommt er persönlich, wenn es um die Frage des Bergsteigens im entfernten Ausland geht. Einerseits fasziniere ihn Asien sehr, andererseits habe er »ein bisschen ein schlechtes Gewissen«, jedes Jahr dorthin zu fliegen. Sein Umgang mit diesem Dilemma besteht darin, dass er sich selbst »Grenzen« setzt und sich »Regeln« auferlegt. So erlaube er sich nur noch jedes zweite Jahr einen Flug nach Asien. Für jenes Jahr, in dem er nicht fliegt, setze er sich ein anderes »grosses Ziel«, so dass die Jahre immer »gleich toll« sind. Er sei zwar dadurch »nicht viel besser«, was seine Ökobilanz angehe, es sei für ihn aber dennoch »ein bisschen beruhigender«.92 Neben der ökologischen gibt es auch eine soziale Komponente, die Jacobi wichtig ist. Er sei bemüht darum, die Verkehrsemissionen für die lokale Bergbevölkerung möglichst gering zu halten, indem er öffentliche Verkehrsmittel be-

90 Schmidt-Semisch (2004: 226). 91 Interview Lukas Jacobi (2007: 39 f.; 46 f.). 92 Interview Lukas Jacobi (2007: 8 f.).

 

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 nutze, und versuche, die Regionen mit dem Kauf von Nahrungsmitteln vor Ort wirtschaftlich zu unterstützen. Jacobis Philosophie bezieht sich vor allem aber auf das Bergsteigen an sich. Zentral ist dabei der Begriff Ehrlichkeit, der im Interview verschiedentlich auftaucht. Ein ›ehrlicher‹ Bergsteiger ist in seinen Augen einer, der »das Handwerk versteht« und puristisch, mit eigener Kraft und einem entsprechenden Leistungsethos eine Wand erklimmt. Unehrlichkeit hingegen macht sich daran fest, dass übermässig viele Hilfsmittel wie Bohrhaken oder Fixseile verwendet werden, ohne die der Bergsteiger nicht hoch käme. Als Beispiel führt Jacobi die »BadileNordostwand« ein. Diese sei eine »ganz klassische Wand« und es sei »eine grosse Leistung« gewesen, diese zu besteigen. Würde man nun die Anzahl Bohrhaken erhöhen, wäre das »unfair«:93 »Weil, dann ist diese Tour nicht mehr das Gleiche, es ist nicht mehr, hat nicht mehr den gleichen Charakter (I.: Mhm.) und es ist auch nicht mehr gleich ernst. (I.: Mhm.) Und dann brüsten sich aber alle mit der, mit einer Badile-Nordostwand haben sie gemacht, aber die haben sie vielleicht nur gemacht, weil alle zwei Meter ein Bohrhaken ist. (I.: Mhm. [schmunzelt]) Oder, und wenn keiner wäre, ist es eine wilde, ernste Sache und dann sollen diese Alpinisten dorthin gehen, die das können, (I.: Mhm.) und die anderen sollen die Finger davon lassen.«94

Unehrlich ist gemäss dieser moralisch anmutenden Haltung Jacobis ein Bergsteiger, der auf zu viele Hilfsmittel zurückgreift, also gegenüber anderen Bergsteigern, gegenüber sich selbst und letztlich auch gegenüber der Wand, die in ihrer Wildheit nicht ernst genommen wird. Jacobi greift damit die Frage auf, wie viele Sicherungseinrichtungen an Kletterrouten angebracht werden sollen, die heute kontrovers debattiert wird.95 Der egalitären Vorstellung, wonach soziale Ungleichheiten am Berg verschwinden, steht hier die elitäre Vorstellung gegenüber, wonach die Berge jenen vorbehalten bleiben sollen, die dazu fähig sind, sie ›richtig‹ zu besteigen.

93 Interview Lukas Jacobi (2007: 43 f.). 94 Interview Lukas Jacobi (2007: 44). 95 Jacobis kritische Haltung taucht bereits in Kluckers Autobiografie auf, der sich vor 80 Jahren beklagte, eine Kletterstelle sei mit Ketten und Seilen »allzusehr erleichtert« (1930: 56) worden, und sie wird heute beispielsweise auch von Reinhold Messner vertreten (vgl. Messner 2006).

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5.2.5 Ausbildner und Vorbild In der Einstiegssequenz wurde deutlich, dass das »Leiten« für Lukas Jacobis Berufsverständnis von Bedeutung sein dürfte. Etwas, das ihm gut gefalle an seinem Beruf, meint er später im Interview, sei die Ausbildung von Bergsteigerinnen und Bergsteigern: »Ich bin eigentlich ein Führer, der sehr gerne (..) ausbildet, weil ich dann weiss, dass sich die Leute für eine Materie interessieren und selber ein bisschen etwas in die Finger nehmen wollen. Und das, das möchte ich (I.: Mhm.) eigentlich fast wie weitergeben.«96

Jacobi möchte »die Leute zum selbständigen Bergsteigen« befähigen und ihnen »einen Schupf [Anstoss] geben«, selbst mitzudenken. In diesem aufklärerischemanzipatorischen Anspruch grenzt er sich von anderen Führern ab, die, wie er sagt, lediglich »den Gipfel auf den Gast bringen und wieder heim« und dabei vielleicht noch etwas über die Landschaft erzählen. Im Bild des Bergführers, der den Gast auf den Gipfel bringt und wieder runter, nimmt der Gast eine passive Rolle ein. Jacobis Versprecher steigert diese Passivität zusätzlich: Der Gast bewegt sich nicht, er lässt vielmehr mit sich geschehen, dass ihm der Gipfel gewissermassen übergestülpt wird. Diese kritisierte Passivität – die an anderen Stellen bereits in Form mangelnder Selbstverantwortung erschien – ist es, von der sich Lukas Jacobi in seinem Führerverständnis abgrenzt: Er habe »von der Philosophie her ein bisschen Mühe, wenn man nur konsumiert«. Seinen Auftrag sieht er darin, dieser Konsumhaltung entgegenzuwirken.97 Neben dem Ziel der Vermittlung von Selbstverantwortung sind auch die anderen im vorhergehenden Kapitel genannten ethischen Prinzipien des Bergsteigens für Jacobis berufliches Selbstverständnis von zentraler Bedeutung. So erachtet er es als seine Aufgabe, »eine schützende Hand« über ›wilde‹ Routen – also solche, in denen der Bergsteiger oder die Bergsteigerin Sicherungspunkte selbst anbringt – zu legen, um diese neben anderen »Spielformen« des Alpinismus wie dem Sportklettern zu erhalten.98 Was ökologische und soziale Fragen anbelangt, sieht er sich als Bergführer gegenüber seinen Gästen wie auch gegenüber Bergsteigerinnen und Bergsteigern allgemein in einer Vorbildfunktion:

96 Interview Lukas Jacobi (2007: 16). 97 Interview Lukas Jacobi (2007: 16 f.). 98 Interview Lukas Jacobi (2007: 42 f.).

 

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 »Ich finde es eigentlich ein bisschen erstrebenswert, dass man zum Beispiel als Bergführer (I.: Mhm.) gerade in diesem Bereich auch vielleicht mal etwas, eine Meinung öffentlich kundtut, und sagt, äh, aus diesen und diesen Gründen verzichte ich zum Beispiel auf das Auto und gehe möglichst viel mit dem öffentlichen Verkehr.«99

Der Bergführer erscheint dabei als eine Person, die »öffentlich« zu gesellschaftlichen Fragen Stellung nehmen soll, wobei Lukas Jacobi davon ausgeht, dass dessen Stellungnahme nicht ungehört verhallt, sondern bei der Bevölkerung Gehör findet, der Bergführer also einen besonderen Status mit Vorbildfunktion geniesst. Ein Bergführer, so ist Jacobi überzeugt, werde von sehr vielen Leuten »vergöttert« und könne sie deshalb erreichen. Diese »Vorreiterrolle« müsse er sich zunutze machen »zugunsten von, vielleicht, sage jetzt Umwelt oder ärmeren Leuten und so weiter«. Bergführer, so ist er überzeugt, sollten eine gesellschaftliche »Vorbildfunktion wahrnehmen« und auf Dinge verzichten, die »nicht unbedingt erstrebenswert sind«, wie dies auch andere Charismaträger, etwa »Wirtschaftsführer«, tun sollten.100 Dass man als Bergführer bei vielen Leuten einen besonderen Status geniesst, merke er daran, dass ihn Leute, mit denen er »unterwegs« sei, »ein bisschen wie anhimmeln«. Dies erklärt er sich mit einem Bedürfnis der Menschen nach einer »Stütze im Leben«. In Zeiten, in denen diese Stütze immer weniger im »Glauben« gefunden werde, suchten die Menschen nach anderen »Idolen«. Der Bergführer sei prädestiniert für »diese Rolle«.101 Auf die Frage, worin es seiner Meinung nach begründet liege, dass Bergführer angehimmelt werden, meint er: »Wenn man zum Beispiel alte Bücher liest, ist das halt schon, die sind schon so die, die grossen grossen (.) Menschen gewesen, oder, von den Tälern, oder, die zum Beispiel das erste Mal aufs Matterhorn sind und so, und das sind natürlich sicher auch gewaltige Leistungen gewesen, auch weil es ja so bisschen Pioniercharakter gehabt hat, und es ist nichts so Bequemes und (I.: Mhm.) es ist wirklich ein grosser Aufwand gewesen, und (..) für viele, denke ich, ist es ein bisschen etwas wie, sie halten sich auch ein bisschen an so etwas.«102

Jacobi bezieht sich auf die in den »alten Bücher[n]« – er muss damit die Bergführerbiografen wie auch Bergromane aus den 1930er- und 1940er-Jahren mei-

99 Interview Lukas Jacobi (2007: 10). 100 Interview Lukas Jacobi (2007: 10; 13). 101 Interview Lukas Jacobi (2007: 11 f.). 102 Interview Lukas Jacobi (2007: 11).

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nen – heroisierten Pioniere. Diese Bergsteiger zeichneten sich primär dadurch aus, dass sie dem Laster, an dem die heutige Gesellschaft krankt, der Bequemlichkeit, nicht anheimfielen. Aber auch reale Bergführer und Bergsteigerinnen böten Projektionsflächen für Sinnsuchende: Junge JO-Mitglieder sähen die bekannten »Topshots« der »Weltelite« auf Postern und Prospekten und Kinder himmelten vielleicht ihren Leiter an.103 Bergführer, so Jacobis Überzeugung, sind in der Wahrnehmung anderer Bergsteigerinnen und Bergsteiger herausragende Menschen mit übermenschlichen Zügen. Seine Haltung gegenüber diesem Faktum ist ambivalent. Einerseits nimmt er zur Verehrung der Bergführer als Helden kritisch Stellung: Er betont, dass ein Bergführer eben kein »kleiner Gott«, sondern ganz »ein normaler Mensch« sei, der einfach »ein Handwerk« erlernt habe und dieses gut beherrsche, und meint, dass es manchmal sogar »sehr lästig« sein könne, wenn man »immer der Held sei« und »verehrt« werde. Leuten, die Bergführer »anhimmeln«, unterstellt er Naivität und eine unangebrachte Unterordnung. Distanz stellt er auch durch die Verwendung der Begriffe »anhimmeln« und »kleiner Gott« her. Letzterer wird üblicherweise zur Bezeichnung von Personen verwendet, deren Verehrung von aussen oder aber deren Benehmen kritisch beurteilt wird. Andererseits verschwindet diese Distanz an manchen Stellen. So stellt er die Verehrung der »grossen« Bergführer als objektiv berechtigte dar. Um zu belegen, dass Bergführer ein ganz normales »Metier« ist, vergleicht er ihn mit dem »Arzt«, also mit einer Berufsgattung, die nach wie vor ein beträchtliches Prestige geniesst und deren ›Halbgott‹-Status im Volksmund kritisiert wird. Schliesslich wird in Jacobis bisweilen kokettierender Beschreibung seiner Rolle als Vorbild deutlich, dass sie ihm auch gefällt.104 5.2.6 Willkommene Frauen – latente Maskulinität Lukas Jacobi ist der einzige männliche Bergführer im Sample, der das Thema Geschlecht von sich aus anspricht, nämlich dann, als er von der Interviewerin nach seinen Erfahrungen als Städter in der Bergführerausbildung gefragt wird. Er vergleicht seine Situation als Unterländer mit derjenigen von Frauen und meint, er sei gerade in eine Umbruchsituation hineingeraten. In seinem Kurs seien mehrere Frauen gewesen, die in früheren Kursen durchgefallen waren, »einfach, würde ich jetzt behaupten, weil sie Frauen sind«105. In seinem Kurs

103 Interview Lukas Jacobi (2007: 12). 104 Interview Lukas Jacobi (2007: 10; 14). 105 Interview Lukas Jacobi (2007: 32).

 

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 hingegen sei dann das Klima Frauen und Unterländern gegenüber offener gewesen. Er selbst finde es »super«, dass es nun auch Frauen im Beruf habe, er würde sich sogar wünschen, dass es mehr Bergführerinnen gäbe, und appelliert an die Ausbildenden, Frauen nicht zu hohe Hürden zu stellen, denn heute sei es ja eher so, »dass die Frau fast besser sein muss, damit sie gleich gut akzeptiert wird«.106 Seine explizite Offenheit gegenüber Frauen im Beruf geht mit einer bisweilen sozialwissenschaftlich inspiriert anmutenden Sicht auf das Geschlechterverhältnis einher. Diese tritt etwa zutage, als er aufgefordert wird, die Gründe zu erläutern, weshalb es seiner Meinung nach noch heute so wenige Frauen im Beruf gibt. Er erwähnt erstens ein statistisches Phänomen, den »Zeitverzögerungsfaktor«, und meint, es dauere halt ein »Zeitchen«, bis der Frauenanteil im Beruf steige. Zweitens weist er auf einen – seiner Ansicht nach veralteten – »Mythos« hin, der einer »gesellschaftlichen Last« gleichkomme und besage, ein Bergführer müsse ein Mann sein und eine Frau eigne sich nicht für diesen Beruf. Dieser Mythos manifestiere sich zum Beispiel in einem »Machogehabe« bei männlichen Gästen, die Mühe hätten, wenn eine Frau die »Führungsrolle« übernehme und ihnen sage, »wo es durchgeht«. Drittens stellt er fest, die Frau sei »auch viel ehrlicher« und sage vielleicht eher mal: »Ich habe Schiss [Angst]« oder: »Mir ist es da nicht wohl.« Und viertens spricht er das Problem der Geschlechterrollen in Ehen mit Kindern an: Als Bergführer sei man viel »unterwegs«, was, sobald man Kinder habe, »vielleicht« für einen Mann »eher noch möglich« sei als für eine Frau. Allerdings könne dieses Unterwegssein auch für den Mann zum Problem werden: Ein Bergführer sei alles andere als »der perfekte Mann«, erklärt Jacobi, denn um eine Familie zu »ernähren«, müsse er »viel fort sein, damit er genug Geld hat«, dies habe jedoch zur Folge, dass er »auch als Papi« und »als Ehemann viel fort« sei, was in einen Teufelskreis führe. Darin kommt ein Männlichkeitsbild zum Vorschein, das sich einerseits am Ideal des Alleinernährers orientiert, andererseits an einem emanzipierteren Ideal eines Ehemannes und Vaters, der mehr Familien- und Betreuungspflichten übernimmt.107 Neben der manifest geäusserten Offenheit Frauen im Bergführerberuf gegenüber und Lukas Jacobis kritischem Blick auf gewisse Aspekte des Geschlechterverhältnisses fiel in den Analysen auf, dass in seinen Schilderungen die Bergsteigerlebnisse als Jugendlicher implizit hochgradig maskulin codiert sind. Maskulinität tritt implizit auch zutage, wenn Lukas Jacobi seine Begeisterung als Jugendlicher für das Bergsteigen beschreibt: Ihn habe »fasziniert« zu

106 Interview Lukas Jacobi (2007: 52 f.). 107 Interview Lukas Jacobi (2007: 55 ff.).

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merken, wie viel der Mensch zu leisten fähig sei, wie »viel Strecke« man mit der »eigenen Körperkraft« und »vor allem im Kopf mit dem Willen« an einem Wochenende bewältigen könne. Von schwierigen Touren, die sie – den Vorbildern aus »diesen Bergbüchern« nacheifernd – machten, erzählt er:108 »Hast kaum etwas gegessen und dann läufst du zwei, drei Tage und isst nichts und das funktioniert. Und das hat schon (I.: Mhm.) fasziniert, dass (.) das geht, ohne, (I.: Mhm.) (.) einfach so, mit dem Kopf.«109

Die Fähigkeit, auf Nahrung und Schlaf zu verzichten – Schlafverzicht wird im Zitat lediglich angedeutet – und das Ertragen körperlicher Schmerzen (das an anderer Stelle im Ertragen von Kälte vorkommt) gelten als typische Tugenden eines Helden.110 Sehr implizit reproduziert Lukas Jacobi also einen Heldenmythos, von dem er sich explizit distanziert. Er überträgt damit ein Männlichkeitsideal, wie es noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entworfen wurde, auf den Menschen ganz allgemein. Dabei reproduziert er die Vorstellung, wonach körperliche Ertüchtigung und Askese dem Menschen guttun, eine Vorstellung, die vom Staat und von Organisationen wie dem SAC in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Dienst des Nationalstaats gestellt wurde.111 5.2.7 Zusammenfassung: Vertreter einer Lebensphilosophie Einen Gast ›lediglich‹ auf den Gipfel zu führen und wieder hinunter, ist nicht das, was sich Lukas Jacobi unter seiner Tätigkeit als Bergführer vorstellt. Vielmehr möchte er den Leuten, die er führt, etwas vermitteln. Neben bergsteigerischem Wissen und Können und geografischen Kenntnissen ist dies eine »Lebensphilosophie«. Diese besteht in einer grundsätzlichen Haltung dem Leben, der Umwelt, anderen Menschen und dem Bergsteigen gegenüber. Die normativen Prinzipien, die dieser Philosophie anhaften, entspringen einer kulturkritischen Haltung. Bequemlichkeit, Faulheit, mangelnde Selbstverantwortung und Konsumgebaren sind Laster, die Lukas Jacobi für die heutige Zeit diagnostiziert und denen er entgegenwirken möchte. Bergsteigen eignet sich dazu besonders gut, da man – gemäss Lukas Jacobi – dabei »etwas Gutes« tut. In den Bergen ist man den Niederungen des Alltags enthoben, Alltagssorgen wer-

108 Interview Lukas Jacobi (2007: 3 f.). 109 Interview Lukas Jacobi (2007: 4). 110 Vgl. Florian (1994: 13). Zum Heldentum im »Wagnissport« vgl. Stern (2003: 49 ff.). 111 Vgl. Anker (1986: 111 ff.); Krüger (1993).

 

5 ZWEI

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 den vergessen, Statusunterschiede verschwinden und Dekadenz hat keinen Platz, weil es um das »Wesentliche«, nämlich das nackte Überleben geht. Der Glaube an die heilende, wohltuende Wirkung des Bergsteigens gründet in Lukas Jacobis eigener Konversionserfahrung. Dank dem Bergsteigen – so ist er überzeugt – wurde er innert kürzester Zeit von einem orientierungslosen Jugendlichen zu einem verantwortungsbewussten Erwachsenen, von einem Delinquenten zu einem gesellschaftlich integrierten Menschen mit Vorbildfunktion. In dieser Deutung klingt – in transformierter Form – das Deutungsmuster »Oben statt unten« an, das historisch im Alpinismus äusserst verbreitet war. An die Stelle klassenkämpferischer Fragen treten Überzeugungen bezüglich Ökologie und des sozialen Zusammenlebens. Bergführer eignen sich nach Jacobi für eine Vorbild- oder »Vorreiterposition« besonders gut, weil sie von ihren Gästen und jüngeren Bergsteigerinnen und Bergsteigern angehimmelt würden. Er attestiert dem Bergführer in der Wahrnehmung von aussen eine Art Popstar- und Helden-Status. Diesen relativiert und kritisiert er einerseits explizit, andererseits zeigt sich, dass er selbst dazu neigt, dem Bergführer eine besondere gesellschaftliche Position zuzuschreiben, und es auch zu geniessen scheint, diese innezuhaben. Er beruft sich dabei auf das Charisma, das dem Beruf bis heute anhaftet und implizit maskulin codiert ist. Beides, das Charisma wie auch die maskuline Codierung, die in seinen Deutungen anklingen, kritisiert er aber gleichzeitig auch. Er gibt sich dem Eintritt von Frauen in den Beruf gegenüber offen, analysiert mögliche Gründe für den geringen Frauenanteil reflektiert und äussert sich kritisch gegenüber dem Männlichkeitmythos, der dem Beruf anhaftet.

5.3 Z WISCHENFAZIT Alphons Beer und Lukas Jacobi sind in unterschiedlichen Welten aufgewachsen. Der Städter Jacobi wurde über 40 Jahre nach dem in einer touristischen Bergregion gross gewordenen Beer geboren. Die Wege, die sie zum Bergführerberuf führten, unterscheiden sich ebenso voneinander wie das jeweilige Selbstverständnis als Bergführer und die Deutungen, auf die sie in ihren Schilderungen zurückgreifen. Einige der Unterschiede lassen sich mit den divergierenden Herkunftsbedingungen und Generationenlagerungen erklären. Beers Biografie, sein Selbstverständnis wie auch die Deutungen, auf die er rekurriert, erinnern in vielem an den idealtypischen Bergführer, wie er in den untersuchten (Auto-)Biografien beschrieben wird. Er wuchs in einem Bergdorf auf, in dem das Leben von Entbehrungen gekennzeichnet war und die ankom-

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menden Reisenden für die Einheimischen eine willkommene Einnahmequelle bedeuteten. Als Sohn eines Hotelierpaares kam er früh mit dem Tourismus in Kontakt. Nachdem er einen handwerklichen Beruf erlernt hatte, wurde er Bergführer. Alphons Beer beschreibt sich als Bergler, der schon qua Herkunft eine Beziehung zu den Bergen hatte und der in das Bergsteigen und Bergführen hineinwuchs, ohne es sich mühsam aneignen zu müssen. Er betrachtet sich und Bergführer im Allgemeinen als nicht wegzudenkende Akteure in der sich auf Tradition berufenden Inszenierung eines Bergtourismusdorfes und versteht sich als ›klassischer Führer‹, der seinen Gast auf die Gipfel der Viertausender seiner Heimatregion führt, ihm damit einen Traum verwirklicht und ihn dabei umsorgt, sichert und freundlich behandelt. In Beers Deutungen treten diskursive Elemente und Deutungsmuster zutage, die uns bereits in den historischen Ausführungen zum Alpinismus sowie in den Bergführerpublikationen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begegnet sind und die in engem Zusammenhang mit seiner Herkunft stehen dürften. Es sind dies der Topos der schönen Aussicht, die sich dem Bergsteiger vom Gipfel aus bietet, die Vorstellung, wonach in Berggebieten Aufgewachsene für den Beruf besonders prädestiniert sind, die Überzeugung, dass ein ›richtiger‹ Bergführer ein Leben lang Bergführer bleibt, es sich also um weit mehr als um einen Beruf handelt, sowie das Ideal, wonach ein Bergführer letztlich von der Liebe zu den Bergen und nicht vom lockenden Geld getrieben ist. Auch das Deutungsmuster »Oben statt unten«112 tritt bei ihm zum Vorschein: Ähnlich wie der SAC in seiner modernisierungskritischen Haltung zu Beginn des 20. Jahrhunderts assoziiert Beer das Unten mit dem Arbeiten in der Fabrik, das Oben hingegen mit der herrlichen Bergwelt, in der sich der Tourist aus dem Flachland vom Alltag erholen kann. Beers Habitus, der sich durch Pragmatismus, Optimismus wie auch eine gewisse Schicksalsergebenheit auszeichnet, dürfte mit der Situation Saas Fees in seinen Kinder- und Jugendtagen in Zusammenhang stehen. Diese zeichnete sich durch eine sich explosionsartig vollziehende touristische Entwicklung aus, die unter den Einheimischen zu einer Aufbruchstimmung geführt haben dürfte. In dieser Entwicklung gingen rasante Modernisierung und Rückbesinnung auf ›Traditionen‹ Hand in Hand: Die touristische Vermarktung, auf der die Modernisierung basierte, erfolgte über die Herstellung von Tradition. Diese Paarung schlägt sich bei Beer in einem »konservative[n] Modernismus«113 nieder, der sich auf der einen Seite in seinem Selbstverständnis als klassischer Führer wie

112 Anker (1986). 113 Honegger/Bühler/Schallberger (2002: 164 ff.).

 

5 ZWEI

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 auch in der Pflege als traditionell geltender Hobbies manifestiert und auf der anderen in seiner Offenheit gegenüber gewissen Aspekten der Modernisierung. Der im Wallis bis heute tief verankerte Katholizismus kommt in Beers Ehrfurcht vor der Schönheit der Bergwelt zum Ausdruck und findet eine Materialisierung im Gipfelkreuz, das er schnitzte und auf einem Berggipfel aufstellte. Ebenfalls in den Herkunftsbedingungen dürfte die Ursache dafür zu suchen sein, dass in Alphons Beers Erzählung seiner durchaus pragmatischen Berufswahl ein allfälliges Charisma des Berufs nicht vorkommt, dass er heute jedoch über einen ausgeprägten Berufsstolz verfügt, der bisweilen Züge einer Selbstcharismatisierung annimmt. Eine (Selbst-)Charismatisierung hat bei ihm also wohl erst im Laufe seines Berufslebens eine Rolle zu spielen begonnen. Dies korrespondiert damit, dass er eine »amor fati«114 entwickelte, die mit seiner persönlichen beruflichen Bewährung wie auch mit dem enormen Aufschwung Saas Fees von einem äusserst armen Bergdorf zu einer international bekannten Feriendestination in Zusammenhang steht. Auch die Werdensgeschichte, das berufliche Selbstverständnis und die Deutungen Lukas Jacobis erklären sich teilweise aus seinen Herkunftsbedingungen. In seiner Erzählung lassen sich zwei Passagen ausmachen, mit denen er seine Berufung für das Bergsteigen unterstreicht. Damit kommt er möglicherweise einem Legitimationsdruck nach, der sich daraus ergibt, dass es zunächst nicht auf der Hand gelegen haben dürfte, weshalb er als Städter Bergführer wurde. Zum einen macht er ein Gefühl des unwiderstehlichen inneren Drangs nach Bewegung sowie eine unwiderstehliche Anziehungskraft der Berge geltend, die er bereits als Kind verspürt haben will. Dabei klingt der Topos »Der Berg ruft« an, der in den untersuchten (Auto-)Biografien auftauchte und im Alpinismusdiskurs allgemein verbreitet ist. Zum anderen erzählt er eine Konversionsgeschichte: Dank dem Bergsteigen fand er als Jugendlicher den Ausstieg aus der Delinquenz und auf den ›richtigen‹ Weg. Diese Konversionserfahrung prägt noch heute sein Berufsethos, das von ökologischen, sozialen und konsum- wie auch fortschrittskritischen Überlegungen sowie von einer Beschwörung der körperlichen Leistung und der Askese geprägt ist. Für ihn ist Bergsteigen eine ernsthafte und sinnvolle Tätigkeit, die Menschen gut tut, sie von Lastern sowie von Krankheiten therapiert, deren Ursachen in der der dekadenten Zivilisation liegen, und sie zu einer ›guten‹ Lebensführung bringt. Damit basiert auch Jacobis Deutung ganz massgeblich auf einer Gegenüberstellung des positiv konnotierten Obens und des negativ konnotierten Untens, wobei besonders das Unten etwas anders gefüllt ist als bei Beer. Sich selbst

114 Bourdieu (1999a: 117 f.; 1987: 290).

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schreibt Jacobi gegenüber den Geführten eine Vorbildrolle zu. Ihnen möchte er die eigenen Erfahrungen und seine Lebensphilosophie weitergeben und damit einen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft leisten. Die Lebensphilosophie, die sein Selbstverständnis prägt, dürfte zum einen in seinen Erfahrungen im Internat gründen, für dessen Profil ein humanistisches Menschenbild charakteristisch ist. Zum anderen dürften insbesondere seine Überzeugungen bezüglich Ökologie und einer ›guten‹ Lebensführung, auf seine spezifische Generationenlagerung und seine städtische Herkunft zurückzuführen sein: Seine Adoleszenz fiel in die 1980er-Jahre, die geprägt waren vom Diskurs um das Waldsterben, die Katastrophen in Tschernobyl und Schweizerhalle, die Etablierung der Umweltbewegung und die Armeeabschaffungsinitiative, die besonders in jungen urbanen Kreisen breite Zustimmung fand.115 In die Zeit kurz vor Lukas Jacobis Geburt fielen die Anfänge der Neuen Frauenbewegung, die im Denken des jungen Lukas Jacobi Spuren hinterlassen haben dürfte. Während Alphons Beer in seinem Innersten davon ausgeht, der Bergführerberuf sei ein ›Männerberuf‹, greift Jacobi auf quasi-sozialwissenschaftliche Argumente zurück und vertritt die Überzeugung, Frauen solle der Zugang zum Beruf erleichtert werden. In seinen Schilderungen wird jedoch auch deutlich, wie Maskulinität unter jugendlichen Männern interaktiv hergestellt wird und welche Relevanz sie trotz Jacobis diesbezüglicher Sensibilität in seinem Denken implizit hat. Für sein Selbstverständnis ist das Bild des charismatischen Bergführers, dem eine stark maskuline Codierung inhärent ist, nicht unbedeutend. Jacobi sieht den Bergführer in der öffentlichen Wahrnehmung mit einem Helden-Status versehen und macht sich diesen in seiner Konzeption als gesellschaftliches Vorbild zunutze. Wie bei Beer kommt bei ihm ein beträchtlicher Berufsstolz gepaart mit Bescheidenheit und Tendenzen zum Understatement zum Ausdruck. Diese bei beiden auftauchende Ambivalenz dürfte der Tatsache gerschuldet sein, dass der Beruf einerseits mit einem starken Charisma behaftet ist, andererseits in diesem Berufsfeld die Tugend der Bescheidenheit bis heute eine wichtige Rolle spielt.

115 Zur Umweltbewegung vgl. Skenderovic (2009), zur Initiative »Für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik« vgl. Fussnote 191, Kapitel 6. Beim Unglück, das unter dem Namen »Schweizerhalle« bekannt ist, handelte es sich um einen Grossbrand in einer Lagerhalle des Chemiekonzerns Sandoz in der Nähe von Basel, der unter anderem ein verheerendes Fischsterben im Rhein zur Folge hatte (vgl. Giger 2007).

 



6 Bergführer von Beruf

Ausgehend von den beiden Portraits zu Alphons Beer und Lukas Jacobi werden Themen, die darin aufgetreten sind, aufgegriffen und in fallübergreifender Perspektive beleuchtet. Es wird unter Beizug aller Interviews gefragt, wie heutige Bergführerinnen und Bergführer ihren Zugang zum Bergsteigen schildern, welche Deutungen dabei zutage treten und welche Motivlagen für die Berufswahl ausgemacht werden können. In einem Exkurs wird auf die Dichotomie Oberversus Unterländer eingegangen, die in den Interviews und im Feld immer wieder aufscheint. Es folgen Ausführungen zu verschiedenen Konzeptualisierungen des Verhältnisses zwischen Bergführerin oder Bergführer und Gast sowie zur Bedeutung der Gefahr für den Bergführer, die Bergführerin und zum deutenden Umgang der Interviewten damit. Schliesslich wird nach der Präsenz von Nation in den Interviews gefragt. Aspekte, die das Geschlecht betreffen, bleiben ausgeklammert; sie werden in Kapitel 7 beleuchtet. Die Befunde aus den sequenzanalytisch durchgeführten Interviewanalysen werden bei den folgenden Ausführungen häufig in typisierender Form dargestellt. Wenn auf solche Typisierungen hingewiesen wird, handelt es sich um Zuspitzungen, die durch »einseitige Steigerung eines oder einiger [Hervorhebung i. O.] Gesichtspunkte«1 gewonnen wurden. Die Typisierungen basieren auf einzelnen Fallanalysen, wobei eine Verdichtung vorgenommen wurde. Typisierte Aspekte kommen im empirischen Material kaum in Reinform vor. Meist finden sich bei den Realtypen Elemente mehrerer Idealtypen, wobei in der Regel ein einzelner überwiegt. Illustriert werden die Typisierungen mit Interviewausschnitten. Bevor auf die genannten Aspekte eingegangen wird, seien die wichtigsten (berufs-)biografischen Eckpunkte der Fälle dargelegt und Ergebnissen einer Befragung gegenübergestellt, die der SBV unter seinen Mitgliedern im Jahr 2004

1

Weber (1988b [1922]: 191).

 

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durchführte.2 Diese Informationen dienen einem Überblick über das Sample und bleiben hier uninterpretiert; auf sie wird in den Analysen der folgenden Kapitel Bezug genommen. Bei den 22 Interviewten handelt es sich um 15 Männer und 7 Frauen. Sie sind zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 24 und 77 Jahre alt, haben mit Ausnahme eines Kandidaten die Ausbildung abgeschlossen und sind Mitglieder des SBV. Von den 21 interviewten Bergführerinnen und Bergführern mit abgeschlossener Ausbildung führen drei zum Zeitpunkt des Interviews nicht mehr – zwei aus Altersgründen und einer, weil er zu 100 Prozent einer anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. Zwei Interviewte arbeiten hauptberuflich in einem anderen Beruf und einer lebt vom Extrembergsteigen; alle drei führen nur noch gelegentlich Gäste. Von den fünfzehn Interviewten, die hauptberuflich als Führerinnen und Führer tätig sind, gehen sieben neben dem Führen einer oder mehreren Nebenerwerbsarbeiten nach, acht leben ausschliesslich vom Führen. Mindestens gelegentlich führen insgesamt 18 Bergführerinnen und Bergführer. Davon sind zwei zu 100 Prozent bei der Armee beziehungsweise bei einer Bergsteigerschule angestellt, die anderen sind zwischen 20 und 200 Tage, durchschnittlich 112 Tage pro Jahr, als Bergführerin oder Bergführer tätig. Sie arbeiten zwar hin und wieder für Bergsteigerschulen, J+S oder die Armee, bieten jedoch hauptsächlich private Touren an und sind selbständigerwerbend. Zwei warteten während mehrerer Jahre eine SAC-Hütte, von der aus sie auch Touren führten. Damit gleicht die Beschäftigungssituation der Interviewten den Befunden der SBV-Umfrage von 2004. Darin gaben 8,2 Prozent der Befragten an, nie oder weniger als eine Woche pro Jahr als Bergführerin oder Bergführer zu arbeiten, 9,9 Prozent sind zu 85 Prozent im Beruf tätig. Weitere 78,2 Prozent verteilen sich ziemlich regelmässig auf das Spektrum zwischen 4 und 84 Prozent. Als Bergführer angestellt waren lediglich 6,6 Prozent aller Befragten, die anderen waren selbständigerwerbend (bei 7,5 Prozent leeren Antworten).3 Anhand dieser Daten fällt erstens auf, dass viele Bergführerinnen und Bergführer Verbandsmitglied bleiben, obwohl sie nicht mehr führen (was auch andere Quellen bestätigen), und

2

Bei der Umfrage handelte es sich um eine Gesamterhebung. Von 1421 verschickten

3

SBV (2004). 1992 hatten Hüsser und Zehnder in ihrer Umfrage festgestellt, dass die

Fragebogen wurden 658 retourniert, die in die Berechnungen einflossen (SBV 2004). befragen Bergführerinnen und Bergführer durchschnittlich 30 Prozent ihres Einkommes mit dem Führen und 70 Prozent mit anderen Tätigkeiten verdienen. Die Autorinnen hatten ihre Fragebogen an 1200 Bergführerinnen und Bergführer geschickt und 413 zurück erhalten, wovon 386 in die Berechnungen einflossen (Hüsser/Zehnder 1992: 40; 28).

 

6 B ERGFÜHRER

VON

B ERUF | 241

dass zweitens lediglich knapp ein Zehntel aller Verbandsangehörigen voll vom Führen leben. Die häufigsten Disziplinen, die die Interviewten anbieten, sind Hochtouren, Klettertouren und entsprechende Kurse im Sommer sowie Skitouren und Kurse im Winter. Zwei Führer leben im Winter hauptsächlich vom Heliskiing, die anderen betreiben dieses selten bis nie. Etwa die Hälfte der 21 Interviewten führen gelegentlich Expeditionen durch – einige wenige mit Gästen, die meisten für sich selbst. Ein Führer lebt ausschliesslich von der Organisation und Durchführung von Expeditionen für Gäste. Über ein Drittel der Interviewten haben die Canyoning-Ausbildung absolviert, viele davon geben aber an, nur selten entsprechende Touren zu führen. Eine Person führt häufig Höhenarbeiten aus und zwei sind beziehungsweise waren Rettungsspezialisten. Die Bedeutung von Hochtouren, Klettertouren und Kursen im Sommer sowie Skitouren und -kursen im Winter wird auch in der SBV-Umfrage deutlich: Von allen geleisteten Bergführertagen der Befragten betrafen 41,2 Prozent Sommerhochtouren und Skitouren. Weitere 13,5 Prozent fielen auf Fels- und Sportklettern und 9,1 Prozent auf Kurse im Sommer oder im Winter.4

6.1 S OZIALISATION

IN DEN

ALPINISMUS

Ein Unterschied zwischen den Erzählungen von Alphons Beer und Lukas Jacobi besteht darin, wo sie einsetzen und wie die beiden Führer ihren Zugang zum Bergsteigen beschreiben. Die unterschiedlichen Einstiege und Gewichtungen sind Ausdruck divergierender Wege, welche die heutigen Bergführerinnen und Bergführer zum Bergsteigen und zum Bergführerberuf führten. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Instanzen an der Sozialisation der jungen Menschen in den Alpinismus beteiligt waren, wie diese Phase beschrieben wird und auf welche Deutungen dabei zurückgegriffen wird.

4

Die restlichen 36,2 Prozent verteilen sich auf folgende Tätigkeiten: Bergwandern (1,8), Gletscherwandern (2,2), Trekking (1,6), Lawinenspezialist (1,9), Snowboardtouren (1,3), Schneeschuhtouren (1,6), Routenbauer indoor (0,2), Höhlentouren (0,2), Teambildung (1,0), Events (1,3), Heliski Ausland (0,8), Heliski Inland (4,3), Varianten Skifahren (6,2), Steileisklettern (1,4), Expeditionen (1,5), Canyoning (1,4), Naturbeobachtung (0,7), Begleitung von Film- und Fototeams (0,4), Felssicherungen (1,5), Rettung (1,9), Patrouilleur (0,4), Fassadenarbeiten (0,4), Routensanierungen (0,6), Andere (1,5) (SBV 2004).

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6.1.1 Sozialisationsinstanzen Als Sozialisationsinstanzen ins Bergsteigen tauchen in den Interviews drei Akteursgruppen auf: Eltern, Organisationen wie die Jugendorganisation des SAC (JO) und »Jugend + Sport« (J+S) sowie Peers. Sie sind je nach Fall von unterschiedlicher Bedeutung. Die drei in den 1920er- und 1930er-Jahren geborenen Bergführer des Samples – darunter Alphons Beer – sind in Bergregionen von mehr oder weniger grosser touristischer Bedeutung aufgewachsen. Sie alle sind Söhne oder Enkel von Bergführern. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre Beziehung zu den Bergen auf ihre geografische und/oder familiäre – insbesondere patrilineare – Herkunft zurückführen. Sowohl das Bergsteigen wie auch das Führen von Gästen beschreiben sie unprätentiös als einfach zu erlernende und unspektakuläre Tätigkeiten. Sie eigneten sich die nötigen Vorkenntnisse für die Ausbildung quasi naturwüchsig in der Kindheit und Jugend an: Alphons Beer erzählt, er habe das Bergsteigen beim spielerischen Herumkraxeln gelernt; der in den 1930er-Jahren geborene Friedrich Tresch berichtet, er sei sich von Kindsbeinen an gewohnt gewesen, Lasten zu tragen, und er habe die wichtigsten Wege gekannt, weil er den Vater, einen Bergführer und SAC-Hüttenwart, beim Strahlen (Suchen von Kristallen) und Wegemarkieren begleitet habe.5 Was bei diesen drei älteren Führern als authentisches Hineinwachsen erscheint, wird vom Mitte 20-jährigen Zermatter Fabio Clausen, der sich als Bergbub gibt und sich auf eine lange familiäre Bergführertradition beruft, als solches ostentativ beschworen: Bergsteigen musste er nicht lernen – so scheint es in der Erzählung –, er sog es dank Familiengeschichte und geografischer Herkunft quasi mit der Muttermilch auf. Gleichaltrige und Organisationen bleiben sowohl bei den drei älteren Bergführern wie auch bei Fabio Clausen weitgehend unerwähnt.6 Auch die anderen Interviewten begannen üblicherweise bereits als Kinder oder Jugendliche mit Bergsteigen oder Klettern, auch wenn sie nicht in einer Bergregion aufwuchsen und keine Bergführer in ihren Familien hatten. Die ersten Wander- oder Bergerfahrungen machten sie häufig im familiären Rahmen. Die meisten Jugendlichen betrieben aber bald unabhängig von den Eltern Bergsport. Selten schlossen sie sich wie Lukas Jacobi direkt mit Gleichaltrigen zusammen und eigneten sich die nötigen Kenntnisse autodidaktisch an. Meist waren sie zunächst Mitglieder der Jugendorganisation des SAC (JO) oder be-

5

Interview Friedrich Tresch (2007: 2; 39).

6

Interview Fabio Clausen (2007).

 

6 B ERGFÜHRER

VON

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suchten J+S-Kurse, wobei sie unter Anleitung von Bergführern oder JO-Leitern klettern und bergsteigen gingen. Nicht selten begegneten sie dabei älteren Bergsteigern, denen sie heute eine entscheidende Vorbildfunktion zuschreiben. Im Rahmen dieser Organisationen trafen sie auf Gleichaltrige, mit denen sie sich bald zusammenschlossen und selbständig in die Berge gingen. Kurz nachdem er mit Klettern angefangen habe, sei er »in diese ganzen Kreise hineingewachsen«7, meint ein etwa 25-jähriger Bergführer. Manchmal bestanden die Gruppen von Bekannten oder Freunden lediglich aus zwei, drei Personen, manchmal handelte es sich um ganze Kletter- oder Bergsteiger-Szenen, denen manche Interviewte noch heute angehören. Solche Szenen tauchen in den Schilderungen erstmals für die Zeit nach 1968 auf und scheinen in engem Zusammenhang mit dem Aufkommen des Sportkletterns zu stehen. Alpinistische Organisationen, vor allem aber die Gleichaltrigengruppen und Szenen nehmen in der Sozialisation der Kletterer und Bergsteigerinnen eine wichtige Funktion ein.8 Erstens findet ein grosser Teil des Erwerbs von Techniken und Wissen, des Sammelns von Erfahrungen und der Aneignung des Bergsteigerhabitus dort statt. Erfolgreiche Bergführerkandidatinnen und -kandidaten haben sich all dies zum Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns bereits angeeignet, wie die Erzählungen jener Interviewten zeigen, welche die Ausbildung nach 1970 absolviert haben.9 Auch der Präsident der Qualitätssicherungs-Kommission der Bergführerausbildung betont im Experteninterview, in den Kursen würden heute nicht primär alpinistische Techniken vermittelt, sondern sehr gute Alpinistinnen und Alpinisten würden zu Bergführerinnen und Bergführern ausgebildet.10 Wie wichtig dabei neben der Aneignung bergsteigerischer Techniken auch das Habituelle ist, zeigte die Beobachtung der Kandidaten an einem Eintrittstest der Bergführerausbildung. Der feldspezifische Habitus umfasst eine bestimmte Art des Denkens, Wahrnehmens, Wissens und Sprechens über alpinistische Fragen, eine entsprechende körperliche »Hexis«, den gewandten Umgang mit dem ›richtigen‹ Material wie auch das Kennen und die Verinnerlichung informeller Ver-

7

Interview Samuel Schwager (2005: 1).

8

Auch Robinson (2008: 29 ff.) streicht in ihrer Studie über Extremkletternde die Bedeutung von Kletter-Szenen hervor.

9

Besonders deutlich wird dies beim angehenden Bergführer Michael Gnos. Es trifft hingegen nicht zu für die drei ältesten, in den 1920er- und 1930er-Jahren geborenen Interviewten, die ihre damaligen bergsteigerischen Fähigkeiten herunterspielen und die damaligen Anforderungen der Bergführerausbildung als nicht sehr hoch darstellen.

10 Protokoll des Expertengesprächs mit Peter Kimmig, Präsidenten der Qualitätssicherungs-Kommission der Bergführerausbildung Schweiz. 19.6.2006.

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haltensregeln. Zu letzteren gehören – um nur einige Beispiele zu nennen – das äusserst pünktliche Erscheinen zu Treffpunkten, das Unterlassen von unnötigem Schwatzen beim Klettern oder Bergsteigen und das richtige Packen des Rucksacks – wobei weder zu viel noch zu wenig mitgeführt werden darf und sich der oder die ›Eingeweihte‹ etwa über eine spezifische Art des Verschliessens des Rucksackes von Laien abgrenzt. Zweitens zeichnen sich vor allem die Aktivitäten in den Gleichaltrigengruppen durch eine hohe Intensität aus: Die Interviewten berichten – wie im folgenden Kapitel gezeigt wird – meist, als Jugendliche oder junge Erwachsene ihre ganze Freizeit mit Bekannten und Freunden in den Bergen verbracht zu haben. Drittens sind diese Peer-Groups als Orte des Einübens von Männlichkeit bedeutsam, wie bei Lukas Jacobi deutlich wurde.11 6.1.2 Vom Virus befallen – der Sucht verfallen Bezüglich der Intensität, mit der das Bergsteigen mit Gleichaltrigen vor Ausbildungsbeginn betrieben wurde, lässt sich bei vielen der nach 1940 Geborenen ein weit verbreiteter Diskurs der bedingungslosen Hingabe feststellen, der sich bereits bei Lukas Jacobi zeigte. Gerne wird betont, man sei »jede freie Minute z’Berg gegangen«, habe »sehr viel Zeit investiert« und »fast nur noch das gemacht«, »bis zum Exzess«.12 In manchen Fällen begründen die Betroffenen diese Hingabe damit, dass sie mit einem intensiven Training das in der Ausbildung geforderte Niveau zu erreichen versuchten. Meist aber wird sie nicht mit Arbeit, Fleiss oder dem Erfüllen einer selbstauferlegten Aufgabe in Zusammenhang gebracht. Vielmehr betonen die Betroffenen, nicht anders gekonnt zu haben. Sie konnten dem Sog, den die Welt der Berge und des Bergsteigens auf sie ausübte, nicht widerstehen. Diese Art der Hingabe, die eine Ausschliesslichkeit bedingt, scheint zentraler Bestandteil der Berufspraxis und auch des Berufsmythos zu sein. Bergführer, so die Überzeugung, die aus den Erzählungen spricht, wird heute nur, wer sich mit Haut und Haar und vor allem mit Herzblut dem Bergsport verschreibt. Nur halbwegs bei der Sache zu sein, reicht nicht; erst in der bedingungslosen Hingabe zeigt sich die wahre Leidenschaft für die Berge, das wirkliche Interesse am Beruf, die Berufung und letztlich auch die Eignung dafür. Eine Bergführerin meint auf die Frage, was es gewesen sei, das sie damals in die Berge zog: »Ich weiss es nicht. Es ist einfach ein Reissen. (….) Ich kann es

11 Vgl. Kapitel 5.2.1 und 7.1.1. 12 Interviews Leo Hirter (2007: 13), Anja Hunziker (2005: 2) und Florian Lerch (2007: 4).

 

6 B ERGFÜHRER

VON

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nicht formulieren. Aber ich habe es immer noch.«13 Typisch an ihrer Antwort ist das Unvermögen, in Worte zu fassen, was sie in die Berge zog und zieht. Mit dem »Reissen« steigert sie das von der Interviewerin verwendete »Ziehen«: Eine unerklärliche, unwiderstehliche Kraft zwingt sie demnach unaufhörlich, die Berge aufzusuchen. Dieses unbeschreibliche Gefühl des Nicht-anders-Könnens erklären die Interviewten häufig damit, sie seien mit einem »Virus« infiziert oder von einer »Sucht« befallen, so auch der knapp 50-jährige Leo Hirter: 14 »Ja, du willst einfach immer nur z’Berg. Du bist so, du willst, ähm, nur noch z’Berg, obsi [aufwärts], jede, weisst, wenn du frei hast, wenn es schön Wetter ist, dann willst du einfach obsi, das kannst du gar nicht, das ist einfach so. (I.: Mhm.) Das ist wie der andere, der tauchen geht, der will immer tauchen gehen. Und Bergsteigen ist einfach, ist eine Sucht. Und je mehr du gehst, umso stärker wirst du, umso ›ringer‹ fällt dir-, die Touren, oder, und diese Touren werden immer grösser und (es gelingt) (I.: Mhm.) dir meistens. (I.: Mhm.) Und dann, und je nachdem ist das wie so eine, ja das ist eine Sucht natürlich, das ist ganz klar. Einfach, du willst immer mehr.«15

Beide Metaphern – der Virus und die Sucht – beschreiben Phänomene, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich des Körpers beziehungsweise der Psyche des Menschen bemächtigten und das ›Opfer‹ sie nur schwer wieder los wird: Wer einmal mit dem Virus infiziert ist, bleibt Virenträger; wer süchtig, also zwanghaft abhängig wird, dem fällt es schwer, von dieser Sucht wegzukommen. Für die Sucht ist weiter charakteristisch, dass die Befriedigung des Bedürfnisses das Verlangen steigert, was zu einem Kreislauf führt, der aus Genuss Zwang werden lässt. Kann das Bedürfnis nicht befriedigt werden, können Entzugserscheinungen auftreten. Beide, ein Virus und eine Sucht, haben ein zerstörerisches Potential. Die Anspielung auf das Pathologische und Lebensbedrohende, das in den Meta-

13 Interview Astrid Padrutt (2007: 32). Aus Anonymisierungsgründen wird bei allen Frauen auf Altersangaben verzichtet (vgl. Kapitel 7.4.1). 14 Robinson (2008: 50 ff.) stellt in ihrer Studie zu Extremkletternden fest, unter diesen existiere ein Diskurs der Besessenheit (»obsession«). Sport und Sucht sind zwei Themen, die gegenwärtig – in verschiedensten Zusammenhängen – gerne gemeinsam diskutiert werden. Auch die in den Interviews auftauchende positiv konnotierte Bergsucht ist in der aktuell populären Berg- und Abenteuerliteratur häufig thematisch. So untertitelt etwa Mark Twight seine autobiografischen Aufzeichnungen mit »Geständnisse eines Bergsüchtigen« (Twight 2005) und auch Reinhold Messner (2006: 95; 117 f.; 161; 236) spricht von der Sucht und Besessenheit des Bergsteigers. 15 Interview Leo Hirter (2007: 3).

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phern mitschwingt, könnte sich auf die konkreten Gefahren beziehen, die in den Bergen lauern, oder auf die soziale Gefahr, die darin besteht, wegen des ständigen Bergsteigens anderes zu vernachlässigen, was zu einer gesellschaftlichen Desintegration führen kann. So schreibt ein Autor in der Zeitschrift »Klettern«: »Das eigentliche Zerstörerische am Klettern ist die Sucht. Körperlich wie geistig. Körperlich, weil Verletzungen, Unfälle und Tod drohen. Geistig, weil man zu einem hetzenden, getriebenen, verblendeten Wesen mutiert.«16 Sucht – und dies dürfte auch für den Virus zutreffen, wie er in diesem Diskurs auftaucht – verweist aber, wie Caysa zeigt, gerade im Sport nicht auf etwas Anormales. Sie gehöre vielmehr zur »Normalkultur« und sei untrennbar mit Lust verbunden: »Sport ist nicht entweder Lust oder Sucht, sondern immer Sucht-Lust und LustSucht.«17 Im Gegensatz zum »Rausch-Haben« und »Berauscht-Sein« wirke das »Rausch-Sein«, wie es gerade im Sport erlebt wird, sensitivitätsverstärkend und ermögliche ein »Zu-sich-selbst-Finden«.18 Die beiden Metaphern der Sucht und des Virus düften in den Interviews dieselbe Funktion erfüllen wie die Beteuerungen der Liebe der Bergführer zu den Bergen in den untersuchten Bergführerbiografien und -autobiografien: Über sie werden die Leidenschaft und das innere Getriebensein des Bergführers zum Ausdruck gebracht, die für den Bergführermythos konstitutiv sind. Mit der Verwendung dieser Metaphern heben sich die Sprecher zudem distinktiv gegenüber Nichtinfizierten und Nichtsüchtigen ab. Ihnen bleibt diese Welt verschlossen, für sie ist nicht nachvollziehbar, was die Süchtigen in die Berge zieht. Dies bringt etwa der rund 60-jährige Georg Koller zum Ausdruck, wenn er auf die Einstiegsfrage der Interviewerin, wie er zum Bergführerberuf gekommen sei, meint, die zentrale Frage sei vielmehr, wie es dazu komme, dass man den »Virus« einfange, und zurückfragt: »Gehen Sie z’Berg?« Die Antwort der Interviewerin, »Ein wenig, ja.«, ist für ihn Beweis dafür, dass sie nicht von diesem Virus befallen ist und ihn, wie auch Bergsteiger allgemein, deshalb nie ganz wird verstehen können: »Dann ist das, äh, aus meiner Erfahrung eben fast nicht nachzuvollziehen.«19 Während das »Reissen« Astrid Padrutts an den Topos »Der Berg ruft« anknüpft, werden mit den Metaphern des Virus und der Sucht, wie auch mit dem Bild der Besessenheit, die Verhältnisse umgedreht: Die Kraft, die ruft und reisst, wird in einem Akt der Psychologisierung vom Berg in den Bergsteiger verlegt.

16 Vgl. Riegg (2009). 17 Caysa (2003: 56). 18 Caysa (2003: 62). 19 Interview Georg Koller (2005: 1).

 

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Der Berg ruft den Bergsteiger nicht zu sich, dieser ist vielmehr von innen angetrieben. Sowohl im Motiv des Rufens des Berges, dem die Bergsteigerin nicht widerstehen kann, wie auch in der Metapher der Sucht, der sie verfällt, und des Virus, der sie befällt, wird die Bergsteigerin ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt. In ihrer zum ›Müssen‹ gewordenen Passion wird sie gewissermassen zur Getriebenen, was zum Motiv der Freiheit, das gerne mit Bergsteigen und Bergführern in Verbindung gebracht wird, in einem gewissen Widerspruch steht.20 Das darin zum Ausdruck kommende Paradoxon findet seine Entsprechung in der Ambivalenz, dass Berge gleichzeitig als schön und als gefährlich beschrieben werden.21 6.1.3 Die Bewegung, der Berg und die Gemeinschaft Das Bergsteigen übt also eine Faszination aus, deren Gründe die Betroffenen oft nicht erklären können. Trotz dieser Unerklärlichkeit lassen sich aus den Interviews drei Aspekte rekonstruieren, die mit der Faszination verbunden sind und sich in den Interviews in unterschiedlicher Gewichtung – häufig auch kombiniert – zeigen: Die körperliche Bewegung, die Berge und das Zusammensein mit Gleichgesinnten. Zwischen der Bedeutung, die dem Bewegungsaspekt beigemessen wird, und jener der Berge besteht in den Deutungen ein Passungsverhältnis, das, grob typisiert, in drei Formen auftaucht. Diese drei Formen, die mit den Schlagworten sportliche Herausforderung, Naturerlebnis und Selbsterfahrung umschrieben werden können, werden in der Folge dargestellt, bevor auf die Bedeutung des Aspekts der Gemeinschaft eingegangen wird. Sportliche Herausforderung Gemäss einer ersten Deutung fasziniert das Bergsteigen oder Klettern als Sport. Im Zentrum dieser Deutung steht der sportliche Ehrgeiz, selbst gesetzte bergsteigerische oder klettertechnische ›Probleme‹ – etwa eine schwierige Route auf den Gipfel oder ein Boulder-Zug22 – zu lösen. Die Interviewten schildern eine Lust, die eigenen körperlichen und sportlichen Grenzen auszuloten, und sich selbst wie auch andere dabei immer wieder von Neuem zu übertreffen. In manchen Fällen ist dieser Ehrgeiz auch mit Pioniergeist und dem Anspruch verbunden,

20 Vgl. Kapitel 6.6.3. 21 Vgl. Kapitel 4.4.1. 22 »Boulder« bedeutet Felsblock. Als »Bouldering« oder »Bouldern« wird das Klettern in Absprunghöhe und ohne Seil an Steinblöcken, Felsen oder auch an Gebäuden bezeichnet (vgl. SAC, ohne Jahr).

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ganz im Sinne der Erstbesteigungslogik23 neue Herausforderungen zu suchen, um diese als Erster oder Erste lösen zu können. In besonders ausgeprägter Form findet sich diese Deutung in den Schilderungen von Samuel Schwager, einem Bergführer Mitte zwanzig. Sein Interesse am Klettern wurde geweckt, als sich in einem Konfirmationslager ein Leiter von einem Kirchturm abseilte. Damals habe ihn vor allem das ganze Material und das »Handling« desselben fasziniert. Beim Klettern, mit dem er daraufhin begann, ging es ihm dann primär um die Herausforderung und die Spannung, die es bedeutete, ein gesetztes Ziel zu erreichen. Die Landschaft habe ihn damals »einen Scheissdreck interessiert, gell, ich so ›hrrrr ich will da, ich will da auf den Gipfel‹«.24 Die Berge erfüllten für ihn wie der Kirchturm die Funktion eines Sportgeräts. Diese rein sportliche Orientierung und die emotionslose Betrachtung der Berge als Turngerät findet sich bei heutigen Bergführerinnen und Bergführern so nicht. Bei Samuel Schwager wich sie im Laufe der Zeit einem etwas anderen Blick. Er habe mit den Jahren gelernt, seine »Kanäle« zu öffnen und habe die Schönheit der Landschaft, die »Umwelt« sowie die Ruhe der Berge entdeckt.25 Bei anderen Fällen hält die (extrem-)sportliche Orientierung zwar an, geht aber mit einer »Philosophie« über das Bergsteigen und die Berge einher, die über das rein Sportliche hinausweist und beispielsweise einen respektvollen Umgang mit ihnen impliziert. So gibt sich der Extrembergsteiger Florian Lerch, der von der medialen Vermarktung seiner bergsteigerischen Projekte lebt, darum bemüht, sich vom »Showismus« zu distanzieren, von dem er selbst Teil ist. Er legt Wert darauf, trotz Druck von Medien und Sponsoren seiner »Philosophie« treu und damit gegenüber dem Berg respektvoll zu bleiben. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass er seine Teilnahme an einer Fernsehübertragung an die Bedingung knüpft, den Abstieg nach gekletterter Route zu Fuss bewältigen zu dürfen und nicht – wie es das Drehbuch vorsehen würde – mit dem Helikopter vom Gipfel direkt ins Studio geflogen zu werden. Leben in und mit den Bergen Dem eben geschilderten Verständnis entgegengesetzt ist jenes der Interviewten, welche die damalige und heutige Faszination des Bergsteigens an der Natur und den Bergen festmachen und sich implizit oder aber dezidiert, wie der gut 40jährige Vinzenz Stocker, von einem Verständnis des Bergsteigens als Sport distanzieren:

23 Vgl. Kapitel 2.3.1. 24 Interview Samuel Schwager (2005: 27; 2). 25 Interview Samuel Schwager (2005: 2).

 

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»Für mich ist es nicht, Sport ist eher sekundär gewesen. (I.: Mhm.) Also ich bin nie ein Schneller gewesen. Auch jetzt, ich hasse das, wenn da ›gsecklet‹ [gerannt] wird, oder. (I.: Mhm, mhm.) Für mich ist es so, wie ich es vom Vater mitbekommen habe, ist das gewesen, ein Leben in den oder mit den Bergen oder mit der Natur, (?) die Natur respektieren. (I.: Mhm.) Und das ist sicher das gewesen, was mich glaub am meisten gezogen hat, dass ich (I.: Mhm.) ein Teil des Ganzen sein kann.«26

Bergsteigen möchte er nicht primär als Sport verstanden wissen, der als Hobby betrieben wird. Ihm geht es um etwas viel Umfassenderes: um ein »Leben« in und mit der Natur. Im Bergsteigen wird der Alpinist gemäss dieser Konzeption Teil der Natur. Wenn Stocker sich am Rennen anderer Alpinisten stört, so tut er dies nicht nur, weil er im Wettstreit unterliegen könnte, sondern weil das Bergsteigen für ihn – ähnlich wie im rekonstruierten, unter Alpinisten Anfang des 20. Jahrhunderts verbreiteten sportkritischen Diskurs – dabei sinnentleert würde und seinem Idealismus widerspräche. Bergsteigen in diesem umfassenden Sinne lässt sich auch nicht lernen wie eine Sportart, es bedarf vielmehr einer Art Initiation, in der dieses Leben weitergegeben wird – in seinem Fall vom Vater an den Sohn. Eine ähnliche Deutung findet sich bei Alphons Beer und beim rund 25jährigen Zermatter Fabio Clausen, für die Bergsteigen nicht primär Sport ist. Vielmehr verbinden sie die Berge mit Heimat und gehen davon aus, aufgrund ihrer geografischen und familiären Herkunft mit ihnen verwachsen zu sein. Dies wird im kollektiven Besitzanspruch deutlich, wenn sie etwa von »unseren Bergen«27 sprechen. Wenn sie »oben in den Bergen« sei, meint auch eine Bergführerin, sei sie »daheim«.28 Selbsterfahrung und Mystik Gemäss einem dritten Deutungstyp sind das Bergsteigen und der Berg, die Bewegung und die Natur unauflösbar aneinander gekoppelt, sie bedingen einander. Das Bergsteigen entfaltet seine Faszination, gerade weil es in den Bergen stattfindet, und umgekehrt erschliesst sich die Schönheit der Bergwelt erst durch die Bewegung darin und entfaltet eine emotionale Wirkung. In der einen Variante bezieht sich die Emotionalität auf innere Prozesse, die in einem Akt der Introspektion zum Vorschein kommen. Die Bergführerin Lilian Irniger erinnert sich beispielsweise, die Wanderungen und Skitouren, die sie als

26 Interview Vinzenz Stocker (2007: 3 f.). 27 Interviews Alphons Beer (2005: 8) und Fabio Clausen (2007: 1). 28 Interview Caroline Bratschi (2007: 4).

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Kind mit ihren Eltern machte, hätten sie »immer bewegt«.29 Auf die Frage der Interviewerin, was es denn gewesen sei, das sie bewegt habe, meint sie: »Ja, ähm, an einem Ort zu sitzen, hinauszuschauen, die Weite zu sehen, auch ähm, eine Art, zu spüren, wie ich eigentlich an einem Ort hoch laufen [gehen] kann, wie ich mich bewege, wie ich mich anstrenge und wie ich spüren kann, wo, was drin liegt für mich auch, ähm, Anstrengkei-, also das Anstrengende spüren, die Müdigkeit spüren und gleichwohl noch weitergehen können, ähm, aber nicht zu weit gehen, (?) so, dass man es eben noch geniessen kann, und dann das Hinunterschauen, das habe ich heute noch.«30

Das Bewegende besteht im Zusammenspiel der körperlichen Betätigung, der Anstrengung, der Müdigkeit und des Auslotens der eigenen körperlichen Grenzen mit dem Genuss des Hinunterschauens. Dieses Hinunterschauen wird nicht primär aufgrund des Bergpanoramas als schön empfunden, wie es dem Topos der »schönen Aussicht« inhärent ist, vielmehr ist es das Ausblick-Haben an sich, das Hinunter- und In-die-Ferne-Schauen, das als Akt der Selbsterfahrung bewegt. Auch in einer zweiten Variante dieser Deutung evoziert das Zusammenspiel von Bewegung und Natur eine Emotionalität und eine »gewisse Mystik«31. Anstelle der Selbsterfahrung ist es aber vielmehr das »Naturspektakel«32, das sich dem Bergsteiger, hier dem knapp 50-jährigen Daniel Imsteg, auf Touren offenbart und ihn bereits als Jugendlichen besonders berührte: »Das ist sicher eine, eine ungeheure Faszination gewesen einfach von dieser, von der Wildheit und der Kraft der Natur, wo man am Gletscher eben laufen [gehen] konnte und nachher runter in diese Spalten durchlaufen und das Wasser, das da gewesen ist, und dann, und dieses Rauschen und das Krachen.«33

Immer wieder ist in diesem Zusammenhang von der Schönheit die Rede, die in der Wildheit und der Kraft der Natur liege, worin die im Alpinismusdiskurs verbreitete Ambivalenz der ›schrecklichen Schönheit‹ der Berge anklingt.34 Das Lob auf die schöne Wildheit der Bergwelt korrespondiert in dieser Deutung

29 Interview Lilian Irniger (2007: 1). 30 Interview Lilian Irniger (2007: 2). 31 Interview Daniel Imsteg (2006: 3). 32 Interview Luzia Wenger (2005: 1). 33 Interview Daniel Imsteg (2006: 2). 34 Vgl. Kapitel 4.4.1.

 

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gerne mit einem Verständnis des Kletterns und Bergsteigens als wilde, abenteuerliche und daher schöne Tätigkeit. Auffallend ist, dass die erste Deutung eher bei Frauen und die zweite eher bei Männern beziehungsweise bei Frauen auftritt, bei denen sich Züge eines »männlichen Habitus« finden. In beiden Varianten werden das Bergsteigen und die Berge einerseits mit Vielseitigkeit, Vielfalt, Abwechslung und der stetigen Emergenz von Neuem in Zusammenhang gebracht. Selbst eine streckengleiche Tour, so wird immer wieder betont, ist aufgrund des Wetters, der Verhältnisse, der eigenen Verfassung und der Seilpartnerinnen oder Seilpartner nie zweimal gleich. Andererseits ist beiden Varianten gemeinsam, dass das Bergsteigen jenseits des »geordneten Lebens«35, der Enge und der Probleme der Gesellschaft stattfindet. Die Berge bilden eine Sphäre, die für Ausseralltäglichkeit steht und dem Profanen enthoben ist, was sich auf den Bergsteiger überträgt. Soziale Verbundenheit Neben den Aspekten der Bewegung und der ›Natur‹ ist es das Gemeinschaftliche, das von den Interviewten als prägend beschrieben wird. Es hängt mit der oben beschriebenen Bedeutung der Gleichaltrigengruppen zusammen und machte für viele Interviewte in ihren Jugendtagen einen wichtigen Teil der Faszination des Bergsteigens aus. In der einen Ausprägung, die sich ausschliesslich bei Männern findet, wird dabei die Bergkameradschaft gelobt, so vom rund 40jährigen Eugen Albertin: »Kameradschaft, das ist auch etwas, das mir auch sehr fest eigentlich, äh, also, das habe ich eigentlich noch nie so intensiv erlebt, oder so, so – doch, so intensiv. Wenn du in einer Wand drin bist und musst dich irgendwie eine Route rauf, rauf, äh, musst du hinaufklettern und schauen und den anderen sichern, dann d-, du musst so zusammenhalten, irgendwie, wie fast nirgends irgendwo.«36

Mit dem Hochhalten der Kameradschaft wird auf einen der zentralen Topoi des Alpinismus rekurriert.37 Verschiedentlich wird in den Interviews deutlich, dass dieses Gefühl der Kameradschaft nicht auf das Bergsteigen beschränkt bleibt; es wird vielmehr als allumfassend beschrieben. Ein Bergführer spricht vom »Zusammenleben« von »Gleichgesinnten«38. In der anderen Ausprägung wird auf

35 Interview Daniel Imsteg (2006: 2). 36 Interview Eugen Albertin (2007: 6). 37 Vgl. Kapitel 4.8.5. 38 Interview Daniel Imsteg (2006: 3).

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den im Alpinismusdiskurs verbreiteten, ideologisch überhöhten Begriff der Kameradschaft verzichtet; betont wird die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer Gruppe gleichaltriger Bergsportbegeisterter in der Jugend, die bisweilen auch als »trendige« Szene beschrieben wird. Diese Zugehörigkeit habe ein starkes Gemeinschaftsgefühl, einen »ganzen Lebensstil« und ein »Lebensgefühl« mit sich gebracht.39 Eine Führerin spricht vom »Familiengefühl«, das unter den damals 15-Jährigen entstanden sei, da man zusammen in der Hütte war und sich auf einer Tour gemeinsam »durchschlagen« musste.40 Dieser gemeinschaftliche Aspekt ist für viele Bergführer bis heute wichtig. Einige übertragen die Idee der Kameradschaft und der Verbundenheit der Seilschaftsmitglieder untereinander auf die berufliche Kameradschaft unter Bergführern, wie etwa Fabio Clausen, der von der »grossen Familie«41 der Führer spricht, der anzugehören ihn mit Stolz erfüllt. Andere erzählen, sie bewegten sich bis heute in einer Bergsteigerszene. 6.1.4 Ein Traum Anders als bei Alphons Beer, der nicht von einem idealisierten Bild des Bergführers berichtet, das seine Berufswahl geprägt habe, war ›der Bergführer‹ für die meisten der nach 1940 geborenen Interviewten in ihren Jugendtagen mit durchwegs positiven Eigenschaften besetzt. Haltungen der Indifferenz diesem Beruf gegenüber scheinen ebenso wenig vorhanden gewesen zu sein wie kritische Betrachtungsweisen. Bergführer lösten bei den Jugendlichen Bewunderung aus, faszinierten sie und waren ihnen Vorbilder. In manchen Interviews tritt dieses positive Bild implizit zum Vorschein, etwa in der Bedingungslosigkeit und Überzeugtheit, mit der der Beruf angestrebt wurde, häufig aber wird es explizit benannt. So schildert der Mittzwanziger Samuel Schwager, er habe als junger Bergsteiger Bergführer »bewundert« und sei von ihnen »mega fasziniert« gewesen: »Wow! So toll!«, habe er sich gesagt.42 Auch der heute 40-jähige Eugen Albertin stellt aus der Distanz fest, für ihn als damals 17-Jähriger seien seine älteren Kollegen, die damals bereits die Bergführerausbildung absolvierten, »Idole«43 gewesen. Typischerweise löste diese Bewunderung wie bei Lilian Irniger den Wunsch aus, selbst Bergführerin zu werden:

39 Interviews Georg Koller (2005: 3) und Eugen Albertin (2006: 3 f.). 40 Interview Anja Hunziker (2005: 12). 41 Interview Fabio Clausen (2007: 6). 42 Interview Samuel Schwager (2005: 1). 43 Interview Eugen Albertin (2007: 1).

 

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»Und da habe ich schon als Kind gedacht: ›Das muss phantastisch sein, wenn man Bergführer wäre.‹ Aber es hat ja keine Frauen gegeben, also das war irgend so (ein Traum) (I.: Mhm) halt.«44

Was für Lilian Irniger zunächst ein Traum blieb, weil sie nicht davon ausging, als Frau Bergführerin werden zu können, blieb für andere einer, weil ihre Bewunderung mit gewissen Selbstzweifeln einherging, ob sie den Anforderungen gewachsen sein würden. So stellt auch der rund 40-jährige Jean-Michel Thuillard fest: »C’était un petit peu un rêve, de devenir guide.«45 Bei einigen Bergführern besteht die damalige Bewunderung bis heute ungebrochen fort. Andere betrachten sie rückblickend als Idealisierung. Dies zeigt sich etwa bei Eugen Albertin, der den Begriff »Idol« verwendet, bei Georg Koller, der von einem »gewissen Mythos« spricht, den Bergführer für ihn gehabt hätten, oder bei Astrid Padrutt, welche die damalige Bewunderung aus heutiger Sicht einer gewissen Naivität zuschreibt.46 Dieses äusserst positive, häufig idealisierende Bild des Bergführers, das es so erstrebenswert erscheinen liess, selbst diesen Beruf zu ergreifen, ist einerseits der charismatischen Wirkung von Einzelpersonen zuzuschreiben, denen jungen Bergsteiger begegneten, die sie als »Idole« oder Vorbilder mit besonderen Gaben verehrten und zu deren Gefolgschaft sie als Jugendliche eine Zeit lang gehörten. Anderseits hat gerade auch das dem Bergführerberuf an sich anhaftende institutionalisierte Charisma, das auch damals in der Gesellschaft und, wie zu vermuten ist, in besonderem Masse im Feld des Alpinismus kursierte, seine Wirkung entfaltet. Dass dieses Charisma nicht zuletzt auch durch Medien transportiert wurde, macht Georg Koller deutlich, der erzählt, wie das medial vermittelte Drama am Eiger von 1957 und auch die vielen Bergbücher, die er damals gelesen habe, sein Bild des Bergführers geprägt hätten.47

44 Interview Lilian Irniger (2007: 1). 45 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 1). »Es war ein bisschen ein Traum, Bergführer zu werden.« 46 Vgl. Kapitel 7.5.3. 47 Zum sogenannten »Corti-Drama«, bei dem 1957 drei Bergsteiger in der Eigernordwand den Tod fanden und der vierte, Claudio Corti, auf spektakuläre Weise gerettet wurde vgl. Anker/Rettner (2007). Auch der Bergsteiger und Schriftsteller Emil Zopfi schreibt zu Christian Klucker, dessen Biografie er früh gelesen habe: »Christian Klucker war unser Idol« (Zopfi 2009: 25).

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6.2 M OTIVLAGEN

FÜR DIE

B ERUFSWAHL

Der Entscheid, Bergführer zu werden, war bei Alphons Beer und Lukas Jacobi unterschiedlich motiviert. In der Folge wird ausgehend von den beiden Portraits gefragt, wie heutige Bergführerinnen und Bergführer ihren damaligen Entscheid für die Ausbildung begründen. In typisierender Weise werden vier Motivlagen dargestellt. 6.2.1 Mehr als ein Gelderwerb Wie Alphons Beer berichtete, war es für ihn zunächst primär die Aussicht auf die guten Verdienstmöglichkeiten, die ihn dazu bewogen, die Bergführerausbildung zu absolvieren. Bald aber entwickelte er eine »amor fati«. Diese Gleichzeitigkeit von strukturellen Zwängen in Form der schwierigen Erwerbssituation in den Alpentälern und einer früher oder später entstehenden Begeisterung für die Tätigkeit des Bergführers scheint für Bergführer dieser Generation, die dem Beruf länger treu blieben, typisch zu sein. Sie taucht leicht anders gelagert auch beim in den 1930er-Jahren geborenen Friedrich Tresch auf, der kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den Beruf einstieg. Tresch wuchs als Sohn eines Bergführers und SAC-Hüttenwarts auf einer Alp in der Innerschweiz auf. Er erinnert sich, dass er als Bub Gästen manchmal den Rucksack in die Hütte hochtragen durfte und dafür einen »Fünfliber« erhielt, was damals viel Geld gewesen sei. Gleichzeitig scheint die Aura der Touristinnen und Touristen aus England, Amerika, Holland und Deutschland und der Berge, auf die sein Vater die Gäste führte, auf ihn gewirkt zu haben. Einmal, erinnert er sich, habe er als Bub von der Alp aus durch das kostbare Fernrohr eines Touristen schauen und den Vater auf einer seiner Touren verfolgen dürfen, worauf er sich gesagt habe: »Also da hoch möchte ich auch einmal.« Beide Aspekte – finanzielle Überlegungen sowie das Verlangen, die Berge zu besteigen – begleiteten ihn fortan. Aufgrund des Einbruchs des Fremdenverkehrs während des Zweiten Weltkriegs habe ihm der Vater den Wunsch, Bergführer zu werden, mit der Begründung verwehrt, als solcher verdiene man »heutzutage« einen »Bettellohn«. Tresch arbeitete deshalb zunächst als Gehilfe auf dem Bau und als Wildaufseher und konnte seine Idee erst verwirklichen, als der Vater ihn bat, in seine Fussstapfen zu treten: Es zeichnete sich ab, dass er einen Nachfolger brauchte, weil er die SAC-Hütte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr lange würde führen können. Tresch nahm diese Aufforderung an, absolvierte die Aus-

 

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bildung, übernahm die Hütte und führte diese, von der aus er auch als Bergführer tätig war, über dreissig Jahre lang.48 Anders als bei Beer schien bei Tresch eine gewisse Faszination fürs Bergführen von Beginn weg da gewesen zu sein, konnte aber aufgrund der strukturellen Einschränkungen zunächst nicht verwirklicht werden. Auch danach machten sich strukturelle Hindernisse bemerkbar: In der Umgebung, in der Tresch aufgewachsen war und auch heute noch lebt, gab es weniger bergsteigerisch attraktive und von Touristen begehrte Gipfel zu besteigen und die Gegend war touristisch weniger frequentiert und renommiert als jene von Alphons Beer. Treschs Angebundensein in der SAC-Hütte und die aufgrund seiner Herkunft fehlenden Möglichkeiten, Auto fahren und Fremdsprachen zu lernen, verunmöglichten es ihm zudem, ein »guter Führer« zu werden, was er heute wehmütig bedauert. Gerne hätte er Gäste über »zwanzig, dreissig Jahre« begleitet, hätte zu ihnen eine persönliche Beziehung, eine »Freundschaft« aufgebaut und wäre mit ihnen gewachsen und alt geworden. Mit ihnen hätte er fernere Alpenregionen entdecken wollen, gerade wie die ›grossen‹ Führer, die von ihren Herren in entlegene Gebiete engagiert wurden. Das Führen der immer gleichen Touren von der Hütte aus sei »wohl eine Verdienstmöglichkeit im kleinen Rahmen« gewesen, »aber das Interessante, fortgehen und andere, andere Gebiete kennen, andere Berge, das fehlt dir«.49 Dieses Verlangen entspringt einer habituell bedingten Offenheit und einer Neugierde Neuem und Unbekanntem gegenüber, die sich im Interview verschiedentlich zeigt und mit einer gewissen Schicksalsergebenheit einhergeht. Pragmatische Entscheidungen, die in ökonomischen Restriktionen gründen, sind für diese beiden Führer also ebenso charakteristisch wie das Vorhandensein eines Ideals, was die Ausübung des Berufes betrifft. Alphons Beer konnte dieses realisieren; er zählt sich zu jenen Bergführern, die heute aus Freude und nicht wegen des Geldes führen. Friedrich Tresch hingegen blieb dies aufgrund der genannten Restriktionen bis zu einem gewissen Grad verwehrt. 6.2.2 Vom Hobby zum Beruf Eine Motivlage, die sich von jener des Verdienstes deutlich unterscheidet, zeichnet sich dadurch aus, dass über die Bergführerausbildung ein Hobby zum Beruf gemacht wurde. Sie tritt in den Interviews in zwei Varianten auf. Die eine Variante findet sich vor allem bei Männern, die beim Bergsteigen und Klettern in ihrer Jugend in abenteuerlichen Unternehmungen die Grenzen

48 Interview Friedrich Tresch (2007:1 f.). 49 Interview Friedrich Tresch (2007: 7; 10 ff.).

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des Machbaren und der eigenen Möglichkeiten ausloteten. Den mit dem erwähnten »Virus« Infizierten lag daran, diesen Sport auch als junge Erwachsene in der gleichen Intensität legitimiert weiterbetreiben zu können und damit ein Stück weit auch das Lebensgefühl der Adoleszenz ins Erwachsenenalter hinüberzuretten. »Ja, jetzt mu-, ich will gerade Bergführer werden, ich will nur noch in die Berge«50, habe sich der heute knapp 50-jährige Leo Hirter damals gesagt. Bei ihm wie auch beim Mittdreissiger Florian Lerch ging dieser Wunsch mit einer Verweigerungshaltung einem Leben in den Niederungen gegenüber einher, das als zu geordnet und als zu einschränkend empfunden wurde. Beide hatten eine Berufslehre absolviert und wären von den Eltern dafür vorgesehen gewesen, einen Familienbetrieb zu übernehmen. Diesem elterlichen Plan entzogen sie sich mit dem Absolvieren der Bergführerausbildung. »Ich hätte ein Geschäft weiterfahren sollen, eine A. [Art des Betriebs] und das, und da habe ich mich sehr schwer getan, einfach (?)(I.: Mhm.) zu sagen: ›Nein, mache ich nicht.‹ Und da habe ich irgendwie, ähm, ein bisschen etwas anderes gesucht, auch damit ich mich habe rechtfertigen können, (I.: Mhm.) ›ich gehe in die Berge‹, und das nicht a-, das einfach als Plausch angeschaut wird.«51

Anders als der mehr als zehn Jahre ältere Leo Hirter, der heute als Bergführer arbeitet, war die Bergführerausbildung für Florian Lerch lediglich eine Zwischenstation auf dem Weg zum professionellen Bergsteiger. Er ist damit einer der ersten und bis heute wenigen Bergsteiger in der Schweiz, dem es gelang, sein Hobby – das Bergsteigen und Klettern nicht als Bergführer, sondern als Bergsteiger – zum Beruf zu machen. Er lebt hauptsächlich von Sponsoren, die mit Werbeverträgen seine als extrem geltenden bergsteigerischen Projekte finanzieren. Das primäre Motiv, selbst weiterhin unbeschränkt intensiv bergsteigen zu können, geht bei Florian Lerch und Leo Hirter mit einer bis heute beschränkten Lust einher, Gäste zu führen. Florian Lerch ist am liebsten ohne »Stolperis hintendran«52 unterwegs und auch Leo Hirter fällt es nicht immer leicht, den eigenen Bewegungsdrang hinter die Interessen seiner Kunden zu stellen: Mit »fünfzig-, sechzigjährigen ›Päpple‹« zu einer Hütte zu »gwagglen«53 strapaziere

50 Interview Leo Hirter (2007: 2). 51 Interview Florian Lerch (2007: 1). 52 Interview Florian Lerch (2007: 38). »Stolperis« bezeichnet »Stolperer«. 53 Interview Leo Hirter (2007: 14). »Päpple« kommt von Papa und ist ein verniedlichender und leicht despektierlicher Ausdruck für ältere Herren. »Gwagglen« heisst wackeln und bezeichnet eine langsame, ungelenke Form der Fortbewegung.

 

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seine Geduld auch heute noch arg, meint er. Anders erging es dem Mittzwanziger Martin Schwager, der angibt, die Bergführerausbildung angestrebt zu haben, weil er – wie Lerch – »Profibergsteiger« werden wollte. Er erkannte bald, dass Gäste zu führen »etwas total Anderes« ist als selbst zu klettern, und fand Gefallen daran.54 In der zweiten Variante dieser Motivlage erscheint nicht der Wunsch, beruflich (Extrem-)Sport zu betreiben, als entscheidendes Argument, sondern vielmehr das Bedürfnis, nicht nur in der Freizeit, sondern auch beruflich »draussen« und damit »frei« sein zu können. Ähnlich wie in der ersten Variante wird auch hier das Leben in einem konventionellen Beruf als einschränkend und einengend empfunden.55 6.2.3 Das Bergführerdiplom als Konsekration Für einige Interviewte, die in der Jugend exzessiv und mit hohem Anspruch Bergsport betrieben, stellte die Bergführerausbildung eine bergsteigerische Herausforderung und die Krönung ihrer Bergsteigerkarriere dar. Mit der Inangriffnahme der Ausbildung stellten sie sich selbst auf den Prüfstand und massen sich an einer hoch angesetzten Latte. Vom Bestehen der Ausbildung erhofften sie sich, in den Olymp des Bergsteigens aufgenommen zu werden. Vom Diplom versprachen sie sich alpinistische Anerkennung. Das »Brevet« hat somit die subjektive Funktion einer Konsekration. Der rund 60-jährige Georg Koller erzählt beispielsweise, er habe früh angefangen, schwierige Touren zu machen, und hätte vermutlich an Sportkletterwettkämpfen teilgenommen, hätte es damals schon solche gegeben: »Und dann ist natürlich irgend die einzige, ja also, oder eine von den Formen, die eine Herausforderung gewesen ist, ist Bergführer.«56 Nicole Niquille ging es darum, mit der Ausbildung die eigenen Möglichkeiten auszutarieren: »C’était une envie de voir ce que j’étais capable de faire.«57 Und auch Astrid Padrutt, die damals gerade ihr Hochschulstudium abgeschlossen hatte, wollte ihre Grenzen ausloten und war von der Frage getrieben, ob sie auch Bergführerin werden könne. Es sei ihr nicht um das Erlernen eines Berufs gegangen, denn sie habe ja bereits eine »Erstausbildung« gehabt, und sie habe auch stets gewusst, »ich möchte sicher nicht mein Leben lang hundert

54 Interview Samuel Schwager (2005: 3). 55 Vgl. Kapitel 6.6.3. 56 Interview Georg Koller (2005: 2). 57 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 7). »Es war eine Lust herauszufinden, wozu ich fähig war.«

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Prozent führen«. Vielmehr war sie von der »Herausforderung« getrieben, herauszufinden, ob sie den Anforderungen genügen würde, und vom Ehrgeiz, die entsprechende Anerkennung in Form des »Pins« zu erhalten.58 »Also es wäre falsch zu sagen, dass es jetzt nur einfach, ähm, weil ich habe führen wollen und so, das, ich habe schon führen wollen, ich habe auch gerne geführt, aber, oder ich mache es jetzt noch gern. Aber das ist schon ein Teil gewesen, also (eben dieser Pin) (I.: Mhm.) und diese Anerkennung und dass es etwas Besonderes ist, dass, dass, dass das eine Auszeichnung ist und so.«59

Sich sportlich an anderen Bergsteigern oder aber an einem idealisierten Bild des charismatischen Bergführers zu messen, steht bei dieser Motivlage im Vordergrund. Die Bergführer, bei denen sie rekonstruiert werden kann, verfügten zum Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns über eine überdurchschnittlich hohe Ausbildung, häufig ein Universitätsstudium, und wurden allesamt nach 1940 geboren. Viele von ihnen verfolgten angeblich nie das Ziel, hauptberuflich als Bergführer tätig zu sein, und sind es heute auch nicht. Sie haben sich heute in ihrem Erstberuf etabliert und führen nicht mehr oder nur noch selten. Dass Georg Koller mit einer gewissen Distanz von seiner damaligen Faszination erzählt, den der »Mythos« auf ihn ausgeübt habe, die »Illusio«60 des Feldes also nicht (mehr) unhinterfragt teilt und reproduziert, ist charakteristisch für diese Motivlage. Trotz der beschränkten beruflichen Aktivität als Führer und der Distanz, die sie zum Beruf einnehmen, identifizieren sich diese Personen typischerweise aber nach wie vor – häufig sogar stark – mit dem Bergführerberuf. Obwohl, wie die Analysen zeigen, das Motiv der Anerkennung für viele Interviewte bei der Entscheidung für die Ausbildung mitspielte, gilt es im Feld – im Gegensatz etwa zu jenem der Berufung – als illegitim. So stört sich beispielsweise Caroline Bratschi an Bergsteigern – meist seien es Städter – die nicht vorhaben, vom Beruf zu leben, sondern die Ausbildung lediglich zur Erlangung von »Prestige« absolvieren würden. Nicht ohne Zynismus schlägt sie vor, für diese Leute spezielle Kurse anzubieten und ihnen als Auszeichnung eine Medaille abzugeben, auf der »Harry Hirsch im Bergsteigen« steht.61 Ähnlich kritisch äussert sich auch Florian Lerch, der selbst nicht in einer Bergregion aufwuchs, über solche ›Prestigebergführer‹. Während sich Caroline Bratschi als

58 Interview Astrid Padrutt (2007: 1 f.). 59 Interview Astrid Padrutt (2007: 4). 60 Bourdieu (1999b: 360 ff.; 515 ff.) 61 Interview Caroline Bratschi (2007: 43).

 

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Berglerin von den Städtern abgrenzt, distinguiert sich Florian Lerch von Frauen und ›verweiblichten‹ Männern, denen es so wichtig sei, »mit dieser Brosche« herumlaufen zu können.62 6.2.4 Zum Bergführer bestimmt Für die vierte Motivlage ist das Gefühl zentral, für den Bergführerberuf bestimmt zu sein. Auch hier lassen sich zwei Varianten unterscheiden. Die eine findet sich beim jungen Zermatter Fabio Clausen, der sich in die »Tradition« einer Bergführerfamilie, eines alpinistisch renommierten Dorfes sowie des Bergführerberufs an sich stellt. Er beschreibt es als selbstverständlich, dass er aufgrund seiner Herkunft das Bedürfnis verspürte, diese Tradition fortzuführen. Das Bergführerbrevet ermöglicht es ihm, als »Horeführer«63 zentraler Akteur in der von Touristen wahrgenommenen und bestaunten Szenerie zu sein. Der Rekurs auf die Verankerung in der Tradition ist konstitutiver Teil dieser Selbstdarstellung.64 Während Fabio Clausen den Ursprung seiner Bestimmung in der Erzählung historisch um viele Jahrzehnte zu seinen männlichen Vorfahren und zu den frühen Zermatter Bergführern zurückverlegt, lokalisieren die Bergführerinnen und Bergführer der zweiten Variante das erstmalige Auftreten des Berufswunsches in ihrer Kindheit oder frühen Jugend und machen eine Berufung geltend. Typischerweise erzählen sie von einem Erlebnis, auf das sie ihren Wunsch, Bergführerin oder Bergführer zu werden, zurückführen. Dabei kann es sich um einen länger dauernden Prozess handeln, etwa um eine Konversionserfahrung, wie sie Lukas Jacobi schilderte, oder aber es wird ein Erweckungserlebnis erzählt, wie es – besonders deutlich – Anja Hunziker tut: »Ähm, bin dann relativ früh mit zwölf schon, in so, äh, Bergsteigerwochenenden und äh, bin dann einmal vom Bergführer zuvorderst ans Seil gebunden worden, und habe gefunden: ›Das ist es, das möchte ich.‹ Und habe dann den gefragt: ›Wie werde ich Bergführer wie du?‹ Und er hat mir gesagt: ›Ja, du musst das einfach machen.‹ Und dann habe ich mir das vorgenommen mit zwölf, ich muss das einfach machen, oder.«65

62 Interview Florian Lerch (2007: 12); vgl. Kapitel 7.1.3. 63 Als »Horeführer« werden Bergführer bezeichnet, die primär davon leben, Gäste auf das Matterhorn zu führen. 64 Interview Fabio Clausen (2007: 1 ff; 43). 65 Interview Anja Hunziker (2005: 1).

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Das Gefühl der Berufung bezieht sich bei dieser zweiten Variante auf das Führen von Menschen. Meist bleibt es nicht auf das Zuvorderst-am-Seil-angebundenSein, das Vorangehen und das Fällen von Entscheidungen beschränkt, sondern impliziert auch eine menschliche oder – wie bei Lukas Jacobi – sogar gesellschaftliche Führungsverantwortung, die sich diese Bergführerinnen und Bergführer zuschreiben. Für beide Varianten dieser Motivationslage gilt, dass die Berufung mit einem Gefühl des Auserwähltseins einhergeht. Bergführerinnen und Bergführer sind demnach der Masse der ›normalen‹ Leute enthoben.

6.3 E XKURS : O BER -

VERSUS

U NTERLÄNDER

Ein Unterschied zwischen Alphons Beer und Lukas Jacobi betrifft ihre geografische Herkunft. Alphons Beer wuchs in einem touristischen Bergdorf auf, in dem er bis heute lebt und tätig ist. Lukas Jacobi hingegen wurde in einer Stadt geboren und lebt auch heute noch in einer solchen. Verschiedentlich trat die Unterscheidung zwischen Berglern und Unterländern in den bisherigen Ausführungen zutage. Sie erscheint auch in den Interviews, es beziehen sich aber weder alle Interviewten darauf, noch ist die Form der Bezugnahme einheitlich. Die Kategorisierungen sind vielfältig und variabel. Alphons Beer unterscheidet Bergführer, die aus seiner touristischen »Station« kommen, von den anderen. Er schreibt das klassische Bergsteigen mit Pickel, Steigeisen, Kompass und Höhenmesser den ›wahren‹ Bergführern aus den Hochgebirgsregionen zu, das »Kunst-Sportklettern« hingegen solchen, die nicht aus diesen Gebieten kommen. Bergführer ist in seinen Augen nicht gleich Bergführer. Ein Bergtourismusdorf wie Saas Fee ist auf einheimische Bergführer angewiesen und soll Führer nicht »auswärts« holen müssen, ist er überzeugt. Dabei gilt alles ausserhalb seines Tals als auswärts. Es ist zu vermuten, dass auch der »Typ« Mann, von dem er sagt, er sei fürs Führen geeignet, eher unter Berglern als unter Städtern zu finden ist. Explizit auf den Berg-Stadt-Unterschied bezieht sich die ebenfalls aus einem touristischen Bergdorf stammende Caroline Bratschi: Sie konstatiert, dass Menschen aus Gebirgsregionen den Bergführerberuf ergreifen, weil sie davon leben wollen, während viele Städter den Titel lediglich aus Prestigegründen anvisieren. Unterländern schreibt sie neben einer solch illegitimen Berufsmotivation auch ein »ganz anderes Verständnis« der Berge und des Bergsteigens zu. Im Gegensatz zu den Menschen, die das ganze Jahr in den Bergen lebten und sich tagtäglich mit ihnen auseinandersetzen, erlebten Unterländer »die ganze Bergwelt oft einfach nur so am Wochenende als Hobby«. Ihnen mangle es deshalb am »Ge-

 

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spür« für die Berge. Dieses Gespür beschreibt sie als auf Intuition basierende, rational nicht erklärbare Eingebung, die sie in bestimmten Situationen die richtige Entscheidung treffen lasse. »Wenn du hier mit den Bergen aufgewachsen bist und so verwurzelt bist, dann spürst du solche Sachen.« Die Unterländer hätten zudem häufig weniger Respekt vor den Bergen und würden diese lediglich als Spielplatz betrachten.66 Lukas Jacobi beruft sich nicht auf eine Dichotomie Ober- versus Unterländer. Er habe die Ausbildung in einer Zeit des Umbruchs absolviert, in der Unterländer nicht mehr benachteiligt worden seien, und auch in seinem Berufsalltag stelle er keine Benachteiligungen fest, zumindest nicht solche, die ihn stören würden, erwidert er auf eine entsprechende Frage der Interviewerin. Auch der Ende der 1970er-Jahre geborene Samuel Schwager verwehrt sich solchen Kategorisierungen. Unterschiedliche Führungsstile schreibt er nicht der geografischen Herkunft, sondern historischen Veränderungen zu. Früher sei ein Bergführer »der knurrlige Bergmensch« gewesen, »der vorne dran gelaufen ist, sehr verschlossen ist, praktisch nichts gesagt hat, der Job ist wie ein Tramchauffeur gewesen, du nimmst deine Leute auf und kippst sie wieder ab«. Ziel war der Gipfel und »alles dazwischen ist egal gewesen«. Im »modernen Führungsstil« hingegen sei »das Kommunizieren« viel wichtiger. In der Ausbildung habe er zwar manchmal das Gefühl gehabt, dass für ihn als Unterländer die Hürden etwas höher gewesen seien als für einen im Wallis Geborenen mit einschlägigem Nachnamen. Im Berufsalltag hingegen habe er »schlichtweg noch keine bösen Erfahrungen gemacht«. Als Bergführer werde er von seinen Berufskollegen ernst genommen, wobei sich das gegenseitige Interesse in Grenzen halte. Passiere ihm jedoch der kleinste Fehler, so höre er schnell: »Äh, diese huere Flachlandpiraten!«67 Der über dreissig Jahre ältere Georg Koller, der die Ausbildung Anfang der 1970er-Jahre absolviert hat und der älteste nicht in einer Bergregion aufgewachsene Bergführer des Samples ist, bemerkt, er sei damals in der Ausbildung ein »Aussenseiter« gewesen. Zwar sei er im kombinierten Gelände tatsächlich weniger erfahren gewesen als seine Kollegen aus Bergregionen, hingegen habe er im Unterland das ganze Jahr hindurch klettern trainieren können. Dies habe dazu geführt, dass er im Klettern wesentlich besser gewesen sei als viele Bergler, was wiederum von diesen kaum zur Kenntnis genommen worden sei.68

66 Interview Caroline Bratschi (2007: 45 f.). 67 Interview Samuel Schwager (2005: 11 f.; 36). »Huere« kommt von »Hure«. Als Adjektiv kann es an dieser Stelle mit »verdammten« übersetzt werden. 68 Interview Georg Koller (2005: 5 f.).

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An die Stelle der Unterscheidung zwischen Ober- und Unterländern treten teilweise in den Interviews andere Kategorisierungen. Lilian Irniger beispielsweise differenziert nicht zwischen Berglern und Städtern, sondern zwischen den eher »urchigen« Führern, den »Handwerkern« und den »Intellektuellen«. Früher hätten die »Urchigen« über die »Intellektuellen« geschimpft, die »nur gut reden können«, heute seien diese »zwei Lager« lediglich noch »unterschwellig« vorhanden.69 In einer anderen Kategorisierung, die beim knapp 50-jährigen Daniel Imsteg auftritt und in den Interviews verbreitet ist, tritt an die Stelle der Oberund Unterländer-Dichotomie jene zwischen den Führerinnen und Führern, die hauptberuflich vom Führen leben, und den »Gelegenheitsbergführern«70: »Ich kenne mehrere Unterländer, die voll führen, seit Jahren und Jahren (I.: Mhm.) und da sieht man im, im Denken oder in der Art, wie man führen tut, eigentlich keinen grossen Unterschied, (I.: Mhm.) das ist eigentlich das Identische.«71

Weit stärker als die Herkunft sei ausschlaggebend, ob jemand »hauptberuflich« führt und »damit sein Einkommen bestreitet«, oder ob er irgendwo »in einem Angestelltenverhältnis« steht und lediglich hin und wieder zum Pickel greift. Wer vom Führen lebe, habe automatisch ein ähnliches »Gedankengut«, meint der in einer Gebirgsregion aufgewachsene Imsteg.72 Unterländer, die hauptberuflich als Führer tätig sind, werden mit dieser Deutung in die Gruppe der ›richtigen‹ und ›echten‹ Führer eingeschlossen. Dabei werden ihnen auch Eigenschaften zugeschrieben, die in anderen Zusammenhängen Berglern vorbehalten bleiben. So reklamiert etwa der ursprünglich aus dem Unterland stammende Anton Richenberger aufgrund seiner langjährigen Erfahrung für sich jenes unerklärliche »Gefühl« und »Sensorium«, das ihn in brenzligen Momenten rational nicht begründbare, aber richtige Entscheidungen fällen lässt – also jenes »Gespür«, das Caroline Bratsche lediglich Berglern attestiert.73 Das »Gefühl« erscheint bei Richenberger nun mehr als auf Erfahrung beruhender, professioneller Zug im beruflichen Handeln denn als quasi-angeborene Begabung. Es erinnert an die von Stichweh beschriebene »Intuition«, welche im professionellen

69 Interview Lilian Irniger (2007: 22). 70 Interview Lukas Jacobi (2007: 35). 71 Interview Daniel Imsteg (2006: 19). 72 Interview Daniel Imsteg (2006: 19; 14; 16). 73 Interview Anton Richenberger (2007: 48 ff.).

 

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Handeln die Lösung von Problemsituationen ermöglicht, für die kein erprobtes Wissen zur Verfügung steht, auf das zurückgegriffen werden könnte.74 Die Dichotomie zwischen Unter- und Oberländern, auf die sich heute nur noch wenige Führer explizit berufen, bricht teilweise in den bisweilen polemisch geführten Diskussionen um das Heliskiing wieder auf.75 Wenn Lukas Jacobi den Bergführerinnen und Bergführern, die behaupten, finanziell auf das Heliskiing angewiesen zu sein, Faulheit vorwirft, so hat er dabei implizit Führer bestimmter Bergregionen vor Augen. Umgekehrt wendet sich der junge Zermatter Führer Fabio Clausen explizit gegen die Städter, wenn er sich über Berufskolleginnen und Aktivisten enerviert, die ihm und seinen Berufskollegen das Fliegen verbieten möchten, mit dem sie im Winter 80 Prozent ihres Einkommens generierten. Als Zermatter Führer, der ›seine‹ Berge für sich reklamiert, wendet er sich an die Zürcher, die stellvertretend für alle Unterländer stehen: »Ich gehe auch nicht an den Zürichsee sagen, wie schnell die Bötchen fahren dürfen. (I.: Mhm.) Das ist nicht meine, (I.: Mhm.) mein Ort [schmunzelt].«76

Mit dieser Aussage konfrontiert, meint der Städter Lukas Jacobi: »Die Alpen gehören nicht denen, die irgendwo gerade dort wohnen«, und das Matterhorn gehöre nicht den Wallisern. Er widersetzt sich damit dem Besitzanspruch mancher Bergler auf ›ihre‹ Berge und gibt zu verstehen, dass er sich als vollwertigen und ›richtigen‹ Bergführer betrachtet, dem die Berge ebenso oder vielmehr ebenso wenig gehören wie den Einheimischen. Während Clausen die Dorfgemeinschaft als Eigentümerin der Berge betrachtet, gehören die Berge nach Jacobi der ganzen Gesellschaft. Die grosse Mehrheit der Interviewten – dies sei an dieser Stelle vermerkt – schlägt sich in der Frage des Heliskiings weit weniger eindeutig auf die eine oder andere Seite. Kritisch äussern sich am ehesten jene, die weder in Berggebieten aufgewachsen sind, noch dort leben, oder Interviewte, die im Feld eine Sonderposition einnehmen und sich deshalb kritische Äusserungen erlauben können. Meist aber schlagen die Führerinnen und Führer moderate Töne an und plädieren im Sinne eines Kompromisses für die Aufrechterhaltung des Status quo, also dafür, weder Gebirgslandeplätze zu schliessen noch neue zu eröffnen, womit sie weder die Interessen der Verfechter noch jene der Kritiker

74 Stichweh (1994: 296 f.). 75 Zu den Diskussionen um das Heliskiing vgl. Kapitel 3.6. 76 Interview Fabio Clausen (2007: 14).

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allzu sehr torpedieren und der offiziellen Linie des Berufsverbands entsprechen.77

6.4 D IE B EZIEHUNG ZUM G AST Nachdem der Frage nachgegangen wurde, wie heutige Bergführerinnen und Bergführer zum Bergsteigen kamen und was sie dazu bewegte, die Bergführerausbildung absolvieren zu wollen, wird nun die Beziehung zwischen ihnen und den Geführten in den Blick genommen. Es wird ergründet, wie die Interviewten diese Beziehung deuten, welche Rollen sie sich und ihrem Gegenüber zuschreiben und wie sie ihren Auftrag interpretieren. Aufgrund der geführten Interviews lassen sich bezüglich dieser Frage vier Bergführertypen unterscheiden. Der erste Typ versteht sich als Bergführer im klassischen Sinne, der auswärtige Gäste auf seine Berge führt, die er als Stück seiner Heimat versteht. Der zweite Typ hat ein pädagogisches Selbstverständnis und sieht sich neugierigen Lernenden gegenüber, denen es etwas beizubringen gilt. Dieses pädagogische Selbstverständnis trägt, wie sich zeigen wird, bisweilen gar therapeutische Züge. Der dritte Typ hat primär die ganze Gruppe, die er führt, im Blick. Er sieht seine Aufgabe darin, fallverstehend auf jedes Gruppenmitglied einzugehen und so aus der heterogenen Gruppe ein »Team« zu machen, das gemeinsam ein gesetztes Ziel erreicht. Der vierte Typ schliesslich zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Bergführerin als Dienstleistungserbringerin versteht, die den Kunden ein Angebot verkauft. Bevor auf diese vier Typen eingegangen wird, soll aufgezeigt werden, wie die Bergführerinnen und Bergführer überhaupt ihre Gäste rekrutieren. Anschliessend an die Darstellung der vier Typen folgen schliesslich einige professionalisierungstheoretische Überlegungen zur Beziehung zwischen der Bergführerin oder dem Bergführer und dem Gast. 6.4.1 Gewinnen von Gästen In den Interviews wird deutlich, dass sogenannte Stammgäste für viele Bergführerinnen und Bergführer einen wichtigen Stellenwert haben. Lukas Jacobi bei-

77 Vgl. SBV (1998: 7). In den letzten Jahren weitete sich die Diskussion zum Einsatz von Helikoptern im Bergsport auf das geführte Bergsteigen im Sommer aus. Stein des Anstosses waren Zermatter Bergführer, die mit ihren Gästen einen Teil der Touren fliegend absolvieren. Zu dieser Praxis äusserte sich der aktuelle Präsident des SBV dezidiert ablehnend (Schmid 2010).

 

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spielsweise erzählt im März, dass er für das kommende Jahr bereits voll und für das darauffolgende teilweise ausgebucht sei. Viele seiner Gäste seien mittlerweile Kollegen oder gar Freunde geworden, so dass es ihm schwerfallen würde, ihnen abzusagen. Bei Eugen Albertin, der zuerst Skilehrer war, sollen es gar seine Skischüler gewesen sein, die ihn dazu ermunterten, die Bergführerausbildung zu machen, weil sie sich von ihm auf Skitouren führen lassen wollten. Und auch Astrid Padrutt spricht von Stammgästen, wenn sie meint, als Führerin habe man Gäste, die zu einem passen, »die anderen gehen ja wieder und die kommen nicht mehr«78. Einerseits wird mit den Beteuerungen der Freundschaften zwischen Führer und Gast ein Ideal reproduziert, das sich bereits in den (Auto-)Biografien zeigte, andererseits scheinen Stammgäste – wie nicht zuletzt auch Feldbeobachtungen zeigen – tatsächlich wichtig und weit verbreitet zu sein. Neue Gäste werden über verschiedene Wege gewonnen: Viele Bergführerinnen und Bergführer leiten hin und wieder Kurse und Touren für Bergsportschulen. Dabei scheint es sich nicht selten zu ergeben, dass Gäste, die sich über die Ausschreibung einer solchen Schule für einen Kurs oder eine Tour angemeldet haben, mit der Führerin zufrieden sind und diese für spätere Touren privat engagieren. Viele – vor allem jüngere – Bergführer werben mit eigenen Prospekten, Mailings oder einer Homepage für sich und ihre Angebote. In manchen stark frequentierten Bergtourismusorten existieren zudem Bergführerbüros, die interessierte Alpinisten an Bergführerinnen vermitteln. Schliesslich erzählen verschiedene Interviewte auch, dass ihnen Berufskollegen, die für den betreffenden Zeitraum bereits ausgebucht sind, Gäste vermitteln. Ist der Gast mit dem neuen Führer zufrieden, ist es gut möglich, dass er zu einem neuen Stammgast wird. Diese sich aus den Interviewanalysen ergebende Befunde werden durch die SBV-Umfrage aus dem Jahr 2004 gestützt. Durchschnittlich gaben die Befragten an, es habe sich bei rund 54 Prozent ihrer Kundschaft um »Stammgäste« gehandelt. Rund 11 Prozent wurden durch eigene Werbung gewonnen, 12 Prozent machten Kundinnen und Kunden von Bergsportschulen aus und 9 Prozent der Gäste wurden von Bergführerbüros vermittelt.79 18,1 Prozent der Befragten druckten ein eigenes Tourenprogramm, 38,4 Prozent beteiligten sich an einem Programm etwa einer Bergsportschule und 20,4 Prozent betrieben damals schon eine eigene Homepage, auf der sie ihr Tourenprogramm ausschrieben.80 Beob-

78 Interview Astrid Padrutt (2007: 40). 79 Die restlichen 14 Prozent verteilen sich auf Zuweisungen von anderen Bergführern, Homepage des SBV, Verkehrsverein, Hotel, Sportgeschäfte, Schneesportschule und andere (SBV 2004: 5). 80 SBV (2004: 4).

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achtungen lassen darauf schliessen, dass besonders der Anteil der Führerinnen und Führer mit eigener Homepage heute weit höher liegt als in der Umfrage. Wie aber wird nun die Beziehung zwischen Führer und Gast von den Interviewten interpretiert? 6.4.2 Der einheimische Führer Der ›klassische‹ Bergführer, wie er in den untersuchten Bergführerbiografien und -autobiografien gerne gezeichnet wurde, fungiert als Ideal, an dem sich der erste Typ orientiert. Dieser Typ ist in einem Bergtourismusort aufgewachsen und identifiziert sich mit diesem Ort, mit dessen touristischer Vermarktung sowie mit den Bergen, mit denen er sich verwachsen fühlt und auf die er einen ideellen Besitzanspruch erhebt. Als Bergführer betrachtet er sich als Primus inter Pares jener Personen, die im Tourismus tätig sind und sich um die Touristen, die »Gäste« kümmern. Dieser Bergführer ist entsprechend stolz, seiner Berufsgruppe anzugehören. Seine Gäste reisen meist aus dem Unterland in den Ort, an dem er tätig ist. Ihnen zeigt er das Höchste und Schönste, das seine »Heimat« – die gerne auch als solche bezeichnet wird – zu bieten hat: die hohen, imposanten Berge. Dabei ermöglicht er ihnen ein unvergessliches Erlebnis und behandelt sie im wortwörtlichen Sinne als »Gäste«. Er ist bemüht darum, seinen Gästen zuvorkommend, anständig und mit einer gastfreundlichen Haltung zu begegnen, gerade so, wie es von seinen Berufsvertretern in den ersten Reglementen, aber beispielsweise auch im Bergführer-Knigge »Im Umgang mit seinem Gast«81 verlangt worden war. Ein idealtypischer Repräsentant dieses Typs ist Alphons Beer, der in Kapitel 5 ausführlich portraitiert wurde. Dieses Berufsverständnis ist aber nicht nur bei älteren Führern wie ihm festzustellen, es findet sich vereinzelt auch bei jüngeren Personen, etwa beim etwa 25-jährigen Zermatter Fabio Clausen. Clausen stellt die Tatsache, dass er Bergführer wurde, als ›natürliche‹ Konsequenz der Umstände dar, in denen er aufgewachsen ist. Als Urenkel und Sohn eines Bergführers gibt er sich als jüngster Spross einer Bergführerdynastie, der von Geburt an für den Beruf bestimmt war und so eine Familientradition weiterführt. Das Bergsteigen beschreibt er als Tätigkeit, die er sich als »Bergbub« naturwüchsig aneignete. Er komme eher in der Stadt unter ein Auto, als dass er von einer ausgesetzten Felsplatte falle, habe seine Mutter besorgten Touristinnen jeweils gesagt, wenn er als Kind vor deren Augen gefährlich herumgeklettert sei. Schliesslich weist Clausen auch auf die Verbundenheit seines Dorfes mit dem

81 Bohren/Grundisch/Strässle (1993).

 

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Tourismus hin. Als Zermatter wolle man »den Leuten auch unsere Natur oder unsere Berge nahebringen können«82. Wie bereits bei der Frage des Heliskiings deutlich wurde, gibt Clausen mit dem besitzanzeigenden »Unsere« zu verstehen, dass er für sich und das Kollektiv, dem er sich zugehörig fühlt, ideellen Besitzanspruch auf die Berge um Zermatt und besonders auch auf das Matterhorn, das »Hore« erhebt. Auf dieses führt er seine Gäste denn auch am liebsten: »Das Hore, das ist etwas Spezielles. (I.: Mhm.) Das ist einfach, jaa, es ist schon ein bisschen ein Aushängeschild und da ist man vielleicht schon stolz, wenn man eben ein Horeführer ist [beide lachen]. Kann sein.«83

Nicht die Formschönheit des Berges, der besonders reizvolle Kletterfels oder die eindrückliche Aussicht, wie sie Alphons Beer beschreibt, machen für ihn den primären Reiz des Matterhorns aus, sondern die symbolische Bedeutung des Bergs als »Aushängeschild« Zermatts und der Schweiz. Fabio Clausen ist ebenso stolz, ein Zermatter zu sein, wie zur »Familie«84 der Bergführer zu gehören. Besonders stolz aber macht es ihn, ein »Horeführer« zu sein, also ein Bergführer, der einen der wohl weltweit bekanntesten Berge wie seine Westentasche kennt und an ihm zu Hause ist. Zermatt, das Matterhorn und die Zermatter Bergführer sind in seiner Vorstellung hochgradig symbolisch aufgeladen. Als »Horeführer« verkörpert er dieses symbolische Kapital und reproduziert es in seinem Alltag, aber auch in der Erzählung im Interview. Ein Bergführer ist in seinen Augen das wichtigste Element in der Kette der Tourismusangestellten. Als Bergführer, wie auch als Skilehrer, der er auch ist, sei man »viel näher am Gast als zum Beispiel äh, ein Hotelier«85. Diese Nähe und das Ansehen, das ihm der Berufstitel gegenüber den Einheimischen im Dorf, aber auch gegenüber den Gästen verleiht, geniesst er. Gerne trage er den »Pin«, das Bergführerabzeichen, und die offizielle Bergführerjacke, um als Bergführer erkennbar zu sein. Wenn er dann als Bergführer angesprochen und um Auskünfte gebeten wird, fühlt er sich geehrt:

82 Interview Fabio Clausen (2007: 1). 83 Interview Fabio Clausen (2007: 44). 84 Interview Fabio Clausen (2007: 6). 85 Interview Fabio Clausen (2007: 33).

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»Wenn ich auf die Bahnen komme oder so, die Gäste fragen immer, äh, Sachen, sei es (I.: Mhm.) über Gletscher, ah, wieso und warum, (I.: Mhm.) oder das Wetter, und (I.: Mhm.) es ist einfach so bisschen, ja: (I.: Mhm.) ›Der muss das wissen.‹ [lacht]«86

Er entwirft sich als Einheimischer, der die Bergwelt versteht, die für Unterländer rätselhaft und erklärungsbedürftig erscheint. In seiner Arbeit mit dem Gast sind ihm zwei Aspekte wichtig, wie seine Ausführungen auf die Frage der Interviewerin verraten, was für ihn ein guter Bergführer sei: »Ein guter Bergführer? (I.: Mhm.) Einer, der Geduld hat, (I.: Ja.) einer der mit den Gästen kann, es kann, also, der Anstand hat, der zuvorkommend ist mit den Gästen, das ist für mich ein guter Bergführer, natürlich auch technisch, (I.: Mhm.) äh, drauf ist, he, (I.: Mhm.) der die Gefahren sieht und richtig einschätzen kann.«87

Abgesehen davon, dass er »technisch« auf der Höhe sein und Gefahren richtig einschätzen können muss, soll er den Gästen gegenüber »Geduld« und »Anstand« haben und sich ihnen gegenüber »zuvorkommend« verhalten – Eigenschaften, die uns von Alphons Beer und entsprechenden normativen Satzungen und Postulaten in Bergführerreglementen und anderen Dokumenten bekannt sind. Schliesslich gehört zu seinem Bild eines in seiner »Heimat« verwurzelten Bergführers, wie er einer ist, auch, dass er jüngeren Einheimischen, aber auch Gästen »Geschichten« erzählen kann. Bergführer zu sein bedeute für ihn schliesslich, »Leuten eine Freude zu machen, eine grosse Freude zu machen, Lebensträume zu erfüllen« – Lebensträume wie etwa die Besteigung des Matterhorns. Dabei entsteht mitunter auch eine sehr persönliche »Beziehung« zu den Geführten.88 Alphons Beers Biografie und sein Selbstverständnis als Bergführer entwickelten sich im Gleichschritt mit dem Tourismus seines Dorfes und vermitteln in der Erzählung den Eindruck des Authentischen. Der um rund fünfzig Jahre jüngere Fabio Clausen beruft sich ostentativ beschwörend auf eine Tradition, die er im Rekurs darauf auch konstruiert. In seinem Alltag, aber auch in der Narration des Interviews beteiligt er sich aktiv an der Konstruktion und Reproduktion der Mythen, von denen Zermatt lebt, und damit an dessen Vermarktung.

86 Interview Fabio Clausen (2007: 20). 87 Interview Fabio Clausen (2007: 45 f.). 88 Interview Fabio Clausen (2007: 6; 19; 33).

 

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6.4.3 Das Vorbild mit therapeutischem Potential Dass das Selbstverständnis, den geführten Leuten ein Erlebnis zu vermitteln und ihnen damit eine Freude zu bereiten, das sich beim ersten Typ zeigte, nicht als eigenständiger Typ dargestellt wird, liegt erstens daran, dass es sich durch sozusagen alle Interviews zieht.89 Zweitens zeigt sich, dass es selten ›pur‹ auftritt. Kaum einer Bergführerin geht es ausschliesslich darum, den Gästen eine Freude zu machen. In den allermeisten Fällen besteht der Anspruch, ihnen noch etwas Zusätzliches mitzugeben. Nicht immer ist dieses Zusätzliche aber derart normativ aufgeladen und nicht immer wird es derart explizit formuliert wie von den im zweiten Typ zitierten Interviewten. Der zweite Bergführertyp wird vom in Kapitel 5 portraitierten Lukas Jacobi nahezu in Reinform repräsentiert. Nicht immer waren die eigenen Erlebnisse, die der Bergführer oder die Bergführerin dieses Typs in der Jugend oder als junger Erwachsener in den Bergen hatte, allerdings derart einschneidend, dass sie zu einer Konversion führten, wie dies bei Jacobi rekonstruiert werden konnte. Stets aber werden sie ex post als positiv, prägend und folgenreich erinnert. Für den rund 40-jährigen Eugen Albertin etwa war es ein »Lebensgefühl«90, das er in den Bergen durch seine damals etwas älteren Kollegen vermittelt bekam. Und Georg Koller stellt rückblickend mit einem selbstanalytischen Blick fest, das Bergsteigen wie auch die Bergführerausbildung seien für seine »Persönlichkeitsentwicklung«91 wichtig gewesen. Solche Erlebnisse sind es, die dem Selbstverständnis dieses Bergführertyps noch heute zugrunde liegen. Die Gäste ans Seil zu binden, auf den Gipfel und wieder hinunter zu führen, wie das ›klassische Führen‹ bisweilen polemisch beschrieben wird, entspricht nicht dem Ideal dieses Bergführers. Auch ist ihm nicht an Gästen gelegen, die sich in seine Hände begeben und das eigene Denken ausschalten. Er zieht es vor, sie auszubilden; er schätzt Leute, die etwas lernen wollen und mitdenken. Das, was er weitergeben möchte, umfasst bergsteigerisches Wissen und Können sowie Wissen zu Geografie, Geologie, Gletschern, Pflanzen oder Tieren. Es beschränkt sich jedoch nicht darauf, sondern bezieht sich stets auch auf eine Haltung den Bergen und der Natur sowie dem Leben ganz allgemein gegenüber. Dem rund 25-jährigen Samuel Schwager beispielsweise ist es wichtig, Rücksichtnahme auf die Natur vorzuleben und weiterzugeben, was etwa bedeutet, dass er seine Gäste darauf hinweist, im Gebirge keine Abfälle zurückzulassen

89 Zum Anspruch des Verbreitens von »Freude« vgl. Kapitel 6.4.6. 90 Interview Eugen Albertin (2007: 3). 91 Interview Georg Koller (2005: 16).

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oder – wo möglich – den öffentlichen Verkehr zu benutzen. Weiter möchte er die Leute dazu anhalten, »nicht einfach darauf los [zu] ›rueche‹ [sich grob verhalten]«, sondern den Berg und die Natur zu »spüren« und zu beobachten.92 Auch dem 40-jährigen Jean-Michel Thuillard ist es ein Anliegen, den Gästen vorzuleben, »qu’on peut faire des choses euh, assez en respect avec la nature«, gleichzeitig geht es ihm aber auch um den Geist und die Vision, die mit dem Bergsteigen verbunden werden, und um das Interesse, das man den Bergen entgegen bringt.93 Obwohl viele Bergführer dieses Typs ökologische Überlegungen äussern, handelt es sich selten um dezidiert umweltschützerische Positionierungen, wie sie bei Lukas Jacobi festzustellen sind. Samuel Schwager sagt von sich, er sei kein »grüner Daumen«94, und auch nach Thuillard bedeutet eine respektvolle Haltung gegenüber der Natur nicht, dass man ein »écolo«, ein Grüner sei. Es liege aber einfach in der Natur der Sache, dass man als Bergführer die schönen Dinge, die man sehe, bewahren möchte: »Mais ça veut pas dire qu’on est des écolos. Mais c’est clair qu’un guide, c’est un petit peu quelqu’un qui-, qui est porté sur l’écologie, parce qu’en allant en montagne, il voit des choses euh, préservées de la main de l’homme, [I.: Mhm] il voit des belles choses, [I.: Mhm] et puis il aimerait les garder.«95

Die teilweise explizite Abgrenzung von politisch grünen Positionen lassen sich aus dem schon mehrfach aufgetauchten Spannungsfeld zwischen Schutz und Nutzung der Natur erklären, das für den Alpinismus und gerade auch für den Bergführerberuf typisch ist. Neben der Haltung der Natur gegenüber ist es aber auch eine allgemeine »Lebensphilosophie«, wie Jacobi sie nennt, die sich der Führer oder die Führerin im Laufe der Jahre selbst angeeignet hat und die er oder sie weitergeben möchte. In etwas anderer Weise als bei Jacobi tritt dies bei Vinzenz Stocker zutage, der regelmässig Führungskräfte der Armee ausbildet, unter anderen auch solche nichtschweizerischer Truppen, die gerade aus einem Kriegseinsatz etwa in Irak

92 Interview Samuel Schwager (2005: 10). 93 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 14). »[…] dass man Dinge äh, ziemlich in Einklang mit der Natur machen kann […].« 94 Interview Samuel Schwager (2005: 10). 95 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 16). »Aber das heisst nicht, dass wir Grüne sind. Aber es ist klar, dass ein Führer ein bisschen jemand ist, der von der Ökologie angetan ist, weil, indem er in die Berge geht, sieht er Dinge, die vom Menschen verschont geblieben sind, er sieht schöne Dinge und dann möchte er diese erhalten.«

 

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oder Afghanistan kommen. Sein Anspruch sei es, ihnen nicht nur Seilknoten beizubringen, sondern sie zum Nachdenken anzuhalten. Hin und wieder sage er: »Halt! Fünf Minuten, jeder liegt ab und schaut in eine Blume rein.« Oder auf dem Gipfel angekommen: »Jetzt wird einmal zehn Minuten nicht ›gschnoret‹ [geredet]. Jeder ›hockt‹ [sitzt] alleine, zehn Meter auseinander und tut über sich und da wo er ist und da wo er hin will ein bisschen nachphilosophieren.« So militärisch die Befehle klingen und so widersprüchlich es ist, Kontemplation per Befehl verordnen zu wollen – Stockers Anspruch ist es, damit die »Lebendphilosophie«, die für ihn das Bergsteigen ausmacht, weiterzugeben. Er möchte seine Kursteilnehmer bewusst werden lassen, dass sie »als Mensch auch Teil vom Ganzen« sind, ihnen »andere Werte« mitzugeben und sie sich mit sich selbst auseinandersetzen und sich selbst »finden« lassen. Beim Runterschauen vom Gipfel etwa sollen sie »eine gewisse Distanz« zum Tal und zu eigenen Problemen – etwa erlebten Kriegstraumata – gewinnen. Stockers Anspruch wird damit auch zu einem therapeutischen. Er möchte seinen Kursteilnehmern nicht nur etwas beibringen, sondern sie bis zu einem gewissen Grad therapieren. Menschen, die aufgrund des Erlebten nicht mehr schlafen können, mit sich selber Mühe haben und Gefahr laufen, den Rest des Lebens traumatisiert zu bleiben, würden durch das Bergsteigen zumindest teilweise kuriert. Sie lernten durch die Erfahrungen in den Bergen »zum Teil, […] sich selber wieder ein bisschen zu mögen«.96 Wie Lukas Jacobi assoziieren auch die anderen Bergführer dieses Typs die Berge und das Bergsteigen mit dem ›Guten‹, die Niederungen – in bisweilen kulturpessimistischer Manier – hingegen mit gesellschaftlichen, sozialen und persönlichen Problemen. Esthel Montandon und Jean-Michel Thuillard stellen eine grassierende Konsumhaltung fest, die sie kritisieren,97 und Michael Gnos diagnostiziert eine gesellschaftlich bedingte Zunahme an zeitlichem Stress, Überarbeitung und Überforderung, die für die Leute ungesund ist und vor der sie »zurück zum Natürlichen«98 flüchten. Sich selbst verstehen diese Bergführer als Repräsentanten des ›guten‹ Lebens, dessen Vorzüge sie mit manchmal fast missionarischem Eifer ihren Gästen näher bringen und sie so bisweilen gar von Schädigungen des Alltags heilen möchten. Stets betonen die Führerinnen und Führer, dass dies kein einseitiger Prozess sei, denn sie bekämen von ihren Gästen auch vieles zurück. Neben der Freude der Gäste, die auch diese Führerinnen und Führer wie jene des ersten

96 Interview Vinzenz Stocker (2007: 6 ff.). 97 Interviews Esthel Montandon (2008: 6; 58), Jean-Michel Thuillard (2007: 8; 14; 18). 98 Interview Michael Gnos (2007: 7).

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Typs stets betonen, ist es die Genugtuung, den Leuten etwas ›Gutes‹ und ›Sinnvolles‹ vermittelt und sie gar auf den ›richtigen‹ Weg gebracht zu haben. Der gut 40-jährige Vinzenz Stocker beispielsweise stellt fest: »Also man sieht, dass die Leute oder junge Leute oder Kollegen in eine Richtung gehen, die, von mir aus gesehen in eine richtige Richtung, oder. (I.: Mhm.) Nicht irgendwie in Drogen oder äh, (I.: Mhm.) oder in eine Langeweile rein oder äh, so. Dass die auch Freude bekommen an etwas, (I.: Mhm.) an dem ich auch Freude habe, (und,) (I.: Mhm.) ich glaube das ist schon eine Befriedigung.«99

Diese Bergführer schreiben sich nicht nur eine bergsteigerische Führungsaufgabe zu, sie gehen davon aus, dass sie sich auf der »vernünftigen, gesunden Seite«100 befinden, und verstehen sich ihren Gästen und der Gesellschaft gegenüber als Vorbilder. Ihre Klientin, ihr Klient ist auf der einen Seite also der Gast, der geführt wird, auf der anderen Seite die ganze Gesellschaft.101 6.4.4 Der Trainer und seine Mannschaft Bergführerinnen und Bergführer des dritten Typs entwerfen sich als Leitende, deren Klientin oder Klient nicht primär der einzelne Gast, sondern die Gruppe ist. Bezüglich der Beziehung zwischen Bergführerin oder Bergführer und Gästen sehen sie ihre zentrale Aufgabe darin, die zumeist heterogene Gruppe derart zu führen, dass das Ziel – etwa eine geplante Bergtour – gemeinsam erreicht wird. Dabei sollen die einzelnen Mitglieder in die Gruppe integriert werden, sodass mögliche Konflikte wie auch ein mögliches Scheitern des Unterfangens verhindert werden, sich kein Mitglied übergangen fühlt und das Erlebnis alle befriedigt. Dieses Verständnis tritt besonders deutlich beim gut 50-jährigen Anton Richenberger zutage, der regelmässig mehrwöchige Expeditionen in aussereuropäischen Gebieten führt. Eine Expeditionsgruppe sei wie eine »Fussballmannschaft«, deren Erfolg zwar auch von der Konstitution und der Qualität des einzelnen Spielers, vor allem aber vom guten Zusammenspiel der verschiedenen Fussballer abhänge. Richenberger illustriert dies anhand des Beispiels einer Himalaya-Expedition, die in seinen Augen besonders gut gelang:

99 Interview Vinzenz Stocker (2007: 5). 100 Interview Michael Gnos (2007: 28). 101 Vgl. Kapitel 1.5.2.

 

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»Das ist, ähm, eine absolute Supergruppe gewesen, (anscheinend,) (I.: Mhm. Mhm.) äh, und die haben es jetzt untereinander dermassen genial gehabt, dass sie schlussendlich einfach, jeder hat den anderen auf diesen ›Hoger‹ [Hügel, Berg] hinaufgepuscht. (I.: Mhm.) Also sie haben, sie haben sich gegenseitig getragen, (I.: Mhm.) auf diesen Berg hinaufzukommen.«102

Diesen Erfolg habe ausgemacht, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander geredet und gut miteinander zurande gekommen seien. Das Glücken einer Tour hängt gemäss Richenberger also davon ab, dass die einzelnen Bergsteigerinnen und Bergsteiger nicht nur ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen folgen, sondern stets auch die anderen Gruppenmitglieder im Blick haben, einander unterstützen, kooperieren und zusammenspannen. Zentral ist dabei die Aufgabe des Bergführers. Sie gleicht jener eines »Fussballtrainers«. Er muss die einzelnen Gruppenmitglieder wahrnehmen, ihnen gerecht werden, Konflikte schlichten und die Gruppe zusammenhalten. Dies verlange vom Bergführer neben bergsteigerischen und organisatorischen vor allem kommunikative Fähigkeiten. Er muss »eine gewisse Härte haben« und gleichzeitig »lieb« sein können, vor allem aber muss er in der Lage sein, einzuschätzen, bei welcher Person und in welcher Situation das eine oder das andere angebracht ist. Gewisse Leute bräuchten jemanden, der ihnen sagt »Stopp, so nicht«, wenn sie »über das ›Goal‹ [Tor] hinausschiessen«, andere wiederum hätten es nötig, dass man lieb zu ihnen sei, auf sie eingehe, sie aufbaue und ihnen sage: »Das kannst du. Mach das. Geh weiter, du kannst das.« Härte und Liebe miteinander in Einklang zu bringen, sei eine komplexe Sache: »Da bist du manchmal ein halber Psychologe, oder.« Anton Richenberger schreibt sich als Bergführer dabei die Rolle eines gleichzeitig strengen und liebenden Vaters zu. Von manchen Gästen – meint er auf eine entsprechende Frage der Interviewerin – werde er bisweilen auch tatsächlich »Vater Toni« genannt.103 Letztlich hängt es gemäss Richenberger also vom Geschick des Bergführers ab, was die Gruppe als Ganze zustande bringt: »Es ist erstaunlich, wie gewisse Bergführer mit Leuten etwas fertigbringen, und zwar enorm. (I.: Ja.) Und andere Bergführer weniger. (I.: Ja.) Das ist, ist noch ›verreckt‹.«104

102 Interview Anton Richenberger (2007: 9). 103 Interview Anton Richenberger (2007: 10; 12; 14 f.). 104 Interview Anton Richenberger (2007: 16).

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Er selbst zählt sich selbstcharismatisierend zu jenen, denen dies besonders gut gelingt. Bis zu einem gewissen Grad liessen sich diese Fähigkeiten lernen – er zum Beispiel habe sich vieles durch »Learning by Doing« angeeignet, hauptsächlich aber sei ›es‹ einer Person gegeben oder eben nicht: »Entweder kannst du das oder man kann es nicht.« Dieses Können besteht zu einem grossen Teil in einem »Gefühl« – er spricht auch von einem »Fingerspitzengefühl« oder einem »Riechen« –, das man entwickelt und das sich weder erklären noch einfach weitervermitteln lässt:105 »Du musst merken, also als Beispiel: Ich steige in den Flieger rein, gehe meine Leute anschauen und nachher weiss ich haargenau, der und der geht ins Zimmer. (I.: Zusammen?) Zusammen ins Zimmer. (I.: Mhm.) Irgendwie merkst du, das bekommst du mit der Zeit, kannst du das nicht (erklären,) (I.: Ja.) da bekommst du einfach dieses Gefühl, (I.: Ja.) der und der passt zusammen. Den kann ich zusammen ins Zimmer tun, den und den: vergiss es, (oder.) (I.: [Lacht]) Die würden sich irgendwann an die Gurgel gehen, oder.«106

Ein solches Verhältnis zwischen dem Bergführer und seinen Geführten, wie es Richenberger entwirft, gilt gemäss ihm lediglich für die spezifische Situation einer mehrere Wochen dauernden Expedition. Das Führen von Gästen auf kürzeren Touren im Alpenraum sei weit weniger komplex. Entgegen dieser Einschätzung findet sich dieses Verständnis jedoch auch bei anderen Interviewten, die hauptsächlich im Alpenraum tätig sind. Samuel Schwager beispielsweise ist es wichtig, in den Gruppen, die er führt, einen »Gruppengroove« herzustellen und die Gruppe »zusammenzuschweissen«.107 Luzia Wenger vergleicht ihre Aufgabe als Bergführerin mit jener einer Lehrerin, die sich mit der Heterogenität einer Schulklasse konfrontiert sieht: Sie wolle jedes Mitglied ihrer Gruppe dort abholen, wo es stehe, und setze sich zum Ziel, »aus acht Leuten, die sich gegenseitig nicht kennen, ein gutes Team zu machen«, Leute mit ihren Macken in die Gruppe zu integrieren und die Bedürfnisse des Gastes, der eine »uhuere Kanone« sei und »Gas geben« wolle, mit jenen eines Mitglieds zusammenzubringen, das es »eher ein bisschen gemütlich« angehen wolle. Die Herausforderung und auch das Spannende an ihrer Arbeit bestehe darin: »Bringe ich es in dieser Woche hin,

105 Interview Anton Richenberger (2007: 11; 13; 19). 106 Interview Anton Richenberger (2007: 13). 107 Interview Samuel Schwager (2005: 6).

 

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dass die es gut haben miteinander, ja, dass wir uns ergänzen, dass wir ein Team sind.«108 6.4.5 Die Dienstleistungserbringerin und ihre Kunden Von den drei bisher vorgestellten Typen lässt sich ein vierter unterscheiden. Für ihn ist bezeichnend, dass sich die Bergführerin als Dienstleistungserbringerin versteht, die den Leuten, die sie führt und die sie als Kundinnen und Kunden betrachtet, ein Angebot verkauft. Dieser Typ ist empirisch am wenigsten verbreitet, ihm lässt sich lediglich eine Interviewte zuordnen. Astrid Padrutt formuliert ihr Selbstverständnis nicht als positive Satzung, sondern vielmehr in Abgrenzung zu einer als negativ empfundenen Realität. Die Tätigkeit einer Bergführerin, eines Bergführers hat für Astrid Padrutt zwei Aspekte, einen technischen und einen sozialen, wobei sie den technischen so sehr mag, wie ihr der soziale zuwider ist. Als »technisch« bezeichnet sie all jene Aufgaben, die nichts mit dem Menschen zu tun haben, den sie führt: den »Umgang mit den technischen Hilfsmitteln«, das »Einschätzen des Wetters«, das eigene »technische Sich-Bewegen-Können«, das »Klettern« und das »Hantieren« draussen am »›Gstältli‹ [Klettergurt]«. Dieser Aspekt des Berufs sei es, der sie interessiere und ihr am besten liege. Die Arbeit mit den Gästen hingegen – das ›Soziale‹ – sei ihr häufig »zu eng« und »zu nah«.109 Diese Enge und Nähe hat zum einen eine raum-zeitliche Dimension: »Du bist einerseits sehr viel mit diesen Leuten zusammen, vor allem, wenn du Tourenwochen hast. (I.: Mhm.) Also, es ist eigentlich gerade die Zeit, in der du schläfst, wo du nicht zusammen bist. (I.: Mhm.) Du kannst nie alleine sein. Du kannst keine Tür (zumachen,) (I.: Mhm.) also selten. (I.: Mhm.) Ausser wenn du mal, wenn du in einem Hotel führst, dann ist es nochmals anders als auf der Hütte. Das ist das eine, das mir persönlich zu viel wird. (I.: Mhm.) Also, wenn ich eine Woche lang irgendwie vom Morgen um vier bis am Abend um zehn mit Leuten zusammen bin, (I.: Mhm.) ist mir zu viel, (I.: Mhm.) ertrage ich nicht. Oder nicht mehr.«110

Neben dem Mangel an Möglichkeiten der physischen Abgrenzung äussert sich die Enge und Nähe auch in der Beziehung zu den Leuten, die sie führt:

108 Interview Luzia Wenger (2005: 19). 109 Interview Astrid Padrutt (2007: 23). 110 Interview Astrid Padrutt (2007: 23 f.).

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»Sie sind dir auch sonst relativ nah, weil, also näher als du ihnen. Weil, die Leute sind in einer ungewohnten Umgebung. (I.: Mhm.) Und sie sind dadurch unsicher und brauchen dich sehr stark. (I.: Mhm.) Also, zum Beispiel fragen dich die Leute auf der Hütte Sachen, die sie dich da nie fragen würden. (I.: Mhm.) Sie fragen dich: ›Soll ich einen Pullover anziehen?‹ oder, (I.: [schmunzelt]) ähm, also wirklich (Sachen,) (I.: Ja.) wo du sagen musst: ›Hej‹, oder.«111

Auf einer Bergtour – so die Analyse von Astrid Padrutt – befindet sich der Geführte in einer ungewohnten Situation, die ihn fordert und ihn physisch und psychisch an seine Grenzen bringt, was ihn unsicher, anhänglich und entscheidungsunfähig werden lässt. Diese umfassende Bedürftigkeit führt zu einer Abhängigkeit gegenüber der Bergführerin, hat eine Art Infantilisierung zur Folge und lässt – erzählt Astrid Padrutt weiter – das Verhältnis zwischen Bergführerin und Gast asymmetrisch werden. Die Gäste öffneten sich stark, fragten die Führerin aus und erzählten ihr all ihre Geschichten und ihren ganzen »Seelenschmetter«, was sie offensichtlich als übergriffig empfindet. Während die Gäste dazu tendieren, die Beziehung durch das Herauskehren ihres Innersten auf eine private Ebene zu heben und sie damit überbewerten, empfindet Astrid Padrutt dies als »Horror«.112 Sie habe das Bedürfnis, die Arbeit vom Privatleben zu trennen, und betrachte das Verhältnis zu den Geführten als Geschäftsbeziehung, was ihre Wertschätzung ihnen gegenüber keinen Abbruch tue, wie sie betont: »Also, für mich ist das eine, eine geschäftliche (Beziehung) (I.: Mhm.) und das ist (ein Kunde.) (I.: Mhm.) (Und,) (I.: Mhm.) ich schätze den trotzdem sehr, (I.: Mhm.) also um Gottes Willen, (I.: Mhm.) aber es sind nicht meine privaten (Freunde,) (I.: Mhm. Mhm.) also, das ist nicht mein Privatleben.«113

Ihr Selbstverständnis als Dienstleistungserbringerin, die ihre Gegenüber als »Kunden« versteht, widerspricht allerdings – dies Padrutts Erfahrung – dem strukturell bedingten Verhältnis zwischen Führerin und Geführten, die letztere automatisch unmündig, unselbständig und bedürftig werden lässt. Aus diesem Grund verzichte sie heute weitgehend darauf, auf »klassische Weise diesen Beruf auszuüben«114.

111 Interview Astrid Padrutt (2007: 24). 112 Interview Astrid Padrutt (2007: 25; 27). 113 Interview Astrid Padrutt (2007: 24 f.). 114 Interview Astrid Padrutt (2007: 28).

 

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Trotz dieser Abneigung zu viel Nähe gegenüber möchte sich Padrutt nicht als Misanthropin verstanden wissen, die sich ausschliesslich für Steigeisen interessiert. Sie führe auch heute noch Gäste und freue sich, wenn sie sich freuten, erzählt sie. Sie mache aber am liebsten Tagestouren, bei denen sie die Leute am Morgen abhole und sie nach der Tour am Nachmittag wieder abgebe – etwas, das sie früher »furchtbar«115 gefunden habe. »Weil, die Arbeit ist schon schön, (I.: Mhm.) (?) ich gehe gern mit Leuten auf einen (Gipfel.) (I.: Ja.) Ich, ich tu auch gerne den Leuten etwas ermöglichen, das sie alleine nicht könnten, (I.: Mhm.) ich habe Freude, wenn sie Freude haben, oder, also, es ist nicht so, dass es mir gleich ist, (oder) (I.: Ja.) dass mich nur die Steigeisen interessieren, (aber einfach,) (I.: Ja.) dieses, dieses wochenweise mit diesen Leuten zusammen, (I.: Jaja.) das ist mir zu viel.«116

Professionalisierungstheoretisch ausgedrückt, würde Padrutt eine professionalisierte Beziehung zwischen ihren Gästen und ihr vorschweben. Eine solche scheint aber daran zu scheitern, dass auf Seite des Gastes die Abhängigkeit gegenüber der Autonomie überhandnimmt und die Aktivität seiner ›gesunden‹ Anteile, also der spezifischen Rollenanteile, zu kurz kommen.117 Dass dieses Selbstverständnis empirisch von allen vieren am wenigsten verbreitet ist, dürfte daran liegen, dass es dem historisch gewachsenen Bild des Bergführers widerspricht, der sich voll und ganz in den Dienst seines Gastes stellt und dabei auch eine gewisse Servilität an den Tag legt.118 Eine Konsequenz, die Padrutt daraus zieht, ist, dass sie die Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie in der Bergführerausbildung erworben hat, gerne bei Tätigkeiten anwendet, die ohne Geführte stattfinden, etwa bei Höhenarbeiten. Das Angenehme daran sei, dass sie es dabei lediglich mit »normalen Auftraggebern«119 und professionellen Partnern zu tun habe, bei denen die Gefahr einer Verwischung der Grenze zwischen Privatleben und Arbeit nicht bestehe.

115 Interview Astrid Padrutt (2007: 30). 116 Interview Astrid Padrutt (2007: 30). 117 Vgl. Kapitel 1.5.2. 118 Zu Astrid Padrutt vgl. Kapitel 7.5.3. 119 Interview Astrid Padrutt (2007: 27).

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6.4.6 Professionalisierungstheoretische Überlegungen In den typisierten Konzeptualisierungen der Beziehungen zwischen den Bergführerinnen und Bergführern und ihren Geführten treten Aspekte zutage, die aus professions- beziehungsweise professionalisierungstheoretischer Perspektive typisch sind für die Beziehung zwischen Professionsangehörigen und ihren Klientinnen und Klienten.120 Ideal des Dienens Im Führer-Gast-Verhältnis, wie es vom ersten Typ entworfen wird, klingt das für die Rolle des Professionellen typische »Ideal des Dienens«121 an. Es ist dies weniger ein Dienen im Sinne des Bedienens einer sozial höher gestellten durch eine niedriger gestellte Person, wie es im Führer-Herren-Verhältnis anklingt, das in den untersuchten Bergführerbiografien und -autobiografien skizziert wird, als vielmehr eine dienende Haltung des Gastgebers gegenüber dem Gast. Dieses Ideal ist bis heute im Selbstverständnis vieler Bergführerinnen und Bergführer verankert. Zum einen kommt es rein sprachlich darin zum Ausdruck, dass die Geführten im Feld und in den Interviews noch heute fast durchwegs als »Gäste« bezeichnet werden. Es zeigt sich aber auch daran, dass die dienende Haltung gegenüber dem Gast weitgehend als erstrebenswert erachtet und als positiv erlebt wird. Für Anja Hunziker gehört es etwa zur Aufgabe als Bergführerin, dass sie nach einer Tour die Blasen ihrer Gäste pflegt, sie berät, »was man wie macht« und ihnen sagt: »In der Nacht kannst du kommen, wenn du eine Kopfwehtablette brauchst«. Kurz und gut, man sei »eigentlich immer für sie da«.122 Auffallend ist schliesslich auch die bereits erwähnte Tatsache, dass fast alle Führerinnen und Führer betonen, ihr oberstes Ziel sei es, ihren Gästen »Freude« zu bereiten. Leo Hirter beispielsweise erzählt, ihm gefalle unter anderem an seinem Beruf besonders, wenn er sehe, wie seine Gäste eine »Riesenfreude« oder »schier Tränen in den Augen« hätten.123 Und Esthel Montandon meint: »Je trouve, c’est presque une mission, […] de rendre les gens heureux.«124 Teilweise in Frage gestellt wird das Ideal des Dienens nicht nur vom vierten Typ der Dienstleistungserbringerin, sondern auch von manchen Führerinnen und

120 Vgl. Kapitel 1.5.2. 121 Goode (1972 [1957]: 158); vgl. Parsons (1939: 463). 122 Interview Anja Hunziker (2005: 16). 123 Interview Leo Hirter (2007: 16). 124 Interview Esthel Montandon (2008: 6 f.). »Ich finde, es ist fast eine Mission, […] die Leute glücklich zu machen.«

 

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Führern, die bei ihren Gästen immer öfter eine fordernde Haltung beobachten, die sie als unangebracht erleben. Wenn etwa Esthel Montandon von gewissen Gästen, die sich gewohnt seien, alles kaufen zu können, was sie sich wünschen, für schlechtes Wetter oder unbefriedigende Schneeverhältnisse verantwortlich gemacht wird, hört für sie die Bereitschaft auf, sich für diese einzusetzen. Nähe und Distanz Ein weiterer Aspekt, der sich als Thema quer durch die Interviews zieht, ist die Frage der Nähe beziehungsweise Distanz in der Beziehung zwischen Bergführerin oder Bergführer und Gast. Viele Interviewte berichten, dass sich ihre Gäste ihnen gegenüber schon nach kürzester Zeit öffnen und mitunter sehr persönliche Dinge erzählen. Schon nach einer zweitätigen Tour, meint Lukas Jacobi, teilten manche Leute ihre ganze Lebensgeschichte mit ihm: »Du kennst die nicht, oder, und die erzählen Sachen, (I.: Mhm.) die sie vielleicht den Psychologen erzählen, (I.: Mhm.) oder, irgendwie die Ehekrise mit der Frau, dann kommt alles, oder, (I.: Mhm.) und es werden extrem viele Emotionen frei.«125

Häufig erklären die Interviewten diese Offenheit damit, dass die Gäste in der Liminalität des Gebirges an ihre physischen und psychischen Grenzen stiessen, was starke Emotionen freisetze. Die Mehrheit der Interviewten schätzt die dadurch entstehende Nähe: Aus den Beziehungen zu manchen Gästen seien wahre Freundschaften entstanden, wird bisweilen betont. Auf familiäre Banden, die sich ebenfalls durch Nähe, also diffuse Beziehungsaspekte auszeichnen, spielt der gut 50-jährige Anton Richenberger an, wenn er sich als Vaterfigur seiner Expeditionsgruppen entwirft. Diese Nähe, die erst so richtig entstehen könne, wenn er wie auf einer mehrwöchigen Expedition länger mit den Leuten zusammen sei, sei einer der Gründe, weshalb er die Expeditionen kürzeren Touren vorziehe. Er wolle die Leute kennenlernen, die Leute sollten ihn kennenlernen und er biete sich dabei »als Mensch« an. Auf kürzeren Touren hingegen, bei denen er den Gast am Samstag empfange, am Sonntag mit ihm den Mönch besteige und sich dann wieder verabschiede, fühle er sich als »Huerli«, als Prostituierter.126 Astrid Padrutt dagegen zieht kürzere Touren mehrtätigen vor, um das Entstehen von zu viel Nähe zu vermeiden. Zwar ist sie die einzige Interviewte, die sich derart dezidiert an dieser Nähe stört. Verschiedene Bergführerinnen – mehrheit-

125 Interview Lukas Jacobi (2007: 14). 126 Interview Anton Richenberger (2007: 40; 37).

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lich sind es Frauen –, welche die Nähe grundsätzlich schätzen, weisen aber ebenfalls auf die Gefahren hin, die diese birgt, und streichen die Notwendigkeit hervor, sie zu dosieren und sich den Geführten gegenüber in gewissen Situationen abzugrenzen. Lilian Irniger verweist auf mehrere Suizide von Bergführern in den Monaten vor dem Interview und äussert die Vermutung, dass ihnen Probleme mit dem Aushalten des Wechselbades von extremer Nähe und plötzlichem Alleinsein zugrunde gelegen haben könnten. Für sich selbst fand sie einen Umgang mit der Nähe, indem sie, wenn sie mit Gästen unterwegs ist, ein »Mänteli« anziehe und die Bergführerin spiele, sich also in eine Rolle begibt. Das BergführerMänteli helfe ihr sowohl in brenzligen Situationen am Berg, dem Gast gegenüber eine gewisse »Souveränität« zu bewahren, als auch im zwischenmenschlichen Bereich Distanz zu schaffen.127 Die Einnahme der Berufsrolle und der Rekurs auf die spezifischen Beziehungsanteile ermöglichen ihr also, das Arbeitsbündnis zu etablieren, die »Abstinenzregel« zu befolgen, die Krise stellvertretend zu bewältigen und dabei selbst nicht zugrunde zu gehen. Auffallend ist – dies sei zum Schluss bemerkt – dass mögliche erotische Komponenten dieser Nähe, die in den untersuchten (Auto-)Biografien angedeutet werden, in den Erzählungen aller Interviewter ausgespart bleiben. Hingegen wird sie in einer fiktiven, in der Zeitschrift Berg & Ski erschienenen Kurzgeschichte explizit angesprochen: Darin schreibt ein Bergführer aus angeblich kommerziellen Interessen eine Tour für Singles aus, auf der er an einem der weiblichen Gäste Gefallen findet und die Frau damit einem männlichen Tourenteilnehmer ausspannt.128 Die Vermeidung der Themen Erotik zwischen Führenden und Gästen sowie Emotionalität, die über die vielbeschworene Kameradschaft und Freundschaft hinausgeht, dürfte mit der historisch gewachsenen Tabuisierung dieser Themen sowie mit dem Berufsethos zusammenhängen, das sich im Zusammenhang mit den Anstandsregeln etablierte.129 Arbeitsbündnis Das Zulassen von Nähe und die gleichzeitige Herstellung innerer Distanz erinnert an die »widersprüchliche Einheit von diffusen und spezifischen Beziehungsanteilen«130, wie sie gemäss der Professionalisierungstheoretie für das Arbeitsbündnis zwischen Professionsangehörigem und Klientin charakteristisch ist. Aus einer professionalisierungstheoretischen Perspektive betrachtet, besteht

127 Interview Lilian Irniger (2007: 24). 128 Vgl. Hodi (2007). 129 Vgl. Kapitel 3.1.3 und 4.7.2. 130 Oevermann (1996b: 118).

 

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die Aufgabe der Bergführerin, des Bergführers in der stellvertretenden Bewältigung einer Krise, der sich die Geführten gewollt aussetzen, wobei Krise als Abwesenheit von Routine verstanden wird.131 Der Gast möchte einen Berg besteigen oder eine Klettertour unternehmen, wäre dazu aber allein nicht imstande. Die stellvertretende Krisenbewältigung der Bergführerin, des Bergführers besteht zum einen darin, dem Gast den Weg zu weisen, dabei mögliche Gefahren im Blick zu haben und ihn zu sichern oder anzuleiten. Die bergsteigerische Krise kann aber – wie Interviewte verschiedentlich bemerken – zu einer körperlichen und auch psychischen Krise führen, die dadurch ausgelöst wird, dass die Geführten im Gebirge an ihre Grenzen stossen, was sie emotional bedürftig und diffuse Beziehungsaspekte relevant werden lässt. Auch diese Krise will von der Bergführerin, vom Bergführer stellvertretend bewältigt werden. Diese Konstellation gleicht jener eines von der Professionalisierungstheorie beschriebenen therapeutischen Arbeitsbündnisses, in dem die »Grundregel« und die »Abstinenzregel« gelten.132 Besonders deutlich wird dies bei Caroline Bratschi. Sie sieht ihre Aufgabe im Rahmen des Arbeitsbündnisses darin, den Gast bergsteigerisch so weit zu bringen, dass er ein geplantes Ziel erreicht. Manchmal denke sie: »Okay, der will diese und diese Tour machen aber ich bin nicht sicher, also, es ist nicht sicher von Anfang an, ob er das schafft. (I.: Mhm, mhm.) Vielleicht eben, weil er Angst hat, vielleicht weil er ein bisschen zu wenig trainiert ist. Und nachher musst du dir überlegen, wie bringe ich den jetzt dazu, dass der das packt. (I.: Mhm, mhm.) Wie kann ich ihn richtig herausholen, dass er wirklich seine (?)Bestleistung/beste Leistung(?) bringen kann und dass er es am Schluss packt. (I.: Mhm.) Und das ist dann ganz interessant.«133

Dies erreiche man nicht mit einem Nullachtfünfzehn-Schema nach Lehrbuch, sondern man müsse auf den Gast eingehen, ihn motivieren, seine guten Leistungen hervorstreichen und alles Weitere darauf aufbauen. Beim einen Gast helfe es, Bilder zu evozieren, die er aus anderen Sportarten kenne, beim anderen brauche es andere Tricks: »Das ist natürlich auch mit jedem Gast dann anders, oder, wie du das anpackst.«134 Während das Verhalten des Gastes gegenüber der Bergführerin gemäss dieser Darstellung vor allem durch Diffusität geprägt ist – er zeigt seine Angst und seine physischen Schwächen – ist von der Bergführerin

131 Vgl. Kapitel 1.5.2. 132 Vgl. Oevermann (1996b: 119); vgl. Kapitel 1.5.2. 133 Interview Caroline Bratschi (2007: 20 f.). 134 Interview Caroline Bratschi (2007: 22).

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Spezifität gefragt. Sie nimmt die Angst des Gastes und dessen Schwächen wahr und überlegt sich, wie sie ihm helfen kann, diese zu überwinden. Im Unterschied zum therapeutischen Arbeitsbündnis ist die Krise des Gastes potentiell immer auch eine Krise der Bergführerin, da sie durch den Gast in Lebensgefahr geraten kann. Dass der Gast die »Grundregel« befolgt und die Führerin ihn so möglichst bald richtig einschätzen kann, kann für beide überlebenswichtig sein. Es sei wichtig, dass sie sich möglichst schnell ein Bild über Menschen machen könne, die sie nicht kenne, erzählt Lilian Irniger, wobei der erste Eindruck aufgrund von Beobachtungen entscheidend sei. »Wie sie sich bewegen, wie sie (reden,) (I.: Mhm) was sie mir erzählen, (I.: Mhm) wie sie über das Bergsteigen reden, (I.: Mhm) über das, was sie (gemacht) (I.: Mhm) haben, ähm, wie sie laufen [gehen], (I.: Mhm. Mhm.) ähm, kleine Sachen, (I.: Mhm) wie zuverlässig, ob sie pünktlich kommen, o-, was sie für einen Rucksack haben, was sie im Rucksack haben, (I.: [lacht]) wie gross, wie klein, (I.: Mhm) es gibt noch d-, also ganz viele kleine Sachen, (I.: Mhm) die ich dann so wie ein Puzzle zusammentue und dann gibt mir das ein Bild von einem Menschen.«135

Sie müsse wissen, ob der Gast beispielsweise eher dazu neige, sich zu unteroder sich zu überfordern, um so einschätzen zu können, »wie jemand funktioniert, wie jemand kommuniziert«. Denn letztlich hänge ihr Leben davon ab, dass der Gast ihre Anweisungen befolge, ihr Rückmeldungen gebe und ihr sage, wie es ihm gehe. Nach einem halben Tag in der Hütte sei man mit diesem Menschen am Seil und »wenn der im falschen Moment einen Fehler macht, kann das das Ende sein, wenn du es nicht realisierst«.136 Selbstcharismatisierung In auffallend vielen Interviews sticht die Bedeutung von Charisma für das Selbstverständnis der Bergführerinnen und Bergführer gegenüber ihren Gästen ins Auge.137 Erstens ist eine bisweilen starke Selbstcharismatisierung der Interviewten als Bergführerinnen und Bergführer festzustellen. Viele geben sich als besonders geübt im Fällen spontaner, reflexartiger und intuitiver Entscheidungen in krisenhaften Situationen, deren Folgen sie zum Zeitpunkt des Fällens nicht

135 Interview Lilian Irniger (2007: 5). 136 Interview Lilian Irniger (2007: 5 f.). 137 Die vier Aspekte von Charisma, auf die in der Folge eingegangen wird, kennzeichnen nach Schallberger (2004: 18 f.) die charismatische Motivlage bei Unternehmensgründerinnen und -gründern.

 

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sicher abschätzen können, was gemäss Professionalisierungstheorie für die Situation der praktischen Krisenbewältigung typisch ist.138 Zweitens gehen verschiedene Interviewte davon aus, eine Gefolgschaft zu haben, und sind bemüht, sich diese zu sichern. Fabio Clausen etwa ist stolz, Zermatter, Spross einer Bergführerfamilie, Berufsangehöriger und besonders »Horeführer« zu sein und von Einheimischen wie auch Touristen als solcher bewundert und geachtet zu werden. Andere Interviewte charismatisieren sich in ihrer Rolle als Bergführer, der seinen Gästen bergsteigerisch, aber auch lebenspraktisch überlegen ist und von ihnen bewundert wird – auch wenn sie sich nicht selten gleichzeitig kritisch dazu äussern. Sie beschreiben, wie sie als Vorbild, Idol oder Vaterfigur wahrgenommen werden, wobei sie sich auf Figuren berufen, für die konstitutiv ist, dass sie eine Gefolgschaft haben. Er sei stolz, »etwas Spezielles« machen zu können, das andere nicht machen, meint etwa Vinzenz Stocker. Er könne das »mit so einem Musicstar oder so« vergleichen, der auch das Gefühl habe, er sei »einer von wenigen, der etwas Spezielles« machen könne.139 Drittens charismatisieren viele Interviewte das, was sie von Berufs wegen tun, das Bergsteigen, als ›gute‹ und ›richtige‹ Form des Lebens. Viertens schliesslich haben mehrere von ihnen – wie etwa bei Lukas Jacobi besonders deutlich wurde – einen messianischen Anspruch. Sie möchten die Erkenntnis, die sie durch das eigene Bergsteigen gewonnen haben, weitergeben, dadurch einzelnen Menschen zu einem besseren Leben verhelfen und damit letztlich auch einen positiven Einfluss auf die ganze Gesellschaft ausüben. Charismatisierung gehört – professionalisierungstheoretisch betrachtet – ebenso zum professionellen Handeln wie deren Neutralisierung.140 Dennoch ist (Selbst-)Charismatisierung in manchen Interviews weitgehend, in anderen ganz abwesend und wird teilweise sogar in Frage gestellt. Dabei sei auf Alphons Beer verwiesen, der sich insofern von den jüngeren Bergführern unterscheidet, als es kein idealisiertes Bild des Berufs gewesen zu sein scheint, das diesen für ihn zu einem erstrebenswerten Ziel werden liess, sondern einzig und allein die Abwesenheit anderer Optionen sowie die im Vergleich zu anderen Tätigkeiten guten Verdienstmöglichkeiten. Zwar entwickelte er im Verlaufe seines Lebens eine »amor fati« und identifiziert sich heute stark mit dem Beruf, charismatisiert sich und Bergführer generell aber weit weniger stark als etwa der um rund 50 Jahre jüngere Fabio Clausen. Ähnliches gilt für die anderen beiden in den 1920er- und 1930er-Jahren geborenen Interviewten. Ihre Schilderungen des Bergsteigens und

138 Vgl. Oevermann (1996b: 82 f.); vgl. Kapitel 6.5.1. 139 Interview Vinzenz Stocker (2007: 17). 140 Vgl. Oevermann (1996b: 85); vgl. Kapitel 1.5.2.

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Bergführens sowie ihrer Werdegänge wirken auffallend nüchtern, pragmatisch und unspektakulär. Kritik an einer allzu starken (Selbst-)Charismatisierung bis zur Tendenz, diese zu neutralisieren, finden sich in mehreren Interviews. Vinzenz Stocker, gut 40-jährig, der den Bergführer mit einem Musicstar vergleicht, scheint sich sogleich der Problematik dieser Parallele bewusst zu werden. Unverzüglich fügt er an: »Also nicht im Sinn von Star, aber (I.: Mhm.) im Sinn von, einen speziellen Beruf haben zu können, (I.: Mhm.) immer in der Natur draussen, wo diese Leute, die kommen, eigentlich Ferien haben, oder.«141

Als Problematisierung der Selbstcharismatisierung kann auch die mehrfach formulierte Kritik an der Gleichsetzung des Bergführers in der Selbst- oder der Fremdwahrnehmung mit »Gott« oder einem »Halbgott« gelesen werden. »Tu connais la différence entre Dieu et un guide?« zitiert Esthel Montandon einen Bergführer-Witz, »Dieu, il sait qu’il n’est pas guide.«142 Obwohl sie auch der Meinung sei, dass Bergführer ein sehr harter Beruf sei und jeder Bergführer deshalb stolz auf sich sein könne, gehe ihr die Selbstüberzeugung mancher Führer zu weit. In der Kritik dieses »Gott«- oder »Halbgott«-Status lehnen sich diese Führer an das Bild des Arztes als »Halbgott in Weiss« an, das von Oevermann als Beispiel einer Abweichung vom idealtypischen professionalisierten Habitus formuliert wird.143 Eine Tendenz zur Entcharismatisierung findet sich schliesslich auch bei Astrid Padrutt .144 Die Bergführerin erzählt zwar, wie beeindruckt sie als Jugendliche vom institutionellen Charisma des Berufs war, sie verweigert sich heute jedoch der Charismatisierung und dekonstruiert jegliche Mythen, die den Beruf umranken.145 Anders als andere Bergführer, welche die im Zusammenhang mit dem Bergführerberuf in verschiedensten Kontexten stets wiederholte Überzeugung äussern, beim Bergführer handle es sich schlichtweg um den schönsten aller Berufe, hält sie den Finger zudem auf in ihren Augen schwierige strukturel-

141 Interview Vinzenz Stocker (2007: 17). 142 Interview Esthel Montandon (2008: 18). »Kennst Du den Unterschied zwischen Gott und einem Bergführer? Gott weiss, dass er kein Bergführer ist.« 143 Oevermann (1996b: 85 f.). 144 Vgl. Kapitel 7.5.3. 145 Vgl. dazu Kapitel 6.4.6 und 7.5.3.

 

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le Eigenschaften des Berufs, die – zwischen den Zeilen – auch in anderen Interviews anklingen, dort jedoch oft unausgesprochen bleiben. Erstens erwähnt Astrid Padrutt das Problem der unvermeidlichen, phasenweise totalen Abwesenheit von zu Hause, die mit dem ebenso unvermeidlichen totalen Zusammensein mit den Gästen korrespondiert, das ihr wegen der dabei entstehenden Nähe bisweilen zu viel wird. Mehrere Wochen aneinander unterwegs zu sein, mache es schwierig, Beziehungen, Freundschaften und Hobbys zu pflegen, da man für die zu Hause Gebliebenen »unberechenbar«146 werde. Während verschiedene männliche Führer diese Eigenschaft des Berufs als möglichen Grund dafür anführen, weshalb Frauen sich selten für den Beruf interessieren, benennen besonders jüngere Männer mit einem Selbstverständnis als Väter, die sich an der Kinderbetreuung beteiligen, diese ständige Abwesenheit selbst als Problem. Für den Mittzwanziger Samuel Schwager steht beispielsweise aus diesem Grund schon heute fest, dass er sein Studium abschliessen und dann lediglich Teilzeit als Bergführer tätig sein wird: »Wenn du dann nur noch vom Führen leben musst, und noch Familie hast und alles, dann, dann bist du nie zu Hause. (I.: Mhm.) Und das ist dann auch wieder, das ist es dann auch nicht.«147

Weniger dramatisch sieht dies Alphons Beer, der ganz entsprechend der rekonstruierten Fallstruktur das pragmatische, finanzielle Argument einführt, seine Frau sei froh gewesen, habe er verdienen können, und entsprechend seinem Habitus aus der Not eine Tugend macht. Er sage stets: »›Mach dich selten, willst du gelten‹ [Hochdeutsch]«. Vorteil der Abwesenheit von zu Hause sei, dass es danach ein »›flottes‹ [schönes] Wiedersehen« gebe, was letztlich der Stärkung der Ehe diene.148 Zweitens erwähnt Astrid Padrutt mögliche gesundheitliche Probleme, die für Bergführer, welche vollständig von diesem Beruf leben und deshalb auf einen funktionierenden Körper angewiesen sind, früher oder später zum Problem werden können. Während dieser Aspekt von mehreren Interviewten erwähnt wird, entweder weil sie selbst unter gesundheitlichen Beschwerden leiden oder weil sie das Aufkommen ebensolcher fürchten, wird der dritte Aspekt, den sie anführt – die heute vergleichsweise bescheidenen Verdienstmöglichkeiten – kaum erwähnt: Astrid Padrutt rechnet vor, dass ein Vollzeit tätiger Bergführer pro Jahr

146 Interview Astrid Padrutt (2007: 31). 147 Interview Samuel Schwager (2005: 17). Vgl. auch 5.2.6. 148 Interview Alphons Beer (2005: 44).

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netto kaum mehr als vierzigtausend Franken verdient. Das weitgehende Fehlen dieses Arguments in den anderen Interviews dürfte mit der unter heutigen Bergführerinnen und Bergführer verbreiteten Deutung zusammenhängen, wonach Bergführer weder blosser Gelderwerb noch ein gewöhnlicher Beruf sei, sondern eine Leidenschaft erfordere und eine Lebenseinstellung sei, wobei die Verdienstaussichten sekundär seien. Darin klingt das bereits in den Bergführerbiografien und -autobiografien aufgetretene diskursive Element an, wonach ein ›richtiger‹ Bergführer nicht von der Aussicht auf Geld, sondern von der Liebe zu den Bergen getrieben ist. Der Preis für die Leidenschaft ist – ähnlich wie bei gewissen künstlerischen Tätigkeiten – der vergleichsweise geringe Lohn.

6.5 G EFAHR

ALS BERUFLICHES

K ONSTITUTIVUM

Einer der Aspekte, der sie als junge Bergsteigerin am Bergführerberuf fasziniert habe, erzählt Lilian Irniger, war, »vorne zu stehen, entscheiden zu müssen, manchmal Entscheide zu fällen, wo du nicht mehr auf die Toilette überlegen gehen kannst und nicht mehr drüber schlafen kannst«149. Sie habe damals ein idealisiertes Bild des Bergführers gehabt, »[…] der einfach sehr ruhig (ist,) (I.: Mhm) der blitzschnell Situationen erfassen kann und die richtige Entscheidung macht, der den Überblick hat, so, unverletzlich (ist,) (I.: Mhm) (…) (ja,) (I.: Mhm) der einfach ein bisschen drüber steht, (I.: Mhm) so im wahrsten Sinne des Worts.«150

Dieses heroische Bild habe sich bis heute stark relativiert. Permanent unter einem gewissen Zeitdruck Entscheidungen fällen zu müssen, macht für sie aber noch heute eine ganz zentrale Eigenschaft des Bergführerberufs aus. Auch Nicole Niquille stellt fest, als Bergführerin frage man sich ständig: »›Ce matin, je pars ou je pars pas?‹, parce qu’il fait beau temps ou mauvais temps. ›Je, je prends, je passe à gauche de cette crevasse ou à droite?‹ Et puis c’est important, ça. Alors, ça c’est, moi j’aime aussi, de prendre des décisions.«151

149 Interview Lilian Irniger (2007: 2). 150 Interview Lilian Irniger (2007: 32). 151 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 7). »›Gehe ich diesen Morgen los oder gehe ich nicht los?‹, weil es schönes oder schlechtes Wetter ist. ›Umgehe ich diese Glet-

 

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Was die beiden Bergführerinnen darlegen, erweist sich aufgrund der Analyse der Interviews als eine zentrale Struktureigenschaft des Bergführerberufs. Sie erinnert an das von Oevermann vorgeschlagene Modell von Lebenspraxis, das in der widersprüchlichen Einheit von »Entscheidungszwang« und »Begründungsverpflichtung« besteht. In einer Entscheidungssituation, die krisenhaft ist, da der Akteurin keine routinisierte Lösung zur Verfügung steht, muss sie eine Entscheidung treffen, ohne ihre Wahl vernünftig begründen zu können, und dennoch dem Anspruch auf Begründbarkeit gerecht werden.152 6.5.1 Zugespitzte Krisenhaftigkeit Was gemäss dem Modell von Lebenspraxis das Leben generell charakterisiert, gilt, wie aus dem empirischen Material deutlich wird, für das Bergsteigen und besonders für die Bergführertätigkeit in zugespitztem Masse. Das Bergsteigen in weglosem Gelände erfordert permanent – vor und während einer Tour – das Fällen von Entscheidungen, für die nur bedingt auf bewährte Routinen zurückgegriffen werden kann. Zwar verleihen Wissen und Erfahrungen dem geübten Bergsteiger ein gewisses Mass an Routine, stets ist er aber mit Faktoren wie etwa einem möglichen Wetterumschwung oder einer nur bedingt berechenbaren Schneedecke konfrontiert, welche die Entscheidungen zu krisenhaften werden lassen.153 Zugespitzt ist die Krisenhaftigkeit beim Bergsteigen insofern, als erstens häufig nur wenig Zeit – einige Minuten oder im Extremfall gar nur Sekunden – für die Entscheidungsfindung zur Verfügung steht. Zweitens ergibt sich die Zuspitzung dadurch, dass in den Entscheidungssituationen meist ein gewisses Risiko mitschwingt und nicht selten das Leben auf dem Spiel steht: »Am Morgen stehst du auf um drei und stehst zwei Meter nach der Hütte st-, könntest du abstürzen, das darf man schon nicht unterschätzen«154, erzählt Lilian Irniger. Eine zusätzliche Zuspitzung erfährt die Krisenhaftigkeit des Bergsteigens für die Führenden: Sie kennen die Gäste und deren Fähigkeiten womöglich nicht oder

scherspalte links oder rechts herum?‹ Und das ist wichtig. Also, das ist es, ich mag es auch, Entscheidungen zu treffen.« 152 Oevermann (1995: 39). 153 Oevermann (2008: 27 f.) selbst illustriert sein »Modell der Struktur sozialen Raumes« anhand des Bildes eines Bergwanderers, der über einen Gletscher geht, dessen Spalten zugeschneit und somit für den Wanderer nicht sichtbar sind. 154 Interview Lilian Irniger (2007: 11).

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nur schlecht, zudem sind sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gäste verantwortlich.155 Die auf Dauer gestellte Krise in Form einer Abwesenheit von Routine und das ständige Entscheidenmüssen werden von vielen Interviewten explizit geschätzt. Besonders gut, erzählt beispielsweise Caroline Bratschi, gefalle ihr am Bergführerberuf, »[…], dass es kein Beruf ist, bei dem einfach alles nach Schema abläuft, (I.: Mhm.) oder. Ich meine, es ist je-, jeder Tag, an dem du z’Berg gehst, ist wieder, ist anders, du hast andere Verhältnisse, auch wenn du zum x-ten Mal auf den gleichen Berg gehst. Die Verhältnisse sind immer anders, (I.: Mhm.) das Wetter ist anders, (I.: Mhm.) der Gast ist anders, (I.: Mhm.) es ist einfach immer wieder alles neu. (I.: Mhm.) Und du musst dich wieder darauf einstellen, du musst immer wieder neue Entscheidungen treffen, du kannst nicht einfach nur nach, nach Schema vorgehen.«156

Problematisierungen des permanenten Entscheidungszwangs wie etwa bei der oben zitierten Lilian Irniger, die darin einerseits den Reiz des Berufs sieht, diesen Aspekt andererseits manchmal aber auch als anstrengend und schwierig erlebt, finden sich in den Interviews selten. Diese Struktureigenschaft des Berufs hat gemäss mehreren Interviewten einen berufsspezifischen Habitus zur Folge, der letztlich das Wesen der ganzen Person prägt. Viele Bergführer hätten »eine gewisse Ruhe« und seien »nicht so schnell aus dem Häuschen« zu bringen, stellt Samuel Schwager fest. Man lerne, angesichts brenzliger, existentieller Situationen nicht aufzubrausen, was sich auch auf den Alltag auswirke. Ihn bringe beispielsweise an der Uni kaum etwas aus dem Konzept, denn er sage sich jeweils: »Ja dann halt, du stirbst ja nicht.«157 Was sie als Bergführerin gelernt habe, erzählt auch Astrid Padrutt, die kaum mehr Gäste führt, komme ihr auch in ihrem heutigen Berufsalltag zugute. In »Krisensituationen« und wenn sich »Katastrophen« ereignen, sei sie gut, lasse hingegen der Stress nach, nehme ihre Konzentration ab.158 Der Zwang, im Beruf ständig Entscheidungen zu fällen, wirke sich auch auf das Privatleben aus. Eine mit einem Bergführer verheiratete Bergführerin berichtet von eheinternen

155 Besonders virulent wird die Problematik des Fällens von folgenreichen Entscheidungen etwa im Zusammenhang mit dem Einschätzen des Lawinenrisikos (vgl. Fink 2010). 156 Interview Caroline Bratschi (2007: 23 f.). 157 Interview Samuel Schwager (2005: 43 f.). 158 Interview Astrid Padrutt (2007: 33).

 

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»Kämpfen«, da beide Beteiligten sich gewohnt seien, vor andere Leute zu stehen, Entscheidungen zu treffen und eigene Ideen durchzuziehen.159 Ein anderer Führer erlebt es hingegen bisweilen als belastend, nach einem Tag, an dem er ständig entscheiden musste, nach Hause zu kommen, wo die Familie von ihm weitere Entscheidungen erwartet.160 Neben der permanenten Krisenhaftigkeit und dem damit zusammenhängenden Entscheidungszwang wird auch das Übernehmen von Verantwortung von ausgesprochen vielen Interviewten als Aspekt genannt, der den Beruf für sie auszeichnet und – meist auch – interessant macht. Für Anja Hunziker beispielsweise bestand der Reiz des Führens bereits als Kind darin, »voraus gehen und äh, ja, die Verantwortung übernehmen für diese Seilschaft«, etwas, das ihr noch heute gefalle und ihr leicht falle.161 Auch diese berufsinhärente Pflicht zur Verantwortungsübernahme schreibt sich gemäss den Interviewtenes in den Habitus ein. Nicht wenige entwerfen sich als Führungspersonen und Verantwortungsträger, die gerne – wie bisweilen gezogene Vergleiche zum Piloten, zum Arzt oder zum Unternehmensführer deutlich machen – für das Leben und das Wohlergehen anderer Menschen Verantwortung übernehmen. Nicht selten sehen sie sich dabei auch als Träger gesellschaftlicher Verantwortung. 6.5.2 Risiko als Herausforderung In ihrem Beruf haben es Bergführerinnen und Bergführer mit gewissen Gefahren und Risiken zu tun, darin sind sich die Interviewten weitgehend einig. Alphons Beer, der in seiner rund 50-jährigen Bergführertätigkeit lediglich wenige kleinere Unfälle erlebte, bestätigt – von der Interviewerin auf die Gefährlichkeit des Berufs angesprochen –, es könne immer etwas passieren, eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht. Die Liste möglicher Gefahren, die er daraufhin aufzählt, ist lang: Steinschläge, Lawinen, Wechtenbrüche162, Gletscherspalteneinbrüche, ausbrechende Felsstücke, ein Gast, der ins Seil fällt, oder ungenügende Sicherungen können dem Bergführer zum Verhängnis werden. Auch Lukas Jacobi bestätigt, ein gewisses »Restrisiko« bestehe in den Bergen immer. Unterschiede finden sich bei den Bergführerinnen und Bergführern hinsichtlich der Einschätzung des Ausmasses dieser Risiken und Gefahren sowie bezüglich ihres

159 Interview Lilian Irniger (2007: 34). 160 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 10). 161 Interview Anja Hunziker (2005: 2). 162 Eine Wechte ist eine durch Wind verursachte Schneeablagerung an einer Geländekante, die abbrechen kann, wenn sie zu weit auf der Leeseite betreten wird.

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deutenden und handelnden Umgangs damit. Wie der Begriff »Restrisiko« deutlich macht, ist Lukas Jacobi daran gelegen, die Risiken – nicht zuletzt gegenüber sich selbst – als verschwindend klein darzustellen. Er lässt sich durch sie nicht von der Sache abbringen. Das Gleiche gilt für Alphons Beer und viele andere noch heute als Bergführer tätige Interviewte. Es gibt aber auch Bergführerinnen und Bergführer, die ihrem Beruf nicht zuletzt wegen der Risiken den Rücken kehrten. Was den deutenden Umgang mit möglichen Gefahren und Risiken und allfällige Ängste davor anbelangt, fällt zunächst auf, dass sie für viele Befragte in Jugendtagen einen nicht unwesentlichen Teil der Faszination des Bergsteigens ausmachten und dies teilweise auch heute noch tun.163 Was sich etwa aus Schilderungen der Freude an der Wildheit der Landschaft, dem Abenteuerlichen oder dem Überleben einer Klettertour herauslesen lässt, wird von einigen Interviewten explizit formuliert: Je grösser die Angst, die es zu überwinden galt, desto höher sei danach die »Befriedigung« gewesen, erinnert sich Georg Koller.164 Und Nicole Niquille ist der Überzeugung, das Bergsteigen bedinge eine gewisse Freude am Risiko.165 Dieser Reiz am Riskanten wird verschiedentlich mit einer beständigen Neugierde Neuem gegenüber, dem Drang zur Bewältigung von Herausforderungen und der Faszination am Ausloten eigener Grenzen in Verbindung gebracht. Dabei macht die lauernde Gefahr das Neue interessant, sie lässt die Herausforderung erst zu einer solchen werden und sie markiert das Jenseits der Grenze, an die man sich herantastet. »Der Durchschnitt hat mich nie gereizt«, erzählt der knapp 50-jährige Leo Hirter, »entweder tief drunter oder hoch drüber, aber der Durchschnitt ist langweilig«.166 Es versteht sich von selbst, dass er bergsteigerisch das »hoch drüber« anstrebte. Gemeinsam ist den Befragten weiter, dass sie sich als heute verantwortungsbewusste Bergführerinnen und Bergführer geben, welche die ›wilde‹ Phase hinter sich haben, in der sie aus heutiger Sicht auch Unvernünftiges machten. Damals überlebten sie dies nur mit Glück, heute hingegen setzen sie alles daran, Risiken so weit wie möglich zu reduzieren. Risiko- und Verantwortungsbewusstsein gehören denn auch zum idealtypischen Bild des Bergführers, wie es

163 Das »Spannungsgefüge von ›Leben und Tod‹« ist, wie Stern aufzeigt, für sogenannte Wagnissportarten konstitutiv. Auf ihm basiert auch der Heroismus dieser Sportler: »Wo es übermächtige Gewalten zu bestehen gilt, ist auch die Figur des Helden nicht weit, wird die ›nutzlose‹ Tat zur Heldentat [Hervorhebung i. O.].« (Stern 2003: 41). 164 Interview Georg Koller (2005: 32). 165 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 31). 166 Interview Leo Hirter (2007: 4).

 

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bereits in den (Auto-)Biografien gezeichnet wurde, und dürften nicht zuletzt Tugenden sein, die den Bergführerinnen und Bergführern in der Ausbildung vermittelt werden. Bergführer, die aus der Freeclimbing-Szene kommen, meint jedenfalls ein Bergführer in einem informellen Gespräch, würden in der Bergführerausbildung »domestiziert«. Ebenso dürfte es anderen abenteuerlich draufgängerischen jungen Bergsteigerinnen und Bergsteigern ergehen. Bezüglich des deutenden Umgangs mit den Risiken und Gefahren im Berufsalltag fällt weiter auf, dass diese besonders von jenen Bergführerinnen und Bergführern, die noch als solche tätig sind, gedanklich in Schach zu halten versucht werden. Caroline Bratschi beispielsweise beruft sich auf eine »philosophische Grundeinstellung«: »Wenn man immer nur diese Gefahren sieht und mit dieser herumläuft, (I.: Mhm.) dann (I.: Mhm.) macht man diesen Beruf nicht lange, oder. (I.: Ja, ja.) Also im Grossen und Ganzen, w-, also ich probiere jedenfalls immer positiv zu sein, oder, (I.: Mhm, mhm.) weil ich bin eigentlich auch überzeugt, dass wenn man selber positiv durch das Leben geht, dass man auch die, die guten (I.: Ja.) Adern ein bisschen anzieht, oder.«167

Bewusst entscheidet sie sich dafür, die Gefahren auszublenden; erstens, weil sie überzeugt ist, dass die Ängste einen dominieren und beeinträchtigen, werden die Gefahren zu sehr fokussiert, zweitens, weil sie – im Sinne des psychologischen Konzeptes des »positiven Denkens« – davon ausgeht, dass autosuggestive Gedanken reale positive Auswirkungen zur Folge haben können. Drittens geht sie – wie sich später zeigen wird – aufgrund ihres Glaubens davon aus, dass es letztlich in den Händen Gottes liegt, wann ihr Leben zu Ende ist. Eine andere, weniger bewusste Art des deutenden Umgangs mit der Gefahr findet sich in der relativ weit verbreiteten Argumentation, welche die Risiken, die trotz aller Vorsichtsmassnahmen noch vorhanden sind, mit der generellen Gefährlichkeit des Lebens vergleicht, was bisweilen den Eindruck einer Rationalisierung hinterlässt. Symptomatisch hierfür ist Lukas Jacobi, der von einem »Restrisiko« spricht. Äusserst verbreitet ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit Gefahren im Strassenverkehr, wobei die Argumentation häufig nicht zu Ende geführt wird oder gar in sich zusammenfällt. Als Beispiel sei der über 70-jährige Friedrich Tresch zitiert, der selbst nicht Autofahren kann:

167 Interview Caroline Bratschi (2007: 25 f.).

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»Ein Risiko gehst du ja bei jedem Ding, du gehst ja mit dem Autofahren (und da,) (I.: Jaja.) ich meine das, da kannst du, deine, aber, ich bin, ich habe Glück gehabt.«168

Viele »wirklich ganz extreme Bergsteiger« seien nicht in den Bergen, sondern bei einem Autounfall ums Leben gekommen, weiss auch Leo Hirter zu berichten.169 Einzig Samuel Schwager lässt dieses Argument nicht gelten, denn den Gefahren auf der Strasse setzten sich Bergführerinnen und Bergführer ja zusätzlich zu anderen Risiken aus, die sie eingehen.170 Eine weitere Form des deutenden, ebenfalls rationalisierenden Umgangs findet sich bei Florian Lerch, der vom Extrembergsteigen lebt und seine Expeditionen als weniger gefährlich bezeichnet als gewisse einfachere Touren, die er mit »Stolperis hintendran« durchführt, also mit Gästen, die keine guten Bergsteigerinnen und Bergsteiger und deshalb unberechenbar sind und ihn an bestimmten Hängen in die Tiefe reissen könnten. Bezüglich des handelnden Umgangs betont die grosse Mehrheit der Interviewten, sie seien vorsichtig; manche bezeichnen sich gar als »defensiv«. Sie betonen, dass sie heute die Risiken möglichst tief zu halten versuchen, indem sie sich bezüglich des eigenen Tuns selbst Grenzen setzen. Das Spektrum dessen, was diesseits und was jenseits dieser Grenze liegt, ist jedoch äusserst breit. Florian Lerch, der als Extrembergsteiger vieles tut, wovon andere die Finger lassen würden, meint, er breche eine geplante Erstbegehung auch mal ab, wenn ihm die Situation als zu gefährlich erscheint, im Wissen darum, dass ihm deshalb ein Konkurrent zuvorkommen könnte. Für Eugen Albertin liegt das Basejumping, das manche Bergführer – selbstverständlich ohne Gäste – praktizieren, »zu fest im roten Bereich«. Luzia Wenger begeht gewisse Stellen nicht mehr, weil sie ihr wegen des Abschmelzens des Permafrostes zu gefährlich wurden. Georg Koller verzichtet wegen der Spaltensturz- und der Lawinengefahr auf Skitouren, die über Gletscher führen, und Michael Gnos, der die Ausbildung noch vor sich hat, vermutet, er werde sich auf Ausbildungswochen und einfache Touren spezialisieren, die zwar finanziell weniger einträglich, dafür aber weniger risikobehaftet seien. Anja Hunziker gab das Führen nicht zuletzt wegen der Gefahren fast ganz auf:

168 Interview Friedrich Tresch (2007: 35 f.). 169 Interview Leo Hirter (2007: 47). 170 Interview Samuel Schwager (2005: 17 f.).

 

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»Für mich ist es auch ein Grund, mit ein Grund gewesen, um den Beruf auch zu wechseln, weil ich gewusst habe, ich möchte eigentlich meine Schutzengel nicht überstrapazieren.«171

Während sich Anja Hunziker auf ihre arg strapazierten »Schutzengel« beruft, macht ein anlässlich eines Feldaufenthaltes getroffener Bergführer zunehmende Ängste, die ihm vor grösseren Touren mit Gästen den Schlaf raubten, dafür verantwortlich, dass er heute keine Gäste mehr führt. 6.5.3 Begleiter Bergtod Zweifel über das eigene Tun werden in den Interviews trotz der Gefahren und gerade dank den Strategien des deutenden und handelnden Umgangs damit vergleichsweise selten erwähnt. Tauchen sie dennoch auf, so meist im Zusammenhang mit dem Tod nahestehender Bergsteigerinnen oder Bergsteiger oder einem Vorfall, der für sie selbst fast das Ende bedeutet hätte. In der Regel aber scheinen diese Zweifel schwächer zu sein als der Drang weiterzumachen. »Irgendwie überwiegt es dann wieder, das Schöne. Es ist so riesig stark, wie eine, wie eine Sucht«, begründet Vinzenz Stocker sein Weitermachen, trotz einigen Haderns nach mehreren Todesfällen von ihm nahestehenden Berufskollegen.172 Verbreitet ist in diesem Zusammenhang – besonders bei jenen Personen, die sich auf eine Sucht oder einen Virus berufen – auch die Idealisierung des Bergsteigens als etwas, für das es sich letztlich zu sterben lohnt, wie sie im Bild des Regenwurmes bei Lukas Jacobi zutage trat. Michael Gnos betont zwar, er habe noch anderes, das ihm wichtig sei im Leben, und er wolle keineswegs in den Bergen verunglücken; jedoch, fügt er an, habe er während eines strengen Jahrs an der Universität gemerkt, »was es bedeutet, einfach einen Sommer drin zu hocken und zu lernen. Und wenn ich das so vergleiche, dann, dann ist mir das das Risiko noch wert«173. Auch Esthel Montandon neigt zu einer Romantisierung des Bergtodes, wenn sie meint, sie sei zwar sehr traurig, wenn eine ihr bekannte Person in den Bergen sterbe, sie habe aber kein Problem, dies zu akzeptieren, da es eben in den Bergen passierte und die Betreffenden ihrer Leidenschaft zum Opfer fielen.

171 Interview Anja Hunziker (2005: 26). 172 Interview Vinzenz Stocker (2007: 36). 173 Interview Michael Gnos (2007: 6).

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»Quand t’as un copain qui meurt, (I.: Ouaiouais) tu sais, tu sais qu’il a vécu sa vie pleinement, (I.: Ouais) qu’il était super heureux, donc ça ça aide à accepter aussi. (I.: Mhm) Parce que tu dis: ›Il a eu une vie géniale, il a fait ce qu’il voulait, il a fait des trucs incroyables.‹«174

Diese Standfestigkeit angesichts des Verlustes von Nahestehenden, den viele, wie sie sagen, aktiv verdrängen, kann bisweilen auch ins Wanken geraten. Einer der Befragten, der auch in der alpinen Rettung tätig ist, war wenige Tage vor dem Interview an der Bergung einer Toten beteiligt, was ihn, wie er sagt, nicht beeindruckte und an ihm »eiskalt vorbeigegangen« ist. Mit dem Bergtod eines ihm einst nahestehenden Menschen hingegen hadert er stärker, sodass er einen Psychiater aufsuchte. Dieser stellte bereits nach zwei Sitzungen fest, »es sei gut«, er habe das Ereignis so verarbeitet, dass er nicht bleibend darunter leiden werde. Noch heute steht für den Führer aber offen, welche Konsequenzen er letztlich aus diesen Erlebnissen ziehen wird. Dass Bergführer besonders gut mit hoher Belastung und traumatischen Situationen umgehen können, dafür sprechen die empirischen Befunde von Sommer und Ehlert175. Sie stellen in einer Studie fest, dass Bergführer – wie Polizistinnen, Hochseeretter und Feuerwehrleute – häufig traumatischen Situationen ausgesetzt sind, in denen ihr Leben oder das Leben anderer bedroht ist, dass sie aber weit weniger stark unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden als Angehörige anderer Berufsgruppen. Sie führen diese Beobachtung auf das bei den befragten Bergführern festgestellte ausgeprägte »Kohärenzgefühl« zurück, das eine »innere Stimmigkeit« sowie die Überzeugung umfasst, »dass Anforderungen des Lebens als Herausforderungen und nicht als Überforderungen eingeschätzt werden«176, auf eine gute Aus- und Weiterbildung sowie auf die »Fähigkeit zur vorübergehdenden Verdrängung von negativen Gefühlen«177.

174 Interview Esthel Montandon (2008: 52). »Wenn Du einen Kollegen hast, der stirbt, weisst du, dass er sein Leben voll gelebt hat, dass er super glücklich war. Also das, das hilft auch, es zu akzeptieren. Weil du sagst: ›Er hat ein geniales Leben gehabt, er hat das gemacht, was er wollte, er hat unglaubliche Dinge gemacht.‹« 175 Sommer/Ehlert (2002; 2004); Sommer (2001). 176 Sommer (2001). 177 Sommer/Ehlert (2002: 7).

 

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6.5.4 Bedeutung von Religiosität Der Tod, der aufgrund der Endlichkeit des Lebens konstitutiver Bestandteil desselben ist, hat für Bergführerinnen und Bergführer insofern eine besondere Präsenz, als die meisten von ihnen Kolleginnen oder Freunde in den Bergen verloren haben und sich schon mit der Gefahr des eigenen Verunglückens auseinandersetzen mussten. Angesichts dessen fragt sich, auf welche Deutungen die Interviewten zur Erklärung des Todes und der Gefahr des Verunglückens zurückgreifen und inwiefern sich darin Formen von Religiosität finden lassen. Auf der Basis der geführten Interviews lassen sich typisierend drei Deutungen unterscheiden: Im Sample finden sich Bergführerinnen und Bergführer, etwa Alphons Beer, die sich als gläubig bezeichnen und im Zusammenhang mit dem Bergsteigen sowie im Umgang mit Risiken in ihrem Beruf mehr oder weniger stark auf ihren Glauben zurückgreifen. Die meisten von ihnen kommen aus katholisch geprägten Bergregionen, viele davon aus dem Kanton Wallis.178 Jean-Michel Thuillard entwirft die Berge als ein Ort, der dem Göttlichen näher ist: »D’aller en montagne euh, je me dis que ça, que ça me rapproche un petit peu euh (..) du Seigneur.«179 Er habe das Gefühl, Gott habe ihm in seinem Leben wiederholt »Zeichen« gegeben, und in brenzligen Situationen bete er, wie damals, als er einmal in eine Lawine geriet. Sein Glaube gebe ihm im Leben allgemein Sinn und helfe ihm auch über schwierige Situationen im Zusammenhang mit seinem Beruf hinweg. Etwas weniger stark auf den Glauben verlassen mag sich Alphons Beer. Man bete zwar, »dass nichts passiert«, und beim Gipfelkreuz hege man »gute Gedanken«, aber »anseilen« müsse man sich trotzdem:

178 Der Kanton Wallis gilt in der Schweiz als ausgesprochen katholisch; erstens, weil der Katholizismus empirisch weiter verbreitet ist als in anderen Landesteilen und zweitens, weil davon ausgegangen wird, dass er in diesem Kanton noch stärker gelebt wird. Im Jahr 2000 waren 81 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Wallis katholisch, während im gleichen Jahr 42 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung der römisch-katholischen Landeskirche angehörten (BfS 2010b). Beim Ausfüllen der biografischen Daten gaben vierzehn Interviewte an, der katholischen Landeskirche anzugehören, fünf bezeichnen sich als protestantisch und eine Person sagt, sie bezahle »keine Kirchensteuer«, sei aber evangelisch. Die Konfessionszugehörigkeit einer Person ist nicht bekannt. Die statistische Verteilung der Religionszugehörigkeit unter allen rund 1 515 Verbandsmitgliedern ist nicht bekannt. 179 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 9). »In die Berge zu gehen, äh, ich sag mir, dass mich das dem Herrn ein kleines bisschen näher bringt.«

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»Musst gleichwohl anders, sichern, musst gleichwohl selber gehen, gell. Kannst nicht beten, nachher sagen: ›Ja (?), ich tu dazu beten (und tu mich nicht sichern, so passiert mir nichts.‹) (I.: [lacht] Mhm) Auf das kannst du nicht gehen.«180

Auch die Katholikin Caroline Bratschi richtet hin und wieder in einer »heiklen Situation« ein »Stossgebet« gegen den Himmel und dankt dem »lieben Gott« auf dem Gipfel – berührt von der Schönheit dessen, was sie sieht –, dass sie das erleben darf. Das Leben liegt für sie letztlich in den Händen Gottes, was ihr angesichts von Todesfällen und der lauernden Gefahren Trost gibt. Wenn man das Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzt, entscheidet Gott, wann er einen »holt«, ist sie überzeugt. Dann passiere es, wo immer man sei, wenn nicht in den Bergen, dann eben auf der Strasse: »Wenn die Tage gezählt sind, sind sie gezählt«.181 Ein Todesfall, ist auch Fabio Clausen überzeugt, müsse letztlich einfach akzeptiert werden, denn schlussendlich entscheiden nicht wir, wann wir sterben.182 Am anderen Extrem des Spektrums finden sich Bergführerinnen und Bergführer, die zwar zu einem grossen Teil Mitglieder einer Landeskirche sind, sich jedoch nicht als gläubig bezeichnen. Er sei »nicht religiös oder so« meint Lukas Jacobi. Nach dem Tod, habe er das Gefühl, sei da »nichts«. Sollte dann doch etwas sein, wolle er sich dem nicht versperren, aber es sei wie sonst im Leben: Er lasse es auf sich zukommen und mache sich jetzt keine Gedanken dazu. »Ich will auch nicht irgendwie ein möglichst Braver sein jetzt im Leben für später, (I.: [schmunzelt]) weil, ich will es jetzt geniessen und jetzt ausleben, oder. (I.: Ja.) (..) Und sicher ist es so, dass, wenn man viel, sage ich jetzt mal, Gutes gemacht hat im Leben, habe ich das Gefühl, kommt das vielleicht wieder zurück.«183

Dieses Gute dürfte für ihn – wie in seinem Portrait deutlich wurde – in einem aus seiner Sicht guten und vorbildlichen Lebensstil bestehen. Diese Bergführerinnen und Bergführer berufen sich bei anstehenden Entscheidungen vollständig auf rationale Überlegungen, den Verstand und allenfalls das eigene Gefühl. Er sei realistisch, meint Eugen Albertin, und versuche gefährliche Situationen nüchtern zu betrachten und sich schlicht zu fragen: »Geht das, geht das nicht?« Aufs Beten zähle er ebenso wenig, wie er nicht viel vom Versprechen des Paradieses

180 Interview Alphons Beer (2005: 49). 181 Interview Caroline Bratschi (2007: 26). 182 Interview Fabio Clausen (2007: 28). 183 Interview Lukas Jacobi (2007: 22).

 

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halte: Das sei für ihn »Hokuspokus«184. Diese Fälle zeichnen sich durch das Vorhandensein »religiöser Indifferenz«185 aus. Besonders bei Jacobi, der gemäss seiner Regenwurm-Metapher lieber beim Erkunden der Erdoberfläche von einem Vogel gepickt würde, als unter der Erde dahinzuvegetieren, wird deutlich, dass er die »Struktur eines religiösen Glaubens bzw. einer religiösen Haltung in die Immanenz des vollständig verdiesseitigten autonomen Menschen«186 verlegt. Zwischen den beiden Extremen sind Bergführerinnen und Bergführer anzusiedeln, die sich mehrheitlich als eigentlich nicht gläubig bezeichnen, sich jedoch angesichts bestimmter Erklärungsnotstände auf Versatzstücke religiöser Vorstellungen berufen. Solche Vorstellungen kommen etwa dann zum Zuge, wenn ein Unfall passiert, der zuvor als äusserst unwahrscheinlich eingeschätzt worden wäre und bei dem die betroffene Person keinen Fehler gemacht zu haben scheint. Der Mittzwanziger Samuel Schwager, der der reformierten Landeskirche angehört und auf die Frage, ob er glaube, antwortet: »Nix die Bohne«, meint später im Interview, es gebe Fälle, in denen »der Liebgott den Knopf drückt und sagt, sorry, du musst jetzt kommen«.187 Auch der knapp 50-jährige Leo Hirter ist der Überzeugung: »Also wenn Dein Ührli abgelaufen ist, Dein Kerzli fertig ist, dann kannst Du machen, was Du willst, dann kann man saublöd sterben.«188 Während diese Vorstellungen den Anschein von Rationalisierungen erwecken, die das Vorhandensein des stets verbleibenden »Restrisikos« erträglich werden lassen, indem sie eine höhere Macht einführen und der Bergsteigerin, dem Bergsteiger jegliche Einflussmöglichkeit und somit auch ›Schuld‹ absprechen, zielen andere auf den Umgang mit dem Tod ab. Dabei wird der Endlichkeit des Lebens die Vorstellung einer Existenz nach dem Tod entgegengesetzt, wobei diese stets mit einer relativierenden, bisweilen selbstironischen Note formuliert wird, mit der die Befragten, hier Astrid Padrutt, zu verstehen geben, schon zu wissen, dass ihre Vorstellung irrational anmutet: »Also wir sagen jeweils, die Bergdolen, die um die Gipfel herumfliegen, das sind, dort sind Bergsteiger. (I.: Ah ja.) Und drum sind sie gerne um die Gipfel (?).«189

184 Interview Eugen Albertin (2007: 39). 185 Oevermann/Franzmann (2006: 61). 186 Oevermann/Franzmann (2006: 61). 187 Interview Samuel Schwager (2005: 20; 26). 188 Interview Leo Hirter (2007: 51). 189 Interview Astrid Padrutt (2007: 36).

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Dies sei nicht eine »Überzeugung« von ihr, es seien einfach so Bilder, die man habe, die einem das Gefühl geben, die Verstorbenen seien irgendwie doch noch da. Lilian Irniger, die von sich sagt, sie würde gerne glauben, dass es nach dem Tod weitergehe, erzählt, sie habe kurz nach dem Tod einer nahestehenden Person das Gefühl gehabt, diese Beziehung sei weitergegangen. Manchmal habe sie sich gedanklich an die Verstorbene gewendet: »Falls du mich siehst, dann wäre ich jetzt echt froh (letzte Worte schmunzelnd), wenn du mir helfen würdest.« Natürlich, fügt sie an, könne man sagen, dies sei lediglich ihr »Umgang« damit.190 Andere Interviewte wiederum formulieren vage Vorstellungen eines Zirkulierens von Materie, die sie im Buddhismus oder im Hinduismus verorten und deren Fazit es ist, dass »es« nach dem Tod in irgendeiner Weise weitergeht.

6.6 P RÄSENZ

UND

ABSENZ

VON

N ATION

Mit dem Thema Tod ist fast das Ende der Ausführungen zu den Werdegängen, zum beruflichen Selbstverständnis und zu den Deutungen der Interviewten erreicht. Ein wichtiger Aspekt blieb bislang aber noch unerwähnt: In den Kapiteln 2 und 4 wurde aufgezeigt, wie das Bergsteigen in der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl militärisch wie auch geistig national vereinnahmt wurde und wie Bergführer in der Bergführerliteratur, die damals in ihrer Blütezeit stand, als prototypische Schweizer Männer dargestellt wurden. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern sich ›Nation‹ im weitesten Sinne – also auch in Form von Reminiszenzen von Deutungen, die damals mit dem Nationalen in Verbindung gebracht wurden – in den Deutungen heutiger Bergführerinnen und Bergführer wiederfindet. 6.6.1 Abwesender Patriotismus und Armeekritik Auffallend ist, dass in der Mehrheit der Interviews kaum explizit auf die Schweiz als Nation Bezug genommen wird. Verschiedentlich wird zwar betont, der Bergführerberuf sei für den Tourismus der Schweiz und auch wegen der Felsarbeiten, die Bergführer übernehmen, sowie deren Funktion als Bergretter unverzichtbar. Patriotisch anmutende Aussagen und Überzeugungen zeigen sich jedoch kaum. Manches, was in den untersuchten Bergführerbiografien und -autobiografien national aufgeladen wurde, fehlt in den Interviews. Zwei Aspekte fallen dabei besonders auf: Im Diskurs der 1930er- und 1940er-Jahre wurde

190 Interview Lilian Irniger (2007: 45).

 

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erstens der Bergtod als maskuliner und bisweilen auch nationaler Heldentod verklärt. Die Fallrekonstruktionen machen deutlich, dass die Todesgefahr heute noch ein konstitutiver Bestandteil der Deutungen rund ums Bergsteigen ist und dieses mit einem gewissen Heroismus verbunden wird. Die teilweise festzustellende Romantisierung des Todes in den Bergen knüpft jedoch weniger an die nationale Konnotation des Bergsteigens an als vielmehr an die Mystifizierung der Tätigkeit als Leidenschaft. Die Passion bestimmter Individuen ist so gross, dass diese dafür – wenn es sein muss – ihr Leben herzugeben bereit sind. Zweitens wurde das Bergsteigen vom SAC wie auch von der Armee in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur als patriotische Praxis beschworen, sondern auch in den Dienst der militärischen Landesverteidigung gestellt. Erstaunlicherweise sticht nun bei vielen Interviewten eine auffallend distanzierende Haltung gegenüber der Armee ins Auge. Neun der fünfzehn Männer absolvierten die Rekrutenschule, einer davon wurde Offizier und einer Major. Sie äussern sich entweder nicht oder mit einem zurückhaltend kritischen Anstrich zum Militär. Vier Interviewte entzogen sich der Armee entweder vor oder nach der Rekrutenschule mit Hilfe medizinischer oder psychiatrischer Gutachten. Zwei absolvierten die Rekrutenschule, weigerten sich danach aber ›weiterzumachen‹. Von den Frauen war oder ist keine in der Armee. Mehr als die Hälfte der Männer – darunter junge Städter ebenso wie ältere Bergler – äussern sich kritisch bis ablehnend gegenüber der Armee, indem sie etwa beim Ausfüllen des Kurzfragebogens anmerken, sie hätten »kein Interesse« oder »keine Zeit« gehabt, ins Militär zu gehen, sie hätten »nicht dahinter stehen« können oder »Mühe« damit gehabt. Einer erzählt fast stolz, er habe mehrmals den Befehl verweigert und sei deswegen »in der Kiste« gesessen, ein anderer bezeichnet das Militär schlicht als »Scheissdreck«. Wie lässt sich die Diskrepanz zwischen diesen Äusserungen und der historischen Nähe der Armee und des Bergführerberufs erklären? Ein Grund für die verbreitete militärkritische Haltung unter den Interviewten dürfte in einer allgemein zunehmenden Armeekritik im Zuge des gesellschaftlichen Wandels besonders seit den 1980er-Jahren liegen.191 Die Zurückhaltung jener Personen, die Militärdienst absolvierten, dürfte zudem der Tatsache verschuldet sein, dass sich

191 Im Jahr 1989 wurde in der Schweiz über die Volksinitiative »Für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik« abgestimmt, die von der 1982 gegründeten »Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA)« eingereicht worden war. Nach einem bewegten Abstimmungskampf wurde die Initiative mit 35,6 Prozent der Stimmen abgelehnt bei einer für die Schweiz sehr hohen Stimmbeteiligung von 69,2 Prozent (www.admin.ch [Stand: 5.5.2010]).

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die männlichen Interviewten einer Interviewerin gegenüber sahen.192 Diese beiden Argumente vermögen das Ausmass der Kritik jedoch nicht abschliessend zu erklären. Gerade die Verbreitung der kritischen Haltung unter älteren Berglern sowie unter jüngeren, wie Clausen, der sich ansonsten ausdrücklich auf maskulin codierte Stereotypen beruft, lässt auf eine ernstzunehmende breitere Ablehnung der Instrumentalisierung des Bergsteigens für militärische und damit auch nationalistische Zwecke schliessen. In diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, dass zwar der SAC und die Armee Anfang des 20. Jahrhunderts eine Kooperation anstrebten und sich gegenseitig unterstützen, dass aber nicht bekannt ist, wie stark sich die Bergführer selbst damals mit der Armee identifizierten. Möglich ist, dass sie der Armee schon damals distanzierter gegenüberstanden als die Mehrheit der AlpenClubisten. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass die Eingliederung in die Armee und die Arbeit als Bergführer einander widersprechende Eigenschaften erfordern: Wie oben deutlich wurde, ist ein Bergführer gezwungen, permanent selbstständig Entscheidungen zu fällen, ein Armeeangehöriger hingegen muss sich hierarchisch unterordnen und gehorchen. Die Armee sei für ihn zwar eine gute Arbeitgeberin gewesen, da sie ihm ein regelmässiges Einkommen ermöglichte, bemerkt der über 70-jährige Friedrich Tresch, der in den 1950er-Jahren eine Zeit lang als Bergführer von der Armee angestellt gewesen war, nur leider sei er ein »zu wenig grosser Militärkopf« gewesen: »Gehorchen, das ist einfach nicht unbedingt jedem Mensch sein, sein Hobby und meins eben auch nicht gewesen.«193 Anzumerken bleibt, dass trotz der verbreiteten Armeekritik die militärische Rhetorik, die in den untersuchten Bergführerpublikationen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins Auge stach, in abgeschwächter Form nach wie vor anzutreffen ist. Noch immer wird eine Route »attackiert«, es wird »gekämpft« und »Niederlagen« werden erlitten. Die Metapher des »Sieges« wie auch andere explizite Kriegsmetaphern sind jedoch in den Interviews seltener anzutreffen.

192 Scholz (2004a: 253 f.) stellt fest, dass Männlichkeit – und dazu dürften auch begeisterte oder schwärmerische Erzählungen zum Militär gehören – in der Interaktion im Kontext von Interviewsituationen nur gegenüber männlichen Interviewenden konstruiert wird. 193 Interview Friedrich Tresch (2007: 8).

 

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6.6.2 Internationalität – Nationalität – Lokalität Weiter fällt auf, dass die internationale und die lokale Ebene in den Interviews mindestens so präsent sind wie die nationale. Diese Ebenen treten zum einen in Bezug auf das Territorium in Erscheinung und zum anderen bezüglich der Identifikation mit Berufskolleginnen und -kollegen. Bezüglich des Territoriums scheinen nationale Grenzen für die Interviewten – zumindest vordergründig – weitgehend bedeutungslos zu sein. Die einen Bergführerinnen und Bergführer sind wie Alphons Beer in einer lokalen Bergregion verankert, identifizieren sich stark mit dieser Region, beschränken sich vorwiegend auf Touren in diesem Gebiet und distanzieren sich von anderen, etwa städtischen Regionen der Schweiz. Besonders ausgeprägt ist diese lokale Verankerung und Identifikation beim jungen Zermatter Fabio Clausen, bei dem ein beträchtlicher Lokalpatriotismus feststellbar ist. Die Mehrheit der Interviewten hingegen ist im ganzen Alpenraum und häufig auch in aussereuropäischen Gebieten tätig und identifiziert sich primär mit dem Gebirge an sich und nicht so sehr mit dem von Grenzen umgebenen nationalstaatlichen Territorium. »Die [schweizerische, Anm. d. A.] Grenze interessiert mich eigentlich nicht«194, stellt etwa Lukas Jacobi fest. Vereinzelt jedoch tauchen dennoch auch Bezüge zur Schweiz auf, so auch bei Lukas Jacobi, der dem Bergsteigen einen staatskundlich bildenden Wert zuschreibt: Von den Gipfeln aus habe man einen anderen Blick und lerne so die Heimat, die Schweiz geografisch sehr gut kennen.195 Diese Deutung erinnert an jene der Bergtour als »Sich-Versichern des eigenen Territoriums«196 und als »feierliche[r], rituelle[r] Besuch eines Denkmals der Heimat«197, wie sie vom SAC von dessen Gründung an entworfen wurde. Die Gleichzeitigkeit der lokalen und der internationalen Ebene fällt auch bezüglich der Identifikation mit Berufskolleginnen und -kollegen auf, besonders bei Interviewten aus dem Kanton Wallis. Gerne wird die Bergführergilde als »Familie« beschrieben und idealisiert, wobei sich diese Familie – etwa bei Fabio Clausen – einmal auf die Berufskolleginnen und -kollegen aus dem eigenen Dorf oder Tal und ein andermal auf alle Bergführerinnen und Bergführer der Welt bezieht. Mit Erhalt des Bergführerbrevets wurde Clausen in die Bergführerfamilie Zermatts aufgenommen, was ihn entsprechend mit Stolz erfüllt. Als eine Art

194 Interview Lukas Jacobi (2007: 55). 195 Vgl. Kapitel 5.2.3. 196 Anker (1986: 17). 197 Wirz (2007a: 95).

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Familienzusammenkunft fungieren das Bergführerfest sowie Hochzeiten oder Beerdigungen von Berufskollegen, an denen alle Führerinnen und Führer des Vereins in Uniform erscheinen. Obwohl deutlich wird, dass er sich als Zermatter Führer letztlich dem privilegierten Kern und der Elite der Bergführergilde zugehörig fühlt, betont er, dieser »grossen Familie« gehörten alle Bergführer der Welt an: »Wenn jetzt ein Amerikaner kommt mit dem Pin, mit dem Bergführerpin, der ist bei mir willkommen, was auch ist.«198 In dieser Betonung der lokalen Verbundenheit und dem gleichzeitigen Lob der internationalen Kameradschaft klingt die historisch gewachsene Struktur der Bergführervereine und -verbände an, die eine starke lokale Verankerung und eine gleichzeitige Beschwörung gerade auch der internationalen Kameradschaft aufweist.199 6.6.3 Befreiende Höhe Anders als im Diskurs etwa des SAC in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das Bergsteigen von den Interviewten kaum explizit als nationale Praxis beschrieben. Überlebt haben hingegen – in transformierter Form – Deutungsmuster, die den damaligen Diskurs des SAC prägten. Sie sind in den Deutungen der interviewten Bergführerinnen und Bergführer in unterschiedlichen Ausprägungen präsent. Zufrieden ins Tal zurück Das Bergsteigen und die Berge werden, ganz ähnlich wie im frühen modernisierungskritischen Diskurs des SAC, von den Interviewten gerne mit körperlicher, geistiger und moralischer Gesundheit, Wohlbefinden sowie einem ›guten‹ und stimmigen Leben in Zusammenhang gebracht. Sie werden einem Unten gegenübergestellt, das mit physischer und psychischer Krankheit, Dekadenz, Verdorbenheit sowie persönlichen und gesellschaftlichen Problemen assoziiert wird. Dieses Unten mit all seinen negativ konnotierten Eigenschaften ist in verschiedenen Interviews – ganz wie im damaligen Diskurs des SAC – in Städten repräsentiert, allen voran in Zürich. Die Stadt wird immer wieder als Gegenpol zur intakten Bergwelt angeführt. In den Bergen, wo er lebt, meint etwa Leo Hirter, herrsche Ruhe und es sei nicht so hektisch wie in der Stadt: »Wenn ich jeweils nach Zürich runter gehe, dann löscht mir das gerade ab.«200

198 Interview Fabio Clausen (2007: 6). 199 Vgl. Kapitel 3.2.5. 200 Interview Leo Hirter (2007: 3).

 

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Die positiven Aspekte des Obens werden einerseits mit persönlichem Wohlbefinden in Beziehung gebracht. Lilian Irniger geniesst es, beim Arbeiten »laufen [gehen]« zu können, denn das Draussensein und die Bewegung seien für sie »lebenswichtig«.201 Leo Hirter erlebte schon als Jugendlicher, dass er nach einer gelungenen Tour in den Bergen »einfach zufrieden« nach Hause kam: »Im Tal unten beisst dich nichts mehr.« Aufenthalte in den Bergen sind für ihn noch heute ein Heilmittel, wenn er »tuuch«, also bedrückt, sei. Beispielsweise nach Todesfällen von Kollegen sei er »ein bisschen z’Berg« gegangen »irgendwo, und dann bist du wieder runter gekommen, dann ist das erledigt gewesen. Dann ist es wieder gegangen«.202 In diesem Suchen nach Läuterung in der Bergwelt klingt jenes »eskapistische Element des Bergsteigens«203 an, auf das sich die bürgerlichen Mitglieder des SAC in ihrer modernisierungskritischen Haltung seit dem 19. Jahrhundert beriefen. Andererseits gehen viele Interviewte auch davon aus, als Bergführerin und Bergführer anderen Menschen die positive Wirkung der Berge zugänglich machen und dabei sowohl dem Individuum als auch der ganzen Gesellschaft etwas Gutes tun zu können. Bergsteigen erscheint als heilende Alternative zu Überarbeitung, Alkoholismus, Drogen und ähnlichen Problemen, die als Auswüchse der Überzivilisation empfunden werden. Ebenso kuriert es, so die Perspektive, eine grassierende Konsumhaltung und Verantwortungslosigkeit. Besonders deutlich kommt dies bei jenen Bergführerinnen und Bergführern zum Ausdruck, die sich in ihrer Rolle als Bergführer als gesellschaftliche Vorbilder verstehen, allen voran bei Lukas Jacobi, der dank den Bergen von der schiefen Bahn auf den ›richtigen‹ Weg fand und andere ebenfalls auf diesen Weg bringen will. Dem Bergsteigen wird gemäss dieser Deutung – gerade weil es in der Wildheit der Bergwelt stattfindet – eine sozialisierende und integrative Wirkung zugeschrieben.204 Die Bergwelt erscheint dabei als »Heterotopie«205 im Sinne Foucaults, also als Ort, der einen Gegenraum und als solcher eine Negation des Raumes darstellt, in dem Menschen gewöhnlich leben. Auf der Überzeugung dieser sozialisierenden und integrativen Kraft der Berge und des Bergsteigens basieren die diversen, in Kapitel 3.7.3 erwähnten Projekte, die sich etwa an Drogenabhängige, Gefangene, Behinderte, Kranke oder Migrantinnen und Migranten richten und auf deren gesellschaftliche Integration

201 Interview Lilian Irniger (2007: 33). 202 Interview Leo Hirter (2007: 4; 11). 203 Anker (1986: 23); vgl. Amstädter (1996: 128f.) und Kapitel 2.4.1. 204 Vgl. Kapitel 3.7.3, 5.2.3 und 5.2.5. 205 Foucault (2005: 11).

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abzielen. Insgesamt wird in den Deutungen der Interviewten wie auch in den erwähnten Projekten das Deutungsmuster »Oben statt unten«206 reproduziert. Gerade die beispielsweise im Integrationsprojekt formulierten Ziele deuten darauf hin, dass sich das Deutungsmuster in das nationale Selbstverständnis eingeschrieben hat und als solches über ein starkes Beharrungsvermögen verfügt. »Ein freies Leben« Bergsteigen wird von den interviewten Bergführerinnen und Bergführern nicht nur mit dem Guten in Verbindung gebracht, sondern fast durchwegs auch mit Freiheit assoziiert. Angesichts dessen, dass der Begriff der Freiheit im Zusammenhang mit der Konstruktion des Schweizerischen Nationalbewusstseins von Beginn weg, besonders aber auch im Diskurs um die nationale Bedeutung der Alpen und des Bergsteigens eine zentrale Rolle spielte, stellt sich die Frage, worin die Freiheit in den Augen der Interviewten besteht und inwiefern sich darin Elemente der national konnotierten Freiheit finden. Diesbezüglich ist vor allem eine Passage aus dem Interview mit einer Bergführerin aufschlussreich. Luzia Wenger bezeichnet es als »wahnsinnig«, Bergführerin sein zu können. Auf die Rückfrage der Interviewerin, was daran »wahnsinnig« sei, meint sie unter anderem: »Du hast einfach ein wahnsinnig freies Leben, du bist immer draussen, du bestimmst eigentlich, ich meine, du bist selbständig, ja, (I.: Mhm) das ist schon wahnsinnig, wenn du denkst.«207

Die Freiheit, die das »wahnsinnig freie Leben« ausmacht, hat erstens eine räumliche Dimension. Sie besteht darin, »immer draussen« zu sein. Der Topos des Draussenseins als eine Eigenschaft des Berufs tritt in sehr vielen Interviews auf und ist ausschliesslich positiv konnotiert. Viele Interviewte betonen, dass sie gerne draussen sind, ja, dass das Draussensein für sie existentiell sei. Häufig wird es mit einem Bedürfnis nach körperlicher Betätigung, einem »Bewegungsdrang«208 in Zusammenhang gebracht. Das Draussensein-Dürfen wird dabei kontrastiv einem Drinnensein-Müssen gegenübergestellt, das bei den betroffenen Personen geradezu physisches Unwohlsein evoziert. Ein ehemaliger Verkäufer fühlte sich »hinter dem Ladentisch« eingesperrt, ein Interviewter erzählt, es habe ihm nach einem Jahr in einer Bürolehre »völlig abgestellt«, und eine ehemalige

206 Vgl. Anker (1986). 207 Interview Luzia Wenger (2005: 2). 208 Interview Eugen Albertin (2007: 5)

 

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Turnlehrerin störte sich an der räumlichen, aber auch organisatorischen Enge, die in den Turnhallen und in der Schule bedingt durch den stark strukturierten Stundenplan geherrscht habe.209 Das Draussensein wird jedoch nicht nur als räumliches, sondern als ein umfassendes Bedürfnis beschrieben, das zu einer stimmigen Lebensführung gehört. So sind die wenigen Tourenwochen, die sie noch führt, für eine Bergführerin, die vollzeitlich einer anderen Erwerbstätigkeit nachgeht, wichtige »Eckpunkte«, da sie im Hinblick darauf weiss, »dort bin ich dann wieder draussen«. Ein Bergführer bezeichnet es als seine »Philosophie«, »draussen zu sein«, und ein anderer empfindet das Bergsteigen gerade deshalb als »sehr komplett«, weil es draussen und nicht in einer »Halle« stattfindet, es habe für ihn als jungen Mann »ein Stück Freiheit« bedeutet und »dieses Gefühl von Freiheit oder auch von, von Bewegung und Natur« wolle er seinen Gästen »weitergeben«.210 Diese Beschwörung von Freiheit erinnert an jene, die auch im Zusammenhang mit anderen Sportarten vorkommt, beispielsweise dem Surfen, dem Fliegen oder dem Segeln.211 Entscheidend für sie ist allerdings, dass sie mit den Bergen in Zusammenhang steht. In der Beschreibung der wohltuenden Wirkung der Betätigung unter freiem Himmel und in der Verknüpfung dessen mit dem Gefühl der Freiheit klingt – einmal mehr – das Deutungsmuster »Oben statt unten« an. Wenn die Interviewten vom Draussen sprechen, ist damit nie einfach der ausserhäusliche Bereich in einer Stadt oder einem Dorf gemeint, sondern stets ein gebirgiges oder felsiges Gebiet. Dass dennoch vom Draussensein und nicht vom In-den-Bergen-Sein gesprochen wird, dürfte damit zusammenhängen, dass der heutige Bergsport und somit auch die Tätigkeit der Bergführerin, des Bergführers sich nicht nur im Hochgebirge abspielt, sondern auch in tieferen Lagen,

209 Interviews Leo Hirter (2007: 1), Anton Richenberger (2007: 3) und Caroline Bratschi (2007: 1 f.). »Mein Gefängnis war die Fabrik«, beschreibt auch der Alpinist und Schriftsteller Emil Zopfi seine Situation, in der er als Lehrling zum Bergsteigen kam (www.zopfi.ch [Stand: 4.5.2010]). 210 Interviews Anja Hunziker (2005: 27), Florian Lerch (2007: 25), Eugen Albertin (2007: 5). Diese Deutung von Freiheit findet sich bereits in der Autobiografie Christian Kluckers, der zu seinen »Jugendjahren« als Hirte schreibt: »Das freie Leben in Gottes schöner Natur auf den herrlichen, blumenreichen Triften des Fextales sagte mir überaus zu […].« (Klucker 1930: 7). 211 Vgl.

etwa

Lakeband

(2010),

www.segelschule-grosse-freiheit.de

[Zugriff:

30.9.2010] oder den Songtext »Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein« von Reinhard Mey.

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etwa an Kletterfelsen, in Klettergärten, an Boulderblöcken212, in Klettersteigen oder gar in Schluchten. Neben der räumlichen Dimension bezieht sich die Freiheit, die Luzia Wenger feststellt, zweitens auf die Möglichkeit, selbst bestimmen zu können. Dieses Bestimmenkönnen könnte darin bestehen, wie häufig, wann und welche Touren sie anbietet oder welche Gäste sie führt. Es könnte sich aber auch auf den konkreten Berufsalltag beziehen, etwa auf den Entscheid, eine Tour durchzuführen oder nicht, auf den Zeitplan, die Routenwahl, die kleinen Entscheidungen am Berg oder gar auf alles zusammen. Gemeinsam ist diesen Lesarten, dass die Bergführerin die Freiheit im Sinne einer Handlungsautonomie schätzt. Sie spricht damit einen Aspekt an, der bereits weiter oben mit dem permanenten und gesteigerten Entscheidungszwang als Strukturmerkmal des Berufs identifiziert wurde. Schliesslich äussert sich die Freiheit in den Augen von Luzia Wenger auch darin, dass man als Bergführerin »selbständig« sei. Diese Selbständigkeit kann zum einen für die bereits erwähnte Struktureigenschaft stehen, im Berufsalltag sämtliche Entscheide selbständig fällen zu können und zu müssen. Zum anderen dürfte damit auch die berufliche Selbständigkeit angesprochen sein: Als Bergführerin ist Wenger selbständigerwerbend und hat damit weder einen Vorgesetzten, der ihr sagen würde, was zu tun ist, noch Partnerinnen und Partner, mit denen sie Entscheide absprechen müsste, oder Mitarbeitende, deren Führung ihr obliegen würde. Neben diesen drei Aspekten von Freiheit, die auch in den anderen Interviews äusserst präsent sind, tauchen darin weitere auf: Einmal wird das »unheimlich freie […] Gefühl« gepriesen, das man habe, wenn man von einer Anhöhe aus runter schaue, ein andermal das Freiheitsgefühl, das sich beim Bergsteigen breit mache, wenn man merke, dass man auf sich selbst angewiesen ist.213 Auffallend ist, dass das in den Interviews omnipräsente Lob auf die Freiheit stets auf das Individuum bezogen wird. Wie rekonstruiert werden kann, fühlen sich die Bergführerinnen und Bergführer in den Bergen, beim Bergsteigen und bei der Ausübung ihres Berufs in verschiedener Hinsicht persönlich, als Individuen frei. Die nationale Konnotation von Freiheit, die mit dem Mythos des alteidgenössischen Freiheitskampfes seit Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts zum »Sockel eines historischen Nationalverständnisses«214 wurde und in Verbindung mit den Alpen als nationale kollektive Freiheit in den 1930er- und

212 Zum Bouldern vgl. Fussnote 22, Kapitel 6. 213 Interviews Lilian Irniger (2007: 3), Gabriel Koller (2005: 26). 214 Kreis (2009).

 

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1940er-Jahren etwa in der Idee des Réduits ihre Vollendung fand, zeigt sich in den Interviews nicht. Trotz dieser Abwesenheit und trotz der allgemein zu beobachtenden Präsenz des Lobes der Freiheit im Diskurs vieler Sportarten deutet die Omnipräsenz und Vielschichtigkeit des Freiheitsdiskurses in den Deutungen der Interviewten darauf hin, dass das ursprüngliche national konnotierte Deutungsmuster, wonach der Bergler als Verkörperung des freien Schweizers galt, in veränderter, nicht mehr explizit national konnotierter Form überlebt hat. Die Deutungsmuster »Oben statt unten« und jenes der »Freiheit« zeichnen sich also durch ein beachtliches Beharrungsvermögen aus, wobei sie in den Deutungen heutiger Bergführerinnen und Bergführer in transformierter Form auftreten: Die nationale Konnotation verlor zugunsten von Individuellem und Gesellschaftlichem an Bedeutung und verschwindet dahinter teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Deutlich wurde aber auch, dass sie nach wie vor mitschwingt und bei Bedarf wohl auch reaktiviert werden könnte. 6.6.4 Vorbild gegen innen – Aushängeschild gegen aussen Die Analyse der (Auto-)Biografien zeigte auf, dass Bergführer darin als ausgezeichnete Bergsteiger und Bergführer, besonders maskuline Männer sowie als ideale Schweizer Männer gezeichnet werden. Bergführer – so wurde gefolgert – werden dabei in doppelter Weise charismatisiert: Auf der einen Seite gilt die Charismatisierung den ›Führern‹, denen durch ihre Gefolgschaft, die Geführten, aussergewöhnliche Gaben attestiert werden, auf der anderen Seite der Figur des idealtypischen Bergführers und dem Bergführerberuf, womit das Charisma eine Veralltäglichung und Institutionalisierung erfährt. Beide Formen der Charismatisierung sind im Zusammenhang mit der Konstruktion von nationaler Identität zu verstehen. Der Bergführer verkörpert den Idealtypus des ›homo alpinus‹, der in den idealisierten, national konnotierten Alpen beheimatet ist und diese repräsentiert. Die Interviewanalysen haben deutlich werden lassen, dass das Bild, das besonders die nach 1940 geborenen Interviewten als Jugendliche vom Bergführerberuf hatten, ebenfalls von einer Charismatisierung geprägt war. Bergführer, die als Mentoren oder Vorbilder fungierten, beeinflussten den Berufswunsch mehrerer der damals Jugendlichen massgeblich. Aber auch das institutionalisierte Charisma des Berufs entfaltete bei ihnen Wirkung: Niemand von ihnen ergriff den Beruf allein aus pragmatischen Gründen, etwa der finanziellen Anreize wegen oder aus Verlegenheit. Vielmehr wurde dieses Berufsziel irgendwann zu einem »Traum«, der durch die Bewunderung für ein idealisiertes und heroisiertes Bild des Bergführers genährt und dessen Realisierung aktiv angestrebt wurde.

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Das idealisierte Bild lag etwa der Motivation zugrunde, durch den Berufstitel eine Konsekration zu erhalten, aber auch dem Gefühl einer Berufung, das einige für sich geltend machen. Die Charismatisierung in ihrer doppelten Form prägt auch das Selbstverständnis vieler Interviewter gegenüber ihren Gästen. Dies manifestiert sich – wie in Kapitel 6.4.6 ausgeführt wurde – bisweilen in einer Selbstcharismatisierung, dem Bemühen um Gefolgschaftssicherung, der Charismatisierung des Bergsteigens sowie in einem messianischen Anspruch. Damit tragen die Interviewten zum Fortbestand der Charismatisierung der Institution Bergführer bei. Schliesslich berichten auch einige Interviewte von Reaktionen etwa der Bewunderung, die ihnen von Gästen wie von anderen Menschen entgegengebracht werden, oder von einem »Bergführerbonus«215, den man als Führerin oder Führer habe, was als Ausdruck des Charismas dieses Berufs gelesen werden kann. Ähnlich wie die Deutungsmuster »Oben statt unten« und »Freiheit« wird auch die (Selbst-)Charismatisierung in den Interviews selten explizit mit Nation in Zusammenhang gebracht. Aber auch wo dies nicht geschieht, deutet einiges auf die Tradierung der Charismatisierung aus den 1930er- und 1940er-Jahren hin, wobei mehr oder weniger deutlich die damalige Konnotation mitschwingt, wonach der idealisierte Bergführer für etwas typisch Schweizerisches steht. Dort, wo diese Konnotation explizit gemacht und dem Bergführer der Status eines Vorbildes oder einer repräsentativen Figur attestiert wird, geschieht dies auf zwei Weisen: In der einen Variante richtet sich die Idealisierung des Bergführers auf Schweizerinnen und Schweizer, also gewissermassen gegen innen, in der anderen ist sie im Sinne der Vermarktung der Schweiz gegen aussen gerichtet. Ein Beispiel für die erste Variante findet sich bei Esthel Montandon, die überzeugt ist, dass der Bergführer jene Charaktereigenschaften in sich vereint, die »der Schweizer« idealerweise haben sollte: »Je trouve il y a, le guide il a aussi euh, des traits de caractère que le Suisse devrait avoir, d’après moi. (I.: Ah ouais!) Moi je trouve le Suisse il doit être contemplatif, (I.: Mhm) et puis euh, il doit être respectueux, à la montagne.«216

215 Interview Leo Hirter (2007: 37). 216 Interview Esthel Montandon (2008: 53). »Ich finde, der Führer hat auch, äh, Charakterzüge, die der Schweizer meiner Meinung nach haben sollte. Ich finde, der Schweizer muss kontemplativ sein, und äh, er muss die Berge achten.«

 

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Bergführer, fährt sie fort, »c’est des gens qui sont-, qui ont de la simplicité, qui sont authentiques. Je trouve, le Suisse, il doit être authentique aussi«217. In der gegen aussen gerichteten Variante repräsentiert der Bergführer gegenüber dem Ausland und Touristinnen und Touristen als typisch schweizerisch geltende Eigenschaften. Diese Deutung findet sich beim rund 60-jährigen Georg Koller, der den Schweizer Bergführer mit den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) vergleicht und meint, beide stünden für Sicherheit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.218 Auch der gut 50-jährige Anton Richenberger ist der Überzeugung, der Bergführer sei – zusammen mit den Bergen und dem Bergsteigen – »einer von vielen tragenden Faktoren« in »unserem Land« und für die »Imagewerbung« im Ausland unerlässlich:219 »Das ist Image. Der zeigt im Ausland: (I.: Mhm.) (›Schau,) der Bergführer ist so, da kannst du Vertrauen haben, (das ist) (I.: Mhm.) Zuver(lässigkeit,) (I.: Mhm.) der ist um neun dort.‹ Und das ist entscheidend.«220

Der Bergführer sei, genau wie Roger Federer, ein Aushängeschild für die Schweiz, denn er verkörpere Zuverlässigkeit, jene Eigenschaft, mit der sich die Schweiz verkaufen müsse. Deshalb habe er auch schon mehrmals beim Schweizer Fernsehen angeregt, dem Bergsteigen und dem Bergführerberuf in verschiedenen Sendegefässen mehr Präsenz zu verschaffen.221 Zu bemerken ist, dass es sich bei Anton Richenberger wie auch bei Georg Koller um Bergführer mit medialer Präsenz handelt. Sie fühlen sich – wiederum selbstcharismatisierend – dazu im Stande, Aussagen zur Bedeutung der Bergführer für die Schweiz zu machen, während die anderen Interviewten diesbezüglich weit zurückhaltender sind. Verschiedene Beobachtungen weisen darauf hin, dass der Bergführer und das Bersteigen heute strärker durch Fremdzuschreibung denn durch Bergführerinnen und Bergführer selbst national aufgeladen werden. Altbundesrat Adolf Ogi schreibt in seinem Vorwort im Buch »Kandersteger Bergführer 1856 – 1998«: »Bergführer haben unserem Land unschätzbare Dienste erwiesen. Die Fremden,

217 Interview Esthel Montandon (2008: 54). »Es sind Leute, die sind, die eine Einfachheit haben, die authentisch sind. Ich finde, der Schweizer sollte auch authentisch sein.« 218 Interview Georg Koller (2005: 18). 219 Interview Anton Richenberger (2007: 20; 44). 220 Interview Anton Richenberger (2007: 44). 221 Interview Anton Richenberger (2007: 45).

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welche geführt wurden, nahmen ihre Eindrücke mit nach Hause und gaben der Schweiz einen Platz in ihren Herzen.«222 Dass das Bild des Bergführers, der gegen innen und gegen aussen den idealtypischen Schweizer und die Schweiz überhaupt repräsentiert, besonders gerne von Politikern zitiert und reproduziert wird, wird etwa auch in Reden deutlich, die anlässlich der Brevetierungsfeier der Bergführerausbildung im Jahr 2005 gehalten wurden, der ich als teilnehmende Beobachterin beiwohnte. Die Feier fand im Stockalperschloss in Brig (Kanton Wallis) statt. Matthias Eggel, der damalige Stadtrat von Brig, betonte bei diesem Anlass, nicht nur die Bergführer im 19. Jahrhundert seien Pioniere gewesen, indem sie mit der »Bezwingung der höchsten und auch schönsten Berge Europas einen wichtigen Beitrag zur touristischen Entwicklung [des Schweizerischen Alpenraums, Anm. d. A.] beigetragen« haben, Bergführer seien auch heute noch Pioniere und stellten ein wichtiges Element im Tourismus dar: »Das Ziel stets vor Augen, Durchhaltewillen und grosse Anstrengung führen schlussendlich in den allermeisten Fällen zum Erfolg. Ich wünsche mir für die Schweiz mehr Pioniere mit diesen typischen Bergsteiger- beziehungsweise Bergführereigenschaften. Ich bin überzeugt, dass diese Qualitäten in der Schweiz mehr denn je gebraucht werden. Wir brauchen mehr Pioniere, die nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern stets nach vorne blicken. Denn dann wird es uns in der Schweiz auch in Zukunft gut gehen.«223

Herbert Volken, Präsident der kantonalen Bergführer- und Skilehrerkommission und Kantonalpräsident der Walliser Bergführer, äusserte in seiner Rede, die frischgebackenen Bergführer seien ab heute »Botschafter des Tourismus, les ambassadeurs du tourisme« und »Aushängeschilder der touristischen Regionen«. Die Kurorte könnten »stolz sein und sind es auch, Bergführer in ihrer Mitte zu haben«224. Und der Landeshauptmann Marcel Mangisch meinte schliesslich: »Meine sehr geehrten werdenden Bergführer, wenn sich eine Russin oder ein Chinese für das Ferienland Schweiz entschieden haben, dann wünsche ich mir für (?)Sie/sie(?), dass diese nicht nur an Schokolade, an Käse, an Uhren, an die Schweizerbanken denken, son-

222 Ogi (1999: 5). 223 Transkription der Rede von Matthias Eggel an der Brevetierungsfeier der Bergführerausbildung, Brig, 21.9.2005. 224 Transkription der Rede von Herbert Volken an der Brevetierungsfeier der Bergführerausbildung, Brig, 21.9.2005.

 

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dern vor allem an Sie, an die Schweizer Berge, an die sympathischen, aber auch kompetenten Schweizer Bergführer.«225

Der Bergführer soll also ebenso den Schweizer Bürgern Vorbild wie für die Touristen ein Abbild der Schweiz sein, das diese gedanklich nach Hause tragen. Die Charismatisierung des Bergführers als Repräsentant des typisch Schweizerischen, die bereits Anton Richenberger und Georg Koller ansprachen, tritt in den Reden dieser Politiker, in denen neben dem Lob des Berufsstandes das Anliegen der Vermarktung der Schweiz deutlich wird, besonders prägnant zum Vorschein. Ein weiteres Beispiel für die Fremdcharismatisierung des Bergführers findet sich in einem ganzseitigen, im September 2010 in der Neuen Zürcher Zeitung abgedruckten Inserat der krisengeschüttelten Grossbank UBS. Unter einer Fotografie zweier jubelnder, auf einem Berggipfel stehender Bergsteiger – es soll sich dabei laut Legende um die Bergführerin Evelyne Binsack mit einem Begleiter auf dem Mount Everest handeln – steht zu lesen: »Wir werden nicht ruhen«. Und unter dem Titel »Weil uns die Schweiz wichtig ist« betont die Grossbank, wie viel ihr am »Heimmarkt« gelegen sei, dass sich ihre Unternehmenskultur an »bewährten Schweizer Werten« orientiere, sich ihrer »gesellschaftlichen Rolle in der Schweiz voll bewusst« sei und dass sie zum »Wohlergehen der Schweiz« beitragen wolle.226 Die Bergführerin steht offensichtlich für die schweizerischen Werte, welche sich die Bank ebenfalls selbst zuschreibt.

225 Transkription der Rede von Marcel Mangisch an der Brevetierungsfeier der Bergführerausbildung, Brig, 21.9.2005. 226 NZZ (2010).



7 Geschlecht am Berg

Alpinismus war – wie historische Studien zeigen – von Beginn weg eine maskulin codierte soziale Praxis. Im Männlichkeitsritual Bergtour eigneten sich bürgerliche Männer als maskulin geltende Charaktereigenschaften an und stellten ihre Männlichkeit unter Beweis. Die Analysen der Bergführerpublikationen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts machten deutlich, dass Bergführern darin Eigenschaften zugeschrieben werden, die in besonderem Mass als maskulin gelten. Alltagsbeobachtungen weisen darauf hin, dass der Beruf bis heute maskulin codiert ist. Betrachtet man beispielsweise den untenstehenden, im Jahr 2008 in einer Alpinismuszeitschrift abgebildeten Cartoon, so erscheint darauf der Bergführer als geradezu idealtypischer Repräsentant hegemonialer Maskulinität.1 Auf der Darstellung sind zwei Bergführer zu sehen, die das IVBV-Abzeichen tragen und sich auf einer Skitour befinden. Beide haben eine mit weiblich codierten Attributen versehene Frau am Seil. Der eine der beiden zeigt seine ausgeprägten Arm- und Bauchmuskeln, trägt Bartstoppeln und einen Schnauz sowie ein kurzärmliges Hemd. Zu seinem Kollegen, der weder Muskeln noch Behaarung aufweist, dafür einige Pickel auf der Nase und einen Langarmpullover sowie Handschuhe trägt, sagt er: »Sagt doch geschtern Nacht scho wieder oani zu mir, sie taat gern amol an Bergfüahra kchennenlernen, aber so richtig!«, worauf der Schmächtige erwidert: »Teifl… hoscht as du schian! Zu mir sagn’s allerweil nur, sie taat’n gern amol an richtigen Bergfüahra kchennenlernen...« Ein ›richtiger‹ Bergführer kann gemäss diesem Cartoon – wenigstens aus der angenommenen Sicht der Frauen – nur sein, wer ein ›richtiger‹ Mann ist. Ein solcher verfügt über die entsprechenden physischen Merkmale sowie eine geringe Kälteempfindlichkeit und ist bei Frauen in sexueller Hinsicht attraktiv.

1

Vgl. Abbildung 6.

 

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Abbildung 6: Cartoon »Neulich am Berglasferner«2

Mit dem Verweis darauf, dass Maskulinität sowohl in Abgrenzung zu Frauen als auch in Abgrenzung zu anderen Männern hergestellt wird (der eine der beiden Führer ist der ›richtigere‹ Mann), dem Unterstreichen der biologischen Fundierung der Geschlechterdifferenz, der Anspielung auf eine ausgeprägt heterosexuelle Orientierung der beiden Männer und der Darstellung der beiden Frauen als Repräsentantinnen einer Weiblichkeit, die die hegemoniale Männlichkeit stützt, vermittelt der Cartoon Eigenschaften, die gemäss dem Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« für Männlichkeit konstitutiv sind. 2

Erschienen in »bergundsteigen. Zeitschrift für Risikomanagement im Bergsport«, Ausgabe 1/08, Zeichnung: Georg Sojer. Die Zeitschrift »bergundsteigen« wird gemeinsam vom Alpenverein Südtirol (AVS), dem Deutschen Alpenverein (DAV), dem Österreichischen Alpenverein (OEAV) und dem Schweizer Alpen-Club (SAC) herausgegeben.

 

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Dieser ausgesprochen klischierten Darstellung von Geschlecht im Cartoon werden in der Folge die empirischen Ergebnisse der Analysen der Interviews mit heutigen Bergführerinnen und Bergführern gegenübergestellt. In einem ersten Schritt wird der Blick auf Bergführer gerichtet. Es wird aufgezeigt, wie Maskulinität unter Männern hergestellt wird und wie die interviewten Männer über den Eintritt von Frauen in ihr Berufsfeld denken. In einem zweiten Schritt werden Bergführerinnen in den Blick genommen. Es wird beleuchtet, auf welche strukturellen, interaktiven und symbolischen Grenzen sie stossen, wenn sie sich Zugang zu diesem Feld verschaffen möchten, und was ihnen hilft, diese zu überwinden. Weiter wird erörtert, welche Erfahrungen des Ausschlusses sie während der Ausbildung, aber auch im Berufsalltag machten und machen. Schliesslich werden vier Strategien in typisierender Form vorgestellt, auf die Frauen zurückgreifen, um sich in diesem männerdominierten und maskulin codierten Feld zu bewähren. In einem dritten Schritt schliesslich wird gefragt, auf welche Geschlechterkonstruktionen die interviewten Männer und Frauen in ihren Ausführungen zurückgreifen, bevor theoretische Implikationen der empirischen Befunde erörtert werden. Eine solch klare Trennung von Männern und Frauen in der Analyse wie auch in der Darstellung ist insofern problematisch, als damit das Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit reproduziert und reifiziert wird. Sie lässt sich hier jedoch rechtfertigen, weil erstens die Idee der Zweigeschlechtlichkeit für das ausgeprägt maskulin codierte Feld zentral ist, weil zweitens – zahlenmässig wie auch hinsichtlich ihres Selbstverständnisses – Frauen in diesem Feld tatsächlich Ausnahmen und Sonderfälle darstellen und weil drittens alle Interviewten sich eindeutig als Männer oder Frauen identifizieren. Ein sogleich ins Auge fallender Unterschied zwischen den Interviews mit Bergführern und jenen mit Bergführerinnen besteht darin, dass die Männer – mit einer Ausnahme – weder ihr Mann-Sein noch die maskuline Codierung des Alpinismus, das Thema Frauen im Bergführerberuf oder Geschlecht in irgendeiner Form von sich aus ansprechen. Die Frauen hingegen beziehen sich in ihren Erzählungen ausnahmslos ungefragt auf ihr Geschlecht, meist bereits in der Eingangssequenz. Diese vordergründige Abwesenheit von Geschlecht in Interviews mit Männern ist kein bergführerspezifisches, sondern ein in der Männlichkeitsforschung verschiedentlich beobachtetes Phänomen.3 Sie gründet, wie Meuser feststellt, in der »Hypostasierung des Männlichen zum Objektiven«4, wie

3

Vgl. Dausien (2001: 64); Meuser (2006a: 311 ff.).

4

Meuser (2006a: 36).

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sie bereits von Simmel5 als die moderne Geschlechterordnung bestimmend beschrieben wurde. Die »Invisibilisierung des Geschlechtlichen im Handeln von Männern«, so Meuser, ist »ein entscheidendes Merkmal und die zentrale ›Strategie‹ des männlichen doing gender […], mithin Bestimmungselement des männlichen Habitus«.6 Aufgrund seines Vergleichs von »in der Tradition verankerten« Männern mit solchen, die dies nicht sind, stellt Meuser fest, die habituelle Sicherheit als Mann im Geschlechtergefüge bedinge geradezu, dass »das eigene Handeln nicht als ein geschlechtlich konnotiertes wahrgenommen wird«.7 Angesichts dieser Implizitheit von Maskulinität fragt sich, wie »das Unsichtbare sichtbar gemacht werden«8 kann, ohne dabei der Reifizierung von Geschlechterkonstruktionen anheim zu fallen. Zum einen wird dies in der Folge versucht, indem Befunde, die in den Fallrekonstruktionen zutage traten, vor dem Hintergrund bisheriger Erkenntnisse aus der Männlichkeitsforschung interpretiert werden. Zum anderen geschieht es, indem Geschlecht als analytische Kategorie begriffen und gefragt wird, wie die Interviewten unter Rückgriff auf Geschlecht gesellschaftliche Beziehungen legitimieren und konstruieren.9

7.1 H ERSTELLUNG VON M ASKULINITÄT IM HOMOSOZIALEN R AUM Was verschiedenste empirische Studien wie auch theoretische Entwürfe aus der Maskulinitätsforschung feststellen, tritt auch in der Analyse der Bergführerinterviews zutage: Maskulinität wird nicht nur gegenüber Frauen, sondern vor allem auch unter Männern hergestellt. Dies geschieht in ganz besonderem Masse in der Kindheit und Jugend, aber auch unter den berufstätigen Erwachsenen.

5

Simmel (1985 [1911]).

6

Meuser (2006a: 122).

7

Meuser (2006a: 312).

8

Scholz (2004a : 13). Scholz begegnet diesem Problem, indem sie in der Analyse drei Ebenen – die inhaltliche, die formale beziehungsweise grammatikalische und die interaktive – unterscheidet.

9

Scott (1994: 58); Dölling (1999: 22).

 

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7.1.1 »Bis es tschäderet« – Aneignung eines »männlichen Habitus« Bergführer kann nur werden, wer zum Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns bereits ein sehr guter Bergsteiger, eine sehr gute Bergsteigerin ist.10 Das dafür nötige Wissen und die Erfahrungen eigneten sich die Interviewten in der Kindheit und Jugend an. In Lukas Jacobis Portrait wurde rekonstruiert, dass seine Schilderungen des jugendlichen Bergsteigens verschiedene Elemente aufweisen, die gemäss der Sozialisations- sowie der Männlichkeitsforschung als charakteristisch für eine männliche Sozialisation gelten: Eine Peergroup männlicher Jugendlicher ist körperlich aktiv, wobei die Aktivität grobmotorischer und explorativer Art ist und im Freien sowie unter Ausschluss von Erwachsenen und Mädchen stattfindet. Seine Erzählung erinnert insofern an die von Bourdieu beschriebenen »ernsten Spiele des Wettbewerbs«11, als sich die Kollegen im vergemeinschaftenden Klettern miteinander messen, sich also im kompetitiven Spiel als »PartnerGegner«12 gegenüberstehen. Auch der weit verbreitete Rekurs auf die Metaphern der Sucht und des Virus zur Beschreibung der Faszination des Bergsteigens kann im Zusammenhang mit der Herstellung von Maskulinität gelesen werden. Sucht, so Stöver und Jacob, »ist neben Gewalt ein wesentlicher Bezugsrahmen für Männlichkeitskonstruktionen und Männlichkeitsinszenierungen«13. An eine typisch männliche Sozialisation erinnert weiter die Tatsache, dass die Tätigkeit als äusserst gefährlich beschrieben wird: Die Jugendlichen riskierten dabei ihre körperliche Integrität, ja gar ihr Leben. Dies wird etwa bei Lukas Jacobi deutlich, wenn er bemerkt, sie hätten »überlebt«, wie auch bei Alphons Beer, der erzählt, wie er als Kind mit anderen Buben eine Schlucht aufsuchte, wo sie sich darin massen, wer sich näher an den Abgrund wage. Das Riskieren des Körpers und des Lebens gemeinsam mit Peers ist in Variationen auch in den anderen Interviews mit Bergführern äusserst präsent: Samuel Schwager erzählt von einer seiner »Kamikaze-Touren«, die er als vergleichsweise unerfahrener junger Bergsteiger mit zwei Kollegen machte, auf der sie in ein Gewitter gerieten und beinahe vom Blitz getroffen worden wären.14 Zwischen zwanzig und dreissig sei er – berichtet Florian Lerch – mit seinen Kollegen jeweils »gegangen, bis es ›tschäderet‹« habe, wobei sie »ein paarmal grausam Glück gehabt«

10 Vgl. Kapitel 6.1.1. 11 Bourdieu (1997a: 203). 12 Bourdieu (2005: 83). 13 Stöver/Jacob (2009: 9). 14 Interview Samuel Schwager (2005: 4 f.).

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hätten.15 Der heute knapp 50-jährige Leo Hirter ist überzeugt, jeder Bergführer sei »in den jungen Jahren ein wilder ›Siech‹ [Kerl]« gewesen:16 »Wir haben früher ein paarmal Schwein gehabt, (also,) (I.: Mhm.) es hat uns beinahe getötet, oder. Dann bist du wieder heimgekommen, alles verschlagen, nachher hast du kaum laufen [gehen] können, zum Doktor müssen, hast da nähen müssen, dort nähen müssen.«17

Implizit legen die Erzählungen der gefährlichen und risikobehafteten Unternehmungen Zeugnis der Maskulinität dieser Männer ab: Handlungen, in denen die körperliche Integrität riskiert wird, gehören nach Meuser18 zu einer typisch männlichen Praxis, die der Aneignung von Männlichkeit dient und eine wichtige Funktion in der geschlechtlichen Sozialisation erfüllt. Sie finden üblicherweise innerhalb von homosozialen Peergroups im Rahmen der ernsten »Spiele des Wettbewerbs« – häufig im Sport – statt, wobei die Unversehrtheit des Körpers als Spieleinsatz fungiert. Gerne werden sie mit Härte, Zähigkeit, Belastbarkeit und Tapferkeit in Zusammenhang gebracht.19 Dass das Risikohandeln »Übungscharakter«20 hat, wird daran deutlich, dass es meist auf die Zeit der Adoleszenz beschränkt ist. So stellen auch die Bergführer die besonders riskanten Unternehmungen, durchaus kokettierend, als eine Art Jugendsünde dar. Im Bergsteigen unter Kollegen, so lässt sich das Geschilderte zusammenfassen, eigneten sich die Jugendlichen also nicht nur Techniken des Bergsteigens an, sie verinnerlichten auch einen »männlichen Habitus«21 inklusive einer körperlichen »Hexis«22. Die Erzählungen erfüllen zudem die Funktion, die damalige Leidenschaft und jenes Befallensein vom Virus zu unterstreichen, das von Aussenstehenden auch heute noch kaum verstanden wird. Weder die erlittenen Verletzungen noch die Todesgefahren konnten die jungen Bergsteiger – so die Aussage – davon

15 Interview Florian Lerch (2007: 4). »Tschädere« bedeutet »Klirren« und beschreibt hier einen Moment, in dem etwas schief geht. 16 Interview Leo Hirter (2007: 13). 17 Interview Leo Hirter (2007: 9). 18 Meuser (2005; 2007: 161 ff.). 19 Meuser (2007: 161). Vgl. Helfferich (1994: 58 ff.); Kolip (1997: 111). Zur Bedeutung der Peergroup für die Adoleszenz von Jungen vgl. Flaake (2009: 34 ff.). 20 Meuser (2005: 320). 21 Bourdieu (1997a: 203). 22 Bourdieu (1999a: 129; vgl. 1997a: 160 ff.).

 

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abhalten, die Risiken einzugehen und auch nach kleineren oder grösseren Unfällen sogleich wieder die nächste Tour in Angriff zu nehmen. Schliesslich verweisen die Erzählungen auf die breite Erfahrung der Interviewten, zumal diese stets betonen, heute viel vernünftiger zu sein: Gerade weil der Berichtende solch gefährliche Situationen überlebt hat, ist er heute ein guter, erfahrener Führer, dem man sich getrost anvertrauen kann. 7.1.2 Seilschaften Die Herstellung von Maskulinität im homosozialen Raum lässt sich auch unter Berufskollegen beobachten. Bereits die Darlegungen zu den Berufsverbänden haben gezeigt, dass das Ideal der Kameradschaft unter Berufskollegen in sämtlichen Verbandsreglementen seit den Anfängen hochgehalten wird. Ebenso wird die Kameradschaft in den untersuchten (Auto-)Biografien beschworen, wobei vereinzelt auch ihr Gegenstück, die Konkurrenz, auftaucht. Kameradschaft und Konkurrenz, welche der Partner-Gegnerschaft entsprechen, sind auch in den Interviews präsent. Die Seite der Partnerschaft wird unter Verweis auf »Kameradschaft« thematisiert oder taucht in der Betonung der familienähnlichen Bande beziehungsweise engen Freundschaften zwischen Führern auf. Mit Bergführern aus verschiedensten Regionen verbinden ihn »unheimliche Freundschaften«, erzählt Daniel Imsteg. Wenn er ein wirklich »ernstes Problem« hätte, würden sie sofort zu ihm kommen und er würde für sie das Gleiche tun: »Das ist dann gleichgültig zu welcher Tages- und Nachtzeit.« Gleichzeitig seien die Bergführer untereinander – auch er und seine Brüder, die ebenfalls Führer sind – im wirtschaftlichen Sinne Konkurrenten. Diese Konkurrenz sei jedoch nicht »brutal«, denn man gebe sich auch gegenseitig Arbeit ab, es sei vielmehr eine »gesunde Konkurrenz«.23 Während die Kameradschaft in den Interviews gerne hervorgehoben wird, lässt Konkurrenz sich zumindest manifest kaum feststellen, oder aber sie taucht negativ konnotiert auf, wie bei Jean-Michel Thuillard: Sein Ideal der Bergführerkameradschaft wurde arg erschüttert, als er feststellte, dass ein Berufskollege und Freund finanzielle Interessen über die Freundschaft zu ihm stellte, oder als er beobachtete, dass an der Beerdigung eines jungen Bergführers dessen Kameraden aus der Ausbildung fehlten.24 Während die Konkurrenz in den Interviews kaum und wenn, dann meist negativ konnotiert auftaucht, zeigen Beobachtungen, dass sie im Feld unausgesprochen sehr wohl vorhanden ist. Sie tritt etwa in

23 Interview Daniel Imsteg (2006: 12). 24 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 21; 23 f.; 27).

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der Frage zutage, wer mit seinen Gästen zuerst auf dem Gipfel steht oder wer die ›schönere‹ Aufstiegsspur in den Schnee legt. Im Sinne der Partner-Gegnerschaft gehört diese Konkurrenz zwar zum Beruf, sie auszusprechen oder allzu explizit auszuleben, scheint jedoch einem Tabu zu unterliegen. Wer dies dennoch tut, wie tendenziell beispielsweise Astrid Padrutt, die Bergführer als Einzelkämpfer bezeichnet,25 untergräbt das Ideal der Kameradschaft. Die Betonung der Kameradschaft erinnert an den Fraternalismus, wie er in Männerbünden anzutreffen ist – gerade auch, wenn sie unter Verwendung von Verwandtschaftsterminologien auftaucht. Männerzirkel und Männerklubs entstanden, wie Honegger aufzeigt, im Rahmen des »zweite[n] Zivilisierungsschub[s]« als bürgerliche Reaktion auf die als störend empfundene »gemischte Form der Geselligkeit«.26 Für Männerbünde ist bis heute charakteristisch, dass sie soziale und physikalische Räume darstellen, in die sich Männer zurückziehen, in denen sich Männlichkeit konstituiert und reproduziert und aus denen neben Frauen auch nicht zugehörige Männer ausgeschlossen werden.27 In homosozialen Männergemeinschaften »vergewissern sich die Männer wechselseitig der Normalität ihrer Ansichten und der Berechtigung ihrer Ansprüche, zum anderen vermehrt die Mitgliedschaft in einem Herrenclub das vorhandene soziale Kapital«28. ›Männerseilschaften‹ tauchen in den Erzählungen nicht nur als idealisierte kameradschaftliche, freundschaftliche oder quasi-familiäre Beziehungen zwischen Berufskollegen auf, sondern verschiedentlich auch als intergenerationelle Beziehungen zwischen erfahrenen Bergführern und Novizen. Während die einen Bergführer ihre Sozialisation ins Bergsteigen als autodidaktischen Prozess beschreiben und wie Jacobi die Rolle von Peers betonen, weisen andere auf die Bedeutung von Vorbildern und Mentoren in ihrer Biografie hin oder beschreiben sich selbst als solche. Dies wurde bei Alphons Beer deutlich, der in die Tätigkeit sozialisiert wurde, indem er mit einem erfahrenen Bergführer mitging, ihn beobachtete und ihm vieles abschaute. Später gab er einem jungen Bergsteiger sein Wissen und seine Erfahrungen weiter: »Ich bin sein Lehrer gewesen, hat er mir immer gesagt.«29 Beer lädt diese intergenerationelle Beziehung symbolisch auf:

25 Vgl. Kapitel 7.5.3. 26 Honegger (1989: 144). Zur Geschichte der Männerbünde und besonders zu Männerbünden in der Freizeit, im Sport und im Militär vgl. Blazek (2001: 130 ff.). Vgl. auch Völger/Welck (1990). 27 Meuser (2006a: 104 f.). 28 Meuser (2006a: 314). 29 Interview Alphons Beer (2005: 51).

 

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Er verewigte und zelebrierte sie, indem er aus Anlass seines fünfzigsten Berufsjahrs und des ersten Berufsjahrs des jungen Führers zusammen mit diesem das erwähnte Gipfelkreuz aufstellte. In solchen Vater-Sohn- beziehungsweise Grossvater-Enkel- oder Meister-Novizen-Beziehungen werden nicht nur Wissen und Erfahrungen, der Berufshabitus und das Charisma des Berufs tradiert, auch Männlichkeit dürfte über sie vermittelt und erworben werden. 7.1.3 Feminitätszuschreibungen Bezüglich der Herstellung von Maskulinität unter Männern fällt ins Auge, dass diese bisweilen über Feminitätszuschreibungen erfolgt, ohne dass dabei Frauen explizit abgewertet würden. Besonders deutlich wird dies in einer Passage des Interviews mit Florian Lerch, einem Bergführer Mitte dreissig. Auf die Zeit nach der Ausbildung angesprochen, meint er: »Ich bin dann natürlich froh gewesen, ich habe mich langsam ein bisschen abnabeln können in dem Sinn, dass ich einfach nicht mehr darauf angewiesen gewesen bin und diese Aspirantenzeit vorbei gehabt habe, diese Lehrzeit vorbei gehabt habe, (I.: Mhm.) die Plakette gehabt habe, dann, ja, hast mal etwas abgeschlossen gehabt, (I.: Mhm.) das sicher viel Zeit inves-, gebraucht hat vorher.«30

Anders als andere Bergführer, die erzählen, wie stolz sie waren, als sie den »Pin«, also das Bergführerabzeichen in Empfang nehmen konnten, nennt er dieses Abzeichen »Plakette«. Er benutzt damit einen Begriff, der im Schweizerdeutschen meist für Fasnachtsabzeichen verwendet wird, und macht dessen Träger dadurch – etwas despektierlich – zu einer karnevalesken Figur. Für einige Bergführer, erzählt er an anderer Stelle, sei es »unheimlich wichtig«, dass sie »mit dieser Brosche herumlaufen« können. Bei ihm sei das anders: »Das ist nicht das, was für mich wichtig ist.«31 Indem er den Begriff »Brosche« verwendet, das Abzeichen also mit einem Schmuckstück für Frauen gleichsetzt, das heute vorwiegend von älteren Damen (oder aber von jungen Frauen im Sinne eines ›Retro-Looks‹) getragen wird, feminisiert er die Person, die es trägt, und unterstellt ihr Eitelkeit und auch Rückständigkeit. Er stellt sich implizit über diese fiktiven Broschenträger, denen er ein oberflächliches Interesse attestiert, den Berufstitel zu tragen und dessen Prestige zu erlangen, jedoch keine wirkliche innere Leidenschaft für den Beruf. Für ihn selbst sei es nicht wichtig, mit dieser »Brosche«,

30 Interview Florian Lerch (2007: 8). 31 Interview Florian Lerch (2007: 12).

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der er lediglich eine (zweifelhaft) ästhetisch-dekorative, aber keine symbolische Bedeutung zugesteht, »herumlaufen« zu können; er selbst habe gar keine, doppelt er nach, er habe seine nämlich verschenkt. Er stellt sich damit als ›richtiger‹ und legitimer Bergführer dar und grenzt sich von jenen illegitimen ab, die den Beruf lediglich aus Prestigegründen ergriffen. Gleichzeitig unterstreicht er seine Maskulinität, indem er sich über Feminitätszuschreibungen von diesen Anderen abgrenzt, wobei Feminität gegenüber Maskulinität wie auch das Feminin-Männliche gegenüber dem Maskulin-Männlichen abgewertet werden. Die Herstellung von Maskulinität über Feminitätszuschreibungen wird in der Geschlechter- und Maskulinitätsforschung verschiedentlich beschrieben. Bereits Weber bemerkte zur charismatischen Erziehung etwa von Kriegern oder Priestern, sie sei »ursprünglich vor allem: Auslese der charismatisch Qualifizierten. Wer die Heldenproben der Kriegererziehung nicht besteht, bleibt ebenso ›Weib‹, wie der magisch nicht Erweckbare ›Laie‹ bleibt«32. Meuser weist auf die Herausbildung der männlichen Geschlechtsidentität in Abgrenzung gegenüber Frauen und allem weiblich Konnotierten sowie auf die in diesem Zusammenhang verbreitete »Abwertung des Weiblichen«33 hin. Scholz stellt in ihrer Studie zu Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer fest, dass in deren Erzählungen Männlichkeit »nicht durch Dominanz gegenüber Frauen, aber mittels Dominanz gegenüber Weiblichkeit konstruiert [wird], denn die Hierarchien zwischen den Männern werden mit Rekurs auf die Geschlechterdifferenz hergestellt«34. Derart deutlich wie bei Florian Lerch findet sich die Herstellung von Maskulinität über Feminitätszuschreibungen in den Interviews selten. Berufskollegen werden weit häufiger als ›Partner‹ denn als ›Gegner‹ ins Feld geführt, was mit der erwähnten Bedeutung des Konzepts der Kameradschaft in diesem Berufsfeld zu tun haben dürfte. Diese verunmöglicht es dem Berufsangehörigen tendenziell, sich herabsetzend über Berufskollegen zu äussern. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass sich eine solche Herstellung von Dominanz gerade bei Florian Lerch findet. Als Extrembergsteiger, dem unter anderem über mediale Präsenz ein beträchtliches Mass an Anerkennung entgegengebracht wird, nimmt er im Feld eine Sonderposition ein. Diese erlaubt es ihm, Distanz zum Feld einzunehmen und ungeschriebene Regeln zu durchbrechen. Die Herstellung von Dominanz über Feminitätszuschreibungen taucht jedoch auch in der Feminisierung bestimmter Aspekte des Berufs auf, auf die weiter unten eingegangen wird.

32 Weber (1972 [1921]: 677). 33 Meuser (2005: 314); vgl. Connell (2006: 99 f.). 34 Scholz (2004a: 261).

 

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7.2 F RAUEN – S TÖRFAKTOR

ODER

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B EREICHERUNG ?

1997 wiesen Heintz, Nadai, Fischer und Ummel35 unter Bezug auf verschiedenste Autorinnen und Autoren darauf hin, dass Männer auf das Eindringen von Frauen in Männerberufe häufig mit Ab- und Ausgrenzung reagieren, besonders wenn es sich bei den Berufen um traditionelle Männerberufe handelt. Rund fünfzehn Jahre später erweist sich diese Feststellung für den Bergführerberuf als bedingt zutreffend. Auf die Anwesenheit von Frauen im Bergführerberuf angesprochen, gab sich Alphons Beer zunächst offen, brachte sogleich aber seine Skepsis zum Ausdruck. Frauen sind nach ihm quasi von Natur aus anders und weniger geeignet für den Beruf als Männer. Üben sie den Beruf dennoch aus, so sind sie in seinen Augen keine ›richtigen‹ Frauen, sondern solche, die »auch ein bisschen Mann sein« möchten. Neben Alpons Beer äussert sich lediglich ein weiterer Interviewter, der knapp 40-jährige Jean-Michel Thuillard, explizit kritisch gegenüber Frauen im Beruf. Auch er gibt sich zunächst wohlwollend und meint, er finde es gut und wichtig, dass der Beruf auch für Frauen geöffnet worden sei, um sogleich anzufügen: »Mais c’est (..) c’est pas un métier fait pour une femme.»36 Wer das Gegenteil behaupte, sei ein Heuchler. Offensichtlich in der Furcht, er könnte von der Interviewerin falsch verstanden werden, fügt er an: »Quand je dis ça, il faut bien me comprendre, parce que peut-être euh (..) faut bien comprendre mon français là.«37 Es sei nun mal eine Tatsache, dass es »un métier très masculin«, ein sehr maskuliner Beruf sei, der letztlich für Frauen aufgrund ihres Körperbaus ungeeignet sei. Man müsse ständig schwere Lasten tragen, was der Physiognomie einer Frau wiederspreche: »C’est quand même un, un métier de bourrin.«38 Neben der fehlenden Kraft führt er die hygienischen Bedingungen in den Hütten an, die schon für einen Mann nicht einfach seien und für eine Frau demnach noch viel schwieriger sein müssten. Ein anderer Interviewter verweist auf die weibliche Anatomie, die unterwegs bei der Verrichtung körperlicher Bedürfnisse relevant werde: Für Frauen sei der Toilettengang auf einer Tour nun

35 Heintz/Nadai/Fischer/Ummel (1997: 36 f.; 229 f); vgl. Nadai/Seith (2001: 20 ff.). 36 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 29). »Aber es ist (..) es ist kein Beruf, der für eine Frau gemacht ist.« 37 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 29). »Wenn ich das sage, muss man mich richtig verstehen, weil vielleicht äh (..) man muss mein Französisch hier richtig verstehen.« 38 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 29). »Es ist doch ein Beruf eines Lastesels.«

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mal ein »völliger ›Act‹«.39 Bei den vereinzelten Bergführerinnen, die es gebe, handle es sich deshalb – so Thuillard – um aussergewöhnliche Frauen. »En général les femmes qui sont guides, euh, elles sont (..) elles sont assez imposantes. [I.: Mhm (..) mhm] C’est comme chez les hommes: Il y a des hommes qui pourront jamais faire guide parce que ils sont trop efféminés.«40

Im Begriff »efféminés« kommt die Abwertung anderer Männer über Feminitätszuschreibungen zum Ausdruck, die oben am Beispiel der »Brosche« Florian Lerchs ausgeführt wurde. Ebenso wie sich zu feminine Männer vom maskulinen Mann unterscheiden und somit nicht für den Führerberuf geeignet sind, unterscheiden sich die »imposanten« Frauen, gemäss Thuillard, von der ›normalen‹, femininen, für den Beruf nicht geeigneten Frau. Gemeinsam ist Beer und Thuillard erstens, dass sie sich in ihrer Argumentation primär auf die im Beruf erforderliche körperliche Anstrengung und körperliche Unzulänglichkeiten ›normaler‹ Frauen, also letztlich auf biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau berufen. Die körperliche Differenz ist es in ihren Augen, die Frauen für den Beruf ungeeignet macht. Um die Argumentation zu unterstreichen, greifen sie auf weitere quasi-biologische Argumente zurück. Beer knüpft das Kennen und Respektieren von Regeln an das biologische Geschlecht und Thuillard unterstellt den Frauen ein – aufgrund ihres Körpers – anderes Hygienebedürfnis. Zweitens teilen Beer und Thuillard die Überzeugung, dass Frauen, die den Beruf trotz der diagnostizierten mangelnden Eignung dafür ergreifen und ausüben, in ihren Augen keine ›richtigen‹ Frauen sind. Es sind »imposante«, (zu) maskuline Frauen beziehungsweise solche, die »auch ein bisschen Mann sein« wollen, also quasi Mannweiber. Gemeinsam ist ihnen drittens, dass sie sich zunächst verhalten positiv zur Anwesenheit von Frauen im Beruf äussern, bevor sie ihrer Skepsis Ausdruck geben. Ganz wohl scheint es ihnen jedoch dabei nicht zu sein, dies zeigt Beers Lavieren ebenso wie und Thuillards Befürchtung, die deutschsprachige Interviewerin könnte ihn falsch verstehen. Zu dieser dritten Gemeinsamkeit passt die Tatsache, dass Beer und Thuillard die einzigen Fälle des Samples sind, die ihrer kritischen Haltung Frauen gegenüber Ausdruck geben, obwohl es laut einem Interviewten viele solch »sehr klas-

39 Interview Florian Lerch (2007: 30). 40 Interview Jean-Michel Thuillard (2007: 31). »Im Allgemeinen sind die Frauen, die Bergführerinnen sind, ziemlich imposant. Es ist wie bei den Männern: Es gibt Männer, die nie Führer sein könnten, weil sie zu verweiblicht sind.«

 

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sisch Eingestellte«41 geben soll, die der Überzeugung seien, Frauen hätten in diesem Beruf nichts zu suchen. Diese Zurückhaltung im Äussern kritischer Bemerkungen zu Frauen im Beruf dürfte zum einen damit zu tun haben, dass die Norm der Gleichberechtigung der Geschlechter auch im Feld des Bergführerberufs ihre Wirkung entfaltet, sodass diskriminierende Äusserungen heute – sollten entsprechende Haltungen vorhanden sein – gerade auch einer weiblichen Interviewerin gegenüber nicht ohne Weiteres offen formuliert werden können.42 Zum anderen dürfte die Seltenheit von Positionen expliziter Ablehnung daran liegen, dass das Ideal der Gleichberechtigung unter Berufsangehörigen tatsächlich eine gewisse Verbreitung gefunden hat. Die Interviewanalysen machen deutlich, dass es zu kurz gegriffen wäre, vom Alter der Bergführer auf deren Haltung Bergführerinnen gegenüber zu schliessen. Einerseits gehört Thuillard nicht zu den älteren Führern des Samples, andererseits finden sich authentisch progressive Haltungen auch bei älteren Bergführern. Der über 70-jährige Friedrich Tresch beispielsweise mokiert sich über SAC-Mitglieder früherer Zeiten, die damals »wirklich das Gefühl gehabt haben, die Frauen würden die Männer fressen«, und Frauen dem Club fernhalten wollten. Ebenso habe er nie verstehen können, weshalb sein Kantonalverband interessierte und fähige Frauen lange Zeit nicht zum Führerberuf zugelassen habe. Frauen hätten doch das »haargleiche Recht« wie Männer. Als Beweis dafür, dass Frauen auch vermeintliche Männerarbeit verrichten können, beruft er sich auf seine Tante:

41 Interview Samuel Schwager (2005: 37). 42 Knapp weist darauf hin, »dass das, was geäussert werden kann, stark von Konventionen der Opportunität des Sagbaren beeinflusst wird. Dazu gehören auch Normen der political correctness, die aktuell verpönte Formen der Äusserung aus dem Offizialdiskurs verdrängen, ohne die dahinterliegenden Haltungen unwirksam machen zu können« (Knapp 2009: 31). Überdeutlich treten die ablehnende Haltung der männlichen Bergführer der jungen Bergführerin Andrea gegenüber und ihre Schwierigkeiten, im Feld ernst genommen zu werden, im Kriminalroman »Steinschlag« (Zopfi 2002) zutage. Bei dieser Diskrepanz zwischen den Interviewaussagen und dem Fiktionalen könnte jene Dynamik am Werk sein, die bereits bei der Analyse der Bergführerpublikationen aus den 1930erund 1940er-Jahren auftrat, nämlich, dass in fiktionalen Werken zum entscheidenden Plot gemacht wird, was in der Realität höchstens angedeutet werden kann (vgl. Kapitel 4.7.2).

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»Die hat gemolken, die hat gemäht, die hat Erde getragen, die hat ›drischtet‹ [gedroschen], die hat, es gab keine Mannsarbeit, die sie nicht gemacht hat. (I.: Mhm.) Da habe ich also, wieso soll sie denn das andere nicht anders können?«43

Auch Treschs eigene Erfahrungen mit Bergsteigerinnen wischten Zweifel weg, die er selbst anfänglich hatte. Er habe festgestellt, dass man sich täuschen könne, wenn man das Gefühl habe, Frauen seien nicht so stark. Er sei immer gut gefahren mit den Frauen und habe mehr als eine kennengelernt, denen er das Klettern nicht habe beibringen müssen, die sogar »feiner« geklettert seien als viele Männer, Kraft gehabt hätten und auch nicht zu faul gewesen seien, einen Rucksack zu tragen. Von zehn Burschen und zehn Mädchen seien zwei, drei Mädchen den Burschen bestimmt »ebenbürtig«. Und »wehleidige Knaben hast du in Gottes Namen auch unter den Männern«.44 Wie Tresch und auch Jacobi äussert sich die Mehrheit der Interviewten positiv zur Aufnahme von Frauen in den Beruf. Es sei »super« und »sehr wichtig«45, dass es nun auch Bergführerinnen gebe, die Aufnahme von Frauen sei »dringend« gewesen, da es sich beim Bergführerberuf um eine »verknöcherte Männerdomäne«46 gehandelt habe. Sie seien eine »Bereicherung«47 für den Beruf und machten ihre Arbeit gut, wird etwa gesagt. Wie sich noch zeigen wird, greifen auch diese Führer in ihren Argumentationen teilweise auf Konstruktionen von Differenz zurück, besonders wenn sie aufgefordert werden, den geringen Frauenanteil im Beruf zu erklären.

7.3 G RENZÜBERSCHREITUNGEN Wer Bergführer oder Bergführerin werden möchte, muss – wie verschiedentlich bemerkt wurde – bereits ein guter Alpinist, eine gute Alpinistin sein. Da ein massgeblicher Teil der Sozialisation in den Alpinismus in der Kindheit, spätestens in der Jugend stattfindet, setzen auch erste Ein- und Ausschlussmechanismen ins Feld des Bergführerberufs lange vor Ausbildungsbeginn ein. Die erste Grenze müssen Frauen auf dem Weg zum Bergführerdiplom deshalb oft schon als Jugendliche überschreiten, wenn sie sich Zugang zu meist jungendominier-

43 Interview Friedrich Tresch (2007: 41). 44 Interview Friedrich Tresch (2007: 42). 45 Interview Florian Lerch (2007: 28). 46 Interview Vinzenz Stocker (2007: 15). 47 Interview Daniel Imsteg (2006: 14).

 

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ten, homosozialen Gruppen oder Szenen junger Bergsteiger verschaffen. Die zweite Grenzüberschreitung besteht in der Überwindung der eigenen Selbstzweifel, um den Schritt in die Ausbildung überhaupt zu wagen. In der Folge wird diesen Grenzen nachgegangen und ebenso den Strategien der Frauen, sie zu überschreiten. 7.3.1 Beschränkte Partizipation an den »ernsten Spielen des Wettbewerbs« Erstmals in Kontakt mit den Bergen kamen die interviewten Frauen – wie auch die Männer – meist über das Wandern oder über Skitouren mit den Eltern. Einige gingen dann mit Jugend + Sport (J+S) oder mit der Jugendorganisation des SAC (JO) in die Berge, bevor sie sich selbständig mit Bekannten organisierten; andere fanden den Einstieg direkt über Bekannte oder Geschwister. Ob in Organisationen oder in informellen Peer-Groups: Die Mädchen und jungen Frauen mussten sich Zugang zu Gruppen männlicher Bergsteiger verschaffen und sich darin etablieren. Einigen Frauen scheint dies problemlos gelungen zu sein. Astrid Padrutt beispielsweise nahm während des Studiums an J+S-Kursen sowie an vom Hochschulsport organisierten Touren teil und lernte dort »relativ schnell halt auch Leute« kennen. Bald habe sie sich aktiv »Gspänli [Kameraden]« gesucht, mit denen sie selbständig Bergsteigen und Klettern ging.48 Auch Lilian Irniger gelang es, Anschluss an bergsteigende Jugendliche zu finden, was – wie aus ihrer Beschreibung deutlich wird – jedoch nicht selbstverständlich war: »Also in der JO haben natürlich die Mädchen schon mitkönnen, aber nachher, bei uns ist alle vierzehn Tage eine Tour gewesenund alle vierzehn Tage hat man, hast du noch ein Wochenende gehabt, an dem du etwas privat hast machen können, (I.: Mhm) und da haben sich dann so Grüppchen gebildet, (I.: Ahaa.) und in diese (I.: Ja. Jaja) ist es natürlich dann schwierig gewesen reinzukommen.«49

Lilian Irniger war eines der »ganz wenigen Mädchen«, die in diese informellen »Grüppchen« aufgenommen wurden: Sie sei damals drei Jahre jünger als die Jungen der schnellen Gruppe gewesen, mit der sie mitdurfte. Entsprechend »strub« sei es für sie gewesen. Sie kam konditionell an den »Anschlag«, litt und musste »kämpfen«. Gleichzeitig sei sie aber so glücklich gewesen, dabei sein zu

48 Interview Astrid Padrutt (2007: 6 f.). 49 Interview Lilian Irniger (2007: 14).

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dürfen, dass sie sich um keinen Preis etwas hätte anmerken lassen.50 Was sie nicht explizit ausspricht, lässt sich aus ihrer Aussage schliessen: Sie muss bereits als junges Mädchen als besonders gute, begabte und motivierte Bergsteigerin und Kletterin aufgefallen sein – andernfalls wäre sie kaum in die Gruppe der schnellen, älteren Jungen aufgenommen worden. Wie Astrid Padrutt und Lilian Irniger gelang es sämtlichen interviewten Frauen, entweder Anschluss an eine Peergroup zu finden oder einige bergsteigende Jugendliche um sich zu scharen. Manchmal fungierten der Bruder – in einem Fall die Schwester – oder der Freund als Vermittlungsglied. Im Vergleich zu den Männern fällt bei den Frauen auf, dass die »ernsten Spiele des Wettbewerbs« entweder in den Interviews nicht angesprochen werden, oder dass die damals jungen Frauen nicht daran partizipierten. Einige scheinen dies gar nicht erst versucht zu haben. Luzia Wenger zum Beispiel verglich sich zwar mit anderen, bevor sie sich für die Ausbildung entschied. Dieses Vergleichen erfüllte für sie zunächst aber nicht die Funktion, sich mit ihnen im Wettbewerb zu messen. Vielmehr ging es dabei um die existentielle Frage, ob sie überhaupt an der gemeinsamen Praxis partizipieren dürfe. Dabei war entscheidend, gegenüber anderen (Männern) nicht abzufallen, sondern gleich gut oder gar besser zu sein als sie und so die eigene Teilhabe am Feld zu sichern und sie – durch sie selbst, aber auch durch Kollegen und Ausbildungsverantwortliche – legitimiert zu wissen. Erst heute als gestandene Bergführerin beteiligt sie sich aktiv an den »ernsten Spielen des Wettbewerbs«, wie sich später zeigen wird.51 Esthel Montandon nahm zunächst ebenfalls nicht an solchen Spielen teil. Sie hatte als Späteinsteigerin in der Gruppe ihres Freundes eine Sonderposition inne und lief sozusagen ausser Konkurrenz. Auch Lilian Irniger schreibt sich selbst eine Sonderposition zu, wenn sie betont, sie sei eines der wenigen Mädchen und zwei bis drei Jahre jünger gewesen als die Jungen der Gruppe. An einer Stelle wird aber auch deutlich, dass sie zumindest von einigen Männern in ihrer Umgebung als Mitspielerin nicht ernst genommen wurde. Sie erinnert sich an eine Situation in einem Klettergarten, als ein JO-Leiter an einer Route scheiterte, die sie bereits früher erfolgreich geklettert war: »Und dann hat dieser Leiter, bin ich mit dem am Seil gewesen. Dann hat er probiert und ist nicht hoch gekommen. Und hat probiert, wieder runter gekommen, ist einfach nicht hoch gekommen. Und ich hätte mich aber nicht getraut zu sagen: ›Du, soll ich mal ge-

50 Interview Lilian Irniger (2007: 14 f.). 51 Interview Luzia Wenger (2005: 5 f.); vgl. Kapitel 7.5.1.

 

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hen?‹ Und dann hat dann irgendjemand anderes gesagt: ›Du, sonst lässt du dann sie mal gehen.‹«52

Der JO-Leiter gewährte ihr im spielerischen Wettbewerb darum, wer besser klettert, offensichtlich nicht den Status einer »Partner-Gegnerin«. Sie wiederum getraute sich nicht, sich selbst ins Spiel zu bringen, sondern tat dies erst, als sie von einer Drittperson dazu aufgefordert wurde. Das Wechselspiel von Bescheidenheit ihrerseits und Unterschätzung durch den Leiter verunmöglichte das Zustandekommen eines ›Wettbewerbs‹. Sie selbst, die im Interview betont, sie habe nicht viele Situationen erlebt, in der ihr das Gefühl vermittelt wurde, sie als Mädchen sei zu weniger imstande als die Jungen, führt diese Begebenheit auf ihre eigene damalige Unsicherheit zurück und nicht auf eine Benachteiligung durch ihren männlichen Kollegen. Sie individualisiert also das ›Problem‹, was typisch zu sein scheint für Frauen in Männerberufen.53 Schliesslich findet sich in den Interviews auch der Fall, dass »ernste Spiele des Wettbewerbs« verunmöglicht werden, weil der männliche Gegenspieler das Spiel zu ernst nimmt: Eine Bergführerin erzählt, sie habe gegenüber ihrem früheren Freund »verstecken« müssen, dass sie besser kletterte als er, »sonst hätte es wieder einen Kopf gegeben, einen Tag lang«.54 Er ertrug es nicht, im Wettbewerb gegen sie zu verlieren. Um einer schlechten Stimmung vorzubeugen, sei sie deshalb jeweils absichtlich schlechter geklettert als er. Im Zusammenhang mit dem Bergsteigen in Jugendtagen fällt nicht nur die geringere Bedeutung auf, die die »ernsten Spiele des Wettbewerbs« in den Erzählungen der Frauen im Vergleich zu jenen der Männer haben. Ebenso bemerkenswert ist, dass die Frauen in den Interviews das Riskieren des Körpers und des Lebens kaum hervorkehren, obwohl sie in ebenso gefährliche Situationen verwickelt gewesen sein dürften wie die Männer. Gefahren werden allenfalls angetönt, wenn etwa die Wildheit der Bergwelt Thema ist, die damals fasziniert habe. Präsenter als bei den Männern ist hingegen der kontemplative Aspekt, dem etwa bei Lilian Irniger Züge einer Selbsterfahrung eigen sind.55

52 Interview Lilian Irniger (2007: 15). 53 Vgl. Nadai/Seith (2001: 53). 54 Interview Anja Hunziker (2005: 5). 55 Vgl. Kapitel 6.1.3.

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7.3.2 Selbstzweifel und Hartnäckigkeit Die meisten der interviewten Frauen stellen ihren Weg in die Bergführerausbildung – manche schon ihren Einstieg ins Bergsteigen – als aussergewöhnlich und von der ›Norm‹ abweichend dar. Im Vergleich zum unterstellten ›normalen‹ Werdegang zeichnete sich ihr Weg durch Verzögerungen, Umwege und Hindernisse aus.56 Von wenigen Ausnahmen abgesehen, kamen sie erst vergleichsweise spät überhaupt auf die Idee, die Bergführerausbildung zu absolvieren, oder sie verwarfen den Wunsch, der manchmal bereits seit der Kindheit existierte, bevor sie ihn wieder aufgriffen. Zwei Elemente, die sich miteinander in einem Wechselspiel befinden, tauchen im Zusammenhang mit dem Entscheid für die Bergführerausbildung bei fast allen Frauen auf und bilden zentrale Elemente der Narrationen: starke Selbstzweifel und ein ausgeprägter, mit Hartnäckigkeit kombinierter Ehrgeiz. Die Selbstzweifel, von denen vereinzelt auch Männer berichten, erscheinen als das grösste Hindernis, das den Frauen im Weg stand. Stets werden sie von den interviewten Frauen mit dem Geschlecht in Zusammenhang gebracht: Mit einem bisweilen selbstreflexiven und selbstkritischen Blick schildern die Bergführerinnen, wie sie als junge Bergsteigerinnen in Frage stellten, ob sie als Frauen die Ausbildung schaffen würden. Die damaligen Ängste, Bedenken und Zweifel scheinen sich vorwiegend auf die Frage bezogen zu haben, ob die eigenen körperlichen Leistungen den Anforderungen genügen würden: »Gewollt hätte ich es immer, wenn ich nicht gedacht hätte, ich sei zu schwach«, blickt Lilian Irniger zurück. Sie sei sich schlichtweg »grössenwahnsinnig« vorgekommen, als sie damals die Anmeldung abschickte.57 Die damaligen Selbstzweifel der Frauen basierten stets auf einer angenommenen körperlichen, biologisch bedingten fundamentalen Differenz zwischen Frauen und Männern, gemäss der Frauenkörper per se weniger leistungsfähig sind als Männerkörper. Mindestens so präsent wie die Zweifel ist der mit Hartnäckigkeit kombinierte Ehrgeiz, der aus den Schilderungen der Frauen spricht. Er äussert sich in unermüdlichem Training und einem hundertprozentigen Engagement für das angestrebte Ziel. Diese absolute Hingabe ist nicht frauenspezifisch. Auch die meisten Männer erzählen, dass es für sie eine Zeit lang nichts anderes gegeben habe als die Berge.58 Im Unterschied zu vielen Männern, die betonen, dass die Berge

56 Ähnliches stellen Heintz, Nadai, Fischer und Ummel (1997: 135 ff.) für Informatikerinnen fest: Frauen gelangen tendenziell auf Umwegen in diesen Männerberuf. 57 Interview Lilian Irniger (2007: 13). 58 Vgl. Kapitel 6.1.2.

 

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schlicht zu unwiderstehlich waren, als dass sie ihnen hätten fern bleiben können (wobei es auch männliche Interviewte gibt, die angeben, ganz gezielt trainiert zu haben), arbeiteten die meisten Frauen gezielt darauf hin, um das geforderte Niveau zu erreichen, ja zu übertreffen. Ihre Hartnäckigkeit äussert sich aber vor allem auch in einem psychischen Durchhaltevermögen: Mehrere Bergführerinnen mussten wiederholt als äusserst hart empfundene Rückschläge wie nicht bestandene Prüfungen verkraften und dem Gefühl trotzen, eine Aussenseiterin, nicht willkommen oder als Frau ungerecht behandelt worden zu sein. 7.3.3 Mentoren Viele Frauen begegneten auf ihrem Weg von den ersten Bergsteigerfahrungen bis zum Ausbildungsbeginn anderen, meist männlichen Bergsteigern, die sie als Brüder, Freunde oder Bergführer in ihrem Vorhaben unterstützten und ihnen eine Art Mentor waren.59 Offene Ablehnung von Seiten ihrer Bergsteigerkollegen scheinen die Frauen vor Ausbildungsbeginn selten erlebt zu haben. Lediglich eine Bergführerin – bezeichnenderweise eine der wenigen, die nicht von damaligen Selbstzweifeln berichtet – erzählt, sie sei öfter auf Widerstände gestossen, wenn sie Kollegen von ihrem Wunsch erzählt habe, Bergführerin zu werden. Häufiger habe sie Sätze zu hören bekommen wie: »Also, ich habe einen Kollegen, der hat so einen dicken Bizeps, der hat es dreimal probiert und hat es nicht geschafft.« Sie ärgerte sich zwar darüber, liess sich aber nicht beirren. Sie habe schon früh einen »ziemlich harten Kopf gehabt«, was ihr geholfen habe, »mit dem Kopf durch die Wand zu gehen«.60 Eine besondere Rolle unter den männlichen Mentoren kommt dem Partner zu. Über ihn kann der Zugang zur homosozial maskulinen Welt gelingen, er kann der Frau beim Eintritt ins Feld aber auch im Weg stehen, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen. Esthel Montandon begann durch ihren damaligen Freund intensiv Bergsport zu betreiben. Als bei ihr erstmals die Idee auftauchte, Bergführerin zu werden, hielt sie zunächst die Vorstellung davon ab, den gleichen Beruf auszuüben wir ihr Partner. »J’ai hésité, parce que je trouvais débile

59 Auch die von Heintz, Nadai, Fischer und Ummel (1997:139 f.) interviewten Informatikerinnen berichten häufig, im Zusammenhang mit ihrer Berufswahl von ihrem sozialen Umfeld – besonders von Brüdern und Arbeitskollegen – Anregungen und Unterstützung erhalten zu haben. 60 Interview Anja Hunziker (2005: 7; 5). Die Metapher des ›harten Kopfes‹ taucht in den Interviews mit Frauen verschiedentlich auf. Auch Evelyne Binsack bezeichnet sich selbst als »Zwängigrind« (Binsack 2002: 45), was so viel heisst wie »Dickkopf«.

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de faire le même métier que son copain. Je trouvais ça un peu bobet.«61 Auch ihr Freund sei zunächst zurückhaltend gewesen, da er sich davor gefürchtet habe, die Last ihrer Entscheidung zu einem grossen Teil tragen zu müssen. Als sie sich dennoch für die Ausbildung entschied, sei er ganz hinter ihr gestanden und ihr während der Vorbereitung auf die Ausbildung eine grosse Stütze gewesen. Dank ihm, stellt sie heute fest, habe sie schnell gelernt und so das Niveau erreicht, das nötig war, um sich für die Ausbildung anzumelden. Wäre sie damals nicht mit ihm zusammen gewesen, ist sie überzeugt, wäre es für sie noch viel schwieriger, wenn nicht gar unmöglich gewesen, Bergführerin zu werden. Anders schildert Luzia Wenger die Rolle ihres damaligen Freundes, der sich in der Bergführerausbildung befand, als sie mit ihm zusammen war. Einerseits wurde auch sie durch ihn in die Welt des Bergsteigens und der Bergführer sozialisiert. Andererseits wurde die Vollendung der durch ihn initiierten Entwicklung gerade durch das Zusammensein mit ihm verhindert. Sie habe zwar mit dem Gedanken gespielt, die Ausbildung ebenfalls zu beginnen, habe aber »das Gefühl gehabt: ›Nein, jetzt, wenn er ist, muss ich nicht auch noch‹, oder?«62. Bei ihr scheinen es weniger das Bedürfnis gewesen zu sein, nicht als Nachahmerin ihres Freundes da zu stehen, als vielmehr konkret praktische Überlegungen, die ihr im Wege standen: Sie habe »einfach das Gefühl gehabt, ja, wenn er immer so viel unterwegs ist, muss ich ja nicht auch noch so viel weg sein«. Damals habe sie sich gesagt: »Geht doch nicht«. Zugunsten der Beziehung und der als typisch weiblich geltenden Rolle, die sie in dieser einnahm, verzichtete sie auf die Realisierung ihres Berufswunsches. So nämlich sei sie »einfach da gewesen, wenn er gekommen ist«.63 Erst mit dem Ende der Beziehung wurde der Schritt in die Ausbildung möglich: »Und der Ausschlag ist eigentlich schlussendlich gewesen, dass unsere Beziehung auseinander ist und ich gesagt habe: ›He, jetzt ist der Moment, wo ich gehe. Jetzt ist der Fall klar.‹ Das ist eigentlich der Auslöser gewesen. Ist noch verrückt.«64

Die Kausalität, wonach die Trennung die Entscheidung auslöste, erfährt im Verlaufe der Ausführungen Wengers eine Umkehrung: Ihr Entschluss, meint sie

61 Interview Esthel Montandon (2008: 2). »Ich habe gezögert, weil ich es ein bisschen doof fand, denselben Beruf auszuüben wie der Freund. Ich fand das ein bisschen bescheuert.« 62 Interview Luzia Wenger (2005: 1). 63 Interview Luzia Wenger (2005: 3 f.). 64 Interview Luzia Wenger (2005: 1).

 

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dann, habe erst zu einem Ende der bereits kriselnden Beziehung geführt. Demnach provozierte sie mit der Entscheidung für die Ausbildung das, was sie zuvor mit der Entscheidung dagegen hatte verhindern wollen, nämlich den Freund weniger beziehungsweise gar nicht mehr zu sehen. Deutlich wird in beiden Erzählungen: Der Freund und ihre Ausbildung vertrugen sich nicht miteinander. Dass sie die Geschehnisse, die sie rekonstruiert, als »noch verrückt« bezeichnet, dürfte daran liegen, dass sie sich der tragischen Rolle des Freundes bewusst ist, der ihr die Tore zu seiner Welt öffnete und ihr gleichzeitig »im Weg« stand beim Wunsch, diese zu betreten. Sie musste sich von ihm trennen, um verwirklichen zu können, was er in ihr evoziert hatte. Möglich ist auch, dass sie mit etwas Distanz selbstreflexiv zurückblickt und es »verrückt« findet, dass sie die Trennung brauchte, um den Schritt zu wagen. »Nachträglich« bereue sie ihn jedenfalls nicht: Es sei »super« und »wahnsinnig«. Als »super« und »wahnsinnig« findet sie nicht nur, von Beruf wegen jeden Tag in den Bergen sein zu können, sondern gerade auch die Tatsache, als Frau den Schritt gewagt zu haben. Viele Frauen seien nämlich »eher ein bisschen so defensiv« und trauten sich nicht »zu gehen«. Retrospektiv subsumiert sie sich unter diese Gruppe: Bei ihr sei das damals vielleicht auch ein wenig so gewesen. Mit dem Entscheid für die Ausbildung emanzipierte sie sich jedoch in doppelter Hinsicht: Einerseits von ihrem Freund, indem sie sich aus der Beziehung löste, und andererseits, indem sie sich von einer gewöhnlichen, defensiven zu einer aussergewöhnlich offensiven Frau entwickelte.65 Mentorinnen werden in den Interviews selten explizit erwähnt. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass Bergführerinnen als Vorbilder für Frauen, die den Beruf ergreifen möchten, von Bedeutung sind. Nicole Niquille, die erste Bergführerin der Schweiz, erzählt im Videointerview, nachdem sie brevetiert worden sei, habe sie mehrere Telefonanrufe von jungen Frauen erhalten, die in Erfahrung bringen wollten, was in der Ausbildung verlangt werde, wie sie sich darauf vorbereiten könnten und wie Niquille selbst die Ausbildung erlebt habe.66 Dass Frauen, die sich in das Feld vorwagen, auch indirekt eine Vorbildfunktion haben können, wird bei Luzia Wenger deutlich, die zunächst Zweifel hatte, ob sie der Ausbildung gewachsen sein würde. Als dann aber »rundherum« Frauen aus ihrem Umfeld damit angefangen hatten, habe sie sich gesagt, »was die können, kann ich wahrscheinlich auch, oder?« Sie verglich sich mit diesen Frauen, deren Verwegenheit sie beeindruckte, und kam zum Schluss, dass sie ihnen in nichts nachstand und der Ausbildung damit auch gewachsen sein dürfte. Den Erfolg

65 Interview Luzia Wenger (2005: 2 f.). 66 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 16 f.).

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dieser Frauen deutete sie als Beweis für die Realisierbarkeit ihres Wunsches und sie fühlte sich durch ihn ermutigt, den Schritt ebenfalls zu wagen, sodass sie – »zack« – beschloss, sich ebenfalls anzumelden.67 Noch heute ist sie überzeugt, dass es eine »Frechheit«, einen »gewissen Mut«, eine »gewisse Selbstsicherheit« dazu braucht.68 7.3.4 Kompensation des ›falschen‹ Geschlechts Deutlich wird in den Interviews, dass die Frauen einen Vorsprung an bergsteigerischer Erfahrung, Fitness und Training zu brauchen glaubten, um den Schritt ins Feld zu wagen. Caroline Bratschi erzählt, sie habe doppelt so viel trainiert wie ihre männlichen Kollegen, weil sie in der Ausbildung nicht den »Clown«69 mimen, sich also keine Blösse geben wollte, und auch Nicole Niquille stellt fest: »Physiquement, ben je m’étais pas mal préparée, donc j’étais au niveau. Je m’étais même plutôt plus préparée que pas assez, hein. J’avais peur d’être euh, de passer à la limite.«70

Dieses Extra an Vorbereitung sollte die eigenen Zweifel wie auch jene der männlichen Mitstreiter und der Ausbildungsverantwortlichen zerstreuen, denen letztlich allen die Überzeugung zugrunde lag, dass Frauen körperlich schwächer, weniger leistungsfähig und damit weniger geeignet seien für den Beruf als Männer. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass mehrere der interviewten Frauen zum Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns entweder ein Sportstudium hinter sich oder zuvor Spitzensport betrieben hatten. Sie hatten sich und anderen damit ihre überdurchschnittliche Sportlichkeit bereits bewiesen. Diese antizipatorische Kompensation allfälliger ›Defizite‹, welche die Frauen selbst zu haben befürchteten oder von denen sie glaubten, Aussenstehende würden sie ihnen unterstellen, bezog sich aber nicht nur auf die sportliche Leistungsfähigkeit: Mehrere Frauen hatten eine pädagogische Ausbildung hinter sich, verfügten also auch bezüglich Didaktik, Methodik und Psychologie über ein Vorwissen, das ihnen – wie einige bemerken – in der Bergführerausbildung zugute kam. Gemäss den statistisch nicht repräsentativen Daten waren die meis-

67 Interview Luzia Wenger (2005: 2). 68 Interview Luzia Wenger (2005: 5). 69 Interview Caroline Bratschi (2007: 13). 70 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 12). »Gut, körperlich hatte ich mich gutvorbereitet, deshalb hatte ich das Niveau, ich hatte mich eher zu gut vorbereitet als zu wenig gut, nicht. Ich hatte Angst, nur knapp durchzukommen.«

 

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ten der interviewten Frauen bei Ausbildungsbeginn zudem etwas älter als ihre Kollegen und verfügten über eine höhere Ausbildung, häufig ein Universitätsstudium. Zwei Frauen hatten sich zuvor bereits in einem männerdominierten Beruf bewährt.71 Dieses Mehr an Lebenserfahrung und an »institutionalisierte[m] Kulturkapital«72 in Form von Bildungstiteln dürfte den Frauen gegenüber den Männern einen Startvorsprung gegeben, einen gewissen Respekt verschafft und ihnen selbst Mut gemacht haben. Diese Befunde scheinen typisch zu sein für Frauen in gegengeschlechtlichen Berufen. Heintz, Nadai, Fischer und Ummel stellen für die Informatik fest, dass Frauen ein geringeres »(Einstiegs-)Selbstbewusstsein« und eine höhere »Schwellenangst« haben als Männer, gleichzeitig aber schulisch besser qualifiziert sind.73 Die Autorinnen kommen zum Schluss, dass »das ›schlechtere‹ Geschlecht durch bessere Bildung wettgemacht wird«74. Im Falle der Bergführerinnen sind es zusätzlich zur besseren Bildung das höhere Alter und – zumindest in einigen Fällen – das gezielte Training. Der mitgebrachte Vorsprung scheint sich bewährt zu haben: Die meisten Frauen haben die Kurse trotz der hohen sportlichen Anforderungen offenbar ohne grössere Probleme bestanden.75 Weit stärker als der sportliche war für viele der »psychische« Druck, der daraus resultierte, als Frau in diesem Beruf eine Ausnahmeerscheinung zu sein.

71 Die interviewten Frauen waren zum Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns durchschnittlich gut 27 Jahre alt und damit rund zwei Jahre älter als die Männer. Von den sieben interviewten Frauen inklusive Nicole Niquille verfügten zum Zeitpunkt ihrer Diplomierung vier über ein abgeschlossenes Universitätsstudium und eine über ein anderes Studium auf Tertiärstufe. Von den fünfzehn Männern hatte lediglich einer abgeschlossenes Studium. Zwei junge Bergführer des Samples absolvierten die Bergführerausbildung parallel zum Studium. Die starke Präsenz von pädagogischen Vorbildungen unter Bergführerinnen stellen auch Gurten und Pfammater (2004: 73) fest: 10 der 23 Bergführerinnen beziehungsweise Bergführerkandidatinnen, die in ihrer Umfrage berücksichtigt wurden, verfügen über einen pädagogischen Hintergrund. 72 Bourdieu (1997c: 61 ff.). 73 Heinz/Nadai/Fischer/Ummel (1997: 136; 138). Zu ähnlichen Resultaten kommen auch Rabe-Kleberg (1990) und Schmitt (1993). 74 Heinz/Nadai/Fischer/Ummel (1997: 138). 75 Nadai und Seith (2001: 52) stellen in ihrer Studie zu Forstingenieurinnen fest, dass die Frauen während des Studiums fachlich keine besonderen Probleme hatten, während die soziale Integration eine Herausforderung darstellte.

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7.4 E RFAHRUNGEN

DES

A USSCHLUSSES

Aus den Erzählungen der Bergführerinnen über ihre Erlebnisse als Frauen während der Ausbildungszeit und in ihrem Berufsalltag können drei Arten von Ausschlussmechanismen rekonstruiert werden, mit denen sie konfrontiert waren oder sind. Es sind dies erstens Folgen der Tatsache, dass Frauen in diesem Beruf Ausnahmen und deshalb allein aufgrund ihres Geschlechts hochgradig sichtbar sind. Zweitens berichten einige Frauen von Diskriminierungen, die sie vor, in oder nach der Ausbildung erlebten. Und drittens wird deutlich, dass vergemeinschaftende Aspekte für den Berufsalltag der Frauen weniger zentral sind als für Männer. Auffallend ist, dass über diese Formen der Ausgrenzung kaum und nur ungern gesprochen wird. Sie scheinen im Feld einem Tabu zu unterliegen. 7.4.1 Tabuisierte Diskriminierung Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts und insbesondere offene Diskriminierungen, die Frauen während der Ausbildung oder im Rahmen ihres Berufsalltags erlebten, werden gerne mit einem Mantel des Schweigens umhüllt: Die einen Frauen sprechen nicht oder nicht offen darüber, andere tun dies zwar, jedoch mit dem Vorbehalt, dass es nicht an die Öffentlichkeit kommen dürfe. Mehrere Bergführerinnen betonen, sie hätten als Frauen in diesem Feld nie Benachteiligungen oder Diskriminierungen erfahren. Während dies in manchen Fällen überzeugend erscheint, machen andere Ausführungen deutlich, dass die Frauen Erlebnisse, die so hätten interpretiert werden können, nicht als solche wahrgenommen haben oder sie ausblenden. Bei einer Bergführerin scheint das Ausblenden geradezu Programm zu sein. Sie betont zunächst, sie habe als Frau in diesem Feld nie Probleme gehabt, und merkt dann an: »Ich sage es mal so: Man hätte sich natürlich einbilden können, dass einige schon frauenfeindlich sind.« Wenn man suche, finde man immer Indizien, die dies bestätigten. Die Bergführerin schafft mit dieser Bemerkung das Kunststück, zwei widersprüchliche Aussagen in eine zu packen: Sie deutet an, es habe Ereignisse gegeben, die gemeinhin als frauenfeindlich gelten würden, erklärt diese aber gleichzeitig für eine Sinnestäuschung: Wer sie sieht, bildet sie sich ein. Sie betont, es bringe nichts, solche Probleme zur Sprache zu bringen, man würde sich damit nur das Leben schwer machen: »Weisst, mich dünkt, es ist, wie wenn du ein Gärtchen hast. Du kannst entweder dein Gemüse kultivieren und du kannst aber auch das Unkraut kultivieren. (I.: Mhm. [lacht])

 

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Und [lachend], (I.: Mhm) das kannst du also selber entscheiden. (I.: Mhm) Und ich glaube, in dem Moment musst du dich halt einfach auf das Gemüse konzentrieren.«

Die Bergführerin, die sich an Frauenfeindlichem stört oder darauf aufmerksam macht, kultiviert Unkraut und zerstört damit letztlich den eigenen Garten, also die Nische, die sie sich in diesem Beruf geschaffen hat. Diese Bergführerin beschloss deshalb für sich, das Unkraut zu ignorieren und stattdessen das Gemüse zu kultivieren, das eine Ernte verspricht. Für sie heisst dies, dass sie über gewisse Dinge hinwegsieht und wohlwollende Verhaltensweisen und Beziehungen pflegt. Neben dem Ausblenden bestimmter Erlebnisse findet sich in manchen Interviews auch die Tendenz, dass die Frauen Benachteiligungen oder Diskriminierungen herunterspielen oder aber das ›Problem‹ bei sich selbst suchen. Die Bagatellisierung und Individualisierung von Diskriminierung scheint bei Frauen in männerdominierten Berufen ebenso verbreitet zu sein wie die Neigung, einen konfrontativen Umgang damit zu vermeiden.76 Auf Erzählungen von offensichtlichen Diskriminierungen oder negativen Erlebnissen folgt meist die Bitte an die Interviewerin, diese in der Arbeit nicht zu erwähnen; diesen Wunsch begründen die interviewten Frauen damit, dass sie sich keine Probleme einhandeln wollten. Eine Interviewte zog ihr Interview nachträglich gar – partiell – zurück, mit der Erklärung, sie sei als Frau in diesem Feld zu »exponiert«. Gerade die Exponiertheit der Frauen in diesem Feld, die – so ist zu vermuten – das Auftreten frauenfeindlichen Verhaltens begünstigt, ist es also, die die Thematisierung dessen verunmöglicht, was sie hervorruft. Die Frauen fürchten, in diesem ›engen‹ Feld als Nestbeschmutzerinnen zu gelten, was ihrer Akzeptanz massiv schaden und ihnen somit das Berufsleben erschweren würde. Auf Diskriminierungen aufmerksam zu machen, wird somit Teil des Tabus. Dabei wird auch deutlich, dass die Normen der Gleichberechtigung und der Nicht-Diskriminierung in diesem Feld sehr wohl existieren, auch wenn sie nicht von allen Berufsvertretern getragen werden. Gerade ihre Existenz dürfte ein Grund dafür sein, dass ihre Nicht-Einhaltung tabuisiert wird. Um dem Bedürfnis der Interviewten nach Schutz und Diskretion gerecht zu werden, ohne das Thema auslassen und es damit negieren zu müssen, werden in der Folge manche Befunde ohne die Nennung von Beispielen zusammenfassend beschrieben. Um die Anonymität der Interviewten zusätzlich zu gewährleisten, wird bei Interviewzitaten in Kapitel 7.4 auf die Angabe von Pseudonymen, Quel-

76 Vgl. Nadai/Seith (2002: 53); Dryburgh (1999: 681); Sasson-Levy (2003: 90 ff.).

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lenverweisen und Alter der Interviewten verzichtet.77 Schliesslich werden in die Ausführungen auch Aussagen weiterer Frauen eingeflochten, denen ich bei Feldaufenthalten begegnete, was ein Rückschluss auf bestimmte Personen unmöglich macht. 7.4.2 Die Leiden einer »violetten Kuh« Die meisten Frauen hatten sich zwar schon als junge Alpinistinnen unter vielen Männern bewegt. Im Unterschied zu vorher waren sie in der Bergführerausbildung als Frauen aber meist ganz allein und auch im heutigen Berufsalltag begegnen sie selten anderen Frauen. Dies hat zur Folge, dass sie stark auffallen und unter Beobachtung stehen. Besonders ins Gewicht fällt dies in den Bergführerkursen, in denen die Auszubildenden aufgrund des Prüfungscharakters der Kurse ohnehin schon ständig unter Beobachtung stehen. Was verschiedene Interviewte erwähnen, beschreibt eine Bergführerin besonders bildhaft. Während ihr Weg bis zum Beginn der Bergführerausbildung reibungslos verlief, erlebte sie die Ausbildung als weitaus beschwerlicher – so beschwerlich gar, dass sie die Erzählung dazu mit der Bemerkung einleitet, sie würde diesen »Aufwand« aufgrund der emotionalen und psychischen Belastung heute vielleicht nicht mehr auf sich nehmen und die Ausbildung vermutlich nicht mehr machen: »Also, pff, Aspirantenkurs und Führerkurs ist für mich sehr schlimm gewesen.« Sie habe unter ihren Selbstzweifeln ebenso gelitten wie unter dem »Ellbögeln«, das angesichts der Selektivität der Ausbildung unter den Kandidaten geherrscht habe. Vor allem machte es ihr – die sie sich von ihrer Erstausbildung her gewöhnt war, sich in einer Männerwelt zu bewegen – zu schaffen, die einzige Frau zu sein. Sie sei sich zwar zuvor bewusst gewesen, dass es nicht einfach werden würde, es sei letztlich aber schlimmer gekommen, als sie es sich vorgestellt habe: Neben einzelnen »bösartigen Sachen«, die geschehen seien, erlebte sie vor allem die Tatsache als belastend, als Frau unter den vielen Männern stets aufzufallen: »Du bist einfach gewesen wie, ich meine, wenn du jetzt irgendwie hundert Kühe da draussen hast und eine ist violett, dann (schaust du einfach immer,) (I.: [schmunzelt]) was die (macht,) (I.: Mhm.) du weißt immer (am Abend,) (I.: Mhm.) was die gemacht hat, und bei den anderen kannst du es nicht sagen. (I.: Mhm.) Und ich glaube, das ist das Lästige gewesen.«

77 Eine Ausnahme bilden die Zitate von Nicole Niquille, die dem öffentlich zugänglichen Videointerview entstammen.

 

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Wie die Metapher der violetten Kuh zeigt, fühlte sich die Bergführerin als Frau in diesem Feld als herausstechendes, exotisches, aufsehenerregendes und gewissermassen auch ›widernatürliches‹, ja gar phantastisches Wesen. Die Tatsache, eine Frau zu sein, nahm sie als Stigma im Goffmanschen Sinne wahr.78 Alles, was sie gemacht habe, war es nun gut oder schlecht, sei »etwas Besonderes« und am nächsten Tag in aller Munde gewesen. Während männliche Kollegen, die lediglich »Mittelmass« waren, sich »verkriechen« konnten und dabei nicht auffielen, sei dies für sie als Frau nicht möglich gewesen. »Mittelmass« reichte nicht, Bestleistungen waren gefragt. Dabei wurde jeder kleine Fehler zur Bedrohung. Ähnlich beschreibt dies eine andere Bergführerin: »Das ist das Schlimmste gewesen: Sie haben alles gesehen, was du machst. Aber es hat Männer gegeben, die haben sie nicht gesehen.« Für die einen Bergführerinnen wurde das Problem der starken Sichtbarkeit nach Erhalt des Diploms weniger virulent. Sie fühlen sich seither in den Kreis der Bergführer aufgenommen und damit akzeptiert. Für andere hielt es an oder begann im Berufsalltag erst richtig. Die ausgesprochen hohe Visibilität, die die Interviewten beschreiben und meist als lästig empfinden, und die Feststellung, dass ihr Tun nicht ihrer Individualität, sondern ihrem Geschlecht zugeschrieben wird, sind zwei Phänomene, die Kanter bereits 1977 als für den Status von »Tokens« – also Frauen in gegengeschlechtlichen Berufen – typisch beschrieben hat, und die in der Folge empirisch verschiedentlich nachgewiesen wurden.79 Spätere Studien zeigten, dass es nicht wie von Kanter angenommen die zahlenmässige Minderheit der Frauen ist, die dazu führt, sondern geschlechtspezifische Machtdifferenzen, die in solchen Konstellationen besonders wirksam werden.80 7.4.3 Formen der Ablehnung Wie oft offene Diskriminierungen gegenüber Frauen in diesem Berufsfeld tatsächlich vorkommen – selten, wie bei den von Nadai und Seith81 untersuchten Forstingenieurinnen, oder häufiger – lässt sich schwer beurteilen. Tatsache ist, dass mehrere Bergführerinnen von solchen Ereignissen berichten. Gemeinsam ist diesen Schilderungen, dass sie stets von der Bemerkung eingeleitet oder abge-

78 Goffman (1975 [1963]: 9 ff.). 79 Kanter (1987: 284; 1977: 361). Nadai und Seith (2001: 49) stellen dasselbe Phänomen bei Forstingenieurinnen fest. 80 Vgl. Heinz/Nadai/Fischer/Ummel (1997: 43 ff.). 81 Nadai/Seith (2001: 49).

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schlossen werden, es hätten sich lediglich einzelne Personen so verhalten, andere wiederum hätten keine Mühe mit Frauen im Bergführerberuf und verhielten sich korrekt und respektvoll. Diesen Beteuerungen dürfte das Bedürfnis zugrunde liegen, die Situation nicht zu dramatisieren und niemandem Unrecht zu tun. Weiter könnte es auch sein, dass sie im Sinne der oben erwähnten Bagatellisierung zu lesen sind. Und schliesslich scheint es, wie die Ausführungen zu den Männern zeigten, tatsächlich nicht wenige Bergführer zu geben, die Frauen gegenüber sehr offen sind. Zu den erlebten Diskriminierungen in der Ausbildung gehört offene Ablehnung, wie sie den Frauen von Seiten einzelner Ausbildnern entgegenschlug. So soll beispielsweise ein Klassenlehrer einer angehenden Bergführerin gesagt haben, »Frauen gehören nicht an den Führerkurs«. Einer anderen Bergführerin kam das Gerücht zu Ohren, die Ausbildungsverantwortlichen seien damals empört gewesen, als sie hörten, mehrere Frauen hätten sich für den Aspirantenkurs angemeldet: »›Was? Vier Weiber? Das geht nicht, oder! Also mindestens zwei müssen (I.: [lacht]) (müssen) rausfliegen, oder. Das geht nicht.‹ [beide lachen] Ja, so ist es dann auch wirklich auch rausgekommen.«

Den betreffenden Bergführern unterstellt das Gerücht ein despektierliches Frauenbild – die Zitierten sprechen von »Weibern« – und ein vorsätzliches Nichteinhalten meritokratischer Prinzipien zuungunsten von Frauen. Die Frauen fallen nicht durch die Prüfungen, weil sie objektiv zu wenig gut sind, sondern weil ihre Anwesenheit den Männern zu viel ist. Dabei scheint gerade die Anzahl von Bedeutung zu sein. Eine, vielleicht auch zwei Frauen hätten – so der Subtext – vielleicht noch toleriert werden können, vier aber sprengten die Grenze. Gerüchte hin oder her, mehrere Frauen fühlten sich in der Ausbildung ungerecht behandelt oder sie erzählen, sie seien in den Kursen von manchen Klassenlehreren besonders streng, sogar strenger als ihre männlichen Kollegen geprüft worden. Eine Bergführerin ist überzeugt, dass sie mehrmals nicht gemäss ihren Leistungen, sondern aufgrund von Vorurteilen gegenüber Frauen beurteilt wurde. Eine Interviewte erzählt, ihr sei bei einer Übung mit Absicht ein besonders schwerer Kollege zugewiesen worden, den sie aus einer Gletscherspalte retten musste, eine andere musste ein besonders kompliziertes Seilproblem lösen, das einer ihrer Kollegen in seiner Unfähigkeit hinterlassen hatte, und eine dritte wurde angehalten, in der schwierigsten Situation die Führung der Gruppe zu übernehmen. Kurz, Frauen würden »doppelt und dreifach« geprüft, ist eine Führerin überzeugt. Häufig wird solches Verhalten auf Vorurteile der Ausbildner

 

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Frauen gegenüber zurückgeführt. Eine andere Erklärung für die strengere Beurteilung, die sie erlebte, hat Nicole Niquille bereit: »Je pense que c’était autant important pour eux que pour moi que la première femme qui obtienne le diplôme de guide soit bonne. Et puis pas seulement, il y a beaucoup de guides qui passent à la limite, qui sont moyens. Mais c’était important que, qu’ils donnent le diplôme à, à quelqu’un qui était bon, qui était plutôt dans la première moitié que dans la deuxième. Je crois que c’était important pour toutes les femmes qui vont suivre aussi. Hein. Pour tout le monde alors. Bon, on a peut-être exigé de moi un petit peu plus que des autres candidats.«82

Dass sie etwas härter geprüft wurde als ihre Kollegen, erscheint ihr bis zu einem gewissen Grad verständlich, ja gar notwendig. Für alle Frauen, die folgen sollten, und überhaupt für alle sei es wichtig gewesen, dass die erste Frau, die Bergführerin wurde, gut war und zu den Besseren des Kurses gehörte. Nur so – dies ihr Argument – würde sie als Beweis dafür angeschaut werden, dass Frauen tatsächlich fähig sind, diesen Beruf auszuüben, und nur so würden sie und nachfolgende Frauen in diesem Beruf ernst genommen werden. Verschiedene Diskriminierungserfahrungen beziehen sich auf Ausbildner und stehen mit der selektionsrelevanten Beurteilung in Zusammenhang. Es geht dabei also stets darum, ob die Frauen für den Beruf zugelassen werden sollen oder nicht. Offene Diskriminierungen von Seiten der Ausbildungskollegen werden kaum erwähnt. Einige Frauen fühlten sich von ihren Kollegen von Beginn weg akzeptiert. Andere stellten ein Konkurrenzgebaren fest, unter dem sie litten, das sie aber nicht als gegen sich als Frauen gerichtet wahrnahmen. Und dritte schildern paternalistische Verniedlichungen, mit denen sie konfrontiert waren, an denen sie sich aber nicht zu stören schienen: Nicole Niquille, die zu Beginn des ersten Kurses von den Kollegen für die Freundin oder die kleine Schwester eines Kandidaten gehalten wurde, meint, sie sei zunächst das »Maskottchen« ihrer Gruppe gewesen: »Je dois dire que pour eux, c’était un petit peu une mas-

82 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 13). »Ich glaube, dass es für sie ebenso wichtig war wie für mich, dass die erste Frau, die das Bergführerdiplom erhält, gut ist. Und nicht nur, es gibt viele Führer, die gerade so knapp durchkommen, die mittelmässig sind. Aber es war wichtig, dass sie das Diplom jemandem gaben, der gut war, der eher in der ersten Hälfte als in der zweiten war. Ich glaube, dass es auch wichtig war für alle Frauen, die danach kommen werden. Also für alle. Gut, man hat vielleicht von mir ein bisschen mehr verlangt als von den anderen Kandidaten.«

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cotte, au départ.«83 Auf die Frage der Interviewerin, ob sie denn den Eindruck habe, ihre Kollegen, als deren »Maskottchen« sie sich fühlte, hätten sie ernst genommen, meint sie: »Ben oui, sur la montagne, disons que il y a pas, enfin, à prendre au sérieux ou pas, hein. On était au même niveau donc euh (.) oh et puis même à, pendant un cours, une fois, il y en a un qui est tombé et puis je l’ai retenu, alors euh (.) ben, ça lui a fait plaisir.«84

Spätestens nachdem sie einen stürzenden Kandidaten gehalten hatte, war die Frage, ob sie ernst genommen werde, erledigt. Die hier unspektakulär erscheinende Szene erzählt ein Bergführer, der mit Nicole Niquille den Kurs besucht hat, weit dramatischer. Als ihr Seilgefährte auf einem Grat ausrutschte, sei sie geistesgegenwärtig auf die andere Seite gesprungen, womit sie ihm das Leben gerettet habe. Sie verschaffte sich also Anerkennung, indem sie sich als Seilpartnerin und Bergführerin mit einer Leistung bewährte, die Frauen gerne abgesprochen wird: Sie verhinderte beim Gehen am kurzen Seil den Sturz eines Mannes und stellte damit unter Beweis, dass sie mehr als nur ein Maskottchen war. Für die Situation im Berufsalltag gilt dasselbe wie für die Ausbildung: Viele Frauen betonen, dass sie sich als Bergführerinnen akzeptiert fühlen und kaum Benachteiligungen oder Diskriminierungen erfahren. Werden solche dennoch erwähnt, so tauchen als Akteure Berufskollegen, Bergsteiger, denen die Bergführerinnen unterwegs begegnen, Hüttenwarte oder Gäste auf. Besonders für Erlebnisse mit Berufskollegen gilt wiederum, dass sie selten und äusserst ungern erzählt und höchstens angedeutet werden. Insgesamt lassen sich zwei Arten von Diskriminierungen feststellen: Zum einen sind dies Situationen, in denen sich die Bergführerinnen als Berufsangehörige nicht ernst genommen fühlen, etwa weil Berufskollegen Witze machen, die sich auf ihr Geschlecht beziehen, weil andere – schlechtere – Bergsteiger sie unterwegs belehren und ihre Autorität gegenüber den Gästen damit untergraben, oder weil Gäste es ablehnen, sich von einer Frau führen zu lassen. Zum anderen sind es sexuell konnotierte verbale oder auch physische Übergriffe durch Berufskollegen oder Hüttenwarte, die jedoch weit seltener berichtet werden.

83 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 11). »Ich muss sagen, für sie war ich zu Beginn ein bisschen ein Maskottchen.« 84 Video-Interview Nicole Niquille (1987: 12). »Ja, am Berg geht es letztlich nicht darum, jemanden ernst zu nehmen oder nicht. Wir waren auf dem gleichen Niveau. Während eines Kurses gab es einmal einen, der stürzte, und dann habe ich ihn gehalten. Das hat ihm Freude gemacht.«

 

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7.4.4 Exponiertheit und beschränkte Inklusion Solche Übergriffe finden – wenn überhaupt – entweder in Hütten statt, in denen auf Touren übernachtet wird, oder aber unterwegs. Zur berufsbedingten Exponiertheit gegenüber dem Wetter und den Gefahren unterwegs kommt also eine soziale Exponiertheit, die gerade auch in jenem Raum stattfindet, der Schutz bieten sollte, und der von den meisten Männern und auch von vielen Frauen mit Gemütlichkeit und familiärer Geborgenheit in Zusammenhang gebracht wird. Der gleiche Raum, der für die einen integrierend wirkt, kann für andere also exkludierend wirken. Ein ähnliches Phänomen ist bezüglich der sozialen Einbettung zu beobachten. Es sind vor allem männliche Interviewte, welche den sozialen Zusammenhalt, die Freundschaften und familienähnliche Bande unter Bergführern betonen. Die Frauen sind alle ebenfalls in ein soziales Netzwerk von Bergführern und Bergsteigern integriert. Häufig werden diese Beziehungen aber nicht als Bergfreundschaften idealisiert, sondern als ›normale‹ Freundschaften zwischen Leuten dargestellt, die gemeinsame Interessen teilen. Eine generelle und idealisierende Beschwörung des Zusammengehörigkeitsgefühls im Sinne einer über allem stehenden Kameradschaft oder Freundschaft unter Bergführern und der Hütte als Hort der ›Bergführerfamilie‹ findet sich bei den Frauen seltener als bei den Männern. Eine Bergführerin entmystifiziert die Kameradschaft gar ganz, indem sie den Bergführer als Einzelgänger darstellt. Die vergleichsweise geringere Bedeutung sozialer Beziehungen zu anderen Bergführern äussert sich nicht nur im verminderten oder ausbleibenden Auftreten von Idealisierungen, sie kommen ganz konkret etwa auch dann zum Tragen, wenn es um das Erreichen bestimmter Positionen in den Verbänden geht. In der Schweiz wurden bisher zwar zwei Bergführervereine von Frauen präsidiert und von den zehn Fachreferentinnen und -referenten sind drei Frauen, unter den dem Kader angehörenden Experten, die für die Bergführerausbildung zuständig sind, findet sich derzeit jedoch keine Frau.85 Dies dürfte – unter anderem – an der geringen Integration der Frauen in diejenigen Netzwerke liegen, die bei den vorherrschenden informellen und damit, wie ein Bergführer im Interview beklagt, häufig intransparenten Formen der Rekrutierung von Bedeutung sind. Eine Bergführerin meint auf die Frage, ob sie sich noch nie überlegt habe, in der Ausbildung tätig zu sein: »Gut, ich bin jetzt nie darauf angesprochen worden. Gut, wenn man mich jetzt anfragen würde, würde ich mir das schon noch überle[lacht].«

85 SBV (2012e).

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7.5 S TRATEGIEN

DER

B EWÄHRUNG

Frauen sind im Bergführerberuf Ausnahmen. Wie prägend diese Position für ihr Selbstverständnis ist, zeigt sich schon allein daran, dass alle interviewten Bergführerinnen die Frage des Geschlechts von sich aus und – mit einer Ausnahme – bereits in der Einstiegssequenz ansprechen. Nachdem sie sich erfolgreich Zutritt zu diesem männerdominierten und maskulin codierten Berufsfeld verschafft haben, sehen sie sich vor der Herausforderung, sich darin zu bewähren. In den Interviewanalysen kristallisierten sich vier idealtypische Bewährungsstrategien heraus. Diese sind als Strategien des deutenden und handelnden Umgangs der Frauen mit ihrer Position zu verstehen. Sie zielen darauf ab, in diesem Feld zu bestehen. Die vier Strategien »Flucht nach Vorn«, »Gratwanderung«, »Entmystifizierende Distanznahme« und »Kampf um Anerkennung« werden im Folgenden an den Beispielen von vier Fällen dargelegt. Da die Bewährungsstrategien erst vor dem Hintergrund des Werdegangs und des Berufsverständnisses der entsprechenden Bergführerin richtig verständlich werden, werden diese jeweils in ihren Grundzügen dargelegt. Dabei treten Beispiele zutage, welche einige der in den bisherigen Ausführungen dargelegten Aspekte unterstreichen. 7.5.1 Flucht nach vorn Obwohl sich Luzia Wenger sportlich wie auch technisch bereit fühlte für die Bergführerausbildung, brauchte es einiges, bis sie sich dazu entschliessen konnte, sich anzumelden. Zum einen war da – wie oben dargelegt – ihr damaliger Freund, ein angehender Bergführer, über den sie in die Welt des Bergsteigens und Bergführens hineinsozialisiert wurde, der ihr aber gleichzeitig im Weg stand beim Wunsch, selbst Bergführerin zu werden.86 Zum anderen waren es Selbstzweifel, die sie zunächst davon abhielten, die Ausbildung in Angriff zu nehmen, und die sie erst überwand, als sie andere Frauen sah, die die »Frechheit«87 hatten, sich anzumelden. Trotz des Mutes, den sie zusammennahm, trat sie die Ausbildung mit gewissen Zweifeln an, ob sie darin würde bestehen können. Dem Druck, der in den Kursen herrschte, scheint sie jedoch standgehalten und die Ausbildung problemlos bestanden zu haben, während einige junge Männer rund um sie herum an den Anschlag kamen:

86 Vgl. Kapitel 7.3.3. 87 Interview Luzia Wenger (2005: 5).

 

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»Klar, der erste Kurs ist knallhart, oder. Also, da hat es dann viele Junge gehabt, die jeweils ins, weisst, ins Zimmer gekommen sind und gesagt haben: ›Oh Mann, das halte ich nicht mehr aus psychisch‹, oder.«88

Neben der physischen Anstrengung, die es bedeutete, den ganzen Tag unterwegs zu sein und morgens und abends vor und nach den Touren noch Theorieunterricht zu haben, habe der psychische Druck vor allem darin bestanden, ständig unter Beobachtung zu stehen, Bestleistungen bringen und keine Fehler machen zu wollen sowie permanent darauf gefasst zu sein, überraschend die Führung übernehmen und »entscheiden« zu müssen. Jederzeit habe es heissen können, »Also, jetzt bist du dran!«, sodass man »ständig auf Nadeln« war.89 Mit der Zeit habe sie allerdings gewusst, was sie erwartete und – was besonders wichtig war – sie lernte die anderen Aspiranten kennen und freundete sich mit einigen von ihnen an. Anfänglich hatten ihr manche ihrer männlichen Kollegen Respekt eingeflösst, bald aber liess sie sich davon nicht mehr beeindrucken. Neben Kollegen, die »sackstark«90 gewesen seien, damit aber nicht hausierten, sondern einfach ihre Leistung brachten, habe es nämlich nicht wenige gegeben, deren grosse Reden sich bald als ›Bluff‹ erwiesen. »Du lässt dich dann schon so ein bisschen beeinflussen, ich meine, wenn einer von Touren und Zeug und Sachen erzählt, die er gemacht hat: ›Puo‹, denkst du, ›Madonna! He, das sind ja alles Riesencracks!‹, oder? (I.: Mhm) Und nachher siehst du sie unterwegs und dann musst du sagen: ›Jaja, halb so wild‹, oder.«91

Die Erzählungen dieser vermeintlichen »Riesencracks« evozierten in ihr ein Bild über deren Fähigkeiten und deren Überlegenheit, das »unterwegs« relativiert wurde. Der Berg rückte die Relationen ins richtige Licht und führte zu einer Entzauberung der eben noch bewunderten Männer. Mit der Zeit habe sie gemerkt: »Du, hei, die waschen sich alle auch nur mit Wasser.« Sie stellte fest, dass ihre eigenen Leistungen nicht wie vermutet lediglich »mittelprächtig« waren, sondern dass sie eigentlich zu »den Vorderen«, also zu den Besseren, gehörte. Jetzt, da sie wusste, wo sie stand, seien die Selbstzweifel »weggewischt gewesen«. Fortan identifizierte sie sich mit den Besseren, die den Ansprüchen gewachsen waren und nicht blufften, sondern bescheiden, aber souverän ihre

88 Interview Luzia Wenger (2005: 7). 89 Interview Luzia Wenger (2005: 8). 90 Interview Luzia Wenger (2005: 6). 91 Interview Luzia Wenger (2005: 6).

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Leistung erbrachten und damit eine Bergführertugend lebten. Von nun an fühlte sie sich dazugehörig und nahm es »lockerer«. Ihre Selbstzweifel waren weggewischt, sie war aus der defensiven Rolle herausgetreten und hatte sich einen Platz im Feld erobert.92 Heute fühlt sie sich in die Bergführergilde integriert und von ihren Berufskollegen akzeptiert. Weder sei sie in der Ausbildung von den Experten anders behandelt worden als ihre männlichen Kollegen, noch stelle sie in ihrem Berufsalltag im Umgang mit anderen Bergführern und Gästen fest, dass sie als Frau als Sonderfall wahrgenommen werde oder unter irgendwelchen Nachteilen zu leiden hätte. Sie kenne heute viele Führer und pflege mit ihnen sehr gute Beziehungen, ja gar Freundschaften. Ihre anfänglichen Selbstzweifel führt sie auf die in ihren Augen für Frauen typische Selbstunterschätzung zurück und nicht etwa auf strukturelle Bedingungen oder mangelnde Akzeptanz, Vorurteile oder gar Diskriminierungen von Seiten der Männer. Die Tatsache, dass sie eine Frau war, scheint für sie vom Moment an, in dem sie nicht mehr an sich selbst zweifelte und ihren Platz gefunden hatte, keine Rolle mehr gespielt zu haben. Auf die suggestive Bemerkung der Interviewerin, dass es als Frau in diesem Feld bestimmt nicht einfach sei, meint Luzia Wenger, das hänge davon ab, welche Art »Person« man sei und »wie du dich gibst«.93 Relevant ist demnach einzig das Verhalten der Frau, nicht aber jenes der Männer, das vielmehr als Reaktion auf ersteres verstanden wird. Sich auf eine bestimmte Art zu geben, kommt einer bewusst gewählten »Darstellung« gleich, die darauf abzielt, beim »Publikum«, also den anderen Anwesenden, einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen.94 In dieser Darstellung orientiert sich Luzia Wenger an von ihr als typisch männlich identifizierten Referenzpunkten: »Wenn die natürlich sehen: ›Läck doch mir, die gibt auch Gas, he, huerechog!‹, oder. ›Ich meine, im Nebel geht die raus, die geht als Erste raus!‹, oder. (I.: Mhm) Dann schauen sie schon auch ein bisschen komisch, oder, ist für sie schon ungewohnt.«95

Ganz im Sinne einer Flucht nach vorn ist sie darum bemüht, sich gegenüber ihren Kollegen als offensive und unerschrockene Bergsteigerin und Bergführerin zu geben, womit sie diese – bewusst – in Staunen versetzt und beeindruckt. Sie gibt »Gas«, legt also ein schnelles Tempo vor, das ihre Kollegen aus den Reser-

92 Interview Luzia Wenger (2005: 2; 6 ff.). 93 Interview Luzia Wenger (2005: 12). 94 Goffman (2009 [1959]: 19 ff.). 95 Interview Luzia Wenger (2005: 12).

 

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ven lockt; sie ist aktiv, energiegeladen und der Tendenz nach auch gefährlich, denn Gas ist bekanntlich explosiv. Diese Darstellung scheint ihre Wirkung nicht zu verfehlen: Luzia Wenger wird von einem anderen, mit ihr befreundeten Bergführer als »Uranstab« bezeichnet, also als Person, die an Energie kaum zu übertreffen ist, gleichzeitig aber ein zerstörerisches, für ihr Umfeld lebensbedrohendes Potential in sich trägt. Das Gasgeben besteht, wie Luzia Wenger erzählt, beispielsweise darin, dass sie am Morgen in der Hütte »als Erste« in den Nebel rausgeht. Damit legt sie gegenüber ihren männlichen Berufskollegen bewusst Zeugnis ihrer Selbständigkeit, Entschlossenheit und ihres Muts wie auch ihres Könnens ab: Als Erste kann sie niemandem folgen; sie muss den Weg mit Hilfe ihres Orientierungsvermögens und ihrer technischen Fähigkeiten selbst finden. Sie setzt sich dabei dem Risiko aus, sich zu verlaufen, was nicht nur eine Blamage vor den Kollegen wäre, sondern auch für sie und ihre Gäste lebensgefährlich werden könnte. Luzia Wenger ist sich bewusst, dass sie sich in dieser Darstellungsweise geschlechtsuntypisch verhält und die Männer damit irritiert. In dieser offensiven Strategie einer »Flucht nach vorn« ist sie darum bemüht, sich mit den als maskulin geltenden Mitteln im Feld zu bewähren; sie tritt mit den Männern im Feld in einen spielerischen Wettbewerb, an ihnen möchte sie gemessen werden. Dies kann sich – wie eine Beobachtung anlässlich eines Feldaufenthaltes zeigte – etwa auch darin manifestieren, dass sie sich am mit Humor ausgetragenen Wetteifern darum beteiligt, welcher Bergführer mit seinen Gästen auf einer Hochtour zuerst den Gipfel erreicht. Ihre Strategie zeigt sich etwa auch darin, dass sie das Verhalten eines Hüttenwarts, der ihr bei Begegnungen regelmässig an den Hintern fasst, weder als sexuell belästigend zu interpretieren noch sich darüber zu ärgern scheint, sondern es mit Humor kontert. Nachdem Luzia Wenger sich aus ihrer defensiven Frauenrolle und von ihrem damaligen Freund emanzipiert und sich als Bergführerin bewährt hatte, war für sie klar, dass die Offensivität vieler Männer und die Defensivität vieler Frauen nichts mit angeborenen oder biologisch bedingten Fähigkeiten oder Eigenschaften zu tun haben, sondern angeeignet sind und im alltäglichen Geschlechterverhältnis interaktiv reproduziert werden. Sie stelle etwa in ihrem BergführerKollegenkreis fest, dass sich ihre Kolleginnen eher zurücknähmen, auch wenn sie vom Niveau her wahrscheinlich gleich stark seien wie die Männer. Aber auch bei ihren Gästen beobachte sie, dass sich Männer mehr zutrauten und eher »angreifen« würden, während die Frauen sich eher in den Hintergrund stellten. »Wenn du Pärchen hast, diese Pärchen sind in irgendeiner Woche. Sie ist immer eher tendenziell die Nummer zwei, sie lässt immer den Mann gehen. Und dann siehst du beim

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Klettern: Meistens ist der Mann der, der führt, oder. Und sobald diese Frauen einfach mal alleine sind, nachher, also, ist lustig, dann sagen sie aufs Mal: ›Hey, das kann ich ja! Das ist, das geht ja! Läck, ich kann ja im Vorstieg gehen!‹ Dann sage ich: ›Ja sicher kannst du das!‹ (I.: Mhm) Einfach, weil sie einfach so (.) sich ein bisschen unterordnen.«96

Verantwortlich für die Unterordnung der Frauen unter die Männer ist in ihren Augen primär die Selbstunterschätzung und Selbstunterordnung der Frauen, unter der Wenger einst selbst litt. Dieser quasi-pathologische Zug der Frauen korrespondiert mit einem ebensolchen auf Seite der Männer, der sich in Selbstüberschätzung äussert: Während die Frauen das Bedürfnis hätten, die Dinge wirklich »präzise und genau« wissen zu wollen und deshalb zum Beispiel eher Kurse besuchten, gäben sich Männer schneller zufrieden. Sie lernten eher »irgendetwas larifari« und fänden dann selbstüberzeugt: »Momol, ich gehe.«97 Die Tendenzen zur Selbstunterschätzung beziehungsweise -überschätzung führe dazu, dass Frauen sich letztlich seriöser verhielten, während Männer draufgängerischer und damit bisweilen fahrlässiger agierten. In ihrer Tätigkeit als Bergführerin möchte sie Frauen dazu ermutigen, aus dem Schatten ihrer Männer zu treten, und ihnen aufzeigen, dass sie mehr können, als sie glauben. Mit diesem Anspruch, der mit ihrer Bewährungsstrategie »Flucht nach vorn« korrespondiert, gibt sie ihren weiblichen Gästen die Emanzipationserfahrung weiter, die sie selbst machte. Sie tut dies quasi selbstverständlich, ohne es gegenüber sich selbst, den Frauen oder der Interviewerin mit einem feministischen und politischen Anspruch aufzuladen und auch ohne missionarischen Eifer. Wengers Anlehnung an maskulin codierte Prinzipien und ihre Offensivität gehen mit der teilweisen Übernahme von Aspekten eines männlichen Habitus einher, die sich unter anderem in Luzia Wengers Sprache manifestiert. In dieser finden sich sowohl Spuren der im Alpinismus verbreiteten maskulinen, bisweilen kriegerischen Rhetorik98 – sie spricht etwa vom Attackieren des Berges – als auch ›raue‹ Ausdrücke wie »huerechog«, »geil« oder »voll Gutzi geben«, die einer als maskulin geltenden Sprache entlehnt sind.99 Trotz dieser Rekurse auf Aspekte des männlichen Habitus verkörpert sie keine »weibliche Maskulinität«100, wie sie etwa von Halberstam beschrieben wird. Wenger trägt beispiels-

96 Interview Luzia Wenger (2005: 11). 97 Interview Luzia Wenger (2005: 11). 98 Vgl. Günther (1996: 155 ff.) und Kapitel 4.5.3. 99 Die Nachahmung des männlichen Habitus und Diskurses stellt Sasson-Levy (2003: 82 ff.) als zentrale Strategie von Frauen im israelischen Militär fest. 100 Halberstam (1998).

 

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weise Feminität markierenden Schmuck und führt unter ihren Hobbies neben diversen Bergsportarten weiblich codierte Tätigkeiten an. Die partielle Übernahme eines männlichen Habitus, die gleichzeitig mit der Betonung von Aspekten eines weiblichen Habitus einhergeht, ist auch bei anderen Bergführerinnen dieses Bewährungstyps festzustellen. Teilweise wird gar bewusst mit diesem Gegensatz gespielt: Eine junge Bergführerin, der ich am internationalen Treffen der Bergführerinnen in Chamonix (Frankreich) begegnete, erzählte, wie sie männliche Berufskollegen verblüffte, indem sie auf dem Gipfel angekommen ihren rosaroten Helm und die Skibrille auszog und darunter ihr geschminktes Gesicht zum Vorschein kam. 7.5.2 Gratwanderung Auch Caroline Bratschi, die bereits mit dem Vater erste Bergerfahrungen machte und später mit Freunden intensiv kletterte und bergstieg, hatte anfänglich Zweifel, ob sie die Bergführerausbildung schaffen würde. Der Abschluss ihres Studiums sowie die Feststellung, dass frühere Kletterkameraden die Ausbildung erfolgreich absolviert hatten, flössten ihr schliesslich den Mut ein, es zu versuchen. Zu ihrem Erstaunen durchlief sie die Ausbildung ohne grosse Schwierigkeiten: »Also ich bin irgendwie noch baff gewesen. Ich habe keine irgendwie gröberen Probleme da gehabt im Kurs oder so.«101 Angesichts dessen, dass Caroline Bratschi die Bergführerausbildung ohne Probleme absolvierte, sie erfolgreich abschloss und heute mit Freude und erfolgreich im Beruf tätig ist, erstaunt ihre Bemerkung: »Es gibt nicht viel mehr Frauen und es wird auch nicht viel mehr Platz haben für Frauen.« Sie begründet diese Feststellung, die Gegenwartsdiagnose und Zukunftsprognose in einem ist, damit, die »Bergführerei« sei nach wie vor eine »Männerdomäne […]. Das ist ein Männerberuf, das ist einfach so«.102 Während der Begriff »Männerdomäne« darauf verweist, dass die Männer derzeit den Beruf dominieren, sich dies theoretisch irgendwann aber auch ändern könnte, impliziert der Begriff »Männerberuf« – besonders mit dem betonten »ist« – auch die Lesart, es sei eine unveränderliche Tatsache, dass der Beruf vor allem von Männern ausgeübt wird beziehungsweise für diese geeignet sei. In ihrer Ausdrucksweise lässt sie also offen, ob sie es für eine empirische Tatsache hält, dass der Beruf ein Männerberuf ist, oder ob sie damit ihre normative Überzeugung zum Ausdruck bringt.

101 Interview Caroline Bratschi (2007: 4). 102 Interview Caroline Bratschi (2007: 8).

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Auf die Nachfrage der Interviewerin, wieso der Bergführerberuf in ihren Augen eine Männerdomäne, ein Männerberuf sei, reiht Caroline Bratschi verschiedenste Argumente aneinander. Eines aber, das in Interviews mit männlichen Bergführern verschiedentlich auftaucht, lässt sie nicht gelten: die Mutterschaft. Diese stehe der Tätigkeit als Bergführerin nicht im Weg. Kinder und Beruf miteinander zu vereinbaren, sei ein organisatorisches Problem, das sich allen berufstätigen Frauen und nicht nur Bergführerinnen stelle. Hingegen bringt sie den Körper und die Hygiene ins Spiel. Sie sei nicht gebaut wie ein Mann, sei rund fünfundzwanzig Kilos leichter, müsse aber den gleichen Rucksack tragen und die gleichen Gäste halten. »Für eine Frau ist das schon hart, das muss ich ehrlich sagen.«103 Weiter erfordere der »primitive« Hüttenalltag mit den schmutzigen Wolldecken und dem besonders im Winter häufig fehlenden fliessenden Wasser, dass man »ein bisschen einfach und unkompliziert« sei, er sei nicht so »für Frauen zugeschnitten«.104 Sie greift dabei auf Argumente zurück, die auch manche ihrer Kollegen anführen. Ihnen liegen Geschlechterstereotype bezüglich der körperlichen Leistungsfähigkeit und der körperlich bedingten Hygienebedürfnisse zugrunde. Beide Eigenschaften scheinen Caroline Bratschi selbst jedoch nicht zu stören. Trotz ihrem geringeren Körpergewicht scheint ihr die Ausbildung »leicht gefallen« zu sein. Auch beklagt sie an keiner Stelle, der Berufsalltag sei ihr zu streng. Im Gegenteil bemerkt sie, sie fühle sich noch »jung« und »fit« genug, um auch grössere Touren zu führen. Bezüglich der Hygiene denke sie zwar hin und wieder schon: »Oh, Jesses Gott, muss das sein?« Wenn man es aber akzeptiere, dann lebe man gut damit.105 Vor allem aber, argumentiert sie, gebe es schlicht zu wenig Arbeit für viele Frauen: »Und es gibt Platz für Frauen, auch in der ganzen Domäne, aber wenn es jetzt zum Beispiel gleich viele Männer wie Frauen geben würde, dann hätten wir Frauen auch zu wenig Arbeit. Das ist so.«106

Im Bergführerberuf habe es zu wenig Platz für Frauen, weil zu wenig Kundschaft da ist, die sich von Frauen führen lassen möchte. Die meisten Gäste erwarteten nämlich, dass ein »kräftiger Mann« zwischen 25 und 55 Jahren und dazu noch ein »lustiger Sunnyboy« dasteht, wenn sie eine Tour buchen. Ihr sei

103 Interview Caroline Bratschi (2007: 8). 104 Interview Caroline Bratschi (2007:13). 105 Interview Caroline Bratschi (2007:16; 12; 14). 106 Interview Caroline Bratschi (2007: 9).

 

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es schon mehrmals passiert, dass die Gäste explizit sagten, sie hätten lieber einen Mann als Führer, oder dass ihnen erst mal »der Laden runter« gegangen sei, als sie sahen, dass es sich bei ihrem Bergführer um eine Frau handelte. Bratschi führt dies darauf zurück, dass die Gäste das Gefühl hätten, ein Mann sei stärker, habe mehr Kraft und könne ihren Rucksack tragen, während eine Frau dazu nicht imstande sei.107 Hier nun stellt Caroline Bratschi das schon zuvor angeführte Argument als Überzeugung der Gäste dar. Zu den beiden Lesarten, wonach es sich in ihren Augen entweder beim Bergführerberuf wegen biologisch bedingter körperlicher Unterschiede um einen Männerberuf handelt oder aber bei der männlichen Dominanz um eine empirische Feststellung, kommt eine dritte Lesart hinzu: Demnach sitzen die Gäste sozial konstruierten Geschlechterstereotypen auf. Der Platz für Frauen im Feld des Bergführerberufs ist nach Caroline Bratschi nicht nur im Umfang beschränkt, sie sieht für Bergführerinnen auch ganz bestimmte Tätigkeiten vor, die eine Art Nischen darstellen. »Es gibt ein paar gute Sachen, wo wir zum Beispiel, Frauen auch wie gewisse Plätze haben, wie zum Beispiel Kinderklettern oder Familienbergsteigen, oder ich habe auch ein paar Frauenkurse auch gehabt, äh Kletterkurse. (I.: Ja.) Und nachher gibt es auch viel, es gibt auch ein gewisses Klientel, es gibt auch gewisse, äh, Leute, es gibt solche, die Bergführerinnen verlangen, aber sehr oft sind das solche Leute, die einfach auch ein bisschen mehr Betreuung brauchen, habe ich gemerkt.«108

»Gewisse« Plätze für Frauen sieht Caroline Bratschi in Angeboten, die sich spezifisch an Kinder, Familien und Frauen richten oder aber an Gäste, die etwas mehr »Betreuung« brauchen als üblich, also auch an bedürftige und damit weniger maskuline Männer. Der gewöhnliche Gast ziehe einen männlichen Bergführer vor. In dieser Erklärung klingt eine Deutung an, die bereits bei den Interviews mit Bergführern auffiel. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Geschlechter als different angesehen werden, wobei Frauen weiblich codierte Eigenschaften wie Geduld, Einfühlungsvermögen und Empathie zugeschrieben werden, die sie angeblich für gewisse Tätigkeiten besonders geeignet machen.

107 Interview Caroline Bratschi (2007: 8 f.). 108 Interview Caroline Bratschi (2007: 10).

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Diese Deutung geht mit einer partiellen »Umschrift der Differenz«109 gerade dieser Tätigkeiten einher. Caroline Bratschis Ausdrucksweise lässt auch hier offen, ob sie lediglich ihre Beobachtung referiert oder ob sie ihre eigene Überzeugung wiedergibt, denn sie expliziert nicht, weshalb den Frauen vor allem jene Plätze offen stehen: Liegt es an der Nachfrage der Gäste, worauf der Schluss des Zitats hindeutet? Sind es die Berufskollegen, die Frauen dort am ehesten tolerieren? Oder ist sie selbst überzeugt, dass Frauen den ›normalen‹, männlichen Gästen nicht gewachsen beziehungsweise für die Betreuung der bedürftigen besonders geeignet sind? Auf die Nachfrage der Interviewerin, ob sie denn selbst das Gefühl habe, Frauen seien besser geeignet, etwa Kinder oder besonders bedürftige Gäste zu führen, erwidert sie, so allgemein könne man dies nicht sagen. Es gebe sicher auch Männer, die »ein gutes Gespür« haben. Aber sie denke schon, dass es grundsätzlich eine »weibliche Eigenschaft« sei, dass man »eher mehr auf das Gegenüber einzugehen versucht und nicht einfach dasteht: ›So, ich bin jetzt hier Bergführer, komm, los geht’s‹«.110 Umgekehrt aber gibt sie zu verstehen, dass sie als Frau sehr wohl auch dazu fähig sei, Gäste ohne besondere Ansprüche auf anspruchsvollen Unternehmungen zu führen. Sie erzählt, dass sie die gleichen Touren führe wie ihre männlichen Kollegen und sich auch sehr freue, wenn sie hin und wieder für ein besonders schwieriges Unterfangen, etwa die Besteigung einer Nordwand, angefragt werde. Zudem hätten sie und die anderen Frauen in der Bergführerausbildung die gleichen Anforderungen erfüllen und die gleichen Prüfungen bestehen müssen wie die männlichen Kollegen, weshalb sie auch das gleiche »technische Niveau« hätten wie die Männer.111 Licht in das Dunkel, wie die Uneindeutigkeiten in ihren Ausführungen zu lesen sind, bringt die Rekonstruktion ihrer Bewährungsstrategie. Die Bergführerausbildung scheint Caroline Bratschi nicht nur sportlich-bergsteigertechnisch erstaunlich leicht gefallen zu sein, sie berichtet auch von keinerlei Problemen, die sie als Frau dabei gehabt hätte. Erst als sie als Bergführerin zu arbeiten begann, habe sie gemerkt, »sehr viele Leute schauen auf dich, oder, schauen: ›Wie macht die das? Kann die das?‹« Sie stellte fest, dass sie unter ständiger Beobachtung stand, und folgerte daraus, dass sie nun »keinen Seich«112 machen durfte,

109 Gildemeister/Wetterer (1992: 222). Als »Umschrift der Differenz« bezeichnen Gildemeister und Wetterer die »Neu-Konstruktion« der Differenz, die häufig stattfindet, wenn ein einstiger »Männerberuf« zum »Frauenberuf« wird (1992: 222). 110 Interview Caroline Bratschi (2007: 10). 111 Interview Caroline Bratschi (2007: 11). 112 »Seich« heisst »Urin« und steht hier für »Blödsinn«, »Dummheit«.

 

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denn dieser hätte nicht nur ihr selbst geschadet, sie hätte damit auch zukünftigen Bergführerinnen »das Leben schwer« gemacht. Hätte sie einen »grossen Bock« geschossen, hätte es sofort geheissen: »Ja, das erste Mal ist es schief gegangen, das ist sicher nicht gut.«113 Eine Dummheit, ein Missgeschick oder einen Fehler hätte man nicht ihr persönlich zugeschrieben, sondern der Tatsache, dass sie eine Frau ist, ist sie überzeugt. Der Fehler wäre – mit Goffman gesprochen – als Ausdruck ihrer »stigmatisierten Andersartigkeit interpretiert worden«114. Dies wiederum hätte späteren Frauen im Beruf geschadet. Auch diese Angst scheint für Frauen in Männerberufen typisch zu sein. Bereits Kanter hatte festgestellt, dass Frauen in Männerberufen nicht nur sich selbst, sondern die Kategorie Frau repräsentieren.115 Das Bemühen, sich keine Fehler zu Schulden kommen zu lassen, ›es‹ also möglichst gut zu machen, darf aber auch nicht ins Gegenteil münden; als Bergführerin dürfe sie nicht allzu positiv auffallen. Würde sie den Eindruck erwecken, sie wolle besser sein als die Männer, würden sie dies als Konkurrenzgebaren empfinden und ebenfalls negativ auslegen, ist sie überzeugt: »Ich bin immer gut akzeptiert gewesen, weil ich einfach auch probiert habe, den anderen Männern nicht Konkurrenz zu machen, (sondern einfach,) (I.: Ja.) ich habe mich gut, ›ich bin eine Frau und ich mache das als Frau und ich probiere euch nicht, ich probiere nicht besser zu sein als ihr und ich probiere (nicht euch) (I.: Ja.) das zu zeigen, ich probiere einfach meinen Job zu machen, (I.: Ja.) so gut ich es kann und so, dass es meinen Gästen und mir Spass macht und fertig‹, oder. (I.: Mhm.) Und einfach probieren, ganz normal und natürlich zu sein gegenüber den Männern, (I.: Ja.) das ist, hat gut funktioniert.«116

Im Bewusstsein, als Frau in diesem Beruf eine Ausnahmeerscheinung zu sein, ist Caroline Bratschi darum bemüht, keine Fehler zu begehen und Leistungen zu erbringen, die jenen ihrer Berufskollegen ebenbürtig sind, ohne dabei aber deren Vorherrschaft in Zweifel zu ziehen. Weder möchte sie durch zu schlechte noch durch zu gute Leistungen auffallen. Sie verfolgt damit eine Strategie der Unauffälligkeit, die einer ständigen Gratwanderung gleichkommt, bei der die Gefahr besteht, auf die eine oder andere Seite abzustürzen. Das Dilemma, das sich ihr stellt und dem sie mit der Gratwanderung zu entkommen versucht, ist gemäss dem erwähnten Konzept des »Tokenism« für die Situation von Frauen in Män-

113 Interview Caroline Bratschi (2007: 39 f.). 114 Goffman (1975 [1963]: 25). 115 Kanter (1987: 284). 116 Interview Caroline Bratschi (2007: 37).

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nerberufen typisch. Es besteht darin, dass die Frauen einerseits Bestleistungen erbringen müssen, damit ihre Kompetenz anerkannt wird. Andererseits müssen sie stets darauf bedacht sein, dass sie nicht zu gut sind, um nicht zu sehr aufzufallen, die Männer in den Schatten zu stellen und bei ihnen Konkurrenzängste zu wecken.117 Die Gratwanderung beinhaltet auch eine Rückbesinnung auf eine normkonforme Geschlechterrolle. Sie probiere, sich bewusst »ganz normal und natürlich« als Frau zu geben, versucht also, auch in dieser Hinsicht möglichst unauffällig zu bleiben. Ganz ähnlich wie Caroline Bratschi argumentiert auch eine andere Bergführerin. Als Frau dürfe man nicht den Fehler machen, zurückzustehen und sich zu schonen, meint Lilian Irniger, gleichzeitig dürfe man aber auch nicht probieren, die Männer – etwa über eine harte Sprache und Ausdrücke wie »huere geil« – »zu imitieren«. Das irritiere Männer und sie wüssten dann nicht, wie sie mit einem umgehen sollten. Vielmehr müsse man sich »einfach treu sein, wie man ist«, also möglichst ›natürlich‹ Frau sein.118 Bratschi und Irniger gehen davon aus, dass Männer von ihnen erwarten, anders, different zu sein. Sie antizipieren die Gültigkeit des »sameness taboo«119, welches besagt, dass Männer und Frauen anders zu sein haben, und ordnen sich diesem unter. Das Betonen der eigenen Weiblichkeit, wie es die beiden Bergführerinnen andeuten, hatte sich, gemäss Wirz, bereits bei Alpinistinnen um 1900 als beste Strategie zur Erlangung von gesellschaftlicher Akzeptanz erwiesen.120 Caroline Bratschi nimmt die Strategie der Unauffälligkeit nicht nur gegenüber ihren Berufskollegen am Berg ein, sondern auch gegenüber anderen Bergsteigerinnen und Bergsteigern. Noch heute, nach mehreren Jahren Berufstätigkeit, sorge sie als Bergführerin etwa in Hütten häufig für Aufsehen, wenn sie mit ihrem »Bergführerabzeichen« daherkomme. Die Leute fragten sie dann aus und beobachteten sie, was sie als unangenehm empfindet. Werde ihr diese Aufmerksamkeit »zu dumm«, entferne sie den »Pin« auch mal, damit sie nicht mehr »angeschrieben« sei: »Wenn die Leute so doof geschaut haben in der Hütte, habe ich meinen Bergführerpin abgenommen, in den Rucksack getan und fertig. (I.: Ah ja!) Und dann bin ich einfach

117 Kanter (1987: 285). 118 Interview Lilian Irniger (2007: 19 f.). 119 Rubin (1975). 120 Wirz (2007a: 211).

 

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irgend, halt irgendeine Alpinistin da ganz normal in dieser Hütte gewesen und niemand hat sich um mich gekümmert.«121

Lieber nimmt sie in Kauf, als Tochter oder Nichte eines »älteren Mannli« betrachtet zu werden, als sich »so blöd anglotzen« zu lassen und immer das Gefühl zu haben, alles richtig machen zu müssen. Wenn sie unerkannt sei, habe sie ihren »Frieden«.122 Die Unauffälligkeit, in die sie sich bisweilen selbst begibt, bietet ihr Schutz, um etwas an sich Auffälliges und Aussergewöhnliches zu tun, nämlich in einem weitgehend Männern vorbehaltenen Feld tätig zu sein. Dies wird auch daran deutlich, wie sie ihre Rolle im Berufsverband interpretiert, in dem sie zum Zeitpunkt des Interviews ein Amt inne hatte. Die Frage der Interviewerin, ob sie sich vorstellen könne, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren, im Berufsverband eine andere, höhere Position einzunehmen oder in der Bergführerausbildung tätig zu werden, verneint sie wiederum mit dem Hinweis darauf, dass der Bergführerberuf eine »Männerdomäne« sei. Sie denke, sie sei »jetzt schon weit genug gegangen«. Jetzt sei »der Punkt erreicht«, an dem sie »wieder mal zurücktreten« müsse.123 Einige Berufskollegen hätten mit Neid auf das Medienecho reagiert, das ihre Wahl ausgelöst hatte, und sie habe gemerkt: »So jetzt. Weiter musst du nicht mehr gehen, weil, sonst kann es einfach sein, dass das Ganze mal schlecht kehrt, dass du irgendwie in der Bergführergesellschaft irgendwie als Emanze angeschaut wirst oder als eine, die es eben diesen Burschen zeigen will. Und ich glaube, […] das würden sie nicht gut ertragen.«124

Sie habe sich deshalb gesagt, bis hierhin und nicht weiter, denn sie sei darauf angewiesen, dass sie in der »Bergführergesellschaft« akzeptiert werde, damit sie mit den anderen zusammenarbeiten könne. In ein paar Jahren werde es hoffentlich mehr Frauen in wichtigen Verbandspositionen geben, dafür sei es im Moment aber noch zu früh. Zuerst müssten sich Frauen in diesem Beruf etwas »besser etablieren«. 125 Man müsse den Bergführern, aber auch der noch etwas konservativen Gesellschaft der Schweiz beziehungsweise mancher Kantone etwas Zeit lassen, die Anwesenheit von Frauen in diesem Beruf zu verdauen.

121 Interview Caroline Bratschi (2007: 40). 122 Interview Caroline Bratschi (2007: 41). 123 Interview Caroline Bratschi (2007: 37). 124 Interview Caroline Bratschi (2007: 38). 125 Interview Caroline Bratschi (2007: 38 f.).

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Auch diesbezüglich dringt Caroline Bratschi also in ein von Frauen bisher kaum besetztes Feld vor, stets darum bemüht, dabei nicht allzu sehr aufzufallen. Vorsichtig lotet sie aus, wie weit sie gehen kann, ohne dass es kontraproduktiv würde. Bewusst ebnet sie damit den Boden für das weitere Vordringen von Frauen nach ihr. Auf subtile Weise, unauffällig und ohne explizit formulierten feministischen Anspruch wirkt sie damit auf eine Veränderung des Feldes hin. Bratschis Strategie erinnert an die von Butler beschriebene, für die Subjektivation konstitutive Ambivalenz, wonach die Übernahme von Macht an die Bedingungen der Unterordnung geknüpft ist, dass also »die übernommene Macht […] in der Tat jene Unterordnung zugleich fortschreiben und ihr widerstehen«126 kann. Vor dem Hintergrund der rekonstruierten Bewährungsstrategie werden die mehrfach festgestellten Uneindeutigkeiten in ihrer Argumentation verständlich: Indem sie selbst Deutungen reproduziert, gemäss denen Frauen wegen ihres biologischen Geschlechts nicht beziehungsweise nur bedingt für den Beruf geeignet sind, und sie Frauen den marginalisierten Platz in der Arbeit mit ›besonderen‹, als schwächlich und bedürftig geltenden Gästen zuweist, marginalisiert sie sich selbst bis zu einem gewissen Grad und weist sich und Frauen im Allgemeinen einen Bereich zu, in dem sie den Männern nicht zur Konkurrenz werden. Gleichzeitig beweist sie aber durch ihre Leistungen, dass sie die sportlichen und technischen Anforderungen an einen ›richtigen‹ Bergführer sehr wohl erfüllt. Sie behauptet sich damit gegenüber ihren männlichen Berufskollegen, möglichst ohne diese damit zu provozieren. Dazu gehört auch, dass sie allfällige Probleme als Frau im Feld oder Vorbehalte der Führer ihr gegenüber nicht anspricht: So blieben etwa die Berufskollegen bei der Argumentation um den Platzmangel unerwähnt. Diese Dethematisierung ist ebenfalls im Rahmen ihrer Bewährungsstrategie zu verstehen. Bratschi vermeidet jegliche Schuldzuweisung, im Wissen darum, dass diese auf sie zurückfallen würde. 7.5.3 Entmystifizierende Distanznahme Nach ersten Bergerfahrungen in der Kindheit legte Astrid Padrutt Bergschuhe, Rucksack, Steigeisen und Pickel für einige Jahre zur Seite und nahm sie erst »relativ spät«, während des Studiums wieder hervor. Über J+S und den Hochschulsport habe sie schnell Leute kennengelernt, sie habe sich aktiv »Gspänli« gesucht und sei bald ausschliesslich mit diesen in den Bergen gewesen. Dann sei es »sehr schnell gegangen«: Sie habe jeden Funken Energie, der ihr geblieben

126 Butler (2001: 18).

 

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sei, ins Bergsteigen investiert und sei »eigentlich immer z’Berg gegangen«.127 Sie habe es gern gemacht, sei auf ein »relativ gutes Niveau« gekommen und mit den »entsprechenden Leuten zusammen« gewesen. Bergführer habe »man« damals »ein bisschen bewundert und so«. Wer den »Pin« trug, verkörperte für sie ein »Idealbild«, das sie mit Zwanzig fasziniert habe. »Puo, was der alles kann«, habe sie beim Anblick eines Bergführers jeweils gedacht. Sie habe den Bergführer ein wenig als »Helden« angesehen, der »so ein bisschen braun gebrannt« ist, mit »Sonnenbrille auf dem Kopf und, und cool, und alles im Griff« hat. Er sei jemand gewesen, der etwas sehr gut konnte, das sie selbst auch beherrschen wollte. Irgendwann komme dann automatisch die Idee auf: »Ja, könnte ich das auch?« Dies herauszufinden, sei ihr Hauptmotiv für die Anmeldung zur Ausbildung gewesen und nicht etwa der Wunsch, den Beruf zu »hundert Prozent« und ein »Leben lang« auszuüben, denn dank ihres Studiums habe sie ja bereits einen »Beruf« gehabt.128 Ihr Beweggrund entspricht damit der Motivlage »Diplom als Konsekration«.129 Astrid Padrutt widerlegt mit der Darlegung ihres Werdegangs die Vorstellung, wonach ein Bergführer als männlicher Bergler geboren worden sein oder aber das Bergsteigen und alles Drumherum zumindest von Kindsbeinen an erlernt und verinnerlicht haben muss. Wenn man sich intensiv mit etwas befasse, stellt sie fest, komme man in kurzer Zeit »relativ weit«130. In der Erläuterung ihres Motivs für die Bergführerausbildung grenzt sie sich weiter von einem Kontrastfall ab, dem sie Normalität unterstellt: von einem jungen Bergsteiger, der noch keinen Beruf hat und die Ausbildung mit der Absicht macht, das Leben lang als Bergführer zu arbeiten. Diese Distanznahme zu einem unterstellten Normalfall wie auch zu gängigen Mythen, die den Bergführerberuf umranken, ist in Padrutts Erzählung omnipräsent und mündet bisweilen gar in eine Dekonstruktion dieser Mythen. Sie geht mit einer auffallend distanzierten Haltung gegenüber der eigenen Biografie einher. Die Distanznahme zur eigenen Vergangenheit wird in der selbstkritischen Darlegung ihrer jugendlichen Bewunderung der Bergführer deutlich. Manifest wird sie, als Padrutt ihre Ausführungen auf die Frage der Interviewerin, was es denn gewesen sei, das sie damals bewunderte, mit der Bemerkung einleitet:

127 Interview Astrid Padrutt (2007: 6 f.). 128 Interview Astrid Padrutt (2007: 1 f.). 129 Vgl. Kapitel 6.2.3. 130 Interview Astrid Padrutt (2007: 8).

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»Das, was ich unterdessen nicht mehr so bewundere.« Nach dem Führerkurs sei es mit dieser Bewunderung nämlich »vorbei gewesen«:131 »Also seit man den Pin selber anhat, ist der, [lacht] faszinieren mich Bergführer nicht mehr so oder auf eine andere Art. (I.: Mhm.) Es sind einfach, es ist auf einer, irgend auf einer gleichen Ebene.«132

Seit sie selbst Bergführerin ist, haben für sie Bergführer ihre Faszination und der Pin seine Symbolkraft verloren. Mit Erhalt des Bergführerdiploms wurden ihre neuen Berufskollegen von überhöhten Helden zu ›normalen‹ Menschen, denen sie auf der »gleichen Ebene« begegnet. Das vermeintlich Unerreichbare erfuhr dadurch, dass sie es erreichte, eine Entzauberung. Padrutt wirft dabei einen selbstkritischen Blick auf sich selbst als damals junge, in naiver Art Bergführer bewundernde Bergsteigerin und demontiert gleichzeitig den Bergführermythos, dem sie selbst auf den Leim gegangen war, bis zu einem gewissen Grad. Natürlich sei es manchmal schön, stellt Astrid Padrutt – mit einer Prise Selbstironie – fest, »vor den Leuten [zu] stehen mit der Sonnenbrille und sie finden einen alle gut«. Jedoch sei dies nur die eine Seite des Berufs und es gebe noch eine »ganz, ganz, ganz andere« Seite, die weit weniger dem heldenhaften Bild entspreche.133 Diese »andere« Seite besteht in den »sozialen« Aspekten, die sie »technischen« gegenüber stellt.134 Die Schilderung dieser anderen Seite mündet in eine weitere Entmystifizierung, nämlich in eine Demontage des an den Beruf gekoppelten Maskulinitätsmythos. Gäste werden auf Bergtouren – so Astrid Padrutts Erfahrung – zu hilfsund betreuungsbedürftigen Wesen, denen jegliche Autonomie abhandenkommt. Sie befinden sich in einem emotionalen Ausnahmezustand, sie regredieren und sehnen sich danach, von der Bergführerin im wörtlichen und im übertragenen Sinne an der Hand genommen zu werden. Von der Führerin, vom Führer erfordere dies ausgeprägte ›soziale‹ Fähigkeiten, weshalb der Bergführerberuf eigentlich ein »sozialer Beruf« sei:

131 Interview Astrid Padrutt (2007: 1 f.). 132 Interview Astrid Padrutt (2007: 2). 133 Interview Astrid Padrutt (2007: 2). 134 Interview Astrid Padrutt (2007: 23 ff.); vgl. Kapitel 6.4.5.

 

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»Eigentlich ist es ein sozialer Beruf, (I.: Mhm.) (also) das gehört für mich zu den Berufen wie Kindergärtnerin, Sozialarbeiter, Lehrer, Betreuer, (I.: Mhm.) äh, Pfleger, (I.: Mhm.) Doktor, (also) (I.: [schmunzelt]) das ist eigentlich die Hauptarbeit, die du machst.«135

Analog zur Dichotomie technische versus soziale Aspekte des Bergführerberufs teilt Astrid Padrutt Berufe an sich in technische und soziale auf, wobei sie den Bergführerberuf letzteren zuordnet: »Also, eigentlich müsste es ein Frauenberuf sein, eigentlich müsste es eben gar kein Männerberuf sein, das ist eben noch das Spannende, ähm, (I.: Also-) (weil es so) ein sozialer Beruf ist, eigentlich. (I.: Mhm.) Es sieht eben nur so technisch aus von aussen, (I.: Mhm.) (das stimmt gar nicht.) [beide lachen] Es sieht so männlich (aus,) (I.: Mhm.) aber das ist es überhaupt nicht.«136

Bei dieser Kategorisierung greift Padrutt auf Geschlechterstereotype zurück und assoziiert das Technische mit Männern und Männlichkeit und das Soziale mit Frauen und Weiblichkeit. Bezüglich der Zuordnung des Berufs zum männlichen Geschlecht herrsche in der öffentlichen Meinung ein Irrtum: der Beruf erwecke einen Anschein, den er – aus der Nähe betrachtet – nicht erfülle. Astrid Padrutts Deutung unterscheidet sich von der bereits mehrfach aufgetauchten Ansicht, wonach Frauen dank ihren spezifisch weiblichen Fähigkeiten wie ihrem Einfühlungsvermögen und ihrer Geduld für den Beruf beziehungsweise bestimmte Tätigkeiten darin besonders geeignet sind. Erstens nimmt sie für den gesamten Beruf einen radikalen Geschlechtswechsel vor, indem sie ihn als »Frauenberuf« bezeichnet. Zweitens löst sie die Geschlechterstereotype von realen Männern und Frauen. Es gebe nämlich – so ihre Erfahrung – viele Männer, welche die als weiblich geltenden Eigenschaften besässen und »enorm gut sind im Betreuen von Leuten, im, im, im Hören, im Dasein, im Auffangen, im, im, im Halten«. Diese Männer hätten das Glück, eine Nische gefunden zu haben, in der sie einen Beruf ausüben könnten, in dem ihre sozialen Fähigkeiten gefragt seien, der aber gleichzeitig »männlich« aussehe.137 Die Loslösung der Stereotype von realen Personen nimmt Astrid Padrutt auch bezüglich sich selbst vor, wenn sie sagt, dass ihr die als weiblich geltenden Aspekte, das ›Soziale‹, gerade nicht lägen und ihr die ›technischen‹, als männlich geltenden Tätigkeiten viel mehr behagten. Die »klassische Weise, diesen Beruf auszuüben«, widerstrebe ihr, weil

135 Interview Astrid Padrutt (2007: 25). 136 Interview Astrid Padrutt (2007: 25). 137 Interview Astrid Padrutt (2007: 26).

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ihr die feminin codierten, sozialen Fähigkeiten, welche der Beruf erfordere, zuwider seien. Sie sei nicht der Typ dazu, obwohl sie eine Frau sei.138 Im harten und technischen »Image«139 dieses Berufs sieht Astrid Padrutt die Ursache dafür, dass darin kaum Frauen anzutreffen sind. Mit den realen Anforderungen habe dies jedoch wenig zu tun, ist sie überzeugt. Als Frau könne man dies gut »prästieren [bewältigen]«, sie habe da »gar keine Bedenken«.140 Den Einwand der Interviewerin, sie höre häufig das Argument, den Frauen mangle es an Kraft, um beispielsweise einen Gast aus einer Gletscherspalte zu ziehen, kommentiert Astrid Padrutt mit einer Bemerkung, die Belustigung und Entnervtheit gleichzeitig enthält: »Jä, dummes Zeug!«141 Sie zählt daraufhin mehrere Argumente auf, die immer wieder angeführt werden, um zu belegen, dass der Beruf physisch zu hart sei für Frauen, und entkräftet eines nach dem anderen: Kollegen, die »zehn Zentimeter grösser und dicker und schwerer« seien, »die lupfen [heben] mehr und die vermögen auch bisschen schwerer zu klettern oder sich irgendwo raufziehen«, wo ihr dies nicht mehr gelinge.142 Beim »normalen Führen« sei dies jedoch irrelevant: »Beim normalen Führen jemanden aus einem Spalt ziehen, (I.: Mhm.) also, ja da mache ich einen doppelten Flaschenzug, von Anfang an. Der andere macht zuerst einen einfachen und dann geht es nicht und dann macht er auch einen (doppelten.) (I.: Mhm. [schmunzelt]) Also, (I.: Mhm.) irgendwo, (I.: Mhm.) äh, nä-ä! [beide lachen]«143

Die Frau, so die implizite Aussage, zeichnet sich also nicht primär dadurch aus, dass sie weniger Kraft hat, sondern dass sie ihre Kraft – im Gegensatz zum Mann – realistisch einzuschätzen vermag. Weiter führt Padrutt das Argument an, es gebe männliche Bergführer, die im Vergleich zu anderen Männern und manchen Frauen klein und leicht seien, und lässt einen solchen Berufskollegen sprechen: »›Was soll ich denn sagen mit meinen nicht mal sechzig Kilos? Wieso soll ich denn jemanden halten?‹«144 Sie zieht damit die Überzeugung in Zweifel, dass ein Mann aufgrund seines biologischen Geschlechts per se kräftiger ist als eine Frau. Auch konditionell sei man als Frau nicht benachteiligt, fährt sie fort. Indem

138 Interview Astrid Padrutt (2007: 28). 139 Interview Astrid Padrutt (2007: 36). 140 Interview Astrid Padrutt (2007: 39). 141 Interview Astrid Padrutt (2007: 37). 142 Interview Astrid Padrutt (2007: 37). 143 Interview Astrid Padrutt (2007: 37). 144 Interview Astrid Padrutt (2007: 39).

 

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man viel unterwegs sei, gewöhne man sich schnell daran und habe bald die nötige Kondition. Sie jedenfalls habe im Führerkurs sehr gut mithalten können und habe bei Weitem nicht die schlechteste Kondition gehabt.145 Auch das Argument, wonach eine Frau beim Gehen am kurzen Seil146 einen schweren Gast im Falle eines Sturzes mangels Kraft nicht halten könne, entkräftet sie selbstsicher: Mit ihrem Wissen aus dem Studium könne sie die Kräfte, die dabei wirken, berechnen. Sie rechnet vor und schliesst mit dem Fazit, dass es vielmehr von der Gespanntheit des Seils, der Aufmerksamkeit und der Reaktionsgeschwindigkeit der Führerin abhänge, ob sie die fallende Person halten kann, als von der körperlichen Kraft.147 Astrid Padrutt widerlegt damit ein Argument, das häufig verwendet wird, um zu erklären, weshalb Männer besser für den Beruf geeignet seien als Frauen, indem sie sich auf Instrumente stützt, die meist mit Männlichkeit assoziiert werden: den Verstand, das rationale Argument sowie Mathematik und Physik. Sie entmystifiziert einen Aspekt des Männlichkeitsmythos dieses Berufs selbstsicher mit als maskulin geltenden Mitteln. Distanznahme und Entmystifizierung kennzeichnen auch Astrid Padrutts Berufsverständnis. Sie empfindet die Nähe, die durch den Gast in seiner Bedürftigkeit auf einer Bergtour hergestellt wird, als zu eng und übergriffig und versteht sich als Dienstleistungsanbieterin, die zu ihren Kunden eine Geschäftsbeziehung unterhält.148 Mit dieser Betonung des spezifischen Aspekts der FührerinnenGast-Beziehung nimmt sie nicht nur zum Gast Distanz ein, sondern auch zum im Feld kursierenden Idealtypus des Bergführers, der seine Gäste umsorgt. Entsprechend ihrer ursprünglichen Motivation für den Beruf und vielleicht auch als Folge der nur bedingten Realisierbarkeit ihres Berufsverständnisses nimmt sie heute auch ganz konkret eine gewisse Distanz zum Beruf ein, indem sie hauptberuflich einer anderen Tätigkeit nachgeht. Schliesslich zeichnet sich auch Astrid Padrutts Bewährungsstrategie gegenüber ihren Berufskollegen durch die Einnahme von Distanz aus: Heute, als ausgelernte und seit mehreren Jahren berufstätige Bergführerin, habe sie manchmal das Gefühl, dass sie von den anderen Bergführern akzeptiert werde. Manchmal zweifle sie aber auch daran. Im Gegensatz zu früher sei ihr dies heute jedoch

145 Interview Astrid Padrutt (2007: 38). 146 Beim »Gehen am kurzen Seil« bewegen sich der Bergführer und der Gast gleichzeitig in gefährlichem Gelände, ohne dass feste Sicherungspunkte angebracht werden. Der Führer, die Führerin verhindert ein allfälliges Abstürzen des Gastes, indem das Seil stets gespannt gehalten und im Falle eines Ausrutschens sofort angezogen wird. 147 Interview Astrid Padrutt (2007: 37 f.). 148 Vgl. Kapitel 6.4.5.

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»ziemlich egal«, denn als Bergführerin sei man allein unterwegs und habe mit den anderen Führern im Berufsalltag kaum etwas zu tun. Weder treffe man sie ständig, noch müsse man mit ihnen zusammenarbeiten oder einander beurteilen. Sie sei mit ihren Gästen zusammen und müsse es primär mit diesen »gut haben«149. »Also, du musst gar nicht zusammenarbeiten. (I.: Ja.) (Es ist) nicht wie in einem anderen (Beruf,) (I.: Jaja.) wo du dich ständig triffst, (I.: Ja.) (oder,) du triffst dich schon auf den Hütten, (aber dann,) (I.: Ja. (.) Ja.) dann musst du ja einander nicht beurteilen, oder, (du,) (I.: Ja.) du arbeitest in dem Sinn nicht zusammen, (I.: Ja.) sondern jeder ist allein unterwegs und deshalb geht es, habe ich das Gefühl.«150

Natürlich habe sie Kollegen oder Freunde, die auch Führer seien und mit denen sie sich auch ausserhalb des Berufs treffe. Schön finde sie auch, dass die international geltenden, ungeschriebenen Regeln gut funktionierten, wonach sich Führer, die den »Pin« tragen, unterwegs oder in den Hütten begrüssen, nach dem Nachtessen zusammensitzen, sich Auskunft geben, einander helfen und sich gegenseitig anerkennen. Das funktioniere gut und das sei auch das Schöne an diesem »internationalen Machwerk«. Aus welchem Land auch immer jemand komme: »Ein Führer ist einfach ein Führer.« Dennoch habe man letztlich »wenig miteinander zu tun, es macht einfach so ein bisschen jeder seine Sache, sein Ding«. Bergführer seien »jetzt nicht unbedingt so ein vereintes Völkli«. Letztlich, fügt sie an, seien Bergführer »schon ein bisschen ›Grinde‹«, also dickköpfige Einzelgänger, was im Berufsalltag auch überlebensnotwendig sei. Denn wenn man unterwegs sei, müsse man Entscheidungen allein fällen und es helfe einem niemand.151 Astrid Padrutt erwähnt mit den Bekanntschaften und Freundschaften zu anderen Bergführern, den ungeschriebenen Regeln, die unter Führern existieren, und den Hütten als Begegnungsort Aspekte, die auch in vielen anderen Interviews auftauchen. Während besonders die männlichen Interviewten die Beziehungen als quasi-familiäre beschreiben, die Kameradschaften und Freundschaften als besondere Verbindungen überhöhen und die Hütte als harmonischen Ort der Begegnung – als Heim der ›Bergführerfamilie‹ – charakterisieren, spricht Padrutt weit nüchterner darüber. Diese Haltung korrespondiert mit ihrem Selbstverständnis als Dienstleistungserbringerin. Der gegenseitige Respekt

149 Interview Astrid Padrutt (2007: 15). 150 Interview Astrid Padrutt (2007: 16). 151 Interview Astrid Padrutt (2007: 18 ff.).

 

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unter Trägern des »Pins« und das Einhalten der Regeln erscheinen in ihrer Schilderung als Teil der professionellen Rolle. Die Hütte beschreibt sie nicht als den zentralen Ort ihres Berufsalltags. Sie ist nicht die Lokalität, nach der sich die Führerin sehnt und in der sie sich zu Hause fühlt, sondern ein Ort, an dem man sich einfach begegnet. In ihrer distanzierenden Haltung entmystifiziert sie also sowohl die Idee der ›Bergführerfamilie‹ wie auch jene der Hütte als idyllisches Heim dieser Familie. Die Tatsache, dass man als Bergführerin grösstenteils allein unterwegs und deshalb nicht auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen ist, also Distanz zu den Kollegen hat, macht es – gemäss ihrer Deutung – für Frauen überhaupt erst möglich, den Beruf auszuüben: »Ich habe das Gefühl, das geht mit den Frauen im Führerberuf nur, weil […] weil jeder allein unterwegs ist.«152 Von einer solch distanzierenden Haltung unterscheidet sich deutlich die vierte, im Folgenden vorgestellte Bewährungsstrategie. 7.5.4 Kampf um Anerkennung Esthel Montandon machte ihre ersten Bergerfahrungen als Kind auf Skitouren mit ihren Eltern. Zwar sei sie gerne mit der Gruppe zusammen gewesen, die Anstrengung aber, welche die Touren erforderten, war ihr zuwider, sodass sie in der Adoleszenz damit aufhörte und andere Sportarten zu betreiben begann. Mit zwanzig fing sie wieder mit Skitouren an, die ihr nun besser zusagten. Sie stellte fest, wie schnell sich die Kondition verbesserte, fand nun Gefallen am Ausdauersport und auch an der kontemplativen Seite des Bergsteigens. Die entscheidende Wende wurde dann allerdings erst fünf Jahre später durch einen angehenden Bergführer ausgelöst, mit dem sie eine Beziehung hatte:153 »Et puis euh, à vingt-cinq ans, j’ai rencontré mon ami qui est guide. (I.: Mhm) Et puis là alors j’ai, on a fait beaucoup beaucoup de choses ensemble. (I.: Mhm) Euh, avant j’avais fait un tout petit peu d’escalade, mais vraiment pas beaucoup. (I.: Mhm) Et là on a fait, ouais, la folie, beaucoup. [rire] (I.: Mhm mhm) Et euh, ouais c’était rigolo parce que quand j’étais petite, même adolescente, je m’intéressais pas à guider. (I.: Ouais) J’étais derrière, et puis je fermais les yeux et puis je suivais. (I.: Mhm) Et puis après quand j’étais avec mon ami, j’ai commencé à trouver ça génial, (I.: Mhm) d’être devant.«154

152 Interview Astrid Padrutt (2007: 16). 153 Vgl Kapitel 7.3.3. 154 Interview Esthel Montandon (2008: 1). »Und dann mit fünfundzwanzig habe ich meinen Freund getroffen, der Führer ist. Und dann habe ich, wir haben viele viele Sachen gemeinsam gemacht. Vorher bin ich lediglich ein kleines bisschen geklettert,

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Dank ihrem Freund wurde der Bergsport bald zu einem zentralen Element in ihrem Leben. Ihr eigener Ehrgeiz sowie die Tatsache, dass ihr Freund ihr gegenüber keinen Führungsanspruch geltend machte, sondern sie als gleichberechtigte Berg-Partnerin behandelte, dürften dazu geführt haben, dass sie bald Gefallen daran fand, selbst die Führung zu übernehmen, statt weiterhin ›blindlings‹ hinter dem Seilersten her zu klettern Eine Freundin, die sich damals auf die Ausbildung vorbereitete, schlug ihr vor, dies gemeinsam zu tun, und sprach damit erstmals den Gedanken aus, dass sie Bergführerin werden könnte. Zunächst habe sie über die Idee gelacht, denn sie sei damals noch Anfängerin gewesen und habe das Gefühl gehabt, sie würde das nie schaffen. Dennoch scheint ihr der Gedanke fortan keine Ruhe mehr gelassen zu haben. Sie habe sich in Erinnerung gerufen, dass sie gerne anderen Leuten etwas beibringe, zeige und erkläre und dies auch gut könne. Diese Feststellung scheint ihre Zweifel daran, ob sie es schaffen würde, entschärft und ihr Mut gemacht zu haben. Sie würde etwas tun, das sie – zumindest teilweise – bereits beherrschte, das ihr gefiel und das sie konnte. Die Aussicht, ständig in den Bergen sein zu können, habe schliesslich den Ausschlag gegeben, dass sie sich für die Ausbildung anmeldete. Ihr Freund habe die Idee begrüsst, habe ihr aber auch klargemacht: »C’est pas moi qui vais te faire réussir, c’est toi qui dois travailler.«155 Schliesslich habe auch ein ihr nahe stehender Mann sie darin bestärkt: »Mais toi, tu dois vraiment faire.«156 Die drei, ihre Freundin, der Bekannte und ihr Partner, hätten letztlich, wie sie feststellt, mehr an sie geglaubt als sie selbst. Als die Entscheidung gefallen war, setzte sie ganz auf diese Karte. Es galt, den »Rückstand«, den sie hatte, aufzuholen, wofür viele »Opfer« nötig gewesen seien. Sie reduzierte ihr Arbeitspensum und nahm ein intensives Training auf. »Alors c’est des années et des années et des kilomètres, et je me rappelle que tous les jours j’allais m’entraîner.«157 Sie begann bei »Null« und arbeitete mit Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und Unermüdlichkeit an sich. Auch sonst sei sie ein

aber wirklich nicht häufig. Und nun machten wir, ja, verrückt viel (lacht). Und, ja,e s war lustig, weil, als ich klein war und auch noch als Jugendliche interessierte ich mich nicht fürs Führen. Ich war hinten, schloss meine Augen und folgte. Und nachher, als ich mit meinem Freund war, begann ich es genial zu finden, vorne zu sein.« 155 Interview Esthel Montandon (2008: 2). »Ich werde dich nicht zum Erfolg führen, du musst selbst arbeiten.« 156 Interview Esthel Montandon (2008: 2). »Du solltest es wirklich machen.« 157 Interview Esthel Montandon (2008: 12). »Also das waren Jahre und Jahre und Kilometer. Und ich erinnere mich, dass ich jeden Tag trainieren ging.«

 

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äusserst motivierter Mensch mit einer unglaublichen Energie, der stets ein Projekt verfolge – »un peu de fou quoi«158. Das Wissen darum, dass es sich beim Bergführerberuf um einen ›Männerberuf‹ handle, habe sie nicht von ihrer Idee abgehalten, es habe für sie gar einen gewissen Reiz ausgemacht. Bereits als Mädchen sei sie gerne und viel mit Jungen zusammen gewesen. Ihre Motivation und ihr Ehrgeiz wurden in der Bergführerausbildung allerdings auf eine harte Probe gestellt. Die technisch und physisch hohen Anforderungen führten im einen oder anderen Kurs dazu, dass sie die Prüfungen nicht bestand, was zur Folge hatte, dass sie den Kurs wiederholen musste. Während sie von den verlangten technischen und physischen Anforderungen wusste, überraschte sie der psychische »Stress«, der auf sie zukam und der dazu führte, dass sie in den Kursen sehr gelitten habe. Als gemeinsamer Kern der unzähligen Beispiele, die sie zur Illustration ihres Unbehagens anführt, kristallisiert sich ein von ihr bei manchen Ausbildenden festgestellter Mangel an Objektivität, das Vorhandensein von Vorurteilen heraus, die daraus folgende teilweise Missachtung des meritokratischen Prinzips sowie die unzulängliche »pädagogische Kompetenz« mancher Ausbildender. Dies habe sich manchmal in einer Bevorzugung mancher Personen und in einer Benachteiligung anderer geäussert: »Ça, je suis sûre qu’ils ont des gens qu’ils aiment bien, et ils ont des gens qu’ils aiment pas trop, et voilà.«159 Sie selbst fühlte sich selten der ersten, meist der zweiten Gruppe zugehörig, wobei sie dies auf ihr Geschlecht zurückführt: »Ben, moi, en tant que femme, j’ai beaucoup souffert dans les cours.«160 Wiederholt habe sie das Gefühl gehabt, im Kurs nicht willkommen zu sein. Während sie gewisse ungenügende Beurteilungen nachvollziehen konnte, da sie selbst festgestellt habe, dass sie noch nicht ausreichend vorbereitet war, hatte sie in anderen Fällen das Gefühl, unfair beurteilt worden zu sein: »Ouais, je pense que parce que je suis une fille, ils ont dit: ›Ouais, bon, celle-ci, crcc!‹.«161 Von solchen Akten der Willkür waren gemäss ihrer Darstellung besonders Frauen betroffen, was mit ihrer geschlechtsbedingten hohen Visibilität zusammenhängt, die Montandon wie auch andere Bergführerinnen diagnostizieren. Wichtig ist Esthel Montandon, wenn sie solche Erlebnisse erzählt, zu betonen, dass es

158 Interview Esthel Montandon (2008: 12). »Also ein bisschen verrückt.« 159 Interview Esthel Montandon (2008: 19). »Ich bin sicher, dass sie Leute haben, die sie gut mögen, und dass sie Leute haben, die sie nicht allzu gut mögen. So ist es.« 160 Interview Esthel Montandon (2008: 13). »Als Frau habe ich viel gelitten in den Kursen.« 161 Interview Esthel Montandon (2008: 18). »Ja, ich denke, weil ich ein Mädchen bin, haben sie gesagt: ›Ja gut, diese hier, crcc!‹«

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stets lediglich einige Ausbildende waren, die sich so verhielten, während andere fair, korrekt oder gar »merveilleux«162, also wunderbar gewesen seien. Auch die meisten sonstigen Bergführer erlebte sie während dieser Zeit als unterstützend: »La plupart des guides, moi, ils m’ont soutenue. Et puis ils ont trouvé génial que je fasse guide.«163 Charakteristisch für Esthel Montandon ist zum einen, dass sie trotz Rückschlägen, unter denen sie litt, und entgegen den Ratschlägen von Kollegen, die meinten: »Mais laisse tomber, ils peuvent pas supporter qu’une femme, elle fasse le même métier«164, nicht aufgab. Dafür sei sie zu »stolz» gewesen, habe zu sehr daran geglaubt, dass sie fähig sei, die Ausbildung zu bestehen, und habe auch zu sehr Lust gehabt, Bergführerin zu sein. Zum anderen zeichnet Esthel Montandon aus, dass sie sich in der Ausbildung über die entsprechenden Beobachtungen und Erlebnisse ebenso enerviert zu haben scheint, wie sie sich im Interview beim Erzählen von Episoden ins Feuer redet. Sie hielt mit ihrer Kritik nicht zurück, was ihr – aus heutiger Sicht betrachtet – zum Verhängnis wurde. »Quand je suis allée au cours, je me suis dit: ›Je fais quoi? Je fais la fille très discrète, qui se tait (I.: Mhm), ou bien je reste moi-même?‹ (I.: Mhm) Et puis ça me paraissait évident qu’il fallait rester moi-même, (I.: Mhm) pour leur montrer que j’étais à l’aise, (I.: Mhm) dans le milieu d’hommes. (I.: Ouais) Mais en fait, je crois que j’ai tout fait faux. J’aurais dû faire la première idée. (I.: Ouais?) Je pense que ça m’aurait aidé, ouais.«165

Retrospektiv vermutet sie, sie wäre besser gefahren, hätte sie das »diskrete Mädchen« gemimt und sich mit ihren Unmutsbekundungen zurückgehalten. Stattdessen versuchte sie, sich zu wehren, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlte, bat um Begründungen für Qualifikationen, die sie nicht nachvollziehen konnte, und

162 Interview Esthel Montandon (2008: 14). 163 Interview Esthel Montandon (2008: 19). »Die meisten Führer haben mich unterstützt. Und sie fanden es genial, dass ich Führerin werde.« 164 Interview Esthel Montandon (2008: 20). »Lass es doch bleiben. Sie können es nicht ausstehen, dass eine Frau denselben Beruf ausübt.« 165 Interview Esthel Montandon (2008: 36 f.). »Als ich in den Kurs ging, sagte ich mir: ›Was mache ich? Mime ich das diskrete Mädchen, das den Mund hält, oder bleibe ich mich selbst?‹ Und dann erschien es mir offensichtlich, dass ich mich selbst bleiben musste, um ihnen zu zeigen, dass ich mich im Männermilieu sicher bewegen konnte. Aber eigentlich glaube ich, dass ich alles falsch gemacht habe. Ich hätte die erste Idee verwirklichen sollen. Ich denke, dass mir das auch geholfen hätte, ja.«

 

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widersprach auch einem Klassenlehrer, wenn sie in einer Frage nicht gleicher Meinung war wie er. Im Gegensatz zu einer Berufskollegin, die es normal finde, »qu’un homme soit plus fort, qu’il ait plus d’importance«, und sogar »merci mille fois« sage, auch wenn sie ungerecht behandelt worden sei, könne sie Derartiges nicht auf sich sitzen lassen.166 Sie sei schockiert, wie viele Frauen es als normal betrachteten, gegenüber Männern als minderwertig zu gelten. Dies alles scheint ihr erst während der Bergführerausbildung so richtig bewusst geworden zu sein, was in ihr einen Bewusstseinswandel auslöste: »Bon, moi, quand j’ai fait le cours de guide, avant de faire le cours de guide, je détestais les féministes, ça m’énervait, (I.: Mhm mhm) je trouvais que c’était (I.: Mhm) débile, exagéré. Et puis, en faisant le cours, j’ai appris plein de trucs, hein, j’ai ouvert les yeux mais, ah mon Dieu!«167

Die Erlebnisse in der Ausbildung hätten ihr die Augen geöffnet und sie für feministische Anliegen sensibilisiert. Heute würden ihr sexistische oder machohafte Äusserungen auch im Alltag sofort auffallen und sie entsprechend ärgern. Von ihren männlichen Kollegen und Freunden blieben solche typischerweise unbemerkt: »Et personne ne remarque, personne ne remarque. Ça me rend cinglée.«168 So sehr Esthel Montandon von Widerständen erzählt, auf die sie in der Ausbildung gestossen sei, so sehr betont sie beinahe schwärmerisch, wie akzeptiert und respektiert sie sich heute von ihren Berufskollegen fühle. Bergführer hätten im Allgemeinen einen guten Charakter und unter ihnen existiere eine starke Vertrautheit, weshalb sie die Führer schätze: »J’adore les guides«.169 Wie den Frauen ergehe es der Tendenz nach auch den Männern: In der Ausbildung werde man auf die Probe gestellt, sobald man diese aber hinter sich habe, werde man in die Gemeinschaft aufgenommen und werde zum »Freund«. Mit wenigen Ausnahmen bezeichne sie heute alle Führer als ihre Kollegen und mit vielen sei sie

166 Interview Esthel Montandon (2008: 40). »Dass ein Mann stärker sei, dass er wichtiger sei.« »Tausend Dank.« 167 Interview Esthel Montandon (2008: 39 f.). »Gut, als ich den Führerkurs machte, bevor ich den Führerkurs machte, konnte ich die Feministinnen nicht ausstehen, das hat mich genervt, ich fand es doof, übertrieben. Und als ich dann den Kurs machte, habe ich viele Dinge gelernt, ich habe meine Augen geöffnet, oh mein Gott!« 168 Interview Esthel Montandon (2008: 40). »Und niemand merkt es, niemand merkt es. Das macht mich verrückt.« 169 Interview Esthel Montandon (2008: 54). »Ich liebe die Führer!«

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auch privat befreundet. Auf Widerstände von Berufskollegen wegen ihres Geschlechts stosse sie heute kaum mehr. Viele Bergführer seien sogar froh, gebe es auch Frauen im Beruf: »En général, on est super bien accueilli. (I.: Mhm) Ils sont gentils. (I.: Mhm) Ils adorent en plus qu’il y ait des femmes, (I.: Mhm) tu vois. (I.: Mhm) Parce que je pense que ça leur manque aussi dans ce milieu. (I.: Mhm) Et puis ils sont, ils ont de la tendresse, un peu, tu vois? (I.: Mhm) Ils font toujours des gestes, et comme ça, ouais c’est vraiment euh-. (I.: Mhm) Et t’es le petit euh, chouchou.«170

Viele Kollegen seien liebenswürdig und besonders aufmerksam zu ihr, sie betrachteten sie als »chouchou«, als Liebling. Dass sie dabei als Frau wahrgenommen, als solche verniedlicht und nicht als geschlechtsneutrale Berufskollegin behandelt wird, scheint sie nicht zu stören. Trotz dieser idealisierend anmutenden Darstellung ist die Frage, ob sie als Frau in diesem Feld ernst genommen wird, für sie auch heute als berufstätige Bergführerin noch relevant. Nur sind es heute nicht mehr Ausbildende oder andere Bergführer, von denen sie sich in Frage gestellt fühlt, sondern andere Bergsteiger. Offenbar passiert es immer wieder, dass Alpinisten, denen sie unterwegs begegnet, nicht sehen oder nicht sehen wollen, dass sie Bergführerin ist. So komme es vor, dass man sie oder ihre Gäste in ihrer Anwesenheit – mit teils falschen Informationen – zu belehren versuche. »Comme femme«, stellt sie fest, »tu dois toujours, comme femme, t’as l’air de rien. (?) t’as pas la même considération qu’un homme«.171 Eigentlich sollte man ja darüber lachen, dennoch nerve sie sich jeweils sehr. Wie während der Ausbildung ärgert sie sich nicht nur insgeheim und schluckt die Kränkung herunter. Sie versucht vielmehr, sich dagegen zu wehren, um so zu der Anerkennung und dem Respekt zu kommen, die sie erwartet. Weil immer wieder übersehen wird, dass sie Bergführerin ist, gibt sie sich hin und wieder besonders Mühe, deutlich als solche erkennbar zu sein, indem sie das Bergführerabzeichen oder andere Erkennungszeichen bewusst und gut sichtbar trägt.

170 Interview Esthel Montandon (2008: 23). »Im Allgemeinen wird man sehr gut aufgenommen. Sie sind nett. Sie mögen es auch, dass es Frauen hat. Weil, ich glaube, das fehlt ihnen auch in diesem Milieu. Und dann sind sie auch lieb und nachsichtig. Sie machen immer Gesten und so und du bist der kleine Liebling.« 171 Interview Esthel Montandon (2008: 24). »Als Frau musst du immer, als Frau siehst du nach nichts aus. (?) du bekommst nicht die gleiche Beachtung wie ein Mann.«

 

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Bis heute ist dieser – meist ganz leise ausgetragene – Kampf um Anerkennung für sie bisweilen nervenaufreibend, und wie damals während der Ausbildung bereut sie es auch heute hin und wieder, wenn sie in bestimmten Kontexten allzu deutlich ihre Meinung sagt und deshalb fürchten muss, im Feld in Verruf zu geraten. Sich selbst treu zu bleiben, was ihr wichtig ist, erfordert dies jedoch. 7.5.5 Symbolische Positionierung über den »Pin« Die vier Bewährungsstrategien lassen sich wie folgt zusammenfassen: Bergführerinnen, die die Strategie der »Flucht nach vorn« verfolgen, sind bestrebt, sich im Feld gemäss den darin geltenden Regeln des Spiels zu bewähren. Was ihre physischen, bergsteigerischen und bergführerischen Fähigkeiten anbelangt, waren sie von Beginn weg selbstsicher oder sie erlangten die Selbstsicherheit während der Ausbildung. Heute fühlen sie sich ihren männlichen Berufskollegen ebenbürtig. Sie sind darum bemüht, an den ernsten Spielen des Wettbewerbs zu partizipieren, und bieten sich dabei als Partnerin-Gegnerin an. Bei Luzia Wenger geht die Strategie der Offensivität mit einer partiellen Annahme eines männlichen Habitus einher, was sich an der als maskulin geltenden eher derben Sprache zeigt. Gleichzeitig sind bei ihr auch Aspekte festzustellen, die einem weiblichen Habitus zugeordnet werden können. Die Bergführerin orientiert sich also – wie andere Fälle dieses Bewährungstyps – sowohl an Männlichkeits- wie auch an Weiblichkeitsnormen.172 Bergführerinnen, bei denen die Strategie der »Gratwanderung« festzustellen ist, sind darum bemüht, weder durch zu schlechte noch durch zu gute Leistungen aufzufallen. Gut sein, aber nicht zu gut, lautet die Devise. Besonders deutlich wird dies im Fall von Caroline Bratschi, die alles daran setzt, als Frau Bestleistungen zu erbringen, ohne dabei den Männern Konkurrenz zu machen. Diese Strategie impliziert die aktive Bezugnahme auf geschlechterstereotype Vorstellungen von Weiblichkeit. Diese Frauen bewähren sich, indem sie ›Frauen‹ bleiben, was etwa bedeuten kann, dass sie bewusst auf die Aneignung von Elementen eines männlichen Habitus verzichten. Anders als die ersten beiden Strategien, die empirisch am weitesten verbreitet sind, sich in die Logik des Feldes einordnen und dabei die »illusio« bis zu einem gewissen Grad reproduzieren, nimmt die Strategie der »entmystifizierenden Distanznahme« eine reflexive Position ein und dekonstruiert sie damit zumindest teilweise, wie das Beispiel Astrid Padrutts zeigt. Sie himmelte als

172 Gleiches stellt Apelt (2006: 274) für eine im Rahmen einer Studie zu Frauen in der Bundeswehr interviewten Soldatin fest.

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Jugendliche ein Ideal des Bergführers an, an dem sie sich so lange orientierte, bis sie sich und anderen mit Erhalt des Brevets bewiesen hatte, dass sie selbst fähig war, Bergführerin zu sein. Nachdem sie das Feld von innen kennengelernt und sich darin etabliert hatte, war dieses für sie entzaubert. Sie nimmt heute nicht nur gegenüber dem Feld, den darin verbreiteten Mythen – gerade auch jenen, die die maskuline Codierung betreffen – und der Rollenerwartung an eine Bergführerin eine distanzierende Haltung ein, sondern hält bis zu einem gewissen Grad auch ganz konkret etwas Abstand, indem sie hauptberuflich in einem anderen Feld arbeitet. Die vierte Strategie »Kampf um Anerkennung« zeichnet sich dadurch aus, dass die entsprechende Bergführerin es nicht nur wahrnimmt und sich entsprechend darüber enerviert, wenn sie sich in bestimmten Situationen als Frau benachteiligt oder nicht ernst genommen fühlt, sondern auch darum kämpft, anerkannt und ernst genommen zu werden. Esthel Montandon, die diese Strategie repräsentiert, eckt mit dieser manchmal kämpferischen Haltung immer wieder an. Sie ringt deshalb bisweilen mit sich, ob sie für ihr Anliegen einstehen oder nicht doch gescheiter zurückhaltender und defensiver sein soll. Esthel Montandon ist die einzige Interviewte, die sich explizit auf Ideen der Gleichstellung beruft und gar den Feminismus ins Feld führt. Dass dies gerade bei ihr, der beruflich jüngsten Interviewten, festzustellen ist, dürfte kein Zufall sein. Den Finger auf diese Punkte zu halten, scheint erst möglich zu sein, da andere Frauen vor ihr das Feld betreten und sich erfolgreich darin etabliert haben. Hätte es diese Vorreiterinnen nicht gegeben, würde sie mit ihrem Verhalten vermutlich auf noch stärkere Widerstände stossen. Die unterschiedlichen Bewährungsstrategien der Frauen zeigen sich unter anderem im Umgang mit dem Bergführerabzeichen, das in den Interviews auffallend häufig erwähnt wird.173 Der »Pin« gilt im Feld des Bergführerberufs als materielles Symbol für das institutionalisierte Kulturkapital des Bergführerbrevets. An die Jacke geheftet, kommuniziert er die Zugehörigkeit der Trägerin, des Trägers zu dieser Berufsgruppe. Der Person, die ihn trägt, werden bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen wie auch Charakterzüge zugeschrieben. Beobachtungen im Feld zeigen, dass die meisten Bergführer und Bergführerinnen ein solches Abzeichen tragen – entweder den Pin des SBV oder jenen des IVBV, manche sogar beide –, wenn sie als Führende unterwegs sind. Tun sie dies nicht, hat es meist einen bestimmten Grund. Luzia Wenger erzählt, ihr sei das Abzeichen nicht wichtig. Sie trage den Pin kaum, ebenso wenig wie ihre Freunde, die ebenfalls Bergführer sind. Gerade

173 Vgl. Kapitel 3.1.1.

 

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durch das Nicht-Tragen drückt sie ihre Dazugehörigkeit selbstsicher aus. Sie scheint im Feld – beziehungsweise in der Szene, in der sie sich bewegt – derart etabliert zu sein und sich so sicher und von den Berufskollegen wie auch von anderen Bergsteigerinnen und Bergsteigern akzeptiert zu fühlen, dass sie es nicht für nötig hält, ja es gar unangebracht fände, sich anzuschreiben: Man kennt sie und wer sie nicht kennt, dürfte sie aufgrund ihres selbstsicheren Auftretens am Berg als Bergführerin erkennen oder zumindest als Bergsteigerin ernst nehmen. Caroline Bratschis Umgang mit dem Bergführerabzeichen entspricht ihrer Strategie der Gratwanderung. Gewöhnlich trägt sie den Pin, in bestimmten Momenten entfernt sie ihn jedoch bewusst, um unerkannt zu bleiben und als Exotin in diesem Beruf nicht aufzufallen. Im Falle Astrid Padrutts symbolisierte der Pin ihr Bild des Berufs, das sie hatte, bevor sie selbst Bergführerin wurde. Damals bewunderte sie Träger dieses Abzeichens, heute ist das anders. Die Distanz, die sie zu Mythen des Berufs einnimmt, schliesst auch die symbolische Bedeutung des Pins mit ein: Wer einen solchen trägt, ist heute für sie kein Held mehr, sondern schlicht ein Kollege, also ein entmystifizierter Rollenträger. Esthel Montandon schliesslich ist in ihrem Kampf um Anerkennung darauf bedacht, dass andere Bergsteiger ihr Bergführerabzeichen wahrnehmen und sie dementsprechend als Bergführerin respektieren. Tun sie dies nicht, hilft sie auch mit einem noch auffälligeren Symbol, der Bergführerjacke, nach.

7.6 E XKLUSION UND I NKLUSION ÜBER K ONSTRUKTIONEN VON G ESCHLECHT In den bisherigen Ausführungen wurde verschiedentlich deutlich, wie Geschlecht nicht nur das Feld des Bergsteigens und des Bergführerberufs strukturiert, sondern wie Konstruktionen von Geschlecht auch in die Argumentationen einfliessen beziehungsweise die Argumentationen teilweise massgeblich auf solchen Konstruktionen beruhen. In der Folge wird zunächst dargelegt, welche Konstruktionen von Geschlecht in den Argumentationen der Männer vorkommen und welche Funktionen sie erfüllen, bevor jene der Frauen analysiert werden und schliesslich ein Fazit gezogen wird. Auffallend ist, dass sich die Annahme einer biologisch bedingten körperlichen Differenz zwischen Frauen und Männern, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in sämtlichen Interviews mit männlichen Bergführern findet. Diese Annahme geht davon aus, dass die Frau, wie ein Interviewter meint, »weniger

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Rohkraft« hat und »weniger muskulös gebaut ist«.174 Allerdings unterscheiden sich die Implikationen, die damit verbunden werden. Gemäss einer ersten Deutung wird dieser Unterschied als relevant erachtet. Entweder wird er – wie in Alphons Beers und Jean-Michel Thuillards Argumentationen – herangezogen, um zu begründen, weshalb Frauen für den Beruf des Bergführers nicht geeignet sind, er dient also der Legitimation von Exklusion. Oder aber die geringe Präsenz von Frauen wird unter Rekurs auf den Unterschied erklärt. Bisweilen wird dabei das biologisch-körperliche mit anderen Argumenten verbunden, beispielsweise mit als angeboren angenommenen Geschlechtercharakteren: Männer hätten nicht nur meist mehr Kraft, sondern auch mehr »Kampfgeist«, bräuchten »Action« und müssten »rueche«, meint ein junger Bergführer, Frauen hingegen hätten das weniger. Daran liege es wohl, dass sie den Beruf weniger häufig ergriffen.175 Eine zweite Deutung, die bei den männlichen Interviewten anzutreffen ist, geht ebenfalls von einer biologisch bedingten Differenz aus, erachtet diese jedoch für die Ausübung des Bergführerberufs als irrelevant: »Die medizinischen Fakten sind ja klar, dass vielleicht die Frau ein bisschen, bisschen schwächer ist«, stellt Lukas Jacobi fest. Für die meisten Touren brauche es jedoch »Köpfchen« und nicht Kraft. Dort, wo es Kraft brauche, gebe es technische Möglichkeiten, um ihr Fehlen zu kompensieren.176 Es gebe also keinen Grund, weshalb Frauen nicht auch sehr gute Bergführerinnen sein könnten. Gemäss einer dritten Deutung geht das physische Anderssein der Frauen mit anderen, zumindest vordergründig positiv bewerteten Unterschieden einher: Frauen sind demnach zwar weniger kräftig als Männer, dafür haben sie – wie Anton Richenberger meint – »andere Fähigkeiten«, die ihnen im Beruf zugutekommen und sich ideal mit den Eigenschaften und Fähigkeiten der Männer ergänzten, da sie »die Schwächen des Mannes« kompensieren.177 Florian Lerch ist überzeugt, Frauen seien etwa »im Guest-Handling und mit dem Einfühlsamen […] viel stärker als die Männer«178, und Lukas Jacobi meint, Frauen hätten »vielleicht andere Fähigkeiten«, die »im Menschlichen« liegen, sie seien vielleicht noch »einfühlsamer« mit den Gästen als Männer.179 Auch Wolfgang Wörnhard, der Geschäftsführer des SBV, gibt in einem Zeitungsinterview zu Papier: »Frau-

174 Interview Daniel Imsteg (2006: 37). 175 Interview Michael Gnos (2007: 21; 13). »Rueche« steht für »sich grob ausagieren«. 176 Interview Lukas Jacobi (2007: 56 f.). 177 Interview Anton Richenberger (2007: 57). 178 Interview Florian Lerch (2007: 28). 179 Interview Lukas Jacobi (2007: 53).

 

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en mit ihrem Einfühlungsvermögen sind hervorragende Führerinnen.«180 Der frühere Redaktor der Zeitschrift Berg & Ski, Charles Mori, spricht gar von einem möglichen »Mutterinstinkt« der Frauen, weshalb diese für das »Familienund Kinderbergsteigen« die »bessere Besetzung« seien als manche Männer.181 In dieser Deutung, der manche Führer widersprechen, indem sie darauf hinweisen, dass diese Eigenschaften bei männlichen Bergführern ebenso anzutreffen seien wie bei weiblichen, wird eine angenommene Geschlechterdifferenz als Kriterium herangezogen, um die Inklusion von Frauen in den Beruf zu begründen. In gewissen Fällen wird von dieser Differenz auf die Eignung der Frauen für bestimmte Angebote geschlossen, etwa für Touren und Kurse mit weiblichen Gästen sowie Kindern, Kurse in »Yoga und Klettern« oder »Massieren und Klettern«.182 Dabei werden einige Aspekte der Berufstätigkeit des Bergführers im Sinne einer »Umschrift der Differenz«183 umgedeutet, indem einzelne Aspekte der zuvor maskulin codierten Tätigkeit neu als weiblich codiert betrachtet werden.184 Die den Frauen zugeschriebenen Aufgaben, etwa das Führen von Frauengruppen oder das Leiten von Kinderkletterkursen, werden dabei feminisiert und – wie es für den Wechsel von maskuliner zu femininer Codierung von Berufen typisch ist185 – implizit abgewertet. Um eine Abwertung handelt es sich, weil die als feminin geltenden Eigenschaften für jene Arbeiten als geeignet und notwendig betrachtet werden, die bei Männern offenbar weniger beliebt sind und als weniger anspruchsvoll gelten. Trotz des vordergründigen Einschlusses werden Bergführerinnen ihren männlichen Berufskollegen damit implizit untergeordnet und tendenziell marginalisiert. Solche Vorstellungen der Geschlechterdifferenz treten auch in Ausführungen der Befragten zum eigenen Bergsteigen und Unterwegssein mit Frauen zutage. Anton Richenberger findet es schade, dass nicht mehr Frauen an seinen Expeditionen teilnehmen: Seien Frauen dabei, sprächen die Männer »nicht immer über den gleichen Seich«, also »über Sex und Frauen«. Denn nach zwei Monaten ohne Frauen fehle den Männern das »weibliche Wesen, ich meine, schon nur

180 Herren (2004). 181 Mori (2006). 182 Interview Florian Lerch (2007: 29). 183 Gildemeister/Wetterer (1992: 222). 184 Dass sich in stark geschlechtersegregierten Berufen für Frauen und Männer geschlechtsspezifisch unterschiedliche Tätigkeitsfelder herausbilden, wurde an den Beispielen von »flight attendants« und der Krankenpflege gezeigt (vgl. Hochschild 2005; Heinz/Nadai/Fischer/Ummel 1997: 64; 108 ff.). 185 Gildemeister/Wetterer (1992: 222).

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zum Anschauen für das Auge, ist wie ein Blümchen«. Den Männern stünden deshalb bald »die Sämchen im Hirn oben«.186 Florian Lerch hingegen, der aus eigener Erfahrung erzählt, auf Expeditionen gebe es unter den Männern »natürlich manchmal Sprüche, die gehören jetzt wirklich nicht heim«, zieht es vor, ohne Frauen unterwegs zu sein. Abgesehen davon, dass er keine Frau kenne, die ihm bergsteigerisch wirklich ebenbürtig sei, habe er mit Männern noch nie Ärger gehabt. Unter Männern könne man sich einfach auch mal sagen: »Tätsch jetzt, du bist ein Affe«, und nach fünf Minuten sei es wieder gut, während man sich mit Frauen – besonders, wenn es sich dabei um Partnerinnen handle, mit denen man eine Liebesbeziehung habe – mehr zusammenreissen müsse.187 Expeditionsteams werden in beiden Schilderungen als Männergruppen beschrieben, in denen permanent Männlichkeit hergestellt wird. Frauen werden von beiden Interviewten als grundsätzlich different beschrieben. Sie fungieren im einen Fall als ästhetische Bereicherung (»Blümchen«) sowie als »Stossdämpfer« zwischen den triebgesteuerten Männern und bringen ein »anderes Feeling« in die Gruppe.188 Im anderen Fall stört ihre Anwesenheit die Herstellung von Maskulinität. Neben diesen drei Deutungen, die alle auf der Annahme einer fundamentalen, biologisch bedingten Geschlechterdifferenz beruhen, tauchen in den Interviews auch quasi-soziologische Argumente auf, in denen auf Geschlechterrollen oder auf Konstruktionen von Geschlecht verwiesen wird. So sieht Lukas Jacobi eine mögliche Ursache für die vergleichsweise geringe Präsenz von Frauen im Beruf in den gesellschaftlich bedingten Geschlechterrollen, gemäss denen die Kindererziehung nach wie vor hauptsächlich Frauen zugeschrieben wird, was sich nur schlecht mit der häufigen Abwesenheit vertrage, wie sie der Bergführerberuf erfordere. Auf Konstruktionen von Geschlecht wird etwa rekurriert, wenn auf den Männlichkeits-»Mythos«189 verwiesen wird, der mit dem Beruf verknüpft sei, oder wenn argumentiert wird, der Beruf sei »männlich geprägt«190 und es handle sich bei ihm um eine »verknöcherte Männerdomäne«191, was Frauen womöglich davon abschrecke, ihn zu ergreifen, und es ihnen nicht leicht mache, sich darin zu behaupten. Dass auch Männer wie Jacobi sich vom männlichen Hegemonieanspruch, den sie reflektieren und kritisieren, nicht ganz lossprechen können, wird bei-

186 Interview Anton Richenberger (2007: 33). 187 Interview Florian Lerch (2007: 32 f.). 188 Interview Anton Richenberger (2007: 33). 189 Interview Lukas Jacobi (2007: 56). 190 Interview Georg Koller (2005: 30). 191 Interview Vinzenz Stocker (2007: 33).

 

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spielsweise an einer Stelle deutlich, in der er beklagt, dass ein Experte in der Ausbildung den männlichen Aspiranten nicht erlaubt habe, einer Kollegin das Seil zu tragen: »Wir haben zum Beispiel in unserer Gruppe gesagt, bei uns ist Ehrensache, die Frau, die wir dabei haben, sie nimmt kein Seil. (I.: Ah ja.) Die trägt das Seil während den Touren nicht, wenn man es mal tragen muss im Aufstieg, einfach, um sie ein bisschen zu schonen.«192

Implizit treten in diesem Zitat Geschlechterstereotype und Rollenerwartungen zutage, die auf einer angenommenen biologischen Differenz gründen und gemäss denen ein Mann von ›Ehre‹ dem schwachen Geschlecht Arbeit abnehmen, es so schonen und vor zu viel Anstrengung bewahren soll. Eine solche »prosoziale Zuvorkommenheit«193 kann, nach Meuser, als »Ausdruck oder Dokument des männlichen Habitus« angesehen werden. Einig sind sich alle interviewten männlichen Bergführer darin, dass Frauen in der Bergführerausbildung, welche sie selbst meist als äusserst hart empfanden, keine Sonderbehandlung erfahren, weshalb sie den ausgebildeten Bergführerinnen – trotz allfälliger Vorbehalte Frauen im Beruf gegenüber – Respekt zollen: Die Männer wüssten ja, dass die Frauen »eigentlich durch das gleiche Loch gegangen« seien in den Prüfungen, darum seien die Frauen auch »akzeptiert«, stellt Vinzenz Stocker fest.194 Auch die Frauen rekurrieren in ihren Ausführungen auf Konstruktionen von Geschlecht, wenn sie ihren Werdegang schildern, erzählen, auf welche Widerstände sie im Feld stiessen und wie sie sich in diesem Feld bewähren oder wenn sie begründen, weshalb die Ausübung dieses Berufes für Frauen möglich ist. Es zeigt sich, dass die Annahme einer fundamentalen biologischen Differenz zwischen Frauen und Männern, gemäss der Männer körperlich stärker, kräftiger, zäher und ausdauernder sind als Frauen, auch bei den Bergführerinnen eine starke Wirkkraft entfaltet. Die Interviewten wurden nicht nur von aussen mit dieser Differenz und dem damit zusammenhängenden angeblichen Defizit konfrontiert – etwa, indem eine Interviewte als junge Alpinistin von Kollegen auf ihren zu wenig grossen Bizeps aufmerksam gemacht wurde –, sie haben diese Vorstellung auch verinnerlicht: In ihr gründeten die Selbstzweifel, die sie besonders vor Ausbildungsbeginn und auch später immer wieder überwinden mussten.

192 Interview Lukas Jacobi (2007: 53). 193 Meuser (2006b: 164). 194 Interview Vinzenz Stocker (2007: 43).

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Ob sie als Frauen den harten Anforderungen genügen und mit den Männern mithalten würden, war eine zentrale Frage, die sich anfänglich vielen stellte. Implizit und teilweise auch explizit erzählen alle Bergführerinnen, dass sich diese Differenz in der Ausbildung als weniger gross oder aber als weniger relevant erwies als zunächst angenommen. Sie bemerkten, dass sie – manchmal entgegen ihren Befürchtungen – nicht hinter ihre männlichen Kollegen zurückfielen oder gar zu den Besseren gehörten. Auffallend ist, dass keine der Frauen Differenzen bezüglich des Körperbaus und der damit zusammenhängenden körperlichen Leistungsfähigkeit grundsätzlich und radikal in Frage stellt. Einig sind sie sich aber weitgehend darin, dass diese Differenzen weit kleiner sind als gemeinhin angenommen und dass jene, die existieren mögen, bei der Ausübung des Bergführerberufs nicht ins Gewicht fallen, da sie sich technisch kompensieren lassen. Die Bergführerinnen rekurrieren damit auf das Argument, das sich bereits bei einigen Männern zeigte, führen es aber meist detaillierter aus. Besonders anschaulich legt es Astrid Padrutt dar, die darauf hinweist, dass es erstens auch kleine und leichte männliche Bergführer gebe, die nicht stärker seien als Frauen, und zweitens betont, dass das Mehr an Grösse, Körperfülle, Gewicht und Kraft, das manche Männer vielleicht hätten, beim »normalen Führen« irrelevant sei. Denn sowohl Männer wie Frauen seien auf technische Hilfsmittel wie einen doppelten Flaschenzug oder die Beherrschung der Technik des Gehens am kurzen Seil angewiesen. Unter Rückgriff auf als maskulin geltende Mittel wie rationale Überlegungen, die Mathematik und physikalische Gesetze demontiert sie das Argument und damit auch einen Aspekt des Männlichkeitsmythos. Eine Bergführerin, Anja Hunziker, interpretiert die körperliche Differenz zwischen Frauen und Männern gar zugunsten der Frauen. Demnach haben Frauen zwar weniger Kraft, dafür mehr »Ausdauer«. Diese Ausdauer sei es, die es brauche, um konstant, im Sommer Tag für Tag und Woche für Woche als Bergführerin gute Leistungen zu erbringen, und nicht »eine Maximalkraft« für eine einmalige »Spitzenleistung«. Zudem relativiert sie die Bedeutung der körperlichen Anforderungen auch noch in anderer Hinsicht: Bergführen sei zwar körperliche »Schwerarbeit«, weit härter als diese körperlichen Anforderungen sei jedoch »das raue Umfeld und halt das Soziale auch, dass man immer so lange fort ist«.195 Auch die dritte Deutung, die sich bei den Männern feststellen liess, wonach der physischen Differenz zwischen Männern und Frauen eine andere, sich auf soziale Fähigkeiten beziehende gegenübergestellt wird und die mit einer »Um-

195 Interview Anja Hunziker (2005: 8).

 

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schrift der Differenz« von bestimmten Tätigkeiten einhergeht, tritt bei den Frauen – gebrochen – auf, wie das Beispiel Caroline Bratschis zeigte. Sie nimmt in ihrer Argumentation das Deutungsangebot auf, das im Feld kursiert, wonach Frauen andere Eigenschaften haben als Männer, besinnt sich auf eine ›natürliche‹ Weiblichkeit und weist sich und Frauen generell in der Erzählung die Nische der angeblich sozial anspruchsvolleren, aber körperlich weniger anstrengenden Arbeiten mit bedürftigen Gästen zu. Damit marginalisiert sie sich und Bergführerinnen im Allgemeinen und ordnet sie männlichen Führern unter. Gleichzeitig wird deutlich, dass sie faktisch häufig auch ›normale‹ Männer auf schwierigen Touren führt, sich also nicht auf diese Nische beschränkt. Die Analysen zeigten, dass der Rückgriff auf diese Deutung und der bei ihr zutage tretende Bruch im Rahmen ihrer Bewährungsstrategie zu verstehen sind: Einerseits legt sie Zeugnis von ihren den Männern ebenbürtigen Fähigkeiten ab, andererseits positioniert sie sich in einer Nische, in der sie den Männern keine Konkurrenz macht, was letztlich – wie sie überzeugt ist – ihrer Akzeptanz im Berufsfeld dient. Eine Deutung, die bei den Interviewten nicht auftrat, jedoch im Feld anzutreffen ist, basiert ebenfalls auf der Annahme einer fundamentalen Differenz zwischen Frauen und Männern, wobei das Anderssein der Frau gerade auch für den Bergführerberuf oder den Alpinismus als grundsätzlich positiv gewertet wird. Bergsteigende Frauen oder Führerinnen werden damit Männern nicht untergeordnet und marginalisiert, sondern im Gegenteil übergeordnet. Diese Deutung findet sich etwa bei Evelyne Binsack, die meint, Frauen handelten nicht nur anders, nämlich verantwortungsbewusster als Männer, sie kommunizierten auch anders. Sie spricht vom »Frauenalpinismus« und vertritt die Überzeugung, Frauen müssten ihre »eigenen Ziele definieren« und ihre »Nischen finden«.196 Die Proklamation einer Differenz zwischen Frauen und Männern, die mit einer positiven Wertung des Weiblichen einhergeht, taucht auch in der Selbstbeschreibung der »Grimpeuses« – eines Zusammenschlusses von Schweizer Bergsteigerinnen – auf: »Wir sind eine Gruppe von begeisterten Bergsteigerfreundinnen, die es sehr geniessen mit anderen Frauen in den Bergen unterwegs zu sein. Nicht etwa weil wir grosse Feministinnen sind oder weil wir etwas gegen Männer haben. Frauen funktionieren einfach anders. Ines Papert beschreibt dies folgendermassen: Wir überlassen gerne der anderen die Führung, Schwierigkeiten nehmen wir mit Humor und wir schenken sehr viel Aufmerksamkeit unserer Partnerin. ›Möchtest du gerne voraus? Möchtest du ein Stück Schokolade?‹ In

196 Binsack (2002: 192).

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welcher Männerseilschaft achtet man so sehr auf seinen Seilgefährten?«197 Frauen werden darin als von ihrem Wesen her weniger geltungssüchtig, humorvoller, aufmerksamer und kollegialer und damit als bessere Bergkameradinnen beschrieben. Neben den eben ausgeführten Deutungen, denen die Annahme einer biologisch bedingten Differenz zwischen Männern und Frauen zugrunde liegt, finden sich auch bei den interviewten Frauen quasi-soziologische Argumentationen, gemäss denen die schwache Präsenz von Frauen im Beruf auf gesellschaftlich konstruierte und historisch gewachsene Geschlechterrollen zurückzuführen ist. Implizit traten solche bei Luzia Wenger zutage. Sie beobachtete an sich selbst wie auch an ihren Gästen, dass Frauen häufig weniger selbstsicher seien als Männer und sich diesen unterordneten. Gemäss ihr sind weder körperlich bedingte Unterschiede noch strukturelle Bedingungen oder Formen der Diskriminierung von Seiten der Männer an der Unterordnung der Frauen schuld, sondern eine angeeignete, den Geschlechterrollen entsprechende Selbstunterschätzung der Frauen. Zusätzlich zur Deutung, wonach existierende körperliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern für den Bergführerberuf vernachlässigbar sind, der Überzeugung, dass der Beruf spezifisch weibliche Fähigkeiten geradezu erfordere, und der quasi-soziologischen Betrachtung von Geschlechterunterschieden findet sich in den Bergführerinneninterviews eine vierte Form des Umgangs mit Geschlechterkonstruktionen: Astrid Padrutt, die entsprechend ihrer Bewährungsstrategie der »entmystifizierenden Distanznahme« die These vertritt, der Bergführerberuf sei ein »sozialer Beruf« und müsste deshalb eigentlich ein Frauenberuf sein, operiert zwar mit Geschlechterstereotypen, gemäss denen das Soziale den Frauen und das Technische den Männern zugeschrieben wird, löst diese aber von realen Personen. Sie argumentiert nicht, dass sie durch ihr Frausein eine besonders gute Bergführerin sei, sondern bemerkt, dass ihr die soziale Seite des Berufs gerade nicht liege und ihr die technische mehr behage, während es umgekehrt viele Männer gebe, die sehr gut seien im Betreuen von Leuten. Sie operiert also wie alle anderen auch mit Stereotypen beziehungsweise Vorstellungen von Maskulinität und Feminität, die in der konstruierten Zweigeschlechtlichkeit gründen, löst diese aber von realen Männern und Frauen.

197 www.grimpeuses.ch [Stand: 27.8.2010].

 

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7.7 S TÄRKEN

UND S CHWÄCHEN EINES HEGEMONIALEN K ONZEPTS

Vor dem Hintergrund der empirischen Befunde drängt sich die Frage nach den theoretischen Implikationen auf, die sich daraus ableiten lassen.198 Bei der Analyse der Maskulinität, die in den Interviews zutage trat, erwiesen sich Bourdieus Überlegungen zur »männlichen Herrschaft«, das mit Connell assoziierte Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« sowie Meusers Vorschlag, die beiden Ansätze zu verbinden, als fruchtbar. Die Interviewanalysen zeigten auf, dass Maskulinität im Feld des Bergführerberufs heute noch unter Männern hergestellt wird, wobei der – zumindest in diesem Feld – als hegemonial geltenden Form der Maskulinität generative Funktion zukommt. Es erwies sich als ergiebig, die Herstellung von Maskulinität auf der homosozialen Achse, also unter Männern, zu untersuchen, wie dies Connell, Bourdieu und Meuser vorschlagen. Angesichts der Dominanz des Konzepts der »hegemonialen Männlichkeit« in der sozialwissenschaftlichen Männlichkeitsforschung soll an dieser Stelle aber auch auf einige Schwächen dieses Konzepts hingewiesen werden, die im Zusammenhang mit den Analysen zutage traten. Eine erste Feststellung, die das Konzept nicht in Frage stellt, jedoch auf seine notwendige Spezifizierung hinweist, ergibt sich aus den historischen Ausführungen zum Bergführerberuf. Diese machten deutlich, dass die Maskulinität, die der idealtypische Bergführer verkörpert, an bestimmte historische, nationale und feldspezifische Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen zu berücksichtigen ist unerlässlich, um die maskuline Codierung des Berufs sowie deren Transformation und heutige Relevanz zu verstehen. Zwar erwähnten Connell und ihre Co-Autoren verschiedentlich, hegemoniale Männlichkeit sei als historisch konstruiert zu betrachten und unterliege einem Wandel.199 Der Historizität sowie der Kontext- und Feldgebundenheit einer solchen Maskulinität schenkten sie in den erwähnten Schriften jedoch wenig Beachtung. Wenn mit dem Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« gearbeitet wird, so ein Fazit dieser Studie, ist diese Kontextgebundenheit als zentraler Aspekt zu berücksichtigen. Zweitens drängt es sich auf, das Verhältnis der hegemonialen Maskulinität zu anderen Maskulinitäten zu überdenken. In den Schriften von Connell und ihren Co-Autoren entsteht teilweise der Eindruck, es gebe zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Kontext eine hegemoniale Männlichkeit, der

198 Vgl. Hungerbühler (2009). 199 Carrigan/Connell/Lee (1985: 593 f.); Connell/Messerschmidt (2005: 846); Connell (2006: 87 ff.).

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andere Formen von Männlichkeit wie auch alle Formen von Weiblichkeit untergeordnet seien. So steht etwa in »Der gemachte Mann« zu lesen: »Zu jeder Zeit wird eine Form von Männlichkeit im Gegensatz zu den anderen kulturell herausgehoben.«200 Die empirischen Befunde zum Bergführerberuf deuten darauf hin, dass es zu vereinfachend ist, von einer solcherart hegemonialen Männlichkeit auszugehen. Weder lässt sich mit Grund behaupten, dass der Bergführer zu Beginn des 20. Jahrhunderts die hegemoniale Männlichkeit der Schweiz verkörperte, noch, dass er für eine »komplizenhafte«, »untergeordnete« oder »marginalisierte« Männlichkeit stand. Für den historisch gezeichneten idealtypischen Bergführer ist bezeichnend, dass er weder der herrschenden Klasse – damals dem Bürgertum – noch dem Proletariat angehörte, sondern als idealisierter Bergler im sozialen Gefüge eine Sonderposition einnahm. Zudem verdeutlichen andere Studien, dass es gerade in den 1930er- und 1940er-Jahren neben dem Bergführer weitere Figuren gab, die eine Maskulinität mit Ausstrahlungskraft verkörperten. Eine solche war beispielsweise der Swissair-Pilot. Wie die Institution Bergführer war die Swissair national aufgeladen, und der Beruf des Piloten war maskulin codiert.201 In manchen Bergführerinterviews wird den beiden Berufen gar eine vergleichbare Strukturlogik unterstellt. Eine Art Kombination der im Bergführer und im Swissair-Piloten verkörperten Formen der Maskulinität findet sich heute übrigens im Mitarbeiter der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega. Deren Mitarbeiter wurden in einem Zeitungsartikel als die »modernen Helden der Schweiz« bezeichnet, die »unter Lebensgefahr einen Dienst an der Allgemeinheit« leisten, indem sie in einem Helikopter mit weissem Kreuz auf rotem Grund aus der Luft angeflogen kommen und Leben retten.202 Die Beurtei-

200 Connell (2006: 98). Andere Autorinnen und Autoren gehen von mehreren hegemonialen Männlichkeiten aus (vgl. Meuser 2006a: 131; Scholz 2004b: 40 f.). 201 Die Swissair ging 1930 aus einer Fusion von zwei nationalen Fluggesellschaften hervor und wurde damit zur nationalen Airline der Schweiz. Sie bestand bis zu ihrem ›Grounding‹ im Jahr 2002. Von Beginn weg fungierte der Swissair-Pilot als nationale Vorzeigefigur und verkörperte einen Schweizer Bubentraum (vgl. Hänzi 2007: 21 ff.; 54 f.). 202 Nussbaumer (2010). Für eine Idealisierung und Romantisierung der Institution der Rega wie auch der Rettungsflugwacht generell spricht deren Präsenz in Filmen, wie etwa in »Heldin der Lüfte« (2008), in dem sich eine Frau in der Männerbastion einer Rega-Station behauptet, in Dokumentarfilmen wie »Secours en montagne« (2001), »Rega 10, bitte kommen – 1 Jahr auf der Heli-Basis Gsteigwiler« (2002), »Die Bergretter – Unterwegs mit der Air Zermatt« (2007) oder »Die Bergretter im Hima-

 

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lung der Frage, ob der Bergführer zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt hegemoniale Männlichkeit repräsentierte,203 und der Versuch, Maskulinitäten unter vorgefertigte Kategorien zu subsumieren scheinen mir aber weit weniger spannend und ergiebig zu sein als die Rekonstruktion der Wirkungsweise und Konstitution von Maskulinitäten, die wie der Bergführer über das eigene Feld hinaus normierend wirken. Drittens erweist sich auch Connells ursprünglicher Versuch, hegemoniale Männlichkeit inhaltlich zu bestimmen, vor dem Hintergrund dieser Studie als problematisch.204 Als Replik auf eine entsprechende Kritik stellten Connell und Messerschmidt diesen Versuch sowie die Idee, Maskulinität als ein Bündel von Eigenschaften und hegemoniale Männlichkeit als festen Charaktertyp zu fassen, vor einigen Jahren selbst in Frage.205 Die vorliegende Studie zeigt, dass es – gerade wegen der Kontextgebundenheit und der gleichzeitigen Existenz mehrerer Formen von Maskulinität mit breiter normierender Wirkung – wenig ergiebig ist, solche Repräsentanten hegemonialer Maskulinität zu suchen. Viertens erscheint Connells Konzeption von Feminität als unbefriedigend. Die Ausführungen zur »betonten Weiblichkeit« sind äusserst spärlich und wenig einleuchtend. Während Connell die Orientierung aller Männer an der hegemonialen Maskulinität mit der »patriarchalen Dividende« begründet, also »dem allgemeinen Vorteil, der den Männern aus der Unterdrückung der Frauen erwächst«206, bleibt unklar, was die Frauen dazu treiben soll, eine »betonte Weiblichkeit« einzunehmen. Weiter bleibt die Frau, wie Frey Steffen feststellt, bei Connell männlich dominiert: »Zwar darf sie sich auflehnen und die männliche Hegemonie infrage stellen; sie tut das jedoch stets aus der Rolle der gutmütig Duldsamen, emotional an den Mann Gebundenen.«207 Schliesslich weist Connell zwar auf die Bedeutung der Relationalität hin, gemäss der Männlichkeit als Kontrastbegriff der Weiblichkeit bedarf,208 Frauen und Feminität werden in ihren Schriften jedoch weitgehend ausgeklammert und »Weiblichkeit« wird allzu simpel und unterkomplex konzipiert.

laya« (2011) sowie im Band »Globi bei der Rettungsflugwacht« (Heinzer 1988) der schweizweit bekannten Globibücher. 203 Vgl. Mathes (2006: 175). 204 Carrigan/Connell/Lee (1985: 592); Connell (1993a: 184 f.; 1993b: 615). 205 Connell/Messerschmidt (2005: 838; 847). 206 Connell (2006: 100). 207 Frey Steffen (2006: 87). 208 Connell (2006: 88).

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Anhand der vier ausgeführten Bewährungsstrategien der Bergführerinnen wurde deutlich, dass sich bei Frauen in diesem Feld weder klare Formen von Zustimmung zur Unterordnung – etwa im Sinne einer »betonten Weiblichkeit« – noch reine Formen des Widerstands finden. Die festgestellten Bewährungsstrategien zeichnen sich vielmehr durch eine je unterschiedlich gelagerte Gleichzeitigkeit von Unterordnung unter die männliche Hegemonie und Widerstand aus. Sie stellen alle in der einen oder anderen Art Strategien dar, im Feld zu bestehen und damit dem Ausschluss entgegenzuwirken. Besonders deutlich wurde die Tatsache, dass sich Unterordnung und Widerstand nicht leicht voneinander trennen lassen, bei der Strategie der »Gratwanderung«. Caroline Bratschis Zurückhaltung und ihre Rückbesinnung auf eine ›natürliche‹ Weiblichkeit könnten als Indizien einer ›betonten Weiblichkeit‹ erscheinen, erwiesen sich aber als Strategie, sich in einem männerdominierten Berufsfeld zu bewähren, wie auch als Weg, der hegemonialen Maskulinität auf indirekte Weise subtilen Widerstand entgegenzusetzen. Damit wirkt die Strategie auch auf eine Veränderung des im Feld herrschenden Geschlechterverhältnisses hin. Mit der Unterbelichtung von Frauen in Connells ursprünglicher Konzeption geht eine weitgehende Ausblendung von Feminität einher. Die einseitige Fokussierung der Genus-Gruppe Mann und der Maskulinität kritisieren Connell und Messerschmidt mittlerweile selbst. Sie plädieren dafür, bei der Erforschung hegemonialer Maskulinität Frauen und die Wechselwirkung von Feminitäten und Maskulinitäten stärker in den Blick zu nehmen. Sie distanzieren sich heute von einer Definition der Maskulinität, gemäss der männlich ist, wie Männer sind.209 Als Beweis dafür, dass das Konzept der hegemonialen Maskulinität Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht essentialisiere, verweisen sie auf Studien, die Maskulinität bei Menschen mit Frauenkörpern (»female bodies«) feststellen, wie etwa die »female masculinity«210 von Halberstam.211 Diesen Beteuerungen steht die Tatsache gegenüber, dass in den meisten Studien zur Erforschung von Maskulinität – auch von Connell selbst – ausschliesslich Männer untersucht werden und Maskulinität gerne mit Männern gleichgesetzt wird.

209 Connell/Messerschmidt (2005: 848); Connell (2006: 89). 210 Halberstam (1998). 211 Connell/Messerschmidt (2005: 836; 848).

 



8 Schlussbetrachtung

Die Charismatisierung des Schweizer Bergführers geht auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück und erfolgte über Biografien, Autobiografien sowie fiktionale Texte und Filme, in denen Bergführer im Zentrum stehen. Während in älteren Zeitdokumenten oft negative Eigenschaften von Bergführern auftauchen, idealisieren diese Publikationen die Bergführer als unübertreffliche Bergsteiger, technisch und charakterlich perfekte Führer, heroische und somit besonders maskuline Männer sowie implizit als prototypische und exemplarische Schweizer. Dabei findet eine doppelte Charismatisierung statt: eine Charismatisierung der Bergführer als Einzelpersonen sowie eine Charismatisierung des Bergführerberufs als Institution. Zu diesem Zeitpunkt war eine wichtige Phase der Verberuflichung abgeschlossen, die um 1856, mitten im »goldenen Zeitalter« des Alpinismus, mit der Schaffung des ersten Bergführerreglements im Kanton Bern begonnen hatte. Zuvor hatten ortskundige Einheimische die meist aus Städten stammenden bürgerlichen Alpinisten und Alpinistinnen auf ihren Unternehmungen nebenberuflich begleitet, sie geführt oder ihnen auch einfach als Träger gedient. Während einige dieser Männer darin bereits damals ein grosses Geschick entwickelt und sich ein entsprechendes Renommee erarbeitet hatten, sollen andere die Situation zu ihren Gunsten ausgenutzt haben. Es soll zu »Missständen« gekommen sein, die die Obrigkeiten der Gebirgskantone, der Alpen-Club und gewisse Bergführer selbst durch die Einführung von Bergführerreglementen, Ausbildungen, Prüfungen und einer Patentpflicht sowie mit der Gründung von Berufsvereinen und -verbänden zu bekämpfen versuchten. Die entsprechenden Regelungen, mit denen man die Erlaubnis zur Berufsausübung an Bedingungen knüpfte, Ein- und Ausschluss klar definierte und das Feld gegen aussen abgrenzte, dürften eine Voraussetzung für die Veralltäglichung und Institutionalisierung des Charismas gewesen sein.

 

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Das frühe 20. Jahrhunderts stand im Zeichen des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs. Soziale Unruhen hatten zum Generalstreik geführt und im national aufgeheizten Klima wurde die Geistige Landesverteidigung propagiert. Der SAC setzte sich für bürgerliche Interessen ein, gegen die ›Vermassung‹ der Alpen und gegen klassenkämpferische Ideen. Er vertrat eine Ideologie gemäss der die Bergwelt, das ›Oben‹, positiv und das ›Unten‹, besonders die Städte, negativ besetzt waren. Bergsteigen wurde als »Flucht« der bürgerlichen Männer vor den Niederungen und als »Zucht« der Arbeiter betrachtet und sollte aus den Schweizer Männern ein »einig Volk von Brüdern« formen1, wie es einst in Schillers »Wilhelm Tell« beschworen worden war. Idealisierung und Charismatisierung der Bergführer fügten sich so perfekt ein in den vom SAC vertretenen Patriotismus und damit auch in das Arsenal der Geistigen Landesverteidigung und die Konstruktion des schweizerischen Nationalbewusstseins. Dass sie vorwiegend über Literatur erfolgten, ist kein Zufall. Das Schreiben über den Alpinismus war von Anfang an konstitutiver Bestandteil desselben. Zunächst waren es die bürgerlichen Alpinisten gewesen, die über ihre Heldentaten berichteten. Bergführer nahmen in diesen Schilderungen meist Nebenrollen ein und wurden, wenn überhaupt erwähnt, gelegentlich auch despektierlich beschrieben. Während die »Gipfelerfolge« der vielen im 19. Jahrhundert durchgeführten Erstbesteigungen stets nur den ›Herren‹ zugeschrieben worden waren, rückten nun die Bergführer als die wahren Helden in den Mittelpunkt des Interesses. Ihnen sollte die Anerkennung zuteil werden, die ihnen zuvor versagt geblieben war. Die Analyse der Interviews mit heutigen Berufsakteurinnen und -akteuren hat gezeigt, welche Bedeutung das Charisma für ihre Berufswahl hatte, wie es ihr Selbstverständnis prägt und wie sie etwa über Selbstcharismatisierung zu einer ständigen Erneuerung des Charismas des Berufs beitragen. Dies trifft auch für Frauen zu, wobei am ehesten sie es sind, die die (Selbst-)Charismatisierung durchbrechen. Die (Selbst-)Charismatisierung der Interviewten korrespondiert mit einer starken beruflichen Identifikation, selbst da, wo sie nur schwach ausgeprägt ist. Bergführerin oder Bergführer zu sein, bedeutet für keine der interviewten Personen, lediglich einer Erwerbsarbeit im Sinne einer »occupatio« nachzugehen. Bergführerin, Bergführer ist – gerade auch für die jüngeren Interviewten – vielmehr »innerer Beruf«, also »vocatio«. Die starke Identifikation mit dem Beruf gehört zum gepflegten Bergführermythos. Dieser wird etwa in der immer wieder geäusserten Bemerkung aktiv beschworen, beim Bergführerberuf handle es sich um den schönsten Beruf überhaupt. Wer Bergführerin oder Bergführer ist, so die weit verbreitete Deutung, ist es als ganze Person und bleibt es

1

Anker (1986: 163 f.; 117).

 

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ein Leben lang. Die These der Entberuflichung, die in der berufssoziologischen Debatte teilweise proklamiert wird, lässt sich für den Bergführerberuf somit keineswegs bestätigen. Im Gegenteil: subjektive Bindungskraft und Ausstrahlungskraft des Berufs wie auch die Identifikation damit sind bei heutigen Berufsakteurinnen und -akteuren sehr ausgeprägt. Explizite Bezüge auf das Nationale, in dessen Zusammenhang die Charismatisierung des Berufs historisch überhaupt erst entstand, fehlen in den Interviews weitgehend. Die regionale und – in reduziertem Masse – die internationale Ebene sind in ihrem Selbstverständnis stärker präsent als die nationale. Diese Relevanzordnung entspricht den historisch gewachsenen Verbandsstrukturen, die das Berufsfeld bis heute massgeblich prägen. Wird dennoch auf die Kategorie Nation Bezug genommen, so zielt die entsprechende Charismatisierung auf das Aussen und richtet sich an ausländische Touristinnen und Touristen. Der Bergführer gilt dabei als Verkörperung der prototypischen schweizerischen Tugenden und einer idealisierten, bisweilen auch folklorisierten Schweiz. Diese Verknüpfung findet sich aber bei Bergführerinnen und Bergführer weit seltener als etwa bei Politikerinnen und Politikern, die das typisch Schweizerische beschwören, bei Fremdenverkehrsbüros zur touristischen Vermarktung der Schweiz oder bei Firmen, die damit für ihr Produkt werben. Trotz der weitgehenden Absenz von explizit nationalen Bezügen in den Interviews prägen einst national aufgeladene Deutungselemente das Selbstverständnis vieler Bergführerinnen und Bergführer – in transformierter Form – bis heute. Es sind dies besonders das Deutungsmuster »Oben statt unten«2 sowie jenes der Freiheit. Das Deutungsmuster »Oben statt unten«, dessen Ursprünge mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, besteht in den Deutungen heutiger Bergführerinnen und Bergführer insofern fort, als darin das Oben durchwegs mit dem ›Guten‹ in Verbindung gebracht wird. Dabei hat das Gute eine individuelle wie auch eine gesellschaftliche Komponente: Bergsteigen tut gemäss dieser Deutung dem Individuum wohl und entspricht einer ›guten‹ Lebensführung. Es wirkt gesellschaftlichen Problemen wie Sucht, Dekadenz, Egoismus, Faulheit, Entfremdung von der Natur und Respektlosigkeit gegenüber der Umwelt entgegen und dient letztlich der gesellschaftlichen Integration. An die Stelle explizit nationaler Ideen sind somit umweltpolitische und kulturkritische Überzeugungen sowie psychologische Überlegungen getreten. Was bestehen bleibt, ist die Gegenüberstellung von Berg und Stadt beziehungsweise Berg und Flachland. In engem Zusammenhang mit dem Deutungsmuster »Oben statt unten« steht jenes der Freiheit. Es gehört nicht nur untrennbar zum historischen Nationalverständ-

2

Anker (1986).

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nis, sondern wurde von Beginn weg auch mit dem Alpinismus in Zusammenhang gebracht, etwa vom SAC. Demnach führte der Alpinismus einerseits zur individuellen, andererseits zur nationalen Freiheit. In den Interviews ist die Idee der nationalen Freiheit weitgehend abwesend, jene der individuellen jedoch umso präsenter. Sie bezieht sich auf ein stimmiges Lebensgefühl, das sich beim Bergsteigen und Führen von Gästen einstellt, sowie auf ein Gefühl von Autonomie, das die Bergführerinnen und Bergführer beim Bergsteigen sowie bei der Ausübung ihres Berufs entwickeln. In transformierter Form prägen also Deutungsmuster, die das Bild des Bergführers beziehungsweise den alpinen Diskurs generell bis zum Zweiten Weltkrieg auszeichneten, das Selbstverständnis der Bergführerinnen und Bergführer bis heute und fliessen als »Prescripts« in die »Scripts« der Berufsakteurinnen und -akteure ein. Ein weiterer Aspekt, der für das Berufsfeld nach wie vor relevant ist, ist die maskuline Codierung des Berufs – und dies, obwohl sich in den Selbstdarstellungen heutiger Berufsakteure kaum explizite Beschwörungen des Maskulinen finden lassen. Die Analysen zeigen, wie bezüglich des Geschlechts die drei Ebenen der Strukturen, der symbolischen Repräsentationen und der Identitätskonstruktionen in Welchselwirkung zueinander stehen: historisch entstandene symbolische Repräsentationen schreiben sich in Identitätskonstruktionen ein, beide entwickeln sich in Abhängigkeit von den Strukturen des untersuchten Feldes und wirken dabei wiederum auf diese Strukturen ein. Was die Strukturen betrifft, zeugen aktuelle Daten zur Geschlechterverteilung unter heutigen Berufsangehörigen und unter Absolvierenden der Abschlussprüfungen der letzten Jahre von einer ausgeprägten Persistenz der männlichen Dominanz in diesem Berufsfeld. Aufgrund der Interviewanalysen liess sich rekonstruieren, dass Einund Ausschlussmechanismen in den Alpinismus und damit auch in das Berufsfeld unter anderem geschlechtlich geprägt sind. Es wurde deutlich, dass Maskulinität gerade unter jugendlichen Bergsteigern wie auch unter Berufskollegen im Sinne eines »doing gender« interaktiv hergestellt wird. Frauen haben eine Reihe von Hürden zu überwinden, um sich Zutritt zu diesem Berufsfeld zu verschaffen und sich in diesem zu bewähren. Aufgrund der Interviews liessen sich vier unterschiedliche Bewährungsstrategien von Frauen ausmachen: »Flucht nach vorn«, »Gratwanderung«, »entmystifizierende Distanznahme« und »Kampf um Anerkennung«. Bergführerinnen, die die Strategie der »Flucht nach vorn« verfolgen, sind bestrebt, sich im Feld gemäss den darin geltenden Regeln des Spiels zu bewähren. Sie partizipieren an den ernsten Spielen des Wettbewerbs und bieten sich dabei als PartnerGegnerinnen an. Frauen dieses Typs orientieren sich in ihrem Selbstverständnis implizit am charismatisierten Bild des Bergführers. Zu dieser Strategie gehört

 

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die Annahme von Elementen eines männlichen Habitus. Bergführerinnen, bei denen die Strategie der »Gratwanderung« festzustellen ist, bemühen sich, weder durch zu schlechte noch durch zu gute Leistungen aufzufallen. Der bewusste Verzicht darauf, ein charismatisiertes Ideal zu imitieren, gehört untrennbar zu dieser Strategie. Sie impliziert die aktive Bezugnahme auf geschlechterstereotype Vorstellungen von Weiblichkeit: die entsprechenden Frauen bewähren sich, indem sie, wie sie etwa sagen, ›Frauen‹ bleiben, was etwa bedeuten kann, dass sie bewusst auf die Aneignung von Elementen eines männlichen Habitus verzichten. Während die ersten beiden Strategien sich in die Logik des Feldes einordnen und dabei die »illusio« bis zu einem gewissen Grad reproduzieren, nimmt die Strategie der »entmystifizierenden Distanznahme« eine reflexive Position ein und dekonstruiert den Bergführer- und den Maskulinitätsmythos und damit auch das Charisma des Berufs. Die vierte Strategie »Kampf um Anerkennung« zeichnet sich dadurch aus, dass die entsprechende Bergführerin nicht nur wahrnimmt und sich daran stört, wenn sie sich in bestimmten Situationen als Frau benachteiligt fühlt und ihr das Charisma abgesprochen wird. Sie kämpft auch darum, anerkannt und ernst genommen zu werden. Die rekonstruierten Schwierigkeiten, auf die Frauen in diesem Feld stossen, sowie ihre Bewährungsstrategien gleichen auf den ersten Blick stark jenen von Frauen in anderen männerdominierten Berufs- und Arbeitsfeldern. Die vorliegende Studie zeigt aber auch, dass für das Verständnis der Schwierigkeiten und Strategien der Frauen feldspezifischen Besonderheiten Rechnung getragen werden muss. Im Vergleich zu anderen Berufen – maximal kontrastierend etwa jener der Theaterregie3 – weist der Bergführerberuf ein sehr spezifisches Handlungsproblem und einen ausgesprochen hohen Formalisierungsgrad auf. Das Handlungsproblem besteht in der Aufgabe, Menschen zu führen, die im idealtypischen Fall selbst weder in der Lage wären, den begangenen, ›Weg‹ zu finden, noch ihn zu bewältigen, wobei der Tod aller Beteiligten stets als bedrohliches Szenario mitschwingt. Was den Formalisierungsgrad betrifft, darf der Beruf nur von Personen ausgeübt werden, die die entsprechende Ausbildung absolviert und die eidgenössische Prüfung bestanden haben. Dies bedeutet, dass der Eintritt zwar entsprechend hürdenreich, mit Erhalt des Diploms aber ein für alle Mal geschafft ist. Hat eine Bergführerin die Ausbildung bestanden, hat sie bewiesen, dass sie der Aufgabe gewachsen ist. Als Besitzerin des Bergführerabzeichnes gehört sie der »Bergführerfamilie« an, kann – zumindest formell – aus dieser nicht mehr ausgeschlossen werden und geniesst die Aner-

3

Vgl. Hänzi (2013).

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kennung der meisten ihrer Berufskollegen wie auch ihrer Kundinnen und Kunden. Intermediäre Instanz zwischen der bis heute ausgeprägten männlichen Dominanz in der Struktur der Angehörigen des Bergführerberufs und der interaktiven Ebene der Herstellung von Geschlecht sind gesellschaftlich tief verankerte Vorstellungen von Maskulinität und Feminität. Zum einen ist es das historisch entstandene Bild des idealtypischen, charismatisierten und ausgesprochen maskulinen Bergführers, das im Feld nach wie vor eine starke Strahlkraft hat. Zum anderen sind es Konstruktionen von Geschlecht, die als – meist unhinterfragte – Hintergrundüberzeugungen wirken. Sie treten besonders dann zutage, wenn Interviewte sich beispielsweise dazu äussern, weshalb der Frauenanteil im Beruf so gering sei oder inwiefern Männer beziehungsweise Frauen für den Beruf besonders geeignet oder eben ungeeignet seien. Auffallend ist, dass die Annahme einer biologisch bedingten Geschlechterdifferenz, wonach der Frauenkörper durchschnittlich als weniger kräftig und widerstandsfähig gilt als der Männerkörper, in den Argumentationen omnipräsent ist. Damit lebt eine Deutung fort, die im westeuropäischen alpinistischen Diskurs von Beginn weg konstitutives Element der maskulinen Codierung des Bergsteigens und Bergführens war und ihren Ursprung in der Codierung der Geschlechterrollen in der Moderne hat. Einige wenige interviewte Männer begründen damit, weshalb der Bergführerberuf kein Beruf für Frauen sei. Verbreiteter unter Männern und vor allem unter Frauen ist die Überzeugung, dass dieser Unterschied entweder nicht generell gilt oder für die Ausübung des Berufs nicht relevant ist, weil er beispielsweise mit technischen Hilfsmitteln kompensiert werden kann. Sehr wohl relevant war die Deutung jedoch für die Frauen auf ihrem Weg in den Bergführerberuf. Sie lag verschiedenen Grenzziehungen zugrunde, denen die Frauen trotzen mussten, und auch ihre auffallend präsenten Selbstzweifel vor Ausbildungsbeginn gründeten massgeblich darin. In den rekonstruierten Deutungen und Interaktionen sind neben Vorstellungen von Maskulinität auch Vorstellungen von Feminität präsent. Zum einen zeigte sich, dass Maskulinität unter Männern bisweilen über Feminitätszuschreibungen hergestellt wird. Zum anderen stellte sich heraus, dass zur deutenden Inklusion von Frauen teilweise auf Vorstellungen von Feminität rekurriert wird, deren Ursprünge ebenso in einer »Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹«4 zu suchen sind wie jene der angenommenen körperlichen Überlegenheit der Männer. Dies geschieht etwa dann, wenn Frauen eine besondere Eignung entweder für den Bergführerberuf generell oder aber für bestimmte Tätigkeiten in diesem Berufsfeld zugeschrieben wird, weil Eigenschaften wie

4

Hausen (1976: 369).

 

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Einfühlungsvermögen und Geduld als ›natürlich weibliche‹ Merkmale betrachtet werden. Für die Analysen der Interviews mit heutigen Bergführerinnen und Bergführern erwiesen sich die theoretischen Konzepte von Bourdieu, Connell und Meuser als hilfreich. Es konnten aber auch deutliche Schwächen insbesondere des Konzepts der »hegemonialen Männlichkeit« aufgezeigt werden. Ganz generell weisen die empirischen Befunde zum Bergführerberuf darauf hin, dass eine Beschränkung auf Männer und Maskulinität nicht sinnvoll ist, und sei der zu erforschende Gegenstand noch so männerdominiert und maskulin codiert. Zu sehr schränkt sie den Blick ein. Die analysierten Interviews legen nahe, nicht nur zu fragen, wie Männer denken und wie Maskulinität hergestellt wird, sondern auch die Beziehungen zwischen Frauen und Männern in diesem Berufsfeld und darin wirkende Einschluss- und Ausschlussmechanismen zu untersuchen und zu erkunden, wie unter Rückgriff auf Geschlecht »gesellschaftliche Beziehungen legitimiert und konstruiert«5 werden. Es zeigt sich nämlich, dass sich weder ›Maskulinität‹ lediglich bei Bergführern und ›Feminität‹ ausschliesslich bei Bergführerinnen finden, noch dass bei den Bergführerinnen eine »female masculinity«6 festzustellen ist. Deutlich wird hingegen, dass die Interviewten die soziale Wirklichkeit unter teilweise komplexen Rückgriffen auf Geschlecht konstruieren. Werden also Männer, Frauen, Maskulinität und Feminität in die Analysen einbezogen, kann der Relationalität, die Geschlecht ausmacht, Rechnung getragen und die Komplexität des Geschlechterverhältnisses besser verstanden werden. Weiter erweist es sich als sinnvoll, Geschlecht nicht nur als Strukturkategorie zu begreifen, sondern von einem analytischen Geschlechterbegriff auszugehen.7 Nicht zuletzt lässt sich damit die Gefahr der »Reifizierung«8 reduzieren. Aus diesen Gründen bietet es sich an, auch einen Gegenstand wie den Bergführerberuf nicht im Rahmen der Männlichkeits- oder gar Männerforschung, sondern aus der Perspektive der Geschlechterforschung zu untersuchen, allerdings ohne dabei die Erkenntnisse der Männlichkeitsforschung zu unterschlagen. Die historische Entwicklung des Bergführerwesens ist eng mit der Geschichte der Schweiz in den vergangenen rund zweihundert Jahren verknüpft. Am Beispiel des Bergführerwesens lässt sich nicht nur die Entstehung und Entwicklung des Alpinismus und Tourismus in der Schweiz rekonstruieren, auch zentrale

5

Scott (1994: 58).

6

Halberstam (1998).

7

Dölling (1999).

8

Gildemeister/Wetterer (1992: 201).

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Ereignisse wie die Gründung des Nationalstaates, die Kriegsjahre und die Strömung der Geistigen Landesverteidigung prägten das Bergführerwesen sowie das gesellschaftliche Bild des Bergführers. In der Entwicklung dieses Berufs schlug sich die wirtschaftliche Situation nieder, wie etwa die Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre oder der wirtschaftliche Aufschwung ab den 1950er-Jahren. Auch gesellschaftliche Veränderungen wie das Aufkommen des Naturschutzes, der Wandel des Freizeitverhaltens, die Entstehung neuer Outdoor-Sportarten oder die Etablierung des Ideals der Gleichstellung von Mann und Frau haben in diesem Feld Spuren hinterlassen. Schliesslich widerspiegeln die Charakteristiken des Berufsfeldes auch schweizerische Besonderheiten wie etwa den ausgeprägten Föderalismus oder den Konflikt und die Interdependenz zwischen Berggebieten und Unterland. An den Rekonstruktionen des idealtypischen Bildes des charismatischen Bergführers und des Berufsverständnisses heutiger Bergführerinnen und Bergführer wird deutlich, wie das Berufsfeld im weitesten Sinne darum bemüht war und ist, Tradition herzustellen und zu bewahren. Sowohl die Entstehung des institutionalisierten Charismas wie auch die heutige Erneuerung des Charismas basieren massgeblich auf der Erfindung von und dem Rekurs auf Tradition. Dies fällt etwa in Kontrast zum ebenfalls maskulin codierten und charismatisierten Beruf des Theaterregisseurs auf, für dessen (Re-)Charismatisierung die permanente Erneuerung und der ständige Wandel konstitutiv sind.9 Die Beschreibung der Entwicklung des mit staatlichen Reglementierungen, verbindlichen Ausbildungen und mächtigen Berufsverbänden stark formalisierten Berufsfeldes verdeutlichte aber auch, wie dieses seit jeher auf wirtschaftliche, gesellschaftliche und technische Neuerungen reagierte und sich diesen anpasste beziehungsweise sie integrierte. Diese Gleichzeitigkeit von Bewahrung und Erneuerung zielt letztlich auf den Erhalt des Berufs, dessen Schutz vor ›Bedrohungen‹ von aussen (etwa durch andere Sportarten oder Bergführer aus anderen Nationen) oder von innen (durch neue Berufsakteure wie Städter und Frauen) wie auch auf die Bewahrung von dessen Charisma. Deutlich wird diese Gleichzeitigkeit beispielsweise an der Veränderung der Organisation und der Inhalte der Bergführerausbildung. Die ursprünglich als staatliche Prüfung konzipierten, wenige Tage dauernden Kurse entwickelten sich innerhalb von rund hundert Jahren zu einer dreijährigen, eidgenössisch anerkannten modularen Ausbildung, die auf den ersten Blick nichts mehr mit den ersten Kursen gemeinsam hat. Die Ausbildung wurde nicht nur länger, auch ihre Inhalte vervielfältigten sich. Die Tendenz zur Bewahrung zeigt sich etwa daran,

9

Vgl. Hänzi (2013).

 

8 S CHLUSSBETRACHTUNG | 391

dass die dreijährige modulare Ausbildung nach wie vor kursartig und äusserst praxisnah konzipiert ist und die einzelnen Kurse Prüfungscharakter haben. Inhaltlich manifestiert sich die Tendenz darin, dass das ›klassische‹ Bergsteigen nach wie vor als Königsdisziplin gilt und neuere Sportarten, Techniken und auch Geräte selektiv, teilweise stark verzögert und nicht selten gegen vehemente Widerstände in die Ausbildung aufgenommen wurden. Ein zweites Beispiel für die Gleichzeitigkeit von Erneuerung und Bewahrung besteht im Umgang mit dem Eintritt neuer Personengruppen, wie Unterländern und Frauen, in den Beruf. Lange Zeit war der Beruf Berglern vorbehalten; Unterländer waren nicht besonders erwünscht, Frauen wurde der Zugang bis in die 1980er-Jahre gar formell verweigert. Dass beide ›Gruppen‹ heute zugelassen sind, ist auf gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen, denen sich das Berufsfeld nicht verschliessen konnte. Interessant ist, dass sich die Tendenz zur Bewahrung trotz der Erneuerung noch heute in Deutungen niederschlägt, die im Feld kursieren. Dabei ist eine deutende Inklusion ursprünglich vom Führerberuf ausgeschlossener Personengruppen festzustellen, welche die Grundfeste bisheriger Deutungen unangetastet lässt. Diese zeigt sich etwa in der Aussage, Unterländer, die »voll« führten, würden sich »im Denken« nicht von Berglern unterscheiden. Auch wenn die Haltung vertreten wird, Bergführerinnen seien eine Art Mannweiber oder Frauen eigneten sich aufgrund ihrer angeblichen Geduld und ihres Einfühlungsvermögens besonders für das Führen bedürftiger Gäste, ist es in diesem Sinne zu lesen. In beiden Beispielen findet die Inklusion so statt, dass das althergebrachte Bild – der idealtypische Bergführer als Mann aus den Bergen – davon nicht allzu sehr tangiert wird. Dem Geiste der Bewahrung verpflichtet, zielen diese deutenden Inklusionen letztlich auch auf den Erhalt des Charismas, das durch den Eintritt von Unterländern und Frauen tendenziell gefährdet sein dürfte. Die Gleichzeitigkeit von Erneuerung und Bewahrung lässt sich auch an den im Feld kursierenden diskursiven Elemente und Deutungsmuster beobachten. Verschiedene zentrale Elemente, die historisch mit dem Bergsteigen und dem Bergführer in Zusammenhang gebracht wurden, haben – wie aufgezeigt wurde – bis heute in transformierter Form überdauert. Die Gleichzeitigkeit zeigt sich gerade auch an der Art, wie die Re-Charismatisierung, die Erneuerung des Charismas durch die Interviewten erfolgt. Der »konservative Modernismus«, der bei Alphons Beer festgestellt wurde, gilt zwar bei weitem nicht für alle Interviewten. Anhand der genannten Beispiele wird aber deutlich, dass er das Berufsfeld an sich charakterisiert. Den Konservatismus zeichnet gemäss Mannheim aus, dass sich das vorherrschende Denken nicht vorwärts orientiert, es leitet sich vielmehr aus dem »hinter uns Liegende[n]« ab, das zum einen »im Sinne des zeitlich Vorangehenden, des in der

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Vergangenheit Liegenden« verstanden werden kann und zum anderen im Sinne »des ›Keimes‹, des ›Wesenskerns‹, als dessen Entfaltung jedes Besondere erscheint«.10 Charakteristisch für den das Berufsfeld auszeichnenden »konservativen Modernismus« ist, dass dieses »hinter uns Liegende«, welches das Denken prägt, traditionalisiert wird.11 Weiter fällt auf, dass trotz dieser Rückwärtsorientierung Modernisierungen in kontrolliertem und beschränktem Masse – manchmal auch lediglich, weil sie unausweichlich erscheinen – vorgenommen werden. In den vergangenen Jahren sind verschiedene Publikationen zum Alpinismus in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern, zu Frauen im frühen Alpinismus, zur Geschichte verschiedener Alpen-Clubs sowie zur alpinen Literatur erschienen. Bergführer werden dabei meist erwähnt, kaum aber in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die vorliegende Studie greift diese Forschungslücke auf. Mit ihrem breiten Erkenntnisinteresse, den Fragestellungen und der Kombination verschiedener methodischer Zugänge konnte sie einige wesentliche Aspekte herausarbeiten. Andere, die es ebenfalls wert wären, untersucht zu werden, konnten nur gestreift werden oder mussten ganz unberücksichtigt bleiben. Drei davon bieten sich für weitere Analysen besonders an, da sie die vorliegenden Befunde ergänzen und zu einem besseren Verständnis des Phänomens beitragen dürften. Erstens drängt sich ein fundierter Vergleich der Geschichte sowie der gesellschaftlichen und nationalen Bedeutung des Bergführers in der Schweiz mit jenen in anderen europäischen Ländern auf. Feldbeobachtungen lassen vermuten, dass Bergführer etwa in der italienischen, französischen und österreichischen Alpenregion für die lokale und regionale Identität von Bedeutung sind und eine gewisse Charismatisierung erfahren, dass ihre nationale Bedeutung jedoch marginal ist.12 Zweitens verspricht gerade aus geschlechtersoziologischer Sicht ein Vergleich des Bergführerberufs mit anderen männerdominierten, maskulin codierten und mit Charisma behafteten Berufen besonders spannende Erkenntnisse. Weitgehend ausgeklammert wurde drittens die Veränderung der Fremdwahrnehmung des Bergführers. In dieser Studie wurde einerseits das Fremd- und teilweise auch das Selbstbild des Bergführers untersucht, wie es in den (Auto-) Biografien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erscheint, andererseits das Selbstverständnis heutiger Bergführerinnen und Bergführer. Über das heutige

10 Mannheim (1984 [1925]: 120). 11 Zum Unterschied von Traditionalismus und Konservatismus vgl. Mannheim (1984 [1925]: 92 ff.). 12 Für die lokale und regionale Bedeutung sprechen Alpinismus- und Bergführermuseen, die in bekannten Bergsteigerorten wie Chamonix (Frankreich), aber auch in kleinen Dörfern wie etwa in Balme im Piemont (Italien) anzutreffen sind.

 

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Bild des Berufs in der Gesellschaft wurden zwar Vermutungen angestellt, es wurde aber nicht systematisch rekonstruiert. Eine genauere Analyse des zu beobachtenden hohen Ansehens des Berufs in der öffentlichen Wahrnehmung sowie der auffallend starken medialen Präsenz des Bergsteigens und der Bergführer verspricht erhellende Erkenntnisse zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Tendenzen sowie geltenden Normen und Werten. Darauf deutet beispielswiese folgende Einführung des Sprechers einer fünfteiligen Sendung hin, die im Westschweizer Fernsehen im Jahr 2003/2004 ausgestrahlt wurde und in der angehende Bergführerinnen und Bergführer durch die Ausbildung begleitet wurden: »Au départ de cette longue et tortueuse arête, ils sont une soixantaine. Soixante compagnons de cordé qui partagent le même rêve: devenir guide de montagne. Comment expliquer une telle attirance pour cet univers du vide et de l’altitude? Comment expliquer une telle fascination pour un métier aussi dur, un métier qui vous met au gré de la fortune et exigera constamment de vous un engagement physique et moral sans faille?«13

13 »Am Anfang dieses langen und verwundenen Grates sind sie etwa sechzig. Sechzig Seilkameraden, die denselben Traum teilen: Bergführer zu werden. Wie lässt sich eine solche Anziehung durch dieses Universum der Leere und der Höhe erklären? Wie lässt sich eine solche Faszination für einen derart harten Beruf erklären, einen Beruf, der einen den Launen des Schicksals aussetzt und einem unaufhörlich einen unerbittlichen körperlichen und moralischen Einsatz abverlangt?« (Film »Profession: Guide de montagne« 2003).



Dank

Verschiedene Personen und Organisationen haben unverzichtbare Beiträge zur Entstehung dieses Buches geleistet. Ihnen allen möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen. Zunächst danke ich den Bergführerinnen und Bergführern, die mir Einblick in ihr Leben gewährten, indem sie sich für Interviews zur Verfügung stellten, mir in informellen Gesprächen aus ihrem Berufsalltag erzählten oder mich gar daran teilhaben liessen. Wolfgang Wörnhard, Peter Kimmig, Daniel Anker und die Präsidentinnen und Präsidenten zahlreicher kantonaler Bergführerverbände sowie des IVBV haben mich mit wichtigen Informationen zum Bergführerberuf und zum Alpinismus versorgt. Ein besonderer Dank gebührt Claudia Honegger. Sie hat nicht nur mein Interesse an der Soziologie massgeblich geprägt, sondern betreute auch die vorliegende Arbeit. Immer wieder ermutigte sie mich weiterzugehen, und wies in entscheidenden Momenten mit kleinen Fingerzeigen die Richtung, in die ich dies tun könnte. Michael Meuser danke ich für sein Interesse dem Thema gegenüber und seine Bereitschaft, die Dissertation als Zweitgutachter zu betreuen. Ulrich Oevermann führte am Institut für Soziologie der Universität Bern Methodenseminare durch, in denen ich mir unverzichtbares methodisches Rüstzeug aneignen konnte. Priscilla Parkhurst Ferguson ermöglichte mir einen lehrreichen Aufenthalt als Visiting Scholar an der Columbia University in New York. Das vorliegende Projekt entstand im Rahmen des Graduiertenkollegs »Gender: Scripts and Prescripts« der Universitäten Bern und Fribourg, das von 2005 bis 2009 stattfand. Die Teilnahme an diesem Kolleg ermöglichte mir den Austausch in einem interdisziplinären wissenschaftlichen Kontext. Die Diskussionen, die in den zahlreichen Veranstaltungen stattfanden, und die Anregungen, die ich zu meinem Projekt erhielt, empfand ich als sehr bereichernd. Ich danke sämtlichen Mitgliedern der Trägerschaft für ihr Engagement, besonders Margret Bridges, Claudia Honegger, Brigitte Studer, Doris Wastl-Walter, Heinzpeter Znoj, der Leiterin des IZFG Brigitte Schnegg und der Projektleiterin Christa

 

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Binswanger. Den Kollegiatinnen und Kollegiaten Nadia Baghdadi, Susanne Balmer, Nadine Boucherin, Bettina Büchler, Serena Dankwa, Magali Delaloye, Denis Haenzi, Miko Iso, Christine Knauss, Sara Landolt, Tanja Rietmann, Sonja Matter, Bernhard Schär, Anja Sieber, Katharina Thurnheer, Natascha Vittorelli, Merve Winter und Kathrin Zehnder verdanke ich spannende Diskussionen, Anregungen, Literaturhinweise und Tipps aus der Perspektive anderer Disziplinen. Drei Jahre lang war das Projekt Teil des vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten und von Claudia Honegger geleiteten ProDoc-Forschungsmoduls »Charisma at Work. Masculinity, Profession and Identity«, das zusammen mit anderen Projekten des Graduiertenkollegs Teil des ProDoc-Ausbildungsmoduls »Gender: Scripts and Prescripts« war. Ohne die grosszügige finanzielle Unterstützung durch den Schweizerischen Nationalfonds, für die ich mich herzlich bedanke, wäre die Arbeit kaum zustande gekommen. Mit Denis Hänzi, dessen Dissertation zum Beruf der Theaterregie Teil des ProDoc-Forschungsmoduls »Charisma at Work« war, verbindet mich eine intensive, in jeder Hinsicht bereichernde Zusammenarbeit in mehreren Forschungsprojekten. Auf dem Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Manuskript konnte ich auf Hinweise, Anregungen und Beiträge folgender Personen zählen, denen ich allen herzlich danke: Marco Bomio, Corina Caduff, Muriel Degen, Christina Frosio, Ivan Frosio, David Landolf, Damien Michelet, Tanja Rietmann, Marianne Rychner, Hilde Schäffler, Peter Schallberger, Simone Suter und Larissa Troesch. Danica Zurbriggen stellte wichtige Kontakte zum Forschungsfeld her und wurde zur Seil- und Diskussionspartnerin, mit der ich unvergessliche Momente erlebte. Andrea Glauser verdanke ich unverzichtbare Kommentare und Hinweise zum ganzen Manuskript. Iudith Kaspar danke ich für das Lektorat. Für erhellende Analysesitzungen zu einzelnen Interviewpassagen danke ich den Mitgliedern der Studiengruppe für objektiv-hermeneutische Fallanalysen (SOFA) des Instituts für Soziologie der Universität Bern und der Forschungswerkstatt der Pädagogischen Hochschule PHBern. Den Mitarbeitenden des transcript Verlags sowie der Herausgeberschaft der Reihe »Materialitäten«, Gabriele Klein, Martina Löw und Michael Meuser, danke ich für die Publikation des Buches und dem Schweizerischen Nationalfonds sowie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern für die Publikationsbeiträge. Ruth Hungerbühler-Hug, Karl Hungerbühler und Jürg Arpagaus haben mich in diesem wie auch in anderen Vorhaben vorbehaltlos unterstützt. Ihnen und Anatol Hungerbühler danke ich ganz besonders.

 



Abkürzungsverzeichnis

ALLGEMEINE ABKÜRZUNGEN ABMSAC AEB AGMP ANAG ARS AV AVGM BBG BBT BF BG BGE BIGA BR BUWAL BV VS Saas CAF CAI CC CEO C.P.R. DAV DDR DEH DÖAV DV

Association of British Members of the Swiss Alpine Club Arbeitsgruppe Expertisen bei Bergunfällen Asociación de Guías de Montañas del Perú Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern Alpine Rettung Schweiz Abgeordneten-Versammlung Association Vaudoise des Guides de Montagne Bundesgesetzt über die Berufsbildung Bundesamt für Berufsbildung und Technologie Bergführer Bergführergesetz Bundesgerichtsentscheid Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Bergführerreglement Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Sektion Saastal des Walliser Bergführerverbands Club Alpin Français Club Alpino Italiano Central-Comité des SAC Chief Executive Officer Canadian Pacific Railway Deutscher Alpenverein Deutsche Demokratische Republik Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe Deutscher und Österreichischer Alpenverein Delegiertenversammlung

 

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EAK ETH FA FFCAM FHD GSoA HBB IKAR IKBK IKBV IVBV J+S JO MFD NZZ ÖAV PK Rega SAC SBB SBF SBFI SBV SFAC SNGM TK TL UEK UIAA VBS VDBS VÖBS VSB ZGKS

Eidgenössischen Ausländerkommission Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich Fachausweis Fédération française des clubs alpins et de montagne Frauenhilfsdienst Gruppe für eine Schweiz ohne Armee Höhere Berufsbildung Internationale Kommission für alpines Rettungswesen Interkantonale Bergführer-Kommission Interkantonaler Bergführerverband Internationale Vereinigung der Bergführerverbände Jugend und Sport Jugendorganisation des SAC Militärischer Frauendienst Neue Zürcher Zeitung Österreichischer Alpenverein Prüfungskommission des SBV Schweizerische Rettungsflugwacht Schweizer Alpen-Club Schweizerische Bundesbahnen Staatssekretariat für Bildung und Forschung Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation Schweizer Bergführerverband Schweizer Frauen-Alpen-Club Syndicat national des guides de montagnes Technische Kommission des SBV Technischer Leiter der Bergführerausbildung des SBV Unabhängige Expertenkommission Schweiz–Zweiter Weltkrieg Union Internationale des Associations d‘Alpinisme Verband Bergsportschulen Schweiz Verband Deutscher Berg- und Skiführer Verband der Österreichischen Berg- und Schiführer Verband Schweizerischer Bergführer Zentrale Gebirgskampfschule

 

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ABKÜRZUNGEN VON D OKUMENTEN , G ESETZEN UND P ERIODIKA AB BSG GR Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über das Berg- und Schneesportwesen des Kantons Graubünden BB GL Beschluss über das Bergführerwesen des Kantons Glarus BG VS Gesetz über die Ausübung der Bergführer-, Schneesportlehrerund Wanderleiterberufe sowie das gewerbsmässige Anbieten von Sportaktivitäten mit erhöhten Sicherheitsanforderungen, Kanton Wallis BR BE Bergführerreglement Kanton Bern BR GR Bergführerreglement Kanton Graubünden BR OW Bergführerreglement Kanton Obwalden BR UR Bergführerreglement Kanton Uri BR VS Bergführerreglement Kanton Wallis BSG GR Gesetz über das Berg- und Schneesportwesen des Kantons Graubünden BT UR Tarife für Bergführer und Bergführeranwärter im Kanton Uri BV AI Verordnung über das Bergführerwesen des Kantons Appenzell Innerrhoden BV VS Verordnung über die Ausübung der Bergführer-, Schneesportlehrer- und Wanderleiterberufe sowie das gewerbsmässige Anbieten von Sportaktivitäten mit erhöhten Sicherheitsanforderungen, Kanton Wallis Die Alpen Die Alpen. Monatsschrift/Zeitschrift des Schweizer Alpenclub Die Alpen Chr Die Alpen. Chronik des S.A.C. und kleine Mitteilungen (ab 1957 Monatsbulletin des Schweizer Alpen-Club Die Alpen Mb Die Alpen. Monatsbulletin des Schweizer Alpen-Club DV GR Departementsverfügung, Kanton Graubünden HGG Gesetz über Handel und Gewerbe des Kantons Bern HGV Verordnung über Handel und Gewerbe des Kantons Bern LEAE Loi sur l’exercice des activités économiques, Kanton Waadt LG VS Loi sur l’exercice des professions de guide de montagne, de professeur de sports de neige et d’accompagnateur en montagne, ainsi que sur l’offre commerciale d’activités sportives nécessitant des exigences élevées en matière de sécurité, Kanton Wallis OG VS Ordonnance sur l’exercice des professions de guide de montagne, de professeur de sports de neige et d’accompagnateur en montagne, ainsi que sur l’offre commerciale d’activités sportives

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RLEAE RSports

VSB UR

nécessitant des exigences élevées en matière de sécurité, Kanton Wallis Règlement d’application de la loi du 31 mai 2005 sur l’exercice des activités économiques, Kanton Waadt Règlement sur les maîtres de sports de neige, les guides de montagne, les accompagneurs en montagne, les écoles et les entreprises proposant ces activités, Kanton Waadt Verordnung über das Skilehrer- und Bergführerwesen, Kanton Uri

 



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der nationalen Geschichtsschreibung der Schweiz. Basel/Frankfurt/M.: Helbing & Lichtenhahn. Weishaupt, Matthias (1998): Bruderliebe und Heldentod. Geschichtsbilder und Geschichtskultur in Festreden am schweizerischen Schützenfest in Glarus 1847, in: Andreas Ernst et al. (Hg.): Revolution und Innovation. Die konfliktreiche Entstehung des schweizerischen Bundesstaates von 1848. Zürich: Chronos, 61-79. Welskopf-Henrich, Liselotte (1954): Der Bergführer. Erzählung. Halle: Mitteldeutscher Verlag. Welskopp, Thomas (1995): Leben im Rhythmus der Hütte. Geschlechterbeziehungen in Stahlarbeitergemeinden des Ruhrgebiets und Pennsylvanias, 18901920, in: Westfälische Forschungen, 45, 205-241. Wernet, Andreas (2000): Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. Opladen: Leske + Budrich. West, Candace; Don H. Zimmerman (1991): Doing Gender, in: Judith Lorber; Susan A. Farrell (Hg.): The Social Construction of Gender. London: Sage, 13-37. Wetterer, Angelika (2002): Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion. »Gender at Work« in theoretischer und historischer Perspektive. Konstanz: UVK. Wetterer, Angelika (Hg.) (1992): Profession und Geschlecht. Über die Marginalität von Frauen in hochqualifizierten Berufen. Frankfurt/M./New York: Campus. Whymper, Edward (1871): Scrambles amongst the Alps in the Years 1860-1869. London: Murray. Wieland, Karin (1998): Worte und Blut. Das männliche Selbst im Übergang zur Neuzeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Wildenauer, Alois (1948): Der Ruf der Berge. Wien: Mayer. Willy, Anton (1936): Bergführer Martin Schocher. 1850-1916. Eine Lebensskizze. St. Moritz: Ebner. Winker, Gabriele; Nina Degele (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript. Wirz, Albert (2000): Innerer und äusserer Wald. Zur moralischen Ökologie der Kolonisierenden, in: Michael Flitner (Hg): Der deutsche Tropenwald. Bilder, Mythen, Politik. Frankfurt/M./New York: Campus, 23-48. Wirz, Tanja (2007a): Gipfelstürmerinnen. Eine Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz 1840-1940. Baden: hier + jetzt. Wirz, Tanja (2007b): Als der SAC die Frauen ausschloss, in: Die Alpen, 7/2007, 28-33.

 

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Wörnhard, Wolfgang (1998): Der Bergführerverband auf dem Weg zu einem Leitbild, in: Berg & Ski, 1/1992, 6. Wörnhard, Wolfgang (2003): Heliskiing – beibehalten oder abschaffen?, in: Berg & Ski, 2/2003, 13. Wyder, Theodor (1987): Finsteraarhorn. Von der Erstbesteigung zum Gipfelkreuz. Disentis: Desertina. Yuval-Davis, Nira (2001): Geschlecht und Nation. Emmendingen: die brotsuppe. Zeller, Rosmarie (2006): Heidi, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), www.hls-dhs-dss.ch [Stand: 10.6.2012]. Zimmer, Jochen (1984): »Mit uns zieht die neue Zeit…« Die Naturfreunde. Zur Geschichte eines alternativen Verbandes in der Arbeiterkulturbewegung. Köln: Pahl-Rugenstein. Zimmer, Jochen (1987): Soziales Wandern. Zur proletarischen Naturaneignung, in: Franz-Josef Brüggemeier; Thomas Rommelspacher (Hg.): Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert. München: C. H. Beck, 158-168. Zimmer, Oliver (1998): In Search of Natural Identity. Alpine Landscape and the Reconstruction of the Swiss Nation, in: Comparative Studies in Society and History, 40, 637-665. Zimmermann, Yvonne (2001): Vom Berg- zum Heimatfilm: Zur Auswertungsgeschichte von Eduard Probsts Bergführer Lorenz (CH 1942/43), in: Vinzenz Hediger; Jan Sahli; Alexandra Schneider; Margrit Tröhler (Hg.): Home Stories. Neue Studien zu Film und Kino in der Schweiz. Marburg: Schüren, 4554. Zimmermann, Yvonne (2005): Bergführer Lorenz. Karriere eines missglückten Films. Marburg: Schüren. Zopfi, Emil (2002): Steinschlag. Zürich: Limmat. Zopfi, Emil (2009): Dichter am Berg. Alpine Literatur aus der Schweiz. Zürich: AS. Zopfi, Emil (2010): Ein Dokument ersten Ranges in der Geschichte des Alpinismus, in: Christian Klucker: Erinnerungen eines Bergführers. Zürich: AS, 6-29. Zryd, Alfred (1969 [1936]): Kletterei am Mittagshorn, in: Samuel Brawand et al.: Schweizer Bergführer erzählen. Zürich: Orell Füssli, 18-22. Zumoberhaus, Daniel (2005): Mit Bundesrat Deiss auf dem höchsten Schweizer Gipfel. Tages-Anzeiger, 3. August 2005. Zurbriggen, Matthias (1937): Von den Alpen zu den Anden. Lebenserinnerungen eines Bergführers. Berlin: Union Deutsche Verlagsgesellschaft.

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V EREINS -

UND

V ERBANDSZEITSCHRIFTEN

Jahrbuch des Schweizer Alpenclub, 1864-1923, »Jahrbuch SAC« Alpina. Mitteilungen des Schweizer Alpen-Club, 1893-1924, »Alpina« Die Alpen. Chronik des S.A.C. und kleine Mitteilungen, 1925-1956. 1957-1995 lautet der Untertitel: Monatsbulletin des Schweizer Alpen-Club, »Die Alpen Chr«/»Die Alpen Mb« Die Alpen. Monatsschrift des Schweizer Alpenclub, 1925-1953. 1954-2010 lautet der Untertitel neu: Zeitschrift des Schweizer Alpenclub, »Die Alpen« Ski- + Surflehrer, 1982-1983, »Ski- + Surflehrer« Skilehrer + Bergführer, 1983-1990, »Skilehrer + Bergführer« Berg und Ski/Berg & Ski2, 1991-2010, »Berg und Ski«/»Berg & Ski«

ARCHIVALIEN

DES

S CHWEIZER B ERGFÜHRERVERBANDS

Bericht des SBV betreffend die Ausbildung peruanischer Aspiranten in der Schweiz vom 24. Mai bis 24. Juli 1979 (»Bericht Alpen-Anden 1979«), Staatsarchiv Wallis3, Boite 2.10 Protokolle der Abgeordnetenversammlungen des SBV vom: − 13. November 1949, »Protokoll AV SBV 1949«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.3 − 22. Oktober 1950, »Protokoll AV SBV 1950«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.3 − 13. November 1954, »Protokoll AV SBV 1954«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.4 Protokolle der Delegiertenversammlung des SBV vom: − 10. November 1956, »Protokoll DV SBV 1956«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.5 − 11. November 1967, »Protokoll DV SBV 1967«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.7 − 16. November 1968, »Protokoll DV SBV 1968«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.7 − 21. November 1970, »Protokoll DV SBV 1970«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.7

2

Die Zeitschrift heisst von Ausgabe 1/1991 bis 4/1996 »Berg & Ski«, von Ausgabe 1/1997 bis 4/1998 »Berg und Ski« und ab Ausgabe 1/1999 wieder »Berg & Ski«.

3

Staatsarchiv des Kantons Wallis, Sion.

 

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− 17. November 1973, »Protokoll DV SBV 1973«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.8 − 16. November 1974, »Protokoll DV SBV 1974«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.8 − 15. November 1975, »Protokoll DV SBV 1975«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.8 − 19. November 1977, »Protokoll DV SBV 1977«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.9 − 18. November 1978, »Protokoll DV SBV 1978«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.9 − 17. November 1979, »Protokoll DV SBV 1979«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.10 − 17. November 1980, »Protokoll DV SBV 1980«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.10 − 19. November 1988, »Protokoll DV SBV 1988«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.17 − 18. November 2006, »Protokoll DV SBV 2006«, www.4000plus.ch [Stand: 10.6.2012] Protokoll der Gründungsversammlung des SAC-Bergführerverbandes vom 20. November 1971, »Protokoll BV SAC 1971«, Boite 1.9 Protokoll der Präsidentenkonferenz des SBV vom 7. Oktober 1991, »Protokoll Präsidentenkonferenz SBV 1991«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.20 Protokoll der Sitzung der interkantonalen Bergführer-Kommission vom 18. September 1981, »Protokoll IKBK 1981«, Staatsarchiv Wallis, Boite 4.10 Protokoll der Zusammenkunft der Patentkantone vom 18. September 1968, »Protokoll Zusammenkunft 1968«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.7 Jahresberichte des Präsidenten des SBV: − 1955/56, »Jahresbericht SBV 1955/56«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.21 − 1968, »Jahresbericht SBV 1968«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.21 − 1972, »Jahresbericht SBV 1972«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.21 − 1974, »Jahresbericht SBV 1974«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.21 − 1976, »Jahresbericht SBV 1976«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.22 − 1977, »Jahresbericht SBV 1977«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.22 − 1979, »Jahresbericht SBV 1979«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.22 − 1983, »Jahresbericht SBV 1983«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.10 − 1987, »Jahresbericht SBV 1987«, Skilehrer + Bergführer, 68/1987: 19 − 1988, »Jahresbericht SBV 1988«, Skilehrer + Bergführer, 72/1988: 14 − 1989, »Jahresbericht SBV 1989«, Staatsarchiv Wallis, Boite 2.18

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− 2005, »Jahresbericht SBV 2005«, www.4000plus.ch [Stand: 10.6.2012] − 2006, »Jahresbericht SBV 2006«, www.4000plus.ch [Stand: 10.6.2012]

R ECHTSQUELLEN Bund Bundesgerichtsentscheid vom 13. Dezember 1977, »BGE 103 Ia 544« Bundesgesetz über das Bergführerwesen und das Anbieten von Risikoaktivitäten vom 17. Dezember 2010, Referendumsvorlage, »Bundesgesetz Bergführer 2010«, www.admin.ch [Stand: 8.6.2012] Bundesgesetz über die Berufsbildung vom 13. Dezember 2992, Stand am 1. Januar 2008 (BBG, 412.1), »BBG 2008« Reglement über die Durchführung der Berufsprüfung für Bergführer oder Bergführerinnen vom 3.1.1993, »Reglement BF BIGA 1993« Reglement über die Erteilung des eidgenössischen Fachausweises als Bergführer oder Bergführerin vom 16. September 2002, »Reglement FA BF 2002« Verordnung über »Jugend und Sport« vom 28. Juni 1972, »Verordnung J+S 1972«, Staatsarchiv Wallis, Boite 1.13 Kanton Appenzell Innerrhoden Verordnung über das Bergführerwesen des Kantons Appenzell Innerrhoden vom 18. März 1974; mit Revision vom 31. Oktober 2005, »BV AI 1974«, 935.210 Kanton Bern Bergführerverordnung des Kantons Bern vom 29. Oktober 1997, »BergV«, BSG 935.221 Gesetz über Handel und Gewerbe des Kantons Bern vom 4. November 1992; mit Änderungen vom 12. Juni 2006, »HGG«, BSG 930.1 Reglement für die Bergführer und Träger vom 12. Mai 1856, »BR BE 1856« Verordnung über Handel und Gewerbe des Kantons Bern vom 24. Januar 2007, »HGV«, BSG 930.11 Kanton Glarus Bergführer-Reglement der Sektion Tödi SAC vom 6. November 1993, »BR Tödi 1993« Beschluss über das Bergführerwesen des Kantons Glarus vom 11. Januar 1971, »BB GL 1971«, IX C/2

 

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Reglement und Spezial-Tarif für das Führer-Corps der Sektion Tödi 1875 und 1892, »BR Tödi 1875« Kanton Graubünden Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über das Berg- und Schneesportwesen des Kantons Graubünden vom 7. September 2004, »AB BSG GR 2004« Departementsverfügung vom 14. Oktober 2004, »DV GR 2004« Entwurf für ein Reglement für die Bergführer des Kantons Graubünden vom 23. Februar 1872, »BR GR 1872«, Philipp/Matossi (1996: 31f.) Führer-Reglement für den Kanton Graubünden vom 30. Mai 1902, »BR GR 1902« Gesetz betreffend das Führerwesen vom 1. Januar 1908, »BG GR 1908« Gesetz über das Berg- und Schneesportwesen des Kantons Graubünden vom 26. November 2000, »BSG GR 2000«, 947.100 Reglement für das Bergführer-Corps in Chur 1873, »BR Chur 1873«, Philipp/Matossi (1996: 34) Kanton Uri Reglement für die Bergführer und Führeranwärter im Kanton Uri vom 19. Juli 1982; Stand am 1. Januar 2007, »BR UR 1982«, 70.2322 Reglement für die urnerischen Bergführer von 1888, »BR UR 1888« Statuten des Bergführervereins Uri vom 3. Juni 1916, »Statuten BV Uri 1916« Tarife für Bergführer und Bergführeranwärter im Kanton Uri vom 21. November 1994; Stand am 1. Januar 2007, »BT UR 1994«, 70.2325 Verordnung über das Skilehrer- und Bergführerwesen vom 12. Dezember 1979; Stand am 1. Januar 2007, »VSB UR 1979«, 70.2321 Kanton Obwalden Reglement betreffend Ausübung des Bergführer- und Träger-Berufes im Kanton Unterwalden ob dem Wald, 1905, »BR OW 1905« Kanton Waadt Loi sur l’exercice des activités économiques,»LEAE«, 930.01 Règlement d’application de la loi du 31 mai 2005 sur l’exercice des activités économiques, »RLEAE«, 930.01.1 Règlement sur les maîtres de sports de neige, les guides de montagne, les accompagneurs en montagne, les écoles et les entreprises proposant ces activités vom 6. Juni 2007, »RSports«, 935.25.1

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Kanton Wallis Gesetz über die Ausübung der Bergführer-, Schneesportlehrer- und Wanderleiterberufe sowie das gewerbsmässige Anbieten von Sportaktivitäten mit erhöhten Sicherheitsanforderungen vom 11. Oktober 2007, »BG VS 2007« Loi sur l’exercice des professions de guide de montagne, de professeur de sports de neige et d’accompagnateur en montagne, ainsi que sur l’offre commerciale d’activités sportives nécessitant des exigences élevées en matière de sécurité du 11 octobre 2007, »LG VS 2007« Ordonnance sur l’exercice des professions de guide de montagne, de professeur de sports de neige et d’accompagnateur en montagne, ainsi que sur l’offre commerciale d’activités sportives nécessitant des exigences élevées en matière de sécurité du 15 avril 2008, »OG VS 2008« Reglement für die Führer-Gesellschaften in Wallis vom 26. Mai 1857, »BR VS 1857«, vgl. Fietz (1954: 22ff.) Verordnung über die Ausübung der Bergführer-, Schneesportlehrer- und Wanderleiterberufe sowie das gewerbsmässige Anbieten von Sportaktivitäten mit erhöhten Sicherheitsanforderungen vom 15. April 2008, »BV VS 2008« Schweizer Alpen-Club (SAC) Reglement für die Bergführer des SAC vom 2. Oktober 1976, »Reglement BF SAC 1976«, Die Alpen Mb (1976: 127ff.) Reglement über die Führerkurse und die Erteilung der Führerdiplome des S.A.C. von 1899, »Reglement BF SAC 1899«, Alpina (1899: 65ff.) Reglement über die Kurse und die Diplomierung von Bergführern und Skiführern des S.A.C. vom 12. September 1925, »Reglement BF SAC 1925«, Alpina (1925: 193ff.) Reglement über die Kurse und die Diplomierung von Bergführern und Skiführern des S.A.C. vom 12. September 1925, revidierte Fassung vom 16. Oktober 1937, »Reglement BF SAC 1937« Reglement über die Kurse und die Diplomierung von Bergführern und Skiführern des S.A.C. vom 12. September 1925, revidierte Fassung vom 28. August 1943, »Reglement BF SAC 1943«, Die Alpen Chr (1943: 160ff.) Reglement über die Kurse und die Diplomierung von Bergführern und Skiführern des S.A.C. vom 12. September 1925, revidierte Fassung von 1965, »Reglement BF SAC 1965«, Die Alpen Mb (1965: 29ff.) Skiführer-Reglement des S.A.C. vom 13. September 1913, »SkiführerReglement SAC 1913«, Alpina (1914: 15ff.) Statuten des Schweizer-Alpen-Club vom 2. September 1866, »Statuten SAC 1866«, SNL V Schweiz 85 Statuten

 

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Q UELLENVERZEICHNIS | 441

Schweizer Bergführerverband (SBV) Reglement »Fortbildungskurse Bergführer« des Schweizer Bergführerverbands vom 13. November 2004; Stand: 1. Februar 2010, »Fortbildungsreglement SBV 2010«, www.4000plus.ch [Stand: 9.6.2012] Statuten des Schweizer Bergführerverbands (SBV) vom 20. November 1999, »Statuten SBV 1999« Statuten des Schweizer Bergführerverbands (SBV) vom 20. November 1999; Stand: 3. Dezember 2011, »Statuten SBV 2011« Wegleitung zum Reglement über die Erteilung des eidgenössischen Fachausweises als Bergführer oder Bergführerin vom 1. Dezember 2004, revidierte Fassung vom 18.12.2010, »Wegleitung FA BF 2010«, www.4000plus.ch [Stand: 8.6.2012] Internationale Vereinigung der Bergführerverbände (IVBV) Statuten der Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände (IVBV) vom 22. Oktober 1966; Stand: 29. November 2008, »Statuten IVBV«

F ILME Bergführer Lorenz, 1942/43: Praesens-Film AG, Zürich, restaurierte Fassung von 2005 (R: Eduard Probst). Der Berg ruft, 1937/38: Luis Trenker-Film GmbH, Berlin (R: Luis Trenker). Der Bergführer, 1917: Schweizer Express Films Co., Basel (R: Eduard Bienz). Die Bergführer – Drei Seilschaften, drei Gipfel, drei Abenteuer, 2008: DOKFilm, Schweizer Fernsehen, Zürich (R: Frank Senn; Kurt Frischknecht). Die Bergretter – Unterwegs mit der Air Zermatt, 2007: DOK-Film in 7 Teilen, Schweizer Fernsehen, Zürich (R: Frank Senn). Die Bergretter im Himalaya, 2011: DOK-Film in 3 Teilen, Schweizer Fernsehen, Zürich (R: Frank Senn). Heldin der Lüfte, 2008: Schweizer Fernsehen, Zürich (R: Michael C. Huber). Nicole Niquille. Guide de montagne. Un visage. Une voix. Une vie, 1987: Association Plans-Fixes, Yverdon-les-Bains (R: Jean Mayerat). Profession: Guide de montagne, 2003: DOK-Film in 5 Teilen, Télévision Suisse Romande/Arte G.E.I.E., Genf/Lausanne (R: Benoît Aymon; Pierre-Antoine Hiroz). Rega 10, bitte kommen – 1 Jahr auf der Heli-Basis Gsteigwiler, 2002: DOKFilm, Schweizer Fernsehen, Zürich (R: Frank Senn).

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Secours en montagne, 2001: Télévision Suisse Romande – Arte-Espace Production, Genf/Lausanne (R: Benoît Aymon; Pierre-Antoine Hiroz). Sherpas – Die wahren Helden am Everest, 2009: DOK-Film in 3 Teilen, Schweizer Fernsehen, Zürich (R: Frank Senn; Hari Thapa; Otto C. Honegger).

T ELEFONGESPRÄCHE

UND

E-M AILS

Ausbildungssekretariat SBV (2012): Zahlen zur Bergführerausbildung, 2003 bis 2012. E-Mail vom 18. Juni 2012. IVBV, Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände (2012): Mitgliederstand der Internationalen Vereinigung der Bergführerverbände (IVBV). E-Mail vom 12. Juni 2012. J+S, Jugend und Sport (2012): Beschäftigung von Bergführern bei Jugend und Sport. E-Mail vom 26. Juni 2012. Kompetenzzentrum Gebirgsdienst der Armee (2012): Beschäftigung von Bergführern bei der Armee. E-Mail vom 10. Oktober 2012. SBV, Schweizer Bergführerverband (2010): E-Mail des Geschäftsführers vom 16. August 2010. SBV, Schweizer Bergführerverband (2012d): Mitgliederstatistik des SBV vom 11.11.20012. E-Mail vom 14. November 2012. SBV, Schweizer Bergführerverband (2012e): Telefongespräch mit dem Geschäftsführer vom 23. Oktober 2012. Schelbert, Heidi (2010): Telefongespräch mit Heidi Schelbert vom 8. November 2010.

 



Anhang: Transkriptionsregeln

(.)/(..)/(...) Kursiv (x) (x) (x) (?) (?)Blei/Bei(?) [x] ›Deutlich‹ [Hochdeutsch] […]

Pausen (Pro Sekunde 1 Punkt) Aussergewöhnliche Betonung Einschub einer weiteren Person Gleichzeitiges Sprechen zweier Personen Unverständliches Wort Unsicher, ob »Blei« oder »Bei« gesagt wird Übersetzung; Kommentar der transkribierenden Person Passage zwischen ›‹ ist Hochdeutsch gesprochen Auslassung im Transkript



 

Materialitäten Thomas Alkemeyer, Kristina Brümmer, Rea Kodalle, Thomas Pille (Hg.) Ordnung in Bewegung Choreographien des Sozialen. Körper in Sport, Tanz, Arbeit und Bildung 2009, 202 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1142-7

Fritz Böhle, Margit Weihrich (Hg.) Die Körperlichkeit sozialen Handelns Soziale Ordnung jenseits von Normen und Institutionen 2010, 382 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1309-4

Malte Friedrich Urbane Klänge Popmusik und Imagination der Stadt 2010, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1385-8

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Materialitäten Christina Hilger Vernetzte Räume Plädoyer für den Spatial Turn in der Architektur 2010, 212 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1499-2

Gabriele Klein, Michael Meuser (Hg.) Ernste Spiele Zur politischen Soziologie des Fußballs 2008, 276 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-977-0

Mona Motakef Körper Gabe Ambivalente Ökonomien der Organspende 2011, 268 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1631-6

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Materialitäten Arne Dekker Online-Sex Körperliche Subjektivierungsformen in virtuellen Räumen Juli 2012, 322 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1854-9

Cedric Janowicz Zur Sozialen Ökologie urbaner Räume Afrikanische Städte im Spannungsfeld von demographischer Entwicklung und Nahrungsversorgung 2008, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 42,80 €, ISBN 978-3-89942-974-9

Lars Frers Einhüllende Materialitäten Eine Phänomenologie des Wahrnehmens und Handelns an Bahnhöfen und Fährterminals

Bastian Lange Die Räume der Kreativszenen Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin

2007, 302 Seiten, kart., zahlr. Abb., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-806-3

2007, 332 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-679-3

Jürgen Funke-Wieneke, Gabriele Klein (Hg.) Bewegungsraum und Stadtkultur Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven

Lars Meier Das Einpassen in den Ort Der Alltag deutscher Finanzmanager in London und Singapur

2008, 276 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1021-5

Andrea Glauser Verordnete Entgrenzung Kulturpolitik, Artist-in-ResidenceProgramme und die Praxis der Kunst 2009, 304 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1244-8

2009, 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1129-8

Evelyn Lu Yen Roloff Die SARS-Krise in Hongkong Zur Regierung von Sicherheit in der Global City 2007, 166 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-612-0

Tatiana Golova Räume kollektiver Identität Raumproduktion in der »linken Szene« in Berlin

Imke Schmincke Gefährliche Körper an gefährlichen Orten Eine Studie zum Verhältnis von Körper, Raum und Marginalisierung

2011, 396 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1622-4

2009, 270 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1115-1

Robert Gugutzer (Hg.) body turn Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports 2006, 370 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-470-6

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