Kleine Schriften II (1786–1819)
 9783787333776, 9783787318193

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Friedrich Heinrich Jacobi Werke · Band 5,2

FRIEDRICH HEINRICH JACOBI WERKE Gesamtausgabe herausgegeben von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke Band 5,2

Meiner

FRIEDRICH HEINRICH JACOBI KLEINE SCHRIFTEN II 1787–1817 ANHANG von Catia Goretzki und Walter Jaeschke

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-1819-3 eBook-ISBN: 978-3-7873-3377-6

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INHALT

Zeichen, Siglen, Abkürzungen ........................................... Zum Streit um Jesuitismus und Kryptokatholizismus........... Editorischer Bericht zu Die beste von den Haderkünsten. Eine Erzählung ............... Übersetzung von Hemsterhuis: Alexis oder Von dem goldenen Weltalter .................................................................... Einige Betrachtungen über den frommen Betrug und über eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist....................... Philosophische Verknüpfung der Hauptmomente hebräischer Geschichte, in Beziehung auf Geschichte der Menschheit ................................................................................... Eine kleine Unachtsamkeit der Berliner Monatsschrift, in dem Aufsatze: Ueber die Anonymität der Schriftsteller ...... Schreiben an Friedrich Nicolai ........................................... Swifts Meditation über einen Besenstiel, und wie sie entstanden ist ............................................................................... Bruchstück eines Briefes an Johann Franz Laharpe Mitglied der französischen Akademie ............................................... Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde .............................................................. Vorrede zu Georg Arnold Jacobi: Briefe aus der Schweiz und Italien ............................................................................... An Schlosser über dessen Fortsetzung des Platonischen Gastmales................................................................................. Friedrich Heinrich Jacobi, über drei von ihm bei Gelegenheit des Stolbergischen Übertritts zur römisch-katholischen Kirche geschriebenen Briefe, und die unverantwortliche Gemeinmachung derselben in den Neuen Theologischen Annalen................................................................................. Was gebieten Ehre, Sittlichkeit und Recht in Absicht vertraulicher Briefe von Verstorbenen und noch Lebenden? ... Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck........

425 429 456 459 475

481 493 498 501 505 513 524 526

528 536 542

VI

Inhalt

Auszug aus: Der Philosoph Hamann ................................... Fliegende Blätter ............................................................... Ungesichertes: Ich kann’s nicht sagen … .......................... Nachtrag zu Jacobi: Werke. Band 4,1: Kleinere Schriften I.. Kommentar zu Die beste von den Haderkünsten. Eine Erzählung ............... Übersetzung von Hemsterhuis: Alexis oder Von dem goldenen Weltalter .................................................................... Einige Betrachtungen über den frommen Betrug und über eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist....................... Philosophische Verknüpfung der Hauptmomente hebräischer Geschichte, in Beziehung auf Geschichte der Menschheit ................................................................................... Eine kleine Unachtsamkeit der Berliner Monatsschrift, in dem Aufsatze: Ueber die Anonymität der Schriftsteller ...... Schreiben an Friedrich Nicolai ........................................... Swifts Meditation über einen Besenstiel, und wie sie entstanden ist ............................................................................... Bruchstück eines Briefes an Johann Franz Laharpe Mitglied der französischen Akademie ............................................... Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde .............................................................. Vorrede zu Georg Arnold Jacobi: Briefe aus der Schweiz und Italien ............................................................................... An Schlosser über dessen Fortsetzung des Platonischen Gastmales................................................................................. Friedrich Heinrich Jacobi, über drei von ihm bei Gelegenheit des Stolbergischen Übertritts zur römisch-katholischen Kirche geschriebenen Briefe, und die unverantwortliche Gemeinmachung derselben in den Neuen Theologischen Annalen................................................................................. Was gebieten Ehre, Sittlichkeit und Recht in Absicht vertraulicher Briefe von Verstorbenen und noch Lebenden? ... Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck........ Auszug aus: Der Philosoph Hamann ................................... Fliegende Blätter ...............................................................

554 563 566 567 574 574 599

643 643 650 664 673 678 689 689

695 708 736 774 777

Inhalt

VII

Tafeln. ..............................................................................

781

Nachtrag zu Jacobi: Werke. Band 4,1: Kleinere Schriften I..

782

Nachtrag zu Jacobi: Werke. Band 4,1: Kleinere Schriften I. Nachricht. ..................................................................... 783 Zwote Nachricht an das Publikum. Die neue Ausgabe der Geschichte des Agathon betreffend. 785 Literaturverzeichnis ........................................................... Personenverzeichnis ..........................................................

787 816

ANHANG

ZEICHEN, SIGLEN, ABKÜRZUNGEN

1. Zeichen Bembo-Schrift

Fraktur-Schrift des Drucks bzw. deutsche Handschrift Bodoni-Schrift Schwabacher-Schrift des Drucks Legacy-Schrift Antiqua-Schrift des Drucks bzw. lateinische Handschrift gesperrte Bembo-Schrift gesperrte Fraktur bzw. unterstrichene deutsche Handschrift Bembo-Kapitälchen gesperrte oder größer gesetzte Fraktur bzw. doppelt oder mehrfach unterstrichene deutsche Handschrift VERSALIEN in allen Schriften Versalien in allen Schriften gesperrte Bodoni gesperrte Schwabacher Bodoni-Kapitälchen vergrößerte Schwabacher kursive Legacy kursive Antiqua gesperrte Legacy gesperrte Antiqua gesperrte kursive Legacy gesperrte kursive Antiqua KURSIVE LEGACY–VERSALIEN kursive Antiqua–Versalien Kursive Bembo-Schrift 1. im Text: von den Herausgebern aufgelöste Abkürzungen 2. in den Apparaten und im Kommentar: Herausgeberrede Seitenzahlen am Außenrand Paginierung der Originale (die hinzugefügte Indexzahl bezeichnet die Auflage) | neue Seite im Original / Zeilenbruch [] Hinzufügungen der Herausgeber ] Abgrenzung des Lemmas tiefgestellte Ziffern in den Apparaten geben die1 bei öfterem Vorkommen des gleichen Wortes in einer Zeile die Reihenfolge an 11811 hochgestellte Ziffern geben die Auflage eines Werkes an ** nicht genannter Autor

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Anhang 2. Siglen

a) der Werke Jacobis: ABW JBW JWA WW

Auserlesener Briefwechsel Jacobi: Briefwechsel Jacobi: Werke. Gesamtausgabe Werke. Leipzig 1812–1825.

b) anderer Werke: AA ADB ALZ JubA KJB LM

Kant: Gesammelte Schriften bzw. Schelling: Historisch-kritische Ausgabe Allgemeine Deutsche Bibliothek Allgemeine Literatur-Zeitung Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe Die Bibliothek Friedrich Heinrich Jacobis (Katalognummer) Lessing: Sämtliche Werke (hg. Lachmann / Muncker)

3. Abkürzungen AA Abt. Anm., Anmm. Bd, Bde Br., Br.e BW cap. chap. Ch

D Dv Ep. ed., Ed. Fr. H, h H. Ha

Akademie-Ausgabe Abteilung Anmerkung, Anmerkungen Band, Bände Brief(e) Briefwechsel capitulum, caput chapitre Intelligenzblatt. Hamburgischer Correspondent. Anno 1806. Am Dienstage, den 16. April. Num. 60. Druck Druckfehlerverzeichnis zu den jeweiligen Editionen (in Zweifelsfällen mit Angabe der Edition in Klammern) Epistola edidit, Editio Fragment Handschrift Heft Intelligenzblatt / der / Allgem. Literatur-Zeitung

Zeichen, Siglen, Abkürzungen

hg., Hg. J. Je

Kap. Lib. Ms ND Nr p. P. Praef. sect. Sp. St. SW Tom. T. V. Vf. vol., vols. Z.

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[Halle] / Num. 60. / Mittwochs den 23ten April 1806. / Literarische Anzeigen. herausgegeben, Herausgeber Friedrich Heinrich Jacobi Intelligenzblatt / der / Jenaischen / Allgem. Literatur-Zeitung / Numero 34. / Den 14 April 1806. / Literarische Anzeigen. Kapitel Liber Manuskript Nachdruck, Neudruck Nummer pagina, page Pars Praefatio sectio Spalte Stück Sämtliche Werke Tomus, tome Teil Vers Verfasser volume, volumes Zeile

Biblische und apokryphe Schriften werden nach dem Verzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie abgekürzt. Platon- und Aristoteleszitaten wird die gebräuchliche Zählung nach den Ausgaben Stephanus bzw. Bekker beigefügt.

ZUM STREIT UM JESUITISMUS UND KRYPTOKATHOLIZISMUS

I. Der geistige Umbruch, der mit der geschichtlichen Durchsetzung der Aufklärung und dem Kampf gegen sie verbunden ist, manifestiert sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einer dichten Folge philosophisch-theologischer Steitsachen. Erinnert sei an den Fragmentenstreit um Lessings Veröffentlichung der bibelkritischen Fragmente eines Ungenannten;1 er ist zwar primär ein innertheologischer Streit, doch stehen sich auch in ihm die orthodoxe Auffassung der biblischen Schriften und die aufgeklärte Vernunft (in Gestalt historischer Forschung und kritischer Beurteilung) gegenüber. Die drei folgenden Streitsachen jedoch haben einen dezidiert philosophischtheologischen Charakter: der Pantheismusstreit der Jahre 1785/86, der Atheismusstreit der Jahre 1798/99 und der Theismusstreit der Jahre 1811/12. Bemerkenswert ist es, daß ein Denker diese drei sich über fast drei Jahrzehnte hinziehenden Streitsachen teils initiiert, teils begleitet hat: Friedrich Heinrich Jacobi. Neben den drei zuletzt genannten Streitsachen von epochalem Rang stehen andere, die man ihrer inhaltlich begrenzten und bewußtseinsgeschichtlich ephemeren Bedeutung wegen als Satyrspiele einstufen könnte, wenn sie nicht zu ihrer Zeit mit nicht geringerer Erbitterung und vielleicht sogar mit noch weitergreifender Publizität ausgefochten worden wären – so etwa der Streit der 1780er Jahre um die angebliche Bedrohung der Aufklärung durch Jesuitismus und Kryptokatholizismus. Daß er von bloß ephemerer Bedeutung ist, zeigt sich auch darin, daß Jacobi seinem wichtigsten Beitrag zu diesem Streit bei der Aufnahme in seine Werke im Jahre 1815 eigens eine geschichtliche Einleitung voranstellt – mit der sicherlich zutreffenden Begründung: Manche Leser mögen von dem Streite, in welchen gegenwärtige Schrift eingriff, keine bestimmte Vorstellung haben.2 In den Jahren kurz vor der Französischen Revolution, schreibt er weiter, in denen Deutschland in guter Muße stand, hätten etliche Schriftsteller, vornehmlich die Herausgeber der Berliner Monatschrift und der allgemeinen deutschen Bibliothek, es sich zur Aufgabe gemacht, vor einer großen Verschwörung gegen den Protestantismus zu warnen, in welche selbst Protestanten, theils mit Absicht eingegangen, theils als blinde Werkzeuge ver1

Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Braunschweig 1773–1781. Beyträge I–VI (KJB 2578– 2579). 2 Siehe JWA 5,1.105,16–18. – Da dies um so mehr für die heutigen Leserinnen und Leser dieser Schrift wie auch der mit ihr zusammengehörigen gelten wird, seien hier die Grundlinien dieses Streites kurz nachgezogen; über das Detail informiert der nachfolgende Kommentar.

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Anhang

flochten seyn sollten. Die Repräsentanten eines Zeitgeistes, der seinerseits darauf rechnete, mit Hilfe der Gründung »geheimer Gesellschaften« gegen den herrschenden Absolutismus Aufklärung betreiben zu können, haben sich naturgemäß allenthalben von den Machenschaften ihnen entgegengerichteter Verschwörungen bedroht gesehen – und dies insbesondere in den Jahren, in denen der Tod der beiden Monarchen zu erwarten stand, die – wenn auch in durchaus unterschiedlicher Weise – für die Verwirklichung von Aufklärung einstanden: zunächst Friedrichs des Großen, dann aber auch Josephs II. Die dadurch verstärkte Verunsicherung hat die Protagonisten dieses Streits – vornehmlich die von Jacobi Genannten: Johann Erich Biester und Friedrich Gedike, die Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, und Christoph Friedrich Nicolai, den Herausgeber der Allgemeinen Deutschen Bibliothek –, also die »Häupter« der sog. Berliner Aufklärung – nicht erkennen lassen, daß es sich bei ihren Versuchen zur Rettung der Aufklärung im wesentlichen um einen Phantomstreit gehandelt hat – und zudem um einen Streit gegen ein selbstverfertigtes und recht künstlich am Leben erhaltenes Phantom. In der Retrospektive ist dies fraglos leichter zu durchschauen als für die erregten Zeitgenossen – zumal sie ihre Polemik gegen einzelne Vorkommnisse gerichtet haben, die sie als Belege für eine allgemeine und zudem zielstrebig – und natürlich geheim – gesteuerte Agitation verstanden haben. Eingebettet ist ihr erbitterter publizistischer Kampf gegen die »Rekatholisierung« des protestantischen Nordens Deutschlands in einen allgemeinen Kampf gegen alles der Klarheit und Durchsichtigkeit des gemeinen Menschenverstandes Entgegenstrebende: gegen wirklichen und vermeintlichen Mystizismus, gegen wundersame Praktiken und selbstredend gegen Magie. II. Die Wurzel dieses Kampfes gegen alles Vernunftwidrige läßt sich bis zu einer Begebenheit zurückverfolgen, die – für sich genommen – gar nichts mit dem späteren Streit zu tun hat, an die jedoch in seinem Kontext wieder mehrfach erinnert wird: bis zur Aufforderung des Züricher Diakons und späteren reformierten Pfarrers Johann Kaspar Lavater an Moses Mendelssohn, sich zum christlichen Glauben zu bekehren. Lavater hat nicht allein Bonnets Palingénésie philosophique, sondern auch dessen Recherches philosophiques sur les preuves du Christianisme übersetzt; er hat diese Übersetzung3 Mendelssohn, dem »jüdischen Sokra3

Charles Bonnet: Recherches philosophiques sur les preuves du Christianisme. Genève 21770; Übersetzung: Charles Bonnet: Philosophische Untersuchung der Beweise für das Christenthum. Samt desselben Ideen von der künftigen Glückseligkeit des Menschen. Aus dem Französischen übersetzt, und mit Anmerkungen hrsg. von Johann Caspar Lavater. Zürich 1769. – Vgl. auch Johann Caspar Lavaters Zueignungsschrift der Bonnetischen philosophischen Untersuchung der Beweise für das Christenthum an Herrn Moses Mendelssohn in Berlin und Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater zu Zürich von Moses Mendelssohn. o. O. Auf Kosten guter Freunde 1770, 9, sowie Antwort an den Herrn

Zum Streit um Jesuitismus und Kryptokatholizismus

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tes«, gewidmet, und er hat in der Zueignung An Herrn Moses Mendelssohn in Berlin diesen gebeten, diese Schrift öffentlich zu widerlegen, wofern | Sie die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finden: Dafern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie zu thun heissen; – was S o k r a t e s gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen, und unwiderleglich gefunden hätte. Diese Aufforderung hat um 1770 ein großes – und fast ausschließlich negatives – Echo gefunden, das bis in den Streit um die Mitte der 1780er Jahre nachhallt.4 Sie hat eine dauerhafte Entfremdung Friedrich Nicolais gegenüber Lavater bewirkt; beide haben sich schon zuvor, anläßlich des Besuchs Lavaters in Berlin, im Jahre 1763 persönlich kennengelernt und seit 1767 in Briefwechsel gestanden. Nicolai ist jedoch eng mit Mendelssohn befreundet gewesen und hat Lavaters Ansinnen als äußerst verletzend empfunden und als Indiz mangelnder religiöser Toleranz gedeutet. Doch diese Auseinandersetzung zwischen Lavater und Mendelssohn hat noch zu keinem grundsätzlichen Zerwürfnis beider geführt. Dieses bereitet sich erst mit Lavaters Mitte der 1770er Jahre veröffentlichtem physiognomischen Werk vor. Dabei ist es nicht etwa eine grundsätzliche Ablehnung physiognomischer Studien, die Nicolai gegen Lavater aufbringt; vielmehr zeigt er zunächst seinerseits großes Interesse an ihnen. Es ist vielmehr Lavaters Verbindung von Physiognomik und bestimmten, eng an der Person Christi orientierten religiösen Vorstellungen, die Nicolai, der sie entschieden ablehnt, mit folgenden Worten umreißt: Christus hat die menschl. Natur verbessert, indem aller Aether, der in der Welt ist, durch seinen Körper cirkuliert hat. Der Aether ist in beständigen harmonischen Schwingungen, dieser Schwingungen sind die Körper der Gläubigen empfänglicher, weil sie weichere und rundere Fibern haben, die Körper der Gottlosen hingegen, sind steif u. hart wie die Todten, und respuiren den mit Christuskraft imprägnirten Aether.5 Lavater verteidigt nicht allein die traditionelle Annahme einer göttlichen Offenbarung und damit zugleich die Aufhebung der Grenze zwischen Natürlichem und Übernatürlichem wie auch die Möglichkeit von Wundern; er entwickelt Moses Mendelssohn zu Berlin, von Johann Caspar Lavater. Nebst einer Nacherinnerung von Moses Mendelssohn. Berlin / Stettin 1770 (beide KJB 907). 4 Siehe die Hinweise in JWA 1,2, Anm. zu 145,29–30. 5 Zitat nach Sigrid Habersaat: Verteidigung der Aufklärung. Teil 1. Würzburg 2001, 85 f. – Diesen christologischen Standpunkt, mit dem Lavater sich sowohl von einem aufklärerisch geprägten Christentum als auch von der orthodoxen Theologie abwendet, erläutert er bereits in seinen Aussichten in die Ewigkeit, in Briefen an Herrn Joh. George Zimmermann. Zürich 1770–1773 und spätere Auflagen: Christus fungiert demnach als Leitfigur, an der sich jeder in seiner Lebensführung zu orientieren habe. Mit diesem Standpunkt verknüpft Lavater die – allgemein christliche – Lehre vom tausendjährigen Reich Christi, das auf Erden beginnen werde, wenn sich die Juden bekehrt, d. h. den gekreuzigten Christus als den Messias anerkannt hätten, daraufhin als das auserwählte Volk Gottes gesammelt und in ihr Land zurückgeführt worden seien. Alle Gläubigen dieser Erde zögen dann zur Anbetung Gottes nach Jerusalem und lebten in enger Gemeinschaft mit Christus.

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Anhang

daneben eine durchaus unorthodoxe Form der Frömmigkeit, die er auch mehrfach gegenüber Jacobi vorträgt, insbesondere im Brief vom 21. April 1787: Gewiss scheint mir, wir haben in uns eine Kraft, die ich anders nicht als magisch nennen kann – Magie schaft wie sie meynt aus n i c h t s , Sie realisiert Ideen zu Gestalten, giebt diesen Gestalten Solidität und Leben. Würdest du dich entsezen, wenn ich das eigentliche Wesen der Religion, insofern sie von Moral – verschieden ist, diese GötterZauberey, Engelerschaffung, Gottesrealisierung, diese Hypostasis in uns – M a g i e nennen würde? So wenig H u m e zu seiner Idee von dem Daseyn der Dinge ausser uns ein anders Wort finden konnte, als G l a u b e , so kann ich für das Eigentliche der Religion kein anders finden, als M a g i e . Der G l a u b e den Christus so sehr erregen will, so sehr der Liebe ankorporieren will, was ist er anders als Magie als Allmacht? Als Schöpfungskraft?6 Jacobi hat solchen Äußerungen verständnislos gegenübergestanden, sich aber in seiner persönlichen Freundschaft mit Lavater nicht beirren lassen. Den Aufklärern hingegen macht die übergroße Wundergläubigkeit Lavater zunehmend verdächtig. Da er von der Möglichkeit einer »Christus-Erfahrung« in der Gestalt eines Menschen ausgeht, werden Personen, die als Wunderheiler auftreten, zunehmend attraktiv für ihn. Sein Kontakt zu dem Wunderheiler Johann Joseph Gaßner und seine Empfehlung desselben stößt auch bei seinem Freund Georg Zimmermann auf Unverständnis, der ihn mehrfach brieflich auffordert, sich von solchem Unsinn und Mirakelkram zu verabschieden.7 Lavater allerdings läßt sich davon nicht abbringen und nimmt 1781 sogar noch Kontakt zu dem damals berüchtigten Hochstapler Cagliostro auf. Mit seiner eigenwilligen religiösen Gedankenwelt, mit seiner Betonung des Magischen und Wunderbaren bedient Lavater ein allgemein vorhandenes, stark ausgeprägtes Bedürfnis der Zeit, und so findet er großen Anklang, zumal er ein ausgesprochen charismatischer Charakter ist und im persönlichen Umgang einen starken Eindruck hinterläßt – selbst bei Menschen, die ihm zunächst reserviert gegenüberstehen. Deshalb entwickelt sich die skeptische Haltung ihm gegenüber zur ernsthaften Sorge, er leiste mit seinen Ansichten und Praktiken massiv einer antiaufklärerischen Tendenz Vorschub – nicht allein bei Nicolai, sondern etwa auch in eindringlichen Briefen des schon genannten Joachim Heinrich Campe, die sich im Nachlaß Lavaters befinden. Campe warnt Lavater, nicht zum Beförderer von Schwärmerei, Aberglauben und Fanatismus zu werden, und zwar nicht zuletzt dadurch, daß seine Ideen labile Regenten beeinflussen und auf diese Weise zum Werkzeug von Betrügern machen könnten, so daß auf diesem Wege dem Irrationalismus Tür und Tor geöffnet werde.8 Lavater reagiert auf diese Appelle abwiegelnd und betont, er sei kein Vernunftgegner und Schwärmer; immerhin gesteht er zu, daß seine Ideenwelt nicht für jedermann geeignet sei und insofern gefährliche Wirkungen zeitigen könne. Der endgültige Bruch zwischen Lavater und Nicolai bereitet sich 1782 mit der Publikation der Auszüge einiger sehr zuverläßigen Briefe aus Br. über Les6 7 8

Johann Kaspar Lavater an J., 21. April 1787, JBW I,6.97,29–98,5. Habersaat: Verteidigung der Aufklärung, 89. Ib. 90.

Zum Streit um Jesuitismus und Kryptokatholizismus

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sings Tod vor. Sie erscheinen in der Zeitschrift Der Kirchenbote für Religionsfreunde aller Kirchen, die von Johann Konrad Pfenninger, einem Freund Lavaters, herausgegeben wird. In diesen angeblich sehr zuverläßigen Briefen diffamieren die anonym bleibenden Schreiber den im Jahr zuvor verstorbenen Lessing, der seit seiner Veröffentlichung der Fragmente eines Ungenannten, d. h. von Hermann Samuel Reimarus, im Fragmentenstreit schweren Vorwürfen von seiten der Orthodoxie ausgesetzt gewesen ist. Der Tod des Nicht-Christen Lessing (am 15. Februar 1781), so der Anonymus, sei kein natürlicher gewesen; vielmehr habe Lessing sich entweder selbst getötet – was seine ausschweifende, schließlich zum Überdruß führende Lebensweise nahelege – oder er sei vom Teufel geholt worden. Lavater gerät hierbei in den Blickpunkt der Kritik, da er schon im Mai 1779 mit einer Rede auf der Sommersynode der Zürcher Kirche, im Ton ähnlich den Ausfällen im Kirchenboten, mit Blick auf Lessings Veröffentlichung der Fragmente vor dem Deismus gewarnt hat, den der Ungenannte verfechte. Doch diese Kritik an den Fragmenten von seiten Lavaters und seiner Anhänger ebenso wie der Orthodoxie wird durch die verleumderischen Einlassungen über Lessings Tod noch erheblich unterboten. Nicolai läßt auf diesen »Kirchenbotenfall« hin den Auszug eines Schreibens aus Braunschweig vom 13. Jan. 1783. in seine Allgemeine Deutsche Bibliothek einrücken. Der – ebenfalls anonym bleibende – Korrespondent verspricht darin: Diese Leßings Tod betreffende Nachrichten kann ich wenigstens näher untersuchen. Sie zweifeln daran? Sie finden diese Nachrichten äußerst verdächtig? Und verlangen von mir ihre Berichtigung? Herzlich gern will ich sie Ihnen geben, wenn die Nachrichten ihrer bedürfen; aber noch ist dies fünfte Stück des Kirchenboten hier nicht zu haben. Als er schließlich das entsprechende Stück des Kirchenboten erhalten und die Nachrichten über Lessings Tod gelesen hat, bestätigt er am 18. April Nicolais Verdacht: Lange sind mir solche Schändlichkeiten nicht vorgekommen, so armselig, so jämmerlich aus halbwahren und durchaus falschen, zum Theil aber offenbar erdichteten Mährchen zusammengestoppelt. … Und nun vollends diesen Briefen den Namen sehr zuverläßiger zu geben! Was kann die Herren, Lavater und Pfenninger, dazu bewegen, was kann sie hiezu berechtigt haben? Im anschließenden Briefwechsel zwischen Nicolai und Lavater versichert dieser zwar, keinen Anteil an der Herausgabe des Kirchenboten zu haben, doch kommt er nicht Nicolais Aufforderung nach, sich von den verleumdenden Briefen über Lessings Tod deutlich zu distanzieren – zumindest findet sich in seinem Briefwechsel keine einschlägige Stellungnahme.9 9

Rudolf Dellsperger teilt unter Anm. 31 seines Aufsatzes über Lavaters Auseinandersetzung mit dem Deismus. Anmerkungen zu seiner Synodalrede von 1779. (In Das Antlitz Gottes im Antlitz des Menschen. hrsg. von Karl Pestalozzi und Horst Weigelt. Göttingen 1994. 92–101) mit, auf dem Vorsatzblatt von Lavaters Exemplar des Reimarus-Fragments Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger finde sich folgende Notiz: Ein schaleres, ein geistloseres und schalkhafteres, ein herzloseres und imprudenteres Buch wider das Christentum kenne ich nicht und auch kein zweckloseres als dieses. Zweckjesuiten: ich sehe einen Henker mit

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Anhang

Insbesondere dieser Vorfall läßt Lavater zur Zielscheibe der aufklärerischen Kritik werden. Doch weil seine Position sich zwar in der Artikulation, aber nicht in der Richtung von der Kritik seitens der protestantischen Orthodoxie unterscheidet, erklärt dies noch nicht den wenig später erhobenen Vorwurf des Kryptokatholizismus. Der Verdacht jesuitischer Machenschaften entsteht erst durch Lavaters Verbindung mit Johann Michael Sailer (1751–1832), einem früheren Mitglied des inzwischen aufgehobenen Jesuitenordens. Sailer veröffentlicht 1783 ein Vollständiges Lese- und Gebetbuch für katholische Christen, dessen zweite Auflage von 1785 vom Theologieprofessor Heinrich Philipp Conrad Henke (1752– 1809) 1787 in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek rezensiert wird.10 Henke hebt zunächst positiv eine grundlegende Verschiedenheit von allen uns bekannten Büchern dieser Art hervor: Wenn man nicht den Titelbestandteil für katholische Christen vor Augen hätte, würde man selbst nach ausführlicherer Lektüre nicht vermuten, das Werk eines katholischen Theologen vor sich zu haben. Dies sei auf die äußere, für ein katholisches Buch untypische Form zurückzuführen; den Grund hierfür sieht Henke in der Aehnlichkeit mit Lavaters charakteristischer Manier und Schreibart: der ganze Geist und Ton Lavaters lebt und schallt durch dieses Buch. Sailers Schreibart derjenigen Lavaters bis zur Täuschung und Verwechselung ähnlich. Gleichwohl sei das Buch, ohngeachtet seiner ganz neuen, und so zu reden, protestantischen, Gestalt, doch ein katholisches Buch; man müsse aber in die Substanz des Buchs eingehen und seinen katholischen Kern aus der protestantischen Schale lösen. Die spärlich und beiläufig eingestreuten katholischen Begriffe und Lehrmeinungen seien umso mehr dazu angetan, Irritation beim (protestantischen) Leser hervorzurufen. Wenn z. B. die Behauptungen, daß das Urtheil der Kirche eine Erkenntnisquelle des göttlichen Unterrichts sei und die Kirche nicht irren könne, in einem Absatz zur Uebung des Glaubens eingeschoben werden, so würden hier nothwendige, charakteristische, klassische Unterscheidungslehren katholischer Christen vordergründig wie Nebenideen dargestellt, und Henke befürchtet, daß flüchtige Leser sich unvermerkt an viele fanatische, unbiblische und unreine Ideen des katholischen Glaubens und Gottesdienstes gewöhnen, und verleitet werden können. Nun wäre es nicht sonderlich geschickt, ein zur Unterwanderung protestantischer Gläubiger bestimmtes Buch schon im Titel als an katholische Christen adressiert auszugeben. Zusätzlich zu dieser Unterstellung einer versteckten »katholischen Substanz« vermerkt der Rezensent deshalb, dieses Gebetbuch einem bengelten Stock in der Hand unter gesitteten und wehrlosen Menschen herumgehen und ihnen die Beine nacheinander abschlagen und über sie lachen. Der Verfasser Lessing gibt nichts, er nimmt nur: Baut nicht, zerstört nur; heilt nicht, schlägt nur Wunden. Wenn ein solcher Charakter nicht ein Bösewicht ist, so ist jeder Verbrecher auf dem Rad ein Heiliger. Und dieser maßt sich an, den Zweck des besten und grössten Menschen zur Schelmerei herabzuwürdigen. 10 Kurze Nachrichten. I. Gottesgelahrtheit. In ADB 74/1 (1787), 54–76. – Henkes Rezension ist – entsprechend dem damaligen Brauch – anonym erschienen und mit dem Kürzel Ft. gezeichnet

Zum Streit um Jesuitismus und Kryptokatholizismus

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werde von Anhängern Lavaters sehr empfohlen, und ein Freund Sailers mache sogar bekannt, er habe 700 Exemplare dieses Gebetbuchs in die (größtenteils protestantische) Schweiz geschickt, damit sie durch die Freundschaft Lavaters und seiner Freunde verkauft würden. Nicolai sieht darin einen klaren Beweis für jesuitisch gesteuerte Umtriebe. In seiner Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz teilt er mit, er habe Zirkelbriefe Lavaters ausfindig gemacht, die dieser seit einigen Jahren an seine Anhänger verteilen lasse und die unter Anleitung des schon erwähnten Johann Konrad Pfenningers mehrfach kopiert und nach England, Österreich und Rußland verschickt würden. In ihnen finde sich neben Berichten über Wunderheilungen und geheime Gesellschaften auch eine sehr positive Beurteilung der Schriften Sailers, insbesondere eine Empfehlung des Lese- und Gebetbuchs. Zudem erwähnt Nicolai, ein von ihm als sehr glaubwürdig bezeichneter Korrespondent habe ihm von der auf Lavaters Betreiben erfolgten heimlichen und kostenlosen Verteilung des Sailerschen Gebetbuchs berichtet.11 Nun ist es im Umkreis Lavaters nicht unüblich gewesen, Bücher kostenlos zu verteilen.12 Was insbesondere Sailers Gebetbuch anbelangt, so entspricht seine religiöse Grundhaltung Lavaters Vorstellungen, und in solchen Fällen spielt für ihn die Konfession, der sie entspringt, eine untergeordnete Rolle. Deshalb ist Nicolais Verdacht, hier seien jesuitisch-katholische Umtriebe im Spiel, deren treibende Kraft Lavater mit seiner Anhängerschaft sei, zwar unzutreffend, jedoch nicht als unverständlich anzusehen, zumal Nicolai mit seinen Befürchtungen nicht allein steht – auch der genannte anonyme Korrespondent beispielsweise vermutet hinter diesem Vorgang jesuitische Aktivitäten. III. Trotz seiner Verbindung mit Lavater verfolgt Jacobi in diesen frühen 1780er Jahren, vor seiner Veröffentlichung der Briefe Ueber die Lehre des Spinoza,13 diesen Konflikt nicht; er wird erst durch seinen eigenen Streit mit den Berliner 11

Die Identität dieses Korrespondenten ist heute bekannt, wie Habersaat: Verteidigung der Aufklärung, 97, mitteilt; es handelt sich um den Naturrechtsprofessor Heinrich Korrodi (1752–1793), der auch für Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek rezensiert. 12 Dazu bemerkt Johann Konrad Pfenninger in seinem Buch Die bedenklichen Zirkelbriefe des Protestanten Joh. Konrad Pfenningers in Natura. Mit nöthigen Vor- und Nacherinnerungen. Breslau 1787, Sailers Gebetbuch sei noch nicht einmal unentgeltlich verteilt, sondern nur einem vertrauten Personenkreis empfohlen worden, der den katholischen Hintergrund richtig einzuschätzen wisse. Dem stehen allerdings folgende von Lavater selbst stammende Worte, die sich in einem seiner Briefe an Sailer (vom 27. 12. 1783) finden, entgegen: Ich habe es nach Straßburg, Frankfurt, Deßau, Mannheim, Leipzig etc. empfohlen. Schau doch, daß Exemplare hinkommen an alle Orte, und auch hieher. Siehe Habersaat: Verteidigung der Aufklärung, 103. 13 Jacobi: Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Breslau 1785; JWA 1,1.

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Aufklärern mit ihm vertraut, und er erhält zugleich wichtige Aufschlüsse über seinen Ursprung. Hierüber berichtet er Christian Garve – der selber bereits in den Streit eingegriffen hat – am 27. April 1786, also in den Tagen seiner heftigen Auseinandersetzungen mit den Berliner Aufklärern um die Spinoza-Briefe: Die Quelle des Mährchens vom Crypto-Jesuitismus wurde mir im vergangenen Spätjahr, ganz zufällig durch einen FreyHerrn v.Stein bekannt, der ein junger Mann von vorzüglichen Gaben u. Kenntnißen ist, und in wichtigen Geschäften von dem Preußischen Hofe gebraucht wird, in deßen Diensten er bey dem Bergwerks Departement steht. / Von dem ganzen Lärm wußte ich noch kein Wort, da ich die Schrift über Leßing und Spinoza herausgab. Eine Stelle in einem Briefe von Claudius, worüber ich Erläuterung forderte, half mir auf die Spur. Ich verschrieb die Berliner MonathsSchrift, und hatte über Ihren ersten Brief an Biester14 (der zweite war noch nicht erschienen) eine solche Freude, daß ich verschiedene Tage lang kaum von etwas Anderm sprechen konnte. / | […] Der Urheber des Mährchens vom Crypto-Jesuitismus ist ein gewißer herum reisender Rath Leuchsenring aus dem Darmstädtischen; der im Jahre 82. (wenn ich nicht irre) nach Berlin kam; bald darauf mit Nikolai, Biester und Mendelssohn sehr genau bekannt wurde; als Instructor bey dem Sohne des Kronprinzen ankam; diese Stelle bald darauf verlor; mit Gewalt des Juden Itzigs Tochter heyrathen wollte; darüber mit Mendelssohn zerfiel, und nun Deutschland, nach allerhand mißrathenen Anschlägen, neuerdings verlaßen, und mit einem Berliner jungen Herrn, deßen Führung ihm anvertraut worden, sich nach der Schweitz begeben hat. / Auf dem Wege nach der Schweitz, zu Frankfurt am Mayn, traf ihn der Herr v. Stein, der schon vorhin, und auch in Berlin, mit ihm bekannt gewesen war. Leuchsenring verkündigte ihm, daß im nächsten Stücke der Monaths-Schrift (dem August) ein wichtiger Aufsatz den Crypto-Jesuitismus betreffend, den er (Leuchsenring) geliefert habe, erscheinen und allem Widerspruch ein Ende machen würde. Er versicherte, die Nachrichten von den geheimen Gesellschaften und den Absichten ihrer verborgenen Häupter, die sowohl Nikolai als Biester bekannt gemacht hätten, rührten von ihm allein miteinander her. / […] Auch erzählte mir erst vor 14. Tagen die Prinzeßinn Gallitzin, daß sich Leuchsenring den letzten Herbst zu Hof Geismar auf eine ähnliche Weise herausgelaßen, und dabey gesagt hätte: er liefe die größte Gefahr vergiftet zu werden, nachdem es ausgekommen, daß er es sey, der die Absichten der geheimen Gesellschaften an den Tag gebracht habe. / | Eben diesen Leuchsenring lernte ich vor ohngefähr 18. Jahren kennen, da er sich als Unterhofmeister mit dem Erbprinzen von Darmstadt in Leiden aufhielt. Er ist ein Mann von sehr vielem Geiste, aber beständig mit einer oder der andern Grille bis zur Schwärmerey behaftet. Damahls wollte er selbst einen geheimen Orden – der Empfindsamkeit stiften; lebte und webte in Correspondenzen; und war immer mit Brieftaschen bepackt, aus 14

Vom Juli 1785; zur Aufschlüsselung der Bezüge siehe den Kommentarband JBW II,5.

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denen er vorlas. […] / Der Mann, der in folgenden vier Versen, als Pater Brey, auf das vollkommenste geschildert ist; Er will überall Berg und Thal vergleichen, Alles Rauhe mit Gips und Kalch verstreichen, Um dann zu mahlen auf das Weiß Sein Gesicht oder seinen St – Dieser Mann konnte nicht anders als ganz unendlich zu den Berliner Reformatoren paßen, und die eifrigsten Novizen unter ihnen bilden. / Und was ihn selbst angeht, so hat er immer nur in Erdichtungen gelebt, nur lauter Stänkereyen angerichtet. Er vermuthete überall ein gewißes dessous des cartes, und war bald darauf überzeugt, es auch entdeckt zu haben. Einen ganzen Welttheil umzuschaffen, schien ihm eine Kleinigkeit, wenn er bey irgend einem Mächtigen Gehör fände, oder auch nur Geld besäße, oder es g e b o r g t | b e k o m m e n k ön n t e . […] Kann etwas begreiflicher seyn, als die Hypothese des Crypto-Jesuitismus in dem Kopfe eines solchen Grillenfängers, mit der lebendigsten Ueberzeugung, daß er in seinen Vermuthungen nicht irre? / Aber kann auch etwas lächerlicher seyn, als das Geschrey von allgemeiner dringender Gefahr, auf das Wort eines solchen Menschen hin? – Von leeren Vorspiegelungen sich dergestalt verblenden zu laßen, daß man das factum aller factorum, die menschliche Natur selbst darüber platt vergißt, und nachdem man daran erinnert worden, gar behauptet, dieses Grund factum komme gegen so herrliche Urkunden und Beweise gar nicht in | Betrachtung; und was immer und ewig, unter allen und jeden Umständen sich zuträgt; dem gemäß, rund um die Welt, und so lange sie steht, alles sich ergeben hat: kurz, die ganze Geschichte mit ihrer Philosophie, und die ganze Philosophie mit ihrer Geschichte sey lange nicht so zuverläßig und bewährt, als was eben itzt zum ersten Mahl, vielleicht sich wird ergeben wollen. / Wenn hier nicht Leidenschaft im Spiele war; wenn man das Mährchen nicht darum gerne für Geschichte annahm, weil seine Verbreitung zu andern Absichten beförderlich seyn konnte: so müßen auf den Herren Nikolai und Biester noch schlechtere Köpfe sitzen, als ich bis dahin vermuthet hatte, welches doch nicht wenig gesagt ist.15 IV. In diesem nicht allein durch Mißverständnisse, sondern durch Fehlinformationen, Aufschneidereien und Verdächtigungen getrübten Klima kommt es wenig später zu einem neuen Konflikt: zur Konfrontation der Berliner Aufklärer mit einem evangelischen Theologen, dem Hessen-Darmstädtischen Oberhofprediger Johann August Starck (1741–1816). An dieser Phase ihres Streites sowohl mit 15

J. an Christian Garve, 27. April 1786, JBW I,5.169,23–172,22; vgl. den weitgehend parallelen Bericht im Brief J.s an Schlosser, 23. September 1786, JBW I,5.352,5–353,16

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Lavater als auch mit Starck nimmt Jacobi nun lebhaft Anteil. Starck hat sich bereits in den 1760er Jahren einer Freimaurerloge angeschlossen und Ende der 1760er Jahre die Freimaurerloge Klerikat gegründet, später jedoch Abstand von der Freimaurerei gewonnen und sich schließlich mit der Veröffentlichung des Briefromans Saint Nicaise16 von ihr distanziert. Diese Schrift erregt großes Aufsehen; u. a. wird sie 1786 in einem Artikel der Berlinischen Monatsschrift scharf angegriffen.17 Für den Verfasser dieses Artikels, der seinerseits anonym bleibt, ist rasch klar, daß der vorgebliche Herausgeber selbst Autor der Briefe ist, zudem ein Protestant und sehr wahrscheinlich einer, der im Gewande eines protestantischen Theologen einhergehet – wobei diese letztere Bemerkung wohl schon als ein noch impliziter Hinweis auf Starck zu verstehen ist. Dies ist für den Verfasser des Artikels insofern pikant, als, wie er ausführt, der Verfasser der Briefe Saint Nicaise das System der Freimaurerei als mit Religion, Staat und Sitten nicht vereinbar aufzuzeigen beabsichtigt und dagegen die katholische Religion und insbesondere die mönchische Lebensweise, durch die sich das Geheimnis Gottes offenbare, als allein wahr und damit staats- und sittenverträglich beschreibt. Der darin implizit enthaltene Angriff auf alle anderen Religionen, insbesondere die protestantische – schließlich ist ein Protestant Adressat der Briefe – machen den Brief-Autor für seinen Rezensenten suspekt. Starck sieht sich deshalb, wie er etwas später schreibt, seit 1785, also seit dem Erscheinen des Saint Nicaise, von den Herausgebern zumindest implizit angegriffen.18 Den unmittelbaren Anlaß für den Streit zwischen Starck und den Berli16

Saint Nicaise oder eine Sammlung merkwürdiger maurerischer Briefe, für Freymäurer und die es nicht sind. o. O. 1785. – Starck publiziert diesen Roman – wie damals nicht unüblich – anonym. Er tritt dabei als Herausgeber einer Sammlung von Briefen eines gewissen Saint Nicaise auf, die er bei einem verstorbenen Freund, an den sie angeblich gerichtet sind, gefunden haben will. Diese Briefe sind durch eine lange romanhaft-phantastische Erzählung der Lebensgeschichte des Saint Nicaise erweitert, die den größten Teil des Buches einnimmt. Ib. 346 f. geht Starck auch auf Nicolais Buch über den Orden der Templer ein; siehe Versuch über die Beschuldigungen welche dem Tempelherrenorden gemacht worden, und über dessen Geheimniß; Nebst einem Anhange über das Entstehen der Freymaurergesellschaft, von Friedrich Nicolai. Berlin / Stettin 1782. 17 Beweis, daß das Buch Saint Nicaise der Religion, allen öffentlichen Staaten und auch den guten Sitten zuwider sei. Berlinische Monatsschrift. 1786. St. 2: Februar, 127–154. 18 Siehe Johann August Starck: Über Krypto-Katholicismus, Proselytenmacherey, Jesuitismus, geheime Gesellschaften und besonders die ihm selbst von den Verfassern der Berliner Monatsschrift gemachte Beschuldigungen mit Acten-Stücken belegt. 2 Bde. Frankfurt / Leipzig 1787; ferner Starcks Nachtrag über den angeblichen Krypto-Katholicismus, Proselytenmacherey, Jesuitismus und geheime Gesellschaften, besonders seinen Prozeß mit den Herausgebern der Berliner Monatsschrift angehend; mit Acten-Stücken belegt. Giessen 1788. – Die Vorrede zu Bd 1 ist unterzeichnet: Darmstadt 10. Juni 1787. Starck gibt hier in Bd 1.74–148 eine kleine Geschichte der publizistischen Angriffe der Berlinischen Monatsschrift auf angebliche katholisch-jesuitische Umtriebe. Beginnen läßt er sie mit dem Artikel des verkappten Akatholikus Tolerans [wohl Johann Erich Biester] in der

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ner Aufklärern bildet jedoch der Aufsatz Noch etwas über geheime Gesellschaften im protestantischen Deutschland, der im Juli 1786 in der Berlinischen Monatsschrift erscheint.19 Dieser Aufsatz stützt sich auf die beiden ersten Bände der damals von Christian Friedrich Kessler von Sprengseysen soeben veröffentlichten Gegenschrift zu Starcks Saint-Nicaise. Insbesondere liegt deren Verfasser daran, die Kritik zurückzuweisen, die Starck im Buch Saint Nicaise an dem vom Baron von Hund, d. i. Carl Gotthelf Freyherr von Hund und AltenGrotkau, gestifteten Freimaurerorden der »Strikten Observanz« übt. Zu Beginn begründet der anonyme Verfasser, weshalb er sich gegen das Buch Saint Nicaise wendet: Keiner von allen den Schriftstellern, so gegen die strickte Observanz geschrieben, und die ich gelesen habe, scheint mir so nothwendig eine Widerlegung zu bedürfen, als der anonymische Verfasser, welcher sich den | Namen Saint-Nicaise giebt. Er hat unter dem Anschein von Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe und christlichen Gesinnungen, sich Dinge zu sagen erlaubt, welche die größte Unwissenheit und die schwärzeste Bosheit verrathen.20 In diesem Band wird die Identität des Verfassers des Buches Saint Nicaise noch nicht enthüllt; noch im selben Jahr erscheint jedoch eine Rezension des Anti-Saint-Nicaise in der Allgemeinen Litteratur-Zeitung,21 und daraufhin läßt Kessler von Sprengseysen einen zweiten Teil erscheinen, mit dem Titel: Archidemides oder des Anti-Saint-Nicaise zweyter Theil.22 In ihm setzt er sich zunächst sehr ausführlich mit dieser Rezension ausBerlinischen Monatsschrift, 1784, St. 2: Februar, 180–192 (fehlpaginiert: 292): Falsche Toleranz einiger Märkischen und Pommerschen Städte in Ansehung der Einräumung der protestantischen Kirchen zum katholischen Gottesdienst; siehe Starck: Über Krypto-Katholicismus, Bd 1.74–100: Erste Schritte der Berliner Monatsschriftsteller wider den angeblichen Krypto-Katholicismus im J. 1784. Danach behandelt er ib. 100–148: Weitere Schritte der Berliner Monatsschriftsteller wider den Krypto-Katholicismus im Jahr 1784; hier verweist Starck auf weitere Aufsätze in der Berlinischen Monatsschrift vom März, April, Juni, Juli und August 1784, sowie Januar 1785, ferner auf die Auseinandersetzung zwischen Garve und Biester im Juliheft 1785. 19 Anonym: Noch etwas über Geheime Gesellschaften im protestantischen Deutschland, in Berlinische Monatsschrift. 1786. St. 7: Juli, 44–100. – Siehe die Anm. zu 105,29–31. 20 [Christian Friedrich Kessler von Sprengseysen:] Anti-Saint-Nicaise. Ein Turnier im XVIII. Jahrhundert gehalten von zwey T**** H**** als etwas für Freymaurer und die es nicht sind. Leipzig 1786, 2 f. 21 Allgemeine Litteratur-Zeitung. 1786, Nr. 48a, 395–400. 22 [Christian Friedrich Kessler von Sprengseysen:] Archidemides oder des Anti-Saint-Nicaise zweyter Theil. Mit der Silhouette des Verfassers. Leipzig 1786. – Ein weiterer Teil ist ein Jahr später erschienen: Scala algebraica oeconomica oder des Anti-Saint-Nicaise dritter und letzter Theil. Leipzig 1787. Dieser Teil geht jedoch nicht weiter auf das Buch Saint Nicaise ein, sondern enthält – neben den Vorbemerkungen – Authentische Kopien sowol des Oekonomischen Plans der strikten Observanz vom Jahr 1766 als auch des durch Archidemides eingeschickten und eigenhändig unterschriebenen Klerikalischen Plans mit nöthigen Anmerkungen des Herausgebers.

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einander; danach teilt er Briefe mit, die Starck als Mitglied des von ihm gegründeten geheimen Ordens von Klerikern verfaßt hat, und führt aus diesen Schriftstükken den Nachweis, daß sich hinter dem Ordensnamen Archidemides ab Aquila fulva Johann August Starck verberge.23 Der genannte anonyme Aufsatz in der Berlinischen Monatsschrift geht dann insofern noch über den Anti-SaintNicaise hinaus, als er eine Korrespondenz Starcks mit dem Geisterbeschwörer Schrepfer belegt, dem er sich brieflich als Lehrling angeboten hat.24 Starck strengt auf diesen Aufsatz hin noch im selben Jahr eine Beleidigungsklage gegen Gedike und Biester vor dem Berliner Kammergericht an, doch verliert er diesen Prozeß, der in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt.25 Noch während des Prozesses setzt Starck sich mit seiner umfangreichen Schrift über den angeblichen Krypto-Katholizismus öffentlich gegen seine Ankläger zur Wehr. Er geht aber auch zum Gegenangriff über, indem er aus der Debatte um Lavater die Anschuldigung aufgreift, daß die Berliner Aufklärer gezielt für ein deistisches Glaubensbekenntnis werben. Den Vorwurf des Deismus erhebt Starck nicht nur gegen die Herausgeber Gedike und Biester, sondern auch gegen Christoph Friedrich Nicolai. In bezug auf ihn ist dies insofern heikel, als Nicolai zwar in seiner Reisebeschreibung26 mehrfach das Thema des Kryptokatholizismus anschneidet und auch gegen Starck eingestellt ist – durch Johann Christian Bock und Bode ist er über das Gerücht informiert, Starck sei während seines Aufenthalts in Paris 1765 zum Katholizismus übergetreten (und dieses Gerücht entspricht mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit den Tatsachen) –, sich in die öffentliche Auseinandersetzung mit Starck jedoch zunächst nicht eingeschaltet hat. Den pauschalen Verdächtigungen kryptokatholischer Umtriebe in der Berlinischen 23

Siehe ib. Bd 2.80: M. Johann August Stark, heißt: Archidemides ab Aquila Fulva; siehe ferner die Briefunterschrift ib. 114: Fr. Archidemides ab Aquila Fulva, Presb. Cleric. h. o. T. Stark. 24 Anonym: Noch etwas über Geheime Gesellschaften im protestantischen Deutschland, 68–76. 25 Proceß über den Verdacht des heimlichen Katholicismus zwischen dem Darmstädtischen Oberhofprediger D. Stark als Kläger, und den Herausgebern der Berlinischen Monatsschrift, Oberkonsistorialrath Gedike und Bibliothekar D. Biester als Beklagten, vollständig nebst der Sentenz aus den Akten herausgegeben von den loßgesprochenen Beklagten. Berlin 1787. – Zu Beginn seines Vorwortes, ib. IIIf., schreibt Friedrich Gedike, seit langem habe kein Proceß so allgemeine Aufmerksamkeit in Deutschland, besonders in der gelehrten Republik, erregt, als der Injurienproceß, den der Herr Oberhofprediger D. Stark als das leichteste Mittel ansah, den Verdacht zu vernichten, in den er nicht sowol durch die Berlinische Monatsschrift, deren Herausgeber er gerichtlich belangte, als vielmehr durch seine eignen bedenklichen Schritte, und besonders durch seine Schriften und öffentlich bekannt gewordene Briefe | gerathen war. Am Schluß heißt es, Starck habe sich schon selbst durch sein Buch [sc. Über Kryptokatholizismus, Bd I] auf die niedrigste und verächtlichste Stuffe gestellt, auf der ein Gelehrter stehen kann. 26 Christoph Friedrich Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781; nebst Bemerkungen ueber Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. 12 Bde. Berlin 1783–1786.

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Monatsschrift stellt Starck in seiner Apologie die Bemerkung entgegen, man müsse schließlich erst wissen, ob Nicolai, Biester und Gedike wirklich das sind, wofür sie sich ausgeben, nehmlich Protestanten, das ist evangelische Christen, die unsere Augsburgsche Confeßion und übrigen symb o l i s c h e n B ü c h e r annehmen, oder ob sie nicht etwan heimliche Naturalisten und Socinianer sind, die uns nur berücken wollen; welcher Vorwurf ihnen von andern Schriftstellern schon gemacht ist – und in einer Fußnote hierzu erläutert er: Z. E. Vom Hrn. Superint. de Marées in den Briefen an die neuen Wächter der protestantischen Kirche, und in den Resultaten zur Jacobischen und Mendelssonschen Philosophie. Vielleicht seien die drei Genannten ja gar heimliche Abgeordnete und Vorbereiter der Katholiken und Jesuiten, die alles verunsichern sollen.27 Die Nähe der Berlinischen Monatsschrift zu Deismus und Naturalismus sieht Starck durch einen dort anonym veröffentlichten Artikel belegt, dessen Verfasser den Deismus in warmen Worten empfiehlt und auch bekennt, er wolle lieber zu den Naturalisten als zu den Supranaturalisten gezählt werden.28 Dennoch betont Starck ausdrücklich: Ich will nicht behaupten, daß Herr N i k o l a i und die Herren Biester und G e d i k e und ihre verborgenen Mitarbeiter keine Protestanten sind; ich will nicht behaupten, daß sie Socinianer und Naturalisten und unter dem Schein uns aufzuklären, heimliche Werkzeuge des Katholicismus sind, und ich würde mich schämen, wenn ich, wie die Monatsschriftsteller mir gethan, sie auffordern wollte, zu beweisen, d a ß s i e 27

Starck: Über Krypto-Katholicismus, Bd 1.69. – An anderer Stelle (Über Krypto-Katholicismus, Bd 2.118) wendet er sich mit heftigen Worten gegen Sozinianer, Deisten und Naturalisten: Wer, wie sie, ihren Herrn und Meister Jesum Christum verläugnen, verwerfen und verachten kann, ist mir ein Auswurf der Menschheit, und nächst S a t a n , dem alten Feinde Christi, das bedauernswürdigste Geschöpf. – Die Sozinianer sind eine im 16. Jh. in Polen sich formierende Religionsgemeinschaft, die wesentlich von den Italienern Lelio und Fausto Sozzini geprägt ist. Sie wendet sich gegen das Trinitätsdogma, das intern gleichwohl heftig diskutiert wird, so daß die Vereinigung im Streit über dieses Thema zwischenzeitlich zerfällt. Schließlich wird sie von Fausto Sozzini, der sich seit 1579 in Polen aufhält, wieder vereinigt. Er erarbeitet den Rakówer Katechismus, der aus der christlichen Lehre den Trinitäts-, den Inkarnationsgedanken sowie den Sakramentsglauben ausschließt. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts werden die Sozinianer von gegenreformatorischer Seite verfolgt. Nach der Zerstörung Rakóws 1638 werden sie des Landes verwiesen. 28 Starck: Über Krypto-Katholicismus, Bd 1.88, zitiert und kommentiert aus dem mit K. F. gezeichneten Artikel Ueber den wahren Geist des reinen Deismus in der Berlinischen Monatsschrift von 1784, St. 9: September, 231–237, Zitat 237: Der Freund des reinen Deismus verwirft alles Uebernatürliche, womit die Religionen, es sey in Absicht ihres Ursprungs oder i h r e r L e h r e n u n d G e s c h i c h t e , pralen, also auch alles, was von Christo und seiner göttlichen Sendung und Wundern gesagt wird, und den ganzen Grund unsers Glaubens; e r k e n n t k e i n e a n d e r e w a h r e u n d äc h t e R e l i g i o n , als die Religion der Vernunft, und muß ja eines von beyden seyn, so will er lieber zu den Naturalisten als den Supranaturalisten g e z äh l e t s e y n .

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es n i c h t s i n d . Ich rede nur nach ihren eigenen Grundsäzzen, und nach denselben ist alles so äußerst gefährlich und mißtrauensvoll gemacht, daß man selbst den größten Eifer für Protestantismus und Aufklärung selbst für verdächtig halten muß, und die Sicherheit nicht weit genug treiben kann.29 J. hat Starcks Apologie trotz ihrer polemischen Abschweifungen als eine hinreichende Klarstellung aufgefaßt – allerdings nur dafür, daß die behauptete Bedrohung durch Kryptokatholizismus und Jesuitismus ein Märchen sei. Damit ist keine uneingeschränkte Zustimmung zu den Handlungen und Schriften Starcks verbunden. An Johannes Müller schreibt J. über Starcks Apologie: Sie werden sich über die Roheit u den orthodoxen Unfug des Verfaßers ärgern, aber noch mehr seine Verfolger verabscheuen. Was soll aus der Gesellschaft werden, wenn man sich aus grillenhafter Furcht oder Hoffnung solche Schritte erlauben will, wie gegen Stark gethan worden sind, u noch gethan werden?30 Bereits am 3. Oktober 1787 schreibt er ihm über den ersten Band von Starcks Apologie: Das Lächerliche des Jesuiter Märchens u die Blößen seiner Gegner hat er genug aufgedeckt. In wiefern er seine eigenen decken kann, wird der 2te Theil, der bald nachfolgen soll, ausweisen. Die Erscheinung des Nachtrags von Originals Schriften der Illuminaten kann ihm gute Dienste leisten. Die Quellen des Lärms, die Absichten u Mittel seiner Verbreitung, kurz das ganze Geheimnis des HypercryptoJesuitismus u philosophischen Papismus, liegt dort klar vor Augen. Von Nicolai heißt es ausdrücklich, »daß er nun auch vom Orden sey, et quidem contentissimus.« Man kan ohne Lachen u Unwillen nicht lesen, wie diese ruchlosen Schälke, die besten Menschen in ihr Garn zu ziehen gewußt haben, den Hohn womit sie über alles herfahren, um es zu ihren Absichten zu nutzen, u die Unkunde der Menschlichen Natur, u der alberne Eigendünkel, der allen ihren gut- u bosgemeynten Anschlägen zum Grunde lag. Ein herrlicheres Beyspiel von dem was die Philosophie unserer Zeiten ist, hätte nicht gegeben werden können. Wir glauben durch das Schattenspiel unserer Begriffe, nicht allein zum Anschauen über alle Erfahrung hinaus reichender Wahrheiten zu gelangen, sondern auch Triebe, Leidenschaften, Zwecke u Handlungen hervor bringen zu können. Darum täuscht uns auch jedes Schattenspiel das uns ein andrer vormacht, u wir wißen nicht, warum es nicht würkliche Dinge seyn könnten. Wahrlich, mich hat nichts als eine etwas tiefere | Metaphysik vor dem Illuminatismus, zu dem ich von mehr als einer Seite auf das kräftigste eingeladen wurde, bewahrt; nichts als die Ueberzeugung, daß würksame Grundsätze nur Resultat schon vorhandener Würksamkeiten seyn können, u daß sich das Ding auf keine Weise umkehren läßt. Der Mensch wird durch Triebe, Leidenschaften, allgemeines Beyspiel u Meynungen geformt u regiert; nicht durch Raisonement u Imagination a priori. 31 29 30 31

Starck: Über Krypto-Katholicismus, Bd 1.70 f. J. an Johannes Müller, 18. Juli 1788, JBW I,8. J. an Johannes Müller, 3. Oktober 1787, JBW I,6.269,19–270,6; siehe die

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V. Die eben zitierte Bemerkung Jacobis gegenüber Johannes Müller greift bereits auf eine neue Wendung des Streits um den Kryptokatholizismus voraus: auf seine Verflechtung mit dem Illuminatismus. Im Zuge des damaligen Vorgehens gegen den kurz zuvor verbotenen Illuminatenorden32 in Bayern werden Originalähnlichen Wendungen auch im Brief J.s an Lavater vom 6. Oktober 1787, JBW I,6.271,1–6. 32 Der Geheimbund der Illuminaten wird 1776 von Adam Weishaupt (1748– 1830), Professor für Kirchenrecht und praktische Philosophie, in Ingolstadt gegründet. Ziel des Ordens ist die Bekämpfung des absolutistischen Staates, die jedoch nicht mit Gewalt erfolgen soll, sondern durch Erziehung seiner Mitglieder zu gebildeten, gerechten, selbstbeherrschten Individuen, die schließlich wichtige Positionen im Staat bekleiden und diesen so von innen heraus verändern würden. Die ersten Mitglieder, die Weishaupt für seinen Bund gewinnt, stammen ausschließlich aus seinem Studentenkreis. Erst als er Mitglied einer Münchner Freimaurerloge wird, erweitert sich dieser Kreis erheblich. Unter Beamten in einflußreichen Positionen, Akademikern und Adligen, die er dort kennenlernt, gewinnt er zahlreiche Mitglieder, so daß sich das Zentrum des Ordens nach München verlagert. Zudem beansprucht die neue Mitgliederklientel allmählich größeren Anteil an der Führung des Bundes, zunächst einmal bei der Ausarbeitung bisher noch fehlender verbindlicher Statuten. Nach Auseinandersetzungen mit Weishaupt bildet sich schließlich 1779 ein Führungsgremium, der »Areopag« als »allerhöchstes Collegium des Ordens«, das die »Allgemeinen Ordens-Statuten« von 1781 mit ausarbeitet. Nachdem sich auf Grundlage dieser Satzungen eine feste Mitgliedergruppe konstituiert hat, verbreitet sich der Orden recht schnell über ganz Bayern. Zur eigentlichen Bedeutung gelangt er jedoch erst, als der norddeutsche Aufklärer Adolf Freiherr von Knigge (1742–1790) im Januar 1780 Mitglied der Illuminaten wird. Mit seiner Weltgewandtheit und seiner radikalaufklärerischen Haltung bringt er einen anderen Geist in den Bund und kann in Nord- und Westdeutschland zahlreiche Mitglieder vor allem unter den Adligen gewinnen. Diese Kontakte werden sämtlich über das Freimaurersystem geknüpft. So findet Knigge in Franz Dietrich von Ditfurth einen engagierten Mitstreiter. Dieser tritt auf dem Wilhelmsbadener Freimaurer-Konvent 1782 als scharfer Kritiker der Hochgradmaurerei auf und gründet nach Abschluß des Konvents, der schließlich zur Auflösung des Freimauer-Systems der strikten Observanz führt, den Eklektischen Freimaurerbund. Knigge und v. Ditfurth bemühen sich um eine Reformation der Freimaurerei und setzen sich für eine Rückkehr zum ursprünglichen Dreigradsystem ein. In diesem Bemühen vertreten sie eine grundlegend andere Haltung als Weishaupt, der dieses System letztlich nur für die Zwecke des Illuminatenordens instrumentalisieren will, so wie er auch die Übernahme der Praktiken des von ihm bekämpften Jesuitismus als Mittel für seine Zielsetzungen nicht scheut. Dieses Vorgehen folgt letztlich der Überzeugung, daß nur die Anpassung an die Handlungsweise des Gegners diesen ausschalten kann. Knigge kommentiert das kritisch mit den Worten, Weishaupt folge dem Grundsatz, man dürfe zu guten Zwecken sich böser Mittel bedienen. (Aus den Dokumenten des Illuminatenbundes, Protokoll der Sitzung vom 12. Februar 1784. In W. Daniel Wilson: Geheimräte gegen Geheimbünde. Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars. Stuttgart 1991, 289) Das Verhältnis beider ist denn auch zunehmend von Auseinandersetzungen geprägt, da Knigge in Weishaupts autoritärem Führungsstil jesuitische Charakterstrukturen zu erkennen meint. Sollte selbst Spartacus [so Weishaupts Ordensname]

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schriften der Illuminaten gefunden und in zwei Bänden veröffentlicht, dann noch ein weiterer Band mit einem Nachtrag von weitern Originalschriften. In ihm ist ein Brief des Gründers dieses Ordens, Adam Weishaupt, vom 25. Januar 1782 veröffentlicht, in dem es heißt: Nicolai ist nun auch beim Orden [als Symbol] et quidem contentissimus.33 Diese Nachricht erscheint während der Arbeiten Starcks an den Korrekturen des zweiten Bandes seiner Apologie; er beurteilt ihre Brisanz wie Jacobi und läßt deshalb in den bereits gesetzten Band nachträglich noch eine Fußnote mit dieser Nachricht einfügen, um sie weiter zu ein verlarvter Jesuit seyn? fragt er in einem Brief vom März 1783. Doch das, was er Weishaupt vorwirft, praktiziert er vormals selber. In einem Brief vom Mai 1781 diskutiert er mit Weishaupt, inwiefern beim Kampf gegen die Jesuiten gleichwohl jesuitische Organisations- und Verhaltensmuster übernommen werden könnten und sollten: Seit 8 Tagen lese ich Tag und Nacht über Jesuiten und habe gewiß ihr ganzes System studiert. Ihre Verfassung war höchst despotisch. Diesen Despotismus zum Guten angewendet, und man wird Wunder thun können – das ist wahr. Allein nichts ist auch so sehr ein Stein des Anstoßes gewesen als dieser Despotismus. Trotz dieser Einschränkung fährt Knigge fort: Wenn also eine geheime Gesellschaft nach ihrer Verfassung sich bilden wollte (und die unsrige ist es in den mehrsten Stükken) so glaube ich müsste man die große Kunst erfinden, diesen Despotismus beyzubehalten, ihn aber mit der feinsten Kunst zu maskieren. So dächte ich müsste aller Orten von freier Wahl die Rede seyn, aber diese Wahl immer durch Vertrauete des Generals dirigiert werden. (Siehe W. Daniel Wilson, in Zwischen Weltklugheit und Moral. Der Aufklärer Adolph Freiherr Knigge. Hrsg. von Martin Rector. Göttingen 1999, 136) Knigge entwickelt seine kritische Haltung gegenüber autoritären, bevormundenden Strukturen jesuitischer Provenienz erst, als Weishaupt ihn selbst in einer Weise, die er als beleidigend empfindet, zum Befehlsempfänger macht. Die daraus entstehenden schon genannten Differenzen zwischen Weishaupt und Knigge eskalieren, als dieser ein Rundschreiben an die Mitglieder des Areopags schickt, in dem er ein Treffen vorschlägt, bei dem organisatorische Fragen erörtert werden sollen. Knigge selbst strebt dabei Veränderungen an, die vor allem personelle Transparenz ermöglichen. Das wiederum steht den Interessen Weishaupts entgegen; das Agieren im Verborgenen und Geheimniswahrung sind ihm zufolge wesentliche Bestandteile des Ordenslebens. Eine Aufgabe dieser Prinzipien bedeutete für ihn persönlich die Offenlegung und damit auch Gefährdung der leitenden Funktion, die er nach wie vor innehat und die nur dem Areopag bekannt ist. Diese Zuspitzung des Konflikts führt zu Spaltungen innerhalb des Illuminatenbundes, so daß der schließlich erfolgende Austritt Knigges Ende 1783 zum Symptom für den dann bald einsetzenden Verfall des Ordens wird: Ein anderes Exmitglied, der Hofkammerrat Joseph von Utzschneider, verrät die Illuminaten, indem er sie beim bayrischen Kurfürsten Karl Theodor staatsgefährdender Umtriebe bezichtigt. Folge ist das Verbot des Ordens im Jahr 1785 und die sich daran anschließende Verfolgung seiner Mitglieder. Weishaupt selbst kann fliehen und findet schließlich Schutz beim Herzog Ernst von Sachsen-Gotha. 33 Nachtrag von weitern Originalschriften, welche die Illuminatensekte überhaupt, sonderbar aber den Stifter derselben Adam Weishaupt, gewesenen Professor zu Ingolstadt betreffen, und bey der auf dem Baron Bassusischen Schloß zu Sandersdorf, einem bekannten Illuminaten-Neste, vorgenommenen Visitation entdeckt, sofort auf Churfürstlich höchsten Befehl gedruckt, und zum geheimen Archiv genommen worden sind, um solche jedermann auf Verlangen zur Einsicht vorlegen zu lassen. Zwo Abtheilungen. München 1787, 28.

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verbreiten.34 In seinem ein Jahr später erscheinenden Nachtrag über den angeblichen Krypto-Katholicismus greift er Nicolai nun auch wegen dessen Mitgliedschaft im Illuminatenorden an, und Nicolai sieht sich wegen dieser Nachricht und wohl insbesondere wegen ihrer Verbreitung durch Starck zu einer Öffentlichen Erklärung über seine geheime Verbindung mit dem Illuminatenorden genötigt.35 Er zitiert dort zu Beginn (und im folgenden noch mehrfach) den genannten Brief Weishaupts vom 25. Januar 1782 und sucht sein Stillschweigen über seine Mitgliedschaft zu rechtfertigen: Er habe anfänglich nicht geglaubt, daß es der Mühe lohne, darauf einzugehen, doch habe Starck diese Nachricht in seinem Buch über Kryptokatholicismus und auch im späteren Nachtrag in weiten Kreisen bekannt gemacht. Nicolai formuliert dann die für die Klärung der Vorwürfe nöthigen Fragen und gibt auf die erste, Ob es wahr sey, daß ich im Orden der Illuminaten gewesen? ein deutliches und freywilliges: J a ! zur Antwort, verneint jedoch die Unterstellung, er sei zur Zeit von Weishaupts Brief bereits Mitglied gewesen. Hierauf erzählt er ausführlich, wie er dazu gekommen sei, Mitglied verschiedener geheimen Gesellschaften zu werden, ferner, Wie weit ich im Orden der Illuminaten gekommen sey?, wie weit er im Orden tätig gewesen sei, warum er untätig geblieben sei usf. Er sucht den Eindruck zu vermitteln, daß er zwar formell Mitglied des Ordens gewesen, aber passiv geblieben sei und Weishaupt keinerlei Recht zu seiner Behauptung gehabt habe, Nicolai sei im Orden sogar contentissimus gewesen; vor allem aber nutzt er seine Rechtfertigungsschrift zu weiteren Angriffen auf Lavater und insbesondere auf Starck. VI Im zweiten Band seines Über Krypto-Katholicismus weist Starck ferner einen gegen ihn gerichteten und von dieser Seite gewis nie vermutheten Ausfall zurück, den die früher einmal mit Cagliostro in Verbindung stehende, nun aber mit Nicolai befreundete Elisa von der Recke in ihrer Nachricht von des berüchtigten Cagliostro Aufenthalte in Mitau36 auf ihn unternommen hat. Starck äußert Verständnis und Mitgefühl für die Täuschung, deren Opfer sie durch Cagliostro geworden ist, schreibt aber, man könne nicht ohne Betrübnis lesen, 34 Starck: Über Krypto-Katholicismus, Bd 2.173: Da dieser Bogen bereits im Druck war, finde ich in dem eben erhaltenen zweyten Bogen von dem Nachtrag von Originalschriften die Illuminaten betreffend 1ste Abtheilung S. 28 folgendes [d. h. den Brief Weishaupts]: Wer im ersten Treffen streiten will, der muß ein rüstiger Fechter und auf allen Seiten eingeschossen seyn – Nikolai ist nun auch beym Orden et quidem contentissimus – ! – ! – ! – ! 35 Friedrich Nicolai öffentliche Erklärung über seine geheime Verbindung mit dem Illuminatenorden; Nebst beyläufigen Digressionen betreffend Hrn. Johann August Stark und Hrn. Johann Kaspar Lavater. Ernsthaft, mit unter auch ein wenig lustig zu lesen. Berlin / Stettin 1788. 36 Charlotta Elisabeth Konstantia von der Recke, geb. Gräfinn von Medem: Nachricht von des berüchtigten Cagliostro Aufenthalte in Mitau, im Jahre 1779, und von dessen dortigen magischen Operationen. Berlin / Stettin 1787.

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daß sie nun in die gegenseitige Schwärmerey […] schon so tief eingedrungen ist, daß sie das ganze Nikolaitisch-Biestersche Jesuiter-Gespenst adoptirt, allenthalben Jesuiten spukken sieht und sogar befürchtet von irgend einem heimlichen Mißionar der Lojoliten vergiftet zu werden, und sich deshalb gleichsam zum Märtyrer-Tode anschikt. Starck äußert seine Betroffenheit darüber, daß Elisa ihn, obgleich sie ihn persönlich kenne, mit dem Betrüger Cagliostro in Parallele stelle, und er schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß sie, wenn ihr Herz – was er immer noch glaube – edel und rechtschaffen sei, das ihm zugefügte Unrecht einsehen und sich ärgern werde, daß auch sie zu dem dürftigen Scheiterhaufen etwas Reisig herzuschleppen wollte, auf dem ich zur Ehre der Religion und der Aufklärung verbrennt werden sollte.37 Dies ist der Stand der Entwicklung dieses Streits, als J. sich entschließt, seine Abhandlung über den Frommen Betrug zu schreiben,38 in der er ebenfalls das Märchen von der Bedrohung durch einen Kryptokatholizismus zurückweist und insofern Starck gegen seine Ankläger verteidigt,39 ohne sich jedoch mit ihm in eine Klasse zu stellen, wie ihm später Nicolai vorwerfen wird.40 J. hat ein starkes Echo auf sie erwartet; kurz nach ihrem Erscheinen im Februar 1788 erscheint jedoch noch eine weitere Schrift: Elisa von der Reckes Gegenschrift gegen Starck,41 in der sie ihre ursprüngliche Bezugnahme auf ihn rechtfertigt und die Anklagen gegen ihn erneuert und verstärkt: Starck habe bei seinem hiesigen Aufenthalte [sc. in Mitau] einen sehr thätigen Antheil an geheimen Verbindungen genommen und allgemein als ein Mann gegolten, der die rechten unbekannten 37

Starck: Krypto-Katholicismus. Beylagen zum zweyten Theil. [zweite Paginierung:] Die dem Doctor Stark gemachte Beschuldigungen und seine Rechtfertigung, 335–342; siehe auch die Anm. zu 107,3–4. 38 Siehe JWA 5,1.105–131 sowie den Editorischen Bericht, unten 475–480. 39 Starck hat dies vermerkt; siehe seinen Nachtrag über den angeblichen Krypto-Katholicismus, Proselytenmachery, Jesuitismus und geheime Gesellschaften, besonders seinen Prozeß mit den Herausgebern der Berliner Monatsschrift angehend; mit Acten-Stücken belegt. Giessen 1788. In seiner am 2. März 1788 unterzeichneten Vorrede, ib. IXf., schreibt Starck: Auch sehe ich in dem mir eben in die Hände gekommenen Februarstük des deutschen Musäums, daß Hr. Geheime Rath J a c o b i mir eben die Gerechtigkeit wiederfahren läßt, und auch dem Publikum die Absichten entdeckt, die | diese Herrn durch dieses ihr Gauckelspiel erreichen wollen, nemlich die Aufmerksamkeit des Publikums von einem Buche abzuziehen, welches sie ganz in ihrer Blöße der Welt darstellt, um der Menge einzubilden: Die 5 Alphabete seyen nur eine Eruption von Schimpfworten. 40 Siehe Christoph Friedrich Nicolai an J., 20. Juni 1788, JBW I,7. 259,30–32 bzw. JWA 5,1.148,9–11. 41 Etwas über des Herrn Oberhofpredigers Johann August Stark Vertheidigungsschrift nebst einigen andern nöthigen Erläuterungen von Charlotte Elisabeth Konstantia von der Recke geb. Gräfinn von Medem. Berlin und Stettin, bey Friedrich Nicolai 1788. – Im Vorbericht des Verlegers hierzu betont Nicolai, er habe sich die Freiheit genommen, Elisa von der Recke verschiedenemal ernstlich davon abzurathen, gegen Starck zu schreiben; er habe aber schließlich geglaubt, die Bekanntwerdung dieser Schrift nicht verhindern zu müssen; s. XII und XV.

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Quellen der Geheimnisse kennen müßte; zudem habe er die Vermutungen über seine Konversion zum Katholizismus und über seine Autorschaft des St. Nicaise nicht widerlegt. Sie berichtet von den hochgespannten Erwartungen, die sie und andere sowohl in Starck (als Vertreter der weißen Magie) als auch in Cagliostro (als Vertreter der schwarzen Magie) gesetzt hätten und die Starck selber genährt habe, auch über seine frühere Verbindung mit Schrepfer und die gegen diesen geäußerte Hochschätzung. Elisa von der Recke beklagt Starcks Unaufrichtigkeit; seine jetzigen Äußerungen stünden in striktem Gegensatz zu seinem damaligen Verhalten. Zudem versuche er jetzt, die redlichen Absichten Nicol a i ’ s , B i e s t e r s und G e d i k e ’ s verdächtig zu machen und sie zu Naturalisten und Sozinianern zu erklären. Ferner geht sie auf die Stellung Garves in diesen Auseinandersetzungen und ausführlich auf Schlossers Artikel über Cagliostro ein. Den Schlußabschnitt ihrer Schrift eröffnet sie mit einer Aufforderung an Starck: Welches Verdienst könnte Herr S t a r k um die Menschheit haben, wenn er nun endlich zur Warnung anderer, ein öffentliches offenherziges Bekenntniß von den Irrgängen seiner Seele ablegen würde!42 Elisa von der Reckes Gegenschrift hat ihre Wirkung zumindest bei einigen Lesern nicht verfehlt, wie sich an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg zeigt. Er schreibt am 28. April 1788 an J.: ich habe die Feder ergriffen um über Starck mit Ihnen zu reden. / Ihnen bedarf ich nicht zu sagen wie mich die Pro|cedur der berlinischen InquisitionsRäthe gleich von Anfang an geärgert habe. So wohl dieser, mir vorher schon verdächtigen Menschen Gedicke und Biester verfahren gegen unsern Lavater, als auch diese odiöse Delation gegen Stark, musten unpartheiische Menschen f ü r den armen Inquisiten intereßiren. Der Ausspruch des Tribunals wolte wegen mehr als einer o b v i o u s r e a s o n nicht viel zur wahren Beleuchtung der Sache beytragen. / Ich war geneigt Starcken für unschuldig zu halten. In jedem Monatstück giftige Anklagen gegen ihn, oder auch seine ungeheure Apologie zu lesen war mir unmöglich. Beides hätte ich thun müßen, ja vielleicht auch die frühern Schrif|ten dieses Mannes zur Hand nehmen, um j u d e x c o m p e t e n s zu seyn. Dazu interreßirte mich weder Stark noch seine Angeber genug. Von jenem hatte ich vorher nichts gewust, diese waren mir schon odiös. So odiös daß ich mich freute als Sie Parthei für Starck nahmen. Wenn J a c o b i , dachte ich, sich für Starck interreßirt, so haben ihm seine Berliner Feinde gewis Unrecht gethan, und so wird ihre Schalkheit einmal in ein evidentes Licht gesezt werden. Daß sie es werde, muß jeder Freund der Religion wünschen. Ich freute mich dieses Triumphs schon, als mir die Recke ihr Büchlein über Stark sandte. / Wie unlieblich mir das in Berlin eingesogne Halbchristenthum dieses Büchleins dufte, können Sie leicht denken, und wie unlieblich der Weihrauch welchen diese Frau Nicolai, Gedicken, Biestern streut. Aber die Art ihrer Controvers gefiel mir. Scharf und glimpflich, treffend, Keine Ausflüchte suchend, keine Verdrehung. Gerade entgegen gesetzt dem Modo 42

von der Recke: Etwas über des Herrn Oberhofpredigers Johann August Stark Vertheidigungsschrift, 5, 10, 11–13, 27, 55, 66–71, 74, 95.

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Berolinensi. Die facta sind offenbar, und Stark erscheint zum wenigsten als ein doppeltzüngiger Gleißner. Mein erster Gedanke war: Du must deinen Freund und Bruder J a c o b i aufmerksam darauf machen, damit dieser edle Athlete für die Wahrheit nicht in die Luft streiche! In die Luft streichend keine Blöse über sich gebe! welchen Nutzen würden nicht die hähmischen Laurer von jeder gegebnen Blöße ziehen! Laßen Sie Starck fallen, er muß fallen, es ist gut daß er falle! Denn er Hat offenbar geheuchelt. / Die Feinde des Christenthums wünschen nichts mehr als daß die Sache der Religion mit der schändlichen Sache unsrer neueren Thaumaturgen und Magier | verwechselt werde. Unsers Lieben und dreimal Lieben Lavaters Schwächen haben sie dazu genutzt. / Schloßers Geist und Launevoller Aufsatz über Cagliostro, welcher mir so viele Freuden machte, hat doch von dieser Seite geschadet. Deutschland hat keine Männer, welche so kräftig für die gute Sache streiten können als Sie und Schloßer. Aber dann muß alles Böse von der guten Sache desto sorgfältiger abgesondert werden, da diese Vermengung unsrer Feinde eifrigstes bestreben ist.43 Starck scheint die für ihn nachteilige Wirkung dieser Schrift empfunden zu haben; deshalb antwortet er wiederum auf sie mit einer nun sehr polemischen Verteidigungsschrift,44 durch die er Elisa von der Recke innerer Widersprüche in ihren Berichten über die Ereignisse in Kurland einerseits und den KryptokatholizismusVerdacht andererseits zu überführen sucht. Sie habe die eine Schwärmerei verlassen, um sich in eine andere zu stürzen, die in der That eben so gefährlich, als diejenige des Cagliostro, ja nach Schlossers Urtheil [Fußnote] noch gefährlicher ist, da Cagliostro seine Schüler und Schülerinnen der himmlischen Hierarchie unterwerfen wollte, die Berliner Zionswächter aber u n s d e r J o u r n a l o c r a t i e z u u n t e r w e r f e n d r o h e [ n ] . I c h s a h e , d a ß s i e n u r d i e C a g l i o s t r o s c h e M a g i e gegen die Nikolaitisch-Biestersche vertauscht hatte, und in dieser Hinsicht Mitleid verdiene. Sie habe P a u l i Ermahnung so ganz aus der Acht gelassen, daß die W e i b e r i n d e r G e m e i n d e s c h w e i g e n u n d n i c h t L äs t e r i n n e n seyn sollen. 45 Er bedaure diese ritterliche Dame: denn wie muß sie zusammenfahren, wenn sie, die so viel über blinden Gehorsam, unbekannte Obern, Katholicismus, Jesuitismus und Magie geschrieben, nun zu ihrem Entsetzen erfährt, daß der neue Prophet, dessen Aufklärungsfackel sie gegenwärtig folgt, dem sie gar ihre Opera zum Ausfeilen geschickt, ein höchstzufriedenes Mitglied [eines] nach Jesuitischem Muster gebildeten und katholische unbekannte O b e r n habenden, b l i n d e n G e h o r s a m fodernden, und gar mit einem

43 Friedrich Leopold Graf zu Stolberg an J., 28. April 1788, JBW I,7.184,22– 185,29. 44 Johann August Starck: Auch Etwas wider das Etwas der Frau von der Recke über des Oberhofprediger Starcks Vertheidigungsschrift. Leipzig 1788. 45 Ib. 12 f., 18.

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Magus-Grad begabten Orden ist!!!46 Die von Elisa berichteten Vermutungen über seine Konversion erklärt er für Mährchen, und ähnlich ihre Behauptungen über seine angebliche Wertschätzung Schrepfers. Ihre Aufforderung schließlich, er solle ein Bekenntnis von den Irrgängen seiner Seele ablegen, reicht er an Bruder Lucian (so der Geheimname Nicolais bei den Illuminaten) weiter, den er zudem am Ende wegen seines Vorworts zu Elisas Schrift scharf angreift.47 Schließlich fügt Starck noch einen Briefwechsel mit Elisa bei, in dem er sich auch auf J.s Bemerkung in der Abhandlung über den Frommen Betrug bezieht, er habe Elisa im zweiten Band seiner Apologie m i t s o v i e l A n s t än d i g k e i t u n d Z u r ü c k h a l t u n g behandelt, daß m a n d e u t l i c h s e h e , e s f e h l e m i r n i c h t a n V e r m ög e n , m i c h z u m äs s i g e n . 48 Damit endet der unmittelbare Streit zwischen Nicolai und Starck – doch kommt es noch zu einem Nachspiel: In Nr 26 des Intelligenzblattes der Allgemeinen Litteraturzeitung49 erscheint ein – durch das Etwas der Frau von der Recke veranlaßtes – Schreiben eines Ungenannten [d. h. des Konsistorialdirektors v. Grolmann aus Gießen] vom 14. Dezember 1788 an Peter Ernst von der Osten, genannt Sacken, in Kurland, das v. Grolmann zusammen mit dessen Antwort unter dem Titel Etwas zur Erläuterung der Starckschen Sache, in Bezug auf den Aufenthalt in Kurland separat veröffentlicht.50 Er nimmt eingangs Bezug darauf, daß Elisa von der Recke in ihrem Etwas jeden Anonym berechtigt, sich bey Leuten, die Hrn Starck in Kurland gekannt, nach demselben zu erkundigen, und legt v. Sacken – im festen Vertrauen also auf diesem Wege endlich zu einer ganz unverdächtigen Wahrheit zu gelangen – fünf Fragen über Starcks Erscheinung und Verhalten in Kurland vor. v. Sacken bekennt sich als einen der vertrautesten Freunde Starcks, der ihn länger als alle anderen Bekannten kenne. Er habe nie die geringste Neigung zum Katholicismus und Jesuitismus an ihm verspürt, auch nie Verbindungen Starcks zu Katholiken und speziell Jesuiten bemerkt; Starck sei vielmehr ein Anhänger der 46

Ib. 21. Ib. 159–171. 48 Ib. 180; vgl. JWA 5.107,6. – Zu J.s Beurteilung dieser Schrift siehe seinen Brief an seinen Sohn Georg Arnold vom 3. Juli 1788, JBW I,8: Starkens a u c h Etwas hat eine Menge trefflicher Stellen. Bey aller seiner Rohheit hat dieser Mann allein doch mehr Witz u Männlichen Verstand, als seine Gegner miteinander. Er ist aber übel dran, weil er den besten Vorwurf, der seinen Gegnern zu machen ist, wegen seiner Lage nicht recht benutzen kan; den Vorwurf nehmlich, daß sie den Gesichtspunkt ganz verrücken. Von seinem Talar u rother Mütze, war nur in so fern die Rede, als der J e s u i t darunter stecken sollte; nur der Jesuit sollte heraus gegeißelt werden, wie Münchhausens Fuchs aus dem Balge, u nun stellen sie sich, als wäre es ihnen nicht um den B r a t e n, sondern, wie eben diesem Münchhausen, allein um den B a l g zu thun gewesen. Der Braten mag immer davon laufen. 49 Allgemeine Litteraturzeitung. Intelligenzblatt. 21. Februar 1789, Sp. 202–208. 50 Etwas zur Erläuterung der Starckschen Sache, in Bezug auf den Aufenthalt in Kurland. Berlin 1789. 47

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reinen Lehre unserer lutherischen Kirche; er habe keine Tonsur gehabt, und er habe nur solche Gespenstergeschichten erzählt, die er von anderen gehört habe, aber keine, die er als Augenzeuge erlebt haben wollte; er sei auch nicht der Schwärmerei zugeneigt gewesen und habe auch nie Magie getrieben, sondern dergleichen Umtriebe jederzeit gemißbilliget. Auf diese Ehrenerklärung für Starck antwortet Nicolai mit einer Erklärung in Nr 42 des genannten Intelligenzblattes,51 die er ebenfalls separat veröffentlicht.52 Nicolai ignoriert den Inhalt der Erklärung v. Sackens und eröffnet seine Nöthige Erklärung mit der gegen dessen Bemerkung gerichteten Behauptung, ihm sei nicht bewußt, daß ich, besonders meinerseits, mit dem Hrn. O. H. P. Stark einen Streit hätte, oder jemals gehabt hätte, auf welchen das, was der Herr von Sacken über Hrn. Stark in seinem Briefe schreibt, irgend einen Einfluß haben könnte. Nicolai berichtet sodann über seine zunächst freundlichen und sodann durch den Kammergerichtsprozeß Starcks gegen Gedike und Biester getrübten Beziehungen zu Starck; dann geht er jedoch wieder breit auf die schon lange diskutierten Themen ein: auf die Einbeziehung der Frau von der Recke in den Streit, auf Starcks Klerikat, seinen Aufenthalt in Kurland usf. Hierauf jedoch läßt v. Grolmann – diesmal unter seinem Namen – am 30. Mai 1789 ein Fortgeseztes Etwas zur Erläuterung der Starck’schen Sache in Bezug auf den Aufenthalt in Kurland aus kurländischen Originalbriefen dokumentirt erscheinen.53 Er weist hier Nicolais Nöthige Erklärung nachdrücklich zurück und wehrt sich gegen die ihm darin gemachten Unterstellungen. Ferner veröffentlicht er einen langen Brief v. Sackens vom 22. August 1789, der wiederum die Anschuldigungen gegen Starck entkräftet, sowie Briefe des Königl. Polnischen Geheimen Legationsraths v. Dörper zu Memelhof in Kurland vom 28. Mai 1789 und weitere Erklärungen, die zum Teil familiäre Verhältnisse betreffen, aber ebenfalls die Vorwürfe gegen Starck entkräften. Datiert ist diese Veröffentlichung auf den 23. September 1789. Auf sie antwortet wiederum Nicolai und bestreitet zunächst v. Grolmanns Aussagen, daß er im Streit mit Starck liege; sodann, daß frühere Äußerungen von ihm – wie Starck unterstellt – sich auf diesen bezogen hätten, so daß also der Streit nicht von ihm, sondern von Starck ausgegangen sei – was zwar für ihn persönlich, aber nicht für die Berlinische Monatsschrift zutrifft und für die Frage kryptokatholischer Umtriebe unwichtig ist. Nicolai veröffentlicht hier auch einen Privatbrief v. Sackens an ihn, in dem dieser eingesteht, er habe Nicolai voreilig beschuldigt, Elisa von der Recke in den Streit einbezogen zu haben, berührt v. Sackens Recht51

Erklärung über einige Stellen in der No. 26 des Int. Blatts der allgem. Literaturzeitung enthaltnen Correspondenz Hrn. Ob. Hofpr. Stark in Darmstadt betreffend, auch dessen ebendas. Nro. 19. abgedruckte Aufforderung. 52 Friedrich Nicolai nöthige kurze Erklärung über eine Aufforderung des Herrn Oberhofprediger Stark und eine denselben betreffende Korrespondenz. Berlin / Stettin 1789. – Die Nöthige kurze Erklärung ist mit Berlin, den 14 März 1789 unterzeichnet. 53 v. Grolmann: Fortgeseztes Etwas zur Erläuterung der Starck’schen Sache in Bezug auf den Aufenthalt in Kurland aus kurländischen Originalbriefen dokumentirt.Gießen 1789.

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fertigung Starcks aber mit keinem Wort.54 – Im zweiten Abschnitt seiner Streitschrift richtet Nicolai sich gegen eine Äußerung v. Dörpers, der in einer Privatunterredung Starck einen Jesuiten genannt und Nicolai für einen Juden gehalten hat, jedoch wiederum ohne auf die für Starck entlastenden Ausführungen v. Dörpers einzugehen. Statt dessen verliert Nicolai sich in Wiederholung, Stilisierung, Interpretation und nachträgliche Bewertung früherer Äußerungen. Starck hingegen bezieht sich in seiner Schrift gegen den kurländischen Pastor Carl Dietrich Wehrt,55 einen Schwager v. Dörpers, auf die Äußerungen des letzteren, in einer Weise, die Jacobi als endgültigen Sieg Starcks wertet.56 In diese letzte Phase des Streites um Starck greift J. jedoch – inzwischen sehr stark interessiert an den Auseinandersetzungen um die Französische Revolution – nicht mehr ein.

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Siehe Starck: Dokumentierter Anti-Wehrt, nebst einer kurzen Abfertigung der drey Berliner und des Herrn Carl von Sacken. Frankfurt am Main / Leipzig 1789 (hier Carl v. Sacken, im Unterschied zu Peter Ernst!). 56 Zu J.s Beurteilung dieser Schrift siehe seinen Brief an Johann Friedrich Kleuker vom 11. September 1789, JBW I,8: Stark ist oben drauf. Lesen Sie seinen documentirten Anti-Wehrt nebst einer kurzen Abfertigung der drey B e r l i n e r u n d d e s H e r r n K a r l v o n S a c k e n . Daß der verzweifelte Kerl mit einem solchen Triumph aus dem Handel kommen würde, ist über alle meine Wünsche und alle meine Erwartungen. Wenn die Berliner nicht vor Ärger über diesem Büchlein platzen, so soll mich verlangen was sie thun werden. – Siehe ferner J. an Johann Friedrich Kleuker, 9. Oktober sowie 16. Oktober 1789, JBW I,8.

EDITORISCHER BERICHT

Von den siebzehn Texten des vorliegenden Bandes sind sechzehn in den drei Jahrzehnten von 1787 bis 1817 entstanden. Anders als die überwiegende Zahl der Abhandlungen des Bandes 4 dieser Ausgabe (Kleinere Schriften I. 1771– 1783) lassen sie sich nicht geschlossenen größeren Gruppen zuordnen – etwa den Zeitschriften, in denen sie erschienen sind. Einen relativ geschlossenen Block bilden allein die vier Abhandlungen, die J. in den beiden Jahren 1787 und 1788 im Deutschen Museum veröffentlicht hat, wie schon zuvor sechs der Abhandlungen des Bandes 4. Die erste Abhandlung des vorliegenden Bandes – Die beste von den Haderkünsten. Eine Erzählung von 1787 – scheint zwar isoliert zu stehen und sich lediglich einer Reminiszenz an die Genfer Frühzeit J.s zu verdanken, doch ist sie wohl durch die Thematik angeregt, die J. auch in seinen Briefen aus diesen Jahren stark beschäftigt: durch den Kampf der Aufklärer um die Berlinische Monatsschrift gegen den – angeblichen – Kryptokatholizismus oder Kryptojesuitismus einiger Zeitgenossen. Zwei weitere Abhandlungen aus dem Deutschen Museum des Jahres 1788 stellen diesen Streit ins Zentrum: Einige Betrachtungen über den frommen Betrug und Eine kleine Unachtsamkeit der Berliner Monatsschrift, und Gleiches gilt für J.s Brief an Friedrich Nicolai, den er nach Nicolais Tod in überarbeiteter Form in seine Werke aufgenommen hat. Die letzte Abhandlung aus dem Deutschen Museum – Swifts Meditation über einen Besenstiel – aus dem Jahre 1789 – verdankt ihre Entstehung zwar einer Lesefrucht des Vorjahres, doch stellt J. auch sie noch implizit in den Kontext der genannten Auseinandersetzung – sofern er Swift als denjenigen stilisiert, der trotz aller Anfeindungen die critics – J. übersetzt Schreyer – keines Wortes würdigt, es sei denn durch deftigen Spott, und unbeirrt seines Weges geht. Diese chronologische Folge der vier Abhandlungen aus dem Deutschen Museum wird jedoch durch zwei andere Texte unterbrochen: Der zweite, 1787 erschienene Text des vorliegenden Bandes nimmt ohnehin eine Sonderstellung ein. Formal handelt es sich bei ihm um zwei Monographien, die zudem nicht von J., sondern von Frans Hemsterhuis stammen: Dessen Schrift Alexis ou de l’age d’or hat J. herausgegeben, und kurz zuvor hat er sie in einer Übersetzung veröffentlicht: Alexis oder Von dem goldenen Weltalter. Doch auch wenn J. nicht ihr Autor ist, darf sie in der vorliegenden Sammlung nicht fehlen: In seinem Vorbericht zu Band VI der Werke J.s begründet Friedrich Roth die Einbeziehung von J.s Übersetzung: A l e x i s endlich wurde von Jacobi wegen der Bestimmtheit und Deutlichkeit, wodurch er seiner Uebertragung entschiedene, von Hemsterhuis selbst lebhaft anerkannte Vorzüge vor der Urschrift gegeben hatte, als ein eigenes Werk geachtet und war deswegen von ihm selbst zur Aufnahme in diese Sammlung bestimmt.57 Diesem 57

Friedrich Roth: Vorbericht. WW VI. VI.

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Wunsch J.s entsprechend wird seine Übersetzung auch hier aufgenommen, und wegen des von Roth angesprochenen Verhältnisses von Urschrift und Übersetzung wird oben das französische Original der Übersetzung synoptisch beigegeben. Unterbrochen wird die Folge der gegen die Berliner Aufklärung gerichteten Schriften auch durch ein kurzes Vorwort J.s zu einer nachgelassenen Schrift seines im Februar 1787 verstorbenen Freundes Thomas Wizenmann über die Hauptmomente hebräischer Geschichte (1788). Mit diesem Jahr beendet J. seine Auseinandersetzung mit den Berliner Aufklärern; die folgenden Schriften sind nicht mehr auf sie bezogen, sondern einer Reihe unterschiedlicher, jeweils aktueller Themen gewidmet – beginnend mit dem Bruchstück eines Briefes an Johann Franz Laharpe, also an seinen früheren engen Korrespondenzpartner Jean-François de La Harpe, aus dem Jahr 1790. Diesen Brief hat J. ebenfalls unter seine Werke aufgenommen; wieweit die von ihm als Werk publizierte Form vom Original abweicht, läßt sich wegen dessen Verlustes nicht mehr erkennen. Er spricht eine massive Warnung vor dem Prinzip der französischen Revolution aus, eine Alleinherrschaft der Vernunft aufzurichten – und die erste der drei chronologisch folgenden, in Schillers Horen erschienenen Zufälligen Ergießungen eines einsamen Denkers ist dadurch verursacht, daß seine Warnungen im Brief an La Harpe ungehört verhallt sind. Die beiden folgenden Ergießungen wechseln jedoch zu anderen Themen über – zu J.s Lehre von der Meinung und seiner Einschätzung von Kants Moralphilosophie. Diese letztere Abhandlung ist zwar im Kontext der beiden vorangegangenen Ergießungen entstanden, jedoch nicht mehr in den Horen erschienen, sondern erstmals in Band I der Werkausgabe J.s. Sie richtet sich gegen Johann Georg Schlossers Verständnis der Moralphilosophie Kants; in modifizierter Kontinuität hierzu steht J.s Kritik an Schlossers Platon-Deutung. Diese ist allerdings erst 1796 geschrieben worden, nach der längeren zeitlichen Zäsur in Folge der Flucht J.s vor der französischen Besetzung Düsseldorfs ins Exil in Hamburg und Holstein. Eine – wenn auch nur sehr mittelbare – Beziehung zu Holstein ergibt sich hier zu J.s Vorrede zur Veröffentlichung der Briefe, die sein Sohn Georg Arnold von einer Reise in die Schweiz und nach Italien geschrieben hat, die er in der Gesellschaft Leopold Graf zu Stolbergs, des Freundes und nachmaligen Nachbarn J.s in Eutin, unternommen hat. Und während J. in dieser kurzen Vorrede Stolberg als väterlichen Führer und großen Wohltäter nennt, ist seine zeitlich folgende Abhandlung in gänzlich veränderter Weise auf Stolberg gerichtet: J. wendet sich hier, 1802, gegen die unverantwortliche Gemeinmachung der Briefe, die er zwei Jahre zuvor aus Anlaß der Konversion Stolbergs zum Katholizismus geschrieben hat. Dieses Problem der unerlaubten Veröffentlichung von Briefen steht auch im Mittelpunkt der nächsten Schrift, einer Streitschrift aus dem Jahre 1806 gegen Wilhelm Körtes Veröffentlichung vertraulicher Briefe von Verstorbenen und noch Lebenden, in diesem Falle von Briefen Wilhelm Heinses. Der Briefwechsel, den J. hier dokumentiert, stammt zum größeren Teil noch aus seinen Eutiner Jahren, doch zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Schrift ist die letzte Lebensphase J.s bereits angebrochen: mit seiner Berufung nach München, zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften. Im folgenden Jahr eröffnet J. dort in einer feierlichen Sitzung mit einer

Editorischer Bericht

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vorwiegend historisch ausgerichteten Rede eine neue Phase auch der Arbeit der wiederbegründeten Akademie. Die drei hierauf noch folgenden Texte des Bandes lassen sich nicht mit gleicher Sicherheit in die Entwicklungsgeschichte J.s einordnen. In dem Auszug aus: Der Philosoph Hamann werden Zitate aus Briefen Hamanns durch ergänzende Mitteilungen verbunden, die zwar sicherlich zum Zwecke dieser Veröffentlichung, Ende des Jahres 1812, niedergeschrieben worden sind, doch ist die Verfasserschaft J.s nur zu unterstellen und nicht mit gleicher Sicherheit wie die Datierung zu erweisen. Gesichert ist hingegen, daß J. im Jahr 1817 als letzte Arbeit die Fliegenden Blätter veröffentlicht hat; dennoch ist die Entstehungszeit der Notizen ungesichert – zumindest solange eine kritische Edition der Arbeitskladden J.s, denen die unter dem Titel Fliegende Blätter veröffentlichten Aphorismen entnommen sind, noch aussteht. Sowohl hinsichtlich der Verfasserschaft als auch des Entstehungszeitpunktes ungesichert ist schließlich das Gedicht Ich kann’s nicht sagen. Es liegt jedoch in J.s Handschrift vor und konnte bisher auch keinem anderen Autor zugewiesen werden. An das Ende des Bandes, hinter den Kommentar, ist schließlich ein Nachtrag zu Band 4 dieser Ausgabe gestellt worden: Es handelt sich um zwei von J. verfaßte und auch unterzeichnete Subskriptionsanzeigen für Wielands Geschichte des Agathon. Wie in Band 4 dieser Ausgabe hat auch in diesem Band die Vielzahl der veröffentlichten Kleinen Schriften eine Abweichung von den früheren Bänden erfordert: Der Editorische Bericht und der Kommentar sind durch Zwischenüberschriften untergliedert, so daß die Berichte leichter zugänglich sind und die Zuordnung der Kommentarnotizen zum kommentierten Text nicht allein über die Seitenzählung des Textbandes vorgenommen werden muß. Dem entsprechend ist das Inhaltsverzeichnis zu diesem zweiten Teilband ausführlicher gestaltet; es vermerkt sowohl für den Editorischen Bericht als auch für den Kommentar den Beginn des jeweils behandelten Textes. Abgesehen hiervon folgt die Gestaltung des vorliegenden Bandes den vorhergehenden Bänden: Unter dem Grundtext sind, soweit erforderlich, zwei Apparate angeordnet: Der Variantenapparat verzeichnet gegebenenfalls sämtliche Varianten der jeweils zweiten Auflage (D2) gegenüber der ersten (D1); da es zu keiner Schrift eine dritte Auflage gibt, wird im allgemeinen auf die Anführung dieser Siglen verzichtet; abweichend von dieser Regel werden sie aber dort mitgeteilt, wo eine zusätzliche handschriftliche Überlieferung (H; Ch, Ha, Je) hinzutritt. Für die im vorliegenden Band versammelten Schriften bildet die zweite Auflage generell die noch von J. veranstaltete Werkausgabe (WW), sofern J. sie in diese Ausgabe aufgenommen hat; die jeweilige Bandzahl wird im Editorischen Bericht genannt. Als Varianten werden nur solche Abweichungen verstanden, die über bloße Schreib- und Druckkonventionen hinausgehend mögliche Träger von Bedeutung sind: sämtliche Abweichungen im Wortbestand, in der Interpunktion, der Hervorhebung sowie der Absatzgliederung usf. Nicht berücksichtigt werden Differenzen in der Schreibweise wie etwa zwischen -ieren und -iren, c- und k- bzw. ssund ß-Schreibung, Auslassung oder Einfügung des e z. B. in unsre oder insbesondre sowie das hinzugefügte oder entfallende Dativ-e, ferner Differenzen in der Zusammenschreibung von Wörtern usf. sowie in der in den Quellen stark

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schwankenden Groß- und Kleinschreibung, schließlich bei Abkürzungen von Personennamen (wie Spinoza, Lessing, Mendelssohn) und Titeln von Werken (z. B. O. P. oder Opp. posth. für Opera Posthuma, p. für pagina), sofern die Auflösung aus dem Kontext heraus unstrittig ist, ebenso die Verwendung von & für et oder umgekehrt. Nicht als Variante verzeichnet wird ferner die abweichende Anordnung von Schlußzeichen und Fußnotenzeichen vor oder nach dem Satzzeichen. Der Textkritische Apparat verzeichnet sämtliche editorischen Eingriffe in den Text des jeweiligen Originals wie auch diejenigen abweichenden Stellen der späteren Auflagen, die nicht als Varianten, sondern als verderbt anzusehen sind. Eindeutig erkennbare Dittographien werden nicht verzeichnet. Gegebenenfalls vorhandene Errata-Verzeichnisse sind für die Textkonstitution berücksichtigt; die einzelnen Eintragungen zu D1 werden zusätzlich im Textkritischen Apparat nachgewiesen, die Verzeichnisse zu späteren Auflagen jedoch nur dann, wenn sie für die Textkonstitution des vorliegenden Bandes von Bedeutung sind, nicht hingegen, wenn sie nur gegenüber D1 neu aufgetretene Fehler korrigieren oder wenn hierdurch eine in D2 gegenüber D1 abweichende Schreibung korrigiert wird, die nach den Prinzipien der Variantenerstellung ohnehin nicht im Variantenapparat berücksichtigt worden wäre, wie etwa die Veränderung von irgend wo zu irgendwo. Anders als im Variantenapparat werden im Textkritischen Apparat jeweils die Siglen der Auflagen (D, D1, D2) sowie der Druckfehlerverzeichnisse Dv(D1) bzw. Dv(D2) (Druckfehlerverzeichnis D1 bzw. D2) genannt. Am Außenrand wird die Paginierung der jeweiligen Originalausgaben angezeigt; gegebenenfalls bezeichnen hinzugefügte Indexzahlen die Auflagen. Die Zahlen stehen am Rande der Zeile, in der das erste Wort der nach dem Seitentrennungsstrich beginnenden Seite steht. Fallen mehrere frühere Seitenumbrüche im vorliegenden Band in eine Zeile, entspricht die Reihenfolge der Paginierungen der Reihenfolge der Seitenanfänge. Bezeichnet ein Seitentrennungsstrich einen übereinstimmenden Seitenwechsel in zwei Ausgaben, werden die Paginierungen durch einen Schrägstrich verbunden. Für Textauslassungen stehen in den Originalen Punkte in unterschiedlicher Zahl, zum Teil auf Grund der graphischen Gegebenheiten. Im vorliegenden Band werden solche Auslassungen einheitlich durch drei Punkte bezeichnet.

DIE BESTE VON DEN HADERKÜNSTEN. EINE ERZÄHLUNG 1. Überlieferung D1 Titelblatt: Deutsches Museum. / Erster Band. / Januar bis Junius / 1787. / Leipzig, / in der Weygandschen Buchhandlung. Deutsches Museum. / Erstes Stück. Januar, 1787. 49–51: Die beste von den Haderkünsten. / Eine Erzählung. / Von F. H. Jacobi.

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Der Text ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wörter in Antiqua. Hervorhebungen innerhalb der Antiqua sind durch Kursivierung vorgenommen, doppelte Hervorhebung durch gesperrte Kursive. Der Name Le Sage ist nicht in Antiqua gesetzt.

D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Erster Band. / Leipzig, bey Gerhard Fleischer d. Jüng. / 1812. Dieser Band ist als ganzer nochmals als Raubdruck erschienen unter dem Titel: Eduard Allwills Briefsammlung. Neueste Ausgabe. Wien 1817. Da diese Fassung von J. nicht autorisiert ist, wird sie im Folgenden ignoriert. Auf das Titelblatt der Ausgabe von 1812 folgen eine freie Rückseite sowie auf den S. [III]–IV das Inhaltsverzeichnis und – in einigen Exemplaren – das Verzeichnis der Druckfehler. Zum überwiegenden Teil (V–XVI, 1–253) enthält dieser Band J.s Roman Eduard Allwills Briefsammlung in einer leicht überarbeiteten Version der Fassung von 1792.58 Hierauf folgen auf den Seiten 254–305: Zufällige Ergießung eines einsamen Denkers, sowie 306–309: Die feinste aller Haderkünste. / Eine Anekdote. Fußnote: Zuerst im deutschen Museum 1787. St. 1, ferner 310–324: Swifts Betrachtung über einen Besenstiel, und wie sie entstanden ist. Fußnote: Zuerst im neuen deutschen Museum 1789. St. 4. Daran schließen sich auf den Seiten 325–404: Vermischte Briefe. Der Text ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wörter in Antiqua. Hervorhebungen innerhalb der Fraktur sind durch Sperrung vorgenommen, Hervorhebungen innerhalb der Antiqua ebenfalls durch Sperrung und doppelte Hervorhebung durch gesperrte Kapitälchen. Der Name Le Sage ist – abweichend von D1 – in Antiqua gesetzt. 2. Entstehungsgeschichte Zur Entstehung dieser Erzählung haben sich keine Nachrichten erhalten. Die berichtete Begebenheit liegt zum Zeitpunkt ihres Erscheinens lange zurück; sie muß sich in den Jahren 1759–1761 zugetragen haben, während J.s Genfer Aufenthalts. Es fehlt jedoch ein Hinweis darauf, weshalb J. sie nach der langen inzwischen verstrichenen Zeit dargestellt hat. Aus seinem Brief an seinen Freund und Mentor der Genfer Jahre, Georges-Louis Le Sage, vom 30. Januar 1788 geht hervor, daß er während der vorhergehenden Jahre auch nicht in Briefwechsel mit Le Sage gestanden hat; sein letzter Brief an ihn war der Empfehlungsbrief, den er im Jahr 1780 Wilhelm Heinse mitgegeben hat.59 58 Siehe JWA 6.97–244. – Die Varianten der Fassung von 1812 gegenüber der Fassung von 1792 werden dort mit der Sigle D5 bezeichnet. 59 J. an Georges-Louis Le Sage, 30. Januar 1788, JBW I,7.82,12–84,9; J. erwähnt dort seinen Brief von Mitte September 1780; vgl. JBW I,2.182.

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Es bleibt somit nur die Annahme, daß J. zur Veröffentlichung dieser Erzählung durch den ausführlichen Bericht über seine Bekanntschaft mit Le Sage in seinem Gespräch David Hume über den Glauben angeregt worden ist. Seine Arbeit am David Hume und an der Erzählung hat gleichzeitig stattgefunden, im Herbst 1786; möglicher Weise hat J. diese Anekdote zunächst in den Kontext des David Hume stellen wollen und sich dann entschlossen, sie als eine eigene Erzählung zu veröffentlichen. Ob J. hierfür auf ältere Aufzeichnungen zurückgegriffen oder nur aus der Erinnerung erzählt hat, ist nicht mehr festzustellen. Daß J. zum Jahreswechsel 1786/87, zu dem er in heftiger Auseinandersetzung mit den Berliner Aufklärern begriffen war, gerade diese Anekdote veröffentlicht hat, läßt sich jedoch auch so deuten, daß er hier eine Analogie zum Verhalten seiner literarischen Gegner gesehen hat, die, obzwar eines Besseren belehrt, doch immer wieder die gleichen Anschuldigungen wiederholen, um ihre Gegner wirkungsvoll zu treffen – ungeachtet der Frage, ob sie zutreffen oder nicht. Kurz nach der Veröffentlichung des David Hume im April 178760 hat J. seinen Freund Lavater um Vermittlung gebeten, um Le Sage von dieser Publikation zu unterrichten, weniger aus philosophischen Gründen als in dankbarer Erinnerung an Le Sages väterliche Fürsorge. Am 3. Mai 1787 schreibt er an Lavater: Wenn Du einen Freund in Genf hast, der Deutsch versteht und mit Le Sage bekannt ist, so erwiesest Du mir einen Gefallen, wenn Du durch ihn dem guten Le Sage, was ich in mei|nem Gespräch von meinem Aufenthalt in Genf erzählte, expliciren ließest.61 Lavater kündigt ihm am 19. Mai 1787 an: Deine Commission will ich in Genf durch den Prediger Fels auszurichten und dem Le Sage diese Freude zu machen suchen.62 In diesem Kontext ist jedoch nur von J.s David Hume über den Glauben die Rede, nicht von der Erzählung über die Haderkünste. Bei der Übermittlung des Buches an Le Sage hat es aus unbekanntem Grund Verzögerungen gegeben; erst am 13. Oktober 1787 schreibt Lavater erneut an J.: Verzeihe, daß ich erst heute einem vortreflichen Freunde, der in einichen Tagen nach Genf geht, Deinen Idealismo für Le Sage mitgebe. Er heißt Heisch u: Wird Interprete seyn.63 Le Sage bedankt sich rasch, bereits am 14. November 1787, bei J. für den Empfang des Buches. Dieser Brief ist leider verloren,64 doch sein Inhalt läßt sich zum Teil aus J.s Antwort vom 30. Januar 1788 60

Siehe den Editorischen Bericht, JWA 2.447 f. J. an Johann Kaspar Lavater, 3. Mai 1787, JBW I,6.140,10–13. 62 Johann Kaspar Lavater an J., 19. Mai 1787, JBW I,6.156,1 f. 63 Johann Kaspar Lavater an J., 13. Oktober 1787, JBW I,6.274,20–22 sowie Lavater an J., 9. Februar 1788, JBW I,7.94,5–12: H e i s c h weiß ganz unsere u: Deutschlands Lage, u: ich zweifle nicht, Er werde le Sage unterrichtet haben. Ich getraue mir nicht zu sagen, ob ohne, oder, durch meine veranstaltung le Sage die übersetzung der Ihn betreffenden Stelle – bekommen hat. Mein Gedächtniß in solchen Sachen ist unglaublich schwach. Ich vermuthe fast, ein sehr edler Freund, der Dich sehr schäzt, u: um deßwillen allein Du nach Zürich kommen solltest, habe die Delikatesse gehabt, dieß, ohne mein Wissen zuthun; da ich Ihm ein Exemplar Deines H u m e gab, u: Ihm Dein Wunsch bekannt war. 64 Georges-Louis Le Sage an J., 14. November 1787, JBW I,7.12,1–5. 61

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erschließen. Auch in ihr ist nur vom David Hume die Rede, nicht von der Erzählung über die Haderkünste: Quant au petit ouvrage que j’ai pris la liberté de vous faire présenter, mon dessein était qu’il vous fût remis par un homme instruit qui pût vous expliquer l’essentiel de son contenu, et les circonstances dans lesquelles il avait été écrit. Je ne connaissais pas une ame en Suisse excepté Lavater. C’est donc à lui que je me suis adressé. Il oublia ma commission, et quand après quelques mois je lui en demandai des nouvelles, il se dépêcha peut-être trop de l’exécuter et ne choisit pas un porteur tel que je voulais. Si vous avez reçu avec bonté l’hommage public que je vous ai fait de ma reconnaissance éternelle, cela me suffit. Quant à une traduction française, supposé que je fusse en état de la faire, ce que certainement je ne suis pas, je suis trop avare de mon temps et de mes forces pour m’en occuper. Et puis mon livre ne peut être bien entendu que par ceux qui sont au fait de l’état actuel de la philosophie spéculative en Allemagne.65 Es scheint somit, daß J. die kleine Erzählung demjenigen, von dem sie handelt, gar nicht mitgeteilt hat.

ÜBERSETZUNG VON HEMSTERHUIS: ALEXIS ODER VON DEM GOLDENEN WELTALTER 1. Überlieferung D1 Titelblatt: Alexis / oder / Von dem goldenen Weltalter. / [Motto] / Riga, / bey Johann Friedrich Hartknoch, / 1787. Auf S. [147] folgt das 14 Einträge umfassende Verzeichnis der Errata; darunter steht die Anweisung für den Buchbinder: Diese Errata werden am Schlusse des Werks, nach S. 144.; und nach diesen Erratis die mathematische Figur eingebunden. – Diese Anweisung ist nicht in allen den Herausgebern bekannt gewordenen Exemplaren befolgt worden; in einigen steht die mathematische Figur vor dem Verzeichnis der Errata. Der Text von D1 ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wörter in Antiqua. Auf die Gestaltung des Drucks hat J. in starkem Maße Einfluß genommen, wie das Pro Memoria beweist, das er zu diesem Zweck ausgefertigt hat: Pro Memoria Die Schrift: Alexis, oder vom goldenen Weltalter, wird ohngefähr zehn Bogen betragen, eben so gedruckt wie mein Gespräch über Idealismus u Realismus; doch werden die Colonnen etwas kleiner gerichtet werden, damit die Rände breiter ausfallen. Den Abdruck besorge ich selbst in der sehr guten Buchdruckerey von Eyrich z u M ü h l h e i m a m R h e i n , u 65

J. an Georges-Louis Le Sage, 30. Januar 1788, JBW I,7.83,8–19.

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es soll gleich die künftige Woche mit dem Drucken der Anfang gemacht werden, so daß die Versendung nach Leipzig geschehen kann, so bald die Antwort des Herrn Hartknoch wird eingelaufen seyn. Herr Hartknoch wird also so gütig seyn, in seiner Antwort auch den Namen seines Commissionairs in Leipzig zu melden. Ich wünsche die schnellste u allgemeinste Verbreitung dieser Schrift, u mache zur ausdrücklichen Bedingung, daß bey ihrer Erscheinung, in den Hamburger Zeitungen, der Jenaer Litteratur Zeitung, u noch ein paar andern öffentlichen Blättern folgende Anzeige geschehe: »Bey Hartknoch in Riga ist erschienen u in allen Buchhandlungen Deutschlandes zu haben: A l e x i s , o d e r v o m g o l d e n e n W e l t a l t e r , e i n G e s p r äc h v o n Hemsterhuis, aus der französischen Handschrift übersetzt von Jacobi.« Das französische Original soll erst zwey oder drey Monathe nach der Uebersetzung herauskommen etwa mit dem Anfange des Jahrs 88. Auch den Abdruck des Originals werde ich selbst besorgen, in demselben Format wie die andern Schriften v Hemsterhuis. Herrn Hartknoch bleibt es ganz überlaßen, wieviel Exemplare vom französischen Original sollen abgezogen werden, u ich erwarte hierüber seine Erklärung. Von der deutschen Uebersetzung aber laße ich nur 800 Exemplare abziehen, nebst einer Anzahl Exemplare darüber auf meine Kosten zum Verschenken an meine Freunde. Das honorarium für Original u Uebersetzung zusammen, soll der Herr Verleger in der Ostermeße 1788 selbst bestimmen u alsdenn an mich übermachen. Meine Auslagen für Druck, Papier, u. s. w., werden mir gleich nach Ankunft der Exemplare zu Leipzig, franco nach Düßeldorf geschickt. Münster den 29ten Julius 1787.

D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Sechster und letzter Band. / Leipzig, bei Gerhard Fleischer. / 1825. [465] – 552: Alexis / oder / Von dem goldenen Weltalter. / [Motto] [467]: Widmung an Schönborn [469 f.]: Diokles der Diotime Heil und alles Gute! [471] Beginn des eigentlichen Textes des Alexis Die Aufnahme der Übersetzung des Alexis in Band VI der Werke J.s begründet Friedrich Roth seinem Vorbericht zu diesem Band: A l e x i s endlich wurde von Jacobi wegen der Bestimmtheit und Deutlichkeit, wodurch er seiner Uebertragung entschiedene, von Hemsterhuis selbst lebhaft anerkannte Vorzüge vor der Urschrift gegeben hatte, als ein eigenes Werk geachtet und war deswegen von ihm selbst zur Aufnahme in diese Sammlung bestimmt.66 66

Friedrich Roth: Vorbericht. WW VI. VI.

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Der Text ist in Fraktur gesetzt, ebenso die meisten fremdsprachigen Wörter; nur wenige fremdsprachige Ausdrücke sind durch Antiqua wiedergegeben. Hervorhebungen innerhalb der Fraktur sind durch Sperrung vorgenommen. Ein Druckfehlerverzeichnis ist den herangezogenen Exemplaren nicht beigegeben gewesen.

D Titelblatt: Alexis / ou / de l’age d’or. / [Motto] / A Riga, / chez Jean Frederic Hartknoch, / 1787. Der Text ist durchgängig in Antiqua gesetzt. Da die Antiqua-Schrift hier jedoch nicht zur Kontrastierung mit der Fraktur eingesetzt wird, wird der Text im vorliegenden Band gleichwohl in der Grundschrift Bembo wiedergegeben.

2. Entstehungsgeschichte J.s persönliches Verhältnis zu Frans Hemsterhuis ist durch Amalia Fürstin Gallitzin vermittelt und geprägt. Doch schon lange vor ihrer Bekanntschaft, im Herbst 1769, hat er Hemsterhuis’ Lettre sur la Sculpture67 gelesen, ohne allerdings großen Gefallen daran zu finden. Dem befreundeten Verleger Marc Michel Rey gegenüber urteilt er damals: Cela est pillé avec gout de Moses et Winkelmann.68 Während eines Aufenthalts in Amsterdam ein Jahr später bittet er Rey zwar, ihm ein Exemplar für eine erneute Lektüre zwei Tage lang auszuleihen,69 doch bleibt auch dies ohne weitere Resonanz. Erst nach dem Beginn seiner Freundschaft mit Amalia Fürstin Gallitzin, die sich während ihres mehrjährigen Aufenthalts in den Niederlanden eng mit Hemsterhuis befreundet hatte, läßt sich auch für J. die Lektüre weiterer Schriften Hemsterhuis’ nachweisen: Im Sommer 1780 nimmt J. von seinem Besuch bei der Fürstin in Münster sogar Schriften von Hemsterhuis auf seine Reise nach Norddeutschland mit, und er berichtet ihr aus Wandsbek, er habe auch mit Lessing über Hemsterhuis gesprochen: Ich habe ihm alles was ich von Hemsterhuys bey mir hatte, gelaßen, außer das Manuskript. Den Aristee, den ich noch nicht gelesen habe, soll er mir auf meiner Zurückreise wieder erstatten. Ich wünschte Sie hätten noch ein Exemplar von dem Brief sur les desirs, u schickten es Leßingen – was die Fürstin auch umgehend ausführt, und Lessing öffnet aus lauter Neugier sogar ihr an J. adressiertes Paket.70 Dies stützt J.s weitere Nachricht: Von eben diesem Aristée fand ich Leßing bey meiner Zurückkunft ganz bezaubert, so daß er entschlossen war, ihn selbst zu übersetzen. – Die anderen Schriften Hemster67

[Frans Hemsterhuis:] Lettre sur la Sculpture, à Monsieur Théod. de Smeth, ancien Président des Echevins de la Ville d’Amsterdam. Amsterdam 1769. 68 J. an Marc Michel Rey, 1. September 1769, JBW I,1.80,17. 69 J. an Marc Michel Rey, etwa 19. Oktober 1770, JBW I,1.97,24–26. 70 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 15. Juli 1780, JBW I,2.157,13–17, sowie Lessing an J., 18. August 1780, ib. 160,5–13; vgl. auch ib. 228.

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huis’, die J. Lessing zur Lektüre überlassen hat, sind die Lettre sur l’homme & ses rapports und Sophile;71 insbesondere den Aristée zeichnet J. ebenfalls gegenüber der Fürstin besonders aus: Er werde ihn nun zum dritten mal anfangen. Es ist ein herrliches Buch.72 Auch an Wilhelm Heinse schreibt er begeistert über Hemsterhuis: Ich besitze von diesem 2 neue ganz göttliche Schriften. Die eine ist noch ungedruckt.73 Mit dieser ungedruckten Schrift ist wahrscheinlich Hemsterhuis’ Simon gemeint, denn diese Schrift erwähnt J. wenig später gegenüber der Fürstin Gallitzin: Ich habe den Simon des Hemsterhuys wieder gelesen, u große Lust bekommen, die Rede der Diotima daraus zu übersetzen u. in das Göttingische Maga|zin drucken zu laßen. Ich wollte eine Vorerrinnerung [!] dazu schreiben, welche eine Darstellung Hemsterhuysischer Ideen enthalten sollte, nebst einigem selbstgedachten. Hiezu müßte ich aber zuvor Hemsterhuysens Erlaubniß haben, u dabey die Versicherung, daß sein Werk in den vier ersten Monaten nicht im Druck erscheinen werde.74 Zwei Monate später ist J. mit Hemsterhuis auch persönlich bekanntgeworden, als dieser ihn – gemeinsam mit der Fürstin Gallitzin – in Düsseldorf besucht und dabei ein methaphysisches Abenteuer bestanden hat.75 Ob bei diesem Besuch auch die Frage einer Übersetzung erörtert worden ist, ist nicht bekannt. Doch vielleicht noch im gleichen Monat zerschlägt sich J.s Plan einer Übersetzung des Simon: Karl Ludwig von Knebel teilt J. mit, daß die Handschrift von Hemsterhuis, die er bei J. gesehen habe, bereits nach Weimar gelangt sei, und J. fragt Knebel verwundert, wie dies geschehen sei: Den Aristée u den Sophile von Hemsterhuys kann ich Ihnen schicken, wenn sie es wünschen. Aber sagen Sie mir doch auf welchem Wege der Simon nach Weimar gekommen ist; denn so hieß die Handschrift die Sie bei mir sahen.76 Seine Vermutung, daß nun eine Übersetzung erscheinen werde, bestätigt sich im Jahr darauf; an Amalia Fürstin Gallitzin schreibt er: Sie werden aus den Göttingischen Gelehrten Zeitungen gesehen haben daß die Leipziger Uebersetzung von Hemsterhuys Schriften heraus ist, u daß auch S i m o n sich dabey befindet. Dieß letztere war mir besonders ärgerlich.77 Dennoch gibt J. seinen Plan noch nicht ganz auf; er schreibt erneut an die Fürstin: Haben Sie die in letzter Meße herausgekommene deutsche Uebersetzung von Hemsterhuys Schriften gesehen? Ich habe sie noch nicht gesehen; aber mit nicht geringem Mißvergnügen 71

Jacobi: Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Breslau 1785, 38; JWA 1.36,5–11. 72 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 17. Oktober 1780, JBW I,2.200,14 f. 73 J. an Wilhelm Heinse, 20., 23. und 24. Oktober 1780, JBW I,2.210,30 f. 74 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 2. Januar 1781, JBW I,2.250,24–251,5. 75 J. an Johann Kaspar Lavater, 8. März 1781, und an Amalia Fürstin Gallitzin, 9. März 1781, JBW I,2.281,33 f. bzw. 283,4–6. 76 Karl Ludwig von Knebel an J., März oder April 1781, bzw. J. an Knebel, 16. Mai 1781, JBW I,2.298,13–15 bzw. 301,14–17; zur Beantwortung dieser Frage siehe J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 10. Juni 1783, JBW I,3.161,12–17 sowie JBW II,2.288, Anm. zu 301,16. 77 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 18. März 1783, JBW I,3.134,6–8.

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in den Göttingischen u Hamburgischen gelehrten Nachrichten wahrgenomen, daß auch der S i m o n übersetzt ist. Wenn Hemsterhuyß die vorgehabte Verbeßerung dieses Stücks ausgeführt hat, so erbiete ich mich daßelbe in diesem verbeßerten Zustande v neuem zu übersezen, u zwar, unverzüglich. Doch statt einer verbesserten Fassung des Simon sendet Hemsterhuis – über die Fürstin Gallitzin – ein anderes Manuskript an J.: den Alexis. Über ihn äußert J. sich sogleich begeistert: Hemsterhuisens Aufsatz hat mich entzückt. Er scheint mir alles was er bisher geschrieben hat weit zu übertreffen. Ich wünschte sie ertheilten mir die Erlaubniß ihn zu übersetzen. Ich habe Jetzo gerade nichts dringendes unter der Feder, u beschäftigte mich am allerliebsten mit dieser Arbeit. Wenn es immer möglich ist, so ertheilen Sie mir diese Erlaubniß. Und nach der Warnung vor einer erneut zu weiten Verbreitung dieses Manuskripts nennt J. noch einen persönlichen Grund für seine Begeisterung: Hat Sie der Alexis nicht an Stellen meines Kunstgartens erinnert? Sehen Sie in meinen vermischten Schriften unter andern Seite 93– 104 – besonder S. 102 u. 103.78 In den weiteren Briefen ist von dem neuen Übersetzungsplan jedoch zunächst nicht die Rede, auch nicht im Umkreis des ausführlichen Briefes über Spinoza, den J. an Hemsterhuis richtet und später in seinen Briefen Ueber die Lehre des Spinoza veröffentlicht.79 Während J.s Besuchs in Weimar bilden Hemsterhuis’ Schriften und namentlich auch der Alexis ein Gesprächsthema mit Goethe, der keine dieser Schriften hat, so daß J. sich wegen weiterer Exemplare des Aristée u Sophile sowie des Briefes sur l’homme et ses rapports an die Fürstin wendet;80 am 12. November 1784 bestätigt Goethe den Empfang: Vor einigen Tagen erhielt ich ein Packet das mich deines Andenkens versicherte, denn es brachte mir die Hemsterhuisischen Schrifften. Sie waren mir eine gar angenehme Erscheinung. Der Alexis hatte uns sehr in diesen Geschmack versetzt […].81 Anscheinend hat J. den Alexis in Weimar bei Goethe gelassen, denn am 12. Januar 1785 kommt Goethe erneut auf dieses Thema zurück: Dancke der Fürstinn für die H.emsterhuisischen Schriften. Hier kommt Alexis.82 Auch dieser Erwähnung läßt sich aber kein Wissen um einen Übersetzungsplan J.s entnehmen. Erst ein gutes Jahr später, am 8. April 1786, schreibt J. an den Leipziger Verleger Göschen: Ich bin Willens eine vortreffliche Schrift meines Freundes Hemsterhuis, Alexis ou de l’age d’or, zu übersetzen, u alsdenn (wozu ich seine Bewilligung schon habe), zugleich mit meiner Uebersetzung 78

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 10. Juni 1783, JBW I,3.161,7–11, 24–26. – Zum Kunstgarten siehe JWA 7.117–201; insbesondere 170–176, 175 f. 79 J. an Frans Hemsterhuis, 7. August 1784, JBW I,3.349–359 bzw. JWA 1.55–88. 80 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 11. und 12. Oktober 1784, JBW I,3.367,14– 17. 81 Goethe an J., 12. November 1784, JBW I,3.382. 82 Goethe an J., 12. Januar 1785, JBW I,4.18.

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auch das französische original erscheinen zu laßen.83 Von diesem Zeitpunkt an spielt der Übersetzungsplan in J.s Korrespondenz eine nicht minder große Rolle als seine eigenen literarischen Pläne. An Amalia Fürstin Gallitzin schreibt er am 5. Mai 1786: Hier mit vielem Dank die Briefe des edlen Hemsterhuis zurück. Thun Sie doch was Sie können, um ihn v dem Mißtrauen das er gegen mich gefaßt hat zu heilen. Er hält mich in der That für etwas tücksch. Was die Uebersetzung des Alexis betrifft, so wird Ihn die Versicherung die ich Ihnen gab u nochmahls wiederhole, wohl beruhigen, daß Sie Ihrer unbedingten Censur, u nach dieser Censur einer nochmahligen Revision unterworfen werden soll. Auch verspreche ich, weder Vorrede, noch Nachrede, noch irgend eine Anmerkung hinzuzufügen. Die Warnung vor den Steinen, die zugleich in Ihren Garten fallen würden, hat mich nicht wenig ergötzt. Die Uebersetzung v Sprickmann wird nicht ganz unbrauchbar seyn. Ich erbiete mich nicht allein sie auszufeilen, sondern auch, eine ganz neue zu machen im Fall daß zu viel daran zu verbeßern wäre. – Am Dienstag über 8 Tage hoffe ich Ihnen schon eine erste Probe des verdeutschten Alexis zu schicken.84 Damit ist zugleich der Beginn der Übersetzungsarbeiten belegt. Einen guten Monat später, am 11. Juni 1786, also kurz vor seiner Englandreise, spricht J. der Fürstin gegenüber sogar schon von naher Vollendung: Den Alexis nehme ich mit. Ich hoffe während der Reise die Uebersetzung zu vollenden.85 Daß es ihm mit dieser Absicht ernst ist, läßt sich auch einer Mitteilung Johann Heinrich Schenks (der während J.s Englandreise die wichtigste Korrespondenz für ihn erledigt) an Hamann entnehmen; am 25. Juli 1786 schreibt er, J. wäre gern länger in England geblieben, doch: Für jetzt treiben ihn Familien Lage, die neue Ausgabe seines Spinoza Büchleins, und die Uebersetzung des Alexis zurück.86 Es vergehen jedoch noch mehrere Monate, bevor J. am 7. Dezember 1786 der Fürstin Gallitzin mitteilen kann: Die Uebersetzung ist fertig. Ich hätte gewünscht die Verbeßerungen u Zusätze zu erhalten, ehe ich sie abschreiben ließ. Nun will ich aber doch die Abschrift machen laßen u sie Ihnen zuschicken, weil keine Zeit mehr zu versäumen ist, wenn das Werk in beyden Sprachen auf der nächsten Meße erscheinen soll. Es erscheint ohne dem schon einige Monathe später als ich versprochen hatte, welches mir Leid genug ist, da ich in dem gegenwärtigen Zeitpunkt so viele Ursachen habe, auch nicht den Schein eines gegründeten Vorwurfs an mich kommen zu laßen. – Schicken Sie mir doch gleich den Simon, ob ich es vielleicht zu Stande brächte, diesen zugleich mit dem Alexis erscheinen zu laßen.87 – Diesen Plan, noch eine weitere Schrift Hemsterhuis’ zu übersetzen, gibt J. jedoch wenig später auf. 83

J. an Georg Joachim Göschen, 8. April 1786, JBW I,5.141. J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 5. Mai 1786, JBW I,5.193. 85 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 11. Juni 1786, JBW I,5.244. 86 Johann Heinrich Schenk an Johann Georg Hamann, 25. Juli 1786, JBW I,5.319. 87 J. an Amalia Fürstin von Gallitzin, 7. Dezember 1786, JBW I,5.435. 84

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In den darauf folgenden Monaten wird der Alexis teils von J., teils in Fragen seiner Freunde mehrfach erwähnt, die an seinem Projekt Anteil nehmen. Am 6. Januar 1787 schreibt er an Hemsterhuis, er habe die Übersetzung avec un veritable enthousiasme gemacht; etwa Mitte Januar 1787 kommt Amalia Fürstin Gallitzin auf Jacobis Vorhaben zu sprechen, und am 30. und 31. Januar 1787 fragt auch Hamann an: Wie geht es mit der Ausgabe des Alexis88 Ihm antwortet J. am 12. und 16. Februar 1787: Drey Schriften habe ich für die nächste Meße zu besorgen. Ein im November angefangenes u bis auf diese Stunde noch nicht ganz vollendetes Gespräch; den Alexis v Hemsterhuis, deutsch u französisch; und mein Spinoza Büchlein mit Zusätzen.89 Von diesen drei Vorhaben vollendet J. jedoch nur das Gespräch, also den David Hume, fristgerecht. Dem Alexis gibt er jedoch sogar den Vorrang vor der Neuauflage der Spinozabriefe. Am 25. Mai 1787 schreibt er an die Fürstin: Die Abschrift meiner Uebersetzung des Alexis wird die nächsten Pfingstfeyertage endlich fertig werden, u Sie erhalten sie ohnfehlbar heute über 8 Tage mit dem Postwagen, nebst dem französischen Original. Ich hoffe Sie sollen beym Lesen die Mühe u den Fleiß nicht gewahr werden, den ich auf diese Arbeit verwendet habe. Desto höher wird mein Rhum bey der Vergleichung steigen. Fürchten Sie aber nicht meine Eitelkeit zu beleidigen, wenn Sie auch noch so viel verbeßern. Mehr hierüber beym Uebersenden. Sie erweisen mir eine große Freundschaft, wenn sie die Vergleichung u Correctur nicht zu lange verschieben, weil ich Ende Juni nach Vaels auf meines Sohnes Hochzeit reisen muß, u die Handschrift gern vorher in die Preße besorgte.90 Hier deutet J. auch erstmals an, daß er seine Übersetzung als dem französischen Original überlegen ansieht – und hierin liegt fraglos der Grund dafür, daß er den Alexis später wie ein eigenes Werk angesehen und für die Ausgabe seiner Werke vorgesehen hat.91 Einen Einblick in J.s Arbeit – und die Mithilfe anderer – wie auch in seine Einschätzung der Gründe für die Unterlegenheit des französischen Originals erlaubt sein Brief an die Fürstin Gallitzin vom 3. Juni 1787: Erst gestern Nachmittag, liebe Amalia, hat mir Schenk die Abschrift meiner Uebersetzung des Alexis überlifern können; es ist ihm unmöglich gewesen früher damit fertig zu werden, weil die Handschrift so beschaffen war, daß nur ein Mann wie er im Stande war sie so weit ins Reine zu bringen, als er es würklich gethan hat. Außer der Menge der Verbeßerungen v meiner eigenen Hand die sie schon kraus genug machten, hatte einer meiner Freunde dem ich sie zur Kritik zugeschickt hatte, seine Urtheile mit rother Dinte zwischen die offenen Stellen geschrieben, wo denn das Angenommene u Verworfene, abermahls bezeichnet werden mußte, so daß ich zuletzt kaum selbst mir mehr heraus zu hel|fen wußte. Nun muß ich aber Schenks 88 89

Johann Georg Hamann an J., 30. und 31. Januar 1787, JBW I,6.17,1. J. an Johann Georg Hamann, 12. und 16. Februar 1787, JBW I,6.24,10–

14. 90 91

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 25. Mai 1787, JBW I,6.163,3–12. Friedrich Roth: Vorbericht. WW VI. VI.

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Abschrift schlechterdings noch einmahl durchsehen, womit ich auch heute schon so weit zu Stande gekommen bin, daß mir nicht mehr ganz 1/3 nachzusehen übrig bleibt. Ich gebe also heute Abend nur das französische Original auf den Postwagen, u laße übermorgen mit der reitenden Post die Uebersetzung ohnfehlbar nachfolgen. Das Original welches Sie erhalten ist nicht das ohnlängst v Ihnen geschickte, aber v Wort zu Wort gleichlautend mit diesem, Ihre Verbeßerungen ausgenommen. Das Exemplar mit den Verbeßerungen behalte ich um es Ihnen nächstens cum notes variorum, die sich aber sämtlich nur auf die französische Grammatik beziehen werden zurück zu schicken. Schenk der ErzGrammaticker u Philolog wird das beste dabey thun müßen; Neßelrode u ich wir werden nur die Aßeßoren dabey vorstellen. / In dem hiebey kommenden Exemplar habe ich drey Stellen angestrichen, die eine geringe aber nicht blos Grammatikalische Aenderung erfordern werden. Die erste befindet sich p 36 – u correspondiert der 32ten Seite meiner Uebersetzung. »Si nous reflechissons a la difficulté infinie etc.92 – Die Gegenwärtige Schwürigkeit ist es nicht was die ehmalige Leichtigkeit begreifflich macht. Ich habe den Fehler in der Uebersetzung vermindert; aber etwas schielend bleibt die Stelle immer. Dieser ganze Absatz hat mir nicht wenig Schweiß u Zeit gekostet. Er ist durchaus verschroben, u gewiß nicht durch die P o e s i e hervorgebracht. / Die zweyte Stelle befindet sich S 42 u correspondiert der 37ten meiner Uebersetzung. »Pendant des s i e c l e s l’homme deplore son sort.93 – Gleich darauf p. 43 sagt Hemster|huis: quoiqu’il fut – accoutumé jadis etc.94 – Diesen Widerspruch habe ich in der Uebersetzung vollig wegräumen können, u Sie werden ihn eben so leicht im Original wegräumen. / Die dritte S. 46 u correspondiert der 40ten meiner Uebersetzung: »une ombre vraie d’une chose qu’il voit et qu’il éclaire.«95 – Dieser Fehler ist in der Uebersetzung v selbst weg gefallen, wie sie diese dann gewiß in nicht wenigen Stellen treuer als das Original finden werden, ohne das ich eben nöthig gehabt hätte vom wörtlichen mehr abzugehen, als es der scrupülöseste Uebersetzer sich erlauben darf. Mein Paradoxon wird aber ein jeder guter Schriftsteller leicht wahr machen, wenn er in seine eigene Sprache deren er ganz mächtig ist einen Autor übersetzt, der in einer Sprache geschrieben hat die nicht seine eigene war, u über die er keine solche Gewalt hatte. – Wie werde ich mich freuen, liebe Amalia, wenn Sie zufrieden genug mit meiner Arbeit sind, um mit Lust ihr die Vollendung zu geben. / Sollten Sie dies Packet vor dem Packet erhalten das ich übermorgen mit der Briefpost abschicke, so sorgen Sie doch daß Sie auch gleich das letztere erhalten, | u erzeigen Sie mir den Gefallen den deutschen Alexis erst ohne Vergleichung zu lesen, weil dies um über eine

92 93 94 95

Siehe JWA 5,1.52,34. Siehe JWA 5,1.57,38. Siehe JWA 5,1.58,32: quoiqu’accoutumeé jadis, Siehe JWA 5,1.61,39.

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Uebersetzung zu urtheilen schlechterdings nöthig ist.96 Und nur zwei Tage später, am 5. Juni 1787, schreibt J. an die Fürstin: Ich beziehe mich auf den Brief den ich Ihnen Sonntag abend geschrieben und mit dem französischen Alexis auf den Postwagen gegeben habe. Wahrscheinlich werden Sie jenes Packet zugleich mit diesem erhalten. Mich verlangt sehr nach Ihrem Urtheil über meine Arbeit, die keine leichte Arbeit gewesen ist, bey der mich aber das große Wohlgefallen an dem Werk kräftig unterstützt u immer neu begeistert hat. S. 38. werden Sie ein Ohr finden. Ich habe la cohesion des verités integrantes durch »Verbindung der ergänzenden Wahrheiten«97 übersetzt, womit ich nicht recht zufrieden bin; ich weiß aber für verités integrantes keinen guten deutschen Ausdruck. Aber auch mit dem französischen Original bin ich hier nicht recht zufrieden; nehmlich von den Worten an: à la nature de la plus part de nos sciences, bis une partie de la grande verité;98 weil mir was auf tandis folgt nicht deutlich ist. Es wäre mir lieb wenn Sie dieses auch fänden u die Stelle | im Original änderten, folglich auch in der Uebersetzung. Ich sähe gern dieses Werk so vollkommen wie möglich, weil ich es so sehr lieb habe, u es für eins der schönsten Producte des menschlichen Geistes halte. – In den Anmerkungen S. III bin ich wegen des Ausdrucks: il donnait à Platon le vrai gout de la Geometrie99 verlegen gewesen, weil ich ungewiß war, was hier unter dem vrai gout eigentlicher verstanden werden sollte. Noch verlegener aber S. IV. bey den Worten: Il definissoit la vertu, la plus excellente contenance des parties de l’ame q u i n ’ o n t p o i n t d e r a p p o r t a v e c l ’ i n t e llect. 100 Ich habe so wörtlich wie möglich übersetzt; vielleicht aber wär’ es beßer wenn man schriebe, »die nicht zum Verstande gehören.«101 Sie werden hierüber wie über alles andre entscheiden.102 Aber auch die Fürstin scheint verhindert gewesen sein, die Aufgaben, die J. ihr zugedacht hat, in der erhofften Zeit auszuführen. Ein Brief von ihr hierzu hat sich zwar nicht erhalten, doch am 22. Juni 1787 beruhigt J. sie: Ängstigen Sie sich nicht, meine Liebe, wegen der Uebersetzung des Alexis. Kein Mensch weiß ja beßer als ich auf wie unzähliche Weise wir in dieser Welt gehemmt werden.103 Kurz darauf scheint sie jedoch die Arbeiten abgeschlossen zu haben, denn am 7. Juli 1787 gibt J. ihre Verbesserungen an Johann Heinrich Schenk weiter: Hier die von der Prinzeßinn veränderte Stelle im Alexis. Si nous reflechissons à nombre de sensations delicates ou sublimes, que nous avons tant de difficulté à exprimer à d’autres, mais dont nous avons pourtant la sensation reélle, il est aisé de comprendre, combien parfaitement des hom96

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 3. Juni 1787, JBW I,6.173,25–175,2. Siehe JWA 5,1.59,15–16: Zusammenhang der ergänzenden Wahrheiten 98 Siehe JWA 5,1.59,31–35 99 Siehe JWA 5,1.92,24. 100 Siehe JWA 5,1.93,26–27. 101 Siehe JWA 5,1.93,8. 102 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 5. Juni 1787, JBW I,6.175,18–176,10. 103 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 22. Juni 1787, JBW I,6.199,13–15. 97

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mes (ou les hommes d’alors) dont le langage etoit si clair et si energique, identifioient leur intelect avec celui d’un autre, et quelle (ou de quelle vivacité) devoit être les expressions d’un bonheur, d’un jouissance, dur. – Diese Veränderung ist eben kein Meisterstück, u ich habe große Lust meine Uebersetzung dieser Stelle unverändert zu laßen.104 Am 17. Juli 1787 aber teilt J. der Fürstin mit: Unterdeßen habe ich doch gleich nach meiner Ankunft die Verbeßerungen in der Uebersetzung des Alexis zu Stande gebracht, u erstatte Ihnen darüber Bericht mit nächster Post. Aber auch mit diesen intensiven Korrekturgängen ist der Alexis noch nicht vollendet. Inzwischen ist Johann Georg Hamann aus Königsberg in Münster eingetroffen, und auch ihn sucht J. noch am Prozeß der Überarbeitung zu beteiligen. Am 20. Juli 1787, kurz vor seinem Aufbruch zum Besuch in Münster, schreibt er an Hamann: ich bringe die deutsche Uebersetzung des Alexis mit, die mußt Du mit mir durchgehen. Die Handschrift sollte übermorgen fort; nun behalte ich sie noch zurück. Da wird Buchholtz sich an der vereinigten u renforcierten schönen Natur von Hemsterhuis u mir laben können.105 Und Hamann antwortet umgehend, am 22. Juli 1787: Komm also, lieber Friz, so bald Du kannst – mit Deiner Uebersezung des Alexis, die ich sehr zu sehen verlange.106 Diese Arbeiten scheinen aber rasch erledigt worden zu sein, denn am 9./10. August 1787 kann J. endlich Johann Friedrich Kleuker mitteilen: Der Alexis ist würklich unter der Presse, und auf Hamanns Zureden habe ich ihn Hartknoch zum Verlag angeboten.107 Diese Entscheidung über den Verlag dürfte also erst Ende Juli / Anfang August gefallen sein. Im August ist die Übersetzung des Alexis gesetzt worden. In dieser Zeit trifft J. Dispositionen für die Revision, die Höhe der Auflage und für die Verteilung. Es scheint, als habe J. nun die deutsche und die französische Version doch etwa gleichzeitig erscheinen lassen wollen, nämlich zur Leipziger Michaelismesse, wobei aber die französische Version von der Setzerei geringfügig später bearbeitet worden ist. Denn am 14. August 1787 berichtet J. hierüber der Fürstin Gallitzin, daß der Beginn der Satzarbeiten kurz bevorstehe: Von dem deutschen Alexis habe ich 400 Exemplare bestellt. 300 für Sie u Hemsterhuis; u 100 – für mich. Von dem französischen gedachte ich 450 zu bestellen. Nehmlich 400 für Sie u Hemsterhuis; u 50 für mich. Das revidierte französische Exemplar erhalten Sie die künftige Woche. Schenk hat sich, wegen dem Gedränge worin er ist, an diese Arbeit noch nicht machen können. Mit dem Ende dieser Woche erhält er etwas Freyheit, u er denkt in sechs Tagen mit seiner Revision fertig zu seyn. Mehr als sechs Tage werden auch Sie zum Nachsehen, beurtheilen u auswählen nicht nöthig haben, daß ich also das Manuscript mit dem Postwagen v 3ten September, spätestens mit dem vom 6ten zurück erhielt. Alsdenn ist es noch gerade Zeit 104 J. hat diesen Vorschlag der Fürstin Gallitzin nicht berücksichtigt; siehe JWA 5.52,34–40. 105 J. an Johann Georg Hamann, 20. Juli 1787, JBW I,6.217,3–7. 106 Johann Georg Hamann an J., 22. Juli 1787, JBW I,6.218,32 f. 107 J. an Kleuker, 9./10. August 1787, JBW I,6.226,3 f..

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genug die Ausgabe zur Leipziger Michaelis Meße zu Stande zu bringen; denn alles dazu nothige ist schon besorgt. Einliegend eine Probe der Typen womit der französische Alexis gedruckt werden soll. Sie ist von einem Abdruck auf ein rauhes ungleiches Papier genommen; aber dem ohnerachtet werden Sie finden, daß sie die Vergleichung mit den schönen v Hemsterhuis selbst besorgten Ausgaben aushält. Kurz ich weiß daß Sie u Hemsterhuis selbst zufrieden seyn werden. Was die Spedition der Exemplare betrift, so können Sie Hemsterhuis versprechen, daß er Anfangs October zwey französische u zwey deutsche Exemplare durch den Postwagen erhalten soll. Es werden ganz artige Bändchen von 10 bis 11 Bogen werden. Daß die Exemplare für Sie, Hemsterhuis u mich, umsonst geliefert werden, versteht sich am Rande. Hemsterhuis wird genug an Buchbinderlohn auszulegen bekommen. – Es ist recht gut daß Sie mir das schöne Exemplar wo der Simon beygebunden ist, mitgegeben haben, den in der letzten Note ist ein Zusatz. Ich schicke Ihnen dieses prächtige Exemplar mit dem Revisions Exemplar zurück. Kürzlich ist wohl auf keine Ausgabe so viel Sorgfalt verwendet worden, als auf unseren Alexis; aber er ist es auch werth.108 Am 27. August 1787 sendet J. der Fürstin ein Exemplar der französischen Version des Alexis mit den Correcturen,109 und am gleichen sowie am folgenden Tag, dem 27. und 28. August 1787, unterrichtet J. auch Georg Arnold Jacobi über den Stand der Planung: Ohngefähr in vierzehn Tagen werde ich Dir ein Exemplar meiner Uebersetzung des Alexis, nebst einigen Exemplaren zum Vertheilen schicken können. Diese Uebersetzung hat mir beynahe eben so viel Mühe gekostet, u vielleicht mehr Zeit weg genommen, als ein eigenes Werk von derselbigen Größe. Auch mache ich mich gewiß nie wieder daran, einen Autor zu übersetzen, der in einer Sprache schreibt oder geschrieben hat, die er nur unvollkommen kennt, u deßwegen glaubt, darin Dinge auf eine gewiße Weise sagen zu können, die sich in gar keiner Sprache auf diese Weise sagen laßen. Die Liebe zu dem Inneren des Werks, und die Verbindlichkeit worin ich mich einmahl gesetzt, haben mich verhindert nachzulaßen, und nun freue ich mich meiner Geduld u meiner Stand|haftigkeit, weil der Alexis in einem hohen Grade verdiente, auf unserer Erde würklich da zu seyn, u man ohne Leib auf unserer Erde nicht wohl da seyn kann; der französische Leib des Alexis aber nur etwas dergleichen war. Das Büchlein wird auch Dich intereßieren, denn es kommt viel Astronomie darin vor.110 108

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 14. August 1787, JBW I,6.227,8–33. J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 27. August 1787, JBW I,6.236,9. 110 J. an Georg Arnold Jacobi, 27. und 28. August 1787, JBW I,6.236,20– 237,4. – Zu den auch oben schon berührten Übersetzungsproblemen siehe ferner J. an Johann Kaspar Lavater, 28. August 1787, JBW I,6.241,2–4: Mit genauer Noth habe ich die Uebersetzung des Alexis, die mir, weil Hemsterhuis der französischen Sprache gar nicht mächtig ist, unsägliche Arbeit gekostet hat, vollenden können. 109

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Auch mehrere weitere Briefe vom Ende August sowie vom September 1787 – an Johann Kaspar Lavater, an Georg Arnold Jacobi sowie an die Verleger Georg Joachim Göschen und Johann Friedrich Hartknoch111 – haben die Fertigstellung des Alexis zum Thema, und wie aus dem Brief an Göschen hervorgeht, beginnt J. wohl am 17. September 1787 mit der Versendung von Exemplaren. Dabei betont er gegenüber Lavater nochmals seine Identifikation mit diesem Werk: Hier mein Alexis. Ich darf ihn wohl m e i n nennen, diesen deutschen Alexis, so viel Arbeit hat er mich gekostet.112 Und Lavater bedankt sich bei J.: So Weit ich gestern Nachts u: Heut morgen deinem Alexis lesen konnte, vortreflich … Lebenslang bleiben mir die unbezahlbaren Drey Säulenordnungen.113 Auch Lichtenberg hat den Alexis zur Freude J.s gut aufgenommen.114 Dies scheint auch auf Johann Georg Hamann zuzutreffen, den sonst so beharrlichen Kritiker der Schriften J.s. Am 17. November 1787, also kurz nach seiner überstürzten Abreise aus Düsseldorf, tituliert er J. als den Uebersezer des Alexis; J. werde die Symbole meiner Gesinnungen in verständlichern und gefälligern Atticismen und Germanismen übersezt den 4 Freunden [sc. seinen neuen Düsseldorfer Bekannten Abel, Schenk, Reitz und Hoffmann] mitzutheilen wißen, wie die Grillen des alten Priesters zu Adonis und des lunatischen Hypsikles.115 Gleichwohl gibt er seine distanzierte Haltung gegenüber Hemsterhuis nicht auf; am 16. Mai 1788 schreibt er an J.: Dem Fragment des Alexis II116 habe ich den meisten Aufschluß zum Character des Haagschen Sokrates [sc. Hemsterhuis] zu danken, dem der hyperborëische so entgegen gesezt ist als die beyde Pole des Magneten und unserer Erdkugel – Ich machte aus unsern Differentia specifica der Diotime [sc. Fürstin Gallitzin] kein Ge111

Siehe die vorhergehende Anm. sowie J. an Georg Arnold Jacobi, 14. September 1787, JBW I,6.254,29–31; J. an Georg Joachim Göschen, 15. September 1787, JBW I,6.256,14–16, J. an C. G. Hertel und J. an Johann Friedrich Hartknoch, beide Mitte bis Ende September 1787, JBW I,6.257,6 f. bzw. 10. 112 J. an Johann Kaspar Lavater, 6. Oktober 1787, JBW I,6.271,6–8. 113 Johann Kaspar Lavater an J., 13. Oktober 1797, JBW I,6.274,22–24. – Zu Lavaters Erwähnung der Säulenordnungen siehe JWA 5,1.64 f. 114 J. an Georg Arnold Jacobi, 2. November 1787, JBW I,6.292,35. 115 Johann Georg Hamann an J., 17. November 1787, JBW I,7.15,18–22. 116 Bei dem hier von Johann Georg Hamann erwähnten Fragment Alexis II handelt es sich wahrscheinlich um das erst lange nach Hemsterhuis’ Tod unter dem Titel Alexis II ou du Militaire veröffentlichte Fragment; siehe Emile Boulan: François Hemsterhuis, Le Socrate Hollandais. Suivi De Alexis ou Du Militaire. Groningue / Paris 1924. – Johann Georg Hamann wird dieses Fragment in Münster durch Amalia Fürstin Gallitzin kennengelernt haben; ob J. es gekannt hat, läßt sich nicht ermitteln. Der Herausgeber führt aus, ib. 11: Das druckfertige Manuskript sei erst 1830 in die Leidener Bibliothek gelangt: Ce dialogue est une suite de l’Alexis ou de l’âge d’or, comme l’indique le titre: II Alexis ou du militaire. [Fußnote] Après l’âge d’or, l’âge de fer. Ce dialogue inédit a été achevé vers 1788. – Ib. 105–110 gibt Boulan eine Introduction; im Anschluß daran, ib. 111–136, veröffentlicht er erstmals diese Erzählung. Sie schließt sowohl in der Darstellungsart als auch inhaltlich an den Alexis an; so betont Alexis etwa bald zu Beginn des Dialogs (ib. 112) gegenüber Diokles: La lune me parut si belle que je lui pardonne tout le mal qu’elle nous a fait.

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heimnis. – Friedrich Nicolai hingegen distanziert sich; er habe allgemein von dem goldenen Zeitalter die Meinung: Es gehöre zu den rêves des gens de bien, einerley, ob von Weishaupt oder von Hemsterhuis angegeben; es sey eine angenehme Phantasie, die sich zum wirklichen Leben eben so verhalte, als alle andere Phantasieen, wenn man sie ins wirkliche Leben bringen will; es sey eben so beschaffen wie der allgemeine Frieden des Abts St. Pierre, und sey eben so wenig möglich und nützlich dasselbe einführen zu wollen, als diesen Frieden.117 In diesen Wochen organisiert J. die Verteilung der Übersetzung des Alexis, insbesondere die Aufteilung der Freiexemplare zwischen Hemsterhuis und der Fürstin Gallitzin;118 die französische Ausgabe hingegen ist zu diesem Zeitpunkt – entgegen J.s früherem Plan – noch nicht fertiggestellt. Dies geht aus einer Anfrage J.s bei der Fürstin vom 13. November 1787 hervor: In dem schönen grünen Exemplar des Alexis welches Sie mir vorigen Sommer mitgaben, fand sich ein Zusatz nebst einer Mathematischen Figur in der letzten Note, welcher den andern Exemplaren mangelt. Er fängt in meiner Uebersetzung S 138 an, u geht bis 142. Die französische Abschrift dieser Stelle hat Schenk verlegt, u ohngeachtet alles Suchens seit 8 Tagen, sie nicht wieder finden können. Ich muß Sie also bitten, liebe Amalia, mir, wo nicht mit umlaufender, doch mit folgender Post, eine correcte Abschrift dieser Stelle zu verschaffen, weil der Druck sonst aufgehalten. Die Mathematische Figur ist schon gestochen, braucht also der Abschrift nicht beygefügt zu werden.119 Am 20. November 1787 meldet J. der Fürstin: 60 Exemplare des Alexis, die Uebersetzungen; u 8 Bogen des Originals sind an Hemsterhuis abgegangen – aber er mahnt auch: Ich hoffte mit der heutigen Post die Abschrift worum ich Sie gebeten hatte zu erhalten; aber es ist nichts gekommen.120 Erst am 6. Januar 1788 sendet J. Exemplare des französischen Alexis an Hemsterhuis und die Fürstin Gallitzin; an diese schreibt er: Sie erhalten hiebey zwey Exemplare des französischen Alexis. Ich schicke heute auch an Hemsterhuis 2 Exemplare ab, u lege Ihnen eine Abschrift des Briefes bey den ich an ihn geschrieben habe. Sie sind so gütig und antworten mir auf den Punkt der Vertheilung. Ich hätte lieber nicht an Hemsterhuis geschrieben, weil sich der gute Mann quälen wird, um mir schöne Dinge zu sagen. Er hätte es aber übel nehmen können wenn ich nicht geschrieben hätte. Auch war Ihre Meinung vorigen Herbst, da ich Sie fragte, ich müßte schreiben. Hat Ihnen Hemsterhuis nichts von dem Packet meiner Uebersetzungen gesagt, das ich ihm vor ohngefähr sechs Wochen geschickt habe; und wird er diesen Winter noch zu Ihnen kommen?121 Und in der beigefügten Abschrift 117

Nicolai: Öffentliche Erklärung, 34. J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 26. Oktober 1787, sowie J. an dieselbe, 20. November 1787, JBW I,6.283,33–284,3 bzw. I,7.23,27 f. 119 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 13. November 1787, JBW I,7.10,4–12. 120 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 20. November 1787, JBW I,7.23,27–29. 121 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 6. Januar 1788, JBW I,7.60,31–61,4. 118

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des Briefes an Hemsterhuis vom selben Tag heißt es: Monsieur / J’ai enfin le plaisir de Vous presenter deux exemplaires imprimés de l’Alexis françois, en Vous faisant un million de remerciment de ce que Vous avez bien voulu m’en confier la publication. Il en restent environ 270 exemplaires a Votre disposition. Je vais ecrire à Madame la Princesse de Gallitzin, pour lui demander, en lui envoyant également deux exemplaires, comment je dois partager entre Vous et elle et, Votre paquet fait, comment je dois Vous l’expedier. / Vous aurez reçu les exemplaires de ma traduction, que j’ai eu l’honneur de Vous adresser il y a environ six semaines. Puissiez Vous n’avoir pas été absolument mécontant de mon travail. Dumoins je l’ai fait avec un veritable enthousiasme; et en le revoyant et le corrigeant sans cesse pendant plus de trois mois, je n’ai epargné aucun soin pour justifier l’honneur que Vous m’avez fait, de permettre que je fusse le traducteur de Votre sublime ouvrage. Mes compatriotes les plus distingués assurent que j’y ai reussi. Leur approbation me flate; mais la Votre m’est necessaire.122 Bei diesen Exemplaren hat es sich jedoch um Vorausexemplare gehandelt, denn in einem Brief an Johannes Müller vom 3. Februar 1788 spricht J. davon, daß das französische Original Auf Ostern erscheinen werde.123 Hemsterhuis bedankt sich am 22. Februar 1788 für die beiden übersandten Exemplare und kommt hierbei auch auf den Vorzug der Übersetzung zu sprechen: Tous ceux qui ont lu ici votre traduction d’Alexis, l’admirent dans toute la force du terme et m’obligent à souhaiter, que l’original puisse paraître une traduction de votre ouvrage.124 Das Verhältnis von Original und Übersetzung spielt ferner eine Rolle bei der Rezeption des Alexis. Nicht ohne Stolz berichtet J. am 21. März 1788 Johann Georg Hamann: Die Göttinger haben nicht glauben können daß Alexis eine Uebersetzung sey. Siehe die Recension, u Brief v Seyffer den mir George mitgebracht hat.125 In dieser Rezension in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen wird jedoch das Verhältnis von Original und Übersetzung nicht angeschnitten; es heißt dort lediglich: Niemand wird in Ansehung des Verf. zweifelhaft seyn, wer nur eine von dessen vorhergehenden Arbeiten kennt. Eben der Geist einer über das Irdisch-Sinnliche emporstrebenden Philosophie, eben die meisterhafte Nachahmung der Platoni122

J. an Frans Hemsterhuis, 6. Januar 1788, JBW I,7.59,13–26. J. an Johannes Müller, 3. Februar 1788, JBW I,7.92,15–20: Sie fragen nach Hemsterhuis Schriften. Ich habe in meiner Rechtfertigung gegen Mendelssohn, eine neue vermehrte Ausgabe des Briefes sur l’homme et ses rapports, u eine erste des Alexis versprochen, nebst einer Uebersetzung des letzteren. Diese Uebersetzung ist nun erschienen. Auf Ostern kommt das französische Original. Ich glaube aber Sie werden sich bey der Uebersetzung beßer befinden. Doch sende ich Ihnen auch, u bald, das französische Original. 124 Frans Hemsterhuis an J., 22. Februar 1788, JBW I,7.106,17–19. 125 J. an Johann Georg Hamann, 21. März 1788, JBW I,7.149,9 f.; Hamann antwortet am 22. März 1788, JBW I,7.155,10 f.: Ich kann die Recension der Göttingischen Zeitung von Alexis nicht sehen, aber die in der lateinischen habe gelesen. 123

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schen Einkleidung.126 Dies deutet aber eher darauf, daß der Rezensent – Johann Georg Heinrich Feder – Hemsterhuis als Verfasser erkannt hat. Es ist deshalb anzunehmen, daß J.s Information über die Göttinger Unsicherheit auf den – verschollenen – Brief von Felix Seyffer zurückgeht. Aber auch im Brief an August Wilhelm Rehberg vom 8. Mai 1788 unterstellt J., daß Rehberg der Göttinger Verdacht bekannt sei: Ihnen schicke ich keinen französischen Alexis, weil ich weiß daß Sie v Hemsterhuis selbst ein Exemplar erhalten sollen, oder schon erhalten haben. – Ist es nicht drollicht, daß die Göttinger sich des Verdachtes nicht erwähren konnten, der Alexis sey v mir. – Aber wie kam die Allgemeine Litteratur Zeitung dazu, von diesem Gespräch, als einer im Original schon bekannten Schrift zu reden?127 Und schließlich schreibt auch noch Wilhelm Gleim an ihn: Ich dank Ihnen unendlich, mein theurer Freund, für ihre beyden Alexis! Der französische ist kaum so original, wie der deutsche!128 Der für J. schmeichelhafte Effekt der Dominanz der Übersetzung gegenüber dem Original könnte auch verstärkt worden sein durch seine Taktik, die Übersetzung ein halbes Jahr vor dem Original zu veröffentlichen. Sie hat allerdings auch eine unerwünschte Folge für den Absatz der französischen Ausgabe gehabt: Die französische Version ist in Deutschland schwer verkäuflich gewesen, und hierzu sind noch Probleme des Buchhandels getreten. Am 21. September 1788 wendet J. sich deshalb an Fürstin Gallitzin: Noch ein Anliegen, wo Sie aber schwerlich werden helfen können. Ich habe da 500 Exemplare vom französischen Alexis liegen. Dufour, auf den ich rechnete, hat Bankerott gemacht. Der Verleger hält mich beym Wort, daß ich ihm diese 500 Exemplare anbringen wolle. Der Laden Preis in Deutschland ist auf 1/2 Conventionsthaler gesetzt worden, weil die Leute das Original nicht kaufen wollen, sonst müßte ein so prächtig gedrucktes Buch wenigstens eine halbe Krone kosten. Ich will aber die 500 Exemplare gern zu 30 sous de france, oder auch ConventionsThaler weg geben, wenn jemand die ganze Parthie beysammen nehmen will. Der Abnehmer könnte dann auch ein neues Titelblatt drucken, u seinen Nahmen, als Verleger, darauf setzen laßen, welchen ich mich zu besorgen erbiete. Hätte ich in Lüttig oder Holland Bekanntschaft, so wäre der Handel leicht gemacht. Ich melde Ihnen die Lage der Sache auf allen Fall, ob Sie vielleicht Rath wüßten, daß ich mir das Ding aus dem Kopf schaffte. Diese Schwierigkeiten haben sich anscheinend trotz mehrseitiger Bemühungen nicht beseitigen lassen, denn am 23. Dezember 126

Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen. St. 31, 23. Februar 1788, Spp. 297 f. 127 J. an August Wilhelm Rehberg, 2. Mai 1788, JBW I,7.197,17–22. – Die kurze, aber freundliche Anzeige des deutschen Alexis in der Allgemeinen LiteraturZeitung, Nr 25, 29. Januar 1788, Sp. 257, lautet: Eine sehr elegante Uebersetzung des bekannten philosophischen Gesprächs v. H. Hemsterhuis, welcher schon der Name des Uebersetzers, H. Geh. R. Jacobi, viele Leser verschaffen muß, und die, wofür wir uns verbürgen, falls Bürgschaft hier etwas gälte, niemand ohne Vergnügen und Befriedigung lesen wird. 128 Johann Wilhelm Ludwig Gleim an J., 4. August 1790, JBW I,8.

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1788 schreibt J. erneut an die Fürstin: Wegen der 500 Exemplare Alexis machen Sie nur keine weitere Versuche; es giebt nichts damit, wie ich aus meinen eigenen Versuchen weiß. Auch Dohm hat sich vergeblich bemüht. Hier, ein Brief an ihn aus Lüttig über diesen Gegenstand. Ich bitte Sie, mir bald diesen Brief zurück zu schicken. Laßen Sie nur ja unsern Hemsterhuis von diesen Negationen nichts erfahren.129 Nicht allein der Absatz – auch die Rezeption des Alexis dürfte in diesen sowohl philosophisch intensiven als auch politisch erregten Jahren hinter J.s Erwartungen zurückgeblieben sein. Hervorzuheben ist jedoch die Aufmerksamkeit, die Friedrich von Hardenberg Hemsterhuis’ Schriften gewidmet hat – auch dem Alexis, allerdings an Hand der späteren Ausgabe von Hemsterhuis’ Werken, die keinen Hinweis auf J.s Übersetzer- und Herausgebertätigkeit enthalten.130 Novalis’ Aufzeichnungen, die unter diesem Titel stehen,131 sind allerdings gedanklich weit vom Text des Alexis entfernt. Enger ist der Bezug zum Alexis in Novalis’ Eintrag in sein Großes physikalisches Studienheft: Der Mond ist auf allen Fall ein j ü n g e r e r Körper als die Erde– daher sein Aussehn. Die äußersten Weltkörper sind am ersten entstanden[,] daher vielleicht ihre Trabanten. Das rothe Licht von Mars – hat Mars Trabanten? Warum sind sie vielleicht nicht sichtbar? / Können nicht aus Trabanten Planeten werden? Die Entstehung des Mondes mag wohl manche Veränderung auf unsrer Erde veranlaßt haben – vid. Hemsterhuis. / | Ließe sich nicht die Epoke der Mündigkeit des Mondes berechnen? Wir erziehen jezt den Mond.132 Diese Aufzeichnungen sind J. fraglos unbekannt geblieben; ein weiteres, von ihm vielleicht ebenfalls nicht gehörtes und ihn ebenfalls nicht erwähnendes Echo hat der Alexis fünfzehn Jahre nach seiner Veröffentlichung in Schellings Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie ausgelöst: Die schöne Dichtung des Hemsterhuis über das Ende des goldenen Zeitalters ist bekannt: er sucht den Grund der veränderten Inclination der Erdaxe in einer nothwendigeren Wirkung, der des M o n d s , den er als einen spätern Ankömmling bei der Erde betrachtet. Wir sind der Meinung, daß diese Vorstellung sich der Wahrheit um ein Beträchtliches mehr als die anderen nähere, indem wir behaupten zu müssen glauben, d a ß d a s C o h äs i o n sv e r h äl t n i ß d e s M o n d s z u d e r E r d e u n d d i e g r öß e r e N e i g u n g ihrer Axe aus einer und derselben Ursache begriffen werden m ü s s e , beides nämlich a u s d e r Z u n a h m e d e r a k t i v e n C o h äs i o n 129

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 21. September bzw. 23. Dezember 1788, JBW I,8. 130 Œuvres Philosophiques De M. F. Hemsterhuis. Tome Second. Paris 1792, 107–185 mit angehängter Tabelle: Alexis Ou De L’Âge D’Or. 131 Novalis: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Bd 2: Das philosophische Werk I. Hrsg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit HansJoachim Mähl und Gerhard Schulz. Revidiert von Richard Samuel und Hans-Joachim Mähl. Darmstadt 1981, 372–374. 132 Ib. Bd 3.64 f.

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de s E r d k ör p e r s o d e r d e s E r d m a g n e t i s m u s . / Da so viele Spuren dafür sprechen, daß die letzte Bestimmung, welche der Erdaxe ihre gegenwärtige Inclination gab, mehr oder weniger plötzlich erfolgt sey, so werden wir uns nicht irren, indem wir sie in den Moment setzen, in welchem das Cohäsionsverhältniß des Mondes mit der Erde entschieden wurde; denn daß auch dieses Verhältniß in der Art, wie es jetzt statthat, zeitlichen Ursprungs sey, und daß der Mond in den Umlauf um die Erde ihr eine unbestimmbare Zeit hindurch wirklich beide Seiten gezeigt habe, dafür sprechen allgemeinere – aus dem dem Verhältniß des Monds zur Erde ganz analogen Verhältniß der Planeten hergenommene – Gründe, die wir erst in der Folge entwickeln können. Womit denn auch die alte Tradition sich reimen läßt, die in der auch von Hemsterhuis angeführten Sage der Arkadier durchblickt, die sich prosel≥nouß nannten, und sich rühmten, daß das Alter ihres Geschlechts über das Daseyn des Mondes hinaufreiche.133 EINIGE BETRACHTUNGEN ÜBER DEN FROMMEN BETRUG UND ÜBER EINE VERNUNFT, WELCHE NICHT DIE VERNUNFT IST 1. Überlieferung D1 Titelblatt: Deutsches Museum. / Erster Band. / Jänner bis Junius. / 1788. / Leipzig, / in der Weygandschen Buchhandlung. Deutsches Museum. / Zweytes Stück. Februar, 1788. 153–184: Einige Betrachtungen über den frommen / Betrug und über eine Vernunft, welche / nicht die Vernunft ist. / Von Friedrich Heinrich Jacobi / in einem Briefe / an den Herrn geheimen Hofrath Schlosser. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung und Vergrößerung des Schriftgrades ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt.

D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Zweyter Band. / Leipzig, bey Gerhard Fleischer d. Jüng. / 1815. [455]–500: Einige Betrachtungen / über den frommen Betrug und über eine / Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. / (Zuerst im deutschen Museum Febr. 1788.)

133

Schelling: Der Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie Anderer Theil. In Neue Zeitschrift für speculative Physik. Bd 1, St. 2. Tübingen 1803, 152 (fehlpaginiert: 172) (SW I/4.490 f.).

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Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt.

2. Entstehungsgeschichte Der Vorwurf des frommen Betrugs134 wird um die Mitte der 1780er Jahre, in den Streitigkeiten um Jesuitismus und Kryptokatholizismus, mehrfach und von beiden streitenden Parteien wechselseitig erhoben. Nach der Veröffentlichung seiner Briefe Ueber die Lehre des Spinoza schreibt J., gewarnt durch seine vorangegangene Lektüre der Berlinischen Monatsschrift, an Hamann: Von den Berlinern erwarte ich das Schlimmste, u alle Schliche, welche der dort herschende Geist der piae fraudis, nur ersinnen kann. Auch gegenüber Amalia Fürstin Gallitzin spricht J. seine Befürchtung aus, es werde Sodoma u Gomorra […] erträglicher ergehen, als mir in der Allgemeinen Bibliothek u der Berliner MonathsSchrift – doch dies solle ihn nicht aus der Fassung bringen: Der Geist dieses Geschlechts, die pia fraus, hat sich bey dieser Gelegenheit einmahl recht zu Tage gelegt, u wird nun vermuthlich zu noch mehreren Offenbahrungen Gelegenheit geben.135 Als frommen Betrug bezeichnet er also das Vorgehen der Berliner Aufklärer, der »guten Sache« der Aufklärung auch durch Unwahrheiten einen Dienst leisten zu wollen – nämlich den Dienst, die Aufklärung durch die nachdrückliche Warnung vor dem selbsterdachten Gespenst kryptokatholisch-jesuitischer Umtriebe zu sichern. In diesem Sinne legt sodann Johann Friedrich Reichardt die Rede vom frommen Betrug in einem Artikel in den Hamburger Politischen Zeitungen vom 1. Februar 1786 J. in den Mund und führt sie damit in die öffentliche Diskussion ein; die Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, Johann Erich Biester und Friedrich Gedike, greifen diese Wendung auf und stellen sie in das Zentrum ihres Gegenartikels Nöthige Erklärung über eine Zudringlichkeit,136 und hierdurch wird sie zu einer Chiffre der damaligen Auseinandersetzungen zwischen der Berliner Aufklärung und ihren Gegnern. Biester und Gedike wenden allerdings ein, es sei nicht ganz klar, was frommer Betrug hier eigentlich heißen soll. […] F r o m m e r B e t r u g hieß sonst, wenn Jemand zu einem gut gemeinten Endzwek sich unredlicher Mittel bediente, vorzüglich wenn er zur Bestätigung der vom Gegentheil abgeleugneten Behauptungen falsche Fakta erdichtete. […] Soll diese Behauptung auch hier gelten? Fast scheint es so. […] Die Verschweigung eines Faktums könnte aber auch, etwas uneigentlich, frommer Betrug genannt werden. Durch die jeweils eingestreuten Beispiele versuchen die Herausgeber, den Vorwurf des frommen Be134

Siehe unten die Anm. zu 108,29. J. an Johann Georg Hamann, 13. Oktober 1785, sowie an Amalia Fürstin Gallitzin, 13. Oktober 1785; JBW I,4.208,18 f. bzw. 252,30–34. 136 Nöthige Erklärung über eine Zudringlichkeit. In Berlinische Monatschrift. 1786. St. 3: März, 279–288. – Der Artikel ist unterzeichnet mit Die Herausgeber der Berlinischen Monatschrift. 135

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trugs von der Berlinischen Monatschrift abzuwenden und ihn auf Johann Kaspar Lavater zu richten: Von einem Menschen seines Verhaltens könnte man wohl sagen: er erlaubt sich selbst – f r o m m e n ? – B e t r u g . Entgegen dieser weit zurückreichenden Vorgeschichte nimmt die Niederschrift von J.s Abhandlung Einige Betrachtungen über den frommen Betrug nur einen sehr geringen und prägnant begrenzbaren Zeitraum ein – den Dezember 1787. Veranlaßt ist sie, wie J. auch an ihrem Beginn notiert, durch eine Erklärung,137 mit der sein Freund Johann Georg Schlosser, der Ehemann der Johanna Katharina Sibylla Fahlmer, einer gleichaltrigen Tante J.s, den damals berüchtigten Hochstapler und Betrüger Alessandro Graf Cagliostro (mit bürgerlichem Namen Giuseppe Balsamo) gegen harte Angriffe der Berlinischen Monatsschrift verteidigt. J. hat Schlossers Erklärung erst mit dessen Schreiben vom 4. Dezember zugeschickt erhalten; mit dem Datum 8. Dec. 1787. beginnt er seine Abhandlung; bereits am 28. Dezember sendet er sie an die Druckerei des Deutschen Museums,138 und am 2. Februar erhält er den gedruckten Aufsatz.139 Die Abhandlung über den Frommen Betrug hätte J. allerdings nicht so schnell geschrieben, wenn er Schlossers Erklärung nicht in einigen Partien als problematisch und mißverständlich empfunden hätte. Wenige Tage, nachdem er sie an die Setzerei abgesandt hat, deutet er dies gegenüber Johann Friedrich Kleuker mit der Bemerkung an, daß seine Abhandlung nicht der pendant, sondern der pedant zu Schlossers Erklärung sei – doch spricht er auch seine polemische Absicht deutlich aus: So habe ich noch nie in das Wespennest gestochen, wie diesmahl, und alle Ihre guten Ermahnungen sind in die Luft.140 Die Bedeutung des Wortspiels pendant / pedant wie auch J.s Vorbehalte gegen Schlossers Erklärung werden jedoch noch deutlicher in einem späteren Brief an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, in dem er dessen Bedenken gegenüber einigen Passagen von Schlossers Aufsatz141 bestätigt: Schlossers launiger Aufsatz hat einige Stellen, die ich mißbillige, und vor denen ich, da ich seine Kladde erhielt, erschrack. Auch setzte ich mich auf der Stelle hin, um dem Schlosserischen Aufsatze nicht einen pendant, sondern einen pédant zu geben, und glaube nicht allein in dieser Rücksicht, sondern überhaupt meine Absicht bei den Betrachtungen über den frommen Betrug ziemlich erreicht zu haben.142 137

Des Geheimenhofr. Schlossers Erklärung über die Aufforderung der Berliner Monatschrift Nov. 1787. S. 449, den Grafen Cagliostro betreffend. In Deutsches Museum. 1788. St. 1: Jänner, 51–60. 138 Siehe J. an Johann Friedrich Kleuker, 31. Dezember 1787 / 1. Januar 1788, JBW I,7.54,1–3. 139 J. an Johannes Müller, 3. Februar 1788, JBW I,7.91,12 f. 140 J. an Johann Friedrich Kleuker, 31. Dezember 1787 / 1. Januar 1788, JBW I,7.53,24–54,1. 141 Friedrich Leopold Graf zu Stolberg hat J. am 28. April 1788, JBW I,7.185,25 f., seine Befürchtungen mitgeteilt: Schlossers geist- und launevoller Aufsatz über Cagliostro, welcher mir so viele Freude machte, hat doch von dieser Seite geschadet. 142 J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 7. und 9. Mai 1788, JBW I,7.203,27–32. – Diesen Brief mit dem Wortspiel pendant / pédant hat J. auch

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Trotz dieses engen Zusammenhangs ist J.s Abhandlung über den Frommen Betrug jedoch nicht allein durch Schlossers Erklärung motiviert. Zwei andere, etwa gleichzeitige Lektüren treten hinzu: die Lektüre des zweiten Teils von Johann August Starcks Apologie Über Krypto-Katholicismus sowie zwei Veröffentlichungen von Wilhelm Olbers und Arnold Wienholt über den Magnetismus. Diese beiden Motive nennt J. gegenüber Amalia Fürstin Gallitzin am 6. Januar 1788 über die zurückliegenden Wochen: Mein Geschäfte war ein Aufsatz, den Sie im Februar des Museums unter dem Titel finden werden: Einige Betrachtungen über den frommen Betrug, und über e i n e V e r n u n f t , w e l c h e n i c h t d i e V e r n u n f t i s t . Ich habe darin mein Herz über allerhand Dinge ausgeschüttet, und auch des Illuminatismus, als des sichtlich u greiflich gewordenen G e n i i S æ c u l i gedacht. Zwey Erscheinungen von sehr verschiedener Art: S t a r k mit seiner Apologie, und O l b e r s und W i e n h o l t mit der ihrigen, vereinigten sich, mich zu dieser Arbeit zu begeistern. Mich verlangt nach dem Zeugniße meiner Freunde, ob ein guter Geist mich in der That getrieben hat, oder ob es nur Täuschung gewesen ist daß ich mich gezwungen fühlte.143 Alle drei Motive nennt J. in dem Bericht, den er am 21. Januar 1788 Johann Kaspar Lavater über seine Lektüren im Herbst 1787 gibt: Zu derselben Zeit erschien der zweite Theil von Starkens Apologie, der einen starken Eindruck auf mich machte. Da ich ihn aber durchgelesen hatte, kam Wienholts Beitrag, der mich nicht minder, aber auf eine ganz andere Weise in Bewegung setzte. Mir war, ich müßte etwas thun in diesem Augenblick. Indem ich mit diesen Gedanken umging, erhielt ich von Schlosser die Kladde seiner Erklärung gegen die Berliner Monatsschrift über Cagliostro, wozu ich ihn ermuntert hatte. Nun setzte ich mich gleich hin, ging von dieser Erklärung aus, und schrieb: Betrachtungen über den frommen Betrug u n d ü b e r e i n e V e r n u n f t , w e l c h e n i c h t d i e V e r n u n f t i s t . Da ich beständig an meinem Körper litt, mußte ich, wie eine Henne, ganz stille auf meinen Eiern sitzen bleiben, und durfte mich mit sonst nichts abgeben. Die Küchlein sind recht schön und wacker alle herausgekrochen, und werden sich im Februarstück des Museums vor dem Publicum produciren.144 J.s Stellung zu Johann August Starck ist ähnlich ambivalent wie zu Schlossers Erklärung. J. verteidigt Starck gegen die Angriffe der Berlinischen Monatschrift, ohne sich jedoch darüber hinaus mit ihm zu identifizieren; dies betont er auch in seinem Brief an Friedrich Nicolai vom 28./29. Juli 1788.145 Sehr viel Johann Georg Hamann in Abschrift mitgeteilt; siehe J. an Hamann, 9. Mai 1788, JBW I,7.205,10–12; dieser rät jedoch in seinem Brief vom 16. Mai 1788, JBW I,7.221,25–27: mische Dich nicht als L a y e in die Händel und Amtsgeschäfte der Schriftgelehrten. Sey weder Ihr Pendant, noch Pedant – weder ihr Patron noch Sykophant. 143 J. an Amalia Fürstin Gallitzin am 6. Januar 1788, JBW I,7.60,10–19. 144 J. an Johann Kaspar Lavater, 21. Januar 1788, JBW I,7.73,15–28. 145 Siehe JWA 5,1.148,9–19 sowie J. an C. F. Nicolai, 28. und 29. Juli 1788, JBW I,8.

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freier und auch ausführlicher spricht er sich hierüber jedoch im bereits genannten Brief an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg aus: Weit auffallender wurde mir die Heuchelei dieses rohen Menschen im zweiten Theile, wo er alle seine frühern Schriften, sogar die freimüthigen Betrachtungen über das Christenthum, zu rechtfertigen und mit seiner ganzen gegenwärtigen Orthodoxie zu vereinigen bemüht ist. Sein Wüthen, dem man es so oft ansieht, daß es ohne wahren Affekt ist, und noch manches andere läßt sich von einem so verständigen und schlauen Manne, wie Stark, ohne geheime Ursachen vorauszusetzen, nicht begreifen. So dachte ich, da ich meine Betrachtungen über den frommen Betrug schrieb, in denen ich mich für Stark bloß in so fern erklärt habe: »als ich die ganze Geschichte von einbrechendem Katholicismus für ein Hirngespinnst halte«; in so fern die gegen Stark gebrauchten Mittel abscheulich sind. – Habe ich Unrecht in Absicht des ersten Punktes, so ist es mit meiner Philosophie und aller meiner, aus der Geschichte und Erfahrung gezogenen Erkenntniß am Ende, und ich getraue mir über nichts mehr eine Meinung zu haben. In Absicht des zweiten ist es unmöglich, daß ich je Unrecht bekomme, wenn auch dargethan würde, daß Stark wirklich ein Jesuit der vierten Klasse sey. – / Ich kann Ihnen nicht sagen, mein Lieber, welch ein grauenvolles Mitleiden ich gerade da mit diesem Unglücklichen empfunden habe, wo er die widrigsten Eindrücke auf mich machte. Wie wäre es, dachte ich, wenn man aus deinem | Leben diesen oder jenen Zug herausnähme, ein schändliches Mährchen darauf baute, und es mit Briefen, die man erhascht hätte, unterstützte; und dir bliebe nur die einzige Wahl, entweder öffentlich für einen Bösewicht gehalten zu werden; oder die Sache, wie sie war, mit allen ihren Umständen offen zu legen; Freunde zu verrathen, Schwachheiten zu bekennen u. s. w.? Und wie oft, wenn man sich auch zu letzterm entschlösse, wäre nicht einmal damit geholfen! Man würde die Entschuldigung dergestalt vergiften, daß eine zweite Dichtung, ärger als die erste, daraus hervorginge. Das nicht einmal gerechnet, daß oft der Verläumder Urkunden und Zeugnisse für sich haben, und der Unschuldige ganz davon entblößt seyn kann. Gegen ein solches Verhängniß ist der beste, der edelste, der rechtschaffenste Mensch nicht gesichert. – Jetzt nehmen Sie einen Stark, der wahrscheinlich ein harter, ehrgeiziger, planvoller Mensch ist; der soll nun alle seine Thorheiten, alle seine Vergehungen beichten, oder den Verdacht auf sich sitzen lassen, daß er ein geschorner Pfaffe sey. Letzteres kann er nicht, wenn er nicht mit Weib und Kindern brodlos werden will; und bei ersterm ist für ihn eine gleiche, vielleicht noch größere Gefahr. Was muß aus einem solchen Manne in einer so verzweifelten Lage werden? –Ach, den tief gefallenen, und immer tiefer fallenden – Nein, Bruder! Ich hielt ihn, wenn ich ihn halten könnte, und ließ ihn nicht immer tiefer fallen –146 146

J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 7. und 9. Mai 1788, JBW I,7.203,20–204,19. – Siehe auch J. an Georg Arnold Jacobi, 24. Juni 1788, JBW I,7.264,26–29.

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Daß auch die Angriffe der Berlinischen Monatsschrift auf Wilhelm Olbers und Arnold Wienholt ein wichtiges Motiv zur Abfassung von J.s Abhandlung über den Frommen Betrug gewesen sind, läßt sich dem Hinweis, den J. an ihrem Ende auf beide gibt, nicht entnehmen. Es wird aber – über die vorhin zitierten Briefe J.s an die Fürstin Gallitzin und an Lavater hinaus – auch noch durch einen Brief J.s am Schlosser belegt, der noch vor dem Eintreffen der Erklärung Schlossers geschrieben ist: Hast Du Wienholts Beytrag &cet schon gelesen? Die ersten Blätter des Vorberichts, u das AntwortsSchreiben am Ende, haben mich durchdrungen u in d seeligste Stimmung gesezt. Es macht einen Contrast mit den Biestermännern, d wenigstens mir durch Mark u Bein gegangen ist. – Wahrlich das Otterngezüchte stiftet Gutes; es würkt mehr u höhere Liebe unter den Edeln, u stählt den Muth bis zur Weißagung eines Huß, der sich braten ließ wie eine Gans, weil er im Geiste den Schwan sah, den sie wohl ungebraten laßen würden.147 Die klärende Wirkung, die J. sich von seiner Abhandlung versprochen hat, ist allerdings durch eine weitere Publikation zumindest verringert worden: durch Elisa von der Reckes Angriff auf Johann August Starck.148 Dies zeigt sich – zumindest – an ihrer Aufnahme durch Stolberg.149 J. antwortet ihm, daß er das Buch der Frau von der Recke noch nicht habe, meint aber, es werde ihm schwerlich von Stark eine schlimmere Idee geben, als die ich schon hatte150 – und hieran schließt sich die oben bereits zitierte Einschätzung Starcks an. Doch als er das Buch wenige Tage später erhält, schreibt er an Hamann: Vorgestern erhielt ich das Büchlein d v d Reck, u habe mich über Stolberg geärgert, daß er so viel Wesens davon machen konnte. Es ist ein eben so albernes als tückisches Ding; eine wahre Galgenfrist für die Berliner.151

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J. an Schlosser, 28. November 1787, JBW I,7.27,23–29. – Die Schlußwendung nimmt J. auch in seine Abhandlung auf; siehe JWA 5,1.131,9–12; sie enthält eine Anspielung auf Johann Georg Hamann; siehe die Anm. zu 131,9–12. – Zu Wilhelm Olbers und Arnold Wienholt siehe unten die Anmm. zu 131,21 und 131,22– 23. 148 Etwas über des Herrn Oberhofpredigers Johann August Stark Vertheidigungsschrift nebst einigen andern nöthigen Erläuterungen von Charlotte Elisabeth Konstantia von der Recke geb. Gräfinn von Medem. Berlin und Stettin, bey Friedrich Nicolai 1788. 149 Siehe oben, 447 f. 150 J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 7. und 9. Mai 1788, JBW I,7.202,9 f. 151 J. an Johann Georg Hamann, 16. Mai 1788, JBW I,7.217,24–26. – Ähnlich urteilt J. am 16. Mai 1788 gegenüber Johann Friedrich Kleuker, JBW I,7.218,16 f.: Von ohngefähr aber erhielt ich vorgestern den Wisch der Frau von der Recke.

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PHILOSOPHISCHE VERKNÜPFUNG DER HAUPTMOMENTE HEBRÄISCHER GESCHICHTE, IN BEZIEHUNG AUF GESCHICHTE DER MENSCHHEIT 1. Überlieferung D Titelblatt: Deutsches Museum. / Erster Band. / Jänner bis Junius. / 1788. / Leipzig, / in der Weygandschen Buchhandlung. Deutsches Museum. / Zweytes Stück. Februar, 1788. 191–192: Philosophische Verknüpfung der Hauptmo/mente hebräischer Geschichte, in Beziehung / auf Geschichte der Menschheit. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Vergrößerung des Schriftgrades ausgeführt.

2. Entstehungsgeschichte Der kurze Text J.s enthält lediglich einführende Bemerkungen zu einer Abhandlung seines Freundes Thomas Wizenmann (1759 – 1787). Ende Mai 1785 hat J. den jungen, bereits schwer lungenkranken Magister der Philosophie, der die Jahre zuvor als Hauslehrer in Barmen gelebt hat, in sein Haus aufgenommen; dort hat Wizenmann bis zum Januar 1787 gelebt; für die letzten Wochen seines Lebens ist er auf Vorschlag seines damals neuen Arztes Georg Christian Gottlieb Wedekind nach Mühlheim am Rhein gezogen und dort am 22. Februar 1787 verstorben.152 Während seines Düsseldorfer bzw. Pempelforter Aufenthalts hat Wizenmann nicht allein regen inneren Anteil an J.s Auseinandersetzung mit Moses Mendelssohn und dessen Freunden über Lessings Spinozismus genommen, sondern er hat – ohne J. zunächst darein einzuweihen – auch selber in diesen Streit eingegriffen.153 In seinem kurz vor dem Ende seines Düsseldorfer Aufenthalts, am 17. Dezember 1786, unterzeichneten Testament verfügt Wizenmann im ersten Absatz: Fr. Hr. Jacobi ist der Erbe aller meiner schriftlichen Sachen, worunter besonders und vor|züglich a) der Entwurf über Matthäus, b) die biblische Geschichte, wovon Hofmann Bericht geben kann c) die Schrift über die Triebe des Menschen d) und ein unvollendeter Aufsatz über Kants Orientiren begriffen sind. Es kann und soll aber nichts davon gedrukt werden, so lange die groben und vielen Fehler in allen diesen Schriften nicht sorgfältig ausgemerzt sind. Doch bitte ich, diese Schriften, 152 Vgl. Alexander v. d. Goltz: Thomas Wizenmann, der Freund Friedrich Heinrich Jacobi’s. Gotha 1859. 2 Bde. Bd. 2.79–81, 84, 89. 153 [Thomas Wizenmann:] Die Resultate der Jacobischen und Mendelssohnschen Philosophie; kritisch untersucht von einem Freywilligen. Leipzig 1786 (KJB 1205).

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auf Verlangen, meinen Freunden zu leihen.154 Unmittelbar nach Abfassung des Testaments entschließt sich Wizenmann, den hier genannten Aufsatz über Kants Orientiren doch zu publizieren. Dies berichtet J. am 27. März 1787 an Johann Georg Hamann: Im Februar des Museums steht Witzenmanns Schreiben über das Orientieren. Er entschloß sich, Ende December, es drucken zu laßen.155 Es wird in den Tagen zwischen der Testamentsunterzeichnung, also dem 17. Dezember, und dem 23. Dezember 1786 an die Redaktion des Deutschen Museums gesandt worden sein, denn bereits an diesem Tag weist J. Johannes Müller auf das Sendschreiben hin: Eine Epistel von Witzenmann an Kant, über das Orientieren, werden Sie im Februar des Museums 87 finden, u seinen trefflichen Geist von neuem bewundern.156 Erschienen ist es bereits im Februarheft des Deutschen Museum, also zu Beginn des Sterbemonats Wizenmanns,157 unter dem Titel: An den Herrn Professor Kant von dem Verfasser der Resultate Jakobischer und Mendelssohnscher Philosophie und mit der Datumszeile Pempelfort, 1786.158 Die Absendung an die Redaktion wird zumindest durch die Vermittlung J.s, wenn nicht überhaupt durch ihn geschehen sein; er scheint aber auch an der übereilten Schlußredaktion zumindest beteiligt gewesen zu sein, denn er schreibt am 30. April 1787 an Hamann: Witzenmanns Schreiben hat einige Stellen die gegen Mißverstand nicht genug gesichert sind u einer Zugabe bedürfen. Z. B. S 138 u 39. – Der Unfug des Kantischen Orientierens ist auch nicht ganz an seiner Quelle entblößt. Wizenmann war schon zu schwach da er sich entschloß diesen Aufsatz drucken zu laßen, als daß eine recht scharfe Kritik damit hätte vorgenommen werden können. Was nicht durch Ausstreichen gut gemacht werden konnte, daran ist keine sonderliche Verbeßerung geschehen.159 Die Bearbeitung der anderen nachgelassenen Schriften Wizenmanns nimmt J. – mit der Fertigstellung seines David Hume und der Übersetzung des Alexis beschäftigt – etwas zögerlich auf. Den Entwurf über Matthäus sendet er am 16. April 1787 zunächst zur Prüfung an Johann Georg Hamann: Der Entwurf über Matthäus ist den 16ten in einem Packet an Dich abgegangen. Auch hierüber bitte ich um Deinen Rath. Du weißt, Wizenmann verlangt in seinem letzten Willen ausdrücklich, daß seine Aufsätze vor der Publication sorgfältig gereinigt werden sollen. Wem könnte man diesen Matthäus 154 Siehe die Beilage zu Thomas Wizenmann an J. sowie S. H. und A. C. C. Jacobi, 26. Januar 1787, JBW I,6.7,1–7. 155 J. an Johann Georg Hamann, 27. März 1787, JBW I,6.54,12–14. 156 J. an Johannes Müller, 23. Dezember 1786, JBW I,5.441. 157 J. an P. W. G. Hausleutner, 23. Februar 1787, sowie J. an Johann Georg Hamann, 30. April / 1. Mai 1787, JBW I,6.29,25–28 bzw. 130,31 f. 158

Thomas Wizenmann: An den Herrn Professor Kant von dem Verfasser der Resultate Jakobischer und Mendelssohnscher Philosophie. In Deutsches Museum (1787). Februar. 116–156. – Siehe hierzu Kant: Critik der practischen Vernunft. AA V.143. 159 J. an Johann Georg Hamann, 30. April / 1. Mai 1787, JBW I,6.131,7– 13.

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anvertrauen? Wäre Hafelyn [sc. Johann Kaspar Häfeli] vielleicht der Mann? Ich habe v Hafelyn nie eine Zeile gelesen. Wizenmann sagte, er wäre minder affectiert et se mirant, als die andern Zürcher, aber doch auch nicht ganz frey v diesem Fehler. Du mußt mir jemand vorschlagen, denn ich bin nicht fähig hier eine Parthie zu ergreiffen.160 Hamann sendet J. am 9. Mai 1787 sein Urteil, ohne jedoch einen konstruktiven Vorschlag zu machen: ich fuhr Montags mit heiterm | Kopf u Herzen in der handschriftlichen Reliquie unsres seeligen Freundes fort […] / Gestern frühe wurde ich mit der Handschrift fertig, und habe mich satt geweint und daran geweidet. Wie ich Dich bedauert habe, einer so guten Seele einer so feinen Meisterhand beraubt zu seyn, und daß ein so schönes Denkmal nicht zu Ende gebracht worden. Ich stutzte bey dem ersten Strich eines Bleystifts und erkannte oben den Finger meines Bucholtz an der Zahl. Sollte diese Reliquie nicht des Drucks würdig seyn, zum Vortheil seiner Eltern und seiner frommen Mutter. Ich wünschte daß sein Freund Hausleutner deßen Geschmack ein wenig mehr sectirisch als philosophisch mir vorkömt nicht eine kleine Uebersicht übernehme. Ich erwarte liebster Jonathan Deine Vorschrift ob ich es wider durch Einschluß übermachen oder selbst einhändigen soll. In beyden Fallen hoffe ich es noch genauer durchzusehen, welches nöthig wäre. So legt er dem kananäischen Weibe: Sohn Davids in den Mund – –161 J. erachtet diese Antwort als nicht ausreichend; am 22. Mai 1787 schreibt er nochmals an Hamann: Betreffend die Herausgabe dieses Werks habe ich Dir neulich (den 1sten May) geschrieben, u sehe darüber Deiner Antwort entgegen. – Kanst Du mir den nachtheiligen Eindruck den die Resultate auf Dich gemacht haben, u nun in noch höherem Grade machen nicht bedeuten? Wenn Du es könntest u thun wolltest, geschähe mir ein ungemeiner Gefallen. – Die Veranlaßung zum Matthäus ist mein erster Brief an Mendelssohn gewesen, u überhaupt die Philosophie die Wizenmann v mir eingesogen hatte. Er verfiel in eine entsetzliche Angst des Unglaubens, mit der er sechs Monathe lang kämpfte. Da er nun klar zu sehen glaubte, daß v Seiten der Philosophie keine Hülfe zu hoffen sey, u schlug er den andern Weg ein, u so entstanden die Betrachtungen über den Matthäus, zu denen er deswegen auch immer eine ganz besondre Liebe hatte.162 In der weiteren Korrespondenz ist nicht mehr von Wizenmanns Schrift die Rede; erst von Münster aus schreibt Hamann am 22. Juli 1787 an J., er habe heute 2 mal des seeligen Wizenmanns erste Entwickelung gelesen. Deine Einwürfe gegen seine Erklärung haben mir am besten gefallen und kommen mir gründlich vor.163 Das Manuskript zum Matthäus hat Hamann bei seiner Reise von Königsberg nach Münster mitgebracht; J. sendet es Ende Juli/Anfang August, 160

J. an Johann Georg Hamann, 30. April / 1. Mai 1787, JBW I,6.131,13–

161

Johann Georg Hamann an J., 9. und 10. Mai 1787, JBW I,6.143,15 f., 19–

162

J. an Johann Georg Hamann, 22. Mai 1787, JBW I,6.161,8–19. Johann Georg Hamann an J., 22. Juli 1787, JBW I,6.218,34–36.

21. 30. 163

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also noch während seines kurzen Aufenthalts bei Hamann in Münster, an Johann Friedrich Kleuker zur weiteren Prüfung und Durchsicht164 – doch erst am 9. und 10. August klärt er Kleuker über diese Sendung auf: Wie ich so zerstreut seyn konnte. Vergesse unter dem Schreiben ganz und gar Ihnen von der Handschrift etwas zu sagen, die ich von Münster aus an Sie abschickte. Es ist ein Fragment vom seeligen Witzenmann über den Matthäus. Nach meinem und auch nach Hamanns Urtheil sind Sie der Mann, der diese Handschrift zum Druck zubereiten könnte. Lesen Sie sie durch, und sagen mir nachher, ob Sie diese Mühe übernehmen wollen.165 Aus den folgenden Monaten finden sich keine brieflichen Nachrichten; Ende September oder Anfang Oktober besucht Kleuker J. in Pempelfort;166 dabei wird fraglos die Überarbeitung des Matthäus ein Gesprächsthema gewesen sein. Demgegenüber hat J. das Manuskript zu Wizenmanns Biblischer Geschichte zunächst noch bei sich behalten, vielleicht zur Herauslösung und Überarbeitung des dann publizierten Abschnitts oder sogar zur Abfassung seines kurzen Vorberichts. Erst am 8. November 1787 schreibt er an Kleuker: Das Gesangbuch von Ter Stegen, nebst der biblischen Geschichte des seligen Witzenmann hat Hamann in einem versiegelten Packet mitgenommen, das wahrscheinlich schon in Ihren Händen ist.167 Kleuker behält diese Manuskripte jedoch nicht lange in Händen: Bereits Ende Dezember 1787 sendet er Wizenmanns Manuskripte in zwei Paketen an J. zurück, und J. bestätigt am 4. Januar 1788 den Eingang.168 Das Manuskript zur Biblischen Geschichte sendet J. – zusammen mit seinem Vorbericht – unmittelbar nach dem Empfang weiter an die Setzerei, die für das Deutsche Museum arbeitet.169 Ob er den dort publizierten Teil erst Anfang Januar 1788 oder schon vor der Weiterleitung des Manuskripts über Hamann an Kleuker herausgelöst, überarbeitet und mit seinem Vorwort versehen hat, läßt sich nicht mehr klären. Jedenfalls gibt er das Manuskript am 5. Januar 1788 in Satz, wie er Amalia Fürstin Gallitzin am 6. Januar mitteilt: Gegenwärtig bin ich, neben der Beantwortung einer Unzahl von Briefen, die sich aufgehäuft haben, mit der Herausgabe des ersten Theils von Wizenmanns Schriften, Biblischen Inhalts, beschäfftigt. Dieser erste Theil wird die Geschichte Jesu nach dem Matthäus, und eine vorbe|reitende Abhandlung, voll großer trefflicher Gedanken enthalten. Aus dieser Vorbereitung habe ich ein großes Stück herausgenommen, um es vorläufig im Museum unter folgendem Titel bekannt zu machen: »Philosophische Verknüpfung der Hauptmomente Hebräischer Geschichte, in Beziehung auf Geschichte der Mensch164

J. an Johann Friedrich Kleuker, zwischen dem 23. Juli und 4. August 1787, JBW I,6.219,9. 165 J. an Johann Friedrich Kleuker, 9. und 10. August 1787, JBW I,6.226,9– 14. 166 J. an Johann Friedrich Kleuker, 23. Oktober 1787, JBW I,6.279,9–10. 167 J. an Johann Friedrich Kleuker, 8. November 1787, JBW I,7.5,24–26. 168 J. an Johann Friedrich Kleuker, 4. Januar 1788, JBW I,7.58,32. 169 Die Legitimation für dieses direkte Vorgehen hatte der Herausgeber, Heinrich Christian Boie, J. bereits zuvor eingeräumt; s. Boie an J., 26. November 1787, JBW I,7.25,23 f.

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heit.« Dieses Stück ist gestern, mit einem Vorberichte von mir versehen, zur Druckerey des Museums abgegangen, u ich hoffe es soll noch früh genug ankommen, um zugleich mit meinem Aufsatze zu erscheinen. Im gleichen Brief deutet J. der Fürstin auch einen weiteren Grund an, der ihn für Wizenmanns Schrift einnimmt: Er habe soeben Hamanns Golgatha u Scheblimini wieder gelesen, und es zum ersten Mahle ganz verstanden. Wizenmanns Verknüpfung der Hauptmomente Biblischer Geschichte, ist großen Theils aus diesem goldenen Büchlein gesogen.170 Wenige Tage später, am 21. Januar 1788, kündigt J. auch Lavater das Erscheinen von Wizenmanns Abhandlung an: In demselben Stück [sc. wie die Betrachtungen über den frommen Betrug] erscheint: Philosophische Verknüpfung der Hauptmomente hebräischer Geschichte in Beziehung auf G e s c h i c h t e d e r M e n s c h h e i t . Ich habe diesen Aufsatz aus Witzenmanns nachgelassenen Schriften genommen; den Titel und einen kleinen Vorbericht hinzugethan, und Du sollst sehen, daß es ein herrliches Ding ist. Von beiden Aufsätzen habe ich besondere Abdrücke bestellt. Vielleicht erhalte ich | schon übermorgen zwei Exemplare, davon bekommst Du Eins, mußt mir dann aber auch gleich melden, wie Du findest, daß ich mich gehalten habe.171 Nur wenige Tage später, am 9. Februar 1788, bestätigt Lavater: Wizenmanns Aufsaz ist unbezahlbar. Nur noch einige Ergänzungsiden scheinen zufehlen.172 Die Abhandlung Wizenmanns folgt J.s einleitenden Bemerkungen im Deutschen Museum auf den S. 193–198. Auf den ersten zehn Seiten zeichnet Wizenmann ein im ganzen traditionelles Bild der Geschichte Israels von der Berufung Abrahams und seinem festen Glauben über Moses’ Errettung des Volkes Israel aus Ägypten und über das Priesterkönigtum Davids und die messianischen Hoffnungen bis hin zu Jesus. Dann aber wirft Wizenmann das ihn beschäftigende Problem auf: Es sei zwar gar keine Frage mehr, ob der Messias gekommen, und in Jesus gekommen sey. Aber diese Be|hauptung ist auf den Grundsatz gegründet, oder besser, diese Behauptung wird alsdann erst fruchtbar, nützlich und allgemein interessant, wenn erwiesen ist, daß die Israelitische Verfassung von Gott ihren Ursprung habe. Es könnte immer wahr seyn, daß die Israelitische Verfassung in Jesus ihre Absicht erreicht hätte, daß durch ihn ihr Geist herausgezogen und aufs Ganze angewandt wäre, daß also gegen seine Messiaswürde keine gegründete Einwendung Statt fände. Aber wenn jene Verfassung nur das Werk Israelitischer Patrioten, guter und grosser Menschen, und eines Zusammentreffens glücklicher Umstände gewesen ist, wenn Jesus eben nur das Glück hatte, den Sinn jener Patrioten zu fassen, zu erhöhen und im Geist eines Weltbürgers anzuwenden, wenn die ausdrückliche Absicht, Hülfe und Beystimmung der Gottheit nicht erweißlich ist; so mag es immer wahr 170

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 6. Januar 1788, JBW I,7.60,20–30, 61,11–

171

J. an Johann Kaspar Lavater, 21. Januar 1788, JBW I,7.73,28–74,8. Johann Kaspar Lavater an J., 9. Februar 1788, JBW I,7.94,18 f.

14. 172

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seyn, daß Jesus der Messias – daß das Christenthum eine grosse, wichtige, erhabne, wünschenswürdige Anwendung der Verfassung des Judenthums aufs Ganze ist: Aber daß diese Lehre überhaupt wahr, daß sie mit den Absichten Gottes wirklich übereinstimmend, daß sie Lehre Gottes sey, oder daß Jesus ein von Gott erwählter Messias und der Vermittler eines ewigen Reiches Gottes sey, davon bin ich noch nicht überzeugt. Diese Überzeugung kann auch nicht durch Vernunftgründe hervorgebracht werden, weil sie keine allgemeine, ewige Vernunftwahrheit betrift, sondern eine b e s o n d e r e A b s i c h t der Gottheit mit dem Menschengeschlecht, und eine einzelne Thatsache. Jene Ueberzeugung kann mir also nur und allein durch den Beweis einer göttlichen Offenbarung oder Mitwirkung zu Theil werden; es muß mir wahr gemacht werden können, daß der Messias ein Mann war, der durch das ganze Verkehr seines Daseyns eine ausdrückliche A b s i c h t G o t t e s ausführte. / Den innern Zusammenhang des Judenthums und Christenthums als unstreitig angenommen, stehen uns zu jenem Beweise zween Wege offen. Wir müssen beweisen, entweder daß das Judenthum, oder daß das Christen|thum göttlichen Ursprungs ist. Eines von beiden erwiesen, so können wir an dem göttlichen Ursprunge des andern nicht mehr zweifeln; denn ihr historischer und philosophischer Zusammenhang ist zu bündig, zu augenfällig, als daß er im Ernst verkannt werden könnte. / Beyde Wege sind auf verschiedene Weise versucht worden. Indessen kommt alles darauf an, daß die heilige Geschichte des Judenthums oder Christenthums als wahr erwiesen wird. Dieses kann weder durch Anführung von Zeugnissen befriedigend geschehen: denn theils reichen diese so weit nicht, als sie reichen sollten, theils beruhen sie auf der äusserst feinen und zweydeutigen Untersuchung über die Glaubwürdigkeit der Zeugen; noch durch Weissagungen allein, denn sie zeigen nur Zusammenhang, ja nur einen Theil desselben, und können, einzeln betrachtet, nichts beweisen; noch durch Wunder: denn die setzen die Glaubwürdigkeit der Geschichte voraus; noch durch die Nutzbarkeit des Christenthums: denn das Nützliche ist darum nicht göttlich, und der Nutzen, den das Christenthum gestiftet, ist, ohne seine ewige Absichten, sehr zweifelhaft. Keines von allem dem ist hinreichend, die Wahrheit der heiligen Geschichte zu beweisen. Mich dünkt, man hätte den Beweis bey dem anfangen sollen, was uns am nächsten liegt, da wo man durch die geringste Anzahl von Mitteln zum Ziel kommen kann. Man hätte die heilige Geschichte des Judenthums oder Christenthums oder beyder zugleich, an sich betrachten, und versuchen sollen, wie viel man durch innere Gründe für die Glaubwürdigkeit der Geschichte herausbringen kann. Hiemit verbände man die Untersuchung der äussern Zeugnisse. Diesem folgte die Darstellung des historischen und philosophischen Zusammenhangs des Judenthums und Christenthums. Diesem, die Vergleichung mit den Revolutionen, die mit der heiligen Geschichte in Zusammenhang stehen; und diesem endlich, eine Vergleichung des Christenthums mit der ganzen Geschichte und den wahrscheinlichen Absichten des Menschengeschlechts. Dieser Gang | der Untersuchung ist der ein-

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zige, der vollständig zusammenhängt, und der vielleicht zu einer Evidenz führen würde, wovon man jetzt noch wenig Begrif zu haben scheint. Wie viel armselige Zweifel müßten alsdann verschwinden – wie viele gesuchte Bedenklichkeiten zu Schanden werden – wie viele Lieblingsideen unserer Zeit, deren Mutter eine nur äusserliche Aufklärung ist, sich dem grossen Plane des Judenthums und Christenthums unterordnen, oder wie Blasen spielender Kinder zerspringen! Nachdem J. dieses Teilstück in Druck gegeben hat, hat er sich – wie er im vorhin zitierten Brief vom 6. Januar 1788 an Amalia Fürstin Gallitzin schreibt – weiterhin mit der Herausgabe des ersten Theils von Wizenmanns Schriften, Biblischen Inhalts, beschäfftigt,173 das heißt mit der Herausgabe des Matthäus und des zweiten, noch nicht publizierten Teils der vorbereitenden Abhandlung. Eigentümlicher Weise teilt J. die beabsichtigte Teilpublikation nicht auch Kleuker mit, dem er doch dieses Manuskript zur Überarbeitung übergeben hat. Ihm schreibt er am 15. Januar nur ein lakonisches Über die Witzenmaniana nächstens, und erst am 19. Februar, also erst nach dem Erscheinen des Beitrags, teilt er ihm eher beiläufig mit: Sie werden finden, daß ich auch ein Stück aus Witzenmann eingerückt habe. Vielleicht gebe ich auch noch das übrige dieses (nach meinem Urtheile) meisterhaften Aufsatzes meines seeligen Freundes vorläufig ins Museum, denn es ist unmöglich, weil Ostern so früh kommt, daß der 1ste Theil der Schriften auf Jubilate erscheine.174 Zuvor aber wendet J. sich wegen der Publikation von Wizenmanns Schriften erneut an Georg Joachim Göschen, den Verleger von Wizenmanns Resultaten. Ihm hat er bereits am 14. April 1787 mitgeteilt: Witzenmann hat einige intereßanten Handschriften hinterlaßen, die ich in Ihrem Verlag am liebsten erscheinen sähe. Auch hierüber künftig.175 Hierauf kommt J. nun, am 17. Januar 1788, in einem ausführlichen Schreiben zurück: Voriges Jahr im April, mein theuerster Freund, schrieb ich Ihnen von der litterarischen Nachlaßenschaft meines unvergeßlichen Wizenmann. Der Zeitpunkt ist nun gekommen, wo Sie sich entscheiden müßen, ob Sie den Verlag übernehmen wollen oder nicht, denn ich gedenke mit dem ersten Theile auf der nächsten Jubilate Meße zu erscheinen. / Da mein Anerbieten aus Freundschaft geschieht, und ich kein andres Intereße als Ihren Vortheil dabey habe, so würden Sie gegen mein Intereße handeln und mir Verdruß zubereiten, wenn Sie nicht einzig und allein Ihren Vortheil dabey bedächten, und sich nicht nach blos merkantilischen Grundsätzen entschieden. / Der erste Theil der zum Abdrucke ganz fertig ist hat den Titel: »Thomas Wizemann hinterlaßene Schriften biblischen Inhalts, revidiert v J. F. Kleucker, u herausgegeben v F. H. Jacobi Iter Theil.« Dieser Theil enthält zwey Stücke. 1) Eine Abhandlung, worin das Verhältniß der Israelitischen Geschichte zur Christlichen, u beyde zur höchsten Entwickelung der 173

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 6. Januar 1788, JBW I,7.60,21 f. J. an Johann Friedrich Kleuker, 15. Januar bzw. 19. Februar 1788, JBW I,7.70,8 bzw. 101,28–32. 175 J. an Georg Joachim Göschen, 14. April 1787, JBW I,6.77,30 f. 174

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Bestimmung des menschlichen Geschlechts erklärt wird. – Von dieser Abhandlung habe ich ein Stück, | ohngefähr 2/3 des Ganzen in das deutsche Museum unter folgendem Titel einrücken laßen: Philosophische Verknüpfung der Hauptmomente Hebräischer Geschichte, in B e z i e h u n g a u f G e s c h i c h t e d e r M e n s c h h e i t . Ich hoffe dieser Aufsatz ist frühe genug in die Druckerey gekommen um im Februar des Museums zu erscheinen; u da der Februar dieser MonatsSchrift bey Ankunft meines Briefes heraus seyn muß, so können Sie aus dieser Probe v dem übrigen urtheilen, u auch Urtheile v andern sammeln. Meine Meinung finden Sie im Vorbericht. Ich habe dieses Stück hauptsächlich deßwegen ins Museum gegeben, damit, wenn der erste Theil der nachgelaßenen Werke erscheint, man sich auf diese Probe berufen könne. – Dieser Ite Theil enthält nun 2tens) die Geschichte Jesu nach dem Mattheus, als Selbstbeweis ihrer Zuverläßigkeit betrachtet. Die Behandlung ist auch hier ganz original, u der Vortrag hat eine solche ungezwungene Leichtigkeit, daß diese Schrift den Ungläubigen, wenn er philosophischen oder dichterischen Geist hat eben so sehr ergötzen, als den Gläubigen erbauen muß. Der seelige Wizenmann liebte dieses Werk mehr als alles was er sonst geschrieben hat. / Als Herausgeber werde ich einen Vorbericht schreiben, der ein kurzes Urtheil über diese Schriften, u einigen Lebensumstände des Verfaßers enthalten wird. / Was die Stärke dieses 1sten Theils anbelangt, so können Sie nach folgendem ohngefähr einen Ueberschlag machen. Die erste Abhandlung beträgt 60 Seiten Witzenmannischer Handschrift, u was ich davon ins Museum gegeben habe 21 Seiten. – Von der Geschichte Jesu habe ich hier vor mir liegen 208 Seiten; ich habe aber einen Theil vom Ende einem Freunde geliehen, der ohngefähr 90 Seiten betragen wird. / Diesem ersten Theile wird ein zweyter, ebenfals biblischen Inhalts folgen, deßen Herausgabe aber bis zur Jubilate Meße 89 verschoben bleiben mag. Die philosophischen Schriften werden, ohne die Resultate, nur einen mäßigen Band ausmachen. / Das Honorar angehend, bin ich zufrieden wenn Sie für den Bogen 1 Ducaten, allenfals auch nur 1/2 Ldor bezahlen. Dieses Geld ist für den Vater u die sechs Geschwister des Verstorbenen. Lieber wäre mir wenn Sie das Honorar, nach Maaßgabe des Absatzes bey Empfang des Manuscripts für den Zweiten Theil selbst bestimmen wollten. – Wenn Sie das Werk nicht übernehmen, so verschweigen Sie alles was ich Ihnen geschrieben habe. Ich wiederhole Ihnen nochmals daß Sie bloß Ihren eigenen Vortheil in Betrachtung ziehen müßen, denn ich bin nicht im mindesten in Verlegenheit Wizenmanns Schriften anzubringen. Nur um baldige Antwort muß ich bitten.176 Göschen antwortet J. umgehend, am 28. Januar 1788, daß er den Verlag übernehmen wolle,177 und J. bestätigt diese Vereinbarung am 1. März 1788: Ihr Anerbieten in Absicht Wizenmanns hinterlaßener Schriften, nehme ich an, u sage Ihnen hiemit den Verlag derselben unwiederruflich zu. Die 176 177

J. an Georg Joachim Göschen, 17. Januar 1788, JBW I,7.70,14–71,37. Georg Joachim Göschen an J., 28. Januar 1788, JBW I,7.82,9.

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Herausgabe wollen wir spätestens auf Michaelis fest setzen. Ob sie früher erscheinen sollen wird von Ihnen abhängen. Auf die Jubilate Meße ist es nun einmahl zu spät.178 Am 6. April 1788 stellt J. die Übersendung des Manuskripts in Aussicht: Die Handschrift v Wizenmann sollen Sie nächstens erhalten. Ich bin seit einigen Wochen fast v keiner Stunde Herr gewesen.179 Doch statt das Manuskript zu übersenden, teilt J. dem Verleger am 18. Mai 1788 mit: Das Manuscript v Wizenmann habe ich einem zweyten Revisor übergeben, der mehr wegschneiden soll. Kleucker ist viel zu nachsehend gewesen. Nachstens mehr hierüber.180 Deutlicher äußert sich J. wenige Tage später gegenüber Johann Friedrich Kleuker: Witzenmanns Nachlaß ist noch nicht unter der Presse. Ich wurde beym Wiederdurchlesen bedenklich, nahm das Manuscript mit nach Münster, wo auch Hamann fand, daß vieles weggeschnitten werden müßte, und wir wurden Eins, den Matthäus an Häfeli zu schicken, damit auch dieser das Werk lese und sein Urtheil darüber sage. Dieses ist den 11ten May geschehen, und ich sehe nun seiner Antwort entgegen.181 Der Vorschlag, Johann Kaspar Häfeli mit dieser Ausgabe zu betrauen, geht ursprünglich auf Wizenmann zurück; J. hatte ihn bereits ein Jahr zuvor mit Hamann erörtert.182 Häfeli antwortet jedoch nicht so rasch, wie J. dies erhofft,183 und als er Ende Juli die Manuskripte an J. zurückschickt, verbindet er dies mit einer Absage. Häfelis Brief ist verschollen, doch berichtet J. hierüber Johann Friedrich Kleuker am 22. August 1788: Von Häfeli habe ich denselbigen Tag, da ich Ihnen zuletzt schrieb, Antwort erhalten. Er ist zweymahl verreist gewesen, und nun wieder verreist. Kurz er hat mir die Handschrift Witzenmanns zurückgeschickt. Nun ist die Frage, mein Liebster, ob Sie das Werk auf Ihre alleinige Gefahr herausgeben wollen? Hernach, ob ich Ihnen in diesem Falle die Handschrift noch einmahl zuschicken, oder sie nur gleich in die Druckerey geben soll? Daß Sie alsdann die Vorrede schreiben, versteht sich. Ihre Arbeit muß Ihnen der Verleger belohnen, welches ich ohne dies schon ausgemacht hatte. Wegen der Vorrede nehmen wir nähere Abrede.184 Kleukers Antwort ist nicht überliefert, und es gibt keine Anzeichen dafür, daß er von J. zu einer erneuten Durchsicht bewogen worden sei. Dem im folgenden Absatz zitierten Brief J.s an Göschen ist vielmehr zu entnehmen, daß das Manuskript nicht ein zweites Mal an Kleuker gegangen sei. Am 13. Oktober 1788 wendet J. sich wiederum an Johann Friedrich Kleuker: Vor allen Dingen muß ich, da ich von 178

J. an Georg Joachim Göschen, 1. März 1788, JBW I,7.115,23–116,2. J. an Georg Joachim Göschen, 6. April 1788, JBW I,7.169,1 f. 180 J. an Georg Joachim Göschen,18. Mai 1788, JBW I,7.229,1–3. – J.s Brief an Häfeli vom 11. Mai 1788, JBW I,7.209 f., ist leider unvollständig überliefert; der für die Bearbeitung der Wizenmannia einschlägige Teil fehlt. 181 J. an Johann Friedrich Kleuker, 29. Mai 1788, JBW I,7.245,16–21. 182 J. an Johann Georg Hamann, 30. April / 1. Mai 1787, JBW I,6.131,17– 21. 183 J. an Johann Georg Hamann, 27. Mai 1788, JBW I,7.242,19 f.: Wegen Wizenmanns Matthäus erwarte ich diese Woche Antwort von Häfeli. 184 J. an Johann Friedrich Kleuker, 22. August 1788, JBW I,8. 179

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einer Minute zur andern nicht weiß, was mir in die Quere kommen kann, wegen Witzenmanns Matthäus schließliche Abrede mit Ihnen nehmen. Ich bin entschlossen ihn zu Mühlheim drucken zu lassen, damit ich mit meinem treuen Achates die Correctur besorgen könne. Wenn Sie etwas hiebey zu bemerken haben, so melden Sie mir es. Mit der Vorrede hat es denn Zeit bis dahin, daß der Druck ohngefähr geendigt ist. Von dem Abgedruckten schicke ich Ihnen nach und nach, damit Sie auf diese Weise das Werk noch einmahl lesen, welches Ihnen, wie ich glaube, angenehm seyn wird.185 Kurz darauf ist mit den Setzarbeiten begonnen worden; am 5. Dezember 1788 sendet J. Korrekturabzüge an Kleuker und weist ihn auf eine problematische Stelle hin: Der Hauptgegenstand meines heutigen Briefes ist Witzenmann. In seiner ersten Abhandlung: W a s h e i ß t : J e s u s i s t C h r is t u s , ist gleich zu Anfang eine Stelle, die entweder verändert oder wozu eine Note gemacht werden muß. Ich habe sie in dem beykommenden Abdruck mit einem rothen NB bezeichnet. Hamann konnte dieser Stelle wegen den ganzen Aufsatz nicht leiden, weil sie den Gesichtspunkt für das Ganze geben sollte, und doch so äußerst dunkel und verworren wäre. Die mit Bleistift bezeichneten Stellen empfehle ich gleichfalls Ihrer Aufmerksamkeit.186 Die Setz- und Korrekturarbeiten und der Druck ziehen sich noch bis in den April 1789 hinein. Am 10. Februar 1789 fragt J. – wegen der langen inzwischen verstrichenen Frist – vorsichtshalber nochmals bei Georg Joachim Göschen an, ob es bei den alten Abreden bleibe: Zugleich habe ich Wizenmanns Matthäus unter die Preße gegeben, u Ihnen heute vor 8 Tagen 14 Bogen davon mit dem Postwagen zugeschickt, damit Sie urtheilen können, ob Sie noch Lust haben das Buch zu verlegen oder nicht. Ich muß Ihnen nun noch eins u andres über diese Sache sagen. Vorerst beziehe ich mich auf meinen Brief vom 17ten Jan 88, den ich Sie bitten muß wieder hervor zu suchen, damit ich mir Widerholungen erspare. Seitdem schrieb ich Ihnen, was mich bewog die Herausgabe aufzuschieben; u, wenn ich nicht irre, auch | nachher meine Anschläge, dem hinterlaßenen Werke meines Freundes mehr Vollkommenheit zu verschaffen. Sie waren eitel diese Anschläge, u es blieb mir nichts mehr übrig, als bey Kleuckern noch einmahl anzufragen, ob er das Werk von neuem durchsehen, oder zugeben wolle, daß ich es auf seine alleinige Verantwortung, so wie es aus seinen Revisorischen Händen gekommen wäre in die Welt schickte. Letzteres gab er ohne Bedenken zu. Nun aber konnte ich es doch nicht übers Herz bringen, diese Schrift nicht wenigstens, was den Vortrag angieng in einen etwas beßern Stand zu stellen, u es von andern Fehlern zu reinigen. Darum mußte ich mich entschließen es hier drucken zu laßen. Sehen Sie nun das Werk selbst an, u melden Sie mir so bald Sie können Ihre Entschließung. Dänzer sagte mir vorigen Sommer, da er von der Meße kam, Sie schienen um dieses Werk nicht verlegen zu seyn. Ist dem so, mein Lieber, so sagen Sie mirs 185 186

J. an Johann Friedrich Kleuker, 13. Oktober 1788, JBW I,8. J. an Johann Friedrich Kleuker, 5. Dezember 1788, JBW I,8.

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aufrichtig, andre nehmen es mit Freuden. Nur darum, weil ich überzeugt bin daß das Buch Abgang finden wird, sähe ich gern daß Sie es übernähmen. Den Vorbericht dazu, wovon ich Ihnen schrieb, werde ich nun nicht machen, u mich auch nicht | als Herausgeber auf dem Titel nennen. Kleuker wird in der Vorrede sagen, daß ich ihm alles aufgeladen habe. Künftigen Sommer aber werde ich ein schriftliches Denkmahl für meinen Wizenmann ausarbeiten, worin auch dieses Buch, wie es entstanden ist u. s. w. vorkommen soll. Diese Schrift gehört in Ihren Verlag, wenn Sie anders wollen, auch wenn Sie den Matthäus nicht nehmen; denn noch einmahl, mir, für meine Person, ist es ganz gleichgültig – Ich muß noch erinnern daß in denen Ihnen zugeschickten gedruckten Bogen ein paar Seiten sind, denen durch Cartons abgeholfen werden muß. Ich begreiffe nicht wie es noch so gut ablaufen konnte. Die Haare standen einem zu Berge, wenn man die Correcturbogen ansah. […] Noch eins! Von Wizenmanns Matthäus ist d. Bogen S abgesetzt. Ich glaube mit dem Bogen U werden wir das Ende haben. – Wenn Sie das Buch nicht nehmen, so verschweigen Sie, daß Sie es ausschlugen. Diese Umfangsangabe muß J. jedoch am 15. Februar 1789 korrigieren: Ich habe geirrt, liebster Goeschen, in Absicht der Größe von Wizenmanns Werk. Es wird 30 Bogen stark, ohne die Vorrede.187 Zu J.s Freude bekräftigt Georg Joachim Göschen seine Bereitschaft, den Verlag zu übernehmen, und J. antwortet in seinem Brief vom 15. Februar 1789: Da Sie das Buch von Witzenmann gern verlegen wollen, so sind Sie dazu in jeder Absicht der Nächste und mir der liebste. Mit der Bezahlung hat es keine Eile; ich warte bis Johanni, und wenn Ihnen ein recht großer Gefallen geschieht, bis zu seiner Enthauptung. Den Titel wißen Sie. Er stand in meinem vorigjährigen Briefe, u war, wenn ich nicht irre: Thomas Wizenmanns nachgelaßene Schriften biblischen Inhalts. Ich erwarte | in dieser Woche die Vorrede von Kleucker, u schicke hernach den Ballen mit erster Fuhrgelegenheit an Sie ab.188 Gleichzeitig versucht J., Kleuker zur Eile anzutreiben: Nach einem Stillschweigen von zwey Monaten, bekommen Sie, mein Liebster, heute doch nur ein Billet von mir, weil ich unsäglich beschäftigt und dabey krank bin. Ich | habe Ihnen mit dem Postwagen eine Parthie abgedruckter Bogen der Wizenmannischen Schrift geschickt und die Correcturbogen dazu gelegt, um Ihr Gewissen ein wenig in Bewegung zu setzen. Daß Schenk und ich und der arme Buchdrucker, während dieser Arbeit nicht wohl auf Sie zu sprechen waren, müssen Sie natürlich finden. Am Montag schicke ich Ihnen wieder eine Parthie. Ich wünschte nun, mein Lieber, daß Sie sich bald an die Vorrede machten, damit ich Ihnen meine Anmerkungen darüber, im Fall ich einige dabey zu machen fände, vor dem Drucke zusenden und Ihre Ant-

187

J. an Georg Joachim Göschen, 10. Februar und 15. Februar 1789, JBW

188

J. an Georg Joachim Göschen, 15. Februar 1789, JBW I,8.

I,8.

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wort darüber erhalten könne.189 Kleukers Replik ist wiederum nicht erhalten; aus J.s Duplik vom 10. März 1789 ist allerdings zu erschließen, daß Kleuker die Schuld für die vielen erforderlichen Korrekturen nicht bei sich gesehen hat – was J. wiederum zurückweist: Vom Matthäus werden Sie die folgenden Bogen erhalten haben. Den letzten Transport erhalten Sie am Montag. – Aber, lieber Prudentius! das kann ich Ihnen unmöglich hingehen lassen, daß meine Setzer in Mühlheim nicht lesen können. Ein wahres Buchdruckergenie ist mein Eyrich in Mühlheim, und ohne einen solchen Mann wäre ich mit dem Witzenmannischen Buche nicht zurecht gekommen. Daß Sie vieles übersahen war sehr natürlich. Gottlob, daß wir mit der Sache soweit zu Stande sind.190 Am 15. April 1789 sendet J. die Druckbogen von Wizenmanns Matthäus an Georg Joachim Göschen, jedoch noch ohne Kleukers Vorrede, denn deren letzter Bogen wird, wie J. am 22. April 1789 aus Anlaß der Übersendung der zweiten Auflage seiner Spinoza-Briefe an Johann Friedrich Kleuker schreibt, nun auch morgen abgedruckt. Ich habe nichts geändert als den 2ten wegen einer historischen Unrichtigkeit. Witzenmann verlangte nehmlich ausdrücklich in seinem Vermächtniß, daß der Matthäus gedruckt werden sollte; ich konnte also nicht darüber deliberiren, ob er gedruckt werden sollte; sondern nur, wie ich zugleich sein Verlangen, daß er nicht unverbessert erschiene, in Erfüllung brächte. Ich habe dem Dinge durch eine Wendung, die Sie billigen werden, abgeholfen. Ich finde Ihre Vorrede durchaus gut; nur deucht mir hätten Sie noch einiger Stellen der Witzenmannschen Schrift, die ich für die trefflichsten halte, erwähnen können. Empfangen Sie meinen wärmsten Dank für die Mühe, die Sie sich mit dieser Sache gegeben haben. Gottlob, daß wir soweit damit zu Ende sind. Nach dem zweifachen Gottlob, das J. in den beiden letzten Briefen ausruft, bleibt ihm nur noch, am 1. Mai 1789 Georg Joachim Göschen zu melden, daß der Titel verändert worden ist. Ich halte es für am zuträglichsten für Sie daß der Matthäus mit der Einleitung als ein besondres Werk erscheint, weil es viele Leute giebt, die sich nicht eher ein Werk anschaffen wollen, bis es vollständig ist. Ich hoffe das Ganze ist nun in Ihren Händen u Sie verschaffen ihm viele Liebhaber.191 Als letztes bleibt J. noch die Sorge, daß Wizenmanns Bekannter, Professor Hausleutner, das Honorar für den Matthäus erhält.192 Das Echo auf diese Veröffentlichung bleibt wahrscheinlich deutlich hinter J.s Erwartungen zurück. Darin wird – neben dem Fortgang der Zeit und der sehr aufwendigen Redaktionsarbeit – der Grund liegen, weshalb er – entgegen Wizenmanns testamentarischer Verfügung und auch entgegen seiner Ankündi190

J. an Johann Friedrich Kleuker, 10. März 1789, JBW I,8. J. an Georg Joachim Göschen, 1. Mai 1789, JBW I,8. – Der endgültige Titel lautet: Die Geschichte Jesu nach dem Matthäus als Selbstbeweis ihrer Zuverlässigkeit betrachtet: nebst einem Vorbereitungsaufsatze über das Verhältniss der israelitischen Geschichte zur Christlichen. Ein nachgelassenes Werk von Thomas Wizenmann; mit Vorrede von Johann Friedrich Kleuker. Leipzig 1789. 192 J. an Georg Joachim Göschen, 19. Juli bzw. 3. Oktober 1789, JBW I,8. 191

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gung gegenüber dem Verleger vom 17. Januar 1788 193 – Wizenmanns weitere nachgelassene Schriften nicht mehr veröffentlicht. Kurz vor dem Erscheinen des Matthäus schreibt Lavater an J.: Auf Witzenmanns Matthäus bin ich sehr begierig. Nichts ist seltener in unsern Tagen, als ein Schriftsteller, der Kopf, Herz und Bibelsinn hat.194 Eine der wenigen und zudem durchaus verhaltenen Antworten kommt von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: Ich habe gestern Witzenmanns Matthäus angefangen und mich mit dem edlen Geiste Ihres seligen Freundes dadurch noch bekannter gemacht. Sein Standpunkt und seine Art zu betrachten gefällt mir sehr. Mich däucht, ein aufrichtiger und ernster Zweifler müßte durch dieses Buch wenigstens veranlaßt und in den Stand gesetzt werden, durch Lesung des Evangelii jeden Zweifel zu besiegen. Doch bin ich der Meinung, und bin es durch eigene Erfahrung – denn auch ich habe mit Zweifeln gerungen – daß die einfältige Lesung, auch ohne diesen | philosophischen Blick, schon siegende Ueberzeugung mit sich führe.195

EINE KLEINE UNACHTSAMKEIT DER BERLINER MONATSSCHRIFT, IN DEM AUFSATZE: UEBER DIE ANONYMITÄT DER SCHRIFTSTELLER 1. Überlieferung D Titelblatt: Deutsches Museum. / Erster Band. / Jänner bis Junius. / 1788. / Leipzig, / in der Weygandschen Buchhandlung. Deutsches Museum. / Viertes Stück. April, 1788. 293–299: Eine kleine Unachtsamkeit der Berliner Monats/schrift, in dem Aufsatze: Ueber die Anonymität der / Schriftsteller. Febr. 1788. S. 137–147. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung bzw. durch Vergrößerung des Schriftgrades ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt.

2. Entstehungsgeschichte Die Entstehung auch dieser Abhandlung läßt sich auf einen kurzen Zeitraum eingrenzen. Im Februar 1788, also im gleichen Monat, zu dessen Beginn J.s Abhandlung über den Frommen Betrug im Deutschen Museum erschienen ist, 193 J. an Georg Joachim Göschen, 17. Januar 1788, JBW I,7.71,25–28; siehe oben, 487 f. 194 Johann Kaspar Lavater an J., 13. Mai 1789, JBW I,8. 195 Friedrich Leopold Graf zu Stolberg an J., 12. September 1789, JBW I,8.

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haben die Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift einen neuen Angriff auf Johann Kaspar Lavater vorgetragen, unter dem Titel: Ueber die Anonymität der Schriftsteller.196 J. hat ihn spätestens Mitte des Monats gelesen, denn am 19. Februar schreibt er an Johann Friedrich Kleuker: Im Februar [sc. der Berlinischen Monatsschrift] steht eine scheußliche Abhandlung über Anonymität, deren Erscheinung aber, so sehr ich mich auch geärgert habe, mir sehr angenehm, weil sie Lavatern in die Nothwendigkeit setzt, eine Erklärung von sich zu geben. Ich habe ihm gleich eine Abschrift des Aufsatzes geschickt und Auszüge aus einem andern, der ihn auch angeht, und worin Schlosser vorläufig sein Theil abbekommt. Nun bin ich begierig zu sehen, was sie mit mir anfangen werden. Nöthigen sie mich in Beziehung auf sie öffentlich zu erscheinen, so verspreche ich ihnen, daß sie, »über Feuer und nicht über Rauch zu klagen haben sollen.«197 Demnach scheint J. zunächst keine Erwiderung auf den gegen Lavater gerichteten Artikel beabsichtigt zu haben. Zwei Tage später schreibt ihm jedoch De Marées: Im neuesten Stück der Berlinischen MonatsSchrift figurieren unsere Namen in den Noten. Daß der meinige dem Ihrigen, dem Schlosserschen und Lavaterschen beigefügt wird, verursacht mir mehr Vergnügen als der häßliche Text, den sie belegen sollen, Ärgernis. Die Menschen sind wirklich zu schlecht, als daß man sich viel über sie ärgern sollte. Indessen ist es nötig, daß man auch fortfährt, sie dafür zu züchtigen, damit das furchtsame Völklein, das sich lange genug von ihnen entweder verführen oder tyrannisieren lassen, wieder Mut bekommt.198 Darin ist bereits eine Aufforderung zu einer Gegendarstellung enthalten, und wiederum drei Tage später, am 24. Februar, bittet Johann Kaspar Lavater J. mit großem Nachdruck, einzugreifen. Da sein Brief nur diesen Wunsch betrifft und einige Linien von J.s Abhandlung vorzeichnet, sei er hier insgesamt wiedergegeben: Ich wünschte, daß Jakobj etwas folgender Art in’s Musäum einrückte. / Eine kleine Inattention der Biesterschen Monatschrift, im Artikel Anonymität. / Die berliner Monatschrift hebt, nicht nach ihrer Gewohnheit, ein Geschrey an daß Lavater vor 20. Jahren an Bahrdt schrieb – / (Hieher die Stelle, die in der Monatschrift citiert wird.) / wenn nun Lavater noch besser, Gewissenhafter dächte, noch strenger wäre in allem was Pflicht- und Billigkeit gegen andre heissen mag, als vor 22. Jahren, wärs dann was, worüber Gesittete und sittliche Menschen ein TriumpfGelächter vor dem Publikum aufschlagen sollten? Allein – man höhre ihn selbst – g a n z , da die Geschreymacher es nicht gut fanden, ihn ganz zum Worte kommen zu lassen – und sich einer kleinen Inattention schuldig machten, die eine sanfte Rüge verdient, und das Publikum – Vorsicht lehren kann, nicht sogleich zu glauben, a l l e s zu vernehmen, wenn, die äusserst genauen Herren schon von der Seitenzahl sprechen, die man nach196 Ueber die Anonymität der Schriftsteller. In Berlinische Monatsschrift. 1788. St. 2: Februar, 137–147, Zusatz: 147–151. 197 J. an Johann Friedrich Kleuker, 19. Februar 1788, JBW I,7.101,16–24. 198 S. L. E. De Marées an J., 21. Februar 1788, I,7.103,26–33.

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schlagen könne – Sie ignorieren nämlich eine Stelle über dieselbe Sache, in dem selben Buche, die sich ganz unmittelbar auf diejenige bezieht, die Sie zitieren. – Diese Stelle lautet auf der 331. Seite des zweiten Theils von Lavaters Prosaischen Schriften Wort zu Wort allso: / | »Obgleich in meiner Antwort (an HE: Bahrt) – keine beleidigenden Persönlichkeiten vorkommen, und ich alles so zu schreiben mich befließ, wie ein weiser, Gewissenhafter Mann in Gegenwart seines Gegners, allenfalls in einer wohlgesitteten Gesellschafft sprechen darf – und obwohl ich dennoch (sollte wohl heissen, – damals) ganz besondere Gründe hatte, die sich nicht auf Herrn Bahrt bezogen – meinen Namen Geheim zu halten; so schien es mir doch seit langem schon, edler, männlicher, Würdiger, auch zu diesem ersten Produkte meiner Jugend zu stehen, daher ich nicht nur izt meinen – Namen dazu setze, und diese Schrift unter die meinigen aufnehme, sondern, sogleich nach der Publikation kein Geheimniß daraus machte, auch bey der ersten Gelegenheit es an HE Bahrdt selbst schrieb. / Jedermann weiß, daß ich seit vielen Jahren es mir zur Heiligen Pflicht mache, meinen Namen zu allem zu setzen, was ich schreibe, und daß ich es, sobald PERSÖNLICHKEITEN EINTRETTEN, f ü r j e d e s e h r l i c h e n M a n n e s unverlezliche Pflicht halte, gegen über des Genannten sich z u n e n n e n ! « / Hinten an wünscht’ ich ein parodierendes – Wort über das was die Monatsschrift über Nikolai in Bremen, »der ja seinen Namen nun gebe«, sagt. – oder, was Du willst. / Geniere dich nicht – Thust Du’s nicht gern. – Aber, über die Anonymität wünscht’ ich unaussprechlich gern ein Wort von Dir – aber ein numerotiertes.199 Diesen Brief wird J. in den letzten Februartagen erhalten haben – und daraufhin hat er sogleich, innerhalb einer Woche, seine Abhandlung niedergeschrieben, denn am 14. März teilt er Kleuker mit: Meine Note über Anonymität wird hoffentlich noch in den April kommen; ich habe sie Sonnabend abgeschickt200 – also am 8. März 1788. Bestätigt wird diese Aussage auch dadurch, daß Lavaters Dankesschreiben hierfür vom 14. März datiert: Ein kleiner Schwindel, lieber Jakobi, hält mich im Bette, und läßt mich nur 2. Worte schreiben. Diese heissen: / D a n k / und / Bewunderung / Dein Pfeilgriff ist ein Meisterstük in jedem Sinne. Man sieht ihm kein mißbehagen an.201 Zustimmend äußert sich auch Lavaters Schweizer Landsmann, Johannes Müller, am 10. Mai 1788 gegenüber J.: Schön der Hohn, gesprochen im April des deutschen Museums unsers guten Lavaters Feinden!202 Hamann hingegen behält auch hier seine notorisch-abschätzige Haltung gegenüber J.s Veröffentlichungen bei. Am 25. März 1788 übersendet J. ihm seine Replick auf den Artickel über Anonymität im Februar der Berliner MonathsSchrift und gesteht ihm: Bey dieser Gelegenheit habe ich Dich, 199

Johann Kaspar Lavater an J., 24. Februar 1788, JBW I,7.108 f. J. an Johann Friedrich Kleuker, 14. März 1788, JBW I,7.136,19–21; vgl. J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 27. Februar 1788, JBW I,7.114,11–13. 201 Johann Kaspar Lavater an J., 14. März 1788, JBW I,7.137,7–13. 202 Johannes Müller an J., 10. Mai 1788, JBW I,7.209,7 f. 200

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nach meiner Gewohnheit nicht allein beraubt oder geplündert, sondern auch, gegen meine Art, bestohlen. 203 Hamann aber antwortet am 30. März 1788 zunächst noch zurückhaltend: Eine kritische Freundin war mit Deinem Wortspiel auf die Luna und den blauen Mantel nicht zufrieden, um mit Deinem beßern Geschmack an Realismus zu streiten. Ich habe die Schande deßelben auf m i c h genommen.204 Zustimmend, aber doch nicht ohne Bedenken urteilt Friedrich Leopold Graf zu Stolberg am 28. April 1788: Ich danke Ihnen herzlich, Theurer Freund, für das durch unsern Klaudius mir mitgetheilte ManusKript. Auch diese Büberei der Berliner, verdiente eine so scharfe Rüge, erforderte sie vielmehr, um das Gehäßige der Sache von unserm Lavater ab und auf diejenigen denen sie gehört zu welzen. Doch Bin ich fast geneigt zu glauben daß es Übereilung sey, daß nemlich der Journalist nur flüchtig im Buch geblättert habe, denn die Dumdreistigkeit wäre doch gar zu arg. / Der Anfang Ihres Aufsatzes wird manchen Leser ungewiß machen, w i e Sie es mit Lavatern meynen. Ach die zarte Pflanze der Ironie ist unsern Deutschen noch so unbekannt! Wenn der geschickteste Gärtner sie mit noch so leichter Hand in den Lockern Boden pflanzt, haben mehrentheils nur seine Freunde Freude daran, unser Geschmack- und Geruchloses Publicum bleibt in Zweifel ob es eine exotische Blume oder ein Unkraut sehe. Denn vom Geruch ist gar nicht die Rede.205 In seiner Antwort vom 7.–9. Mai 1788 sucht J. diese Bedenken zu entkräften, und hierbei spricht er auch sein Unverständnis für den von ihm verteidigten Lavater aus: Was Sie an meiner Note über Anonymität für Lavater tadeln, habe ich für zuträglich gehalten, damit die Sache selbst desto mehr Eindruck mache. Hierzu kommt noch, daß Lavater, nach meinem Urtheile, allemal sehr unweise handelte, da er diese Briefe von Bahrdt mit dem Vorberichte im Jahre 84 von neuem herausgab. Ueberhaupt kann ich das Gemische von Bußfertigkeit und Rechtfertigkeit, wodurch er so oft das Ansehen gewinnt, als wenn seine Demuth bei seiner Eitelkeit die freie Kost hätte, nicht leiden. – Wie albern und ärgerlich ist nicht die zweideutige Erklärung, die er mündlich und schriftlich Biestern gab, er habe ihn im zweiten Blatte der Rechenschaft nicht gemeint? Diese gab Lavater, und w u ß t e , daß jene Rede: der Name Jesus müsse in 25 oder 50 Jahren im policirten Europa nicht mehr religios genannt werden, gerade aus Biesters Munde gekommen war? – Hernach der Vorschlag an eben diesen Biester, wegen der zweiten Auflage der unphysiognomischen Regeln, und dergleichen mehr, wovon ich sagen muß: que cela me fait tourner le coeur. / Darum ist es fast unmöglich, daß ich mich | über Lavater öffentlich erkläre. Doch werde ich wahrscheinlich schon einmal daran müssen, und dann sehen, wie ich mich aus dem Handel ziehe, – wie das alles, was ich hier

203 204 205

21.

J. an Johann Georg Hamann, 25. März 1788, JBW I,7.156,12–15. Johann Georg Hamann an J., 30. März 1788, JBW I,7.160,14–16. Friedrich Leopold Graf zu Stolberg an J., 28. April 1788, JBW I,7.184,9–

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über diesen Punkt geschrieben habe, zu verstehen sey, brauche ich Ihnen, mein liebster Stolberg, doch nicht erst zu bedeuten.206 Diesen Briefwechsel mit Stolberg teilt J. auch Hamann mit, und nun schreibt dieser vom 16.–18. Mai 1788 mit überlegenem Gestus an J.: In der Aergernis hast Du das a l b e r n e und t ü c k i s c h e Ding gelesen. Ich hoffe darüber zu lachen, so sehr ich den E i n f l u ß alberner und tückischer Dinger fürchte, die den Schein für sich haben, und im Grunde nichts sind, oder den Schein wider sich haben und für nichts geachtet werden. Die Berliner werden sich die Galgenfrist zu Nutz machen und selbige zu Verbeßerung Ihres Plans anwenden können. Wenn Dein Correspondent stutzig gemacht worden, wird es dem großen Haufe nicht ärger gehen – und sind die Demagogen oder Ochlogogen nicht gleicher Meinung. Nil admirari – nil asperari: sondern mit Galgenvögeln verständig und schlau umgehen nicht wie ein wütender Stein und Prügel gegen sie brauchen, sondern die Lockpfeife um sie zu amusiren und sicher zu machen. An ihre Aufklärung, Bekehrung, p ist nicht zu denken, und sie verdienen diese unerkannte Wohlthat nicht. Dadurch geben wir Ihnen neue Waffen, mit denen sie dem Himmel sey Dank! nicht umzugehen wißen. Uebereilung und Leidenschaft war die Qvelle des Misverständnißes von der einen Seite und wird es wahrscheinlich auch von der andern seyn. Was Du dort abscheulich nennst, komt mir gantz natürlich und beynahe rechtmäßig vor. Es ist abscheulich, wenn Wahrheit u Unschuld von ihren Bekennern mishandelt wird. Kurz, wir sind alle Sünder und mangeln des Ruhms, den wir uns anmaaßen und zu besitzen einbilden, und ich finde hier keinen Unterscheid, welcher der Rede werth ist. Urbanität und Rusticität sind lange keine Humanität, an deren gerechten und unwandelbaren MittelPunct mich halte. Das Suum cuique ist die Grundlage aller Existenz – und aller Pflicht, aber das Suum cuique zu bestimmen nicht unsre Sache, aber leider! ein allgemeiner u herrschender Misbrauch.207 Und wenige Tage später, am 22. Mai, verschärft er seine Kritik noch: Mit Deiner Behandlung einer Schwester im Apoll ist keiner zufrieden. Man muß Kunst nicht Scharfrichter seyn – die Verhältniße der Natur im Geschlecht und Stande niemals aus dem Gesichte verlieren […].208 Angesichts dieses Standes der Auseinandersetzung erwartet J. weitere Angriffe der »Berliner«, wie er auch an Johann Friedrich Kleuker schreibt,209 und diese Erwartung erfüllt sich wenig später am Rande von Friedrich Nicolais Öffentlicher Erklärung über seine Verbindung mit dem Illuminaten-Orden210 sowie auf unerwartete Weise durch das folgende Schreiben Nicolais, das J. im nächsten Text beantwortet. 206

J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 7.–9. Mai 1788, JBW I,7.203,34– 204,15. 207 Johann Georg Hamann an J., 16.–18. Mai 1788, JBW I,7.224,1–24. 208 Johann Georg Hamann an J., 22. Mai 1788, JBW I,7.233,19–22. 209 J. an Kleuker, 16. Mai 1788, JBW I,7.218,20–30. 210 Siehe die folgende Fußnote.

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Anhang SCHREIBEN AN FRIEDRICH NICOLAI 1. Überlieferung

D: Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Zweyter Band. / Leipzig, bey Gerhard Fleischer d. Jüng. / 1815. [501]–512: Schreiben / an Friedrich Nicolai. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt.

H: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Nachlaß Friedrich Nicolai, Briefwechsel Bd 37 (Jacob – Jury), nicht paginiert. J.s Brief umfaßt sieben nicht paginierte, doppelseitig beschriebene Blätter. Die Seiten 1r–4r sind von J. beschrieben, in sorgfältiger Schrift, mit gelegentlichen Ergänzungen über der Zeile. Von den letzten sechs Zeilen von Blatt 4r ab ist der Brief jedoch in anderer Handschrift fortgeführt, mit einer Korrektur von J. auf S. 5v. Die Grußformel Ew. Wohlgebohren / gehorsamster Diener Friedrich Heinrich Jacobi sowie das aktualisierte Datum den 29ten hat J. wieder von eigener Hand hinzugefügt.

2. Entstehungsgeschichte Zu seiner großen Überraschung, jedoch nur geringen Freude erhält J. am 4. Juli 1788 einen ausführlichen Brief von Friedrich Nicolai, zusammen mit dessen jüngster Veröffentlichung, Nicolais Erklärung über seine geheime Verbindung mit dem Illuminatenorden.211 Dies berichtet er sogleich Amalia Fürstin Gallitzin: Vor einer halben Stunde erhielt ich Nikolais öffentliche Erklärung über seine Verbindung mit dem Illuminaten Orden, nebst einem 7 Quartseiten langen eng geschriebenen Briefe des Verfaßers. Das Ansehen dieser Flegeleien hat mir Zeit genommen u mich zerstreut. Wäre Nikolai ein andrer Mann, so würde ich mich des erhaltenen Anlaßes freuen, ihm unter 4 Augen die Wahrheit zu sagen; ich weiß aber aus den Versuchen anderer, daß man nur seine Zeit mit ihm verliert.212 Dieser Brief erreicht ihn 211

Christoph Friedrich Nicolai an J., 20. Juni 1788, JBW I,7.258–263; dem Brief liegt bei: Friedrich Nicolai öffentliche Erklärung über seine geheime Verbindung mit dem Illuminatenorden; Nebst beyläufigen Digressionen betreffend Hrn. Johann August Stark und Hrn Johann Kaspar Lavater. Ernsthaft, mit unter auch ein wenig lustig zu lesen. Berlin / Stettin 1788. – Siehe hierzu oben, 443– 445. 212 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 4. Juli 1788, JBW I,8. An seinen Sohn Georg Arnold schreibt J. zwischen dem 6. und dem 10. Juli, JBW I,8, er habe Nicolais Brief vorigen Donnerstag erhalten; dies wäre der 3. Juli. Wahrscheinlicher ist aber, daß der Brief an die Fürstin das richtige Datum nennt.

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ohnehin in einer besonders ungünstigen Lage: Kurz zuvor hat er die Nachricht vom Tode Hamanns am 21. Juli erhalten, und er ist einerseits durch die Erfüllung damit verbundener Aufgaben, andererseits durch die Vorbereitungen für den Besuch seiner Münsteraner Freunde Mitte Juli in Anspruch genommen. J. beabsichtigt somit zunächst nicht, Nicolais Schreiben zu beantworten. Diesen Eindruck erweckt auch der Brief, den er wenige Tage später – bei der Niederschrift des Datums hat J. sich getäuscht – an seinen Sohn Georg Arnold nach Göttingen schreibt; er berichtet ihm über Nicolais Brief: Er bedauert die Mißverständniße die unter uns entstanden sind, u wünscht daß sie aufhören mögen. Künftige Woche schicke ich dir den Brief; jetzt muß ich ihn noch behalten, um ihn Fürstenbergen u der Prinzeßin zu zeigen, welche Sonnabend mit Hemsterhuis hier ankommen. Mein Haus wird so voll werden wie ein Ey. Denn Sickingen ist noch hier, u auch Buchholtz noch mit Frau, Kind u Amme. – Von Nicolais Briefe sagst du Niemand etwas; der Mann hat überall seine Residenten, u wenn die Sache ruchtbar würde, so hieße es, als wollte ich ihm eins damit anhängen. Solltest du mit Lichtenberg u Kästner v e r t r a u t genug, u dabey g e w i ß s e y n , daß du dich auf ihre Biderheit verlaßen kannst, so magst du diesen davon sagen, u ihnen auch den Brief, wenn du ihn erhältst mittheilen: sonst aber rede davon mit keiner lebendigen Seele. – Da ich, nachdem ich den Brief gelesen hatte, das Buch in die Hand nahm, u an die 20ste Seite kam, mußte ich laut über die Impudenz des Menschen lachen. In seinem Briefe steht: »Sie sind in beygehender Schrift einige Mahl genannt, u ich glaube, wenn Sie sich unpartheyisch in meine Lage setzen, so werden Sie finden, daß ich es nicht vermeiden konnte.« – Daß er, wenn er mich nennt, auch schimpfen müße, meint er wohl, verstünde sich von selbst. Auf den 2 letzten Seiten will er es, nach seiner Art, wieder etwas gut machen. Schwerlich werde ich mehr ein Wort gegen diese elende Sudler verlieren. Wer auf ihre Urtheile merkt, mag v mir denken was er Lust hat.213 Den Besuch der genannten Freunde hat J. jedoch genutzt, um sich mit ihnen zu beraten, ob es sinnvoll sei, Nicolai zu antworten. Die Ansichten hierzu sind geteilt gewesen. Dies berichtet J. Johann Friedrich Kleuker, dem er am 29. Juli Nicolais Brief schickt und ihm zugleich eine Kopie seiner Antwort ankündigt: Ich habe mich lange bedacht und mit andern berathen, ob ich antworten sollte oder nicht. Endlich wurde für das Antworten entschieden, und mein Brief soll heute abgehen.214 Zwei Tage später, bei der Übersendung einer Abschrift seines Antwortbriefes an Nicolai, berichtet er Kleuker noch etwas genauer: Schenk, meine Schwester Helene und Graf von Sickingen (der seit dem 28. May sich bey mir aufhält) wollten schlechterdings, ich sollte nicht antworten; hingegen Schlosser, der Professor in Freyburg, und Fürstenberg, ich müßte antworten. Letzteren bin ich, nach langem Hin- und Herwanken, beygetreten.215 Damit übereinstimmend schreibt er am 8. August an seinen 213 214 215

J. an Georg Arnold Jacobi, zwischen dem 6. und dem 10. Juli, JBW I,8. J. an Johann Friedrich Kleuker, 29. Juli 1788, JBW I,8. J. an Johann Friedrich Kleuker, 31. Juli 1788, JBW I,8.

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Sohn Georg Arnold: Ich habe mich sehr lange bedacht, ob ich antworten wollte. Herr Schenk, Mama Lene u Graf Sickingen waren der Meinung u sind dabey geblieben, daß ich nicht antworten sollte; Schloßer, der Onkel in Freyburg u H v Fürstenberg entschieden, ich müße antworten. Jedoch fährt J. nun fort: Ich folgte dem Rath der letzteren, glaube aber nun doch, nach reiferer Überlegung, daß der erstere i n s i c h der beßere war. J.s Brief trägt in der Kopfzeile das Datum 28. Juli; die Unterschrift datiert vom 29. Juli 1788. Er hat den Brief jedoch nicht etwa insgesamt am 28. Juli geschrieben; vielmehr hat er – wohl ab Mitte Juli, nach der Abreise seiner Gäste – Konzepte entworfen und lediglich die Reinschrift am 28. Juli angefertigt. Dies wird durch sein Schreiben an Amalia Fürstin Gallitzin belegt; am 26. Juli teilt er ihr mit: Ich schreibe Ihnen mitten unter den Geburtsschmerzen meiner Antwort an Nicolai, und tags darauf heißt es abermals: Ich habe noch viel an dem Briefe an Nicolai, der heute fort muß, zu schreiben u abzuschreiben.216 Veröffentlicht hat J. sein Antwortschreiben erst im Jahr 1815, vier Jahre nach dem Tode Nicolais. Jedoch sendet J. das Original bzw. Abschriften sowohl des Briefes Nicolais als auch seiner Antwort in den letzten Julitagen und der ersten Augusthälfte an viele seiner Freunde – belegt ist dies für Johann Friedrich Kleuker, Matthias Claudius, Johannes Müller, Fürstin Gallitzin und Fürstenberg, für seinen Sohn Georg Arnold, für Johann Kaspar Lavater und Georg Forster, und im allgemeinen bittet er die Empfänger um eine Stellungnahme, ob es richtig gewesen sei zu antworten und so zu antworten. An Forster schreibt er noch am 3. Februar 1789: Ihr Urtheil über meine Correspondenz mit Nicolai wollte ich mir keinesweges verbitten, sondern nur Ihnen alle Verlegenheit ersparen. Es ist mir lieb, daß Sie mit mir zufrieden seyn konnten. Er hat mir von neuem schreiben wollen, wie ich von Dohm erfuhr, weil es ihm vorgekommen ist, daß ich doch ein Mann von Lebensart wäre, und nicht anders redete, als ich dächte. Der Pinsel! Ich hoffe es doch noch zu erleben, daß die Häupter dieser Schule an ihren Platz werden zu stehen kommen, wie vor 30 Jahren Gottsched und die Seinigen.217 Einen anderen Eindruck als die Nachricht Christian Konrad Wilhelm Dohms vermittelt der Empfangsvermerk, den Nicolai an 4. August 1788 auf der Rückseite des Briefes notiert: Er habe dieses Wischi Waschi gelesen: Ich wollte erst antworten / Aber wozu sollte man jemand zu überzeugen suchen; der nicht überzeugt seyn will.

216 217

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 26. und 27. Juli 1788, JBW I,8. J. an Johann Georg Forster, 3. Februar 1789, JBW I,8.

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SWIFTS MEDITATION ÜBER EINEN BESENSTIEL, UND WIE SIE ENTSTANDEN IST 1. Überlieferung D1 Titelblatt: Neues / Deutsches Museum. / Erster Band. / Julius bis Dezember 1789. / Herausgegeben / von / Heinrich Christian Boie. / Leipzig, / bei Georg Joachim Göschen. / 1789. Neues / Deutsches Museum, / Viertes Stück. Oktober, 1789. 405–417: Swifts Meditation über einen Besenstiel, / und wie sie entstanden ist. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt.

D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Erster Band. / Leipzig, bey Gerhard Fleischer d. Jüng. / 1812. 310–324: Swifts Betrachtung über einen / Besenstiel, und wie sie ent/standen ist. Fußnote: Zuerst im neuen deutschen Museum 1789. St. 4. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt.

2. Entstehungsgeschichte Die Entstehungszeit dieser Abhandlung läßt sich nur für ihren Beginn und ihr Endphase präzise eingrenzen. Am 19. Februar 1788 berichtet J. an Johann Friedrich Kleuker: Ich bin noch nicht wohl und der Kopf ist mir oft so wüste, beynah wie dem alten Swift. Mit der ausführlichen Lebensbeschreibung dieses wunderbaren | Mannes by Thomas Sheridan, habe ich mir seit 14 Tagen vornehmlich die Zeit vertrieben. Drei Tage später, am 22. Februar 1788, schreibt J. auch an Hamann über seine Beschäftigung mit Swift: Das Leben dieses außerordentlichen Mannes v Sheridan, ist seit 14 Tagen fast meine einzige Lectüre gewesen.218 Da Sheridan die Episode mit Swifts Meditation über einen Besenstiel erzählt, bildet die zweite Februarhälfte des Jahres 1788 den terminus a quo für J.s Abhandlung. Spuren seiner Beschäftigung mit Sheridans Swift-Biographie finden sich auch in den folgenden Wochen; so schreibt er etwa am 29. Februar 1788 an Bucholtz: Ich denke viel an Dich u an Mariannen. Tausend Grüße von den Schwestern u von Schenk. Ich herze Dich mit treuer Liebe u freue mich hoch u hehr auf unser Wieder218

J. an Johann Friedrich Kleuker, 19. Februar 1788, bzw. J. an Johann Georg Hamann, 22. Februar 1788, JBW I,7.99,22–100,2 bzw. 105,5–7.

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sehn – Mein Drücken, Schütteln u Küßen dem Hypocrite reversed wenn Du an ihn schreibst.219 Mit dieser Bezeichnung ist Hamann gemeint; J. hat sie ebenfalls Sheridans Swift-Biographie entnommen.220 Am 16. März 1788 sendet er dem Hypocrite reversed aber auch Sheridans Biographie zu; er schreibt an Hamann, er sende ihm Verschiedene Bücher, worunter Du auch Swifts Leben v Sheridan finden wirst. Ich wünschte daß Du dieses gleich vornehmen möchtest, damit Du gethan habest wenn ich komme. Sey unbesorgt wegen des Verwischens deßen was ich mit Bleyfeder hinten excerpiert habe; es ist bereits mit Vermehrungen abgeschrieben. Ubrigens sorge ein wenig daß alles rein u ganz bleibe.221 Hamann dankt J. zunächst enthusiastisch für die Zusendung: Trotz des Besuchs seiner Münsteraner Freunde sei er in der II Sectio des Sheridans, für den ich Dich küße und umarme. So ein kritisch politisches Werk habe ich gar nicht erwartet. Mein Collectaneen Buch ist in vollem Gange. Nun verstehe ich den hypocrite reversed. In so gutem Verstande magst Du mich auch dem mad Parson parallelisiren. Kurz ich bin alles was Du willst vor Freude über ein so schönes Buch, und denke aus Swifts Herzen und Seele über die Torrys u Whigs, Eure theologischpolitische Vorurtheile und Parteylichkeit und Misverständniße in Kutschen mit vier und 6 Pferde, auf einer alten Rossinante, das Dir der Bauch schüttern soll. Und etwas später fügt er im gleichen Brief an: Ich will nur den am 27 prioris angefangenen Brief an Commère Courtan schließen um mich gleich wieder Deinem Sheridan in die Arme zu werfen, der mir von der Vorsehung recht bescheert kommt; die Excerpta halten mich auf, die von Deinen sehr verschieden sind – Dennoch hoffe ich vor Deiner Ankunft fertig zu seyn und von dem übrigen auch das meiste zu bestreiten.222 J. ist über Hamanns Reaktion sehr erfreut; am 25. März 1788 schreibt er ihm: Mich freuet daß Du an Sheridan so viel Genuß findest als ich daran gefunden habe. Das Hypocrite reversed, glaubte ich, kanntest Du aus der Briefsammlung hinter Popes Werken.223 Schon wenige Tage später jedoch schlägt Hamanns anfängliche Begeisterung um; am 30. März 1788 teilt er J. seinen neuen Eindruck mit: Mit dem Biographen Sheridan und seinem Helden wurde ich gegen das Ende misvergnügt. Für einen solchen Preis wünschte man sich ein Cretin und walliser idiot zu seyn, als Swifts Talente, und ihren traurigen Ausgang, Erfüllung seiner Ahndungen: I am a fool! Was für ein Spiegel und zugleich Riegel, uns weiser zu machen – Ecce homo!224 219

J. an Franz Bucholtz, 29. Februar 1788, JBW I,7.115,1–4. Siehe unten, Kommentar zu 159,13–17. 221 J. an Johann Georg Hamann, 16. März 1788, JBW I,7.139,26–31. Die hier erwähnten handschriftlichen Notizen sind in J.s Exemplar erhalten, das heute zum Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz – zählt. Sie decken sich zum großen Teil, aber nicht völlig mit den in seiner Abhandlung zitierten Stellen. 222 Johann Georg Hamann an J., 22. März 1788, JBW I,7.152,6–14 sowie 153,27–31. 223 J. an Johann Georg Hamann, 25. März 1788, JBW I,7.156,30–32. 224 Johann Georg Hamann an J., 30. März 1788, JBW I,7.159,5–9. 220

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Dieser Eindruck verstärkt sich noch; am 7. Mai 1788 urteilt er gar: Swifts Leben ist sehr leer für mich gewesen.225 Es könnte mit dieser Enttäuschung Hamanns zusammenhängen, daß sich in der Korrespondenz J.s mit Hamann kein Hinweis auf eine Absicht J.s findet, eine Abhandlung zu schreiben, deren Mittelpunkt Sheridans Erzählung von Swifts Meditation über einen Besenstiel bildet. Seit wann J. sich mit diesem Plan getragen hat, ist nicht bekannt. Das Deutsche Museum ist mit Ende des Jahres 1788 eingestellt und erst von der zweiten Jahreshälfte 1789 an unter dem Titel Neues Deutsches Museum weitergeführt worden, ebenfalls herausgegeben durch Heinrich Christian Boie. Mitte oder Ende Dezember 1788 hat J. noch erklärt, er wolle am Neuen Deutschen Museum nicht mitarbeiten;226 auf eine Anfrage Boies vom 6. April 1789 antwortet er jedoch am 14. April zustimmend: Boie könne auf J.s und seiner Freunde e i f r i g e n Beystand bey der Herausgabe des neuen Museums rechnen.227 Dies erklärt J. einen Tag später auch gegenüber dem neuen Verleger des Neuen Deutschen Museums, Georg Joachim Göschen.228 Da J. jedoch nicht unmittelbar Manuskripte einsendet, bittet Boie am 14. Mai J. sehr eindringlich darum, Manuskripte an die Buchhandlung Weidmannsche Erben einzusenden, und J. teilt der Buchhandlung am 16. Mai mit, er werde sich gleich morgen an die Arbeit geben.229 Gleichzeitig bittet er auch Matthias Claudius, Johann Georg Forster und Johann Georg Schlosser, das Neue Deutsche Museum rasch durch Beiträge zu unterstützen. Am 29. Mai, kurz vor seiner Abreise nach Norddeutschland, teilt er Johann Friedrich Kleuker mit, er habe drei Beiträge schreiben wollen, jedoch mit genauer Noth erst Einen fertig gebracht. Wenigstens muß ich nun noch einen zweyten zusammenflicken, wenn ich ruhig seyn soll.230 Bei dem einen, fertiggestellten, handelt es sich sehr wahrscheinlich um die Meditation über einen Besenstiel, denn am 19. Juli 1789 bittet J. den Verleger Göschen, möglicher Weise noch eine Korrektur vorzunehmen: Boie hat Ihnen Manuscript fürs Museum geschickt. Ich weiß nicht ob ich unter die Betrachtung über einen Besenstiel meinen Nahmen gesetzt hatte. Laßen Sie ihn darunter drucken wenn es noch Zeit ist; sonst nennen Sie mich wenigstes als Verfaßer auf dem Umschlage.231 Ob J. seinen Namen zu notieren vergessen hat, läßt sich nicht mehr klären, doch ist der Name wunschgemäß unter den Text gesetzt worden. Zumindest die eigentliche Ausarbeitung dieser Abhandlung fällt also erst in die zweite Maihälfte des Jahres 1789; hierbei hat er aber nachweislich auf die im Februar 1788 in Sheridans Biographie eingelegten, noch erhaltenen Notizen zurückgegriffen. 225

Johann Georg Hamann an J., 7. Mai 1788,JBW I,7.200,1. J. an Unbekannt; Mitte bis Ende Dezember 1788; siehe JBW I,8. 227 Heinrich Christian Boie an J., 6. April 1789, J. an Boie, 14. April 1789, beide in JBW I,8. 228 J. an Georg Joachim Göschen, 15. April 1789, JBW I,8. 229 Heinrich Christian Boie an J., 14. Mai 1789, bzw. J. an die Buchhandlung Weidmannsche Erben, 16. Mai 1789; beide in JBW I,8. 230 J. an Johann Friedrich Kleuker, 29. Mai 1789, JBW I,8. 231 J. an Georg Joachim Göschen, 19. Juli 1789, JBW I,8. 226

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J.s Erwartung, daß sein Besenstiel nun, nachdem er sich so für einen guten Beginn des Neuen Deutschen Museums eingesetzt hat, in dessen erstem oder wenigstens im zweiten Heft erscheinen werde, ist jedoch enttäuscht worden. Seine Verärgerung spricht er dem Verleger gegenüber Anfang Oktober unverholen aus: Wie kommt es aber daß ich noch kein Blatt vom neuen Museo habe, da doch die zwey ersten Stücke schon lange ausgegeben sind. Daß mein Besenstiel für das 3te Stück aufbehalten wurde, hat mich verdroßen. Dieses wird doch jetzt auch wohl heraus seyn. Senden Sie mir von nun an jedes Stück, wie es aus der Presse kommt, u, wo möglich mit der reitenden Post.232 In einem nicht überlieferten Brief hat Göschen versucht, J. zu beschwichtigen, doch mit nur geringem Erfolg, zumal er ihm zugleich mitteilen mußte, daß der Besenstiel erst in das 4. Stück des Museums aufgenommen werde. Am 13. November 1789, nach Empfang seiner Abhandlung, antwortet er deshalb Göschen: Die Gründe warum mein Besenstiel zurück gesetzt wurde mögen gut genug seyn, den folgenden Ausgenommen. Sie schreiben: »Im dritten Stück sollte endlich die Abhandlung kommen, da sandte Forster den Leitfaden zu einer Geschichte, der gleich eingerückt werden sollte.« Diesen Aufsatz von Forster habe ich selbst Boien gesendet u weiß also wohl, daß auf eine ungesäumte Einrückung nicht gedrungen worden ist. Es kann aber wohl seyn daß Boie eine schleunige Einrückung befohlen hat, ohne darum zu wollen, daß Swifts Meditation zurück bliebe. Uebrigens ist es nicht der Mühe werth über diese Sache mehr Worte zu verlieren. Allerdings wird J.s Ärger noch durch einen weiteren Umstand vermehrt; im selben Brief bemängelt er: Durch ein mir unbegreifliches Versehen des Copisten, oder die Nachläßigkeit des Setzers, ist der Erste Absatz meines Aufsatzes weg geblieben. Er lautet wie folgt. / Die Meditation über einen Besenstiel gehört unter diejenige Swiftischen Aufsätze, welche von den Widersachern dieses großen Mannes mit Erfolg dazu gebraucht wurden, die Würde seines Charakters in ein zweydeutiges Licht zu stellen, und dadurch seinen Ansehn, wo möglich, einigen Abbruch zu thun. / Daß diese Omißion mich ärgert können sie sich vorstellen, weil dieser Absatz durchaus nöthig ist, um die zwey Theile des Aufsatzes mit einander zu verbinden. S. 114 steht; »es ist Zeit daß ich zu meinem Gegenstande, der Meditation über einen Besenstiel zurück kehre« – u dieser Gegenstand ist noch nicht da gewesen. Sie werden also so gütig seyn, im nächstfolgenden Stück das Versehen anzuzeigen, um die ausgelaßene Stelle einzurücken.233 Erfreut hat es J. jedoch, daß Georg Forster ihm am 23. November 1789 mitteilt: 232

J. an Georg Joachim Göschen, 3. Oktober 1789, JBW I,8. J. an Georg Joachim Göschen, 13. November 1789, JBW I,8. – Siehe auch J. an Georg Arnold Jacobi, 20. Dezember 1789, JBW I,8: Durch ein unbegreifliches Versehen des Setzers ist der EingangsAbsatz weg geblieben; er lautet wie folgt: »Die Meditation über einen Besenstiel gehört unter diejenigen Swiftischen Aufsätze, welche von den Widersachern dieses großen Mannes mit Erfolg dazu gebraucht wurden, die Würde seines Characters in ein zweydeutiges Licht zu stellen, u dadurch seinem Ansehn, wo möglich einigen Abbruch zu thun.« 233

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Endlich ist das 4te Stück des Museums auch hieher gekommen. Ihr Besenstiel ist recht artig und hat uns alle sehr ergötzt. Deshalb bedankt J. sich bei Forster: Daß mein Besenstiel Ihnen gefallen hat, freut mich.234

BRUCHSTÜCK EINES BRIEFES AN JOHANN FRANZ LAHARPE MITGLIED DER FRANZÖSISCHEN AKADEMIE 1. Überlieferung D Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Zweyter Band. / Leipzig, bey Gerhard Fleischer d. Jüng. / 1815. Der Text von D ist durchgängig in Antiqua gesetzt; da er keine Differenzierung von Fraktur und Antiqua aufweist, abgesehen von der dem Brief nachträglich angefügten Fußnote Worte Mirabeau’s., wird er hier durchgehend in der Grundschrift Bembo wiedergegeben.

2. Entstehungsgeschichte Mit der geistigen und politischen Entwicklung in Frankreich hat J. sich lange und intensiv befaßt; verwiesen sei hier nur auf seine langjährige Verbindung mit Jean François de La Harpe, die ihm als Quelle für seine Literarischen Neuigkeiten aus Frankreich235 gedient hat, oder auf seine Behandlung von Beaumarchais’ Memoire236 oder seine Aufnahme von Mirabeaus Lettres de Cachet et Des Prisons d’État237 und schließlich seine engagierte Kenntnis der Schriften und der Politik Jacques Neckers, dessen Frau ihm sogar aus seiner Genfer Zeit persönlich bekannt gewesen ist.238 Mit La Harpe scheint J. in einem langjährigen, leider nicht überlieferten Briefwechsel gestanden zu haben; einen – wohl den letzten – Brief erhält er von ihm Ende November 1789. Hierfür spricht auch J.s Nachricht vom 24. November 1789 an Georg Forster: Gestern bekam ich einen vier Seiten langen Brief von Laharpe aus Paris. Dort sieht alles noch sehr zweideutig aus. Neßelrode, der seit vier Wochen dort ist, hat keine Zeit zu schreiben. Ich nehme den lebhaftesten Antheil an den dortigen Händeln, und ruinire mich an Zeitschriften und Broschüren.239 234

J. an Georg Forster, 23. bzw. 24. November 1789, JBW I,8. Siehe JWA 4.115–128. 236 Siehe JWA 4.131–187: Fragment einer Reise nach Spanien. 237 Siehe JWA 4.367–425. 238 Siehe hierzu insbesondere den Briefwechsel, vornehmlich mit Johann Georg Hamann, in JBW I,7. 239 J. an Georg Forster 24. November 1789, JBW I,8. 235

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Nach der Französischen Revolution, die sich während J.s Reise nach Norddeutschland ereignet, reisen mehrere seiner Freunde ins Paris der Revolution, doch erhält er von ihnen nicht die erwünschten Berichte. Wilhelm von Humboldt schreibt am 17. August 1789 lediglich: Jezt bin ich nun schon 14 Tage hier, und Sie erwarten vielleicht viel über das, was ich sah und hörte. Allein von tausend neuen Gegenständen zerstreut, von allen meinen vorigen Beschäftigungen hinweggerissen, was soll ich Ihnen sagen? Ich könnte bloss erzählen, alle übrigen Fäden meiner Gedanken sind wie abgeschnitten, und das blosse Erzählen ist eine traurige Sache. Also nur wenig Zeilen heute, und noch dazu eine Bitte, lieber Jacobi, die Sie mir aber nicht abschlagen müssen. Ich bin Paris und Frankreich ziemlich müde. Wäre nicht die politische Lage jezt gerade so wichtig, die Gährung unter dem Volk, und der Geist, der sie hervorgebracht hat, überall so sichtbar; so hätte ich in der That Langeweile. Denn es fehlt mir beinah ganz an Bekanntschaften, und ich kann also nur das beobachten, was beim ersten Anblik in die Augen fällt.240 J. hingegen schreibt am 14. Oktober 1789 an Georg Forster: Ich bin, mein liebster Forster, mit den französischen Händeln so sehr beschäftigt, daß ich darüber meine eigenen Händel mit Ihnen unausgemacht lasse. Seit acht Tagen steht unser Freund Nesselrode auf dem Sprunge, nach Paris zu reisen; ich habe Empfehlungsschreiben für ihn verfertigen, und noch hundert andere Dinge prästiren müssen, nachdem es mit dem Reiseproject bald rückwärts, bald wieder vorwärts ging. Gott wolle uns Deutsche nur vor einer solchen »manière fixe d’être gouverné par la raison« bewahren, wozu Mirabeau zuerst seiner Nation, hernach uns andern allen verhelfen wollte; ersterer auch wirklich nun in so weit verholfen hat. – O, des unglücklichen Necker! Die große Seele dieses edeln Menschen muß unaussprechlich leiden. Der Gedanke an ihn raubt mir Hunger und Schlaf.241 Forster antwortet ihm am 17. Oktober: In Frank240

Wilhelm von Humboldt an J., 17. August 1789, JBW I,8. J. an Georg Forster, 14. Oktober 1789, JBW I,8; ähnlich an J. an Georg Forster, 24. November 1789, JBW I,8 sowie bereits am 2. November 1789, JBW I,8, an Johann Georg Schlosser: Für eine Zeitlang aber liegt das alles, weil ich bis über die Ohren in den französischen Händeln stecke, und wohl die Hände etwas rühren muß, um mir Luft zu machen. Auch an Carl Leonhard Reinhold schreibt J. am 7. November 1789, JBW I,8: Gegenwärtig plagen mich die französischen Händel und machen mir, von Seiten des Kopfs, vielleicht mehr als den Franzosen zu schaffen. Die ungeheure Anmaßung der 1200 Lycurge, eine Constitution erschaffen zu wollen, welche, nach der Definition des Grafen von Mirabeau, eine manière fixe d’être gouverné par la raison wäre, hat alle meine Lebensgeister in Aufruhr gebracht. – Siehe unten die Anm. zu 172,2. – Zur Einschätzung der Politik Neckers siehe ferner J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 14. Dezember 1789, JBW I,8: Bald nachdem ich von meiner Reise zurückgekommen war, suchte ich mich mit dem gegenwärtigen Zustande von Frankreich gründlich bekannt zu machen und wurde nach und nach den philosophischen Puritanern in der Nationalversammlung so gram, daß ich beynah die ganze Sache aufgegeben hätte. Ohne Neckers erhabene Seele, ohne die Gehülfen im Ministerium, 241

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reich muß es jetzt ausgähren. Ich sehe Mirabeau nur als den Sauerteig an, der im Grunde immer doch eine ekelhafte Substanz, aber eine sehr unentbehrliche ist. Von Necker weiß ich mir gar keine Idee zu machen.242 Und am 1. November schreibt er an J.: Wenn nur der Freiheitsgeist auf die Länge die er sich wählte – was wäre der Ausgang gewesen! O daß ich dem großen Manne jetzt schon das Denkmahl setzen könnte, welches er von der Geschichte zu erwarten hat. – Siehe ferner J. an Carl Leonhard Reinhold, 11. Februar 1790, JBW I,8: Von der französischen Revolution mag ich nicht anfangen zu reden, weil ich an kein Ende kommen würde. Ich nehme an ihrem gücklichen Ausgange den doppelten Antheil eines feurigen Liebhabers bürgerlicher Freiheit, und eines Propheten. Meine Prophezeiung können Sie in meinen vermischten Schriften S. 138 u. 39 lesen. Der Freiheitseifer, dessen ich mich rühme, bedarf keiner besondern Nachweisung. Gerade deßwegen erzürnten die bösen Rotten, der Verwirrungsgeist, die Arglist, die abscheulichen Meutereien in der Nationalversammlung mich so sehr. Ueberlegen Sie einmal, mein Freund, was ohne die Weisheit, die fast übermenschliche Gleichmüthigkeit und Würde, was ohne die Tugenden eines Neckers aus der ganzen Sache wohl geworden wäre. Die größte Zerrüttung, welche je in einem Staat gesehen wurde, hätte Frankreich ohnfehlbar zu Grunde gerichtet. Anfang, Mittel und Ende (wenn ein gutes Ende, wie man gegenwärtig Grund zu hoffen hat, erfolgt) – Alles war nicht, oder wurde das schrecklichste Uebel ohne diesen Mann, dessen erste Entschließungen nach seinem neuen Eintritte ins Ministerium, gleich das unverkennbare Siegel eines heiligen Gelübdes trugen, für die öffentliche Sache Alles – Ehre und guten Ruf nicht ausgenommen – auf das Spiel zu setzen und sich selbst zu achten, als sey er nicht, als sey er nie gewesen. Diese hohe stille Verläugnung hat seine Reden und Handlungen seitdem immer bezeichnet. Unter so vielen abwechselnden Umständen bewies er eine Fassung, die nur eine Seele von der ersten Größe sich zu geben fähig ist. Er wußte längst und ganz, was wir andre erst so spät erfahren: wie fürchterlich der König, wie fürchterlich er selbst umringt war. In Absicht jedes Verhältnisses stand er da allein, allein, wie schwerlich je vor ihm ein Mensch gestanden hat, und so wird das Tabouret, welches er in der berühmten S e s s i o n R o y a l e leer ließ und welches das einzige leere an des Königs Thron war, zu einem desto sprechenderen Denkmal für ihn in der Geschichte. Und, o daß ich den Mann gesehen hätte, wie er in der Nationalversammlung am 24. Sept. gegen das Ende seiner strengen Rede die Worte aussprach: Pardonnez, Messieurs, si je vous parle ainsi. | Il n’est rien sans doute de si imposant que le respect dû à une assemblèe comme la vôtre, mais il y a peut-être quelque chose de plus grand encore; c’est l’indépendence et la dignité d’un seul homme, animé par la seule idée de ses devoirs, et fièrement soutenu par la pureté de ses intentions et l’approbation de sa conscience; vous ne vous blesserez point d’un pareil sentiment, puisque chacun de vous, Messieurs, peut également y prétendre. – Mein guter Genius wird es mir gewähren, daß ich einmal über dieses alles mein Herz ausschütte und zu Koth die seellosen Wichte zertrete, denen es problematisch dünkt, ob nicht der erhabenste der Menschen vielleicht nur ein großer Buchhalter und Bankier sey. Gott, was sind unsre Coryphäen der Aufklärung doch für ekelhafte Mißgeburten! Centauren, nicht von unten, sondern von oben mit der Thiergestalt, und wohlbegabt mit den zu ihrer Natur gehörigen zween Magen und vier Lungen. 242 Georg Forster an J., 17. Oktober 1789, JBW I,8.

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Stich hält! Seit den letzten Auftritten fürchte ich wieder Alles für die Freiheit.243 J. liest damals, wie er in einem Brief an Carl Leonhard Reinhold notiert, das Journal de Paris,244 und an Forster schreibt er erneut am 12. November: Die französischen Händel haben mich ganz in das politische Fach geworfen; ich lese jetzt fast nichts anderes, und bin nicht wenig neugierig, zu sehen, was das Ende meines Treibens seyn wird.245 In dieser Lage hat J. im November 1789 den oben genannten Brief La Harpes über die Ereignisse in Paris erhalten. Dies berichtet er Georg Forster am 24. November – leider ohne näher auf den Inhalt einzugehen: Gestern bekam ich einen vier Seiten langen Brief von Laharpe aus Paris. Dort sieht alles noch sehr zweideutig aus. Neßelrode, der seit vier Wochen dort ist, hat keine Zeit zu schreiben. Ich nehme den lebhaftesten Antheil an den dortigen Händeln, und ruinire mich an Zeitschriften und Broschüren. Forster bestätigt ihm am 8. Dezember: Frankreich ist allerdings höchst merkwürdig für den Beobachter. Es ist ein interessanter Anblick, nicht, d a ß es kämpft, sondern w i e es kämpft. Dieser Strauß des Despotismus mit der Demokratie ist noch keinem vorigen ähnlich. Die Minen und Contreminen sind von eigener Gattung und haben das Gepräge des Jahrhunderts der ausgebildeten Vernunft.246 Der Empfang von La Harpes Brief könnte als Beginn der Entstehungsgeschichte des Antwortbriefes an La Harpe angesehen werden. Doch zu dieser Zeit scheint J. noch nicht beabsichtigt zu haben, über die Französische Revolution zu schreiben; zumindest erwähnt er dies nicht, als er am 30. Januar 1790 gegenüber Lavater von zwei anderen literarischen Projekten spricht.247 Anfang April haben jedoch Georg Forster und Alexander von Humboldt J. in Pempelfort besucht, auf ihrer Reise nach Brabant, Holland, England und Frankreich; dies ist der unmittelbare Anlaß für J.s Entwurf einer Antwort an La Harpe gewesen. La Harpe ist in diesen Jahren ein begeisterter Parteigänger der Revolution, insbesondere der Jakobiner – bis er im Jahre 1794 für mehrere Monate ins Gefängnis geworfen wird. Das Schreiben, in dem J. zu Beginn den Besuch Forsters und v. Humboldts ankündigt, hat er jedoch den beiden Reisenden nicht mitgegeben, und er hat es schließlich auch gar nicht abgesandt. Dies geht aus seinem Brief an Jacques Necker vom 2. Mai 1793 hervor: Je suis certain, Monsieur, que vous me comprenez jusqu’à un certain point. Afin que vous me compreniez davantage, je hasarde de vous envoyer un brouillon de lettre que je fis au mois de Mai 1790, et dans lequel il est aussi question de vous. Je n’ai pas acchevé ce Dithyrambe philosophico-politique, puisqu’il était impossible que je ne me ravisasse pas en relisant ce qui était fait. Si Monsieur de la Harpe, à qui ma lettre était destinée, l’avait reçue, il m’aurait sans doute apostrophé

243 244 245 246 247

Georg Forster an J., 1. November 1789, JBW I,8. J. an Carl Leonhard Reinhold, 7. November 1789, JBW I,8. J. an Georg Forster, 12. November 1789, JBW I,8. Georg Forster an J., 8. Dezember 1789, JBW I,8. J. an Johann Kaspar Lavater, 30. Januar 1790, JBW I,8.

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comme le Romain Festus apostropha l’apôtre des Gentils: vous perdez l’esprit, Paul, votre grand savoir vous met hors de sens.248 Ob es gleichwohl zu einer Begegnung Forsters und Humboldts mit La Harpe gekommen ist, läßt sich dem Briefwechsel nicht entnehmen. Allerdings ist die Nachricht von einem Brief J.s an La Harpe in weitere Kreise gelangt. Dies belegt die Anfrage Alexander von Humboldts bei J. vom 3. Januar 1791: Knigge oder Unger sagte mir, Sie hätten einen Brief über die Französische Freiheit an la Harpe drukken lassen. Ich habe mich herzlich darauf gefreut, aber kein Buchhändler weiß davon und das ganze ist daher wohl nur ein voreiliges Gerücht.249 Demnach ist nicht anzunehmen, daß Humboldt oder Forster von J.s ursprünglichem Briefentwurf gewußt haben – was auch deshalb wahrscheinlich ist, weil J.s Briefe an Georg Forster vom April bis Juni diesen in Paris nicht erreicht haben. Es ist jedoch keine Antwort J.s auf Alexander von Humboldts Anfrage überliefert, und es hat sich auch kein weiteres Zeugnis dafür finden lassen, daß J. damals eine Veröffentlichung seiner philosophisch-politischen Dithyrambe geplant habe. Gut belegt ist hingegen, daß J. sich seit Juli 1790 mit der Absicht trägt, über die französische Gesetzgebung zu schreiben – wahrscheinlich in Form einer Ausweitung seines Briefentwurfs vom 5. Mai. Zuvor allerdings will J. wohl noch die weiteren Entwicklungen abwarten und sich genauer informieren – obwohl sein Urteil in den Grundzügen feststeht. In einem etwa im Mai 1790 verfaßten Entwurf eines Briefes an Georg Arnold Jacobi schreibt er, anläßlich eines von dritter Seite angestellten Vergleichs von Mirabeau und Cromwell: Mirabeau reicht Cromweln nicht an die Ferse. Sein Ascendant in der National Versammlung ist seit länger als 5 Monathen schon nicht mehr was es war, weil er sich in Hauptmomenten sehr zweydeutig betragen u eine Schwäche selbst in seinem eigenthümlichen Character verathen hat, die man nicht erwartete. Man ist hinter niederträchtige Anschlage u Complots gekommen, in die er verwickelt war; er hat sich einige Mahle compromitiert wie ein Schöps, u dergleichen mehr. – – Ich ärgre mich über die Inconsequenz der mehrsten Deutschen, welche über die Maaßregeln der französischen Nationalversammlung urtheilen u sie mißbilligen; denn ihre Grundsätze, ihr philosophischer Glaube, ihre hohe Meinung von der Causalität der reinen Vernunft, muß sie zu demselbigen System führen, welches die Demokraten der Nationalversamlung begeistert u verblendet.250 Doch trotz dieses sehr bestimmten Urteils ist er sich des weiteren Verlaufs und somit auch seiner eigenen Stellung zur Französischen Revolution nicht ganz sicher, und so wendet er sich am 5. Mai 1790, also unter dem Datum seines Briefes an La Harpe, an Johannes Müller: Mich verlangt unaussprechlich die Gestalt zu sehen, welche der französische Purismus und Hyperidealistische Materialismus am Ende bekommen wird. […] In welcher Absicht allein ich Antirevolutionist, und in welcher ich

248 249 250

J. an Jacques Necker, 2. Mai 1793, JBW I,9. Alexander von Humboldt an J., 3. Januar 1791, JBW I,9. J. an Georg Arnold Jacobi, Ende April / Ende Mai 1790, JBW I,8.

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das Gegentheil mit Herz u Seele bin, werden Sie sich selbst sagen können.251 Johannes Müller ist auch der erste, dem J. seinen Publikationsplan mitteilt; am 16. Juli 1790 schreibt er ihm: Vielleicht schicke ich Ihnen bald einen kleinen Aufsatz, den ich zu entwerfen angefangen habe: ü b e r d i e P h i l osophie der neuen französischen Gesetzgebung. 252 Etwas deutlicher äußert er sich am 20. Juli 1790 gegenüber Franz Bucholtz: Ich habe keine Kosten gescheut u mich keine Mühe verdrießen laßen, die merkwürdigsten zur französischen Revolution gehorigen Schriften zu sammeln, u doch fehlt mir noch manches. / Auf deine Fragen über diesen Gegenstand kann ich dir nicht antworten, weil ich dir ein Buch schreiben müßte; du sollst aber doch nächstens einen kleinen Aufsatz v mir zu lesen bekommen »Ueber die Philosophie der neuen französischen Gesetzgeb u n g « , woraus du vieles wirst abnehmen können. Frankreichs ausgetriebener Geist des Königlichen Despotismus, komt mir beynah wie jene Legion vor, welche bat: H e r r e r l a u b e , d a ß i c h u n t e r d i e S äu e fahre. 253 Und am 29. Juli 1790 macht er schließlich Georg Forster, der kurz zuvor aus Paris zurückgekehrt ist, für seinen Publikationsplan verantwortlich: Sie sind Schuld, daß ich eine Epistel über die Philosophie der neuen französischen Gesetzgebung schreibe. Ich will Ihnen das Räthsel lösen, wenn die Epistel fertig und des Aufbewahrens wert ist.254 Und auch an Wilhelm v. Humboldt schreibt J. am 9. September 1790, er könne ihm einen Dank für Bemerkungen (in anderer Sache) nicht eher bringen, bis ich Ihnen zugleich meine Abhandlung, über das legislative und executive Vermögen der alleinigen Vernunft, überreiche. Ich habe sie heute, so weit sie fertig ist, wieder durchgelesen, und neuen Muth zur Vollendung gefaßt.255 La Harpe wird in allen vier Fällen jedoch nicht genannt – und somit handelt es sich bei der geplanten Epistel ersichtlich nicht – wie eine Fußnote im Auserlesenen Briefwechsel256 suggeriert – um seinen Brief an La Harpe, sondern um eine neue, wohl erst im Juli 1790 begonnene Abhandlung.

251

J. an Johannes Müller, 5. Mai 1790, JBW I,8. – An Johann Friedrich Kleuker berichtet J. noch am 8. Juli 1790, JBW I,8: Die französischen Händel lassen mir keine Ruhe, bis ich mit meinen Urtheilen darüber aufs Reine bin. 252 J. an Johannes Müller, 16. Juli 1790, JBW I,8. 253 J. an Franz Bucholtz, 20. Juli 1790, JBW I,8. 254 J. an Georg Forster, 29. Juli 1790, JBW I,8. – Am gleichen Tag erwähnt J. auch gegenüber Graf Windisch-Graetz seinen Publikationsplan; siehe die Anm. zu 172,2. 255 J. an Wilhelm v. Humboldt, 9. September 1790, JBW I,8. – Dieser Verweis J.s ist ebenfalls auf seine Abhandlung über die französische Gesetzgebung zu beziehen, auch wenn J. im folgenden Absatz fortfährt: Wahrlich, ich brenne vor Verlangen, mich über die Kantische Philosophie einmal ganz ausführlich zu erklären. Beide Themen hängen insofern zusammen, als in Frankreich, nach dem Wort Mirabeaus, eine Gesetzgebung aus reiner Vernunft angestrebt wird. 256 ABW II.37.

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Einen wichtigen Bezugspunkt für seine eigenen literarischen Pläne bilden die Stellungnahmen Edmund Burkes zur Französischen Revolution. J. hat schon Georg Forster bei seinem Besuch in Pempelfort, vor der Abreise nach England, gebeten, ihm die Rede Burkes mitzubringen, denn Forster gesteht ihm nach seiner Rückkehr: Burkes Rede vergaß ich.257 Parallel hierzu bittet J. in dem bereits herangezogenen Brief vom 5. Mai 1790 Johannes Müller: Haben Sie Burkes Rede wider die französische Revolution, und können Sie mir dieselbe auf einige Tage mittheilen, so verbinden Sie mich ungemein.258 Ob es hierzu gekommen ist, läßt sich aus den überlieferten Briefen nicht ersehen; am 7. August schreibt J. jedoch an Georg Forster: Burkes Rede habe ich übersetzt in den Actes des Apôtres [einem konterrevolutionären Journal] gelesen u meine Neugierde gestillt.259 Im Januar 1791 erhält J. auch Burkes Reflexions on the Revolution in France – in französischer Übersetzung –, und er fordert Johann Friedrich Kleuker auf: Lesen Sie doch ja Burkes Betrachtung über die französische Revolution. Man hat von Berlin aus eine Übersetzung angekündigt, die nun bald erscheinen muß. Ich habe die französische Übersetzung, welche 536 Seiten beträgt, vorgestern erhalten, und weide mich an dem Buche so, daß mir schon mehr als einmahl der Gedanke gekommen ist, es auf meinem Tisch fest zu nageln, und alle französische Broschüren zum Fenster hinaus zu werfen. Dies Buch wird auch Mösern schmecken. In mir hat es den Entschluß bewirkt, den Aufsatz, wovon Sie ein großes Stück bey mir lasen, ins Deutsche zu übersetzen und so bald wie möglich herauszugeben. Unsre Philosophen werden über mich und Burke schrecklich herfahren; aber sie mögen.260 Johann Georg Schlosser fragt er gar, ob er ihm nicht in den letzten Tagen der vergangenen Woche, sey es auch nur im Traum, persönlich, mit einem 536 Seiten starken Octavband in der Hand erschienen bin. Ich las Mr. Burke’s Reflexions on the Revolution in France mit einer solchen anhaltenden brennenden Begierde bey Dir zu seyn, daß es gewirkt haben muß, wenn es eine dieser Art Actio in distans giebt. Schaffe Dir doch gleich das Buch zur Hand, es wird Dich unsäglich erfreuen, zumahl die erste Hälfte. Nachher, wo er es mit den Franzosen allein, nicht mehr mit der Londner Revolution-Society zu thun hat, macht er es oft zu arg, und es verdrießt einen, daß er auf so mancherley Weise seinen Eindruck schwächt; aber das hindert nicht, daß ihm nicht große treffende Wahrheiten auch hier unaufhörlich aus dem Munde strömen. Du erinnerst Dich wohl, daß ich Dir vorigen Sommer von einem Aufsatze über den Geist der französischen Gesetzgebung, den ich in der Arbeit hätte, schrieb; mehrere Stellen aus diesem Aufsatze stehen fast wörtlich im Burke. Ich bin mehr als einmahl stark versucht gewesen, Dir

257 258 259 260

Georg Forster an J., 4. August 1790, JBW I,8. J. an Johannes Müller, 5. Mai 1790, JBW I,8. J. an Georg Forster, 7. August 1790, JBW I,8. J. an Johann Friedrich Kleuker, 14. Januar 1791, JBW I,9.

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meine Arbeit zu schicken; aber ich that mir innere Gewalt an, in der Hoffnung, ihn noch zu vollenden.261 So verwundert es nicht, daß sich die Nachricht von J.s – wenn auch nicht uneingeschränkter – Begeisterung für Burke in seinem Freundeskreis herumgesprochen hat. Am 6. April 1791 schreibt ihm Alexander von Humboldt aus Hamburg, er würde sich freuen, wenn er ein Paar Zeilen aus Pempelfort erhielte – aber diese Bescheidenheit ist nun einmal nicht die meinige, ich empfände die Freude nur halb, wenn ich Ihnen nicht dafür dankte, und darum müssen Sie schon Ihren Burke aus der Hand legen und mich anhören. / Wie ich doch errathe, daß Sie gerade den Burke lesen? Das sage ich Ihnen zuerst, denn Sie könnten mir sonst gar ein Divinationsvermögen zuschreiben, und würde das in Berlin bekannt, so wäre es um meinen guten Namen geschehen. Ein Berliner muß nicht rathen, sondern wissen und wissen warum er weiß und es a priori und posteriori demonstriren können, wie es der Begriff eines Dogma mit sich bringt. So kann ich Ihnen sagen, daß ich unseren Claudius bei Schimmelmanns fand, und daß ich ihn über Sie und Ihre Schwestern und Ihre Kinder und Pempelfort und alle Sträucher im Garten, vom großen Tulpenbaum bis zu den kleinen Weymouthtannen an der Orangerie, ausfragte und daß ich ihn immer mehr fragte, als er nur antworten konnte, und daß er mir von Ihrer Ansicht der großen französischen Angelegenheiten, von Burken’s Buch ….. erzählte. An dem Plan, über die französische Gesetzgebung aus reiner Vernunft zu schreiben, hat J. zumindest bis zum Ende des Jahres 1791 festgehalten. Dies erhellt aus seinem Schreiben an August Wilhelm Rehberg, der ebenfalls über die Französische Revolution geschrieben hat.262 Zugleich gerät J. aber in eine Verlegenheit; am 29. November 1791 schreibt er an Rehberg: Ich erhielt fast zu gleicher Zeit ein zweites Exemplar der Broschüre von Burke, Ihre neuesten Aufsätze in der Literatur-Zeitung, und Ihr sehr freundschaftliches Schreiben vom 27ten September. Jetzt habe ich auch Ihren Auszug aus Burke’s Appellation. Diese hat mich über alles, was ich Ihnen sagen kann, frappirt, weil ich gewiß und wahrhaftig mich selbst zu lesen glaubte. Ich hatte schon eine ähnliche Erscheinung beim Lesen von Burke’s erstem Werke über die französische Revolution; aber dießmal wurde die Erscheinung meine Person, und meine Person die Erscheinung, welches noch eine ganz andere Verlegenheit ist. Nach Burke und nach Ihnen bleibt mir von dem, was ich vor und nach über diesen Gegenstand zu Papier gebracht habe, fast nichts mehr eigen, als eine Critik der droits de l’homme; und auch hier ist mir Necker schon ins Gehege gekommen, und zwar an einer Seite, wo ich’s am wenigsten erwartet hätte. Dennoch will ich drucken lassen. Ich könnte das in Deutschland ja ohne Gefahr, wenn ich auch wirk261

J. an Johann Georg Schlosser, 17. Januar 1791, JBW I,9. Siehe auch seine etwas spätere, zusammenfassende Veröffentlichung: August Wilhelm Rehberg: Untersuchungen über die Französische Revolution nebst kritischen Nachrichten von den merkwürdigsten Schriften welche darüber in Frankreich erschienen sind. Hannover 1793. 262

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lich und wörtlich ausgeschrieben hätte; und wer eine Nase hat, wird schon riechen, daß ich es nicht that.263

ZUFÄLLIGE ERGIESSUNGEN EINES EINSAMEN DENKERS IN BRIEFEN AN VERTRAUTE FREUNDE 1. Überlieferung Briefe I und II D1 Die Horen / Jahrgang 1795 / Achtes Stück. / Tübingen / in der J. G. Cottaischen Buchhandlung / 1795 [1]–34: I / Zufällige Ergießungen / eines einsamen Denkers / in Briefen an vertraute Freunde. Darüber steht in zwei Zeilen der Reihentitel: Die Horen. / Erster Jahrgang. Achtes Stück. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt. J.s Zufällige Ergießungen sind anonym erschienen. Im Rahmen des Achten Stücks der Horen bilden sie die erste von vier Abhandlungen; deshalb ist den drei Titelzeilen vor dem Ersten Brief eine I vorangestellt. Auf die Titelzeilen folgen zwei weitere: Erster Brief. / an Ernestine F***. Der erste, * * * den 21sten Februar 1793. datierte Teil des Briefes umfaßt jedoch nur die S. [1]–11. Es folgt ein zweiter, nur mit der Datumszeile Sonntag den 22sten Februar. überschriebener Teil, der thematisch jedoch mit dem ersten nicht verbunden ist. Er scheint in D1 jedoch nicht als ein eigenständiger zweiter Brief gedacht zu sein; es ist aber auch nicht auszuschließen, daß eine eigene Titelzeile, die diesen Brief als zweiten gekennzeichnet hätte, irrtümlich nicht berücksichtigt worden sei. Bei der Publikation des ersten Bandes seiner Werke hat J. einen weiteren Brief der Zufälligen Ergießungen als dritten gezählt, so daß der vom 22. Februar 1793 datierte Teilbrief als zweiter zu zählen ist. Am Schluß des Zweiten Briefes, auf S. 34, steht unter dem Text die Ankündigung: Die Fortsetzung folgt.

D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Erster Band. / Leipzig, bey Gerhard Fleischer d. Jüng. / 1812. [254]–296: Zufällige Ergießung eines ein/samen Denkers. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt; fremdsprachige Wendungen sind in Antiqua gesetzt. 263

J. an August Wilhelm Rehberg, 29. November 1791, JBW I,9.

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H Österreichische Nationalbibliothek, Signatur: Autogr. 11/134–1. Es handelt sich um einen mit D1, also dem Druck in den Horen, abgesehen von der Überschrift identischen Abdruck der S. [1]–32. Das nicht bedruckte Deckblatt hierzu trägt in der Mitte den Stempel der Österreichischen Nationalbibliothek sowie am unteren Rande den Vermerk der Signatur; am oberen Rande hat J. notiert: s. Herder vom Geist der Ebräischen Poesie I. S. 143. Der gedruckte Text beginnt mit der Zeile Erster Brief.; die fehlenden Titelzeilen hat J. handschriftlich eingetragen: Aus dem VIIIten Stük der Horen. / Zufällige Ergießungen / eines einsamen Denkers / in Briefen an vertraute Freunde[.] Der gedruckte Grundtext von H ist identisch mit D1. J. hat ihn jedoch überarbeitet: Mehrere Partien sind gestrichen, an anderen Stellen hat er Verbesserungen eingetragen, die teils als Varianten, teils als Korrekturen anzusehen sind und deshalb teils im Variantenapparat, teils im textkritischen Apparat des vorliegenden Bandes vollständig – jeweils mit der Sigle H – verzeichnet sind. Wegen der generellen Übereinstimmung mit D1 wird H in den Apparaten jedoch nur dort genannt, wo H sich durch handschriftliche Eingriffe von D1 unterscheidet. Die Weise, wie J. eine Korrektur jeweils vorgenommen hat – ob durch handschriftliche Veränderung eines gedruckten Wortes oder durch Notierung eines neuen – wird im Apparat nicht mitgeteilt. Die Einträge in H stimmen überwiegend mit D2 überein; sie bilden offensichtlich eine Vorstufe, wahrscheinlich die Druckvorlage zu D2. Doch sind einerseits nicht alle Eingriffe von H in D2 aufgenommen, vielleicht durch ein Versehen des Setzers. Andererseits weicht D2 an einigen Stellen sowohl von D1 als auch geringfügig von H ab. Diese Abweichungen lassen sich als Indiz für einen späteren Korrekturgang am gesetzten Text von D2 deuten. Allerdings gibt es einige Passagen, an denen an Stelle eines in H gestrichenen Textes von D1 umfangreichere Passagen in D2 getreten sind. Es ist zu vermuten, daß in diesen Fällen H noch Textergänzungen auf zusätzlichen Zetteln beigelegen haben, die jedoch verlorengegangen sind. Am unteren Rande von S. 31 ist von fremder Hand sorgfältig mit einem Asterisken eine Fußnote eingebunden, die auch in D2 aufgenommen ist: Göthe, aus meinem Leben Th. 1. S. 37.264 Peter-Paul Schneider hat bereits darauf hingewiesen, daß dieser Band im Jahre 1812 erschienen sei, ebenso wie D2.265 Da die Handschrift dieser Fußnote sich jedoch deutlich von den sonstigen Bearbeitungen wie auch von der handschriftlichen Schlußpartie abhebt, kann aus der Datierung der Fußnote nicht darauf geschlossen werden, daß die gesamte Überarbeitung erst aus dem Jahre 1812 stamme. Der mit D1 identische gedruckte Text endet mit S. 32. Hieran schließen sich vier Seiten mit einer sorgfältigen, nur im Detail abweichenden Abschrift des 264

Siehe den Variantenapparat, JWA 5,1.213,35–38. Peter-Paul Schneider: Die »Denkbücher« Friedrich Heinrich Jacobis. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986, 353 (= Spekulation und Erfahrung. Abt. II, Bd 3). 265

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Schlusses von D1. Sie scheint somit nicht in der Absicht, den Text zu ändern, geschrieben zu sein, sondern nur deshalb erforderlich, weil das letzte Blatt von D1, S. 33 f., den Beginn eines neuen, des dritten Druckbogens bildet und dieser nicht als Druckvorlage vorhanden gewesen ist. Die Abschrift stammt wiederum von fremder Hand, jedoch nicht von dem Schreiber der eben genannten Anmerkung. An mehreren Stellen hat J. auch diese Abschrift korrigiert; seine Korrekturen sind ebenfalls im allgemeinen in D2 eingegangen. Die erste Seite der Abschrift hat vermutlich J. selber als 33. paginiert; die drei folgenden Paginierungen 34–36 stammen von fremder Hand.266 Brief III D1 = D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Erster Band. / Leipzig, bey Gerhard Fleischer d. Jüng. / 1812. 297–305: III. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt; fremdsprachige Wendungen kommen nicht vor. Dieser Brief ist auch in französischer Übersetzung erschienen; siehe Mercure étranger ou Annales de la litterature étrangère. Bd. I, No. 4. Paris 1813, 211–217: Sur L’Esprit De la Philosophie Morale De Kant. Traduit de l’allemand de F. H. Jacobi.

h Auszug eines Schreibens an Johanna Schlosser. / Pempelfort den 21ten Febr. 1793. Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Nachlaß Klopstock. 48.394 Der Variantenapparat zu den beiden ersten Briefen verzeichnet die Varianten zwischen D1 und D2, der Apparat zum dritten Brief die Varianten aus h. 2. Entstehungsgeschichte J.s schon lange gefaßter Entschluß, bei einer französischen Besetzung des Rheinlands sein Pempelfort – nur wenige Jahre nach dem Ausbau des Hauses und der Neuanlage des Gartens –aufzugeben und sich nach Holstein in ein selbstge266

Ulrich Rose: Friedrich Heinrich Jacobi. Eine Bibliographie. StuttgartWeimar 1993, 131, verzeichnet unter Nr. 661 eine Rezension der in den Horen erschienenen ersten beiden Briefe der Zufälligen Ergießungen durch Schlegel: Rez. von Friedrich Schlegel. In: Deutschland. 1796, 2. Stück, Notiz von deutschen Journalen. Die Horen. VII.–XII. Stück, S. 243–245. Doch anders als die Rezension zu J.s Woldemar stammt diese Rezension nicht von Schlegel.

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wähltes Exil zurückzuziehen, hat fraglos zu einer der tiefsten Zäsuren seines Lebens geführt, die – abgesehen vom Verlust der vertrauten Umgebung – viele verwandtschaftliche und auch sonstige enge freundschaftliche Verbindungen durchtrennt hat. In seinem letzten Schreiben aus Pempelfort, vom 27. September 1794, schreibt er seinem Sohn Georg Arnold, er wolle ihm weiter nicht sagen, wie es mir ums Herz ist, um uns nicht beyde wehmütig zu machen.267 An die Stelle dieser langjährigen Verbindungen tritt allerdings rasch die Vertiefung ebenfalls schon länger bestehender Freundschaften in Hamburg – mit Matthias Claudius und der Familie Sieveking – und in Holstein – mit Friedrich Leopold Graf zu Stolberg und dessen Bruder Christian und ihren Familien wie auch mit Graf Reventlow und seiner Frau Julia. Ergänzt werden diese alten Verbindungen bald durch zahlreiche neue – insbesondere mit Carl Leonhard Reinhold sowie mit Johann Heinrich Voß und seiner Frau Ernestine –, so daß auch das Zigeunerleben,268 das J. in Holstein führt, zu einem eigentümlichen und erfüllten Abschnitt seines Lebens wird. Überbrückt wird diese Zäsur – so scheint es zunächst – durch J.s Arbeit an den Zufälligen Ergießungen – doch dies ist keineswegs gesichert. Die drei Briefe der Zufälligen Ergießungen tragen die Daten den 21sten Februar 1793, den 22. Februar und den 31ten März 1793 – wobei allerdings die handschriftliche Fassung des Dritten Briefs ebenfalls den 21. Febr. 1793 nennt. Schon dieser Umstand der unterschiedlichen Datierung des Dritten Briefs sowie das Zusammenfallen mit dem Datum des Ersten Briefs und die Datierung des Zweiten Briefs auf den Tag nach dem Ersten läßt vermuten, daß diese Daten nicht – oder doch nur partiell – historisch zuverlässig sind. Am ehesten ist dies noch für die Abschrift h des Dritten Briefs anzunehmen, da bei ihr am wenigsten Anlaß bestanden hat, einen literarisch bedingten Eingriff vorzunehmen. Auf Grund dieser Annahme ist weiter zu vermuten, daß deren historisch-korrektes Datum – den 21sten Febr. 1793 – zum Anlaß auch der anderen Datierungen geworden sei. Hierbei könnte es noch eine Rolle gespielt haben, daß der 21. Februar 1793 eine naheliegende Datierung für den Ersten Brief bildet, der ja ganz unter dem unmittelbaren Eindruck der Hinrichtung Louis’ XVI. am 21. Januar 1793, also genau einen Monat zuvor, geschrieben scheint. Dafür gibt es jedoch keine Zeugnisse, so daß die unmittelbare Nähe zum Königsmord – um einen damals geläufigen Ausdruck aufzugreifen – auch eine literarische Fiktion sein könnte. Eigentümlicher Weise lassen sich in den Briefen der Jahre 1793 und 1794 keine Hinweise auf die Zufälligen Ergießungen finden; sie sind erfüllt von den Nachrichten über das wechselnde politische Geschick, und am Rande berichten sie über den Abschluß der Arbeiten an der Neuauflage des Woldemar, den J. im Januar und Februar 1794 an mehrere Freunde versendet. Es gibt lediglich eine einzige thematische Berührung zwischen der Lehre des Zweiten Briefes von der großen Bedeutung, ja der Gewalt der M e i n u n g und J.s Schreiben an Johann Georg Schlosser vom 18. Januar 1794: Wenn auch Schrecken und Furcht von wirklichen Unternehmungen zurückhalten, so bleiben Meynungen und Gesinnungen 267 268

J. an Georg Arnold Jacobi, 27. September 1794, JBW I,9. J. an Christian Konrad Wilhelm Dohm, ABW II0.216 f., Zitat 217.

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doch dieselben. Warum das? Weil diesen Meinungen und Gesinnungen erstaunlich viel W a h r e s zum Grunde liegt. – Alles dies Wahre mußt Du erst in vollem Maaße zugeben, ehe Du an das damit vermischte Irrige mit einiger Hoffnung von Erfolg, die Hand legen kannst. Die h a l b e Wahrheit wird a l l e i n durch die G a n z e besiegt. Es ist gerade zu wieder die Natur des Menschen, wieder seinen Grundtrieb sich im besonnenen Daseyn, das ist s e i n e P e r s o n s e l b s t , zu erhalten, irgend eine deutliche Einsicht aufzugeben: er kann sie in jedem Falle nur erweitern laßen. Daher die allgemein bekannte und so wenig erkannte, so wenig eingeseh e n e Gewalt der M e i n u n g . Wer für seine Meinung streitet, streitet für sein menschliches Daseyn, und kann darum für sie in den Tod gehen, deßen äußere Gestalt wir nur kennen, und der nur körperlich, gleichsam nur äußerlich gefürchtet wird.269 Allerdings verhält sich dieser Brieftext zum Zweiten Brief wie ein erstes Anklingen eines Thema zu seiner Ausarbeitung. Unter dem Eindruck des Vormarsches der französischen Truppen auf den Rhein, vier Wochen vor seiner Flucht, erreicht J. eine Anfrage Schillers, mit dem er – trotz seiner engen Beziehung zu Goethe – zuvor noch keinen brieflichen oder gar persönlichen Kontakt gehabt hat. Schiller lädt J. ein, sich an der von ihm geplanten Zeitschrift Die Horen zu beteiligen: Es ist ein zu alter und zu lebhafter Wunsch in mir, einen Mann zu begrüßen, dessen herrlicher Genius schon längst meine Huldigung hat, als daß ich die gegenwärtige Veranlassung dazu nicht mit Freuden ergreifen sollte. Beiliegendes Blatt unterrichtet Sie von einer litterarischen Unternehmung, die sowohl durch die Anzahl als das bekannte Verdienst der dazu getretenen Mitarbeiter etwas nicht gemeines in diesem Fache zu leisten verspricht. Dieser schöne Bund von Geistern würde aber unvollkommen seyn, wenn der Verfasser von Allwills Briefsammlung und Woldemars sich davon ausschließen sollte. Ich bitte also Euer Hochwohlgeboren, sowohl in meinem eigenen, als in aller Interessenten Namen, um Ihre thätige Theilnahme an diesem Institut, unter den in der Beilage bemerkten Bedingungen. Herr von Göthe, Herder, Garve, Engel, Fichte, beide Herren von Humboldt und noch mehrere andere sind bereits dazu getreten und wir haben Hoffnung, daß auch vielleicht Herr Kant uns einige Beiträge dazu nicht verweigern werde. Unsere Verbindlichkeit würde dadurch noch vergrößert werden, wenn Sie uns in den Stand setzen wollten, gleich eines von den ersten Stücken mit einem Aufsatze von Ihrer Hand zu zieren. Uebrigens unterwerfen wir uns bereitwillig allen Bedingungen, welche uns sonst noch vorzuschreiben, Ihnen gefallen wird.270 Diesem persönlich gehaltenen Schreiben liegt noch ein auf den 13. Juni 1794 datiertes gedrucktes Einladungsschreiben über die nähere Absicht und die Organisation der geplanten Zeitschrift bei. J.s erfreuter Antwort ist zu entnehmen, daß Schillers Anfrage bereits durch Wilhelm von Humboldt vorbereitet, vielleicht gar veranlaßt gewesen sei – wie 269

J. an J. G. Schlosser vom 18. Januar 1794, JBW I,9. – Vgl. JWA 5,1.201–

203. 270

Friedrich Schiller an J., 24. August 1794, JBW I,9.

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Humboldt ja zur gleichen Zeit auch die Korrespondenz zwischen Fichte und J. vermittelt.271 J. antwortet Schiller, er entbiete Gruß gegen Gruß, und schlage herzlich und freudig ein in die Hand, die Sie mir edel bieten. / Ueber Ihren Muth, mich zum Mitarbeiter für Ihre Horen einzuladen, habe ich mich gewundert, da ich erst vor ganz kurzem bey Dohm in einem Heft der Berliner Monatsschrift gefunden hatte, daß meine Beyträge solchen Werken tödlich seyn sollen. Hinten nach, da ich Ihnen mein Wort durch Humboldt schon gegeben hatte, ist es mir bedenklich aufgefallen, daß Ihre Monatsschrift erst im Entstehen ist, und ich vielleicht, verderblich schon durch meine bloße Willfährigkeit, sie in der Geburt erstickt haben könnte. – Absit omen! Doch der Fortgang der Antwort J.s enthält noch eine überraschende Nachricht: Wenn mich die Franzosen nicht verjagen, so hoffe ich Ihnen den versprochenen Beytrag schon im November zu schicken, denn ich habe einen Aufsatz, von dem ich glaube, daß er Ihnen angenehm seyn wird, unter meinen Papieren: er muß nur ein wenig zurecht gemacht werden. Von diesem Aufsatz ist zuvor nicht die Rede gewesen – denn es ist nicht anzunehmen, daß J. jetzt noch daran denkt, auf seine 1790 begonnene Abhandlung über die französische Gesetzgebung zurückzugreifen,272 und andere Publikationspläne (neben der Überarbeitung des Woldemar) sind für die Jahre 1793 und 1794 nicht überliefert. Dies schließt allerdings nicht aus, daß J. in dieser Zeit, ohne dies anderen mitzuteilen, Überlegungen zur Hinrichtung Louis’ XVI. niedergeschrieben habe. Doch trotz seiner erfreuten Zustimmung wirft J. eine ihn beunruhigende Frage auf: Ueber folgende Stelle Ihres gedruckten Einladungsschreibens, wünschte ich gelegentlich Erläuterung zu erhalten: »Vorzüglich aber und unbedingt wird diese Monatsschrift sich alles verbieten, was sich auf Staatsreligion und politische Verfaßung bezieht.« Diese Einschränkung, im strengsten Sinne genommen, wäre zu hart für den Philosophen, der es in vollem Ernste ist; denn worauf kann dieser sich am Ende überall beziehen wollen, wenn nicht auf Staatsverfaßung und Religion?273 Hinsichtlich dieser Bedenken sucht Schiller am 25. Januar 1795, bei der Übersendung des ersten Stücks der Horen, J. zu beruhigen: Sie verlangten zu wißen, wie weit sich das Interdict erstrecke, das wir auf politische Gegenstände gelegt haben. Ihre Frage wird durch | den Innhalt dieses ersten Stückes hinreichend beantwortet seyn. Sie finden, daß wir dem philosophischen Geist keineswegs verbieten, diese Materie zu berühren: nur soll er in den jetzigen Welthändeln nicht Parthey nehmen, und sich jeder bestimmten Beziehung auf irgend einen particulären Staat und eine bestimmte Zeitbegebenheit enthalten. Wir wollen, d e m L e i b e n a c h , Bürger unsrer Zeit seyn und bleiben, weil es nicht anders seyn kann; sonst aber und dem G e i s t e n a c h ist es das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des

271

Johann Gottlieb Fichte an J., 29. September 1794, JBW I,9. Siehe oben, 510–513. 273 J. an Friedrich Schiller, 10. September 1794, JBW I,9. 272

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Dichters, zu keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenoße aller Zeiten zu seyn.274 Der eigentliche Zweck von Schillers Schreiben aber ist ein anderer; er mahnt J.: wie ungern ich auch das Amt eines Mahners übernehme, so nöthigt mich doch meine RedacteursPflicht und die Besorgniß für das Beßte unserer gemeinschaftlichen Unternehmung, Ihnen Ihr gütiges Versprechen wieder in Erinnerung zu bringen. Der Böse Krieg, der so viele Menschen ins Verderben stürzt, erstreckt sogar auf die Horen seinen unglückseligen Einfluß, indem er Sie, mein edler Freund, den Musen entführt, und flüchtig umhergetrieben hat. Hierauf scheint J. – allerdings zu einem nicht bekannten Zeitpunkt – geantwortet und seine Bereitschaft zur Mitarbeit bekräftigt zu haben, denn Schiller schreibt ihm am 29. Juni 1795, er hätte nicht so lange gewartet, meine Freude über Ihren Brief zu bezeugen, wenn ich nicht befürchtet hätte, Sie dadurch zu m a h n e n , welches auch einen sonst angenehmen Besuch lästig machen kann. Jetzt aber, da Sie mir durch H. v. Humbold Hofnung zu einer nahen Erfüllung Ihres Versprechens geben, kann ich ohne die Gefahr einer Zudringlichkeit mein Andenken bei Ihnen erneuern.275 Für diese Zeit sind J.s abschließende Arbeiten an den Zufälligen Ergießungen auch durch eine Nachricht von ihm an Johann Heinrich Schenk vom 12. Juni 1795 belegt; er teilt ihm mit: Wie ich einen heitern Augenblick habe, gehe ich an meinen Aufsatz für die Horen; denn mein Verlangen, daß er an ein Ende komme, ist unaussprechlich. Ich bin neugierig, was Sie zu dem Dinge sagen werden. Das Docendo discimus habe ich noch bei keinem Aufsatze wie bei diesem erfahren. Aber eben deßwegen fürchte ich, daß es ein schlechter Aufsatz für das Publicum seyn wird; dabei ein Aergerniß für die Juden, und den Griechen eine Thorheit.276 Dies läßt auf größere Schwierigkeiten und längere Bemühungen schließen, doch wann J. mit seiner Ausarbeitung begonnen hat und welche Partien bereits aus früherer Zeit vorgelegen haben, läßt sich aus der spärlichen Überlieferung nicht mehr erschließen. Vielleicht hat auch eine Theateraufführung in Hamburg einen Anstoß zur Ausgestaltung gegeben; am 20. November 1794 berichtet J. dem in Pempelfort zurückgebliebenen 274

Friedrich Schiller an J., 25. Januar 1795, in Schillers Werke. Nationalausgabe (=NA). Bd 27: Briefwechsel. Schillers Briefe 1794–1795. Hrsg. von Günter Schulz. Weimar 1958, 128 f. 275 Friedrich Schiller an J., 29. Juni 1795, NA 27.205. – Ob diese Vermittlung durch Humboldt auf einen Brief J.s oder auf persönliche Kontakte zurückgeht, ist nicht bekannt. – J. hat allerdings bereits in seinem Brief vom 18. Februar 1795 Goethe gebeten, Schiller zu grüßen und ihm anzukündigen: Ich will mein bestes thun um binnen 14 Tagen einen Beytrag zu schicken. In Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs. Weimar 1942, 300. 276 J. an Johann Heinrich Schenk, 12. Juni 1795, ABW II0.201 f., Zitat 202. – Da die Briefe aus J.s Hamburger und Holsteiner Zeit noch nicht für die Ausgabe Jacobi: Briefwechsel bearbeitet sind, muß für sie auf die beiden älteren Ausgaben der Briefe J.s zurückgegriffen werden, soweit die Briefe nicht in neueren historisch-kritischen Ausgaben der Werke anderer vorliegen.

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Johann Heinrich Schenk: Wir hatten das Glück, daß gleich nach unserer Ankunft Lear gespielt wurde und wir Schröder in dem höchsten Triumph seines tragischen Talents sehen konnten. Lear war unter den Shakspearischen immer mein Lieblingsstück, aber gefaßt und bewundert habe ich es noch nie, wie bei dieser Vorstellung. Menschen – Natur und Schicksal stehen da so finster wie sie sind, und nur ein Wetterleuchten der Vorsehung erhellt auf Augenblicke die fürchterliche Nacht … Reinhold, der mit uns im Schauspiele war, widersprach meiner Behauptung, daß dieses Stück Welt- und Menschen-Geschichte im Großen nach der Wahrheit darstelle; oder ich widersprach vielmehr seiner Behauptung, man könne von diesem Stück beinah sagen, daß die Menschheit darin gelästert sey.277 Es ist jedoch auffällig, daß J. hier keine ausdrückliche Verbindung zum Ersten Brief seiner Zufälligen Ergießungen zieht. Am 3. Juli 1795 sendet J. sein Manuskript endlich an Schiller; dieser bestätigt ihm am 9. Juli 1795 den Eingang mit den Worten: Um Sie, vortreflicher Freund, über das Schicksal Ihres Mscrpts keinen Augenblick ungewiß zu lassen melde ich Ihnen nur in | 2 Worten die glückliche Ankunft deßelben und meine herzliche Freude über seinen Innhalt. Ob ich gleich in einigen Punkten, die Sie darinn berühren, meinen eigenen Glauben habe, so bin ich doch in allen übrigen Stücken von der Wahrheit deßen, was Sie bescheiden nur »Ihre Meinung« nennen durchdrungen, und die Liberalität mit der Sie über die Schonung menschlicher Vorstellungsarten sprechen, athmet den Geist der ächtesten und humansten Philosophie. Gar zu gerne begegnet es den Analysten das Leben von dem Körper und den Geist von der todten Hülle zu trennen, und was oft bloß Formel und Buchstabe ist mit einer Rigidität und Unduldsamkeit, als wenn es der lebendige Geist wäre, zu vertheidigen. Die Geständniße, welche Sie bey dieser Gelegenheit ablegen sollten billig beyde Partheyen, die ReligionsEiferer und die ReligionsHasser schaamroth machen, und zur Verträglichkeit führen. Schiller fährt dann allerdings fort, und diese Partie ist nicht im Auserlesenen Briefwechsel enthalten: Ich freue mich Ihren Aufsatz mit mehrerer Musse gedruckt zu durchlesen, denn da ich ihn heute noch nach Tübingen absenden muss, so konnte ich mir noch nicht die gehörige Zeit dazu nehmen. Der Freyheit gemäß, die Sie mir bewilligten, habe ich auf einen andern Titel gedacht, in welchem etwas von dem Innhalt vorkäme; ich fand aber keinen, der mir schicklich genug schien, und habe daher den Ihrigen beybehalten, welcher Sie auch bey künftigen Fortsetzungen desto weniger genieren wird. / Mit rechtem Verlangen erwarte ich die von Ihnen zunächst versprochene Fortsetzung.278 J. hat hierauf – in einem nicht überlieferten Brief vom 13. Juli – geantwortet und noch einen Korrekturwunsch nachgetragen; am 20. Juli bittet Schiller deshalb Johann Friedrich Cotta, den Verleger der Horen: Ehe ich es vergeße lieber Freund, so bitte ich Sie in den Ergie277

J. an Johann Heinrich Schenk, 20. November 1794, ABW II.184–186, Zitat 186. 278 Friedrich Schiller an J., 9. Juli 1795, NA 28.6 f.

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ßu n g e n von J a c o b i einen Schreibfehler zu verbeßern und anstatt | Maximilian Kaiser Leopold zu setzen.279 Jacobi hat mir von Hamburg aus dieses Versehen gemeldet. Ferner bittet Schiller den Verleger, Jacobi ein Frey Exemplar der Horen (das erste Stück habe ich ihm schon geschickt) zu senden, und er begründet dies: Es ligt mir daran, ihn für die Horen in Eifer zu setzen und darinn zu erhalten. Auch weiß ich, daß er für eine solche Aufmerksamkeit sehr empfindlich ist. Es müßte aber ein Exemplar auf Postpapier seyn.280 Am 28. oder 29. August 1795 sendet Schiller den Druck der Ergießungen an J., mit den Worten: Hier mein vortreflicher Freund den Abdruck Ihres Beytrages, den ich in dieser neuen Gestalt mit neuem Interesse gelesen habe.281 J. scheint gegenüber Schiller mehrere Druckfehler moniert zu haben, denn am 5. Oktober 1795 geht Schiller darauf ein: Die Druckfehler, die sich im ersten Theile eingeschlichen, thun mir sehr leid, und ich werde dem Corrector fürs künftige die größte Pünktlichkeit zur Pflicht machen.282 Gegenüber Herder schildert J. zur Zeit der Absendung seines Aufsatzes die Schwierigkeiten, die sich ihm bei der Niederschrift in den Weg gestellt haben: Ich hatte Beiträge zu den Horen versprochen, wurde wiederholt gemahnt, konnte nicht dazu, hernach nicht davon kommen, weil ich unversehens in eine Theorie, und in welche! gerathen war. Ich kam mir vor wie jene indianischen Götzen, denen an allen Seiten Arme herausgewachsen sind, die alle Hände voll haben; mir grauelte und ich zog an mich, was und wie ich konnte. Was für ein Ding zur Welt gekommen ist, wirst Du sehen, wenn Schiller es auszustellen wagt.283 Schiller hat dieses Wagnis unternommen, doch hat er anderen gegenüber eine Distanz zu J.s Zufälligen Ergießungen erkennen lassen. An Goethe schreibt er am 20. Juli 1795: Jacobi hat nun seine Abhandlung geschickt. Sie enthält viel Vortrefliches, besonders über die Billigkeit in Beurtheilung fremder | VorstellungsArten, und athmet durchaus eine liberale Philosophie. Den Gegenstand kann ich Ihnen nicht wohl bestimmen. Unter der Aufschrift: Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers (in Briefen an Ernestine) wird von mancherley Dingen gehandelt.284 Goethe stimmt diesem Urteil zu: Jakobis Aufsatz ist wunderlich genug. Seinem Ludwig, Lear und Oedipus habe ich, als ein Profaner, nichts abgewinnen können; das zweyte aber hat sehr viel Gutes und wenn man von s e i n e r Erklärung über Vorstellungsarten nun auch s e i n e Vorstellungsart abzieht; so wird man sie sich leicht übersetzen können.285 Diesen Vorbehalten gegen J.s Abhandlung entsprechen auf der anderen Seite J.s Vor279

Siehe JWA 5,1.212,23. Friedrich Schiller an Johann Friedrich Cotta, 20. Juli 1795, NA 28.13 f. 281 Friedrich Schiller an J., 28. oder 29. August 1795, NA 28.35,27 f.. 282 Friedrich Schiller an J., 5. Oktober 1795, NA 28.68,26–28. 283 J. an Johann Gottfried Herder, 7. Juli 1795, ABW II0.204 f., Zitat 205. 284 Friedrich Schiller an Johann Wolfgang Goethe, 20. Juli 1795, NA 28.11 f. 285 Johann Wolfgang Goethe an Friedrich Schiller, 7. September 1795, WA IV,10.298,16–22. 280

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behalte gegen die abglänzende Glätte Schillers, die J., wie er Wilhelm von Humboldt schreibt, in philosophischen Vorträgen nicht für dienlich hält.286 Wohl wegen dieser wechselseitig wenig befriedigenden Situation ist die am Ende des Zweiten Briefes der Zufälligen Ergießungen angekündigte Fortsetzung unterblieben, nicht so sehr wegen der Beendigung der Horen. Noch am 5. Oktober 1795 erinnert Schiller allerdings J. an die versprochene Fortsetzung: Er sehe den Veränderungen im Woldemar mit großem Verlangen entgegen, und mit nicht geringerem erwarte ich die Fortsetzung Ihres in den Horen angefangenen Aufsatzes.287 An Goethe schreibt Schiller jedoch am 29. November 1795: Von Jacobi habe ich eine Ewigkeit lang nichts gehört, da er mir doch, Höflichkeits halber über einige Gedichte die ich ihm geschickt, und auf Verlangen geschickt, etwas hätte sagen sollen.288 Damit bricht der Briefwechsel zwischen Schiller und J. ab, nur ein Jahr nach seinem späten Beginn, obwohl auch J. in diesen Jahren am Plan einer Fortsetzung festgehalten hat. Am 5. November 1798 berichtet er Jean Paul: Wird mir in diesem Winter etwas Gesundheit, so arbeite ich die Fortsetzung meiner zufälligen Ergießungen, und noch eine Schrift aus, die vorigen Winter in Hamburg beinahe fertig wurde.289 Es ist jedoch nicht gesichert, daß die hier erwähnte Fortsetzung inhaltlich mit dem Dritten Brief identisch sei, den J. – nach dem Zeugnis von h – abgesehen von den drei einleitenden Absätzen der Druckfassung bereits am 21. Februar 1793 geschrieben und erst fast zwei Jahrzehnte später unter dem fiktiven Datum den 31ten März 1793 in den ersten Band seiner Werkausgabe aufgenommen hat. Das frühe Abfassungsdatum von h belegt, daß Schlossers Kritik an Kant, insbesondere an dessen Ethik, früher eingesetzt hat als Schlossers Schriften gegen Kant erkennen lassen. Es belegt ebenso, daß J. sich sehr früh, wenn auch erfolglos, gegen Schlossers verkürzte Auffassung der Philosophie Kants gewandt hat. Im Blick auf die Kontroverse zwischen Schlosser und Kant ist allerdings zu berücksichtigen, daß sie durch Kants (wenn auch nicht unberechtigte) Kritik u. a. am »Mystizismus« von Schlossers Einleitung zu seiner Übersetzung der Briefe Platons290 provoziert worden ist: Von einem neuerdings erhobenen vorneh286

J. an Wilhelm von Humboldt, 14. April 1796, ABW II.219–222, Zitat 221. Vgl. J.s heftige Kritik an Schillers Don Carlos, jedoch auch seine Zustimmung zu Schillers Briefen über Don Carlos und zu Anmuth und Würde, im Brief an Wilhelm von Humboldt vom 2. Oktober 1796, ABW II.236–238. 287 Friedrich Schiller an J., 5. Oktober 1795, NA 28.68,23–25. 288 Friedrich Schiller an Johann Wolfgang Goethe, 29. November 1795, NA 28.114,17–19. 289 J. an Jean Paul, 5. November 1798, in Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, Abt. IV. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Christian Begemann, Markus Bernauer und Norbert Miller. Bd 3,1.182,19–23. 290 J[ohann] G[eorg] Schlosser: Plato’s Briefe, nebst einer historischen Einleitung und Anmerkungen. Königsberg 1795 (KJB 2760). Es handelt sich hierbei um die zweite Ausgabe; die erste ist in dem 1793 in Gießen erschienenen Philosophischen Journal veröffentlicht, das im Jahr seiner Erscheinung wieder eingestellt worden

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men Ton in der Philosophie.291 Auf diese Abhandlung hat Schlosser mit seinem Schreiben an einen jungen Mann, der die critische Philosophie studiren wollte292 repliziert, was Kant zu seiner Duplik Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie293 veranlaßt hat. Trotz der freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Verbindung mit Schlosser, der damals mit seiner Frau Johanna, einer Tante J.s, ebenfalls in Eutin gelebt hat, hat J. sich mehrfach gegen ihn erklärt. Am 22. Februar 1797, also nach der Lektüre von Schlossers Schreiben an einen jungen Mann, schreibt J. an Carl Leonhard Reinhold: Mein Mißfallen an Schlossers Ausfall auf die Kantische Philosophie wissen Sie. Ich habe es desto stärker empfunden, da es mir höchst unangenehm ist, bei Manchen, vielleicht bei Kant selbst, in den Verdacht zu gerathen, als könnte ich dergleichen billigen, oder hätte wohl gar die Hände mit im Spiel.294 Auch an Johann Gottfried Herder schreibt J. am 4. Oktober 1797: Sogar Schlosser verträgt mich, […] Ich habe ihm besonders hart widersprochen, erst schriftlich, hernach mündlich, fünf Wochen hinter einander von Morgen bis Abend, über fast alle seine Behauptungen in dem Briefe wider die Kantische Philosophie. Einige gute Wirkungen wirst Du in Schlosser’s zweitem Briefe finden; […].295 Es ist wahrscheinlich, daß auch der Auszug aus einem Briefe an einen Freund über Kants Sittengesetz, den J. seinem Sendschreiben Jacobi an Fichte als fünften ist. – Schlossers ausführliche, 56 Seiten umfassende Einleitung trägt den Titel Historische Einleitung zu Plato’s Briefen über die Syrakusanische Staatsrevolution. Auf sie folgt die eigentliche Übersetzung, unter dem Zwischentitel: Plato’s Briefe über die Syrakusanische Staatsrevolution. 291 Kant: Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie. In Berlinische Monatsschrift. 1796. St. 5: Mai, 387–426, AA VIII.389– 406. 292 Johann Georg Schlossers Schreiben an einen jungen Mann, der die kritische Philosophie studiren wollte. Lübeck / Leipzig 1797 (KJB 1105). – Die Vorrede zu dieser Schrift hat Schlosser bereits Eutin den 1sten August 1796. unterzeichnet; sie ist vor dem 7. Dezember 1796 erschienen; nur so ist zu verstehen, daß Kant unter der Jahreszahl 1796 auf eine Schrift repliziert, die auf das Jahr 1797 datiert ist. Außerdem ist Kants Antwort (siehe die folgende Fußnote) trotz der Jahreszahl 1796 erst im Juli 1797 erschienen. 293 Kant: Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie. In Berlinische Monatsschrift. 1796. St. 12: Dezember, 485–504, AA VIII.413–422. 294 J. an Carl Leonhard Reinhold, 22. Februar 1797, in Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kant’s, Fichte’s, Jacobi’s und andrer philosophirender Zeitgenossen an ihn, hrsg. von Ernst Reinhold. Jena 1825, 242. 295 J. an Johann Gottfried Herder, 4. Oktober 1797, ABW II.251–254, Zitat 254. – J. bezieht sich auf Johann Georg Schlossers Zweites Schreiben an einen jungen Mann, der die kritische Philosophie studieren wollte, veranlaßt durch den angehängten Aufsatz des Herrn Professor Kant über den Philosophen-Frieden. Lübeck / Leipzig 1798. – Kant hat hierauf nicht mehr geantwortet, und Schlossers Tod im Jahre 1799 hat die Kontroverse ohnehin beendet.

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Anhang beigegeben hat, in den Umkreis dieser, mit dem Dritten Brief der Zufälligen Ergießungen aus dem Jahre 1793 begonnenen und mit Schlossers Tod 1799 beendeten Auseinandersetzungen um Kants Ethik gehört.296

VORREDE ZU GEORG ARNOLD JACOBI: BRIEFE AUS DER SCHWEIZ UND ITALIEN 1. Überlieferung D Titelblatt: Briefe / Aus Der / Schweiz und Italien / Von / Georg Arnold Jacobi / In Das Väterliche Haus Nach Düsseldorf / Geschrieben. / Erster bzw. Zweiter Band / Lübeck und Leipzig / Bei Friedrich Bohn Und Compagnie. / 1796. [V]–VI: Vorrede. J.s Vorrede ist anonym. Der Text von D ist durchgängig in Antiqua gesetzt; da er keine Differenzierung von Fraktur und Antiqua aufweist, wird er hier durchgehend in der Grundschrift Bembo wiedergegeben.

2. Entstehungsgeschichte Dieses – nicht allein umfangsmäßig – kleinste »Werk« J.s verdankt sich ausschließlich seinem familiären Interesse – denn der Jüngling, von dem er spricht, ist sein zweitältester Sohn Georg Arnold, und die Briefe, die er an die zurückgelassenen Seinigen, also an J. und die anderen Familienangehörigen, geschrieben hat, berichten von der Reise, die er mit J.s Freund, Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, vom Sommer 1791 bis Ende 1792 unternommen hat.297 Lange haben J. und Stolberg vergebens darauf gewartet, ihre herzliche Brieffreundschaft durch eine persönliche Begegnung zu vertiefen. Doch erst am 11. Juli 1791 ist es zu einem Zusammentreffen gekommen: Stolberg und seine zweite Frau Sophie haben auf ihrer Reise nach Italien J. in Pempelfort besucht und sind bis Ende Juli dort zu Gast geblieben. Zur Reisegesellschaft gehörten auch der damals acht Jahre alte Ernst, ein Sohn Stolbergs aus erster Ehe, und Georg Heinrich Ludwig Nicolovius aus Königsberg, ein Bekannter Hamanns, etwa gleichaltrig mit dessen Sohn Johann Michael, der am 30. Januar 1789, ein halbes Jahr nach dem Tode seines Vaters, Nicolovius an J. empfohlen hat – als ein Pendant zum sel. Witzenmann.298 Durch J.s Vermittlung299 hat Nicolo296 Jacobi an Fichte. Hamburg 1799. Anhang. 104–106: 5. Auszug aus einem Briefe an einen Freund über Kants Sittengesetz; JWA 2,1.257 f. 297 Zur Vorgeschichte der persönlichen Begegnung siehe die Anm. zu 251,37. 298 Johann Michael Hamann an J., 30. Januar 1789, JBW I,8. – J. hat Nicolovius mehrfach als seinen Sohn bezeichnet; kurz nach der Rückkehr von der Italienreise

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vius die Aufgaben eines Hofmeisters bei Stolberg übernommen. Als die Gesellschaft am 30. Juli von Pempelfort wieder aufgebrochen ist, hat sie – anscheinend in einem überraschenden Entschluß – auch den zweitältesten Sohn J.s, Georg Arnold, mitgenommen. Von den Stationen dieser Reise – aus Konstanz, aus der Schweiz und aus Italien – hat er vom August 1791 bis zum Juli 1792 eine nicht mehr genau bestimmbare Vielzahl von Briefen in das väterliche Haus nach Düsseldorf geschrieben. Die Briefe vom ersten Teil der Reise bis an die Südspitze Italiens, d. h. bis zum 13. Brief, der Reggio di Calabria, vom 27. Mai 1792, datiert ist, sind sehr wahrscheinlich an den jeweils vermerkten Absendeorten oder kurz zuvor entstanden; die dann folgenden Briefe mit der Beschreibung Siziliens und der Rückreise bis Neapel sind erst später geschrieben worden, zum großen Teil in Sorrent, zum Teil aber wohl erst nach der Rückkehr nach Pempelfort am 1. Januar 1793. Im Brief vom 31. Oktober 1792 an Georg Arnold, als dieser auf der Rückreise bereits in Wien ankommen sollte, schreibt J. geradezu, die Schilderung des Ätna dürfe Georg Arnold nicht schuldig bleiben, solltest du den Brief auch hier aus deinem Zimmer schreiben.300 Die auf diesen letzteren, nach dem Mai 1792 geschriebenen Briefen vermerkten Daten bezeichnen also den Zeitpunkt des Aufenthalts am jeweiligen Ort, nicht das Datum ihrer Niederschrift. Georg Arnolds Briefe sind ihrem überwiegenden Charakter nach als literarische Briefe einzuschätzen, als ursprünglich bestimmt für eine spätere Veröffentlichung; sie sind von ihm jedoch auch als Briefe nach Düsseldorf versandt worden, wie man teils aus J.s Antworten, teils aus seiner Weiterleitung dieser Briefe an andere Interessierte ersehen kann. Sie geben ein sehr anschauliches und literarisch ansprechendes Bild von dieser Reise, das den Vergleich mit dem – von J. erwähnten – berühmteren, aber sehr viel knapper berichtenden Reisetagebuch Graf Stolbergs301 keineswegs zu scheuen braucht. Ihm hat Georg Arnold seine Briefe gewidmet: Dem Edleren unter den Edlen, dem Freunde der Weisheit und Tugend, dem Lieblinge jeder Muse, Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg gewidmet von dem Verfasser. Über die Ausarbeitung der Briefe für den Druck haben sich in J.s Briefwechsel keine Nachrichten erhalten. Es ist anzunehmen, daß Georg Arnold mit seiner Bearbeitung bald nach seiner Rückkehr nach Pempelfort begonnen haben wird; abgeschlossen hat er sie fraglos erst nach dem Erscheinen von Stolbergs Reisetagehat Nicolovius Luise, die Tochter Schlossers aus dessen erster Ehe mit Goethes Schwester Cornelia, kennengelernt und 1795 geheiratet. Nach einem Jahrzehnt der Tätigkeit in Holstein, in unmittelbarer Nähe J.s, ist er etwa gleichzeitig mit dessen Weggang nach München in preußische Dienste getreten und hat dort eine langjährige und fruchtbare Wirksamkeit, zuletzt in der Schulverwaltung, ausgeübt. 299 Siehe insbesondere J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 14. Dezember 1789; Friedrich Leopold Graf zu Stolberg an J., 8. Februar 1790 und 17. Juli 1790; J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 12. November 1790, alle in JBW I,8. 300 J. an Georg Arnold Jacobi, 31. Oktober 1792, JBW I,9. 301 Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien. In vier Bänden, nebst einem Band Kupfer. Von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. Königsberg / Leipzig 1794.

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buch im Jahre 1794. Auch über den Vorgang der Drucklegung liegen – zumindest zur Zeit – keine Nachrichten vor. J.s kleine Vorrede ist sicherlich – wie damals üblich – erst nach Beendigung der Satzarbeiten am Haupttext geschrieben und in Satz gegeben worden, also frühestens im Spätjahr 1795, wahrscheinlicher erst 1796. AN SCHLOSSER ÜBER DESSEN FORTSETZUNG DES PLATONISCHEN GASTMALES 1. Überlieferung D1 Titelblatt: Orpheus, / eine / Zeitschrift in zwanglosen Heften, / herausgegeben / von Dr. Carl Weichselbaumer. / I. Heft. / Nürnberg, / bei Riegel und Wießner. / 1824. [103]–114: IV. / Jacobi an Schlosser / über dessen Fortsetzung / des Gastmahls von Platon. Abweichend von den anderen Texten bildet in diesem Fall nicht D1, sondern D2 die Vorlage für die vorliegende Edition, da nur D2 die vollständige Fassung enthält, die eigentlicher auf Schlossers Fortsezung eingeht.302 Der Text ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wendungen in Antiqua. Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt.

D2 Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Sechster und letzter Band. / Leipzig, bei Gerhard Fleischer. / 1825. [63]–94: An / Schlosser / über / dessen Fortsetzung des Platonischen / Gastmales. Der Text ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wendungen in Antiqua. Hervorhebungen sind in beiden Schriftarten durch Sperrung ausgeführt. In seinem Vorbericht zu W VI geht Friedrich Roth kurz auf die Publikationsgeschichte ein: Das S c h r e i b e n a n S c h l o s s e r ü b e r s e i n e F o r t s e tz u n g d e s p l a t o n i s c h e n G a s t m a l e s hatte er [sc. J.] zum Drucke zwar bestimmt, aber, weil es unvollendet war, nicht darein gegeben. Aus der Sammlung seiner | Werke hat man es aber um so weniger geglaubt ausschließen zu dürfen, als es durch den Besitzer einer Abschrift bereits in das Publicum gekommen war. Die Bruchstücke zur Fortsetzung würden reichlicher seyn, wenn nicht Jacobi einem guten Theile derselben eine andere Stelle (in der Beilage C des Buches von den göttlichen Dingen) angewiesen hätte.303 302

Siehe JWA 5,1.236,12. Siehe WW VI. IIIf. – Carl Weichselbaumer ist wahrscheinlich ein Verwandter von Matthias Weichselbaumer, dem mit J. bekannten Leiter einer Schule in Mün303

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2. Entstehungsgeschichte Johann Georg Schlosser ist – neben seiner Verwaltungstätigkeit in Baden und seiner Beteiligung an den geistigen Auseinandersetzungen der 1780er und 1790er Jahre – auch als Übersetzer und Interpret antiker philosophischer Texte, insbesondere Platons, hervorgetreten. 1787 veröffentlicht er bereits eine Schrift über den Euthyphron,304 und 1794 läßt er ihr eine Schrift über Das Gastmahl folgen.305 Hierbei hat J. ihm Hilfestellung geleistet; am 8. April 1794 schreibt er an Johann Friedrich Kleuker: Ich lasse jetzt hier noch geschwinde ein kleines Werk von Schlosser auf die Messe drucken, ein Gespräch, das Gastmahl betitelt, welches viele gute Stellen hat, aber auch voll Unsauberheiten ist, wie alle Schlosserischen Schriften. – Ich erhalte eben zugleich ein neues Manuscript und einen Correcturbogen. Es geht mir wider den Kragen, daß ich diesen Titel: das G a s t m a l drucken lassen muß.306 Weitere Äußerungen J.s zu dieser Schrift sind nicht überliefert. Als Schlosser jedoch zwei Jahre später eine Fortsetzung zu ihr veröffentlicht,307 bezieht J. – der seine Kritik am Freund und Bruder Schlosser öffentlich nie scharf ausgesprochen hat – in ungewöhnlich deutlicher Form Stellung, ähnlich wie im Dritten Brief der Zufälligen Ergießungen. Doch während er diesen Brief ein gutes Jahrzehnt nach dem Tode Schlossers in seine Werkausgabe aufnimmt, unterläßt er dies beim Brief an Schlosser. Seine scharfe Kritik an Schlosser wird erst nach seinem eigenen Tode – unauthorisiert von Carl Weichselbaumer und mit etwas besserem Recht durch Friedrich Roth – veröffentlicht, und zwar, wenn man der hier voranstehenden Notiz Roths folgt, entgegen dem Willen J.s. Es muß jedoch offenbleiben, ob er den Brief an Schlosser nur deshalb nicht in seine Werke aufgenommen hat, weil er eine geplante Erweiterung nicht vollendet hat, oder ob andere Gründe letztlich den Ausschlag gegeben haben. Daß J., wie Roth mitteilt, Partien der geplanten Fortsetzung in Beilage C des Buches von den

chen; siehe von diesem: Ueber die Fortschritte der männlichen Feyertagsschule. München 1807 (KJB 1267). Carl Weichselbaumer hat von 1809 bis 1813 in Landshut studiert und ist 1815 städtischer Angestellter in München geworden; 1825 hat Ludwig I. ihn ins Kabinett berufen. 304 Johann Georg Schlosser: Euthyphron II. Ueber die Gottseeligkeit: Nebst einer Uebersetzung des Euthyphron aus dem Plato. Basel 1787. 305 [Johann Georg] Schlosser: Das Gastmahl. Königsberg 1794 (KJB 1103). – Die Widmung an Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, nunmehr Schwiegersohn Schlossers, ist unterzeichnet Carlsruh den 30. März 1794. – Die Personen dieses Gastmahls tragen zwar griechische Namen, sind jedoch zum Teil katholische bzw. protestantische Pfarrer; der Schauplatz ist die moderne mitteleuropäische Welt. Die Unterhaltung während des Gastmahls dreht sich insbesondere um den Beruf des weiblichen Geschlechts. 306 J. an Johann Friedrich Kleuker, 8. April 1794, JBW I,9. 307 Johann Georg Schlosser: Fortsetzung des Platonischen Gesprächs von der Liebe. Hannover 1796. – Diese Fortsetzung hat Schlosser Friedrich Leopold Graf zu Stolberg gewidmet.

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göttlichen Dingen308 aufgenommen hat, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß J. bei dessen Publikation im Jahre 1811 nicht mehr beabsichtigt hat, den ursprünglichen Brief vom 25.–28. April 1796 durch eine Weiterführung zu einem »Werk« auszubauen. Peter-Paul Schneider hat darauf hingeweisen, daß J. sich zum Brief an Schlosser eine (nicht mehr erhaltene) Werkkladde angelegt und aus ihr einen Auszug in Kladde X (aus den Jahren 1804–1807) übernommen habe, der bis in die gleichen Formulierungen hinein dem Text in den »Werken« entspreche.309 Demnach ist anzunehmen, daß die Werkkladde nicht für den ursprünglichen Brief an Schlosser, sondern allein für dessen Weiterführung gedacht gewesen sei. Die fraglos vorhandenen Vorarbeiten zum Brief vom 25.–28. April 1796 wird J. wahrscheinlich, wie bei den Briefen üblich, nach der Reinschrift vernichtet haben. FRIEDRICH HEINRICH JACOBI, UEBER DREI VON IHM BEI GELEGENHEIT DES STOLBERGISCHEN ÜBERTRITTS ZUR RÖMISCH-KATHOLISCHEN KIRCHE GESCHRIEBENEN BRIEFE, UND DIE UNVERANTWORTLICHE GEMEINMACHUNG DERSELBEN IN DEN NEUEN THEOLOGISCHEN ANNALEN 1. Überlieferung D Titelblatt: Der Neue / Teutsche Merkur / vom Jahre 1802 / herausgegeben / von C. M. Wieland. / Zweiter Band. / Weimar 1802. / Gedruckt und verlegt bey den Gebrüdern Gädicke. Der Neue / Teutsche Merkur. / 11. Stück. November 1802. [161]–171: Friedrich Heinrich Jacobi, / über drei von ihm bei Gelegenheit des Stolber/gischen Uebertritts zur Römisch-Katholischen / Kirche geschriebenen Briefe, und die unverant/wortliche Gemeinmachung derselben in / den Neuen Theologischen / Annalen. Der Text ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wendungen in Antiqua. Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt. Eine Abschrift dieser Erklärung J.s durch seine Schwester Helene ist veröffentlicht in Aus F. H. Jacobi’s Nachlaß. Ungedruckte Briefe von und an Jacobi und Andere. Nebst ungedruckten Gedichten von Goethe und Lenz. Hrsg. von Rudolf Zoeppritz. Bd 2. Leipzig 1869, 250–257.

308 Jacobi: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung. Leipzig 1811, 212–221, insbesondere 216–221; JWA 3.131–136, insbesondere 133– 136. 309 Schneider: Denkbücher Jacobis, 70 f.

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2. Entstehungsgeschichte Im engen Sinne umfaßt die Entstehungsgeschichte dieser Abhandlung die Monate Juni bis Oktober 1802, also die Zeit zwischen der Veröffentlichung der Briefe J.s an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg und seine Frau Sophia sowie an Friedrich Levin Graf Holmer und der Absendung seiner Erklärung an den Neuen Teutschen Merkur. Sie läßt sich jedoch nicht verstehen ohne ihre – auch hinter die Niederschrift der veröffentlichten Briefe weit zurückreichende – Vorgeschichte. Die überschwengliche Herzlichkeit der Freundschaft zwischen J. und Friedrich Leopold Graf zu Stolberg,310 dem herrlichen Stolberg, wie J. ihn mehrfach bezeichnet, hat überdeckt, daß sie von Beginn an von Meinungsverschiedenheiten begleitet gewesen ist.311 Sie nehmen aber erst eine Zeit nach Stolbergs Rückkehr aus Italien, seit dem Beginn des Jahres 1794, eine ernstere Form an – ausgelöst durch Stolbergs Roman Numa, aber auch durch J.s neue Fassung des Woldemar. Am 29. Januar 1794 schreibt J. an Stolberg über dessen Numa: Du behauptest, die Religion der Christen allein halte der Tugend große und edle Beweggründe vor; da hingegen die Philosophen der Alten keine andern Beweggründe, gut und tugendhaft zu seyn, gehabt hätten, als solche, die auf selbstische und ird ische Vortheile dieses kurzen Lebens gegründet waren: ihr kalon kagavon, ihr honestum per se, wären nur schöne Worte ohne Begriff. / Bruder, wie konntest Du das schreiben? / Ich verweise Dich auf Fenelon; auf seine herrliche Abhandlung von der reinen Liebe. Der göttliche Mann, den die christliche Welt als einen Schwärmer ausstieß, nahm seine Zuflucht zu den Heiden, unter denen, in Lehre und L e b e n , der Geist seines Christenthums sich als Wahrheit bewiesen hatte. / Ob ich in Hinsicht eines Wohlseyns von zehn, zwanzig, dreißig – oder von Millionen Jahren eine Handlung verrichte, ist ganz dasselbe, und macht nicht den mindesten Unterschied in Absicht ihres innerlichen Werths. In der christlichen Kirche – der sichtbaren – ist vor lauter Himmel und Hölle allmählich keine Tugend mehr zur Anmeldung gekommen, und was ihr Wesen ausmacht, nur als ein Hirngespinst, als eine Thorheit im Andenken geblieben. / Angenehm, tröstlich ist der 310

Siehe etwa oben, 524 f. Schon anläßlich des ersten Briefes Stolbergs, vom 28. April 1788, ärgert J. sich über dessen Einschätzung einer Publikation im Streit um den Kryptokatholizismus (siehe oben, 479 f.), und auf eine wenig spätere, nur noch zu erschließende Mitteilung von Amalia Fürstin Gallitzin antwortet J. ihr am 4. Juli 1788 (JBW I,8): Ueber Stolbergs Insel denke ich gerade wie Sie, u habe mich gar nicht durcharbeiten können. Am 16. März 1790, JBW I,8, fragt Stolberg bei J. an: Was sagen Sie zu Göthens Tasso. Mir mißfällt er tout uniment. Warum giebt er dem kleinlichstolzen, großmüthelnden Antonio diese Superiorität über den Zögling der Muse und der Grazie? / Einzelne Züge sind vortrefflich. Siehe dagegen J.s begeisterte Aufnahme des Tasso in den einleitenden Partien zur Fassung des Woldemar von 1794, JWA 7.207,14–20. 311

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Glaube an ein Leben nach dem T o d e ; aber für die Tugend, die allein dieser Glaube hervorbringt, gebe ich keinen Pfennig. Verzeihe, Lieber, daß ich ein M y s t i k e r bin, […] und nach mehreren Beispielen für die heilsame Kraft solcher Mystik schließt J.: Dieß zusammen sollte mir nur dienen zu dem Bekenntnisse überzugehen: daß ich alle Theologien nach ihrem mystischen Theile für gleich wahr, nach ihrem nicht mystischen für gleich irrig, wenn auch nicht, in anderer Rücksicht, für gleich abgeschmackt und verderblich halte. Die verschiedenen Glaubenslehren verhalten sich nach meiner Einsicht zur Gottesfurcht und Tugend, wie sich die verschiedenen Staatsverfassungen zum Princip der Geselligkeit verhalten, dessen Daseyn und Nichtdaseyn sie zugleich voraussetzen, und in diesem Widerspruch ihr Wesen haben.312 Stolberg hätte auf diese Kritik am 19. Februar 1794 nicht so ausführlich und eindringlich geantwortet, wenn er in der von J. angeschnittenen Frage nicht ebenfalls einen tiefen Dissens gesehen hätte. Er beginnt zwar zuversichtlich: Ueber Deine Kritik einiger Stellen im Briefe des Onkels, gegen den übertriebenen Enthusiasmus für die Alten, würden wir uns leicht verständigen, liebster Bruder, wenn jeder im freien Gespräch seine Meinung ganz vortrüge. Dann aber bekräftigt er, nach allgemeinen Ausführungen zum Verhältnis von Tugend und Unsterblichkeit, den von J. kritisierten Standpunkt: Liebster Bruder, i c h f r e u e m i c h j e d e r e d l e n V o r s t e l l u n g , w e l c h e a u f menschliche Würde und auf Gottheit deutet, wo ich sie in d e n G r i e c h e n u n d R öm e r n f i n d e . Meiner Meinung nach trifft das Sprüchwort wörtlich bei ihnen ein, sie hatten aus der Noth Tugend gemacht, bürgerliche Tugend, deren sie bedurften, weil der gesittete Mensch ohne sie nicht bestehen kann. Mehrentheils war ihr kalon kai agavon, ihr honestum, dieser bürgerlichen Tugend Blüthe. Schön war’s, dulce et decorum pro patria mori! Aber der schönste Kranz war Schatten der Unsterblichkeit des Namens. Und wie nichtig diese Tugend war, scheint daraus zu erhellen, daß sie bei den Griechen durch den wahrhaftig göttlichen Sokrates nicht zunahm. Für diese Einschätzung führt Stolberg mehrere Beispiele an und beteuert auch seine Liebe zur Mystik des Platon: Neulich hab’ ich auf Geheiß einer christlichen D i o t i m a das Gastmal übersetzt, […] und hier den Phädros gelesen. Diese beiden Gespräche, die Apologie, der 2te Alkibiades, Kriton und einzelne Stellen aus der Republik und aus den Gesetzen scheinen mir das non plus ultra menschlicher, von Offenbarung nicht erleuchteter Weisheit zu seyn. Sagst Du, daß Gott im Verborgenen die Seele des Sokrates erzogen, sie hohen Ahndungen geöffnet habe u. s. w. Gut, lieber Bruder, ich glaub es gern. Gern nehm ich mit Dir die Hamannsche Anwendung des Paulinischen Wortes an: Ist Gott nicht auch der Heiden Gott? Ja freilich auch der Heiden Gott! – Aber immer bleibt die Art der Offenbarung, die ihnen ward, nicht nur dem M a ß e und dem G r a d e nach, sondern der N a t u r und der G n a d e nach unterschieden von der biblischen wie – der Himmel über der Erde ist. / »Denn bei Dir ist 312

J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, 4. Januar 1794, JBW I,9.

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die lebendige Quelle, und in Deinem Licht sehen wir das Licht!« ruft der geweihte königliche Dichter aus. Unter tausend Stellen fällt mir die Eine ein. Wo ist etwas ähnliches in allen Schriften der Griechen oder Römer? / Tu fecisti nos ad Te, et cor nostrum inquietum est donec requiescat in Te! ruft der heilige Augustin aus. Diese Ruhe konnten die Heiden nicht finden, noch ahnden. D i e h e i l i g e n S c h r i f t e n a l l e i n e r r e g e n e i n e n D u r s t n a c h d e r Q u e l l e , d i e s i e a n z e i g e n , und diesen Durst löscht Gott allein. Lieber Bruder, Du bedarfst nicht gegen mich der Mystik das Wort zu reden. Höher als alle andere menschliche Weisheit ist die Platonische Mystik, aber wie hohl ist sie gegen die christliche Mystik, welche auf dem historischen Grunde einen heiligen Tempel baut! Erst durch diesen Bau wird der historische Grund – fest wie er an sich ist – unerschütterlich. Der historische Glaube könnte ohne Mysticismus nicht erfordert werden. Er wird von Gott gefordert, weil Gott dem Suchenden Hülfe verheißt. Wenn Christen und Lehrer der Christen den Mysticismus nicht annehmen, so ist es nicht der Bibel Schuld. Gott verheißt an zahllosen Stellen von dem, der ihn aufrichtig suchet, sich finden zu lassen, ihn mit Seinem Geiste zu beleben, bei ihm zu wohnen. Daß wir ohne Seinen unmittelbaren Beistand nichts zum Wachsthum im Guten vermögen, daß das Wollen wie das Vollbringen von Ihm komme, ist Hauptlehre des Christenthums; ja ich meine, diese Lehre sey ihm so ausschließend eigenthümlich, wie die Idee allgemeiner Liebe und der Demuth. – Jener Mysticismus allein kann uns unumstößliche Ueberzeugung geben. […] Die erhabenste Mystik der sokratischen Philosophie ist nur spekulativisch; die christliche verheißt Kraft zu jedem guten Entschluß und zur Ausführung. Man räume jener noch so viel ein, man glaube, daß Gott selbst sich auf eine uns unbekannte Art dem Confucius oder dem Sokrates geoffenbart habe; so konnten sie doch diese Offenbarung nicht mittheilen. / Ich verstehe Dich nicht, liebster Bruder, wenn Du sagst: »daß Du alle Theologien und Offenbarungsgeschichten als aus Einer Quelle entsprungen, ihrem innern Gehalt und mystischen Theile nach für gleich wahr; in allem ihren äußern Wesen aber für gleich fabelhaft und irrig – wenn auch nicht in anderen Rücksichten für gleich abgeschmackt und verderblich haltest.« / […] Ich sagte vorher: die Auferstehung unseres Herrn (o laß mich Ihn u n s e r n Herrn nennen, lieber Bruder! nicht wahr, ich darf?) habe der ganzen Offenbarung ihr Siegel aufgedrückt. Mit Recht würde man nach 18 Jahrhunderten die Gültigkeit unserer magna charta anfechten, wenn nicht jenes fortdauernde Wunder der W i e d e r g e b u r t d u r c h h öh e r e K r a f t jedem inbesondere seinen Bund mit Gott, seine Ansprüche bestätigte. […] Du siehst, liebster Bruder, daß ich, wiewohl Du Sauerteig des Materialismus an mir wahrzunehmen glaubst, ein Erzmystiker bin. Unsre ganze Religion ist Mystik. Nimm ihr diese, sie zerfällt. Daher sie denn auch subjective bei allen den saubern Lehrern schon längst zerfallen ist, welche sie auf christliche Moral einschränken wollen, deren Beobachtung doch nur auf den Weg der Vereinigung mit Gott führen soll, in welcher sich die Tugend von selber findet. / Nach dem Gesagten kannst Du Dir leicht vorstellen, was ich in Dei-

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nem an herrlichen Stellen so reichen Woldemar vermisse; warmen, belebenden Hauch des Christenthums. Warum beschränkt sich die Gesellschaft der geistreichen, liebevollen und trefflichen Menschen, welche so tief denken, so rein, erhaben und fein empfinden, auf aristotelische Philosophie? Lieber Bruder, wenn ich mich an Woldemars Stelle denke, und meine Freunde hätten mich wieder zur reinen Harmonie durch jene schönen Stellen aus dem Aristoteles stimmen wollen, ich würde auf sie die Worte des Horaz angewendet haben: / Hiscene versiculis speras tibi posse dolores / Atque aestus, curasque graves de pectore pelli? / Die wundert h ät i g e Religion vermag auch auf Leidenschaften zu wirken, sey es, sie zu veredeln, sey es, sie zu vertilgen; aber die Vernunft, dazu die Vernunft im Munde anderer, / What can she more than tell us, we are fools? / […] Folgendes ohngefähr schrieb ich neulich an die liebe Gallizin: Möchte doch einer, mit der dreifachen Weihe des Philosophen, Dichters und Christen begabt, in einem Roman die Wahrheit des Augustinischen Tu fecisti nos ad Te, et cor nostrum inquietum est, donec requiescat in Te! lebendig darzustellen, den Beruf und die Kraft empfangen!313 Es ist nicht zufällig, daß Stolberg in der Mitte und am Ende seines Schreibens auf Amalia Fürstin Gallitzin, die christliche Diotima, verweist, deren Frömmigkeit auf Stolberg seit seiner Rückkehr aus Rom einen prägenden Eindruck gemacht hat.314 An Herder schreibt J. am 4. Oktober 1797: Ich habe die Fürstin immer sehr lieb gehabt, aber ich war ihr beinahe feind geworden wegen des Samens, den sie vor vier Jahren in Holstein ausgestreut hatte und den ich bei meiner Ankunft das Jahr darauf in voller Blüthe stehen fand. Manches hat sich seitdem gegeben und im Ganzen ist es leidlicher geworden. Gleichwohl berichtet J. vor diesem Zitat, die Fürstin habe ihn über 313

Friedrich Leopold zu Stolberg an J., 19. Februar 1794, JBW I,9. – Siehe auch Sophia Gräfin Stolberg an J., 11. Februar 1794, in Zoeppritz. I.174: Sie äußert sich zunächst sehr lobend über J.s Woldemar, kommt dann aber auf den Punkt des Dissenses zu sprechen: Aber darf ich Ihnen Eins sagen, das mir auf dem Herzen blieb, daß [!] mich ängstete, als ich das Buch gelesen, als ich es nun zumachte und mich davon trennte, wie man von einem Freund scheidet. Sie zeigen uns unsere Gebrechen, aber werden wir in den wunderschönen Stellen, die Sie aus Aristoteles und Plutarch anführen, Genesung finden! – Es fiel mir ein, was Christus der Samaritinn sagte: Wer dieses Wasser trinkt, den wird wieder dürsten – und was darauf folget. Wie kam es, daß Jacobi für seine Leser nicht auch aus dieser Quelle lebendigen Wassers schöpfte, wie er es gewiß für sich thut! sagte ich mir – wenn bedurften wir mehr als jezt göttlichen Trostes, um nicht zu versinken in Unglauben an Menschen und Gott! – so dachte ich, und es war mir unmöglich es auf dem Herzen zu behalten. 314 Johann Gottfried Herder weist in seinem Brief vom 29. September 1800 an Friederike Luise Gräfin zu Stolberg-Stolberg, die Gattin Christian Stolbergs, den Eindrücken, die Friedrich Leopold in Rom empfangen hat, eine wichtige, jedoch nicht die einzige Rolle für seine Konversion zu; siehe Johann Gottfried Herder: Briefe. Achter Band. Januar 1799–November 1803. Bearbeitet von Wilhelm Dobbek† und Günter Arnold. Weimar 1984, 167,18–24.

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Herders Christliche Schriften ernstlich zur Rede gestellt: Sie und einige andere begreifen nicht, was hindert, daß ich mich taufen lasse. Ich hinwieder begreife nicht ihre Liebhaberei am Untertauchen, wo sie | nicht mehr, weder den Himmel selbst, noch seine Abspiegelung erblicken können. Niemand hat einen Gott, sagte ich zur Fürstin, und kann einen haben, als der ihn in sich selbst geboren hat, in dessen Brust Gott erst Mensch wurde. Das schrieb sie in ihr Taschenbuch, gewiß um in Ueberlegung zu nehmen, wie sich dieser Satz, den ich antikatholisch gestellt hatte, auch katholisch stellen ließe.315 Von Fürstin Gallitzin ist auch in dem Brief die Rede, den Stolberg am 20. Mai 1800, bereits aus Münster, schreibt: Die Gallitzin hat seit 3 Jahren sehr gealtert und an Gesundheit abgenommen, an geist und Herz, wie natürlich, zugenommen. Sie läßt Dir sehr viel Liebes und Schönes sagen.316 Doch der nächste Brief, den J. von seinen Freunden erhält, bringt ihm die Nachricht von der Konversion Stolbergs und seiner Ehefrau Sophia in Münster. Von dieser Konversion hat J. anscheinend erst Anfang August 1800 durch Sophia Gräfin zu Stolberg erfahren.317 In dem unaussprechlichen Schmerz, den diese Nachricht ihm zugefügt hat, hat er die drei Briefe geschrieben, die später – entgegen seinem Willen – veröffentlicht worden sind: an Sophia Gräfin zu Stolberg, an den Grafen Holmer und an Stolberg selber.318 Ganz unerwartet, wie ein Schlag aus blauem Himmel, schreibt J., sei die Nachricht von Stolbergs Konversion über ihn gekommen319 – auch wenn J.s Brief an den Grafen Holmer zu entnehmen ist, daß es im persönlichen Umgang bereits deutliche Anzeichen für eine zunehmende Entfernung Stolbergs von der protestantischen und eine Annäherung an die katholische Konfession gegeben habe. Um die Tiefe seines Schmerzes zu ermessen, ist sicherlich – neben der überschwenglichen Freundschaft mit Stolberg – auch zu berücksichtigen, daß J. sich im Streit mit den Berliner Aufklä315

J. an Johann Gottfried Herder, 4. Oktober 1797, ABW II.251–254, Zitat

252 f. 316

Friedrich Leopold Graf zu Stolberg an J., 20. Mai 1800, ABW II.292. Siehe die Anm. zu 250,13. 318 Siehe die Anmm. zu 250,19, 250,19–20 und 252,29–31. – Diese Briefe sind noch im Jahr 1802 ein weiteres Mal veröffentlicht worden: Briefe über die ReligionsVeränderung des Grafen F. L. zu Stollberg. In Brennus. Eine Zeitschrift für das nördliche Deutschland. Berlin. August 1802, 111–123; später sind sie mehrfach nachgedruckt, jedoch nicht in J.s Auserlesenen Briefwechsel aufgenommen worden. Im Vorbericht zum zweiten Band, ABW II. VIIf., begründet Friedrich Roth als Herausgeber diese Entscheidung: Die Briefe über des Grafen von Stolberg Uebertritt hier wieder abdrucken zu lassen, hat Jacobi selbst untersagt, ob ihm gleich bemerkt worden war, daß damit auch seine Erklärung (im deutschen Merkur 1802) über die erste Bekanntmachung jener Briefe, eine der schönsten von seinen kleinen Schriften, aus dieser Sammlung ausgeschlossen würde. Er konnte es aber nicht vertragen, daß von ihm oder in seinem Namen eine Bekanntmachung wiederholt werden sollte, die ganz wider seinen Willen und zu seiner | höchsten Mißbilligung geschehen war. 319 Siehe oben, JWA 5,1.250,12 f. 317

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rern lange Jahre gegen den Vorwurf zur Wehr setzen mußte, er begünstige den Kryptokatholizismus und ignoriere die Tendenz zu Konversionen.320 Entscheidend aber ist fraglos seine Abneigung gegen die Erscheinungsformen der »sichtbaren Kirche« – schon der protestantischen und mehr noch der katholischen, die er (im Brief an den Grafen Holmer) als einen papistischen Bilder- und Zeremonien Dienst und etwa gleichzeitig in anderem Zusammenhang als religiösen Materialismus321 charakterisiert. Nicht befriedigend zu klären ist die Frage, wie J. mit seinen drei Briefen verfahren ist. Gegenüber dem Grafen Holmer erklärt er, er wolle nicht, daß irgend jemand ihn für tolerant in Absicht eines solchen Fanatismus, einer solchen, eben so unchristlichen, als inhumanen Verwirrung des Geistes und Herzens halten könnte. Eine solche Toleranz wäre Gleichgültigkeit gegen Vernunft und wahre Religion, das Schlimmste nach meinem Urtheil, was ein Mensch haben und beweisen kann. Ich werde mich also gegen jedermann über die uns alle erschütternde und beugende Begebenheit, sobald sie öffentlich wird, so bestimmt und nachdrücklich erklären, als ich es in dem Briefe an die Gräfin Sophia gethan habe, und es in dem gegenwärtigen an Ew. Excellenz thue. Ich werde mich durch unausbleibliche Anlässe wohl genöthigt finden, noch weiter zu gehen. Hier deutet J. die Absicht an, seine Einschätzung der Konversion Stolbergs auch öffentlich zu machen, um nicht in den falschen Verdacht zu geraten, als billige er sie. Dies mag aber eine Aufwallung der ersten Tage gewesen sein, denn andererseits versichert J., er habe seine Briefe nur Einem Manne geschickt, vor dem ich kein Geheimniß habe, der selbst ein Freund Stolbergs ist, und mit der lebhaftesten Theilnahme mir über diese Begebenheit geschrieben hatte und der diese Briefe unbedacht weitergereicht habe.322 Stolbergs Bruder Christian schreibt hingegen an J., er könne ein Dutzend Personen nennen, die die Briefe durch J. gelesen oder angehört haben.323 Gesichert ist lediglich – durch das Zeugnis Jean Pauls –, daß der Kapellmeister Johann Friedrich Reichardt J.s Briefe in Halle und Berlin herumgereicht habe.324 Ebensowenig ist bekannt, wie und in welcher Fassung sie den Weg zum Herausgeber der Neuen Theologischen Annalen, Johann Friedrich Ludwig Wachler, gefunden haben.

320 Daß dieses Motiv eine Rolle gespielt hat, läßt sich dem Brief Helene Jacobis an Ernestine Voß vom 27. November 1802 entnehmen: Man hatte Jacobi unaufhörlich vorgeworfen, daß er sich mit dem schon längst innerlich Catholischen Stolbeg bisher | so gut vertragen habe […]. 321 Siehe die kurz zuvor entstandene Rezension zu Matthias Claudius’ Werken, eingegangen in J.: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, 63, 67; JWA 3.46, 48. – Daß Stolberg sich im oben zitierten Brief dagegen verwahrt, daß J. bei ihm den Sauerteig des Materialismus finde, deutet darauf, daß das Problem des religiösen Materialismus eine Rolle in ihren Gesprächen gespielt habe. 322 Siehe JWA 5,1.249,24–26. Wer dieser Mann ist, ist nicht bekannt; siehe die Anm. zu 249,24–27. 323 Siehe die Anm. zu 249,17–19. 324 Jean Paul an J., 13.–16. August 1802; siehe die Anm. zu 249,29.

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Unbekannt ist ferner, ob J. von der Veröffentlichung seiner Briefe in den Neuen Theologischen Annalen, genauer: in der zu ihnen gehörigen Reihe Theologische Nachrichten, vom 24. Mai 1802,325 zuvor erfahren habe oder durch sie überrascht worden sei. Bekannt sind jedoch einige Züge der unmittelbaren Vorgeschichte von J.s Stellungnahme im Neuen Teutschen Merkur. Am 25. Juli 1802 sendet ihm der Bruder Stolbergs, Graf Christian Stolberg, wegen der nicht-authorisierten Veröffentlichung der Briefe eine gegen J. gerichtete Erklärung vorweg zu; in seinem Begleitbrief hierzu heißt es, daß eine Erklärung von Dir in Hinsicht des Dir unbewußt geschehenen Druckes jener Briefe ebenso überflüssig als unbefriedigend für mich sein würde.326 Zu dieser Zeit ist J.s Erklärung schon weitgehend ausgearbeitet; er antwortet Christian Stolberg am 30. Juli 1802: Vorgestern am Abend habe ich Dein Paket erhalten, und | gestern Vormittag gleich, was von meiner Erklärung über die in den theologischen Annalen abgedruckten Briefen [!] fertig war – Dir zur Mittheilung abschreiben lassen. Wäre ich nicht zu Anfang der vorigen Woche krank geworden, so wäre sie wahrscheinlich schon vollendet. Aus dem, was ich Dir sende, da ich heute früh, was folgen soll, summarisch hinzudiktirt habe, wirst Du für Dein gegenwärtiges Bedürfniß genug ersehen können. Genügt Dir eine solche Erklärung nicht, so thue was Dein Geist Dir gebietet. Im Folgenden weist J. einige Beschuldigungen Christian Stolbergs zurück und betont: Die Vorwürfe, die ich wirklich mir zu machen habe, werde ich in meiner öffentlichen Erklärung nicht verschweigen, wie Du aus dem, was ich Dir davon sende, schon einiger|maßen abnehmen kannst; zugleich aber wird aus denselben erhellen, welche Vorwürfe ich n i c h t verdiene. […] Meine Erklärung werde ich ausarbeiten genau so, wie ich sie entworfen habe, es sey, daß Du die mir mitgetheilte Handschrift unterdessen drucken lassest oder nicht. Solltest Du, nachdem Du gelesen hast was ich Dir von meiner Erklärung schicke, Dich geneigt fühlen, ihre Vollendung abzuwarten, so will ich sie Dir vor dem Abdrucke zusenden, welches ohnedem schon mein Vorsatz war. Entscheidest Du dich anders, so sende mir nur meine Handschrift ohne weiteres zurück.327 Graf Christian Stolberg sendet J. das Manuskript umgehend, am 4. August 1802, zurück und betont, es sei sein Vorsatz gewesen abzuwarten, was Dir Dein Geist und Dein Herz eingeben würden; von diesem Beschlusse gehe ich nicht ab, säumend, jedoch nicht ohne Ungeduld. Er berichtet noch über seine weitere Motivation, betont jedoch auch: Ueberdem ändert eigentlich die Bekanntmachung jener Briefe bei mir nichts; so lange Du auf Deinem Fleck zu stehen beharrst, bleiben sie mir, was sie mir im ersten Augenblicke waren, ja ich möchte sagen ihre Publicität läßt die Bitterkeit ihres | Kelches eher verduften, es ist mehr der Autor als der Mann, der ihn darreicht. Für mich sind daher alle Deine Entschuldigungen 325 326 327

247.

Siehe die Anmerkung zu 249,6–15. Christian Graf zu Stolberg an J., 25. Juli 1803, in Zoeppritz. II.245. J. an Christian Graf zu Stolberg, 30. Juli 1802, in Zoeppritz. II.245–

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wegen des Drucks der Briefe, da ich ohnehin ein Duzend Personen nennen könnte, die sie durch Dich gelesen oder angehört haben, gänzlich überflüssig, ja der rohe Hottentotten-Schmuck, in dem der Herausgeber sie auftreten läßt, ist mir vielmehr sehr willkommen.328 Nach dem Erscheinen seiner Erklärung im Neuen Teutschen Merkur hat J. sie, am 18. November 1802, auch an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg geschickt, mit der Frage: Wirst Du die Hand, die Dir diese Blätter reicht, ergreifen oder von Dir weisen?329 In seinem Antwortbrief an J. vom 30. November 1802 hat Stolberg in dem Sinne geantwortet, der J.s drei Briefe ursprünglich veranlaßt hat, und hat – durchaus in diesem Sinne – das Entscheidende der Differenz auf die knappe Formel gebracht: J. solle ihn, als Person, nicht von dem sondern wollen, was Dir widerwärtig, mir heilig ist. Dir widerwärtig! mir heilig! Da ist die Kluft, über welche wir uns, zu Erneuerung alten, traulichen, wohlthuenden Umgangs, die Hände nicht reichen können.330

WAS GEBIETEN EHRE, SITTLICHKEIT UND RECHT IN ABSICHT VERTRAULICHER BRIEFE VON VERSTORBENEN UND NOCH LEBENDEN? 1. Überlieferung D Was gebieten / Ehre, Sittlichkeit und Recht / in Absicht / vertraulicher Briefe / von / Verstorbenen und noch Lebenden? / Eine Gelegenheitsschrift / von / Friedrich Heinrich Jacobi. / [Motto] / Leipzig, bei G. J. Göschen. 1806. Der Text ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wörter in Antiqua. Hervorhebungen im Frakturtext sind durch Sperrung bzw. durch Vergrößerung des Schriftgrads ausgeführt. Im Drucktext sind, mit Ausnahme der ersten fünf , alle weiteren Briefe mit Anführungszeichen zu Beginn eines jeden Absatzes und mit einem Schlußzeichen am Ende des Briefes versehen. Dieses Vorgehen wurde hier nicht übernommen; der Briefwechsel wird vielmehr von Anführungszeichen frei präsentiert. Beibehalten wurde die Anführungszeichensetzung nur bei Zitaten und öffentlichen Anzeigen. 328

Christian Graf zu Stolberg an J., 4. August 1803, in Zoeppritz. II.247– 250, Zitat 247–249. 329 J. an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg; siehe die Anm. zu 253,22–24. 330 Friedrich Leopold Graf zu Stolberg an J., 30. November 1802, in Zoeppritz. II.257–259, Zitat 258. – Siehe aber den Briefwechsel J.s und Stolbergs vom Herbst 1804, ABW II.356–358. Aber auch dort spricht Stolberg von seinem Element, in das er auch J. hinüberziehen und ihn dann ewig an sein Herz drücken möchte. J.s Konversion wäre somit die Bedingung für die Erneuerung der herzlichen Freundschaft.

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Die Orts- und Datumsangaben sind im Drucktext durchgängig in verkleinertem Schriftgrad wiedergegeben. Im Drucktext gesperrt wiedergegebener Text ist gleichzeitig auch in einem größeren Schriftgrad gesetzt. Diejenigen gesperrten Stellen, welche davon abweichend in doppelt vergrößertem Schriftgrad gesetzt sind, werden hier durch Kapitälchen angezeigt. Der »Vorbericht« ist insgesamt in vergrößertem Schriftgrad gesetzt.

Ha Intelligenzblatt / der / Allgem. Literatur-Zeitung [Halle] / Num. 60. / Mittwochs den 23ten April 1806. / Literarische Anzeigen.

Je Intelligenzblatt / der / Jenaischen / Allgem. Literatur-Zeitung / Numero 34. / Den 14 April 1806. / Literarische Anzeigen. Sp. 281 f.: Erklärung / von / Friedrich Heinrich Jacobi.

Ch Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Anno 1806. Am Dienstage, den 16. April. Num. 60. Intelligenzblatt. Erklärung / von / Friedrich Heinrich Jacobi. Die am Ende der Schrift gegen Körte eingefügte Erklärung von Friedrich Heinrich Jacobi.331 hat J., wie von ihm berichtet,332 zuvor an drei Zeitschriften zur Veröffentlichung gesandt. Sie ist erschienen – jeweils unter dem Obertitel Literarische Anzeigen – im Intelligenzblatt der Jenaischen Allgem. Literatur-Zeitung, Nr. 34, Montag, den 14. April 1806, sowie im Intelligenzblatt der Allgem. Literatur-Zeitung Halle, Nr 60, Mittwoch, den 23. April 1806. Die Abweichungen der Jenaischen Literatur-Zeitung von der Buchveröffentlichung werden im Variantenapparat mit der Sigle Je, die Varianten der Hallischen Literatur-Zeitung mit der Sigle Ha wiedergegeben. Da die an die beiden Zeitschriften gesandten Vorlagen nicht erhalten sind, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob die Varianten – etwa die Ersetzung von Verstorbenen durch Todten in der Jenaischen Zeitung – zu Lasten der Vorlagen oder der Redaktionen gehen. Neben den oben verzeichneten Varianten zeigen sich jedoch auch redaktionsspezifische Abweichungen, die hier nicht mitgeteilt werden: Da beide Zeitungen in Antiqua gesetzt sind, werden die im Fraktursatz der Buchversion gesperrten Partien durch Kursive wiedergegeben, doppelte Hervorhebung in der Hallischen Zeitung durch gesperrte Kursive, in der Jenaer Zeitung – wie in

331 332

S. JWA 5,1.316 f. S. JWA 5,1.270,23–26 sowie 315,17–20.

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der Buchversion – durch Kapitälchen; ferner hebt die Jenaer Zeitung die Eigennamen fast durchgängig durch Kursive hervor.

2. Entstehungsgeschichte Es entbehrt nicht der Ironie, daß J. in seinem ersten heute noch überlieferten Brief an Johann Wilhelm Ludwig Gleim seinen Abscheu gegen die Veröffentlichung von Briefen an Verstorbene mit den folgenden überaus drastischen Worten ausspricht: In der vergangenen Woche erhielt ich die Briefe deutscher Gelehrten an den verstorbenen Klotz. Tausend Flüche hab’ ich bey Durchlesung derselben gegen den infamen Herausgeber ausgestoßen. Giebt es denn keine Gesetze; mein Freund, einen solchen Frevel zu bestrafen? Wenn ich über den Menschen zu sprechen hätte, er | müßte mir sein ganzes Leben hindurch von Toulon nach Marseille, und von Marseille nach Toulon zur See reisen; ich selbst könnte ihn mit trocknen Augen ans Ruder schmieden helfen, und ihm die Prügel zuzählen.333 Es geht ihm dabei auch keineswegs nur um die Publikation von Briefen an Verstorbene, sondern nicht weniger um die Briefe noch Lebender oder mit Stellungnahmen zu noch Lebenden, also ganz allgemein um die öffentliche Zurschaustellung von Briefen, die doch für den privaten Verkehr gedacht sind, noch zu Lebenszeiten oder kurz nach deren Ablauf. Dies zeigt sich auch in J.s ungewohnt scharfer Kritik an Lavater, als dieser öffentlich aus Briefen J.s an Johannes Müller, an Franz Michael Leuchsenring und vor allem an Johann Gottfried Herder zitiert: Du hast im 2. Heft Deiner Monatsschrift, unter dem Titul: Christus (überschlagt es – Nicht-Christ!) einen Theil des Auszugs aus meinem Briefe an Herder, den ich Dir im Jahre 85, m i t d e r n a c h d r ü c k l i c h s t e n B i t t e , ihn niemand mitzutheilen, abdrucken, und sogar den Anfangsbuchstaben meines Nahmens darunter setzen lassen. W e r m u ß n i c h t d e n k e n , i c h h a b e D i c h d a z u a u t h o r i s i e r t ? – Und konntest Du wohl glauben, ich würde Dich authorisieren, diesen abgerissenen Fetzen auszuhangen? – Wahrlich lieber Lavater, i c h h a b e M ü h e h i e r n i c h t e t w a s U n l a u t e r k e i t b e y D i r z u a r g w o h n e n . 334 Diese vielfach belegte tiefsitzende Aversion J.s gegen die Publikation von Privatbriefen bildet den Hintergrund für seine Kontroverse mit Wilhelm Körte um die Veröffentlichung von Briefen aus dem Nachlaß Gleims. Es geht J., wie man aus seinem frühen Brief an Gleim ersehen kann, nicht primär darum, daß nicht aus seinen eigenen Briefen öffentlich zitiert werde, sondern daß das Prinzip der Nicht-Veröffentlichung privater Nachrichten allgemein befolgt werde. Die Zeit, in der er schreibt, beginnt ja erst damit, Urheberrechte anzuerkennen – und wie wenig dies damals befolgt wird, zeigt sich in der großen Zahl von Verlagen, die sich auf Raubdrucke spezialisiert haben. Und ebensowenig ist ein »Persönlich333

J. an Johann Wilhelm Ludwig Gleim, 1. Dezember 1772, JBW I,4.325,26– 32 (Nachtrag). 334 J. an Johann Kaspar Lavater, 20. September 1790, JBW I,8.

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keitsschutzrecht« in der damaligen Gesetzgebung verankert. Daß sich dies bis zum Ende des 19. Jahrhunderts allmählich ändert, ist ein Verdienst all derer, die den damals herrschenden Mißbrauch angeprangert haben. Das Buch, das J. in dieser Sache gegen Körte schreibt, berichtet seine eigene Entstehungsgeschichte, so daß diese hier nur noch in den Grundlinien zusammengefaßt werden muß – auch deshalb, weil die handschriftlichen Materialien zu diesem wenig erfreulichen Streit vernichtet sind; dies gilt etwa auch für die Briefe Samuel Thomas Sömmerrings. Ergänzt werden kann dieser Bericht fast ausschließlich durch Wilhelm Körtes Gegendarstellung,335 die im Kommentar mehrfach herangezogen wird, sowie durch die Zurückweisungen von Körtes Gegendarstellung durch Johann Heinrich Voß.336 Bald nach dem Tode Johann Wilhelm Ludwig Gleims am 18. Februar 1803 wendet J. sich an Voß mit der Bitte, sich auch um die Rückgabe der Briefe J.s an Gleim zu bemühen. Er erhält die Antwort, daß Voß nur unter Mühen seine Briefe zurückerhalten habe und J. sich an Gleims Erben, also an Wilhelm Körte als ihren Sachwalter, wenden müsse. J. schreibt etwa gleichzeitig an Christian Konrad Wilhelm v. Dohm, der ihm – wegen seines Umzugs nach Heiligenstadt – erst nach nochmaliger Bitte antwortet und ihm Körtes Anschrift gibt. J. wendet sich daraufhin am 4. November 1804 an Körte;337 dieser aber, der die Briefe Heinses an Gleim zusammen mit den Briefen anderer Gelehrter zu Gunsten der Gleimschen Familienstiftung publizieren möchte, antwortet am 15. November 1804, wie J. berichtet, voll Zorn und Hohn über meine »kleinliche, kränkliche und selbst nichtswürdige Ansicht.«338 J. bittet deshalb einen Bekannten bzw. Verwandten beider, sehr wahrscheinlich Johann Friedrich Wilhelm Himly,339 um Vermittlung, die allerdings erst mit etwas Verzögerung wirksam wird. Zunächst setzt Körte eine Anzeige, in der er sein Unternehmen einer Sammlung der Briefe Gleims bekannt macht, in die Hallische Allgemeine Literatur-Zeitung;340 danach – am 22. Dezember 1804 – antwortet er J. mit einem Vorschlag, den dieser mit Zurückhaltung aufgreift.341 Inzwischen erhält J. durch Sömmerring Briefe, die Heinse an ihn geschrieben hat, mit einer Aufstellung,

335

Wilhelm Körte: Kritik der Ehre, Sittlichkeit und des Rechts in F. H. Jacobi’s Gelegenheitsschrift: »Was gebieten Ehre, Sittlichkeit und Recht in Absicht vertraulicher Briefe von Verstorbenen und noch Lebenden.« Zürich 1806. 336 Ueber Gleims Briefsammlung und lezten Willen. Ein Wort von Johann Heinrich Voß. Angehängt ein Brief von Friedrich Heinrich Jacobi. Heidelberg 1807, und Johann Heinrich Voß. Ein pragmatisches Gegenwort von Wilhelm Körte. Halberstadt 1808. 337 Siehe JWA 5,1.270–272. 337 Abgedruckt in der Anm. zu 272,34–273,20. 339 Siehe die Anm. zu 273,25–274,36 sowie J.s Brief, JWA 5,1.273,25– 274,36. 340 Siehe JWA 5,1.275,18–30. 341 Wilhelm Körte an J., 22. Dezember 1804, bzw. J. an Wilhelm Körte, 7. Januar 1805, JWA 5,1.276,1–278,23.

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daß neun Briefe Heinses an J. in Gleims Nachlaß liegen,342 und durch Körte erhält er, mit einem ausführlichen Brief vom 17. Januar 1805, seine eigenen Briefe an Gleim, allerdings unter der Bedingung der Rückgabe.343 J. hält es nach reiflicher Überlegung für angemessen, die Briefe Heinses aus Italien an ihn gemeinsam mit den – oft komplementären – Briefen Heinses an Gleim durch Körte veröffentlichen zu lassen, sofern Sömmerring als Verwalter des Heinseschen Erbes zustimmt; er gibt deshalb Körte am 30. Januar 1805 die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Briefe Heinses an ihn und bittet Körte um Vernichtung der von ihm selber an Gleim geschriebenen Sudeleyen; dies teilt er auch Sömmerring mit.344 Sömmerring ist zwar der Ansicht, daß Heinses sehr privat gehaltene frühe Briefe an Gleim nicht veröffentlicht werden sollten, legt aber alles in J.s Hände.345 Körte dankt J. für seine Erlaubnis zur Veröffentlichung der Briefe Heinses an ihn; in seiner Antwort an Körte berichtet J. aus dem Schreiben Sömmerings, dieser betone im Blick auf Heinses Briefe an Gleim: Ich habe das Zutrauen zu Ihnen [also zu J.], daß Sie diese nicht so werden drucken lassen, wie Heinse sie geschrieben hat, sowohl um des guten Heinse, als auch um Gleims willen« – und J. fügt noch, an Körte gewandt, hinzu: Dieses sey Ihnen an das Herz gelegt!346 Körte bedankt sich am 22. April 1805 wiederum und versichert mit Blick auf Heinses Briefe an Gleim: von dem gränzenlosen anbetungsvollen Enhusiasmus des Heinse für Gleim bleibt in den gedruckten Briefen nichts, als das, was sich mit dem schon gedruckt e n A u t o r Heinse verträgt.347 Diesen Brief erhält J. am 27. April 1805, kurz vor seiner auf drei Monate geplanten Reise an seinen neuen Wohnort München, und so entschließt er sich, nothgedrungen, am Tage vor seiner Abreise Heinses Briefe aus der Schweiz und Italien […] an Herrn Körte zu senden, und es ihm selbst zu überlassen, sie zu ordnen, und mit Gewissenhaftigkeit zu sichten.348 Er delegiert die Absendung und auch die Formulierung eines Begleitbriefes an Körte allerdings an seinen Sohn Carl Wigand Maximilian Jacobi – wobei dieser es wohl unterläßt, Körte ausdrücklich zu empfehlen, Heinses Briefe vor dem Abdrucke, nicht nur zu ordnen, sondern auch zu sichten und aus ihnen alles zu vertilgen, was entweder Heinses unwürdig sey, oder aus andern Ursachen nicht vor das Publikum gehöre. 349 Doch zu Beginn des Jahres 1806, als J. den ersten Band der Briefsammlung Körtes erhält, findet er dort sogleich in Körtes Vorrede einen Hinweis auf einen etwas problematischen Brief Heinses – verbunden mit der Behauptung, J. habe Körte in Bezug auf diese Briefe unbedingte Vollmacht erteilt, sie nach 342

Siehe JWA 5,1.278,24–279,26. Siehe JWA 5,1.279,3–282,5. 344 Siehe JWA 5,1.282,6–289,30. 345 Siehe JWA 5,1.290,29–292,8. 346 Siehe JWA 5,1.292,11–294,33. 347 Siehe JWA 5,1.295,1–296,16, Zitat 295,20–23. 348 Siehe JWA 5,1.296,26–31. 349 So lautet J.s Auftrag an seinen Sohn, nach seinem Bericht, JWA 5,1.297,8– 12. Nach Körtes Abdruck dieses Briefes (siehe die Anm. zu 297,5), hat Max Jacobi dies allerdings nicht ausdrücklich gegenüber Körte so formuliert. 343

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meinem Gutdünken dieser Sammlung einzuverleiben,350 und er findet darüber hinaus die beiden großen Briefe Heinses über die Düsseldorfer Galerie, die allerdings nur im literarischen Sinne, nicht als eigentliche Briefe an Gleim gerichtet worden sind und somit nicht als Briefe, sondern als Werk Heinses zu gelten haben, so daß das Honorar für einen Abdruck nicht der Gleimschen Familienstiftung, sondern den Erben Heinses zusteht. Damit beginnt, unmittelbar nach J.s Ankunft in München, die letzte Phase der brieflichen Auseinandersetzung zwischen J., Sömmerring und Körte, die schließlich durch J.s Abhandlung und Körtes Gegendarstellung sowie durch die genannten Schriften von Johann Heinrich Voß auch die Öffentlichkeit beschäftigt – als ein paradigmatischer Streit um Urheber- und Persönlichkeitsschutzrechte in einer Zeit, die erst auf dem Wege zu einer Kodifikation solcher Rechte gewesen ist. Über die Ausarbeitung der Schrift gegen Körte ist sonst wenig bekannt; Schelling allerdings ist ein Zeuge dieser Arbeit gewesen.351 Das markanteste Zeugnis für die Rezeption von J.s Schrift aber bildet Jean Pauls begeisterte Zustimmung vom 14. August 1806: h e u t e bekam ich deinen Gegen-Körte (AntiGötze). […] Der Eindruck deines Anti-Götze ist, wie du ihn begehrst, rein männlich für dich – nichts ist bemäntelt – jede Zufälligkeit dargestellt – dem Gegner jede Rechtfertigung aus verdrehten Zufälligkeiten dadurch abgeschnitten, daß du sie ihm darbietest – er kann kein Wort für sich noch sagen, was du nicht für ihn gesagt – kurz es fehlt deinem Kriege und Siege nichts als der rechte Feind. – – Dein Feindlein Koerte ist freilich weniger ein Nebelstern als ein Stern-Nebel. / Ekel war mir, wie dem tüchtigen markigen Sömmering, die neue Zeit-Geburt, wie ich leider mehrere Jünglinge auf eigne Kosten kenne; jenes Grob- und Weichsein hinter einander, das in den festen Blutkuchen und ins Blutwasser zugleich geronnene Herzens Blut. Die unvergleichliche Grobheit S. 23 und die eben so freche (durchs bloße Wolgeboren) S. 29, empörten mich noch stärker hinter den folgenden Brei-Briefen. – Dieß ist aber unsere Jünglings- oder Deutschlands-Zeit: weich und starr, grob und höflich, wässerig und eisig. Beides scheinet sie nur. Der feste Stamm der Einimpfung fehlt, sowol für die Stärke der Grobheit als für die Weichheit der Liebe, für Blume und Ast.352

350

Siehe JWA 5,1.300,28 f. Siehe Plitt: Aus Schellings Leben, II.86. – Schelling berichtet außerdem noch von J.s Korrespondenz mit Therese Huber, der früheren Frau Johann Georg Forsters. 352 Jean Paul an J., 14. August 1806, in Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Eduard Berend. Abt. III, Bd. 5: Briefe 1804– 1808. Berlin 1961, 98,27 f., 99,1–18. 351

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Anhang ÜBER GELEHRTE GESELLSCHAFTEN, IHREN GEIST UND ZWECK 1. Überlieferung

D1 Titelblatt: Ueber / gelehrte Gesellschaften, / ihren / Geist und Zweck. / Eine Abhandlung, / vorgelesen / bey der feyerlichen Erneuung / der / Königlichen / Akademie der Wissenschaften / zu München / von / dem Präsidenten der Akademie. / [Motto] / München, bey E. A. Fleischmann. / 1807. J.s Abhandlung umfaßt – einschließlich der Beylagen – 78 gezählte Seiten, zuzüglich das Druckfehlerverzeichnis, auf 10 gezählten Bogen zu je 8 Seiten. Als Frontispiz dienen sieben Medaillons; das erste zeigt Karl den Großen; es ist in der Mitte des Zeilenspiegels angeordnet; darunter stehen, paarweise angeordnet, von oben nach unten Medaillons von Cosimo de Medici und Lorenzo de Medici, Johann von Dahlberg und Conrad Celtes sowie Rudolph Agricola und Johannes Reuchlin.353 Auf der Rückseite des Titelblattes ist das Motto aus einer Schrift Herbarts354 etwa in der Mitte angeordnet; am unteren Rande folgt der Hinweis auf das hier im Folgenden erwähnte E r r a t u m . Über dem Beginn des Textes auf S. [1] steht über die gesamte Breite des Zeilenspiegels ein in Girlanden eingebundenes Medaillon, das den bayerischen König Maximilian I. Joseph zeigt, darunter ein Spruchband mit einem Zitat aus J.s Rede: ER, den wir mit Entzücken und Triumph den UNSERN, mit vollem Herzen den KOENIG nennen! p. 52.355 Auf der letzten Textseite folgt, mit etwas Abstand zum Text, die Angabe des Druckortes und des Druckers: Regensburg, g e d r u c k t b e y H e i n r i c h Friedrich Augustin. Auf der nächsten, nicht paginierten Seite folgt das Verzeichnis der Druckfehler. Es beginnt mit dem Hinweis: (Der auf der Rückseite des Titelblatts angezeigte Druckfehler ist durch einen Carton bereits verbessert worden.) Dieser Hinweis bezieht sich auf das an der genannten Stelle notierte E r r a t u m / (S. 25, Z. 6 v. o. statt N e r o lies N e r v a); diese Verbesserung ist in der Tat bereits vor dem Druck durchgeführt worden. Im Anschluß daran werden sechs Druckfehler genannt, von denen der erste, dritte und sechste oben berücksichtigt worden sind.356 Der zweite ist jedoch irrtümlich genannt: S. 44 Z. 9 v. oben Statt Geböthe lies: Gebote. Demnach wäre an der betreffenden Stelle zu lesen: Gebote der Herrscher, der Gewaltige etwas durch die Gesetze der Gerechtigkeit, der Tugend und Ehre Untersagtes; so müsse man ihm nicht gehorchen, […], statt ursprünglich: Geböthe der Herrscher, […]. Hier ist die ursprüngliche Version vorzuziehen, zumal die gesamte Passage im Konjunktiv formuliert ist. Als fünfter Druckfehler ist verzeichnet: S. 70 Z. 2. v. unten 353

Siehe Abb. 1. Siehe die Anm. zu 324,1–8. 355 Siehe JWA 5,1.361,27–29 sowie die Wiedergabe der Anfangsseite dieser Schrift in Abb. 2. 356 Siehe JWA 5,1.331,38, 342,38 und 357,38. 354

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nach mir ist zu setzen Paris. Diese Stellenangabe ist unzutreffend, und es läßt sich auch sonst kein Satz finden, der in der genannten Weise zu berichtigen wäre. Der Text von D1 ist durchgängig in Antiqua gesetzt; da er keine Differenzierung von Fraktur und Antiqua aufweist, wird er hier durchgehend in der Grundschrift Bembo wiedergegeben.

b) D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Sechster und letzter Band. / Leipzig, bei Gerhard Fleischer. / 1825. [1]–62: Ueber / gelehrte Gesellschaften, / ihren / Geist und Zweck. / Gelesen / bei der feierlichen Erneuung / der königlichen Akademie der Wissenschaften zu / München 1807. / [Motto] Auf das Titelblatt folgt eine freie Rückseite, sodann auf den S. [III]–VI der Vorbericht von Friedrich Roth, unterzeichnet München, den 4ten September 1824. Hieran schließt sich auf den S. [1]–62 J.s Akademierede. Sie beginnt auf S. [1] mit dem Zwischentitel: Ueber / gelehrte Gesellschaften, / ihren / Geist und Zweck. / Gelesen / bei der feierlichen Erneuung / der königlichen Akademie der Wissenschaften zu / München 1807. / [Motto:] E pur si move! / Galilei. Die Rückseite ist nicht bedruckt; der Text der Rede folgt auf den S. [3]–62, Bogenzählung A–D. Die Rede ist durchgängig in Antiqua gesetzt; Hervorhebungen sind gleichwohl durch Sperrung vorgenommen. Das in D1 mitgeteilte Druckfehlerverzeichnis ist in D2 berücksichtigt. In seinem Vorbericht führt Friedrich Roth die Veränderungen der zweiten Auflage gegenüber der ersten auf J.s Anweisungen zurück: Die Abhandlung sei in D2 mit den Abänderungen, die er selbst angegeben hat, abgedruckt. Er hatte sie noch mehr abkürzen wollen, ließ es aber, auf die Vorstellung jenes Freundes, dessen er Th. 2. S. 328 gedenkt, bei wenigen Auslassungen bewenden. Leider nennt J. diesen Freund und Rathgeber auch dort nicht namentlich. – Roth erwähnt somit nicht, daß die Erstfassung umfangreiche Beilagen enthält, die in D2 nicht übernommen worden sind. Damit entfallen in D2 auch die Fußnoten, in denen J. in D1 auf diese Beilagen verwiesen hat. 2. Entstehungsgeschichte Seinen Aufenthalt in Holstein hat J. – trotz der vielen Freundschaften, die er dort gepflegt hat – als eine Zwischenlösung angesehen, sich der ihm verhaßten Herrschaft der Franzosen zu entziehen. Diese Ungewißheit über sein weiteres Verbleiben scheint er insbesondere nach seinem Zerwürfnis mit Friedrich Leopold Graf zu Stolberg empfunden zu haben. Fraglos denkt er daran, wenn er, von Eutin aus, an Johann Heinrich Schenk nach München schreibt: Ich kann mir Fälle denken, die mir den Aufenthalt in Eutin unerträglich machen würden.357 Im gleichen Brief spricht er davon, daß er, wenn er wieder in den Besitz 357

J. an Johann Heinrich Schenk, 22. Juni 1802, ABW II.305 f.

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von Pempelfort hätte treten können und weniger Furcht und Abscheu gehabt hätte vor dem Nachbar jenseits des Rheins, nicht wieder nach Eutin zurückgekehrt wäre. Er berät sich auch mit Freunden über sein weiteres Schicksal; Freund Hompesch, berichtet J. im gleichen Brief an Schenk, wollte nicht, daß ich förmlich außer Dienst treten, sondern nur einen verlängerten Urlaub wegen meiner zerrütteten Gesundheit erhalten sollte. Sein herzlicher Wunsch, die Hoffnung meiner Rückkehr in das Vaterland zu behalten, den er mir wiederholt mit Lebhaftigkeit und Wärme ausdrückte, und das Zureden so vieler anderer Menschen aus verschiedenen Ständen, die mich aufsuchten oder gelegentlich sprachen, rührte mich nicht allein tief, sondern erweckte auch in mir die lebhafte Begierde, daß mir diese Thüre offen bleiben möchte. Dieser Wunsch ist zwar nicht buchstäblich in Erfüllung gegangen, doch hat J.s Schicksal bald eine unerwartete Wendung genommen. Ende August und Mitte September 1802 erhält er zwei überraschende und erfreuliche Briefe seines engen Freundes Johann Heinrich Schenk, der Anfang 1799 – für J. unerwartet – nach München versetzt worden ist358 und dort bald eine angesehene Stellung in der Hof-Commission bekleidet hat. Im ersten, vom 27. August, berichtet Schenk, daß J. für seine frühere Tätigkeit im Herzogtum Jülich-Berg eine lebenslängliche Pension von 500 Rthlr. mit der Erlaubniß bewilligt worden ist, sie auch im Auslande zu verzehren. Der letzte Punct hat die meisten Schwierigkeiten erregt, weil er dem angenommenen System zuwiderläuft. Nun aber erfolgte das Conclusum: »daß Ihnen in Rücksicht Ihrer 30jährigen Dienstzeit und Ihrer zuvor mit vorzüglicher Auszeichnung zum ansehnlichen Vortheil des Aerars, besonders bei dem Rheinzolle, geleisteten Dienste, Ihr Gesuch bewilligt seyn soll, auch im Auslande Ihre Pension fortzubeziehen. Dem ist zu entnehmen, daß J. wegen seiner Pension ein – vermutlich mit Schenk abgsprochenes – Gesuch eingereicht hat; vor allem aber geht aus seinem Antwortbrief vom 27. September an Schenk hervor, daß es in dieser Sache einen längeren, zumindest gegenwärtig nicht bekannten Briefwechsel gegeben haben muß, in dem Schenk die treibende Kraft für die kommende Ortsveränderung gewesen ist. Wichtiger noch wird für J. schließlich Schenks zweites Schreiben, vom 15. September 1802. Er berichtet von einem Gespräch mit dem guten, biedern Kurfürsten: Er fragte mich, ob denn wirklich Ihre Gesundheit so zerrüttet, und das Uebel Ihrer Augen so groß wäre, daß Sie Ihre Dienste in seinen Staaten nicht fortzusetzen vermöchten? Er fügte hinzu, daß er Ihren Verlust als sehr wichtig betrachtete; und nun erfuhr ich, daß die Kurfürstin das Taschenbuch Ihrers [!] Bruders vom vorigen Jahre gelesen, und ihn auf Ihren Aufsatz in demselben aufmerksam gemacht hatte. Ich benutzte diese Veranlassung, ihm zu sagen, was Sie von Seiten des Geistes und des Herzens sind, was ich Ihnen zu verdanken habe, und für welche Wohlthat der Vorsehung ich es halten würde, in meiner jetzigen Lage einen Mann, wie Sie, in der Nähe zu haben, durch dessen Geist sich der meinige stärken, an 358

J. an Johann Friedrich Jacobi, 3. April 1799, ABW II.269, 273.

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dessen Herzen sich das meinige erwärmen und Nahrung für jedes bessere und schönere Gefühl finden könnte. Die Rührung, womit ich dieses sagte, | ergriff den guten Fürsten. Er wiederholte mir, daß er Sie sehr ungern verlöre, und daß ich Sie, wenn Ihre Gesundheit sich besserte, in seinen Dienst zurückzubringen suchen sollte. Allerdings sucht Schenk sogleich etwa bei J. aufkeimende Hoffnungen zu dämpfen: Ich schreibe Ihnen dieses, geliebtester und verehrtester Mann, nicht des Schlusses der Unterredung wegen, der wohl keine Folgen haben wird, sondern um Ihnen zu zeigen, daß Sie auch von unserem edlen Fürsten-Paare gekannt und diesem nicht gleichgültig sind.359 In seinem Antwortschreiben greift J. diese vage Aussicht auf eine erneute Anstellung nicht auf, sondern bezieht sich auf das Naheliegende. Er schreibt an Schenk: Ehe Sie mir Hoffnung machten, daß mir mein Gehalt würde gelassen werden, wäre mir nicht eingefallen, nur die Hälfte, nur ein Drittel desselben als Pension zu fordern; ja ich erwartete nicht einmal, daß man mir, was während meiner Abwesenheit fällig geworden, verguten würde. Mir begegnet also, was über meine Wünsche und weit über mein Hoffen war, und daß ich es Ihnen zu verdanken habe, macht meine Freude vollkommen.360 Ein Jahr später, am 11. Juni 1803, bedankt er sich bei Schenk für die mir ausgewirkte Gnade, und er schreibt Schenk, er würde ihn gern in München besuchen, doch: das verzweifelte Geld ist zu weit von der Hand.361 Doch sein Wunsch, München zu besuchen, sollte schon bald in Erfüllung gehen. Wie man dem Brief eines Unbekannten vom 7. Dezember 1804 entnehmen kann, ist zunächst daran gedacht gewesen, J. als Direktor eines Provinzialstudienkollegs nach Würzburg zu berufen – wovon der Unbekannte dringend abrät. Doch nach dem Wechsel einiger Briefe mit Schenk, unter anderem über die Frage, Ob man in Baiern zu rasch und gewaltsam verbessere und aufkläre,362 und weiteren, 359

Johann Heinrich Schenk an J., 15. September 1802, ABW II.317 f. – Bei der genannten Abhandlung J.s handelt es sich um Ueber eine Weissagung Lichtenbergs. In Taschenbuch für das Jahr 1802. Hrsg. von Johann Georg Jacobi. Hamburg o. J; siehe JWA 3.7–31. – Auch J. spricht bei der späteren Neuauflage der Weissagung Lichtenbergs davon, daß sie im Jahr 1801 erstmals gedruckt worden sei; siehe JWA 3.174 f. 360 J. an Johann Heinrich Schenk, 27. September 1802, ABW II.318. – Daß J. bei dieser vollkommenen Freude dann doch noch einen Wunsch hat – den Wunsch, zu der Würde eines baierschen Geheimen-Raths erhoben zu werden, um die Uniform dieses Ranges tragen zu können und auf diese Weise in den Besitz einer für Empfänge anständigen Kleidung zu gelangen –, ist den Zeitumständen geschuldet. J. meint deshalb: Wenn unser guter Kurfürst wirklich Achtung für mich hat, so däucht mir, es müßte ihm gefallen, daß ich ungern ganz von ihm entlassen seyn will, daß ich auch im fremden Lande ihm noch anzugehören und das Zeichen seiner fortdauernden Ansprüche an mich zur Schau zu tragen wünsche – ein Verlangen, das erhebliche protokollarische Probleme verursacht; siehe ABW II.321 f. 361 J. an Johann Heinrich Schenk, 11. Juni 1803, ABW II.331. 362 J. an Johann Heinrich Schenk, 10. November 1803, Schenk an J., 6. Dezember 1803, ABW II.339 und 341–344.

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zumindest zur Zeit nicht bekannten Briefen, die J.s Bereitschaft zu einem Wechsel nach Bayern zum Thema hatten, unterrichtet Schenk J. über eine neue, J. aber anscheinend nicht unbekannte Entwicklung: Der Plan zur neuen Einrichtung der Akademie ist entworfen. Noch gestern sprach ich wegen Ihrer Anstellung dabei mit Zentner. Es sind einige Schwierigkeiten wegzuräumen; sie müssen sich aber wegräumen lassen, nachdem Sie selbst über die Ihrigen sich hinwegzusetzen willig sind. Was Sie an Freunden verlieren, wird Ihnen hier nicht ersetzt; auch durch mich nicht. Ich bin seit neun Jahren unter einem steten Drange von Geschäften ein Fremdling in der Litteratur geworden. Höchstens verstehe ich Sie noch. Aber was treue, innige Liebe und | Anhänglichkeit ersetzen kann, werde ich ersetzen. Nie denke ich an Sie, nie nenne ich Ihren Namen, als mit der wärmsten Verehrung und Liebe. Das Schicksal bringt uns wieder zusammen. Wer weiß, welcher von uns beiden dem andern die Augen schließt; aber ich fühle es, wie tief bis zu diesem Augenblicke das Gefühl der Liebe uns vereinigt halten soll und wird.363 J.s Antwort ist nicht bekannt, aber schon am 6. Oktober berichtet Schenk – abgesehen von einigen Ausführungen über die allgemeinen Lebensverhältnisse in München – einige Details: Ich habe Ihren Ruf als Mitglied der Akademie für das philosophische Fach mit 3000 Rthlr. Gehalt eingeleitet. Als Mitglied der Akademie sollten Sie zwar jährlich zwei Abhandlungen liefern; diese wird aber niemand von Ihnen fordern. Weiter betont er, J. solle durch unmittelbaren mündlichen Rath, bei denen wirken, von welchen die Entscheidung abhängt. Guter Wille ist überhaupt hier weit mehr vorhanden, als t i e f e Einsicht in die Natur des Menschen und den Zusammenhang der Dinge. Allerdings weist Schenk auch auf den noch schwebenden Status des Verfahrens hin: Ich habe nur die Möglichkeit zu erkennen gegeben, daß man Sie vielleicht erwerben könnte, und aufmerksam auf die Wichtigkeit dieser Acquisition gemacht. Förmlich zusagen in Ihrem Namen werde ich nicht eher, als bis auch Sie, nach völliger Kenntniß der Sache, zugesagt haben.364 Ende 1804 scheint J. den Ruf nach München erhalten zu haben.365¸ In der veröffentlichten Briefen ist stets nur von einer Anstellung an der Akademie die Rede, nicht von der Präsidentschaft, und auch das Datum des Rufes ist nicht ersichtlich, doch läßt sich sein Zeitpunkt daraus entnehmen, daß Schenk – wie man aus J.s Antwort erschließen kann – am 27. Januar 1805 J. bereits mitteilt, er habe für ihn ein Haus mit Garten schon so gut als gemiethet; und J. betont, daß er mit allen Entscheidungen Schenks einverstanden sei. Er brauche vor allem ein großes Arbeitszimmer mit großem Schreibtisch, denn: Ich bin seit unserer Trennung ein gewaltiger Schreiber geworden, nicht von Briefen, obgleich ich auch deren mehr als ehemals zu schreiben oder zu dictiren wohl gezwungen werde, sondern von Reflexionen, kurzen Betrachtungen und Fragmenten allerlei Art.366 363 364 365 366

Johann Heinrich Schenk an J., 30. September 1804, ABW II.359 f. Johann Heinrich Schenk an J., 6. Oktober 1804, ABW II.361 f. Siehe auch Roths Vorbericht, ABW I. XXVI. J. an Johann Heinrich Schenk, 5. Februar 1805, ABW II.363 f. – Bis zur

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Einige Tage zuvor teilt er Johann Heinrich Voß sogar schon Einzelheiten der geplanten Reise nach München mit, da er ihn unterwegs in Jena besuchen will: So bald ich wußte, daß ich nach Baiern ziehen würde, wußte ich auch, daß mein Weg über Berlin, Dresden und Weimar ginge; […] Den 15ten May spätestens werde ich von Eutin aufbrechen, und vor Johannis zuverläßig in Weimar seyn.367 Seine Abreise von Eutin erfolgte schließlich am 8. Mai 1805, auf der geplanten Route, und am 11. August ist J. in München eingetroffen.368 Über die ersten Münchener Eindrücke – sowohl über die für ihn überaus reizvolle Gegend als auch über die Einquartierung französischer Truppen in seinem Haus – berichtet er Friedrich Köppen am 23. Oktober 1805.369 Auch in anderen Briefen drängt sich die politische Lage vor; allerdings schreibt er Friedrich Leopold Graf zu Stolberg – der ihm den Tod von Amalia Fürstin Gallitzin mitgeteilt hat –, was er noch ausarbeiten und bei meinem Leben bekannt machen möchte, ist das System meiner Ueberzeugungen.370 Insgesamt aber sind die Zeugnisse von J.s ersten Jahren in München spärlich. Er erneuert seine alte Freundschaft mit Sömmerring,371 und er knüpft, schon vor dem Eintreffen in München, neue Verbindungen an: mit Cajetan Weiller – mit dem ihn die Gegnerschaft gegen das tolle Treiben Schellings und seiner wilden Heerde verbindet –, sowie mit Karl Wilhelm Friedrich von Breyer, der sogar eine Beilage zur Akademierede verfaßt,372 auch mit Friedrich Immanuel Niethammer, dem engen Freund Hegels, der – wie aus dem Briefwechsel beider erhellt – die Annäherung zwischen Hegel und J. befördert,373 ebenso übrigens wie Jean Paul mit seinem respektvollen Urteil über die Klarheit, Schreibart, Freiheit und Kraft von Hegels Phänomenologie des Geistes374 – und hier lernt J. auch Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

endgültigen Regelung hat es dann aber doch noch viel Zeit bedurft; siehe J. an Johann Heinrich Voß, 14. April 1805, Zoeppritz. I.357–369, insbesondere 358. 367 J. an Johann Heinrich Voß, 2. Februar 1805, in Zoeppritz. I.355. 368 Zum Abreisedatum siehe die Anm. zu 294,27; zur Reise siehe insbesondere J. an Friedrich Köppen, 24. Juli 1805, ABW II.366–369; zur Ankunft in München siehe J. an N., 20. September 1805, ABW II.370. 369 J. an Friedrich Köppen, 23. Oktober 1805, ABW II.373–379. 370 Friedrich Leopold Graf zu Stolberg an J., 7. Mai 1806, ABW II.391–393; J. an denselben, ib. 393–395, Zitat 395. – Zur Rede vom System meiner Ueberzeugungen siehe auch J.: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung. Leipzig 1811, 110 f., JWA 3.72, sowie insbesondere J. an Jean Paul, 18. April 1814, in Zoeppritz. II.118; hier bezeichnet er die damals neu entworfene Einleitung zu Band II seiner Werke (vgl. JWA 2.375–433) als die vollendete Darstellung des Systems meiner Ueberzeugungen. 371 Siehe die Anmm. zu 299,32–33 und 301,13. 372 J. an Johann Heinrich Voß, 14. April 1805, in Zoeppritz. I.363 f. 373 Im Brief vom 30. Mai 1807 an Niethammer schreibt Hegel, J.s Verhältnis zu ihm werde sich wohl nicht bessern ohne feurige Kohlen aufs Haupt zu bekommen, die ich sogar selbst aufzulegen helfen würde. Siehe Briefe von und an Hegel. Hrsg. von Friedhelm Nicolin. Bd 1. Hamburg 31969, 166. 374 Jean Paul an J., 6. September 1807, in Jean Pauls Sämtliche Werke, Abt. III, Bd 5.163–165, Zitat 164,34.

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persönlich kennen, der wenige Monate nach J. von Jena über Würzburg nach München gekommen ist. Zu Beginn ihrer persönlichen Bekanntschaft sind J. und Schelling – allerdings nur sehr kurzfristig – bestrebt, den früheren heftigen literarischen Streit nicht wieder aufleben zu lassen. Als Schelling im April 1806 in München wegen seiner Übersiedelung verhandelt, fragt seine Frau Caroline bei ihm an: Vielleicht bin ich in allen Dingen am begierigsten auf Deine Bekanntschaft mit Jacobi. Ich glaube, Du kannst sie nach Wunsch lenken.375 Nach seiner ersten Begegnung mit J., wohl Ende April, antwortet Schelling ihr: Jacobi ist in der That ein liebenswürdiger Mann, für die erste Bekanntschaft wenigstens. Er ist doch anders, als ich mir ihn vorgestellt; weniger ernst und abgezogen, mehr heiter und gegenwärtig; im Uebrigen, wie man ihn aus seinen Schriften kennen lernt, viel mit Briefschaften | umgeben und Excerpten aus Büchern, Recensionen, u. s. w.376 Und auch noch am 11. Januar 1807 berichtet Schelling Hegel: Jacobi hat sich gegen mich sehr gut benommen. Am 22. März teilt er ihm jedoch seine Befürchtung mit, die Akademie werde ein Jacobisches Institut werden.377 Ähnlich berichtet auch J. am 26./28. Juni 1806 Georg Heinrich Ludwig Nicolovius über die neue Bekanntschaft: Aber da ist sonst so noch vieles wovon ich schreiben mögte – Von Schelling z. B., der seit 6 Wochen hier ist, und wahrscheinlich hier bleiben wird, mit seiner theuren Hälfte. Er sucht eine Pension, die er wahrscheinlich erhalten wird; dazu einen Platz in der Academie. Er hat mich einigemal besucht, auch hat er schon zweymal bey mir gegeßen: Sein Aeußeres ist bescheiden. Ich höre, daß er überall mit Achtung von mir spricht, und ich glaube wirklich, daß ich ihm Zuneigung abgewonnen habe und er meine Freundschaft aufrichtig wünscht. Bey Mama Lehne und Tante Lotte hat er sich schon ziemlich in Gunst zu setzen und eine Art von Zutrauen zu erwerben gewußt; nur ist ihm das Weib, das er zu sich genommen hat, sehr im Wege.378 Wenig später, in einem für Friedrich Köppen geschriebenen Text vom 16. September 1806, den er seinem Brief an Jakob Friedrich Fries vom 26. November 1807 beifügt, äußert sich J. bereits distanzierter: Schelling besucht mich von Zeit zu Zeit; er ist mir sehr entgegen gegangen, und ich glaube, daß er aufrichtig gewünscht hat meine Freundschaft zu gewinnen. Mein Genius aber warnte mich auf die bestimmteste Weise, daß ich zurückhaltend blieb und mich nicht einließ.379

375

Caroline Schelling an Schelling, 25. April 1806, in Schelling: Briefe und Dokumente. Bd I. Hrsg. von Horst Fuhrmanns. Bonn 1962, 351. 376 Schelling an Caroline Schelling, 1. Mai 1806, in Schellings Leben, II.85 f. 377 Schelling an Hegel, in Briefe von und an Hegel, Bd 1.134 bzw. 157. 378 J. an Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, 26./28. Juni 1806, in Zoeppritz. II.14. 379 Jakob Friedrich Fries. Aus seinem handschriftlichen Nachlaß dargestellt von Ernst Ludwig Theodor Henke. Zweite, unveränderte Auflage Berlin 1937, 311 Fußnote.

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Trotz dieser inneren Zurückhaltung J.s ist es aber in den ersten gemeinsamen Münchener Jahren zur Zusammenarbeit beider gekommen, sogar bei der Vorbereitung von J.s Eröffnung der neu konstituierten Akademie der Wissenschaften am 27. Juli 1807. J. hat Schelling den Entwurf zu seiner Rede überlassen, und Schelling hat ihn mit Anmerkungen versehen.380 Dies läßt sich einem Schreiben J.s an Schelling entnehmen: Ich wiederhole Ihnen, lieber Freund und College! meinen herzlichen Dank für Ihre Anmerkungen zu meiner Abhandlung, und sende Ihnen noch einmahl die Lage, welche die bewußte anzügliche Stelle enthält. Ich sehe aus Ihrem Briefe, daß Sie eine Veränderung nur von dem Worte an (S. 37) wünschen: »Es war also weißlich gehandelt von Domitian«. – Ich gebe Ihnen den ganzen Absatz hin, zum Erhalten durch Verbesserung, oder zum Vertilgen. / Heute Abend bringe ich Ihnen den Schluß der Abhandlung zu Ritter, zeige Ihnen, wie ich Ihren Angaben gemäß geändert habe u. rechtfertige mich wegen der Auslassung Huttens, der nun aber doch nicht ausgelassen werden soll, so wie auch nicht der ungeachtet seiner Vortrefflichkeiten doch etwas Napoleonisches (nach Thucydides) an sich habende Perikles. Sie sehen in welchem Credit Sie bei mir stehen – / Mit der aufrichtigen Hochachtung der Ihre / F. Jacobi.381 Auf diese Zusammenarbeit dürfte der Satz am Ende der Rede zurückgehen, den J. mit der Fußnote Treffliche Worte Schellings auszeichnet. Vom 16. Juni ist ein Brief Schellings an J. erhalten, in dem er sehr ausführlich auf dessen Manuskript eingeht und auch über eigene Publikationsvorhaben spricht; J. bedankt sich hierfür am 17. Juni [?].382 Den Umschlag in den Beziehungen beider hat die Rede herbeigeführt, die Schelling nur gut drei Monate nach J.s Akademierede, zum Namenstag des Königs am 12. Oktober 1807, in der Akademie der Wissenschaften Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur gehalten hat;383 dies erhellt nicht allein aus J.s späteren Bezugnahmen auf diese Rede, sondern auch aus gleichzeitigen brieflichen Zeugnissen. Wenige Wochen nach dieser Rede, am 26. November 1807, schreibt J. an Fries: Gegenwärtig bin ich mit einer neuen Erörterung der Schelling’schen Lehre beschäftigt, wozu mich die akademische Abhandlung dieses Meisters »über das Verhältniß der bildenden Künste zur Natur« unwiderstehlich angetrieben hat. Die darin angewendete berückende Methode, der Betrug, welcher darin durchaus mit der Sprache getrieben wird, haben mich empört. Ich denke es zu der größten 380

Siehe JWA 5,1.363,35–364,1 mit Fußnote 364,10. J. an Schelling, 13. Juni 1807, in Schelling: Briefe und Dokumente, I.380; vgl. J. an Schelling, 30. Juni 1807, ib. 381, sowie J. an Schelling, 13. Juni 1807 [?], ib. III.433. 382 Schelling: Briefe und Dokumente, III.434–441, 442. – Siehe ferner die – wenn auch rein geschäftsmäßigen – Briefe J.s an Schelling vom August 1807 [?], ib. 450, und vom 9. Oktober 1807, ib. 456, ferner eine Einladung an Schelling vom November 1808 [?], ib. 561. 383 Diese Rede hat Schelling bereits am 10. Oktober 1807 J. vorgelesen; s. J. an Friedrich Immanuel Niethammer, 10. Oktober 1807 (ungedruckt), im GoetheMuseum, Düsseldorf, Stiftung Helmut Jacobi. 381

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Klarheit zu bringen, daß der Schelling’sche Weltschöpfer von Ewigkeit zu Ewigkeit nichts anderes erschafft, als die Zeit. Das Eine unzeitliche Leben (Sein ohne Bewußtsein, oder wie Sie sich ausdrücken: ein dem Wissen selbst verborgenes Sein des Wissens, in Schelling’s Sprache: blos werkthätige Wissenschaft, blinde, unvorsetzliche u. s. w.) verwandelt sich in ein unendlich vielfaches Zeitliches (Sein mit Bewußtsein), damit das Leben gelebt werde. Es gibt nur eine Qualität, das Leben als solches. Alle andere Qualitäten oder Eigenschaften sind nur verschiedene Quantitäten oder Einschränkungen dieser Einen Qualität, welche zugleich die Substanz selbst und das ganze Wesen ist. Der Mensch hat mehr davon als der Mistkäfer, hat aber in sich nichts Besseres und Höheres. Alles was lebt, lebt nur eines und dasselbe Leben. Die Totalität aber, das All, die Natur, käuet, wie ein altes Weib, von Ewigkeit zu Ewigkeit nur mit leerem Maule, macht und vertreibt sich die Zeit. Dies zu erkennen ist das reine Gold der Wahrheit und des Lebens, die Herrlichkeit des Menschen.384 Diese erneute philosophisch-theologische Entfremdung zwischen J. und Schelling fällt in eine Zeit, in der J.s Akademierede in die ohnehin bestehenden politischen Spannungen in Bayern, in die heftigen Reaktionen gegen die vielen aus Norddeutschland stammenden Gelehrten und Beamten einbezogen wird. Bei J.s Freunden findet seine Rede zwar freundliche bis begeisterte Aufnahme; Hegel schreibt am 8. August 1807, zunächst etwas abwartend, an Niethammer, er habe von J.s Rede nur erst einige Perioden in der Münchner Zeitung gelesen, in welchen – wie auch von Fichte u. a. geschieht, das Zeitalter, ich weiß nicht warum, wieder ausgehunzt wird. Doch hoffe ich, daß dies nur die schwarze Seite ist und gehörig umgelenkt wird auf die in der Akademie beginnenden und zu hoffenden besseren Zeiten. Ich ersuche recht dringend, mir mit dem Postwagen ein paar Exemplare dieser Rede zuzuschikken die Güte zu haben. Und am 29. August schreibt er, er habe die Rede vorgestern erhalten und verkaufe sie nun sogar im Kontor der Bamberger Zeitung, die er damals redigiert: Diese Rede drückt so sehr und fast anhaltend das Gegenteil des Anfangs der Urkunde aus, daß es bis zum Auffallendsten geht. – Hier sagte man sogar, daß der Verkauf derselben unterbrochen worden, daß das Präsidium die Epauletten wieder ablegen solle u. s. f. – Die Rede hat übrigens einen andern Charakter, als ich mir ihn aus den Stellen, die die Bayrische N[eue] Zeitung aushob, vorstellte, und die 384

J. an Fries, 26. November 1807, in Henke: Fries, 312. – Eine ähnliche Einschätzung spricht auch aus J.s Brief an Christine Reinhard vom 4. Mai 1808, ABW II.407–409. Hier fällt zwar nicht der Name Schellings, doch ist J.s Schrift Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung zu entnehmen, daß er hier Schelling im Blick habe: Die Worte der Wahrheit, die ich dreißig und mehr Jahre lang geredet habe, nimmt jetzt die Unwahrheit überall in den Mund und macht sie zur Fabel. Ich höre, und es ist oft meine eigene Rede, die ich vernehme; dennoch ist der Geist darin Lüge und durch und durch ungöttlich. Das sagen jene aber auch von meinem Geiste, und ihre Zahl ist Legion; ich dagegen bin nur Einer und muß so an mir selbst fast irre werden.

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J[acobi]sche Art von Zitationen ( – Bouterweks! den er gar nicht satt werden kann, aufs Brot zu streichen – Herbarts, für ein Motto u. s. f.) abgerechnet, ist sich der darin ausgedrückten edlen Gesinnungen über Wissenschaft u. s. f. gewiß zu freuen, und ich habe Ihren biblischen Spruch wiederholt: wenn solches am dürren Holze geschieht, was wirds erst am grünen werden?385 Jean Paul berichtet J. am 6. September 1807 auch über die allgemeine Aufnahme: Deine akademische Rede, auf die ich nicht blos wegen ihres erhaltenen Lobes, sondern wegen | ihrer Dicke – wenn dieß nicht identisch ist – so begierig bin, hab’ ich im dummen Bayreuth noch nicht aufgetrieben, aber meine Stellnetze darnach schon ausgestellt. Du sollst darin »viele Wahrheiten« gesagt haben, d. h. scharfe. Monate später, am 22. Juli 1808, kommt er nochmals auf die Akademierede zurück: Ich wünschte, ich wüßte noch meine Lobrede auswendig, die ich dir vor Jahren über den Manns-Stil, die Manns-Kraft und das Geschichts-Auge deiner Antritts-Rede halten wollte; jetzt hab’ ich alles vergessen. Sage mir lieber selber als Selbstkenner, war sie denn wirklich so vortrefflich als ich und meine Bekannten sie gefunden?386 Bouterwek zeigt J.s Akademierede in den Göttingischen gelehrten Anzeigen an;387 in dem Brief, in dem J. sich bei ihm bedankt, bringt er aber auch Bedenken gegenüber der Lage der Akademie zum Ausdruck: Das wunderlich zusammengesetzte Schiff, das ich führe, hat sich vor verborgenen Klippen und noch mehr vor Sandbänken zu hüten, und ich habe für’s erste genug zu thun, es über Wasser zu halten.388 Und Karl Friedrich Reinhard, der durch seine Ehe mit Christine Reimarus mit J. befreundete französische Diplomat, bei dem J. sich auch während seiner Parisreise der Jahre 1801/02 aufgehalten hat, der kurzfristige französische Außenminister und spätere Pair von Frankreich, urteilt über die Akademierede, die J. ihm hat überreichen lassen: Es that mir im Herzen wohl, in dieser Schrift wieder einmal die Sprache zu lesen, die ich verstehe und die ich sonst von allen Guten und Vernünftigen verstanden glaubte. Daß dies nicht ist, daß Muth erfordert wird Worte wie die Ihrigen auszusprechen, daß auf die Verwirrung des neuen Babels | der neue gewaltige Jäger seine Herrschaft gründet, ist ein furchtbares Zeichen der Zeit.389 Zu diesem Zeitpunkt ist J.s Akademierede bereits zu einer bevorzugten Zielscheibe der Polemik im politisch motivierten Streit geworden: Karl Rottmanner, ein bayerischer Volksschriftsteller, hat ein Pamphlet gegen J.s Rede veröffentlicht,390 an dem sich die Parteien geschieden haben: Schelling erklärt sich – ohne 385

Hegel an Friedrich Immanuel Niethammer, 8. bzw. 29. August 1807, in Briefe von und an Hegel, Br 1.181 bzw. 183. 386 Jean Paul an J., 6. September 1807 bzw. 22. Juli 1808, in Jean Pauls Sämtliche Werke, Abt. III, Bd 5.163,34–164,4 bzw. ib. 227,16–21. 387 Siehe Friedrich Bouterweks anonyme Rezension in Göttingische gelehrte Anzeigen. 1807, Nr. 152, 21. September 1807, 1513–1518. 388 J. an Friedrich Bouterwek, 12. Januar 1808, ABW II.404. 389 Karl Friedrich Reinhard an J., 17. Juni 1808, in Zoeppritz. II.202 f. 390 Karl Rottmanner: Kritik der Abhandlung F. H. Jacobi’s: Ueber gelehrte

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seine vorherige Mitarbeit an J.s Akademierede zu erwähnen – im Brief an Karl Josef Hieronymus Windischmann vom 31. Dezember 1807 mit biblischem Pathos für Rottmanners Pamphlet: Die Schrift von Rottmanner ist immer gut genug für den Gegenstand; tiefer wäre unbarmherzig. Es ist ein junger Mann; dergleichen, | wie er ist, hier zu Lande erblicken, ist immer erfreulich, traurig aber, daß endlich sogar Kinder und Unmündige schreien müssen, was die Erwachsenen und Alten nicht sehen wollen.391 Strikt entgegengesetzt und sehr ausführlich äußert sich Hegel gegenüber Niethammer: Rottmanners Pamphlet hat, so viel [ich] hörte, nicht nur in München, sondern auch hier [sc. in Bamberg] großes Gefallen erweckt. Der Regierungsdirektor in Bamberg, der starken Zusammenhang nach München hat, hatte mir schon früher von den trefflichen jungen Bayern gesprochen, die der (fremden) Akademie jetzt bereits, und noch mehr in einigen Jahren, einen harten Stand machen werden; dieser Herr R[ottmanner] ist, wie es scheint, einer derselben; er hat sich mit allen bayrisch-pöbelhaften Ansichten assoziiert und die Aeußerung derselben für Pflicht der Philosophie ausgegeben; er ist der Mann nicht wohl der Zeit, aber Bayerns; diese Schrift ist in der Tat darum sehr merkwürdig. Rottmanner, der sich auch so viel um die Kösten, d. h. die Kosten der Akademie sorge, wolle als Hoherpriester am Altar des Vaterlandes nun den J[acobi], den fremden Präsidenten, der das Vaterland so viel köstenden Akademie, darauf als ein Reinigungsopfer, Gott und dem Volke zum süßen Geruche, darbringen und abschlachten.392 Gesellschaften, ihren Geist und Zweck. Nebentitel: Kritik der Rede Jacobi’s. Landshut 1808. – In seiner Vorrede unterscheidet Rottmanner die wahrhaftteuts c h e , oder, was vielleicht das nämliche sagt, universelle, philosophische als die neueste Geistesbildung von der früheren, die mehr dem – unteutsch gewordenen – nördlich-protestantischen Teutschland angehört und den Charakter der Einseitigkeit, der bloßen Verstandesmäßigkeit, des Mangels an höherem Sinn und Leben an sich gehabt habe; dieser Mangel habe sich in J.s Rede noch völlig unverändert ausgesprochen (VII–IX). Rottmanner bekennt sich ib. XIII f. als Bayern, dessen Nationalgefühl schon längst durch | den eitlen Hochmuth mancher nordteutschen Gelehrten erregt, ja empört worden sei und der seinen Unmuth darüber vor dem vaterländischen Publikum laut zu bekennen wage. – In der eigentlichen Abhandlung wirft Rottmanner J. ferner Mangel an ächt-philosop h i s c h e m S i n n u n d G e i s t e vor, ferner die gänzliche Mißkennung des G e i s t e s d e r G e s c h i c h t e , u n d d e s W e r t h e s d e r i n t e l l e c t u e l l e n C u lt u r s o w o h l i n d e r v e r g a n g e n e n a l s g e g e n w är t i g e n Z e i t (ib. 8 bzw. 10) – im Blick insbesondere auf J.s abwertendes Urteil über das Mittelalter und seine Hochschätzung der Renaissance und Reformation. J.s Beilage zu Rhabanus Maurus könne noch höchstens gegen alte Weiber und pensionirte Mönche gerichtet seyn; ib. 19 Fußnote. – Rottmanner zitiert hingegen Schelling sowie den – Schelling nahestehenden – Friedrich Ast; ib. 4 bzw. 21. 391 Schellings Leben, II.125 f. – Zur weiteren Entwicklung des Verhältnisses zwischen J. und Schelling siehe den Editorischen Bericht zu Der Philosoph Hamann, unten 560, sowie den Editorischen Bericht zu J.: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung; JWA 3.181–184. 392 Hegel an Friedrich Immanuel Niethammer, 23. Dezember 1807, in Briefe

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Damit ist der politische Hintergrund der Kritik an J.s Akademierede hinreichend deutlich gezeichnet: Es geht nicht inhaltlich um J.s Ausführungen, sondern die Gegnerschaft gilt der als ausländisch empfundenen Akademie und dem sie verkörpernden Präsidenten. Diese Auseinandersetzungen haben auch in den Folgejahren angehalten und sich sogar, durch das Aufkommen einer mit der französischen Besetzung sympathisierenden Gruppe, noch verstärkt, und es ist sogar zu einem Mordversuch an dem durch J. und Niethammer an das Münchener Gymnasium berufenen Friedrich Wilhelm Thiersch gekommen.393 Im Vorbericht zum zweiten Band des Auserlesenen Briefwechsels räumt der Herausgeber, Friedrich Roth, ein, Kenner würden im Fortgang der brieflichen Zeugnisse eine Lücke bemerken: Es fehle nämlich die Nachricht von Jacobi’s Lage im Jahre 1810, denen gegenüber, die ihn und seine Freunde als Norddeutsche, Protestanten, Gegner Napoleons, Anhänger Oesterreichs, anklagten. Und Roth begründet dieses Fehlen: Vor [!] den Anfechtungen, die er im Jahre 1810 von einer kleinen, aber durch ihr Anschmiegen an Frankreich gefährlichen Partei zu leiden hatte, ist in Briefen, die noch vorhanden sind, zwar mehrmals die Rede, aber meist so flüchtig, daß es, um Mißverstand zu verhüten, weitläuftiger Erklärungen bedurft hätte, die ich über eine gehässige und doch nicht eben merkwürdige Sache beyzufügen nicht gerathen fand. Bezeugen kann ich, da zu Ende 1810 mein vertrauter Umgang mit Jacobi angefangen hat, (zwei Jahre nachher wurde er durch Hausgenossenschaft noch enger und wahres Zusammenleben;) daß Jacobi das ihm Anfangs schmerzliche Zaudern der Regierung, seinen Kränkungen abzuhelfen, in der Folge als einen Beweis nicht allein ihrer Klugheit, sondern auch ihres Wohlwollens gegen ihn erkannt hat.394

von und an Hegel, Bd 1.204, 206. – Am 22. Januar kommt Hegel nochmals auf dieses Thema zurück; siehe ib. 210. 393 Siehe J. an Friedrich Wilhelm Thiersch, in Zoeppritz. II.207–209. 394 ABW II. VIIf. – Zu den Auseinandersetzungen mit Christoph v. Aretin siehe u. a. J. an Johann Heinrich Voß, 16. Oktober 1809, in Zoeppritz. II.36 f., und an denselben, 18. Dezember 1809, ib. 39–42; 13. Februar 1810, ib. 47; 7. März 1810, ib. 47 f.; 21./22. März 1810, ib. 49–53; ferner J. an Friedrich Köppen, 12. Januar 1810, ib. 45. – Daß die politische motivierte Kritik sich auch mehrfach als Kritik an J.s Amtsführung ausgesprochen hat, ist seinem Brief an Johann Neeb vom 7. Januar 1813, ABW II.434 f., zu entnehmen: Der Vorwurf wegen ** hat mich ergötzt, weil ich notorisch bei ihm alle Mittel angewandt habe, um ihn dahin zu bringen, daß er mehr für die Akademie arbeite. Uebrigens glaube ich nicht, daß es mir zur Schande gereichen kann, wenn ich wirklich die Meinung hatte, eine Akademie sey keine Schule, in der man Lectionen aufgiebt und hersagen läßt, keine Fabrik von Ab|handlungen u. s. f. Man muß wissen, wie die Akademie zusammengesetzt ist, wie wenige Mitglieder ordentlich besoldet sind, und noch manches andere, um mir in Absicht dessen, was ich demungeachtet als Vorstand des Instituts zuwege gebracht habe, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

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Anhang AUSZUG AUS: DER PHILOSOPH HAMANN 1. Überlieferung

D Titelblatt: Deutsches Museum / herausgegeben / von / Friedrich Schlegel. / Dritter Band. Wien. / In der Camesinaschen Buchhandlung. / 1813. 33–52: Der Philosoph Hamann. / Vom Herausgeber. / Nebst Hamanns frühester Schrift. / Mitgetheilt / von Friedr. Heinrich Jacobi. Der Text ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen sind durch Sperrung ausgeführt. Diese Abhandlung gliedert sich in vier unterschiedliche Partien, die unterschiedlichen Autoren bzw. Bearbeitern zuzuordnen sind. Sie beginnt mit einer knappen Würdigung Hamanns durch den im Titel genannten Herausgeber des Deutschen Museums, Friedrich Schlegel.395 Seine Verfasserschaft erhellt auch aus dem Rückverweis auf seine Schrift Lessings Gedanken und Meinungen.396 In der zweiten Partie folgt die Edition der Anfangspartien von Hamanns Biblischen Betrachtungen eines Christen durch J.397 Diese Edition ist eine getreue Wiedergabe von Hamanns Schrift; sie umfaßt aber nur die allgemein gehaltene Einleitung und verzichtet auf die Wiedergabe der sehr umfangreichen eigentlichen, an Textstellen – von der Genesis bis zur Offenbarung des Johannes – orientierten Betrachtungen Hamanns. Zu Beginn hat J. ein Textstück in Länge von etwa einer Druckseite ausgelassen.398 J.s Edition überliefert Hamanns Text sehr getreu; deshalb kann sie J. nicht als ein Werk zugerechnet und somit auch nicht in den vorliegenden Band aufgenommen werden. – Auf diese Edition folgen – als dritte Textpartie – überleitende Formulierungen Schlegels, in denen er nochmals den Wunsch nach einer Ausgabe der Werke Hamanns durch J. bekräftigt.399 Der vierte Teil enthält schließlich drei Auszüge aus Briefen Hamanns an J., um Hamanns Geist und Philosophie näher zu charakterisiren: zunächst ein 395

Ib. 33–37, vgl. KFSA VIII.459–461. – Am Ende seiner Einleitung drückt Schlegel seine Hoffnung aus, daß diese Edition die Herausgabe der Werke Johann Georg Hamanns beschleunigen möge, und berichtet: Die nachstehende f r ü h e s t e Schrift von Hamann verdanken wir der Mittheilung des mit ihm befreundeten Philosophen, F r i e d r i c h H e i n r i c h J a c o b i . Sie ist abgefaßt zu London, im Jahre 1758. Hamann, geboren 1730 zu Königsberg in Preußen, befand sich damals auf einer Reise in England. Nachdem er von derselben zurückgekehrt, lebte er von 1762–1787 in seiner Vaterstadt, wo er ein öffentliches Amt bekleidete, und starb 1788. 396 Der Philosoph Hamann, 34; vgl. KFSA VIII.459. 397 Der Philosoph Hamann, 37–45 (nicht in KFSA). 398 Vgl. Johann Georg Hamann: Londoner Schriften. Historisch-kritische Neuedition von Oswald Bayer und Bernd Weißenborn. München 1993, 65,23–66,33 bzw. Johann Georg Hamann: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe von Josef Nadler. Wien. Bd 1.7,24–8,35. 399 Der Philosoph Hamann, 46 f., vgl. KFSA VIII.625.

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Urteil Hamanns über Johannes Müller und eine Charakterisierung seiner eigenen Gefühlsweise. Diese beiden Auszüge sind als Zitate ausgewiesen;400 im dritten Text – Gegen den Pantheismus401 – verbindet J. jedoch einzelne Zitate mit einem erläuternden Text, durch den er spezielle Züge im Bild Hamanns hervorzuheben sucht. Dieser letzte Text hat deshalb – über die bloße Auswahl hinaus – Werkcharakter. Anders als im vorliegenden Band haben die Herausgeber von Band VIII der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe auch die verbindenden Texte zwischen den Zitaten aus Hamanns Briefen Friedrich Schlegel zugesprochen und sowohl Schlegels Überleitung als auch die kommentierten Briefzitate unter dem Titel [Beilage: Schlegels Auszüge von Hamanns Briefen an F. H. Jacobi] veröffentlicht.402 Da diese Bemerkungen jedoch die Zitate aus Hamanns Briefen an J. detailliert durch Nachrichten über Hamann ergänzen, ist nicht anzunehmen, daß es sich bei ihnen um Texte Schlegels handele, sondern um verbindende und erschließende Texte J.s. Die Briefe Hamanns hat ohnehin J. zur Verfügung gestellt, und die kommentierenden Ergänzungen verraten eine Vertrautheit mit Hamann, die für Friedrich Schlegel, der Hamann ja nicht persönlich gekannt hat, nicht vorauszusetzen ist. Dies spricht für eine Autorschaft J.s – auch wenn auf Grund der Quellenlage die Autorschaft Friedrich Schlegels nicht auszuschließen ist. 2. Entstehungsgeschichte Mit der Absicht, eine Ausgabe der Werke Hamanns zu veranstalten, hat J. sich schon bald nach Hamanns Tod am 21. Juni 1788 getragen. Bereits zwei Monate danach fragt Johann Michael, Hamanns Sohn, bei J. an: Darf ich fragen, ob wir eine Ausgabe seiner Schriften von Ihrer Hand erwarten können? Ich weiß nicht, ob es sich schickt zu sagen, daß ich sie wünsche – aber sein Geist würde sich freuen, wenn der Brudergeist seines Jonathan die Schuld tilgte, die er für die letzte seines Lebens hielt.403 Und am 22. Oktober antwortet Johann Michael Hamann auf eine nicht überlieferte Anfrage J.s: Sie fragen mich, ob Kant, Kraus und Hippel auch der Meinung sind, daß | Sie die Schriften meines Vaters herausgeben sollen? Aber diese Männer kümmert das so wenig, daß ich es nicht wagen mag, mit ihnen darüber zu reden. Hartknoch wolle den gesamten Nachlaß verlegen, fürchte aber, daß Jacobi nicht der rechte Herausgeber sei und Herder weit besser sich dazu qualifiziere. Doch fürchtet Johann Michael Hamann, daß Herder nicht wolle, da er in den letzten Jahren nicht mehr so intim mit Hamann gestanden habe.404 J. beginnt bereits damals, 400

Zum Urtheil über Johannes Müller und zu Hamanns eigene Gefühlsweise s. JWA 5,1.389. 401 Zu Gegen den Pantheismus s. JWA 5,1.389–392. 402 KFSA VIII.625–628. 403 Johann Michael Hamann an J., 22. August 1788, JBW I,8. 404 Johann Michael Hamann an J., 22. Oktober 1788, JBW I,8. – Dieser Brief ist nur indirekt, mit eingeschobenen referierenden Partien, überliefert.

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Hamanns Schriften und Manuskripte zu sammeln. Er erhält Manuskripte Hamanns durch seinen Sohn, und er sucht sie zu entziffern und läßt Abschriften herstellen. An Amalia Fürstin Gallitzin schreibt er am 8. Dezember 1788, er könne über die neu eingetroffenen Handschriften noch nichts sagen: Das mehrste ist so geschrieben, daß wirklich der Beystand eines Scheblimini nebst einer Staarbrille dazu gehört um es zu deschiffrieren. Buchholtz wünscht daß ich eine Abschrift davon möglich machte, u ich bin darüber aus. dann schicke ich die Abschriften bogenweise, wie sie fertig werden. Es wäre mir aber lieb wenn Sie mit Buchholtz ausmachten, daß ich die Abschriften Ihnen adreßieren dürfte; sie ließen alsdenn geschwinde eine 2te Abschrift machen, u sorgten so viel u nicht mehr als an Ihnen wäre, daß Buchholtz eben so verführe, u ich meine Handschrift bald zurück erhielte. – Die letzte Schrift v Hamann: »Einkleidung u Verklärung eines Predigers in der Wüste«, wovon ich die Umarbeitung u Fortsetzung in lauter einzelnen Papieren u Papierchen besaß, hat Schenk mit wahrhaft unsäglicher Mühe in Ordnung gebracht.405 In diesen Arbeiten sieht J. sich auch durch das Urteil von Hamanns Sohn bestärkt, der ihm am 30. Januar 1789 schreibt: Daß Herder sich der Arbeit [der Herausgabe von Hamanns Nachlaß] nicht unterziehen wird, darauf, denke ich, könnte man sicher rechnen.406 J. arbeitet deshalb sehr angestrengt an der Werkausgabe; am 6. Februar 1789 sendet er der Fürstin Gallitzin endlich die zwey Bogen Abschriften aus Hamanns Nachlaß. Ich werde nun fortfahren Ihnen wochentlich drey bis vier solcher Bogen zu schicken. Lene und ich haben mit dem Collationieren u berichtigen der hiebeykommenden 2 Bogen fünf Stunden zugebracht, u hiernach überschlagen, wozu wir uns, stylo ferreo, für jede Woche anheischig machen können. Außer ganz offenbaren Schreibfehlern u ausgelaßenen Bindeworten, habe ich nichts verbeßert, daher Sie eine Menge gramatikalische u ortographische Fehler, auch hie u da schwer zu construirende Stellen finden werden. Ich wünschte daß ich bey Ihnen seyn u Ihnen das Werk, welches nur Rhapsodie, aber in meinen Augen mehr als Homer u Milton ist, vorlesen könnte.407 Auch Lavater bestärkt ihn in dieser Absicht der Herausgabe: Du, und niemand andrer, als du, soll Hamanns Leben schreiben, u. die heiligen Reste dieses einzigen Mannes herausgeben. Wie unbezahlbar sind die Stellen über B i b e l , und dem K ön i g e d e r g r o s s e n S t a d t , die du mir auszuschreiben die Güte hattest.408 Wie sehr J. diese Aufgabe am Herzen liegt, sieht man auch daraus, daß er sich am 15. Februar bei Fürstin Gallitzin geradezu entschuldigt, ihr nicht mehr übersenden zu können: Von Hamanns Commentar lege ich anstatt 3 nur 2 Bogen bey, weil ich die vergangene Woche durch übles Befinden u andre Vorgänge an allen Ecken u Enden gehindert worden bin.409 Ende Juni 1789 legt J. versehentlich ein Fragment 405 406 407 408 409

J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 8. Dezember 1788, JBW I,8. Johann Michael Hamann an J., 30. Januar 1789, JBW I,8. J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 6. Februar 1789, JBW I,8. Johann Kaspar Lavater an J., 7. Februar 1789, JBW I,8. J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 15. Februar 1789, JBW I,8.

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Hamanns einem Schreiben an Heinrich Christian Boie, den Herausgeber des Neuen Teutschen Museums, bei und erbittet über den Verleger Göschen die Rücksendung.410 Dann aber geraten diese Arbeiten ins Stocken. An Johann Georg Schlosser schreibt J. am 2. November 1789, er wolle ihm demnächst einen Entwurf über Fragen der Religion zusenden: Ich hatte ihn wirklich schon angefangen. Er soll einigen Fragmenten von Hamann, die ich herausgeben will, zur Einleitung und zum Schilde dienen. Für eine Zeitlang aber liegt das alles, weil ich bis über die Ohren in den französischen Händeln stecke, und wohl die Hände etwas rühren muß, um mir Luft zu machen.411 Am 23. Dezember 1789 teilt J. Amalia Fürstin Gallitzin zwar einen etwas veränderten Plan mit: Ich will nehmlich versuchen Hamanns Lehre in eine faßlichere Predigt zu verwandeln.412 Daß er gleichwohl am Plan einer Werkausgabe festhält, erhellt jedoch aus seinem Schreiben an Kleuker, den er ebenfalls in die Editionsarbeiten einbezogen hat, vom gleichen Tag: Die zwölf Gulden behalten Sie auf Abschlag der Copierkosten des Hamannischen Manuscripts, für dessen Besorgung ich Ihnen den lebhaftesten Dank sage. Wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe und Zeit kostet, so bringen Sie diese Unternehmung doch zu Ende. Das Lesen der Abschrift habe ich bisher noch verschoben, weil ich zuvor mit allen gedruckten Schriften des großen Mannes zu Ende seyn will.413 Am 14. Januar 1790 entwickelt J. in einem Brief an Nicolovius einen detaillierten Plan: Mein Buch über Hamann soll nicht stückweise, sondern auf einmal und für sich allein erscheinen. Seine Form soll die eines Beitrages zur Geschichte der Philosophie sein. Ich fange bei den Sokratischen Denkwürdigkeiten an, denen die Epistel des Abälardus Virbius folgte, worauf Hamann eingeladen wurde, an den Literatur-Briefen teilzunehmen. Unmittelbar darauf erschienen die Kreuzzüge. Auch nach der Erscheinung dieses Buches nannte man ihn noch mit Ehrfurcht. Aber nun auch nicht wieder. Lag es in dem Manne, daß sein öffentliches Schicksal sich so änderte, hat er bald so, bald anders geredet? Was hat er geredet? Aufklärung aus seinen frühesten und spätesten ungedruckten Schriften, aus | Briefen u. s. w.; Zusammenrückung seiner Gedanken nach verschiedenen Gesichtspunkten; Harmonie aller seiner Mittel zu einem einzigen, auffallenden Zwecke – dies wäre ganz im Rohen mein Entwurf. Sobald ich etwas fertig habe, woraus Sie mehr sehen können, sollen Sie es lesen und mir Ihre Meinung darüber sagen. Noch habe ich nicht angefangen; fange ich einmal an, so werde ich auch endigen. Dieser Schrift sollte alsdann die vollständige Sammlung von Hamanns Werken folgen, die ich auf Subskription zum Vorteil seiner Kinder herausgeben würde.414 An Lavater schreibt J. am 30. Januar 1790: Ich bin jetzt mit Vorarbeiten zu zwei Schrif410

J. an Georg Joachim Göschen, 19. Juli 1789, JBW I,8. J. an Johann Georg Schlosser, 2. November 1789, JBW I,8. 412 J. an Amalia Fürstin Gallitzin, 23. Dezember 1789, JBW I,8. 413 J. an Johann Friedrich Kleuker, 23. Dezember 1789, JBW I,8. 414 J. an Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, 14. Januar 1790, JBW I,8. 411

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ten beschäftigt. Die Eine soll Hamanniana heißen, und über die zwei Fragen hauptsächlich rouliren: 1) Was hatte der Mann für Meinungen? 2) Wie kann man solche Meinungen haben? Die Form soll die eines Beitrags zur Geschichte der Philosophie seyn.415 Auch im März gehen die Arbeiten noch voran; J. macht Kleuker auf einen Fehler aufmerksam: In der Abschrift von Hamanns Commentar ist ein Defect von ein paar Lagen. Wenn ich ihn nicht heute Ihnen bestimmt anzeigen kann, so geschieht es in meinem nächsten.416 Und auch im Herbst korrespondiert J. mit Kleuker wegen der Hamann-Ausgabe: Hamanns philologische Zweifel und Einfälle über eine academische Preisschrift habe ich nicht, und Sie verbinden mich sehr, wenn Sie mir eine Abschrift davon schicken wollen. Dagegen sollen Sie die zwey Briefe des Apollonius Philosophus haben, worauf sich die Antworten des Telonarchi Zachäi beziehen. Ich erhielt sie die vorige Woche durch Nicolovius und hatte, wie Sie denken können, darüber eine große Freude.417 Um den erstgenannten Titel handelt es sich vermutlich bei J.s Dank an Kleuker für den herrlichen Aufsatz von Hamann. Ich kenne nichts von ihm, das mir besser gefiele. Eine Abschrift davon ließ ich damals gleich machen, aber erst heute schicke ich das Original an die Prinzessinn zurück.418 Und am 27. November 1790 bittet und mahnt Nicolovius J.: Wie lange werden Sie uns noch Ihren »Character Hamann’s« vorenthalten? Zeigen Sie doch bald frei der Welt, was sie auch dazu sage! daß der Unvergeßliche auch noch Ihrem Herzen lebe, und mehr als Einer, den Sie gekannt, in die Wolke jener Zeugen gehöre, deren die Welt nicht werth war. Sie sind fähig und werth, der Menschheit dies Denkmal zu errichten, und zu zeigen, welches Lebens voll Kraft und Geist sie fähig sei … Möchte recht bald Ihr Herz Sie treiben, Hand ans Werk zu legen, und wenigstens uns, die wir ihn kannten, eins zu schenken, das uns theuer und lieb sein kann, wie der Mann, den es uns darstellt … Sein Denkmal, von Ihrer Hand errichtet, ist einer meiner angelegentlichsten Wünsche.419 Diesen dringlichen Wunsch aber hat J. nicht mehr erhört; es scheint fast, als habe er daraufhin seinen Plan aufgegeben. Am 14. Januar 1791 teilt er zwar noch einmal Kleuker mit: Wegen des Hamannschen Manuscripts schreibe ich mit nächster Post nach Münster,420 und am 15. und 16. März schreibt ihm Lavater: Der gute Hamann! auf seine zusammengedruckten Schriften von Dir kommentirt, und sein Leben freu’ ich mich herzlich.421 Damit aber wird es 415

J. an Lavater, 30. Januar 1790, ABW II.15. – Siehe auch in Zoeppritz. II.13: J. an Nicolovius, 26./28. Juni 1806; auch schon in Zoeppritz. I, Korrespondenz mit Nicolovius: Abschreiben der Werke Johann Georg Hamanns; Friedrich Schlegel an J., 7. November 1812, in Zoeppritz. II.106, Friedrich Schlegel an J., 27. August 1813, in Zoeppritz. II.110. 416 J. an Johann Friedrich Kleuker, 4. März 1790, JBW I,8. 417 J. an Johann Friedrich Kleuker, 6. und 17. September 1790, JBW I,8. 418 J. an Johann Friedrich Kleuker, 12. November 1790, JBW I,8. 419 Georg Heinrich Ludwig Nicolovius an J., 27. November 1790, JBW I,8. 420 J. an Johann Friedrich Kleuker, 14. Januar 1791, JBW I,9. 421 Johann Kaspar Lavater an J., 15. und 16. März 1791, JBW I,9.

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still um J.s Plan. Andere Ereignisse und Aufgaben schieben sich für ihn in den Vordergrund: neben den Wirren der Französischen Revolution der Entschluß, 1792 eine neue Fassung des Allwill zu veröffentlichen, später die beiden neuen Fassungen des Woldemar aus den Jahren 1794 und 1796 – um nur die wichtigsten Vorhaben zu nennen. Einen nochmaligen Auftrieb scheint das Projekt der Hamann-Ausgabe durch ein Zusammentreffen mit Herder zu bekommen; hierüber berichtet J. am 3. August 1792 Johann Friedrich Kleuker: Wir haben viel von Hamann gesprochen und eine gemeinschaftliche Herausgabe seiner Werke beschlossen. Ich werde zuerst einen Brief an Herder über den Geist und den Werth der Hamannischen Schriften, nach meinem Gefühl und Urtheil, aufsetzen; diesen Brief soll Herder alsdann beantworten, und diese Erklärung und Gegenerklärung der Sammlung vorgedruckt werden. Es ist viel, daß Herder sich zu dieser Einrichtung verstanden hat. Ich ließ ihm die Wahl, wer zuerst schreiben sollte. Nach einiger Überlegung wurde beschlossen, was ich wünschte, nehmlich, daß ich zuerst schreiben sollte.422 Diesen neuen Plan hat J. auch Nicolovius – oder allgemein der Reisegesellschaft Stolbergs – mitgeteilt, denn Nicolovius antwortet im August oder September 1792: Mich freut’s, daß H e r d e r , – obgleich er leichter als einer dem Hauche der Zeit nachgiebt, und Beides ist, ein Rohr vom Winde bewegt, und ein Mann im weichen Kleide in der Könige Häuser, – an H a m a n n ’ s Schriften mit Hand anlegen will. Er ist mir eine liebliche Erscheinung, eine glänzende Morgenröthe, durch welche die Erde nicht befruchtet, und Same und Keim nicht ins Leben gefördert wird. Wehre nur, daß er mit seinem Haß gegen alle Personalität im Himmel und auf Erden, Dir Deine und H a m a n n ’ s Sonne nicht zu sehr vernebele. Ein wenig mag er’s thun, der schwachen Augen Eurer Zeitgenossen halber.423 Der Plan einer gemeinschaftlichen Herausgabe mit Herder verschwindet aber sogleich wieder, und es wird für lange Zeit still um die Hamann-Ausgabe. Daß J. aber weiterhin an ihr festhält und statt Herders nunmehr Nicolovius einbeziehen will, geht aus einem Schreiben an Hausleutner hervor: Eine Sache die mir sehr am Herzen liegt, und wozu ich nicht kommen kann, ist die Herausgabe von Hamanns Schriften. Nicolovius, ein älterer Bruder des Verlegers sollte diesen Sommer zu mir kommen und mich bey dieser Arbeit unterstützen: daraus wird nun nichts, weil der junge Mann heyrathet u sich ein Nest bauen muß.424 Doch nachdem auch dieser Plan zur Zusammenarbeit scheitert, scheint J. seinen Plan auf geeignetere Zeiten zurückzustellen – auch wegen seiner Lebensumstände: Im September 1794 verläßt er Pempelfort und beginnt ein unruhiges Wanderleben in Holstein und Hamburg, und 1805 zieht er nach München.425

422 423

J. an Johann Friedrich Kleuker, 3. August 1792, JBW I,9. Georg Heinrich Ludwig Nicolovius an J., August oder September 1792, JBW

I,9. 424 425

J. an P. W. G. Hausleutner, 23. März 1794, JBW I,9. Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Briefe dieser Jahre noch nicht für die

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Hier allerdings hat er sich weiter mit seinem alten Plan beschäftigt – und eigentümlicher Weise begegnen in diesem Zusammenhang nun die Namen früherer Gegner: zunächst der Name Schellings. Auch in der Phase der erneuten Spannungen zwischen Schelling und J.426 halten beide noch bis 1811 nach außen den Schein eines nicht bloß kollegialen, sondern freundlichen Verhältnisses aufrecht. J. überläßt Schelling die von ihm – im Blick auf seine eigene Werkausgabe – gesammelten Briefe Johann Georg Hamanns zur Lektüre und erhält sie mit einem nicht überlieferten Dankschreiben zurück; daraufhin antwortet er Schelling am 8. Dezember 1808 in sehr freundlichem Ton: Der Ausdruck Ihres Danks, lieber Verehrtester, für die Hammannschen Briefe, hat mir innig wohlgethan, mich erwärmt, wie ich leidensvoller alter Mann es so sehr bedarf, und es hier so äußerst selten wurde.427 Daß auch Schelling weiterhin ein formell gutes Verhältnis zu J. anstrebt, belegt die freundliche Hervorhebung J.s, die Schelling der 1809 veröffentlichten Fassung seiner Akademierede vom 12. Oktober 1807 anfügt – und hier ist auch wieder vom alten Plan einer Hamann-Ausgabe die Rede: Möchte Derjenige, dem der Verfasser die erste genauere Bekanntschaft mit den Schriften jenes urkräftigen Geistes [sc. Hamanns] verdankt, F. H . J a c o b i , die längst gehoffte Ausgabe der Werke Hamann’s entweder noch selbst übernehmen, oder durch Sein Wort beschleunigen!428 Der zweite, im Blick auf das frühere Verhältnis zu J. unerwartete Name ist der Name Friedrich Schlegels. Er hat in seinem Denken ja eine radikale Wendung vollzogen, die auch in seiner Konversion im Jahre 1806 zum Ausdruck kommt – und trotz J.s Entsetzens über die Konversion Friedrich Leopold Graf Stolbergs und seiner Abneigung gegen Konversionen überhaupt nähert Schlegel sich dadurch J. etwas an. In einem von J. (in einem nicht überlieferten Brief) erbetenen langen Bericht über Schlegel bezeichnet Karl Friedrich Reinhard ihn als einen derjenigen, in deren Munde Sie oft Ihre eigenen Reden vernehmen mögen, ohne Ihren Geist in ihnen zu erkennen.429 Reinhard schildert sehr ausführlich seine Bekanntschaft mit Schlegel, und er entwirft ein eingehendes Bild des Charakters und des Denkwegs Schlegels: Er sei nun catholischer als die Ausgabe Jacobi: Briefwechsel bearbeitet sind. Der künftige Fortschritt dieser Ausgabe kann auch in diesem Aspekt neue Erkenntnisse zu Tage fördern. 426 Siehe den Editorischen Bericht zu J.s Akademierede, 548–550. 427 J. an F. W. J. Schelling, 8. Dezember 1808, in Schelling: Briefe und Dokumente, I.425. – Vgl. Schelling an J., 5. Januar 1809 (Entwurf), in Schelling: Briefe und Dokumente, I.433. 428 Schelling: Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur. Eine Rede zur Feier des 12ten Oktobers als des Allerhöchsten Namensfestes Seiner Königlichen Majestät von Baiern gehalten in der öffentlichen Versammlung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München. (Mit Zugabe einiger Anmerkungen.) 1807. In Schelling’s philosophische Schriften. Bd 1. Landshut 1809 (KJB 1082), 341–396, Zitat 388; PLS 1,1.341–366, Zitat 363; SW I,7.289–329, Zitat 293 f. 429 Karl Friedrich Reinhard an J., 17. Juni 1808, in Zoeppritz. II.202–207, Zitat 203. – Diese Wendung nimmt Reinhard aus einem Brief J.s an seine Ehefrau Christine auf; siehe oben, 550, Fußnote 384.

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Catholiken; und Reinhard schließt seine Darstellung mit den Worten: Er scheint durch den Vorhof der Ruchlosigkeit ins Heiligthum eingegangen, wie der Lügner endlich an seine Lügen glaubt, durch den Widerspruch der Einen, durch den Beyfall der andern, durch einseitig auf einen Punkt bezogenes Studium, in den vom Zeitgeist und vom Bedürfniß accreditirten paradoxien bis zur Ueberzeugung gestärkt und zugleich Betrogener und Betrüger zu seyn. Welches von beyden er überwiegend seyn werde, werden die Umstände bestimmen.430 Ende November 1811 nimmt Schlegel die Verbindung mit J. auf; eine günstige Gelegenheit ergibt sich dadurch, daß Alexander von Humboldt, von Wien aus kommend, J. in München besucht und ihm dabei Empfehlungen und einen Brief Schlegels überbringt.431 Schlegel nennt darin auch ohne Umschweife sein Interesse: J. habe dem Verleger Perthes für dessen Vaterländisches Museum seine Mitarbeit zugesagt – und so hoffe er, daß Sie dieselbe der in der Beylage angekündigten Zeitschrift [sc. dem nun von Schlegel in Wien 1812 ff. herausgegebenen Deutschen Museum] nicht versagen werden, deren Plan zum Theil aus jener frühern entstanden und nach denselben oder noch strengeren vaterländischen Grundsätzen eingerichtet ist. In dieser Absicht bin ich so frey eine Ankündigung beyzulegen, und es könnte mir nichts erwünschter seyn, als wenn das Ganze Ihren Beyfall hätte und sich Ihrer Theilnahme erfreuen könnte.432 Zur gleichen Zeit sucht Schlegel auch Jean Paul für eine Veröffentlichung einiger Aphorismen Hamanns zu gewinnen, als Beginn einer Ausgabe der Werke Hamanns, zu der Jean Paul verpflichtet sei; dieser aber lehnt den Vorschlag vor allem aus dem urheberrechtlichen Grund ab: Der bloße Besitz seiner Werke gibt kein Recht zur Herausgabe, seinem Sohne ausgenommen.433 J.s Antwort auf Schlegels Anfrage ist nicht überliefert; in einem Gegenbrief vom 7. November 1812 dankt Schlegel jedoch dafür und auch für die Übersendung des ersten Bandes der Werke J.s, und er betont: Die Briefe von Hamann und die von Ihnen an ihn, freuten mich noch ganz besonders. Wäre es denn nicht möglich, daß einer Ihrer jüngeren Freunde, unter Ihrer Anleitung etwa, eine Ausgabe von den Werken, Blättern und Sprüchen dieses der Menge noch ganz unbekannten Weisen veranstaltete? – Wollten Sie mir ein W o r t ü b e r i h n , oder wenn Sie etwa außer jenen schon abgedruckten Briefen noch etwas handschrift v o n ihm besitzen, dieses für das 430

Ib. 206 f. Zum Besuch Humboldts siehe J. an Friedrich Jacobs, 10. Januar 1812, ABW II.428; zum Brief Schlegels siehe Zoeppritz. II.71 f. 432 Ib. 71. 433 Jean Paul an Friedrich Schlegel, 1. August 1812, in Jean Pauls Sämtliche Werke, Abt. III, Bd 6.286,9–11; er fährt ironisch fort: Die unzähligen literarischen Erläuterungen könnte am besten Nicolai geben, sogar jetzt dem Hamann selber – der oft seine eignen Anspielungen vergessen –, wenn er anders bei ihm ist. Jean Pauls weitere Bemerkungen zu einem geeigneten Vorgehen zitiert Schlegel in seiner J.s Edition begleitenden Einführung im Deutschen Museum, Bd 3, 1813, 46. 431

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Museum geben, so würden Sie mich dadurch sehr erfreuen. Es ist diese Zeitschrift ganz eigentlich bestimmt, das Andenken s o l c h e r Männer (gleichviel ob aus dem 8ten oder 18ten Jahrhundert) lebendig zu erhalten. Und nachdem er J. noch angeboten hat, auch über andere Themen im Deutschen Museum zu publizieren, betont er: Ich lege eine Ankündigung für den zweyten Jahrgang unsers Museums bey und empfehle es Ihrer Theilnahme nochmals.434 J.s Antwort ist wiederum nicht überliefert, doch am 27. August 1813 gesteht Schlegel seine alte schwere Schuld, daß er J. nicht schon längst geantwortet habe, und er geht auf die inzwischen erfolgte Veröffentlichung des Beitrags über Hamann im Deutschen Museum ein: Wie sehr ich mich über den ersten Aufsatz von Hamann gefreut habe, werden Sie aus dem Museum gesehen haben und ich hoffe, Sie mögen wenigstens in dieser Hinsicht mit den Paar begleitenden Worten von mir nicht unzufrieden seyn. Dem ist zu entnehmen, daß J. diese erneute und für ihn letzte Gelegenheit zu einer Veröffentlichung von Werken Hamanns ergriffen und um die Jahreswende 1812/13 Hamanns Abhandlung Biblische Betrachtungen eines Christen sowie die in JWA 5,1 veröffentlichten Bruchstücke zu Der Philosoph Hamann an Schlegel gesandt habe; Schlegel hat sie um die Einleitung und die Zwischenbetrachtung vermehrt und den Lesern des Deutschen Museums zu erschließen gesucht. Allerdings schreibt Schlegel weiter: Mit dem andern Aufsatz hat es mancherley Schwierigkeiten, und dieß ist mit e i n e von den Ursachen, welche meine Antwort so lange verzögert haben. Von einem Manne wie Hamann müsse zwar alles bekannt werden, doch eigne sich dieser zweite Aufsatz nicht so sehr zu einer Veröffentlichung im Deutschen Museum; auch würde er lieber etwas anderes einrücken als grade die etwas herben Aeußerungen über einen guten, längst verstorbenen Mann, der mir nun nebst seiner Familie näher angehört – nämlich über Moses Mendelssohn, den Vater der Ehefrau Schlegels mit dem nunmehr christlichen Taufnamen Dorothea. Und noch größere Schwierigkeiten sieht Schlegel teils bei der immer noch etwas streng oder beschränkt agierenden Zensur, teils bei der Leserschaft des Deutschen Museums, die erst mittels eines sehr weitläuftigen und umständlichen Commentars in die Thematik eingeführt werden müßte. Deshalb bittet Schlegel, J. möge ihm erlauben, aus dem Aufsatze einen kleinen A u s z u g zu geben, vorzüglich das, was H. über sich selbst und seine Schriften sagt, um abermals im Museum auf ihn und auf die zu hoffende Ausgabe seiner sämmtlichen Werke aufmerksam zu machen. Können | Sie diese Bitte gewähren, so bitte ich Sie mich bey unsrer wieder offnen Gelegenheit davon zu benachrichtigen. Wo nicht, so werde ich den Aufsatz mit sicherer Gelegenheit wieder übersenden.435 Damit allerdings scheint die briefliche Verbindung zwischen Schlegel und J. wieder abgerissen zu sein, und ebenso J.s Bemühen um eine Ausgabe Hamanns.

434

Friedrich Schlegel an J., 7. November 1812, in Zoeppritz. II.104–107, Zitate 106 f. 435 Friedrich Schlegel an J., 27. August 1813, in Zoeppritz. II.110–112.

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Sie ist erst in den Jahren nach seinem Tod durch seinen engen Freund Friedrich Roth verwirklicht worden.436

FLIEGENDE BLÄTTER 1. Überlieferung D1 Titelblatt: Minerva. / Taschenbuch für das Jahr 1817. / Neunter Jahrgang. / Mit 10 Kupfern. / Leipzig, bei Gerhard Fleischer d. Jüng. [259]–300: Fliegende Blätter / von / F. H. Jacobi. Der Text ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wörter in Antiqua. Hervorhebungen im Frakturtext sind durch Sperrung ausgeführt.

D2 Titelblatt: Friedrich Heinrich Jacobi’s / Werke. / Sechster und letzter Band. / Leipzig, bei Gerhard Fleischer. / 1825. [131]–175: Fliegende Blätter. / Erste Abtheilung. Die Rückseite dieses Zwischentitels ist nicht bedruckt; der Text beginnt S. [133]. Er ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Wörter in Antiqua. Hervorhebungen im Frakturtext sind durch Sperrung ausgeführt. Auf diese Erste Abtheilung folgen in Bd VI der Werke auf den S. [176]– 199 noch eine Zweite Abtheilung sowie noch eine Dritte Abtheilung und eine Vierte Abtheilung auf den S. [200]–216 bzw. [217]–242. In seinem Vorbericht zu W VI berichtet Friedrich Roth über seine herausgeberischen Entscheidungen: Von den fliegenden Blättern ist die erste Abtheilung unverändert, wie Jacobi sie in dem Taschenbuche Minerva gegeben hat, abgedruckt. Aus der zweiten und dritten, welche der Unterzeichnete in andere Jahrgänge desselben Taschenbuches hat einrücken lassen, sind nur wenige Sätze hier ausgelassen worden, weil sie aus Briefen genommen waren, die nun in Jacobi’s auserlesenem Briefwechsel erscheinen. Die vierte Abtheilung umfaßt alles übrige, was nach wiederholtem sorgfältigem Durchforschen der Jacobi’schen Papiere geeignet befunden worden ist, diesen Blättern angereiht zu werden. Zwar enthielten jene Papiere, wie zu erwarten war, viel mehr dieser Art; allein der Herausgeber machte sich zum Gesetz der Auswahl, alles zu übergehen, was mit Stellen in Jacobi’s Werken im wesentlichen gleichlautend erschien.437

436 Hamann’s Schriften. Hrsg. von Friedrich Roth. 7 Bde. Berlin 1821–1827. Ein abschließender Band mit Nachträgen ist erst nach Roths Tod erschienen: Johann Georg Hamann: Schriften. Bd 8, Abt. 1. Hrsg. von Gustav Adolf Wiener. Berlin 1842. 437 Siehe WW VI. IV.

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Anhang 2. Entstehungsgeschichte

Es ist seit längerem bekannt, daß J. sich bereits vergleichsweise früh, noch vor seinen Briefen Ueber die Lehre des Spinoza, zumindest bis ins Jahr 1780 zurückgehend, eine umfangreiche Sammlung von Notizbüchern angelegt hat, von sogenannten Kladden,438 und er hat sie bis in die Tage vor seinem Tode weitergeführt. Viele von ihnen und insbesondere die vor 1786 verfaßten sind verloren, und die erhaltenen sind leider noch nicht veröffentlicht.439 In diesen Gedankenbüchern oder Denkbüchern hat J. alles notiert, was ihm als aufbewahrenswert erschien – seien es Lesefrüchte, seien es eigene Reflexionen, aphoristische Formulierungen oder Quellensammlungen und Vorstufen zu geplanten Veröffentlichungen. Diese Kladden hat J. sich zu seinem eigenen Gebrauch angelegt; allerdings hat er wohl gelegentlich Freunden auch Kladden zur Lektüre überlassen. Es ist wenig wahrscheinlich, daß er seine Notizen in größerem Umfang veröffentlichen wollte; sie sollten ja vornehmlich Arbeitsmaterial für ihn bilden. Doch hat er aus seinen Kladden auch vorlesen lassen oder selber vorgelesen. Dies belegt Jean Pauls Brief an J. vom 15. August 1812, in dem es heißt: Gib doch jedem deiner philosophischen Werke einen Anhang als Fruchtlese (ohne systematischen Bindfaden) aus deinen trefflichen Bruchstücken, wovon du mir einige im Wirtshaus in Erlangen lesen lassen.440 Nach diesem Erlebnis drängt Jean Paul wiederholt darauf, J. solle die in seinen Kladden notierten Aphorismen veröffentlichen. Diesen Rat wiederholt er am 25. April 1814: J. solle in seiner Werkausgabe nur recht viel Neues geben, denn dein weniges Altes kann man auswendig. – Deine zerbröckelten Brosamen von Aphorismen, die ich genoßen, bedürfen wahrlich kein Neubacken oder Umknäten zu einem Ambrosiabrod. – An deiner Stelle gäb’ ich Woldemar ec. ec. erst am Ende der Sammlung.441 Und auch am 25. bzw. 27. Januar 1816, im Zusammenhang seiner Lektüre von Band II und der Erwartung von Band III der Werkausgabe J.s, drängt er ihn: Traue dir lieber zu viel als zu 438

Siehe die den Kladden gewidmete Dissertation Schneider: Denkbücher Jaco-

bis. 439

Eine Publikation im Verlag frommann-holzboog, in einer gesonderten Abteilung der Jacobi-Gesamtausgabe, ist seit mehreren Jahren angekündigt. 440 Jean Paul an J., 15. August 1812, in Jean Pauls Sämtliche Werke, Abt. III, Bd 6.289,14–17. – Schneider: Denkbücher Jacobis, 109 f., verweist ferner noch auf Jean Pauls Brief an J. vom 18. Dezember 1810; hier bittet Jean Paul J. in ähnlicher Weise wie später: Ach giebt uns doch deine Gedanken so wie sie funken- oder sternen-weise aus dir springen; was soll eine besondere steife Soldaten-Reihung im Firmament? Ich habe bei dir noch keine Wiederholungen gefunden, und zwar darum keine, weil du organisch, nicht baumkünstelnd (syllogistisch) erschaffst. […] Mir thun jetzt deine Schriften noth (nöthig). – Hier ist allerdings nicht von J.s Kladden die Rede; es gibt keinen Beleg dafür, daß Jean Paul schon damals, also vor der Begegnung in Erlangen, von ihrer Existenz und ihrer Ausführung gewußt habe. 441 Jean Paul an J., 25. April 1814, ib. 376,7–11.

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wenig zu: so irrst du weniger; und gib uns alle deine von mir gelesenen Aphorismen, welche wie Minerva ja so gleich fest bekleidet aus deinem Kopfe gekommen sind. In deinen Jahren muß man auf keine Jahre warten.442 Am 12. April 1817 geht sein Drängen endlich in Erfüllung: Hierfür spricht er J. und Friedrich Roth, die ihm Hamanns Golgatha und Scheblimini ausgeliehen haben, seinen herzlichsten Dank aus, und er fährt fort: Und dir sage einen noch größern für deine Aphorismen in der Minerva. Fahre nur fort und – wie ich dir längst gerathen – gib alle deine zerstreueten Perlen ungebohrt oder ungereiht der Welt. Wer jene nur las, fand sie vortrefflich.443 Da von anderer Seite keine vergleichbaren Aufforderungen belegt sind, steht zu vermuten, daß J. durch Jean Paul zur Veröffentlichung zunächst eines kleinen Teils seiner Aphorismen gedrängt worden sei – in der Zeitschrift Minerva, wohl deshalb, weil sie im gleichen Leipziger Verlag erschienen ist wie J.s Werkausgabe. In der kleinen Einleitung, die J. den ausgewählten Aphorismen voranstellt, heißt es, er gebe für dies Mal nur einige aus dem großen Vorrath herausgeloosete Blätter.444 Dies deutet, ganz in Übereinstimmung mit Jean Pauls Drängen, auf die Absicht weiterer Veröffentlichungen. In seinem eben zitierten Vorbericht zu W VI erwähnt Friedrich Roth nicht, daß J. noch weitere Aphorismen für eine Publikation ausgewählt habe; Peter-Paul Schneider weist jedoch auf eine Aufstellung in J.s Kladden hin, die auch die Eintragungen nennt, die Jacobi publikationswürdig erschienen, die er aber aus Platzgründen aus dem ersten Teil der »Fliegenden Blätter« noch aussparen mußte. Jacobi hat diese Eintragungen auch im Text entweder durch Anstreichen, durch das Notabene-Zeichen oder durch ein Gitterkreuz (#) mit braunem Farbstift gekennzeichnet. F. Roth hat sich bei der Publikation der restlichen Teile überwiegend an diese Zeichen gehalten, wenn er auch nur ein [!] Bruchteil des Bezeichneten ediert hat. Ferner vermerkt Schneider, daß J. die in der Minerva veröffentlichten Aphorismen bis auf wenige Ausnahmen als erledigt durchstrichen und auch noch zusätzliche Hinweise für die künftige Auswahl eingetragen habe. Da, wie Schneider ebenfalls notiert, von den 104 in der Minerva veröffentlichten Aphorismen alle bis auf 18 in der überlieferten Kladden nachweisbar sind, läßt sich erkennen, daß J.s Behauptung, er habe an den hier erscheinenden, zu sehr verschiedenen Zeiten flüchtig hingeworfenen Sprüchen weder biegen noch bessern wollen und habe sie so veröffentlicht, wie sie ursprünglich a l l e i n z u m i r s e l b s t gesprochen wurden, eine – übliche – literarische Stilisierung ist, die den Eindruck des Ursprünglichen verstärken und zugleich stilistische Nachlässigkeiten entschuldigen soll: Schneider konstatiert eine Redaktionstätigkeit J.s, die in mehreren Fällen erhebliche Abweichungen, Ergänzungen, Umformulierungen und auch das Entfallen von Datierungen umfaßt.445 442 443 444 445

Jean Paul an J., 25. Januar 1816, ib. Abt. III, Bd 7.57,10–14. Jean Paul an J., 12. April 1817, ib. 107,18–21. Siehe JWA 5,1.395,13 f. Schneider: Denkbücher Jacobis, 95–98. – Da dieser Editorische Bericht sich

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Nur zu vermuten ist, was den Ausschlag für J.s Wahl des Titels Fliegende Blätter gegeben haben könnte. Der Ausdruck ist in der damaligen Sprache durchaus geläufig; im Spinoza-Streit bezeichnet Johann August Eberhard in seiner Rezension zu Moses Mendelssohn: An die Freunde Lessings J. als Urheber einiger fliegender Blätter, um ihn gegenüber Moses Mendelssohn, dem Verfasser des Phädons und der Briefe über die Empfindungen, als ein philosophisches Leichtgewicht bloßzustellen.446 Bei der Wahl des Titels mag aber auch die Reminiszenz an Johann Georg Hamanns Fliegenden Brief mitgespielt haben, für den J. im Jahr 1786 gemeinsam mit Johann Heinrich Schenk in großem Umfang Redaktionsarbeiten durchgeführt und betreut hat.447 Ebensogut ist jedoch denkbar, daß J., wie zur Publikation seiner Aphorismen, so auch zur Wahl des Titels durch Jean Paul angeregt worden ist: Denn Jean Paul veröffentlicht im Oktober 1811 das Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel, und dort heißt es in der Vor-Geschichte oder Vor-Kapitel: durch Fidibus, durch Stuhlkappen, Papier-Drachen und andere fliegende Blätter fiblichen Lebens.448

UNGESICHERTES Überlieferung D Das hier mitgeteilte Gedicht gehört zum Bestand der Sammlung des GoetheMuseums, Düsseldorf. Es liegt in J.s Handschrift vor und ist auch so verzeichnet: Jacobi, Friedrich Heinrich / Eigenh. Gedichtniederschrift / »Ich kann’s nicht sagen …« / o. O. u. D. Ungesichert sind nicht allein Ort und Datum, sondern auch die Verfasserschaft J.s. Es kann sich um ein Gedicht J.s aus einer schwierigen Lebenslage handeln – etwa nach dem Tod seiner Frau Betty am 9. Februar 1784 –, aber ebenso um die Abschrift des Gedichts eines anderen Verfassers und zu einem unbestimmten Zweck. Trotz dieser Ungewißheit wird das Gedicht hier mitgeteilt, da J. es unzweifelhaft mit eigener Hand niedergeschrieben hat.

für die Beschreibung der Kladden lediglich auf Schneiders Angaben und nicht auf Autopsie stützt, sei hier nur pauschal auf Schneiders Beispiele verwiesen. 446 Allgemeine Deutsche Bibliothek. 68 (1786), St. 2, 339 f. – In der Fachsprache der Buchherstellung wird als Fliegendes Blatt ein erstes und letztes Blatt eines Bucheinbandes, das den frei beweglichen Teil des Vorsatzes bildet, bezeichnet; siehe Ursula Rautenberg: Artikel Fliegendes Blatt. In Rautenberg (Hrsg.): Sachlexikon des Buches. Stuttgart 2003, 221. 447 Diese Korrespondenz zwischen Hamann, J. und Johann Heinrich Schenk durchzieht weite Teile des Briefwechsels des Jahres 1786; siehe JBW I,5. 448 Auf diese mögliche Quelle verweist ebenfalls Schneider: Denkbücher Jacobis, 107.

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NACHTRAG zu Jacobi: Werke. Band 4,1: Kleinere Schriften I. NACHRICHT. 1. Überlieferung D Erfurtische gelehrte Zeitungen für das Jahr 1772, Erfurt, Joh. Jacob Friedrich Straube, 25. Stück, Donnerstag, den 26. 3. 1772. S. 198–200. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Namen und besondere Ausdrücke sind durch Schwabacher hervorgehoben.

2. Entstehung Diese als Nachtrag an das Ende des vorliegenden Bandes gestellte Subskriptionsanzeige für eine neue Bearbeitung von Wielands Agathon ist bisher von der Jacobi-Forschung nicht beachtet, zumindest nicht in ihrer Bedeutung erkannt worden.449 Sie stammt aus der Zeit der überschwenglichen Freundschaft und engen Zusammenarbeit J.s mit Christoph Martin Wieland, wenige Monate bevor beide – im August 1772 – beschlossen haben, den Deutschen Merkur zu gründen.450 Von diesem Vorhaben ist in der Nachricht noch nicht die Rede, sondern allein von einer neuen Auflage von Wielands Agathon.451 Schon die früheste Erwähnung Wielands in J.s Briefwechsel – im Oktober 1768 – ist ein Lob auf Wielands Geschichte des Agathon; J. empfiehlt dieses Werk dem befreundeten Verleger Marc Michel Rey: Je vous conseille de lire Agathon, ouvrage exelent de Mr. Wieland, qu’on vient de traduire, je ne sais si cest bien ou mal, mais il est impossible que cela soit si mal, que Vous n’en sojiez toujours encore enchanté.452 Im Mai 1770 bestellt J. vorsorglich beim Verlag Weidmanns Erben und Reich ein Exemplar der Geschichte des Agathon. 2te Auflage, die damals noch nicht erschienen ist, sowie Wie449

Die ersten fünf Zeilen der Nachricht werden im Kommentar zu J.s Brief an Philipp Erasmus Reich vom 6. März 1772 erwähnt, jedoch als eine Nachricht vom 24. Februar 1772 und mit 4 Druckseiten statt – wie die Version der Erfurtischen gelehrten Zeitungen mit 3 Druckseiten; siehe JBW II,1.161 f., Anm. zu 153,23. Die dort mitgeteilten Eingangsworte stimmen mit dem ersten Satz der hier mitgeteilten Nachricht überein; es geht daraus aber nicht hervor, daß es sich um eine Aufforderung zur Subskription handelt. Diese Nachricht scheint ein privat versendetes Exemplar der im genannten Brief an Reich erwähnten Nachrichten (siehe JBW I,1.153,23) zu sein. 450 Siehe hierzu Über Jacobis Mitwirkung am Deutschen bzw. Teutschen Merkur. JWA 4,2.434–441. 451 In erster Fassung ist Wielands Geschichte des Agathon – ohne Nennung des Verfassers –mit Angabe der Verlagsorte Frankfurt und Leipzig in Zürich in den Jahren 1766 und 1767 in zwei Teilen erschienen. 452 J. an Marc Michel Rey, 21. Oktober 1768, JBW I,1.62,18–20.

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la n d s sämtliche poetische Schriften, – die versprochene neue Ausgabe. An einem weiteren Satz läßt sich J.s Begeisterung für Wielands Dichtung ablesen: So oft von herrn Wieland etwas erscheint, schiken Sie mir es beliebigst jedesmahl gleich ein.453 Deshalb ist die Freude verständlich, mit der J. am 4. September 1770 an den Verleger Philipp Erasmus Reich über Wieland schreibt: Von diesem grossen Manne bin ich jetzt so glücklich einen entzückenden kleinen Brief zu besitzen, worinnen er mir, auf die schmeichelhafteste Weise, seine Freundschaft versichert, und zugleich meldet, dass in ganz Kurzen seine G r a z i e n erscheinen würden – und J. ist, wie er schreibt, unaussprechlich ungedultig dieses neue Meisterstück unsers Freundes zu lesen, denn wer kann entzückendes Vergnügen mit Gelassenheit erwarten? ich, wahrhaftig, weniger als ein Mensch auf der Welt!454 Kurz darauf erhält J. die Grazien, und er bedankt sich bei Wieland mit einem Brief, dessen Inhalt nur noch Wielands Antwort zu entnehmen ist: J.s Brief bestätigt die Verwandtschaft unserer Seelen, von welcher meine G r a z i e n Sie überzeugt haben, auf eine so vollkommene Weise für mich, daß ich es Ihrem eigenen Herzen überlassen muß, sich die Freude des meinigen über eine solche Entdeckung vorzustellen.455 Damit beginnt die Zeit des regen Briefwechsels, und bald kommt es auch zu einem persönlichen Zusammentreffen: im Mai 1771 bei Marie Sophie von La Roche auf dem Ehrenbreitstein bei Koblenz.456 In den Briefen, die J. und Wieland nun alle paar Tage wechseln, in denen begeisterte Zustimmung zum anderen und Unverständnis für ihn einander abwechseln und J. sogar einmal ein Dolch ins Hertz gestoßen wird, obwohl doch sein Herz von Zärtlichkeit und Freundschaft für Wieland brennt und Wieland auch die Patenschaft für J.s Sohn Carl Maximilian übernimmt,457 ist eigentümlicher Weise nie die Rede von Wielands Agathon. Auf ihn geht J. vielmehr in einem Brief an Philipp Erasmus Reich vom 22. Oktober 1771 ein: Er müsse Reich sagen, daß es ein recht großes Anliegen für mich ist, daß Sie wegen der Fortsetzung des Agathons ein Accomodement mit denen HE Orell Gesner & C treffen können. Dieses Meisterstück des Wielandischen Genies muß nicht unvollendet bleiben, und Sie, mein werthester Freund, Sie müßen durchaus Anstalten machen, daß unser Freund mit Vergnügen an der Fortsetzung arbeiten könne. Die Geschichte des Agathons ist das erste deutsche prosaische Werk, welches aus v o l l e m Kopfe und aus voll e m Herzen geschrieben ist, und das einzige in dieser Absicht, welches 453

J. an Weidmanns Erben und Reich, 2. Mai 1770, JBW I,1.91,27–29,

92,9 f. 454

J. an Philipp Erasmus Reich, 4. September 1770, JBW I,1.94,4–13. Christoph Martin Wieland an J., 16. November 1770, JBW I,1.99,3–8. 456 Siehe J.s Schilderung dieses Zusammentreffens im Brief an Johann Rudolph Graf Chotek, 16. Juni 1771, JBW I,1.109–114. 457 J. an Christoph Martin Wieland, 15. September 1771, JBW I,1.135,25 f. bzw. J. an Sophie von La Roche, etwa 25. September 1771, JBW I,1.139,18 f. bzw. Christoph Martin Wieland an J., 9. Oktober 1771, JBW I,1.142,33. 455

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wir den Arbeiten eines Montesquieu und Montagne bey den Franzosen; und eines Ferguson und Sterne bey den Engeländern, entgegensetzen können. Ich verlaße mich auf Ihren Enthusiasmus für das Schöne und Gute, und für die Ehre unseres Vaterlandes, daß Sie Ihr möglichstes thun werden …458 Diese Aufforderung setzt eine genaue Kenntnis der Verlagsprobleme voraus, die Wielands Neubearbeitung der Geschichte des Agathon im Wege stehen; es ist jedoch nicht mehr zu erkennen, ob J. durch Wieland oder durch andere davon unterrichtet worden ist, während der Briefwechsel über andere Vorstöße J.s berichtet, bei denen er sich des gekränkten Ruhmes Wielands annimmt.459 Wieland und J. müssen aber spätestens Anfang Januar 1772 vereinbart haben, die geplante Neubearbeitung der Geschichte des Agathon durch Subskription zu ermöglichen, denn am 18. Januar schreibt J. darüber an Marie Sophie von La Roche, und er setzt voraus, daß sie davon Kenntnis hat: Le projet de publier l’histoire d’Agathon par souscription, vous aura été communiqué sans doute par l’auteur de ce chefd’oeuvre. Vraisemblablement je serai délivré dans une quinzaine de jours de toutes les tribulations que j’ai eu à souffrir et à combattre depuis si long-tems; ensuite l’éxécution de ce projet sera mon premier travail, et j’implorerai alors votre assistance, que je sais d’avance que vous me prêterez de toute façon. Si cette affaire là ne vaut pas pour le moins 3000 écus à Wieland, je ne suis qu’un sot.460 Inzwischen nehmen die Vorbereitungen zur Subskription ihren – wie sich später herausstellt – nur partiell glücklichen Lauf, und hierbei zeigt sich, daß J. sich dieses Projekt zu eigen gemacht hat. Am 6. März 1772 schreibt J. an Philipp Erasmus Reich: Da ich eben im Begriff war an Sie zu schreiben, um Ihnen wegen meiner Ausgabe des Wielandischen Agathons Vorschläge zu thun, erhielt ich einen Besuch von dem Clevischen Buchhändler Bärstecher, welcher die Mühe mein Commißionair bey dieser Unternehmung zu seyn, unter überaus vortheilhaften Bedingungen für den Verfaßer übernahm. Es ist eine große Erleichterung für mich diesen jungen sehr activen Mann zur Unterstützung in der Nähe zu haben. Ich bin überzeugt, mein Verehrungswürdiger Freund, daß Sie auf Ihrer Seite alles anwenden werden zum Vortheile unseres Wielands Pränumeranten anzuwerben. Sie haben in den dortigen Gegenden sehr ausgebreitete Bekanntschaften; predigen Sie diesen doch aus Ihrem edlen Herzen die Wahrheit ein, was sie in gegenwartigem Falle zum Rhume ihres Vaterlandes für einen großen Mann zu thun schuldig sind. Wieland wird Ihnen eine erforderliche Anzahl Nachrichten, zum austheilen zuschicken.461 Ende desselben Monats rückt J. seine Subskriptionsaufforderung in die Erfurtischen gelehrten Zeitungen ein; wahrscheinlich haben damals noch andere Blätter dieselbe Anzeige veröffentlicht, doch ist darüber gegenwärtig nichts bekannt. J. bemüht sich auch in privaten Briefen an Franz Karl von Hompesch und Sophie von La Roche um Wie458

J. an Philipp Erasmus Reich vom 22. Oktober 1771, JBW I,1.145,8–20. Christoph Martin Wieland an J., 23. Dezember 1771, JBW I,1.148,13. 460 J. an Marie Sophie von La Roche, 18. Januar 1772, JBW I,1.150,21–27. 461 J. an Philipp Erasmus Reich, 6. März 1772, JBW I,1.153,11–24. 459

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lands Angelegenheiten,462 und die Subskriptionsanzeige bleibt auch nicht ohne Erfolg: Johann Heinrich Merck teilt J. mit, er könne zum wenigsten auf 14 Praenumeranten zählen,463 und Sophie von La Roche schreibt an Wieland über ihre Erfolge bei der Sammlung von Subskribenten; sie erwähnt aber auch: Leuchsenring u. wir alle zweifelten anfangs an dem Ton der nachricht, der uns nicht anlockend deuchte, weil Er mehr Satire, als reiz zu fassen scheint, und besonders die noblesse trift.464 Am 7. Mai 1772 berichtet sie Wieland noch von einem weiteren Verehrer Wielands; er habe auch in Frankreich Pränumeranten geworben, war aber mit dem Ton der anoncè gar nicht zufrieden.465 In J.s Korrespondenz mit Wieland ist jedoch nicht davon die Rede, und hier drängt sich vom Juni 1772 ab das Projekt in den Vordergrund, eine gemeinschaftliche Buchhandlung zu etablieren, sowie ab August das Projekt der Begründung des Deutschen Merkur.466 Gegenüber Iselin spricht Wieland aber von der Unternehmung meines vortreflichen Jacobi, welche mich zu nahe angeht um nicht auch die Meinige zu seyn,467 und an Ring schreibt er, er sehe mit Verwunderung, daß diese Sache in und ausser Deutschland, besonders unter den Grossen und dem Adel, mehr Fortgang hat als ich hoffte. Eine Menge Durchlauchtiger Nahmen werden an der Spitze der Subscriptions-Liste glänzen.468 Auf diese glanzvollen Namen kommt Wieland auch gegenüber Sophie von La Roche zurück, und er schreibt über den Fortgang der Subskription: Jacobi und seine Freunde thun in den dasigen Gegenden beynahe Wunder.469 Doch trotz dieser Erfolgsberichte kommt es Mitte bis Ende Mai zu einem Gespräch Wielands mit Reich, bei dem das Projekt, durch eine gemeinsame Buchhandlung die Schriftsteller von den Buchhändlern zu befreien, zur Sprache gekommen ist. In zwei Briefen vom 22.–24. Mai und vom 25. Mai warnt Reich 462

J. an Franz Karl von Hompesch, Anfang oder Mitte Mai 1772, bzw. J. an Marie Sophie von La Roche, Anfang oder Mitte Juni 1772, JBW I,1.154,16 bzw. 156,8; inhaltlich ist hierüber jedoch nichts bekannt. 463 Johann Heinrich Merck an J., 21. Mai 1772, JBW I,155,9 f.. 464 Marie Sophie von La Roche an Christoph Martin Wieland, 26. März 1772, in Christoph Martin Wieland: Briefwechsel. Hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Bd 4. Hg. von Annerose Schneider und Peter-Volker Springborn. Berlin 1979, 473 f. – Siehe auch ib. 490 f. Wielands Bitte vom 4. Mai 1772 an Gleim, sich in Preußen um Subskribenten zu bemühen, und ib. 497–499 die Antwort Gleims vom 10. Mai 1772. 465 Marie Sophie von La Roche an Christoph Martin Wieland, 7. Mai 1772, ib. 495 f. 466 Christoph Martin Wieland an J., 19. Juni 1772 bzw. J. an Christoph Martin Wieland, 10. August 1772, JBW I,1.156,17 bzw. 159,6–9; siehe hierzu auch JWA 4,2.434–441. 467 Christoph Martin Wieland an Iselin, 12. Mai 1772, in Wieland: Briefwechsel, ib. 500. 468 Christoph Martin Wieland an Ring, 12. Mai 1772, ib. 502. 469 Christoph Martin Wieland an Sophie von La Roche, 15. Mai 1772, ib. 506.

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Wieland vor den Risiken des Buchhandels, und er bemerkt: Freylich hat unßer Freund Jacobi eine reise in ein Land unternommen, davon er die Weege nicht kannte! Dem zweiten Brief ist zu entnehmen, daß Wieland Reich gebeten hat, den Verlag des Agathon zu übernehmen, denn Reich schreibt: Ihren Agathon wünschen Sie in meinen Händen?470 Doch am 4. Juni sendet Wieland zunächst noch einen Entwurf zu einem detaillierten Vertragsvertrag an Baerstecher, und in verschiedenen Briefen an und von Wieland werden immer neue Nachrichten über die Erhöhung der Subskribentenzahlen genannt, so daß der Gang der Entwicklung durchaus befriedigend erscheint. Am 20. August 1772 erhält J. von Wieland den Beginn der überarbeiteten Fassung der Geschichte des Agathons im Manuskript zugesandt; er wird durch sein Lieblingsbuch erneut und verstärkt in bewunderndes Entzücken versetzt, aber er macht Wieland auch auf eine lange Reihe sowohl kleinerer Versehen als auch schwererwiegender Mißgriffe aufmerksam, und Wieland bedankt sich umgehend hierfür und sendet eine Verbesserung, die J. in das Manuskript einschalten will.471 Doch unmittelbar danach läßt J. seine Zwote Nachricht in die Frankfurter gelehrten Anzeigen und vermutlich auch noch in weitere Zeitungen einschalten.

ZWOTE NACHRICHT AN DAS PUBLIKUM. DIE NEUE AUSGABE DER GESCHICHTE DES AGATHON BETREFFEND. 1. Überlieferung D1 Frankfurter gelehrte Anzeigen, Nro. LXXI. Den 4. Septembr. 1772. S. 567 f.

D2 Frankfurter Gelehrte Anzeigen Vom Jahr 1772. Heilbronn 1883. In Deutsche Litteraturdenkmale des 18. Jahrhunderts. In Neudrucken. Hrsg. von Bernhard Seuffert. 7 & 8. Der Text ist in Fraktur gesetzt; Namen sind durch Schwabacher hervorgehoben. Der Druck im vorliegenden Band folgt D2.

470 Philipp Erasmus Reich an Christoph Martin Wieland, 22.–24. Mai und 25. Mai 1772, ib. 516–520, Zitat 519. 471 J. an Christoph Martin Wieland, 20. August 1772, Wieland an J., 28. August 1772, und J. an Wieland, 2. September 1772, JBW 159,14–162,25.

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Anhang 2. Entstehung

Diese Zwote Nachricht schließt zeitlich unmittelbar an die eben erwähnte Korrespondenz mit Wieland vom Ende August und Anfang September 1772 an. Es ist jedoch weder aus ihr noch aus anderen Zeugnissen zu ersehen, was J. zur Erneuerung und Modifikation seiner ersten Subskriptionsanzeige bewogen hat. Dies ist aber durch einen Vergleich der ersten und der zweiten Nachricht zu erschließen: In der zweiten wird der Name des Commissionairs Baerstecher nicht mehr genannt. Daß hier der Anlaß für die Zwote Nachricht liege, erhellt aus J.s langem und zerknirschten Brief an Philipp Erasmus Reich, – den inzwischen Wieland von den eingetretenen Schwierigkeiten benachrichtigt und als Verleger zu gewinnen sucht – was etwa eine Woche später besiegelt wird.472 Den Briefen Wielands und J.s an Reich ist zu entnehmen, daß Bärstechers Schlechtes Betragen für die neue Lage verantwortlich ist. Während J. in dem oben zitierten Brief an Reich vom 6. März Baerstecher als einen jungen sehr activen Mann lobt und mit dessen Tätigkeit begründet, daß er den Verlag der zweiten Auflage an sich ziehe, gesteht er nun, er gehöre zu denjenigen Leuten, welche man g u t e N a r r e n nennt und die sich am Ende in der Gestalt eines dummen Teufels erblicken müssen. Und er gibt zu: Es war freylich ein Fehler von mir, daß ich, gegen Herrn Wielands ausdrückliches Verlangen daß ich mich an Ihre Handlung wenden sollte, ohne seine Einwilligung zu fodern, mit einem andern Verleger contrahierte, aber ich hatte doch dabey gegen keinen Menschen in der Welt etwas Böses im Sinne, und allein die Liebe zu meinem Freunde war es, was mich beseelte. […] Allein es machten doch außerdem noch verschiedene andre hinzugekommene Umstände meine Verblendung fast unvermeidlich. / Bald nachher spürte ich, daß mir nicht wohl zu Muthe war. Ich kehrte, ich wendete mich aus einer Ecke in die andre; ich gieng alle nur ersinnliche Mittel durch, in Hofnung, es würde mir endlich beßer werden; – ich reisete nach Coblenz [Ende Juni 1772; die Zweifel an Baerstecher beginnen also schon vorher] […] aber da wollte nichts anschlagen, Baerstecher war und blieb ein Schurke. – Was war zu thun? – Das, was ich gleich Anfangs hätte thun sollen; den Knoten entzwey hauen, und Anstalten machen, daß Baerstecher, ohne daß ich mich darum zu bekümmern hätte, in alle Ewigkeiten ein Schurke bleiben könnte. / Dem Himmel sey Dank, der mich endlich so weit gebracht hat, und | daß ich nun mehro an Sie, mein Freund, als den Verleger des Agathons schreiben kann. / Sie haben sich gegen Herrn Wieland erklärt, daß Sie außer aller Verbindlichkeit gegen die Pränumeranten, die an Baerste472

Christoph Martin Wieland an Philipp Erasmus Reich, 14. September 1772, in Wieland: Briefwechsel, Bd 4.630 f. – Hier klagt er über J.s allzugrosses Feuer Mangel an Kentnis des Büchercommercii und sein allzu hitziges Zuwerkegehen; zuvor, am 14. Mai 1772, ib. 505, schreibt Wieland hingegen an Gleim über die Realisierung des Gemeinschaftsprojekts, sich von den Buchhändlern unabhängig zu machen: F r i z J a c o b i ist der Mann dazu. Er hat das Feuer meines Gleims, er hat seinen Eifer für alles was Gut ist, und ist noch jung.

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cher bezahlt hätten, seyn wollten, und dieses ist nicht mehr als billig. Allein, mein werthester Freund, die Pränumeranten, die sich etwa noch biß den 20. December [die Zwote Nachricht nennt den 18. Dezember als Abschlußtermin der Pränumeration] melden möchten, die müßen Sie uns laßen. Wenn Sie sich von Herrn Wieland die Liste der Pränumeranten ausbitten, so werden Sie finden, daß ihre Zahl kaum an die 500 reicht, und daß es größtentheils nur solche Leute sind, denen, außer dem Wege der Pränumeration, der Agathon schwerlich in die Hände gekommen seyn würde.473 Abschließend betont J. nochmals, er habe einen Fehler gemacht und hoffe, daß unser Wieland so wenig Schaden, als möglich, dadurch leide. Die hierauf folgenden zwischen Wieland und J. gewechselten Briefe betreffen zwar den Agathon, jedoch nur ästhetisch-philosophische Probleme, ferner den Deutschen Merkur, und erst am 31. März 1773 kommt J., auf Grund der Nachricht Nicolais, daß Philipp Erasmus Reich den Agathon zu einem geringeren als dem Pränumerationspreis verkaufe, nochmals auf diese Seite zurück: Wenn ich mich recht besinne, so hat Herr Reich Herrn Wieland versprechen müßen, kein Exemplar des Agathon unter dem pränumerationsPreis zu verkaufen; wenigstens war dieses in meinem Contract mit Bärstecher ein Hauptartickul. Dem sey wie ihm wolle; genug ich kenne Herrn Wieland wie mich selbst, und weiß daher zuverläßig, daß er lieber den von der neuen Ausgabe des Agathon ihm zukommenden Vortheil ganz daran geben, als seinem Verleger erlauben würde, ihm vor dem Publico eine unschickliche Stellung zu geben. […] Wenn EwHochEdelgebohrnen Herrn Wieland Ihre Pränumerationen direckt zu übermachen Gelegenheit fänden, so würde, glaub’ ich, ihm dieses am angenehmsten seyn: es hat damit im mindesten keine Eile.474 Doch damit sind die Wirren um die Pränumeration des Agathon beendet.

473 J. an Philipp Erasmus Reich, 6. Oktober 1772, JBW I,1.165,2.12 f. und 165,16–166,11. 474 J. an Christoph Friedrich Nicolai, 4. April 1773, JBW I,1.188,22–29, 189,1–3.

KOMMENTAR

DIE BESTE VON DEN HADERKÜNSTEN. EINE ERZÄHLUNG 3,3–7 Si propositio … Hobbes.] Leviathan, Sive De Materia, Forma, & Potestate Civitatis Ecclesiasticæ Et Civilis. Authore Thoma Hobbes, Malmesburiensi. Amstelodami 1670 (KJB 1537), Cap. 11, 53. 3,9 Le Sage in Genf] Georges-Louis Le Sage (1724–1803), Mathematiker und Physiker, lebte als Privatgelehrter mit weitreichenden Verbindungen zu europäischen Akademien in Genf; zur Biographie siehe Pierre Prevost: Notice de la vie et des écrits de Georges-Louis Le Sage de Genève. Genève 1805 sowie die biographischen Notizen in JBW I,1.4, Anm. zu 3,1. – Die Dauer von J.s Aufenthalt in Genf läßt sich nicht mehr exakt ermitteln; wahrscheinlich ist sie von 1759 (dem Jahr, in dem J. zuerst in Frankfurt eine Handelslehre antreten mußte) bis Ende 1761 anzusetzen, denn zu Beginn des Jahres 1762 wohnte J. bereits wieder in Düsseldorf. Auch die näheren Umstände seiner Bekanntschaft mit Le Sage sind nicht bekannt. J. hat jedoch in seinem David Hume eine weitere Begebenheit erzählt und ist stets in lockerer Verbindung mit Le Sage geblieben; siehe den Editorischen Bericht. 3,9–10 einem jungen Gelehrten] Auf den Nachweis der Identität wurde verzichtet. 5,1–9 Ad prudentiam … Hobbes.] Hobbes: Leviathan, Cap. 8, 37.

ÜBERSETZUNG VON HEMSTERHUIS: ALEXIS ODER VON DEM GOLDENEN WELTALTER 9,4 Fíloi makùressi Veoîsi] Es ist nicht mehr festzustellen, ob dieses Motto aus Hesiods Opera et dies von Hemsterhuis oder von J. ausgewählt worden ist. – Siehe Hesiodus Ascræi, quae extant. Daniel Heinsius interpretationem infinitis locis emendavit. Introductionem in opera et dies, in qua Hesiodi philosophia nunc primum exponitur, item notas addidit. Lugduni Batavorum 1613 (KJB 3663). Dieser Halbvers ist wahrscheinlich in Anlehnung an eine Stelle ib. 12 [Vers 138] formuliert worden, um das Zitat mit der Erwähnung der Götter beginnen zu lassen; in Vers 138 ist die Aussage negativ gewendet: Oÿk êdídwn makùressi veoîß, oÏ >lumpon Écousin. 9,5–7 Vnhskon … ùfvonon.] Ib. 11 [Verse 116–118]. 12,1–12 Dem Manne … Schönborn,] Gottlob Friedrich Ernst Schön-

Kommentar

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born (1737–1817). J. hat Schönborn Ende Juni 1786 auf seiner Reise nach England kennengelernt, als er sich als Gast des dänischen Gesandten, Friedrich Graf Reventlow, in London bzw. Richmond aufgehalten hat; siehe JBW I,5.277 f. sowie insbesondere Schönborn an J., 5. Dezember 1786, JBW I,5.431–434. Schönborn ist dort, insgesamt von 1777–1802, dänischer Legationssekretär gewesen. – Mit der Wendung unter Barbaren in Algier spielt J. darauf an, daß Schönborn zuvor, von 1774–1777, dänischer Consulatssekretär in Algier gewesen ist. 13,1 Diokles der Diotime] Die in Hemsterhuis’ Dichtung vorkommenden Personen (Alexis, Diokles, Diotime, Strato von Lindus, Simmias von Rhodus usf.) sind keine historischen Personen, auch wenn um 300 v. Chr. ein Simmias von Rhodos, ein Autor figurierter Gedichte, gelebt hat. Als Diotime spricht Hemsterhuis in seinen literarischen Briefen Amalia Fürstin Gallitzin an; sich selbst nennt er Diokles; siehe auch seine Abhandlung Diokles an Diotime über den Atheismus, in Beilage II zu J.s Briefen Ueber die Lehre des Spinoza, JWA 1,1.206–215 und JWA 1,2.373. 13,3–4 Tempel des Saturn] Der berühmte Saturntempel der Antike befand sich auf dem Forum Romanum und wurde dort zwischen 501 und 497 v. Chr. eingeweiht. Er war 22 m breit und 40 m lang. Einem alten Münzbild nach zu schließen war er vermutlich nicht überdacht, sondern bestand nur aus einer Umfassungsmauer mit zwei Kultbildern. Er diente als Aufbewahrungsort der römischen Staatskasse (aerarim populi Romani bzw. Saturni). Außerdem fungierte er als eine Art Informationsbörse für das Volk: Auf Anschlagtafeln wurde Nachricht von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen gegeben, die zudem von Ausrufern verkündet wurden. Ob Hemsterhuis jedoch diesen Saturntempel meint, ist angesichts seiner uneindeutigen Äußerung, er habe einen solchen Tempel dieser Tage besucht, nicht mit Sicherheit zu sagen – ein Kurzbesuch auf dem Forum Romanum kann angesichts der Entfernung Athen–Rom kaum gemeint sein. Zudem ist auch das von Hemsterhuis erwähnte Gemälde nicht ohne weiteres mit diesem Tempel in Verbindung zu bringen. Darüber hinaus waren auch in Griechenland alte Tempel dem Saturn bzw. Kronos geweiht. Mythologisch ergibt sich allerdings eine Verbindung zwischen beiden Orten dadurch, daß der Sage nach der gestürzte Kronos nach Italien geflohen sein und dort mit seiner Herrschaft das goldene Zeitalter begonnen haben soll, das in späterer Zeit mit den berühmten Saturnalien alljährlich gefeiert wird. (s. z. B. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. Stuttgart 1874) 13,6 das berühmte Gemählde] 13,11 Zeuxis] Zeuxis von Herakleia ist einer der bedeutendsten Maler der Antike (Anfang des 4. Jh.s v. Chr.). Nach dem Bericht Plinius’ d. Ä. (naturalis historia) soll die außergewöhnlich naturgetreue Darstellung von Trauben auf einem seiner Bilder Vögel angelockt haben, die versuchten, an den Früchten zu picken. Offensichtlich spielt Hemsterhuis auf diese Überlieferung an, wenn er seine Absicht, den Freunden den Eindruck des Gemäldes zu vermitteln, als Versuch beschreibt, im Gespräch den Pinsel des Zeuxis nachzuahmen. [Caius Plinius Secundus:] Histoire naturelle de Pline Traduit En François, Avec Le Texte Latin rétabli d’après les meilleures leçons manuscrites; Accompa-

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Anhang

gnée De Notes critiques pour l’éclaircissement du texte, & d’Observations sur les connoissances des Anciens comparées avec les découvertes des Modernes. Tome premier. Paris 1771 (KJB 2770). Zu Zeuxis siehe Tome XI.232–238, insbesondere 236 (Liber XXXV,10: De avibus per picturam deceptis, & quid difficillimum in picturâ.): Descendisse hic [sc. Parrhasius] in certamen cum Zeuxide traditur. Et cum ille detulisset uvas pictas tanto successu, ut in scenam aves alvolarent, ipse detulisse linteum pictum, ita veritate repræsentata, ut Zeuxis, alitum judicio tumens, flagitaret tandem remoto linteo ostendi picturam, atque intellecto errore concederet palmam ingenuo pudore, quoniam ipse volucres fefelisset, Parrhasius autem se artificem. (C. Plinii Secundi Naturalis Historiae Libri XXXVII. C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde. Lateinisch-deutsch. Hrsg. und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Gerhard Winkler. o. O. 1973 ff. Bd 35.55, §§ 64 f.: Der zuletzt Genannte soll sich mit Zeuxis in einen Wettstreit eingelassen haben; dieser habe so erfolgreich gemalte Trauben ausgestellt, daß die Vögel zum Schauplatz herbeiflogen; Parrhasios aber habe einen so naturgetreu gemalten leinenen Vorhang aufgestellt, daß der auf das Urteil der Vögel stolze Zeuxis verlangte, man solle doch endlich den Vorhang wegnehmen und das Bild zeigen; als er seinen Irrtum einsah, habe er ihm in aufrichtiger Beschämung den Preis zuerkannt, weil er selbst zwar die Vögel, Parrhasios aber ihn als Künstler habe täuschen können.) 15,7 Cynosarges] Kynosarges ist eines der drei Athener Gymnasien gewesen; es hat am östlichen Stadtrand Athens außerhalb der Stadtmauern gelegen und ist der Ort der Lehrtätigkeit des Kynikers Antisthenes (etwa 444–368 v. Chr.) gewesen. 18,2–3 Hesiod und Homer … Theogonie] Hesiodi Ascræi quæ extant. Theogonie 109–191. Im Hinblick auf Homers Ilias und Odyssee kann nicht im eigentlichen Sinne von einer Theogonie gesprochen werden. 18,7–14 »Daß unter … übermannt.«] Hesiodi Ascræi quæ extant. Es müßte sich auch hier um die Werke und Tage handeln, und zwar ist diese Stelle sogar in nächster Umgebung des griechischen Titelblattzitats zu finden, das ja auch vom glücklichen Leben der Menschen im goldenen Zeitalter handelt. Hemsterhuis gibt den Inhalt offensichtlich in freierer und ausgreifenderer Weise, die in deutlichem Kontrast zu Hesiods knappem Stil steht, wieder. Bei diesem heißt es ib. 11 [Vers 111–116] an: Oª mèn êpì Kr