Klang-Kommentar 9783704656964, 3704656968

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Klang-Kommentar
 9783704656964, 3704656968

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Nebenbestimmungen bei Verträgen
1) Bedingungen; § 897
§ 898
§ 899
§ 900
2) Bewegungsgrund; § 901
3) Zeit, Ort und Art der Erfüllung; § 902
§ 903
§ 904
§ 905
§ 905a
§ 905b
§ 906
§ 907
4) Angeld; § 908
5) Reugeld; § 909
§ 910
§ 911
6) Nebengebühren. § 912
§ 913
Auslegungsregeln bei Verträgen. § 914
§ 915
§ 916
Stichwortverzeichnis

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3. Auflage des von Dr. Heinrich Klang begründeten Kommentars zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch

ABGB §§ 897 bis 916 herausgegeben von o.

Univ.-Prof. Dr. Attila Fenyves Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner ao. Univ.-Prof. Dr. Andreas Vonkilch bearbeitet von o.

Univ.-Prof. Dr. Attila Fenyves ao. Univ.-Prof. Dr. Andreas Vonkilch Univ.-Ass. Dr. Daphne Aichberger-Beig Ass.-Prof. Dr. Barbara Beclin Univ.-Ass. Dr. Christian Koller

Wien 2011

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de/ abrufbar.

Zitiervorschlag: Aichberger-Beig in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 902 Rz 2. Beclin in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 897 Rz 2. Fenyves in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 901 Rz 2. Koller in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 904 Rz 2. Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 914 Rz 2.

Alle Rechte vorbehalten Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der AutorInnen bzw der Herausgeber oder des Verlages ist ausgeschlossen. ISBN: 978-3-7046-5696-4 © Verlag Österreich GmbH 2011 1010 Wien, Bäckerstraße 1 Tel. (++431) 610 77-333, Fax (++431) 610 77-502 e-mail: [email protected] http://www.verlagoesterreich.at Umbruch: b+R satzstudio, graz

Vorwort Das Flaggschiff und Rückgrat des österreichischen Zivilrechts ist nun nicht nur wieder in volle Fahrt gekommen, sondern wird auch in absehbarer Zeit ans Ziel gelangen. Die Herausgeber freuen sich sehr, gerade zum 200. Geburtstag des ABGB weitere vier neue, für die Praxis besonders wichtige und umfangreiche Bände zu zentralen Rechtsgebieten des Zivilrechts vorstellen zu können. Den Autoren der Bände ist für ihre große Mühe und Zeitdisziplin überaus zu danken. Die neuen Kommentierungen betreffen das Vertragsrecht, das Schuld- und das Sachenrecht. Zum Schuldrecht bearbeiten Spielbüchler die Anweisung, Thöni die Zession und Fucik den Vergleich samt Anerkenntnis. Zum Sachenrecht, dabei vor allem zum Eigentums-, Nachbar- und Besitzrecht, haben Stabentheiner die §§ 285–290, Kisslinger die §§ 291–308, Kodek die §§ 309–352, 366, 369, 370 und 372–379, Leupold die §§ 353, 355–363, 364c, 365, 367, 368 und 371, Kietaibl § 354 und Kerschner/Wagner die §§ 364–364b bearbeitet. Wie diese drei Bände bietet auch der vierte nun vorliegende Kommentar zum Vertragsrecht vertiefte wissenschaftliche Durchdringung und Praxis­nähe: Aichberger-Beig, Beclin und Koller zum Bedingungs- und Erfüllungsrecht, Fenyves insbesondere zur Geschäftsgrundlage und Vonkilch zur Vertragsauslegung und zum Scheingeschäft. Jetzt ist es den Herausgebern gelungen, neben ihrer Editorentätigkeit auch inhaltlich beizutragen: Für uns – und wir hoffen auch für alle anderen Autoren – ist die Mitwirkung am Großkommentar zum ABGB stets höchste wissenschaftliche Herausforderung und Ehre. Wien, im Sommer 2011

Attila Fenyves Ferdinand Kerschner Andreas Vonkilch

3

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 7

Nebenbestimmungen bei Verträgen: 1) Bedingungen; § 897 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 § 899 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 § 900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2) Bewegungsgrund; § 901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3) Zeit, Ort und Art der Erfüllung; § 902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 § 903 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 § 904 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 § 905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 § 905a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 § 905b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 § 906 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 § 907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4) Angeld; § 908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 5) Reugeld; § 909 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 § 910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 § 911 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 6) Nebengebühren. § 912 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 § 913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Auslegungsregeln bei Verträgen. § 914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 § 915 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 § 916 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

5

Abkürzungsverzeichnis aA aaO AB ABB ABGB ABH abl ABl Abs AcP aE aF AFB AG AGB AGBH AHGB AHVB AKHB AktG allg aM AngG Anh Anm AnwBl AO Arb ARD arg Art ASoK ASVG AT AuslBG AußStrG AUVB AVB AVBK AWB

anderer Ansicht am angegebenen Ort Ausschussbericht Allgemeine Bankbedingungen 2000 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch JGS 946 Allgemeine Bedingungen für die Haushaltsversicherung ablehnend Amtsblatt Absatz (deutsches) Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Allgemeine Bedingungen für die Feuerversicherung Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Hotellerie Allgemeines Handelsgesetzbuch RGBl 1863/1 Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung Aktiengesetz 1965 BGBl 98 allgemein (-e, -er, -es) anderer Meinung Angestelltengesetz BGBl 1921/292 Anhang Anmerkung Österreichisches Anwaltsblatt Ausgleichsordnung BGBl II 1934/221 Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen ARD-Betriebsdienst argumento (folgt aus) Artikel Arbeits- und Sozialrechtskartei (seit 1997) Allgemeines Sozialversicherungsgesetz BGBl 1955/189 Allgemeiner Teil Ausländerbeschäftigungsgesetz BGBl 1975/218 Außerstreitgesetz BGBl I 2003/111 Allgemeine Bedingungen für die Unfallversicherung a) Allgemeine Versicherungsbedingungen b) Allgemeine Vertragsbedingungen Allgemeine Bedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Allgemeine Bedingungen für die Leitungswasserversicherung

7

Abkürzungsverzeichnis

BAO BauRG bbl BeckOK BGB BGBl BGH BGHZ Blg BlgHH BlgNR BR Bsp Bspe Bspw BT BTVG BVergG B VG BVR BWG bzgl bzw

Bundesabgabenordnung BGBl 1961/194 Baurechtsgesetz BGBl 1912/86 Baurechtliche Blätter Beck’scher Online-Kommentar (deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch RGBl 1896, 195 Bundesgesetzblatt (deutscher) Bundesgerichtshof Entscheidungen des (deutschen) Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Beilage Beilage(-n) zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses Beilage(-n) zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates Bundesrat Beispiel Beispiele beispielsweise Besonderer Teil Bauträgervertragsgesetz BGBl I 1997/7 Bundesvergabegesetz BGBl I 2006/17 Bundes-Verfassungsgesetz BGBl 1930/1 Bankvertragsrecht Bankwesengesetz BGBl 1993/532 bezüglich beziehungsweise

ca

circa (ungefähr)

D dBGB dBGBl DCFR dens DepG ders dh di dies DRdA DRG DSG dt oder d

a) Deutschland b) Digesten (deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch RGBl 1896, 195 (deutsches) Bundesgesetzblatt Draft Common Frame of Reference denselben Depotgesetz BGBl 1969/424 derselbe das heißt das ist dieselbe Das Recht der Arbeit (Zeitschrift) Deregulierungsgesetz 2006 BGBl I 2006/113 Datenschutzgesetz 2000 BGBl I 1999/165 deutsch (-e, -er, -es)

E EB

Entscheidung Erläuternde Bemerkungen

8

Abkürzungsverzeichnis

EB RV ecolex E-ControlG EDV EDVuR EFSlg EF-Z EG EheG EKHG EO etc EU EuFrÜb EuGH EuGVVO Euratom EvBl EVHGB EWG EWr EWR

Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht Energie-Control-Gesetz BGBl I 2010/110 Elektronische Datenverarbeitung EDV und Recht (1986 bis 1994) Sammlung ehe- und familienrechtlicher Entscheidungen Zeitschrift für Ehe- und Familienrecht Europäische Gemeinschaft(en) Ehegesetz dRGBl I 1938, 807 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz BGBl 1959/48 Exekutionsordnung RGBl 1896/79 et cetera (und so weiter) Europäische Union Europäisches Übereinkommen über die Berechnung von Fristen BGBl 1983/254 Europäischer Gerichtshof VO (EG) 2001/44 des Rates vom 22.10.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ABl L 2001/12, 1 Europäische Atomgemeinschaft Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen in Österreichische Juristen-Zeitung (Vierte) Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich dRGBl 1938 I 1999 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen Wohnrecht Europäischer Wirtschaftsraum

f ff FJ FN FS

und der, die folgende und der, die folgenden Finanzjournal Fußnote Festschrift

G GA GBG GedS gem GenG GesAusG GesbR GesRZ ggt GlU

Gesetz Gutachten Allgemeines Grundbuchsgesetz 1955 BGBl 1955/39 siehe GS gemäß Genossenschaftsgesetz RGBl 1873/70 Gesellschafter-Ausschlussgesetz BGBl I 2006/75 Gesellschaft Bürgerlichen Rechts Der Gesellschafter, Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (seit 1972) gegenteilig Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichtshofes, hrsg von Glaser und Unger

9

Abkürzungsverzeichnis

GlUNF GmbH GmbHG GOG GP grds GrünhutsZ

Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichtshofes, Neue Folge Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung RGBl 1906/58 Gerichtsorganisationsgesetz RGBl 1896/217 Gesetzgebungsperiode grundsätzlich (deutsche) Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, begründet von Grünhut

H hA HaRÄG HB Herv HG HGB HHB hL hM Hrsg hRsp HS Hs HVertrG HypBG

Heft herrschende Ansicht, herrschende Auffassung Handelsrechts-Änderungsgesetz BGBl I 2005/120 Handbuch Hervorhebung Handelsgericht Handelsgesetzbuch dRGBl 1897, 219 Herrenhausbericht herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber(in) herrschende Rechtsprechung Handelsrechtliche Entscheidungen Halbsatz Handelsvertretergesetz BGBl 1993/88 Hypothekenbankgesetz dRGBl S 1899/375

idF idR idS ieS immolex ImmZ insb IO IPRax IPRG iS iSd iSv iVm iwS iZw

in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im engeren Sinn Neues Miet- und Wohnrecht (Zeitschrift) Österreichische Immobilien-Zeitung insbesondere Insolvenzordnung RGBl 1914/337 Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (deutsche Zeitschrift) Bundesgesetz über das internationale Privatrecht BGBl 1978/304 im Sinne im Sinne des, der im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinn im Zweifel

10

Abkürzungsverzeichnis

JAB JAP JBl JGS JherJB JN Jud JuS JusGuide JW JZ

Justizausschussbericht Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung (Zeitschrift) Juristische Blätter Justizgesetzsammlung Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Jurisdiktionsnorm RGBl 1895/111 Judikatur Juristische Schulung (deutsche Zeitschrift) JusGuide (Entscheidungssammlung) (deutsche) Juristische Wochenschrift (1872-1939) (deutsche) Juristenzeitung

Kfz kg KO KRES krit KSchG

Kraftfahrzeug Kilogramm Konkursordnung RGBl 1914/337 Konsumentenrecht-Entscheidungssammlung, hrsg vom VKI (seit 1993) kritisch Konsumentenschutzgesetz BGBl 1979/140

L leg cit LG LGZ lit Lit LSK

Lehre legis citatae (der zitierten Vorschrift) Landesgesetz Landesgericht für Zivilrechtssachen litera (Buchstabe) Literatur Leitsatzkartei

MaklerG Mat mE MietSlg MR MRG MSchG mwN

Maklergesetz BGBl 1996/262 Materialien meines Erachtens Sammlung mietrechtlicher Entscheidungen, dzt hrsg von Würth Medien und Recht (Zeitschrift) Mietrechtsgesetz BGBl 1981/520 Mutterschutzgesetz BGBl 1979/221 mit weiteren Nachweisen

nF NJW NO Nov NR Nr NRsp

neue Fassung (deutsche) Neue Juristische Wochenschrift Notariatsordnung RGBl 1871/75 Novelle Nationalrat Nummer Neue Rechtsprechung des OGH, in Österreichische Juristen-Zeitung (seit 1988)

11

Abkürzungsverzeichnis

Nw NZ

Nachweise Österreichische Notariats-Zeitung

Ö oä Ob ObA ObS ÖBA ÖBl OG OGH OHG ÖJT ÖJZ OLG ÖNORM OR österr ÖWR

Österreich oder ähnliche(s) Aktenzeichen des Obersten Gerichtshofes für Zivilsachen Aktenzeichen des Obersten Gerichtshofes für Arbeitsrechtssachen Aktenzeichen des Obersten Gerichtshofes für Sozialrechtssachen Österreichisches Bankarchiv Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (seit 1952) Offene Gesellschaft Oberster Gerichtshof Offene Handelsgesellschaft Österreichischer Juristentag Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Österreichische Norm (schweizer) Obligationenrecht österreichisch (-e, -er, -es) Österreichisches Wohnrecht (seit 1998)

PatG Pkw PSG

Patentgesetz 1970 BGBl 1970/259 Personenkraftwagen Privatstiftungsgesetz BGBl 1993/694

RabelsZ RdA RdU RdW REDOK RG RGBl RGZ RIS-Justiz RL Rom I-VO Rom II-VO Rs

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (deutsch, ab 1927) (deutsches) Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Umwelt (Zeitschrift) Österreichisches Recht der Wirtschaft (Zeitschrift) Rechtsdokumentation (österreichisches oder deutsches) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des (deutschen) Reichsgerichts in Zivilsachen (1880–1945) Rechtsinformationssystem-Justiz Richtlinie VO (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) VO (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) Rechtssache

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Abkürzungsverzeichnis

RS Rsp Rspr RV RZ RZ-EÜ Rz

Rechtssatz, Rechtssätze Rechtsprechung Rechtsprechung (Zeitschrift 1923–1937) Regierungsvorlage Österreichische Richterzeitung Österreichische Richterzeitung - Entscheidungsübersicht Randzahl, -ziffer

S s sc SchG sog SpR str StrG stRsp SV SZ

a) Satz b) Seite siehe scilicet (offenbar, gemeint) Einheitliches Scheckgesetz BGBl 1959/47 sogenannt (-e, -er, -es) Spruchrepetitorium des Obersten Gerichtshofs strittig Straßengesetz (allgemein) ständige Rechtsprechung Sachverhalt Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil(und Justizverwaltungs-)sachen

TAG TKG TN TNG 2011 tw

Theaterarbeitsgesetz BGBl I 2010/100 Telekommunikationsgesetz 2003 BGBl I 2003/70 Teilnovelle Teilzeitnutzungsgesetz BGBl I 2011/8 teilweise

u ua UGB UNK unzutr UrhG usw uU uva uvm

und a) und andere(n) b) unter anderem Unternehmensgesetzbuch BGBl I 2005/120 Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf (UN-Kaufrecht) unzutreffend Urheberrechtsgesetz BGBl 1936/111 und so weiter unter Umständen und viele andere und vieles mehr

v va Verf

von, vom vor allem Verfasser

13

Abkürzungsverzeichnis

VersE VersR verst Sen VersVG VfGH VfSlg vgl VKrG VO Vorbem VR VRInfo VwGH VwSlg (F, A)

Versicherungsrechtliche Entscheidungssammlung (deutsche) Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht verstärkter Senat Versicherungsvertragsgesetz 1958 BGBl 1959/2 Verfassungsgerichtshof Erkenntnisse und Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vergleiche Verbraucherkreditgesetz BGBl I 2010/28 Verordnung Vorbemerkungen Die Versicherungsrundschau Informationen zum Verbraucherrecht (seit 1997) Verwaltungsgerichtshof Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes (Finanzrechtlicher bzw Administrativrechtlicher Teil)

wbl WE WEG WG WM wobl WRN 2006

Wirtschaftsrechtliche Blätter Wohnungseigentum Wohnungseigentumsgesetz 2002 BGBl I 2002/70 Einheitliches Wechselgesetz BGBl 1932/289 (deutsche) Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (seit 1982) Wohnrechtliche Blätter Wohnrechtsnovelle 2006 BGBl I 2006/124

Z Zak ZAS zB ZBl ZfRV ZfVB ZIK ZPO zT zust zutr ZVB ZVN ZVR ZZP

Zahl, Ziffer Zivilrecht aktuell Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht zum Beispiel Zentralblatt für die juristische Praxis Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (seit 1960) Die administrativrechtlichen Entscheidungen des VwGH und die verwaltungsrechtlich relevanten Entscheidungen des VfGH in lückenloser Folge (Beilage zur Zeitschrift für Verwaltung) Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zivilprozessordnung RGBl 1895/113 zum Teil zustimmend zutreffend Zeitschrift für Vergaberecht und Beschaffungspraxis (seit 2001) Zivilverfahrens-Novelle Zeitschrift für Verkehrsrecht (deutsche) Zeitschrift für Zivilprozeß, begründet von Busch

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§ 897

Nebenbestimmungen bei Verträgen: 1) Bedingungen; § 897. In Ansehung der Bedingungen bei Verträgen gelten überhaupt die nämlichen Vorschriften, welche über die den Erklärungen des letzten Willens beigesetzten Bedingungen aufgestellt worden sind. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: J. W. Steiner, Grundverkehrsbehördliche Genehmigung und Bedingungslehre, JBl 1974, 506; Knütel, Zur sogenannten Erfüllungs- und Nichterfüllungsfiktion bei der Bedingung, JBl 1976, 613; Mayer-Maly, Bedingungskonstruktionen für die Genehmigungsbedürftigkeit von Kaufverträgen, JBl 1976, 334; Bauerreiss, „Geschäftsgrundlage oder Vertragsbestimmung?“, NZ 1977, 81; Rummel, Wegfall des Rechtsgrundes und Zweckverfehlung als Gründe der Kondiktion nach § 1435 ABGB, JBl 1978, 449; ders, Vorvertragliche Schutzpflichten bei Ausländerbeschäftigung, RdA 1979, 390; Apathy, Die publizianische Klage (1981); Spielbüchler, Zur dinglichen Rechtsstellung des Vorbehaltskäufers, JBl 1981, 505; Schrammel, Resolutivbedingungen im Arbeitsverhältnis, ZAS 1984, 221; Eypeltauer, Bedingte und befristete Entlassung, RdA 1985, 319; P. Bydlinski, Die Übertragung von Gestaltungsrechten (1986); Koziol, „Rückstehungserklärungen“ von Ausgleichsgläubigern, RdW 1988, 342; F.  Bydlinski, Unbedingte Pflichten aus behördlich genehmigungsbedürftigen Verträgen, FS Ostheim (1990) 43; H. Böhm, Ausländergrundverkehr und Miete – unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmensveräußerung, JBl 1990, 222; Markl/Oberhofer, Die grundverkehrsbehördliche Genehmigung aus zivilrechtlicher Sicht, wobl 1992, 169; dies, Der „graue“ Grundverkehr nach den zivilrechtlichen Bestimmungen der Art  15a-Vereinbarung, wobl 1993, 41; Wilhelm, Bedingter Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs, ecolex 1994, 801; Dullinger, Handbuch der Aufrechnung (1995); Hoyer, Zeitlich begrenztes Eigentum durch Vertrag?, GedS Hofmeister (1996) 283; J. W. Steiner, Grundverkehrsbehördliche Genehmigung und Bedingungslehre, JBl 1996, 413; Schneider, Handbuch österreichisches Grundverkehrsrecht (1996); Egglmeier, Zur Zulässigkeit auflösend bedingter Übereignung im österreichischen Recht, NZ 1997, 33; Bock, Grundverkehrsrecht in Österreich (1998); Fischer/Lukas, Handbuch zum oberösterreichischen Grundverkehrsgesetz (1999); Herzig, Grundverkehr und europäisches Gemeinschaftsrecht, wbl 1999, 395; Kuderna, Die Befristung einzelner Elemente des Arbeitsvertrages, RdA 1999, 329; Schumacher, Vertrauen in die Scheckeinlösungszusage?, ÖBA 1999, 613; Kletečka, Ersatz- und Nacherbschaft (1999); J. W. Steiner, Die Bedingung im Recht der Gebühren und Verkehrsteuern, JBl 1999, 137; Duursma-Kepplinger, Eigentumsvorbehalt und Mobilienleasing in der Insolvenz (2002); Hubmer, Einverleibung des Liegenschaftskäufers trotz ausgelöstem Wiederkaufsfall?, JBl 2002, 218 (Teil I), 227 (Teil II); Schima/Wallisch, Die Vorstandsabberufung als bedingungsfeindliches Rechtsgeschäft, wbl 2003, 510; F. Bydlinski, Optionsvertrag und Äquivalenzverschiebung, FS Georgiades (2006) 53; Risak, Einseitige Entgeltgestaltung im Arbeitsrecht (2008).

15

§ 897

Beclin

Übersicht I.

Allgemeines 1–26 1. Begriff 1–7 2. Regelungsgegenstand der §§ 897 ff 8–11 3. Funktion der Bedingung 12–16 4. Die bedingte Willenserklärung 17–26 II. Arten von Bedingungen 27–47 1. Aufschiebende und auflösende Bedingung 30–33 2. Bejahende und verneinende Bedingung 34 3. Zufalls- und Potestativbedingung 35–39 4. Eigentliche und uneigentliche Bedingung 40–47 III. Rechtsfolgen 48–72 1. Vorwirkungen im Zustand der Schwebe der Bedingung 48–60 a) bei aufschiebender Bedingung 48–57 b) bei auflösender Bedingung 58–60 2. Rechtsfolgen bei Bedingungseintritt oder Ausfall der Bedingung 61–69 3. Rechtsfolgen bei Vereitlung oder unzulässiger Herbeiführung 70–72 IV. Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte 73–79 V. Abgrenzungsfragen 80–115 1. Rechtsbedingung 80–87 2. Bedingung und Befristung 88–92 3. Funktionsähnliche rechtsgeschäftliche Tatbestände 93–115 a) Allgemeine Überlegungen 93–97 b) Angebot, Option, Vorvertrag 98–101 c) Rücktrittsrecht und Widerrufsvorbehalt, Auflage 102–103 d) Leistungszusage und Obliegenheit 104–105 e) Motiv, Irrtum, Geschäftsgrundlage 106–112 f) Die Zweckbestimmung bei der condictio causa data causa non secuta 113–115

I. Allgemeines 1. Begriff 1

Bedingung ist die einem Rechtsgeschäft von den Parteien beigefügte Nebenbestimmung, durch die der Eintritt oder die Aufhebung einer Rechtswirkung von einem bestimmten Ereignis abhängig gemacht wird (vgl §  696 Satz 1). Von der hA wird zusätzlich auf die Ungewissheit1, verschiedentlich auch auf die Zukünftigkeit2 des Ereignisses abgestellt. Diese Kriterien, auf die auch die zitierte Legaldefinition verzichtet, sind mE entbehrlich. Das Gesetz kennt auch sog Gegenwartsbedingungen (zB in § 899; Rz 2 zu § 899 und 1  Welser in Rummel3 I § 696 Rz 1; Koziol/Welser13 I 193 f. OGH 5 Ob 80/91, JBl 1992, 588 = wobl 1992/162 (Würth); 1 Ob 121/98w, SZ 71/193 = ÖBA 1999, 644 (Rummel); 5 Ob 295/04z, JBl 2005, 454 (Rummel) = NZ 2005/619 (Hoyer). 2  ZB Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 1.

16

Allgemeines

§ 897

Rz 40 ff). Bei diesen ist der Bedingungseintritt oder -ausfall objektiv nicht ungewiss, sondern steht von Anfang an fest (s Rz 5). Aber auch subjektiv empfundene Ungewissheit (Zweifel) der Parteien in Bezug auf das Ereignis, von dem sie Rechtswirkungen in Form einer Bedingung unmittelbar abhängig (s Rz 2) machen, ist nicht erforderlich (sog Voraussetzung eines Ereignisses, welches den Parteien sicher schien, s Rz 6). Spricht man vom „Eintritt der Bedingung“, so meint man nicht die rechts­ geschäftliche Nebenbestimmung, sondern das Ereignis selbst. Der Begriff der „Bedingung“ hat demnach zwei Bedeutungen: einerseits bezeichnet er die entsprechende Nebenabrede des Rechtsgeschäfts, andererseits auch den Umstand, der nach dem Parteiwillen Rechtswirkungen auslösen soll.3 Charakteristikum einer Bedingung ist die unmittelbare Abhängigkeit 2 des bedingten Rechts von ihrem Eintritt. Allein aufgrund des Vorliegens oder Nichtvorliegens des bedingenden Umstands kommt es zum Wegfall oder zur Entstehung des Rechts, ohne dass es einer Anfechtung oder anderen Geltendmachung dieses Umstandes bedarf (vgl zu den Rechtsfolgen des Bedingungseintritts bzw -ausfalls Rz  61 ff). Diese unmittelbare Wirkung auf das be­ dingte Rechtsgeschäft oder Recht unterscheidet die Bedingung von anderen Tatbeständen der Rechtsgeschäftslehre, die ebenfalls einer Anpassung der Wirkungen des Rechtsgeschäfts an bei Abschluss den Parteien unbekannte Umstände dienen (zu den Abgrenzungsfragen Rz 93 ff). Bis zum Feststehen des Eintritts oder Ausfalls der Bedingung befindet sich 3 das Rechtsverhältnis – zumindest bei den Zukunftsbedingungen – typischerweise in einem Schwebezustand, während dessen das Inkrafttreten eines aufschiebend bedingten Rechts oder das Fortbestehen eines auflösend bedingten Rechts (zur Unterscheidung Rz 30) noch ungewiss ist, die Parteien aber dennoch bereits bestimmte, unbedingte Pflichten treffen können (zu den Vorwirkungen im Schwebezustand Rz 48 ff). Das Ereignis, von dem die Parteien privatautonom Rechtswirkungen ab- 4 hängig machen, kann faktischer oder rechtlicher Natur sein.4 Sein Eintritt kann auch im Nichtvorliegen eines bestimmten Umstands bestehen5 (verneinende Bedingung, Rz 34). Freilich muss es sich immer um einen objektiv feststellbaren Umstand handeln, da sonst die Bedingung an Unbestimmtheit leidet und mit ihr möglicherweise das gesamte Rechtsgeschäft (§ 869, vgl Rz 7 bei § 898). Auch innere Tatsachen, wie zB Schädigungsabsicht oder Reue, können zur Bedingung erhoben werden,6 müssen dann aber selbstverständlich über äußerlich wahrnehmbare Phänomene erschlossen werden, wobei sich aus der Abrede der Parteien Hinweise auf die von ihnen beabsichtigte Art der Feststellung ergeben können. Wie immer geht dabei die mangelnde Beweisbarkeit zu Las3  Welser in Rummel3 I § 696 Rz 1; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 1; Koziol/ Welser13 I 194. OGH 1 Ob 121/98w, SZ 71/193 = ÖBA 1999, 644 (Rummel). 4  Gschnitzer in Klang2 III 650; Welser in Rummel3 I §  696 Rz  1; Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 3. 5  Welser in Rummel3 I § 696 Rz 2. OGH 3 Ob 63/66, JBl 1967, 91; 1 Ob 121/98w, SZ 71/193 = ÖBA 1999, 644 (Rummel). 6  AA Gschnitzer in Klang2 III 650; ihm folgend Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 3.

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ten dessen, der sich auf den Eintritt der Bedingung beruft.7 Hängt nach der Bedingung die Rechtswirkung vom Willen einer der Parteien ab (sog Potestativbedingung, Rz 35), so besteht das ungewisse Ereignis in einer willentlich beherrschbaren Handlung dieser Partei, zB der Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung. Sofern die Vornahme dieser Handlung gemäß dem Vertrag im Belieben der Partei steht (Willkürbedingung), wird dieser Partei durch die Potestativbedingung ein Gestaltungsrecht eingeräumt.8 Wenn die Parteien Rechtswirkungen an ein für sie ungewiss scheinendes 5 Ereignis binden, liegt dieses typischerweise in der Zukunft.9 Das ist jedoch für das Vorliegen einer Bedingung iSd §§ 897 ff nicht Voraussetzung. Manchmal herrscht zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts für die Parteien subjektiv Ungewissheit über einen gegenwärtigen oder vergangenen Umstand, der für das Geschäft relevant ist. Auch in diesem Fall, in dem der Eintritt (oder -ausfall) der Bedingung objektiv schon feststeht, können die Wirkungen des Rechtsgeschäfts an die (freilich erst später stattfindende) Feststellung dieses Umstands gebunden werden. Das Geschäft ist dann, je nachdem ob das Ereignis (nach den Feststellungen durch die Parteien) zum Zeitpunkt des Geschäftsschlusses bereits eingetreten war oder nicht, wirksam oder unwirksam. Man spricht von uneigentlicher Bedingung oder Gegenwartsbedingung (auch Unterstellung, dazu Rz 40 ff). Es besteht mE kein Zweifel daran, dass die Parteien aufgrund ihrer Privat6 autonomie auch ein für sie subjektiv gewiss scheinendes Ereignis zur Bedingung erheben können, indem sie die Wirkungen des Rechtsgeschäfts mit dem Vorliegen dieses vorausgesetzten Umstands derart verknüpfen, dass sein Fehlen oder Wegfall automatisch auch den Wegfall des bedingten Geschäfts nach sich zieht. Aus den Willenserklärungen muss sich freilich zweifelsfrei (§ 863) ergeben, dass das Geschäft seine Wirkungen nur unter der Voraussetzung des maßgeblichen Umstands entfalten (oder behalten) solle, mit anderen Worten, dass es bei Fehlen der Voraussetzung nach dem Parteiwillen keiner Anfechtung und keines Rücktritts − sohin keiner nochmaligen Willensentscheidung einer der Parteien – bedarf, um das Rechtsgeschäft zu beseitigen. Ein Festhalten der Parteien am Vertrag bei Fehlen dieses Umstands muss also von vornherein geradezu ausgeschlossen erscheinen. Auch wenn die Parteien bei Vornahme des Rechtsgeschäfts vom Vorliegen des Umstands als einem gewissen Ereignis ausgingen, kann die tatsächliche Entwicklung zeigen, dass die Gewissheit nur eine scheinbare war, (objektiv gesehen) aber sehr wohl Unkenntnis in Bezug auf das vorausgesetzte Ereignis bestand. Ob das Geschäft nun ohne weiteres (automatisch) hinfällig ist, muss die (einfache oder ergänzende) Vertragsauslegung ergeben.10 Haben die Parteien zB fest mit ihrer 7 

Zur Beweislast bzgl des Bedingungseintritts Rz 69. Vgl Rz 37 und 98. Zum Verhältnis Potestativbedingung – Gestaltungsrecht F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 562 f; P. Bydlinski, Gestaltungsrechte 247 ff; Risak, Entgeltgestaltung 17 ff. 9  In der Definition der Bedingung wird daher verschiedentlich auf zukünftige Ereignisse abgestellt (zB Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 1). 10  Vgl auch Rz 109. Unter ergänzender Auslegung wird hier eine nach dem hypothetischen Parteiwillen, für den nicht bedachten Fall des Ausbleibens des als sicher angesehenen Ereignisses, verstanden (vgl aber auch Vonkilch § 914 Rz 94 ff, 204 ff). 8 

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Eheschließung gerechnet und unzweifelhaft nur für diesen Fall eine vermögensrechtliche Vereinbarung getroffen, so ist (stillschweigende) Voraussetzung der Wirksamkeit der Vereinbarung die von den Parteien im Zeitpunkt der Vertragsschließung nicht bezweifelte Tatsache der bevorstehenden Eheschließung, mit der Folge, dass bei Nichteintritt derselben die Vereinbarung automatisch hinfällig ist.11 Eine solche privatautonom aufgestellte Wirksamkeitsvor­ aussetzung des Rechtsgeschäfts ist Bedingung iSd § 897 ff, weil die Wirkungen des Geschäfts unmittelbar (Rz 2) vom Vorliegen des maßgeblichen Umstands abhängen. Zweifel der Parteien am Eintreten der Bedingung sind daher entgegen der vorherrschenden Meinung in der Literatur12 mE kein Wesensmerkmal der Bedingung (vgl auch Rz 109). Diese ist vielmehr Ausdruck der Macht der Parteien, den sachlichen oder zeitlichen Anwendungsbereich ihrer Vereinbarung selbst festzulegen. Ihr Charakteristikum liegt mE in der von den Parteien angeordneten Rechtsfolge der Untrennbarkeit der Wirkungen des Geschäfts vom Bedingungseintritt, der sicher scheinen mag oder auch nicht. Die Voraussetzung eines gewiss scheinenden Umstands kann dadurch geschehen, dass das Rechtsgeschäft schon nach der wörtlichen Formulierung nur auf den bestimmten Fall anwendbar ist („mein Mann“ impliziert uU bereits, dass die Vereinbarung nach Scheidung nicht mehr gelten soll). Bei entsprechender Klarheit der gewollten Rechtsfolgen kann aber auch eine stillschwei­ gende Voraussetzung der Wirkung des Geschäfts vorliegen. So fällt die Verabredung des Ankaufs eines Gegenstands für die künftige gemeinsame Wohnung bei Aufgabe des Plans, zusammen zu ziehen, wohl (auch ohne ausdrückliche Bezugnahme in der Vereinbarung auf diesen Umstand) automatisch weg, da sie eben nur für den Fall des Zusammenziehens geschlossen war. Auch die Rechtsprechung anerkennt, dass Rechtsgeschäfte unter der Bedingung eines Ereignisses stehen können, dessen Eintritt von den Parteien nicht bezweifelt wurde (ohne freilich auf die Besonderheit solcher Bedingungen ausdrücklich hinzuweisen), etwa wenn sie feststellt, dass der Scheidungsfolgenvergleich „als solcher für den Fall der Ehescheidung geschlossen wird und daher durch diese bedingt ist“, und dass er folglich mit Unwirksamwerden oder bei Nichtzustandekommen der einvernehmlichen Scheidung seine Wirksamkeit (automatisch) verliere.13 Ergibt die Vertragsauslegung eindeutig, dass die Parteien bei Wegfall der Voraussetzung nicht mehr gebunden sein wollen, so besteht kein Grund, sie am Vertrag bis zur Ausübung eines Gestaltungsrechts (Anfechtung, Rücktritt oä) festzuhalten (vgl auch Rz 21 und zur Abgrenzung vom Geschäftsirrtum, der bloße Anfechtbarkeit nach sich zieht, Rz 107 ff). Die ausdrückliche oder stillschweigende Voraussetzung einer gewiss scheinenden Tatsache kann sich wie bei den subjektiv als ungewiss empfundenen Bedingungen auf einen zukünftigen oder gegenwärtigen Umstand bezie11  Vgl das schon im römischen Recht bekannte Bsp der Dosbestellung, die auch ohne ausdrücklichen Hinweis unter der Bedingung der Eheschließung steht, D 23, 3, 21 (Ulpianus libro trigesimo quinto ad Sabinum). 12  Gschnitzer in Klang2 III 650 f; IV/1, 329; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 1; wohl auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 5. 13  RIS-Justiz RS0106968; zB OGH 2 Ob 70/09x, MietSlg 61.529 = EF 123.788.

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hen (zur Gegenwartsbedingung Rz 40 ff). Sie erzeugt allerdings in beiden Fällen nicht den für Bedingungen sonst typischen Schwebezustand (Rz  48 ff), sondern zunächst Vorwirkungen wie bei einer Befristung (Rz 91), da die Parteien vor Kenntnis vom Fehlen der Voraussetzung Wirkungen wie bei einem unbedingten Geschäft beabsichtigen. Ist der Eintritt des Ereignisses, von dem die Rechtswirkungen nach dem Parteiwillen abhängen, offensichtlich nicht ungewiss, wie zB der Tod einer Person − sog notwendige Bedingung (Rz  28) −, so handelt es sich nicht um eine Bedingung, aber uU nach der Parteienabsicht um eine Befristung (Rz 90).14 Ungewissheit darüber, wann das Ereignis eintritt (falls es eintritt) ist auch 7 nach hL nicht erforderlich.15 Eine Bedingung liegt also auch dann vor, wenn die Parteien für deren Eintritt einen bestimmten Termin (Bsp: „wenn wir in drei Jahren in Paris leben“) oder eine Frist (Bsp: „wenn dem Käufer die Finanzierung bis zum Monatsende gelingt“) vorgesehen haben. In diesen Fällen kann in der Bedingung zugleich eine Befristung der bedingten Rechtswirkungen enthalten sein (Rz 90). 2. Regelungsgegenstand der §§ 897 ff 8

Das ABGB hat die Bedingung – gemeinsam mit Befristung16 und Auflage17, zwei weiteren rechtsgeschäftlichen Nebenbestimmungen – dort ausführlich geregelt, „wo es zuerst auf sie stieß“ und wo auch eines ihrer Hauptanwendungsgebiete liegt, nämlich im Erbrecht (§§ 696 ff).18 § 897 verweist auf diese Bestimmungen (§§ 696 ff) und erklärt sie für sinngemäß anwendbar auf entsprechende Nebenbestimmungen in Verträgen. Der Verweis hat aber auch für Bedingungen in einseitigen Rechtsgeschäften Bedeutung, wie die mit der III. Teilnovelle geänderte Überschrift des 17. Hauptstücks (§§ 859 bis 937) – „Von Verträgen und Rechtsgeschäften überhaupt“ − erkennen lässt.19 Für die Beurteilung von Bedingungen in Verträgen oder einseitigen Rechtsgeschäften unter Lebenden sind daher – soweit nicht die speziellen Bestimmungen der §§ 898 bis 900 eigene Regelungen vorsehen − die §§ 696 ff heranzuziehen, dies freilich nur sinngemäß, denn erstens sind manche Bestimmungen ausschließlich auf letztwillige Verfügungen zugeschnitten (§§  700 bis 703, 707, 708), und zweitens sind die Unterschiede zwischen letztwilligen Verfügungen und Rechtsgeschäften unter Lebenden zu beachten, wie zum Beispiel im Bereich der Auslegung, die sich bei Rechtsgeschäften unter Lebenden auch am Ver-

14  Vgl Welser in Rummel3 I § 696 Rz 3; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 3; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 2. 15  Koziol/Welser13 I 194. 16  S Rz 88 ff. 17  Zur Abgrenzung von Bedingung und Auflage s Rz 103. 18  So Gschnitzer in Klang2 III 642. 19  Unstr sind auch andere Bestimmungen des 17. Hauptstücks, die sich vom Wortlaut her auf Verträge beziehen, gleichermaßen auf einseitige Rechtsgeschäfte anzuwenden, zB die §§ 878, 879, 914, 916, vgl Gschnitzer in Klang2 III 645.

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trauen des redlichen Erklärungsempfängers orientiert (§ 914),20 bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung einer letztwilligen Verfügung − mangels eines in seinem Vertrauen schützenswerten Erklärungsempfängers – jedoch hauptsächlich am Willen des Erblassers.21 Der Verweis in § 897 ist diesen Unterschieden entsprechend teleologisch zu reduzieren.22 Den §§ 696 ff kann Grundsätzliches zu Begriff, Arten und Rechtsfolgen 9 der Bedingung entnommen werden. Das ABGB hat das Recht der Bedingungen jedoch keineswegs erschöpfend geregelt. Die auch und gerade für den Rechtsverkehr unter Lebenden zentralen Fragen der Vorwirkungen während des Schwebens der Bedingung (Rz 48 ff), der Rechtsfolgen von Potestativbedingungen (Rz 35 ff), der Rückwirkung des Bedingungseintritts (Rz 66 ff), der Unterschiede zu den Rechtsbedingungen (Rz  80 ff) uvm, haben keine ausdrückliche Regelung erfahren. Lehre und Rsp haben die Bedingungslehre in diesen Bereichen – zT unter Zuhilfenahme der gemeinrechtlichen Theorie und des ausführlicheren deutschen BGB23 und seiner Literatur – weiterent­ wickelt.24 Erfasst von §§ 897 ff sind sowohl die eigentlichen Bedingungen (die sich 10 auf zukünftige ungewisse Ereignisse beziehen), als auch die uneigentlichen Bedingungen (Gegenwartsbedingungen, s auch Rz 46). Geregelt werden in den §§ 897 ff iVm §§ 696 ff nur die privatautonom 11 gesetzten, also die Parteibedingungen, nicht aber die Rechtsbedingungen (zu diesen Rz 80 ff), bei denen aufgrund des Gesetzes Wirksamkeitsvoraussetzungen für bestimmte Rechtsgeschäfte bestehen.25 3. Funktion der Bedingung Bedingungen erlauben den Parteien die flexible Gestaltung von Rechtsge- 12 schäften in Anpassung an Umstände, deren Eintritt zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäftes für die Parteien noch unsicher oder zumin­ dest unbekannt ist,26 sei es, weil diese Umstände in der Zukunft liegen und mit ihrem Eintritt objektiv noch nicht sicher gerechnet werden kann, sei es, weil nur den Parteien subjektiv bei Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht bekannt ist, ob gegenwärtige oder vergangene Umstände eingetreten sind (sog uneigentliche Bedingung, Rz  40 ff), wobei die Parteien die Geltung ihrer rechtsgeschäftlichen Anordnung auch von einem Umstand abhängig machen Koziol/Welser13 I 105 f; Vonkilch in § 914 Rz 130. Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  897 Rz  2; Apathy in KBB3 §  565 Rz  4; Vonkilch in §  914 Rz  77. OGH 5 Ob 284/65, SZ 38/221; 10 Ob 2335/96x, SZ 69/247; 3 Ob 154/01w, NZ 2002, 206. Zur Frage, ob § 699 eine geringere Bedeutung bei bedingten Rechtsgeschäften unter Lebenden zukommt s Rz 62. 22  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 2. 23  ZB bei der Eintrittsfiktion in (treffender) Anlehnung an § 162 dBGB und bei der aufschiebend bedingten Übereignung in (mE unzulässiger, s Rz 53) Anlehnung an § 161 dBGB. 24  Vgl Gschnitzer in Klang2 III 645 f. 25  Koziol/Welser13 I 194; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 10. 26  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 1; Koziol/ Welser13 I 194. OGH 1 Ob 121/98w, SZ 71/193 = ÖBA 1999/804 (Rummel). 20  21 

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können, von dessen Eintritt oder Vorliegen sie überzeugt sind (sog Voraussetzung, vgl Rz 6). Das Aufnehmen einer Bedingung in den Vertrag ist auch ein probates Mit13 tel, um bei bereits im Abschlusszeitpunkt absehbaren möglichen Leistungs­ hindernissen einer späteren Schadenersatzpflicht wegen Nichterfüllung vorzubeugen.27 So kann etwa bei Bestehen eines Vorkaufsrechts (§ 1072 ff) der Kaufvertrag mit einer dritten Person zunächst nur bedingt abgeschlossen werden, weil ein unbedingter Kaufvertrag im Fall, dass das Vorkaufsrecht ausgeübt wird, nicht erfüllt werden könnte.28 Die Bedingung kann auch der Sicherung eines Vertragspartners für den Fall des Ausbleibens der Leistung des anderen dienen, etwa durch Aufrechterhaltung des Zug-um-Zug-Prinzips trotz einer Vorleistung, wie bei der Eigentumsvorbehaltsabrede beim Kauf (Rz 18). Besonders bei Dauerschuldverhältnissen besteht ein evidentes Interesse sowohl des Schuldners wie auch des Gläubigers an der Bedachtnahme auf künftige Veränderungen.29 In einseitigen oder einseitig verpflichtenden Geschäften (Testament, Schenkung) wird die Bedingung einer Zuwendung oft auch zur Motivation des Begünstigten zu einem bestimmten Verhalten eingesetzt. Funktionsweise der Bedingung ist die privatautonome Beschränkung der 14 Geltung rechtsgeschäftlich gestalteter Wirkungen auf einen bestimmten Fall, nämlich den Eintritt oder Nichteintritt eines Umstands. Wie die Wirkungen des Rechtsgeschäfts selbst auf der Privatautonomie der Parteien beruhen, so steht es diesen als der normsetzenden Autorität auch frei, den Anwendungsbereich ihrer privatautonom getroffenen Anordnung selbst zu bestimmen. Durch eine Bedingung machen sie die Rechtswirkungen unmittelbar vom zur Bedingung erhobenen Ereignis (Rz 4 ff) abhängig (Rz 2). Diese treten bei aufschiebender Bedingung ohne das Ereignis nicht ein, und fallen bei auflösender Bedingung ohne weiteres, insbesondere ohne dass es der entsprechenden Ausübung eines Gestaltungsrechts bedarf, durch Eintritt des Ereignisses weg (zu den Rechtsfolgen des Bedingungseintritts Rz 61 ff). Zumeist wird eine Bedingung als Einschränkung der Rechtswirkungen im 15 vorwiegenden Interesse einer der beiden Vertragsparteien hinzugefügt, nämlich jener, die sich wegen der bestehenden Unsicherheit noch nicht unbedingt binden will. Auch ein bloßes Motiv dieser Partei kann dadurch, dass es im Vertrag zur Bedingung erhoben wird, über den Eintritt oder Nichteintritt der Vertragswirkungen bestimmen (§  901, vgl auch Rz  110 f), auch wenn es in einer zukünftigen Entwicklung besteht, – ja selbst von der Entscheidung einer Partei, ob sie am Vertrag festhalten will, kann dessen Wirkung noch abhängig sein (Wollensbedingung, Rz 36; zur Potestativbedingung allgemein Rz 35 ff), indem der Vertrag zB mit einer entsprechenden (weiteren) Erklärung dieser Partei bedingt wird. Je nach der aufschiebenden oder auflösenden Wirkung ähnelt diese Bedingung dann einer Option oder einem Rücktrittsrecht (zur Abgrenzung vgl Rz 100 und Rz 102). Die Partei, von deren Willkür der Eintritt Vgl OGH 1 Ob 725/80, SZ 54/4 = JBl 1982, 431 (mit FN F. Bydlinski). Koziol/Welser13 II 173. 29  Risak, Entgeltgestaltung 17 f. 27  28 

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der Rechtswirkungen abhängig gemacht wird, erhält dadurch ein Gestaltungsrecht (zu dessen Verhältnis zur Potestativbedingung Rz 37 und 98). Die Parteien können sich gegen eine unerwartete Änderung relevanter 16 Umstände freilich auch absichern, indem sie diese ohne Bedingungsverein­ barung in den Vertragsinhalt aufnehmen. Der Unterschied besteht in den Rechtsfolgen, da nur die Bedingung die Wirkungen des Rechtgeschäfts unmit­ telbar (Rz 2) aufhebt oder in Gang setzt. Bedingung ist daher nur dann anzunehmen, wenn die Parteien gerade diese automatischen Rechtswirkungen im Fall des Eintritts beabsichtigen. Ist der diesbezügliche Parteiwille nicht klar, so ist je nach konkretem Parteiwillen Anfechtbarkeit oder Anpassung des Vertrags die Folge. Im Zweifel, wenn also keine Einigung der Parteien über die automatische Wirkung des Bedingungseintritts nachweisbar ist, liegt keine Bedingtheit vor (vgl Rz 21 und zur Abgrenzung der Bedingung von funktionsähnlichen Abreden Rz 93 ff). 4. Die bedingte Willenserklärung Als Teil eines Rechtsgeschäfts werden Bedingungen iSd §§ 897 ff entwe- 17 der durch Vereinbarung (beim Vertrag) oder durch einseitigen rechtsge­ schäftlichen Akt des Erklärenden (beim einseitigen Rechtsgeschäft) gesetzt. Die Möglichkeit, durch Aufstellen einer Bedingung die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts oder eines einzelnen Rechts daraus, je nach Eintritt oder Nichteintritt des relevanten Ereignisses, anzuordnen und damit eine materielle Beschränkung der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung herbeizuführen, ergibt sich aus der vom Gesetz den Parteien eingeräumten Privat­ autonomie.30 Dieser sind freilich wie überall durch das zwingende Recht Grenzen gesetzt, einerseits durch das generelle Verbot bestimmter Bedingungen (an sich unerlaubte Bedingungen, vgl bei § 898), andererseits durch das Verbot, bestimmte Rechtsgeschäfte unter Bedingungen zu stellen (sog bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte, Rz 73 ff). Die §§ 897 ff beziehen sich auf Bedingungen in einseitigen oder zweiseiti- 18 gen Rechtsgeschäften. Es können Verpflichtungsgeschäfte, Verfügungsge­ schäfte oder auch beide31 im selben Rechtsverhältnis unter einer Bedingung stehen. Den praktisch häufigsten Fall eines bedingt wirksamen Verfügungsgeschäfts stellt die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts beim Kauf dar, wobei nach hM32 der Kauf selbst unbedingt ist und nur das Verfügungsgeschäft aufschiebend bedingt mit der vollständigen Kaufpreiszahlung abgeschlossen wird (dazu auch Rz 53). Diese Sichtweise ist mE nicht überzeugend. Vielmehr ist auch schon das Verpflichtungsgeschäft selbst als teilweise bedingt (Rz 23) anzusehen. Unbestreitbar trifft nämlich bei einem Kauf unter Eigentumsvorbehalt den Verkäufer vor Bezahlung des Kaufpreises noch keine (unbedingte) Pflicht zur Übereignung, sondern nur eine Pflicht zur Übergabe des Vgl Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz. 1. Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 1. Dazu F. Bydlinski, FS Ostheim 56 f. OGH 7 Ob 672/86, SZ 60/6 = JBl 1987, 513 (zu den Grundverkehrsgesetzen). 32  Im Anschluss an F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 454 ff. ZB Koziol/Welser13 I 411. 30  31 

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Kaufgegenstands in die Gewahrsame des Käufers. Die Verkäuferpflicht zur Übereignung ist aufschiebend bedingt mit der Kaufpreiszahlung.33 Dadurch besteht vor Eintritt der Bedingung noch gar kein (wirksamer) Titel für die Übereignung, sodass schon aufgrund des Prinzips der kausalen Tradition vor Zahlung des Kaufpreises kein Eigentum übergehen kann. Die Abhängigkeit der Übereignung von der Kaufpreiszahlung ist also eine Folge der Bedingtheit der Verkäuferpflicht. Auch als Titel für die Übereignung wird sie eben erst aufschiebend bedingt wirksam. Ob man das Verfügungsgeschäft als ebenfalls bedingt ansieht, ist dann zweitrangig, da es jedenfalls erst in Verbindung mit einer wirksamen Verpflichtung wirkt. Das zugleich mit dem Verpflichtungsgeschäft geschlossene Verfügungsgeschäft ist jedenfalls immer auf die bedingte Verpflichtung bezogen zu sehen. Die Annahme der hL, dass allein das Verfügungsgeschäft bedingt sei, die Verpflichtung, zu übereignen, aber unbedingt, passt daher nicht auf den Regelfall34, denn die bedingte Verfügung würde ja die unbedingte Pflicht zu verfügen verletzen. Durch die Ver­einbarung einer automatischen Verknüpfung von Übereignungspflicht und Kaufpreis­ zahlung kann das Zug-um-Zug-Prinzip im wesentlichen aufrechterhalten werden, auch wenn den Verkäufer eine Vorleistungspflicht hinsichtlich der Gebrauchsüberlassung am Kaufgegenstand trifft. Bedingungen in einseitigen Rechtsgeschäften finden sich häufig in letzt19 willigen Verfügungen (weshalb das ABGB die Bedingungslehre grundsätzlich in den §§ 696 ff angesiedelt hat) und Stiftungserklärungen nach dem PSG35. Die Auslobung (§ 860) kann als einseitige Belohnungszusage unter der Bedingung der Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs oder der Erbringung einer bestimmten Leistung gesehen werden.36 Auch ein Angebot kann bedingt gestellt werden,37 sodass zum Vertragsschluss nicht nur die Annahme, sondern auch der Eintritt der Bedingung notwendig ist. Ebenso kann die Annahme unter einer Bedingung erfolgen, deren Eintritt allerdings vor Ablauf der Bindungsfrist des Angebots feststehen muss, um den Vertragsschluss zu bewirken. Bei einseitigen Rechtsgeschäften, die gestaltend in Rechte einer anderen Person eingreifen, wie Kündigung oder Widerruf, sind die Möglichkeiten, sie zu bedingen, im Interesse der Rechtsklarheit für den Betroffenen stark eingeschränkt (vgl Rz 76 ff). Mit den sogenannten notwendig bedingten Rechtsgeschäften38 sind sol20 che gemeint, bei denen eine Leistung typischerweise nur (meist aufschiebend) bedingt zugesagt wird, wie zB bei der Bürgschaft die Bürgenverpflich33  So eigentlich, nicht konsequent, zu Beginn seiner Ausführungen auch noch F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 454, wenn er feststellt, „dass der Kaufvertrag (von der Beschränkung der Eigentumsübertragungspflicht des Verkäufers abgesehen) unbedingt“ ist. 34  Vorstellbar ist diese Konstellation nur, wenn die dingliche Einigung nicht schon im Verpflichtungsgeschäft mit enthalten war, was aber regelmäßig der Fall ist (vgl F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 375 f). 35  Bsp bei Schauer, Familienstiftung und Unwürdigkeit des Begünstigten als Problem des Privatstiftungsrechts, GesRZ 2000, 233. 36  Hasenöhrl, Das österreichische Obligationenrecht2 II 13. 37  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 1; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 2. OGH 1 Ob 689/90, JBl 1991, 382; 1 Ob 619/93, JBl 1994, 414 (Freiwerden einer Mietwohnung). 38  Nicht zu verwechseln mit der sog notwendigen Bedingung, Rz 28.

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tung unter der Bedingung des Ausbleibens der Leistung des Hauptschuldners steht, beim Maklervertrag der Provisionsanspruch des Maklers unter der Bedingung des Abschlusses des vermittelten Geschäfts oder beim Versicherungsvertrag die Leistungspflicht des Versicherers unter der Bedingung des Eintritts des Versicherungsfalls.39 Hierher gehört auch die gerade erwähnte Auslobung. Notwendig bedingte Rechtsgeschäfte sind nicht anders als sonst bedingte Rechtsgeschäfte zu behandeln. Die rechtsgeschäftliche Willenserklärung kann nach allgemeinen Grund- 21 sätzen ausdrücklich oder stillschweigend bedingt werden. Das gilt auch für die Erhebung von Motiven zur Bedingung iSd § 901.40 „Ausdrücklich“ ist in § 901 (wie öfter im ABGB) nicht als Formvorschrift, sondern nur iSv „hinreichend deutlich“ zu verstehen.41 Das entspricht § 863, der für die Annahme einer schlüssigen Willenserklärung verlangt, dass „kein Zweifel“ an der Erklärung bestehen dürfe. § 901 gebietet mit dieser Formulierung nur entsprechende Vorsicht bei der Annahme einer stillschweigenden Erhebung von Motiven zur Bedingung.42 Diese Vorsicht ist vor allem deshalb geboten, weil die Aufnahme eines Umstands in den Vertrag nicht gleichbedeutend ist mit der Vereinbarung dieses Umstands als echte Bedingung. Die Unterscheidung hat durch Ver­ tragsauslegung zu erfolgen, wobei es mE auf den Willen der Parteien in Bezug auf die Rechtsfolgen bei Ausbleiben dieses Umstands ankommt: Sollen nach der Parteienabsicht die Wirkungen des Vertrags (des Rechts) unmittel­ bar von dem Umstand abhängen und mit diesem wegfallen, ohne dass es noch einer Anfechtung oder eines Rücktritts bedarf, liegt Bedingung vor. Eine solche automatische Wirkung erfordert hinreichende Rechtssicherheit bezüglich ihres Eintretens. Auch das spricht im Zweifel gegen Bedingung. Eine solche ist daher nur dann anzunehmen, wenn nach dem Zweck der Abrede beide Parteien ein Festhalten am Vertrag im Fall des Fehlens des Umstands für geradezu ausgeschlossen halten mussten. Trifft dies nicht zu, entspricht ein Rücktritts- oder Anfechtungsrecht, über das die berechtigte Partei noch frei entscheiden kann, eher dem Parteiwillen (vgl im einzelnen zur Abgrenzung der Bedingung von sonstigen Vertragsbestandteilen Rz 106 ff). Die Beisetzung einer Bedingung kann man wegen ihrer unmittelbaren Wirkung auf das Rechtsgeschäft auch als Festlegung des „Anwendungsbereichs“ der privatautonom gesetzten Norm durch die Parteien sehen. In diesem Sinn können die Parteien mE auch einen Umstand, von dessen Eintreten sie überzeugt waren, zur Voraussetzung des Rechtsgeschäfts machen, zB durch die Formulierung „drei Jahre nach der Hochzeit“. Zweifel oder subjektiv emp­ fundene Ungewissheit (hier an der Tatsache der bevorstehenden EheschlieGschnitzer in Klang2 III 659. Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 5. 41  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2 (mit Hinweis auf Pisko in Klang II/2, 341); Fenyves in § 901 Rz 6. OGH 5 Ob 8/62, SZ 35/7 = JBl 1962, 606; 6 Ob 79/62, SZ 35/47; 10 Ob 24/70, EvBl 1970/203; 1 Ob 18/73, EvBl 1974/29; 7 Ob 595/76, NZ 1981, 42; 3 Ob 573/85, JBl 1987, 378; 3 Ob 526/86, EF 51.448; 8 Ob 527/88, MietSlg 40.064; 6 Ob 154/02v, RdW 2003, 371. 42  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 5. Vgl OGH (Liechtenstein) J 485/371, JBl 1956, 81 (Gschnitzer); OGH 9 Ob 714/91, EvBl 1992/76. 39 

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ßung) sind für die Vereinbarung einer Bedingung nach der hier vertretenen Ansicht nicht Voraussetzung. Es kommt vielmehr wieder auf die beabsichtigte unmittelbare Abhängigkeit des Geschäfts vom vorausgesetzten Ereignis an (vgl Rz 6). Auch auf ergänzender Vertragsauslegung kann die Annahme einer Bedingung beruhen, insbesondere wenn die Parteien bereits eine Bedingung vorgesehen haben, deren Wirksamkeit jedoch an faktischen oder rechtlichen Hindernissen gescheitert ist. Dem Zweck des Vertrags ist dann durch Ergänzung mit einer angemessenen ähnlichen Bedingung oft besser entsprochen, als durch die bloße Teil- oder Gesamtnichtigkeit des Geschäfts (vgl Rz  10 und 12 zu § 898). Für die Interpretation von Bedingungen finden sich im Gesetz (va im 22 Erbrecht, da der Verstorbene über seinen Willen nicht mehr Auskunft geben kann, dieser aber in erster Linie für die Auslegung relevant ist43) zahlreiche Auslegungsregeln (zB §§ 697 ff, 701 ff, 898 ff). Daneben hat auch die Lehre Interpretationsregeln entwickelt, etwa dass eine aufschiebend formulierte negative Bedingung idR in eine positive Resolutivbedingung umzudeuten ist.44 Aus ergänzender Vertragsauslegung ergibt sich nach hL, dass bei wider Treu und Glauben vom Begünstigten herbeigeführtem Bedingungseintritt die Bedingung als nicht eingetreten gilt, und dass der Bedingungseintritt bei Vereitlung durch denjenigen, dem er zum Nachteil gereichen würde, fingiert wird (zu diesen Fiktionen Rz 70 ff). Von der Bedingung kann nach dem Willen der Parteien das ganze Geschäft 23 abhängig gemacht werden oder nur einzelne Rechtswirkungen (vollständige oder teilweise Bedingtheit). So ist etwa beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt nur die Pflicht zur Übereignung, nicht aber die Pflicht zur Übergabe der Kaufsache mit der Erfüllung der Gegenleistung bedingt.45 Beim Versicherungsvertrag ist die Pflicht des Versicherungsnehmers zur Prämienzahlung unbedingt, die Zahlungspflicht des Versicherers jedoch bedingt mit dem Versicherungsfall. Die Bedingung kann sich auch nur auf den Zeitpunkt der Fälligkeit einer Verpflichtung beziehen (zB Terminsverlust). Die Vorwirkungen im Schwebezustand eines aufschiebend bedingten Rechtsgeschäfts (zu diesen Rz  48 ff), etwa die Pflicht, am Bedingungseintritt mitzuwirken, zeigen ebenfalls, dass das Geschäft auch unbedingte Rechte und Pflichten zeitigt. Wenn in einem Vertrag für den Fall des Ausbleibens der aufschiebenden Bedingung konkrete Vereinbarungen getroffen werden, etwa für den Fall des Versagens der devisenbehördlichen Genehmigung (Rechtsbedingung; Rz  82) der Eintritt eines Deviseninländers in den Kaufvertrag vorgesehen wird,46 so bleibt diese Vereinbarung trotz Ausfalls der Bedingung (Versagen der Genehmigung) wirksam. Rechtsgeschäfte (oder einzelne Wirkungen derselben) können auch 43  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  897 Rz  2; Apathy in KBB3 §  565 Rz  4; Vonkilch in §  914 Rz  77. OGH 5 Ob 284/65, SZ 38/221; 10 Ob 2335/96x, SZ 69/247; 3 Ob 154/01w, NZ 2002, 206. 44  Koziol/Welser13 I 195. Vgl Peter, Das bedingte Geschäft (Zürich 1994) 251  f. S auch Rz 32. 45  Nach hL ist nur das Verfügungsgeschäft bedingt. Vgl aber Rz 18 und 53. 46  OGH 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37.

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Allgemeines

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mehrfach bedingt sein, und zwar kumulativ oder alternativ.47 So ist etwa beim Weiterverkauf einer bereits unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sache (wieder) unter Eigentumsvorbehalt (weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt48 mit einer weiteren Vorbehaltsabrede im zweiten Kauf), der Erwerb des Zweitkäufers von der kumulativen Erfüllung beider Bedingungen, also der Zahlung beider Kaufpreise, abhängig. Soll der Vorbehaltskäufer nach dem Vertrag Eigentum erwerben, wenn er den Kaufpreis zahlt, aber auch schon vorher, falls er die Sache weiterverarbeitet, genügt die Erfüllung einer dieser alternativen Bedingungen. Selbstverständlich kann in diesem Sinn auch die Bedingung selbst unter einer Bedingung beigefügt werden (eventuelle Bedingtheit).49 Ob bei Aufstellen einer Bedingung ein gesetzliches Formgebot einzuhal- 24 ten ist, hängt davon ab, ob das Rechtsgeschäft, dem die Bedingung beigefügt wird, einem gesetzlichen Formgebot unterliegt und ob dieses nach seinem Zweck auch die Bedingung erfasst. In den meisten Fällen erstreckt sich das Form­ gebot auf das gesamte Rechtsgeschäft und damit auch auf Nebenabreden,50 wie eine Bedingung.51 So sind zB bei letztwilligen Verfügungen, deren Formvorschriften der Beweissicherung dienen, etwaige Zusätze und spätere Ergänzungen der Verfügung, also auch die Beifügung einer Bedingung, ebenfalls nur bei Einhaltung der Form gültig.52 Auch die in § 76 GmbHG für die Abtretung von Geschäftsanteilen an einer GmbH normierte Notariatsaktspflicht erfasst nicht nur den Abtretungsvertrag selbst, sondern auch ihm beigefügte Bedingungen der Abtretung, da die Formvorschrift ua eine Klarstellungsfunktion bezüglich der Gesellschafterstellung verfolgt53 und eine Bedingung, anders als sonstige Nebenabreden, gerade die Wirksamkeit der Abtretung betrifft.54 Dagegen wird für bedingte Bürgschaftserklärungen vertreten, dass die in § 1346 Abs 2 zum Schutz des Bürgen vor Übereilung55 vorgeschriebene Schriftform nicht für eine der Bürgenhaftung beigefügte Bedingung gelte, da eine solche die Haftung des Bürgen nur einschränke.56 Richtig ist jedenfalls, dass eine den Bürgen begünstigende nachträgliche Nebenabrede zu einer bereits gültig eingegangenen Bürgschaft keiner Form bedarf.57 Die nachträgliche Nebenabrede bewirkt ja tatsächlich eine Verbesserung der Stellung des Bürgen. Für schon bei der Bürgschaftsübernahme vorgesehene mündliche Nebenabreden gilt dies jedoch mE nicht uneingeschränkt: Die schriftliche Erklärung muss bei Unterfertigung grundsätzlich alle für das Risiko des Bürgen relevanten Angaben aufweisen.58 Unter diese Angaben fällt auch eine Bedingung, da erst sie bestimmt, wann die Haftung des Bürgen überhaupt „schlagend“ wird. Enthält die Gschnitzer in Klang2 III 649; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 9. Koziol/Welser13 I 418. 49  Gschnitzer in Klang2 III 649. 50  Rummel in Rummel3 I § 886 Rz 12. 51  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 6. 52  Gschnitzer in Klang2 III 650; Koziol/Welser13 II 505. 53  Zum Normzweck vgl Auer, Zur Formpflicht gemäß § 76 Abs 2 GmbHG, JBl 2011, 361. 54  OGH 9 Ob 165/02h. 55  P. Bydlinski in KBB3 § 1346 Rz 7. 56  Gschnitzer in Klang2 III 650; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 6. 57  P. Bydlinski in KBB3 § 1346 Rz 8. 58  P. Bydlinski in KBB3 § 1346 Rz 8. 47  48 

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Urkunde nicht alle für die Abschätzung des Risikos durch den Bürgen nötigen Angaben, so erfüllt sie nicht die vom Gesetz geforderte Warnfunktion, ähnlich wie die Unterfertigung einer Blankettbürgschaft, bei der die Haftungssumme erst später eingetragen wird, nicht dem Warnzweck genügen kann.59 Der Formmangel bei der insofern wesentlichen Nebenbestimmung bewirkt die Ungültigkeit der gesamten Bürgschaft. Davon zu unterscheiden ist der Fall der bloß irrtümlich zu weit abgefassten schriftlichen Bürgschaftserklärung, bei der die Bürgschaft gültig ist, selbstverständlich nur unter Beachtung der mündlichen Einschränkung.60 Die Beweislast dafür, dass ein vom Kläger behauptetes und vom Beklag25 ten im übrigen nicht bestrittenes Rechtsgeschäft bedingt abgeschlossen wurde, trägt nach hL gemäß der Einredetheorie der Beklagte.61 Die ältere Lehre und Rsp waren diesbezüglich noch uneinig, zT wurde angenommen, der Kläger müsste die Unbedingtheit seines Anspruchs beweisen.62 Zur Beweislast bezüglich des Bedingungseintritts Rz 69. Da die Parteien auch an das bedingt abgeschlossene Rechtsgeschäft schon 26 gebunden sind (Rz 49), müssen die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzun­ gen des Rechtsgeschäfts wie Geschäftsfähigkeit, Einhaltung von Formgeboten etc schon bei Abgabe der bedingten Willenserklärung vorliegen. Bei bestimmten Potestativbedingungen, nämlich jenen, die echte Gestaltungsrechte einräumen (Willkürbedingungen), können dieselben Wirksamkeitserfordernisse freilich (zusätzlich) für die Ausübung des Gestaltungsrechts gelten (Rz 37, 65).

II. Arten von Bedingungen 27

Nach der Wirkungsweise unterscheidet man aufschiebende und auflösende Bedingungen (Rz 30 ff), nach der Formulierung positive und negative Bedingungen (Rz 34), nach der Art des bedingenden Ereignisses Zufalls- und Potestativbedingungen (Rz 35 ff) und nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung eigentliche und uneigentliche Bedingungen (Rz 40 ff). Die sog notwendige Bedingung ist keine Bedingung; sie bezieht sich auf 28 einen Umstand, von dem schon bei Vornahme des Rechtsgeschäfts gewiss ist, dass er eintreten wird. Allenfalls ist nicht gewiss, wann er eintritt (zB der Tod einer Person). Die notwendige Bedingung wird deshalb idR als Befristung (Rz 90) zu behandeln sein.63 Die Rechtsbedingung (Rz 80 ff) ist keine Bedingung iSd §§ 897 ff, da sie 29 nicht auf dem Parteiwillen, sondern auf einem Gesetz beruht, welches für das Rechtsgeschäft eine besondere Wirksamkeitsvoraussetzung aufstellt, zB eine behördliche Genehmigung. Vgl P. Bydlinski in KBB3 § 1346 Rz 8. OGH 6 Ob 563/86, NZ 1988, 105. 61  Ehrenzweig, System I/12, 372 f; Gschnitzer in Klang2 III 663 ff; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 12. 62  Gschnitzer in Klang2 III 663 ff. Wie hier zB GlU 3924; 14.721. 63  Vgl Welser in Rummel3 I § 696 Rz 3; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 3; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 2. 59  60 

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1. Aufschiebende und auflösende Bedingung Nach der beabsichtigten Wirkung auf das bedingte Recht werden aufschie- 30 bende (Suspensiv-) und auflösende (Resolutiv-)Bedingung unterschieden (§  696 Satz  3).64 Der Bedingungseintritt entscheidet bei der aufschiebenden Bedingung über das Entstehen, bei der auflösenden Bedingung über das Fortbestehen des Rechts.65 Ist ein Rechtsgeschäft unter aufschiebender Bedingung geschlossen, so treten die bedingten Rechtswirkungen erst dann in Kraft, wenn das ungewisse Ereignis eintritt.66 Vor Bedingungseintritt (bzw Feststehen des Nichteintritts) befindet sich das Rechtsgeschäft in einem Schwebezustand mit Vorwirkungen, sodass die Parteien bereits gewisse wechselseitige Pflichten treffen, die Hauptleistungspflichten müssen vor Eintritt der aufschiebenden Bedingung idR jedoch noch nicht erfüllt werden (zu den vorwirkenden Pflichten im einzelnen Rz 48 ff). Sollen die Rechtswirkungen eines Geschäfts dagegen sofort eintreten, aber wieder aufgehoben werden, wenn ein ungewisses Ereignis eintritt, so ist das Geschäft unter einer auflösenden Bedingung geschlossen.67 Bei dieser werden auch die Hauptleistungspflichten sofort wirksam und müssen im Fall der Auflösung idR rückabgewickelt werden, sodass bezüglich dieser Rückgabeverpflichtungen ähnliche vorwirkende Sorgfaltspflichten entstehen wie bei der aufschiebenden Bedingung (Rz 58). Bei den uneigentlichen Bedingungen (Rz 40 ff), bei denen Rechtswirkun- 31 gen von einem gegenwärtigen oder vergangenen Ereignis abhängig gemacht werden, „schmilzt“ der Unterschied der aufschiebenden und auflösenden Wirkung „zusammen“: Das bedingte Recht besteht entweder von Anfang an auf Dauer oder es entsteht nie. Bis zur Feststellung, ob die Bedingung vorlag oder nicht, gibt es zwar auch einen Schwebezustand, während dessen für die Parteien Ungewissheit oder Unkenntnis bezüglich des Bestehens der Wirkungen des Geschäfts herrscht, dieser Schwebezustand wird jedoch in den meisten Fällen noch vor Fälligkeit der Hauptleistungspflichten beendet sein, sodass eine Unterscheidung in aufschiebende und auflösende Wirkung praktisch nur selten relevant wird. Werden bei Geschäften unter uneigentlicher Bedingung bereits im Schwebezustand Leistungen erbracht, stellt sich jedoch die Frage, ob etwa die Übergabe eines bedingt gekauften Gegenstands schon Eigentum übertragen soll oder dieses erst bei Feststehen der Bedingung übergehen soll (zur Frage der Rückwirkung des Bedingungseintritts s Rz 66 ff). Ob aufschiebende oder auflösende Bedingung vorliegt, ist eine Ausle­ 32 gungsfrage.68 Im Zweifel ist aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs eher 64  Zur Zeit der Erlassung des ABGB war strittig, ob es auflösende Bedingungen geben kann. ZT wurde in ihnen ein aufschiebend bedingter Aufhebungsvertrag gesehen (Nw bei Gschnitzer in Klang2 III 655). 65  Gschnitzer in Klang2 III 654. 66  Gschnitzer in Klang2 III 654; F. Bydlinski, FS Ostheim 53 ff; Koziol/Welser13 I 194. ZB OGH 2 Ob 514/82, SZ 55/109 = JBl 1983, 607. 67  Gschnitzer in Klang2 III 654; Koziol/Welser13 I 194. ZB OGH 5 Ob 295/04z, JBl 2005, 454 (Rummel) = NZ 2005/619 (Hoyer). 68  Gschnitzer in Klang2 III 655; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 4; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 12. OGH GlUNF 1808; 5 Ob 552/77, MietSlg 29.140; 1 Ob 330/97d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78.

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von aufschiebender Bedingung – sie ist die Bedingung „schlechthin“69 – auszugehen.70 Auch die Schwierigkeiten im Fall der Rückabwicklung (zumindest bei Zielschuldverhältnissen71) sprechen eher dafür, dass die Parteien mit der Erbringung der Hauptleistungen noch abwarten wollten. Nach dem Zweck der Bedingung werden idR aufschiebend formulierte negative72 oder in einem auf unbestimmte Zeit fortzusetzenden Verhalten bestehende73 positive Potestativbedingungen in entsprechende auflösende Bedingungen umzudeuten sein, da sie sonst (zumindest zu Lebzeiten des Berechtigten) nie eintreten könnten (vgl Rz 34). Bestehen nach dem Parteiwillen von Anfang an echte Erfüllungsan­ sprüche, so spricht dies für auflösende Bedingung,74 und zwar selbst dann, wenn die Formulierung der Bedingung eher auf eine aufschiebende hindeutet.75 Die Rsp geht allerdings davon aus, dass auch bei aufschiebender Bedingtheit des Vertrages eine Vorausleistungspflicht vereinbart sein kann.76 Dies ist schon deshalb kein Widerspruch, weil ein Rechtsgeschäft auch bloß teilweise bedingt sein kann (s schon Rz 23). Daher kann es ebenso gut teilweise aufschiebend und teilweise auflösend bedingt sein. Bei Vereinbarung einer Vorleistungspflicht ist diese nicht aufschiebend, sondern auflösend bedingt, während die übrigen Hauptleistungspflichten aufgeschoben sind. Beispiele für aufschiebende Bedingungen sind (vorbehaltlich abweichender Parteienabsicht) jene Verträge, deren Wirksamkeit von den Parteien noch vom Erlangen einer behördlichen Genehmigung (zB einer Baugenehmigung) abhängig gemacht wird.77 (Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Vertrag schon aufgrund des Gesetzes genehmigungsbedürftig ist, also nicht unter einer Bedingung iSd §§  897  ff steht, sondern unter einer Rechtsbedingung. Deren aufschiebende Wirkung beruht nicht auf dem Parteiwillen, sondern auf gesetzlicher Anordnung,78 vgl Rz 82). Die Verpflichtung desjenigen, der für eine Schuld nur subsidiär haftet, ist ebenfalls aufschiebend bedingt mit dem Eintritt des seine Leistungspflicht auslösenden Ereignisses.79 Auch das dispositive Recht regelt verschiedentlich typische Fälle aufschiebend bedingter Rechtsgeschäfte, so zB den Kauf auf Probe, der nach der Auslegungsregel des So Gschnitzer in Klang2 III 655. Gschnitzer in Klang2 III 655; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 12. OGH 7 Ob 536/77, MietSlg 29.558; 3 Ob 96/91, RdW 1992, 242; 1 Ob 330/97 d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78. 71  Dauerschuldverhältnisse im Abwicklungsstadium werden idR ex nunc beendet, Koziol/ Welser13 II 10. Vgl Rz 66. 72  Koziol/Welser13 I 195; II 500. Zur Unterscheidung negative – positive Bedingung Rz 34. 73  Gschnitzer in Klang2 III 652, 655 f. OGH 1 Ob 330/97d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78. 74  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 4; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 13. OGH 5 Ob 552/77, MietSlg 29.140; 3 Ob 573/85, JBl 1987, 378. 75  OGH 3 Ob 96/91, RdW 1992, 242; 1 Ob 330/97d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78. 76  OGH 7 Ob 821/82, SZ 56/194; 2 Ob 365/97b, ZfRV 2000, 189. Bei Rechtsbedingungen ist diese Konstellation besonders häufig, weil bei ihnen von der Vorausleistungspflicht nicht auf auflösende Bedingtheit geschlossen werden kann, sondern sich aus dem Gesetz (meist) zwingend die aufschiebende Wirkung ergibt, vgl Rz 83. 77  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 12. OGH GlUNF 1808; 10 Ob 506/88, MietSlg 40.063; 1 Ob 330/97d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78. 78  OGH 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201; 1 Ob 32/79, JBl 1981, 148. 79  Vgl Rummel in Rummel3 I § 1434 Rz 3. 69  70 

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§  1080 unter der aufschiebenden Potestativbedingung80 der Genehmigung durch den Käufer steht; der Verkäufer bleibt bis zu deren Eintritt trotz Übergabe zur Probe noch Eigentümer der Kaufsache, der Käufer hat aber bereits ein Anwartschaftsrecht.81 Für den Verkauf mit Vorbehalt eines besseren Käufers findet sich in § 1083 die gesetzliche Auslegungsregel, dass es sich dann um einen aufschiebend bedingten Kauf handelt, wenn die Kaufsache nicht vor Eintritt der Bedingung übergeben werden soll. Auch im Kauf einer erhofften Sache (emptio rei speratae, § 1275 ABGB) kann ein Fall eines aufschiebend bedingten Vertrags gesehen werden.82 Selbst wenn die Parteien fest mit dem Entstehen der erhofften Sache gerechnet haben, spricht das mE83 nicht dagegen, dass die Wirkungen des Vertrags nach dem (konkreten oder hypothetischen) Parteiwillen dennoch (unmittelbar) vom Entstehen der Sache abhängen sollen (sog Voraussetzung; zu dieser Bedingung mit einem subjektiv für gewiss gehaltenen Ereignis schon Rz 6). Der Ausfall des Erträgnisses kann freilich in diesen Fällen auch einer nachträglichen Unmöglichkeit der Erfüllung gleichkommen, deren Rechtsfolgen – automatischer Wegfall der Verpflichtungen (§ 1048) – ohnehin mit der Unwirksamkeit als Rechtsfolge einer Bedingung übereinstimmen. Man könnte umgekehrt durchaus die Regel des § 1048 (s a § 1447) als vom Gesetz geregelten typischen Fall der Bedingung ansehen, da es wohl dem hypothetischen Parteiwillen entspricht, die Verpflichtung nur unter der auflösenden Bedingung späteren zufälligen Unmöglichwerdens zu sehen (s auch Rz 96). Ein einseitiges Rechtsgeschäft unter aufschiebender Bedingung ist die Auslobung (§§ 860 ff).84 Bei Einräumung eines Wiederkaufsoder Rückverkaufsrechts besteht nach Ansicht mancher85 ein aufschiebend bedingter zweiter Kaufvertrag. Eine auflösende Bedingung liegt zB in der Vereinbarung der Beendigung des Dienstvertrags eines Trainers, falls der Verein den Aufstieg in die höhere Liga nicht schafft,86 nach der Rsp auch in der Überlebensbedingung bei der Schenkung auf den Todesfall, da die Schenkung beim Tod des Beschenkten vor dem Tod des Erblassers ihre Wirksamkeit verliere;87 mE liegt eine aufschiebende Bedingung vor, da die Übergabe des Geschenks ja noch aufgeschoben ist. Mit dem vorzeitigen Tod des Beschenkten ist die Bedingung endgültig ausgefallen (Rz 61). Auch zur auflösenden Bedingung finden sich typische Fälle im Gesetz geregelt, zB das Fixgeschäft (§ 919), das nach dem Parteiwillen bei nicht rechtzeitiger Erfüllung ohne Rücktrittserklärung von selbst dahin fällt.88 In bedingten Verfügungsgeschäften (zB Zession, Übereignung) treffen 33 aufschiebende und auflösende Bedingung zusammen: Dem aufschiebend be80 

Zur Potestativbedingung Rz 35 ff. OGH 4 Ob 541/60, EvBl 1961/114. 82  Vgl Zeiller, Commentar III/2, 674. 83  AA Mayer-Maly in Klang2 IV/2, 707 f. 84  Hasenöhrl, Das österreichische Obligationenrecht2 II 13. Vgl schon Rz 19. 85  Nw bei Aicher in Rummel3 I § 1068 Rz 8. 86  Vgl OGH 4 Ob 85/82, ZAS 1984/28 (dazu Schrammel ZAS 1984, 221); 9 Ob A 156/98a, RdA 1999, 363 (Dirschmied). 87  OGH 8 Ob 569/83, SZ 57/91 = JBl 1985, 290. 88  P. Bydlinski in KBB3 § 919 Rz 1. 81 

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dingten Rechtserwerb (oder der bedingten Befreiung von einer Verbindlichkeit) auf Seiten des einen Vertragspartners entspricht das auflösend bedingte Recht auf Seiten des anderen, so zB beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt.89 2. Bejahende und verneinende Bedingung 34

§ 696 Satz 2 unterscheidet bejahende (positive) und verneinende (nega­ tive) Bedingungen, je nachdem ob sie sich auf den Eintritt oder Nichtein­tritt90 eines Ereignisses beziehen. Es handelt sich im wesentlichen um eine Formulierungsfrage,91 da jedes Ereignis ebenso gut durch eine positive wie durch eine negative Umschreibung ausgedrückt werden kann („wenn ich pünktlich erscheine“ ist zB gleichbedeutend mit „wenn ich mich nicht verspäte“). Wo das Gesetz sich auf diese Unterscheidung bezieht, ist daher die jeweils andere Formulierung mitzubedenken, muss doch wegen der Gleichheit des Zwecks für sie sinngemäß dasselbe gelten: So spricht beispielsweise § 708 von einer letztwilligen Zuwendung unter verneinender Bedingung, wobei sich aus der Beifügung „oder auflösenden Bedingung“ sogleich ergibt, dass auch mit der negativen Formulierung im Ergebnis eine auflösende Wirkung verbunden wird. § 708 bezieht sich auf typischerweise negativ formulierte Bedingungen, die in einem dem Erblasser unerwünschten Umstand bestehen und die zum Verlust der Zuwendung führen sollen. Tatsächlich ist eine negativ formulierte Bedingung, die in einer Handlung der begünstigten Person besteht, aber ohnehin idR nicht als aufschiebende denkbar, da ihre Erfüllung, dh der Nichteintritt des Ereignisses, erst beim Tod des Bedachten oder (bei Vererblichkeit, dazu Rz 4 bei § 900) überhaupt nie feststünde. Negativ formulierte Suspensivbedingungen sind daher häufig in positiv formulierte Resolutivbedingungen umzudeuten,92 insbesondere wenn es sich um Potestativbedingungen handelt.93 „A soll erben, wenn er die Heimat nicht verlässt“ ist zB zu verstehen als „A soll erben, aber das Erbe verlieren, wenn er auswandert“; dieselbe Umdeutung in eine Resolutivbedingung hat nun selbstverständlich bei positiver Formulierung einer gleichbedeutenden Bedingung („A soll erben, wenn er in der Heimat bleibt“) stattzufinden.94 Die verneinende Bedingung ist daher einer bejahenden, die auf einen Dauerzustand oder ein andauerndes Verhalten abstellt, gleichzuhalten (vgl Rz 32). 3. Zufalls- und Potestativbedingung

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Nach der Art des bedingenden Ereignisses, genauer danach, ob das Ereignis vom Willen einer der Parteien des Rechtsgeschäfts abhängt, unterschei89  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 2. Zur Bedingungskonstruktion bei Kauf unter Eigentumsvorbehalt Rz 53. 90  Vgl OGH 3 Ob 63/66, JBl 1967, 91; 1 Ob 121/98 w, SZ 71/193 = ÖBA 1999, 644 (Rummel). 91  Gschnitzer in Klang2 III 651  f; Koziol/Welser13 I 195; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 16. 92  Ehrenzweig, System I/12, 244; Gschnitzer in Klang2 III 652, 655 f; Koziol/Welser13 I 195; II 500. 93  Gschnitzer in Klang2 III 652. Vgl auch § 2075 dBGB. 94  Ehrenzweig, System I/12, 244.

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det man Zufalls- und Potestativbedingung.95 Die Herbeiführung einer reinen Potestativbedingung liegt ausschließlich im Willen einer Partei (zB Abgabe einer Erklärung). Bei der Zufallsbedingung hängt der Eintritt der Bedingung entweder von einem zufälligen Ereignis (zB vom Wetter) oder vom Verhalten eines Dritten ab. Soweit nach dem Vertrag das Verhalten des Dritten von keiner der Parteien beeinflusst werden soll, ist es im Verhältnis zwischen den Parteien als zufälliges Ereignis zu behandeln. Ist von Potestativbedingungen die Rede, handelt es sich freilich idR um sog gemischte Bedingungen96, dh Ereignisse, die sowohl von der Willkür einer Partei, als auch von Zufällen abhängen, weil die Herbeiführung ungewisser Ereignisse nur selten vollständig in der Macht eines Menschen liegt (zB „wenn du die Prüfung schaffst“). Dass der Eintritt einer Bedingung faktisch vom Willen einer Partei abhängt 36 und demnach eine Potestativbedingung darstellt, bedeutet noch nicht, dass die Partei nach dem Vertrag auch rechtlich frei entscheiden darf, ob sie die Bedingung herbeiführt oder nicht.97 So ist der Käufer beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt zur Herbeiführung der Bedingung (Kaufpreiszahlung) verpflichtet; ebenso ist bei einem Vertrag, der mit der Erteilung einer behördlichen Bewilligung bedingt wurde, der antragsberechtigte Vertragspartner verpflichtet, um diese anzusuchen. In der Regel sind beide Parteien nach dem Vertrag verpflichtet, an der Herbeiführung einer aufschiebenden Bedingung mitzuwirken oder zumindest alles zu unterlassen, was ihren Eintritt vereiteln könnte (Rz 51). Das gilt grundsätzlich auch für Potestativbedingungen. Reine Willkürbedingun­ gen,98 die den Bedingungseintritt nach dem Vertragszweck ins Belieben einer Partei stellen,99 sind eher die Ausnahme.100 Hängt die Wirksamkeit des Vertrags noch von einer späteren, rechtlich freien Willensbildung einer Partei ab, bedarf er also im Sinn einer Genehmigung einer weiteren rechtsgeschäftlichen Willenserklärung dieser Partei, so spricht man auch von einer Wollensbedin­ gung.101,102 Sie kann aufschiebend oder auflösend wirken, sodass im ersten Fall der Bindungswille der Partei vor Bedingungseintritt noch nicht feststeht (zB beim Kauf auf Probe, § 1080) und der bedingte Vertrag sich vom bloßen Angebot der anderen Partei kaum unterscheiden lässt (zur Abgrenzung Rz 99), 95  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 6; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 17. OGH 2 Ob 137/57, JBl 1957, 291. 96  Koziol/Welser13 I 195; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 6. 97  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 17. 98  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 17, gebraucht für sie auch den Ausdruck „reine Potestativbedingungen“, der hier (Rz 35) für faktisch ausschließlich vom Willen der Partei (und nicht von Zufällen) beeinflusste Bedingungen verwendet wird. 99  ZB OGH 2 Ob 137/57, JBl 1957, 291. 100  Knütel, JBl 1976, 613 (622); Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 17. 101  Gschnitzer in Klang2 III 652 ff; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 2. Dagegen gebrauchen Koziol/Welser13 I 195 den Ausdruck synonym für Potestativbedingung. 102  Bei Wollensbedingungen war nach der früheren Lehre strittig, ob überhaupt schon ein Vertrag zustande gekommen ist. Das ABGB hat sich im Rahmen der III. TN für die rechtliche Möglichkeit solcher Verträge entschieden, wie sich am Bsp des Kaufs auf Probe (§ 1080) zeigt (Gschnitzer in Klang2 III 653). Sog „unvollendete Verträge“, dh noch keine (bedingten) Rechtsgeschäfte, weil ihr Abschluss und nicht nur ihre Wirkung hinausgeschoben sind, sieht Gschnitzer (Klang2 III 661 f) dagegen zB im Kauf mit Überlassung der Preisbestimmung an einen Dritten und im Optionsvertrag.

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während im zweiten Fall ein mit einem vereinbarten Rücktrittsrecht vergleichbares Gestaltungsrecht vorliegt.103 Der Begriff der Potestativbedingung überschneidet sich mit dem des Ge­ 37 staltungsrechts.104 Durch ihre Abhängigkeit vom Willen räumt die Potestativbedingung der Partei (faktische) Gestaltungsmacht ein. Ob jedoch ein Gestaltungsrecht vorliegt, ist mE wieder davon abhängig, ob nach dem Vertrag die Entscheidung der Partei über den Bedingungseintritt rechtlich frei ist, da es zum Wesen des subjektiven Rechts gehört, dass seine Ausübung der Willkür des Berechtigten überlassen bleibt.105 Im Bereich der Willkürbedingungen, über deren Eintritt nach der Parteienabsicht eine Partei frei entscheidet, gewähren daher Potestativbedingungen Gestaltungsrechte (vgl Rz 98). Soweit es sich bei einer Potestativbedingung um ein Gestaltungsrecht handelt, erfolgt dessen Ausübung in der Regel durch eine rechtsgeschäftliche Handlung.106 Auf diese kann ein gesetzliches Formgebot anzuwenden sein, wenn es der Normzweck erfordert (Rz 65). Dient ein Formgebot dem Übereilungsschutz, wie zB § 1346 Abs 2, erfasst es nicht nur den ursprünglichen Vertrag, sondern auch die Herbeiführung einer dessen Verbindlichkeit erst bewirkenden Potestativbedingung. Ist die Wirksamkeit einer Bürgschaft daher einer späteren Zustimmung des Bürgen vorbehalten, so ist diese ebenfalls formbedürftig.107 Bedeutung hat die Unterscheidung von Zufalls- und Potestativbedingun38 gen ua für die Frage der Zulässigkeit von Bedingungen. Zahlreiche (va einseitige) Rechtsgeschäfte, die aufgrund des Bedürfnisses nach sofortiger Rechtsklarheit des durch sie Betroffenen als bedingungsfeindlich gelten (etwa eine Kündigung), sind im Einzelfall dennoch zumindest einer Potestativbedingung zugänglich, deren Eintritt vom Betroffenen selbst beeinflusst werden kann (vgl Rz 76 ff). §  899 enthält Auslegungsregeln für Bedingungen, die ohne Wissen der 39 Parteien bereits vor Vertragsabschluss erfüllt wurden. Danach sind nur Potestativbedingungen, die in einer Handlung des durch ihren Eintritt Begünstigten bestehen und von ihm wiederholt werden können, im Zweifel zu wiederholen, um die Folgen des Bedingungseintritts herbeizuführen (vgl bei § 899). 4. Eigentliche und uneigentliche Bedingung 40

Nach dem Zeitpunkt des Eintritts des von den Parteien für maßgeblich erklärten Ereignisses unterscheidet man eigentliche und uneigentliche Bedingung. Bei der eigentlichen Bedingung ist die Rechtswirkung von einem zu­ Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 2. OGH 1 Ob 757/81; 7 Ob 572/94. Zum Verhältnis von Potestativbedingung und Gestaltungsrecht F.  Bydlinski in Klang2 IV/2, 563; P.  Bydlinski, Gestaltungsrechte 247  ff; Risak, Entgeltgestaltung 17  ff. OGH 1  Ob 757/81; 6 Ob 563/87, MietSlg 39.692; 1 Ob 586/94, RdW 1996, 60; 7 Ob 572/94. 105  Weitergehend die hL, die zB auch in der Kaufpreiszahlung durch den Vorbehaltskäufer ein Gestaltungsrecht sieht, obgleich dieser zur Zahlung verpflichtet ist (F.  Bydlinski in Klang2 IV/2, 562 f; Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 68; P. Bydlinski, wohl zweifelnd, Gestaltungsrechte 248). 106  Manche Gestaltungsrechte sind durch andere willentliche Handlungen ausübbar (F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 562 f). Vgl schon Rz 4. 107  Zur Formbedürftigkeit der einer Bürgschaft beigefügten Bedingung Rz 24. 103  104 

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Arten von Bedingungen

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künftigen Ereignis abhängig. Machen die Parteien Rechtswirkungen von einem gegenwärtigen oder vergangenen Ereignis abhängig, zB weil dieses für sie zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts noch subjektiv ungewiss ist („Ich kaufe den Kopfhörer, wenn er mit meinem Fernseher kompatibel ist.“), spricht man von einer uneigentlichen Bedingung (sog conditio in praesens vel praeteritum collata; auch Gegenwartsbedingung oder Unterstellung genannt).108 Die uneigentliche Bedingung erzeugt nicht in derselben Weise wie die eigentliche einen Schwebe­zustand,109 da der Eintritt der Bedingung zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts objektiv schon feststeht und nur seine Feststellung noch aussteht. Ist für die Parteien das Ereignis subjektiv dennoch ein unsicheres, so gibt es zumindest bis zur Klärung der Frage eine Zeitspanne der Ungewissheit, in der durchaus der für Bedingungen typische Schwebezustand gesehen werden kann.110 Denn solange nicht feststeht, ob die Bedingung gegeben ist oder nicht, entfaltet das Rechtsgeschäft jedenfalls schon Vorwirkungen wie bei einer eigentlichen Bedingung (zu den Vorwirkungen s Rz 48 ff). Dagegen liegt ohnehin eine eigentliche Bedingung vor, wenn die Parteien 41 die Rechtswirkungen nicht von dem (objektiv bereits feststehenden) Umstand, sondern in Wahrheit von dem auch objektiv noch ungewissen Ergebnis seiner späteren Feststellung abhängig machen wollten. Die Festlegung eines bestimmten Verfahrens für die Feststellung ist ein Indiz für eine eigentliche Bedingung, zB wenn der Kauf eines Tieres unter der Bedingung der tierärztlichen Bescheinigung seiner Gesundheit111 oder ein Autokauf unter der Bedingung einer positiven Ankaufskontrolle geschlossen wird. Ob in diesem Sinn eine uneigentliche (auf das objektive Vorliegen des gegenwärtigen Umstands bezogene) oder eine eigentliche (auf das Ergebnis des Feststellungsverfahrens abzielende) Bedingung gemeint war, ist durch Auslegung zu ermitteln. Für den Fall, dass eine Bedingung schon bei Vertragsschluss eingetroffen 42 war, ohne dass die Parteien davon Kenntnis hatten, stellt § 899 die Vermutung auf, dass grundsätzlich jede eigentliche Bedingung zugleich auch eine unei­ gentliche Bedingung beinhalte, die Parteien also auch das bereits erfolgte Ereignis als Bedingungseintritt gelten lassen wollten. Eine Ausnahme macht § 899 für jene Potestativbedingungen, die im Willen des bedingt Berechtigten liegen und von diesem wiederholt werden können; sie sind im Zweifel ausschließlich eigentliche Bedingungen (vgl näher bei § 899). Auch wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits feststeht, dass der 43 Bedingungseintritt unmöglich ist (vgl zur anfänglich unmöglichen Bedin­ gung § 898 Rz 7 ff, § 899 Rz  7), liegt objektiv von Beginn an keine Ungewissheit vor. Bis zum Bekanntwerden dieses Umstands besteht für die Parteien jedoch ein Schwebezustand, ähnlich wie bei der uneigentlichen Bedingung.112 108  Welser in Rummel3 I § 696 Rz 1; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 3; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV §  897 Rz  7; Koziol/Welser13 I 194. OGH 5  Ob 44/66, EvBl 1966/350; 14  Ob 207/86, RdA 1988, 452 (Kerschner); 9 Ob 714/91, EvBl 1992/76. 109  Vgl Koziol/Welser13 I 194. 110  Welser in Rummel3 I § 696 Rz 3. 111  Westermann in MüKoBGB5 § 158 Rz 53. 112  Anfänglich unmögliche Bedingungen wurden in der Lehre deshalb früher als uneigentliche Bedingungen bezeichnet, Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 522 ff.

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Eine uneigentliche Bedingung kann auch darin liegen, dass die Parteien die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unmittelbar von einem gegenwärtigen, nach ihrer Vorstellung sicheren Umstand abhängig machen (vgl Rz 6).113 Es handelt sich dann um eine privatautonom aufgestellte Wirksamkeitsvoraus­ setzung des Rechtsgeschäfts, dessen Geltungsbereich insofern eingeschränkt wird. Ergibt der Parteiwille nicht eindeutig (§ 863), dass das Geschäft bei Fehlen des Umstands automatisch (ohne Anfechtung) hinfällig sein soll, ist jedoch nicht von Bedingung auszugehen (vgl Rz 109). In den Rechtsfolgen unterscheiden sich uneigentliche von eigentlichen 45 Bedingungen nicht grundsätzlich, da in beiden Fällen nach dem Parteiwillen Rechtswirkungen des Rechtsgeschäfts unmittelbar von einem bestimmten Umstand abhängig gemacht werden.114 Pflichten zur Mitwirkung am Bedingungseintritt oder eine Vereitlung desselben kommen allerdings naturgemäß nicht in Betracht, da der Bedingungseintritt (oder -nichteintritt) bereits bei Vertragsabschluss feststeht. Dagegen bestehen uU Pflichten, an der Feststellung dieses Umstands mitzuwirken (vgl Rz 51). Mit Recht wird angenommen, dass die Parteien, wenn sie sich in ihrer Abrede auf bereits objektiv feststehende Umstände beziehen, die Wirkungen der Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Bedingung im Zweifel115 (schuldrechtlich116) rückwir­ kend auf den Vertragsschlusszeitpunkt eintreten lassen wollen, das Rechtsgeschäft also von Anfang an wirksam oder unwirksam sein soll117 (vgl Rz 66). Die Vertragsauslegung wird ohnehin regelmäßig ergeben, dass vor der Gewissheit über den unterstellten Umstand die Ansprüche auf die Hauptleistun­ gen noch nicht klagbar sind. Erfolgt dennoch schon vorher irrtümlich Zahlung, so kann die Leistung wohl nur dann zurückgefordert werden, wenn der Beweis des Nichtbestehens der Verpflichtung gelingt. § 1434 ist hier im Zweifel – zumindest bei in absehbarer Zeit feststellbaren Bedingungen – als abbedungen anzusehen (vgl auch Rz 56). Bei der Vereinbarung von Vorleistungen im Zustand der Schwebe (zB die bedingt gekaufte Sache wird sofort übergeben) ist durch Auslegung zu ermitteln, ob auch die dinglichen Wirkungen der Übergabe, zB die Eigentumsübertragung, sofort oder erst bei Feststellung der Bedingung eintreten sollen, eine dingliche Rückwirkung ist jedenfalls auch bei uneigentlichen Bedingungen ausgeschlossen (vgl Rz 67). Sogenannte bedingungsfeindliche Geschäfte sind oft einer uneigentlichen Bedingung zugänglich (vgl Rz 75 f). Wenngleich der Wortlaut der gesetzlichen Regelung der Bedingungen ver46 schiedentlich (vgl die §§ 696 und 704) eher auf zukünftige Entwicklungen hindeutet, ist auch die uneigentliche Bedingung als von den Parteien gewollte Abhängigkeit einer Rechtswirkung von objektiv bereits feststehenden EreigApathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 7. Vgl Gschnitzer in Klang2 III 651; Welser in Rummel3 I § 696 Rz 3; Kerschner, RdA 1988,

113  AA wohl

454.

114 

115  Die Parteienvereinbarung kann jedoch im Einzelfall auch anderes ergeben, Kerschner, RdA 1988, 454. 116  Eine sachenrechtliche Rückwirkung kann nicht wirksam vereinbart werden (s Rz 67). 117  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 3; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 18. OGH 5 Ob 44/66, EvBl 1966/350; 14 Ob 207/86, RdA 1988/21 (Kerschner).

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nissen von den §§ 897 ff erfasst.118 Erstens ist die Einbeziehung der Gegenwartsbedingungen in den Anwendungsbereich der §§  897 ff vom Gesetzeswortlaut her keinesfalls ausgeschlossen (vgl die Definition in §  696 Satz  1: „Eine Bedingung heißt eine Ereignung, wovon ein Recht abhängig gemacht wird.“). Zweitens kann § 899, der anordnet, dass es bei den meisten Bedingungen für die Frage des Bedingungseintritts gleichbedeutend ist, ob das ungewisse Ereignis schon bei Zustandekommen des Rechtsgeschäfts stattgefunden hatte oder danach stattfindet, sogar dahingehend interpretiert werden, dass das Gesetz nicht zwischen eigentlicher und uneigentlicher Bedingung unterschei­ det.119 Zudem zeigt auch die Lehre zum insofern enger gefassten, weil ausdrücklich auf zukünftige Ereignisse beschränkten, Tatbestand der Bedingung in den §§ 158 ff BGB, nach der auf die Gegenwartsbedingung das Bedingungsrecht analog anzuwenden ist,120 dass einander die beiden Phänomene in den wesentlichen Merkmalen gleichen. Die Unterstellung von Umständen, die schon aufgrund des Gesetzes Vor- 47 aussetzungen der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts darstellen, scheidet auch hier aus dem (direkten) Anwendungsbereich der §§  897  ff aus, da sie keine echte Bedingung, sondern eine Rechtsbedingung darstellt (Rz 80).

III. Rechtsfolgen 1. Vorwirkungen im Zustand der Schwebe der Bedingung a) bei aufschiebender Bedingung Ein aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft entfaltet definitionsgemäß vor 48 Eintritt der Bedingung noch nicht seine vollen Rechtswirkungen. Insbesondere bestehen regelmäßig noch keine klagbaren Erfüllungsansprüche hinsichtlich der Hauptleistungen.121 Die Vereinbarung von Vorausleistungen ist jedoch prinzipiell auch bei einem aufschiebend bedingten Vertrag möglich.122 Das folgt schon daraus, dass ein Vertrag auch nur hinsichtlich einzelner Verpflichtungen, also teilweise, bedingt sein kann (vgl Rz 23). Die Vereinbarung von Vorausleistungen kann allerdings bei der Vertragsauslegung ein Indiz dafür sein, dass die Bedingung doch als auflösende zu verstehen ist123 (vgl schon Rz 32). 118  Welser in Rummel3 I § 696 Rz 3. OGH 5 Ob 44/66, EvBl 1966/350. AA, dh für die Ausgliederung der uneigentlichen Bedingungen aus dem Bedingungsbegriff der §§ 897 ff, Hasenöhrl, Das österreichische Obligationenrecht2 I 488 ff. Vgl schon Rz 10. 119  Vgl Zeiller, Commentar II/2, 657. 120  Vgl Westermann in MüKoBGB5 § 158 Rz 52. 121  F. Bydlinski in Anm zu OGH 3 Ob 50/75, JBl 1975, 652; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 4. OGH 6 Ob 729/78, SZ 51/155 = RZ 1980, 135; 1 Ob 3/79, SZ 52/35 = EvBl 1979/184; 7 Ob 821/82, SZ 56/194; bei Rechtsbedingungen wie den genannten kann freilich auch schon der Normzweck einer Erfüllung vor Bedingungseintritt entgegenstehen (vgl Rz 85). 122  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 13, 29. OGH 7 Ob 821/82, SZ 56/194; 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37; 8 Ob 1518/96, NZ 1997, 87; 2 Ob 365/97b, ZfRV 2000, 189. 123  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5. Vgl OGH 5 Ob 552/77, MietSlg 29.140; 3 Ob 573/85,

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Die Vertragspartner sind bereits vor Feststellung des Eintritts oder Ausfalls der Bedingung in mehrfacher Hinsicht gebunden. Da der Vertrag an sich bereits gültig zustande gekommen ist, kann sich während des Schwebezu­ stands kein Teil mehr einseitig lösen,124 es sei denn es wurde eine echte Wollensbedingung (vgl Rz 36) zugunsten einer der Parteien vereinbart, die dieser ein Gestaltungsrecht ähnlich einem Rücktrittsrecht einräumt, oder es greifen sonstige vertragliche oder gesetzliche125 Auflösungsrechte ein.126 Auch wenn der Schwebezustand mehrere Jahre andauert127 oder der Bedingungseintritt unwahrscheinlich wird,128 ist ein Abwarten der endgültigen Entwicklung bis zur vollen Gewissheit idR nicht unzumutbar und daher geboten. In Extremfällen kann allerdings das Festhalten am bedingten Vertrag rechtsmissbräuchlich und ein Rücktritt vor Eintritt bzw Ausfall der Bedingung zulässig sein.129 Während des Schwebezustands kann Klage auf Feststellung des bedingten Rechts oder Vertrags erhoben werden130. Auch die Sicherung des bedingten Rechts durch Einstweilige Verfügung ist bereits möglich (§ 378 Abs 2 EO), 131 auch noch während eines Verfahrens vor dem VwGH wegen Versagung der als Bedingung vereinbarten behördlichen Genehmigung.132 Die Einstweilige Verfügung kann in den genannten Fällen besonders langer Schwebe oder Unwahrscheinlichkeit des Eintritts der Bedingung allerdings von einer Sicherheitsleistung des bedingt Berechtigten abhängig gemacht werden (§ 390 EO).133 Aus den Vorwirkungen des Bedingungseintritts ergibt sich darüber hinaus, 50 dass der bedingt Verpflichtete bereits vertragliche Sorgfalt schuldet, um für den Fall des Bedingungseintritts leisten zu können. Er muss alles tun und vorkehren, was zur Ermöglichung seiner Leistung notwendig ist, und alles unter49

JBl 1987, 378; 1 Ob 330/97d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78. Bei Rechtsbedingungen bestimmen sich die Rechtswirkungen jedoch nicht nach der Parteienabsicht, sondern nach dem Gesetz, sodass bei ihnen die Kombination von Vorausleistung und (gesetzlich angeordneter) aufschiebender Wirkung häufiger vorkommt (vgl Rz 83). 124  P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 4; OGH 1 Ob 458/60, EvBl 1961/279; 8 Ob 3/70, EvBl 1970/175; 10 Ob 506/88 = MietSlg 40.063; 5 Ob 296/70, SZ 44/19; 1 Ob 622/77, JBl 1978, 259; 4 Ob 599/79, SZ 53/140; 5 Ob 80/91, JBl 1992, 588 = wobl 1992/162 (Würth); 7 Ob 601/95, ÖBA 1996, 892; 5 Ob 2200/96g, MietSlg 48.072; 4 Ob 185/00k, wobl 2002/12. Vgl auch Art 2 Abs 1 BGBl 1993/260 zu den Grundverkehrsgesetzen der Länder. 125  OGH 4 Ob 185/00k, wobl 2002/12 (Kündigungsrecht nach MRG). 126  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 12. 127  OGH 8 Ob 58/59, SZ 42/59; 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66. Vgl 10 Ob 506/88, MietSlg 40.063: Verfahren vor dem VwGH wegen abweisenden Bescheids ist abzuwarten. 128  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5. OGH 8 Ob 3/70, EvBl 1970/175; 1 Ob 622/77, JBl 1978, 259; 1 Ob 531/85, MietSlg 37.070; 7 Ob 526/96. 129  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 12; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz  31. OGH 8 Ob 3/70, EvBl 1970/175; 10 Ob 506/88, MietSlg 40.063. AA Markl/Oberhofer, wobl 1992, 178. 130  Steiner, JBl 1974, 512; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 6; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 33. Vgl OGH 1 Ob 3/79, SZ 52/35 = EvBl 1979/184 (zur Rechtsbedingung wasserrechtsbehördlicher Bewilligung); 1 Ob 330/97d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78. 131  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5. OGH 1 Ob 619/93, JBl 1994, 414; 7 Ob 526/96. 132  Vgl (zur Rechtsbedingung) Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 6 und OGH 6 Ob 554/79, SZ 52/48. 133  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  897 Rz  31. OGH 6  Ob 554/79, SZ  52/48; 2 Ob 217/01b, MietSlg 55.812.

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lassen, was diese Möglichkeit beeinträchtigen könnte.134 Welche vorwirkenden Pflichten im einzelnen bestehen, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Über die Leistungsbereitschaft hinaus schuldet der bedingt Verpflichtete insbesondere jene Vorleistungen, die zur Beendigung des Schwebezustands notwendig sind. Dazu kann zB gehören, dass der Verkäufer beim aufschiebend bedingten Liegenschaftsverkauf bereits vor Bedingungseintritt die im Vertrag vereinbarten Aufschließungsarbeiten am Grundstück durchführen muss.135 Im entscheidungsgegenständlichen Fall waren die Aufschließungsarbeiten möglicherweise Voraussetzung für die grundverkehrsbehördliche Genehmigung und daher schon deshalb als Mitwirkung am Bedingungseintritt geschuldet (s folgende Rz). Die Ausstellung der einverleibungsfähigen Aufsandungserklärung kann der Käufer aber mangels entsprechend vereinbarter Vorleistungspflicht noch nicht verlangen,136 da sie wohl nicht zur Sicherstellung der zeitgerechten Erfüllung nach Bedingungseintritt erforderlich ist. Bei Leistungsvereitlung vor Bedingungseintritt hat der Gläubiger des bedingten Rechts nach allgemeinen Grundsätzen (§ 920 f) das Recht zum Rücktritt vom Vertrag und auf Schadenersatz.137 Die Parteien haben jedenfalls die Pflicht, in zumutbarer Weise am Her­ 51 beiführen des Bedingungseintritts mitzuwirken, also zB um die nötigen Genehmigungen anzusuchen oder an der Errichtung der dafür erforderlichen Urkunden mitzuwirken.138 Umgekehrt haben sie selbstverständlich alles zu 134  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 321; Steiner, JBl 1974, 506; F. Bydlinski, JBl 1975, 653; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 13; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 4. OGH 1 Ob 458/60, EvBl 1961/279; 8 Ob 297, 298/65, JBl 1966, 374; JBl 1971, 427; 8 Ob 17/69, SZ 42/21; 5 Ob 223, 224/70, SZ 43/171; 3  Ob 50/75, JBl 1975, 652 (F. Bydlinski); 1 Ob 622/77, JBl 1978, 259; 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = EvBl 1979/167 = JBl 1980, 201; 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201; 6 Ob729/78, SZ 51/155 = RZ 1980, 135; 7 Ob 577/87, MietSlg 39.066; 5 Ob 578/85, MietSlg 39.278; 4 Ob 599/79, SZ 53/140; 8 Ob 674/87, MietSlg 40.858; 4 Ob 516/88, SZ 61/59 = JBl 1988, 513; 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66; 8 Ob 674/87, MietSlg 40.858 = JBl 1990, 242 (H. Böhm, JBl 1990, 222); 5 Ob 80/91, JBl 1992, 588 = wobl 1992/162 (Würth); 7 Ob 601/95, ÖBA 1996, 892; 6 Ob 39/01f, MietSlg 53.211; 4 Ob 185/00k, wobl 2002/12 (RIS-Justiz RS0017406). 135  Bezüglich der Notwendigkeit unklar OGH 8  Ob 297, 298/65, JBl 1966, 374, wo dem Verkäufer jedoch auch die Unterlassung der Antragstellung bei der Grundverkehrskommission zum Vorwurf gemacht wurde. 136  So aber der OGH im Fall der noch ausständigen grundverkehrsbehördlichen Genehmigung, 3 Ob 50/75, JBl 1975, 652 (F. Bydlinski); 4 Ob 516/88, SZ 61/59 = JBl 1988, 513; 4 Ob 261/99g, RdW 2000, 275; 4 Ob 185/00k, wobl 2002/12; vgl auch 7 Ob 147/05a, MietSlg 57.082; 3 Ob 34/07g, MietSlg 59.103. Dagegen F. Bydlinski, JBl 1975, 653; Steiner, JBl 1996, 413 f; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 6. 137  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7. OGH 8 Ob 297, 298/65, JBl 1966, 374. 138  Rummel in Rummel3 I §  897 Rz  5; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV §  897 Rz 13; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 4; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 35. OGH 2 Ob 438/55, EvBl 1956/232; 1 Ob 436/61, EvBl 1962/59 (treuwidrige Untätigkeit bei Potestativbedingung); 8 Ob 297, 298/65, JBl 1966, 374; 1 Ob 251/72, JBl 1973, 470; 5 Ob 599/78; 1 Ob 32/79, JBl 1981, 148; 7 Ob 672/86, SZ 60/6 = JBl 1987, 513; 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37; 7 Ob 577/87, MietSlg 39.066; 6 Ob 563/87, MietSlg 39.692; 4 Ob 516/88, SZ 61/59 = JBl 1988, 513; 8 Ob 674/87, JBl 1990, 242 (dazu H. Böhm, JBl 1990, 222); 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79; 4 Ob 185/00k, wobl 2002/12; 6 Ob 39/01f, MietSlg 53.211; 3 Ob 34/07g, MietSlg 59.103.

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unterlassen, was zur Bedingungsvereitlung treuwidrig beitragen könnte.139 So ist den Parteien etwa die Erhebung eines Rechtsmittels gegen einen den Vertrag genehmigenden Bescheid untersagt.140 Aber auch die treuwidrige Herbeiführung der Bedingung durch eine Partei zu ihren Gunsten ist unzulässig.141 Allgemein darf kein Teil gegen Treu und Glauben den Ablauf der Ereignisse zu seinen Gunsten beeinflussen.142 Ein Verstoß gegen die letztgenannten Pflichten kann nicht nur Rücktritt143 und Schadenersatz144, sondern auch die rechtliche Fiktion des Bedingungseintritts (dazu Rz 70 ff) zur Folge haben. Eine Ausnahme von der Pflicht, auf die Herbeiführung der Bedingung hinzuwirken, besteht bei echten Willkürbedingungen (zB Wollensbedingungen; Rz  36), da bei diesen Potestativbedingungen der Bedingungseintritt nach dem Vertrag dem Belieben einer Partei überlassen wurde. Auch pflichtwidrige Vereitlung durch diese Partei ist daher nicht möglich. Bei Gegen­ wartsbedingungen (uneigentlichen Bedingungen, Rz 40 ff) kommen von vornherein keine Pflichten zur Mitwirkung am Bedingungseintritt oder zur Unterlassung der Bedingungsvereitlung in Frage, weil der Eintritt oder Ausfall der Bedingung bereits bei Vertragsschluss objektiv feststeht. Die Parteien sind jedoch uU zur Mitwirkung an der Feststellung dieses Umstands verpflichtet, zB beim Kauf eines Kfz unter der aufschiebenden Bedingung einer positiven Ankaufskontrolle wird der Käufer zur Vornahme der Kontrolle und der Verkäufer zur Überlassung des Wagens zu diesem Zweck verpflichtet sein. Die Grenzen der Mitwirkungspflichten bei Herbeiführung der Bedingung sind durch Vertragauslegung zu ermitteln, wobei zu beachten ist, dass den Parteien auch die Verfolgung ihrer eigenen, zB wirtschaftlichen, Interessen in gewissem Maß zuzugestehen ist.145 Vor allem bei Potestativbedingun­ gen können sich Zweifel ergeben, ob die Partei, von deren Verhalten der Bedingungseintritt abhängt, zu dessen Herbeiführung verpflichtet ist146 oder ob es sich um eine echte Willkürbedingung handelt, die die Herbeiführung ins Belieben der Partei stellt (s oben). Auch dort, wo es auf die Willensentscheidung eines Dritten ankommt, ist nach dem konkreten Zweck der Bedingungsvereinbarung festzustellen, ob eine Beeinflussung des Dritten tatsächlich eine Vertragsverletzung darstellt. Eine Verletzung der vertraglichen Pflichten liegt dann vor, wenn eine Partei auf die Bedingung in einer Weise vereitelnd einge139  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5. OGH 1 Ob 458/60, EvBl 1961/ 279; 1 Ob 622/77, JBl 1978, 259; 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66. 140  OGH 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66. 141  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 35. 142  Koziol/Welser13 I 196. OGH 9 ObA 141/99x, RdW 2000, 373. 143  Dazu F. Bydlinski, FS Ostheim 73 f. OGH 8 Ob 674/87, JBl 1990, 242. 144  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 13. OGH 3 Ob 549/79, HS 24.474; 6 Ob 39/01f, MietSlg 53.211. 145  Knütel, JBl 1976, 619 ff; Schrammel, ZAS 1984, 223 ff; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 35; vgl auch Risak, Entgeltgestaltung 232 ff. 146  OGH 1 Ob 436/61, EvBl 1962/59; 7 Ob 601/95, ÖBA 1996, 892; weitere Bsp bei Knütel, JBl 1976, 622.

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wirkt hat, welche die andere Partei nach dem Sinn und Zweck des Vertrages redlicherweise nicht erwarten konnte.147 Der aufschiebend bedingt Berechtigte hat während des Schwebezustands 52 ein Anwartschaftsrecht (auch Anwartschaft genannt)148, das sich aus der Summe der Vorwirkungen zusammensetzt und mit Eintritt der Bedingung zum Vollrecht wird.149 Es kann als vermögenswertes Recht bereits übertragen,150 verpfändet, gepfändet,151 durch einstweilige Verfügung gesichert (Rz 49) und vererbt (s bei § 900) werden.152 Die Rechtsnatur des Anwartschaftsrechts ist allerdings zweifelhaft, wenn 53 es sich um den aufschiebend bedingten Erwerb eines dinglichen Rechts handelt.153 Da die Diskussion va zum Recht des Vorbehaltskäufers geführt wird, finden sich entsprechende Ausführungen idR bei § 1063.154 Heute gilt als unbestritten, dass es sich beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt um einen unbedingten Kauf mit durch die Zahlung des Kaufpreises aufschiebend bedingter Übereignung handelt.155 Dabei wird mE schon im Grundsatz übersehen, dass ein Kaufvertrag nicht nur zur Gänze, sondern auch teilweise bedingt sein kann (Rz  23). Der Vorbehaltskauf stellt insofern einen teilweise bedingten Kauf dar, als die Verkäuferpflicht zur Eigentumsübertragung eine aufschiebend bedingte ist,156 sonst würde ja die zeitliche Aufschiebung der Verfügung einen Verstoß gegen diese Pflicht darstellen. Die Bedingung der Verpflichtung zur Eigentumsverschaffung hat zur Folge, dass auch die Übereignung als kausales Verfügungsgeschäft vor Eintritt der Bedingung jedenfalls unwirksam ist. Gerade im österreichischen Zivilrecht157 liegt daher die Annahme eines teilbedingten Verpflichtungsgeschäfts mit dadurch automatisch aufgeschobener Verfügung viel näher als die Annahme einer Abrede der Parteien nur in Bezug auf 147  Knütel, JBl 1976, 619. Unter Berufung auf ihn Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7. OGH 8 Ob 649/88, EvBl 1989/65; 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37; JBl 1991, 382; 2 Ob 33/05z; MietSlg 57.086 (RIS-Justiz RS0017391). 148  Flume, Das Rechtsgeschäft 700 ff; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4; Koziol/Welser13 I 196; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 29. OGH in SZ 15/247; 3 Ob 20/67, JBl 1967, 571; 8 Ob 17/72, JBl 1973, 201 (Koziol); 3 Ob 99/79, SZ 52/142 (Vorbehaltskäufer); 5 Ob 759/79, JBl 1981, 37 (Sicherungszedent vor Rückzession); 5 Ob 80/91, JBl 1992, 588 = wobl 1992/162 (Würth) (Mietvertrag); 1 Ob 619/93, JBl 1994, 414 (Offerte zu Mietvertrag). Das Anwartschaftsrecht eines aus einem Vertrag mit der Konkursmasse bedingt mit der gerichtlichen Genehmigung Berechtigten verkennend: OGH 8 Ob 251/01x, JBl 2002, 465 (krit Klicka). 149  Koziol/Welser13 I 196. 150  OGH 3 Ob 37/68, SZ 41/37 (Vorbehaltskäufer). 151  OGH 3 Ob 103/62, SZ 35/76; 3 Ob 36/70, EvBl 1970/284; 3 Ob 99/79, SZ 52/142; 5 Ob 759/79, JBl 1981, 37 (Pfändung der aufschiebend bedingt rückzuzedierenden Forderung zu Lasten des Sicherungszedenten). 152  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 14. 153  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4. 154  ZB F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 450 ff; Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 68 ff. 155  HL im Anschluss an F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 454 ff. S Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4; Koziol/Welser13 I 411. OGH 6 Ob 203/72, SZ 45/115. 156  Dies räumt eigentlich auch F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 454 ein, wenn er feststellt, „dass der Kaufvertrag (von der Beschränkung der Eigentumsübertragungspflicht des Verkäufers abgesehen) unbedingt“ ist. 157  Anders in Rechtsordnungen mit abstrakter Übereignung, zB im Bereich des dBGB.

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ein (dem ABGB ohnehin fremdes) bedingtes Verfügungsgeschäft. Der Verkäufer überträgt daher nicht „bedingtes Eigentum“158, sondern erst unter der Bedingung Eigentum, – zunächst jedoch nur die Gewahrsame am Kaufgegenstand. Der Vorbehaltskäufer hat aus dem Vertrag zunächst ein Recht zur Innehabung als Fremdbesitzer (und zur Benützung), aber noch kein Recht zum Eigenbesitz. Als Rechtsbesitzer und werdendem Eigentümer steht ihm allerdings gegen Dritte bereits ab Übergabe die actio Publiciana zu.159 Aus seiner Rechtsstellung kann der Vorbehaltskäufer daher sowohl possessorischen Schutz, als auch petitorische Herausgabe-, Unterlassungs-, Bereicherungs- und Schadenersatzansprüche bei Beeinträchtigung durch Dritte ableiten.160 Die hL sieht im Anwartschaftsrecht des Käufers zwar zutreffend kein dingliches Recht,161 möchte ihn inkonsequenterweise aber gegen den Rechtserwerb durch einen Dritten schützen, indem sie dem Vorbehaltskäufer nur mehr „auflösend bedingtes Eigentum“ zuspricht, sodass er derivativ auch nur mehr ein solches mit dem Recht des Vorbehaltskäufers „belastetes“ Recht übertragen könne und der Dritte bei unbefugter Veräußerung nur unter den Voraussetzungen des § 367 unbeschränktes Eigentum erwerbe.162 Damit wird dem Eigentumsvorbehalt im Ergebnis doch klar eine dingliche Vorwirkung zuerkannt. Aus der Berechtigung zur publizianischen Klage kann diese Beschränkung der Rechtsposition des Eigentümers nicht abgeleitet werden, da die Klage nach § 372 nur das relativ bessere Recht schützt und damit der Verteidigung des Rechtsbesitzes gegen Dritte dient; gegen den Eigentümer greift sie aber gerade nicht.163 Soweit die Besonderheit der Anwartschaft des Vorbehaltskäufers darin gesehen wird, dass der Rechtserwerb an eine Potestativbedingung geknüpft ist und dem Käufer ein Gestaltungsrecht zur Herbeiführung seines Erwerbs zusteht,164 ist auch dagegen einzuwenden, dass den Käufer die Pflicht zur Zahlung des fälligen Kaufpreises trifft und ihm der Vertrag keine diesbezügliche Entscheidungsbefugnis einräumt, wie sie für ein Gestaltungsrecht mE (begriffs- und) wesensnotwendig ist165 (vgl bereits Rz 37). Die Auffassung, dass mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung die Wirkungen der Verfügung rückwirkend eintreten, der Veräußerer aufgrund des Eigentumsvorbehalts daher nicht mehr über das Vollrecht, sondern über „belastetes Eigentum“ verfüge, steht mE in Widerspruch mit den sachenrechtlichen Grund­ sätzen: Zunächst widerspricht sie der Prioritätsregel des § 430, nach der bei Veräußerung derselben beweglichen Sache an zwei verschiedene Personen So aber Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 44. HL, zB Apathy, Publizianische Klage 35 ff, 62 ff; Koziol/Welser13 I 279. 160  Apathy, Publizianische Klage 57 f, 91 ff; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 33 f. 161  F.  Bydlinski in Klang2 IV/2, 564  ff; Koziol/Welser13  I 413; vgl aber Spielbüchler, JBl 1981, 505 ff. 162  F.  Bydlinski in Klang2 IV/2, 572; Koziol/Welser13  I 415; Aicher in Rummel3 I §  1063 Rz 68; Binder in Schwimann3 IV § 1063 Rz 41 f. 163  Str. Vgl Koziol/Welser13  I 278  ff, 414 mwN; wie hier Koziol, Haftpflichtrecht2 II 33; Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 71. 164  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 562 ff; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4. 165  Sonst wäre fast jede Verpflichtung auch mit einem Gestaltungsrecht verbunden, zB wirkt beim gegenseitigen Vertrag das pflichtgemäße Anbieten der Leistung „gestaltend“ auf die Zugum-Zug-Einrede des Partners, etc. 158  159 

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derjenigen von ihnen das Eigentum gebührt, der sie zuerst übergeben worden ist. Gemeint ist damit zweifellos nicht eine bloße Einräumung der Gewahrsame, sondern nur eine Übergabe mit dem Willen, Eigentum zu übertragen. Diese hatte an den Vorbehaltskäufer vor Eintritt der Bedingung für die Übereignung aber gerade noch nicht stattgefunden. Eine dingliche Rückwirkung des vereinbarten Eigentumserwerbs käme einer Fiktion der vom Gesetz geforderten Publizitätsakte gleich und könnte daher nur bei entsprechender gesetzli­ cher Anordnung eintreten. Aufgrund des Typenzwangs im Sachenrecht müssen außerdem dinglich wirkende Beschränkungen des Eigentumsrechts, die der Wirksamkeit einer Verfügung gegenüber Dritten entgegenstehen, wie zB beschränkte dingliche Rechte, im Gesetz vorgesehen sein und können durch Parteienabrede nicht neu geschaffen werden. Man gewinnt den Eindruck, dass die hA zu den Folgen einer unzulässigen Veräußerung des vorbehaltenen Eigentums ihren Ursprung in einer unreflektierten Übernahme des § 161 dBGB hat, der in der Tat genau Entsprechendes, nämlich die nachträgliche Unwirksamkeit von Verfügungen vor Bedingungseintritt, mit Ausnahme solcher gegenüber gutgläubigen Erwerbern, anordnet. Eine sachenrechtliche Rückwirkung des Bedingungseintritts ist freilich auch im BGB damit nicht vorgesehen (vgl §§ 158  f dBGB), die Rechtsfolge des §  161 wird vielmehr als absolut wirksames Verfügungsverbot verstanden.166 Ein dinglich wirkendes Veräu­ ßerungsverbot bedürfte aber gerade auch im österreichischen Sachenrecht (siehe nur § 364c!) einer besonderen gesetzlichen Anordnung, und diese fehlt. Im Ergebnis bestehen freilich für die Praxis nicht allzu große Unterschiede. Nach der hier vertretenen Ansicht steht dem Vorbehaltsverkäufer noch das (dingliche) Vollrecht zu, er kann daher derivativ unbelastetes Eigentum übertragen, wird dazu aber – solange sich die Sache beim Käufer befindet – faktisch nicht in der Lage sein, weil er die Sache nicht tatsächlich übergeben kann und auch eine Besitzanweisung wegen Beeinträchtigung der Rechte des Käufers dessen Zustimmung bedarf.167 Nach der hA kann der Verkäufer nur mehr auflösend bedingtes Eigentum übertragen, unter den Voraussetzungen des § 367 ist auch der Erwerb des Vollrechts des Dritten möglich, wofür aber ebenfalls die Übergabe der Sache erforderlich ist. Relevant ist die Unterscheidung daher va für den Fall, dass der Eigentümer ausnahmsweise die Gewahrsame über die Sache wiedererlangt und diese veräußert, weil die hL dann für die volle Wirksamkeit der Übereignung den guten Glauben des Erwerbers hinsichtlich des Rechts des Vorbehaltskäufers verlangt, während nach der hier vertretenen Auffassung der Dritte derivativ und endgültig Eigentum erwirbt. Der Schutz des Vorbehaltskäufers gegen den Rechtserwerb des Dritten ist mE in diesem Fall nicht über § 367, sondern über die Lehre168 von der rechtswidrigen Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte zu erzielen, wonach die vom Dritten geforderte Sorgfalt im Ergebnis herabgesetzt ist.169 Bork in Staudinger, BGB13 § 161 Rz 1. Koziol/Welser13 I 268 f. 168  Grundlegend Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte (1967); ders, Haftpflichtrecht2 II 40 ff. 169  Der Unterschied im Sorgfaltsmaßstab für den Dritten reduziert sich durch die neuere Rsp ohnehin, in der auch für die Frage des Eingriffs in fremde Forderungsrechte zunehmend auf die 166  167 

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Lehre170 und Rsp171 gewähren dem Vorbehaltskäufer auch die Exszindie­ rungsklage gemäß § 37 EO, wenn Gläubiger des Verkäufers auf die Kauf­ sache greifen. Solange der Vorbehaltskäufer die Kaufsache in seiner Gewahrsame hat, kann er sich gegen den Herausgabeanspruch eines Gläubigers des Verkäufers auf sein Recht zum Besitz gegen den Verkäufer berufen, da auch die Gläubiger nur auf den Herausgabeanspruch des Verpflichteten greifen können, dem der Käufer auch schon vor Pfändung sein Recht zur Innehabung entgegenhalten hätte können.172 Für den Fall, dass sich die Sache nicht mehr beim Käufer befindet, stößt die Rechtfertigung der Klage nach § 37 EO jedoch auf Schwierigkeiten.173 Auf § 372 kann sie gegen Gläubiger des Verkäufers174 ebenso wenig gestützt werden, wie diese Klage gegen den Eigentümer an sich greift.175 Zwar ist § 37 EO (ebenso wie die Aussonderung gem § 44 IO) nicht auf dinglich Berechtigte beschränkt. Sie steht auch bloß obligatorisch Berechtigten, wie etwa Vermietern, Leihgebern etc, unabhängig vom Beweis ihres Eigentums zu, da in diesen Fällen zumindest feststeht, dass die Sache nicht zum Haftungsfonds des Schuldners gehört.176 Der Vorbehaltsverkäufer ist aber gerade selbst der Eigentümer der Kaufsache, sodass diese sehr wohl Teil seines haftenden Vermögens ist. Seine Vorsicht, sich zum Schutz seines Vermögens sicherheitshalber das Eigentum vorzubehalten, soll wohl grundsätzlich auch seinen Gläubigern zugute kommen. Für die Gewährung der Exszindierungsklage spricht mE auch nicht, dass der Vorbehaltskäufer uU schon einen Teil des Kaufpreises gezahlt hat und daher nun den Gläubigern ein „doppelter“ Haftungsfonds zur Verfügung steht.177 Dies ist vielmehr das Risiko bei jeder vereinbarten Vorauszahlung, und um eine solche handelt es sich dann, wenn der Vorbehaltskäufer bereits zur teilweisen Zahlung verpflichtet war. Im Regelfall ist er, wie schon gesagt, durch die Innehabung der Sache und sein diesbezügliches Recht ohnehin vor dem Verlust des Kaufpreises geschützt. Hat er die Sache aber nicht inne, unterscheidet ihn mE nichts mehr von einem bloß obligatorisch Berechtigten, sodass er in diesem Ausnahmefall tatsächlich der Pfändung und Verwertung der Sache durch die Gläubiger des Verkäufers zusehen müsste. Sofern die hL auch dem Vorbehaltskäufer, der die Sache nicht in seiner Gewahrsame hat, „aufgrund seiner besonders schutzwürdigen Position“, die darin bestehe, dass seine Erwerbsaussicht nur von der vollständigen Kaufpreiszahlung abhängig und insoweit „sicher“ sei, schon vor Kaufpreis„Erkennbarkeit“ des fremden Rechts und damit auf Fahrlässigkeit abgestellt wird; dazu mit Recht kritisch Lurger, Die Zession im sachenrechtlichen Übertragungssystem des ABGB, FS Welser (2004) 640 ff mit Nw zur Rsp. 170  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 577 ff, insb 583 ff; Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 71; Koziol/Welser13 I 278 ff, 414 f. 171  OGH 3 Ob 20/67, JBl 1967, 571 (allerdings nur in einem obiter dictum, da im konkreten Fall die Vorbehaltskäuferin die Kaufsache noch innehatte). 172  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 580 f; Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 71. 173  Vgl auch Koziol/Welser13 I 414. 174  Wohl aber gegenüber fremden Drittgläubigern, da gegen diese auch der Eigentümer selbst die Klage nach § 372 hätte (Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 71). 175  Vgl schon oben Rz 53. 176  Vgl F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 582 f. 177  So aber F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 583.

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zahlung „in rechtsfortbildender Abrundung seines Schutzes gegenüber Dritten“ auch die Klage nach § 37 EO (analog) zugesteht,178 ist sie mE nicht restlos überzeugend. Die Frage der Anwendbarkeit des § 37 EO ist freilich nach dessen Normzweck und daher getrennt von der Frage der dinglichen Rückwirkung des Bedingungseintritts (s vorige Rz) zu beantworten. Unbestritten ist, dass auch das Anwartschaftsrecht auf das Eigentum 55 (wie andere Anwartschaftsrechte, Rz 52) übertragbar,179 verpfändbar, pfändbar180 und durch einstweilige Verfügung sicherbar181 und vererbbar (s bei § 900) ist.182 Da bei Bedingungseintritt das Recht auch beim Erwerber zum Eigentumsrecht werden soll, ist für eine Übertragung allerdings die Setzung eines Modus wie bei der Übertragung des Vollrechts notwendig. Die Anwartschaft auf das Eigentumsrecht wird daher auf dieselbe Art übertragen wie das Vollrecht.183 Der neue Berechtigte erwirbt bei Bedingungseintritt unmittelbar, ohne Durchgangserwerb des Vormannes.184 Darin liegt freilich keine Besonderheit des Rechts des Vorbehaltskäufers, dieses Ergebnis folgt vielmehr bereits aus § 366 Satz 2.185 Die Anwartschaft auf Liegenschaftseigentum ist als unter aufschiebender Bedingung186 erworbenes Eigentum noch nicht verbücherungsfähig, da es im GBG an einer entsprechenden Grundlage fehlt.187 Eine unzulässige Eintragung der Anwartschaft ist amtswegig zu löschen und bei einer Meistbotsverteilung nicht zu berücksichtigen.188 Die Zahlung einer aufschiebend bedingten Schuld während des Schwe- 56 bezustands kann als Zahlung einer Nichtschuld (§ 1431) zurückgefordert werden (s §  1434), wobei auch hier Irrtum Voraussetzung der Kondiktion ist (§ 1432).189 Zahlt zB jemand, der nur subsidiär haftet (aufschiebende Bedingung, s Rz 32), in Unkenntnis der Subsidiarität primär, kann er seine Zahlung nach § 1434 zurückfordern.190 Bei Leistung in Kenntnis der Ungewissheit ist die Rückforderung dagegen ausgeschlossen, etwa bei Bezahlung des Kaufpreises vor Erlangen einer behördlichen Genehmigung (aufschiebende Bedingung 178  179 

EheG).

F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 583 ff; Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 71. OGH 3 Ob 37/68, SZ 41/37; 5 Ob 516/81, SZ 54/79 (Übertragung im Rahmen der §§ 81 ff

180 

OGH 3 Ob 99/79, SZ 52/142. OGH 2 Ob 544/55, SZ 28/204; 6 Ob 554/79, SZ 52/48. 182  HL: F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 586 ff; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 14. 183  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4. 184  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 587; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4. OGH 3 Ob 37/68, SZ 41/37. 185  Eccher in KBB3 § 366 Rz 5. OGH 3 Ob 37/68, SZ 41/37. 186  Anders bei Eigentum unter auflösender Bedingung, vgl Rz 59. 187  OGH 5 Ob 339/61, SZ 34/192; 5 Ob 115/71, JBl 1972, 208; 1 Ob 212/75, EvBl 1976/114; 3 Ob 18/82, SZ 55/58; 5 Ob 172/08t, wobl 2009/68. 188  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz  30. OGH 1 Ob 34/79, JBl 1981, 93. 189  F. Bydlinski, Vorzeitige Gewährung von Heiratsgut oder Ausstattung und Tod des Dotierungspflichtigen, JBl 1985, 79 (81); Rummel in Rummel3 I § 1434 Rz 1 mwN. OGH 7 Ob 162/73, EvBl 1974/62. 190  Rummel in Rummel3 I § 1434 Rz 3. 181 

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des Kaufvertrags, s Rz 32) in Kenntnis dieses Schwebezustands;191 wenn später feststeht, dass mit der behördlichen Genehmigung nicht mehr zu rechnen ist, die Bedingung also ausfällt, kommt eine Kondiktion in Frage, dann allerdings mit der spezielleren Anspruchsgrundlage § 1435 (dazu Rz 68),192 da sich die Rückforderbarkeit der Zahlung aus einer dieser nachfolgenden Entwicklung (Versagen der Genehmigung) ergibt.193 Da der Grund für die Rückforderbarkeit nach § 1434 darin liegt, dass bei Bezahlung die Schuldforderung objektiv194 noch ungewiss war, ist die Zahlung auf eine unter Gegenwartsbedingung stehende Forderung vor Klarheit über den unterstellten Umstand insofern keiner irrtümlichen Zahlung einer aufschiebend bedingten Forderung gleichzuhalten. Wenn nach dem Vertragszweck daher kein längerer Schwebezustand bis zur Feststellung des gegenwärtigen Umstands vorgesehen war, ist nach dem hypothetischen Willen der Parteien wohl von einem Ausschluss der Kondiktion bis zur Klarheit über die Bedingung auszugehen (Rz 45). Der Inhaber einer aufschiebend bedingten Forderung hat im Insolvenzver­ 57 fahren gemäß § 16 IO das Recht auf Sicherstellung der Zahlung für den Fall des Eintrittes der aufschiebenden Bedingung.195 (Zur Stellung des aufschiebend bedingt berechtigten Gläubigers bei der Meistbotsverteilung vgl § 221 EO.) Auf Grund der als Vorwirkung des aufschiebend bedingten Vertrages eingetretenen Bindungswirkung der Parteien ist schon der Abschluss des bedingten Vertrages als „vorgenommene“ Rechtshandlung des Schuldners iSd §§ 2 und 3 AnfO und der §§ 28 und 29 IO anzusehen, sodass die Anfechtungsfrist bereits ab diesem Zeitpunkt läuft.196 b) bei auflösender Bedingung 58

Bei auflösender Bedingung bestehen von Anfang an echte Erfüllungsan­ sprüche, deren Durchsetzbarkeit daher auch schon vor Bedingungseintritt verjährt (während bei aufschiebend bedingter Forderung die Verjährung erst mit Eintritt der Bedingung beginnt, § 1478). Neben den Hauptleistungspflichten bestehen während des Schwebezustands aber auch Vorwirkungen, ähnlich wie bei der aufschiebenden Bedingung: Der bedingt Berechtigte schuldet vertragliche Sorgfalt in dem Sinn, dass er Vorkehrungen zu treffen hat, um im Fall des Bedingungseintritts seiner Rückgabeverpflichtung nachkommen zu kön191  Rummel in Rummel3 I § 1434 Rz 2; aA für den Fall der Zahlung vor Erlangen der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung Markl/Oberhofer, wobl 1992, 176. Da sich die Vorwirkungen bei Rechtsbedingungen nach dem Zweck der die Genehmigung vorschreibenden Norm bestimmen, kann bei diesen eine Rückforderbarkeit sogar geboten sein (vgl Rz 85). 192  Rummel in Rummel3 I § 1434 Rz 2. 193  Wenn die Rsp den Anspruch verschiedentlich auf § 877 stützt (OGH 1 Ob 686/78, EvBl 1979/84; 3 Ob 551/81, SZ 54/156) so kann diese Grundlage bei Rechtsbedingungen je nach dem Gesetzeszweck zwar zutreffend sein, mE aber nicht bei Parteibedingungen, die ja auch keine sachenrechtliche ex-tunc-Wirkung vorsehen können. 194  Rummel in Rummel3 I § 1434 Rz 1. 195  Vgl OGH 5 Ob 302/81, SZ 54/31 (Provisionsanspruch des Immobilienmaklers), noch zur KO. 196  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 6 (noch zur KO). OGH 5 Ob 296/71, JBl 1971, 624 (zur AnfO).

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nen, die er nicht vereiteln darf.197 Vorwirkende Pflichten für den Fall des Bedingungsausfalls können aber auch den auflösend bedingt Verpflichteten treffen, wenn er nach Bedingungsausfall weitere Leistungen zu erbringen hat.198 Auch können sich aus Sinn und Zweck des Vertrags Mitwirkungspflichten der Parteien an einer Verhinderung des Bedingungseintritts ergeben. Für die Sanktionen einer Verletzung dieser Pflichten gilt sinngemäß das zur aufschiebenden Bedingung Ausgeführte (Rz 51, 70 ff). Auflösend bedingt erworbenes Grundeigentum ist (im Gegensatz zu auf- 59 schiebend bedingt erworbenem, Rz 55) verbücherungsfähig.199 Der Inhaber einer auflösend bedingten Forderung hat im Insolvenzverfah- 60 ren gemäß § 16 IO das Recht auf Sicherstellung der Zahlung für den Fall des Nichteintrittes der auflösenden Bedingung, und wenn er für den Fall, dass die Bedingung eintritt, Sicherheit leistet, sogar das Recht auf Zahlung. 2. Rechtsfolgen bei Bedingungseintritt oder Ausfall der Bedingung Der durch die Bedingung hervorgerufene Schwebezustand (Rz 48 ff) en- 61 det entweder durch Eintritt der Bedingung oder durch deren Ausfall (bzw mit der Feststellung dieses Umstands, etwa wenn es sich um eine Gegenwartsbedingung gehandelt hat). Tritt die Bedingung ein, verwandelt sich das Anwartschaftsrecht des aufschiebend bedingt Berechtigten in das vollwirksame Recht; das auflösend bedingte Recht erlischt.200 Ausfall der Bedingung liegt dann vor, wenn feststeht, dass die Bedingung endgültig nicht mehr eintreten kann. Das ist bei einer bejahenden (positiven) Bedingung dann der Fall, wenn feststeht, dass das Ereignis auf Dauer nicht eintreten wird, bei der verneinenden (negativen) Bedingung dann, wenn der ungewisse Umstand, der nicht eintreten sollte, eintritt.201 Die Rechtsfolgen des Bedingungsausfalls sind denen des Eintritts entgegengesetzt: Bei der aufschiebenden Bedingung geht mit Ausfall der Bedingung das Anwartschaftsrecht verloren, das auflösend bedingte Recht bleibt endgültig wirksam.202 In allen Fällen enden mit der Schwebe die Vorwirkungen des Bedingungseintritts oder -ausfalls (zu diesen Rz 49 ff). Ob die Bedingung eingetreten ist, ist eine Frage der Vertragsauslegung. 62 § 699, der „genaue Erfüllung“ fordert, legt eine wörtliche Auslegung der Bedingung nahe. Dies mag als Zweifelsregel bei letztwilligen Verfügungen verständlich sein, da die Erforschung des tatsächlichen Willens203 des Erblassers nur noch eingeschränkt möglich ist. Bei Rechtsgeschäften unter Lebenden hat die Regel des §  699 im Rahmen der Auslegung dagegen geringere Bedeutung.204 Aus dem Zweck des Rechtsgeschäfts und der beigefügten Bedingung Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5. Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 43. 199  OGH 5 Ob 73/94, JBl 1995, 110. Dazu Egglmaier, NZ 1997, 33 ff; Hoyer, GedS Hofmeister, 283 ff. Vgl auch 5 Ob 295/04z, JBl 2005, 454 (Rummel) = NZ 2005/619 (Hoyer). 200  Koziol/Welser13 I 196. 201  Welser in Rummel3 I § 696 Rz 8. 202  Koziol/Welser13 I 196. 203  Auf diesen kommt es bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen an; vgl schon Rz 8. 204  Vgl Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 8. 197  198 

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werden sich häufig Hinweise ergeben, ob ein bestimmtes Ereignis von den Parteien als Erfüllung der Bedingung angesehen wird. Die Zweifelsregel des § 699 im Sinn einer wörtlichen Auslegung kann mE jedoch als ultima ratio herangezogen werden, auch wenn dies im Einzelfall ein gewisses Zufallselement in sich birgt. Die automatische Wirkung des Bedingungseintritts auf das bedingte Rechtsgeschäft erfordert nämlich besondere Rechtssicherheit bei Feststellung dieses Umstands, die es mE rechtfertigt, eine etwas herabgesetzte Einzelfallgerechtigkeit in Kauf zu nehmen205. Zunächst ist jedoch anhand der Vertragsauslegung zu ermitteln, ob ein Ereignis als Bedingungseintritt gelten soll. Aus dem Zweck der Bedingungsabrede und der Natur des bedingten Rechts wird sich dabei häufig ergeben, dass nicht nur die wörtliche Erfüllung des als Bedingung genannten Ereignisses, sondern auch andere, denselben Zweck erfüllende Ereignisse als Bedingungseintritt anzusehen sind. So tritt etwa beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt die Bedingung und damit der Eigentumsübergang nicht nur durch Zahlung des Kaufpreises, sondern auch durch Aufrechnung, durch (vereinbarte) Leistung an Zahlungs Statt oder durch Hinterlegung im Annahmeverzug des Verkäufers ein, nicht jedoch durch Leistung zahlungshalber oder Verjährung der Kaufpreisforderung.206 In unvorhergesehenen Fällen des Bedingungseintritts oder -ausfalls, 63 welche nicht der von den Parteien bei Vertragsschluss ins Auge gefassten Entwicklung entsprechen, ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung207 festzustellen, ob nach dem Zweck des Vertrages durch diese Ereignisse die Wirkungen des Eintritts oder Ausfalls hervorgerufen werden sollen.208 § 899 enthält eine Zweifelsregel für den Fall, dass die Bedingung schon bei Vertragsschluss eingetroffen war. Sie vermutet, dass es bei wiederholbaren Potestativbedingungen für den Zuwendenden gerade darauf ankomme, dass die begünstigte Person (nochmals) tätig werde, dass es bei allen anderen Bedingungen jedoch dem hypothetischen Parteiwillen entspreche, auch ein vor Vertragsschluss stattgefundenes Ereignis als Bedingungseintritt gelten zu lassen. Diese Annahmen des Gesetzgebers sind selbstverständlich durch abweichende Parteienabsicht im Einzelfall widerlegbar (s Rz 6 zu § 899). Während die ältere Rsp noch davon ausging, dass es auf ein Verschulden am Ausfall der Bedingung nicht ankomme,209 berücksichtigt die jüngere Rsp nunmehr zutreffend den hypothetischen Parteiwillen, falls der Grund für den Nichteintritt der Bedingung in der Willenserklärung noch nicht bedacht worden ist.210 Dem Ein205  Der OGH begründete die wörtliche Auslegung einer Bedingung in einer Bankgarantie in 7 Ob 679/88, ÖBA 1989, 814 (krit Rummel) mit „der Strenge der Garantiehaftung“, mE hätte er sich auf § 899 berufen können. 206  Aicher in Rummel3 I § 1063 Rz 83 ff. 207  Damit ist die Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens für einen Fall, der von den Parteien bei Vertragsschluss nicht bedacht wurde, gemeint (s schon FN 10). Differenzierend Vonkilch § 914 Rz 94 ff, 204 ff. 208  Apathy in KBB3 § 699 Rz 1. 209  GlU 1043; 15.660. 210  ZB OGH 8 Ob 2017/96t, NZ 1997, 190 (Einsetzung der Lebensgefährtin, „wenn sie mich pflegt, da ich nicht im Spital sterben will“ wurde wirksam, weil Spitalseinweisung von ihr nicht verhindert werden konnte).

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tritt der Bedingung kann nach dem Parteiwillen insbesondere die nachträgliche Feststellung gleichzuhalten sein, dass die Bedingung zur Erreichung des Vertragszwecks überhaupt nicht erforderlich ist, zB wenn bei einem mit der Erteilung einer behördlichen Genehmigung (aufschiebend) bedingten Vertrag die Behörde feststellt, dass dieser gar keiner Genehmigung bedarf.211 Ebenfalls nur ein Unterfall der Auslegung nach dem hypothetischen Parteiwillen ist die Eintrittsfiktion im Fall der treuwidrigen Bedingungsvereitlung durch einen Vertragspartner (s dazu Rz 70 ff). Dem Eintritt der Bedingung kann es nach dem Parteiwillen gleichzuhalten 64 sein, wenn mit Sicherheit feststeht, die Bedingung werde nicht ausfallen. Für die Frage, zu welchem Zeitpunkt in diesem Fall die Wirkungen des Bedingungseintritts einsetzen – ob schon mit der Gewissheit des künftigen Eintritts oder erst mit dem tatsächlichen Eintritt –, ist wieder durch Auslegung zu ermitteln. Wenn in der Bedingung gleichzeitig eine Befristung (Rz 90) enthalten ist, kann das aufschiebend bedingte Recht erst nach Fristablauf durchgesetzt werden,212 verwandelt sich also in ein unbedingtes, aber aufschiebend befristetes Recht, und das auflösend bedingte Recht erlischt erst nach Ende der Frist. Bei jenen Potestativbedingungen, die der Partei, von deren Willen sie ab- 65 hängen, ein echtes Gestaltungsrecht einräumen (Rz 36 f), müssen für die Herbeiführung des Eintritts die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen für Rechtsgeschäfte beachtet werden, also zB Geschäftsfähigkeit der Partei und Einhaltung von Formgeboten, sofern deren Zweck es erfordert. So erfasst etwa das Schriftformgebot für die Erklärung des Bürgen auch die Ausübung einer aufschiebenden Wollensbedingung, da die Warnfunktion bei der zunächst unverbindlichen Übernahme der Bürgschaft ja noch nicht erfüllt werden konnte, eine auflösende Potestativbedingung kann der Bürge dagegen auch formfrei erfüllen, da sie ihn von einer wirksam übernommenen Verpflichtung befreit (vgl Rz 37). Das ABGB enthält (anders als das dBGB213 oder das Schweizer OR214) 66 keine generelle Aussage über die Rückwirkung des Bedingungseintritts. Daher ist durch Vertragsauslegung festzustellen, ob die Wirkungen der Bedingung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückbezogen werden sollen oder nicht.215 Bei vereinbarter (schuldrechtlicher) Rückwirkung haben die Parteien bei Bedingungseintritt wechselseitige Rechte und Pflichten, als ob die Bedingung schon von Anfang an vorgelegen wäre. Der aufschiebend bedingt Berechtigte oder der auflösend bedingt Verpflichtete kann dann zB für die Zeit 211  OGH 1 Ob 622/77, JBl 1978, 259 (Wegfall des Erfordernisses der behördlichen Genehmigung durch unerwartete Gesetzesänderung); 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66 (Feststellung der Behörde, dass das Geschäft keiner Genehmigung bedarf). 212  So schon D 45, 1, 8 (Paulus libro secundo ad Sabinum). 213  §  158 BGB: grundsätzlich keine Rückwirkung; s aber auch §  159 BGB: abweichende Vereinbarung iS einer obligatorischen Rückwirkung ist zulässig. 214  § 151 Abs 2 OR: grundsätzlich keine Rückwirkung; s aber auch § 151 Abs 3 OR: abweichende Vereinbarung einer Rückwirkung ist zulässig. 215  Gschnitzer in Klang2 III 656; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 9. Die Wirkung von Rechtsbedingungen richtet sich dagegen nach dem jeweiligen Gesetzeszweck (Rz 86).

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vor Bedingungseintritt Zinsen oder ein Benützungsentgelt verlangen. Im Zweifel ist jedoch nicht von Rückwirkung, sondern von bloßer ex-nunc-Wir­ kung des Bedingungseintritts auszugehen.216 Bei auflösend bedingten Dauerschuldverhältnissen ergibt sich schon aufgrund der Schwierigkeit der Rückabwicklung, dass die Auflösung im Zweifel nur für die Zukunft wirkt, es sei denn, der Bedingungseintritt bedeutet auch eine Beeinträchtigung der Äquivalenz der bereits ausgetauschten Leistungen.217 Eine Ausnahme der Zweifels­ regel von der ex-nunc-Wirkung ist bei Gegenwartsbedingungen (Rz  45) anzunehmen,218 da die Parteien bei diesen idR davon ausgehen, dass das Geschäft entweder von Anfang an wirksam oder unwirksam sein soll. Die Vereinbarung einer dinglichen ex-tunc-Wirkung ist aufgrund der 67 zwingenden Publizitätserfordernisse des Sachenrechts nicht möglich,219 da sie einer Fiktion der vom Gesetz geforderten Publizitätsakte gleichkäme, die nur auf gesetzliche Anordnung hin eintreten kann (vgl schon Rz 53, zur Wirkung des Bedingungseintritts bei aufschiebend bedingter Übereignung, insbesondere beim Eigentumsvorbehalt, auf zwischenzeitig vorgenommene Verfügungen des Veräußerers). Die Vereinbarung eines vorweggenommenen Besitzkonsti­ tuts ist grundsätzlich möglich, wirkt jedoch sachenrechtlich auch erst ab Bedingungseintritt (ex nunc). Im Fall des Eintritts einer auflösenden Bedingung oder des endgültigen 68 Ausfalls einer aufschiebenden Bedingung − bei letzterer nur dann, wenn bereits Vorleistungen erbracht wurden −, findet die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der erbrachten Leistungen nach § 1435 statt,220 da für die Leistung zunächst in der Vereinbarung der Parteien ein Rechtsgrund besteht und erst nachträglich mit sachenrechtlicher ex-nunc-Wirkung wegfällt (condictio causa finita; vgl Rz 56). Den Eintritt der Bedingung muss als rechtsbegründende Tatsache derjeni69 ge beweisen, der daraus Rechte ableitet.221 3. Rechtsfolgen bei Vereitlung oder unzulässiger Herbeiführung 70

Nach hL222 und stRsp223 gilt die Bedingung als eingetreten, wenn sie diejenige Partei, der ihr Eintritt zum Nachteil gereichen würde, wider Treu und Glauben vereitelt (Eintrittsfiktion). Umgekehrt gilt sie als nicht eingetreten, Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 4. Vgl OGH 1 Ob 458/60, EvBl 1961/279. Selbst Wurzelmängel wirken bei Dauerschuldverhältnissen zT nur ex nunc (str); vgl Koziol/Welser13 II 10. 218  Kerschner, RdA 1988, 454; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 3. 219  So auch Gschnitzer in Klang2 III 656; P. Bydlinski, Gestaltungsrechte 249 FN 26. Offenlassend Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 9. 220  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz  9. 221  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 12. Zum Nachweis des Bedingungseintritts als Exeku­ tionsvoraussetzung gem § 7 Abs 2 EO OGH 3 Ob 113/01s, EvBl 2002/36. 222  Knütel, JBl 1976, 613 ff; Koziol/Welser13 I 196; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 4. 223  Seit Rv 434/14, SpR 234, JBl 1914, 233; zB 1 Ob 251/72, JBl 1973, 470; 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37; 1 Ob 689/90, JBl 1991, 382; 7 Ob 601/95, ÖBA 1996, 892; 3 Ob 2136/96, JBl 1996, 782 (Mader); 9  ObA 141/99x, RdW 2000, 373; 4  Ob 37/02y, EvBl 2003/38 = RdW 2003, 81; 9 ObA 22/08p, ZAS 2008, 284 (Resch) uva (RIS-Justiz RS0012728). 216  217 

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wenn sie derjenige, dem der Eintritt zum Vorteil gereicht, wider Treu und Glauben herbeiführt (Ausfallsfiktion).224 Ob eine Partei die Ereignisse in treuwidriger Weise beeinflusst hat, ist durch Vertragsauslegung zu bestimmen (zum Umfang der Mitwirkungspflichten schon Rz  51). „Zum Nachteil“ gereicht sie demjenigen, der ein Interesse an ihrem Nichteintritt hat; „zum Vorteil“ dem, der an ihrem Eintritt interessiert ist.225 Die rechtlichen Fiktionen beruhen auf dem allgemeinen Grundsatz, dass man aus eigener Rechtsverletzung keine Rechte ableiten können soll.226 Für das Bedingungsrecht formuliert bedeutet er, dass niemand einen Vorteil daraus ziehen soll, dass er den Ablauf der Ereignisse vertragswidrig zu seinen Gunsten beeinflusst.227 Nach heute hA228 handelt es sich bei den durch diese Fiktionen erzielten Rechtsfolgen nicht um einen Rechtsmissbrauchseinwand und auch nicht um Sanktionen für treuwidriges Verhalten, sondern um das Ergebnis ergänzender Vertragsauslegung (vgl schon zum Bedingungseintritt Rz 63). Ob die Fiktion dem (hypothetischen ) Parteiwillen entspricht, ist stets im Einzelfall nach dem Sinn und Zweck der Bedingung zu beurteilen.229 Daher ist nicht generell auf Verschulden oder sogar Vorsatz230 bei der Vereitlung oder Herbeiführung der Bedingung abzustellen, sondern darauf, ob eine Partei auf die Bedingung in einer Weise eingewirkt hat, welche die andere Partei nach dem Sinn und Zweck des Vertrages redlicherweise nicht erwarten musste.231 Eine unzulässige Einwirkung ist daher auch durch Unterlassung möglich.232 Die Beurteilung der Treuwidrigkeit hängt davon ab, wie weit der betreffenden Partei nach dem Vertragszweck eine Einflussnahme auf den Eintritt der Bedingung geboten, untersagt oder freigestellt war (vgl schon Rz  51). Bei echten Willkürbedingungen (Rz 36) kommt eine treuwidrige Vereitlung daher von vornherein nicht in Frage. Ebenfalls nach dem mutmaßlichen Parteiwillen bemisst sich, ob es für die Fiktion des Bedingungseintritts erforderlich ist, dass der bedingt Berechtigte 224  225 

Koziol/Welser13 I 196; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 4. Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7. Zu eng daher die Auslegung in OGH 2 Ob 250/65, SZ

38/208. 226  Gschnitzer in Klang2 III 672; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 18. OGH 1 Ob 251/72, JBl 1973, 470; 3 Ob 574/76, EvBl 1977/230. 227  Vgl Koziol/Welser13 I 196; Knütel, JBl 1976, 613; vgl auch Peter, Das bedingte Geschäft (Zürich 1994) 230 ff; Gutmans, Die Regel der „Erfüllungs- bzw Nichterfüllungsfiktion“ im Recht der Bedingung (Art. 156 OR) (1995); Kletečka, Ersatz- und Nacherbschaft 71 ff. 228  Grundlegend Knütel, JBl 1976, 616, 619 ff; ihm folgend Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 19 und die neuere Rsp (OGH 1 Ob 689/90, JBl 1991, 382; 7 Ob 601/95, ÖBA 1996, 892; 9 ObA 141/99x, RdW 2000, 373; 4 Ob 37/02y, EvBl 2003/38; 9 ObA 22/08p, ZAS 2008, 284 (Resch); RIS-Justiz RS0017486). 229  OGH 3 Ob 171/00v; 8 Ob 52/07s. 230  OGH 7 Ob 347/64; 1 Ob 91/67; 7 Ob 560/80, MietSlg 32.109; 9 ObA 22/08p, ZAS 2008, 284 (Resch). Beim Maklervertrag kommt es für die Eintrittsfiktion auf absichtliche Provisionsverhinderung an, außer es liegt eine Provisionsvereinbarung iSd § 15 Abs 1 Z 1 MaklerG vor (OGH 4 Ob 37/02y, EvBl 2003/38). 231  Knütel, JBl 1976, 619. Unter Berufung auf ihn Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7. OGH 8  Ob 649/88, EvBl 1989/65; 10  Ob 502/87, JBl 1990, 37; 1 Ob 689/90, JBl 1991, 382; 2 Ob 33/05z, MietSlg 57.086 (RIS-Justiz RS0017391). 232  OGH 1 Ob 436/61, EvBl 1962/59; 1 Ob 251/72, JBl 1973, 470.

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den Nachweis des Eintritts der Bedingung oder wenigstens der abstrakten Möglichkeit desselben für den Fall pflichtgemäßen Verhaltens erbringen kann.233 Auch treuwidrige Verzögerung des Bedingungseintritts kann nach der Vertragsauslegung zur Eintrittsfiktion führen.234 Die Rsp bejaht beispielsweise Eintrittsfiktion, wenn der Mieter dem Vermieter, dessen Zustimmung Bedingung für den Untermietvertrag ist, mitteilt, er sei an einer Auflösung des Hauptmietvertrags interessiert;235 wenn der Wohnungseigentümer die freiwerdende Wohnung verkaufen will, obwohl der Anspruch des Mieters auf Ersatz seiner Investitionen davon abhängig gemacht worden ist, dass ein zur Investitionsablöse bereiter Nachmieter gefunden wird;236 wenn der Arbeitgeber durch rechtswidrige Entlassung den Anfall eines laufzeitabhängigen Betriebspensionsanspruches237 oder den Eintritt der Voraussetzung für die Vertragsverlängerung238 vereitelt; oder wenn der AN die Wirksamkeit eines Vergleichs von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig macht, dessen Zustimmung er zugleich hintertreibt.239 Bei Rechtsbedingungen scheidet nach hL die Eintrittsfiktion aus, weil es 71 nicht vom Parteiwillen abhängen kann, ob die Rechtsfolgen, für die das Gesetz eine Wirksamkeitsvoraussetzung statuiert, eintreten oder nicht. Der Vereitelnde wird jedoch schadenersatzpflichtig (vgl Rz 87).240 Hängt die Wirksamkeit eines Vertrages dagegen nur aufgrund des Partei72 willens von einer behördlichen Genehmigung ab, zB einer Baubewilligung241, so ist Eintrittsfiktion möglich und das (aufschiebend) bedingte Rechtsgeschäft wird voll gültig. Da die Bewilligung freilich auch bei Fiktion des Bedingungseintritts nicht vorliegt, kommt zusätzlich Schadenersatz für die Vereitlung in Frage.242 Für einen Schadenersatzanspruch wegen des vertragswidrigen Einwirkens auf den Bedingungseintritt sind selbstverständlich nach allgemeinen Grundsätzen Kausalität und Verschulden bezüglich des vereitelten Eintritts oder Ausfalls der Bedingung erforderlich.

IV. Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte 73

Da die Beifügung von Bedingungen in Rechtsgeschäften auf der Privatautonomie beruht, sind ihr durch das zwingende Recht Grenzen gesetzt. Bei den Grenzen der Zulässigkeit beigefügter Bedingungen sind drei Fallgruppen 233 

Das Erfordernis verneinend OGH 5 Ob 578/85, MietSlg 39.278. Zur Verbücherung als Bedingung für die Kaufpreiszahlungspflicht: OGH 8 Ob 505/90, NZ 1992, 58 (Hofmeister). 235  OGH 7 Ob 577/87, MietSlg 39.066. 236  OGH 5 Ob 578/85, MietSlg 39.278. 237  OGH 9 ObA 141/99x, RdW 2000, 373. 238  OGH 4  Ob 85/82, ZAS 1984/28 (dazu Schrammel, ZAS 1984, 226); vgl aber 9  ObA 22/08p, ZAS 2008, 284 (Resch). 239  OGH 8 ObA 210/01t, RdA 2003/7 (Karl). 240  Koziol/Welser13 I 196; F. Bydlinski, FS Ostheim 52 f; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7 mwN. 241  Vgl OGH 10 Ob 506/88, MietSlg 40.063. 242  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 41. 234 

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zu unterscheiden: Bestimmte Rechtsgeschäfte können aufgrund zwingender Vorschriften generell nur unbedingt abgeschlossen werden (und dann idR auch nur unbefristet243). Nur diese sind im engeren Sinn als bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte zu bezeichnen244 (s Rz 75). Andererseits werden manche Bedingungen ihrer Art nach vom Gesetz inhaltlich missbilligt und können daher so gut wie keinem Rechtsgeschäft, weder Verträgen noch einseitigen Rechtsgeschäften, wirksam beigesetzt werden; es sind dies die an sich unerlaubten Bedingungen (auf sie wird bei § 898 eingegangen). Zwischen diesen beiden Extremen liegt ein dritter Bereich, in dem Bedingungen, die ihrer Art nach zwar grundsätzlich gültig beigefügt werden können, dennoch aufgrund der konkreten Interessenlage der Parteien in Rechtsgeschäften, die an sich einer Bedingung zugänglich sind, als rechts- oder sittenwidrig anzusehen sind, zB weil sie schützenswerten Interessen eines Vertragspartners zuwiderlaufen. Es handelt sich in diesen Fällen um an sich erlaubte, aber inadäquat eingesetz­ te Bedingungen. Man kann auch von Bedingungsfeindlichkeit im konkreten Fall (oder relativer Bedingungsfeindlichkeit245) sprechen (Rz 76 ff). Sie ist besonders bei einseitig gestaltenden Rechtsgeschäften anzutreffen. Von der Unzulässigkeit bestimmter Bedingungen darf nicht pauschal auf eine (absolute) Bedingungsfeindlichkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts geschlossen werden. Da es sich jedenfalls um Probleme der (teilweisen) Unerlaubtheit von 74 Rechtsgeschäften (§ 879) handelt, sind die Rechtsfolgen in allen drei Fällen in erster Linie nach dem Zweck der Verbotsnorm zu bestimmen, so beispielsweise die Frage nach der Gesamt- oder Teilnichtigkeit. Soweit der Normzweck nicht dagegen spricht, kann subsidiär der diesbezügliche Wille der Parteien Berücksichtigung finden (vgl Rz 14 zu § 898). Im engeren Sinn bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte (Rz  73) sind 75 solche, bei denen aus Gründen der Sittlichkeit oder des öffentlichen Inter­ esses der privatautonomen Gestaltung durch die Parteien insofern Grenzen gesetzt sind, als die Herbeiführung sofortiger Klarheit der Rechtslage im Wege einer endgültigen Rechtsgestaltung geboten ist. In diesem Sinn sind die sog Statusverträge, wie Eheschließung (§ 17 Abs 2 EheG) und Annahme an Kindes Statt (Adoption),246 sowie ähnliche Rechtsgeschäfte des Familienrechts, zB das Vaterschaftsanerkenntnis,247 bedingungsfeindlich (und auch befristungsfeindlich, Rz 92).248 Absolut bedingungsfeindlich sind all jene Geschäfte, bei denen es in besonderem Maße auf Verkehrsschutz oder Rechtssicherheit ankommt, wie zB Erbantrittserklärungen249 oder die Erteilung von Prokura.250 Die Bedingung von Prozesshandlungen ist allgemein nur sehr eingeschränkt Koziol/Welser13 I 197. Gschnitzer in Klang2 III 656 spricht von „absolut bedingungsfeindlichen“ Rechtsgeschäften. 245  So Gschnitzer in Klang2 III 656. 246  Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 179a Rz 7. 247  Hopf in KBB3 § 163c Rz 5. 248  Gschnitzer in Klang2 III 656; Koziol/Welser13 I 197. 249  OGH 6 Ob 193/98w, JBl 1999, 108. 250  Weitere Bsp bei Gschnitzer in Klang2 III 656 ff. 243  244 

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möglich.251 Dementsprechend kann auch die Erteilung von Prozessvollmacht nicht beliebig bedingt werden (vgl § 32 ZPO). Gerichtliche Vergleiche können nach hA nur aufschiebend, nicht aber auflösend bedingt werden.252 Zu prüfen ist jedoch bei bedingungsfeindlichen Rechtsgeschäften, ob und wie weit sie unter eine Gegenwartsbedingung (uneigentliche Bedingung, Rz  40 ff) gestellt werden können, da bei Unterstellung eines gegenwärtigen oder vergangenen Umstandes objektiv keine Unsicherheit über die Rechtsfolgen erzeugt wird, sondern ein Schwebezustand nur bis zur Feststellung des maßgeblichen Umstands besteht. Dies hängt wohl davon ab, ob diese Feststellung in angemessener Zeit und im Rahmen des für die endgültige Entscheidung eventuell vorgesehenen Verfahrens möglich ist. Demgemäß wird zB eine Ausschlagung der Erbschaft, die nur für den Fall erklärt wird, dass der Ausschlagende testamentarisch als Erbe eingesetzt ist, zulässig sein.253 Die Bedingungsfeindlichkeit im konkreten Fall, also die Unzulässigkeit 76 einer an sich erlaubten, aber inadäquat eingesetzten Bedingung, hängt von der Ausgestaltung des Rechtsgeschäfts im Einzelfall ab.254 Sie tritt besonders häufig255 bei einseitig gestaltenden Rechtsgeschäften auf, die eine fremde Rechtsposition beeinflussen. Bedingungen in solchen Rechtsgestaltungserklärungen sind dann unzulässig, wenn sie berechtigte Interessen des Partners, zB an der sofortigen Klarstellung seiner Rechtslage oder an der Einhaltung gesetzlicher Fristen, verletzen.256 So lassen die Kündigung oder Entlassung (s folgende Rz), die Mahnung oder auch die gerichtliche Aufkündigung eines Mietvertrags257 grundsätzlich keine Bedingungen zu. Es handelt sich jedoch nur um eine relative Bedingungsfeindlichkeit (Rz 73), nicht um eine generelle Bedingungsfeindlichkeit dieser Rechtsgeschäfte.258 Dies wird daran deutlich, dass eine Bedingung auch bei den genannten Rechtsgeschäften zulässig sein kann, zB wenn der Partner ihr zustimmt,259 wenn ihr Eintritt von dessen Willen abhängt (Potestativbedingung, Rz 35 ff),260 wie die Kündigung eines MietverDazu Fasching, Zivilprozessrecht2 (1990) Rz 758 ff. Neumayr in KBB3 § 1380 Rz 9, 11. OGH 3 Ob 151/80, SZ 54/14; 2 Ob 70/09x, MietSlg 61.529 = EF 123.788. Zum bedingten Widerruf des gerichtlichen Vergleichs Wilhelm, ecolex 1994, 801. 253  Vgl Westermann in MüKoBGB5 § 158 Rz 53. Vgl OGH 6 Ob 193/98w. 254  Vgl Rummel, ÖBA 1999, 646. 255  Rummel, ÖBA 1999, 646. 256  Gschnitzer in Klang2 III 658 f; Koziol/Welser13 I 197; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 2; OGH 4 Ob 137/77, Arb 9631; 4 Ob 78/79, SZ 52/139 = ZAS 1981/14 (Schrank) = RdA 1981, 299 (Fenyves); 4 Ob 43/82, RdA 1984, 340 (Kerschner); 4 Ob 80/82, ZAS 1984/18 (Dusak); 4 Ob 97/85, RdA 1988, 456 (Grassl-Palten); 6 Ob 589/91, wobl 1992/102 (im konkreten Fall keine Interessenverletzung); 1 Ob 121/98w, SZ 71/193 = ÖBA 1999, 644 (Rummel); 9 ObA 121/98d, EvBl 1999/31; 8 Ob 14/90, ÖBA 1993, 229 (Nowotny); RZ 2001, 259; 8 ObA 124/02x. 257  OGH 1 Ob 284/99t, SZ 73/6. Vgl auch die gesetzlich eingeschränkten Befristungsmöglichkeiten bei Mietverträgen zum Schutz des Mieters (§ 29 Abs 1 Z 3 MRG), s Rz 92. 258  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 10. 259  Gschnitzer in Klang2 III 659. Anders OGH 9 ObA 121/98d, EvBl 1999/31 für Kündigungen, s nächste Rz. 260  Gschnitzer in Klang2 III 658 f; Koziol/Welser13 I 197; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 3; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 2; OGH 2 Ob 137/57, JBl 1957, 291; 4 Ob 78/79, SZ  52/139 = ZAS 1981/14 (Schrank) = RdA 1981, 299 (Fenyves); 4  Ob 80/82, ZAS 1984/18 251  252 

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Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte

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trags unter der Bedingung, dass der Mieter den Zins bis zu einem bestimmten Tag nicht bezahlt, oder wenn aus anderen Gründen keine die geschützten In­ teressen des anderen Teils verletzende Unklarheit droht.261 Nach diesen Grundsätzen können zB bedingte Aufrechnungserklärungen262 oder bedingte Scheckeinlösungszusagen263 wirksam sein. Uneigentliche Bedingungen erzeugen nicht im selben Maße eine Unsicherheit des Erklärungsempfängers wie eigentliche, da ihr Eintritt zumindest objektiv schon feststeht. Sie sind daher häufig als zulässig anzusehen (s schon Rz 75).264 Überhaupt keine Bedingung und damit kein Problem der Interessenbeeinträchtigung liegt dagegen vor, wenn die Aufhebung des Vertrages nur für den Fall seines Bestandes erklärt wird, da dieser Umstand ohnehin Voraussetzung für das Gestaltungsrecht ist.265 Zulässig ist daher auch eine Kündigung für den Fall, dass der Vertrag nicht schon vor dem Kündigungstermin endet.266 Die Unzulässigkeit einer beigefügten Bedingung bewirkt nach dem Normzweck idR Unwirksamkeit des ge­ samten einseitigen Rechtsgeschäfts.267 Kündigungen von Arbeitsverträgen unter Potestativbedingungen, deren 77 Eintritt vom Willen des Gekündigten abhängt, sind demgemäß nach stRsp268 und hL269 zulässig. Unzulässige Bedingung macht die Kündigung (relativ) unwirksam (und nicht etwa unbedingt wirksam).270 Eine Zustimmung des Gekündigten zur unzulässigen Bedingung ist unbeachtlich, da sie dem Wesensgehalt des für Kündigungen geltenden Bestimmtheits- und Gewissheitsgebots widerspricht.271 Diese Grundsätze gelten auch für Entlassungen.272 Dementsprechend ist zB eine Entlassung unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Grund für sein Fernbleiben nicht mitteilt, wirksam.273 Aus ähnlichen Erwägungen sind auflösende Bedingungen in Arbeitsverträ­ (Dusak); 9 ObA 121/98d, EvBl 1999/31; 8 Ob 14/90, ÖBA 1993, 229 (Nowotny); 9 ObA 35/95, Arb 11.379; 1 Ob 121/98w, SZ 71/193 = ÖBA 1999, 644 (Rummel). 261  Gschnitzer in Klang2 III 658; Rummel in Rummel3 I §  897 Rz  10; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 3; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 2. OGH 4 Ob 147/52, Arb 5518; 4 Ob 82/71, Arb 8904; vgl auch RdA 1978, 116 (Kramer); 4 Ob 43/82, RdA 1984/15 (Kerschner); 4 Ob 80/82, ZAS 1984/18 (Dusak); 6 Ob 589/91, wobl 1992/102. 262  Dullinger, Aufrechnung 99 ff. 263  OGH 1 Ob 121/98w, SZ 71/193 = ÖBA 1999, 644 (Rummel) (dazu auch Schumacher, ÖBA 1999, 613). 264  OGH 6 Ob 589/91, wobl 1992/102; aA Gschnitzer in Klang2 III 658. 265  P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 2; vgl OGH 6 Ob 589/91, wobl 1992, 143 mit unzutreffender Begründung (kein schutzwürdiges Interesse des Gekündigten). 266  OGH 4 Ob 147/52, Arb 5518. 267  So auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 52. 268  OGH 4 Ob 82/71, Arb 8904; zuletzt zB 9 ObA 121/98d, EvBl 1999/31. 269  Rummel in Rummel3 I §  897 Rz  10 (mwN); Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 51. 270  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 3. OGH 9 ObA 121/98d, EvBl 1999/31. 271  OGH 9 ObA 121/98d, EvBl 1999/31. 272  Eypeltauer, RdA 1985, 321 ff. OGH 4 Ob 137/77, Arb 9631; 4 Ob 78/79, SZ 52/139 = EvBl 1980/48 = ZAS 1981/14 (Schrank) = RdA 1981, 299 (Fenyves); 4 Ob 43/82, RdA 1984, 340 (Kerschner); 4 Ob 97/85, RdA 1988, 4586 (Grassl-Palten). 273  OGH 4 Ob 78/79, SZ 52/139 = EvBl 1980/48 = ZAS 1981/14 (Schrank) = RdA 1981, 299 (Fenyves).

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gen nur dann wirksam, wenn der Zeitpunkt ihres möglichen Eintritts im vorhinein zumindest annähernd bestimmt ist.274 Der OGH differenziert für die Zulässigkeit der Bedingungsabrede außerdem danach, ob die Abrede schon bei Begründung oder während des aufrechten Arbeitsverhältnisses getroffen wurde, und hält nur erstere für zulässig.275 Auf Bedingungen, die zugleich zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen, sind vorrangig die einschlägigen arbeitsrechtlichen Sonderregelungen anzuwenden, um eine Umgehung des Bestandschutzes zu verhindern.276 Ähnliches gilt auch für dem MRG unterliegende Bestandverträge.277 Wird von bedingungsfeindlichen Rechtsgeschäften gesprochen, so ist das 78 idR (mit Ausnahme der in Rz 75 genannten Geschäfte) im Sinne bloß relativer Bedingungsfeindlichkeit zu verstehen, so etwa, wenn die Wiederkaufserklä­ rung als bedingungsfeindlich278 bezeichnet wird. Als Gestaltungsrecht279 mit unmittelbarem Einfluss auf die Rechtssphäre des Wiederkaufsverpflichteten ist auch sie prinzipiell jeder Potestativbedingung zugänglich, deren Eintritt vom Verhalten des Erklärungsgegners abhängt,280 weil dadurch nicht die Unsicherheitssituation erzeugt wird, die der Bedingungsfeindlichkeit von Gestaltungsrechten im allgemeinen zugrunde liegt.281 Unwirksam sind gem § 25 b Abs 2 IO wegen der Gefährdung von Gläubi79 gerinteressen auflösende Bedingungen in Rechtsgeschäften für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Eine Ausnahme besteht nur für bestimmte Finanz- und Wertpapiergeschäfte (§ 20 Abs 4 IO).

V. Abgrenzungsfragen 1. Rechtsbedingung 80

Keine Bedingungen iSd §§ 897 ff (daher auch nicht iSd §§ 696 ff282) sind die Rechtsbedingungen (conditiones iuris)283. Bei ihnen beruht die Abhängigkeit der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts von einem bestimmten Ereignis nicht auf einer rechtsgeschäftlichen, sondern auf einer gesetzlichen Anord274  Schrammel, ZAS 1984, 227; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 10. OGH 4 Ob 85/82, ZAS 1984/28; 9 ObA 158/91, SZ 64/132 = RdA 1992, 286 (Mazal) = ZAS 1992, 160 (Grassl-Palten) = JBl 1992, 609; 9 ObA 256, 257/93, SZ 66/169; 9 ObA 156/98a, RdA 1999, 363 (Dirschmied). 275  OGH 9 ObA 116/06h, ZAS 2007/44 (Reiner). 276  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 51. OGH 9 ObA 1/03t, RdA 2004/33 (Trost). 277  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  897 Rz  51. OGH 8  Ob 261/98k, wobl 2001/35. 278  Aicher in Rummel3 I § 1068 Rz 8; Apathy in KBB3 § 1068 Rz 2. 279  Mayer-Maly in Klang2 IV/2, 725 mwN; Aicher in Rummel3 I § 1068 Rz 2. 280  Hubmer, JBl 2002, 226. 281  Aicher in Rummel3 I § 1068 Rz 8. 282  Kralik, Erbrecht3 254. 283  Gschnitzer in Klang2 III 659; Koziol/Welser13 I 194; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 3; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 20. Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 516 ff, bezeichnet sie als „stillschweigende Bedingungen“. Vgl auch Oertmann, Die Rechtsbedingung (1924); Egert, Die Rechtsbedingung im System des bürgerlichen Rechts (1974).

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Abgrenzungsfragen

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nung.284 Rechtsbedingungen sind also gesetzliche Wirksamkeitsvorausset­ zungen des Rechtsgeschäfts.285 Ihr Eintritt stellt ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal bei Herbeiführung der rechtsgeschäftlich angestrebten Rechtsfolgen dar.286 Mit Parteibedingungen haben Rechtsbedingungen gemeinsam, dass sie idR einen Schwebezustand des Rechtsgeschäfts mit vorwirkenden Pflichten der Parteien erzeugen (Rz 84 f). Wird zB von einem beschränkt Geschäftsfähigen ein Kaufvertrag geschlossen, so bedarf dieser zu seiner Wirksamkeit noch der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters oder (auch) des Pflegschaftsgerichts (§ 865).287 Bis diese erteilt oder abgelehnt wird, ist der Vertrag schwebend unwirksam.288 Die allgemeinen Grundsätze der Bedingungslehre sind auf Rechts­ 81 bedingungen insoweit anwendbar, als ausdrückliche Anordnungen und Zweck des betreffenden Gesetzes nicht entgegenstehen.289 Viele Fragen, die bei privatautonom gesetzten Bedingungen durch Vertragsauslegung zu beant­ worten sind, sind bei Rechtsbedingungen Fragen der Gesetzesauslegung,290 wie zB die aufschiebende oder auflösende Wirkung einer Bedingung (Rz 83; zur Unterscheidung Rz  30) oder die Folgen des Ausbleibens der Bedin­gung (Rz 86 f). Die vorwirkenden Sorgfaltspflichten im Zustand der Schwe­be bestimmen sich dagegen weitgehend nach allgemeinen Grundsätzen (Rz 84). Den praktisch bedeutsamsten Fall einer Rechtsbedingung stellt die Geneh­ 82 migungsbedürftigkeit des Geschäfts dar.291 Das Erfordernis einer behördlichen Bewilligung des Vertrages ergibt sich beispielsweise292 aus den Grundverkehrsgesetzen der Länder,293 den Flurverfassungs-Landesgesetzen,294 dem Wasserrechtsgesetz,295 dem Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz,296 dem Auslän­ 284  Koziol/Welser13 I 194; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV §  897 Rz  8; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 3. OGH 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201; 1 Ob 32/79, SZ 52/165 = JBl 1981, 148; 7 Ob 672/86, SZ 60/6 = JBl 1987, 513; 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37; 2 Ob 365/97b, ZfRV 2000, 189. 285  P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 3. OGH 4 Ob 157/07b. 286  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 2. 287  OGH 2 Ob 557/85, SZ 58/105; 4 Ob 525/94, SZ 67/86. 288  Koziol/Welser13 I 56. OGH 6 Ob 286/05k, EF-Z 2006/53. 289  Gschnitzer in Klang2 III 660. 290  Vgl Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 2. 291  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 9. 292  Weitere Bsp bei Aicher in Rummel3 I § 1054 Rz 5. 293  Steiner, JBl 1996, 413; P. Bydlinski in KBB3 § 897 Rz 3. OGH 3 Ob 50/75, JBl 1975, 652 (F. Bydlinski); 6 Ob 729/78, SZ 51/155 = RZ 1980, 135; 2 Ob 559/78, SZ 52/1= JBl 1980, 201; 8  Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66; 1 Ob 67/99f, NZ 2001, 172; 4  Ob 185/00k, wobl 2002/12. Zu den europarechtlichen Beschränkungen einer Genehmigungspflicht im österreichischen Recht EuGH 1.6.1999, C-302/97 (Konle geg Österreich), wbl 1999, 405 (dazu Herzig, wbl 1999, 395). 294  OGH 1 Ob 32/79, SZ 52/165 = JBl 1981, 148; 1 Ob 557/83, JBl 1984, 439 (Wilhelm). Vgl auch 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79 (zum steirischen Einforstungs-LG 1983). 295  OGH 3 Ob 317/37, SZ 19/174; 1 Ob 3/79, SZ 52/35 = EvBl 1979/184. 296  OGH 1 Ob 622/77, JBl 1978/259 (dazu Aicher in Rummel3 I § 1054 Rz 5); 3 Ob 583/80, MietSlg 32.546.

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der­beschäftigungsgesetz, dem Außenhandelsgesetz,297 dem Devisengesetz,298 nicht aber zB aus den Bauordnungen, sofern sie für bestimmte Grundteilungen Genehmigungen vorsehen.299 Machen die Parteien selbst die Wirksamkeit eines Vertrags von einer Genehmigung (zB einer Baubewilligung) abhängig, die von Gesetzes wegen nicht erforderlich wäre, so liegt eine Parteibedingung iSd §§ 897 ff, keine Rechtsbedingung, vor.300 Nach heute301 hA302 und stRsp303 handelt es sich bei genehmigungsbedürf83 tigen Geschäften in der Regel um aufschiebend bedingt (Rz 30) geschlossene Verträge (vgl § 865). Die Wirkung einer Rechtsbedingung auf das bedingte Geschäft bestimmt sich freilich im einzelnen immer nach den jeweiligen zwingenden Rechtsvorschriften. Die Grundverkehrsgesetze der Länder sehen in Übereinstimmung mit der Grundlagenbestimmung des Art 2 Abs1, BGBl 1993/260,304 ein Verbot der Durchführung des Rechtsgeschäfts,305 insbesondere der grundbücherlichen Eintragung, vor Erteilung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung, und damit aufschiebende Bedingtheit des Verpflichtungsgeschäfts vor.306 Fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung bezüglich der aufschiebenden oder auflösenden Wirkung, so kommt es auf den Normzweck an.307 Eine diesem nicht widersprechende Parteienvereinbarung, zB bzgl zu erbringender Vorausleistungen (Rz 85), ist allenfalls zu berücksichtigen. 297  OGH 4 Ob 599/79, SZ 53/140; s a 3 Ob 549/93, HS 24.474 (Ausfuhrlizenz für Export aus Ungarn). 298  OGH 1 Ob 72/57, SZ 30/15; SchiedsG d Börse f lw Produkte Wien S 6/81, ZfRV 1983, 210 (Hoyer); OGH 6 Ob 706/85, wbl 1987, 348; 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37. 299  Die Versagung der für die grundbücherliche Durchführung der vertraglich vorgesehenen Grundstücksteilungen erforderlichen Bewilligung hat nicht die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts, sondern die Unmöglichkeit der Erfüllung (§  1447) zur Folge (OGH 6  Ob 503/94, NZ 1996, 336). 300  ZB OGH GlUNF 1808; 10 Ob 506/88, MietSlg 40.063; 1 Ob 330/97d, SZ 71/153 = NZ 2000, 78. 301  Anders (zur grundverkehrsbehördlichen Genehmigung) noch Mayer-Maly in Klang IV/2, 223 f; ders, JBl 1976, 334 und zT die ältere Rsp (zB OGH 1 Ob 441/53, JBl 1954, 68). 302  Steiner, JBl 1974, 506; ders, JBl 1996, 413; F. Bydlinski, FS Ostheim 50; Markl/Oberhofer, wobl 1992, 174; Fischer/Lukas, Handbuch 164; Koziol/Welser13 I 100. 303  OGH GlUNF 1808; 2 Ob 559/78, SZ 52/1= JBl 1980, 201; 4 Ob 599/79, SZ 53/140; 7 Ob 821/82, SZ 56/194; 1 Ob 564/85, SZ 58/111; 5 Ob 24/90, NZ 1991, 179 (Hofmeister 182); 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79; 4 Ob 37/02y, SZ 2002/133 = EvBl 2003/38; RIS-Justiz RS0110874. Vgl auch RIS-Justiz RS0038627 (bzgl Genehmigung der Grundverkehrskommission). 304  „Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art 15a B-VG über zivilrechtliche Bestimmungen betreffend den Verkehr mit Baugrundstücken“, BGBl 1993/260, betreffend die durch BGBl 1992/276 erweiterte Gesetzgebungskompetenz der Länder in Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG. 305  Die Genehmigung ist nach den Landesgesetzen idR nicht nur für (bestimmte) Liegenschaftsverkäufe, sondern auch für (langfristige) Vermietungen oder Verpachtungen erforderlich (vgl dazu Würth in Rummel3 I § 1092 Rz 11 und 16). 306  ZB § 15 Abs 1 oöGVG 1994. Die gesetzlichen Formulierungen sind allerdings teilweise irreführend, zB wenn nur die Übertragung des Eigentums als genehmigungsbedürftig bezeichnet wird (§ 3 Z 1 oöGVG 1994) oder wenn bestimmt wird, dass das Rechtsgeschäft mit Versagung der Genehmigung „rückwirkend rechtsunwirksam“ werde (so schon Art 2 Abs 1 BGBl 1993/260; vgl auch § 15 Abs 2 oöGVG 1994). 307  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 10.

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Abgrenzungsfragen

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Die Parteien sind schon vor Erteilung der behördlichen Genehmigung an 84 den Vertrag gebunden.308 Kein Teil kann sich einseitig lösen, auch wenn die Genehmigung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erteilt wird309 oder der Schwebezustand jahrelang andauert,310 es sei denn die Bindung an den Vertrag ist im Einzelfall unzumutbar.311 Als Vorwirkungen im Schwebezustand ergeben sich auch bei den Rechtsbedingungen regelmäßig aus dem Vertrag bestimmte Sorgfaltspflichten312 der Parteien, die nach den allgemeinen Regeln der §§ 897 ff zu beurteilen sind (vgl Rz 49 ff), da sie mit dem Zweck der vom Gesetz statuierten Rechtsbedingung idR nicht in Widerspruch stehen.313 So haben auch die Parteien des rechtsbedingten Geschäfts die nötigen Vorkeh­ rungen zu treffen, um bei Bedingungseintritt leisten zu können, und alles zu unterlassen, was zur Unmöglichkeit führen könnte.314 Darüber hinaus trifft sie die vertragliche Pflicht, an der Herbeiführung des Bedingungseintritts mitzu­ wirken, zB die erforderliche Genehmigung zu beantragen und die nach der Rechtslage zweckmäßigen und zumutbaren Rechtsmittel zu ergreifen.315 Geklagt werden kann bereits im Schwebezustand auf die Bewirkung jener Handlungen – auch Erfüllungshandlungen –, die zur Beendigung des Schwebe­ zustands erforderlich sind.316 Die Ausstellung einer einverleibungsfähigen Urkunde kann daher schon vor Erteilung der Genehmigung dann verlangt werden, wenn die Vorlage dieser Urkunde bei der Grundverkehrsbehörde zur Bescheinigung eines genehmigungsbedürftigen Vertrags notwendig ist.317 Um­ gekehrt dürfen die Parteien die Genehmigung nicht wider Treu und Glauben vereiteln.318 Die Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Genehmigung ist daher (idR) eine Vertragsverletzung.319 Das Vereiteln oder Verzögern des Bedingungseintritts hat nach allgemeinen Regeln Schadenersatzpflicht zur Folge.320 Vorwirkende Pflichten können allerdings nur dann bestehen, wenn den Parteien die Abhängigkeit des Geschäfts von der aufschiebenden Rechtsbedin308  ZB Art 2 Abs 1 BGBl 1993/260; § 15 Abs 1 oöGVG 1994. OGH 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201; 4 Ob 599/79, SZ 53/140. Vgl auch § 865, nach dem (zunächst) nur der geschäftsfähige Partner gebunden ist. 309  OGH 10 Ob 506/88, MietSlg 40.063. 310  OGH 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66. 311  OGH 10 Ob 506/88, MietSlg 40.063; vgl aber Markl/Oberhofer, wobl 1992, 178. 312  Koziol/Welser13 I 101; F.  Bydlinski; FS Ostheim 48 ff; Fischer/Lukas, Handbuch 170. OGH 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201; 1 Ob 3/79, SZ 52/35 = EvBl 1979/184. 313  So auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 24. 314  Fischer/Lukas, Handbuch 170. OGH 3 Ob 317/37, SZ 19/174; 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201; 6 Ob 729/78, SZ 51/155 = RZ 1980, 135; 8  Ob 674/87, JBl 1990, 242 (dazu H. Böhm 222); 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66. 315  F. Bydlinski, FS Ostheim 61 ff; Fischer/Lukas, Handbuch 170. OGH 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201; 7 Ob 672/86, SZ 60/6 = JBl 1987, 513; 4 Ob 516/88, SZ 61/59 = JBl 1988, 513; 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37; 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79. 316  OGH 4 Ob 599/79, SZ 53/140; 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79; 2 Ob 365/97b, ZfRV 2000, 189. 317  OGH 2 Ob 559/78, SZ 52/1 = JBl 1980, 201. 318  Koziol/Welser13 I 101. OGH 8 Ob 46/89, ÖBA 1991, 759; 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66; 1 Ob 602/93, ÖBA 1995, 231. 319  OGH 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66. 320  Vgl Bydlinski, FS Ostheim 52 f; Rummel in Rummel I § 897 Rz 7 mwN.

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gung bewusst war. Glaubten die Parteien bei Vertragsschluss, das Geschäft sei bereits (unbedingt) wirksam, so sind allenfalls erbrachte, noch nicht geschuldete Leistungen rückforderbar (§§  877, 1434), und ab Kenntnis von der Rechtsbedingung bestehen wohl nach dem (hypothetischen) Parteiwillen idR die üblichen vorwirkenden Pflichten. Das bedingte Geschäft kann aber uU auch wegen Irrtums anfechtbar sein. Hat eine Partei die andere schuldhaft nicht über die Genehmigungsbedürftigkeit des Vertrags aufgeklärt, ist sie zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Wissen die Parteien dagegen von Anfang an, dass die behördliche Genehmigung notwendig wäre, aber voraussichtlich nicht erteilt würde, und verein­ baren sie deshalb, keinen Antrag auf deren Erteilung zu stellen, ist der Vertrag von Beginn an nichtig.321 Die Parteien beabsichtigen in diesem Fall keinen Schwebezustand. Umgekehrt liegt keine Nichtigkeit von Anfang an, sondern Schwebe des Rechtsgeschäfts vor, wenn die Parteien eine Beantragung der Genehmigung beabsichtigen, sobald sich durch eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse die Chancen auf eine Bewilligung verbessert haben.322 Vor Eintritt der aufschiebenden Rechtsbedingung bestehen grundsätzlich 85 noch keine Erfüllungsansprüche,323 wie zB auf Übergabe des vertragsgegenständlichen Grundstücks vor Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde,324 mit Ausnahme der Ansprüche auf Vornahme solcher Handlungen, die zur Beendigung des Schwebezustands erforderlich sind (Rz  84). Ein Begehren auf Feststellung eines bedingten Rechtsverhältnisses kann jedenfalls schon gestellt werden,325 ebenso auf Sicherung der bedingt geschuldeten Leistung durch einstweilige Verfügung (§  378 Abs  2 EO).326 Mangels gesetzlicher Grundlage ist eine bücherliche Vormerkung der Anwartschaft des Käufers auf das Eigentumsrecht nicht möglich.327 Ob trotz gesetzlich angeordneter aufschiebender Wirkung von den Parteien wirksam eine Vorausleistungspflicht vereinbart werden kann, ist nach dem Zweck des Gesetzes zu beurteilen. Soll dieses auch den Leistungsaustausch vor Genehmigung hintan halten, ist die 321  Koziol/Welser13 I 101. OGH 1 Ob 520/89, SZ 62/42; 1 Ob 562/91, SZ 64/56; 1 Ob 687/90, JBl 1992, 594 = MietSlg 43.033/24; 6 Ob 7/94, wbl 1994, 380; 6 Ob 325/99h, ZfRV 2001/32; 4 Ob 114/01w, SZ 74/96 = JBl 2002, 789 (Holzner); 6 Ob 39/03h, SZ 2003/43; vgl RIS-Justiz RS0038717 (bzgl grundverkehrsbehördlicher Zustimmung). 322  OGH 9 Ob 66/98s, ZfRV 1999, 28 (Aufschieben der Antragstellung bis zu von den Parteien erwarteten Änderungen der Rechtslage im Zuge des Beitrittes Österreichs zur EU); 4 Ob 261/99g, RdW 2000, 275; 1 Ob 136/07t. 323  F. Bydlinski, FS Ostheim 53 ff; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 23. OGH 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79; 2 Ob 365/97b, ZfRV 2000, 189. AA zT die ältere Rsp: OGH 2 Ob 544/55, SZ 28/204; 5 Ob 223/224/70, SZ 43/171; 3 Ob 50/75, JBl 1975, 652 (F. Bydlinski). 324  OGH 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79; 3 Ob 34/07g, MietSlg 59.103. 325  OGH 3 Ob 317/37, SZ 19/174; 1 Ob 3/79, SZ 52/35 = EvBl 1979/184; 1 Ob 290/97x, NZ 1999, 79. 326  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 6. OGH 2 Ob 544/55, SZ 28/204; 6 Ob 554/79, SZ 52/48 (selbst nach rechtskräftiger Versagung der Genehmigung, während eines Verfahrens vor dem VwGH; vgl Rz 86). 327  OGH 5 Ob 24/90, NZ 1991, 179 (krit Hofmeister 1182); 5 Ob 114/07m, NZ 2008, 45 (Hoyer).

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Vereinbarung von Vorausleistungen unwirksam. Dieses Vorausleistungsverbot bezieht sich uU auf die Verpflichtung nur einer der Parteien. So steht die grundverkehrsbehördliche Bewilligungspflicht nach ihrem Zweck zwar idR der Vereinbarung der Übergabe der Liegenschaft oder der Abgabe der Aufsandungserklärung328 vor Eintritt der Genehmigung entgegen, nicht aber der Vereinbarung der Pflicht des Käufers, den Kaufpreis vorauszuzahlen.329 Der Gesetzeszweck kann im Fall dennoch erbrachter Leistungen sogar die Rückforderbarkeit gebieten,330 beispielsweise die Möglichkeit der Räumungsklage gegen den Bestandnehmer oder Käufer vor Entscheidung der Grundverkehrsbehörde,331 sodass ein Verzicht auf die Rückabwicklung für die Dauer der Schwebe unwirksam ist. Einer Kondiktion stünde dann auch das Bewusstsein der Bedingtheit der Verpflichtung bei Zahlung nicht entgegen (anders bei Parteibedingungen gem § 1434 iVm § 1432, vgl Rz 56). Irrtümlichkeit der Leistung ist in diesen Fällen gesetzlich missbilligter Vorleistungen allerdings ohnedies nicht Voraussetzung der Kondiktion, wenn man richtigerweise § 877 (statt § 1431) als Anspruchsgrundlage für die Rückforderung von Leistungen auf rechtsbedingt unwirksame Verpflichtungen ansieht.332 Jedenfalls verfehlt (und offenbar eine Nachwirkung der früheren Rsp, die genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäfte als auflösend bedingt ansah333), ist daher der generelle Ausschluss der Rückforderung von im Schwebezustand erbrachten Leistungen bis zur Versagung der Geneh­migung,334 da diese Rsp teils mit dem genannten Normzweck in Widerspruch steht, der die Rückforderbarkeit bestimmter Leistungen im Schwebezustand gebietet, teils mit § 1434 unvereinbar ist,335 sofern eine Vorausleistung zwar wirksam vereinbart werden hätte können, die Leistung aber ohne eine solche Vereinbarung in Unkenntnis des Schwebezustands erbracht wurde. Nur wenn im letztgenannten Fall – in dem mE die Kondiktion nach § 1431 einschlägig ist, weil eine Vorleistung vereinbart werden könnte, die aufschiebende Bedingtheit der konkreten Verpflichtung also vom Gesetz nicht zwingend angeordnet ist – in Kenntnis des Schwebezustands geleistet wurde, ist eine Kondiktion vor dessen Ende tatsächlich ausgeschlossen (§ 1434 iVm § 1432), etwa bei Zahlung des aufschiebend bedingt geschuldeten Kaufpreises trotz Kenntnis von der Bewilligungsbedürftigkeit des Vertrags.336 Der Schwebezustand endet durch Genehmigung, durch die Feststellung, 86 dass der Vertrag keiner Genehmigung bedarf oder durch Versagen der Geneh328 

Es sei denn, diese ist für die Herbeiführung der Genehmigung notwendig, s Rz 84. Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 5; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 10; krit allerdings Fischer/Lukas, Handbuch 167. Wie hier OGH 7 Ob 821/82, SZ 56/194; 2 Ob 365/97b, ZfRV 2000, 189. 330  So wohl Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 17. 331  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 17. AA offenbar OGH 8 Ob 58/69, SZ 42/49; 3 Ob 530/82, MietSlg 34.045; 1 Ob 136/07t. 332  Vgl Bollenberger in KBB3 § 877 Rz 1 f (Anwendung von § 877 im Fall der Geschäfts­ unfähigkeit). 333  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 17. 334  So aber OGH 1 Ob 32/79, SZ 52/165 = JBl 1981, 148; 2 Ob 365/97b, ZfRV 2000, 189. 335  Vgl F. Bydlinski, FS Ostheim 72; Markl/Oberhofer, wobl 1992, 176; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 17. 336  OGH 8 Ob 605/88, MietSlg 41.046. 329 

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migung.337 Er lebt aber wieder auf, wenn der VwGH oder der VfGH den versagenden Bescheid aufhebt,338 es sei denn, nach dem Parteiwillen war ein Festhalten am Vertrag nach rechtskräftiger Versagung der Genehmigung nicht beabsichtigt.339 Nach neuerer Rsp soll der Schwebezustand schon während des Verfahrens vor dem VwGH340 oder VfGH341 wiederbestehen, selbst wenn der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.342 Wird die Beschwerde abgewiesen, so ist das Geschäft endgültig unwirksam343 und kann (außer bei neuerlicher Einigung der Parteien) auch nicht mehr einem weiteren Genehmigungsverfahren – etwa aufgrund geänderter Sachlage – unterzogen werden.344 Nach dem Zweck der Bewilligungsbedürftigkeit, subsidiär nach dem Parteiwillen, zB nach einer gerade für den Fall des Versagens der Genehmigung getroffenen Vereinbarung,345 ist die Frage zu beantworten, ob das Geschäft zur Gänze oder nur zum Teil unwirksam ist.346 Nachwirkende vertragliche Treuepflichten bestehen idR nicht.347 Ob die Rechtsfolgen des Bedingungseintritts oder -ausfalls rückwirkend eintreten, ist bei Rechtsbedingungen in erster Linie nach der (zwingenden) gesetzlichen Anordnung und erst subsidiär (bei deren Unergiebigkeit) nach der Absicht der Parteien zu beurteilen. Auf einer gesetzlichen Grundlage wäre sogar eine sachenrechtliche ex-tunc-Wirkung der Bewilligung theoretisch möglich.348 Wo die Gesetze ein Rechtsgeschäft bei Versagung der Genehmigung für „rückwirkend unwirksam“ erklären,349 ist allerdings häufig nur gemeint, dass der aufschiebend bedingte Vertrag (endgültig) unwirksam bleibt.350 Eine ohne die erforderliche Genehmigung im Grundbuch durchgeführte Eintragung ist zu löschen.351 Wurden während schwebender Unwirksamkeit bereits Leis­ tungen erbracht, so erfolgt die Rückabwicklung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen, konkret nach § 877 (condictio sine causa),352 sofern es sich um von Gesetzes wegen aufschiebend bedingte Verpflichtungen handelt (s auch Rz 85). Nach § 18 Abs 2 oöGVG 1994 kann der hinsichtlich der Genehmi337  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV §  897 Rz  11. OGH 1 Ob 520/89, SZ 62/42; 1 Ob 562/91, SZ 64/56; 8 Ob 595/92, SZ 66/133 = EvBl 1994/66; 4 Ob 185/00k, wobl 2002/12. 338  Markl/Oberhofer, wobl 1992, 178; Fischer/Lukas, Handbuch 171. OGH 2 Ob 217/01b, MietSlg 55.812. 339  F. Bydlinski, FS Ostheim 46 ff; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 11. 340  OGH 1 Ob 531/85, MietSlg 37.070. 341  OGH 5 Ob 638/88, NZ 1989, 185. 342  OGH 5 Ob 638/88, NZ 1989, 185. 343  Fischer/Lukas, Handbuch 171. 344  VfGH B 183/85, NZ 1988, 160 = VfSlg 10.920/1986. 345  ZB OGH 10 Ob 502/87, JBl 1990, 37 (Vereinbarung, dass bei Versagen der Bewilligung der Abtretung von GmbH-Anteilen nach DevG ein Deviseninländer in den Vertrag eintreten soll). 346  Fischer/Lukas, Handbuch 171; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 11. 347  OGH 8 Ob 510/90, SZ 63/72; 8 Ob 1518/96, NZ 1997, 87. 348  In Parteienbedingungen kann dagegen keine sachenrechtliche ex-tunc-Wirkung vereinbart werden; Rz 67. 349  ZB Art 2 Abs 1 BGBl 1993/260; § 15 Abs 2 oöGVG 1994. 350  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 11. Vgl OGH 7 Ob 672/86, SZ 60/6 = JBl 1987, 513; 5 Ob 638/88, NZ 1989, 185; 2 Ob 151/98i, EvBl 1998/207. 351  ZB Art 4 Abs 3 BGBl 1993/260; § 17 Abs 3 oöGVG 1994. 352  Fischer/Lukas, Handbuch 186. OGH 7 Ob 520/80; 8 Ob 1518/96, NZ 1997, 87.

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gungsbedürftigkeit oder -fähigkeit des Vertrags gutgläubige Veräußerer gegenüber dem Erwerber die Rückabwicklung verweigern, wonach es zur Versteigerung der vertragsgegenständlichen Liegenschaft kommt.353 Bei Arbeitsverträgen, die gegen das AuslBG verstoßen, ist gem § 29 leg cit eine Rückabwicklung im Ergebnis ausgeschlossen.354 Wurden aufgrund wirksam vereinbarter Vorleistungspflichten Leistungen erbracht, so sind diese nun gemäß §  1435 kondizierbar,355 da ein insofern auflösend bedingter Rechtsgrund weggefallen ist (zur teils aufschiebenden, teils auflösenden Bedingtheit Rz 32). Da Rechtsbedingungen auf zwingendem Recht beruhende Wirksamkeits- 87 voraussetzungen sind, ist ihr Erfordernis nicht abdingbar. Die Parteien können den Eintritt der Bedingung daher nicht für entbehrlich erklären oder „für eingetreten ansehen“. Daraus folgt, dass eine Vereitlung oder Verzögerung des Bedingungseintritts – anders als bei den Parteibedingungen – auch keine Ein­ trittsfiktion im Sinn eines Wirksamwerdens der Erfüllungsansprüche aus dem bedingten Geschäft (Rz 70 f) zur Folge haben kann,356 und zwar selbst dann nicht, wenn die behördliche Genehmigung bei einem genehmigungsbedürftigen Geschäft nachweislich erteilt worden wäre.357 Dem Normzweck, bestimmte Verträge einer verwaltungsbehördlichen Kontrolle zu unterziehen, wäre durch eine Handlung der Parteien und die bloß hypothetische Erteilung der Genehmigung noch nicht entsprochen, da die Bewilligungsbedürftigkeit idR auch eine besondere Rechtssicherheit oder gerade die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens garantieren soll. Die Bedingungsvereitlung macht nach allgemeinen Grundsätzen schadenersatzpflichtig.358 Für den Umfang des Schadenersatzes spielt es selbstverständlich eine Rolle, ob die Bedingung ohne vereitelnde Handlung eingetreten wäre oder nicht.359 Soweit die Fiktion des hypothetischen Bedingungseintritts nur als Denkmodell zur Berechnung des Schadenersatzes wegen schuldhafter Nichterfüllung verwendet wird,360 ist gegen sie nichts einzuwenden, da sie insoweit den allgemeinen Grundsätzen der Kausalitätsprüfung beim Schadenersatzanspruch entspricht.361 Die treuwidrige Herbeiführung einer Rechtsbedingung kommt wegen des vom Gesetz verfolgten und von den Parteien zu akzeptierenden Zwecks in aller Regel schon begrifflich nicht in Frage. 2. Bedingung und Befristung Befristung ist die von den Parteien dem Rechtsgeschäft beigefügte Neben- 88 bestimmung, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts erst mit einem be­ § 18 Abs 3 oöGVG 1994. Dazu Fischer/Lukas, Handbuch 189 f. Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 27. 355  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 10. 356  Knütel, JBl 1976, 623 f; F. Bydlinski, FS Ostheim 52; Markl/Oberhofer, wobl 1992, 179; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 20; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 39. 357  AA OGH 1 Ob 251/72, JBl 1973, 470; 4 Ob 599/79, SZ 53/140. 358  Knütel, JBl 1976, 624; Rummel, RdA 1979, 393; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 20. 359  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7. OGH 7 Ob 672/86, SZ 60/6 = JBl 1987, 513. 360  So von OGH 7 Ob 515/95. 361  Vgl Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 39. 353 

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stimmten Zeitpunkt beginnen (Anfangstermin) oder mit diesem enden (Endtermin) sollen (s §§ 704 ff; vgl auch die Kommentierung zu den §§ 902 ff). Zum Unterschied von der Bedingung ist der Eintritt des Ereignisses, das die Rechtsfolge auslösen soll, von vornherein sicher,362 wenn auch nicht bekannt sein muss, wann das Ereignis eintritt. Das „Ob“ ist bei der Befris­tung also gewiss, bei der Bedingung nicht, das „Wann“ kann hingegen bei beiden gewiss oder ungewiss sein.363 ZB kann ein Rechtsgeschäft mit dem Tod einer Person (dies certus an incertus quando) nicht bedingt, sondern nur befristet sein,364 mit ihrem noch ausstehenden 80. Geburtstag (dies incertus an certus quando) dagegen nur bedingt. Die Formulierung der Parteien kann manchmal irreführend sein, etwa wenn eine Bedingung als Zeitbestimmung formuliert ist („bis zu meiner Heirat“). Ist der Eintritt des Ereignisses objektiv ungewiss, so gilt eine als Befristung formulierte Abrede als Bedingung (vgl § 704).365 Selbst wenn der Eintritt oder Ausfall eines Ereignisses objektiv bereits 89 sicher ist, kann jedoch eine Bedingung vorliegen, nämlich dann, wenn den Parteien die objektiv sicheren Umstände nicht bekannt sind. Dies erhellt schon daraus, dass bei Kenntnis aller Kausalbeziehungen auch zukünftige Ereignisse möglicherweise objektiv im voraus feststehen, nach heutigem Kenntnisstand aber völlig ungewiss sind. Halten die Parteien dagegen subjektiv das Eintreffen oder Fortbestehen eines bestimmten, für ihre Einigung essentiellen Umstands für sicher, und knüpfen sie die Wirkungen des Rechtsgeschäfts derart an diesen Umstand, dass diese ohne jenen nicht eintreten sollen, so schaffen sie privatautonom eine Wirksamkeitsvoraussetzung für ihr Rechtsgeschäft. Beim Entfall oder schon anfänglichen Fehlen des vorausgesetzten Ereignisses fallen daher auch die daran gebundenen Rechtswirkungen automatisch weg. Das vorausgesetzte Ereignis wirkt daher auf das Rechtsgeschäft als Bedingung. Die schlüssige Vereinbarung einer derartigen Voraussetzung des Rechtsgeschäfts ist allerdings nur bei zweifelsfrei (§  863) beabsichtigten Bedin­ gungsfolgen anzunehmen. Im Zweifel liegt bloße Aufhebbarkeit vor (s auch Rz 107 ff; zur Voraussetzung als Bedingung bereits Rz 6 und 21). Ein Ereignis, von dessen Eintreffen die Parteien überzeugt sind, kann bei unvorhergesehenem Ausfall nach der Absicht der Parteien aber nicht nur als echte Voraussetzung der Wirkungen des Geschäfts iS einer Bedingung, sondern auch bloß als Zeitbestimmung unter Zuhilfenahme eines ansonsten nicht wesentlichen Ereignisses zu verstehen sein. Wenn zB eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung „am Tag des Wiener Donauinselfests“ zu erfüllen ist, kann die Absage des Fests die Verpflichtung entfallen lassen oder aber die Festlegung eines Ersatztermins nötig machen, je nachdem ob die Parteien die Verpflichtung als vom Ereignis des Fests abhängige ansahen oder nicht. War das als sicher empfundene Ereignis als Anfangstermin vereinbart, so kann daher bei Ausfall des Ereignisses die Vertragsauslegung ergeben, dass das RechtsgeKoziol/Welser13 I 196; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 2. So Koziol/Welser13 I 196. 364  Vgl VwGH MietSlg 41.655 (mit dem Tod des Verkäufers aufschiebend „bedingter“ Kaufvertrag). 365  Gschnitzer in Klang2 III 682 ff; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 13. 362  363 

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schäft nie wirksam werden soll, wie beim Ausfall einer aufschiebenden Bedingung, oder dass ein anderer Termin nach dem hypothetischen Parteiwillen zu bestimmen ist. Beim unerwarteten Ausfallen eines Endtermins ist nach dem Vertragszweck zu entschieden, ob das Rechtsgeschäft auf Dauer wirksam bleiben soll, wie beim Ausfall einer auflösenden Bedingung, oder ob es zu einem anderen bestimmbaren Termin enden soll. Es stellen sich hier ähnliche Auslegungsfragen wie bei unvorhergesehenen Gründen für den Eintritt oder Ausfall einer Bedingung (s Rz 63 und 70). Sogenannte notwendige Bedingungen, das sind Ereignisse, deren Eintritt 90 offensichtlich unausbleiblich ist, sind als Befristungen zu behandeln,366 wenn die Auslegung des Parteiwillens eine Befristung als gewollt erscheinen lässt.367 Nicht jede Bedingung schließt automatisch auch eine Befristung ein.368 Bei eigentlichen Bedingungen ist es vielmehr eine Auslegungsfrage, ob die Wirkungen des Bedingungseintritts oder – ausfalls sofort mit dessen Feststehen (Bedingung ohne Befristung) oder erst nach (zusätzlichem) Verstreichen einer im Vertrag für den Bedingungseintritt vorgesehenen Zeit (Bedingung mit Befristung) eintreten sollen. Als Beispiel kann auf die schon von den römischen Juristen diskutierte Frage verwiesen werden, ob die Verpflichtung zur Zahlung einer Summe im Fall der Nichtübergabe einer Sache bis zu einem bestimmten Zeitpunkt sofort fällig werde, wenn durch Untergang der Sache feststehe, dass diese nicht übergeben werden könne, oder ob nach Eintritt der Bedingung noch eine Befristung der Verpflichtung übrig bleibe369 (vgl Rz 64). Von § 899 wird vermutet, dass im Zweifel in jeder eigentlichen Bedingung (abgesehen von bestimmten Potestativbedingungen370) auch eine uneigentliche Bedingung (Gegenwartsbedingung, Rz 40 ff) enthalten sei, sodass die Wirkungen des Bedingungseintritts auch schon von Anfang an bestehen können. Nach dieser Auslegungsregel des § 899 enthalten Bedingungen daher im Zweifel keine Befristungen, sondern ist mangels gegenteiliger Hinweise davon auszugehen, dass den Parteien nicht wichtig sei, wann die Wirkung der Bedingung eintrete (s Rz 2 zu § 899). Im Hinzufügen einer exakten Zeitangabe kann allerdings ein solcher Hinweis auf eine Befristung zu sehen sein. Die Rechtsfolgen der Befristung ähneln in mancher Hinsicht denen der 91 Bedingung.371 Je nachdem, ob ein Anfangs- oder Endtermin bestimmt wurde, ist die Befristung einer aufschiebenden oder einer auflösenden Bedingung vergleichbar. Vorwirkende Pflichten zur Sicherstellung der eigenen Leistungsbereitschaft (vgl Rz 50) bestehen bei Befristung sogar umso eher, als die aufgeschobene Leistungspflicht oder Rückabwicklung ja bereits sicher ist. Soweit bei der Bedingung die Vorwirkungen jedoch auf der Unsicherheit während des Vgl Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 3. OGH 3 Ob 36/70, EvBl 1970/284. Hasenöhrl, Obligationenrecht I2 521. 368  So aber Koziol/Welser13 I 196 und Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 897 Rz 2 (letzterer in Bezug auf eigentliche Bedingungen). 369  D 45, 1, 8 (Paulus libro secundo ad Sabinum). 370  Nämlich solchen, die in einer Handlung des Begünstigten bestehen und von diesem wiederholt werden können (s § 899); vgl die Kommentierung zu § 899. 371  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 13. 366  367 

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Schwebezustands beruhen, entfallen sie bei der Befristung.372 Eine Vereitlung des Termins kommt nicht in Frage, wohl ist bei noch offenem Zeitpunkt jedoch eine treuwidrige Verzögerung oder Beschleunigung denkbar, deren Folge Schadenersatzpflicht und nach dem hypothetischen Parteiwillen auch die Fik­ tion des Eintritts des Ereignisses zu einem anderen Zeitpunkt sein kann (vgl Rz 70 zur Eintrittsfiktion bei Bedingung). Die Vereinbarung einer (obligatorischen) Rückwirkung wird bei einer Befristung wohl seltener als bei einer Bedingung (Rz 66) vorkommen.373 Im Zweifel ist von bloßer ex-nunc-Wirkung auszugehen. Eine dingliche Rückwirkung der Rechtsänderung kann von den Parteien nicht wirksam vereinbart werden (s Rz 67). Absolut bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte (zB Statusverträge wie 92 Eheschließung und Adoption, bestimmte Prozesshandlungen, etc; vgl Rz 75) sind in der Regel auch befristungsfeindlich.374 Die aufgrund des Bedürfnisses des Vertragspartners nach sofortiger Rechtsklarheit oft im Einzelfall bedingungsfeindlichen einseitig gestaltenden Rechtsgeschäfte (zB Kündigungen, s Rz  76 f) können insofern wirksam befristet werden, als dadurch der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Gestaltung für den Betroffenen annähernd feststeht.375 Überlange Vertragsbindungen können wegen Knebelung sittenwidrig sein.376 Ausdrückliche gesetzliche Befristungsverbote und -beschrän­ kungen finden sich meist als relativ zwingendes Recht zum Schutz eines Vertragspartners, wie zB die Befristungsbeschränkungen für Mietverträge in § 29 MRG oder für Arbeitsverträge in § 1158.377 Die Rechtsfolgen der Beisetzung einer unwirksamen Befristung sind wie bei der Bedingungsfeindlichkeit (Rz 74) nach dem Zweck des jeweiligen Verbots zu bestimmen.378 3. Funktionsähnliche rechtsgeschäftliche Tatbestände a) Allgemeine Überlegungen 93

Die Bedingung, definiert als rechtsgeschäftliche Gestaltung von Rechtswirkungen in Abhängigkeit von bestimmten Ereignissen (vgl Rz 1), stellt ein sehr allgemeines Phänomen der Rechtsgeschäftslehre dar. Sie tritt in Rechtsgeschäften in vielerlei Gestalt auf. Gleichzeitig finden sich im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften auch zahlreiche andere Rechtsinstitute mit ähnlichen Funktionen im Bereich der Anpassung der Wirkungen des Geschäfts an für die Parteien relevante Umstände. Zu orientieren hat sich die Abgrenzung einer Bedingung von vergleichbaren Tatbeständen der Rechtsgeschäftslehre in jedem Fall an ihrem Charakteristikum, Rechtswirkungen des Geschäfts priRummel in Rummel3 I § 897 Rz 13. Vgl Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 13. 374  Koziol/Welser13 I 197. 375  Vgl Spenling in KBB3 § 1158 Rz 10. 376  Nw bei Bollenberger in KBB3 § 879 Rz 7. 377  Vgl Krejci in Rummel3 I §  1158 Rz  6  ff; Neumayr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1158 Rz 12 ff. 378  Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 13. 372  373 

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vatautonom unmittelbar an das Vorliegen eines bestimmten Umstands zu binden (Rz  2). Der Beginn oder Wegfall der bedingten Rechtswirkung soll nach dem Willen der Parteien automatisch mit dem Eintritt oder Ausfall des bedingenden Ereignisses stattfinden, ohne dass es einer nochmaligen Entscheidung einer Partei durch Geltendmachung dieses Umstands bedarf. Als Bedingung ist daher nur jenes Ereignis zu bezeichnen, das nach der Parteienabsicht direkten Einfluss auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts ausübt. Die Abgrenzung der Bedingung ist einerseits auf der Ebene der Gesetzes­ 94 auslegung begrifflich im Verhältnis zu anderen rechtsgeschäftlichen Tatbe­ ständen vorzunehmen, die vergleichbare Rechtsfolgen, also ebenfalls eine unmittelbarer Wirkung auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts oder einer Pflicht, vorsehen (Rz  95 f). Andererseits sind auf der Ebene der Vertragsauslegung Kriterien für die Abgrenzung einer echten Bedingung von der Bezugnahme der Parteien auf bestimmte Umstände mit anderen Rechts­ folgen als jenen einer Bedingung zu entwickeln (Rz 97). Bei Abgrenzung der Bedingung iSd §§  897 ff von anderen gesetzlich 95 vorgesehenen rechtsgeschäftlichen Instituten mit unmittelbarem Einfluss auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts können grundsätzlich zwei verschiedene Richtungen eingeschlagen werden: Man kann einerseits den Begriff der Bedingung eher eng fassen, indem man Tatbestände mit ähnlichen Rechtsfolgen für das Rechtsgeschäft als spezielle, die Bedingungsregeln verdrängende Regelungen auffasst. Bedingungen sind dann als Restgröße nur jene vom Parteiwillen abhängigen Wirkungsbeschränkungen des Rechtsgeschäfts, die sich nicht unter einen dieser anderen Tatbestände subsumieren lassen. Nach dem Gesetz beseitigt etwa die Ausübung eines vereinbarten oder im dispositiven Recht vorgesehenen Rücktrittsrechts unmittelbar die vertraglichen Verpflichtungen, ebenso wie der Eintritt einer auflösenden Bedingung. Sieht man die Regelungen über die Bedingung als subsidiär gegenüber den Regelungen über Rücktrittsrechte an, so kann man das Rücktrittsrecht nicht gleichzeitig als Bedingung verstehen. Man kann andererseits den Begriff der Bedingung aber auch weit verstehen als Überbegriff für alle nach dem Parteiwillen die Wirkung des Rechtsgeschäfts beschränkenden Umstände. Diesem Begriffsverständnis ist mE der Vorzug zu geben. Nur auf diese Weise können nämlich die Erkenntnisse der Bedingungslehre, wie zB die Bestimmung vorwirkender Sorgfaltspflichten der Parteien vor Bedingungseintritt, für zahlreiche vergleichbare Situationen in Rechtsgeschäften fruchtbar gemacht werden, freilich den Besonderheiten der jeweiligen Interessenlage angepasst. Nach der hier vertretenen Auffassung sind daher zB Gestaltungsrechte wie ein Rücktrittsrecht oder eine Option als Bedingungen einzuordnen und grundsätzlich nach den Regeln der §§ 897 ff zu behandeln (vgl unten Rz 98 bis 103). Unter rechtssystematischen Gesichtspunkten sind zahlreiche Tatbestände 96 des dispositiven Rechts, die die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften an bestimmte Ereignisse binden, als Bedingungen aufzufassen, da die dispositive Anordnung der Abhängigkeit des Rechtsgeschäfts von diesen Ereignissen meist nichts anderes als die gesetzliche Vermutung eines entsprechenden, auf Bedingung des Rechtsgeschäfts mit diesen Ereignisssen gerichteten, hypothetischen Parteiwillens ist. In der von § 1048 und § 1447 vorgesehenen automa67

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tischen Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts bei nachträglichem Unmöglichwerden der Erfüllung einer Verpflichtung kann die dispositive Anordnung einer auflösenden Bedingung gesehen werden. Ist das Erlöschen der unmöglich gewordenen Verpflichtung selbst noch als logische und nicht als privatautonom bestimmte Folge zu begreifen, so stellt das automatisch eintretende Erlöschen auch der Gegenleistungspflicht eine letztlich direkt oder indirekt (über dispositives Recht) auf den Parteiwillen zurückführbare Konsequenz dar, die als (stillschweigende) Bedingung der Leistungspflicht mit der Möglichkeit der Erbringung der Gegenleistung interpretiert werden kann. Aus der Bedingungslehre lassen sich daher zB vorwirkende Pflichten (Rz 50, 58) der Parteien für den Fall der Notwendigkeit der Rückabwicklung (§ 1447) ableiten, sobald den Parteien Umstände bekannt werden, die auf ein bevorstehendes Unmöglichwerden einer Verpflichtung hindeuten. (Indem der Gesetzgeber für den Fall vertragswidriger Vereitlung der Erfüllung, also der treuwidrigen Herbeiführung der auf dispositivem Recht beruhenden auflösenden Bedingung, nicht die automatische Auflösung des Vertrags, sondern (zunächst) dessen Aufrechterhaltung anordnet (§ 920), verwirklicht er inhaltlich die Grundsätze der Ausfallsfiktion der Bedingung; Rz 70.) Auch die Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung im Synallagma kann als Bedingung der Fälligkeit der einen Verpflichtung mit der Bereitschaft zur Erfüllung der Gegenleistung verstanden werden (§ 1052). Bei Erhebung der Zug-um-Zug-Einrede erfolgt die Verurteilung nicht unbedingt.379 Ob von den Parteien bei Aufnahme eines für ihre rechtsgeschäftliche Bin97 dung relevanten Ereignisses in den Vertrag überhaupt bedingungsgleiche Rechtsfolgen beabsichtigt werden, kann nur durch Vertragsauslegung festgestellt werden. So kann die Erwähnung eines Verwendungszwecks im Vertrag je nach Auslegung bei Zweckverfehlung zum automatischen Entfall der Vertragswirkungen (also Bedingung) oder bloß zur Anfechtbarkeit des Vertrags führen, oder auch überhaupt keine Rechtsfolgen nach sich ziehen. Ergibt die Auslegung, dass vom Vorliegen des Umstands nach dem Parteiwillen unmittelbar die Wirksamkeit eines Rechts abhängen soll, liegt Bedingung vor. Bestehen die rechtsgeschäftlichen Wirkungen dagegen auch im Fall des Ausfalls des Ereignisses weiter, so sind sie zwar nicht mit diesem bedingt, können aber uU – etwa bei Irrtum, Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl Rz 106 ff) oder Nichteinhaltung einer Leistungszusage (vgl Rz 104) – durch Ausübung eines Gestaltungsrechts beseitigt werden. b) Angebot, Option, Vorvertrag 98

Da eine Potestativbedingung (Rz 35 ff) auch in der Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung durch eine Partei bestehen kann, besteht zwischen Bedingungen und Gestaltungsrechten kein Gegensatz.380 Von einem Gestaltungsrecht ist mE allerdings nur auszugehen, wenn die Partei in der Herbeiführung Apathy in KBB3 § 1052 Rz 3. Zur Abgrenzung F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 562 f; P. Bydlinski, Gestaltungsrechte 247 ff; Risak, Entgeltgestaltung 17 ff. 379  380 

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der Bedingung rechtlich frei ist, da es zum Wesen eines subjektiven Rechts gehört, über dessen Ausübung in einem bestimmten Rahmen nach eigenem Willen entscheiden zu dürfen (vgl schon Rz 4 und 37). Dies ist bei der Willkürbedingung der Fall. Sie räumt der Partei ein Gestaltungsrecht zur Herbeiführung oder Beendigung der bedingten Rechtswirkungen des Rechtsgeschäfts ein. Ein Angebot bindet zunächst nur den Offerenten, während an den beding- 99 ten Vertrag schon beide Parteien gebunden sind (Rz 49). Die Offerte an sich ist idR381 unbedingt. Der aufschiebend bedingte Vertrag nähert sich allerdings der Lage bei einer bloßen Offerte an, wenn eine echte Wollensbedingung (Rz 36) vorliegt, durch die der Bedingungseintritt und damit das Wirksamwerden des Vertrags dem freien Willen eines Vertragspartners überlassen bleiben, der zu ihrer Herbeiführung nicht verpflichtet ist. Ein solcherart bedingter Vertrag räumt einem Vertragspartner das Gestaltungsrecht auf Herbeiführung seiner endgültigen Bindung an den Vertrag ein (zB Kauf auf Probe, § 1080). Zum Angebot mit langer Bindungsdauer besteht der Unterschied daher in der früheren Willenserklärung des entscheidungsberechtigten Teils beim bedingten Vertrag, der auch schon zum früheren Zeitpunkt zustande kommt. Formvorschriften, soweit sie eine Warnfunktion erfüllen, wie § 1346 Abs 2, weiters die Geschäftsfähigkeit und andere Wirksamkeitsvoraussetzungen, müssen (auch) bei der zweiten Willenserklärung beachtet werden, da die erste Willenserklärung ja noch keine endgültige Bindung erzeugte (Rz 65). Die Abgrenzung des Eintritts der Wollensbedingung von der Annahme eines Angebots ist daher eher von theoretischer Bedeutung (vgl auch Rz 100). Unter Option wird ein Vertrag verstanden, der einer Partei das Recht ein- 100 räumt, ein inhaltlich vorausbestimmtes Schuldverhältnis in Gang zu setzen. Sie gewährt also ein Gestaltungsrecht.382 Anders als der Vorvertrag gibt sie nicht bloß ein Recht auf Abschluss eines Hauptvertrages; ihre Ausübung begründet schon unmittelbar die vertraglichen Pflichten.383 Der durch die Option angebotene Vertrag kann von einem aufschiebend bedingt geschlossenen Vertrag dadurch abgegrenzt werden, dass er nach dem Verständnis der Parteien erst in der Zukunft geschlossen wird. Insofern wird die Option auch manchmal als Offerte mit verlängerter Bindungswirkung bezeichnet.384 Eine klare Abgrenzung von einem schon im „Optionsvertrag“ aufschiebend bedingt vereinbarten Hauptvertrag ist mE jedoch kaum möglich, da auch der Optionsvertrag den Optionsgeber selbstverständlich bereits zu bestimmten Sorgfaltspflichten (Vorkehrungen für die spätere Erfüllbarkeit, keine Vereitlung der Option) verpflichtet, die den Vorwirkungen bei Schwebe einer Bedingung (Rz 49 ff) ähneln. Vor Ausübung der Option bestehen, wie bei aufschiebend bedingten Verträgen, jedenfalls noch keine Ansprüche auf Erfüllung des Hauptvertrags.385 Grundsätzliche Unterschiede in den Rechtsfolgen können daher mE nicht behauptet werden, wohl kommt es dagegen auf die jeweilige konkrete Vertrags381 

Vgl aber Rz 19. Koziol/Welser13 I 143. OGH 4 Ob 159/01p, SZ 74/152 = JBl 2003, 243. 383  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 791 mwN; Aicher in Rummel3 I § 1072 Rz 33. 384  Koziol/Welser13 I 143. 385  OGH 4 Ob 159/01p, SZ 74/152 = JBl 2003, 243. 382 

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gestaltung an. Ist diese im einzelnen aber nicht ergiebig, so ist einer Harmoni­ sierung der Rechtsfolgen der Vorzug zu geben, zB bei der Lösung des Problems von Äquivalenzverschiebungen vor Ausübung der Option bzw vor Eintritt der Potestativbedingung. Der von den Parteien verfolgte Zweck, einem Teil ein späteres Entscheidungsrecht über die Geltung eines inhaltlich vor­ bestimmten Vertrags einzuräumen, ist nämlich beim Vertrag unter aufschiebender Wollensbedingung, beim Optionsvertrag und auch bei der Offerte (s Rz 100) derselbe.386 Zu Recht wird von Bydlinski für die Äquivalenzprüfung im Rahmen der §§  934  f bei langfristiger Offerte und bei Option in diesem Sinn übereinstimmend auf den späteren Zeitpunkt (Annahme bzw Optionsausübung) abgestellt.387 Für den unter aufschiebender Wollensbedingung stehenden Vertrag kann mE nichts anderes gelten, relevanter Zeitpunkt ist derjenige der Ausübung des Gestaltungsrechts. Der Vorvertrag ist ein (idR) unbedingter388 Vertrag, dessen Inhalt die Ver101 pflichtung zum Abschluss des Hauptvertrages ist. Seine Wirksamkeit ist aufgrund des Gesetzes allerdings befristet (auf ein Jahr; Präklusion).389 Dass Vorverträge gem § 936 Satz 1 unter der clausula rebus sic stantibus stehen, macht sie insofern nicht zu bedingten, sondern allenfalls bloß anfechtbaren Verträgen.390 Auch der Hauptvertrag ist zum Zeitpunkt des Vorvertrags nicht etwa als (aufschiebend) bedingt geschlossen anzusehen, und zwar deshalb, weil die auf seinen Abschluss gerichteten Willenserklärungen erst später abgegeben werden sollen. Weil die Verpflichtung zu seinem späteren Abschluss bereits für beide Parteien eine unbedingte ist, fehlt dem Vorvertrag die Unsicherheit des Bindungswillens einer Partei, die für Offerte, Option und Wollensbedingung (Rz 99 f) charakteristisch ist, die alle drei einem der Vertragspartner ein Gestaltungsrecht bezüglich des Eintritts der aufgeschobenen Vertragswirkungen einräumen. Unterschiede in den Rechtsfolgen des aufgrund eines Vorvertrags abzuschließenden Hauptvertrags zum aufschiebend bedingten Vertrag können daher durchaus sachgerecht sein.391 c) Rücktrittsrecht und Widerrufsvorbehalt, Auflage 102

Ein Rücktrittsrecht oder Widerrufsvorbehalt gewährt der berechtigten Partei ein Gestaltungsrecht, durch dessen Ausübung sie die Wirkungen eines Vertrags beenden kann. Dieselbe Rechtsfolge wird durch den Eintritt einer auflö­ senden Wollensbedingung, dh einer im Belieben der Partei stehenden Potes­ tativbedingung, ausgelöst (Rz  98). Ein vereinbartes Rücktrittsrecht oder ein Widerrufsvorbehalt kann daher als eine derartige auflösende Bedingung verstanden werden (Rz 36 f). Das Ereignis, von dessen Eintritt die Auflösung des So F. Bydlinski, FS Georgiades 66 f, zu den beiden letztgenannten Instituten. F. Bydlinski, FS Georgiades 67, zust zu OGH 4 Ob 159/01p, SZ 74/152 = JBl 2003, 243. 388  Vgl zu einem mit der künftigen Zulässigkeit der vorgesehenen Rechtseinräumung bedingten Vorvertrag OGH 4 Ob 20/03z, immolex 2004, 27 (Pfiel). 389  P. Bydlinski in KBB3 § 936 Rz 5. 390  Vgl Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 13. 391  Vgl F. Bydlinski, FS Georgiades 67, bzgl des maßgeblichen Zeitpunkts für die Äquivalenzfeststellung bei laesio enormis (Abschluss des Vorvertrags vs Ausübung der Option). 386  387 

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Rechtsgeschäfts abhängig gemacht wird, ist die Ausübung des Gestaltungsrechts selbst, dh die Willenserklärung der berechtigten Partei. Auch die einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft beigefügte Auflage392 103 schafft einen Auflösungsgrund für das Rechtsgeschäft. Nach überwiegender Meinung393 begründet sie – anders als die Bedingung – eine Verpflichtung des Begünstigten, auf deren Zuhaltung geklagt werden kann. Wie sich dies mit der Anordnung in § 709 vertragen soll, nach der die Nichterfüllung der Auflage als auflösende Bedingung wirken soll, ist mE unklar. Die Vertreter der Meinung, es handle sich um eine einklagbare Verpflichtung, gehen nämlich gleichzeitig von der auflösenden Wirkung der Nichteinhaltung aus.394 Diese müsste jedoch automatisch bei Nichterfüllung eintreten, wodurch für die klagsweise Geltendmachung keine Zeit bliebe. Jedenfalls kommt es für die Rechtsfolgen auf den Grund der Nichteinhaltung der Auflage an,395 anders als im Regelfall (vgl aber Rz 63) bei Ausfall der Bedingung. d) Leistungszusage und Obliegenheit Wird im Vertrag auf eine von einem Teil vorzunehmende Handlung Bezug 104 genommen, so kann Unklarheit darüber entstehen, ob der Vertrag mit der Vornahme der Handlung bedingt geschlossen wurde (iS einer Potestativbedingung, deren Herbeiführung in der Macht einer Partei liegt, Rz 35) oder ob eine bloße Leistungszusage vorliegt. Die Unterscheidung kann nicht danach getroffen werden, ob nach dem Vertrag die Vornahme der entsprechenden Handlung vorgeschrieben war oder nicht,396 da auch die Herbeiführung von Potestativbedingungen nach der Parteienabsicht im Einzelfall geboten sein kann (nämlich, wenn es sich nicht um echte Willkürbedingungen handelt, Rz 36); sie hat sich vielmehr daran zu orientieren, welche Rechtsfolge von den Parteien für den Fall des Ausbleibens der Handlung vorgesehen wurde: Soll der Vertrag in diesem Fall automatisch seine Wirkung verlieren, liegt die Vereinbarung der Handlung als Bedingung vor. Fehlt es an dieser spezifischen Rechtsfolgenvereinbarung, so handelt es sich im Zweifel nur um die Festlegung einer Leistungspflicht, bei deren Nichterfüllung (nur) die Regeln des Leistungsstörungsrechts eingreifen.397 Soll nach dem Willen der Parteien bei Nichterbringung der Leistung auf Zuhaltung geklagt werden können, handelt es sich um eine bloße Leistungszusage, da die Klage auf Erfüllung ein Fortbestehen der vertraglichen Pflichten nach Ausfall der vereinbarten Handlung voraussetzt. Der OGH hat beispielsweise in der Zusage des Vermieters, in der gemieteten 392  Das ABGB verwendet die Bezeichnung „Auftrag“, die jedoch wegen der Gefahr der Verwechslung mit dem Auftragsvertrag (§§ 1002 ff) zu vermeiden ist (Koziol/Welser13 I 197). 393  Apathy in KBB3 §  709 Rz  2; Koziol/Welser13 I 198. AA Chr. Rabl, Die Nichterfüllung letztwilliger Auflagen, NZ 1998, 97 (99 ff), für den sich aus dem Gesetz die Einklagbarkeit einer Auflage gem § 709 nicht ableiten lässt. 394  Apathy in KBB3 § 709 Rz 4; Koziol/Welser13 I 198. 395  Koziol/Welser13 I 198; II, 501. GlU 2666; 15.660. 396  AA Gschnitzer in Klang2 III 662 f. 397  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2. Vgl auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 7.

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Wohnung vor Übernahme derselben durch den Mieter Verbesserungsarbeiten durchführen zu lassen, eine aufschiebende Bedingung des Bestandvertrags gesehen,398 wohl weil nach dem Vertrag von einem Interesse des Mieters an der unrenovierten Wohnung keinesfalls ausgegangen werden konnte. Für die Einordnung einer Zusage als Bedingung ist ein entscheidendes Kriterium, ob das Interesse einer Partei am Vertrag für den Fall, dass die Zusage nicht eingehalten wird, von vornherein ausgeschlossen erscheint. Denn die automatische Wirkung der Bedingung gewährt auch der Partei, in deren vorwiegendem Interesse die Bedingung beigefügt wurde, keine Gestaltungsmöglichkeit mehr. Ist daher nach der Vereinbarung ein Festhalten am Vertrag auch bei Wegfall des Ereignisses denkbar, so ist der Partei durch ein subjektives Recht (auf Rücktritt) mehr gedient, über dessen Ausübung sie noch frei entscheiden kann. Das typischerweise fehlende Interesse an einer verspäteten Erfüllung beim sog relativen Fixgeschäft war zweifellos ausschlaggebend für die dispositive Anordnung der auflösenden Bedingtheit des Vertrags mit der nicht zeitgerechten Erfüllung (§ 919).399 Die Rechtsfolge der Aufhebung des Vertrags tritt bereits mit Verzug, also dem Eintritt der Bedingung, ein, ohne dass es einer Rücktrittserklärung bedarf. Die Abgrenzung hat stets nach dem Zweck der Abrede, nie nur nach der 105 wörtlichen Formulierung zu erfolgen. Soll nach der Parteienübereinkunft eine bestimmte Handlung des Begünstigten „Bedingung“ für seinen Anspruch sein, kann die Auslegung auch ergeben, dass es sich in Wahrheit um eine Obliegen­ heit des Berechtigten handelt, deren Verletzung nicht automatisch den Verlust seines Anspruchs zur Folge hat. Wurden zB Garantieleistungen im Vertrag unter der „Bedingung“ der sofortigen Verständigung vom Garantiefall durch den Garantienehmer zugesagt, so kann der Zweck dieser Bestimmung richtigerweise in der Vermeidung von späteren Streitigkeiten über das Vorliegen eines Garantiefalls zu sehen sein, sodass den Berechtigten bei Unterlassen der Verständigung jedenfalls die volle Beweislast für den Garantiefall trifft, im Fall des Gelingens dieses Beweises jedoch sein Anspruch gegen den Garanten aufrecht bleibt.400 e) Motiv, Irrtum, Geschäftsgrundlage 106

Nehmen die Parteien Zweckvorstellungen, Beweggründe oder andere nach ihren Vorstellungen für den Vertragsschluss bedeutende Umstände in den Vertragsinhalt auf, ohne die Rechtsfolgen im einzelnen zu regeln,401 so sind diese Umstände dadurch nicht immer zur Bedingung erhoben. Zunächst gewährleistet die Aufnahme eines Umstands in den Vertrag, etwa in Form einer Zweckabrede, dass bei der Vertragsauslegung (§  914) auf ihn Bedacht genommen wird.402 Bezieht sich die Abrede auf eine Handlung eines Vertragsteils, so kann die Auslegung auch ergeben, dass eine Leistungszusage oder die Vereinbarung einer Obliegenheit vorliegt (s Rz 104 f). Ein Irrtum über einen zum Ver398 

1 Ob 514/81, MietSlg 33.136. P. Bydlinski in KBB3 § 919 Rz 1. 400  LG Krems 2 R 283/02h, KRES 3/115. 401  ZB OGH 8 Ob 96/72, EvBl 1973/27 (Eignung für Programmierkurs). 402  Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 1. 399 

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tragsbestandteil gemachten Umstand kann als Geschäftsirrtum zur Anfechtung oder Anpassung des Vertrags führen (§§ 871 f).403 Wurde ein relevanter Umstand von den Parteien überhaupt nicht zum Vertragsinhalt gemacht, kommt dessen Berücksichtigung mit Hilfe der Lehre zum Wegfall der Geschäfts­ grundlage in Frage.404 Zweifel darüber, ob ein Rechtsgeschäft mit einem bestimmten Ereignis 107 bedingt wurde oder das Ereignis allenfalls einen sonstigen Vertragsbestand­ teil in einem unbedingten Rechtsgeschäft darstellt, sind im Rahmen der Ver­ tragsauslegung zu klären.405 Um die charakteristische unmittelbare Wirkung der Bedingung auf ein Rechtsgeschäft zu erzielen, müssen von den Parteien Rechtswirkungen des Geschäfts direkt vom Vorliegen eines Umstands abhängig gemacht werden, ohne dass es nach ihrer Vorstellung noch einer Anfechtung oder sonstigen Geltendmachung bedarf (vgl Rz 2). Eine Bedingung setzt also eine spezifische Rechtsfolgenvereinbarung voraus.406 Diese kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch schlüssig (§ 863) getroffen werden. Die Vertragsauslegung wird allerdings, schon aufgrund der gemäßigten Rechtsfolgentheorie, nur selten Hinweise darauf ergeben, in welcher Form sich die Parteien die Berücksichtigung des Fehlens eines als relevant vereinbarten Umstands genau vorgestellt haben. Die automatisch durch den Bedingungseintritt oder -ausfall ausgelösten Rechtsfolgen werden wohl in der Parteienabrede eher die Ausnahme bilden. Zudem stellt der radikale Eingriff der Bedingung in die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts eine Gefahr für die Rechtssicherheit dar, die bei bloßer Anfechtbarkeit, etwa wegen Irrtums oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage, aufgrund des in ihr enthaltenen Fehlerkalküls nicht gegeben ist: Vor Anfechtung bzw nach Verstreichen einer Anfechtungsfrist ist jedenfalls von der Wirksamkeit des Vertrags auszugehen. Die Auswirkungen einer Bedingung auf das Rechtsgeschäft sind zudem idR vom Willen der Parteien unabhängig (anders nur bei den Potestativbedingungen, Rz 35 ff). Dies nimmt der durch den Wegfall des Umstands stärker betroffenen Partei die Möglichkeit, unter den geänderten Verhältnissen eine neuerliche Entscheidung über ihr Festhalten am Vertrag zu treffen, die ihr durch ein Gestaltungsrecht wie die Irrtumsanfechtung sehr wohl eingeräumt wird. Die Gewährung eines subjektiven Rechts ermöglicht es idR aufgrund der größeren Flexibilität in den Rechtsfolgen, die Interessen der Parteien besser zu berücksichtigen. Das gilt nicht nur für die Entscheidungsfreiheit, ein Gestaltungsrecht überhaupt auszuüben, sondern auch für die Wahlmöglichkeit zwischen Anfechtung und Anpassung des Vertrags. Auch diese Flexibilität spricht dafür, im Zweifel ein unbedingtes Geschäft anzunehmen.407 Nur wenn den Parteien ein Festhalten am Vertrag bei Ausfall des Ereignis- 108 ses offenbar von vornherein geradezu ausgeschlossen erschien, ist mE von Bedingtheit auszugehen. Das Interesse an einer weiteren Bindung muss so Vgl Fenyves in § 901 Rz 9, bzgl vereinbarter Motive. Fenyves in § 901 Rz 26. 405  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  897 Rz 7. OGH 1  Ob 514/81, MietSlg 33.136. 406  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2. 407  Ähnlich Gschnitzer in Klang2 IV/1, 329. Vgl auch Bork in Staudinger, BGB13 Vorbem zu §§ 158–163 Rz 11. 403  404 

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offensichtlich fehlen, dass selbst mit der Obliegenheit einer Anfechtung durch den Vertragspartner redlicherweise nicht gerechnet werden kann. Musste die am Wegfall der Vertragspflichten interessierte Partei nicht von der Notwendigkeit einer Klagsführung ausgehen, so ist die Annahme einer Bedingung sogar geboten, um ein den Parteien womöglich unbewusstes, durch Versäumen der Frist schließlich unanfechtbares Fortbestehen des nach der Parteienabsicht unerwünschten Vertrags zu verhindern. Dieses letztgenannte Argument ist freilich vor allem im Fall noch nicht in Vollzug gesetzter Verträge stichhaltig. Geht es um die Relevanz eines typischerweise erst nach Abwicklung auftretenden Ereignisses, ist eine Geltendmachung desselben idR schon aus Gründen der Rückabwicklung erforderlich. Verschiedentlich wird die Abgrenzung der Bedingung von anderen Ver109 tragsbestimmungen danach versucht, ob die Parteien bei Vornahme des Rechtsgeschäfts erkennbar Zweifel am Eintreten des erwarteten Umstands hatten. Konkludente Bedingungsvereinbarung wird demgemäß ausgeschlossen, wenn die Parteien eine bestimmte Erwartung als selbstverständlich unterstellt und daher eine Rechtsfolge für deren Ausbleiben gerade nicht vertraglich vorgesehen haben.408 Einleuchtend ist zunächst, dass Parteien, die sich bei Vertragschluss der Ungewissheit eines maßgeblichen Umstands und damit eines Schwebezustandes bewusst sind, diesem Umstand häufiger durch Vereinbarung einer Bedingung Rechnung tragen werden.409 Daraus kann mE aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass es Parteien, die vom Vorliegen eines ihrer Ansicht nach für den Vertrag essentiellen Umstands als sicher ausgehen, verwehrt sein soll, ihre Erklärungen (ausdrücklich oder konkludent) nur für den Fall des Vorliegens dieses Umstands abzugeben. Die Bedingung als rechtsgeschäftliche Nebenbestimmung stellt eine privatautonome Beschränkung des Anwendungsbereichs der rechtsgeschäftlichen Anordnung dar, indem sie deren Wirkungen unmittelbar an den Eintritt eines bestimmten Ereignisses knüpft. Bei Fehlen der rechtsgeschäftlich aufgestellten Wirksamkeitsvoraussetzung soll die Anordnung (ohne weiteres) ungültig sein. Ein als sicher angenommener Umstand kann einerseits ausdrücklich zur Voraussetzung des Rechtsgeschäfts erklärt werden, zB durch die Formulierung „drei Jahre nach der Hochzeit“.410 Zweifel (oder subjektiv empfundene Ungewissheit), hier an der Tatsache der bevorstehenden Eheschließung, sind für die Annahme einer Bedingung nicht Voraussetzung, wenn nur die gewollte Rechtsfolge – automatische Unwirksamkeit der Vereinbarung im Fall des Ausbleibens der Eheschließung – feststeht (vgl schon Rz 6). Die Bedingung kann sich aber auch schlüssig ergeben, wie bei der Vereinbarung des Erwerbs von Gegenständen für den zukünftigen gemeinsamen Haushalt, die nur für den Fall der tatsächlichen Aufnahme der Lebensgemeinschaft Sinn macht. Zwar liegt in diesen Fällen ein (gemeinsamer) Irrtum der Parteien über die sicher geglaubte Entwicklung vor, weshalb die gewollte Rechtsfolge des automatischen Wegfalls der Vereinbarung nicht explizit in den Vertrag aufgenommen wurde. Die ergänzende Ver­ Gschnitzer in Klang2 IV/1, 329; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 1. Vgl Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 5; Fenyves in § 901 Rz 11. 410  Zur Abgrenzung dieser Bedingung von einer Befristung vgl Rz 89. 408  409 

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tragsauslegung411 kann jedoch ergeben, dass die Parteien für den Wegfall des von ihnen als sicher vorausgesetzten Umstands auch den automatischen Wegfall ihrer Vereinbarung und nicht nur deren Anfechtbarkeit gewollt hätten. Dies wird bei Ereignissen, die für das Interesse beider Parteien am Vertrag ausschlaggebend waren, wie die genannte Lebensgemeinschaft, öfter anzunehmen sein, als bei Umständen, deren Wegfall nur eine Partei betrifft. Auch mit einem als gewiss angenommenen Umstand kann daher eine Bedingung stillschweigend vereinbart sein, nämlich wenn kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln besteht (§ 863), dass der Erklärende seine Bindung nur unter dieser bestimmten Voraussetzung wollte. § 901 Satz 1 stellt klar, dass die Parteien auch „Bewegungsgrund oder End- 110 zweck“, also ein Motiv eines oder beider Partner zur Bedingung machen können, was sich ohnedies aus den allgemeinen Grundsätzen der Privatautonomie ergibt.412 In diesem Fall wird das Geschäft bei Ausfall einer aufschiebenden Bedingung nie wirksam bzw fällt bei Eintritt einer auflösenden Bedingung dahin (Rz 2, 30), ohne dass es einer Anfechtung, wie bei Irrtum oder Wegfall der Geschäftsgrundlage413 bedarf. Ob das Motiv zur Bedingung erhoben oder bloß zum Vertragsinhalt gemacht wurde, ist wiederum durch Auslegung zu ermitteln (vgl Rz 107).414 Entgegen dem Wortlaut von § 901 Satz 1 ist die Verein­ barung eines Motivs als Bedingung nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend möglich. Die Formulierung „ausdrücklich“ soll nämlich nach hA lediglich zum Ausdruck bringen, dass die Vereinbarung einer Bedingung „hinreichend deutlich“ iSd §  863 erfolgen muss.415 Sie kann auch als Mahnung aufgefasst werden, Zurückhaltung bei der Annahme stillschweigender Bedingungen dieser Art zu üben.416 Aus der Beschränkung des §  901 Satz  2 auf entgeltliche Geschäfte hat 111 Gschnitzer geschlossen, dass bei unentgeltlichen Geschäften das bloße Äußern eines Motivs durch den Zuwendenden als Beschränkung des rechtsgeschäftlichen Willens im Sinn einer („unentwickelten“) Bedingung wirke, ohne dass der Empfänger der Zuwendung erkannt haben müsste, dass der Zuwendende seine Äußerung als Bedingung verstanden hat, geschweige denn zugestimmt haben müsste.417 Dem ist freilich mit Recht entgegnet worden, dass die Bedingung als vertragliche Nebenbestimmung nur durch Vereinbarung, nicht aber durch bloße Angabe des Motivs bei Vertragsschluss zustande kommen könne.418 Dennoch ist mE in vielen Fällen im Zusammenhang mit unentgeltlichen Geschäften geäußerter Motive dem bloß einseitigen Hinweis auf ein Motiv im Ergebnis die Bedeutung einer Bedingung beizumessen: Da unentgeltlichen Geschäften im österreichischen Privatrecht ohne Einhaltung der strengen Notariatsaktsform keine Verbindlichkeit zukommt, solange das Geschenk nicht Zu dieser Rz 63 FN 207 und Vonkilch in § 914 Rz 94 ff. Fenyves in § 901 Rz 5. 413  Fenyves in § 901 Rz 104. 414  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 8. 415  Fenyves in § 901 Rz 6, mwN zur hM und stRsp. 416  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2. 417  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 333. 418  Kerschner, Irrtumsanfechtung 106 f; Fenyves in § 901 Rz 7. 411 

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„wirklich übergeben“ wurde (§ 943), besteht für den Schenker bis zur Übergabe des Geschenks aufgrund der Unverbindlichkeit seiner formfreien Schen­ kungszusage noch die Möglichkeit, den Umfang der Zuwendung einseitig zu beschränken. Der Hinweis des Schenkers auf die Gründe seines Entschlusses zur Freigebigkeit kann daher vom Beschenkten durchaus als Bedingung zu verstehen sein. Im Zweifel muss der Beschenkte gemäß § 915 nämlich davon ausgehen, dass der Schenker eine Einschränkung seiner Verbindlichkeit vornehmen wollte. Die widerspruchslose Übernahme des Geschenks durch den Beschenkten ist als Einwilligung in die vom Schenker vorgeschlagene Bedingung zu verstehen. Durch die Regel des § 915, nach der sich der Schenker im Zweifel die geringere Last auferlegt, ist bei unentgeltlichen Geschäften die allgemeine Auslegungsregel, im Zweifel sei unbedingtes Geschäft anzunehmen (Rz 107), mE durchbrochen. § 901 Satz 2 könnte mE jedoch selbst bei einem Hinweis des Schenkers auf 112 ein Motiv, der zweifelsfrei nicht als Bedingung gemeint ist (Rz  111), eine Bedeutung zukommen, da auch das bloße Erwähnen des Motivs Einfluss auf das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners hat: Wenn man mit Kerschner419 (und den ihm folgenden Stimmen in Lehre420 und Rsp421) auch beim unentgeltlichen Geschäft eine Irrtumsanfechtung prinzipiell nur unter den Voraussetzungen des § 871 oder gegen Vertrauensschadenersatz (Redintegration) zulässt, so wird mE dem Bedarf des Beschenkten nach Vertrauensschutz durch Bekanntgabe des Motivs im Sinn des § 901 Satz 2 ebenso gut entsprochen. Die Erwähnung eines bestimmten Motivs ermöglicht dem Beschenkten nämlich eine zumindest grobe Einschätzung des Risikos, der geschenkten Zuwendung wieder verlustig zu gehen. Zudem kann er sich auch durch späteres Nachfragen möglichst früh Gewissheit verschaffen hinsichtlich des Zutreffens des fraglichen Motivs. Die Äußerung des Motivs in §  901 Satz 2 ist mE daher als zusätzliche alternative Anfechtungsvoraussetzung (§ 871) bei Irrtümern in unentgeltlichen Geschäften zuzulassen. Ansonsten würde die Bezugnahme des § 901 Satz 3 auf die „Äußerungen“ in Satz 2 (durch das Wort „aber“) ins Leere gehen.422 Der Unterschied zwischen zur Bedingung erhobenem und bloß geäußertem Motiv besteht daher im Ergebnis darin, dass bei Nichteintritt der Erwartungen die bedingte Verpflichtung automatisch erlischt, während das geäußerte Motiv zur Anfechtung berechtigt. f) Die Zweckbestimmung bei der condictio causa data causa non secuta 113

Nach §  1435 kann eine Leistung, die erkennbar zu einem bestimmten Zweck erbracht und entgegengenommen wurde, mit der condictio causa data causa non secuta zurückgefordert werden, wenn dieser Zweck nicht erreicht 419 

Irrtumsanfechtung 124 ff. Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 5. Dagegen zB Fenyves in § 901 Rz 21. 421  OGH 1 Ob 551/94, SZ 67/136; 7 Ob 395/97g. 422  Auch in § 572, auf den § 901 Satz 3 verweist, spielt das „angegebene“ Motiv immerhin eine Rolle, wenn auch dort keine Vertrauensschutzgründe ausschlaggebend sein können, da es sich bei der letztwilligen Verfügung um eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung handelt. 420 

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wird. Es handelt sich bei dieser Kondiktion um einen Unterfall der in § 1435 geregelten condictio ob causam finitam.423 Mit der eigentlichen Bedingung (Rz 40 ff) hat die Zweckabrede bei der Leistung damit bereits auf den ersten Blick viel gemeinsam: sie macht Rechtswirkungen (den Rechtsgrund für das Behalten der Leistung) von einem zukünftigen, objektiv ungewissen Umstand unmittelbar (vgl Rz 2) abhängig. Der Nichteintritt dieses Ereignisses in der Zukunft bewirkt wie eine auflösende Bedingung ohne eine rechtsgestaltende Erklärung des Leistenden das Entstehen eines Rückgabeanspruchs. Nach hA beruht die Rückforderbarkeit der erbrachten Leistung wegen Zweckverfehlung jedoch nicht auf der Vereinbarung einer Bedingung iSd §§ 897 ff.424 Es genügt vielmehr, dass der vom Leistenden verfolgte Leistungszweck dem Empfänger erkennbar war.425 Die Leistung, deren Rückforderung die condictio causa data causa non secuta regelt, wurde nach dieser Ansicht auch nicht aufgrund eines Vertragsverhältnisses erbracht.426 Diese hA ist mE überprüfungsbedürftig. Erreicht die Leistung ihren Zweck, 114 so ist eine Rückforderung ausgeschlossen und der Empfänger einer Sachleis­ tung ist (endgültig) Eigentümer derselben. Schon davor ist durch die Leis­ tung427 aufgrund des in Aussicht genommenen Zwecks, auf den hin geleistet wird, idR Eigentum auf den Empfänger übergegangen, wenn nicht eine abwei­ chende Zweckabrede erkennen lässt, dass der Eigentumsübergang bis zum Er­ reichen des Zwecks aufgeschoben sein soll. (Die Hingabe der Leistung ver­ folgt dann zunächst nur den Zweck, dem Empfänger die Innehabung, vielleicht auch die Nutzung der Leistung zu verschaffen.) In jedem Fall gibt die für den Empfänger erkennbare Zweckvorstellung in Verbindung mit der Hingabe der Leistung offenbar einen tauglichen Rechtsgrund für den Eigentumserwerb ab, der spätestens mit der Zweckerreichung eintritt. Nun ist das Mittel der pri­ vatautonomen Gestaltung eines Rechtsgrundes, der nach dem Parteiwillen als Titel für den Eigentumsübergang fungieren soll, jedoch in der Regel das Rechtsgeschäft. Warum für die Gestaltung einer Übereignung in Abhängigkeit von einem zukünftigen Ereignis in diesem Fall eine erkennbare Zweck­ vorstellung anstelle eines bedingten Rechtsgeschäfts ausreichen soll, wird dogmatisch nicht ausreichend begründet. Die Kondiktion wegen Zweckver­ fehlung wird zwar va in Fällen angewendet, in denen die erwartete Gegenlei­ stung nicht verbindlich zugesagt wurde, etwa weil eine Verpflichtung zu ihr rechtlich gar nicht möglich gewesen wäre (zB den Leistungserbringer zum Erben einzusetzen, ihn zu ehelichen etc).428 Diese Erkenntnis spricht aller­ dings im modernen Zivilrecht429 keineswegs gegen die Annahme eines einsei­ 423  Meissel/Jungwirth in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht (2011) LebG – Beendigung Rz 85. AA (Analogie) zB Koziol/Welser13 II 279. 424  Rummel, Schenkung unter Ehegatten und Scheidung, JBl 1976, 628; Meissel/Jungwirth, LebG Rz 90. 425  RIS-Justiz RS0033606. 426  Koziol in KBB3 § 1435 Rz 2; Meissel/Jungwirth, LebG Rz 93. 427  So Rummel, JBl 1978, 454 (FN 34); Meissel/Jungwirth, LebG Rz 85. 428  Koziol/Welser13 II 279. 429  Im Gegensatz zum Römischen Recht, aus dem die cond. c. d. c. n. s. stammt, das nur be­ stimmte Vertragstypen zuließ; (vgl Zimmermann, The Law of Obligations (1990) 843).

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tig verpflichtenden bedingten Vertrags. Wird bei Erbringung einer Leistung für den Empfänger erkennbar zum Ausdruck gebracht, unter welchen Voraussetzungen der Leistende ihm diese endgültig zu überlassen bereit ist, und wird die Leistung vom Empfänger widerspruchslos angenommen, so liegt ab diesem Zeitpunkt mE ein Vertrag vor, dessen endgültige Wirksamkeit unter der (idR wohl auflösenden, da ja eine Hauptleistung bereits erbracht wird, Rz 32) Be­ dingung der Zweckerreichung steht. Dass, wie die hL betont, die bloße Bekanntgabe eines Motivs durch den 115 Leistenden für eine spätere Rückforderung ausreicht, ist wie bei der formfreien Schenkung (s Rz 111) dadurch zu erklären, dass bis zur Übergabe eben noch keine Verpflichtung des Leistenden besteht, er dem Rechtsgrund für seine Leistung daher noch jede beliebige Beschränkung (so auch eine Bedingung) gültig beifügen kann. Das Angebot des Zuwendenden erfolgt daher verbindlich erst durch die Leistung mit den bis dahin geäußerten Einschränkungen, die Annahme dieser Offerte durch Entgegennahme der Leistung. Der Rechtsgrund für den Eigentumsübergang, aber auch für die Verpflichtung zur Rückgabe im Fall der Zweckverfehlung, liegt daher in einer vertraglichen Einigung unter auflösender Bedingung. Auch in Fällen, in denen die Leistung nicht in der Übertragung eines Rechts besteht und daher nicht schon nach dem Prinzip der kausalen Tradition eines gültigen Rechtsgrundes bedarf, stellt die Zweckabrede einen Vertrag dar, denn auch das Behaltendürfen einer Arbeitsleistung oä bedarf einer gültigen causa. Mit der Einordnung der Zweckbestimmung einer Leistung als bedingten Vertrag lassen sich auch die Anwendung der Regeln der Vertragsauslegung430 und des Ausschlusses der Rückforderung bei treuwidriger Zweckvereitlung (vgl Rz 70)431 auf die zweckgebundene Leistung überzeugend erklären. Zweckverfehlung führt als auflösende Bedingung zur Rückforderbarkeit der Leistung nach § 1435 (condictio causa finita; s Rz 68).

§ 898. Verabredungen unter solchen Bedingungen, welche bei einem letzten Willen als nicht beigesetzt angesehen werden, sind ungültig. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Apathy, Zur Folge unzulässiger Ablösevereinbarungen, FS Eichler (1977) 1; Karollus, Die testamentarische Nichtverehelichungsklausel – Gedanken zur dogmatischen Einordnung, zur Auslegung und zur rechtspolitischen Berechtigung des §  700 ABGB, NZ 1988, 293; Schima, Zulässigkeit von Treuepflichtklauseln in Pensionsverträgen, JBl 1993, 430 (Teil I), 494 (Teil II); Schauer, Familienstiftung und Unwürdigkeit des Begünstigten als Problem des Privatstiftungsrechts, GesRZ 2000, 233; s auch bei § 897.

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Meissel/Jungwirth, LebG 90. Meissel/Jungwirth, LebG 91. OGH 6 Ob 29/06t, JBl 2006, 592.

Allgemeines

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Übersicht I. Allgemeines II. Rechtsfolgen bei Unverständlichkeit und Unmöglichkeit III. Rechtsfolgen bei Unerlaubtheit

1–6 7–11 12–14

I. Allgemeines § 898 bezieht sich auf die erbrechtlichen Bestimmungen §§ 697 f und 700, nach denen ganz unverständliche Bedingungen (§  697), unmögliche oder unerlaubte Resolutivbedingungen (§  698) und speziell die unzulässige Nichtverehelichungsklausel (§ 700) in letztwilligen Verfügungen als nicht beigesetzt gelten. § 898 ordnet nun für Rechtsgeschäfte unter Lebenden eine vom Erbrecht abweichende Rechtsfolge an: Während bei letztwilligen Verfügungen nur die unwirksame Bedingung im Sinn einer Teilnichtigkeit als nicht beigesetzt gilt und die sonstige Verfügung (als unbedingte) gültig bleibt, soll gemäß § 898 das unter die unwirksame Bedingung gestellte Rechtsgeschäft (unter Lebenden) zur Gänze nichtig sein. Für unmögliche oder unerlaubte Suspensivbedingungen ist ohnedies auch im Erbrecht als Rechtsfolge die Gesamtnichtigkeit der Verfügung vorgesehen (§ 698) und kommt kraft des allgemeinen Verweises in § 897 (dazu Rz 8 bei §  897) auch bei Rechtsgeschäften unter Lebenden zur Anwendung. Für diese Bedingungen findet sich daher in § 898 keine vom Erbrecht abweichende Regelung. Im Ergebnis sieht das Gesetz somit als Rechtsfolge aller unverständli­ chen, unmöglichen oder unerlaubten Bedingungen (egal, ob aufschiebende oder auflösende) Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts unter Lebenden vor (§§ 897 f iVm §§ 697 f). Diese pauschale Anordnung steht allerdings in Widerspruch zu den allgemeinen Regeln über Bestimmtheit (§ 869 ABGB), Erlaubtheit (§ 879) und Möglichkeit (§ 878) von Rechtsgeschäften. Nach diesen Regeln macht die Beisetzung einer unbestimmten, unerlaubten oder unmöglichen Nebenbestimmung keineswegs immer das gesamte Geschäft nichtig, sondern führt je nach Parteiwillen (bei Unbestimmtheit oder Unmöglichkeit der Nebenabrede) und Zweck der Verbotsnorm (bei Unerlaubtheit) auch bloß zur Unwirksamkeit der betreffenden Nebenabrede im Sinn einer Teilnichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Nach hL ist die Anordnung der Gesamtnichtigkeit in §§ 897 f daher teleologisch zu reduzieren.1 In Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen ist in bestimmten Fällen (s im einzelnen Rz 7 ff) nur der Entfall der Bedingung und damit Unbedingtheit des Rechtsgeschäfts anzunehmen. Unverständliche Bedingungen sind solche, deren Sinn auch durch Auslegung nicht ermittelt werden kann.2 Das ist bei widersprüchlichen3 und bei 1  Rummel in Rummel3 I § 898 Rz 1; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 898 Rz 2; Koziol/ Welser13 I 195; P. Bydlinski in KBB3 § 898 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 4. 2  Gschnitzer in Klang2 III 665  f; Welser in Rummel3 I §  697 Rz  1; Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 2. 3  OGH 7 Ob 146/03a, JBl 2004, 248 (Apathy).

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gänzlich unbestimmten Erklärungen der Fall (vgl § 869).4 Bestimmt ist eine Erklärung, wenn ihr im Sinne der gemäßigten Rechtsfolgentheorie die wesentlichen Rechtsfolgen, die der Erklärende anstrebt, entnehmbar sind.5 Unmögliche Bedingungen können aus faktischen oder rechtlichen Grün5 den nicht eintreten (vgl § 878).6 Faktische Absurdität ist nicht erforderlich7, es genügt objektive faktische Unmöglichkeit.8 Zu beurteilen ist für den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts,9 ob aller Voraussicht nach auf Dauer10 mit einem Eintritt der Bedingung nicht gerechnet werden konnte. Treten zu einem späteren Zeitpunkt Umstände ein, die einen Bedingungseintritt ausschließen, so handelt es sich nicht um eine unmögliche Bedingung, sondern um den Ausfall der Bedingung (nachträgliche Unmöglichkeit)11. Unerlaubte Bedingungen sind solche, die gegen ein gesetzliches Verbot 6 oder die guten Sitten verstoßen (vgl § 879).12 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Unerlaubtheit ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Unter § 898 fallen mE nur an sich unerlaubte Bedingungen, bei denen gerade die Erfüllung oder die Auferlegung der als Bedingung formulierten Handlung vom Gesetz verpönt ist, nicht aber solche, deren Erfüllung oder Setzung an sich auch erlaubt sein kann und die nur in Verbindung mit bestimmten Rechtsgeschäften unzulässig sind. Abzustellen ist darauf, ob sich die Unzulässigkeit im wesentlichen schon aus dem Inhalt der Bedingung ergibt oder erst aus dem inadäquaten Einsatz der Bedingung in einem konkreten Vertrag. Im Sinne des § 898 unerlaubte Bedingungen liegen zB dann vor, wenn durch sie ein Anreiz zur Vornahme einer gesetz- oder sittenwidrigen Handlung gegeben wird,13 oder eine unzulässige Einschränkung der Handlungsfreiheit des bedingt Begünstigten bewirkt wird („Knebelung“),14 wie zB durch solche Konkurrenzverbote oder Treuepflichtklauseln, die ehemalige Arbeitnehmer in unbilliger Weise an der Verwertung ihrer Arbeitskraft hindern und damit ihrer Existenzgrundlage berauben,15 oder zB durch das Vorschreiben der Berufswahl16 oder der NichtApathy in KBB3 § 697 Rz 1. Rummel in Rummel3 I § 869 Rz 5. 6  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  898 Rz  2; vgl Welser in Rummel3 I § 698 Rz 1. 7  Anders als (nach noch überwiegender Ansicht, Koziol/Welser13 I 171 mwN) bei § 878, wobei mE der neueren Lehre zu folgen ist, die im Anschluss an Lukas, Zur Haftung beim anfänglichen unbehebbaren Mangel, JBl 1992, 11, wieder von der Beschränkung des § 878 auf faktisch Absurdes absieht, wodurch auch eine Harmonisierung mit den §§ 698, 898 erreicht wird. 8  Welser in Rummel3 I § 698 Rz 1; Apathy in KBB3 § 698 Rz 2; Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 698 Rz 1. AA OGH 6 Ob 66/73, SZ 46/34 (zu § 698). 9  Vgl Lukas (FN 7) 26. 10  OGH 1 Ob 73/67, SZ 40/66. 11  Rz 61 zu § 897. 12  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 3. 13  ZB eine gesetzliche Unterhaltspflicht nicht zu erfüllen (GlU 3626). 14  Als zulässig qualifizierte der OGH zB die von einer gemeinnützigen Genossenschaft als Wohnungseigentumsorganisator gestellte (offenbar uneigentliche) Bedingung, der Eigentumswerber dürfe keine aus öffentlichen Mitteln geförderte Zweitwohnung haben (1 Ob 741/78, MietSlg 31.541). 15  OGH 9 ObA 197/94, ZAS 1996, 23 (Brodil) = JBl 1995, 261. 16  Vgl Schauer, GesRZ 2000, 236. 4  5 

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verehelichung (§ 700);17 im letztgenannten Fall liegt die Sittenwidrigkeit außerdem darin, dass auf eine Entscheidung, die nur von innerer Überzeugung getragen sein soll, Einfluss genommen wird.18 Dies gilt zB auch für die Bedingung, den Geschwistern nicht zu verzeihen.19 Die Unerlaubtheit einer Bedingung iSd § 898 kann sich auch erst aus inneren Tatsachen wie der Motivation des Erklärenden ergeben,20 zB wenn eine grundsätzlich nicht verbotene Bedingung ausschließlich in Schädigungsabsicht beigesetzt wird; aus diesem Grund macht es auch einen Unterschied, ob die Zuwendung unter der auflösenden Bedingung der Aufnahme einer Berufstätigkeit in der Absicht erfolgte, den Begünstigten „vom Arbeiten abzuhalten“ oder aber dessen Versorgung sichern sollte.21 Entsprechend ist bei der Auferlegung einer Nichtverehelichungs- oder Scheidungsklausel zu differenzieren.22 Bedingungen in AGB unterliegen als vertragliche „Nebenbestimmungen“ der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 und können daher auch wegen gröblicher Benachteiligung rechtswidrig sein.23 Dieser enge Begriff der unerlaubten als einer inhaltlich missbilligten Bedingung ist mE einerseits aus dem Verweis des § 898 auf das Erbrecht abzuleiten, wo es in § 698 ebenfalls um inhaltlich bedenkliche Bedingungen geht;24 – das Rechtsgeschäft, mit dem die Bedingung verknüpft ist, ist dort ja ohnehin immer dasselbe, nämlich eine letztwillige Verfügung. Andererseits ergibt sich die inhaltliche Missbilligung der Bedingung auch aus der pauschalen gesetzlichen Anordnung der Gesamtnichtigkeit, die von Zeiller damit begründet wird, dass beide Parteien an der Vereinbarung der rechtswidrigen Bedingung beteiligt gewesen und daher nicht schützenswert seien.25 Aus der gesetzlich vorgesehenen Sanktion der Gesamtnichtigkeit wurde von der älteren Lehre zT der Schluss gezogen, unerlaubte Bedingungen seien überhaupt nur solche, die den ganzen Vertrag zu einem verpönten machen.26 Diese letzte Einschränkung geht mE zu weit, da der Begriff der unerlaubten Bedingungen in § 898 in Übereinstimmung mit § 698 auch solche umfasst, die aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit als nicht beigesetzt gelten, die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts im übrigen aber 17  Dazu Karollus, NZ 1988, 293 ff; OGH 2 Ob 29/52, SZ 25/25 = EvBl 52/130 (vgl auch 2 Ob 456/53, SZ 26/169 = JBl 1954, 284, zum selben SV). 18  Vgl Kralik, Erbrecht 117, zu § 698. 19  GlU 1425. 20  Welser in Rummel3 I § 700 Rz 4 (zur Nichtverehelichungsklausel). 21  Vgl Schauer, GesRZ 2000, 237. 22  Welser in Rummel3 I § 700 Rz 4, 9. 23  OGH 7 Ob 266/09g, EvBl 2010/141 (Rami) zur Nichtigkeit einer Dauerrabatt-Rückforderungsklausel (auflösend bedingte Rabattgewährung) in einem Versicherungsvertrag. Zu derartigen Klauseln vgl Vonkilch, Zur Dauerrabattrückforderung im Versicherungsvertragsrecht, VR 2000, 118. 24  Kralik nennt zB Belohnung, Ermöglichung oder Anreiz zu einem sittenwidrigen Verhalten, sowie Beeinflussung in einem Verhalten, das nur von innerer Überzeugung getragen werden kann (Erbrecht 115 ff). 25  Commentar III/1, 81; ähnlich Handl in Klang II/2, 329 („setzen sich beide Teile mit dem Gesetz oder der guten Sitte in Widerspruch“); ihm folgend Gschnitzer in Klang2 IV/1, 318 f. Vgl auch Zeiller, Commentar II/2, 664 f, wo eindeutige Unwerturteile gegen den Erblasser („der Ehrliebende verschmäht die Gabe eines solchen Erblassers“) und gegen denjenigen, der die unerlaubte Bedingung erfüllen will („der Niederträchtige“) gefällt werden. 26  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 526 f mwN.

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unberührt lassen;27 eine teleologische Reduktion der Anordnung der Gesamtnichtigkeit in § 898 ist deshalb jedenfalls notwendig (dazu Rz 12 ff). Die Motive des Gesetzgebers für diese weitreichende Sanktion passen jedenfalls von vornherein nicht auf Fälle, in denen nicht die Bedingung inhaltlich verboten erscheint, sondern nur das spezielle Rechtsgeschäft einer derartigen Bedingung nicht zugänglich ist. An sich erlaubte Bedingungen, die nur im Zusammenhang mit bestimmten Rechtsgeschäften unzulässig sind, werden daher unter der Überschrift „Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte“ bei § 897 abgehandelt (s dort Rz 73 ff). Von den rechtlich unmöglichen Bedingungen (Rz 5) unterscheiden sich die unerlaubten dadurch, dass ihr Eintritt nicht an sich ausgeschlossen ist.

II. Rechtsfolgen bei Unverständlichkeit und Unmöglichkeit Soweit sich die §§  897  f auf die Rechtsfolgen unverständlicher oder unmöglicher Bedingungen (Rz  4  f) beziehen, sind sie bloße Auslegungs­ regeln. Für ihre teleologische Reduktion spricht, dass in § 878 Satz 2 seit der III. Teilnovelle28 ausdrücklich eine Auslegungsregel die Rechtsfolge Teilnich­ tigkeit vorsieht, wenn bloß ein Teil des Rechtsgeschäfts unmöglich und der Rest des Vertrags nach dem Parteiwillen davon trennbar ist. Diese Regel wird von der hL auf andere Wurzelmängel analog angewendet, unter anderem auf den Fall des teilweisen Dissenses29 (§ 869) bei mangelnder Bestimmtheit der Willenserklärungen.30 Da es sich bei § 878 Satz 2 um ein allgemeines Prinzip der Rechtsgeschäftslehre handelt, ist dessen analoge Anwendung auch im Bereich unwirksamer Bedingungen geboten: Die Anordnung der Gesamtnichtigkeit in den seit der Stammfassung des ABGB unveränderten §§ 897, 898 ist daher seit Inkrafttreten des § 878 nF in systematischem Zusammenhang mit der in diesem enthaltenen Teilnichtigkeitsregel zu sehen. Ergibt die Vertrags­ auslegung nach dem tatsächlichen oder hypothetischen Parteiwillen31, dass die Parteien den Vertrag auch ohne die unverständliche oder unmögliche Bedingung geschlossen hätten, so gilt statt der gesetzlich vermuteten Gesamtnichtigkeit, dass der Vertrag als unbedingter gültig bleibt.32 Insbesondere bei der Auslegung auflösender unmöglicher Bedingungen 8 wird sich häufig ergeben, dass die Parteien nicht die Ungültigkeit des Vertrags, sondern vielmehr seine Unbedingtheit beabsichtigten. Waren sie sich der Unmöglichkeit bewusst, so kann die Beisetzung einer derartigen Bedingung sogar als Bekräftigung eines unbedingten Vertrags verstanden werden33 (zB: 7

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S die Nw bei Rz 12 ff. RGBl 1916/69. 29  Rummel in Rummel3 I § 878 Rz 4, § 869 Rz 10; Koziol/Welser13 I 174; Bollenberger in KBB3 § 878 Rz 5. 30  OGH 5 Ob 511, 512/96, RdW 1996, 521. 31  Vgl Rummel in Rummel3 I § 878 Rz 4; Bollenberger in KBB3 § 878 Rz 5. Zum hypothetischen Parteiwillen Vonkilch § 914 Rz 204 ff. 32  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 898 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 5. 33  Vgl Wolff, Bürgerliches Recht4 95; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 319 f; Koziol/Welser13 I 195. 28 

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Rechtsfolgen bei Unverständlichkeit und Unmöglichkeit

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„Der Vertrag soll gelten, bis der Himmel einstürzt.“34). Aber auch bei irrtümlicher Annahme der Möglichkeit des Eintritts der Resolutivbedingung ist darauf Bedacht zu nehmen, dass der Vertrag nach dem Parteiwillen sofort Wirkungen entfalten und nur im Fall des Bedingungseintritts erlöschen sollte. Da dieser Fall nicht eintreten kann, ist die endgültige Wirksamkeit des Restvertrags als gewollt zu vermuten. Von Lehre und Rsp wurde daher – auch schon vor Inkrafttreten des § 878 Satz 2 nF35 – stets einhellig36 vertreten, dass unmögliche Resolutivbedingungen entgegen § 898 als nicht beigesetzt gelten, auch wenn die Beteiligten die Unmöglichkeit nicht kannten oder darüber zumindest im Zweifel waren und das Geschäft allenfalls als unbedingt gewollt hätten, und dies richtigerweise damit begründet, dass § 898 nur eine durch den Nachweis abweichender Parteienabsicht widerlegbare Auslegungsregel sei,37 bzw teleologisch reduziert werden müsse,38 wodurch die Auslegungsregel des §  878 Satz 2 zur Anwendung kommen kann. Bei rechtlicher Unmöglichkeit des Eintritts der beigefügten Bedingung 9 ist allerdings zu beachten, dass sich – ähnlich wie bei unerlaubten Bedingungen (Rz 12 ff) – aus dem Zweck der die rechtliche Unmöglichkeit vorsehenden Norm im Einzelfall vom Parteiwillen abweichende Rechtsfolgen als zwingend ergeben können, sodass die Parteienabsicht nicht allein über die Restgültigkeit des Vertrags entscheidet. Wie bei Teilunmöglichkeit ist auch bei Teildissens aufgrund unverständ­ 10 licher Bedingungen die Frage nach der Restgültigkeit des Vertrages gemäß den §§ 897 f in Verbindung mit den §§ 869 und 878 Satz 2 durch Vertragsaus­ legung zu entscheiden. Ist ein tatsächlicher diesbezüglicher Parteiwille nicht erkennbar, entscheidet der hypothetische Parteiwille39 (vgl schon Rz 7). Mit dieser Begründung hat der OGH wiederholt die Nichtigkeit von DauerrabattRückforderungsklauseln (mit auflösend bedingter Rabattgewährung) in Versicherungsverträgen wegen Widersprüchlichkeit40 bzw Unbestimmtheit41 ausgesprochen und gleichzeitig den Restvertrag aufrecht erhalten. Mit Recht wurde gegen diese Lösung allerdings eingewendet, dass eine ersatzlose Streichung S Handl in Klang II/2, 328. Vgl schon D 45, 1, 8. Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 522 mwN. Schon Zeiller, Commentar III/1, 83 sah die auflösende unmögliche Bedingung als nicht beigesetzt an, weil sie „keine wahre“ Bedingung sei, da von Anfang an gewiss sei, sie werde nicht eintreffen (ebenso Commentar II/2, 664). Aus der Rsp vgl GlU 2200; 3234. 36  OGH 2 Ob 456/53, SZ 26/169 = JBl 1954, 285; Ehrenzweig, System I/12, 249; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 319 f; Apathy, FS Eichler 17; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 898 Rz 2; Rummel in Rummel3 I § 898 Rz 1; Koziol/Welser13 I 195; P. Bydlinski in KBB3 § 898 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 4. 37  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 319 f; Rummel in Rummel3 I § 898 Rz 1. 38  Koziol/Welser13 I 195; Rummel in Rummel3 I § 898 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 4. 39  Vgl Rummel in Rummel3 I § 869 Rz 10; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 898 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 869 Rz 8; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 5. 40  OGH 7 Ob 146/03a, JBl 2004, 248 (Apathy); in concreto war Widersprüchlichkeit wohl nicht gegeben, da nur ein Widerspruch zwischen einer AGB-Klausel und der individuellen Vereinbarung bestand, welcher im Sinne letzterer aufzulösen gewesen wäre (vgl Apathy JBl 2004, 252). 41  OGH 7 Ob 227/06t, VR 2010/845. 34  35 

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der Klausel dem hypothetischen Parteiwillen uU weniger gerecht wird, als die Ersetzung der wegfallenden Klausel durch eine angemessene, ähnliche Regelung.42 Dieses Argument ist wohl in vielen Fällen der Teilunwirksamkeit durch unmögliche oder unbestimmte Bedingungen berechtigt. Ergibt die Vertragsauslegung weder nach dem tatsächlichen, noch nach 11 dem hypothetischen Parteiwillen klar, ob die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Unwirksamkeit der Bedingung gar nicht oder aber unbedingt geschlossen hätten, so wird vertreten, dass gemäß §  878 Satz  2 der Restvertrag gültig bleibt.43 Diese Zweifelsregel steht zu der in den §§ 897 f aufgestellten Vermutung der Gesamtnichtigkeit in Widerspruch. Ist bezüglich der Trennbarkeit kein Parteiwille feststellbar, so stellt sich die Frage, welche der beiden Zweifelsregeln heranzuziehen ist. Eine teleologische Reduktion der Vermutung der Gesamtnichtigkeit in den §§ 897 f führt mE zu folgender Differenzierung: Im Fall unmöglicher auflösender Bedingungen ist aus den genannten Gründen (Rz 8) im Zweifel Teilnichtigkeit anzunehmen. Statt § 898 kommt hier § 878 Satz  2 zur Anwendung. Bei aufschiebenden und bei ganz unverständlichen Bedingungen muss es dagegen mE bei der Zweifelsregel Gesamtnichtigkeit bleiben: Die aufschiebende unmögliche Bedingung kann nämlich nie eintreten, sodass die Parteien wohl eher selten bei Kenntnis von der Unmöglichkeit ein unbedingtes Rechtsgeschäft geschlossen hätten (Bsp: Verkauf einer Wohnung für den Fall des gelungenen Ankaufs eines bestimmten Hauses, wenn das Haus in Wahrheit zu diesem Zeitpunkt schon an jemand anderen verkauft war). Bei ganz unverständlichen Bedingungen wird oft überhaupt unklar sein, ob Wirkungen des Rechtsgeschäfts eintreten sollen und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt. Im Zweifel wird daher das ganze Rechtsgeschäft vom Dissens ergriffen.44

III. Rechtsfolgen bei Unerlaubtheit 12

Soweit die §§ 897 f auf unerlaubte Bedingungen (Rz 6) Bezug nehmen, handelt es sich bei der Anordnung der Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts nicht um eine bloße Auslegungsregel, sondern grundsätzlich um eine zwingen­ de Rechts­folgebestimmung, da die Privatautonomie nicht das Recht der Parteien einschließt, die Rechtsfolgen ihres rechtswidrigen Verhaltens selbst zu regeln. Die Vereinbarung einer gesetz- oder sittenwidrigen Nebenbestimmung unterfällt allerdings nicht nur der Anordnung der §§ 897 f, sondern auch § 879 und damit einem seit dem Inkrafttreten des ABGB stetig verfeinerten Sanktionensystem bei Unerlaubtheit von Rechtsgeschäften. In vielen Fällen unerlaubter vertraglicher Nebenbestimmungen sieht das Gesetz ausdrücklich nur den Entfall der rechtswidrigen Nebenabrede und Gültigkeit des Restvertrags vor (zB § 879 Abs 3, § 6 KSchG). Fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung, ist nach dem Normzweck zu entscheiden, ob es bei teilweise verbotenen Rechtsgeschäften zum Entfall der unerlaubten Bestimmung oder zur GesamtApathy, JBl 2004, 252. Rummel in Rummel3 I § 878 Rz 4; Bollenberger in KBB3 § 878 Rz 5. 44  Vgl Handl in Klang II/2, 327; Gschnitzer in Klang2 III 665. 42  43 

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Rechtsfolgen bei Unerlaubtheit

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nichtigkeit kommt.45 Diese Grundsätze gelten unmittelbar auch für unerlaubte Bedingungen. Die Anordnung der Gesamtnichtigkeit in den §§ 897 f ist daher auch für den Bereich unerlaubter Bedingungen teleologisch zu reduzieren. Nach dieser heute herrschenden Ansicht entscheidet bei unerlaubten Bedingungen über die Frage der Gesamt- oder Teilnichtigkeit in erster Linie der Zweck der Verbotsnorm und nicht, ob die Parteien den Restvertrag auch ohne die verbotene Bedingung geschlossen hätten46 (vgl aber auch Rz 14). Im Zweifel ist der Restgültigkeit der Vorzug zu geben.47 Gesamtnichtigkeit ist demnach nur dann anzunehmen, wenn es der Zweck der Verbotsnorm verlangt. Im Sinn einer möglichst weitgehenden Erhaltung des Rechtsgeschäfts kann im Einzelfall auch geltungserhaltende Reduktion der unerlaubten Bedingung erwogen werden,48 allerdings nur unter Beachtung der berechtigten Vorbehalte49 gegen dieses Institut. Prinzipiell ist es nicht ausgeschlossen, dass der Zweck der Verbotsnorm eine (durch ihn eingeschränkte) Berücksichtigung des Parteiwillens hinsichtlich der Restgültigkeit des Vertrages zulässt (vgl Rz 14). Die geltungserhaltende Reduktion läuft jedoch mE Gefahr, durch den teilweisen Erhalt der rechtswidrigen Bedingung mit dem Argument, die Reduktion bedeute ein „bloßes Minus“ im Verhältnis zum tatsächlich Vereinbarten, vorschnell einseitig den hypothetischen Willen desjenigen zu berücksichtigen, der von der möglichst weitgehenden Erhaltung der beigesetzten Bedingung profitiert,50 während sich bei Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens anhand des konkreten Vertragsschlusses vielleicht ein anderes Ergebnis als der gerade noch zulässige Inhalt, nämlich das Weglassen der fraglichen Bedingung oder die Vereinbarung einer angemessenen, ähnlichen Bedingung, ergeben hätte. Weist der Vertrag durch den Wegfall einer Bedingung eine Lücke auf, so kommt – wie bei den unverständlichen und unmöglichen Bedingungen (vgl Rz 10) – nämlich auch eine derartige Ergänzung des Vertrags in Frage.51 Gesamtnichtigkeit eines Vertrags ist nach diesen Grundsätzen vor allem in Fällen anzunehmen, in denen beiden Parteien ein Vorwurf wegen der GesetzKoziol/Welser13 I 182 ff; Bollenberger in KBB3 § 879 Rz 29. Koziol/Welser13 I 195; Apathy, FS Eichler 15 ff; P. Bydlinski in KBB3 § 898 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 6; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 898 Rz 2 (etwas missverständlich dort der Hinweis auf den hypothetischen Parteiwillen und auf SZ 26/169, wo der OGH die zitierte Aussage nur erwägt); (ebenfalls zu kurz auf § 878 abstellend) Rummel in Rummel3 I § 898 Rz 1. AA dagegen noch die frühere Lehre, die prinzipiell Gesamtnichtigkeit annahm (Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 527 FN 57, der mit dem engen Begriff der unerlaubten Bedingung argumentiert (vgl Rz 6); Handl in Klang II/2, 328 f; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 318 f). In der Rsp wird überwiegend bei Einordnung unter § 898 die Vernichtung des gesamten Rechtsgeschäfts bei jeder unerlaubten Bedingung vertreten (vgl Rz 13), zB OGH 2 Ob 456/53, SZ 26/169 = JBl 1954, 284 mwN, auch zur inzwischen hA; 4 Ob 139/85, SZ 59/201 = ZAS 1988, 20 (Klein); 7 Ob 572/94; richtig dagegen 9 ObA 197/94, ZAS 1996, 23 (Brodil) = JBl 1995, 261. 47  Koziol/Welser13 I 182 (zu § 879). 48  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 6. 49  Koziol/Welser13 I 183 f mwN. 50  Vgl auch die Bedenken Vonkilchs (§ 914 Rz 210) gegen die einseitige Berücksichtigung des Willens der faktisch übermächtigen Partei im Rahmen der Auslegung nach dem hypothetischen Parteiwillen. 51  Vgl Bollenberger in KBB3 § 879 Rz 30. 45  46 

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oder Sittenwidrigkeit zu machen ist, zB wenn die Erfüllung der Bedingung den Zweck hatte, eine dritte Person zu schädigen. Beeinträchtigt die Auferlegung einer Bedingung berechtigte Interessen eines Vertragspartners oder des durch ein einseitiges Rechtsgeschäft52 Begünstigten, so ist idR nach dem Zweck der Verbotsnorm gerade die Restgül­ tigkeit des Rechtsgeschäfts unter Entfall nur der beigesetzten Bedingung geboten.53 Dies gilt zB beim Abschluss eines Mietvertrags unter der Bedingung einer verbotenen Ablösezahlung.54 Ebenso hat der OGH bei einer vertraglichen Pensionszusage unter der sittenwidrigen (auflösenden) Bedingung, dass der ehemalige Dienstnehmer kein neues Dienstverhältnis eingehe (Treuepflichtklausel), zu Recht nur die Bedingung gestrichen und den Pensionsanspruch bejaht.55 Diese flexible Lösung ist auch deshalb eindeutig der pauschalen Anord13 nung von Gesamtnichtigkeit vorzuziehen, weil die Bedingung ein rechtliches Phänomen mit unzähligen, sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen und zudem oft unsicherer Abgrenzung gegenüber anderen, gängigen rechtsgeschäftlichen oder geschäftsähnlichen Nebenbestimmungen mit vergleichbarer Funktion (zB Rücktrittsrecht, Auflage, Widerrufsvorbehalt, Option etc) ist. Hingewiesen sei nur darauf, dass zwischen Potestativbedingungen und Gestaltungsrechten kein wirklicher Gegensatz besteht56 (vgl zu diesen Abgrenzungsfragen Rz 98 ff zu § 897). Je nach der gewählten Konstruktion bzw rechtlichen Einordnung der privatautonomen Bestimmung ergäben sich daher aus einer starren Anwendung der Gesamtnichtigkeitsfolge auf das bedingte Geschäft willkürlich unterschiedliche Rechtsfolgen. Die zu § 879 entwickelten Grundsätze sind daher unabhängig davon, ob die Unzulässigkeit einer Nebenbestimmung als Fall einer unerlaubten Bedingung iSd §  898 angesehen wird oder nicht, anzuwenden. Dass mit der Qualifikation einer Bedingung als unzulässig nicht zwangsläufig die Nichtigkeit des gesamten Geschäfts verbunden ist, wie das der Wortlaut der §§ 897, 898 nahelegt, hat die Rechtsprechung jedoch mehrfach verkannt. So wurde etwa der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung einer freiwilligen Zuwendung, die er anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses unter der auflösenden Bedingung der späteren Konkurrenztätigkeit des Dienstnehmers erbracht hatte, ohne Klärung der Frage, ob das Konkurrenzverbot überhaupt zulässig war, bejaht und dies damit begründet, dass der Arbeitnehmer die Rückzahlung durch die dennoch erfolgte Konkurrenzierung jedenfalls schulde: entweder aufgrund der gültigen auflösenden Bedingung oder aber aufgrund der Ungültigkeit der Bedingung, da diese zur Gesamtnichtigkeit Zu unerlaubten Bedingungen in Stiftungserklärungen Schauer, GesRZ 2000, 233. P. Bydlinski in KBB3 § 898 Rz 1; Koziol/Welser13 I 195. Vgl auch Kralik, Erbrecht3 258, zu letztwillig gesetzten Bedingungen. 54  Apathy, FS Eichler 15 ff; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 898 Rz 6. 55  9 ObA 197/94, ZAS 1996, 23 (Brodil) = JBl 1995, 261. Der OGH beurteilte die Treuepflichtklausel als sittenwidrig iSd § 879, ging allerdings auf § 898 nicht ein. 56  So mit überzeugenden Argumenten P. Bydlinski, Die Übertragung von Gestaltungsrechten, 247 ff. 52  53 

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Rechtsfolgen bei Unerlaubtheit

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der Leistungszusage führe.57 Für den Fall der Unerlaubtheit der Konkurrenz­ klausel hätte der OGH jedoch vielmehr prüfen müssen, ob der Rückgewähranspruch dem Zweck des Verbots der Konkurrenzklausel gerecht wird.58 Gerade die drohende Rückforderung setzt nämlich den Dienstnehmer unter Druck, sich dem unzulässigen Konkurrenzverbot zu beugen. Auch im Fall eines bäuerlichen Übergabsvertrags unter der gesetzwidrigen Bedingung der Nichtverehelichung (vgl § 700)59 des Gutsübernehmers bis zur Verehelichung seiner noch auf dem Hof lebenden unversorgten Geschwister hat der OGH (in Ablehnung der vom Berufungsgericht zu Recht60 erwogenen Teilnichtigkeit) aus § 898 die Nichtigkeit des gesamten Übergabsvertrags und damit die Verpflichtung zur Hofrückgabe abgeleitet,61 obwohl noch im Vorprozess62 die Berufung der Schwester des Hofübernehmers auf die Nichtverehe­ lichungsklausel mit der richtigen Begründung abgelehnt wurde, dass diese Klausel den Gutsübernehmer durch den drohenden Verlust seiner Existenzgrundlage unbillig unter Druck setzen und auf unbestimmte Zeit an einer Verehelichung hindern könnte. Mit derselben Begründung hätte wohl auch die Klage der Mutter auf Rückgabe des Hofes abgewiesen werden müssen. Da es auf den Zweck der zwingenden Verbotsnorm ankommt, genügt es 14 (anders als bei unmöglichen Bedingungen) für die Aufrechterhaltung des Restvertrags nicht, dass die Parteien über die Unwirksamkeit der unerlaubten Bedingung Zweifel gehabt haben und das Geschäft allenfalls auch unbedingt gewollt hätten.63 Der hypothetische Parteiwille ist im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen der Unerlaubtheit einer Bedingung aber auch nicht schlechthin unbeachtlich. Vielmehr ist zu differenzieren: Verlangt die übertretene Norm die Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts, ist der auf Restgültigkeit gerichtete Parteiwille unbeachtlich. Ist dem Normzweck dagegen schon durch Entfall der unerlaubten Bedingung Genüge getan, ohne dass die Restgültigkeit gesetzlich geboten erscheint (zB zum Schutz eines Vertragspartners), ist in diesem eingeschränkten Bereich der hypothetische Parteiwille entscheidend. Wegen des zwingenden Charakters der Verbotsnormen ändert auch eine freiwillige Unterwerfung unter eine unerlaubte Bedingung, zB unter die der Nichtverehelichung, grundsätzlich nichts an deren Unerlaubtheit.64

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4 Ob 139/85, SZ 59/201 = ZAS 1988, 20 (Klein), dort falsch als 4 Ob 119/85 zitiert. Diese Frage wohl bejahend Rummel in Rummel3 I § 898 Rz 1. 59  Dazu Karollus, NZ 1988, 293 ff. 60  Allerdings auf der unrichtigen Grundlage § 878 Satz 2. 61  OGH 2 Ob 456/53, SZ 26/169 = JBl 1954, 284 (beide mit tw falschen Leitsätzen!). Ähnlich unter Berufung auf diese E auch OGH 7 Ob 572/94, wo ebenfalls von der Ungültigkeit einer auflösenden Bedingung („Widerrufsrecht“) auf die Ungültigkeit des ganzen Übergabsvertrags geschlossen wird. 62  Derselbe SV war bereits vor der Entscheidung über die Gültigkeit des Übergabsvertrags Gegenstand von OGH 2 Ob 29/52, SZ 25/25 = EvBl 52/130. 63  So aber anscheinend Rummel in Rummel3 I § 898 Rz 1 und Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 898 Rz 2; offen lassend OGH 2 Ob 456/53, SZ 26/169 = JBl 1954, 284 (beide mit tw falschen Leitsätzen!). 64  OGH 2 Ob 29/52, SZ 25/25 = EvBl 1952/130 (Nichtverehelichungsklausel). 58 

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§ 899

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§ 899. Ist die in einem Vertrag vorgeschriebene Bedingung schon vor dem Vertrag eingetroffen; so muss sie nach dem Vertrag nur dann wieder­ holt werden, wenn sie in einer Handlung dessen, der das Recht erwerben soll, besteht, und von ihm wiederholt werden kann. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: s bei § 897.

§  899 enthält Auslegungsregeln1 für den Fall, dass eine Bedingung bereits vor dem Vertragsabschluss erfüllt wurde. Danach muss die Bedingung in diesem Fall im Zweifel nicht wiederholt werden (Grundregel), es sei denn es handelt sich um eine Potestativbedingung2, die in einer Handlung des bedingt Berechtigten besteht und von diesem wiederholt werden kann (Ausnahmeregel, Rz 4). § 701 sieht dieselben Zweifelsregeln3 für Bedingungen in letztwilligen Verfügungen vor. Grundsätzlich löst auch die vor Vertragsabschluss erfüllte Bedingung alle 2 Rechtsfolgen des Bedingungseintritts (zu diesen Rz 61 ff bei § 897) aus, denn die Grundregel des § 899 stellt sie einem späteren Bedingungseintritt gleich. Dies bedeutet, dass jede Bedingung im Zweifel stillschweigend eine unei­ gentliche Bedingung (zu dieser s Rz 40 ff zu § 897) beinhaltet, sich also sowohl auf zukünftige wie auch auf vergangene Umstände bezieht. § 899 stellt die widerlegliche Vermutung auf, dass es für die Parteien nicht entscheidend ist, wann die Bedingung eintritt, sondern nur, ob sie eintritt. Diese Vermutung erfasst auch den Fall, dass die Parteien erkennbar die Möglichkeit des bereits erfolgten Eintritts gar nicht ins Auge gefasst haben und erklärt diesen Irrtum für unerheblich, indem sie davon ausgeht, auch die vorzeitige Erfüllung der Bedingung entspreche nach dem hypothetischen Parteiwillen einem Bedingungseintritt. Nach der Grundregel des § 899 enthält eine Bedingung also im Zweifel keine Befristung (vgl Rz 90 zu § 897). Aus dem Regelungsgehalt des § 899, nach dem Bedingungen iSd §§ 897 ff 3 in der Regel sowohl als eigentliche wie auch als uneigentliche wirken, kann mE abgeleitet werden, dass auch die ausschließlich uneigentlichen Bedin­ gungen (Unterstellungen), bei denen das ungewisse Ereignis also nicht nach Vertragsschluss eintreten kann, als Bedingungen iSd §§  897  ff anzusehen sind.4 Eine Ausnahme von der Grundregel, nach der Bedingungen im Zweifel 4 auch als uneigentliche Bedingungen wirken, macht § 899 nur für Potestativ­ bedingungen (Rz 35 ff zu § 897), die vom Willen des Berechtigten abhängen: Ist eine derartige Bedingung zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts bereits eingetroffen, so muss sie der Rechtsanwärter im Zweifel dann 1

1  Ehrenzweig, System I/12, 244; Handl in Klang II/2, 329; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 320 (gleichlautend); Rummel in Rummel3 I § 899 Rz 1.  2  S Rz 35 ff zu § 897. 3  Handl in Klang II/1, 517; (gleichlautend) Gschnitzer in Klang2 III, 678; Welser in Rummel3 I § 701 Rz 1. 4  Dazu schon oben Rz 46 bei § 897.

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Allgemeines

§ 899

wiederholen, wenn ihr Inhalt in einem für ihn wiederholbaren Verhalten besteht. Im Gegensatz zur allgemeinen Regel sind nach dieser Ausnahmeregel solche Potestativbedingungen also im Zweifel ausschließlich eigentliche Bedingun­gen,5 dh nur auf künftige ungewisse Ereignisse zu beziehen, nicht auf vergangene oder gegenwärtige.6 Das Gesetz vermutet offenbar, dass solche Bedingungen für das entsprechende Verhalten des Begünstigten gerade einen Anreiz darstellen sollen, dem nur durch ein nachfolgendes Verhalten entsprochen werden kann.7 Ist die Handlung allerdings nicht wiederholbar, geht das Gesetz wieder- 5 um im Sinne der allgemeinen Regel (Rz 2) davon aus, dass das bedingte Recht schon durch eine vorangegangene Handlung erfüllbar ist. Diese letztgenannte Vermutung des Gesetzgebers ist mE nicht vollkommen überzeugend. Gerade dem Zweck einer Bedingung, den Anreiz für ein entsprechendes Verhalten zu geben bzw die Zuwendung vom „Gehorsam“ (Respektsbezeugung) des Begünstigten abhängig zu machen, wird durch eine vorangegangene, aus anderen Motiven gesetzte Handlung nicht entsprochen, auch wenn die Vornahme der Handlung inzwischen unmöglich geworden ist. Hatte die Zuwendung ausschließlich den Zweck, eine ansonsten fehlende Motivation für die Handlung zu bieten (Rz 7), so ist der Eintritt dieser Bedingung bereits im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung durch die vorweg erfolgte Handlung unmöglich gewesen. Dies müsste nach den allgemeinen Grundsätzen (§ 898, vgl dort Rz 7 ff) im Zweifel zum Entfall der Zuwendung führen, da die Zuwendung in Kenntnis der Unmöglichkeit wohl nicht erfolgt wäre. Die gesetzliche Vermutung hat unter der Annahme Berechtigung, dass eine als Anreiz gedachte Potestativbedingung in der Regel zugleich auch als Belohnung für bereits erfolgtes Wohlverhalten fungieren sollte, falls dieses nicht mehr wiederholbar wäre. Im Erbrecht kann das Abstellen des Gesetzes auf das Kriterium der Wiederholbarkeit als Ausdruck des favor testamenti gesehen werden: Den Vorzug verdient im Zweifel jene Auslegung, bei welcher die letztwillige Verfügung aufrecht bleiben kann.8 Für Rechtsgeschäfte unter Lebenden hat diese Auslegungsregel bezüglich nicht wiederholbarer Potestativbedingungen mE geringere Berechtigung. Im Einzelfall ist allerdings ohnedies primär der Parteiwille zu ermitteln (vgl Rz 7). Bei Abweichen des tatsächlichen Parteiwillens vom in § 899 vermuteten 6 sind dessen Auslegungsregeln nicht anzuwenden.9 So können zB auch wie­ derholbare Handlungen des Berechtigten als (auch) uneigentliche Bedingungen gewollt sein, sodass eine schon vor dem Rechtsgeschäft erfolgte Handlung den Bedingungseintritt darstellen kann. Allgemein ist davon auszugehen, dass immer wenn die Auslegung ergibt, dass der rechtsgeschäftliche Wille auf den Erfolg der Handlung gerichtet war, und nicht auf die Handlung selbst, dem Zweck der Bedingung auch durch die vorangegangene Handlung Genüge geApathy/Riedler in Schwimann3 IV § 899 Rz 1. Zur eigentlichen Bedingung vgl Rz 40 ff bei § 897. 7  Zeiller, Commentar II/2, 669, zu § 701 spricht von einem „Auftrag“, den der Erblasser erfüllt sehen wollte. 8  Welser in Rummel3 I §§ 552, 553 Rz 10; vgl auch Koziol/Welser13 II 495 f. 9  Nw in FN 1. 5  6 

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tan ist.10 Bei zweiseitigen Rechtsgeschäften wird das freilich praktisch kaum vorkommen, da für den bedingt Berechtigten die bereits von ihm gesetzte Handlung bei Vertragsschluss idR kein ungewisses Ereignis darstellen wird (es sei denn, es ist ihm die Erfüllung der Bedingung durch einen Dritten zurechenbar). Umgekehrt kann die Auslegung einer bedingten Willenserklärung auch er7 geben, dass eine nicht wiederholbare Handlung, die schon vor Abgabe der Erklärung gesetzt wurde, entgegen der Vermutung des §  899 keinen Bedingungseintritt darstellt,11 etwa dann, wenn eine bedingte Zuwendung nach dem Parteiwillen ausschließlich als Anreiz für die Handlung des Begünstigten dienen sollte, zB zu erzieherischen Zwecken, nicht aber als Belohnung für einen bereits herbeigeführten Erfolg. Ergibt die Auslegung, dass die bedingte Zuwendung nicht erfolgt wäre, wenn dem Zuwendenden bekannt gewesen wäre, dass es des Anreizes wegen der bereits erfolgten Handlung nicht mehr bedurfte, ist eine rein eigentliche Bedingung anzunehmen (vgl schon Rz 5). Die Parteien können in Abweichung von den Auslegungsregeln des § 899 selbstverständlich auch Bedingungen, die nicht vom Willen des Berechtig­ ten abhängen, ausschließlich als eigentliche vereinbaren. Dies hat zur Folge, dass nur ein zukünftiges Ereignis den Bedingungseintritt darstellt. Kommt es den Parteien zB nicht auf den Erfolg der Bedingung an, sondern nur darauf, eine zufällige Entscheidung über ihre Verbindlichkeit herbeizuführen, können sie den Eintritt von Zufallsbedingungen (Rz 35 ff zu § 897) willkürlich auf die Zukunft oder andere Zeiträume beschränken, zB im Rahmen eines Glücksvertrags (§§ 1270 ff). Die Auslegungsregeln des § 899 sind Ausdruck des allgemeinen Prinzips, nach dem in unvorhergesehenen Fällen des Bedingungseintritts oder -aus­ falls im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu beurteilen ist, ob nach dem hypothetischen Parteiwillen die Folgen des Bedingungseintritts oder -ausfalls eintreten sollen (Rz 63 zu § 897). Handlung ist im weiten Sinn zu interpretieren als ein vom Willen 8 beherrschbares,12 nach außen in Erscheinung tretendes menschliches Verhalten13 und kann daher sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen14 bestehen. Das Gesetz bezieht sich somit auf sämtliche Potestativbedingungen (Rz 35 ff zu § 897), die vom Willen des Berechtigten abhängen. Die Wiederholbarkeit ist subjektiv nach den Verhältnissen des bedingt 9 Berechtigten zu beurteilen (arg „von ihm“). Auch Unvermögen (bei objektiv noch vorhandener Möglichkeit) wirkt daher im Zweifel befreiend, wobei das für den Bedingungseintritt konkret Erforderliche zunächst immer durch Ver­ tragsauslegung zu ermitteln ist (Rz 6 f). Dass die Obliegenheit des Begünstigten bei zweiseitig verbindlichen Verträgen (im Zweifel) generell strenger zu beurteilen sei als bei Zuwendungen aus Freigebigkeit,15 ist mE nicht zutrefVgl Handl in Klang II/2, 329; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 320 (gleichlautend). Hasenöhrl, Obligationenrecht I, 501 FN 56. 12  Zeiller, Commentar II/2, 669 (§ 701). 13  Vgl Koziol/Welser13 I 15 f. 14  Vgl Handl in Klang II/2, 329; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 320 (gleichlautend). 15  So Handl in Klang II/2, 329; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 320 (gleichlautend). 10  11 

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Allgemeines

§ 900

fend, da das Gesetz zwar die Pflichten des Schenkers im Vergleich zu Pflichten aus entgeltlichen Verträgen geringer ansetzt (zB §§ 915, 945), nicht aber die Obliegenheiten auf Seiten des Beschenkten.

§  900. Ein unter einer aufschiebenden Bedingung zugesagtes Recht geht auch auf die Erben über. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Faistenberger, Zur Geltung des § 703 ABGB, FS Herdlitczka (1972); s auch bei § 897.

Aufschiebend bedingte Rechtsgeschäfte entfalten bereits vor Eintritt (oder Nichteintritt) der Bedingung Vorwirkungen (zu diesen Rz 48  ff bei § 897). Eine dieser Vorwirkungen im Schwebezustand wird von § 900 geregelt und besteht darin, dass das aufschiebend bedingte Recht bereits vererblich ist. Aus § 900 kann abgeleitet werden, dass die aufschiebende Bedingung nicht die Entstehung eines Rechts an sich verhindert, sondern nur die Wirksamkeit des bedingten Rechts aufschiebt. Bis zum Eintritt der Bedingung besteht bereits ein Anwartschaftsrecht (s Rz 52 ff zu § 897). Bei der Anordnung des § 900 handelt es sich um einen Ausdruck des allgemeinen Prinzips der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession). Nach diesem gehen sämtliche vererblichen Rechte und Pflichten des Erblassers, das sind die meisten vermögenswerten Rechtspositionen (s aber Rz 4 ff), mit der Einantwortung1 auf den Erben über. Dies gilt gemäß § 900 eben auch für die Anwartschaften, da sie idR bereits Vermögenswerte darstellen.2 Der Erbe erwirbt durch die Einantwortung das Recht des Erblassers als aufschiebend bedingtes,3 dh zunächst nur das Anwartschaftsrecht und im Fall des nachfolgenden Bedingungseintritts das Vollrecht. Obwohl § 900 nur von Rechten spricht, gilt Entsprechendes für aufschiebend bedingte Pflichten: Auch sie gehen – passive Vererblichkeit vorausgesetzt – mit Einantwortung auf den Erben über. Die grundsätzliche Vererblichkeit auflösend bedingter Rechtspositionen wird vom Gesetz im Gegensatz zu jener aufschiebend bedingter nicht ausdrücklich erwähnt. Das liegt daran, dass sie in Anbetracht der bereits vor dem Erbfall eingetretenen Wirksamkeit (Rz 30 bei § 897) des auflösend bedingten Rechts als selbstverständlich erscheint. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Gesamtrechtsnachfolge besteht eine Grenze der Vererblichkeit dort, wo es um höchstpersönliche Rechte geht (§ 531). Sie erlöschen mit dem Tod des Erblassers.4 Die meisten vermögenswerten Rechte sind zwar nicht höchstpersönlich,5 doch kann sich insbesondere Koziol/Welser13 II 573. Vgl die Bsp bei Handl in Klang II/2, 332 (Gschnitzer in Klang2 IV/1, 323). 3  Kralik, Erbrecht (1983) 10. 4  Koziol/Welser13 II 445. 5  Koziol/Welser13 II 446. 1  2 

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§ 900

Beclin

bei einer Potestativbedingung,6 deren Eintritt vom Willen des Erblassers abhängig war, durch Auslegung ergeben, dass es sich in Abweichung von der dispositiven Regel des § 900 um ein höchstpersönliches Gestaltungsrecht7 des Erblassers handelte. Je nachdem, ob nach dem Zweck der Bedingung diese auch durch eine Handlung des Erben oder nur durch eine Handlung des Erblassers herbeigeführt werden kann, geht das aufschiebend bedingte Rechtsverhältnis daher entweder gem § 900 auf den Erben über oder erlischt mit dem Tod des Erblassers. So ist zB die Bedingung der Kaufpreiszahlung beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt auch noch vom Erben erfüllbar, da Zweck der Abrede nur die Sicherung der Kaufpreiszahlung ist; das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers ist dementsprechend grundsätzlich vererblich.8 Dementsprechend hat der OGH auch einer genossenschaftsvertraglichen Anwartschaft auf das Eigentum Vererblichkeit zugesprochen.9 Dass die Mitgliedschaft zur Genossenschaft nach der (dispositiven) Regel des § 54 Abs 2 GenG mit dem Tod des Genossenschafters erlischt, hat nämlich (im Zweifel) nur für die aus einem bloßen Nutzungsvertrag erfließenden Rechte Bedeutung. Dagegen wird zB die Bedingung der Entschuldigung des Erblassers für 5 sein Fehlverhalten10, oder auch die Bedingung der Verzeihung durch den Erblasser, da beide auf einen Sinneswandel gerade des Erblassers abstellen, wohl nicht durch den Erben erfüllt werden können. Die Parteien können auch bei Potestativbedingungen, die ihrem Charakter nach nicht höchst­ persönlich sind, und selbstverständlich auch bei Zufallsbedingungen, bestimmen, dass deren Eintritt nur zu Lebzeiten des Erblassers erfolgen kann.11 Eine derartige Bestimmung kann als der Bedingung beigefügte Befristung12 (mit dem Tod des Erblassers) verstanden werden. In allen diesen Fällen führt der Tod des Erblassers zum endgültigen Ausfall der aufschiebenden Bedingung, weil er den Bedingungseintritt nachträglich unmöglich macht. Damit endet der Schwebezustand, und es erlischt auch das als Vorwir­kung entstandene Anwartschaftsrecht.13 Dieses fällt somit nicht in den Nachlass. Aus der Privatautonomie der Parteien ergibt sich ganz grundsätzlich die 6 Zulässigkeit der Vereinbarung von Höchstpersönlichkeit sowohl bei Rechten als auch bei Pflichten, soweit eine solche Vereinbarung nicht rechtlich zwingend geschützten Interessen eines Partners des Rechtsgeschäfts oder eines Dritten zuwiderläuft.14 Ist nach dem Parteiwillen das bedingte Recht ein höchstpersönliches des Erblassers, so erlischt es mit dessen Tod (vgl § 531). 6 

Zu dieser Rz 35 ff bei § 897. Zum Verhältnis Bedingung – Gestaltungsrecht vgl Rz 37 und 98 zu § 897. 8  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 586; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 4. Vgl Rz 55 bei § 897. 9  6 Ob 563/87. 10  Vgl P. Bydlinski in KBB3 § 900 Rz 1. 11  ZB OGH 7 Ob 572/94 (Vereinbarung eines höchstpersönlichen „Widerrufsrechts“ in einem Übergabsvertrag). 12  Zur Befristung s Rz 88 ff zu § 897. 13  Zu den Folgen des Ausfalls der Bedingung s Rz 61 zu § 897. 14  Vgl OGH 5 Ob 609/81, SZ 57/8, zur grundsätzlichen Zulässigkeit der privatautonomen Vereinbarung absolut wirkender Zessionsverbote (mit Nw zur Lit) und die Einschränkung dieser Möglichkeit, Forderungen zu höchstpersönlichen iSd § 1393 zu machen, in § 1396a. 7 

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Allgemeines

§ 900

Eine der Vermutung der Vererblichkeit in § 900 entgegengesetzte Vermu- 7 tung stellt § 703 auf, der zur Erwerbung eines bedingt zugedachten Nachlas­ ses verlangt, dass der Bedachte bei Erfüllung der Bedingung lebt (und erbfähig ist). Das Erbrecht des letztwillig unter einer aufschiebenden Bedingung Bedachten kann dieser Regel zufolge erst nach Bedingungseintritt weitervererbt werden. Der Grund für die Einschränkung der Vererblichkeit eines aufschiebend bedingt eingeräumten Erbrechts15 in § 703 wird darin gesehen, dass nach dem Willen des Erblassers das Erbrecht überhaupt erst im Zeitpunkt des Eintritts der aufschiebenden Bedingung entstehen (anfallen) soll.16 § 703 möchte mit dem Ausschluss der Transmission17 dem mutmaßlichen Willen des Erblassers gerecht werden und ist daher wie § 900 nur eine Auslegungsregel.18 Sie beruht auf der Annahme, dass der Erblasser nur die bedingt eingesetzte Person höchstpersönlich, nicht aber deren Erben begünstigen wollte.19 Bei Potestativbedingungen, die vom Willen des bedingt Eingesetzten abhängen, wird diese Vermutung besonders oft berechtigt sein (vgl schon oben Rz 4). Bei nachweisbar gegenteiligem Willen des Testators ist jedoch von der Vererblichkeit des bedingt zugedachten Rechts, dh von Transmission auszugehen. Vereinzelt wird bedingten Rechten vom Gesetz ausdrücklich die Vererb- 8 lichkeit abgesprochen. So ist nach der zwingenden20 Anordnung des § 1074 das (mit dem Vorkaufsfall aufschiebend bedingte) Vorkaufsrecht nicht vererblich. Sieht man in der Ausübung des Wiederkaufsrechts und wegen der Ähnlichkeit der Ausgestaltung konsequenterweise auch des Rückverkaufs­ rechts aufschiebende Potestativbedingungen eines zweiten Kaufvertrags,21 so 15  Durch sog fideikommissarische Substitution; §  703 gilt auch für aufschiebend bedingte Legate (Handl in Klang II/1, 520; Weiß in Klang2 III 681; Welser in Rummel3 I § 703 Rz 1). 16  Kralik, Erbrecht 31; Welser in Rummel3 I § 615 Rz 7 f. 17  Die Vererbung des Erbrechts (Transmission) wird in §  537 geregelt, der das subjektive Erbrecht in dieser Hinsicht mit „anderen frei vererblichen Rechten“ gleichsetzt (§ 809 wiederholt die Regel des §537 klarstellend). 18  OGH 6 Ob 1/90, SZ 63/15 = JBl 1990, 581 (Eccher); Handl in Klang II/1, 519 f; Kralik, Erbrecht 261; Welser in Rummel3 I § 703 Rz 1; Eccher in Schwimann3 III § 703 Rz 1; Apathy in KBB3 § 703 Rz 1. Nach Weiß in Klang2 III 680 ff handelt es sich bei § 703 um dispositives Recht, nicht aber um eine Auslegungsregel. Eine derartige Unterscheidung ist mE gar nicht durchführbar, da auch das dispositive Recht in den meisten Fällen, wie die Auslegungsregel, dem hypothetischen Parteiwillen zum Durchbruch verhelfen will. Beide sind bei nachweislich abweichendem konkreten Parteiwillen unbeachtlich. 19  Das Gegenteil vermutet das Gesetz in § 615 Satz 2 für den Fall der Ersatzerbschaft, wenn diese bloß durch den Tod des Substituten „bedingt“ ist, denn diese ist iZw nicht als bedingt, sondern als befristet aufzufassen (OGH 2 Ob 272/52, SZ 25/85; Welser in Rummel3 I § 615 Rz 3, 8). 20  Zeiller, Commentar III/1, 377; Apathy in KBB3 § 1074 Rz 1. 21  Die Rechtsnatur von Wiederkaufsrecht und Rückkaufsrecht ist umstritten (dazu Aicher in Rummel3 I § 1068 Rz 2 und § 1071 Rz 1 mwN). Die überwiegende Meinung nimmt ein optionsartiges Gestaltungsrecht auf Herbeiführung eines zweiten Kaufvertrags an (zB Apathy in KBB3 § 1068 Rz 1; OGH 3 Ob 131/02i, SZ 2002/159). Vertreten wird auch die auflösende Bedingtheit des ersten Kaufvertrags (Zeiller, Commentar III/1, 370, § 1068) oder eben ein aufschiebend bedingter zweiter Kaufvertrag. Zumindest wenn man der auflösenden Bedingung des ersten Kaufvertrags nur sachenrechtliche ex-nunc-Wirkung zuspricht (zu den Wirkungen der auflösenden Bedingung vgl Rz 61 ff zu § 897), entstehen grundsätzlich nach allen Ansichten mit Ausübung des Gestaltungsrechts obligatorische Ansprüche auf Rückgewähr der ursprünglich geschuldeten Leis­ tungen (vgl zum Verhältnis von Bedingung zu Gestaltungsrecht und Option Rz 98 ff zu § 897).

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§ 901

Fenyves

stellen auch die §§ 1070 f, die die Vererblichkeit dieser Rechte22 ausschließen, Ausnahmebestimmungen im Verhältnis zu § 900 dar.

2) Bewegungsgrund; § 901. Haben die Parteien den Bewegungsgrund, oder den Endzweck ihrer Einwilligung ausdrücklich zur Bedingung gemacht; so wird der Bewegungsgrund oder Endzweck wie eine andere Bedingung angesehen. Außerdem haben dergleichen Äußerungen auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluß. Bei den unentgeltlichen aber sind die bei den letzten Anordnungen gegebenen Vorschriften anzuwenden. Stammfassung JGS 1811/946 Lit. Pfersche, Die Irrtumslehre des österreichischen Privatrechts (1891); Pfaff, clausula rebus sic stantibus, FS Unger (1898) 221; Klang, Unerschwinglichkeit der Leistung (1921); Wahle, Das Valorisationsproblem in der Gesetzgebung und Rechtsprechung Mitteleuropas (1924); Klang, Geldentwertung und juristische Methode (1925); Fulterer, Der Irrtum und die Geschäftsgrundlage (1931); Steinwenter, Die Vertragstreue im bürgerlichen Recht, JBl 1950, 173, 197, 225, 250; F. Bydlinski, Vertragsrecht und Arbeitskampf, ÖZöR VIII (1957) 355; Wieacker, Gemeinschaftlicher Irrtum der Vertragspartner und Clausula rebus sic stantibus – Bemerkungen zur Theorie der Geschäftsgrundlage, FS Wilburg I (1965) 229; F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts (1967); Kulka, Unentgeltlichkeit und Freigebigkeit, ÖJZ 1969, 477; Binder, Beendigung langdauernder arbeitsrechtlicher Bindungen nach österreichischem und deutschem Recht, ÖRdA 1970, 185; Barta/ Call, Der Sukzessivlieferungsvertrag, JBl 1971, 76 ff, 117 ff (125 und 129); Kramer, Zur Unterscheidung zwischen Motiv- und Geschäftsirrtum, ÖJZ 1974, 452; Jabornegg, DRdA 1976, 334 (Entscheidungsbesprechung); Rummel, Schenkungen unter Ehegatten und Scheidung, JBl 1976, 626; Bauerreiss, „Geschäftsgrundlage oder Vertragsbestimmung?“, NZ 1977, 81; Marhold, ZAS 1977/20 (Entscheidungsbesprechung); Reinl, Unterhaltsvereinbarung und Umstandsklausel, JBl 1977, 176; Hager, Die Valorisierung von Privatpensionen, ÖJZ 1978, 92; Rummel, Wegfall des Rechtsgrundes und Zweckverfehlung als Gründe der Kondiktion nach § 1435 ABGB, JBl 1978, 449; Schrank, ZAS 1978/3 (Entscheidungsbesprechung); Koziol, ZAS 1979/18 (Entscheidungsbesprechung); Welser, Anmerkungen zum Konsumentenschutzgesetz, JBl 1979, 449; F. Bydlinski, Kontrahierungszwang und Anwendung allgemeinen Zivilrechts, JZ 1980, 378; Ertl, Inflation, Privatrecht und Wertsicherung (1980); Rummel, Anmerkungen zum gemeinsamen Irrtum und zur Geschäftsgrundlage, JBl 1981, 1; Fenyves, Erbenhaftung und Dauerschuldverhältnis. Zur Auflösbarkeit von Dauerschuldverhältnissen anläßlich des Todes einer Vertragspartei (1982); Binder, Die Beendigung arbeitsvertraglicher Bindungen bei Eintritt dauernder Leistungsunmöglichkeit, FS Strasser I (1983) 271; P. Bydlinski, Zur Stellung der laesio enormis im Vertragsrecht, JBl 1983, 410; Schuhmacher, Verbraucherschutz bei Vertragsanbahnung (1983); Kerschner, Irrtumsanfechtung insbesondere beim unentgeltlichen Geschäft (1984); Ch. Huber, Die Verjährung 22 

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Und damit des bedingten zweiten Kaufvertrags.

Literatur

§ 901

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§ 901

Fenyves

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Übersicht

§ 901

Wortlaut als Grenze der Auslegung von Testamenten2 (2005); Graf, Im Hinblick auf den Fortbestand der Ehe gemachte Schenkung – Ist das Recht zum Widerruf ver­ erblich?, NZ 2007, 321; Michitsch, Reiseabbruch wegen Tsunami, ZVR 2007, 232; Deixler-Hübner, Auswirkung der Scheidung auf Schenkungen zwischen Ehegatten, EF-Z 2008, 213; Ertl, Inflation und Privatrecht, ecolex 2008, 313; Koziol, Zivilrechtli­ che Gedanken zum Verlagsvertrag III – Kündigungsrechte des Autors und Nichtigkeit bei überlanger Bindung, JBl 2008, 84; Binder, Wegfall der Geschäftsgrundlage und das Arbeitsrecht JBl 2009, 269; Binder, Anpassung eines Vorruhestandsmodells durch er­ gänzende Vertragsauslegung, DRdA 2009, 503; Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe und Lebensgemeinschaft10 (2009); Schmidt, Reine Kreditgeberrolle?, Typische Risiken der Kreditinstitute bei der Finanzierung von „steueroptimierten“ Vermögensanlagen, ÖBA 2009, 716; Aigner, Auslegung und Irrtumsrecht bei letztwilligen Verfügungen (2010); Bezemek, Die Geschäftsgrundlage im österreichischen Zivilrecht (2010); F. Bydlinski, Die Maxime beidseitiger Rechtfertigung, FS Koziol (2010) 1355; Wendehorst in Wen­ dehorst/Zöchling-Jud, Verbraucherkreditrecht (2010); Aigner, Der Irrtum des Erblas­ sers, NZ 2011, 193; Gitschthaler/Höllwerth (Hrsg), Ehe- und Partnerschaftsrecht (2011); Graf, Der Monopolist, sein Kündigungsrecht und der Kontrahierungszwang, JBl 2011, 148. Deutsche Lit: (Die deutsche Lit wird nur bis zum Inkrafttreten des § 313 BGB am 1. 1. 2002 berücksichtigt, da sich nach diesem Zeitpunkt das Interesse der Lehre natur­ gemäß auf die Kommentierung der neuen Bestimmung konzentrierte und für die öster­ reichische Rechtslage daher nicht mehr unmittelbar verwendbar ist.) Windscheid, Die Voraussetzung, AcP 78 (1892), 161; Oertmann, Die Geschäftsgrundlage: Ein neuer Rechtsbegriff (1921); Schmidt-Rimpler, Zum Problem der Geschäftsgrundlage, FS Nipperdey (1955) 1; Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung3 (1963); Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis (1969); Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos (1971); Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage bei Zweckstörungen im Schuldverhältnis (1971); Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen (1978) 244; Medicus, Vertragsauslegung und Ge­ schäftsgrundlage, FS Flume I (1978) 629; Flume, Rechtsgeschäft3 (1979); Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerrechtsverhältnissen (1979); Koller, Die Risi­ kenzurechnung bei Vertragsstörungen im Austauschverhältnis (1979); Häsemeyer, Ge­ schäftsgrundlage und Vertragsgerechtigkeit, FS Weitnauer (1980) 67; Nicklisch, Ergän­ zende Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlage – ein einheitliches Rechtsinstitut zur Lückenfüllung?, BB 1980, 949; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäfts­ grundlagenstörungen in Schuldverträgen (1981); Köbler, Die „clausula rebus sic stanti­ bus“ als allgemeiner Rechtsgrundsatz (1991); Lembke, Vorhersehbarkeit und Geschäfts­ grundlage (1991); Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung (1994); Härle; Die Äquivalenzstörung: ein Beitrag zur Lehre von der Geschäftsgrundlage (1995); Jung, Die Bindungswirkung des Vertrages unter veränderten geschäftswesent­ lichen Umständen (1995).

Übersicht

I. Allgemeines II. Bewegungsgrund und Endzweck III. Vereinbarungen über Bewegungsgrund oder Endzweck 1. Vereinbarung als Bedingung 2. Vereinbarung als Vertragsinhalt

1–2 3–4 5–11 5–8 9–11 97

§ 901

Fenyves

IV. Auswirkungen eines Irrtums über den Beweggrund oder Endzweck bei Fehlen einer Vereinbarung 12–25 1. Entgeltliche Rechtsgeschäfte 12–14 2. Unentgeltliche Rechtsgeschäfte 15–25 V. Geschäftsgrundlage 26–113 1. Das zu lösende Problem 26–31 2. Lehre 32–38 a) Pisko 32–33 b) Rummel 34 c) Tomandl 35 d) Kerschner 36 e) F. Bydlinski 37 f) Graf 38 3. Eigene Auffassung 39–60 a) Unmöglichkeit einer Gesamtanalogie 39–40 b) Vorrang einer vertraglichen Regelung 41 c) Vorrang des dispositiven Rechts 42 d) Ergänzende Vertragsauslegung und ihre Grenzen 43 e) Die „Doppellücke“ 44 f) Die Möglichkeiten für die Schließung der „Doppellücke“ 45–50 g) Teilweise Schließung durch analoge Anwendung des Irrtumsrechts 51–57 h) Schließung durch analoge Anwendung des Leistungsstörungsrechts 58–60 4. Besondere Geschäftsgrundlagen-Probleme bei Dauerschuldverhältnissen 61–66 a) Langfristige Dauerschuldverhältnisse als „Risikogeschäfte“? 61–62 b) Geschäftsgrundlage und Kündigung aus wichtigem Grund 63–66 5. Fehlen der Geschäftsgrundlage 67–71 6. Rechtsprechung 72–103 a) Einleitung 72 b) Definition der Geschäftsgrundlage 73 c) Subsidiarität der Geschäftsgrundlage 74–83 aa) Vorrang einer vertraglichen Regelung 75–76 bb) Vorrang des dispositiven Rechts 77–82 cc) Vorrang der ergänzenden Vertragsauslegung 83 d) Tatbestandsmerkmale der Geschäftsgrundlage 84–102 aa) Geschäftstypische Voraussetzungen 84–89 bb) Sphärenfremdheit 90–95 cc) Unvorhersehbarkeit 96–99 dd) Äquivalenzstörung 100–103 7. Rechtsfolgen bei Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage 104–111 8. Sonstiges 112–113

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Bewegungsgrund und Endzweck

§ 901

I. Allgemeines § 901, der im Kontext der Regelungen des Siebzehnten Hauptstückes über 1 „Nebenbestimmungen bei Verträgen“ angesiedelt ist, enthält unter der Überschrift „Bewegungsgrund“ Regelungen darüber, welche Auswirkungen es auf die Gültigkeit eines Vertrages hat, wenn er mit einem Irrtum über den Bewegungsgrund, also mit einem Motivirrtum behaftet ist. Die Norm ist nach richtiger Ansicht auf einseitige Willenserklärungen analog anzuwenden.1 Im Einzelnen enthält § 901 drei Anordnungen. Satz 1 spricht die Möglichkeit an, dass die Parteien den Bewegungsgrund oder den Endzweck ihrer Einwilligung ausdrücklich zur Bedingung machen; in diesem Fall wird der Bewegungsgrund oder Endzweck wie jede andere Bedingung angesehen. Haben die Parteien keine solche Vereinbarung getroffen („außer dem“), so haben „dergleichen Äußerungen“ auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluss (Satz 2). Bei den unentgeltlichen Verträgen aber sind die bei den letzten Anordnungen gegebenen Vorschriften anwendbar (Satz 3). Alle drei Sätze werfen eine Reihe von Auslegungsproblemen auf. § 901 wird über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus seit den 2 Ausführungen Piskos in der 1. Auflage dieses Kommentars2 auch als der geeignete Ort für die Behandlung der im ABGB nicht generell geregelten Proble­ matik des Fehlens, der Änderung und des Wegfalls der Geschäftsgrundla­ ge angesehen.3 Dem wird auch in der vorliegenden Kommentierung Rechnung getragen.4

II. Bewegungsgrund und Endzweck § 901 Satz 1 unterscheidet – anders als die Überschrift der Bestimmung, 3 die nur den „Bewegungsgrund“ nennt – zwischen „Bewegungsgrund“ und „Endzweck“, ohne diese Begriffe zu definieren. Nach richtiger Ansicht, die auf Pisko zurückgeht, kann man beide Begriffe unter dem Oberbegriff „Be­ wegungsgrund“ im weiteren Sinn zusammenfassen, da der Endzweck eines Geschäftes gleichzeitig immer auch einen Bewegungsgrund desselben bildet.5 Es ist daher nicht logisch, dass § 901 den Eindruck vermittelt, es handle sich bei „Bewegungsgrund“ und „Endzweck“ um zwei von einander verschiedene und bloß rechtlich gleichwertige Begriffe.6 Im Ergebnis sprechen somit die Überschrift zu § 901 und auch § 572, auf den der dritte Satz des § 901 verweist,7 zu Recht nur vom „Bewegungsgrund“ bzw „Beweggrund“ (§ 572).8 Pisko in Klang II/2, 337; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 1. Pisko in Klang II/2, 348. 3  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 4; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 6; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 6; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 15. 4  Vgl Rz 26 ff. 5  Pisko in Klang II/2, 337 f; zustimmend Bezemek, Geschäftsgrundlage 10 und im Ergebnis auch Kerschner, Irrtumsanfechtung 151. 6  So richtig Pisko in Klang II/2, 337. 7  Vgl Rz 15. 8  Vgl Bezemek, Geschäftsgrundlage 10. 1  2 

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Dennoch ist die Unterscheidung zwischen „Bewegungsgrund“ ieS und „Endzweck“ nicht ganz ohne Bedeutung. Der Bewegungsgrund (das Motiv), also die Vorstellung, die eine Partei zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt hat,9 kann sich auf die Gegenwart und Vergangenheit, aber auch auf die Zukunft beziehen. Wer mit einem Vertrag einen bestimmten Zweck verfolgt, richtet seine Vorstellung hingegen darauf, dass der angestrebte Erfolg eintreten wird, also auf Tatsachen der Zukunft.10 Ein Irrtum über den Beweggrund ieS kann daher ein Irrtum über Zukünftiges sein, ein Irrtum über den Endzweck ist immer ein Irrtum über Zukünftiges. Das hat zB Auswirkungen auf die Möglichkeit der Parteien, eine „eigentliche Bedingung“ zu vereinbaren,11 kann aber auch im Bereich der Geschäftsgrundlage eine Rolle spielen.

III. Vereinbarungen über Bewegungsgrund oder Endzweck 1. Vereinbarung als Bedingung § 901 Satz 1 spricht die Möglichkeit an, dass die Parteien den Bewegungsgrund oder den Endzweck ihrer Einigung ausdrücklich zur Bedingung machen. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die sich aus dem Grundsatz der Privatautonomie ergibt,12 und den Parteien sowohl bei entgeltlichen wie auch bei unentgeltlichen Verträgen offen steht. Die Hauptbedeutung der Vereinbarung des Motivs als Bedingung für den Abschluss eines Vertrages liegt aber natürlich bei den entgeltlichen Rechtsgeschäften.13 Eine Bedingung im eigentlichen Sinn („eigentliche Bedingung“) setzt voraus, dass ihre Rechtswirkung von einem zukünftigen Ereignis abhängt.14 Der in Satz 1 gebrauchte Ausdruck „Bedingung“ trifft daher nur für den Endzweck und für den Beweggrund ieS zu, der sich auf eine Tatsache der Zukunft bezieht. Besteht der Beweggrund, von dessen Zutreffen die Wirkung des Rechtsgeschäftes abhängig gemacht wird, in einer Tatsache der Gegenwart oder der Vergangenheit, bildet er den Gegenstand einer uneigentlichen Bedin­ gung.15 Satz 1 verlangt nach seinem Wortlaut, dass der Bewegungsgrund oder der 6 Endzweck „ausdrücklich“ zur Bedingung gemacht wird. Durch diese Formulierung soll aber nach ganz hM16 und stRsp17 lediglich zum Ausdruck gebracht 5

Pisko in Klang II/2, 337. Pisko in Klang II/2, 337. 11  Vgl Rz 5. 12  So zutreffend Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2. 13  Vgl Rz 12. 14  Vgl nur P. Bydlinski, AT5 Rz 10/13; Koziol/Welser13 I 194. 15  Pisko in Klang II/2, 341. 16  Pisko in Klang II/2, 341 unter Hinweis darauf, dass das ABGB das Wort ausdrücklich auch an anderen Stellen idS versteht; vgl ferner Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 2; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 2; Kerschner, wbl 1988, 214 f; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 194. 17  OGH 5 Ob 62, JBl 1962, 606; 1 Ob 24/70, EvBl 1970/203; 1 Ob 18/73, EvBl 1974/29; 7 Ob 595/76, NZ 1981, 42; 3 Ob 573/85, JBl 1987, 378; 3 Ob 534/95, HS XXVI/4; 6 Ob 146/97g, ecolex 1998, 197 (Wilhelm); 6 Ob 154/02v, RdW 2003/302; 1 Ob 219/06x, ecolex 2007/353. 9 

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werden, dass die Vereinbarung der Bedingung „hinreichend deutlich“ erfolgen muss. Konkludente Vereinbarung ist also zulässig, darf aber nur unter den strengen Voraussetzungen des § 863 angenommen werden.18 Keinesfalls ausreichend ist es dafür, wenn eine Partei der anderen den sie bestimmenden Beweggrund bei oder vor Abschluss des Geschäftes mitgeteilt hat und diese gleichwohl das Geschäft abgeschlossen hat.19 Ebenso wenig ist es für die Annahme einer konkludenten Vereinbarung hinreichend, wenn beide Vertragsteile zwar von derselben Vorstellung ausgehen, diese aber nicht äußern.20 Gschnitzer vertritt für unentgeltliche Rechtsgeschäfte eine andere Auf- 7 fassung. Dort könne, da § 901 Satz 2 ausdrücklich nur für entgeltliche Geschäfte gelte, auch die bloße Angabe des Beweggrundes als Beschränkung des rechtsgeschäftlichen Willens, als „unentwickelte“ Bedingung, als beschränkende Voraussetzung wirken. Es genüge, dass der unentgeltlich Zuwendende den angegebenen Beweggrund als Bedingung verstanden habe; dass der die Zuwendung Empfangende dies erkannt oder gar zugestimmt habe, sei nicht erforderlich.21 Dieser Auffassung ist vor allem Kerschner entgegen getreten, der zu Recht darauf verweist, dass der von Gschnitzer aus § 901 Satz 2 gezogene Gegenschluss höchst zweifelhaft ist.22 Aus § 897 ergebe sich, dass es zur Wirksamkeit der Vereinbarung einer Bedingung sowohl bei entgeltlichen wie auch bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften der Einigung beider Parteien bedürfe. Bei den unentgeltlichen Rechtsgeschäften könne ein geäußertes Motiv aber als Motivirrtum beachtlich sein.23 Wurde der Beweggrund oder der Endzweck eines Vertrages wirksam zur 8 Bedingung erhoben, hängt das Schicksal des Vertrages bei Unrichtigkeit der Vorstellung, die zu seinem Abschluss geführt hat, bzw bei Nichterreichung seines Zwecks von der Art der vereinbarten Bedingung ab: Bei einer aufschiebenden Bedingung entsteht keine Verbindlichkeit, bei einer auflösenden Bedingung erlischt sie. Einer Anfechtung des Vertrages bedarf es zur Bewirkung dieser Rechtsfolgen nicht.24 18  Pisko in Klang II/2, 341; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 2; Kerschner, wbl 1988, 214 f; Tomandl, ZAS 1988, 11; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 2. 19  Pisko in Klang II/2, 341; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 1; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 194; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 2; OGH 7 Ob 595/76, NZ 1981, 42; 3 Ob 534/95, HS XXVI/4. 20  Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 2; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 2; OGH 3 Ob 534/95; HS XXVI/4. In diesem Fall kann aber uU die Lehre von der Geschäftsgrundlage helfen; vgl Rz 26 ff. 21  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 333; diesem folgend OGH 5 Ob 190/72, MietSlg 24.089. Ausdrücklich gegenteiliger Ansicht noch Pisko in Klang II/2, 345 f. 22  Vgl auch schon Rummel, JBl 1976, 628, und ders in Rummel3 I § 901 Rz 9. 23  Irrtumsanfechtung 106 f. Zustimmend Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 2, Rz 9, die allerdings zu Unrecht davon ausgeht, dass Gschnitzer von einer „uneigentlichen“ Bedingung spricht. Anders zuletzt, allerdings ohne Auseinandersetzung mit der hM, OGH 6 Ob 3/09y, EF-Z 2010/19 (Volgger). Vgl auch Rz 10. 24  P. Bydlinski, AT5 Rz 8/31; Koziol/Welser13 I 155; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 2; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 1; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 194.

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2. Vereinbarung als Vertragsinhalt 9

Die Parteien können Motiven auch dadurch rechtliche Relevanz verleihen, dass sie den Bewegungsgrund oder Endzweck ausdrücklich oder stillschweigend zum Inhalt des Vertrages machen. Fehlvorstellungen über das vereinbarte Motiv stellen in diesem Fall einen Geschäftsirrtum dar, der bei entgeltlichen Rechtsgeschäften zur Anfechtung gem §§ 871 ff berechtigt.25 Die Möglichkeit der Parteien, Beweggründe einvernehmlich zum Ver10 tragsinhalt zu machen, wirft in zweierlei Hinsicht Abgrenzungsprobleme auf. Zum einen kann fraglich sein, ob in concreto wirklich eine solche Vereinbarung getroffen wurde oder der Beweggrund außerhalb des Geschäftsinhaltes geblieben ist. Dafür gelten die bereits erwähnten Grundsätze: Auch hier reicht der Umstand der einseitigen Bekanntgabe des Motivs für die Annahme einer schlüssigen Vereinbarung nicht aus,26 es sei denn, dass den Anerklärten eine Pflicht zum Widerspruch gem § 871 Abs 2 trifft.27 Ebenso wenig genügt es, wenn beide Teile zwar von derselben Vorstellung ausgehen, diese aber nicht äußern.28 Wenn hingegen feststeht, dass eine Vereinbarung über den Beweggrund 11 geschlossen wurde, kann zum anderen auch die Frage auftreten, ob das Motiv nur zum Vertragsinhalt gemacht oder in den Rang einer Bedingung erhoben wurde. Das ist wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen bedeutsam, die mit diesen beiden Spielarten der Vertragsgestaltung verbunden sind: Bei der Vereinbarung einer Bedingung bedarf es keiner Anfechtung, bei der „bloßen“ Einbeziehung des Motivs in den Vertrag dagegen schon.29 Worauf der Parteiwille gerichtet ist, kann jeweils nur im Einzelfall durch Vertragsauslegung ermittelt werden.30 IZw spricht es gegen die Vereinbarung einer Bedingung, wenn sich die Parteien nicht gegen einen ungewissen Umstand absichern wollten, sondern im Gegenteil davon ausgingen, dass ihre Annahmen richtig sind bzw dass sich ihre Erwartungen erfüllen werden.31

IV. Auswirkungen eines Irrtums über den Beweggrund oder Endzweck bei Fehlen einer Vereinbarung 1. Entgeltliche Rechtsgeschäfte 12

Gem § 901 Satz 2 haben „außer dem“, also wenn die Parteien den Bewegungsgrund oder den Endzweck nicht zur Bedingung gemacht haben, „der­ 25  Koziol/Welser13 I 155; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 2; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 1; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 3 f; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 199; OGH 8 Ob 96/72, EvBl 1973/27; 2 Ob 581, 582/79, HS X/XI/21. 26  Vgl genauer die Nw in FN 20 und 21. 27  Stefula/Thunhart, NZ 2002, 195; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 3 (beide mit Bspe). 28  Vgl FN 21. 29  Vgl Rz 8. 30  Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 5. 31  Pisko in Klang II/2, 341 f; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 329; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 195; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 5.

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gleichen Äußerungen“ auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluss. Auch diese Formulierung ist in mehrfacher Hinsicht auslegungsbedürftig. Sie scheint zum einen den Eindruck zu erwecken, dass „dergleichen Äußerungen“ bei den in Satz 3 geregelten unentgeltlichen Verträgen wie eine Bedingung wirken können. Zum anderen könnte sie dahin verstanden werden, dass Satz 2 eine abschließende Regelung darüber enthält, in welchen Fällen ein Motivirrtum bei entgeltlichen Rechtsgeschäften beachtlich ist. Beides trifft nicht zu. Was zuerst die „Äußerungen“ betrifft, also Mitteilungen von Motiven, 13 die eben nicht – wie es Satz 1 voraussetzt – einvernehmlich zur Bedingung erhoben werden, hat schon Pisko darauf hingewiesen, dass sich diese Formulierung trotz ihrer formalen Ansiedelung in Satz 2 auch auf unentgeltliche Verträge beziehe.32 Die zentrale Aussage von Satz 2 besteht allein darin, dass der Motiv­irrtum bei entgeltlichen Rechtgeschäften grds anders behandelt werden soll als bei unentgeltlichen. Der von Gschnitzer aus Satz 2 e contrario gezogene Schluss, dass bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften auch die bloße Mitteilung des Motivs durch eine Partei als „unentwickelte“ Bedingung Wirkungen entfalten könne,33 ist daher verfehlt.34 Satz 2 enthält auch keine abschließende Regelung über die Relevanz des 14 Motivirrtums bei entgeltlichen Rechtsgeschäften. Die Parteien können ein Motiv durch Vereinbarung nicht nur zur Bedingung erheben, sondern – wie eben dargestellt – auch schlicht zum Inhalt des Vertrages machen. Völlig außer Streit steht weiters, dass bei entgeltlichen Verträgen ein Motivirrtum dann aufgegriffen werden kann, wenn er arglistig herbeigeführt oder ausgenutzt wurde.35 Pisko36 und Gschnitzer37 wollen noch eine dritte Ausnahme von § 901 Satz 2 anerkennen, nämlich den Irrtum in der Person. Dieser unterliege gem § 873 auch dann den Regeln der §§ 871, 872, wenn er keinen Geschäftsirrtum, sondern bloß einen Irrtum im Beweggrund bildet. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Wenn § 873 anordnet, dass „ebendiese Grundsätze“, also die Grundsätze, die in §§ 871, 872 niedergelegt sind, auch auf den Irrtum in der Person anzuwenden sind, dann bezieht sich dieser Verweis nicht nur auf die Unterscheidung in wesentlichen bzw unwesentlichen Irrtum und die Voraussetzungen der Veranlassung, des Offenbarauffallenmüssens und der rechtzeitigen Aufklärung, sondern natürlich in erster Linie auch auf das Erfordernis des Vorliegens eines Geschäftsirrtums. Auch ein Irrtum in der Person kann bei entgeltlichen Rechtsgeschäften daher nur dann beachtlich sein, wenn er einen

Pisko in Klang II/2, 341. in Klang2 IV/1, 333. 34  Ebenso die nun hM. Vgl die Nw in FN 27 bis 29. 35  Pisko in Klang II/2, 344; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 331; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 3; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 6; P. Bydlinski, AT5 Rz 8/27 f; Koziol/ Welser13 I 155. 36  in Klang II/2, 345. 37  in Klang2 IV/1, 331. 32  33 

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Geschäftsirrtum darstellt.38 Wann das zutrifft, ist freilich nicht immer leicht zu beantworten.39 2. Unentgeltliche Rechtsgeschäfte Gem § 901 Satz 3 sind bei den unentgeltlichen Verträgen „aber“ – also anders, als bei den entgeltlichen – die bei den letzten Anordnungen gegebe­ nen Vorschriften anzuwenden. Da § 901 die Bedeutung des Irrtums über den „Bewegungsgrund“ regelt, bezieht sich dieser Verweis streng genommen nur auf § 572.40 Die hM ist jedoch großzügig und fasst § 901 Satz 3 zu Recht als pauschalen Verweis auf die Regelungen über die Auswirkungen von Willensmängeln auf letztwillige Verfügungen auf, also auf die §§ 565 und 570–572.41 Die Übertragung der Vorschriften über Willensmängel von den letztwilligen Verfügungen auf die unentgeltlichen Geschäfte unter Lebenden ist allerdings, wie bereits Gschnitzer erkannt hat,42 nicht unproblematisch, sodass bei der Anwendung der §§ 565, 570 ff auf unentgeltliche Rechtsgeschäfte Vorsicht geboten ist.43 Unentgeltliche Verträge iSd § 901 Satz 3 sind nach den allgemeinen 16 Grundsätzen über die Abgrenzung der entgeltlichen von den unentgeltlichen Rechtsgeschäften solche, bei denen eine Leistung ohne Gegenleistung erbracht wird,44 also die Schenkung,45 der unentgeltliche Verzicht,46 auch in Form des Erbverzichts,47 die Leihe,48 das unentgeltliche Darlehen, der unentgeltliche Auftrag49 etc. Ob auf die sogenannten „entgeltfremden Geschäfte“ 15

38  So völlig zu Recht die heute hM (Rummel in Rummel3 I § 873 Rz 1; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 873 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 873 Rz 1; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 873 Rz 2; Bollenberger, Irrtum 7) und die Rechtsprechung des OGH (5 Ob 384/60, EvBl 1961/76; 6 Ob 220/64, JBl 1965, 318; 6 Ob 381/66, MietSlg 19.059; 3 Ob 237/97t, ÖBA 1998, 54). 39  Zur Frage, wann ein Irrtum in der Person einen Geschäftsirrtum darstellt, vgl insb Bollenberger, Irrtum 7 ff. Aus der Jud OGH 6 Ob 220/64, JBl 1965, 318; 7 Ob 33/89, JBl 1990, 519; 4 Ob 81/99m, Mietslg 51.077; 6 Ob 306/02x, JBl 2003, 856. 40  So denn auch Pisko in Klang II/2, 345. 41  Pfersche, Irrthumslehre 232; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 331; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 7; aM Kerschner, Irrtumsanfechtung 125. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht nicht nur der Wortlaut der Bestimmung, der im Plural von „Vorschriften“ spricht, sondern auch, dass man bei dem von Pisko vorgeschlagenen engen Verständnis des Verweises die selbstverständliche Relevanz des Geschäftsirrtums sowie von List und Zwang bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften mühsam aus § 572 ableiten müsste. Vgl Gschnitzer in Klang2 aaO. 42  in Klang2 IV/1, 332. 43  Vgl auch Pfersche, Irrthumslehre 232, und Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9. 44  Vgl dazu nur Kulka, ÖJZ 1969, 477, und Kerschner, Irrtumsanfechtung 96. 45  Pisko in Klang II/2, 345; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 3; OGH 1 Ob 10/75, SZ 48/9; 4 Ob 606/88, JBl 1989, 446; 6 Ob 44/02t, EFSlg 100.794. Die Jud zählt dazu auch die gemischte Schenkung, wenn der Schenkungsteil deutlich überwiegt (OGH 6 Ob 609/93, EFSlg 72.105). 46  Pisko in Klang II/2, 345; Kerschner, Irrtumsanfechtung 102; OGH 7 Ob 67/80, SZ 54/7. 47  OGH 3 Ob 60/55, EvBl 1955/289. 48  Pisko in Klang II/2, 345; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 3; OGH 5 Ob 762/82, MietSlg 34.145. 49  Pisko in Klang II/2, 345.

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Keine Vereinbarung über Bewegungsgrund oder Endzweck

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§ 901 Satz 2 oder Satz 3 anzuwenden ist, hängt davon ab, ob das in Betracht kommende Rechtsgeschäft eher wie ein entgeltliches oder unentgeltliches zu behandeln ist.50 Meist liegt in diesen Fällen aber ohnedies ein entgeltliches Rechtsgeschäft vor51 oder stellen sich zumindest die Regeln über die entgeltlichen Rechtsgeschäfte als die geeigneteren dar.52 Wie immer, wenn es um solche Wertungsfragen geht, sind unterschiedliche Ansichten über die richtige Lösung unvermeidlich.53 § 572, auf den § 901 Satz 3 für die Behandlung des Motivirrtums bei un- 17 entgeltlichen Rechtsgeschäften verweist, verlangt für die Beachtlichkeit des Irrtums über den Beweggrund, dass dieser vom Erblasser „angegeben“ wurde und der Wille des Erblassers „einzig und allein“ auf diesem irrigen Beweggrund beruhte. Der Wortlaut der Bestimmung stellt also sehr strenge Voraussetzungen auf, nämlich die ausdrückliche Nennung des Motivs durch den Erblasser in der letztwilligen Verfügung und die Ausschließlichkeit des genannten Motivs für dessen Verfügung. In der erbrechtlichen Lit setzt sich die hM über den Wortlaut des § 572 jedoch hinweg und relativiert sowohl das „Nennungs-“ wie auch das „Ausschließlichkeitserfordernis“: Auch nicht vom Erblasser genannte oder vom genannten abweichende Motive könnten zur Irrtumsanfechtung führen, wenn das irrige Motiv mit hinreichender Wahrscheinlichkeit beweisbar sei; Kausalität des Irrtums soll also für die Anfechtung ausreichen.54 Auch die Wortfolge „einzig und allein“ wird nur als Hinweis auf das Erfordernis der Kausalität für das Zustandekommen der letztwilligen Verfügung verstanden.55 Die Rechtsprechung nimmt die zuletzt genannte Formulierung in § 572 jedoch ernst und verlangt Ausschließlichkeit des angenommen Beweggrundes;56 zumindest dürfe für die Zuwendung kein anderes wesentliches Motiv übrig bleiben.57 Dieser Meinungsgegensatz setzt sich bei der Anwendung der Grundsätze des § 572 auf die unentgeltlichen Rechtsgeschäfte fort. Die hM steht auch hier auf dem Standpunkt, dass die in § 572 aufgestellten Voraussetzungen für die Möglichkeit der Geltendmachung eines Motivirrtums lediglich das Erfor50  Wie hier Rummel in Rummel3 I § 917 Rz 2. Vgl dazu im Einzelnen Kerschner, Irrtumsanfechtung 97 ff, der die von Gschnitzer (in Klang2 IV/1, 435) eingeführte Kategorie der entgeltfremden Rechtsgeschäfte überhaupt ablehnt. 51  Kerschner, Irrtumsanfechtung 93 ff. 52  Koziol/Welser13 I 117 mwN. 53  Zur Diskussion über die Anfechtbarkeit der Erbantrittserklärung und der Erbausschlagung vgl Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 7. 54  Handl in Klang II/1, 163, Weiß in Klang2 III 286; Ehrenzweig, System II/22, 415; Kralik, Erbrecht 106; Welser in Rummel3 I §§ 570−572 Rz 3; Eccher in Schwimann3 III § 572 Rz 2; ders, Erbrecht4 Rz 4/26; Apathy in KBB3 §§ 570–572 Rz 4; Koziol/Welser13 II 486; Weiß/Likar-Peer in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht 129; Aigner, NZ 2011, 200. Zustimmend Kerschner, Irrtumsanfechtung 126 FN 128. 55  Handl in Klang II/1, 162; Ehrenzweig, System II/22, 415; Kralik, Erbrecht 106; Welser in Rummel3 I §§ 570−572 Rz 3; Eccher in Schwimann3 III § 572 Rz 1; ders, Erbrecht4 Rz 4/26; Koziol/Welser13 II 486; Weiß/Likar-Peer in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht 130; Aigner, NZ 2011, 201. AM jedoch Weiß in Klang2 III 287. 56  OGH GlU 98/45; GlU 15.173; 7 Ob 623/79, SZ 52/173. 57  OGH 4 Ob 606/88, JBl 1989, 446.

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dernis der Kausalität der irrigen Vorstellung für das Zustandekommen des unentgeltlichen Rechtsgeschäftes ausdrücken sollen.58 Aus der Bestimmung wird aber immerhin die Notwendigkeit eines besonders sicheren Kausalitätsnachweises abgeleitet.59 Die Jud verlangt hingegen auch hier die Ausschließlichkeit des Motivs60 und vereinzelt sogar dessen Nennung.61 Gegen die Reduktion der Vorgaben, die sich aus dem Wortlaut von § 901 18 Satz 3 iVm § 572 ergeben, auf ein bloßes, wenngleich streng verstandenes Kausalitätserfordernis, haben Stefula/Thunhart Bedenken angemeldet. Die Entstehungsgeschichte des § 572 spreche dafür, dass es keineswegs zufällig, sondern vom Gesetzgeber gewollt gewesen sei, dass die Bestimmung in Satz 1 vom „angegebenen“ Beweggrund spreche62 und in Satz 2 die Wortfolge „einzig und allein“ verwende.63 Diese Anordnungen seien auch durchaus sinnvoll. Das Erfordernis der Angabe des Beweggrundes solle Schwierigkeiten bei der Beweisführung über die wahren Motive des Erblassers vermeiden helfen und verhindern, dass die Bestandskraft des letzten Willens durch falsche, aber schwer zu widerlegende Behauptungen gefährlich beeinträchtigt werden könnte. Ähnliches gelte auch für das „Ausschließlichkeitserfordernis“, das dazu diene, eine fragwürdige Beweisführung über die persönlichen Erwägungen des Erblassers von vorneherein abzuschneiden und die Aufgreifbarkeit eines Motivirrtums auf Fälle einzugrenzen, in denen sich die Kausalität des Irrtums ganz zweifelsfrei feststellen lasse. Diese Erwägungen träfen auch auf die unentgeltlichen Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu, wo sie dem Vertrauensschutz des Empfängers dienten. Hier reiche es für die „Angabe“ des Beweggrundes allerdings, wenn dieser nach § 863 ABGB schlüssig angegeben werde.64 Es kann hier offen bleiben, ob den Ausführungen von Stefula/Thunhart für das Erbrecht zu folgen ist.65 Selbst wenn dem nämlich so sein sollte, könnten die für § 572 gewonnenen Ergebnisse nicht ohne weiteres auf die unentgeltli­ chen Rechtsgeschäfte übertragen werden.66 Das erkennen Stefula/Thunhart auch selbst, wenn sie bei den unentgeltlichen Rechtsgeschäften nicht verlangen, dass das Motiv im Vertrag genannt wird, sondern sich mit dessen konkludenter „Angabe“ begnügen.67 Dabei kann man jedoch nicht stehen bleiben. Es 58  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 4; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4. 59  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4. 60  OGH 1 Ob 81/55, SZ 28/60; 3 Ob 60/55, EvBl 1955/289; 4 Ob 606/88, JBl 1989, 446. 61  OGH 1 Ob 81/55, SZ 28/60. 62  NZ 2002, 196 f. 63  NZ 2002, 198 f. 64  NZ 2002, 196 ff. 65  Die beiden Autoren haben sich zB mit dem Argument Pfersches (Irrthumslehre 80) und Handls (in Klang II/1, 163) nicht auseinandergesetzt, dass die beiden Sätze des § 572 von einander zu trennen seien. Der erste Satz solle ausdrücken, dass der Beweggrund gleichgültig sei, selbst wenn er vom Testator genannt worden wäre; erst der zweite Satz gebe die Voraussetzung zu der Irrtumsanfechtung an, die ganz unabhängig davon sei, ob das Motiv angegeben wurde oder nicht. Gegen Stefula/Thunhart Aigner, NZ 2011, 200 ff. 66  Vgl Rz 15. 67  Diesen Unterschied erklären die Autoren damit, dass im Erbrecht strenge Formerfordernisse gelten (NZ 2002, 197 f).

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gibt nämlich auch einen sehr wesentlichen Unterschied in der Beweissituation, die in der Argumentation von Stefula/Thunhart eine große Rolle spielt: Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 572 ist der Irrende bereits tot und kann daher über sein Motiv für die letztwillige Verfügung nicht mehr befragt werden. Das mag es rechtfertigen, die Einhaltung von Formalerfordernis­sen und den Nachweis zu verlangen, dass der Erblasser im „einzigen“ Motiv irrte. Bei den unentgeltlichen Rechtsgeschäften ist die Ausgangssituation jedoch eine ganz andere, da der Verfügende idR noch lebt. Wenn er im Verfahren versucht, den ihm obliegenden68 Nachweis dafür zu erbringen, dass er im Beweggrund geirrt hat, können seine Behauptungen vom Richter auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft werden. Bei den unentgeltlichen Rechtsgeschäften sollte es daher im Sinne der hM dabei bleiben, dass (nur) ein besonders sicherer Kausalitätsbeweis verlangt wird. Dem Vertrauensschutz des Empfängers, auf dessen Bedeutung Stefula/Thunhart zu Recht hinweisen,69 wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass der Irrende bei verschuldetem Motivirrtum aus culpa in contrahendo für den Vertrauensschaden haftet.70 Motivirrtum kann auch ein Irrtum über Zukünftiges sein.71 Da für die 19 Geltendmachung solcher Irrtümer bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften § 901 zur Verfügung steht, besteht bei diesen für den Rückgriff auf die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage weder ein Bedarf72 noch wäre er auch zulässig, da die Geschäftsgrundlage einen subsidiären Rechtsbehelf darstellt, der nur als ultima ratio in Betracht kommt.73 Umgekehrt ist für die Berufung auf § 901 kein Platz, wenn es für die Relevanz von Irrtümern über Zukünftiges bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften speziellere Regelungen gibt, die § 901 vorgehen. Das ist bei den §§ 947 ff (Widerrufsgründe bei der Schenkung),74 1247 Satz 2 (Widerruf der Schenkung bei Scheitern der Verlobung)75 und 1266 (Wirkung der Scheidung oder Aufhebung der Ehe auf Ehepakte)76 der Fall. § 1266 wird von der hM seit 1 Ob 10/7577 auf Schenkungen unter Ehegatten analog angewendet, wenn sie in

446.

68 

Vgl nur Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 5 und OGH 4 Ob 606/88, JBl 1989,

69 

NZ 2002, 197. Vgl dazu nur Vonkilch, JBl 2004, 759; Kerschner, Irrtumsanfechtung 112; F. Bydlinski, FS Stoll 127 FN 38. 71  Vgl Kerschner, Irrtumsanfechtung 149. 72  Rummel, JBl 1976, 628; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 3; OGH 4 Ob 504/84, SZ 58/63; 4 Ob 565/94, NZ 1996/65; 8 Ob 530/94, NZ 1996, 268. 73  Vgl Rz 44, 74. Speziell zum Verhältnis zwischen § 901 und der Geschäftsgrundlage Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 14; OGH 5 Ob 703/77, HS 11.130. Für Konkurrenz dagegen noch 2 Ob 602/53, JBl 1954, 396 und 1 Ob 10/75, SZ 48/9. 74  Grundlegend Kerschner, Irrtumsanfechtung 154; vgl auch Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 3; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 12; Fischer-Czermak, NZ 2001, 4. 75  Rummel, JBl 1976, 629; Kerschner, Irrtumsanfechtung 155. 76  Rummel, JBl 1976, 629; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Fischer-Czermak, NZ 2001, 4. 77  SZ 48/9 = JBl 1976, 648. 70 

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Erwartung des weiteren Bestands der Ehe gemacht wurden78 und bestimmenden Einfluss auf die Güterverteilung in der Ehe hatten, sodass sie im Gewicht einem Ehepakt gleich kommen.79 Unter diesen Voraussetzungen kommt auch auf Schenkungen auf den Todesfall unter Ehegatten § 1266 analog zur Anwendung.80 Für Eingetragene Partner kann nichts anderes gelten, da auch ihnen der Abschluss von Vereinbarungen offen steht, die wie Ehepakte zu behandeln sind (§ 1217 Abs 2). ME spricht auch nichts dagegen, auf Schenkungen unter Lebensgefährten § 1266 analog anzuwenden, wenn die Voraussetzungen für die Analogie vorliegen.81 Die §§ 947 ff, 1247 und 1266, die allesamt die Auswirkungen eines Irrtums 20 über Zukünftiges regeln und daher auch als Vorschriften verstanden werden können, die sich mit der Problematik der Änderung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beschäftigen,82 sind über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus in zweifacher Hinsicht von Interesse. Sie zeigen zum einen, dass der Irrtum über Zukünftiges bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften keineswegs immer beachtlich ist,83 sondern dass es für seine Relevanz uU des Vorliegens gewisser Voraussetzungen bedarf, die von Norm zu Norm durchaus unterschiedlich sein können.84 Das ist ein Indiz dafür, dass es in der Lehre von der Geschäftsgrundlage keine Einheitslösung gibt.85 Die genannten Vorschriften machen zum anderen aber auch deutlich, dass die Voraussetzungen der „Unvorhersehbarkeit“ und der „Sphärenfremdheit“, die in der Lehre von der Geschäftsgrundlage eine bestimmende Rolle spielen, bei den unentgeltlichen Rechtsgeschäften nicht von vergleichbarer Bedeutung sind.86 78  Rummel, JBl 1976, 629 f (Besprechungsaufsatz zu 1 Ob 10/75); Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 4; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 13; M. Bydlinski in Rummel3 II § 1246 Rz 1; Brauneder in Schwimann3 V § 1246 Rz 1, § 1266 Rz 7; Fischer-Czermak, NZ 2001, 4; Koziol/Welser13 I 496; OGH 4 Ob 504, 505/84, SZ 58/63; 4 Ob 565/94, NZ 1996, 65; 8 Ob 530/94, NZ 1996, 268. Offenlassend Kerschner, Familienrecht4 Rz 2/147. AM Weiß in Klang2 V 879; Deixler-Hübner, EF-Z 2008, 214, die aber Anfechtung nach § 901 zulassen will. 79  Rummel, JBl 1976, 630 FN 33; M. Bydlinski in Rummel3 II § 1246 Rz 1; Brauneder in Schwimann3 V § 1246 Rz 1, § 1266 Rz 7; OGH 4 Ob 504, 505/84, SZ 58/63; 4 Ob 565/94, NZ 1996, 65; 8 Ob 530/94, NZ 1996, 268. Fischer-Czermak will diesem Kriterium nur für den Beweis Bedeutung beimessen, dass der Schenkung die Erwartung zugrunde lag, die Ehe werde Bestand haben (NZ 2001, 4). 80  Fischer-Cerzmak, NZ 2001, 3; dieser folgend Graf, NZ 2007/73, 322; Brauneder in Schwimann3 V § 1266 Rz 7; Weiß in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht 313 FN 29. 81  Dagegen Lindner in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht D Rz 13. Die Rechtsprechung scheint von einer Anwendung des § 901 auszugehen; OGH 6 Ob 66/00z, EFSlg 100.794; 6 Ob 44/02t, MietSlg 54.103; 6 Ob 86/04x, ecolex 2004/435. Auch an dieser Möglichkeit zweifelnd Deixler-Hübner, Scheidung10 Rz 254. 82  Und daher als „Clausula-Regelungen“ bezeichnet werden können; vgl Fenyves, Gutachten 77. 83  Kerschner, Irrtumsanfechtung 154; Apathy/Riedler, Schuldrecht BT4 Rz 2/8; Koziol/ Welser13 II 193; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4. 84  Vgl dazu näher Bezemek, Geschäftsgrundlage 68 (zu §§ 1265 f), 69 (zu §§ 947 ff) und 70 (zu § 1247). 85  Vgl Rz 40. 86  Kerschner, wbl 1988, 214; Bezemek, Geschäftsgrundlage 71 f.

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Keine Vereinbarung über Bewegungsgrund oder Endzweck

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Bei einem Irrtum im Beweggrund bei unentgeltlichen Rechtsgeschäf- 21 ten, der Vergangenes oder Gegenwärtiges betrifft, steht die immer noch hL auf dem Standpunkt, dass es für die Anfechtung des Vorliegens keiner der Voraussetzungen des § 871 bedarf.87 Das wurde damit begründet, dass das Gesetz bei unentgeltlichen Verträgen den Boden der Vertrauenstheorie aus zutreffenden rechtspolitischen Gründen vollständig verlassen88 und sich durch den Verweis auf § 572 für die bei den letzten Anordnungen geltende Willenstheorie entschieden habe.89 Aufgrund eines Größenschlusses dürften bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften umso mehr auch bei einem Geschäftsirrtum die Voraussetzungen des § 871 nicht verlangt werden.90 Dieser Auffassung, die auch der stRsp entsprach,91 ist Kerschner entgegen getreten, der unter anderem darauf verweist, dass es bei den letztwilligen Verfügungen an einem schutzwürdigen Erklärungsempfänger fehle,92 während die Schäden, die aus dem Vertrauen auf den Bestand eines unentgeltlichen Vertrages resultieren, durchaus beträchtlich sein könnten.93 Die hA führe dazu, dass die unentgeltliche Zuwendung fast den Charakter einer Rechtsverbindlichkeit verliere, da man beinahe risiko- und bedenkenlos schenken könne; als einzige „Hürde“ für den Schenker bleibe der Nachweis des Irrtums und dessen Kausalität.94 Bei der Abwägung mit den Interessen des Beschenkten sei zu bedenken, dass sich der Schenker in freier Ausübung seiner Privatautonomie für Freigebigkeit entschieden habe.95 Aufgrund dieser und weiterer Überlegungen kommt Kerschner zu dem Ergebnis, dass Motiv- und Geschäftsirrtümer auch bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften nur nach Maßgabe des § 871 beachtlich sein sollten. Dem Umstand, dass sich aus § 901 eine irrtumsrechtliche Besserstellung des unentgeltlich Zuwendenden ergebe, will Kerschner dadurch Rechnung tragen, dass dem Schenker generell die „Redintegration“ ermöglicht wird: Er kann sich von seiner Leistungspflicht dadurch befreien, dass er dem Beschenkten (verschuldensunabhängig) den Vertrauensschaden ersetzt.96 Der OGH hat sich der Auffassung Kerschners in einer bislang allerdings vereinzelt gebliebenen E angeschlossen.97 Die Lehre schwankt zwischen

87  Pfersche, Irrthumslehre 231; Pisko in Klang II/2, 356; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 332; Ehrenzweig, System I/12, 231 f; Koziol/Welser13 I 155 f; Kramer, Irrtum Rz 87; F. Bydlinski, FS Stoll 127 FN 38; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 201. Ebenso noch Rummel in Rummel2 I § 901 Rz 9. 88  Pisko in Klang II/2, 346. 89  Pfersche, Irrthumslehre 229; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 332; Ehrenzweig, System I/12, 231 f. 90  Pfersche, Irrthumslehre 231; Pisko in Klang II/2, 356; Ehrenzweig, System I/12, 231 f; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 332; Koziol/Welser13 I 155 f; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 202. 91  OGH 4 Ob 315/30, SZ 12/232; 3 Ob 60/55, EvBl 1955/289; 2 Ob 45/67, SZ 40/27; 1 Ob 10/75, JBl 1976, 648; 4 Ob 606/88, JBl 1989, 446. 92  Irrtumsanfechtung 126. 93  Irrtumsanfechtung 111. 94  Irrtumsanfechtung 110. 95  Irrtumsanfechtung 111. 96  Irrtumsanfechtung 129. 97  OGH 1 Ob 551/94, JBl 1995, 48.

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Zustimmung,98 Schilderung99 und Kritik.100 ME ist den Kritikern zu folgen. Die Rechtsordnung schützt das Vertrauen des unentgeltlichen Erwerbers in einer Reihe von Fällen weniger stark als das Vertrauen desjenigen, der entgeltlich erwirbt. Das gilt etwa beim gutgläubigen Eigentumserwerb (§ 367), der actio Publiciana (§ 373) und der Gläubigeranfechtung (§§ 3 AnfO, 29 IO), vor allem aber auch inter partes bei der Auslegung von Willenserklärungen (§ 915 Satz 1), der Haftung des Schenkers (§ 945) und seiner (fehlenden) Verpflichtung zur Gewährleistung (§ 922).101 Aus diesen Normen kann man zwar natürlich nicht ableiten, dass der Beschenkte in seinem Vertrauen auf den Bestand des Schenkungsvertrages gar nicht schutzwürdig wäre. Davon kann aber ohnehin keine Rede sein, weil der Schenkungsvertrag aufgrund seines zweiseitigen Charakters – anders als die letztwilligen Verfügungen – nicht einseitig „nach Willkür“ widerrufen werden kann (§ 946), sondern nur aus bestimmten Gründen. Auch aus diesen Widerrufsgründen, die Abhilfe gegen Motivirrtümer über Zukünftiges schaffen,102 ergibt sich im übrigen ein geringerer Schutz des Zuwendungsempfängers als bei entgeltlichen Rechtsgeschäften, da es bei ihnen auf die Elemente der „Unvorhersehbarkeit“ und der „Sphärenfremdheit“ nicht ankommt.103 Es sollte daher iSd hL dabei bleiben, dass der Motivirrtum und umso mehr natürlich auch der Geschäftsirrtum104 bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 871 aufgegriffen werden kann.105 Dem zweifellos berechtigten Anliegen, auch dem Beschenkten einen gewissen Vertrauensschutz zu geben, wird nicht nur durch die grundsätzliche Unwiderruflichkeit der Schenkung, sondern auch dadurch entsprochen, dass Motivirrtümer nur dann zur Anfechtung berechtigen, wenn ihre Kausalität für die Schenkung zweifelsfrei erwiesen ist, und dass der Schenker bei verschuldetem Motivirrtum auf das Vertrauensinteresse haftet.106 Aus der grundsätzlichen Beachtlichkeit des Motivirrtums bei unentgeltli22 chen Rechtsgeschäften ergibt sich zwingend, dass bei ihnen umso mehr auch der Geschäftsirrtum (unter Einschluss des Erklärungsirrtums) und erst recht

98  Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 5, und möglicherweise auch Wilhelm, ecolex 2004, 917. 99  Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 5; P. Bydlinski, AT5 Rz 8/29; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 8; wohl auch Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9. 100  F. Bydlinski, FS Stoll 127 FN 38; Stefula/Thunhart, NZ 2002, 201 f; Koziol/Welser13 I 155. 101  Vgl nur P. Bydlinski, AT5 Rz 5/10; Koziol/Welser13 I 117, und schon Pfersche, Irrthumslehre 229 f. 102  Vgl Rz 39. 103  Vgl näher Bezemek, Geschäftsgrundlage 69 f. 104  Rz 22. 105  Gegen Kerschner insb F. Bydlinski, FS Stoll 127 FN 38 mit ausführlicher Begründung, der hier beigetreten wird. Vgl auch Stefula/Thunhart, die allerdings entgegen der hier vertretenen Ansicht die Meinung vertreten, dass ein Motivirrtum des Schenkers nur dann beachtlich sei, wenn die Schenkung „einzig und allein“ auf dem irrigen Motiv beruht und dieses zumindest konkludent „angegeben“ wurde (NZ 2002, 201 f). 106  F. Bydlinski, FS Stoll 127 FN 38. Zum Schutz des Beschenkten gegen eine Mentalreservation des Schenkers Rz 25.

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Keine Vereinbarung über Bewegungsgrund oder Endzweck

§ 901

ein durch List oder Zwang hervorgerufener Willensmangel relevant ist.107 Dieses Ergebnis ist ganz unstrittig und unabhängig davon, ob man den Verweis des § 901 Satz 3 nur auf § 572108 oder auf die §§ 565, 570–572 bezieht.109 Gem § 570, auf den § 901 Satz 3 nach der hM (auch) verweist, macht ein 23 „wesentlicher Irrtum“ des Erblassers die Anordnung „ungültig“. Daraus scheint sich sowohl für die letztwilligen Verfügungen als auch qua Verweis für die unentgeltlichen Rechtsgeschäfte zu ergeben, dass „unwesentliche“ Irrtümer irrelevant sind und dass Rechtsfolge des bei dieser Sicht allein relevanten wesentlichen Irrtums die „Ungültigkeit“, also Nichtigkeit des irrtumsbehafteten Rechtsgeschäfts ist. Beides trifft nach der heute hM nicht zu. Es ist vielmehr einhellige Auffassung, dass „Ungültigkeit“ – vergleichbar mit der von § 871 angesprochenen fehlenden „Verbindlichkeit“ – als Anfechtbarkeit zu verstehen ist.110 Ferner ist heute nicht mehr strittig, dass sowohl bei letztwilligen Verfügungen111 als auch bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften112 auch unwesentliche Irrtümer relevant sind, die zur Anpassung der Verfügung bzw des Vertrags in Analogie zu § 872 führen können.113 Gem § 571 ist die Verfügung gültig, wenn sich zeigt, dass die bedachte Per- 24 son oder die vermachte Sache nur unrichtig benannt oder beschrieben worden ist. Diese Norm, die nach der hM die Wirkung einer bloßen falsa demonstratio regelt,114 bereitet in ihrem angestammten Anwendungsbereich insoweit Probleme, als es nicht immer einfach ist, die Fehlbezeichnung vom Erklärungsirrtum abzugrenzen.115 Bei Verträgen, seien sie entgeltlich oder unentgeltlich, ist hinge107 

Rz 9.

Pisko in Klang II/2, 356; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 332; Rummel in Rummel3 I § 901

So Pisko in Klang II/2, 345, 356. So die hM. Vgl FN 42. 110  Für letztwillige Verfügungen Handl in Klang II/1, 156; Weiß in Klang2 III 281; Kralik, Erbrecht 108; Eccher in Schwimann3 III § 570 Rz 5; ders, Erbrecht4 Rz 4/28; Apathy in KBB3 §§ 570–572 Rz 1; Aigner, NZ 2011, 194. Für unentgeltliche Rechtsgeschäfte Pisko in Klang II/2, 346; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 332; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 8. 111  Kralik, Erbrecht 106; Eccher in Schwimann3 III § 570 Rz 4; ders, Erbrecht4 Rz 4/24; Apathy in KBB3 §§ 570–572 Rz 2; Weiß/Likar-Peer in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht 130; Koziol/ Welser13 II 485. 112  Grundlegend Kerschner, Irrtumsanfechtung 133 ff; vgl ferner Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 3; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 10; Koziol/Welser13 I 160, und das Beispiel bei P. Bydlinski, AT5 Rz 8/25. Ausdrücklich gegen Anpassung jedoch Pisko in Klang II/2, 346 und Gschnitzer in Klang2 IV/1, 332. Zu beiden Kerschner aaO. 113  Bei den letztwilligen Verfügungen wird von der hM der Vorbehalt gemacht, dass die Anpassung nur zu einer Einschränkung der Verfügung führen dürfe; vgl die Nw bei Koziol/Welser13 II 485; aM jedoch Kerschner, Irrtumsanfechtung 137 ff und Aigner, Auslegung 26 ff. Bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften scheint Rummel nur die Anfechtung zulassen zu wollen (besonders deutlich JBl 1976, 629, wohl auch in Rummel3 I § 901 Rz 9). 114  Handl in Klang II/1, 160; Weiß in Klang2 III 284; Welser in Rummel3 I §§ 570−572 Rz 9; Eccher in Schwimann3 III § 570 Rz 1; Apathy in KBB3 §§ 570–572 Rz 3. 115  Vgl dazu nur Kerschner, Irrtumsanfechtung 137 ff; Koziol/Welser13 II 486 f und Stagl, Wortlaut2 75 ff. 108  109 

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gen anerkannt, dass der „natürliche“ dem „normativen“ Konsens vorgeht und eine bloße Fehlbezeichnung nicht als Erklärungsirrtum zu behandeln ist.116 Haben beide Parteien dasselbe, vom objektiven Erklärungswert abweichende Verständnis von einem Begriff, den sie verwenden, so schadet dies daher auch bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften nicht. Es gilt das wirklich Gewollte,117 es sei denn, dass es durch das Abstellen auf den „natürlichen“ Konsens zur Anwendung von Formvorschriften kommt, die nicht eingehalten wurden.118 Die Mentalreservation ist in den §§ 565, 570–572, auf den § 901 Satz 3 25 nach hM verweist, nicht geregelt und daher nach allgemeinen Grundsätzen zu behandeln. Bei den letztwilligen Verfügungen wird sie von manchen wegen der dort dominierenden Willenstheorie als beachtlich angesehen.119 Für unentgeltliche Rechtsgeschäfte kann das keinesfalls zutreffen, da bei diesen wie bei den entgeltlichen Rechtsgeschäften die Vertrauenstheorie zur Anwendung kommt.120 Auch der Begünstigte aus einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft ist daher in seinem Vertrauen schutzwürdig, wenn er die Erklärung seines Vertragspartners so verstanden hat, wie sie ein redlicher, verständiger Erklärungsempfänger verstehen durfte. Das schließt die Möglichkeit der Wirkung einer Mentalreservation des Vertragspartners aus.

V. Geschäftsgrundlage 1. Das zu lösende Problem 26

Die Parteien eines Vertrages gehen bei dessen Abschluss oft so selbstverständlich vom Bestehen, Fortbestehen oder Eintritt bestimmter Umstände aus, dass sie es unterlassen, diese Umstände zum Inhalt des Vertrages zu machen. Das kann unabhängig davon der Fall sein, ob die Parteien konkrete, „positive Vorstellungen“ von den Umständen im Vertragsumfeld haben, die für sie wichtig sind, oder ob sie sich gar keine Gedanken darüber machen, dass die Sinnhaftigkeit des von ihnen geschlossenen Vertrages von gewissen Voraussetzungen abhängt. Liegen diese nicht zum Vertragsinhalt gemachten Voraussetzungen bereits anfänglich nicht vor, ändern sie sich oder fallen sie nach Abschluss des Vertrages weg, kommt es zum Phänomen des Fehlens, der Änderung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Ob die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der „tacita conditio“ 27 des Bestehens, Fortbestehens oder Eintritts gewisser Umstände abhängen kann, hat die Gemüter der Juristen schon seit langem bewegt.121 Den Anstoß Vgl nur P. Bydlinski, AT5 Rz 6/43; Koziol/Welser13 I 106, 150 mwN. Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 11; OGH 1 Ob 108/09v, ecolex 2005/3. 118  Kerschner, Irrtumsanfechtung 145 ff; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 4; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 11. 119  Vgl nur Welser in Rummel3 I § 565 Rz 11 mit Nachweis des Meinungsstandes. 120  F. Bydlinski, Privatautonomie 112 f. Gegen die Wirksamkeit einer Mentalreservation bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften wohl auch Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 9. 121  Vgl den rechtshistorischen Überblick bei Pfaff, FS Unger 221 ff, und jüngst bei Bezemek, Geschäftsgrundlage 2 ff. 116  117 

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Geschäftsgrundlage

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zur Entwicklung der modernen Lehre der Geschäftsgrundlage122 hat Windscheid gegeben, der die Lehre von der „Voraussetzung“ etablierte. Die „Voraus­setzung“ eines Rechtsgeschäfts liegt nach Windscheid „in der Mitte“ zwischen dem bloßen Motiv, dessen Verfehlung folgenlos bleibt, und der Bedingung, deren Nichteintritt das Geschäft unwirksam macht;123 die „Voraussetzung“ wird von ihm daher auch als „unentwickelte“ Bedingung bezeichnet.124 Oertmann hat die Lehre Windscheids weiter entwickelt und gebraucht erstmals den Begriff der „Geschäftsgrundlage“. Die Geschäftsgrundlage ist nach Oertmann „die beim Geschäftsabschluss zutage getretene und vom etwaigen Gegner in ihrer Bedeutsamkeit erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung der mehreren Beteiligten vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille sich aufbaut“.125 Diese Definition hatte großen Einfluss auf die deutsche Jud, die die Probleme der Geschäftsgrundlage vor Einführung des neuen § 313 BGB126 mit Hilfe des Grundsatzes von „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB) lösen musste und sich dazu der Oertmann’schen Formel bediente.127 Sie findet sich aber auch immer wieder in der Rechtssprechung des OGH.128 Die Definition der Geschäftsgrundlage durch Oertmann ist dadurch ge- 28 prägt, dass sie von der Existenz realer Vorstellungen der Parteien (einer Partei) ausgeht und dem Fall des Fehlens einer Vorstellung nicht gerecht wird.129 Daher hat insb Larenz der „subjektiven Geschäftsgrundlage“ Oertmanns eine „objektive Geschäftsgrundlage“ zur Seite gestellt, die er dann zur Anwendung kommen lassen will, wenn sich die Parteien über den die Geschäftsgrundlage bildenden Umstand keine konkreten Vorstellungen gemacht haben.130 Die „objektive Geschäftsgrundlage“ wird nach Larenz durch Umstände 122  Die Frage, wie sich die Begriffe der clausula rebus sic stantibus und der Geschäftsgrundlage zueinander verhalten, wird recht unterschiedlich gesehen. Zum Teil werden die Fälle der clausula mit jenen der objektiven Geschäftsgrundlage gleichgesetzt und nur die (weiter verstandenen) „Irrtumsfälle“ der Geschäftsgrundlage zugewiesen (idS zB Flume, Rechtsgeschäft3 495 und Fikentscher, Geschäftsgrundlage 7. Herrschend ist jedoch wohl die Meinung, die die Geschäftsgrundlage als weiteren Begriff ansieht, der auch die Fälle der clausula umfasst (vgl nur Köbler, Clausula 3 f, 95). Die clausula-Lehre ist auch insofern enger als jene von der Geschäftsgrundlage, als sie sich nur auf nachträgliche Veränderungen bezieht, während die Lehre von der Geschäftsgrundlage (jedenfalls nach der hM) auch die Fälle des anfänglichen Fehlens der Geschäftsgrundlage abdeckt (vgl Schmidt-Rimpler, Geschäftsgrundlage, FS Nipperdey 1). 123  Auch Windscheid hat also in der Sache bereits darauf hingewiesen, dass der Irrtum über Zukünftiges Ähnlichkeit mit einem Geschäftsirrtum aufweisen kann; vgl dazu Rz 51. 124  Windscheid hat zu dieser Frage mehrmals Stellung genommen, zuletzt in AcP 78 (1892) 161, wo er sich mit den Kritikern seiner Lehre auseinandersetzte. Windscheids Lehre hat in Ö insb Pfaff und Ehrenzweig beeinflusst; vgl dazu Gutachten 37 ff. 125  Geschäftsgrundlage 37. 126  § 313 BGB wurde durch das SchuldrechtsmodernisierungsG 2001 mit Wirkung vom 1.1.2002 eingeführt. 127  Vgl Fenyves, Gutachten 26. 128  Vgl Rz 73. 129  So Larenz, Geschäftsgrundlage 10 in Anschluss an Locher, AcP 121, 15. 130  Larenz hat seine Auffassung zuerst in seiner Arbeit über „Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung“ (zuletzt 3. Auflage 1963) niedergelegt, im Rahmen seiner wissenschaftli­-

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gebildet, deren Vorhandensein oder Fortdauer im Vertrage sinngemäß vorausgesetzt seien, damit er die von den Parteien mit seiner Durchführung verbundenen Erwartungen wenigstens annäherungsweise erfüllen kann. Störungen der objektiven Geschäftsgrundlage seien insb die Äquivalenzstörung und die Zweckvereitlung. Von einer Äquivalenzstörung spricht Larenz dann, wenn die beiderseitigen Verpflichtungen infolge einer unvorhergesehenen Veränderung der Verhältnisse bei einem gegenseitigen Vertrag in ein grobes Missverhältnis geraten sind.131 Bei der Zweckvereitlung gehe es dagegen darum, dass der für den Vertrag relevante „weitere Zweck“ der einen Vertragspartei aus Gründen, die keiner Partei als ihr Risiko zuzurechnen sind, dauernd unerreichbar geworden ist, ohne dass deshalb die zwecklos gewordene Leistung als solche unmöglich geworden wäre.132 Die Annahme, dass es neben einer subjektiven Geschäftsgrundlage, die ger29 ne auch mit dem Schlagwort des „gemeinsamen Irrtums“ apostrophiert wird, eine objektive Geschäftsgrundlage gibt, die von positiven Vorstellungen der Parteien unabhängig ist, löst natürlich noch nicht das Problem, unter welchen Voraussetzungen das Fehlen oder der Wegfall einer dieser beiden Geschäftsgrundlagen in der Lage ist, ein Abweichen vom Grundsatz der Vertragstreue zu rechtfertigen. Sie öffnet aber den Blick dafür, dass es unterschiedliche Fallgruppen gibt, die daher möglicherweise auch unterschiedlich zu behandeln sind.133 Die „subjektive“ Geschäftsgrundlage weist eine Nähe zum Irrtumsrecht auf, die „objektive“ zum Recht der Leistungsstörungen, insb (bei Fehlen der Geschäftsgrundlage) zur anfänglichen Unmöglichkeit (§ 878) bzw (bei Wegfall der Geschäftsgrundlage) zur nachträglichen zufälligen Unmöglichkeit (§ 1447). Es verwundert daher nicht, dass zumeist versucht wird, der Geschäftsgrundlagenproblematik durch Fortentwicklungen des Irrtums- bzw Leistungsstörungsrechts Herr zu werden. Rechtsvergleichend ist eher ein Überwiegen des objektiven Ansatzes zu beobachten.134 Die Unterscheidung zwischen einer „subjektiven“ und „objektiven“ Geschäftsgrundlage ist auch deswegen von Interesse, weil sie Spuren im österreichischen Schriftum hinterlassen hat.135 chen Laufbahn aber mehrfach modifiziert. Die hier vorgenommene Schilderung seiner Mei­nung orientiert sich an den letzten Auflagen seiner Lehrbücher, die er noch selbst herausgegeben hat. 131  Schuldrecht AT14 325. Das erforderliche Missverhältnis soll nach Larenz erst dann vorliegen, wenn das Ungleichgewicht der Leistungen ein solches Ausmaß angenommen hat, dass von einem Äquivalent nicht mehr gesprochen werden kann. 132  Schuldrecht AT14 326. 133  Innerhalb der Fallgruppe der Äquivalenzstörung kann man noch weitere Unterteilungen treffen, nämlich in die Fälle der Entwertung der Leistung des Schuldners (also Geldentwertung bei Geldschuld, Entwertung der Sachleistung bei Sachschuld), der Leistungserschwerung (bei Geldschulden also zB Finanzierungsschwierigkeiten, bei Sachschulden die Erhöhung des Aufwandes für die Erbringung der Leistung) und (als Spiegelbild zu den beiden vorgenannten Gruppen) die Fälle der Wertsteigerung bei Geld- und Sachleistungen bzw jene der Leistungserleichterung bei der Erbringung von Geld- und Sachleistungen. Bei den Zweckstörungen kann man danach differenzieren, ob durch sie das unmittelbare Leistungsinteresse oder das Interesse, die Leistung in bestimmter Art und Weise verwenden zu können, betroffen ist. Vgl Fenyves, Gutachten 26 f mwN. 134  Fenyves, Gutachten 73. 135  Insb bei Graf, Vertrag 126 ff, 276 ff.

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Im Folgenden wird zuerst ein Überblick über den Stand der österreichi- 30 schen Lehre gegeben, die zutiefst gespalten ist.136 Die Auswirkungen dieses Meinungsstreits werden allerdings dadurch entschärft, dass die Geschäftsgrundlage nach ganz allgemeiner Ansicht ein subsidiäres Rechtsinstitut ist, das nur als letztes Mittel heranzuziehen ist.137 Das Anwendungsgebiet der Fälle, über deren Behandlung sich die Lehre nicht einigen kann, ist daher recht schmal. Es mag überdies auch sein, dass die unterschiedlichen Lösungsansätze der Lehre letztlich doch zu recht vergleichbaren Ergebnissen führen.138 Die wesentlichsten Meinungsdivergenzen scheinen bei der Frage zu bestehen, ab welchem Ausmaß der Inäquivalenz eine Äquivalenzstörung vorliegt, die als Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage zu betrachten ist.139 Bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften spielen Geschäftsgrundlagenüber- 31 legungen keine Rolle, da bei ihnen der Motivirrtum und somit grds auch der Irrtum über Zukünftiges relevant ist.140 Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher nur auf entgeltliche Rechtsgeschäfte. 2. Lehre a) Pisko Pisko hat ein „zweispuriges“ Modell zur Lösung der Geschäftsgrundla- 32 genstörungen entwickelt, das auf § 901 einerseits und § 1447 andererseits aufbaut. Aus § 901 leitet er ab, dass der Lehre von der Geschäftsgrundlage bei bloß individuellen Voraussetzungen für das österreichische Recht durch § 901 ABGB der Boden entzogen sei. Durch diese Vorschrift sei ein Beweggrund nicht nur dann unerheblich, wenn er dem Gegner erkennbar, bekannt oder sogar ausdrücklich mitgeteilt worden war, sondern auch dann, wenn eine gemeinsame individuelle Voraussetzung vorliegt. Das ABGB enthalte zwar einzelne Bestimmungen, denen auch bei rein individuellen Voraussetzungen der Gedanke der clausula rebus sic stantibus zugrunde liege und die auch analogiefähig seien. Im Wege der Analogie lasse sich aber kein allgemeines Rücktrittsrecht wegen unvorhergesehener Änderung der als dauernd vorausgesetzten Sachlage ableiten. Bei bloß individuellen Voraussetzungen bestehe keine Gesetzeslücke, die durch die Lehre von der Geschäftsgrundlage geschlossen werden könne.141 § 901 ABGB beziehe sich jedoch nicht auf die Frage nach der rechtlichen Bedeutung des Nichtvorhandenseins oder späteren Wegfalls der typischen Voraussetzung, das heißt der Sachlage, die überhaupt und allgemein bei einem Geschäfte von der Art des geschlossenen vorausgesetzt werde. Diesbezüglich weise das Gesetz eine Lücke auf, die der Analogie und − wenn diese 136  Dieser Überblick kann hier nur sehr verkürzt erfolgen; eine genauere Schilderung der einzelnen Lehrmeinungen ist dem Juristentagsgutachten zu entnehmen. 137  Vgl Rz 44. 138  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6. 139  Vgl Rz 57, 59. 140  Allerdings nur, wenn nicht spezielle „Clausula-Regelungen“ § 901 vorgehen; vgl Rz 19. 141  Pisko in Klang II/2, 349 f.

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nicht möglich ist − der Entscheidung nach den „natürlichen Rechtsgrundsätzen“ Raum gebe. Das lasse sich im Wege einer Gesamtanalogie aus der Unsicherheitseinrede des § 1052, aus § 936, soweit es um die Veränderung von Umständen geht, durch die „das Zutrauen des einen oder anderen Teils“ verloren wird, möglicherweise auch aus § 1385, notfalls auch aus § schließen.142 Auch bei Änderung bzw Wegfall von „typischen“ Voraussetzungen seien aber gewisse Einschränkungen für die Berufung auf die Geschäftsgrundlage zu beachten: Die Änderung dürfe für die benachteiligte Partei keine vorhergese­ hene gewesen sein und nicht aus der eigenen Sphäre dieser Partei stammen. Diese Einschränkungen leitet Pisko aus diversen Regelungen des ABGB ab.143 Pisko will seine Überlegungen zur Geschäftsgrundlage jedoch nicht zur Anwendung kommen lassen, wenn „Unerschwinglichkeit“ der Leistung vorliegt; diese sei ausschließlich nach den Regeln über die nachträgliche Un­ möglichkeit (§ 1447 ABGB) zu behandeln.144 Eine unvorhergesehene und unvorhersehbare Leistungsschwierigkeit befreie nur dann, wenn sie ein gewisses Ausmaß erreicht und nicht schon, wenn durch ihren Eintritt eine „typische“ Voraussetzung weggefallen ist. Andererseits komme es in den Fällen der „Unerschwinglichkeit“ nicht darauf an, ob der Nichteintritt der Leistungsschwierigkeit gerade eine typische Voraussetzung gebildet habe.145 An der Lehre Piskos wird kritisiert, dass die „Zweispurigkeit“ seines 33 Lösungsansatzes zu Wertungswidersprüchen bei materiell vergleichbaren Störungslagen führe. Einerseits ist die Gleichstellung der „Unerschwinglichkeit“ mit der (logischen) Unmöglichkeit für den Geldschuldner nicht gangbar, der sich nach hM auch bei völligem Geldmangel nicht auf Unmöglichkeit berufen kann.146 Zum anderen will Pisko die Fälle der Entwertung der Gegenleistung nicht § 1447 unterwerfen, sondern nach den Grundsätzen der Geschäftsgrundlage lösen.147 Weiters wird bezweifelt, ob der Unterschied zwischen indivi­ duellen und typischen Voraussetzungen im Einzelfall praktikabel gehandhabt werden kann.148 Und schließlich kann aus § 901 keineswegs der von Pisko gezogenen Schluss gezogen werden, dass der individuelle gemeinsame Motivirrtum der Parteien über Zukünftiges von der „Sperrwirkung“ dieser Bestimmung betroffen ist, da sich die in Satz 2 verwendete Formulierung „der­ gleichen Äußerungen“ nur auf einseitige Äußerungen des Bewegungsgrundes oder des Endzweckes bezieht.149

Pisko in Klang II/2, 351 f. Vgl im einzelnen Pisko in Klang II/2, 354 f. 144  Nach der damals hM regelt § 1447 nicht nur die „logische“, sondern auch die „wirtschaftliche“ Unmöglichkeit; Pisko in Klang IV 557. 145  Pisko in Klang II/2, 355. 146  Vgl nur F. Bydlinski, ÖBA 1996, 500. 147  Pisko in Klang IV 564. 148  Bedenken bei Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6; Tomandl, ZAS 1988, 2 f. Grds zustimmend zum Erfordernis der Typizität der Voraussetzung aber F. Bydlinski, ÖBA 1996, 506. 149  Fenyves, Gutachten 42 f. Zustimmend Koziol/Welser13 I 165. 142  143 

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b) Rummel Rummel sieht drei mögliche Wege zur Bewältigung der Geschäftsgrund- 34 lagenstörungen, und zwar das Irrtumsrecht, die ergänzende Vertragsauslegung und uU die richterliche Vertragskorrektur in Analogie zu gesetzlichen Störungsregeln, insb bei Unmöglichkeit.150 Das Irrtumsrecht biete keine taugli­ che Analogiebasis, da die Konstellation „Fehlende Vorstellung über künftige Entwicklungen, die nicht zum Inhalt des Geschäfts gemacht wurden“ mit irrtumsrechtlichen Ableitungen wohl nicht mehr zu bewältigen sei.151 Vielmehr solle man im Einzelfall nach sorgfältiger Prüfung der gesetzlichen Störungsregeln für den betreffenden Vertragstyp152 „ganz wie bei sonstiger ergänzender Vertragsauslegung“ fragen, ob der Vertrag als Regelung, gemessen an seinen von beiden Parteien festgelegten immanenten Zwecken, lückenhaft, also planwidrig unvollständig ist und was redlich denkende Parteien für den nun eingetretenen Fall vereinbart hätten, falls sie ihn vorausgesehen hätten.153 Rummel verlangt also nicht, dass im konkreten Vertrag ein Anhaltspunkt für den hypothetischen Parteiwillen vorhanden sein muss, sondern geht von einer Befugnis zur richterlichen Vertragskorrektur aus. Bei der von ihm vorgeschlagenen Lösung mit Hilfe der ergänzenden Vertragsauslegung will Rummel auch die von Pisko eingeführten Einschränkungen der Vorhersehbarkeit und der Sphä­ renfremdheit berücksichtigen. Auch Rummel verfolgt jedoch insoweit ein „zweispuriges“ Lösungsmo­ dell, als er mit der ergänzenden Vertragsauslegung nicht in allen Fällen der Geschäftsgrundlage das Auslangen findet. Neben den Fällen individueller Vertragsstörungen bleibe die Gruppe von schweren Äquivalenzstörungen durch „Änderung der Sozialexistenz“ zu bewältigen. Hier möge Wegfall der Geschäftsgrundlage das Stichwort für richterliche Vertragskorrektur in ausdehnender Auslegung der Unmöglichkeitsregeln (Stichwort: Unerschwinglichkeit) sein.154 c) Tomandl Tomandl hat sich im Jahre 1988 mit der Frage beschäftigt, inwieweit die 35 Verpflichtung eines Unternehmens zur Zahlung einer Betriebspension dadurch beeinflusst werden kann, dass sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern,155 und sich dabei auch mit Grundfragen der Geschäftsgrund­ Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6; vgl auch schon dens, JBl 1981, 1 und DRdA 1989, 366. JBl 1981, 8; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6. 152  Nach Rummel sind Gefahrtragungs-, Rücktritts-, Unmöglichkeits-, Gewährleistungsregeln und ähnliche (als gesetzliche Bewältigung von Störungsfällen) primär heranzuziehen; die Lehre von der Geschäftsgrundlage diene also bloß der Lückenfüllung (JBl 1981, 7; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6). 153  Rummel bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Medicus, Nicklisch und Häsemeyer, die im Ansatz ähnliche Auffassungen vertreten; vgl Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6. 154  JBl 1981, 10; Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6. 155  ZAS 1988, 1. Diese Frage war zum damaligen Zeitpunkt sehr aktuell und hat eine Reihe von weiteren Publikationen ausgelöst. Vgl dazu insb Kerschner, wbl 1988, 211, und Rummel, DRdA 1989, 366. 150  151 

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lage auseinandergesetzt. Aufgrund einer eingehenden Judikaturanalyse kommt er zu dem Schluss, dass die Abgrenzung zwischen individueller und typi­ scher Voraussetzung iSd Lehre Piskos unergiebig sei.156 Die Jud lasse auch nicht deutlich erkennen, warum sie in einem Fall eine konkludent vereinbarte Bedingung annimmt, in einem anderen Fall hingegen nur eine gemeinsame „Voraussetzung“.157 Bei seiner eigenen Lösung knüpft Tomandl an Pfaff an, dem es bei seiner Auslegung des § 901 um die Anhebung der Schwelle für die Annahme einer konkludenten Willensübereinstimmung gegangen sei.158 Aus dieser Prämisse leitet Tomandl eine Reihe von konkludenten Vereinbarungen zwischen den Parteien ab. Seien beide Parteien beim Vertragsabschluß klar erkennbar von bestimmten Voraussetzungen ausgegangen, dann gälten diese auch dann als vertraglich vereinbart, wenn darüber keine explizite Aussage erfolgte. Eine solche konkludente Vereinbarung liege weiters vor, wenn bestimmte Voraussetzungen zu den regelmäßigen Bestandteilen dieses Vertragstyps gehörten und weder ausdrücklich noch mit hinreichender Deutlichkeit stillschweigend ausgeschlossen worden seien. Und schließlich gehöre es zu den stillschweigend vereinbarten Bestandteilen eines Vertrages auch, dass − mangels gegenteiliger Vereinbarung oder üblicher Risikoverteilung bei gerade diesem Vertragstyp − einer Vertragspartei aus der Veränderung der Wirklichkeit keine unzumutbaren Belastungen aufgebürdet würden.159 Die Ansicht Tomandls wird einhellig abgelehnt, da die von ihm angenommenen stillschweigenden Vereinbarungen eine bloße Fiktion seien und zur Annahme eines „beidseitig unbewussten Vertragsschlusses“ führen würden.160 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es Pfaff keineswegs, wie Tomandl annimmt, um eine „Anhebung“ der Schwelle für die Annahme einer konkludenten Willensübereinstimmung gegangen ist, sondern gerade im Gegenteil darum, dass „Voraussetzungen“ relevant sein sollen, die eben nicht Vertragsbestandteil werden.161 d) Kerschner 36

Kerschner vertritt einen ähnlichen Ansatz wie Rummel, zieht aber die Grenzen des zulässigen Anwendungsbereichs der ergänzenden Vertragsauslegung enger: Lasse sich ein tatsächlicher Parteiwille feststellen, dann könne man diese Tatsache nicht durch Berufung auf einen hypothetischen Willen überspielen. Hätten die Parteien dagegen an einen Umstand gar nicht gedacht und ihn deshalb nicht in den Vertrag miteinbezogen, dann dürfe der hypothetische Parteiwille erst dann bemüht werden, wenn die Vertragslücke nicht durch dispositives Recht oder eine tatsächliche Verkehrssitte geschlossen werden 156 

ZAS 1988, 4. ZAS 1988, 5. Tomandl ist der Meinung, dass diese Unterscheidung in der Praxis nicht durchführbar sei. 158  ZAS 1988, 11. 159  ZAS 1988, 11. 160  Vgl näher Kerschner, wbl 1988, 214; Rummel, DRdA 1989, 369; F. Bydlinski, ÖBA 1996, 504; OGH 9 ObA 513/88, SZ 62/4. 161  Vgl Fenyves, Gutachten 38. 157 

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könne. Sei das der Fall, könne gefragt werden, was redliche Parteien vereinbart hätten, wenn sie den eingetretenen Umstand bedacht hätten. Die maßgeblichen Kriterien für die Lückenfüllung müssten allerdings dem konkreten Vertrag (einschließlich aller ihn begleitenden maßgeblichen Umstände) entnommen werden, dessen Regelungsplan zu vervollständigen sei.162 e) F. Bydlinski F. Bydlinski vertritt im Anschluss an Schmidt-Rimpler163 die Auffassung, 37 dass die Geschäftsgrundlage der Parteien nicht nur in ihren wirklichen Vorstellungen, sondern in allen „gemeinsamen Wertungsmomenten“ besteht, die, den Parteien bewusst oder nicht, dahin Einfluss geübt haben, dass diese den Vertrag letztlich so geschlossen haben, wie das tatsächlich geschehen ist. Bloße Kenntnis der Vorstellungen des Vertragsgegners oder bloßer Anteil an dessen Irrtum genügten für die Gemeinsamkeit der „Wertungsmomente“ jedoch nicht.164 Er versteht das Institut der Geschäftsgrundlage als sehr eigenständige, weil auf die zukünftigen Verhältnisse ausgerichtete Weiterentwicklung des Irrtumsrechts, dessen Eigenständigkeit sich vor allem aus der Notwendigkeit einer besonderen Abwägung des Irrendenschutzes mit den beteiligten objektiven Rechtsprinzipien ergebe, die je nach den genaueren Umständen zu einer Beschränkung oder auch zu einer Ausweitung der gewöhnlichen Rechtsfolgen des Irrtums führen können. Es liege ein „bewegliches System“ aus subjekti­ ven und objektiven Kriterien vor, deren Abwägungsergebnisse für die typischen Problemlagen tatbestandlich möglichst greifbar zu machen seien.165 F. Bydlinski erachtet die von Pisko entwickelte Lehre (mit Ausnahme seines Ansatzes an der Unerschwinglichkeit) für weiterhin maßgebend und hebt hervor, dass durch das Erfordernis der typischen Voraussetzungen in der Theorie Piskos das notwendige objektive Element bereits im Ausgangstatbestand der relevanten Geschäftsgrundlage repräsentiert sei. Er fügt den bereits von Pisko vorgeschlagenen Einschränkungen der Beachtlichkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (Unvorhersehbarkeit, Sphärenfremdheit) ein drittes, quantitatives Kriterium hinzu, wonach nur veränderte Umstände von starkem Einfluss auf die Vertragslage beachtlich seien; auch dieses „Schwerekriterium“ sei in den Ausführungen von Pisko bereits angelegt.166 Was dieses quantitative Kriterium betrifft, lehnt F. Bydlinski jene Auffassungen ab, die bei einer rein objektiv verstandenen Geschäftsgrundlage erst dann eine relevante Äquivalenzstörung annehmen, wenn der Entgeltscharakter 162  Wbl 1988, 216 f. Ob in jenen Fällen, in denen Vertragsauslegung nicht mehr weiterhilft, die Geschäftsgrundlagenfälle nach den Regeln der Unmöglichkeit und/oder nach einem beweglichen System der Irrtumsanfechtung zu lösen sind, lässt Kerschner im gegebenen Zusammenhang offen. Er deutet aber an, dass seine Sympathien der zweiten Lösungsvariante gelten (wbl 1988, 218). 163  FS Nipperdey 10. 164  ÖBA 1996, 501 f. Diese Publikation baut auf diversen Vorarbeiten auf. Vgl dazu den Nachweis in Fenyves, Gutachten 50 FN 249. 165  ÖBA 1996, 503. 166  ÖBA 1996, 506.

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zur Gänze entfällt, da sie die irrtumsrechtliche (subjektive) Komponente der Geschäftsgrundlage und die damit verbundene Schutzbedürftigkeit des Benachteiligten zu Unrecht vernachlässigen.167 Er tritt für ein „bewegliches Sys­ tem“ ein und will folgendermaßen differenzieren: Drohe einem der Vertragspartner unmittelbar der wirtschaftliche Existenzverlust, so genüge dies − soferne es sich um ein an sich wirtschaftlich „gesundes“ Subjekt handelt − iVm einer im Rechtsverkehr unüblichen, im übrigen aber quantitativ beliebigen Äquivalenzstörung für die Beachtlichkeit. Sei bloß eine erhebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Existenz des Benachteiligten anzunehmen, gelte das Hälftekriterium der laesio enormis als Zweifels- und Faustregel. Sei der konkrete Vertrag (etwa wegen seiner geringen Dimension) auf die wirtschaftliche Gesamtlage des benachteiligten Vertragspartners ohne solchen Einfluss, werde der Wegfall der Geschäftsgrundlage nur beachtlich, wenn die Äquivalenzstörung so groß ist, dass ein relevantes Entgelt nach der Beurteilung des verständigen Verkehrs überhaupt nicht mehr vorhanden ist.168 f) Graf 38

Graf unterscheidet (wie Larenz)169 zwischen der subjektiven und der objektiven Geschäftsgrundlage. Bei der objektiven Geschäftsgrundlage könne normativ kein besonderes subjektives Element zur Begründung der Vertragsauflösung (oder Anpassung) herangezogen werden, da die Parteien keine konkrete gemeinsame, sondern nur eine ganz allgemeine Erwartung des Fortbestands bestimmter Umstände hätten.170 Sie sei bei schweren Äquivalenzstörungen durch Verwirklichung eines nicht kalkulierbaren Risikos betroffen. Der dadurch entstehende Schaden sei auf die Parteien aufzutei­ len, da diese dem Risiko gleich nahe seien, allerdings nicht streng arithmetisch, sondern im Verhältnis der jeweils erhofften Vertragsgewinne zueinander.171 Bei der subjektiven Geschäftsgrundlage verfolgt Graf einen völlig anderen Lösungsansatz. Er hebt hervor, dass für die Relevanz der subjektiven Geschäftsgrundlage keine schwere Äquivalenzstörung notwendig sei, sondern dass es − im Einklang mit der Auffassung des OGH172 − genügt, wenn eine nicht ganz unerhebliche Äquivalenzstörung vorliegt.173 Die Fälle der subjektiven Geschäftsgrundlage könnten nicht − wie etwa durch Rummel − mit Hilfe der ergänzenden Vertragsauslegung bewältigt werden.174 Es sei aber 167 

ÖBA 1996, 506 f. ÖBA 1996, 507 ff. 169  Vgl Rz 28. 170  Vertrag 140 f. 171  Vertrag 141, 144. 172  OGH 8 Ob 60/70, SZ 43/63. 173  Vertrag 277 f. 174  Das hängt damit zusammen, dass Graf in seinem Werk einen neuen Begriff der ergänzenden Vertragsauslegung erarbeitet, der vom üblichen Verständnis stark abweicht (Vertrag 188 ff; zum Vergleich zwischen dem konventionellen und dem von ihm vertretenen Begriff der ergänzenden Vertragsauslegung aaO 251 ff). 168 

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möglich, für diesen Zweck die eigentliche (einfache) Vertragsauslegung nutzbar zu machen. Der Richter könne in den Fällen der subjektiven Geschäftsgrundlage die von der Veränderung der Umstände betroffene Partei deswegen von der Erfüllung des Vertrages entbinden, weil ihr Leistungsversprechen den nunmehr eingetretenen Fall nicht umfasse. Habe die benachteiligte Partei die Relevanz von Risken in irgendeiner Weise in den Vertragsverhandlungsprozess eingebracht und offengelegt, dass sie diese Risken nicht tragen wolle, dann könne sie redlicherweise davon ausgehen, dass die Gegenseite der von ihr implizit gemachten Einschränkung (mangels Protests) zugestimmt habe. Das Problem der Geschäftsgrundlage lasse sich in diesem Fall also im Wege der Auslegung in den Griff bekommen.175 Subjektive und objektive Geschäftsgrundlage stünden zueinander in einem Subsidiaritätsverhältnis: Soweit die Möglichkeit bestehe, den Wegfall der subjektiven Geschäftsgrundlage geltend zu machen, bestehe kein Bedarf mehr, sich auf eine schwere Äquivalenzstörung zu berufen; trotz Verneinung des Wegfalls der subjektiven Geschäftsgrundlage bleibe vom Richter aber auch die Beeinträchtigung der objektiven Geschäftsgrundlage zu prüfen.176 3. Eigene Auffassung177 a) Unmöglichkeit einer Gesamtanalogie Die Redaktoren des ABGB haben – ebenso wie später jene des BGB − kei­ 39 ne allgemeine Regel über die Auswirkungen von Veränderungen auf Verträge oder einseitige Rechtsgeschäfte in das Gesetzbuch aufgenommen, da man Angst vor der älteren, maßlos weiten Clausula-Lehre hatte.178 Es finden sich im ABGB jedoch sehr viele Einzelregelungen, die sich mit dem Änderungsproblem in einem speziellen Umfeld beschäftigen. Üblicherweise werden in diesem Zusammenhang vor allem die §§ 936 (Vorvertrag), 1052 Satz 2 (Unsicherheitseinrede) und 1170a Abs 2 (Kostenvoranschlag ohne Garantie) genannt. Der Kreis der einschlägigen Vorschriften reicht jedoch wesentlich weiter. Er umfasst − ohne Anspruch auf Vollständigkeit − folgende Normen: §§ 458, 616, 617, 777, 778, 880, 907, 936, 947 ff, 962, 976, 1010, 1021, 1048, 1052 Satz 2, 1117 f, 1170a Abs 2, 1189, 1210 f, 1247 Satz 2, 1265 f.179 Zu diesen Vorschriften treten noch die speziellen Gefahrtragungsregeln der einzelnen Vertragstypen hinzu. Schließlich haben auch die Leistungsstörungstat­ bestände den Zweck, die Auswirkungen von nach Vertragsabschluß eingetretenen Störungen der Vertragsabwicklung auf den Vertrag zu klären, lassen sich 175 

Vertrag 280 ff. Vertrag 291 f. 177  Die folgenden Ausführungen bauen auf meinen Überlegungen im Juristentagsgutachten auf (Fenyves, Gutachten 77 ff). 178  Pfaff, FS Unger 317. 179  Zu all diesen Vorschriften unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit und der Sphärenfremdheit Bezemek, Geschäftsgrundlage 47 ff. § 1385 ABGB (Vergleichsirrtum), der oft im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlage genannt wird, fällt nicht unter diese Bestimmungen, da er das Fehlen der Geschäftsgrundlage betrifft. 176 

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also in einem weiteren Sinn ebenfalls als Normen verstehen, die das ClausulaProblem lösen sollen.180 Auch außerhalb des ABGB finden sich „Clausula-Vorschriften“. Hier mögen einige wenige Bspe genügen, und zwar § 30 Abs 2 Z 8 bis 11 MRG (Eigenbedarfskündigung), §§ 23 ff (Gefahrerhöhung) und 68 Abs 2 (Interessewegfall) VersVG, § 3a KSchG,181 § 5 Abs 3 BTVG, § 33 PSG182 und § 14 Abs 7 BetFG. Kerschner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die von Pisko entwickel40 ten drei Kriterien (Typizität, Unvorhersehbarkeit, kein Herrühren aus der eigenen Sphäre) in den Einzelnormen des ABGB, die sich mit der Auswirkung veränderter Umstände beschäftigen, keineswegs durchgängig nach­ gewiesen werden können. Es gibt eindeutig Fälle, in denen es zB auf die Unvorhersehbarkeit oder den Sphärengedanken nicht ankommt.183 Mit dieser Erkenntnis ist der Gesamtanalogie, mit deren Hilfe Pisko seine These begründet, zwar nicht völlig der Boden entzogen; ihre Legitimation ist aber doch beträchtlich relativiert. Um eine völlig abgesicherte Analogiebasis zu erhalten, müsste man die bestehenden „Clausula-Normen“ inner- und außerhalb des ABGB analysieren und im Einzelnen ermitteln, warum sie über die Zuteilung des Risikos sich ändernder Umstände in einer gewissen Weise entschieden haben, insb, warum sie da oder dort auf das Erfordernis der Unvorhersehbarkeit oder der „Sphärenfremdheit“ verzichten. Das ist, wie wohl nicht besonders betont zu werden braucht, ein sehr aufwändiges Verfahren, das hier nicht eingeschlagen werden kann. An dieser Stelle genügt es, darauf hinzuweisen, dass die schon bei oberflächlicher Betrachtung ins Auge stechende Unterschiedlichkeit der einzelnen Regelungen ein deutlicher Beweis dafür ist, dass es „Einheitslösungen“ der Geschäftsgrundlagenproblematik nicht geben kann.184 Es gibt innerhalb der einzelnen Vertragstypen sehr unterschiedliche „Risikogruppen“,185 die auf Umstandsänderungen verschieden sensibel reagieren. Aufgabe eines „allgemeinen Teils“ der Geschäftsgrundlagenlehre kann es daher nur sein, jene Aspekte herauszustreichen, die potentiell für alle Bereiche der Geschäftsgrundlagenstörungen von Bedeutung sind. Welche dieser Aspekte bei der Geschäftsgrundlagenstörung eines konkreten Vertragstyps schlagend werden, 180  Vgl nur Köbler, Clausula 59. Zur Recht weist zB Härle darauf hin, dass der Begriff der Geschäftsgrundlage nach Oertmann auch Gewährleistung, Verzug und Unmöglichkeit umfasst (Äquivalenzstörung 2 f). IdS auch Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey 29 (zur Gewährleistung), Ehrenzweig, System I/12, 256 (zur Gewährleistung), Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6, und Koziol/Welser13 I 166 (allgemein für Gefahrtragungs-, Rücktritts-, Unmöglichkeits- und Gewährleistungsregeln). 181  Zur Entstehungsgeschichte dieser Norm Rummel, JBl 1989, 805, und Stabentheiner, 13. ÖJT II/2, 84. 182  Dazu Eiselsberg, 13. ÖJT II/2, 53, und Fenyves aaO 67. 183  Vgl die Bspe bei Kerschner, wbl 1988, 214, sowie die Einzelanalyse bei Bezemek, Geschäftsgrundlage 53 ff. 184  Das ist schon lange anerkannt. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass „Geschäftsgrundlagenschulen“ einander vorwerfen, die jeweils andere vertrete eine „Einheitslösung“. In Wirklichkeit kann davon heute bei allen vertretenen Auffassungen keine Rede mehr sein. 185  Begriff von J. Schmidt in Staudinger13 § 242 Rz 1036.

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wäre hingegen in einem „besonderen Teil“ der Geschäftsgrundlagenlehre zu klären, dessen Notwendigkeit offensichtlich ist, der in Ö jedoch bis dato nur in bescheidenen Ansätzen erarbeitet wurde.186 b) Vorrang einer vertraglichen Regelung Die Lehre von der Geschäftsgrundlage kommt nur dann zum Tragen, wenn 41 der Vertrag keine ausdrückliche oder stillschweigende Regelung darüber enthält, wer das Änderungsrisiko tragen soll. Eine solche Regelung kann auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch die Formulierung einer Bedingung, einer Zweckabrede oder auch durch die Vereinbarung einer eigenen Risiko­ verteilungsregel. Bei einer Risikoverteilungsregel ist allerdings stets darauf zu achten, wie weit sie reicht. Es muss also durch Auslegung ermittelt werden, ob sie auch jene Umstandsänderung umfasst, die aktuell wirksam wird.187 Das ist nicht immer einfach. Jedenfalls muss verhindert werden, dass ein insoweit nur zufälliger Wortlaut des Vertrages Bedeutung erlangt.188 Noch mehr muss freilich die allzu leichtfertige Annahme einer Einigung der Parteien über die Tragung des Änderungsrisikos vermieden werden. Jud und Lehre haben bisweilen zu schnell das Vorliegen von stillschweigend getroffenen Vereinbarungen,189 Bedingungen oder Zweckabreden190 angenommen. Demgegenüber ist zu betonen, dass die Rechtsgeschäftslehre unteilbar ist und auch im Bereich der Geschäftsgrundlagenstörungen gilt. Es ist daher nicht zulässig, mehr oder minder gewaltsam vertragliche Einigungen zu konstruieren, um sich der außervertraglichen Problematik der Geschäftsgrundlage nicht stellen zu müssen.191 Inakzeptabel ist eine solche Vorgangsweise vor allem dort, wo die den Parteien unterstellte Vereinbarung zu einer anderen Risikoverteilung führt als die Anwendung der Grundsätze der Geschäftsgrundlagenlehre. 186  Und zwar dort, wo es im Schrifttum Diskussionen um bestimmte Teilaspekte der Geschäftsgrundlagenproblematik gegeben hat, wie zB im Bereich der Betriebspensionen und des Reisevertragsrechts. In D ist der „besondere Teil“ dagegen vor allem in der Kommentarliteratur entscheidend weiterentwickelt worden. Vgl zuletzt J. Schmidt in Staudinger13 § 242 Rz 1140 ff. 187  Vgl genauer Medicus, FS Flume I 631; Kramer in Berner Kommentar Art 18 OR Rz 281 ff; J. Schmidt in Staudinger13 § 242 Rz 1084 ff. 188  Medicus, FS Flume I 647. 189  Vgl zB den Lösungsvorschlag Tomandls und die dazu geäußerte Kritik in Rz 35. 190  Vgl zB die Lehre Beuthiens über die zweckgebundene Leistungspflicht (Zweckerreichung 145 ff, 159 ff). Dazu aus österreichischer Sicht ablehnend F. Bydlinski, ÖBA 1996, 505. 191  Bedenken müssen daher auch gegen die Ausführungen von Graf zur subjektiven Geschäftsgrundlage angemeldet werden (Vertrag 276 ff). Graf will die Fälle der subjektiven Geschäftsgrundlage mit Hilfe der einfachen Auslegung lösen, nimmt sie also nur an, wenn es zu einer vertraglichen Einigung über die Vorstellungen der Parteien (einer Partei) gekommen ist. Damit verengt er den Anwendungsbereich dieser Spielart der Geschäftsgrundlage zum einen beträchtlich, was insofern bedeutsam ist, als es bei der objektiven Geschäftsgrundlage nach seiner Auffassung immer zu einer Risikoteilung kommen soll. Zum anderen aber ist auch durchaus fraglich, ob man bereits dann vom Zustandekommen einer vertraglichen Einigung ausgehen kann, wenn eine Partei offenlegt, dass sie ein gewisses Risiko nicht übernehmen will, und die andere Partei zu dieser Eröffnung schweigt. Damit wäre man nämlich wieder bei der Voraussetzungslehre Windscheids angelangt.

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c) Vorrang des dispositiven Rechts 42

Enthält der Vertrag keine wie immer geartete Regelung über das Änderungsrisiko, dann weist er, wenn sich dieses realisiert, eine Lücke auf.192 Diese Lücke ist nach hM vorrangig durch dispositives Gesetzesrecht zu füllen.193 In dieser Hinsicht kommen in erster Linie die Gefahrtragungsregeln der einzelnen Vertragstypen und die speziellen Geschäftsgrundlagentatbestände in Betracht; beide sind unter Umständen einer vorsichtigen Analogie zugänglich.194 Vor allem die Bedeutung der gesetzlichen Gefahrtragungsregeln kann nicht deutlich genug unterstrichen werden. Wenn sie eingreifen, ist für einen Rekurs auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage kein Platz.195 Allerdings kann über die Reichweite der gesetzlichen Gefahrtragungsregeln durchaus Streit entstehen, wie sich an vielen Bspen zeigen lässt. Es mag genügen, auf die Diskussion darüber zu verweisen, inwieweit der Werkunternehmer das Baugrundrisiko,196 der Arbeitgeber das Risiko der Stilllegung des Betriebs197 und der Reiseveranstalter das Terrorrisiko198 bzw das Risiko von Endemien199 am Urlaubsort trägt. Außerdem ist zu bedenken, dass, worauf bereits hingewiesen wurde, auch die (allgemeinen und besonderen) Leistungsstörungstatbestände den Zweck haben, gewisse Umstandsänderungen, die nach Abschluss des Vertrages eintreten (Verzug, Lieferung einer mangelhaften Sache, nachträgliche Unmöglichkeit) zu regulieren.200 Allerdings sind sie in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich (ebenso wie das konventionelle Irrtumsrecht) doch sehr beschränkt, so dass bei Fehlen einer vertraglichen Regelung im allgemeinen nur geprüft werden müssen wird, ob gesetzliche Gefahrtragungsregeln oder spezielle Geschäftsgrundlagentatbestände eingreifen. 192  Ob es sich bei dieser Lücke um eine „echte“ oder „unechte“ Vertragslücke handelt, bezeichnet Kramer zu Recht als Frage begrifflicher Opportunität, der im Ergebnis keine praktische Bedeutung zukommt (Berner Kommentar Art 18 OR Rz 215). Das gilt auch in unserem Zusammenhang, weil sich die Frage nach der Legitimität der ergänzenden Vertragsauslegung nicht aus dem (engeren oder weiteren) Vertragslückenbegriff, sondern aus dem Zweck und den daraus ableitbaren Grenzen dieses Instituts ergibt. 193  Nach hM geht das dispositive Recht der ergänzenden Vertragsauslegung bei der Füllung von Vertragslücken vor. Vgl nur Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 9, 22. 194  Für Analogiefähigkeit der speziellen Geschäftsgrundlagentatbestände zB Pisko in Klang II/2, 350 und Ehrenzweig, System I/12, 257. 195  Vgl nur F.  Bydlinski, ÖBA 1996, 505; Fenyves, 13.ÖJT II/62; Rummel, FS Strasser II 319; Runggaldier, RdW 1995, 350; Roth, FS Krejci 1264; Binder, JBl 2009, 281; Graf, JBl 2011, 155. 196  Vgl Krejci, FS Fasching 310; Rummel, FS Strasser 309. 197  Vgl dazu zuletzt Binder, JBl 2009, 269 mwN. 198  Vgl Wukoschitz, RdW 1996, 399; Bläumauer, RdW 2001, 360. 199  Michitsch, ZVR 2005, 222. Bei den „Reiseveranstaltungsfällen“ stellt sich die Frage, warum die hL diese Fälle mit Hilfe der Lehre von der Geschäftsgrundlage zu lösen versucht. ME reichen dafür die Gefahrtragungsregeln völlig aus, aus denen sich ergibt, dass der Unternehmer das Risiko seiner Sphäre und der neutralen Sphäre, der Reisende hingegen das „allgemeine Lebensrisiko“ zu tragen hat. Vgl dazu schon Fenyves, 13. ÖJT II/2, 89. 200  Zur Rolle der Kündigung aus wichtigem Grund bei der Bewältigung von Umstandsänderungen und ihrem Verhältnis zur Lehre von der Geschäftsgrundlage vgl Rz 63.

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d) Ergänzende Vertragsauslegung und ihre Grenzen Führt dieser Weg nicht weiter, dann ist zu versuchen, die Lücke durch er­ 43 gänzende Vertragsauslegung zu schließen. Die Vorrangigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung gegenüber den Regeln der Geschäftsgrundlage steht völlig außer Streit, soweit aus dem Inhalt des Vertrages oder aus den Umständen, unter denen er zustande kam, Ableitungen möglich sind. Umstritten ist aber, was rechtens sein soll, wenn kein klarer Anhalt dafür gefunden werden kann, was die Parteien nachweislich übereinstimmend gewollt haben und daher nur noch „zu Ende gedacht werden“ muss. Ein Teil der Lehre will dennoch die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung zur Anwendung kommen lassen und prüfen, was verständige, redlich denkende Parteien für den nun eingetretenen Fall vereinbart hätten, falls sie ihn vorausgesehen hätten. Die Gegner dieser Auffassung sind dagegen der Ansicht, dass bei solcher Sicht die legitimen Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung überschritten würden, die „Auslegung“ des Vertrages zu einer reinen Fiktion werde und in Wirklichkeit bereits Lückenfüllung mit Hilfe des objektiven Rechts betrieben werde.201 ME ist den Kritikern aus den Gründen beizutreten, die F. Bydlinski zusammengefasst und vertieft hat.202 Es steht einer Rechtsordnung natürlich frei, anzuordnen, dass dann, wenn die Parteien in Rücksicht auf einen bestimmten Umstand keine wie immer geartete Äußerung abgegeben haben, die sich interpretativ verwerten ließe, eine Regelung gelten soll, die redliche verständige Parteien in Kenntnis der Regelungsbedürftigkeit dieses Umstandes vereinbart hätten.203 Fehlt es aber an einer entsprechenden Norm, dann ist die Vertragslücke mangels feststellbarer individueller Vorstellungen der Parteien, die selbstverständlich den Vorrang genießen würden, mit Hilfe objektiver Kriterien zu füllen, die der Rechtsordnung zu entnehmen sind, also in erster Linie mit Hilfe der einschlägigen dispositiven Gesetzesregeln, in letzter Konsequenz aber unter Verwendung jener Regeln, die von der Lehre über die Geschäftsgrundlage oder vergleichbaren Lehren entwickelt wurden, soweit sich diese auf gesetzliche Wertungen zurückführen lassen. Im Ergebnis muss das keinen großen Unterschied machen, da sich auch der Gesetzgeber bei der Formulierung seiner Störungsregeln im allgemeinen am Leitbild der redlichen Parteien orientieren und einen gerechten Interessenausgleich anstreben wird. Daher werden auch die Ableitungen aus diesen Regeln, die zur Bewältigung der Geschäftsgrundlagenstörungen erforderlich sind, diesem Leitbild verhaftet sein. Die aufzufindenden Regeln für Geschäftsgrundlagenstörungen dürften dem Richter aber eine konkretere Handlungsanleitung geben als der doch sehr pauschale Verweis auf die hypothetische Verhaltensweise redlicher Parteien. Die Lösung der Geschäftsgrundlagenproblematik mit den Mitteln einer „erweiterten“ ergänzenden Vertragsauslegung brächte also einen Verlust an sachgerechter rechtlicher Differenziertheit mit sich.204 Nw über diese Diskussion bei Fenyves, Gutachten 20 ff und 43 ff. ÖBA 1996, 503 f; vgl auch Roth, FS Krejci 1253 und nun auch Vonkilch in § 914 Rz 69. 203  Eine solche Regelung enthielt Art 74 EKG (vgl Fenyves, Gutachten 33). 204  So richtig F. Bydlinski, ÖBA 1996, 505. 201  202 

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e) Die „Doppellücke“ 44

Sind keine einschlägigen gesetzlichen Regelungen auffindbar und kann auch die ergänzende Vertragsauslegung nicht helfen, dann kommt zur gegebenen „Vertragslücke“ in Fällen nachträglicher Umstandsänderungen, die nach heutigem Rechtsverständnis als regelungsbedürftig angesehen werden, eine Gesetzeslücke hinzu, sodass mit dem plastischen Ausdruck von Chiotellis vom Vorliegen einer „Doppellücke“ gesprochen werden kann.205 Die Notwendigkeit der Füllung dieser „Doppellücke“ war auslösendes Moment für die Entwicklung der verschiedenen Theorien zur Geschäftsgrundlage. Daraus erklärt sich zwanglos, dass die Geschäftsgrundlage nach völlig hM einen „Auffangtatbestand“ darstellt, der erst dann eingreift, wenn es hinsichtlich der Auswirkungen einer nachträglichen Umstandsänderung weder eine vertragliche noch eine (passende) gesetzliche Regelung gibt.206 Der Charakter der Geschäftsgrundlage als „Auffangtatbestand“ ist auch der Ansatzpunkt für die allgemein anerkannte „Subsidiarität“ der für die Geschäftsgrundlagenstörung entwickelten (zu entwickelnden) Regeln gegenüber den positivierten Gefahrtragungs-, Clausula- und Leistungsstörungstatbeständen.207 Innerhalb des Anwendungsbereichs dieser Tatbestände besteht nicht nur kein Bedürfnis nach einem Rekurs auf die (allgemeine) Geschäftsgrundlage, sondern sie gehen (als besondere Ausprägungen des Geschäftsgrundlage-Gedankens) der allgemeinen Geschäftsgrundlage vor.208 Es ist daher zB nicht zulässig, auf die Grundsätze der Geschäftsgrundlage auszuweichen, wenn die Gewährleistung abbedungen wurde oder Gewährleistungsansprüche verjährt sind.209 f) Die Möglichkeiten für die Schließung der „Doppellücke“

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Die neuralgische Frage für alle Theorien, die sich mit der Geschäftsgrundlage beschäftigen, ist somit, mit welchem Normenmaterial die „Doppellücke“ zu füllen ist (§§ 6, 7 ABGB). In bescheidenem Umfang wird es, wie bereits erwähnt, möglich sein, vorhandene Gefahrtragungs- und spezielle Clausula-Tatbestände analog anzuwenden. Versagt diese Möglichkeit, dann bieten 205  Rechtsfolgenbestimmung 24. Der Begriff hat sich in der deutschen GeschäftsgrundlageLit weitgehend durchgesetzt. Vgl zB Fikentscher, Schuldrecht8 136; Härle, Äquivalenzstörung 84 f. Krit jedoch Lembke, der (ausgehend vom „engen“ Vertragslückenbegriff) sowohl das Vorliegen einer Vertrags- wie auch einer Gesetzeslücke bestreitet (Vorhersehbarkeit 116 ff, 142). 206  Vgl Rothoeft, AcP 1970, 236; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung 60; Larenz, Schuldrecht AT14 323 uva. 207  Im Ergebnis völlig unbestritten. Vgl für Ö Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6; Apathy/ Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 11; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 8; Pletzer in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 17; Koziol/Welser13 I 165 f; Bezemek, Geschäftsgrundlage 75. Rummel meint aaO, die von ihm vertretene Auffassung einer Anwendung der Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung auf die Geschäftsgrundlagenfälle habe den Vorteil, dass sich die „sonst schwer begründbare Subsidiarität“ der Geschäftsgrundlage-Regeln von selbst ergebe. Diese Subsidiarität lässt sich aber durchaus auch bei anderen Ansätzen begründen. 208  Vgl dazu Heinrichs in Palandt55 § 242 Rz 115; J. Schmidt in Staudinger13 § 242 Rz 1115 und Kramer, Berner Kommentar Art 18 OR 323. 209  Heinrichs in Palandt55 § 242 Rz 118.

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sich zwei Alternativen an. Entweder man rekurriert auf sehr grundsätzliche Wertungen der Rechtsordnung wie etwa auf „Treu und Glauben“. Dieser Weg, den zB die deutsche Jud verfolgt hat, die sich vor Einfügung des § 313 BGB auf § 242 BGB berief, scheidet für Ö aus, da unser Recht keine dem § 242 BGB vergleichbare Norm kennt.210 Oder man geht den schwierigeren Weg, das Normenmaterial der Rechtsordnung auf Vorschriften hin zu durchforsten, die (zumindest in Ansätzen) vergleichbare Problemlagen regeln und daher in der Lage sind, als Basis für Teilanalogien oder Rechts(Gesamt)analogien zu dienen. In dieser Hinsicht kommen neben den bereits angesprochenen gesetzlichen Gefahrtragungs- und speziellen Clausula-Regeln die Vorschriften des Irrtumsrechts, der laesio enormis und des Leistungsstörungsrechts in Betracht. Sie alle „passen“ auf die Geschäftsgrundlagenstörungen zwar weder unmittelbar noch im Wege einer Einzelanalogie (Gesetzesanalogie). Sie können jedoch zur Lösung der Geschäftsgrundlage-Problematik wertvolle „Bausteine“ beisteuern, die in ihrer (je verschiedenen) Kombination imstande sein sollten, prognostizierbare, nachprüfbare und vor allem gesetzesnahe Ergebnisse hervorzubringen. Was zuerst das Irrtumsrecht betrifft, so ist es von der „Papierform“ her 46 am besten dazu geeignet, alle Geschäftsgrundlagenstörungen zu umfassen, da man die Frustrierung der Erwartungen der Parteien (einer Partei) durch nachträgliche Änderungen im weitesten, untechnischen Sinn zweifellos als „Irrtum“ (über Zukünftiges) verstehen kann. Der unmittelbaren Anwendung des Irrtumsrechts stehen jedoch einige Hindernisse im Weg: Die §§ 871 ff ABGB haben einen Irrtum über Gegenwärtiges vor Augen; in den Geschäftsgrundlagenfällen geht es jedoch in der Regel (bei Wegfall der Geschäftsgrundlage) um einen Irrtum über Zukünftiges.211 Die §§ 871 ff setzen weiters einen Geschäftsirrtum voraus. Die Geschäftsgrundlage wird aber gerade nicht Geschäftsinhalt, sodass ein Irrtum über sie zwangsläufig ein Motivirrtum zu sein scheint, der an der Barriere des § 901 ABGB scheitert. Die §§ 871 ff verlangen schließlich einen Irrtum. Liegt ein Irrtum auch dann vor, wenn die Parteien (eine Partei) hinsichtlich der zukünftigen Verhältnisse keine konkreten Vorstellungen, sondern nur bloße Annahmen, Erwartungen, Hoffnungen hegten oder wenn sie gar überhaupt keine Vorstellungen gehabt haben?212 Die Verkürzung über die Hälfte (§§ 934 f ABGB) stellt ungeachtet ihrer 47 Positionierung unmittelbar im Anschluss an die Gewährleistungsvorschriften nach hM einen Mangel in der Wurzel dar, da das von ihr geforderte Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung schon im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegeben sein muss (§ 934 Schlusssatz ABGB).213 Sie ist daher von ihrer Konzeption her jedenfalls nicht unmittelbar dazu in der Lage, Vgl bereits Pisko in Klang II/2, 348 f. Zur Beachtlichkeit von Irrtümern über Zukünftiges im österreichischen Recht va Kerschner, Irrtumsanfechtung 148 ff. 212  Die Gleichstellung der realen mit der fehlenden Vorstellung ist im Zusammenhang mit dem Irrtum über Zukünftiges besonders heiß umstritten. Vgl dazu den Rechtsvergleich in Fenyves, Gutachten 72 f. 213  Vgl nur P. Bydlinski, JBl 1983, 410; dens, AT5 Rz 8/46; Koziol/Welser13 II 94. 210  211 

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auch nachträgliche Äquivalenzverschiebungen zu bewältigen.214 Gleiches gilt für die Verzugs- und Gewährleistungsvorschriften. Ob der Schuldner in Verzug kommt, weil er nicht zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder auf die bedungene Weise erfüllt (§ 918 Abs 1 ABGB) bzw ob er eine mangelhafte Leistung erbracht hat (§ 923 ABGB), bestimmt sich nach dem, was im Vertrag vereinbart wurde. Ein zu einem späteren Zeitpunkt eintretendes „Mangelhaftwerden“ der Leistung − etwa durch ihre nachträgliche objektive Entwertung oder durch eine subjektive Änderung des Bedarfs des Gläubigers − kann daher durch diese Vorschriften nicht gemeistert werden. Das Unmöglichkeitsrecht schließlich ist wieder besser zur Bewältigung 48 nachträglicher Umstandsänderungen gerüstet, da es in Form der nachträglichen Unmöglichkeit (§§ 920, 1447 ABGB) über ein Institut verfügt, das schon in seinem Grundtatbestand der Domestizierung von Störungen dient, die nach Vertragsabschluß auftreten. Es kann daher nicht verwundern, dass die ersten Ansätze zur Lösung der Geschäftsgrundlagenprobleme in vielen Ländern mit dem Unmöglichkeitsrecht operierten und dass dieser Ansatz auch heute noch, wenngleich meist in fortentwickelter Form, weiterverfolgt wird.215 Das Unmöglichkeitsrecht wird auch kaum je auf die sogenannte „logische“ Unmöglichkeit beschränkt. Ihr wird vielfach − zum Teil durch eigene Vorschriften, zum Teil aber auch nur durch Auslegung − nicht nur die „rechtliche“ Unmöglichkeit, sondern zB auch die Unzumutbarkeit der Erfüllung der Leistungspflicht aus persönlichen Gründen gleichgestellt.216 Von hier ist es zur Annahme einer „wirtschaftlichen“ Unmöglichkeit nur noch ein kleiner Schritt. Man kann es daher zB Pisko nicht verdenken, dass er meinte, es sei eine reine Auslegungsfrage, ob man unter der Unmöglichkeit nur die logische oder auch die wirtschaftliche verstehen könne, und sich für die zweite Lösung entschied.217 Der Ansatz am konventionellen Recht der nachträglichen Unmöglichkeit hat jedoch einige konzeptionell bedingte Nachteile, die ihn als ungeeignet erscheinen lassen, alle als lösungsbedürftig angesehenen Fälle von Geschäftsgrundlagenstörungen adäquat zu meistern.218 Überdies ist bei reiner Anwendung des Unmöglichkeitsrechts schwer zu begründen, warum gerade bei der Unerschwinglichkeit und nicht auch bei den anderen Fällen, die der logischen Unmöglichkeit gleichgehalten werden, einschränkende Voraussetzungen gelten sollen. Dass hauptsächlich die Irrtumsregeln und das Unmöglichkeitsrecht für die 49 Füllung der „Doppellücke“ in Betracht kommen, scheint sich zu bestätigen, wenn man die gesetzlichen Spezialregelungen der Clausula-Fälle betrach214  Vgl aber § 1048, der die „nachträgliche laesio enormis“ regelt und ebenfalls auf die Hälfteregel abstellt; dazu Bezemek, Geschäftsgrundlage 97 f. 215  Vgl die zusammenfassende Darstellung bei Fenyves, Gutachten 71 f. 216  Nach hM ist es nach den Regeln der Unmöglichkeit zu behandeln, wenn die Erfüllung eine Gefahr für Leib und Leben des Schuldners mit sich brächte oder ihm aus sonstigen persönlichen Gründen unzumutbar wird (Bsp: Keine Auftrittsverpflichtung eines Komikers, dessen Kind im Sterben liegt). Vgl Pisko in Klang IV 560; Mayrhofer, SchRAT I 398; Reischauer in Rum­mel3 I § 920 Rz 9. 217  Pisko in Klang IV 558. 218  Vgl Rz 33 und Fenyves, Gutachten 71 f.

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tet, die wohl in zwei Gruppen eingeordnet werden können. Einmal gibt es Normen, die einen relativ stark ausgeprägten irrtumsrechtlichen Charakter haben. Zu dieser Gruppe zählen die §§ 616, 617, 777, 778 (… „aus oben gedachtem Irrtume“) ABGB und die neuen §§ 3a KSchG bzw 5 Abs 3 BTVG. Andere Normen scheinen dagegen eher einen „objektiven“ Charakter zu haben und behandeln die nachträgliche Umstandsänderung wie eine „Störung“ bei der Abwicklung des Vertrages. Hierher gehören zB die §§ 458, 907, 936, 947 ff, 1052 Satz 2 und 1170a ABGB. Das korrespondiert mit der Beobachtung Köblers, dass im ABGB sowohl die allgemeine Clausula-Regel als auch einzelne spezielle Clausula-Vorschriften durch spezielles Leistungsstörungsrecht entbehrlich gemacht worden seien, das den rechtlichen Blick von der Umwelt eines Vertrages auf den Leistungsgegenstand selbst lenke.219 In Ö sind, wie dargestellt, bisher überwiegend „dualistische“ Lösungsan­ 50 sätze für die Geschäftsgrundlagenstörungen vertreten worden. Pisko war für die Kombination einer subjektiven Geschäftsgrundlage mit einer objektiven, die allerdings gegenüber modernen Ausprägungen dieser Alternative der Geschäftsgrundlage „halbiert“ war, da sie sich nur auf das Unmöglichkeitsrecht stützte. Graf kennt auch eine subjektive Geschäftsgrundlage, die jedoch wesentlich enger ist als jene Piskos, und − davon getrennt − eine objektive Geschäftsgrundlage, die vom Unmöglichkeitsrecht unabhängig ist. Rummel und, ihm folgend, Kerschner wollen die Geschäftsgrundlagenfälle vorwiegend mit Hilfe der ergänzenden Vertragsauslegung lösen. Für den verbleibenden Bereich schlägt Rummel die Anwendung modifizierten Unmöglichkeitsrechts, Kerschner dagegen wohl modifizierten Irrtumsrechts vor. Diesen dualistischen Theorien hat F. Bydlinski eine „monistische“ gegenübergestellt, die einen rein irrtumsrechtlichen Ansatz verfolgt: Nach ihm ist das Institut der Geschäftsgrundlage eine sehr eigenständige, weil auf die zukünftigen Verhältnisse ausgerichtete Weiterentwicklung des Irrtumsrechts, die neben der für dieses Institut charakteristischen subjektiven Komponente auch objektive Elemente (drohende Verstöße gegen zentrale objektive Rechtsprinzipien) berücksichtigt.220 g) Teilweise Schließung durch analoge Anwendung des Irrtumsrechts ME ist das (wenngleich modifizierte) Irrtumsrecht nicht das richtige 51 Mittel zur Bewältigung aller Geschäftsgrundlagenfälle. Zwar ist zuzugeben, dass man alle Geschäftsgrundlagenfälle als Irrtumsfälle begreifen kann, wenn man auch beim Irrtum über Zukünftiges der realen Vorstellung der Parteien (einer Partei) die fehlende Vorstellung gleichstellt.221 Das ändert aber nichts daran, dass man der Verschiedenheit der Geschäftsgrundlagenfälle in ihrer Gesamtheit mit der Qualifikation als „Irrtum“ wohl doch nur unzureichend Rechnung trägt. Anders wäre es nicht erklärbar, dass viele Rechtsord219  220 

Clausula 58. Einen ebenfalls ausschließlich irrtumsrechtlichen Ansatz verfolgt Falkner, Geschäftsirr-

tum 81. 221  Beim Irrtum über Gegenwärtiges entspricht diese Gleichstellung dem Standpunkt der hM. Vgl nur Gschnitzer in Klang2 IV/1, 115; Rummel in Rummel3 I § 871 Rz 2; F. Bydlinski, ÖBA 1996, 501; P. Bydlinski, AT5 Rz 8/2; Koziol/Welser13 I 147.

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nungen ohne jeden Bezug auf das Irrtumsrecht auskommen.222 Es scheint mir daher besser, innerhalb der Geschäftsgrundlagenfälle solche zu unterscheiden, die eher wie ein Irrtum zu behandeln sind und daher auch (modifizierten) Irrtumsregeln unterworfen werden, und andere, die eher den Charakter einer nachträglichen Störung der Abwicklung des Vertrages haben und daher nach (modifiziertem) Leistungsstörungsrecht behandelt werden. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Hauptgruppen der Geschäftsgrundlagenstörungen sollte im Grundsatz danach erfolgen, ob die Parteien (eine Partei) konkrete Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung hatten (hatte) oder nicht. Die­ ser Vorschlag entspricht einer verbreiteten Auffassung über die Relevanz von Irrtümern über Zukünftiges223 und lässt sich auch durch konkrete gesetzliche Vorschriften erhärten: Sowohl die Schweizer Regelung über den „Grundlagen­ irrtum“ (Art 24 Abs 1 Z 4 OR), die einen Teil der Geschäftsgrundlagenfälle abdecken kann,224 als auch die neuen österreichischen Regeln der §§ 3a KSchG, 5 Abs 3 BTVG gehen von der Existenz konkreter Vorstellungen des „Irrenden“ aus. Zur Begründung dieser These ist darauf zu verweisen, dass bei der Füllung 52 der erwähnten „Doppellücke“ jeweils jener Regelungskomplex im Wege der Teilanalogie herangezogen werden sollte, der dazu in concreto am besten ge­ eignet erscheint. Mit der Heranziehung von Irrtumsrecht, das auf die Beson­ derheiten des Irrtums über Zukünftiges Bedacht nimmt und dementsprechend weiterentwickelt wird, können mE nur solche Fallkonstellationen bewältigt werden, die Ähnlichkeit mit einem Geschäftsirrtum haben. Der wesentliche Unterschied, den das konventionelle Recht des Irrtums über Gegenwärtiges zwischen Geschäftsirrtum und Motivirrtum macht, muss grds auch bei einem Irrtum über Zukünftiges Bedeutung haben. Es bedarf daher auch hier eines Kriteriums, das den unbeachtlichen Motivirrtum von Irrtümern abgrenzt, die wie ein Geschäftsirrtum betrachtet werden und daher beachtlich sind.225 Von einer „Geschäftsirrtumssituation“ sollte man in den Geschäfts­ 53 grundlagenfällen nur dann ausgehen, wenn die Parteien konkrete Vorstellungen über den Umstand gehabt haben, der dann nicht eintritt, sich ändert oder wegfällt und wenn dieser Umstand bei den Vertragsverhandlungen angesprochen226 und als sicher vorgestellt wurde. In diesem Fall haben die Parteien den betreffenden Umstand nur deswegen nicht zum Geschäftsinhalt (und da­ mit zum möglichen Ansatzpunkt für einen Geschäftsirrtum im eigentlichen Sinn) gemacht, weil sie dies als unnötig empfunden haben: Bei der Frustrie­ 222  Vgl die Zusammenfassung der rechtsvergleichenden Untersuchung bei Fenyves, Gutach­ ten 71 f. 223  Larenz, ATBGB7 391; Kerschner, Irrtumsanfechtung 158; Graf, Vertrag 140 f. 224  Vgl die Schilderung dieser Norm bei Fenyves, Gutachten 27 f. 225  Jaksch-Ratajczak kritisiert an diesem Ansatz, dass dadurch eine neue Kategorie von Irr­ tümern begründet werde, die keine Entsprechung im geltenden Recht habe. Er übersieht dabei, dass das konventionelle Irrtumsrecht zur Bewältigung der Problematik des Wegfalls der Ge­ schäftsgrundlage nicht in der Lage ist, sodass es seiner Weiterentwicklung bedarf (so auch F. Bydlinski, ÖBA 1996, 501 f, mit dem sich Jaksch-Ratajczak nicht auseinandersetzt). Es hilft also nicht weiter, sich der Geschäftsgrundlagenproblematik mit den überkommenen Kategorien des Motivbzw Geschäftsirrtums zu nähern, die auf den Irrtum über Gegenwärtiges zugeschnitten sind. 226  So auch Graf, der allerdings von einem anderen Ansatz ausgeht (Vertrag 280 ff).

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rung ihrer (positiven oder negativen) Vorstellungen handelt es sich daher zwar nicht um einen Geschäftsirrtum im technischen Sinn, aber doch um eine Fehlvorstellung, die diesem weit näher steht als dem bloßen Motivirrtum.227 Die Tatsache, dass es sich bei den hier angesprochenen Fehlvorstellungen der beiden Parteien über Zukünftiges um einen Willensmangel handelt, der mehr Ähnlichkeit mit einem Geschäftsirrtum als mit einem Motivirrtum aufweist, bedeutet freilich nicht, dass man auf diesen Irrtum unbesehen die Regelungen über den Geschäftsirrtum (§§ 871 ff ABGB) anwenden könnte, da er nicht einen Geschäftsirrtum im technischen Sinn, sondern einen Irrtum über Zukünftiges darstellt. Daraus resultiert, wie F. Bydlinski deutlich gemacht hat, einerseits eine geringere Schutzwürdigkeit des Irrenden, weil jedermann auch als Kontrahent weitgehend das Risiko der stets undurchschaubaren zukünftigen Entwicklung tragen muss, andererseits aber auch eine besondere Schutzbedürftigkeit hinsichtlich der Zukunftsrisiken, weil diese für die Beteiligten überhaupt nicht beherrschbar sind.228 ME wird man daher für die Relevanz eines Irrtums über Zukünftiges in der hier behandelten Fallgruppe verlangen müssen, dass es sich entweder um einen gemeinsamen Irrtum der Parteien oder um den Irrtum nur einer Partei handelt, den die andere Partei veranlasst hat. Der gemeinsame Irrtum der Parteien wird allgemein als der Paradefall 54 des möglicherweise relevanten Zukunftsirrtums angesehen.229 Oft wird sogar nur er als taugliche Grundlage für den Wegfall der subjektiven Geschäftsgrundlage akzeptiert. Damit wird die Analogiebasis der §§ 871 ff allerdings zu wenig genützt. Neben dem „gemeinsamen Irrtum“ kann mE auch der einseitige Irrtum über Zukünftiges, das als sicher vorgestellt wird, dann relevant sein, wenn er vom Gegner veranlasst wurde.230 § 3a Abs 1 KSchG lässt es jetzt im Verbrauchergeschäft sogar genügen, dass der Unternehmer gewisse Umstände, die für die Einwilligung des Verbrauchers maßgeblich sind, als wahrscheinlich dargestellt hat, und diese Umstände ohne Veranlassung des Verbrauchers nicht oder nur in erheblich geringerem Ausmaß ein­ treten. 227  Diese Auffassung kommt der Meinung von Windscheid nahe, nach dem die Vorstellung „in der Mitte“ zwischen dem bloßen Motiv und der Bedingung (anders gesagt: dem Vertragsinhalt) liegt (AcP 178, 167). Sie beruht auf der Überlegung, dass zwischen dem Irrtum über Gegenwärtiges und dem Irrtum über Zukünftiges ein wesentlicher Unterschied besteht. Die Schutzwürdigkeit des Irrenden beruht bei einem Irrtum über Gegenwärtiges auf seinem Informationsdefizit: Er weiß nicht alles, was er für die Abgabe einer Willenserklärung wissen müsste; es wäre aber zumindest abstrakt möglich, sich dieses Wissen zu verschaffen. Das rechtfertigt es, beim Irrtum über Gegenwärtiges die fehlende Vorstellung der falschen gleichzuhalten (vgl FN 221). Eben diese Möglichkeit fehlt jedoch bei einem Irrtum über Zukünftiges, da die Zukunft grundsätzlich undurchschaubar ist. Daher muss sich die Schutzwürdigkeit des Irrenden bei dieser Art des Irrtums aus einem anderen Umstand ergeben. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das das Vorliegen konkreter Vorstellungen der Parteien (einer Partei) über die künftige Entwicklung, auf die sie sich daher eingerichtet haben (hat). 228  ÖBA 502 f, insb 502 FN 22. 229  Für die Relevanz des gemeinsamen Irrtums über Zukünftiges auch Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6. 230  So auch Larenz, ATBGB7 395; Brox, Irrtumsanfechtung 187.

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Die rechtzeitige Aufklärung des § 871 ABGB kann bei Irrtümern über Zukünftiges kaum eine Rolle spielen.231 Ob auch das „Offenbar-AuffallenMüssen“ des § 871 als Kriterium herangezogen werden kann, ist fraglich.232 Bedenklich muss stimmen, dass § 3a KSchG selbst im Verbrauchergeschäft eine verstärkte Einwirkung auf den Willensbildungsprozess des Verbrauchers, also ein aktives Tätigwerden des Unternehmers, verlangt233 und „Offenbar – Auffallen – Müssen“ somit nicht genügen lässt.234 Liegt ein gemeinsamer Irrtum über Zukünftiges oder ein einseitiger Irrtum 55 vor, der vom anderen Partner veranlasst wurde, dann ist damit noch nichts Endgültiges über die Relevanz des Irrtums ausgesagt. Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist zusätzlich noch erforderlich, dass die Kriterien der „Unvorhersehbarkeit“235 und „Sphärenfremdheit“ erfüllt werden. Ganz idS verlangt § 3a KSchG, dass die für die Einwilligung des Verbrauchers maßgeblichen Umstände „ohne seine Veranlassung“ nicht oder nur in erheblich geringerem Ausmaß eintreten (Abs 1), bzw, dass der Verbraucher bei den Vertragsverhandlungen nicht wusste oder wissen musste, dass die maßgeblichen Umstände nicht oder nur in erheblich geringerem Ausmaß eintreten werden (Abs 4 Z 1).236 Die Typizität des Umstandes, über den (von beiden Parteien oder auch 56 nur von einer Partei) geirrt wurde, ist nach der hier vertretenen Auffassung kein Erfordernis für die Relevanz des Irrtums, da die „Sperrwirkung“ des § 901 ABGB nicht greifen kann. Liegt ein Irrtum über Zukünftiges vor, bei dem das Eintreten eines Umstandes als sicher (im Verbrauchergeschäft: als So auch Rummel, JBl 1981, 8. Dafür Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 581, und Koziol in Koziol/Welser11 I 147; dagegen zB Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey 13 und F. Bydlinski, ÖBA 1996, 502. 233  Vgl EB RV 311 BlgNR 20 GP, 3. 234  Noch weiter gehen die Erläuterungen zu § 306 Abs 2 BGB-KE (nun unverändert § 313 Abs 2 BGB), der das Fehlen der Geschäftsgrundlage regelt. Nach den Erläuterungen soll es ausreichen, dass sich nur eine Partei falsche Vorstellungen macht und die andere Partei diesen Irrtum ohne eigene Vorstellungen „hinnimmt“ (Abschlußbericht 151). Damit wäre der „Abschlußbericht“ wieder bei Oertmann angelangt, nach dem Geschäftsgrundlage bekanntlich auch eine vom Gegner in ihrer Bedeutung erkannte und nicht beanstandete Vorstellung auch nur einer Partei ist (Geschäftsgrundlage 37). 235  Bezemek (Geschäftsgrundlage 48 ff) weist zu Recht darauf hin, dass Pisko die Formulierung verwendet, dass die Änderung keine „unvorhergesehene“ sein dürfe; auch die von ihm angeführten Gesetzesbestimmungen (§§ 962, 1021) verwenden diesen Begriff (in Klang II/2, 353). Dem ist mit Kerschner entgegen zu halten, dass sich aus den von Pisko aaO angeführten Bspen ergibt, dass er in der Sache auf Unvorhersehbarkeit abstellt (wbl 1988, 214 FN 17). In diese Richtung deutet auch, dass er an anderer Stelle seiner Kommentierung von einer „unvorhergesehenen und unvorhersehbaren“ Leistungsschwierigkeit spricht (in Klang II/2, 355). Was immer Pisko auch gemeint haben mag: Die besseren Gründe, nämlich der gebotene Vertrauensschutz des „Clausula-Gegners“, sprechen dafür, iSd ganz hM und stRsp auf „Unvorhersehbarkeit“ als objektivabstrakten Maßstab abzustellen. Vgl auch die Diskussion zwischen Gimpel-Hinteregger und Fenyves auf dem 13. ÖJT (II/2, 87 f, 88 f). 236  Kerschner wirft Pisko vor, dass er durch das Abstellen auf die Unvorhersehbarkeit die Irrtumskategorie verlassen hätte (wbl 1988, 214); zustimmend Vonkilch in § 914 Rz 66 FN 190. Das ist richtig, wenn man in den Kategorien des Irrtums über Gegenwärtiges verhaftet bleibt, hilft aber für eine sachgerechte Behandlung des Irrtums über Zukünftiges nicht weiter. Im Ergebnis ist daher dem Weg Piskos zu folgen. 231  232 

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wahrscheinlich) vorgestellt wurde und der betreffende Umstand in den Vertragsverhandlungen angesprochen wurde, dann liegt kein Motivirrtum iSd § 901 Satz 2 vor, sondern ein Irrtum, der in Analogie zu den §§ 871 ff ABGB wie ein Geschäftsirrtum zu behandeln ist, allerdings unter erhöhter Berücksichtigung des schutzwürdigen Vertrauens des Gegners des Irrenden. Dem Typizitätserfordernis dürfte nicht all zu sehr nachgetrauert werden.237 Es hat sich, wie Rummel238 und Tomandl239 zutreffend herausgearbeitet haben, als wenig praktikabel erwiesen und die Rechtsprechung zum Teil vor nahezu unlösbare Probleme gestellt. Rechtsvergleichend ist es nirgends zu beobachten. Dass auch individuelle Motive relevant sein können, nimmt der Typizität von Erwartungen freilich nicht jede Bedeutung. Rummel verweist zu Recht darauf, dass bei typischen Motiven die Kausalität für den Abschluss des Vertrages in seiner konkreten Form leichter zu beweisen sein wird.240 Schließlich ist noch darauf einzugehen, ob auch bei den Fällen, die nach 57 der hier vertretenen Auffassung einem modifizierten Irrtumsrecht unterworfen werden, eine grobe Äquivalenzstörung erforderlich ist. ME ist das nicht der Fall. Wenn man davon ausgeht, dass in den oben eingegrenzten Irrtumsfällen die (modifizierten) Regeln über den Geschäftsirrtum zur Anwendung kommen, dann ist für die Relevanz des Irrtums − bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen − eine Äquivalenzstörung nur in jenem Ausmaß erforderlich, das die §§ 871 ff ABGB verlangen. Die §§ 871 ff sind in dieser Hinsicht sehr bescheiden: Nach hM sind nur „unerhebliche“ Irrtümer zu vernachlässigen, also solche, die den Irrenden bei Kenntnis der wahren Sachlage bei Abschluss des Rechtsgeschäfts in keiner Weise beeinflusst hätten.241 Das wird man nur bei einem sehr geringen Grad der Äquivalenzstörung sagen können. Auch die „Irrtumsfälle“ bedürfen also einer „Äquivalenzstörung“. Sie ist jedoch sehr leicht zu bejahen242 und weit schneller erreicht als in den Fällen, die nicht durch analoge Anwendung des Irrtumsrechts gelöst werden können. h) Schließung durch analoge Anwendung des Leistungsstörungsrechts Fehlt es an den oben für die „Irrtumsfälle“ aufgestellten Voraussetzungen, 58 dann ist keine taugliche Analogiebasis dafür vorhanden, die Störung der Geschäftsgrundlage wie einen Geschäftsirrtum zu behandeln. Haben die Parteien also bloße Annahmen, Erwartungen, Hoffnungen etc geäußert oder zwar Vorstellungen über die Zukunft gehabt, sie aber nicht geäußert, oder haben sie schließlich überhaupt keine Vorstellungen über die künftige Entwicklung gehabt, dann müssen nachträgliche Umstandsänderungen nach anderen Regeln behandelt werden. 237  Für die Berücksichtigung gemeinsamer individueller Vorstellungen der Parteien nun auch Graf, JBl 2011, 155 FN 31. 238  JBl 1981, 6 f; in Rummel3 I § 901 Rz 5. 239  ZAS 1988, 4. 240  JBl 1991, 9; ders in Rummel3 I § 901 Rz 5. 241  Koziol/Welser13 I 154. 242  So schon Pisko in Klang II/2, 355 und OGH 8 Ob 60/70, SZ 46/63; vgl auch Graf, Vertrag 278 und Koziol/Welser11 I 147.

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Das Irrtumsrecht kann in diesen Fällen der Geschäftsgrundlagenstörung, wie bereits erwähnt, wenig zur Füllung der „Doppellücke“ beitragen, da sie eher Motivirrtumskonstellationen ähneln. Motivirrtümer sind aber wohl auch bei einem Irrtum über Zukünftiges (jedenfalls idR)243 unbeachtlich. Es ist daher mE vorzuziehen, in diesen Fällen eine objektive Anknüpfung vorzunehmen und die notwendigen Analogien mit Hilfe des (modifizierten) Unmöglichkeits- bzw Gewährleistungsrechts zu bewirken.244 Dieser Lösungsweg wird, wie der rechtsvergleichende Überblick zeigt,245 in vielen Ländern beschritten und bietet gegenüber dem subjektiven Ansatz keine Nachteile, da zB auch aus dem Gewährleistungsrecht die Möglichkeit gewonnen werden kann, nicht nur Vertragsauflösung, sondern auch Vertragsanpassung eintreten zu lassen. Weiters können die dem konventionellen Unmöglichkeitsrecht anhaftenden Defizite durch eine Generalisierung des objektiven Ansatzes vermieden werden, sodass sich zB auch der Geldschuldner auf den Wegfall der objektiven Geschäftsgrundlage berufen kann. Der wesentliche Unterschied zwischen den „Irrtumsfällen“ und den 59 „sonstigen Fällen“ liegt nach der hier vertretenen Auffassung im verschiedenen Ausmaß der erforderlichen Äquivalenzstörung: In den „Irrtumsfällen“ genügt es, dass die Äquivalenzstörung nicht ganz unerheblich ist. In den „sonstigen Fällen“ ist es dagegen erforderlich, dass eine „gewichtige“, „unzumutbare“ Äquivalenzstörung eintritt, die zu einer „übermäßigen Erschwerung“ der Leistung führt.246 Was man unter diesen Begriffen zu verstehen hat, ist heftig umstritten.247 Meist wird gesagt, dass sich das nötige Ausmaß der Äquivalenzstörung nicht allgemeingültig beziffern lasse.248 Zum Teil werden auch fixe Prozentsätze genannt, ab denen eine „übermäßige Erschwerung“ gegeben sein soll.249 Das Erfordernis einer völligen Entwertung, das Larenz bei der objektiven Geschäftsgrundlage verlangt hatte,250 wird heute einhellig abgelehnt.251 243 

Anderes mag zB gelten, wenn der Motivirrtum über Zukünftiges listig herbeigeführt wurde. Die Modifikation besteht vor allem darin, dass grds auch hier die Elemente der Unvorhersehbarkeit und Sphärenfremdheit zu beachten sind. 245  Vgl Fenyves, Gutachten 70 f. 246  Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf die Fallgruppe der Äquivalenzstörung im eigentlichen Sinn. Von einer untechnisch verstandenen „Äquivalenzstörung“ könnte man zwar auch bei der Zweckstörung sprechen, da die Mittel, die für einen Vertrag aufgewendet werden, frustriert sind, wenn dieser seinen Zweck nicht erfüllt. Das ist aber eine ganz andere „Äquivalenzstörung“ als jene, von der hier die Rede ist. In den Fällen der Äquivalenzstörung im technischen Sinn wirkt sich die nachträgliche Änderungen von Umständen, die zu einer Leistungserschwerung oder zur Entwertung der Gegenleistung führt, nämlich gravierend auf die gesamte Vermögenssphäre des Schuldners und nicht nur auf einen einzelnen Vertrag aus. Vgl dazu noch Rz 100 ff. 247  Grds zum Problem der Äquivalenzstörung und zum Verhältnis derselben zum Äquivalenzprinzip Härle, Äquivalenzstörung. 248  Vgl Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 587; Kramer, Berner Kommentar Art 18 OR Rz 346; Jung, Bindungswirkung 238. 249  ZB Kegel, Gutachten 204 f (25%); Wieacker, FS Wilburg I 251 (50%); Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung 130 (ab 50% Anpassung, ab 100% Auflösung). 250  Schuldrecht AT14 325. 251  Vgl Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey 8; Wieacker, FS Wilburg I 248; Kegel, Gutachten 202; F. Bydlinski, ÖBA 1996, 507; Graf, Vertrag 139. 244 

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In Ö hat sich F. Bydlinski ausführlich mit dem nötigen Ausmaß der Äquivalenzstörung beschäftigt und ein bewegliches System entwickelt, in dem das Zusammenspiel verschiedener Komponenten darüber entscheidet, ob das erforderliche Ausmaß der Störung erreicht ist oder nicht.252 F. Bydlinski geht bei seinen Überlegungen von der „Hälfteregel“ der laesio enormis aus, die er durch (Teil)Analogie aus den §§ 934 f ABGB gewinnt und seinem beweglichen System als „Basiswertung“ zugrunde legt.253 Dem ist zu folgen, da damit derselbe methodische Weg eingeschlagen wird, der auch den hier angestellten Überlegungen zugrunde liegt. Die „Doppellücke“, die in den Geschäftsgrundlagenfällen gegeben ist, muss durch Analogien zu den nächstverwandten gesetzlichen Regeln geschlossen werden; diese Regeln müssen allenfalls noch an die besonderen Verhältnisse angepasst werden, die bei nachträglichen Umstandsänderungen zu berücksichtigen sind. Bei der Suche nach einem möglichst gesetzesnahen Anhaltspunkt für das nötige Ausmaß der Äquivalenzstörung führt an der „Hälfteregel“ des § 934, die sich auch in § 1048 findet, kein Weg vorbei.254 Graf vertritt die Auffassung, dass es sich bei der objektiven Geschäfts­ 60 grundlage um die Realisierung von Risiken handle, die von beiden Parteien gemeinsam getragen werden müssten, sobald die Grenze der schweren Äquivalenzstörung erreicht sei. Es fehle an normativ durchschlagenden Gesichtspunkten dafür, die Interessen einer Seite gegenüber denen der anderen Partei voran- oder hintanzustellen. Beide Parteien seien dem Risiko gleich nahe und müssten es daher auch gemeinsam tragen. Die Schadensteilung sei allerdings keine arithmetische, sondern davon abhängig, in welchem Verhältnis die jeweils erhofften Vertragsgewinne zueinander gestanden wären.255 Grafs Ansicht ist jener der hM diametral entgegengesetzt, die auch bei der objektiven Geschäftsgrundlage – je nach der Interessenlage der Parteien und zum Teil auch unterschiedlich für die Fälle der bloßen Äquivalenzstörung einerseits und der Zweckstörung andererseits – an den Rechtsfolgen der Aufhebung bzw der Anpassung festhält, das Risiko also bei Überschreiten der Schwelle der groben Äquivalenzstörung idR allein dem „Clausula-Gegner“ auferlegt. Bei der Anpassung, bei der sich Grafs Auffassung wohl vor allem auswirken würde, wird stets betont, dass es ihr Ziel sein müsse, die von den Parteien dem Vertrag ursprünglich zugrunde gelegte subjektive Äquivalenz wiederherzustellen.256 Nur selten wird die Möglichkeit einer Teilung des Risi252 

ÖBA 1996, 506 ff. ÖBA 1996, 508 f. Zustimmend Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 10; Schilcher, VR 1999, 34 und Bezemek, Geschäftsgrundlage 96 ff. Gegen die Hälfteregel jedoch Koziol in Koziol/Welser11 I 147, der das Ausmaß der notwendigen Äquivalenzstörung davon abhängen lassen will, wie nahe die Fehlvorstellung einem Geschäftsirrtum ist. 254  Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es für die Äquivalenzstörung nicht auf die Äquivalenz des Einzelvertrages, sondern darauf ankommt, wie sich der inäquivalente Vertrag auf die Vermögenssphäre des Schuldners insgesamt auswirkt. Der Umstand, dass ein Vertrag verlustbringend ist, bewirkt also per se noch keine Äquivalenzstörung. Vgl FN 246 und ausführlich Rz 100 ff. 255  Vertrag 140 f, 144 f. 256  Vgl nur Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 547; Heinrichs in Palandt55 § 242 Rz 131; Teichmann in Soegel12, § 242 Rz 267; Larenz, Allgemeiner Teil14 330; Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey 253 

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kos (als Ausnahme von der Regel) angedeutet.257 Lediglich Kegel hat sich grds für eine Teilung des Risikos ausgesprochen, wollte aber die Berufung auf die Geschäftsgrundlage nur in Fällen der Gemeingefahr („große Geschäftsgrundlage“) anerkennen.258 ME ist an der hM festzuhalten. Sowohl aus dem Irrtumsrecht als auch aus dem Gewährleistungsrecht ergibt sich, dass bei der Vertragsanpassung die Beibehaltung der subjektiven Äquivalenz angestrebt wird. Warum diese Wertung bei nachträglichen Umstandsänderungen nicht gelten sollte, ist nicht ersichtlich. Den Interessen des Clausula-Gegners wird in den „sonstigen Fällen“ ohnedies dadurch Rechnung getragen, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage erst bei einer groben Inäquivalenz Auswirkungen hat und ihm eine Anpassung nicht aufgezwungen werden kann.259 Zu einer anderen Risikoverteilung kann es daher nur in Sondersituationen kommen. In dieser Hinsicht kann insb das Vorliegen einer „Gemeingefahr“ von Bedeutung sein und zu einer anderen Beurteilung der Risikoverteilung führen.260 Eine globale „Teilungsregel“ ist bei der objektiven Geschäftsgrundlage jedoch abzulehnen. 4. Besondere Geschäftsgrundlagen-Probleme bei Dauerschuldverhältnissen a) Langfristige Dauerschuldverhältnisse als „Risikogeschäfte“? 61

Verbreitet findet sich die Aussage, dass der vorbehaltslose Abschluss eines Dauerschuldverhältnisses eine erhöhte Risikobereitschaft erkennen lasse.261 Daraus soll offenbar abgeleitet werden können, dass derjenige, der sich auf den befristeten Abschluss eines Dauerschuldverhältnisses einlässt, weniger schutzwürdig ist, weil er bewusst ein Änderungsrisiko in Kauf genommen habe. Auch der BGH meint, dass es bei langfristigen Dauerschuldverhältnissen zum „normalen Risiko“ gehöre, dass sich die den Wert der vereinbarten Leistungen beeinflussenden Verhältnisse während der Vertragsdauer ändern können, weshalb dieses Risiko auch von den Parteien des Rechtsverhältnisses übernommen worden sei.262 Dieser Standpunkt ist jedoch „einäugig“, da er verkennt, dass die Tatsache einer besonders langen Bindung gerade umgekehrt auch eine erhöhte Schutzbedürftigkeit begründen kann: Ein Umstand, der bei nur kurzer Laufzeit eines Dauerschuldverhältnisses gerade noch hingenommen werden mag, kann dann als unerträgliche Belastung empfunden werden, wenn ein Dauerschuldverhält29; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung 118 f und passim. So wohl auch die hM in Ö, die bei der Anpassung oft auf die Analogie zu § 872 ABGB verweist. Vgl P. Bydlinski, AT5 Rz 8/41; Koziol/ Welser13 I 159; F. Bydlinski, ÖBA 1996, 505. 257  Vgl Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 547; Heinrichs in Palandt55 § 242 Rz 131. 258  Gutachten 204. 259  Nach hM kann dann, wenn die Anpassung unzumutbar ist, nur Aufhebung verlangt werden. Vgl nur Heinrichs in Palandt55 § 242 Rz 120; Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 585. 260  Vgl Kramer, Berner Kommentar Art 18 OR Rz 351; Jung, Bindungswirkung 239. 261  Vgl nur Jung, Bindungswirkung 237 FN 16. 262  BGH WM 1980, 882; WM 1981, 583; BGHZ 86, 167; BGHZ 90, 227; GRUR 1990, 1005.

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nis aufgrund einer entsprechenden Zeitabrede noch sehr lange dauert.263 Es ist daher schon sehr lange anerkannt, dass die lange Laufzeit eines Dauerschuldverhältnisses einen ambivalenten Charakter hat und sowohl für als auch gegen die Schutzwürdigkeit einer auflösungswilligen Partei sprechen kann.264 Sie kann daher nicht Grundlage für eine Regel sein, wonach Nichtanpassung bei langfristigen Verträgen eher befürwortet werden sollte als bei kurzfristigen.265 F. Bydlinski hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Möglich- 62 keit der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage bei langfristigen Dauerschuldverhältnissen entscheidend von den Kriterien der Vorhersehbar­ keit und der Sphärenfremdheit abhängt: Je besser für die Kontrahenten beim Vertragsabschluss die jetzt für die Auflösung geltend gemachten Umstände voraussehbar gewesen seien und je vollständiger sie allein aus der Sphäre des jetzt auflösungswilligen Teiles stammten, desto mehr „ziehe“ die von den Kontrahenten normierte Stabilität. Je weniger das der Fall sei, desto eher seien zu Lasten einer Vertragsseite aufgetretene Äquivalenz- oder Zweckstörungen als für die Auflösung zureichende Unzumutbarkeit anzuerkennen.266 Nicht die Länge der eingegangenen Bindung ist also ausschlaggebend, sondern − ganz wie bei anderen Schuldverhältnissen auch − die konkrete Ausgestaltung der einschränkenden Voraussetzungen für die Geltendmachung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Innerhalb dieser Voraussetzungen spielt bei den langfristigen Verträgen sicher die Voraussehbarkeit eine besonders große Rolle.267 Die eingangs dargestellten Auffassungen dürften daher auch eher so zu verstehen sein, dass bei langfristigen Dauerschuldverhältnissen gewisse Änderungen voraussehbarerweise eintreten und daher bei ihrem Eintritt nicht reklamiert werden können. Dann besteht zwischen ihnen und der hier vertretenen Auffassung kein Unterschied. b) Geschäftsgrundlage und Kündigung aus wichtigem Grund Während sich die Problematik, ob sich aus der Länge der Laufzeit eines 63 Vertrages Rückschlüsse auf die Risikobereitschaft der Kontrahenten ziehen lassen, auf alle langfristigen Verträge bezieht, unabhängig davon, ob es sich um Dauerschuldverhältnisse oder um Zielschuldverhältnisse handelt, stellt sich lediglich bei Dauerschuldverhältnissen die Frage nach dem Verhältnis der Kündigung aus wichtigem Grund zu den Grundsätzen des nachträgli­ chen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Bei der Beantwortung dieser Frage ist es nützlich, sich vor Augen zu halten, dass sich der Tatbestand der Kündigung aus wichtigem Grund aus zwei Komponenten zusammensetzt. Es geht einmal um die Reaktion auf (schwerwiegende) Vertragsverletzungen des Partners, also um Leistungsstörungen. Vgl Fenyves, Erbenhaftung 268 f. Vgl Larenz, Geschäftsgrundlage3 89 f; Fenyves, Erbenhaftung 268 f; Kramer, Berner Kommentar Art 18 OR Rz 334; Kerschner, wbl 1988, 212 f; zuletzt F. Bydlinski, Zulässigkeit 14. 265  Kramer, Berner Kommentar Art 18 OR Rz 334. 266  Zulässigkeit 15. 267  Vgl auch Baur, JBl 1987, 139. 263  264 

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Auch Leistungsstörungen kann man, wie bereits mehrfach betont, als nachträgliche Umstandsänderungen betrachten, die man als Geschäftsgrundlagenfälle im weiteren Sinn bezeichnen könnte.268 Zum anderen reagiert die Kündigung aus wichtigem Grund aber auch auf die Geschäftsgrundlagenfälle ieS, also auf die „eigentlichen“ Geschäftsgrundlagenfälle, die in einer im Vertrag nicht berücksichtigten, nachträglichen Änderung der Umstände begründet sind.269 In diesem zweiten Bereich konkurriert die Kündigung aus wichtigem Grund mit der Lehre von der Geschäftsgrundlage, sodass sich die Frage aufdrängt, ob es zwischen diesen beiden Instituten ein Vorrangverhältnis gibt oder ob beide nebeneinander angewendet werden können. Die hM ist für einen Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund, 64 lässt also bei Zutreffen der Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung daneben keine Berufung auf die Grundsätze der Geschäftsgrundlage zu.270 Das wird zu Recht mit dem oben bereits behandelten Grundsatz der Subsidiarität der Geschäftsgrundlage begründet.271 Sind also zB bei einem gesetzlich geregelten Kündigungstatbestand nicht alle Tatbestandsmerkmale erfüllt oder ist die Kündigungsmöglichkeit versäumt worden, dann kann nicht auf die Grundsätze der Geschäftsgrundlage „ausgewichen“ werden.272 Liegt kein gesetzlich geregelter Kündigungstatbestand vor, sondern sind die allgemeinen Grundsätze über die Kündigung aus wichtigem Grund anzuwenden, dann ändert sich an der Vorrangfrage nichts. Die Frage hat aber keine besondere Bedeutung, da für beide Rechtsinstitute dieselben Voraussetzungen vorliegen müssen.273 In Überspitzung des Vorranggedankens wurde zum Teil auch behauptet, 65 dass es dann, wenn eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich ist, keine Anpassung des Vertragsverhältnisses geben könne.274 Heute ist es jedoch zu Recht hA, dass die Kündigung aus wichtigem Grund nur einen „relativen“ In diese Richtung geht zB die Terminologie von Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung 46 f. Zu diesen beiden Funktionen der Kündigung aus wichtigem Grund vgl nur Fenyves, Erbenhaftung 188 ff, 232; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage 128; J. Schmidt in Staudinger13 § 242 Rz 1386; Dullinger, Schuldrecht AT4 Rz 3/158; Koziol/Welser13 II 9 und die stRsp des OGH; vgl Rz 80. 270  Flume, Rechtsgeschäft3 514; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung 162 f; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage 130; Oetker, Dauerschuldverhältnis 420; Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 584; Teichmann in Soergel12 § 242 Rz 270; Heinrichs in Palandt55 § 242 Rz 120. Für Ö F. Bydlinski, ÖBA 1996, 505; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 12; Pletzer in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 18; Koziol/Welser13 I 163. AM Kerschner, wbl 1988, 213; vorsichtig Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6, nach dem es der Heranziehung der Geschäftsgrundlage neben der Kündigung aus wichtigem Grund meist „nicht bedarf“. 271  Vgl nur Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage 130; Teichmann in Soergel12 § 242 Rz 270. 272  Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 584; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage 137 ff. 273  Abzulehnen ist insb die Auffassung Haarmanns, Wegfall der Geschäftsgrundlage 128 f, dass bei der Kündigung aus wichtigem Grund ein geringerer Grad der Unzumutbarkeit gegeben sein müsse, weil bei dieser auch der Gesichtspunkt der „Vertragsbeendigungsfreiheit“ zu berücksichtigen sei. Durch den Abschluss eines befristeten Dauerschuldverhältnisses haben sich die Parteien ja gerade dieser Freiheit begeben. Zutreffend daher die Kritik Lembkes, Vorhersehbarkeit 161 FN 21. 274  ZB Emmerich, Leistungsstörungen 244. 268 

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Vorrang genießt und die Anwendung der Grundsätze der Geschäftsgrundlage nur insoweit ausschließt, als es um die Auflösung eines Vertragsverhältnisses geht. Eine Anpassung wird dagegen durch die Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund nicht verhindert.275 Die Anpassung kommt bei all diesen Alternativen nur dann in Frage, wenn sie auch dem „Clausula-Gegner“ zumutbar ist;276 sie ist dann von besonderer Bedeutung, wenn dem „Clausula-Interessenten“ mit der Auflösung eines Vertrages nicht gedient wäre, weil er auf den von der Umstandsänderung betroffenen Vertrag angewiesen ist.277 Für Dauerschuldverhältnisse auf unbestimmte Zeit gilt grds dasselbe. 66 Insoweit eine Umstandsänderung so gewichtig ist, dass sie eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigt, ist für einen Rekurs auf die Grundsätze der Geschäftsgrundlage kein Raum. Diese Grundsätze sind aber anwendbar, wenn es um eine Anpassung des Verhältnisses geht. Bei Dauerschuldverhältnissen auf unbestimmte Zeit wird es jedoch oft an den Voraussetzungen sowohl für die Auflösung (nach den Grundsätzen der Kündigung aus wichtigem Grund) als auch für die Anpassung (nach den Grundsätzen der Geschäftsgrundlage) fehlen, weil die Vertragsfortsetzung zu unveränderten Konditionen bis zum nächsten Kündigungstermin idR zumutbar ist.278 5. Fehlen der Geschäftsgrundlage Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, welch außerordentliches Inter- 67 esse dem Problem des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im österreichischen Schrifttum entgegen gebracht wird. Dazu steht in auffallendem Gegensatz, dass es zum Fehlen der Geschäftsgrundlage kaum Äußerungen gibt.279 Pisko, der die Lehre von der Geschäftsgrundlage in Ö besonders nachdrücklich geprägt hat, macht zwar terminologisch einen Unterschied zwischen „Nichtvorhandensein“ und späterem Wegfall der (typischen) Voraussetzung,280 beschäftigt sich aber in der Folge fast ausschließlich mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage.281 Dasselbe gilt für Gschnitzer.282 Auch in neueren Kommentaren findet sich oft nur die Bemerkung, dass Fehlen und Wegfall der Geschäftsgrundlage dieselben Rechtsfolgen (nämlich Aufhebung und Anpassung) auslösen.283 Das beant275  Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung 162 f; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage 141; Roth in MüKoBGB3 § 242 Rz 585; Heinrichs in Palandt55 § 242 Rz 120; Oetker, Dauerschuldverhältnis 420; F. Bydlinski, Zulässigkeit 17 f. 276  F. Bydlinski in Aicher, Rechtsfragen 116. 277  Vgl F. Bydlinski, Arbeitskampf, ÖZöR VIII, 358 f; ders, Zulässigkeit 17. 278  Vgl Oetker, Dauerschuldverhältnis 421 f. 279  Dasselbe gilt in rechtsvergleichender Sicht für die ausländische Lit und insb auch für die Versuche anderer Rechtsordnungen, die Problematik der Geschäftsgrundlage durch positive Normen zu regeln. Vgl dazu Fenyves, Gutachten 27 ff. 280  In Klang II/2, 351. 281  Pisko erwähnt bei der Nennung der Normen, die er per analogiam zur Lückenfüllung heranziehen möchte (§§ 1052, 936), zwar auch § 1385 (Vergleichsirrtum) (aaO 352 FN 118), verfolgt diese Spur aber nicht weiter. 282  In Klang2 IV/1, 334 ff. 283  Vgl Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 12; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 58. Vgl auch P. Bydlinski, AT5 Rz 8/40; Koziol/Welser13 I 166.

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wortet aber natürlich noch in keiner Weise, wann die Berufung auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage möglich ist. Das Fehlen der Geschäftsgrundlage scheint, wie auch die überschaubare 68 Menge der dazu ergangenen E des OGH zeigt,284 im Verhältnis zum Phänomen der nachträglichen Umstandsänderung von eher untergeordneter Bedeutung zu sein. Dennoch muss geklärt werden, welche Normen zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können, unter welchen Voraussetzungen man sich auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage berufen kann. Dafür kommen wiederum vor allem das Irrtumsrecht und das Unmöglichkeitsrecht in Betracht, das Letztere freilich anders als beim Wegfall der Geschäftsgrundlage in Gestalt der anfänglichen Unmöglichkeit.285 Da die anfängliche Unmöglichkeit in Ö von der hL sehr eng verstanden wird286 und als taugliche Analogiebasis daher eher ausscheidet, liegt es nahe, zu prüfen, ob das Problem des Fehlens der Geschäftsgrundlage mit dem Irrtumsrecht gelöst werden kann. Das konventionelle Irrtumsrecht kann das Fehlen der Geschäftsgrundlage mE nicht bewältigen.287 Die irrige Annahme (Vorstellung) des Vorliegens gewisser Umstände ist zwar ein Irrtum über Gegenwärtiges, sodass sich all die Probleme nicht stellen, die der Irrtum über Zukünftiges im Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufwirft. Da es aber um bloße „Vorstellungen“ der Parteien geht, die gerade nicht Vertragsinhalt werden, fehlt es bei entgeltlichen Rechtsgeschäften für die Anwendbarkeit der §§ 871 ff am Vorliegen eines Geschäftsirrtums. Es bedarf daher auch bei Fehlen der Geschäftsgrundlage einer Fortentwicklung des Irrtumsrechts, um sie als relevant erscheinen lassen zu können. Diese Fortentwicklung kann daran ansetzen, dass das österreichische Irr69 tumsrecht einen Ausgleich zwischen den Interessen des Irrenden und jenen des Erklärungsempfängers zu schaffen versucht.288 Seine Grundwertung besteht darin, dass der Irrtum bei entgeltlichen Rechtsgeschäften Risiko des Irrenden ist und daher auch im Falle eines Geschäftsirrtums nur beim Vorliegen gewisser Voraussetzungen zur Anfechtung oder Anpassung des Vertrages führen kann.289 Auch der sogenannte „gemeinsame Irrtum“, der lange als „ungeschriebener“ vierter Fall des § 871 angesehen wurde,290 ändert im „konventionellen“ Irrtumsrecht des ABGB an dieser Grundwertung nichts, da die Interessenlage der Irrenden durchaus unterschiedlich ist. IdR wird durch den Irrtum nur eine Partei benachteiligt, die andere Partei hat daher an der Anfechtung gar kein

284  Aus jüngerer Zeit 3 Ob 2199/96w, JBl 1998, 643; 1 Ob 34/98a, RdW 1998, 664; 9 ObA 180/98 f; 7 Ob 355/98a; 5 Ob 121/07s, JBl 2008, 176 (Rummel). 285  So für das deutsche Recht J. Schmidt in Staudinger13 § 242 Rz 1036; vgl auch Fenyves, 13. ÖJT II/2, 75. 286  Vgl nur P. Bydlinski, AT5 Rz 7/14; Koziol/Welser13 I 170 ff mit Schilderung des Meinungsstandes. 287  Dafür aber F. Bydlinski, ÖBA 1996, 502 FN 22; ders, FS Stoll 132 f. 288  Grundlegend dazu F. Bydlinski, FS Stoll 113. 289  F. Bydlinski, FS Stoll 121 f. 290  Vgl nur P. Bydlinski, AT5 Rz 8/20; Koziol/Welser13 I 158 mwN.

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Interesse.291 Es bleibt also auch beim gemeinsamen Irrtum im Allgemeinen dabei, dass der Irrende auf sein Risiko irrt. Diese Ausgangslage ändert sich aber entscheidend, wenn der Irrtum nicht 70 den Risikobereich einer Partei allein betrifft, sondern den gemeinsamen Risi­ kobereich der Parteien.292 In diesem Fall sind die Parteien dem Risiko „gleich nahe“ und müssen es daher auch gemeinsam tragen.293 Auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage bezogen: Wenn beide Parteien bei Vertragsabschluss vom Vorliegen gewisser Voraussetzungen ausgehen und sich deren Bedeutung für das abgeschlossene Geschäft bewusst sind, wäre es nicht gerechtfertigt, das Irrtumsrisiko nur einer Partei zuzuweisen. Beide Parteien können sich daher auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage berufen. Es ist daher Rummel zu folgen, der bei einer solchen „Vergemeinschaftung“ des Risikos die Berufung auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage zulässt und dafür beispielsweise auf den Vergleichsirrtum294 und den gemeinsamen Irrtum über die Rechtslage295 hinweist. Da der Irrtum den gemeinsamen Risikobereich betrifft,296 sind Veranlassung oder die sonstigen Voraussetzungen des § 871 nicht erforderlich.297 Auf die Kriterien der „Sphärenfremdheit“ und der „Vorhersehbarkeit“ kann es ebenso wenig ankommen, da diese nur für die Relevanz eines Irrtums über Zukünftiges, also bei Wegfall der Geschäftsgrundlage, eine Rolle spielen. Schließlich ist auch bei dem „anfänglichen“ gemeinsamen Irrtum eine Äquivalenzstörung nur insoweit erforderlich, als der Irrtum nicht unerheblich sein darf.298 Da die Voraussetzungen für die Berufung auf das Fehlen der Geschäfts- 71 grundlage nicht mit jenen identisch sind, die bei Wegfall der Geschäftsgrundlage gefordert werden, gewinnt die Abgrenzung zwischen Vorstellungen über Gegenwärtiges und jenen über Zukünftiges an Bedeutung. Mit diesem Problem hat sich, soweit ersichtlich, bislang nur F. Bydlinski beschäftigt und folgende Grundsätze aufgestellt: Betreffe ein Irrtum (einschließlich der Unkenntnis jedenfalls relevanter Umstände) gegenwärtige konkrete Tatsachen oder aktuelle Erfahrungssätze, handle es sich um Vorstellungen über Gegenwärtiges.299 Jenseits dieser Grenze, also bei Irrtum (Unkenntnis) künftiger konkreter Tatsachen oder Erfahrungssätze, liege eine Vorstellung über Zukünftiges vor.300 Vgl Rummel, JBl 1981, 3; F. Bydlinski, FS Stoll 132. Das betonen vor allem Rummel (JBl 1981, 9), Graf (Vertrag 137 ff, insb 141) und Koziol in Koziol/Welser11 I 146. 293  Graf, Vertrag 141. 294  JBl 1981, 9; ders in Rummel3 I § 901 Rz 6. 295  JBl 2008, 178. 296  Es ist besonders hervorzuheben, dass ein „gemeinsamer Irrtum“ keineswegs immer mit einer solchen „Vergemeinschaftung“ des Risikos einhergeht. Es ist vielmehr vorstellbar und wohl auch die Regel, dass beide Parteien über einen Umstand irren, der in die Risikosphäre bloß einer Partei gehört. In diesem Fall kann sich die betroffene Partei nicht auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage berufen. 297  Rummel, JBl 2008, 178. Ebenso die Rechtsprechung; vgl OGH 5 Ob 121/07s, JBl 2008, 176. 298  Vgl Rz 57. 299  Auf die F. Bydlinski das „gewöhnliche“ Irrtumsrecht anwenden möchte; vgl Rz 68. 300  ÖBA 1996, 502. 291  292 

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6. Rechtsprechung a) Einleitung 72

Die österreichische Jud zur Geschäftsgrundlage ist nicht leicht aufzufin­ den, da sie über verschiedene Bereiche des Zivilrechts verteilt ist. Einschlägige E finden sich zu § 901 ABGB, soferne die Gerichte von einer gemeinsamen Voraussetzung ausgehen, ebenso aber auch zu § 1447 ABGB („Unerschwinglichkeit“) und zu den §§ 863, 914 f ABGB, wenn die Lösung über die einfache oder ergänzende Vertragsauslegung gefunden wird. Ein weiterer Entscheidungsstrang findet sich zu § 879 ABGB, da die Jud Fälle der Geschäftsgrundlagenstörung zum Teil auch dadurch gelöst hat, dass sie das Bestehen auf Vertragserfüllung als sittenwidrig angesehen hat, wenn durch die Vertragserfüllung ein Kontrahent aus einem Grund, der bei Vertragsabschluß nicht vorhergesehen werden konnte, unverhältnismäßig bereichert werden würde. Schließlich wird die Geschäftsgrundlagenproblematik zT auch unter dem Aspekt der condictio causa data causa non secuta (§ 1435 analog) behandelt. Im Folgenden wird ein Überblick über die E des OGH gegeben, die zu allgemeinen Fragen der Geschäftsgrundlage ergangen sind.301 Die Gliederung folgt der Systematik, die bei der Entwicklung der eigenen Auffassung verfolgt wurde. Der Schwerpunkt des Überblicks liegt im Interesse der praktischen Nutzbarkeit in der Darstellung der einzelnen „Entscheidungsstränge“ und nicht in ihrer Kommentierung im Detail. Wie der Verfasser zu den angesprochenen Ordnungsfragen steht, ist seiner in Rz 51 ff niedergelegten Auffassung zu entnehmen. b) Definition der Geschäftsgrundlage

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Der Grundtatbestand der Geschäftsgrundlage wird in den E des OGH mit verschiedenen Formulierungen wiedergegeben. Zum Teil findet sich die Oertmann’sche Formel: Geschäftsgrundlage sei die beim Geschäftsabschluss zu Tage tretende und vom Partner in ihrer Bedeutung erkannte, nicht beanstandete Vorstellung eines der Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung der Beteiligten vom Vorhandensein oder dem Eintreten gewisser Umstände, auf deren Grundlage sich der Geschäftswille aufbaut.302 In jüngerer Zeit scheint der OGH von dieser Formel jedoch abgerückt zu sein und verwendet andere Definitionen. Demnach versteht man unter der Geschäftsgrundlage von Verträgen zwischen Parteien geschäftstypische Voraussetzungen, die jedermann mit einem bestimmten Geschäft verbindet und die nicht erst einer Vereinbarung bedürfen.303 Oder: „Die Auflösung eines Ver301  Hinsichtlich der E zu den speziellen Bereichen der Unterhaltsvereinbarungen, der Reiseveranstaltungsverträge und der drittfinanzierten Verträge wird auf die einschlägigen Darstellungen in der 3. Auflage dieses Kommentars verwiesen; vgl die Hinweise in Rz 112. 302  OGH 7 Ob 802–807/76, NZ 1980, 37; 2 Ob 534/86, JBl 1987, 390. Das hängt wohl damit zusammen, dass die Definition der Geschäftsgrundlage durch Oertmann in Gschnitzers Kommentierung des § 901 zitiert wird (in Klang2 IV/1, 334). 303  OGH 7 Ob 211/99a, RdW 2000, 723.

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trags wegen Wegfalls oder Änderung der Geschäftsgrundlage setzt eine derart grundlegende Veränderung der bei Eingehen der Verpflichtung bestehenden Verhältnisse voraus, dass im Beharren auf Verpflichtungen, deren Erfüllung dem Schuldner nicht mehr zumutbar ist, geradezu ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben erblickt werden muss. Es muss der von beiden Teilen anerkannte Vertragszweck nicht nur zeitweilig unerreichbar geworden sein“.304 c) Subsidiarität der Geschäftsgrundlage Die Jud betont mit Recht, dass es keinen Rechtssatz gibt, nach dem jeder 74 Vertrag unter der clausula rebus sic stantibus geschlossen wird.305 Die Geschäftsgrundlage kann vielmehr nur als letztes Mittel herangezogen werden, um rechtsgeschäftliche Bindungen zu beseitigen.306 Ein Rückgriff auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage hat zu unterbleiben, wenn ein Vertrag nach seinem von den Parteien festgelegten immanenten Zweck nicht lückenhaft ist.307 Es herrscht somit der Grundsatz der Subsidiarität der Geschäftsgrundlagenregeln. aa) Vorrang einer vertraglichen Regelung Was Vertragsinhalt geworden ist, kann nicht Geschäftsgrundlage 75 sein.308 In erster Linie ist daher zu fragen, ob die Parteien die Konsequenzen des ursprünglichen Fehlens bzw der nachträglichen Änderung oder des nachträglichen Fehlens der Geschäftsgrundlage des von ihnen abgeschlossenen Rechtsgeschäfts (stillschweigend oder ausdrücklich) vertraglich geregelt haben. Lässt sich durch (einfache) Auslegung der von den Parteien intendierte Vertragszweck oder die von ihnen vorgenommene Risikoverteilung ermitteln, ist für die Berufung auf die Grundsätze der Geschäftsgrundlage kein Raum. Die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage darf nicht der Umgehung der vertraglichen Risikoverteilung dienen.309 Haben die Parteien ausdrücklich vereinbart, dass die Gefahr am vertragsgegenständlichen Grundstück mit dem Tag der Übergabe auf den Käufer übergeht, hat dieser daher das Risiko zu tragen, dass sich durch eine Änderung der Gesetzeslage die Bebaubarkeit und damit der Verkehrswert der Liegenschaft ändert;310 für das Erreichen einer Mietzinsminderung gem § 1098 bei „Leerstehungen“ in einem Einkaufszentrum ist die Berufung auf die Geschäftsgrundlage nicht erforderlich, wenn der Bestandgeber die Verpflichtung übernommen hat, dafür zu sorgen, dass alle Objekte im Gebäude in Bestand gege304 

OGH 9 Ob 152/03y mwN. OGH 7 Ob 522, 523/67, SZ 60/42; 1 Ob 24/70, EvBl 1970/203. 306  OGH 8 Ob 99/99p, SZ 72/95; 2 Ob 322/00t, JBl 2001, 712; 1 Ob 60/03k, ZIK 2004/59; 6 Ob 145/04y, JBl 2005, 253; 9 Ob 42/04y, RdW 2005, 89; 7 Ob 255/06k, JBl 2007, 716. 307  OGH 3 Ob 513/94, JBl 1995, 173; 6 Ob 148/07v, ecolex 2007, 929. 308  So prägnant 1 Ob 47/05a mwN. 309  OGH 7 Ob 232/97m, immolex 1998, 267; 5 Ob 504, 505/96, JBl 1998, 577 (Staudegger); 1 Ob 60/03v, MietSlg 55.097; 9 Ob 152/03y; 8 ObA 93/10z. 310  OGH 7 Ob 232/97m, immolex 1998, 267. 305 

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ben werden;311 Vorrang der vertraglichen Risikozuweisung auch, wenn bei Zusage einer betrieblichen Pensionsleistung die Möglichkeit eines Widerrufs bei schlechter Wirtschaftslage ausdrücklich ausgeschlossen wird;312 wenn die Parteien (nur) davon ausgegangen sind, dass ein Teil der Grunderwerbssteuer „möglicherweise“ umgangen werden kann, und sich diese Erwartung nicht verwirklicht;313 wenn sich aus dem Vertrag ergibt, dass es nicht Geschäftszweck war, aus einem Pachtvertrag Überschüsse zu erzielen;314 wenn ein Anleger bewusst eine Beteiligung mit großem Verlustrisiko gewählt hat, um steuerlich günstige Verlustabschreibungen tätigen zu können.315 Zu dieser Jud sind nur zwei Anmerkungen zu machen. Zum einen sollte 76 bei der Annahme bloß stillschweigender Vereinbarungen nach den strengen Maßstäben des § 863 vorgegangen werden, die vor allem von der älteren Jud nicht immer ausreichend beachtet wurden.316 Zum anderen sollte in den E stets deutlich gemacht werden, ob vom Vorliegen vertraglicher Vereinbarungen oder bloßer „Vorstellungen“ der Parteien ausgegangen wird, die gerade nicht Vertragsinhalt geworden sind. Daher ist die Formulierung, dass „Selbstverständliches auch ohne Vereinbarung Vertragsinhalt wird“317 ebenso zu vermeiden wie die Wendung, dass bestimmte Umstände eine „stillschweigend herangezogene Vertragsgrundlage“ darstellen.318 bb) Vorrang des dispositiven Rechts 77

Führt die (einfache) Auslegung des Vertrages zu dem Ergebnis, dass die Parteien für das Fehlen, die Änderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage keine vertragliche Vorkehrung getroffen haben, ist die Vertragslücke auch nach der Jud durch Rekurs auf das dispositive Recht zu füllen.319 Es gibt also keinen Rückgriff auf die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, wenn das Gesetz ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, auf die Auswirkungen veränderter Verhältnisse zu reagieren.320 Besondere Bedeutung kommt in dieser Hinsicht den gesetzlichen Ge­ 78 fahrtragungsregeln zu. Unterbleibt das zu erstellende Werk (eine Stadtchronik) aus Gründen, die in der Sphäre des Bestellers liegen, so trägt dieser gem § 1168 die Gefahr und kann sich nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen.321 Da der Arbeitgeber gem § 1155 das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko trägt, kann er bei einer aus wirtschaftlichen Gründen notwendigen Betriebs311 

OGH 6 Ob 18/05y, wobl 2006/64. OGH 9 ObA 513/88, JBl 1989, 264; dazu Rebhahn, wbl 1989, 81 f; Rummel, DRdA 1989, 366.Vgl auch 9 ObA 2023/96g, wbl 1996, 407. 313  OGH 3 Ob 513/94, JBl 1995, 173. 314  OGH 1 Ob 44/98x, MietSlg L/26. 315  OGH 8 Ob 186/01p. 316  Vgl Rz 41. 317  So zutreffend Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6 mit Judikaturnachweisen. 318  OGH 1 Ob 340/98a. 319  OGH 8 Ob 2361/96 f, wobl 1997/212 (Kletečka); 7 Ob 232/97m, immolex 1998, 267; 1 Ob 34/98a, RdW 1998, 664; 8 ObA 30/00w, RdW 2001, 683. 320  OGH 8 ObA 30/00w, RdW 2001, 683. 321  OGH 7 Ob 163/00x, MR 2001, 238. 312 

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stilllegung die Arbeitnehmer nicht entlassen, sondern nur ordentlich kündigen.322 Ebenso wenig führt es zum Erlöschen von „Schichtrechten“, wenn der Betreiber einer Saline wegen Stilllegung des Produktionsbetriebs keine Knappen mehr benötigt.323 Die gesetzlichen Gefahrtragungsregeln bauen üblicherweise auf der 79 „Sphärentheorie“ auf. Daher scheint es zu Überschneidungen zwischen diesen Regeln, die auch der Analogie zugänglich sind,324 und dem Ausschlusstat­ bestand der „eigenen Sphäre“ im Anwendungsbereich der Lehre von der Geschäftsgrundlage zu kommen. In Wahrheit gibt es freilich keinen Überschnei­ dungsbereich: Dort, wo die gesetzlichen Gefahrtragungsregeln greifen, ist für die Berufung auf die Geschäftsgrundlage kein Raum, sodass es der Prüfung der dort (zumindest idR) relevanten Kriterien der „Sphärenfremdheit“ und der „Unvorhersehbarkeit“ nicht bedarf. Sollte sich zB also bereits aus dem Gesetz ergeben, dass jeder Marktteilnehmer das Risiko des Scheiterns seiner wirtschaftlichen Prognosen trägt, dann ist es nicht mehr notwendig, zu prüfen, ob die Gründe für deren Scheitern aus seiner Sphäre kommen und/oder für ihn vorhersehbar waren. Diese Prüfung wird erst dann erforderlich, wenn die Reichweite der gesetzlichen Risikotragungsregeln überschritten wird und ein Fall vorliegt, in dem die Grundsätze der Geschäftsgrundlage zur Anwendung kommen.325 Die Jud bejaht auch einen Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund 80 gegenüber den Regeln der Geschäftsgrundlage. Ein Rückgriff auf die Grundsätze der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist zB unzulässig, wenn es an der Verwirklichung eines der Auflösungstatbestände des § 1117 mangelt, weil die Voraussetzungen der Anwendung dieses Rechtsinstituts auf Bestandverhältnisse in dieser Bestimmung ihre positiv-rechtliche Regelung erfuhr.326 Das ist durchaus zutreffend, da die Kündigung aus wichtigem Grund nicht nur auf Vertragsverletzungen des Partners reagiert, sondern auch auf Änderungen der Umstände, die eine Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses unzumutbar machen.327 Die gesetzlichen Regelungen der Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund bei einem bestimmten Vertragstyp stellen daher – insoweit es um Umstandsänderungen geht – spezielle „Clausula-Regelungen“ dar, die den allgemeinen Grundsätzen der Geschäftsgrundlage vorgehen.328 Nach 8 ObA 30/00w329 schließt auch die Möglichkeit einer ordentli­- 81 chen Kündigung die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage 322  Vgl die Nw bei Binder, JBl 2009, 270 f. Zu den Problemen bei betrieblichen Umstrukturierungen und Langzeitbindungen vgl dens aaO 278 ff. 323  OGH 6 Ob 30/02h. 324  Rz 42. 325  Die Jud trennt diese beiden Prüfungsebenen nicht immer streng genug, sondern „überspringt“ oft die Ebene der gesetzlichen Risikotragungsregeln. 326  OGH 1 Ob 44/98x, MietSlg L/26 mit Nw der gleichsinnigen Vorjudikatur. Vgl auch die E 1 Ob 340/98a, in der der OGH aussprach, es sei von allem Anfang an klar gewesen, dass der Rechtsfall nicht unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, sondern der analo­ gen Anwendung der § 1117 f ABGB zu prüfen gewesen sei; zuletzt 3 Ob 116/04m, MietSlg 56.161. 327  Vgl Rz 64. Aus der Jud des OGH 8 Ob 628/91, JBl 1992, 517. 328  Zum bloß relativen Vorrang der Kündigung aus wichtigem Grund gegenüber der Geschäftsgrundlage im Fall der Möglichkeit einer Vertragsanpassung vgl Rz 65. 329  RdW 2003, 371.

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aus.330 Dem wird man für den Regelfall zustimmen können, da es dem kündigungswilligen Vertragspartner meist zumutbar ist, dass Vertragsverhältnis noch bis zum Wirksamwerden der Kündigung fortzusetzen. In Wirklichkeit geht es hier aber nicht um das Verhältnis zwischen ordentlicher Kündigung und Geschäftsgrundlage, sondern um die Frage, ob eine außerordentliche Kündigung – die der Geschäftsgrundlage vorgeht – zulässig ist, wenn die Möglichkeit besteht, ordentlich zu kündigen. Das ist für den Fall zu bejahen, dass der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung nur durch eine sofortige Lösung entsprochen werden kann.331 In einigen E vertritt der OGH die Auffassung, dass der Einwand des Feh82 lens oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht auf Umstände gestützt werden kann, die zur Irrtumsanfechtung berechtigen.332 Das ist richtig, solange eine „Geschäftsgrundlagensituation“ mit den Mitteln des konventionellen Irrtumsrechts bewältigt werden kann, also etwa bei einem Vergleichsirrtum (§ 1385) oder im Falle eines Irrtums über Zukünftiges bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften, weil hier die Irrtumsregeln die spezielleren Vorschriften darstellen. Die Frage hat insb für die Verjährung Bedeutung.333 cc) Vorrang der ergänzenden Vertragsauslegung 83

Die Berufung auf das Fehlen, die Änderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist schließlich auch dann nicht zulässig, wenn es möglich ist, die Vertragslücke durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Der OGH, der im Anschluss an Rummel334 den „fließenden Übergang zwischen ergänzender Vertragsauslegung und Wegfall der Geschäftsgrundlage“ betont,335 hat zur Lückenfüllung durch ergänzende Vertragsauslegung zB in folgenden Fällen gegriffen: 3 Ob 502/94 (Erstreckung eines Kündigungsverzichts auf einen vertraglich nicht geregelten Fall; Vertragsanpassung); 9 Ob 152/03y (Anpassung einer Vereinbarung an geänderte steuerliche Rahmenbedingungen); 9 ObA 65/04f336 (Verlängerung des „Überbrückungsgelds“ bei Anhebung des Pensionsantrittsalters); 1 Ob 219/06 (Anpassung des für die Bemessung des Honoraranspruchs eines Planers wesentlichen „Bearbeitungsfaktors“ an einen von den Parteien nicht bedachten Fall); 9 ObA 40/07h337 (Anpassung eines Vorruhestandsmodells an die Änderung des gesetzlichen Pensionsrechts). All diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass es in den lücken­ haften Vereinbarungen recht deutliche Anhaltspunkte für den hypotheti330  In OGH 6 Ob 154/02v, RdW 2003, 371 prüft der OGH jedoch trotz des Vorliegens einer vertraglich eingeräumten Kündigungsmöglichkeit noch den Wegfall der Geschäftsgrundlage. 331  Rz 66. 332  OGH 6 Ob 522/81, SZ 54/71; 1 Ob 34/98a, RdW 1998, 664; 2 Ob 322/00t, JBl 2001, 712. 333  Bei Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt nach der Jud nicht die kurze Verjährungsfrist zur Anwendung, die für die Irrtumsanfechtung gilt, sondern eine Verjährungsfrist von 30 Jahren. Vgl Rz 110. 334  In Rummel3 I § 901 Rz 6. 335  OGH 8 Ob 2177/96x; 8 Ob 2361/96f, wobl 1997/112 (Kletečka). 336  ZAS 2005/38 (Wallner). 337  DRdA 2009/46. Dazu Binder, DRdA 2009, 503.

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schen Parteiwillen gab, an denen die ergänzende Vertragsauslegung ansetzen konnte.338 d) Tatbestandsmerkmale der Geschäftsgrundlage aa) Geschäftstypische Voraussetzungen Die Jud folgt im Grundsatz immer noch der Auffassung von Pisko, 339 dass 84 Fehlvorstellungen der Parteien über Gegenwärtiges oder Zukünftiges nur dann zum Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage führen kann, wenn es sich um Voraussetzungen „geschäftstypischen Inhalts“ handelt. Bloß individu­ elle Voraussetzungen, von denen beide Parteien bei Vertragsabschluss ausgegangen sind, seien nur dann von Bedeutung, wenn die Parteien die Wirkungen des Geschäfts durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung vom Vorhandensein der vorausgesetzten Sachlage abhängig gemacht haben.340 Unter einer „geschäftstypischen Voraussetzung“ versteht die Jud eine solche, die überhaupt und allgemein bei einem Geschäft von der Art des geschlossenen zu Grunde gelegt wird,341 bzw einen Umstand, den jedermann mit einem solchen Geschäft verbindet und der daher keiner Vereinbarung bedarf.342 Als typische Voraussetzungen wurden zB anerkannt: Die Annahme der 85 Parteien, dass sich bei einem gerichtlichen Vergleich die Gerichtsgebühren für eine Vertragsstrafe ungefähr in der Höhe der Gebühren für den zu sichernden Vergleichsgegenstand halten;343 die Möglichkeit der Rückstellung der Ware bei einer Stornovereinbarung;344 die ausreichende Stromstärke in der Wohnung des Käufers für den Kaufvertrag über eine Waschmaschine;345 die vermeintlich fehlende Möglichkeit der Erlangung einer Gewerbeberechtigung durch den Verpächter einer Konzession;346 die Möglichkeit des Betriebs einer Tankstelle im Mietobjekt;347 die Annahme der Wirksamkeit einer Entlassung für eine Auflösungsvereinbarung;348 die Möglichkeit des Eigentumserwerbs bei dem Kauf einer Liegenschaft durch Ausländer;349 die Rechtsgültigkeit ei338 

Vgl auch OGH 3 Ob 534/95, HS XXVI/4. Vgl Rz 32. 340  Vgl nur OGH 3 Ob 45/74, JBl 1975, 203; 8 Ob 527/88, MietSlg 40.064; 6 Ob 154/02v, RdW 2003/302; 6 Ob 148/07v, ecolex 2007, 929; 5 Ob 121/07s, JBl 2008, 176 (Rummel). 341  OGH 3 Ob 487/56, EvBl 1957/109; 2 Ob 179/74, EvBl 1975/90; 1 Ob 566/76, EvBl 1977/68; 7 Ob 522, 523/87, SZ 60/42; 8 Ob 527/88, MietSlg 40.064. 342  OGH 7 Ob 8/75, JBl 1976, 145; 7 Ob 211/99a; RdW 2000/709; 4 Ob 108/06w, JBl 2007, 237 (Huemer). 343  OGH 8 Ob 2361/96f, wobl 1997/212 (Kletečka). 344  OGH 8 Ob 267/65, HS V/24. 345  OGH 8 Ob 335/63, EvBl 1964/241. Dazu krit Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 5, und Graf, Vertrag 135. 346  OGH 6 Ob 263/67, MietSlg XIX/23; krit Graf, Vertrag 136. 347  OGH 7 Ob 201/73, MietSlg 25.078. 348  OGH 4 Ob 74/75, ZAS 1977/20 (Marhold) = DRdA 1976, 334 (Jabornegg); vgl aber 9 ObA 180/98f. 349  OGH 7 Ob 802–807/76, NZ 1980 37; krit Graf, Vertrag 136. 339 

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nes Testaments für den Abschluss eines Erbübereinkommens;350 die Errichtung einer Privatklinik, die Anlass für den Abschluss eines Kaffeebezugsvertrags ist;351 die Elemente, die im Wesentlichen die Attraktion eines Einkaufszentrums ausmachen, für den Bestandvertrag über eine dort befindliche Geschäftsräumlichkeit;352 die Möglichkeit, für ein Bauvorhaben353 bzw für den Ankauf einer Eigentumswohnung354 Förderungsmittel zu erlangen. Keine geschäftstypische Voraussetzung ist nach dem OGH hingegen 86 beispielsweise die Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners bei einem Diskont­ vertrag;355 das tatsächliche Bestehen einer weiteren vereinbarten Sicherheit für die Abgabe einer Bürgschaftserklärung;356 die Annahme, es werde kein weiterer, gewinnbringender Verkauf der Aktien ins Ausland erfolgen, für einen Aktienverkauf;357 die Tatsache des Zusammenlebens bei der Einräumung eines Wohnrechts;358 die Berechtigung einer angestrebten Entlassung für eine Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung eines Dienstverhältnisses;359 die Aussichtslosigkeit einer Klage gegen einen von mehreren möglicherweise für einen Schaden Haftenden für einen Vergleich über die Ersatzpflicht eines anderen Haftpflichtigen;360 die bautechnische Unmöglichkeit einer geplanten Kategorieanhebung für einen Mietvertrag;361 die absolute Dauerhaftigkeit einer Lebensgemeinschaft oder Ehe;362 die anhaltende Bonität einer Emittentin oder Garantin für ein Veranlagungsgeschäft;363 das Aufrechtbleiben einer strafrechtlichen Verurteilung für einen Vergleich über Schadenersatzansprüche;364 die fortdauernde Beistellung eines Betriebsortes, Erteilung der Konzession und Erzielung eines bestimmten wirtschaftlichen Erfolgs für einen Kaufvertrag über einen Getränkeautomaten;365 die Konvertierbarkeit von Altdaten für die Softwareüberlassung;366 die wirtschaftliche Prosperität eines Unternehmens für die Abgabe einer Pensionszusage oder die Zuerkennung einer Zulage;367 der Patentschutz überlassener Erfindungen für einen „Know-How350 

OGH 5 Ob 121/07s, JBl 2008, 176 (Rummel). OGH 7 Ob 211/99a, RdW 2000, 723. Gegen die Annahme einer vertragstypischen Voraussetzung in diesem Fall zu Recht Graf, JBl 2011, 155 FN 31. 352  OGH 6 Ob 59/00w, wobl 2001/57 (Dirnbacher). 353  OGH 8 Ob 532/82, MietSlg 34.130. 354  OGH 8 Ob 60/70, JBl 1970, 420. Anders jedoch 1 Ob 725/80, JBl 1982, 431. 355  OGH 8 Ob 237/97d, ÖBA 2000/906 (Fitz). 356  OGH 4 Ob 108/06w, ÖBA 2007/418 (Koziol) = JBl 2007, 237 (Huemer). 357  OGH 6 Ob 148/07v, ecolex 2007, 929. 358  OGH 1 Ob 2392/96p. 359  OGH 9 ObA 180/98f; vgl aber 4 Ob 74/75, ZAS 1977/20 (Marhold) = DRdA 1976, 334 (Jabornegg). 360  OGH 9 ObA 306/98k. 361  OGH 4 Ob 270/99f. 362  OGH 9 Ob 293/99z. 363  OGH 4 Ob 20/11m. 364  OGH 3 Ob 487/56, EvBl 1957/109; 2 Ob 179/74, EvBl 1975/90. 365  OGH 7 Ob 8/75, JBl 1976, 145. 366  OGH 5 Ob 504, 505/96, JBl 1998, 577 (Staudegger). 367  OGH 9 ObA 513/88, JBl 1989, 264; 9 ObA 316/88, wbl 1989, 277; 8 ObA 332/94, wbl 1995, 288; 9 ObA 2023/96g, wbl 1996, 407. 351 

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Vertrag“;368 die Erzielung von Steuervorteilen für die Vereinbarung und Einverleibung eines Veräußerungs- und Belastungsverbots369 etc.370 In der Sache geht der OGH vom Erfordernis einer geschäftstypischen Vor- 87 aussetzung bei Vorliegen einer „gemeinsamen Geschäftsgrundlage“ ab, also dann, wenn einem Vertrag von beiden Parteien individuelle Voraussetzungen gemeinsam zu Grunde gelegt wurden. Man kann in diesen Fällen auch vom „gemeinsamen Irrtum“ oder in der Diktion der Lehre von der „subjektiven Geschäftsgrundlage“ sprechen. Der OGH verwendet in den betreffenden E durchaus unterschiedliche (nicht immer passende) Formulierungen, um das Vorliegen einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage zu begründen.371 Im Kern geht es immer darum, dass der Geschäftswille der Parteien auf dem Vorhandensein oder dem Eintritt gewisser Umstände aufbaut,372 sodass der Vertrag ohne die gemeinsam vorausgesetzte Lage sinnlos ist.373 Vom Fehlen oder Wegfall der gemeinsamen Geschäftsgrundlage ging 88 der OGH zB aus, wenn beiden Vertragspartnern bekannt ist, dass die zum Betrieb einer Tankstelle erforderliche Genehmigung noch nicht erteilt worden ist, und irrigerweise annehmen, dass sie zustande kommen werde;374 die Parteien unter der Annahme, eine Entlassung sei gerechtfertigt, eine Vereinbarung über eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses schließen und sich dann herausstellt, dass die Entlassung rechtsunwirksam war;375 der Verkauf von Liegenschaften an deutsche Staatsbürger dadurch nicht zustande kommt, dass die Grundverkehrskommission dem Verkauf nicht zustimmt;376 die Vertragsparteien, die eine Bauführung nur mit Hilfe von Förderungsmitteln durchführen wollen, fälschlich davon ausgehen, dass ein anderer Fonds an die Stelle des auslaufenden Wohnhauswiederaufbaufonds treten werde;377 wenn vereinbart wird, dass ein Mann einer Frau in der Annahme, dass diese keine Pension erhalten werde, die Hälfte seiner Pension zukommen lässt und der Frau dann doch eine Pension gewährt wird;378 ein Bestandvertrag über ein Geschäftslokal geschlossen wird, in dem eine Trafik betrieben werden soll, und der Trafikant entgegen den Erwartungen der beiden Vertragsparteien keine Genehmigung durch die Tabakmonopolverwaltung erhält;379 Vor- und Nachmieter einer Wohnung eine Ablösevereinbarung treffen, die nur die Möbel, nicht jedoch auch die vom Vormieter eingebaute und kreditfinanzierte Etagenheizung betraf, weil 368 

OGH 1 Ob 601/76, EvBl 1976, 285. OGH 9 Ob 12/10w. 370  Weitere Bspe bei Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 35. 371  Vgl die berechtigte Kritik bei Rummel in Rummel3 I 901 Rz 6, und Pletzer in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 36. 372  Der OGH verwendet diese aus der „Oertmann´schen“ Formel (Rz 68) stammende Formulierung zB in 5 Ob 796/81, MietSlg 34.129, und 8 Ob 312/00s. 373  Rummel in Rummel3 I 901 Rz 6. 374  OGH 7 Ob 201/73, MietSlg 25.078. 375  OGH 4 Ob 74/75, ZAS 1977/20 (Marhold) = DRdA 1976, 334 (Jabornegg). 376  OGH 7 Ob 802–807/76, NZ 1980, 37. 377  OGH 8 Ob 532/82, MietSlg 34.130. 378  LGZ Wien 44 R 294/84, EFSlg 48.548. 379  OGH 10 Ob 506/88, MietSlg 40.064. 369 

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sie meinten, der Kredit müsse nicht zurückgezahlt werden;380 bei fehlender Eignung der Interessenten für eine Ausbildung;381 bei einem Aussetzungsvertrag, der von der Voraussetzung ausging, dass der Arbeitnehmer Arbeitslosenunterstützung erhält.382 Die mittlerweile wohl schon hM lehnt das Erfordernis des Vorliegens 89 „geschäftstypischer Voraussetzungen“ für die Berufung auf die Geschäfts­ grundlage ab.383 Die Jud sollte daher von ihrer in Wahrheit ohnehin nur formalen Orientierung384 an der „Typizität“ abrücken und auch individuelle Vorstellungen der Parteien als Geschäftsgrundlage anerkennen, soferne an ihrer Bedeutung für den Vertrag kein Zweifel bestehen kann.385 bb) Sphärenfremdheit 90

Nach der stRsp des OGH kann sich eine Partei auf das Fehlen oder den Wegfall einer Voraussetzung nicht berufen, wenn sich diese auf Tatsachen der eigenen Sphäre bezieht.386 Das gilt allerdings nur idR, also dann nicht, wenn Gesetz oder Vertrag etwas Anderes bestimmt. Von Gesetzes wegen kommt es auf die Sphärenfremdheit zB bei einigen positivierten Bestimmungen über die Geschäftsgrundlage nicht an.387 Es kann sich aber auch aus einer vertraglichen Regelung ergeben, dass Umstandsänderungen relevant sind, die aus der eigenen Sphäre stammen.388 Eine Tatsache der eigenen Sphäre ist nach der Rsp zB für einen Ge91 schäftsführer, der in Unkenntnis seiner Abberufung eine Bürgschaft für Sozial­ versicherungsbeiträge eingegangen ist, der Umstand seiner Abberufung;389 für die Vermieterin die bautechnische Unmöglichkeit eines zum Zweck der Kate380 

OGH 2 Ob 534/86, JBl 1987, 390. OGH 5 Ob 169, 170/71, EvBl 1972/126; 8 Ob 96/72, EvBl 1973/27; 1 Ob 796/76, HS X/ XI/4; 5 Ob 243/75, EvBl 1976/193; 7 Ob 537/95 und zuletzt 3 Ob 276/00k. Krit zu dieser Jud Graf, Vertrag 137. 382  OGH 4 Ob 501/85, JBl 1986, 404; weitere Fälle in Rz 94. 383  Vgl Rz 56. 384  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 5. 385  Vgl Rz 56 und zuletzt Graf, JBl 2011, 155 FN 31. 386  OGH 5 Ob 243/75, SZ 49/13; 1 Ob 569/88, JBl 1988, 723; 4 Ob 506/93, JBl 1994, 260; 6 Ob 30/02h, immolex 2002/100; 8 ObA 72/03a, wbl 2004/173. 387  Dazu, dass die gesetzlichen „Clausula-Regelungen“ die Sphärenfremdheit nicht immer verlangen, Rz 40. 388  Vgl etwa OGH 6 Ob 263/67, RZ 1968, 94. In diesem Fall pachtete ein Kinounternehmer die Konzession eines anderen, da nach der stRsp des VwGH nicht zu erwarten war, dass er eine eigenen Konzession erlangen können werde; aufgrund einer Änderung der Rechtslage erreichte er in der Folge doch eine eigene Konzession und wollte das Pachtverhältnis auflösen. Der OGH ließ die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu, da es sich um ein Rechtsverhältnis handle, dessen Inhalt von vorne herein durch Umstände bestimmt worden sei, die der eigenen Sphäre der Beteiligten angehören. Umgekehrt kann sich aus dem Vertrag aber auch ergeben, was zur eigenen Sphäre gehört. In 1 Ob 778/81, SZ 55/51 sprachen zB die Vereinbarungen im Kaufvertrag über eine Autowaschanlage dafür, dass es Sache der Käuferin war, für den Wasser- und Stromanschluss zu sorgen. 389  OGH 7 Ob 355/98a. 381 

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gorieanhebung beabsichtigten Umbaus;390 für den Vermieter sein fehlendes Interesse an der weiteren Vorführung von Werbefilmen im Bestandgegen­ stand;391 für den Werkbesteller sein fehlendes Interesse am Druck einer Stadtchronik;392 für den Käufer und den Bestandnehmer das Risiko, dass der Kaufgegenstand393 bzw das Bestandobjekt394 nicht der beabsichtigten Verwendung zugeführt werden kann; für den Bauherrn das Erlangen einer Zufahrt zum Baugrund;395 für den Schuldner die Beschaffung der Mittel für die eigene Leistung;396 für den Arbeitgeber die Fortführung des Betriebs trotz ursprünglich beabsichtigter Betriebsstilllegung;397 für den Scheinvater die Ehelichkeitsbestreitung wegen formungültiger Zustimmung zur heterologen Insemination und die darauf folgende einvernehmliche Scheidung, sodass für die Unterhaltsvereinbarung mit der Mutter die Geschäftsgrundlage nicht weggefallen ist;398 die Nichterteilung der Konzession für den, zu dessen Gunsten auf die Rechte aus der Konzession verzichtet wurde.399 Hingegen fallen die Auswirkungen der Umstellung der Krankenanstalten- 92 finanzierung auf ein leistungsorientiertes System nicht nur in die Sphäre einer Krankenanstalt, die Teile der von ihr gemieteten Räumlichkeiten an einen Röntgenarzt verpachtet hat, da „das Pachtverhältnis der Streitteile eine unteilbare Einheit bildet“;400 gingen die Vertragspartner eines Kaffeebezugsvertrages bei der Einschätzung der benötigten Röstkaffeemenge gemeinsam von der Errichtung einer Privatklinik aus, ist das Unterbleiben des Baus dieser Klinik nicht der Sphäre des Kaffeeabnehmers zuzurechnen;401 Möglichkeit der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage auch, wenn eine Vereinbarung in der irrigen Annahme geschlossen wird, dass die Erteilung der für die Weiterführung des Betriebs erforderlichen Bewilligungen nicht möglich ist, weil sich der Umstand der dann doch erteilten Bewilligungen nicht auf die eigene persönliche Sphäre des Unternehmers bezieht.402 Von besonderer Bedeutung sind die E des OGH zum Risiko der wirtschaft- 93 lichen Entwicklung und der Änderung der Rechtslage. Was zuerst das „Wirt­ schaftsrisiko“ betrifft, geht die Jud vom Grundsatz aus, dass dieses Risiko stets den trifft, der „wirtschaftet“. Der durch den Betrieb der gekauften Sache (Getränkeautomat) erzielbare wirtschaftliche Erfolg ist daher typisches Vertragsrisiko des Käufers;403 das Risiko, dass ein Handelsvertreter seine monat390 

OGH 4 Ob 270/99f, MietSlg 51.086. OGH 1 Ob 243/97k, SZ 71/55. 392  OGH 7 Ob 163/00x, MR 2001, 238. 393  OGH 1 Ob 778/81, SZ 55/51; 7 Ob 8/75, JBl 1976, 145; 7 Ob 232/97m, immolex 1998/174. 394  OGH 5 Ob 553/79, MietSlg 31.103. 395  OGH 2 Ob 509/89, JBl 1989, 650 (Dullinger). 396  OGH 1 Ob 581/78, JBl 1981, 30; 1 Ob 725/80, JBl 1982, 431. 397  OGH 8 ObA 72/03a, wbl 2004, 340. Zur Stilllegung des Betriebs, die ebenfalls in die Sphäre des Arbeitgebers fällt, vgl Rz 73. 398  OGH 7 Ob 212/97w, EvBl 1998/2. 399  OGH 1 Ob 764/77, EvBl 1987/137. 400  OGH 3 Ob 274/02v, JBl 2003, 643. 401  OGH 7 Ob 211/99a, RdW 2000/709. 402  OGH 9 Ob 169/00v. 403  OGH 7 Ob 8/75, JBl 1976, 145. 391 

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lichen Verpflichtungen durch Provisionen nicht decken kann, trifft ihn;404 ein Kinobetreiber, der eine Betriebspflicht hat, kann nicht deren Aufhebung begehren, wenn seine Verluste primär durch seine verfehlte Unternehmenspolitik und nur zu einem geringen Teil durch eine unvorhersehbare Marktentwicklung verursacht wurden;405 der Mieter eines Bestandobjekts in einem Einkaufszentrum kann den Mietvertrag nicht wegen der enttäuschten Erwartung über den Geschäftsgang aus wichtigem Grund kündigen.406 Auch die Änderung der Rechts- und Gesetzeslage wird vom OGH grds 94 zur „einseitigen Risikosphäre“ gezählt und daher als unbeachtlich angesehen.407 Anderes soll nur gelten, wenn der Bestand eines Gesetzes offensichtlich zur Geschäftsgrundlage gemacht wurde oder gar ein Rechtsverhältnis auf ein bestimmtes Gesetz aufbaute.408 Daher kann sich zB der Käufer einer Liegenschaft auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht berufen, wenn das nach dem Flächenwidmungsplan bebaubare Grundstück durch eine Novelle zum Tiroler NaturschutzG zum Feuchtgebiet erklärt wird.409 Der OGH lässt die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage jedoch in Fällen zu, in denen er von einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage ausgeht.410 Das hat er bejaht, wenn sämtliche Beteiligten angenommen haben, dass der Lagerbetrieb des Mineralölhändlers, von dem sie das Öl bezogen, nicht mineralsteuerpflichtig ist;411 wenn beim Abschluss eines Mietvertrages über ein Bestandobjekt, auf dem eine Tankstelle betrieben werden soll, beide Vertragspartner mit der Erteilung der für den Betrieb notwendigen Genehmigung der Gewerbebehörde rechnen, die jedoch nicht erreicht wird;412 wenn sowohl Auftraggeber als auch Generalunternehmer zu Unrecht davon ausgehen, dass an die Stelle des ausgelaufenen Wohnhauswiederaufbaufonds ein anderer Fonds treten werde;413 wenn den Vertragsparteien eines Grundstückskaufs klar war, dass ein Wohnhaus errichtet werden soll, und der VwGH die Baubewilligung aufhebt.414 Das Problem des Risikos der wirtschaftlichen Entwicklung und der Ände95 rung der Rechtslage wird vom OGH oft auch mit Hilfe des Kriteriums der Vorhersehbarkeit gelöst.415 Das ist bemerkenswert: Wenn feststehen sollte, 404 

OGH 4 Ob 255/97x, RdW 1998, 199. OGH 5 Ob 650/88, JBl 1989, 379. Vgl auch 8 Ob 27/08m, immolex 2005/95 (Pfiel): Der mangelnde wirtschaftliche Erfolg eines Kinocenters stellt für den Bestandnehmer keinen wichtigen Grund für die Auflösung des Bestandverhältnisses dar. 406  OGH 3 Ob 609/85, SZ 59/17. Anders jedoch im Falle der Pacht: OGH 6 Ob 59/00w, immolex 2001/30; 3 Ob 98/08w, wobl 2009/59 (Vonkilch mit Nw der Lit). 407  OGH 8 Ob 60/70, JBl 1970, 420; 7 Ob 39/71, MietSlg 23.200; 4 Ob 626/71, EvBl 1972/142; zuletzt 7 Ob 232/97m, immolex 1998/174 mwN. 408  OGH 8 Ob 60/70, JBl 1970, 420; 1 Ob 180/74, MietSlg 26.066; 3 Ob 645/76, MietSlg 29.104; 7 Ob 232/97m, immolex 1998/174; 8 Ob 684/89, ecolex 1991, 386 (Reich-Rohrwig). 409  OGH 7 Ob 232/97m, immolex 1998/174. 410  Vgl dazu allgemein Rz 88. 411  OGH 8 Ob 312/00s. 412  OGH 7 Ob 201/73, MietSlg 25.078. 413  OGH 8 Ob 532/82, MietSlg 34.130. 414  OGH 1 Ob 193/71; MietSlg 23.078. In anderen Fällen der Änderung der Rechtslage hat der OGH zum Mittel der ergänzenden Vertragsauslegung gegriffen; vgl Rz 78. 415  Vgl die Nw in Rz 98. 405 

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dass die betreffenden Risiken dem auflösungswilligen Vertragspartner zugewiesen sind, genügt dieser Umstand ja bereits als solcher, um die Bindung an den Vertrag zu bejahen. Darauf, ob die schlechte wirtschaftliche Entwicklung oder die nachteilige Änderung der Rechtslage für ihn auch vorhersehbar war, kommt es gar nicht mehr an. Das Abstellen auf die Vorhersehbarkeit hat in diesen Fällen also den Charakter eines „Reservefallschirms“. Eigenständige Bedeutung gewinnt das Kriterium der Vorhersehbarkeit nur, wenn „Sphärenfremdheit“ vorliegt.416 cc) Unvorhersehbarkeit Die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage wird von der Jud – 96 Pisko folgend417 – dann nicht zugelassen, wenn die Änderung der Umstände vorhersehbar war.418 Wer bei Vertragsabschluss mit einer Umstandsänderung rechnen muss und es unterlässt, für diesen Fall vertraglich vorzusorgen, trägt das Risiko der Geschäftsgrundlage.419 Von einer Vorhersehbarkeit ist der OGH in folgenden Fällen ausgegan- 97 gen: Wenn mit dem Verkäufer im Zeitpunkt des Abschlusses der Kauf- und Aufrechnungsvereinbarung über die finanziellen Probleme der Käuferin gesprochen wurde und deren Geschäftsführer erklärte, er werde „kämpfen müssen“, muss der Verkäufer mit der Möglichkeit einer Änderung der Geschäftsvoraussetzungen rechnen;420 der Umstand, dass der Wert der verkauften Sachen (hier: Aktien) in der Folge steigt, ist für den Verkäufer im Regelfall vorhersehbar;421 die bautechnische Unmöglichkeit eines geplanten Umbaus zum Zweck der Kategorieanhebung ist für die Vermieterin nicht unvorherseh­ bar;422 haben beide Vertragsparteien Liegenschaften als Bauhoffnungsland angesehen, ist die tatsächliche Umwidmung idS kein unvorhergesehener Umstand;423 für den Bestandgeber ist bei Instandgabe eines Objekts zum Betrieb eines gastronomischen Unternehmens eine Erhöhung der Müllbeseitigungskosten vorherseh­bar;424 vorhersehbar ist, dass bei Nichtanerkennung der Bauherrneigenschaft eine höhere Grunderwerbssteuer anfällt;425 wer sich gegenüber einem Kurbetrieb gegen einen Pauschalpreis auf 10 Jahre zur Wä416  Dazu, dass die Unvorhersehbarkeit im Grunde ein Instrument der Risikozurechnung ist, das neben dem Gedanken der Sphärenfremdheit keine eigenständige Bedeutung hat, Koller, Risikozurechnung 217, und Tomandl, ZAS 1988, 8 f. 417  Rz 32. Die Voraussehbarkeit ist allerdings nicht ausnahmslos Voraussetzung für die Möglichkeit der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Vgl Rz 40. 418  Dazu, dass es auf die „Vorhersehbarkeit“ und nicht darauf ankommt, dass der anfechtungswillige Vertragspartner die Umstandsänderung vorhergesehen hat, Rz 55. 419  OGH 2 Ob 602/53, JBl 1954, 396; 3 Ob 513/94, JBl 1995, 173; 6 Ob 30/02h, immolex 2002/100; 1 Ob 60/03k, MietSlg 55.097; 9 Ob 152/03y. 420  OGH 1 Ob 60/03k, ZIK 2004, 59. 421  OGH 6 Ob 148/07v, ecolex 2007, 929. Ebenso für den Fall, dass die verkaufte Liegenschaft in Bauland umgewidmet und daher mit mehr Gewinn als erwartet verkauft werden kann, 1 Ob 47/05a, bbl 2005/180. 422  OGH 4 Ob 270/99f, MietSlg 51.086. 423  OGH 4 Ob 159/01p, MietSlg 53.110. 424  OGH 1 Ob 514/92, EvBl 1992/123. 425  OGH 3 Ob 513/94, JBl 1995, 173.

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schereinigung verpflichtet, muss mit wechselnden Kurgästezahlen rechnen;426 mit der Möglichkeit der Änderung eines politischen Systems ist zu rechnen, sodass bei Untergang des nationalsozialistischen Systems kein Wegfall der Geschäftsgrundlage für die Schenkung von Liegenschaften für einen NSV-Kindergarten gegeben ist.427 Im Allgemeinen ist auch die Änderung der wirtschaftlichen und recht­ 98 lichen Verhältnisse vorhersehbar. Der Mieter eines Bestandobjekts muss mit der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung eines Einkaufszentrums rechnen;428 eine Privatschule, die einer Lehrerin eine Zulage ohne Widerrufsvorbehalt gewährt, muss mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und auch damit rechnen, dass sich die Bemessungsgrundlage für die Zulage durch Biennalsprünge erhöht;429 die Tochterfirma eines internationalen Ölkonzerns kann den Pachtvertrag über eine Tankstelle nicht wegen der Ölkrise 1973 aus wichtigem Grund kündigen, da sie mit dem Entstehen weiterer Konkurrenz und internationaler Krisen rechnen muss;430 der Arbeitgeber, der einzelnen Arbeitnehmern die Anrechnung von Vordienstzeiten zugestanden hat, kann sich nach dem Inkrafttreten des EFZG nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, da mit einer Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Ansprüche der Arbeitnehmer im Falle von Urlaub, Krankheit, Unfall usw zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung zu rechnen war.431 Unvorhersehbar ist nach der Jud jedoch, dass die Gerichtsgebühren für 99 ein Schadenersatzpauschale in einem Räumungsvergleich exorbitant hoch sind;432 für den Pächter eines Bestandobjekts, dass in einem Einkaufszentrum (von den von ihm selbst belegten Flächen abgesehen) 90% der Geschäftsflächen leer stehen;433 für die Bestandnehmerin, dass die Bestandgeberin und Hauptlieferantin ihr mit einem eigenen und vor allem preisaggressiveren Lebensmittelgeschäft und mit größtenteils völlig gleichem Warenangebot in nächster Nähe Konkurrenz machen wird;434 für beide Vertragspartner die Systemänderung in der Finanzierung von Krankenanstalten;435 die völlige Änderung der Anforderungen an Lage und Ausstattung eines Jugenderholungsheimes durch die Wandelung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Lauf von 40 Jahren.436

426 

OGH 2 Ob 613/86, EvBl 1987/176. OGH 2 Ob 602/53, JBl 1954, 396. 428  OGH 3 Ob 609/85, SZ 59/17; 1 Ob 340/98a, immolex 1999/181; 6 Ob 154/02v, RdW 2003/302. 429  OGH 8 Ob 332/94, wbl 1995, 288; dazu Runggaldier, RdW 1995, 349 f. 430  OGH 7 Ob 542/81, JBl 1982, 142. 431  OGH 4 Ob 102–105/76, ZAS 1978/3 (Schrank). 432  OGH 8 Ob 2361/96f, wobl 1997/112 (Kletečka). Der OGH nahm ergänzende Vertragsauslegung vor und wendete § 47 Abs 1 ZPO an. 433  OGH 6 Ob 59/00w, wobl 2001/57 (Dirnbacher). 434  OGH 1 Ob 340/98a, immolex 1999/181. 435  OGH 3 Ob 274/02v, JBl 2003, 643. 436  OGH 7 Ob 255/06k, SZ 2007/25. 427 

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dd) Äquivalenzstörung Zu den Erfordernissen der Typizität, Sphärenfremdheit und Unvorherseh- 100 barkeit kann nach der Jud als vierte Voraussetzung für die Möglichkeit der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage noch jenes einer (groben) Äquivalenzstörung treten. Diese Voraussetzung wird vom OGH aber – anders als die bisher genannten Erfordernisse – nur in Fällen verlangt, die nicht zum Typus „gemeinsame Geschäftsgrundlage“ bzw „Zweckstörung“ gehören. Die Störung der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden (subjektiven) Äquivalenz durch eine Umstandsänderung kann für einen Vertragspartner auf zweifache Weise erfolgen. Einmal kann es zu einer Erschwerung der ihm obliegenden Leistung kommen, zum anderen aber auch zur Entwertung der ihm geschuldeten Gegenleistung; in beiden Grundtypen der Äquivalenzstörung ist weiter zu unterscheiden, ob eine Geld- oder eine Sachleistung geschuldet wird. Die Jud hat die Fälle der Äquivalenzstörung bisher fast ausschließlich un- 101 ter dem Aspekt der „Unerschwinglichkeit“ und nicht unter jenem der Geschäftsgrundlage behandelt. Sie folgt damit der in der Lehre schon seit langem437 und auch heute noch herrschend vertretenen Ansicht, dass § 1447 nicht nur die „logische“ Unmöglichkeit, sondern auch die „Unerschwinglichkeit“ umfasst, die der Erstgenannten als „juristische“ oder „wirtschaftliche“ Unmöglichkeit, als Unzumutbarkeit oder überobligationsmäßige Schwierigkeit gegenüber gestellt wird.438 Pisko hat § 1447 noch ausschließlich auf die Leistungserschwerung anwenden wollen, da er der Meinung war, dass die Leistung des Schuldners dadurch nicht schwieriger werde, dass die ihm gebührende Gegenleistung (objektiv) entwertet oder (subjektiv) wertlos wird; die „Entwertungsfälle“ löste er durch einen Rekurs auf die von ihm entwickelte Geschäftsgrundlagenlehre.439 Die heute hM bezieht den Unerschwinglichkeitsbegriff aber zu Recht auch auf die Entwertung der Gegenleistung.440 Sie nähert sich der Lösung über die Geschäftsgrundlage dadurch stark an, dass sie § 1447 nur bei nicht vorhersehbarer und unverschul­ deter Unerschwinglichkeit zur Anwendung kommen lassen will.441 Bei der Erschwerung von Sachleistungen nimmt die Jud – einer Formu- 102 lierung Piskos folgend442 – Unerschwinglichkeit an, wenn der zur Bewirkung der Leistung nötige Aufwand in keinem Verhältnis zu dem Werte der Leis­ tung selbst steht, sodass sich diese schon objektiv als eine unvernünftige, wirtschaftliche sinnlose darstellen würde.443 Ab welchem Ausmaß der InäquiPisko in Klang II/2, 355; Gschnitzer in Klang2 VI 541; Ehrenzweig, System II/12, 352 f. Reischauer in Rummel3 I § 920 Rz 4; Griss in KBB3 § 1447 Rz 4; Holly in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 1447 Rz 47; Mayrhofer, SchRAT 396; Dullinger, Schuldrecht AT4 Rz 3/48; Koziol/Welser13 II 50. 439  Pisko in Klang IV 563 f. 440  Reischauer in Rummel3 I § 920 Rz 4. 441  Pisko in Klang IV 562; Gschnitzer in Klang2 VI 549; Reischauer in Rummel3 I § 920 Rz 4; Graf, Vertrag 129. So auch die Jud. Vgl OGH 8 Ob 86/06i, ecolex 2007/150 (Th. Rabl); 7 Ob 255/06k, JBl 2007, 716. 442  Pisko in Klang IV 559. 443  OGH 2 Ob 543/53, SZ XXVI/194; 8 Ob 102/63, EvBl 1963/401; 7 Ob 70/63, SZ 36/44; 5 Ob 109/71, SZ 44/77; 1 Ob 524/85, MietSlg 37.179; 8 Ob 86/06i, ecolex 2007/150 (Th. Rabl); 437  438 

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valenz diese Voraussetzung erfüllt ist, geht aus dieser Formulierung noch nicht hervor. Die ältere Rechtsprechung hat dafür verlangt, dass die Vertragserfüllung das „wirtschaftliche Verderben“,444 den „Ruin“445 des Schuldners zur Folge haben müsse. In der jüngeren Rechtsprechung findet sich diese strenge Auffassung nicht mehr. Sie begnügt sich vielmehr im Anschluss an die hM446 mit dem Erfordernis einer „erheblichen Existenzverschlechterung“.447 In 7 Ob 255/06k448 hat es der OGH für die Unerschwinglichkeit ausreichen lassen, dass einer Gemeinde durch den Betrieb eines enorm teuren Heimes in wirtschaftlich sinnloser und unvernünftiger Weise Eigenmittel entzogen werden, die ihr bei der Umsetzung anderer Aufgaben fehlen.449 Das scheint auf ein milderes Verständnis von „Unerschwinglichkeit“ hinzudeuten. Eine nähere Analyse dieser E zeigt jedoch, dass der OGH auch hier vom Vorliegen einer „erheblichen Existenzverschlechterung“ ausgegangen sein dürfte, die insb durch die Dauerbelastung der Gemeinde nahe gelegt wurde. Ziffernmäßige Festlegungen finden sich nur selten. In 5 Ob 650/88450 erachtete es der OGH für die außerordentliche Kündigung einer Betriebspflicht von Kinobetreibern als nicht ausreichend, dass die Erträgnisse des Kinobetriebs um ca 20% zurückgegangen waren. In 8 Ob 112/97451 sprach er aus, dass ein Wertverlust von 60% der Beteiligung eine „wesentliche Änderung der Geschäftsgrundlage“ und damit einen wichtigen Grund zur Beendigung des Beteilungsverhältnisses gem § 14 Abs 7 BetFG darstellen könne, und verwies zur Begründung auf „die als wesentlich angesehene Wertrelation in § 934 ABGB“. Das ist bemerkenswert und bildet die Brücke zu einer weiteren E des OGH, in der er unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die „jüngere Lehre“ (F. Bydlinski, Fenyves) davon ausgeht, dass die in § 934 konkretisierte Äquivalenzstörung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage eines befristeten Bestandverhältnisses von Bedeutung sein könne.452 Die Jud wendet die Grundsätze der Unerschwinglichkeit mit der heute hM 103 auch auf die Entwertung der Gegenleistung an.453 Die Erfüllung einer ähnlich 7 Ob 255/06k, JBl 2007, 716. In 1 Ob 756/53, SZ XXVI/286 wird darauf abgestellt, ob die Leistung vom Schuldner „nur unter ungewöhnlichen Opfern“ erbracht werden könnte. 444  OGH Ob II 110, ZBl 1923/69; 3 Ob 589/51, EvBl 1952/103. 445  Rv I 499/15, JBl 1915, 613; 3 Ob 589/51, EvBl 1952/103; 2 Ob 543/53, SZ 26/194; 7 Ob 70/63, SZ 36/44. 446  Pisko in Klang IV 562; Gschnitzer in Klang2 VI 544; Reischauer in Rummel3 I § 920 Rz 4. Die „erhebliche Existenzverschlechterung“ bedeutet wesentlich mehr als die bloße Inäquivalenz des Vertrages, der von der Umstandsänderung betroffen ist. Sie wird also nicht schon durch einen erheblichen Vermögensverlust hergestellt, den der Schuldner durch die Leistung erleiden würde. Die bloße Tatsache etwa, dass die Anschaffungs- und Herstellungspreise auf das Fünffache gestiegen sind, befreit den Schuldner nicht von der Lieferpflicht (Pisko aaO; Gschnitzer aaO). 447  OGH 5 Ob 524/85, MietSlg 37.179. 448  JBl 2007, 716. 449  Ähnlich OGH 1 Ob 524/85, MietSlg 37.179: Unerschwinglichkeit bereits dann, wenn ein Betrieb, für den Betriebspflicht besteht, nur mehr defizitär geführt werden kann. 450  JBl 1989, 379. 451  ecolex 1998, 36 (Fellner). 452  OGH 1 Ob 44/98x, immolex 1999/44 (Pfiel). Der OGH referiert anschließend ausführlich das „bewegliche System“ F. Bydlinskis, das auf der „Hälfteregel“ des § 934 aufbaut. 453  OGH 3 Ob 589/51, EvBl 1952/103; 2 Ob 531/59, JBl 1961, 188.

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Geldschuld kann nach ihr dagegen niemals als unerschwinglich betrachtet werden, weil die Unfähigkeit, die geschuldete Geldleistung zu erbringen, rechtlich stets nur als vorübergehendes Unvermögen zu beurteilen ist.454 Das bedeutet freilich nur, dass § 1447 auf den Geldschuldner nicht anwendbar ist, und schließt keineswegs aus, dass er sich bei Vorliegen der nötigen Voraussetzungen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder (bei Dauerschuldverhältnissen) auf die Kündigung aus wichtigem Grund berufen kann.455 7. Rechtsfolgen bei Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage Pisko, der Begründer der österreichischen Lehre von der Geschäftsgrund- 104 lage, wollte als Rechtsfolge bei Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage nur die Aufhebung des Vertrages zulassen.456 Die heute hM457 und die stRsp des OGH458 ist jedoch zu Recht der Auffassung, dass auch die Vertragsan­ passung in Betracht kommt. Die Möglichkeit der Vertragsanpassung wird durch eine analoge Anwendung der irrtumsrechtlichen Vorschrift des § 872 gewonnen.459 Sie kann im Fall der „objektiven“ Geschäftsgrundlage aber auch aus einer sinngemäßen Anwendung der Regeln des Gewährleistungsrechts bzw der Teilunmöglichkeit abgeleitet werden.460 Es gibt recht wenige E des OGH, in welchen er bei Störungen der Ge- 105 schäftsgrundlage eine Vertragsanpassung vornehmen konnte.461 In den meisten Fällen gelangte er zur Aufhebung des Vertrages. Möglicherweise deshalb finden sich im Schrifttum kaum Äußerungen dazu, nach welchen Grundsät­ zen die Vertragsanpassung bei Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage zu erfolgen hat.462 ME ist klar, dass sich die Vertragsanpassung am hypothetischen Willen der Parteien zu orientieren hat und nicht zu einer Korrektur der vertraglichen Risikozuweisung führen darf.463 Die Vertragsanpassung muss außerdem zu einem Ergebnis führen, das für beide Vertragsparteien tragbar ist. Dem „Clausula-Gegner“ darf also wie bei der Irrtumsanfechtung nicht ein Ver454  StRsp; vgl nur OGH 1 Ob 520/96, JBl 1996, 580 mwN. Ebenso die hM; vgl nur Reischauer in Rummel3 I § 920 Rz 4. 455  Vgl nur F. Bydlinski, ÖBA 1996, 500 f; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 11; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 19 mwN. 456  In Klang II/2, 353. Ebenso noch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 339 und OGH 7 Ob 809/76, MietSlg 29.103. 457  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6a, 7a; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 16; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 12; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 58; Kerschner, wbl 1988, 213; Böhm, ÖZW 1990, 113; F. Bydlinski, ÖBA 1996, 505; Fenyves, Gutachten 76, 96; Peer, Jahrbuch 74; Bezemek, Geschäftsgrundlage 90 f; P. Bydlinski, AT5 Rz 8/41; Koziol/ Welser13 I 166. 458  OGH 7 Ob 725/80, JBl 1982, 431; 4 Ob 143/84, RdW 1986, 377; 2 Ob 613/86, EvBl 1987/176; 8 Ob 585/88; 8 Ob 684/89, ecolex 1991, 386 (Reich-Rohrwig); 7 Ob 211/99a, RdW 2000, 723; 8 Ob 312/00s. 459  Vgl nur F. Bydlinski, ÖBA 1996, 505; P. Bydlinski, AT5 Rz 8/41; Koziol/Welser13 I 166. 460  Fenyves, Gutachten 76; Binder, JBl 1999, 375. 461  OGH 2 Ob 629/85, MietSlg 48.578; 8 Ob 585/88 (erwogen, aber abgelehnt); 7 Ob 211/99a, RdW 2000, 723; 8 Ob 684/89, ecolex 1991, 386 (Reich-Rohrwig); 8 Ob 312/00s. 462  Vgl aber Roth, FS Krejci 1254 ff; Peer, Jahrbuch 74 ff. 463  Peer, Jahrbuch 77; anders wohl Roth, FS Krejci 1267.

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trag aufgezwungen werden, den er in Kenntnis des Fehlens oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht geschlossen hätte.464 Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, wird im Zweifel die Vertragsanpassung der Aufhebung des Vertrages vorzuziehen sein.465 Im ausländischen, vor allem deutschen Schrifttum wird betont, dass die 106 „Vertragsanpassung“ auch Erfüllungserleichterungen (Aufschiebung der Fälligkeit, Verlegung des Erfüllungsorts, Zulassung von Teilleistungen) und Änderungen der Vertragsdauer bedeuten könne und dass auch Ausgleichszahlungen und Aufwandsersatzverpflichtungen auferlegt werden könnten. Bei der Vertragsaufhebung soll auch ein Ersatz des Vertrauensschadens möglich sein. Schließlich wird in D die Meinung vertreten, dass es bei Wegfall der Geschäftsgrundlage ex lege eine Neuverhandlungspflicht der Parteien gebe.466 Eine unbesehene Übertragung dieser Auffassung auf das österreichische Recht ist nicht zulässig, da der österreichische Richter bei der „Vertragshilfe“ nicht die selben Gestaltungsfreiräume hat wie seine deutschen Kollegen.467 Man sollte sich jedoch durch § 872, der auf den Irrtum über Gegenwärtiges zugeschnitten ist, bei der Bewältigung der gesetzlich nicht geregelten Problematik des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (also eines Irrtums über Zukünftiges) nicht über Gebühr eingeengt fühlen. ME spricht nichts dagegen, dass auch der österreichische Richter eine Vertragsanpassung durch Stundung, Zulassung von Teilleistungen, Verlängerung von Laufzeiten etc vornehmen kann, wenn diese Leistungserleichterungen dem Clausula-Gegner zumutbar sind. Das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage wirkt nach hM nicht 107 ipso iure, sondern ist rechtsgestaltend durch Klage oder Einrede geltend zu machen.468 Die Geltendmachung kann nicht durch eine Oppositionsklage erfolgen, da bei dieser die Gestaltungswirkung erst mit Rechtskraft des Urteils eintritt.469 Nach der Lehre soll – ebenso wie bei der Irrtumsanfechtung – auch die außergerichtliche Geltendmachung ausreichen.470 Bei Fehlen der Geschäftsgrundlage wird der Vertrag nach hM wie bei der 108 Irrtumsanfechtung mit ex-tunc-Wirkung aufgelöst,471 und zwar auch in dingli464  Böhm, ÖZW 1990, 113; F. Bydlinski, ÖBA 1996, 505; Peer, Jahrbuch 77 f; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 16; Bezemek, Geschäftsgrundlage 91 mwN. 465  Für einen „favor negotii“ Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6a; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 12; OGH 2 Ob 629/85, MietSlg 48.578; 1 Ob 257/01b, ecolex 2002/188. Zweifelnd Kramer, Berner Kommentar Art 18 Rz 356; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung 186; Fenyves, Gutachten 76. Vgl auch die Diskussion zwischen Rummel und Fenyves 13. ÖJT II/2, 72, 75. 466  Vgl dazu die Nw bei Fenyves, Gutachten 96 f. 467  Roth, FS Krejci 1254; Peer, Jahrbuch 76. Vgl auch die Diskussion auf dem 13. ÖJT (II/2, 74 [Rummel], 76 [Fenyves]). 468  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 7a; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 16; Bollenberger in KBB3 § 901 Rz 13; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 59; P. Bydlinski, AT5 Rz 8/41; Koziol/Welser13 I 166; Peer, Jahrbuch 80; Bezemek, Geschäftsgrundlage 89; OGH 8 Ob 585/88; 3 Ob 205/98p, RdW 1999, 211; 1 Ob 192/03x. 469  OGH 3 Ob 205/98p, RdW 1999, 211; vgl auch 3 Ob 131/02i, EvBl 2003/51. 470  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 7a; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 16. 471  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 17; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 61; Bezemek, Geschäftsgrundlage 94; OGH 9 Ob 169/00v. Bei Dauerschuldverhältnissen gilt das nach allgemeinen Grundsätzen nur, wenn die

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cher Hinsicht.472 Die Vertragsauflösung aufgrund Wegfalls der Geschäftsgrundlage wirkt hingegen nur ex-nunc473 und entfaltet keine dingliche Wirkung.474 Im Schrifttum ist umstritten, auf welchen Zeitpunkt sich die ex-nunc-Wirkung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage bezieht. Nach wohl hM kommt es dafür auf den Eintritt der Umstandsänderung an.475 Andere wollen aus Gründen des Vertrauensschutzes auf den Zeitpunkt der Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage abstellen.476 ME wird dem Vertrauensschutz des Clausula-Gegners schon dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur bei Vorliegen strenger, nicht leicht zu erfüllender Voraussetzungen möglich ist. Daher ist die Ansicht der hM vorzuziehen. Bereicherungsrechtlich kommt bei der Rückabwicklung des Schuldver- 109 hältnisses nach erfolgreicher Berufung auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage § 877,477 bei Wegfall der Geschäftsgrundlage § 1435 zur Anwendung.478 Die condictio causa data causa non secuta (§ 1435 analog) ist nur zuständig, wenn Leistungen ohne bestehendes Schuldverhältnis erbracht wurden.479 Im Hinblick auf die Verjährung steht außer Streit, dass bei Fehlen der 110 Geschäftsgrundlage die kurze 3-jährige Verjährungsfrist des § 1487 per analogiam zur Anwendung kommt.480 Nach hM481 und der Jud482 soll der Wegfall der Geschäftsgrundlage dagegen der allgemeinen 30-jährigen Verjährungs­ frist unterliegen. Der OGH begründet das damit, dass die in § 1487 erfolgte Aufzählung von Ansprüchen erschöpfend und – da es sich um Ausnahmen von der allgemeinen Verjährungsfrist handle – einschränkend auszulegen sei; außerdem sei der Rückforderungsanspruch wegen Wegfalls der GeschäftsgrundRückabwicklung leicht möglich ist. Vgl Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6; OGH 7 Ob 553/82, MietSlg 34.131. 472  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6. 473  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 16; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 60; OGH 7 Ob 532/82, MietSlg 34.131; 5 Ob 541/87, wbl 1987, 212; 4 Ob 148/97m, MietSlg 49.070. 474  OGH 5 Ob 541/87, wbl 1987, 212. 475  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6a; Kerschner, wbl 1988, 213; Bezemek, Geschäftsgrundlage 93 f. 476  Peer, ZfRV 1994, 180 f, 184 (zum Reisevertrag). Zum Problem auch Roth, FS Krejci 1260 f. 477  Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 61. 478  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 7; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 18; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 60; Bezemek, Geschäftsgrundlage 93; OGH 8 Ob 532/82, MietSlg 34.130; 2 Ob 534/86, JBl 1987, 390; 8 Ob 312/00s. 479  Grundlegend Rummel, JBl 1976, 630; ders, JBl 1978, 451; ders in Rummel3 I § 901 Rz 7; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 18; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 15; Hofmann, 13. ÖJT II/2 39. 480  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 8; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 18; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 62; Mader/Janisch in Schwimann3 VI § 1487 Rz 12; M. Bydlinski in Rummel3 II § 1487 Rz 7; Dehn in KBB3 § 1487 Rz 3; Bezemek, Geschäftsgrundlage 91; OGH 4 Ob 134/84, RdW 1986, 377; 3 Ob 2199/96w, SZ 71/94; 1 Ob 34/98a, RdW 1998, 664. 481  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 8; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 901 Rz 16; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 901 Rz 62; Mader/Janisch in Schwimann3 VI § 1487 Rz 12; M. Bydlinski in Rummel3 II § 1487 Rz 7; Dehn in KBB3 § 1487 Rz 3. 482  OGH 7 Ob 192/72, EvBl 1973/87; 3 Ob 645/76, MietSlg 29.216; 5 Ob 576/83, SZ 57/208; 1 Ob 34/98a, RdW 1998, 664; 3 Ob 2199/96w, SZ 71/94.

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lage einer (der 30-jährigen Verjährung unterliegenden) Kondiktion wesentlich ähnlicher als der Irrtumsanfechtung. Die gegenteilige Auffassung von Wilburg, der auch für den Wegfall der Geschäftsgrundlage die Analogie zu § 1487 befürwortete,483 wurde ausdrücklich verworfen.484 Die Begründung des OGH überzeugt nicht. Zum einen sind Ausnahmebestimmungen durchaus analogiefähig, wenn die erforderliche Rechtsähnlichkeit gegeben ist.485 Wäre dem nicht so, hätte der OGH den – unzweifelhaft sachgerechten – Analogieschluss zu § 1487 ja auch für das Fehlen der Geschäftsgrundlage nicht ziehen können.486 Zum anderen überzeugt auch die behauptete Ähnlichkeit des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit einer Kondiktion nicht, da es nicht um die Rückforderung nach Beseitigung des Vertrages, sondern um dessen Beseitigung als solche geht.487 Man muss mE richtigerweise wie folgt differenzieren: Wenn der OGH zu Recht die Irrtumsähnlichkeit im Fall des Fehlens der Geschäftsgrundlage als Argument für die analoge Anwendung des § 1487 anführt, muss dasselbe gelten, wenn es innerhalb des Bereichs des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Fallgruppen gibt, die eine vergleichbare Ähnlichkeit mit einer Irrtumssituation haben. Diese Voraussetzung ist nach der hier vertretenen Auffassung488 und auch nach jener des OGH489 bei der „gemeinsamen Geschäftsgrundlage“ gegeben. Fehlen und Wegfall der Geschäftsgrundlage sind zwar, wie oben gezeigt wurde, in manchem unterschiedlich zu behandeln, da es einmal um einen Irrtum über Gegenwärtiges und das andere Mal um einen Irrtum über Zukünftiges geht.490 Diese Unterschiedlichkeit bezieht sich aber auf die Voraussetzungen, unter denen die Geschäftsgrundlagenstörung geltend gemacht werden kann; sie bei den Rechtsfolgen, insb auch im Verjährungsrecht fortzusetzen, besteht kein Anlass. Das heißt: Bei Wegfall der gemeinsamen Geschäftsgrundlage kommt § 1487 analog zur Anwendung, bei Wegfall der objektiven Geschäftsgrund­ lage (Äquivalenzstörung, Zweckstörung) die allgemeine Verjährungsfrist von 30 Jahren.491 Gem § 6 Abs 1 Z 14 KSchG kann auf die Geltendmachung des Fehlens 111 oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Verbrauchergeschäft im Vorhinein nicht verzichtet werden. Diese sehr generell wirkende Regel wird jedoch durch § 3a KSchG durchbrochen, der einen Aspekt der „subjektiven“ GeWilburg in Klang2 VI 490; ebenso Schubert in Rummel2 II § 1487 Rz 7. OGH 7 Ob 192/72, SZ 45/92; 3 Ob 645/76, MietSlg 29.216. 485  Vgl nur F. Bydlinski, Methodenlehre 440 mwN. 486  Zutr Bezemek, Geschäftsgrundlage 92. 487  Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 8. 488  Rz 53 f. 489  Rz 87. 490  Rz 67 ff. 491  Wer wie insb F. Bydlinski die Geschäftsgrundlagenproblematik zur Gänze mit einem weiter entwickelten Irrtumsrecht löst, benötigt die im Text angesprochene Differenzierung nicht, sondern kann auf Fehlen und Wegfall der Geschäftsgrundlage einheitlich die kurze Verjährung des § 1487 zur Anwendung bringen (ÖBA 1996, 503). Wie hier Vonkilch in § 914 Rz 66 FN 188. Rummel erwägt bei Wegfall der Geschäftsgrundlage eine analoge Anwendung des § 1489 (Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 8). 483  484 

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schäftsgrundlage regelt und dem Verbraucher ein Rücktrittsrecht einräumt, wenn ohne seine Veranlassung für seine Einwilligung maßgebliche Umstände, die der Unternehmer im Zuge der Vertragsverhandlungen als wahrscheinlich dargestellt hat, nicht oder nur in erheblich geringerem Ausmaß eintreten. Dieses Rücktrittsrecht kann nämlich vertraglich ausgeschlossen werden. Es wird lediglich verlangt, dass der Ausschluss im Einzelnen ausgehandelt wird (§ 3a Abs 4 Z 2 KSchG).492 Aus diesen nicht sehr konsistenten Regelungen des KSchG sollte nicht der Schluss gezogen werden, dass außerhalb des Verbraucherrechts ohne weiteres auf die Möglichkeit der Berufung auf das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage verzichtet werden kann. Auch hier bietet sich nämlich eine Differenzierung an: Das Fehlen der Geschäftsgrundlage und die Fallgruppe der „gemeinsamen Geschäftsgrundlage“ bei Wegfall der Geschäftsgrundlage weisen eine starke Ähnlichkeit mit dem Irrtumsrecht auf und sollten daher auch im Hinblick auf die Möglichkeit des Verzichts in Analogie zum Irrtumsrecht behandelt werden. Auf die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung kann bekanntlich (mit Ausnahme des listig herbeigeführten Irrtums) nach hM verzichtet werden.493 Außerhalb der „irrtumsnahen“ Geschäftsgrundlage, also in den Fällen der „objektiven“ Geschäftsgrundlage, ist dagegen Vorsicht geboten. Das trifft insb auf die Äquivalenzstörung zu, die nur dann eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage erlaubt, wenn sie eine „erhebliche Existenzverschlechterung“ für den Schuldner bewirkt.494 Ob man auf die Möglichkeit dieses Einwands im Voraus wirksam verzichten kann, ist mE fraglich.495 8. Sonstiges Zur clausula rebus sic stantibus bei Unterhaltsvereinbarungen vgl Hin- 112 teregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 94 Rz 83 ff; zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Reiseveranstaltungsverträgen vgl Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 31d KSchG Rz 26 ff; zum Einwen­ dungsdurchgriff bei Drittfinanzierung vgl Mayrhofer/Nemeth in Fenyves/ Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 18 KSchG Rz 1 ff bzw § 26c KSchG Rz 1 ff; Wendehorst in Wendehorst/Zöchling-Jud, Verbraucherkreditrecht (2010) § 13 VKrG Rz 1 ff. Zu all diesen Problemkreisen vgl die ausführliche Literaturangabe am Beginn der Kommentierung. Zu Anpassungklauseln, mit denen der Problematik nachträglicher Um- 113 standsänderungen begegnet werden soll, vgl Fenyves, Gutachten 102 ff und Berger, 13. ÖJT II/2 8 ff.

492  Auch das Rücktrittsrecht des Erwerbers gem § 5 BTVG, das bei Ausbleiben der Wohnbauförderung ausgeübt werden kann und nicht nur dem Verbraucher zusteht, kann vertraglich ausgeschlossen werden; vgl dazu EB RV 312 BlgNR 20. GP 16. 493  Vgl nur P. Bydlinski, AT5 Rz 8/23; Koziol/Welser13 I 161 mwN. 494  Vgl Rz 102. 495  Bedenken auch bei Bezemek, Geschäftsgrundlage 100 f.

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3) Zeit, Ort und Art der Erfüllung; § 902. (1) Eine durch Vertrag oder Gesetz bestimmte Frist ist vorbe­ haltlich anderer Festsetzung so zu berechnen, daß bei einer nach Tagen bestimmten Frist der Tag nicht mitgezählt wird, in welchen das Ereignis fällt, von dem der Fristenlauf beginnt. (2) Das Ende einer nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmten Frist fällt auf denjenigen Tag der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach seiner Benennung oder Zahl dem Tage des Ereignisses ent­ spricht, mit dem der Lauf der Frist beginnt, wenn aber dieser Tag in dem letzten Monat fehlt, auf den letzten Tag dieses Monats. (3) Unter einem halben Monate sind fünfzehn Tage zu verstehen, unter der Mitte eines Monats der fünfzehnte dieses Monats. IdF RGBl 1916/69 (III. Teilnovelle). Mat: 78 BlgHH, 21. Sess 1912.

Auszug aus dem europäischen Übereinkommen über die Berechnung von Fristen (EuFrÜb) BGBl I 254/1983 (EB RV 156 BlgNR 14. GP)

Artikel 1 (1) Dieses Übereinkommen ist auf die Berechnung von Fristen auf dem Gebiet des Zivil-, Handels- und Verwaltungsrechts einschließlich des diese Gebiete betreffenden Verfahrensrechts anzuwenden, soweit diese Fristen festgesetzt worden sind a) durch Gesetz, von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde, b) von einem Schiedsorgan, wenn dieses die Art der Fristenberechnung nicht bestimmt hat, c) von den Parteien, wenn die Berechnungsart von ihnen nicht ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart worden ist und sich auch nicht aus anwendbaren Bräuchen oder aus Gepflogenheiten, die sich zwischen den Parteien gebildet haben, ergibt. Das Übereinkommen ist jedoch nicht auf Fristen anzuwenden, die zurückberechnet werden. (2) Jede Vertragspartei kann, abweichend von Absatz 1, bei der Hinterlegung ihrer Ratifikations-, Annahme- oder Beitrittsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation erklären, daß sie die Anwendung aller oder einzelner Bestimmungen des Übereinkommens auf alle oder einzelne Fristen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts ausschließt. Jede Vertragspartei kann die von ihr abgegebene Erklärung jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation ganz oder teilweise zurücknehmen; diese Notifikation wird am Tag ihres Eingangs wirksam.

Artikel 2 Im Sinn dieses Übereinkommens bedeutet der Ausdruck „dies a quo‘‘ den Tag, an dem die Frist zu laufen beginnt, und der Ausdruck „dies ad quem‘‘ den Tag, an dem die Frist abläuft.

Artikel 3 (1) Fristen, die in Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren ausgedrückt sind, laufen von Mitternacht des dies a quo bis Mitternacht des dies ad quem.

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Überblick

§ 902

(2) Absatz 1 schließt jedoch nicht aus, daß eine Handlung, die vor Ablauf einer Frist vorzunehmen ist, am dies ad quem nur während der gewöhnlichen Amts- oder Geschäftsstunden vorgenommen werden kann.

Artikel 4 (1) Ist eine Frist in Wochen ausgedrückt, so ist der dies ad quem der Tag der letzten Woche, der dem dies a quo im Namen entspricht. (2) Ist eine Frist in Monaten oder Jahren ausgedrückt, so ist der dies ad quem der Tag des letzten Monats oder des letzten Jahres, der nach seiner Zahl dem dies a quo entspricht, oder, wenn ein entsprechender Tag fehlt, der letzte Tag des letzten Monats. (3) Ist eine Frist in Monaten und Tagen oder Bruchteilen von Monaten ausgedrückt, so sind zuerst die ganzen Monate und danach die Tage oder Bruchteile der Monate zu zählen; für die Berechnung von Bruchteilen von Monaten ist davon auszugehen, daß ein Monat aus 30 Tagen besteht.

Artikel 5

Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage werden bei der Berechnung einer Frist mitgezählt. Fällt jedoch der dies ad quem einer Frist, vor deren Ablauf eine Handlung vorzunehmen ist, auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder einen Tag, der wie ein gesetzlicher Feiertag behandelt wird, so wird die Frist dahin verlängert, daß sie den nächstfolgenden Werktag einschließt. Lit: Venier, Zur Berechnung der Haftfrist (zugleich Kritik an OGH 14 Os 57/94), AnwBl 1995, 478.

Übersicht I. Überblick II. Anwendungsbereich 1. Europäisches Fristenübereinkommen 2. EG-Fristen-VO III. Zurückzuberechnende Fristen IV. Abweichende Fristenberechnung V. Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen (Abs 2) VI. Bruchteile von Monaten oder Jahren VII. Nach Stunden bestimmte Fristen VIII. Andere Zeitangaben IX. Nicht zusammenhängende Zeiträume X. Exkurs: Prozessuale Fristen

1–8 9–25 17–24 25 26–28 29–31 32–33 34–35 36–37 38–39 40 41–43

I. Überblick Die §§  902 f regeln die Berechnung materiellrechtlicher Fristen des 1 Privatrechts,1 soweit vertraglich oder in anderen Gesetzen nicht Abweichendes vorgesehen ist. Sie sind auf rechtsgeschäftlich vereinbarte (Rz 10), gesetzlich bestimmte (Rz 11) und richterlich festgesetzte (Rz 13) materiellrechtliche 1  OGH 7 Ob 718/87, JBl 1988, 389 (König); 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 342; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1 und 1a; Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 5; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 902 Rz 1.

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Fristen anzuwenden. Zu beachten ist jedoch, dass den §§ 902 f durch das Euro­ päische Fristenübereinkommen weitgehend derogiert wurde (dazu unten II.1.). Die zentrale Regelung des § 902 besteht in der Anordnung, dass bei der Berechnung von Fristen, die in Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren angegeben sind, jener „angebrochene“ Tag, an den das die Frist auslösende Ereignis fällt, nicht mitzuzählen ist. Die Fristenberechnung beginnt erst um 0 Uhr des Folge­ tages zu zählen und erfolgt somit in ganzen Kalendertagen. Jener Bruchteil eines Kalendertages, der von dem die Frist auslösenden Ereignis bis zum darauf folgenden Tageswechsel vergeht, wird nicht berücksichtigt. Eine Frist von drei Tagen, die am 1. März um 14 Uhr zu laufen beginnt, endet daher am 4. März um 24 Uhr (vgl zur Festlegung des Fristendes mit 24 Uhr des letzten Tages § 903). Diese, als Zivilkomputation bezeichnete Methode der Fristenberechnung liegt nicht nur § 902, sondern auch Art 3 Abs 1 EuFrÜb zugrunde (zum EuFrÜb unten II.1.).2 Die Funktionsweise dieser Berechnungsmethode lässt sich an folgenden Beispielen illustrieren: Aufgrund der Zivilkomputation beginnen Gewährleistungsfristen nicht sofort mit der Ablieferung der Ware, sondern erst um 0 Uhr des auf die Ablieferung folgenden Tages zu laufen.3 Wird in einer Mahnung eine Frist gesetzt, so ist der 1. Tag der Frist nicht jener, an dem die Mahnung zugegangen ist, sondern der auf den Empfang der Mahnung folgende Tag.4 Im Gegensatz zur Zivilkomputation rechnet die so genannte Naturalkom­ putation (natürliche Fristenberechnung) von dem Augenblick an, in dem die Frist ausgelöst wird (dh von einer bestimmten Uhrzeit). Nach der Naturalkomputation endet eine am 1. März um 14 Uhr beginnende dreitägige Frist am 4. März um 14 Uhr. Das Fristende, das sich bei der Naturalkomputation von selbst ergibt, muss bei der Zivilkomputation eigens bestimmt werden und ist in § 903 und Art 3 Abs 1 EuFrÜb geregelt (vgl dazu § 903).5 Weil bei der Zivilkomputation der Tag, an dem das fristauslösende Ereignis eintritt, nicht mitgezählt wird, ist der Zeitraum von dem fristauslösenden Ereignis bis zum Fristablauf bei dieser Berechnung um jenen Bruchteil eines Tages länger als bei Naturalkomputation, der von dem fristauslösenden Ereignis bis zum Tageswechsel vergeht. Deshalb kann gesagt werden, dass die Zivilkomputation den Nachteil habe, dass die genaue Fristenlänge abhängig von der Tageszeit, zu der die Frist ausgelöst wird, schwankt und daher nicht ganz exakt ist.6 Die Zivilkomputation hat jedoch den Vorzug, dass sie die exakte Bestimmung des Anfangstermins erspart und das Fristende stets zu einem markanten Zeitpunkt (Tagesablauf) eintritt.7 Die Zivilkomputation ist international das vorherrschende Modell für die Fris­­tenberechnung. Sie liegt ebenso der EG-Fristen-VO (siehe zu dieser unten II.2.) wie dem Draft Common Frame of Reference Contract Law (Art I 1:110) zugrunde.8 2 

Zum EuFrÜb 5 Ob 147/98y, wobl 1999/76. OGH 1 Ob 619/24, SZ 6/257. 4  OGH 3 Ob 456/59, JBl 1960, 255. 5  So zu §§ 902 f auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 342. 6  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 343. 7  Repgen in Staudinger, BGB (2009) § 187 Rz 1. 8  DCFR Book I, 112 (notes zu 1:110). 3 

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Anwendungsbereich

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Feiertage und Wochenenden werden bei der Fristenberechnung mitge- 7 zählt und unterbrechen den Fristenlauf nicht. Sie hindern jedoch den Fristablauf (siehe § 903). Die Bestimmung der Uhrzeit ist in dem Zeitzählungsgesetz9 geregelt, 8 nach dem in Österreich die mitteleuropäische Zeit, dh die Zeit der Zeitzone des 15. Längengrades östlich von Greenwich maßgebend ist. Gem §  2 Zeitzählungsgesetz kann durch Verordnungen die Sommerzeit eingeführt werden.10 Die Sommerzeit ist seit der Richtlinie 2000/84/EG europäisch einheitlich geregelt. Datumsangaben richten sich in Österreich nach dem Gregorianischen Kalender.

II. Anwendungsbereich §§ 902 f sind auf alle materiellrechtlichen Fristen des Privatrechts an- 9 zuwenden.11 Daher ist die Formulierung der Überschrift der §§  897–913 zu eng, die bloß von „Nebenbestimmungen bei Verträgen“ spricht. Die §§ 902 f gelten nicht nur für vertragliche Fristen zur Erbringung der 10 geschuldeten Leistung, sondern für alle rechtsgeschäftlichen Fristen. Sie sind daher auch auf Kündigungsfristen,12 Mahnfristen13 und Fristen für die Mängelanzeige14 oder für die Anzeige des Versicherungsfalls15 anzuwenden. Rechtsgeschäftlicher Natur sind auch die Fristen bei einem gerichtlichen Vergleich wie Widerrufsfrist und Erfüllungsfrist, weil sie von den Parteien bestimmt werden.16 Weil die §§ 902 f Auslegungsregeln darstellen, geht eine ab­ weichende Parteienvereinbarung den Fristenberechnungsregeln der §§ 902 f vor. Die Vereinbarung kann ausdrücklich oder konkludent getroffen werden. Bei Ermittlung des objektiven Erklärungswerts einer Fristenvereinbarung sind auch die Verkehrssitten zu berücksichtigen.17 Eine konkludente Vereinbarung kann auch daraus ergeben, dass zwischen den Parteien eine andere Berechnung üblich ist (so ausdrücklich Art 1 Abs 1 lit c EuFrÜb). Die §§  902 f sind auch auf gesetzliche Fristen anzuwenden,18 wie zB 11 Verjährungs- und Ausschlussfristen19 und die Ersitzungsdauer. Aufgrund der 9 

BGBl I 1976/78. Sommerzeit 2007 bis 2011, BGBl II 2006/461. 11  OGH 7 Ob 718/87, JBl 1988, 389 (König); 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 342; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1 und 1a; Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 5; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 902 Rz 1. 12  OGH 1 Ob 783/33, SZ 15/169; 2 Ob 15/65, SZ 38/54. 13  OGH 3 Ob 456/59, JBl 1960, 255. 14  OGH 1 Ob 619/24, SZ 6/257. 15  OGH 7 Ob 43/87, VersE 1352. 16  Zur Widerrufsfrist zB OGH 2 Ob 18/69, SZ 42/26; 7 Ob 94/04f, SZ 2004/84. 17  OGH GlUNF 4885; siehe auch die ausdrückliche Erwähnung der „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ in Art 1 Abs 1 lit c EuFrÜb. 18  Herrenhausbericht zur 3. Teilnovelle (78 BlgHH, 21. Sess 1912) 149; OGH 7 Ob 718/87, JBl 1988, 389 (König); 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 342; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1 und 1a. 19  OGH 2 Ob 15/65, SZ 38/54 (unter ausdrücklicher Aufgabe der gegenteiligen Vorentscheidung 3 Ob 348/58, JBl 1959,101 = VersR 1960, 115 [abl Wahle]); 7 Ob 206/66, ÖJZ 1967/263; 7 Ob 718/87, JBl 1988, 389 (König); 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583; 1 Ob 37/93; 9 Ob A 103/95, JBl 10 

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Methode der Zivilkomputation ist etwa für die Vaterschaftsvermutung des § 163 der Zeitraum zwischen „Beiwohnung“ und der Entbindung nach ganzen Tagen zu zählen.20 Wird die Frist von dem Zeitpunkt der Beiwohnung berechnet, so ist daher der Tag der Beiwohnung nicht einzurechnen und als 1. Tag der Frist gilt der Tag nach der Beiwohnung;21 wird hingegen vom Tag der Geburt zurückgerechnet, so ergibt sich dasselbe Ergebnis wie bei der Berechnung ab der Beiwohnung dadurch, dass der Tag der Geburt nicht mitzuzählen ist.22 Gesetzliche Sonderbestimmungen, wie sie in § 64 UrhG und § 7 VersVG vorgesehen sind, gehen dem § 902 vor. Das EuFrÜb hat diesen Bestimmungen nicht derogiert, weil es auf Rechte, deren Umfang von der Laufzeit abhängig ist, nicht anwendbar ist (vgl Rz 21). Auch Fristen, die in richterlichen Verfügungen gesetzt werden, sind materiellrechtliche Fristen und werden daher von den Fristenberechnungsregeln des ABGB erfasst.23 Ein Beispiel dafür ist die in Urteilen festgesetzte Leistungsfrist. Zu beachten ist, dass das Europäische Fristenübereinkommens (EuFrÜb) als lex posterior innerhalb seines Anwendungsbereichs die §§  902 f verdrängt.24 Weil das EuFrÜb gem seinem Art  1 Abs  1 jedoch auf Fristen, die „zurückberechnet werden“, nicht anzuwenden ist, sind die §§ 902 f auf zurückzuberechnende Fristen nach wie vor anzuwenden.25 Zu beachten ist weiters, dass die Fristen zur Bestimmung von Leistungen, deren Umfang sich nach ihrer Dauer richtet, und die Vertragsdauer keine Fristen iSd EuFrÜb sind (siehe näher unten Rz 21). Soweit im öffentlichen Recht Regeln zur Fristenberechnung fehlen, wurden mehrfach die Regelungen der §§ 902 f analog angewandt.26 Zu beachten ist, dass das EuFrÜb auch Fristen des Verwaltungsrechts regelt.27 Die Regeln zur Fristenberechnung treffen keine Aussage darüber, welches Ereignis oder welche Handlung für die Einhaltung der Frist relevant ist. Vielmehr gibt die vertragliche Vereinbarung oder die gesetzliche Regelung, die die Frist und deren Länge festlegt, darüber Auskunft. Die Frist kann beispielsweise für die Erbringung einer Leistung oder die Abgabe einer Erklärung vorgesehen sein. Keine Frage der Fristenberechnung ist es daher auch, ob bei Fristen zur Abgabe einer Erklärung die Erklärung innerhalb der Frist bloß abgesendet oder vom Empfänger erhalten werden muss (vgl unten Rz 42). 1996, 536. 20  OGH GlUNF 2.275. 21  OGH GlUNF 2.275. 22  Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 163 Rz 11. 23  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 342; Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 10. 24  EB RV 156 BlgNR 16. GP 10; OGH 5 Ob 147/98y, immolex 1998/204; offen lassend, ob auch regelungsgleiche Vorschriften verdrängt werden OGH 3 Ob 40/99z, ZfRV 1999, 155. 25  OGH 5 Ob 137/01k, ecolex 2002/317. 26  ZB OGH 1 Ob 9/03k, SZ 2003/29 (Antragsfrist für die Verlängerung einer befristeten Aufenthaltsbewilligung gem § 6 Abs 3 Aufenthaltsgesetz); OLG Wien 1 Rs 107/88, SVSlg 33.345 (Wiederaufleben der Witwenpension zu § 265 ASVG); VwGH 2005/12/0099 (Versetzung in den Ruhestand); VwGH 95/12/0190 (Frist für Wahlvorschlag gem §  20 Abs  3 PVG). Eine analoge Anwendung auf die strafrechtliche Haftfrist befürwortet Venier, AnwBl 1995, 478. 27  Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1a.

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Anwendungsbereich

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1. Europäisches Fristenübereinkommen Österreich ist dem Europäischen Übereinkommen über die Berechnung von Fristen (EuFrÜb) beigetreten. Das Übereinkommen wurde von dem österreichischen Nationalrat genehmigt und ist unmittelbar innerstaatlich anwendbar.28 Es ist österreichisches Sachrecht und erfasst nicht nur internationale Sachverhalte sondern auch rein innerstaatliche Fälle.29 Das EuFrÜb wurde in Basel im Jahr 1972 von mehreren Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet. Ratifiziert wurde es allerdings neben Österreich nur von drei anderen Staaten (Luxemburg, Liechtenstein, Schweiz), sodass es nur in diesen Ländern in Geltung steht. Den österreichischen Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass dieses Übereinkommen eines der Ergebnisse einer österreichischen Initiative zur Vereinheitlichen der grundlegenden Rechts­ begriffe darstellt.30 Nach der Präambel zum EuFrÜb ist es das Ziel des Übereinkommens, eine „engere Verbindung“ zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats durch die Annahme gemeinsamer Rechtsvorschriften herzustellen. Der Anwendungsbereich des EuFrÜb erfasst nicht nur, wie § 902, materiellrechtliche Fristen, sondern alle Fristen des Zivil-, Handels- und Verwaltungsrechts einschließlich der diese Gebiete betreffenden Verfahrensrechte. Der Verweis auf das Zivil- und Handelsrecht ist in der englischen Fassung als „civil and commercial matters“ formuliert und umfasst das gesamte Privatrecht.31 Nicht unter das Übereinkommen fallen Fristen auf dem Gebiet des Verfassungsrechts, des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts.32 Art 1 Abs 1 EuFrÜb nimmt zurückzuberechnende Fristen von dem Anwendungsbereich des Übereinkommens aus (siehe zu diesen Fristen unten III.). Vgl zu einer weiteren Einschränkung des Anwendungsbereichs unten Rz 21). Dem EuFrÜb gehen zwischenstaatliche Abkommen und Normen, die auf zwischenstaatlichen Abkommen beruhen, vor.33 Spezielle Fristenberechnungsregeln, die in Umsetzung von zwischenstaatlichen Abkommen erlassen wurden, sehen Art 72 f WechselG und Art 55 f ScheckG vor.34 Das EuFrÜb erfasst Fristen, die durch Gesetz, Verordnung, Gericht, Verwaltungsbehörde oder von Schiedsorganen festgelegt werden. Es bezeichnet als „Gesetz“ jede generelle Rechtsvorschrift, sodass auch von Verwaltungsbehörden erlassene Verordnungen erfasst werden.35 Die Regelung der Fristen ist für vertragliche Fristen gem Art 1 Abs 1 lit c nur anwendbar, soweit die Parteien nicht ausdrücklich oder stillschweigend Anderes bestimmt haben oder sich Anderes aus den „anwendbaren Bräuchen“ (Art 1 Abs 1 lit c EuFrÜb) oder aus den „Gepflogenheiten, die sich zwischen den Parteien gebildet haben, ergibt“ (Art 1 Abs 1 lit c EuFrÜb). Dies ist mE als Verweis auf die allgemeinen Grund28 

BGBl 1983/254; EB RV 156 BlgNR 14. GP 8. EB RV 156 BlgNR 14. GP 8. 30  EB RV 156 BlgNR 14. GP 8. 31  Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1. 32  EB RV 156 BlgNR 14. GP 9. 33  EB RV 156 BlgNR 14. GP 11. 34  EB RV 156 BlgNR 14. GP 11. 35  EB RV 156 BlgNR 14. GP 9; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1. 29 

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sätze der Vertragsauslegung (§§ 914 f) zu verstehen; das EuFrÜb kommt daher auf vertragliche Fristenbestimmungen nur dann zur Anwendung, wenn sich der Parteienvereinbarung im Wege der Vertragsauslegung keine abweichende Berechnung entnehmen lässt. Betriebsvereinbarungen und Kollektivverträge stellen Parteienvereinbarungen iSd Art 1 Abs 1 lit c EuFrÜb dar.36 Nicht jede Zeitspanne, die rechtlich relevant ist, ist auch eine Frist iSd 21 EuFrÜb. Weil das EuFrÜb abweichenden gesetzlichen Bestimmungen derogierte,37 ist dies besonders hervorzuheben. Vor Inkrafttreten des EuFrÜb war die Einordnung als Frist von geringerer Bedeutung, weil die §§ 902 f nicht nur anderen vertraglichen Anordnungen sondern auch abweichenden gesetzlichen Regelungen weichen. Der „Explanatory Report“ zum EuFrÜb nimmt selbst eine Abgrenzung des Begriffes der Frist vor. Der Report hat zwar keinen autoritativen Charakter,38 aber stellt eine wichtige Auslegungshilfe dar, weil er von den Verfassern des EuFrÜb stammt. Punkt 9 der allgemeinen Überlegungen des „Explanatory Report“ zum EuFrÜb39 führt aus, dass Zeiträume, während denen periodisch Unterhaltsleistungen oder während denen andere Leistungen zu erbringen sind, von dem Übereinkommen nicht geregelt werden. Dasselbe gilt gem Punkt 10 des „Explanatory Report“ für die Vertragsdauer. Erläuterungspunkt 11 legt dar, dass keine Fristen iSd EuFrÜb vorliegen, wenn für gewisse Zeiträume Sozialleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld oder Wochengeld zustehen. Auch die Berechnung einer bestimmten Dienstdauer, die Voraussetzung für bestimmte Beschäftigung ist, richtet sich nach dem Erläuterungspunkt 11 nicht nach dem Übereinkommen. Es ist daher festzuhalten, dass keine Frist iSd EuFrÜb vorliegt, wenn es um die Bestimmung des Umfangs der Leistung geht, die über einen Zeitraum (periodisch oder andauernd) zu erbringen ist. In diesen Fällen wird der Umfang der Leistungspflicht durch die Zeit definiert, sodass die Berechnung des Zeitraumes besonders große Bedeutung hat. Nach den parlamentarischen Materialien zum EuFrÜb wurde § 7 VersVG 22 durch das EuFrÜb derogiert.40 Diese Ansicht, die auch in der Literatur vertreten wird,41 ist mE unzutreffend, weil das EuFrÜb gem Punkt 9 und 10 des „Explanatory Report“ weder die Vertragslaufzeit noch die Leistungsdauer bei wiederkehrenden oder periodischen Leistungen regelt (siehe oben Rz 21). Da § 7 VersVG den Deckungszeitraum der Versicherung regelt und anordnet, dass dieser von Mittag bis Mittag läuft, regelt er die Leistungsdauer und wird daher von dem EuFrÜb nicht berührt. Selbst wenn man der hier vertretenen Ansicht nicht folgt, kann die Anordnung des § 7 VersVG jedenfalls vertraglich verein-

Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1. Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 1; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 4. 38  Siehe I und II des „Explanatory Report“ (abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/ en/Reports/Html/076.htm, Zugriffsdatum 12.8.2011). 39  Abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/en/Reports/Html/076.htm (Zugriffsdatum 12.8.2011). 40  EB RV 156 BlgNR 14. GP 10. 41  Binder in Schwimann3 IV §  902 Rz 3; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  902 Rz 14; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 4. 36  37 

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bart werden.42 Auch die Mutterschutzfrist ist keine Frist iSd EuFrÜb, weil sie die Leistungsdauer regelt, sodass das EuFrÜb weder auf die Schutzfrist vor der Geburt43 noch auf jene nach der Geburt anzuwenden ist.44 Auf zeitlich begrenzte Rechte ist das EuFrÜb mE nicht anzuwenden, wenn 23 der Umfang des Rechts von der Zeit abhängig ist. Die Schutzdauer des UrhRG stellt daher keine Frist iSd EuFrÜb dar; die Berechnungsregel des § 64 UrhRG steht daher nicht in Widerspruch zum EuFrÜb steht und ist zulässig. Das EuFrÜb wurde bisher wenig beachtet, weil sich dessen Regelungen 24 mit § 902 decken. Hinsichtlich des Rechtserwerbs weicht § 903 jedoch vom EuFrÜb ab (siehe dazu bei §  903). Das EuFrÜb bedient sich einer anderen Terminologie als das ABGB und verwendet lateinische Begriffe: Es bezeichnet den Tag, an dem die Frist zu laufen beginnt, als „dies a quo“ und letzten Tag der Frist als „dies ad quem“ (Art 2 EuFrÜb). Während die Regel des § 902 inhaltlich mit den Anordnungen des EuFrÜb übereinstimmt, wurde §  903, 2. Satz durch das EuFrÜb derogiert. Das EuFrÜb enthält auch ergänzende, nähere Regelungen, wie zB zur Berechnung von Fristen, die aus ganzen Jahren und Bruchteilen von Jahren bestehen (Art 4 Abs 3 EuFrÜb, zu dieser Regel unten Rz 34). 2. EG-Fristen-VO Die Verordnung (EWG, Euratom) Nr 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 25 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine gilt gem ihrem Art 1 für Rechtsakte, die aufgrund des EG-Vertrages oder des Euratom-Vertrages erlassen werden. Sie gilt somit für in europäischen Verordnungen und Richtlinien bestimmte Fristen und bindet den nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung von RL.45 Richtigerweise ist die Verordnung auch direkt auf die Berechnung von Fristen in nationalen Rechtsvorschriften, die in Umsetzung von RL erlassen wurden, anzuwenden.46 Die Regelungen der EG-Fristen-VO stimmen mit dem EuFrÜb überein, aber sind etwas ausführlicher.

III. Zurückzuberechnende Fristen Von zurückzuberechnenden Fristen wird dann gesprochen, wenn Fristen 26 von einem feststehenden Endzeitpunkt in die Vergangenheit „rückwärtsrechnend“ bestimmt werden. Bei anderen Fristen wird – ausgehend von einem bestimmten Zeitpunkt – die Fristenlänge in die Zukunft gerechnet. Ein Beispiel für eine solche „rückwärtslaufende Frist“ ist die Mutter- 27 schutzfrist vor der Geburt eines Kindes, deren Anfangstermin durch RückrechReischauer in Rummel3 IV § 902 Rz 4. Die Mutterschutzfrist vor der Geburt des Kindes ist eine „zurückzuberechnende“ Frist, sodass das EuFrÜb ohnedies nicht anwendbar ist. 44  Zweifelnd, ob das MSchG auf die Mutterschutzfrist nach der Geburt anzuwenden ist Rei­schauer in Rummel3 I § 902 Rz 1 und 8. 45  Grothe in MüKoBGB5 § 186 Rz 2. 46  Repgen in Staudinger, BGB (2009) § 187 Rz 15; Wendehorst in Wendehorst/Zöchling-Jud (Hrsg), Verbraucherkreditrecht (2010) § 12 VKrG Rz 15; aA Grothe in MüKoBGB5 § 186 Rz 2. 42  43 

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nung von dem Geburtstermin ermittelt wird. Eine solche Frist liegt auch vor, wenn zB eine Kündigung, die mit dem Monatsletzten wirksam wird, 14 Tage zuvor einlangen muss. Zurückzuberechnende Fristen enthält auch § 221a Abs 2 Z 3 AktG: Nach dieser Vorschrift trifft die an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften die Pflicht einen Monat vor der Verschmelzung, einen Jahresabschluss vorzulegen, der sich auf ein Geschäftsjahr bezieht, das seit nicht mehr als sechs Monaten abgelaufen ist. Ob der Jahresabschluss aktuell genug ist, ist durch Rückrechnung von 6 Monaten von dem Zeitpunkt der Hauptversammlung zu bestimmen.47 Auch die Verpflichtung der Vorlage einen Monat vor der Hauptversammlung ist durch Rückrechnung von dem Datum der Hauptversammlung zu ermitteln. Weil zurückzuberechnende Fristen vom Anwendungsbereich des EuFrÜb 28 ausgenommen sind, richtet sich ihre Berechnung nach den §§ 902 f. Die Berechnung erfolgt spiegelbildlich zu jener bei in die Zukunft berechnenden Fristen. Siehe näher zur Anwendung des §  903, wenn der durch Rückrechnung errechnete Zeitpunkt auf einen Feiertag oder das Wochenende fällt, §  903 Rz 20.

IV. Abweichende Fristenberechnung Aus der Vertragsauslegung kann sich ergeben, dass die Parteien eine andere Fristenberechnung als jene der §§ 902 f vor Augen hatten. In diesem Fall geht die Parteienvereinbarung vor. Vereinbaren die Parteien etwa Zahlung bis „heute in 8 Tagen“, so ist davon auszugehen, dass die Parteien nicht eine achttägige Frist iSd §§ 902 f vor Augen hatten, sondern von einer Mitrechnung des ersten Tages ausgingen und daher die Frist an demselben Wochentag der nächsten Woche endet.48 Eine Grenze findet die Vereinbarung von Fristen dort, wo zwingende Bestimmungen der Vereinbarung entgegenstehen (zB arbeitsrechtliche Mindestkündigungsfrist gem § 20 Abs 2 AngG, Mindestkündigungsfrist für die ordentliche Kündigung des Kreditgebers gegenüber dem Verbraucher gem § 14 Abs 1 VKrG). Eine von den §§ 902 f abweichende Fristenberechnung liegt auch oft Leis­ 30 tungszeiträumen zugrunde, weil bei diesen zumeist der erste Leistungstag mitzuzählen ist. So ist etwa ebenso bei Beherbergungsverträgen der Anreisetag einzurechnen, wie zum Beispiel für die in Tagen bemessene Gültigkeitsdauer von Fahrkarten der erste Tag mitzählt.49 Ist eine wiederkehrende oder andauernde Leistung geschuldet, so ist nach der Vertragsauslegung bereits der erste Tag, an dem die Leistung erbracht wird, in die Fristberechnung einzubeziehen.50 Ist die geschuldete Arbeitsleistung am ersten Tag der Frist noch nicht zu erbringen, weil dieser auf einen arbeitsfreien Tag (zB Sonntag) fällt, so ist der erste Tag dennoch mitzuzählen.51 Dasselbe gilt für den arbeitsrechtlichen Pro29

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OGH 5 Ob 137/01k, ecolex 2002/317. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 344. 49  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 343 f. 50  Reischauer in Rummel3 I §  902 Rz 5; vgl zu Dienstverhältnissen zB OLG Wien 9 Ra 77/02p, Arb 12.211. 51  Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 5. 48 

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Bruchteile von Monaten oder Jahren

§ 902

bemonat.52 Des Weiteren ist auch bei dem Mietvertrag der erste Tag bereits mitzuzählen; der Räumungstermin ist das Ende des letzten Tages des Bestandverhältnisses.53 Auch hinsichtlich laufzeitabhängiger Ansprüche kann die Auslegung zu 31 von §  902 abweichenden Ergebnissen führen. So hat der OGH entschieden, dass für die „Wartefrist“ des Arbeitnehmers auf eine Jubiläumsgabe bereits der erste Tag des Dienstverhältnisses mitzuzählen ist.54

V. Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen (Abs 2) Die Berechnungsmethode von Wochenfristen gem § 902 Abs 2 führt zu 32 demselben Ergebnis, das sich ergibt, wenn Wochenfristen in Tagesfristen umgerechnet werden.55 Wird eine Wochenfrist als eine Frist von 7 Tagen verstanden, so endet die Frist in der darauffolgenden Woche an dem gleichnamigen Wochentag.56 Für Monatsfristen ordnet das Gesetz die „einprägsame und bequeme“57 33 Berechnungsmethode an, dass das Fristende auf den Tag mit der gleichen Zahl wie der Fristbeginn fällt,58 sodass zB eine Frist von 2 Monaten, die am 10. Januar zu laufen beginnt, am 10. März endet. Fehlt ein Tag mit dieser Zahl in dem Monat, in den das Ende der Frist fällt, so ist der letzte Tag des Monats heranzuziehen,59 sodass zB eine am 31. Oktober gesetzte einmonatige Frist am 30. November endet. Durch die ungleiche Dauer der Monate, kann die Anzahl von Tagen, die bei einer Monatsfrist zustehen, variieren.60

VI. Bruchteile von Monaten oder Jahren § 902 Abs 3 bestimmt, dass unter einem halben Monat 15 Tage zu verste- 34 hen sind. Dies entspricht der Regelung des Art 4 Abs 3 EuFrÜb, nach der bei der Berechnung von Bruchteilen von Monaten davon auszugehen ist, dass ein Monat aus 30 Tagen besteht. Zusätzlich ordnet Art 4 Abs 3 EuFrÜb an, dass bei einer Frist, die in Monaten und Tagen oder Monaten und Bruchteilen von Monaten ausgedrückt ist, zuerst die ganzen Monate und danach die Monatsbruchteile oder Tage zu zählen sind. Eine Frist von eineinhalb Monaten, die am 16. Juli zu laufen beginnt, endet daher am 31. August. 52  LG Wien 44 Cg 27/57, Arb 6602; ArbG Linz 1 Cr 41/62, Arb 7553; Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 16; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 13. 53  OGH 3 Ob 68/60, JBl 1960, 612; 8 Ob 647/93, wobl 1994/48; 1 Ob 299/98x, wobl 1999/161. 54  OGH 9 ObA 803/94, Arb 11.351. 55  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 344. 56  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 344. 57  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 344. 58  Schon vor Inkrafttreten des § 902 in der geltenden Form kam der OGH in GlUNF 4.885 aufgrund der Auslegung nach der Verkehrssitte zur Anwendung dieser Berechnungsmethode. 59  OGH 5 Ob 137/01k, ecolex 2002/317. 60  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 344.

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§ 902 35

Aichberger-Beig

Werden Bruchteile eines Jahres angegeben (zB ein halbes oder ein Vierteljahr), so ist das Jahr in 12 Monate zu zerteilen, sodass zB eine Frist von einem halben Jahr als eine Frist von 6 Monaten zu verstehen ist. Werden ganze Jahre und in Bruchteilen ausgedrückte Teile eines Jahres angegeben (zB eineinhalb Jahre), so sind mE in Analogie zu Art 4 Abs 3 EuFrÜb zuerst das ganze Jahr und danach die Monate zu zählen.

VII. Nach Stunden bestimmte Fristen 36

Die Berechnung von nach Stunden bestimmten Fristen ist weder im EuFrÜb noch in § 902 geregelt. Eine in Stunden ausgedrückte Frist legt das ABGB selbst in § 1075 (Einlösung Vorkaufsrecht) und in § 1116 (Aufkündigung) fest, in denen es eine Frist von 24 Stunden anordnet.61 Ist in Gesetz oder Vertrag eine in Stunden angegebene Fristlänge ohne nähere Angaben zur Berechnung derselben angegeben, so sind nach hM sind die Regelungen des §§ 902 f bzw des insoweit übereinstimmenden Art 3 Abs 1 EuFrÜb auf Stundenfristen analog anzuwenden, sodass „angebrochene“ Stunden nicht mitzuzählen sind.62 Erst die nächste volle Stunde wird somit gezählt. Beginnt eine Frist von 6 Stunden daher um 10 Uhr 15, so endet sie nach dieser Berechnungsmethode um 17 Uhr. §  68 Abs  5 BVergG, der die Berechnung von Stundenfristen im Vergaberecht regelt, ordnet diese Berechnungsmethode für Stundenfristen ausdrücklich an. Auch die EGFristen-VO regelt die Berechnung von Stundenfristen in diesem Sinn (Art  3 Abs 1 und 2). Anders als die hM befürwortet F. Bydlinski eine Berechnung von „Minute zu Minute“, nach der eine sechsstündige Frist, die um 10 Uhr 15 zu laufen beginnt, nach exakt 6 Stunden um 16 Uhr 15 und nicht, wie von der hM befürwortet, um 17 Uhr endet.63 Der DCFR löst die Frage mE sachgerecht folgendermaßen: Haben die Parteien (oder das Gesetz) ohne nähere Hinweise auf die Berechnungsmethode eine Stundenfrist festgelegt, so ist dies in Einklang mit der hM im Zweifel so auszulegen, dass die Parteien nur volle Stunden zählen wollten (DCFR I.-I: 110 Abs 3 lit a). Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn – was praktisch selten der Fall wird – die Parteien explizit die Anfangszeit der Frist nennen; ist dies der Fall, so ist aufgrund der ausdrücklichen Erwähnung der Anfangszeit davon auszugehen, dass sie von diesem Zeitpunkt an exakt die Stundenfrist berechnen wollten (so auch DCFR I.-I: 110 Abs 4 lit a). Haben die Parteien oder das Gesetz eine Stundenfrist festgelegt, bei der die 37 Stundenanzahl ein Vielfaches von 24 Stunden ist (zB 48 Stunden), so sind diese Fristen dennoch nicht auf Tagesfristen umzurechnen, weil das Gesetz bzw die Parteien eine Berechnung nach Stunden angeordnet haben.64 Eine Umrechnung auf Tage würde dazu führen, dass die Stundenanzahl, die bis zum Fristende vergeht, abhängig von der Tageszeit stark schwankt.65 Gschnitzer in Klang2 IV/1, 343. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 343; Binder in Schwimann3 IV §  902 Rz 17; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 14; offen lassend Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 4; aA in Deutschland Grothe in MüKoBGB5 § 187 Rz 8. 63  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 849. 64  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 343; Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 17; aA F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 849. 65  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 343. 61  62 

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Prozessuale Fristen

§ 902

VIII. Andere Zeitangaben § 902 Abs 3 regelt, dass unter „Mitte des Monats“ der 15. dieses Monats zu 38 verstehen ist, unabhängig davon, wie viele Tage der Monat zählt. Die Vertragsauslegung kann jedoch auch ergeben, dass die Parteien durch diese ungenaue Zeitangabe kein exaktes Datum bestimmen wollten, sondern den 10.–20. des Monats bezeichnen wollten.66 Andere Zeitangaben sind (zB im Sommer, zu Beginn des Jahres etc) wer- 39 den von § 902 nicht geregelt. Ihr Inhalt ist nach den allgemeinen Auslegungs­ regeln der §§ 914 f zu ermitteln. Unter „ultimo“ wird der letzte Tag des Monats verstanden.67

IX. Nicht zusammenhängende Zeiträume Weder im EuFrÜb noch in den §§ 902 f ist die Berechnung für Fälle gere- 40 gelt, in denen vertraglich ein bestimmter Zeitraum angegeben wurde, der jedoch nicht durchgehend verlaufen soll, sondern unterbrochen wird. Die Materialien zur 3. TN führen aus, dass eine solche „Detailvorschrift“68 im Dispositivrecht nicht notwendig sei.69 In dem deutschen § 191 BGB ist die Regelung enthalten, dass in diesem Fall ein Monat als 30 Tage und ein Jahr als 365 Tage zu verstehen ist. Diese Regelung wird dem Parteiwillen zumeist entsprechen.70 Die Vereinbarung, dass ein Sänger insgesamt drei Monate im Jahr auftreten soll, ist daher als Vereinbarung einer Auftrittspflicht im Umfang von 90 Tagen zu verstehen.71 Wäre hingegen eine unselbständige Dienstleistung vereinbart, so würde die Vertragsauslegung zu dem Ergebnis führen, dass drei Mal so viele Arbeitstage geschuldet sind, wie der Monat im Durchschnitt Arbeitstage hat.72

X. Exkurs: Prozessuale Fristen Nicht von den §§ 902 f erfasst werden prozessuale Fristen. Das EuFrÜb 41 hingegen regelt auch prozessuale Fristen. Weil sowohl materiellrechtliche als auch prozessuale Fristen nach den Regeln des EuFrÜb zu berechnen sind, ist für die Fristenberechnung die Abgrenzung zwischen materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Fristen, nicht von Bedeutung. Ist eine Erklärung innerhalb einer bestimmten Frist abzugeben, so muss 42 diese bei prozessualen Fristen typischerweise innerhalb der Frist bloß abge­ sendet werden,73 während die Frist bei materiellrechtlichen Fristen meist nur Gschnitzer in Klang2 IV/1, 345. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 344. 68  78 BlgHH, 21. Sess 149. 69  78 BlgHH, 21. Sess 149. 70  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 344; ders, SchRAT2 827; Reischauer in Rummel3 I §  902 Rz 7; Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 20. 71  Gschnitzer, SchRAT2 827. 72  Reischauer in Rummel3 I §  902 Rz 7; ihm folgend Binder in Schwimann3 IV §  902 Rz 20. 73  Vgl § 89 GOG. 66  67 

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§ 903

Aichberger-Beig

gewahrt ist, wenn dem Empfänger die Erklärung innerhalb der Frist zugeht.74 Welches Ereignis bis zum Fristende eintreten soll, wird weder vom EuFrÜb noch von §§ 902 f geregelt.75 Weder §§ 902 f noch das EuFrÜb treffen eine Aussage darüber, ob bei Fristen zur Abgabe einer Erklärung der Postlauf einzurechnen ist oder nicht.76 Prozessuale Fristen sind solche, die entweder durch ein Verfahren ausge43 löst werden oder die in einem Verfahren laufen.77 Für die Abgrenzung zwischen prozessualen und materiellrechtlichen Fristen ist nicht entscheidend, in welchem Gesetz die Frist vorgesehen ist.78 Die Frist zur Erhebung der Besitzstörungsklage ist zB eine materiellrechtliche, obwohl sie sich in § 454 ZPO findet.79 Ein wichtiger Unterschied zwischen prozessualen und materiellrechtlichen Fristen besteht darin, dass nur in verfahrensrechtliche Fristen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist.80

§ 903. Ein Recht, dessen Erwerbung an einen bestimmten Tag gebun­ den ist, wird mit dem Anfang dieses Tages erworben. Die Rechtsfolgen der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit oder eines Versäumnisses treten erst mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist ein. Fällt der für die Abgabe einer Erklärung oder für eine Leistung bestimmte letzte Tag auf einen Sonntag oder anerkannten Feiertag, so tritt an dessen Stelle, vorbehaltlich gegenteiliger Vereinbarung, der nächstfolgende Werktag. IdF RGBl 1916/69 (III. Teilnovelle). Mat: 78 BlgHH, 21. Sess 1912. Lit: Gschnitzer, Verschiedene Zeitrechnung im allgemeinen Privatrecht und im Arbeitsrecht?, DRdA 1954, Heft 10, 3; Iro, Anm zu 4 Ob 18/75, ZAS 1976, 21; Grillberger, Anm zu 4 Ob 26/75, DRdA 1976, 339; Wachter, Anm zu 8 Ob A 286/94, RdA 1995, 323; Mörkelsberger, Zum Anspruch auf Weihnachtsremuneration nach dem Kollektivvertrag für das Baugewerbe – Ein Kommentar zur Entscheidung 4 Ob 50/74, DRdA 1976, 139; Binder, Eine fehlerhafte Kündigung, DRdA 1980, 231.

Übersicht I. Anwendungsbereich des § 903 und des EuFrÜb II. Regelungsgehalt III. Verzug (§ 903, 2. Satz) IV. Ablaufshemmung (§ 903, 3. Satz) 74 

1–2 3–9 10 11–21

Vgl § 862a. Ausnahmen bestehen zB in § 3 Abs 4 KSchG und § 5 Abs 4 KMG. Zum EuFrÜb Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 4. 76  Punkt 21 des „Explanatory Report“ zum EuFrÜb erläutert dies ausdrücklich. 77  RIS-Justiz RS0048465. 78  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 342; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 3. 79  ZB Gschnitzer in Klang2 IV/1, 342; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 9; Bollenberger in KBB3 § 902 Rz 4; OGH 5 Ob 2124/96f, SZ 70/34. 80  ZB Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 2. 75 

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Regelungsgehalt

§ 903

I. Anwendungsbereich des § 903 und des EuFrÜb § 903 ist wie § 902 auf alle materiellrechtlichen Fristen des Privatrechts 1 anzuwenden (siehe § 902 II.). Zu beachten ist jedoch, dass die Bestimmungen des EuFrÜb den §§ 902 f 2 teilweise derogierten (siehe § 902 II.1.). Weil das EuFrÜb alle materiell- und verfahrensrechtlichen Fristen des Zivil- und Verwaltungsrechts mit Ausnahme zurückzuberechnender Fristen erfasst (siehe § 902 II.1.), verbleibt im Bereich der Fristenberechnung als Anwendungsbereich für § 903 die Berechnung zu­ rückzurechnender materiellrechtlicher Fristen des Privatrechts.1 Weiters ergibt sich aus den eindeutigen Äußerungen der Verfasser des EuFrÜb in dem „Explanatory Report“2, dass das EuFrÜb auf Leistungszeiträume nicht anwendbar ist, wenn sich der Umfang der Leistung nach diesem Zeitraum richtet (näher § 902 Rz 21). Die Berechnung der Mutterschutzfrist richtet sich daher nicht nur hinsichtlich der Zeitspanne vor der Geburt des Kindes, sondern auch hinsichtlich des Zeitraumes nach der Geburt nicht nach dem EuFrÜb sondern nach § 903.3

II. Regelungsgehalt Tritt ein Rechtserwerb oder Rechtsverlust an einem bestimmten Tag ein, so 3 stellt sich die Frage, wann an diesem Tag dieses Ereignis eintritt, weil ein Tag selbst ein Zeitraum von 24 Stunden ist.4 Die Regelung des § 903 definiert das Fristende für Rechtserwerb und Rechtsverlust unterschiedlich. § 903, 1. Satz regelt, dass ein Rechtserwerb, der an einem bestimmten Tag eintritt (zB durch Ersitzung), bereits mit Beginn des Tages stattfindet. § 903, 2. Satz bestimmt, dass die Rechtsfolgen eines Versäumnisses (zB Verjährungsfristen) und die Verzugsfolgen erst mit Ablauf des letzten Tages der Frist eintreten. Die Literatur versteht § 903, 2. Satz jedoch in dem weitergehenden Sinn, dass alle Fälle eines Rechtsverlusts (zB infolge Eintritts der Nacherbschaft, Verlust des Eigentums infolge Ersitzung durch eine andere Person) erst mit Ablauf des Endtages eintreten.5 Diese Regelung wirft Probleme auf, wenn mit dem Rechts­ erwerb einer Person der Rechtsverlust einer anderen Person verbunden ist, wie dies bei Eintritt des Nacherbfalles der Fall ist, zu dem der Nacherbe anstelle des Vorerben die Erbenstellung erlangt,6 oder bei der Ersitzung, mit der gleichzeitig ein Rechtsverlust des (zuvor) dinglich Berechtigten eintritt. Seit Inkrafttreten des EuFrÜb, das dem § 903 als lex posterior derogierte, tritt das Problem jedoch nicht mehr auf, weil das EuFrÜb Rechtserwerb und Rechts1 

OGH 5 Ob 137/01k, ecolex 2002/317. S Explanatory Report, http://conventions.coe.int/Treaty/en/Reports/Html/076.htm (Zugriffsdatum 12.8.2011) Erläuterungspunkte 9, 10 und 11. 3  So im Ergebnis VwGH 503/59, VwSlg 5746 A/1962 (jedoch vor Inkrafttreten des EuFrÜb); Binder in Schwimann3 IV § 903 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 2; zweifelnd Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1 und 8. 4  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 346. 5  Binder in Schwimann3 IV §  903 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 1. 6  OGH GlUNF 4.956. 2 

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§ 903

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Aichberger-Beig

verlust einheitlich regelt. Das Übereinkommen bestimmt in Art 3 Abs 1, dass der Fristablauf stets – auch hinsichtlich von Rechtserwerben – erst mit Ablauf des letzten Tages der Frist eintritt. Die Regeln des § 903 sind nur außerhalb des Anwendungsbereiches des EuFrÜb anzuwenden. Das EuFrÜb ist auf die Mutterschutzfrist vor Geburt des Kindes nicht anwendbar;7 die Mutterschutzfrist beginnt bereits mit Beginn des ersten Tages der Schutzfrist.8 Unter analoger Anwendung des § 903 im Sozialversicherungsrecht wurde entschieden, dass das Wiederaufleben der Pension bereits mit Beginn des betreffenden Tages eintritt.9 Eine Regelung, nach der der Fristablauf generell erst mit Ablauf des letzten Tages der Frist eintritt, enthalten auch die EG-Fristen-VO (Art 3 Abs 2) und der DCFR (I. I:119: Abs 2 lit b und c). Dass der Fristenlauf erst um Mitternacht des letzten Tages der Frist endet, bedeutet nicht notwendigerweise, dass der Schuldner auch bis zu diesem Zeitpunkt noch die Möglichkeit hat, fristgerecht Erklärungen abzugeben oder Leistungen zu erbringen. Art 3 Abs 2 EuFrÜb erläutert, dass die Regelung zum Fristablauf nicht ausschließt, dass eine vor Ablauf der Frist ablaufende Handlung nur während der gewöhnlichen Amts- oder Geschäftsstunden vorgenommen werden kann. Eine solche Regelung enthielt auch der inzwischen aufgehobene § 358 HGB; die Aufhebung wird in den Gesetzesmaterialien damit begründet, dass sich die Regelung bereits aus der Vertragsauslegung ergebe.10 Nach der Vertragsauslegung ist daher zu ermitteln, wann eine Handlung erbracht werden kann. Zu beachten ist auch, dass Erklärungen nicht zu jeder Tageszeit zugehen können: Wird etwa ein Brief nach Ende der Geschäftsstunden in den Briefkasten eingeworfen, so gilt er erst am nächsten Tag als zugegangen.11 EuFrÜb und § 903 erfassen nicht bloß die Bestimmung eines Endtermins durch den Fristenlauf sondern auch die Terminfestsetzung.12 Eine scharfe, logische Trennung zwischen diesen beiden Fällen ist auch oft nicht möglich. Das EuFrÜb und § 903 weichen abweichender Parteienvereinbarung. Diese kann ausdrücklich oder schlüssig erfolgen (Art 1 Abs 1 lit c EuFrÜb). Den Parteien steht es daher selbstverständlich frei, das Fristende mit einer bestimmen Uhrzeit festzulegen.13 Vereinbaren die Parteien, dass die Leistung an einem bestimmten Tag fällig sein soll, so meinen sie damit meist, dass der 7  Die Unanwendbarkeit ergibt sich jedenfalls daraus, dass es sich um eine zurückzuberechnende Frist handelt, die daher gem Art 1 Abs 1 EuFrÜb vom Anwendungsbereich des EuFrÜb ausgeschlossen ist. ME ist die Frist schon deshalb nicht von dem EuFrÜb erfasst, weil sie die Leistungsdauer betrifft (siehe näher § 902 Rz 21). 8  VwGH 503/59, VwSlg 5746 A/1962. 9  OLG Wien 31 Rs 107/88, SVSlg 33.345. Dies ist mE richtig, da Leistungszeiträume von dem EuFrÜb nicht geregelt werden (siehe § 902 Rz 21). 10  EB RV 1058 BlgNR 22. GP 58. 11  OGH 4 Ob 14/66, EvBl 1966/309; vgl näher zum Zugang von Willenserklärungen zB Koziol/Welser13 I 112; Rummel in Rummel3 I § 862a Rz 2. 12  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 348; Mörkelsberger, DRdA 1976, 139 (142); OGH 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583 (hinsichtlich Erklärungsfristen und -terminen); aA Binder in Schwimann3 IV § 903 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 2. 13  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 348.

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Ablaufshemmung (§ 903, 3. Satz)

§ 903

Anspruch schon mit Beginn des Tages entstehen soll.14 Zu beachten ist jedoch, dass die Verzugsfolgen erst mit dem ungenutzten Verstreichenlassen der Frist eintreten (dazu unten III). Wie die Verfasser des EuFrÜb in dem „Explanatory Report“ zum EuFrÜb 9 festhalten, ist das Übereinkommen auf den Beginn von Altersstufen nicht anzuwenden.15 Weil diese Materialien zum EuFrÜb bisher nicht Eingang in die Literatur gefunden haben, mussten holprige Argumentationswege beschritten werden, um die Anwendung des EuFrÜb auf die Alterstufenregelung zu vermeiden.16 Richtigerweise ergibt sich jedoch schon aus den Materialien, dass eine Anwendung des EuFrÜb auf die Altersstufen historisch nicht gewollt war. Eine Altersstufe wird daher bereits mit Anfang des Tages erreicht, an dem der Jugendliche den entsprechenden Geburtstag feiert; ein Jugendlicher wird mit dem Beginn jenes Tages volljährig, an dem er seinen 18. Geburtstag feiert.17

III. Verzug (§ 903, 2. Satz) Sobald Fälligkeit eingetreten ist, kann die geschuldete Leistung gefordert 10 werden. Ist daher eine Leistung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu erbringen, so wird der Anspruch auf diese Leistung bereits mit Beginn der Leistungsfrist erworben.18 Deshalb entsteht der Anspruch auf eine in der 1. Dezemberhälfte vom Arbeitsgeber zu zahlende Weihnachtsremuneration mit dem 1. Tag des Dezembers.19 Erst nach Ablauf des Fälligkeitstermins bzw des Fälligkeitszeitraumes tritt jedoch Verzug ein.

IV. Ablaufshemmung (§ 903, 3. Satz) Gem § 903 endet die Frist für die Abgabe einer Erklärung oder einer Leis- 11 tung erst am darauf folgenden Werktag, wenn der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag oder einen anerkannten Feiertag fällt. Feiertage beeinflussen den Lauf grundsätzlich nicht, aber hindern deren Ablauf. Hinsichtlich vertraglicher Fristen dient § 903, 3. Satz als Auslegungsregel, durch die der Gesetzgeber eine Anordnung treffen wollte, die dem hypothetischen Parteiwillen entspricht.20 Die Ablaufshemmung gilt nicht nur für Willenserklärungen, sondern auch für Reischauer in Rummel3 I § 903 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 3. General consideration 8 des „Explanatory Report“. 16  Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1, argumentiert, dass es schwer vorstellbar sei, dass das EuFrÜb in die Altersstufenregelung eingreifen wollte. Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 16 und ihm folgend Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 13 gelangen zu demselben Ergebnis unter Berufung auf den Zweck der Altersstufenregelung. 17  Im Ergebnis ebenso Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 1; Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 16; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 13. 18  OGH 4 Ob 100/73, Arb 9173; 4 Ob 50/74, DRdA 1976, 159; Binder in Schwimann3 IV § 903 Rz 2; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 902 Rz 3. 19  OGH 4 Ob 50/74, DRdA 1976, 159; zustimmend Mörkelsberger, DRdA 1976, 139 (insb 142). 20  Herrenhausbericht zur 3. Teilnovelle (78 BlgHH, 21. Session 1912) 149. 14  15 

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Fristen zur Abgabe von Wissenserklärungen.21 Sie ist auch auf Verjährungsfristen anzuwenden.22 Der Zweck der Ablaufshemmung liegt darin, Störungen der Wochenendund Feiertagsruhe zu vermeiden.23 Die Ablaufshemmung schützt den Handelnden, der eine Erklärung abzugeben oder eine Leistung zu erbringen hat, indem sie ihm bei Fristablauf an einem Feiertag die Möglichkeit einräumt, die Frist durch eine Handlung am nachfolgenden Tag einzuhalten. Bei zurückzurechnenden Fristen wirkt die Ablaufshemmung richtigerweise spiegelbildlich (siehe auch unten Rz 20): Die Ablaufshemmung führt bei zurückzurechnenden Fristen wie bei anderen Fristen zu einer Verlängerung des Fristenlaufs. Die Handlung muss daher an dem Tag vor dem Feiertag, auf den das Fristende fällt, erbracht werden, um fristgerecht zu sein. In diesem Fall dient die Ablaufshemmung dem Schutz des Empfängers der Erklärung (bzw der Leistung).24 Weil zurückzuberechnende Fristen einen bestimmten Abstand zu dem Endtermin gewährleisten sollen (zB der Kündigung zum Vertragsende), wird die Frist im Interesse des Empfängers verlängert. Gesetzliche Feiertage sind gem dem Feiertagsruhegesetz25 der 1. Jänner, 6. Jänner, Ostermontag, 1. Mai, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, 15. August, 26. Oktober, 1. November, 8., 25. und 26. De­zember. Landesgesetzliche Feiertage (Tage des Landespatrons) sind keine gesetzlichen Feiertage iSd § 903.26 Die Ablaufshemmung tritt nicht nur bei Fristablauf an einem Sonntag oder einem gesetzlich anerkannten Feiertagen ein, sondern aufgrund des Bundesgesetzes über die Hemmung des Fristenlaufs überdies bei Fristablauf an Samstagen und am Karfreitag.27 Für das Jahr 1999 und für das Jahr 2001 wurde der Fristablauf am 31. Dezember gesetzlich ausgeschlossen.28 In Sonderbestimmungen sind die erfassten Feiertage leicht abgeändert: Weitergehend ist im Scheck- und Wechselrecht (Art 72 Abs 3 WechselG; Art 55 Abs 3 ScheckG) vorgesehen, dass auch der 24. Dezember einem Feiertag gleichzuhalten ist. Nach der Sonderregel in § 68 BVergG zählt der Karfreitag nicht als Feiertag. Die Materialien zur 3. Teilnovelle erläutern, dass § 903 bloß eine Auslegungsregel ist und daher nicht nur gesetzlich anerkannte Feiertage im Rahmen der Vertragsauslegung zu berücksichtigen sind.29 Die Vertragsauslegung 21  OGH 7 Ob 43/87, VersE 1352; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 348; Binder in Schwimann3 IV § 903 Rz 7; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 7. 22  OGH 2 Ob 15/65, SZ 38/54 (unter ausdrücklicher Aufgabe der gegenteiligen Vorentscheidung 3 Ob 348/58, JBl 1959,101 = VersR 1960, 115 (abl Wahle)); 7 Ob 206/66, ÖJZ 1967/263; 7 Ob 596/87; 7 Ob 718/87, JBl 1988, 389 (König); 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583; 1 Ob 37/93. 23  Gschnitzer, AT2 (1992) 828; ders in Klang2 IV/1, 348; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 8 und § 903 Rz 7; Wachter, Anm zu 8 ObA 286/94, RdA 1995, 332. 24  Ähnlich auch OGH 1 Ob 783/33, SZ 15/169; Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 8. 25  BGBl 1957/153. 26  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 349; Binder in Schwimann3 IV § 903 Rz 7 (zu EuFrÜb); Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 8. 27  BGBl 1961/37 idF BGBl 1963/189. 28  BGBl 1999/186; BGBl 2001/64. 29  Herrenhausbericht zur 3. Teilnovelle (78 BlgHH, 21. Session 1912) 149.

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Ablaufshemmung (§ 903, 3. Satz)

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kann daher ergeben, dass auch an anderen Tagen eine Ablaufshemmung geboten ist, wie dies etwa dann der Fall sein wird, wenn der Endtermin der Frist nach den Konfessionen beider Vertragspartner ein hoher religiöser Feiertag ist (zB islamisches Opferfest für Muslime). Soweit das EuFrÜb anwendbar ist, richtet sich die Ablaufshemmung nach 16 Art 5 EuFrÜb. Gem Art 5 tritt Ablaufshemmung ein, wenn der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder auf einen Tag, der wie ein gesetzlicher Feiertag behandelt wird, fällt. Gem Art 11 EuFrÜb hat jedes Land, das dem Übereinkommen beitritt, bei Ratifikation anzugeben, welche Tage unter Art 5 EuFrÜb fallen. Österreich hat die oben in Rz 13 genannten Feiertage bekannt gegeben, sodass sich bezüglich der Ablaufshemmung die Rechtslage außerhalb und innerhalb des Anwendungsbereichs des EuFrÜb deckt.30 Von der gesetzlichen Ablaufshemmung kann durch Vereinbarung abge­ 17 wichen werden. So kann nach dem Vertrag zB gerade die Lieferung oder Dienstleistung an einem Sonntag gewollt sein.31 Von einer konkludenten Abbedingung der Ablaufshemmung ist zB dann auszugehen, wenn die Parteien in der Vereinbarung anführen, dass das Fristende am Wochenende liegt (zB „bis Sonntag, den 21. August 2011“). Hingegen liegt in der datumsmäßigen Nennung des Endtermins (zB „bis 21. August 2011“), der auf einen Sonntag oder Feiertag fällt, noch keine Abbedingung der Ablaufshemmung,32 weil die Parteien oft nicht bedacht haben werden, dass dieser Tag kein Werktag sein wird.33 Von einer Abbedingung des § 903, 3. Satz ist nur dann auszugehen, wenn den Parteien bei Festsetzung des Datums bewusst war, dass es sich um einen Feiertag bzw einen Tag am Wochenende handelt.34 Der OGH beschäftigte sich in einer Entscheidung mit einem Sachverhalt, in dem eine Partei unentgeltlich auf die Einrede der Verjährung für einen Zeitraum bis zu einem datumsmäßig bezeichneten Endtermin, der auf einen Samstag fiel, verzichtete.35 Der OGH verneinte die Ablaufshemmung und berief sich darauf, dass bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften gem § 915 im Zweifel von der geringeren Belastung des freigebig Leistenden auszugehen sei; gegenüber der Klage, die an dem darauf folgenden Montag nach dem Endtermin erhoben wurde, durfte die Partei sich daher nach dem OGH bereits auf den Einwand der Verjährung berufen.36 Dieser Entscheidung ist von Reischauer widersprochen worden, der betont, dass in diesem Fall keine unklare Äußerung vorlag und die dispositve Ablaufshemmung von den Parteien nicht abbedungen wurde.37 Reischauers Kritik ist mE zuzustimmen. § 903, 3. Satz trifft genau für den entscheidungsS auch Reischauer in Rummel3 I § 903 Rz 6. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 349; ders, AT2 (1992) 828; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 10. 32  OGH 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583; 9 ObA 44/08y, DRdA 2008, 441; offen lassend 1 Ob 620/95, SZ 68/230; aA Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 9. 33  Reischauer in Rummel3 I § 903 Rz 8. 34  Davon ging der OGH offenbar in 2 Ob 18/69, SZ 42/26 aus. 35  OGH 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583. 36  OGH 4 Ob 546/92 = JBl 1993, 583; zustimmend Binder in Schwimann3 IV § 902 Rz 9. 37  Reischauer in Rummel3 I § 903 Rz 8. 30  31 

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Aichberger-Beig

gegenständlichen Fall Vorsorge, dass die Frage der Ablaufshemmung offen geblieben ist. Weil die Parteien den Fristablauf am Wochenende nicht bedacht hatten, liegt diesbezüglich keine Vereinbarung vor, die ausgelegt werden könnte, sodass auch kein Raum für die Unklarheitenregel des § 915 besteht. Die Lücke füllt daher § 903, 3. Satz als dispositives Recht. Hinsichtlich andauernd oder periodisch zu erbringender Leistungen 18 führt die Vertragsauslegung zumeist zu dem Ergebnis, dass der Leistungszeitraum auch an Feier- und Wochenendtagen enden kann.38 Die Anwendung des § 903, 3. Satz würde dazu führen, dass der Umfang der Leistung sich erweitert. Daher enden Arbeitsverträge und Mietverträge auch an Wochenenden. Ebenso kann die Mutterschutzfrist an einem Wochenende auslaufen.39 Strittig ist, ob die Probezeit des § 1158 Abs 2 sich verlängert, wenn das 19 Ende der Probezeit auf das Wochenende fällt, sodass am nächsten Werktag eingehende Beendigungserklärungen noch rechtzeitig wären.40 ME gilt für die Probezeit das oben in Rz 18 Gesagte: Wie sonstige Dauerschuldverhältnisse läuft auch die Probzeit am Wochenende aus. In Einklang mit der Judikatur des OGH41 ist daher, wenn das Ende der Probezeit auf das Wochenende fällt, die am darauffolgenden Montag ausgesprochene Beendigungserklärung des Arbeitgebers verspätet. Im Gegensatz zum OGH liegt der Grund dafür jedoch mE nicht in der zwingenden Wirkung des § 1158 Abs 2 zugunsten des Arbeitnehmers; die Lösung stimmt vielmehr mit allgemeinen Grundsätzen überein; auch der Arbeitnehmer hätte zu diesem Zeitpunkt die Probezeit nicht mehr beenden können. Bei zurückzurechnenden Fristen ist die Ablaufshemmung „spiegelbild20 lich“ anzuwenden.42 Fällt daher der nach der Kündigungsfrist des § 20 AngG letztmögliche Kündigungstermin auf einen Feiertag, so muss die Kündigung an dem vorangehenden Tag eingehen, um rechtzeitig zu sein.43 Zurückzurechnende Fristen sichern dem Empfänger der Erklärung bzw Leistung einen bestimmten Abstand zu dem fristauslösenden Ereignis (zB einen Abstand zwischen Kündigung und Vertragsauflösung). Die spiegelbildliche Ablaufshemmung, die den Fristenlauf verlängert, dient daher dem Interesse des Erklä38 

Rz 10.

Reischauer in Rummel3 I § 903 Rz 9; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  903

39  Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 8 und § 903 Rz 9; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 10. 40  Gegen die Anwendung der Ablaufshemmung OGH 8 ObA 286/94, RdA 1995, 332 (abl Wachter); Arb Sbg Cr 124/54, Arb 6032; Arb Linz 1 Cr 41/62, Arb 7553; Binder in Schwimann3 IV § 903 Rz 11; kritisch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 348; aA Krejci in Rummel3 I §§ 1158–1159c Rz 77; Wachter, Anm zu 8 ObA 286/94, RdA 1995, 323; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 11. 41  OGH 8 ObA 286/94, RdA 1995, 332 (abl Wachter). 42  Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 8; ihm folgend Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGBON § 903 Rz 12. 43  Wie hier auch Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 8 und Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 903 Rz 12; mit anderer Begründung auch OGH 1 Ob 783/33, SZ 15/169; 4 Ob 18/75, SZ 48/48 = ZAS 1976, 20 (abl Iro); 4 Ob 26/75, DRdA 1976, 338 (abl Grillberger); Binder in Schwimann3 IV § 903 Rz 13; ders, RdA 1980, 231 (234); aA Gschnitzer, RdA 1954, Heft 10, 3; Iro, ZAS 1976, 22 f; Grillberger, RdA 1976, 339.

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Literatur

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rungsempfängers (siehe auch oben Rz 12). Fällt daher der letzte Tag, den der Arbeitgeber gem § 20 Abs 2 AngG für die Kündigung zur Verfügung hat, auf das Wochenende oder einen Feiertag, so ist die am darauf folgenden Tag zugegangene Kündigungserklärung – in Einklang mit der Judikatur44 – nicht mehr als rechtzeitig anzusehen. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht, – wie dies von dem OGH vertreten wird – mit dem zwingenden Charakter der arbeitsrechtlichen Kündigungsfristen zu begründen, sondern ergibt sich aus der spiegelbildlichen Anwendung des § 903, die bei allen zurückzuberechnenden Kündigungsrechten stattzufinden hat.45 In grenzüberschreitenden Fällen ist die Frage der Ablaufshemmung 21 nicht nur nach dem auf die Verpflichtung anwendbaren Recht zu beurteilen. Weil gem Art 12 Abs 2 Rom I-VO „in Bezug auf die Art und Weise der Erfüllung“ das Recht des Staates, in dem die Erfüllung erfolgt, zu berücksichtigen ist, sind die Feiertage am Erfüllungsort zu beachten.46 Für in europäischen Rechtsakten vorgesehene Fristen ordnet Art 2 Abs 1 der EG-Fristen-VO (siehe zu dieser § 902 II.2) an, dass die Feiertage desjenigen Mitgliedstaats zu berücksichtigen sind, in dem „die Handlung vorgenommen werden soll.“

§ 904. Ist keine gewisse Zeit für die Erfüllung des Vertrages bestimmt worden; so kann sie sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub, gefor­ dert werden. Hat der Verpflichtete die Erfüllungszeit seiner Willkür vor­ behalten; so muß man entweder seinen Tod abwarten, und sich an die Erben halten; oder, wenn es um eine bloß persönliche, nicht vererbliche, Pflicht zu tun ist, die Erfüllungszeit von dem Richter nach Billigkeit fest­ setzen lassen. Letzteres findet auch dann statt, wenn der Verpflichtete die Erfüllung, nach Möglichkeit, oder Tunlichkeit versprochen hat. Übrigens müssen die Vorschriften, welche oben (§§ 704–706) in Rücksicht der den letzten Anordnungen beigerückten Zeitbestimmung gegeben werden, auch hier angewendet werden. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Kitka, Zur Erläuterung des § 904 des allg bürg Gesetzbuches, Gerichts-Zei­ tung 1855/Nr 11; Nastelski, Die Zeit als Bestandteil des Leistungsinhalts, JuS 1962, 289; Beck-Mannagetta, Die Fälligkeit einer Schadenersatzforderung, ÖJZ 1970, 315; F. Bydlinski, Fälligkeit und Grundlagen des Entgeltanspruches bei Störungen in der Erfüllung des Kauf- und Werkvertrags, JBl 1973, 281; Wimmer, Die Einrede der Unsicherheit in Zielschuldverhältnissen, ÖJZ 1980, 449; Koziol, „Rückstehungserklärungen“ von Ausgleichsgläubigern, RdW 1988, 342; Dullinger, Anerkennung einer Mietzinsforderung durch Aufrechnungserklärung oder Stundungsersuchen?, wobl 1994, 44  OGH 1 Ob 783/33, SZ 15/169; 4 Ob 18/75, SZ 48/48 = ZAS 1976, 20 (abl Iro); 4 Ob 26/75, RdA 1976, 338 (abl Grillberger). 45  So auch Reischauer in Rummel3 I § 902 Rz 8 und Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGBON § 903 Rz 12. 46  ZB Spellenberg in MüKoBGB5 Art 12 Rom I-VO Rz 69.

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142; B. Jud, Gesetzliche Verzugszinsen und Eigentumsvorbehalt – ein Richtlinienentwurf der EU, ecolex 1998, 683; Korab/Reidinger, Die Fälligkeit des Honoraranspruches des Rechtsanwaltes, AnwBl 1999, 212; Krejci, Über Bauverzögerungen und ihre Rechtsfolgen, ÖZW 1999, 65; Schachinger, Die Bauverzögerung (1999); Addorisio de Feo, Die Fälligkeit von Vertragsforderungen – Eine Untersuchung zum schweizerischen Schuldvertragsrecht (2001); Graf, Die Neuregelung der Rechtsfolgen des Zahlungsverzugs, wbl 2002, 437; Gruber, Fälligkeit des Zahlungsanspruches gegen den Feuerversicherer, JBl 2003, 234; Jabornegg, Fälligkeit des Zahlungsanspruches gegen den Feuerversicherer kraft staatsanwaltschaftlicher Bestätigung?, JBl 2003, 599; Andréewitch/Steiner, Rechtsfragen zur Software-Benutzerdokumentation, RdW 2004, 327; Veenker, Die Fälligkeit von Geldleistungen des Versicherers (2008); Hawel, Rechtzeitigkeit von Banküberweisungen, RdW 2009, 189; P. Bydlinski, Gedanken zur Geldschuld, speziell zur Erfüllung bei der Buchgeldzahlung – Eine Skizze zum österrei­ chischen Recht unter europäischem Einfluss, in FS Posch (2011) 109; Frizberg, Die neue ZahlungsverzugsRL: Zahlungsmoral versus Vertragsfreiheit, ÖJZ 2011, 629; Scheiber, Zahlungsverzug-Richtlinie und Zivilrechtsharmonisierung (2011).

Übersicht I. Normzweck II. Fälligkeit und Erfüllbarkeit III. Bestimmung der Fälligkeit 1. Allgemeines 2. Vereinbarung der Parteien a) Willkürvorbehalt (§ 904 Satz 2) b) Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit (§ 904 Satz 3) c) Bedingung und Befristung d) Bestimmungsrecht des Gläubigers e) Einzelfälle 3. Gesetzliche Sonderregelungen 4. Natur der Sache 5. Subsidiäre Bestimmung nach § 904 Satz 1 IV. Rechtsfolgen V. Stundung VI. Prozessuales VII. Internationale Regelungen

1–3 4–8 9−53 9–11 12–39 14–18 19–29 30–33 34–35 36–39 40–43 44–48 49–53 54−60 61−70 71−77 78−79

I. Normzweck 1

Zu den bedeutendsten Modalitäten der Leistung zählt neben dem Erfüllungsort (§ 905) die „Zeit für die Erfüllung“ (Leistungszeit); die Einhaltung dieser Erfüllungsmodalitäten ist vor allem ausschlaggebend dafür, ob der Schuldner „zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort“ iSd §  918 leistet. §  904, Satz 1 normiert eine dispositive Regelung, welche eine Bestimmung der Leis­ tungszeit mangels (ausdrücklicher oder konkludenter) Parteienvereinbarung, gesetzlicher Regelung oder Bestimmung durch die Natur der Sache (§ 1418) 182

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vorsieht. § 904 Satz 2 (Willkürvorbehalt) und 3 (Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit) regeln hingegen Sonderfälle vertraglicher Leistungszeit­ bestimmung. Durch den in §  904 Satz 4 aufgenommenen Verweis auf die §§ 704−706 wird klargestellt, dass die erbrechtlichen Befristungsregelungen auch bei Verträgen und Rechtsgeschäften unter Lebenden zur Anwendung gelangen. Dies entspricht der Regelungstechnik des § 897 (s dort), der qua Verweisung die erbrechtlichen Bedingungsregelungen auch auf Rechtsgeschäfte unter Lebenden für anwendbar erklärt.1 Wie sich bereits aus § 1417 erhellt, gilt die in § 904 vorgesehene Regelung 2 – sofern keine Sondernormen bestehen (s Rz 40) – für sämtliche (gesetzlichen und vertraglichen) Schuldverhältnisse unabhängig von ihrem Entstehungsgrund.2 Die Regelung des § 904 gelangt erst dann zur Anwendung, wenn eine Ver- 3 pflichtung besteht und somit lediglich die Erfüllungszeit unbestimmt ist, nicht aber wenn die Pflicht zur Erfüllung selbst in Frage steht.3 Das Fehlen einer Vereinbarung über die Leistungszeit hindert das wirksame Zustandekommen des Vertrags nicht4, sofern diese weder durch sondergesetzliche Regelungen (vgl etwa § 936, § 3 BauRG5, § 4 BTVG6) noch kraft Parteiwillens zum wesentlichen Vertragsbestandteil erhoben wurde7.

II. Fälligkeit und Erfüllbarkeit Da der Begriff der Fälligkeit mehrdeutig verwendet wird8, bedarf es zu- 4 nächst einer Festlegung, was darunter zu verstehen ist: Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, zu dem (oder von dem an) der Gläubiger die Leistung fordern kann und der Schuldner diese erbringen muss.9 Sofern weder die Parteien anderes vereinbart haben noch abweichende gesetzliche Regelungen bestehen, 1 

Gschnitzer in Klang2 IV/1, 350 und 358; vgl auch Nippel, Erläuterungen VI, 118. Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 1; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 351; Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 1; Koziol/Welser13 II 37; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 1; OGH GlU 5329 (Versionsanspruch); 6 Ob 330, 331/62, EvBl 1963/185; 1 Ob 547/90, JBl 1991, 190 (Pflichtteilsanspruch); 3 Ob 60/56, EvBl 1956/217; 1 Ob 511/92, SZ 65/5, JBl 1992, 388 = RdW 1993, 205 (Verwendungsanspruch); vgl zu Schadenersatzansprüchen OGH GlUNF 5781; 2 Ob 23/82, ZVR 1982/323; OLG Wien 31.3.1998, 15 R 39/98k; zu letzteren vgl noch Rz 48. 3  Vgl bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 350; im Anschluss daran OGH 6 Ob 330, 331/62, EvBl 1963/185; 7 Ob 187/68, EvBl 1969/177. 4  So bereits OGH GlU 16041; GlUNF 7273; 1 Ob 122/00y, RdW 2001, 145. 5  Vgl Spruzina in Schwimann3 III § 3 BauRG Rz 11. 6  Böhm/Pletzer in Schwimann2 IV § 4 BTVG Rz 14. 7  S dazu etwa OGH GlU 3303; 1 Ob 122/00y, RdW 2001, 145; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 2, 10a. 8  Nach Gernhuber, Erfüllung und ihre Surrogate2 (1994) 53, ist der Begriff der Fälligkeit rechtstheoretisch überhaupt von geringem Wert; zu den Facetten des Fälligkeitsbegriffs vgl bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 351 und 353. 9  Im Ergebnis wie hier Bollenberger in KBB3 §  904 Rz  1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 1; OGH 2 Ob 31/07h, ÖBA 2008/1513; dies wird bei Koziol, Haftpflicht­recht I3 Rz 15/1, als „Fälligkeit im engeren Sinn“ bezeichnet; aA aus der Perspektive des Schweizer Rechts Addorisio de Feo, Fälligkeit Rz 26 ff, der für die Definition der Fälligkeit lediglich darauf abstellt, dass der Gläubiger fordern kann. 2 

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hat der Schuldner in diesem Zeitpunkt die Leistungshandlung zu setzen, nicht aber den Leistungserfolg herzustellen.10 Fallen Leistungshandlung und Leistungserfolg zeitlich auseinander, wie dies bei der Schickschuld der Fall ist11, so stellt sich daher die Frage, wer die Verzögerungs- oder Verspätungsge­ fahr trägt (insb zur Frage der Zahlungsverzögerung vgl bei §  905). Für die Beurteilung der Gefahrtragung lässt sich §  904 aber mE nichts entnehmen. Zum einen regelt diese Bestimmung lediglich wann der Schuldner die Erfüllungshandlung vornehmen muss, nicht aber welche Handlung und wo diese vorzunehmen ist. All diese Faktoren sind jedoch letztlich ausschlaggebend dafür, ob die Leistung rechtzeitig erbracht wurde. Zum anderen lässt sich die Tragung der Verspätungsgefahr nicht unabhängig von dem Charakter der Schuld (Holschuld, Bringschuld, Schickschuld; zu all dem näher bei §  905) beurteilen. Im Fall der Schickschuld etwa hat der Schuldner rechtzeitig geleistet, wenn er den Leistungsgegenstand zu dem nach §  904 bestimmten Zeitpunkt an seinem Wohnsitz an den Gläubiger absendet. Der Gläubiger trägt hierauf nach hA die Gefahr einer Verzögerung des Eintritts des Leistungserfolgs.12 Darüber hinaus umfasst der Begriff der Leistungszeit neben der Fälligkeit 5 auch die Erfüllbarkeit.13 Unter Erfüllbarkeit versteht man jenen Zeitpunkt, zu dem (oder von dem an) der Schuldner berechtigt ist, zu leisten. Da beide Parteien gleichermaßen an die Leistungszeit gebunden sind, fallen Fälligkeit und Erfüllbarkeit in der Regel zusammen, sodass der Gläubiger nicht vorher fordern, der Schuldner aber auch nicht vorher leisten darf (vgl §  1413).14 Demgegenüber galt im römischen Recht der Grundsatz, dass die Leistungszeit im Zweifel nur zugunsten des Schuldners gesetzt sei, sodass dieser berechtigt war, die Leistung vor Fälligkeit zu bewirken.15 Diesem Grundsatz folgen § 271 Abs 2 BGB und Art 81 OR, wobei jedoch zum einen der vorzeitig zahlende Schuldner – vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen – nicht zum Abzug von Zwischenzinsen berechtigt ist (vgl § 272 BGB und Art 81 Abs 2 OR) und zum anderen der vorzeitigen Erfüllung kein besonderes In­ teresse des Gläubigers an der Einhaltung der Leistungszeit entgegenstehen darf.16 10  In diese Richtung Gschnitzer, SchRAT 43; vgl auch Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 271 Rz 1; Gernhuber, Erfüllung2 58; im Anschluss an diesen Hawel, RdW 2009, 190. 11  Rabl, ecolex 2004, 602; ders, Die Gefahrentragung beim Kauf (2002) 111. 12  Vgl nur Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 5; Gschnitzer, SchRAT 43; vgl aber die Kritik bei P. Bydlinski, FS Posch 112. 13  Vgl etwa Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 15/1; in diesem Sinn differenziert auch überwiegend die deutsche und schweizerische Lehre; s dazu nur Krüger in MüKoBGB5 §  271 Rz 2  f; Stadler in Jauernig, BGB13 § 271 Rz 2 f; Weber in Berner Kommentar OR2 Art 81 Rz 40. 14  Ehrenzweig, System II/12, 84; Mayrhofer, SchRAT 78; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 2; Zeiller, Commentar III 88; OGH SZ 6/125; 1 Ob 658/78, SZ 51/103, EvBl 1979/112; vgl auch RIS-Justiz RS0033301. 15  Im Gemeinen Recht wurde dieser Grundsatz durch die Rechtsregel diei adiecto pro reo est umschrieben; vgl zum Ganzen Gröschler in Schmoeckel/Rückert/Zimmermann, HKK BGB II/1 §§ 269–272 Rz 22 f. 16  Vgl zum deutschen Recht etwa Bittner in Staudinger, BGB (2009) §  271 Rz 22; zum Schweizer Recht Weber in Berner Kommentar OR2 Art 81 Rz 12 ff.

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Fälligkeit und Erfüllbarkeit

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Das österreichische Recht erlaubt die vorzeitige Erfüllung hingegen nur 6 in gesetzlichen Sonderregelungen; dazu zählen insbesondere: § 977 (Zurückstellung der Sache durch den Entlehner vor Ablauf der Leihzeit17); § 16 VKrG18 (vorzeitige Rückzahlung von Verbraucherkrediten), §§  18 HypBG und §  8 PfandbriefG19 (jederzeitige Kündigung und Rückzahlung von Hypotheken), §  10 LiegTeilG20 (vorzeitige Zahlung an Hypothekargläubiger zur Ermöglichung der lastenfreien Abtrennung eines Grundstücks von einem Grundbuchskörper) sowie § 153 EO21 (Kündigungs- und Rückzahlungsrecht des Erstehers einer zwangsversteigerten Liegenschaft); hingegen zählt die in § 14 Abs 2 IO normierte Fiktion der Fälligkeit mE nicht zu den Fällen vorzeitiger Erfüllbarkeit, weil diese Bestimmung dem Gläubiger einer betagten Forderung lediglich die Teilnahme am Insolvenzverfahren, nicht aber dem Gemeinschuldner die Erfüllbarkeit vor Fälligkeit, ermöglichen soll.22 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert zudem nichts an der Fälligkeit von Aktivforderungen der Masse.23 Darüber hinaus kann die Auslegung der Parteienvereinbarung unter Berücksichtigung der Natur des Rechtsverhältnisses und der Verkehrssitte nach § 914 zu einer Erfüllbarkeit vor Fälligkeit führen.24 Als Lehrbuchbeispiel dient in diesem Zusammenhang die vorzeitige Erfüllbarkeit eines unverzins­ lichen Darlehens, bei dem der Gläubiger keine Kapitalanlageinteressen verfolgt.25 Von der Berechtigung des Schuldners vorzeitig zu leisten, ist jedoch die 7 nachträgliche Änderung des vereinbarten Fälligkeitstermins zu unterscheiden.26 Außerdem ist der Gläubiger in Ausnahmefällen – spiegelbildlich zur vorzeitigen Erfüllung – berechtigt, vorzeitig zu fordern, der Schuldner darf aber nicht von sich aus früher leisten; so kann bei der Verwahrung (§ 962) der Hinterleger die vorzeitige Rückgabe fordern, der Verwahrer die Sache aber nicht vor Fälligkeit zurückstellen.27 Liegt der vorzeitigen – vom Gläubiger angenommenen – Leistung bloß ein 8 Irrtum über die Fälligkeit einer richtigen und unbedingten Schuld zugrunde, so ist der Schuldner nicht zur bereicherungsrechtlichen Rückforderung berechtigt (§ 1434 Satz 2; etwas anders gilt jedoch nach § 37 Abs 1 WEG, § 14 Abs 1 17  18 

Rz 1.

S dazu nur Schubert in Rummel3 I § 977 Rz 1. Vgl dazu Wendehorst in Wendehorst/Zöchling-Jud, Verbraucherkreditrecht (2010) §  16

19  Das Recht des Schuldners, die Hypothek zu kündigen und zurückzuzahlen kann jedoch für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen werden; vgl Wendehorst in Wendehorst/Zöchling-Jud, Verbraucherkreditrecht (2010) § 16 Rz 55 ff. 20  Mayrhofer, SchRAT 79. 21  Angst in Angst, EO2 § 153 Rz 1. 22  Apathy in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht3 §  14 KO Rz  12; Schett, RdW 1995, 250. 23  OGH 6 Ob 581/87, RdW 1988, 354; 24.4.1990, 4 Ob 511/90. 24  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352; ders, SchRAT 43. 25  Gschnitzer, SchRAT 43. 26  In der E OGH 7 Ob 556/91, ÖBA 1992/324, ecolex 1991, 845, wurde bspw eine schlüssige Fälligkeitsvereinbarung für den Fall angenommen, dass der Kreditnehmer mit Blick auf eine vorzeitige Rückzahlung um Saldenbekanntgabe ersucht und die Bank daraufhin den Saldo – wenn auch unrichtig – bekannt gibt. 27  Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 48; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352.

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BTVG).28 Der vor Fälligkeit (schuldbefreiend) leistende Solidarschuldner hat allerdings erst in dem Zeitpunkt, in dem die Schuld fällig geworden wäre, einen Regressanspruch nach § 896 gegen seine Mitschuldner.29

III. Bestimmung der Fälligkeit 1. Allgemeines 9

Die Fälligkeit bestimmt sich vorbehaltlich zwingender gesetzlicher Regelungen30 primär nach der (ausdrücklichen oder konkludenten) Vereinbarung der Parteien (vgl Rz  12). In diesem Zusammenhang kommt, mangels ausdrücklicher Vereinbarung, der Natur und dem Zweck des Vertrags bei der Erforschung des Parteiwillens – wie bei der Vertragsauslegung nach § 914 im allgemeinen31 – eine maßgebliche Bedeutung zu.32 So ist bspw beim Darle­ hensvertrag mangels ausdrücklicher Vereinbarung eines Rückzahlungstermins darauf abzustellen, zu welchem Zweck das Darlehen gewährt wurde; eine sofortige Rückforderbarkeit ist mit dem Wesen des Darlehenvertrags in der Regel nicht vereinbar.33 Überziehungskredite sind hingegen mangels gegenteiliger Vereinbarung sofort fällig.34 Für bestimmte Fälle sieht das Gesetz besondere Fälligkeitsregelungen vor (vgl Rz 40). Subsidiär ist die „Natur der Sache“ ausschlaggebend35, und zwar nicht allein für die Bestimmung der Fälligkeit vertraglicher Leistungen im Wege der Vertragsauslegung nach § 914, sondern auch – wie sich aus § 1418 erhellt – für gesetzliche Schuldverhältnisse (s Rz 44 ff).36 Darüber hinaus kommt in den Fällen des § 904 Satz 2 und 3 die 28  Rummel in Rummel3 II/3 §  1434 Rz 4; OGH 9  ObA 109/90, ecolex 1990, 567; 6 Ob 113/05v, bbl 2005/176; krit Koziol in KBB3 § 1434 Rz 2, der bei irrtümlicher vorzeitiger Leistung einen auf ein angemessenes Entgelt oder die gezogenen Zinsen gerichteten Bereicherungsanspruch nach § 1431 erwägt. Umstr ist zudem, ob Rückforderbarkeit nicht dann besteht, wenn dem Leis­ tenden eine Einrede nach § 1052 oder ein Zurückbehaltungsrecht zur Verfügung gestanden hätte; vgl dazu Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1434 Rz 3 mwN. 29  Treffend Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 896 Rz 14. 30  Reischauer in Rummel3 II/2b § 1334 Rz 3. 31  Vgl nur Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 32 und 70. 32  So bereits Zeiller, Commentar III 90; vgl auch Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 1; Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 8; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 2; OGH 1 Ob 122/00y, RdW 2001, 145; 2 Ob 31/07h, ÖBA 2008/1513; 9 ObA 28/10y. 33  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 353; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 4; im Anschluss daran Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 1; vgl auch OGH GlU 9308; 6 Ob 552/84; 6 Ob 326/99f, RZ-EÜ 2000/12; 1 Ob 160/07x, ÖBA 2008/1489 = EFSlg 118.071 = Zak 2008/162 = HS 38.326; tendenziell gegenteilig jedoch noch GlU 13893; GlU 15164; GlU 16041; 4 Ob 48/35, JBl 1935, 232. 34  OGH 7 Ob 526/89, ÖBA 1989, 922; 2 Ob 273/98f, ÖBA 2001/940 = ZIK 2000/211; 9 Ob 24/04a, ÖBA 2005/1301 = ZIK 2005/150; zu dieser E vgl auch Bollenberger, ÖBA 2005, 683; eine insolvenzrechtliche Anfechtung der (Überziehungskredit‑)Rückzahlung wegen inkongruenter Deckung (§ 30 Abs 1 Z 1 IO) scheidet daher in diesen Fällen aus. 35  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352; Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 1; Bydlinski, JBl 1973, 286; OGH 4 Ob 91/73, SZ 46/112 = EvBl 1974/70 = Arb 9164 = ZAS 1974, 217 (Koppensteiner); 11.9.1986, 7 Ob 592, 593/86. 36  Koziol in KBB3 § 1418 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 8.

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Bestimmung der Fälligkeit

§ 904

Bestimmung der Fälligkeit durch richterlichen Gestaltungsakt in Betracht (Rz 24). Die dispositive Regelung des § 904 Satz 1, nach welcher der Gläubiger 10 die Leistung „sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub fordern kann“, greift daher erst dann ein, wenn die Leistungszeit nicht bereits durch eine Parteienvereinbarung, besondere gesetzliche Regelungen oder die Natur der Sache bestimmt wird.37 Hinterlässt das Fehlen einer Fälligkeitsbestimmung eine planwidrige Vertragslücke, so stellt sich die (umstrittene) Frage, wie sich die er­ gänzende Vertragsauslegung zum dispositiven Recht – in casu zu §  904 Satz 1 – verhält. Im Grundsatz ist der Vorrang des dispositiven Rechts vor der Vertragsergänzung nach der Verkehrssitte anerkannt; andernfalls wären dispositive Regelungen weitgehend obsolet.38 Von dieser Regel ist jedoch für das vorliegende Verhältnis mE aus folgenden Gründen eine Ausnahme zu machen: Sowohl der Wortlaut von § 904 Satz 1 als auch die sich aus der systematischen Zusammenschau mit § 1418 ergebende besondere Bedeutung der Natur der Sache für die Bestimmung der Fälligkeit legen eine besondere Subsidiarität der dispositiven Fälligkeitsregelung nahe. Dieses Ergebnis bestätigt auch ein Blick über die Grenze, denn sowohl § 271 Abs 1 BGB39 als auch Art 75 OR40 werden dahingehend ausgelegt, dass die Vertragsergänzung der dispositiven Fälligkeitsregelung vorgeht. Vereinzelt wurde in der älteren Judikatur jedoch zu Unrecht bereits dann auf §  904 Satz 1 zurückgegriffen, wenn die Vereinbarung über die Leistungszeit unbestimmt ist.41 Im Ergebnis dürfte eine ergänzende Vertragsauslegung jedoch vielfach mit der Anwendung von § 904 Satz 1 übereinstimmen, weil „ohne unnötigen Aufschub“ gem § 904 Satz 1 von der hA so ausgelegt wird, dass dem Vertragspartner die im redlichen Geschäftsverkehr übliche Zeit zur Verfügung stehen muss.42 Die gesetzliche oder vertragliche Bestimmung der Leistungszeit erfolgt in 11 der Regel in der Form, dass die Leistungshandlung zu einem bestimmten 37  Für einen Rückgriff auf § 904 Satz 1 vgl nur OGH GlU 1509; GlU 10770; GlU 13893; GlU 14176; GlU 15164; GlUNF 457; GlUNF 7391; 1 Ob 122/00y, RdW 2001, 145. 38  Vgl zum Ganzen Gschnitzer in Klang2 IV/1, 413; Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 178; Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 100; Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 22 jeweils mwN. 39  Als Begründung wird zum Teil ins Treffen geführt, dass es sich bei § 271 Abs 1 BGB um eine „höchst subsidiäre Norm“ ohne Gerechtigkeitsgehalt handle; so etwa Medicus, Allgemeiner Teil des BGB9 Rz 341; Roth in Staudinger, BGB (2010) § 157 Rz 24; zum Teil wird jedoch be­reits darauf abgestellt, dass sich nach § 271 Abs 1 BGB die Leistungszeit vorrangig aus den „Umständen“ ergeben könne, worunter auch ergänzende Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände zu verstehen sei; in diese Richtung Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 5; Stadler in Jauernig, BGB13 § 271 Rz 13, nach der zu den Umständen auch der „mutmaßliche Wille der Beteiligten“ zählt. 40  Art 75 OR stellt vorrangig auf die „Natur des Rechtsverhältnisses“ ab, dies ist nach hA als Verweis auf die Vertragsergänzung nach hypothetischem Parteiwillen zu verstehen; vgl ausführlich Addorisio de Feo, Fälligkeit Rz 577 und spezielle zur Vorrangsfrage Rz 584. 41  OGH GlUNF 3681; treffend hingegen 8 Ob 505/90, NZ 1992, 58 (Hofmeister). 42  Vgl Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 28; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 5; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 21; OGH 7 Ob 510/84, HS XVI/XVII/3; 30.5.1985, 7 Ob 567/85.

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(oder bestimmbaren) Zeitpunkt (Termin43) oder innerhalb eines bestimm­ ten Zeitraums (Frist) vorzunehmen ist.44 Für die Berechnung von Terminen und Fristen enthalten die §§ 902 und 903 dispositive Regelungen (s dort). Sofern weder Parteienvereinbarung noch Vertragszweck etwas anderes bestimmen, steht bei Vereinbarung einer Leistungsfrist dem Schuldner bei der Schickund Bringschuld die Konkretisierung des Erfüllungszeitpunkts zu; bei Hol­ schulden hingegen dem Gläubiger45. In beiden Fällen wird sich aber bereits aus der – regelmäßig ergänzenden – Vertragsauslegung ergeben, dass die Leistung nicht zur Unzeit erfolgen darf.46 2. Vereinbarung der Parteien 12

Es steht den Parteien frei, die Leistungszeit zu vereinbaren, sofern zwingendes Recht nichts anderes bestimmt.47 Dies kann freilich ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen.48 Unbestimmte Leistungszeitvereinbarungen sind im Wege der (ergänzenden) Auslegung zu klären. Einigen sich die Parteien bspw auf eine „prompte Lieferung“, so bestimmt sich die Bedeutung dieser Begriffe nach der Natur des Rechtsverhältnisses und (subsidiär) nach der Verkehrssitte.49 Leistungszeitbestimmungen in AGB müssen einer Geltungs- und Inhaltskontrolle nach §§ 864a, 879 ABGB und §  6 KSchG standhalten. Die Beurteilung der Nachteiligkeit von AGB-Klauseln orientiert sich dabei am dispositiven Recht, das als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs für den Durchschnittsfall dient.50 Die im Vergleich zur sofortigen Fälligkeit nach § 904 vorteilhafte Verlängerung der Zahlungsfrist des Kreditkarteninhabers für den offenen Saldo nach Vertragsbeendigung in AGB verstößt daher nicht gegen § 879 Abs 3 ABGB.51 Demgegenüber sind gem § 6 Abs 1 Z 1 KSchG AGB-Klauseln in Verbraucherverträgen nichtig, welche dem Unternehmer eine unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte 43  Verwenden die Parteien den Begriff „Zahlungstag“ (vgl auch § 1334), so ist darunter im Zweifel der Fälligkeitstermin zu verstehen; vgl OGH 1 Ob 135/67, EvBl 1968/175. 44  Vgl etwa Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 3; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 1; Schachinger, Bauverzögerung 11 f; Wahle, Rspr 1930, 163. 45  Treffend Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 1; OGH GlU 4127. 46  Dies gilt insb seit der Aufhebung des § 358 HGB; vgl Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 358 Rz 1. 47  Vgl nur Reischauer in Rummel3 II §  1334 Rz  3; ebenso zu §  271 BGB Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 7; zum Schweizer Recht Addorisio de Feo, Fälligkeit Rz 511. 48  Gernhuber, Erfüllung2 61. 49  OGH SZ 7/102; in dieser E gelangte der OGH zum Ergebnis, dass die Lieferung längstens binnen 14 Tagen hätte erfolgen müssen, wobei die strenge Auslegung des Begriffs „prompt“ in casu auch darauf zurückzuführen war, dass sich der Kaufpreis nach der Preislage zur Zeit der Verladung richtete und die Klägerin daher ein Interesse daran hatte, keinen fortwährenden Preisschwankungen ausgesetzt zu sein. Vgl auch OGH GlU 4142, zum Versprechen „in Kürze“ die Ware abzuholen. Allg zu Klauseln mit „Näherungswerten“ s Gernhuber, Erfüllung2 62. 50  Vgl nur Bollenberger in KBB3 § 879 Rz 23; Krejci in Rummel3 I § 879 Rz 240; OGH 10 Ob 70/07b, ÖBA 2009/1588 = RdW 2009, 401; RIS-Justiz RS0014676; speziell zur Frage der europarechtskonformen Inhaltskontrolle im Lichte der Zahlungsverzugrichtlinie RL 2000/35/EG vgl Graf, wbl 2002, 437. 51  OGH 10 Ob 70/07b, ÖBA 2009/1588 = RdW 2009, 401.

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Bestimmung der Fälligkeit

§ 904

Leistungsfrist einräumen.52 Im Fall der Unwirksamkeit ist zunächst eine Lösung im Wege der Vertragsauslegung – sei es nach § 915 im Fall unbestimmter Klauseln oder ergänzend nach dem hypothetischen Parteiwillen53 – zu suchen, erst subsidiär greift §  904 ein.54 Die Parteien können naturgemäß von ihrer Fälligkeitsvereinbarung nachträglich wieder abgehen.55 Einschränkungen der Freiheit der Vertragsparteien, die Leistungszeit zu 13 bestimmen, wird aber die Umsetzung der Neufassung der RL zur Bekämpfung von Zahlungsverzug56 im Geschäftsverkehr bei Verträgen zwischen Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern (bzw öffentlichen Unternehmen) zur Folge haben. Art 4 Abs 6 der RL erlaubt die Vereinbarung einer über 30 Tage hinausgehenden Zahlungsfrist zugunsten der öffentlichen Stelle nur bei sachlicher Rechtfertigung; die Zahlungsfrist von 60 Kalendertagen darf aber keinesfalls überschritten werden.57 Im Ergebnis bedeutet dies, dass nach den Vorgaben der RL in den genannten Verträgen für Geldforderungen gegen öffentlichen Schuldner keine über 60 Tage hinausgehende Zahlungsfrist vereinbart werden darf.58 Abgeschwächt wird dieser Eingriff in die Privatautonomie jedoch durch die in Art 5 der RL aufrecht erhaltene Möglichkeit, im Einklang mit den Bestimmungen des anwendbaren nationalen Rechts Ratenzahlung zu vereinbaren.59 Art 7 der RL ordnet zudem für den unternehmerischen Geschäftsverkehr im Allgemeinen an, dass für den Gläubiger „grob nachteilige“ Vertragsklauseln oder Verkehrssitten entweder nichtig sind oder einen Schadenersatzanspruch begründen. Erfasst sind daher auch grob nachteilige Klauseln außerhalb von allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern.60 Vorab sind die in § 904 besonders geregelten Vereinbarungen über die Bestimmung der Leistungszeit zu behandeln: a) Willkürvorbehalt (§ 904 Satz 2) § 904 Satz 2 enthält eine Auslegungsregel für den seltenen Fall, dass die 14 Zeit der Erfüllung nach der Vereinbarung der Parteien gänzlich dem Willen 52  Vgl dazu Apathy in Schwimann3 V § 6 KSchG Rz 5; Krejci in Rummel3 II § 6 KSchG Rz 21 ff; Mayrhofer/Tangl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 6 Abs 1 Z 1 KSchG Rz 10; OGH 4 Ob 227/06w, RdW 2007, 661= MR 2007, 222 = VRInfo 2007 H 6, 6; nach dieser E verstößt eine Klausel, in der sich der Mobilfunkbetreiber eine Freischaltungsfrist von 14 Tagen ausbedingt, gegen § 6 Abs 1 Z 1 KschG; vgl dazu auch Pichler, Allgemeine Geschäftsbedingungen in Mobilfunkverträgen, MR 2007, 216. 53  Ähnlich Kathrein in KBB3 §  6 KSchG Rz  4 mwN zum Spannungsverhältnis zwischen geltungserhaltender Reduktion und Transparenzgebot. 54  AA offenbar Apathy in Schwimann3 V § 6 KSchG Rz 9. 55  Vgl nur OGH 7 Ob 556/91, ÖBA 1992, 384 = ecolex 1991, 845. 56  RL 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v 16. 2. 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Neufassung), ABl L 2011/48, 1. Gem Art 16 Abs 1 der RL hat die Umsetzung der entsprechenden Bestimmungen bis 16.3.2013 zu erfolgen. 57  Frizberg, ÖJZ 2011, 633. 58  Frizberg, ÖJZ 2011, 635; Scheiber, Zahlungsverzug-Richtlinie 139. 59  Vgl Scheiber, Zahlungsverzug-Richtlinie 140. 60  Scheiber, Zahlungsverzug-Richtlinie 141.

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des Schuldners überlassen wird. Ihre Anwendung setzt voraus, dass nicht die Erfüllung, sondern allein ihr Zeitpunkt der Willkür des Schuldners anheimgestellt wird; andernfalls entsteht ohnehin keine Verbindlichkeit.61 Im Unterschied zur Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit bestimmt sich die Leistungszeit nicht nach einem objektiven, sondern nach einem rein subjekti­ ven Merkmal.62 Der Schuldner kann frei wählen, zu welchem Zeitpunkt er die Leistung erbringt.63 Die Wahl des Leistungszeitpunkts wird aber mE dem allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot unterliegen.64 Darüber hinaus ist zu erwägen, ob nicht trotz vereinbartem Willkürvorbehalt eine Erfüllung zur Unzeit ausscheidet, sofern sich diese an rechtsmissbräuliches Verhalten annähert. Die Rsp tendiert dazu, bereits für die Vereinbarung der Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit einen klaren Nachweis zu fordern65; zumindest muss ein dahingehender Parteiwille „klar erkennbar“ sein, wenn nicht gar „ausdrücklich“ festgehalten werden66. Dies muss a fortiori für die Vereinbarung der Erfüllung nach Willkür gelten, weil diese die Gläubigerrechte noch weitergehender einschränkt. Es ist daher im Zweifel nicht zu vermuten, dass die Erfüllung der Schuldnerwillkür vorbehalten ist67, sondern eher die Abrede der Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit anzunehmen.68 Bei undeutlichen Äußerungen ist § 915 anzuwenden, der auch für das Verhältnis von § 904 Satz 2 und 3 ausschlaggebend sein kann.69 Der Willkürvorbehalt ist zudem einschränkend auszulegen.70 Das Vorliegen eines Willkürvorbehalts iSd § 904 Satz 2 scheidet mE aber 15 schon dann aus, wenn der Eintritt der Fälligkeit vertraglich an Kriterien ge­ knüpft wird, die nicht vom Schuldner bestimmt werden. So ist § 904 Satz 2 bspw dann nicht anwendbar, wenn Werkunternehmer und Besteller vereinbaren, dass die Leistung des Werkunternehmers erst „nach Abruf“ durch den Kunden des Bestellers eintreten soll.71 Dasselbe gilt bei Abhängigkeit der Fälligkeit von einer Handlung des Schuldners (vgl dazu Rz 21).72 Liegt eine Vereinbarung nach § 904 Satz 2 vor, so wird die Verbindlichkeit 16 spätestens mit dem Tod des Schuldners fällig.73 Rein nach dem Wortlaut von So bereits Stubenrauch, Commentar8 II 83; Zeiller, Commentar III 90. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 354. 63  Vgl nur Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 25; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 10; s auch OGH GlUNF 5931, wo die Vereinbarung der Zahlung des Restkaufpreises für die erworbene Freischürfe, sobald die Exploitation in Angriff genommen wird, als Willkürvorbehalt ausgelegt wurde. 64  Zum Rechtsmissbrauchsverbot allg vgl Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  1295 Rz 85; Reischauer in Rummel3 II § 1295 Rz 61 jeweils mwN. 65  OGH 30.5.1985, 7 Ob 567/85. 66  OGH GlUNF 769; 24.5.1989, 3 Ob 37/89. 67  OGH 4 Ob 160/80, EvBl 1981/122 = Arb 9937 = NZ 1983,138 = RdA 1982/12 (Apathy); 11.7.1985, 6 Ob 603/85. 68  Grundlegend bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 354. 69  Vgl dazu OGH GlU 15278; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 11. 70  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 354. 71  OGH 24.10.1985, 8 Ob 550/85. 72  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 355; Mayrhofer, SchRAT 80. 73  OGH GlUNF 5931. 61  62 

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§ 904 Satz 2 muss sich der Gläubiger „an die Erben halten“. Da die Fälligkeit jedoch bereits mit dem Tod des Schuldners eintritt, wird der Anspruch mE bereits gegen den ruhenden Nachlass geltend gemacht werden können. Ist die Pflicht eine persönliche, nicht vererbliche, so kann die Erfüllungs- 17 zeit – ebenso wie im Fall des § 904 Satz 3 – durch einen Billigkeitsentscheid des Richters festgesetzt werden (vgl dazu noch Rz 24). Dabei handelt es sich um Pflichten, die nach ihrem Sinn und Zweck nur vom Erblasser sinnvoll erfüllt werden können – etwa die Anfertigung eines Kunstwerks.74 Schwierigkeiten bereitet die Vereinbarung eines Willkürvorbehalts zu- 18 gunsten juristischer Personen und Personengesellschaften. Es ist zwar grundsätzlich denkbar – wie auch im Anwendungsbereich des § 155 ZPO75 – für den „Tod“ einer juristischen Personen oder einer Personengesellschaft auf den Zeitpunkt ihrer Vollbeendigung bzw auf ihre Einbringung in eine andere Gesellschaft oder ihre Umwandlung abzustellen; dies lässt sich aber mE mit dem Sinn und Zweck von § 904 Satz 2 nicht vereinbaren, denn anders als der Tod der natürlichen Person ließe sich der Untergang von juristischen Personen und Personengesellschaften ad infinitum hinausschieben, sodass die Pflicht letztlich nie erfüllt werden müsste.76 Richtiger scheint es daher, die richterliche Festsetzungsbefugnis nach Billigkeit (analog) anzuwenden, wenn ein Willkürvorbehalt zugunsten einer juristischen Person oder einer Personengesellschaft vereinbart wurde.77 b) Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit (§ 904 Satz 3) Die Bestimmung der Fälligkeit durch richterlichen Billigkeitsentscheid ist 19 – mangels Einigung der Parteien – auch für die Abrede der Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit vorgesehen. In den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fallen Vereinbarungen, welche die Leistungszeit an den Eintritt zukünftiger Umstände (in der Sphäre des Schuldners) knüpfen, die sich an objektiven Merkmalen orientieren, ansonsten jedoch weitgehend unbestimmt sind. Die Begriffe „Möglichkeit“ oder „Tunlichkeit“78 stehen dabei stellvertretend für eine Vielzahl möglicher Formulierungen79: Zahlung „allmählich 74  Stubenrauch, Commentar8 II 83; ausführlich zu den höchstpersönlichen, nicht vererblichen Rechten und Pflichten vgl Kralik, Erbrecht3 12 ff. 75  Vgl dazu Fink in Fasching/Konecny2 § 155 ZPO Rz 7; Rechberger in Rechberger, ZPO3 §§ 155–157 Rz 1 jeweils mwN. 76  Aus eben diesem Grund kommt auch den Erben einer natürlichen Person der Willkürvorbehalt zugunsten des Erblassers nicht zugute; vgl nur Gschnitzer in Klang2 IV/1, 355. 77  So im Ergebnis auch Mayrhofer, SchRAT 80. 78  Diese Begriffe werden meist synonym verwendet; streng genommen ist jedoch der Begriff der Tunlichkeit enger, weil tunlich ist, was nicht mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden ist; vgl nur OGH 3 Ob 565/88, EvBl 1989/103; allg RIS-Justiz RS0030117; Reischauer in Rummel3 II § 1323 Rz 9. 79  Treffend heißt es bereits in der E OGH SZ 4/115: „(…) eine Erklärung, die in dieser Bestimmtheit im kaufmännischen Verkehre sehr selten ist.“ In casu wurde die Vereinbarung der Zahlung „wenn der Kronenkurs sich bessere“ nur deshalb unter § 904 Satz 3 subsumiert, weil ein vom Wortlaut abweichender Parteiwille feststellbar war; rein dem Wortlaut nach liegt mE eher eine Suspensivbedingung vor; krit Gschnitzer in Klang2 IV 355.

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und ganz nach Konvenienz“80; das Versprechen „nach und nach zu zahlen“81; „in mäßigen Raten“82 zu leisten; auf die Verbesserung der Vermögensverhältnisse abstellende Vereinbarungen (sog Besserungsklauseln): die Zusage zu zahlen, „falls man wieder zu Vermögen gelangen sollte“83, sobald der Schuldner „in bessere Verhältnisse“ kommt84, „wenn er kann“85, „wenn es ihm ausgehe“86, „sobald er es (sc den Betriebsaufbau) geschafft habe“87, „nach Maßgabe der Liquidität“88 oder „wenn er wieder zu Geld komme“89. Der auf die Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit gerichtete Parteiwille kann im Einzelfall im Zuge der Vertragsauslegung90 auch aus den bei Vertragsabschluss vorliegenden Umständen ableitbar sein.91 Dasselbe gilt mE insbesondere dann, wenn die Parteien die Fälligkeit vom Eintritt eines Ereignisses abhängig machen, das geeignet ist, sich positiv auf die finanziellen Verhältnisse des Schuldners auszuwirken (vgl dazu noch Rz 31). In besonders gelagerten Fällen – etwa bei Darlehensgewährung an nahe Angehörige – wird die Auffassung vertreten, die Erfüllung nach Möglichkeit und Tunlichkeit könne sich auch aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben.92 Diese Auffassung steht in einem Spannungsverhältnis zu jener Rsp, die für die Abrede der Erfüllung nach Möglichkeit und Tunlichkeit einen klaren Nachweis fordert.93 Darüber hinaus wendet die Rsp § 904 Satz 3 zum Teil auch auf jene Fälle 20 an, in denen die Leistungszeit „aus anderen Gründen“ ungewiss bleibt, mit der – bereits von Gschnitzer aufgestellten94 – Einschränkung, dass in der Vereinbarung zumindest die Absicht der Parteien zum Ausdruck kommen muss, einen gewissen Aufschub zu gewähren.95 Diese Voraussetzung liege bspw dann vor, wenn die Parteien die Festlegung der Fälligkeit von Ratenzahlungen einer spä80 

OGH GlU 15278. OGH GlU 11040. 82  OGH GlU 12593; OLG Wien 1 R 839, EvBl 1953/481. 83  OGH GlU 2227; bei ausdrücklicher Ablehnung der Wendung „nach Möglichkeit und Tunlichkeit“ müsse der Kläger aber das Vorliegen der vereinbarten Voraussetzungen – im konkreten Fall die Besserung der Vermögensverhältnisse und des Einkommens – beweisen; so OGH GlU 7619; aA zur Frage der Beweislastverteilung OGH GlUNF 3118. 84  OGH GlU 14425. 85  OGH 11.7.1985, 6 Ob 603/85. 86  OGH 1 Ob 202/59, JBl 1959, 632. 87  OGH 8 Ob 199/73, RZ 1974/60. 88  OGH 1 Ob 785/82, SZ 56/30 = EvBl 1983/133. 89  OGH 4 Ob 160/80, EvBl 1981/122 = Arb 9937 = NZ 1983,138 = RdA 1982/12 (Apathy). 90  Zur Berücksichtigung der Begleitumstände bei der Auslegung vgl nur Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 5. 91  Vgl etwa OGH 1 Ob 745/80, JBl 1982, 37 = RZ 1982/12 (Stundung von Geldforderungen aus Warenlieferungen zur Abwendung der Insolvenz); s auch Binder in Schwimann3 IV §  904 Rz 12; tendenziell strenger aber OGH 24.5.1989, 3 Ob 37/89. 92  OLG Wien 5.2.1997, EFSlg 84.390; Reischauer in Rummel3 I §  904 Rz  10; allg auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 10; OGH 1 Ob 160/07x, ÖBA 2008/1489 = Zak 2008/162 (obiter dictum, weil letztlich schon einfache Vertragsauslegung zur Fälligkeit nach Möglichkeit und Tunlichkeit führte). 93  Vgl dazu die Nachweise in FN 65 und 66. 94  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 355. 95  OGH 1 Ob 605/78, MietSlg 30122; 1 Ob 160/07x, ÖBA 2008/1489 = Zak 2008/162. 81 

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teren Vereinbarung vorbehalten, ohne dass eine solche Bestimmung je zustande kommt.96 Dieser Ansatz ist jedoch mE überprüfungswürdig: zwar kommt in der Gewährung eines gewissen Aufschubs ein Abgehen von der dispositiven Regelung des § 904 Satz 1 zum Ausdruck, doch erklärt sich daraus noch nicht, weshalb die nunmehr entstandene Vertragslücke durch einen Rückgriff auf § 904 Satz 3 gefüllt werden sollte, anstatt im Wege ergänzender Vertragsauslegung darauf abzustellen, was vernünftige und redliche Parteien vereinbart hätten. Die Anwendung von § 904 Satz 3 wird schließlich noch dann befürwortet, 21 wenn die Leistung von einer Schuldnerhandlung abhängig gemacht wird; und zwar in der Form, dass die Handlung als solche nicht dem freien Belieben des Schuldners anheimgestellt wird, sondern allenfalls der Zeitpunkt ihrer Erbringung, sofern sich dieser nicht bereits nach dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb richtet.97 Darunter fällt bspw die Vereinbarung, die Darlehensvaluta nach Verkauf eines Grundstücks zurückzuzahlen, bei gleichzeitiger Zusage des Schuldners, den Verkauf möglichst zu fördern.98 Ähnlich gelagert sind folgende Fälle: Gewährung eines Darlehens, um die Parzellierung einer Realität und den anschließenden Verkauf der Grundstücksteile zu ermöglichen, wobei die Rückzahlung nach Abschluss dieses Vorgangs erfolgen soll99; Fälligkeit des Kaufpreises erst nach vollständigem Verbrauch der Waren.100 Da es in diesen Fällen nicht der Willkür des Schuldners überlassen ist, den Leistungszeitpunkt zu bestimmen, hat der Richter – bei Verzögerung durch den Schuldner – den Zeitpunkt für die Vornahme der Handlung nach billigem Ermessen festzu­legen.101 Im Zuge dessen wird mE auch zu berücksichtigen sein, welchen Zeitraum der Schuldner nach Treu und Glauben für die bedungene Handlung benötigt.102 Der Anwendungsbereich des § 904 Satz 3 ist nicht auf die Erfüllung von 22 Geldschulden beschränkt; so wurde bspw die nach Auflösung des Wohnrechts getroffene Vereinbarung, der ehemals Wohnberechtigte habe die Wohnung zu räumen, bis er eine andere findet, unter § 904 Satz 3 subsumiert.103 Im Gegensatz zum Willkürvorbehalt wirkt die Abrede der Erfüllung nach 23 Möglichkeit oder Tunlichkeit auch gegenüber den Erben des Schuldners, wenn dem Gläubiger nicht der Nachweis gelingt, dass die Vereinbarung bloß in den persönlichen Verhältnissen der Beteiligten begründet war.104 96  OGH GlU 297; 1 Ob 605/78, MietSlg 30122; zustimmend Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10a; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 18. 97  Gschnitzer in Klang2 IV 355; Mayrhofer, SchRAT 80; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10. 98  OGH GlU 2924; anders entschied der OGH jedoch für den Fall, dass der Kreditgeber mit der Eintreibung der Forderung noch einige Zeit zuwartet, unter der Bedingung, dass der Beklagte „in absehbarer Zeit“ Liegenschaften verkaufe; vgl OGH 30.5.1985, 7 Ob 567/85. 99  OGH GlU 12950. 100  OGH GlU 1823; GlUNF 605; gegen eine Anwendung von § 904 in solchen Fällen jedoch Ehrenzweig, System II/12, 86, der sich für eine analoge Anwendung von § 973 ausspricht. 101  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 355 f; Mayrhofer, SchRAT 80. 102  In diese Richtung auch Gernhuber, Erfüllung2 65. 103  OGH 2 Ob 72/61, MietSlg 8519; vgl auch OGH 2.6.1954, 2 Ob 151/54; 2 Ob 30/49 = JBl 1949, 358 (Lieferung von Milch nach Möglichkeit); OGH 3 Ob 522/78, SZ 52/52 = JBl 1981, 260 (Wilhelm) = ÖZW 1979,109 (Plöchl). 104  OGH GlUNF 3760; 14.5.1969, 5 Ob 125/69; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 356; aA noch Kitka, Gerichts-Zeitung 1855/Nr 11.

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Der Richter hat bei der Festsetzung der Fälligkeit nach Billigkeit nicht nur die Möglichkeit oder Tunlichkeit der Leistung für den Schuldner – bei Geldforderungen mithin seine (finanzielle) Leistungsfähigkeit –, sondern auch die Interessen des Gläubigers zu berücksichtigen.105 In die Billigkeits­ prüfung müssen sämtliche Umstände des jeweils zu beurteilenden Rechtsverhältnisses einfließen106; den Rahmen für die richterliche Ergänzung geben dabei Sinn und Zweck der Parteienvereinbarung vor, wobei auch die red­liche Verkehrsanschauung mit einzubeziehen ist107. Für die Bestimmung der Fälligkeit von Geldforderungen bilden, wie bereits angedeutet, naturgemäß die Vermögensverhältnisse des Schuldners einen zu berücksichtigenden Um­stand. Im Rahmen der Interessenabwägung ist nach der Rsp etwa in Betracht zu ziehen, welche Beschäftigung dem Schuldner unter Berücksich­ tigung sei­ner körperlichen und geistigen Beschaffenheit zuzumuten ist, um sich die Mittel für die Rückzahlung einer Forderung zu beschaffen.108 Eben­so sind aber bspw „erhebliche Liquidationsschwierigkeiten“109, geringes Einkommen bei gleichzeitigen Sorgepflichten für Minderjährige110 oder mehrfache Schuldnerschaft111 zu berücksichtigen.112 In diesem Zusammenhang wird zum Teil darauf hingewiesen, dass der Gläubiger die Behaup­ tungs- und Beweislast für das Vorliegen von Möglichkeit oder Tunlich­keit trage.113 Streng genommen handelt es sich jedoch im vorliegenden Fall nicht um eine Frage der Behauptungs- und Beweislast im eigentlichen Sinn: Gegenstand des Verfahrens ist der vom Richter nach Billigkeit vorzunehmende, den Vertrag ergänzende Gestaltungsakt114, der nicht deshalb entfallen kann, weil der Gläubiger den Beweis der Möglichkeit oder Tunlichkeit nicht erbracht hat. Da der Richter im Rahmen der Billigkeitsprüfung jedoch nur ihm bekannte Umstände berücksichtigen kann, sind die Parteien mittelbar 105  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 356; Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 15; Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 3; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 11; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10; OGH GlU 9837; GlUNF 3118; 7 Ob 155/57, EvBl 1957/319; 4 Ob 160/80, EvBl 1981/122 = Arb 9937 = NZ 1983,138 = RdA 1982/12 (Apathy); 1 Ob 785/82, SZ 56/30 = EvBl 1983/133; 8  Ob  505/90, NZ 1992, 58 (Hofmeister); 1  Ob  160/07x, ÖBA 2008/1489 = EFSlg 118.071 = Zak 2008/162 = HS 38.326; OLG Wien 1 R 839, EvBl 1953/481. 106  Zur Billigkeit als Generalklausel allg vgl Bydlinski, Methodenlehre2 366 f; zur Preisfestsetzung nach billigem Ermessen gem § 1056 vgl Aicher in Rummel3 I § 1056 Rz 8. 107  OGH 8 Ob 505/90, NZ 1992, 58 (Hofmeister). 108  OGH GlU 8960; ZBl 1918/181; 7 Ob 155/57, EvBl 1957/319. 109  Vgl OGH 1 Ob 785/82, SZ 56/30 = EvBl 1983/133; RIS-Justiz RS0017626. 110  Vgl etwa OGH 25.10.1995, 6  Ob  1671/95; 1  Ob  160/07x, ÖBA 2008/1489 = EFSlg 118.071 = Zak 2008/162 = HS 38.326. 111  OGH GlU 14425. 112  Vgl ausführlich Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 17, mit einer Darstellung der älteren Judikatur. 113  OGH GlU 2227; 2 Ob 30/49, JBl 1949, 358; 24.3.1988, 6 Ob 581/87; 25.10.1995, 6 Ob 1671/95; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz  11; aA noch überwiegend die ältere Rsp: OGH GlU 8960; GlU 9837; GlUNF 3118. Nach Ehrenzweig, System II/12, 86, ist die Beweislast nach Billigkeit zu verteilen. 114  Mithin nicht die Frage der Möglichkeit oder Tunlichkeit; vgl bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 356; OGH GlU 8960; GlU 9837; GlUNF 3118.

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sehr wohl gehalten, dahingehendes Vorbringen zu erstatten und durch Beweise zu untermauern.115 Prozessual bestehen für den Gläubiger folgende Möglichkeiten: Er kann 25 mittels Rechtsgestaltungsklage bloß die Festsetzung der Leistungszeit im Voraus begehren und die Leistung erst zu einem späteren Zeitpunkt verlangen.116 Darüber hinaus können aber schon aus Gründen der Prozessökonomie117 Rechtsgestaltungs- und Leistungsbegehren miteinander verbunden werden. Der Leis­tungsanspruch setzt grundsätzlich eine Rechtsgestaltung voraus; die Rechtsgestaltung muss aber mE, wie dies auch für (Rückzahlungs‑)Ansprüche, die auf Wandlung118 oder Anfechtung nach der IO119 gestützt werden, anerkannt ist, nicht unbedingt in einem Rechtsgestaltungsbegehren ihren Niederschlag finden. Es reicht daher aus, wenn der Gläubiger (bloß) eine Leistungsklage erhebt.120 Gelangt der Richter zur Auffassung, dass die Erbringung der Leistung für 26 den Schuldner nicht möglich oder tunlich ist – wobei es dies mit den Interessen des Gläubigers abzuwägen gilt –, so darf die Klage nicht einfach abgewiesen werden, sondern es ist vielmehr zu prüfen, ob ein zukünftiger Fälligkeitszeit­ punkt festgesetzt werden kann. § 406 ZPO steht der Verurteilung zu einer zukünftigen Leistung in diesem Fall nicht entgegen.121 Die in § 904 Satz 3 normierte konstitutive Funktion des Gerichts sollte durch die Einführung von § 406 ZPO weder neu geregelt noch geändert werden.122 Sprechen die (überwiegenden) Interessen des Schuldners lediglich gegen eine Zahlung der gesamten Forderung, so kann der Richter auch Ratenzahlung anordnen.123 Durch die Abrede der Erfüllung nach Möglichkeit und Tunlichkeit räumen die Parteien dem Gericht auch die Möglichkeit ein, auf Ratenzahlung zu erkennen, sodass dies nicht § 1415 widerspricht.124 Prozessual enthält das Begehren auf Leistung binnen 14 Tagen (vgl § 409 ZPO) als Minus jedenfalls auch das Begehren auf Ratenzahlung, sodass auch kein Verstoß gegen den Dispositions115  Ähnlich zur Leistungsbestimmung nach Billigkeit gem § 315 BGB Rieble in Staudinger, BGB (2009) § 315 Rz 397. 116  So bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 357. 117  Darauf abstellend bereits OGH GlUNF 3458. 118  Vgl dazu nur OGH 3 Ob 20/97f, JBl 1997, 791; 4 Ob 88/03z, EvBl 2003/173. 119  Grundlegend OGH 1 Ob 655/86, SZ 59/216 = EvBl 1987/104 S 366 = ÖBA 1987,332 = RdW 1987, 126 = wbl 1987, 74 (Wilhelm); seither stRsp vgl RIS-Justiz RS0064373; aA aber König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung4 (2009) Rz 17/29. 120  Im Ergebnis wie hier Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 11; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10. 121  Vlg nur Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 20; OGH SZ 4/115; 1 Ob 202/59, JBl 1959, 632; 11.12.1963, 7 Ob 329/63; 4 Ob 160/80, EvBl 1981/122 = Arb 9937 = NZ 1983,138 = RdA 1982/12 (Apathy). 122  Vgl bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 357; Neumann, Kommentar4 1157; Fucik in Fasching/Konecny2 § 406 ZPO Rz 5; OGH GlUNF 3458. 123  Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 18; Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 3; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 11; OGH GlU 8960; GlUNF 3118; 6 Ob 354/61, EvBl 1962/2; 11.7.1985, 6 Ob 603/85; 4 Ob 160/80, EvBl 1981/122 = Arb 9937 = NZ 1983,138 = RdA 1982/12 (Apathy). 124  Vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1, 356.

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grundsatz vorliegt.125 Die Abweisung der Klage kommt nur dann in Betracht, wenn die Festsetzung eines Leistungszeitpunkts sinnwidrig wäre, weil sich dieser – den Interessen der Parteien entsprechende – Zeitpunkt nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit bestimmen lässt.126 Vor dieser Bestimmungsmöglichkeit ist eine Klageerhebung daher nicht sinnvoll127, auch wenn oft pauschal festgestellt wird, das Recht auf Fälligkeitsfestsetzung durch den Richter bestehe „jederzeit“128 nach Entstehen der Forderung. Stellt sich jedoch im Zuge des Verfahrens – dh spätestens bis zum Schluss mündlicher Verhandlung erster Instanz – heraus, dass die Leistung nach Billigkeit schon erfolgen sollte, so ist der Schuldner zur Leistung innerhalb gesetzlicher Frist zu verurteilen.129 Die Durchsetzung einer Forderung im Mahnverfahren kommt für den Fall 27 der Erfüllung nach Möglichkeit und Tunlichkeit schon deshalb nicht in Betracht, weil § 244 Abs 2 Z 2 ZPO die Fälligkeit des Anspruchs voraussetzt.130 Verpflichtet sich der Schuldner in einem gerichtlichen Vergleich zur Leistung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit, setzt die Vollstreckung aus diesem den urkundlichen Nachweis (§ 7 EO) der Möglichkeit oder Tunlichkeit der Leistung voraus.131 Verzugsfolgen treffen den Schuldner erst dann, wenn er nicht zu dem rich28 terlich bestimmten Fälligkeitstermin leistet.132 Dem Sinn und Zweck der Vereinbarung folgend wird man im Zweifel aber annehmen müssen, dass die Er­ füllbarkeit schon vor der gerichtlichen Festsetzung der Fälligkeit besteht, weil eine Vereinbarung gem § 904 Satz 3 in der Regel zugunsten des Schuldners getroffen wird. Lehnt der Schuldner die Annahme der Leistung ab, so gerät er in Annahmeverzug.133 Die Verjährung des Anspruchs, der nach Möglichkeit oder Tunlichkeit zu 29 erfüllen ist, beginnt nach hA nicht erst mit der Feststellung der Erfüllungszeit durch den Richter, sondern – sofern der Gläubiger dies selbst beurteilen konnte – mit dem Zeitpunkt, zu dem die Leistung aufgrund der geänderten Umstände möglich oder tunlich ist.134 Die Unterbrechung der Verjährung kann mE sowohl durch Rechtsgestaltungs- als auch durch Leistungsklage bewirkt wer125 

Vgl nur OGH 11.7.1985, 6 Ob 603/85 sowie die Nachweise in FN 123. Vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1, 356; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10; OGH 1 Ob 605/78, MietSlg 30122. 127  Ähnlich im Zusammenhang mit der Frage der Verjährung Gschnitzer in Klang2 IV/1, 357. 128  So ausdrücklich OGH ZBl 1918/181; im Anschluss daran Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 21; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10. 129  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 357; Binder in Schwimann3 IV §  904 Rz  21; Mayrhofer, SchRAT 82; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10; OGH GlU 16041; 22.2.1990, 6 Ob 526/90. 130  Nach OGH GlU 3056 galt dies auch für das durch die ZVN 2009 (BGBl I 2009/30) aufgehobene Mandatsverfahren. 131  OGH 2 Ob 30/49, JBl 1949, 358. 132  So bereits OGH GlU 8960; GlU 14425; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 11; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10; abweichend jedoch OGH 22.2.1990, 6 Ob 526/90, wo auf den Zeitpunkt der Klagszustellung als wirksame Einforderung abgestellt wird. 133  Treffend Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10. 134  OGH GlUNF 3621; 1 Ob 745/80, JBl 1982, 37 = RZ 1982/12; vgl auch Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 23; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 11; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 10; differenzierend Gschnitzer in Klang2 IV/1, 357, nach dem in diesem Zeitpunkt die Verjährung des Anspruchs auf Rechtsgestaltung beginnt. 126 

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den, weil die Billigkeitsentscheidung nach §  904 Satz 3 gerade den Zweck verfolgt, eine unbestimmte Vereinbarung zu konkretisieren – und dadurch dem Gläubiger ein Auskunftsmittel an die Hand zu geben. Wird die Fälligkeit (aufgrund rechtzeitig erhobener Klage) durch Urteil festgesetzt, so ist dieser Zeitpunkt auch ausschlaggebend für den Beginn der Verjährung der (nunmehr konkretisierten) Forderung.135 c) Bedingung und Befristung Gem § 904 letzter Satz sind die Vorschriften, „welche oben (§§ 704–706) 30 in Rücksicht der den letzten Anordnungen beigerückten Zeitbestimmungen gegeben werden“, auch auf Rechtsgeschäfte und Verträge anzuwenden.136 Für die Bestimmung der Leistungszeit folgt aus dieser Verweisung mE folgendes: Ist bereits die Verpflichtung selbst nach dem Parteiwillen vom Eintritt ei- 31 nes (künftigen, ungewissen) Ereignisses abhängig (§§ 696 und 704), so stellt sich die Frage der Fälligkeit erst mit Bedingungseintritt.137 Vorbehaltlich einer anders lautenden Parteivereinbarung richtet sich aber in diesem Fall auch die Fälligkeit nach dem Eintritt der aufschiebenden Bedingung138, weil die Erfüllung der – nunmehr bestehenden – Verpflichtung sogleich, ohne unnötigen Aufschub gefordert werden kann.139 Davon ist der Fall zu unterscheiden, in dem die unbedingte Verpflichtungsabsicht der Parteien feststeht und ledig­ lich die Fälligkeit des Anspruchs an einen Bedingungseinritt geknüpft wird140 – mit anderen Worten: nicht die Frage offen bleibt, ob eine Verpflichtung besteht, sondern wann sie zu erfüllen ist141. Die Vereinbarung der Parteien eines Liegenschaftskaufs, die Zahlung eines Teils des Kaufpreises von der rechtskräftigen Verbücherung des Eigentumsrechts abhängig zu machen,142 bildet aber einen Grenzfall, der zeigt, dass oftmals weder eine reine Bedingung noch eine reine Befristung, sondern Bedingung und Befristung zugleich vorliegen.143 Fraglich ist, wonach sich die Fälligkeit richtet, wenn feststeht, dass die So bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 358. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 358. 137  Ähnlich bereits Nippel, Erläuterungen §  904 VI, 118; OGH 6  Ob 330, 331/62, EvBl 1963/185 (in casu Genehmigung der Fondshilfe für das wiederherzustellende Wohngebäude). 138  Nach OGH GlU 5770 gilt dies selbst im Fall der Unkenntnis des Bedingungseintritts. Vgl auch 7 Ob 243/73, JBl 1974, 423 (Anknüpfung der Kaufpreiszahlung und Objektübergabe an die Bedingung der Übertragung von Bauarbeiten durch einen Dritten). 139  Vgl Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 7, der zu Recht drauf hinweist, dass sich oft schon aus dem Vertragssinn die Fälligkeit mit Bedingungseintritt ergeben wird; so auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 8; zur vergleichbaren Rechtslage nach § 271 BGB s Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 271 Rz 4; Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 8. 140  Nippel, Erläuterungen § 904 VI, 120; vgl dazu auch Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 8; vgl auch OGH GlU 8673: Fälligkeit bei „Erreichen der Großjährigkeit“. 141  OGH 8 Ob 505/90, NZ 1992, 58 (Hofmeister); 6 Ob 248/03v, ÖBA 2004/1241 (Rabl). 142  Vgl OGH GlUNF 4534; 8 Ob 505/90, NZ 1992, 58 (Hofmeister); diese E veranschaulicht, dass die Grenzen zwischen relativer Zeitbestimmung, bei welcher feststeht, dass das Ereignis eintreten wird, nicht jedoch wann dies der Fall sein wird (nach der gemeinrechtlichen Diktion: dies certus an, incertus quando), und der bedingten Fälligkeit fließend sein können; vgl zum Ganzen Addorisio de Feo, Fälligkeit Rz 199. 143  Vgl dazu Gschnitzer in Klang2 III 684. 135  136 

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Bedingung nicht eintritt. Richtiger Ansicht nach wird zunächst im Wege (ergänzender) Vertragsauslegung zu klären sein, welche Folgen der Ausfall der Bedingung für die Fälligkeit des Anspruchs und für das Schicksal des Rechtsgeschäfts hat.144 Lässt sich unter Berücksichtigung der Natur des Rechtsgeschäfts auch auf diesem Weg die Fälligkeit nicht bestimmen, ist aber das Bestehen der Verpflichtung unzweifelhaft, so wird man in sinngemäßer Anwendung des § 904 davon ausgehen müssen, dass der Gläubiger sogleich fordern kann. Soweit sich die Bedingung nur auf die Frage der Fälligkeit bezieht, führt die Bedingungsunmöglichkeit mE auch nicht zur Vertragsungültigkeit nach § 706 iVm § 898.145 In diese Richtung lässt sich mE auch die § 878 zugrundeliegende Teleologie deuten. Die Anwendung von §  904 Satz 3 ist hingegen dann in Betracht zu ziehen, wenn sich aus dem Ereignis, auf das ursprünglich abgestellt werden sollte, erhellt, dass der Verpflichtete mit Bedingungseintritt in die Lage versetzt werden sollte, die Leistung zu erbringen.146 Die treuwid­ rige Vereitelung oder Herbeiführung des Bedingungseintritts hat die Ein­ tritts- oder Ausfallsfiktion zur Folge (vgl dazu bei § 897).147 Zum Fälligkeitseintritt bei der Vereinbarung von Potestativbedingungen s noch Rz 38. Im Fall der Befristung ist ein Rechtsverhältnis nach dem Parteiwillen zeit32 lich derart beschränkt, dass seine Wirkungen erst ab einem bestimmten (mit Gewissheit eintretenden) Zeitpunkt (Anfangstermin) entstehen oder nur bis zu einem solchen (Endtermin) bestehen sollen.148 Bei befristeten Dauerschuldverhältnissen, wie bspw befristeten Mietverträgen, beginnt das gesamte Schuld­ verhältnis erst dann, wenn der Anfangstermin eingetreten ist. Die Fälligkeit der jeweiligen Ansprüche orientiert sich daher regelmäßig, dh sofern nichts anderes vereinbart wurde, an diesem Zeitpunkt.149 Davon ist wiederum die Vereinbarung der Parteien zu unterscheiden, nicht das Entstehen eines Anspruchs, sondern lediglich dessen Fälligkeit zu befristen – mit anderen Worten diese hinauszuschieben.150 Da Forderungen regelmäßig sofort (mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts) entstehen151, liegt in der Terminvereinbarung entweder eine konkrete Festlegung des Zeitpunkts der Fälligkeit oder eine Stundung152 (vgl Rz 61 ff). 144  So bereits Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 10; Addorisio de Feo, Fälligkeit Rz 201; OGH 8 Ob 505/90, NZ 1992, 58 (Hofmeister). 145  So aber in letzter Konsequenz Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 10. 146  Wenn bspw die Rückzahlung eines Darlehens eine bestimmte Zeit nach der „Verehelichung“ vereinbart wurde; in diese Richtung auch OGH GlU 16074; GlU 12950; vgl auch Nippel, Erläuterungen § 904 VI, 120. 147  Grundlegend OGH Spr 234, JBl 1914, 233, seither stRsp; vgl ausführlich dazu Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 897 Rz 36; Rummel in Rummel3 I § 897 Rz 7; speziell zur bedingten Fälligkeit vgl Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 9; OGH 8 Ob 505/90, NZ 1992, 58 (Hof­ meister). 148  Vgl nur Koziol/Welser13 I 196. 149  In diese Richtung auch Ehrenzweig, System I/12, 249; vgl auch Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 271 Rz 4. 150  Nastelski, JuS 1962, 290; vgl auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 358; Ehrenzweig, System I/12, 249 (zur Abgrenzung zwischen betagten und aufschiebend befristeten Forderungen). 151  Ehrenzweig, System I/12, 249; Gschnitzer in Klang2 III 685. 152  Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 8; ähnlich auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 358.

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Die Verweisung auf §  705 bestätigt lediglich, dass auch bei befristeten 33 Verträgen bereits vor Eintritt des Termins das künftige Recht vererblich ist.153 Wie sich aus § 900 ergibt, besteht diesbezüglich bei Verträgen unter Lebenden kein Unterschied zwischen aufschiebenden Bedingungen und Befristungen154; die Vertragspositionen gehen so über, wie sie vom Erblasser begründet wurden.155 Problematisch ist es hingegen, wenn die Parteien für die Befristung auf ein Ereignis abstellen, das niemals eintreten kann, denn durch die Verweisung auf § 706 wäre diese Bestimmung als Beisetzung einer unmöglichen Bedingung anzusehen, welche den Vertrag nach § 898 ungültig macht.156 § 706 Satz 2 bewahrt vor der Vertragsunwirksamkeit, wenn beide Parteien gemeinsam geirrt haben.157 Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Parteien der Auffassung waren, das – letztendlich nicht eintreffende – Ereignis würde mit Sicherheit eintreten, der Vertrag sollte daher keiner Bedingung unterliegen.158 Die Grenzen zwischen bloß bedingter Fälligkeit (vgl Rz 31) und der Befristung durch den Hinweis auf ein künftiges Ereignis, dessen Eintritt die Parteien als sicher erachten, sind fließend. Es muss daher mE auch hier das zum Nichteintritt der Fälligkeitsbedingung Gesagte (Rz 31) gelten, sodass der Leistungszeitpunkt primär durch die (ergänzende) Vertragsausauslegung zu bestimmen ist. Dieser Lösungsweg scheint auch in §  706 Satz 2 selbst vorgezeichnet, wenn dort auf den „wahrscheinlichen Willen des Erblassers“ – in entsprechender Anwendung mithin den Willen der Vertragsparteien – abgestellt wird. d) Bestimmungsrecht des Gläubigers Die Festlegung der Fälligkeit kann nach Vereinbarung der Parteien auch 34 dem Gläubiger überlassen werden.159 Im Zweifel wird man den Gestaltungs­ spielraum des Gläubigers mE in Anlehnung an die zu § 1056, der als Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes160 verstanden wird, entwickelten Ansätze begrenzen müssen. Folglich gilt daher – sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben – nach der Übung des redlichen Verkehrs (§ 914) die Bestimmung der Leistungszeit nach billigem Ermessen161 und nicht etwa nach belieVgl bereits Stubenrauch, Commentar8 II 84 FN 1. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 358. 155  Vgl nur P. Bydlinski in KBB3 § 900 Rz 1. 156  Stubenrauch, Commentar8 II § 904 Rz 4 FN 1; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 359. 157  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 359. 158  Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang oft der Fall angeführt, dass sich jemand verpflichtet die Darlehensvaluta nach Erhalt einer erhofften Anstellung oder nach Eheschließung (die innerhalb eines bestimmten Zeitraums stattfinden soll) zurückzuzahlen; vgl bereits Stubenrauch, Commentar8 II 84. Dieses Bsp zeigt aber mE, dass die Vereinbarung der Parteien bloß die Fälligkeit von einem Bedingungseintritt abhängig zu machen kaum von relativ bestimmten Terminen unterscheiden lässt. 159  Zur Vollstreckung aus einem Notariatsakt in dem sich der Schuldner zur Zahlung „auf jedesmaliges Verlangen“ verpflichtet vgl OGH GlU 8606. 160  Vgl bereits Mayer-Maly in Klang2 IV/2, 258. 161  Zu § 1056 vgl etwa Aicher in Rummel3 I § 1056 Rz 8; Koziol/Welser13 II 27; Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1056 Rz 13; OGH 3 Ob 595/84, SZ 58/45. 153  154 

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bigem Ermessen oder nach Willkür162. Die Bestimmung des Gläubigers unterliegt im Streitfall einer Überprüfung durch das Gericht auf offenbare Unbilligkeit – mithin auf die Einhaltung der Maßstäbe von Treu und Glauben.163 Der Gläubiger kann seinen Anspruch erst dann geltend machen, wenn er die Leistungszeit bestimmt hat; erst ab diesem Zeitpunkt kann der Schuldner in Verzug geraten.164 Den Hauptanwendungsfall bildet der Kauf auf Abruf, bei dem die Erfül35 lungszeit nicht kalendermäßig, sondern in der Form bestimmt wird, dass der Schuldner auf Verlangen des Gläubigers zu leisten hat.165 Die Zeit des Abrufs richtet sich entweder nach der Vereinbarung der Parteien oder ist nach dem Vertragszweck, der ordentlichen Geschäftsabwicklung oder der Übung des redlichen Verkehrs einzugrenzen.166 Stellt der Gläubiger die Leistung innerhalb der Abruffrist nicht fällig, so kann ihn der Schuldner durch Anbieten der Ware in (Annahme-)Verzug setzen; er erreicht damit den Gefahrenübergang (vgl § 1419167) sowie die Möglichkeit, sich allenfalls von seiner Verbindlichkeit durch gerichtliche Hinterlegung zu befreien (§  1425).168 Nach der Rsp reicht die (erfolglose) Aufforderung zur Abnahme aus, um den Gläubiger in Verzug zu setzen.169 Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, der Schuldner müsse – mangels Fälligstellung durch den Gläubiger – in teilweise analoger Anwendung von § 906 Abs 2 (vormals § 375 Abs 2 HGB) und § 904 Satz 1 einen Abnahmetermin bestimmen, dem Gläubiger diesen mitteilen und ihm zur Vornahme einer anderen Wahl eine angemessene Frist setzen.170 Der vom Schuldner festgelegte Fälligkeitstermin binde den Gläubiger, wenn er selbst innerhalb dieser verlängerten Frist keine Bestimmung vornimmt.171 Dies setze jedoch voraus, dass dem Gläubiger nicht bereits nach dem Vertragssinn eine längere Frist für die Fälligstellung zur Verfügung stehen soll.172 Die letztge162  Für den Fall, dass die Bestimmung der Willkür des Gläubigers überlassen sein soll, ist eine analoge Anwendung von §  904 Satz 3 (vgl Rz  24) in Betracht zu ziehen; ähnlich bereits Wahle, Rspr 1930, 164. 163  Vgl zur Überprüfung der Festsetzung nach § 1056 etwa OGH 1 Ob 140/52, SZ 25/46; 4 Ob 538/79. 164  Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 10. 165  Vgl etwa Mayrhofer, SchRAT 80; Wahle, Rspr 1930, 164; Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 10. 166  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 354; bei Zweifel über die Ablauffrist wurde in der älteren Lehre und Rsp aber zum Teil ein Rückgriff auf § 904 Satz 3 – mithin auf die richterliche Billigkeitsentscheidung – befürwortet; vgl OGH GlUNF 7491; Wahle, Rspr 1930, 164. 167  S dazu nur Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1419 Rz 7 mwN. 168  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 354; Koziol/Welser13 II 169; Reischauer in Rummel3 II/3 § 1419 Rz 27; Wahle, Rspr 1930, 164; OGH 6 Ob 396/66, SZ 39/223; 3 Ob 605/90, JBl 1991, 317 = ecolex 1991, 239. 169  Vgl etwa OGH 1 Ob 716/79, SZ 52/178 = JBl 1981, 594 (Wilhelm). 170  Grundlegend Reischauer in Rummel3 I §  904 Rz  6a; vgl auch Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 22; Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 35; LG Eisenstadt 37 R 154/07g, HS 38.327. 171  Dies entspricht dem Übergang des Wahlrechts auf den Schuldner bei der Wahlschuld (§ 906 Abs 2); vgl dazu nur Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 11. 172  Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 6a; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 21.

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nannte Einschränkung zeigt mE, dass die teilweise analoge Anwendung von § 906 Abs 2 und § 904 Satz 1 vorwiegend in den Fällen eingreift, in denen beim Kauf auf Abruf das Ende der Abruffrist unbestimmt ist.173 Die erwähnte (teilweise) Analogie ist aber mE insofern problematisch, als durch das Erfordernis, dem Gläubiger eine angemessene Frist zur Ausübung seines Bestimmungsrechts zu setzten, der Gefahrenübergang zu Lasten des Schuldners hinausgeschoben wird. Es scheint daher mE überzeugender, in Anlehnung an die Rsp die (erfolglose) Aufforderung zur Abnahme genügen zu lassen. Gleichwohl wird man im Zuge der ergänzenden Vertragsauslegung regelmäßig zum Ergebnis gelangen, dass der Schuldner dem Gläubiger eine angemessene Frist zur Abnahme174 – nicht aber dazu, einen anderen Abruftermin zu bestimmen – zu setzen hat; dies entspricht am ehesten der Vereinbarung redlicher Parteien und nähert sich zumindest teilweise im Ergebnis den § 906 Abs 2 zugrundeliegenden Wertungen an. Die Notwendigkeit einer Fälligstellung durch den Schuldner entfällt aber jedenfalls dann, wenn der Käufer den Abruf trotz Bereitstellung der Ware durch den Käufer beharrlich unterlässt.175 e) Einzelfälle Die Fälligkeit einer Forderung hängt grundsätzlich nicht von der Ertei­ 36 lung einer Rechnung ab, selbst wenn der Schuldner einen gesetzlichen (§ 11 UStG) oder – etwa aufgrund einer Nebenpflicht – einen vertraglichen Anspruch auf Rechnungslegung hat.176 Folglich hat auch eine überhöhte Rechnung keinen Einfluss auf die Fälligkeit des tatsächlich geschuldeten Betrags.177 Etwas anderes gilt nach der vor allem zum Werkvertragsrecht entwickelten stRsp dann, wenn die Ermittlung und Überprüfbarkeit des Anspruchs nach der Natur des Geschäfts und den Umständen des Einzelfalls eine genaue Abrechnung der erbrachten Leistungen und der aufgewendeten Kosten voraussetzt178 (vgl auch § 1334 Satz 2). Darüber hinaus steht es den Parteien frei, den Eintritt der Fälligkeit vereinbarungsgemäß von Legung einer ordnungsgemäßen Rechnung abhängig zu machen.179 Nach dem Wegfall der in § 359 Abs 1 HGB enthaltenen Auslegungsregel 37 – die jedoch in der heutigen Praxis nur mehr eine untergeordnete Rolle gespielt 173  In der älteren Lehre wurde zum Teil für diese Fälle eine Klärung mittels Klage auf „Feststellung der angemessenen Abruffrist“ – richtiger wohl: auf Feststellung, dass der Schuldner mangels Abruf zur Leistung berechtigt sei – für zulässig erachtet; vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1, 354; Wahle, Rsp 1930, 164. 174  Im Ergebnis ebenso Gschnitzer in Klang2 IV/1, 353. 175  OGH 5 Ob 9/72, SZ 45/11 = EvBl 1972/200 = JBl 1973,309; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 6a; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 22. 176  Vgl nur Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 4; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 1; OLG Graz 4 R 60/84, EvBl 1985/86. 177  OGH 6 Ob 746/78, RZ 1979/38; 29.9.1998, 4 Ob 252/98g; 1 Ob 39/99p, ecolex 1999/334 = RdW 1999, 715. 178  Vgl etwa OGH 6  Ob 84/65, SZ 38/44 = EvBl 1966/5 = JBl 1966, 250 (Wahle); 6 Ob 286/99y, ecolex 2001/46 = RdW 2000/712 (Rechtsanwaltshonorar); 5 Ob 113/09t, ecolex 2010/179 = ZVR 2011/65 (Huber); s auch RIS-Justiz RS0017592, RS0021821, RS0025587, RS0045344. 179  OGH 7.3.1991, 8 Ob 1517/91.

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haben dürfte – wird für die Frage, nach welchem Ortsgebrauch bspw die Vereinbarung der Leistung „im Frühjahr“ oder vergleichbare Regelungen in unternehmensbezogenen Geschäften auszulegen sind, auf die Wertungsgesichtspunkte des §  346 UGB abzustellen sein.180 Darüber hinaus dürften die im internationalen Handelsverkehr vielfach verwendeten Lieferungsklauseln (In­ coterms) für die Bestimmung der Leistungszeit eine untergeordnete Rolle spielen.181 Der OGH legte etwa die in einem CIF-Geschäft enthaltene Klausel „abgehend Dezember 1982“ dahingehend aus, dass die Schuldnerin die Verpflichtung für die Warenverladung, nicht aber für die Abfahrt des Schiffes, bis Ende Dezember 1982 übernahm. Selbst wenn sich mit den Incoterms vergleichbare Standards internationaler Zahlungsklauseln, die einer weitgehend einheitlichen Auslegung zugänglich sind, noch nicht etabliert haben182, exis­ tieren im Handelsverkehr übliche Zahlungsklauseln; dazu zählen etwa: „Kassa gegen Dokumente“ („cash against documents“)183, wonach die Zahlung gegen Vorlage der Dokumente zu erfolgen hat oder „C.O.D“ („cash on deli­ very“), wonach der Frachtführer den Kaufpreis bei Ablieferung einzuheben hat, woraus ein Barzahlungsgebot abzuleiten ist.184 Die Fälligkeit kann auch durch eine vertraglich oder gesetzlich vorgesehe38 ne Kündigung bestimmt werden.185 Die Beendigung des Schuldverhältnisses durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung hat in diesen Fällen die Fälligkeit – etwa der Rückzahlung des Darlehens (§ 983, bzw des Kreditbetrags samt offener Zinsen §  989) oder der Rückstellung der Bestandsache (§ 1109) – zur Folge. Bei unbefristeten Dauerschuldverhältnissen ist die Fälligkeit im Fall der Kündigung daher von einer (auflösenden) Potestativbedingung abhängig (§ 704).186 Wird die Unaufkündbarkeit bis zum Tod vereinbart, so ist durch Auslegung zu klären, ob nach dem Parteiwillen die Fälligkeit mit dem Todestag eintreten soll.187 Vergleichbar damit wurde ein Kündigungsverzicht seitens der Verpächter als Vereinbarung angesehen, die Dauer des Pachtvertrages bis an das Lebensende der Verpächter zu bestimmen.188 Durch den Abschluss eines Schiedsgutachtenvertrags übertragen die Par39 teien einem Schiedsgutachter die Aufgabe, über Tatsachen oder Elemente eiVgl dazu Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 359 Rz 2. In diese Richtung auch Gruber in MüKoBGB5 Art 33 CISG Rz 5; speziell zur Fälligkeit der Akkreditivbestellungspflicht des Käufers bei CIF-, FOB- und FCA-Geschäften vgl Meining, IHR 2004, 58. 182  Vgl Hager/Maultzsch in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum einheitlichen UN Kaufrecht5 (2008) Art 53 Rz 5. 183  Ausführlich dazu Lebuhn, Zur Auslegung der Zahlungsklausel „cash against documents”, IPRax 1989, 87. 184  Vgl Karollus, Praxisfragen der Vertragsauslegung, AnwBl 1996, 818; für weitere Bsp s Magnus in Staudinger, BGB (2005) Art 53 CISG Rz 5; Hager/Maultzsch in Schlechtriem/ Schwenzer, Kommentar zum einheitlichen UN Kaufrecht5 (2008) Art 53 Rz 6; Posch in Schwimann3 IV Art 54 UN-Kaufrecht Rz 3. 185  OGH 7 Ob 155/06d, VersE 2175; Mayrhofer, SchRAT 81; Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 271 Rz 9; ausführlich auch Addorisio de Feo, Fälligkeit Rz 628. 186  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 358. 187  So OGH GlU 5770; aA Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 1. 188  OGH GlU 14384. 180  181 

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nes Rechtsverhältnisses zu entscheiden oder den Parteiwillen durch einen entsprechenden Ausspruch zu ergänzen (bzw zu ersetzen).189 Dies hat nach Auffassung der Rsp zur Folge, dass der dem Schiedsgutachtenvertrag unterliegende Anspruch solange nicht fällig wird, bis das Schiedsgutachtenverfahren eingeleitet und – wenn auch erfolglos – durchgeführt wurde.190 In den folgenden Fällen ist die Durchführung eines Schiedsgutachtenverfahrens jedoch keine Voraussetzung für die Fälligkeit des Anspruchs: wenn die strittigen Fragen vom Gegenstand des Schiedsgutachtenvertrags nicht erfasst sind, wenn die Parteien einvernehmlich vom Schiedsgutachtenverfahren abgehen oder wenn die Durchführung des Schiedsgutachtenverfahrens unmöglich geworden ist.191 3. Gesetzliche Sonderregelungen Die dispositive Regelung des § 904 ABGB wird zum Teil durch speziellere 40 gesetzliche Vorschriften verdrängt.192 Dazu zählen im ABGB folgende (dispositive) Bestimmungen: §§  685, 687 (Vermächtnis); 962 (Verwahrung), 973, 974, 977, 978 (Leihvertrag), 1154 Abs 1 und 2 (Arbeitsentgelt), 1170 (Werkvertrag), 1285 (Leibrente) und 1334 (Geldschulden). Geldunterhaltsleistungen sind gem § 1418 wenigstens auf einen Monat im Voraus zu bezahlen.193 Relativ zwingend ist die Fälligkeit für bereits verdientes Arbeitsentgelt gem § 1154 Abs 3194 geregelt. Darüber hinaus finden sich außerhalb des ABGB zahlreiche Fälligkeitsre- 41 gelungen; vgl insbesondere: § 7 Abs 1 Hausbesorgergesetz (Hausbesorgerentgelt), § 12 TAG195 (Bezüge nach dem Theaterarbeitsgesetz), §§ 10 (Angestell­ tenprovisionsanspruch)196, 15 (Angestelltengehalt) und 39 AngG (Ausstellung eines Dienstzeugnisses), §§  15 (Provisionsanspruch des Handelsvertreters) und 26b HVertrG 1993 (Provisionsanspruch des Versicherungsvertreters), § 11 VersVG197 (Geldleistungen des Versicherers), §  16b Abs 2 MRG (Kaution); § 13 DepG (Pflicht des Kommissionärs beim Effektengeschäft zur Übersendung eines Stückverzeichnisses an den Kommittenten), § 37 BWG (Wertstel189  Vgl Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I (2011) Rz 3/12 mwN; OGH 7 Ob 13/80, ZVR 1980/304. 190  OGH 3 Ob 507/91, JBl 1991, 659. 191  OGH 7 Ob 657/78, SZ 51/139; vgl zum Ganzen Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I (2011) Rz 3/24; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 16. 192  Vgl auch Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 36. 193  Diese Bestimmung gilt jedoch nicht für Ersatzansprüche des Jugendwohlfahrtsträgers gem §§ 33, 40 JWG; vgl OGH 3 Ob 70/02v, EvBl 2002/164. 194  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 14. 195  Das Theaterarbeitsgesetz (BGBl I 2010/100) trat mit 1.1.2011 an die Stelle des bisherigen Schauspielergesetzes (SchauspG); der OGH entschied in 4 Ob 124/79, DRdA 1982, 207 (Rabo­f­ sky), dass Verpflegungs- und Reisekosten iSd § 15 Abs 3 SchauspG (nunmehr § 12 Abs 3 TAG) gem § 904 ABGB ohne unnötigen Aufschub zu bezahlen sind, sofern keine Frist vereinbart wurde; diese Notwendigkeit der Aufforderung lässt sich wohl nur aus der Wahlmöglichkeit des Dienstgebers ableiten, die Kosten „zu entrichten oder sicherzustellen“; so bereits Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 26. 196  Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 38. 197  Vgl ausführlich dazu Veenker, Fälligkeit 30.

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lung von Buchungen bzw Gutschriften im Geldverkehr mit Verbrauchern)198, § 10 BTVG (Kaufpreisraten beim Bauträgervertrag)199, § 2 Abs 2 GesAusG (Barabfindungsanspruch des ausgeschlossenen Minderheitsgesellschafters)200, §§ 10 (Provisionsanspruch des Maklers) und 31 MaklerG (Provisionsanspruch des Versicherungsmaklers), § 12 TNG 2011 (Zahlungen des Verbrauchers bei Teilzeitnutzungs- oder verwandten Verträgen und Vermittlungsverträgen)201, § 409 UGB (Provisionsanspruch des Spediteurs), § 14 IO (betagte Forderungen im Insolvenzverfahren) und § 5i Abs 1 KSchG (Ausführung der Bestellung eines Verbrauchers bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz); § 27 Abs 1 DSG (Löschung unrichtiger bzw unzulässig erhobener Daten)202. Zum Kreis der Regelungen außerhalb des ABGB zählt auch § 37 WEG, 42 nach dessen Abs  1 die mit dem Wohnungseigentumsbewerber vereinbarten Zahlungen nicht vor der Anmerkung der Einräumung von Wohnungseigentum fällig werden. Gem § 37 Abs 2 Z 2 WEG hat der Wohnungseingentumsorganisator nach Vollendung der Bauführung am Haus, in dem sich das zugesagte Objekt befindet, ohne Verzug alle Anträge zu stellen und Urkunden zu errichten, die für die Einverleibung des Eigentumsrechts am Mindestanteil sowie zur Begründung von Wohnungseigentum an allen dafür gewidmeten wohnungseigentumstauglichen Objekten der Liegenschaft erforderlich sind.203 Die Rsp verlangt zur Fälligstellung des Anspruchs des Wohnungseigentumswerbers nach § 23 Abs 2 Z 2 WEG 1975 (nunmehr: § 37 Abs 2 Z 2 WEG) zusätzlich eine Mahnung.204 Diese Auffassung lässt sich aber weder mit dem Zweck der Bestimmung205 noch mit seiner gesetzlichen Festlegung des Fälligkeitszeitpunkts, die ja gerade keine Mahnung mehr erforderlich macht206, vereinbaren; die gesetzliche an den Wohnungseigentumsorganisator gerichtet Anordnung, ohne Verzug tätig zu werden, vermeidet es, dem Wohnungseigentumsweber die Last aufzubürden, den Wohnungsorganisator zum Tätigwerden zu veranlassen. Die in der ursprünglichen Fassung der RL 2000/35/EG zur Bekämpfung 43 von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vorgesehenen Zahlungsfristen von 30 Tagen (Art 3 Abs 1 lit b) erforderten keine Umsetzungsmaßnahmen durch den österreichischen Gesetzgeber, weil die Möglichkeit des § 904 Satz 1 sogleich, also ohne unnötigen Aufschub fordern zu können, die Vorgaben der RL 198  Vgl etwa Koch in Dellinger, Bankwesengesetz (2010) § 37 Rz 4; Kriegner, Taggleiche Valutierung gemäß § 37 BWG verpflichtend? wbl 2008, 414. 199  Vgl Böhm/Pletzer in Schwimann2 IV § 10 BTVG Rz 6. 200  S nur Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung2 (2010) § 2 GesAusG Rz 28. 201  Stabentheiner, Das neue Teilzeitnutzungsgesetz, ÖJZ 2011, 253. 202  Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 39. 203  Vgl nur Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht (2007) § 37 WEG Rz 25. 204  OGH 7 Ob 696–767/76, SZ 50/15 = EvBl 1977/247 = JBl 1978,41 = MietSlg 29.521; 1 Ob 755/77, MietSlg 30.590. 205  Treffend Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 8; diesem folgend Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 8; krit zur Rsp auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 8. 206  Ausführlich Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht (2007) §  43 WEG Rz 14.

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erfüllt – ja für den Gläubiger sogar vorteilhafter ist.207 Demgegenüber zwingt die Neufassung dieser RL208 – wie bereits angedeutet (vgl Rz 13) – im Geschäftsverkehr mit öffentlichen Auftraggebern (iSd § 3 Abs 1 BVergG 2006) und öffentlichen Unternehmen (iSd § 165 Abs 2 BVergG 2006) zu Eingriffen in das dem österreichischen Zivilrecht zugrundeliegende Prinzip der Privatautonomie.209 Art 4 Abs 6 der Richtlinie beschränkt die Möglichkeit der Vereinbarung von Zahlungsfristen in Verträgen, in denen öffentliche Auftraggeber oder öffentliche Unternehmen als Zahlungsschuldner beteiligt sind, auf höchstens 60 Tage (vgl schon Rz 13).210 4. Natur der Sache § 1418 Satz 1 hebt die „Natur der Sache“ als bestimmendes Element für die 44 Leistungszeit besonders hervor. Es kommt ihr zunächst bei der Fälligkeitsbestimmung durch Vertragsauslegung nach § 914 eine wesentliche Bedeutung zu (vgl bereits Rz 9).211 Dies bestätigen auch die im älteren Schrifttum angeführten Beispiele: die zu einer bestimmten Beleuchtung bestellten Lampen müssen innerhalb angemessener Frist vor der Beleuchtung oder Baumaterialien dem Baufortschritt entsprechend geliefert werden212; für die Herstellung eines Porträts wird eine angemessene Zeit zur Verfügung stehen müssen, es genügt daher, wenn der Schuldner rechtzeitig beginnt und die Arbeit vorantreibt213. Aus der Natur der Sache folgt darüber hinaus, dass bei synallagmatischen 45 Verträgen, sofern keine Vorleistung eines Teils vereinbart wurde, Leistung und Gegenleistung zum selben Zeitpunkt fällig werden.214 Dies gilt in aller Regel auch dann, wenn nur für eine der Zug um Zug zu erbringenden Leistungen ausdrücklich eine Fälligkeitsabrede getroffen wurde.215 Wenn die Parteien eines gegenseitigen Vertrags keine Vereinbarung über die Fälligkeit getroffen haben (und daher §  904 Satz 1 gilt), so wird die eigene Leistung durch die Einmahnung der Gegenleistung fällig.216 Ebenso wird – wiederum vorausgesetzt, dass es an einer vertraglichen Fälligkeitsbestimmung fehlt – bereits in der faktischen (Vor-)Leistung durch eine der Vertragsparteien eine schlüssige Einmahnung der Gegenleistung zu erblicken sein217; diese Leistung wird ja 207  Vgl nur Graf, wbl 2002, 437; Jud, ecolex 1998, 683; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 17. 208  RL 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Neufassung), ABl L 2011/48, 1. 209  Frizberg, ÖJZ 2011, 631; Scheiber, Zahlungsverzug-Richtlinie 139. 210  Frizberg, ÖJZ 2011, 633. 211  Vgl etwa OGH 4 Ob 91,92/73, SZ 46/112; 1 Ob 1666/84, JBl 1985, 746 (Wilhelm). 212  Winiwarter, Gemeinschaftliche Bestimmungen2 89; Stubenrauch, Commentar8 II 837; vgl auch Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1417 Rz 2. 213  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352. 214  Am deutlichsten zeigt sich dies wohl am Beispiel des Bargeschäfts, bei dem der Kunde die Ware aussucht und gleichzeitig bezahlt; vgl Reischauer in Rummel3 II § 1334 Rz 4. 215  Ausführlich zu all diesen Fragen Bydlinski, JBl 1973, 286; vgl zudem Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 15. 216  Bydlinski, JBl 1973, 287. 217  So auch Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 15.

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regelmäßig in der Erwartung sofortiger Gegenleistung erbracht worden sein.218 Demgegenüber ist für den Fall, dass die Parteien einen Fälligkeitstermin vereinbart haben, nicht davon auszugehen, dass eine Partei einseitig vom Vereinbarten abweichend durch ihre Vorleistung die Fälligkeit der Gegenleistung auslösen kann.219 Besondere Auslegungsfragen stellen sich bei Vereinbarungen, in denen 46 die Fälligkeit der einen Leistung auf einen bestimmten (oder bestimmbaren) Zeitpunkt fixiert wird, der nach der anderen Leistung gelegenen ist, und im Vertrag gleichzeitig ein absoluter Zeitpunkt für die erstgenannte Leistung festgelegt wird;220 (Beispiel: Zahlung binnen 10 Tagen nach Warenlieferung bei gleichzeitiger Festlegung der Warenlieferung zu einem bestimmten Datum). Da es nicht angehen würde, dass der Schuldner aus der Nichterbringung der früheren Leistung einen Vorteil zieht, muss im Fall des Schuldnerverzugs die vereinbarte Kreditierungsfrist aufrechterhalten werden.221 (Für das genannten Bespiel folgt daraus, dass die zweite Leistung erst dann fällig wird, wenn die Ware geliefert wurde und die Zehntagesfrist abgelaufen ist, auch wenn das für die Warenlieferung bestimmte Datum schon verstrichen ist.) Annahmeverzug bezüglich der geschuldeten Vorleistung hindert hingegen in diesem Fall die Fälligkeit der Nachleistung nicht; andernfalls wäre es völlig der Willkür des Gläubigers der früheren und Schuldner der späteren Leistung überlassen, ob und wann der Vertrag erfüllt wird.222 In diesem Fall richtet sich die Fälligkeit der späteren Leistung allein nach den vertraglichen Regelungen, welche die Fälligkeit zeitlich absolut bestimmen.223 (In dem angeführten Beispiel wird daher die zweite Leistung nach Ablauf der Zehntagesfrist gerechnet vom vertraglich bestimmten Lieferungsdatum – mithin dem Tag des Annahmeverzugs – fällig.) Der Grundsatz der Leistungszeitbestimmung durch die Natur der Sache ist 47 der gesetzlichen Fälligkeitsregelung für Unterhaltsschulden einleitend unmittelbar vorangestellt. Diese systematische Anordnung zeigt aber mE bereits die Bedeutung der „Natur der Sache“ für gesetzliche Verbindlichkeiten.224 Darüber hinaus ist offenbar nach Auffassung des Gesetzgebers die besondere Fälligkeitsbestimmung für Unterhaltspflichten durch die Natur der Sache gerechtfertigt, weil ihre Erfüllung für den Unterhaltsberechtigten von existenzieller Bedeutung sein kann.225 § 1418 Satz 2 findet allerdings nur dann Anwendung, wenn der Unterhalt in Geld zu leisten ist.226 Unter Berücksichtigung seines Bydlinski, JBl 1973, 289. Bydlinski, JBl 1973, 289. 220  Grundlegend Bydlinski, JBl 1973, 284, der in diesem Zusammenhang von sog „doppelten Fälligkeitsabreden“ spricht. 221  Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 15; Bydlinski, JBl 1973, 285. 222  Bydlinski, JBl 1973, 285; Wimmer, ÖJZ 1980, 460; OGH 5 Ob 9/72, JBl 1973, 309. 223  Bydlinski, JBl 1973, 285. 224  Ähnlich bereits Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  1418 Rz 1; vgl auch Koziol in KBB3 § 1418 Rz 1. 225  Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1418 Rz 1; Winiwarter, Gemeinschaftliche Bestimmungen2 89. Für eine Ausdehnung dieser Regelung auf Schmerzengeld in Rentenform vgl Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 4. 226  Vgl etwa Reischauer in Rummel3 II § 1418 Rz 2; OGH 3 Ob 47/77, SZ 50/58. 218  219 

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primären Versorgungszwecks227 tritt beim nicht in einer Geldleistung bestehenden Ausgedinge – der Natur der Sache nach – die Fälligkeit für die einzelnen Leistungen erst nach und nach ein.228 Für Schadenersatzansprüche ist keine ausdrückliche gesetzliche Fällig- 48 keitsregelung vorgesehen. Es stellt sich daher die Frage, ob sich deren Fälligkeit aus der Rechtsordnung insgesamt oder aus der Natur der Sache ableiten lässt.229 Nach stRsp tritt die Fälligkeit von Schadenersatzforderungen erst dann ein, wenn der Schaden feststellbar und zumindest vom Beschädigten zahlenmäßig bestimmt worden ist230; die Natur der Sache ist daher nach Auffassung der Rsp offenbar nicht ausschlaggebend. Im Schrifttum wird hingegen teilweise zwischen der Fälligkeit bei Ersatz des objektiven Schadens zum einen und bei Interesseersatz zum anderen differenziert.231 Während im erstgenannten Fall für die Fälligkeit auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts abzustellen sei, richte sich beim Ersatz des nach der Differenzmethode berechneten subjektiven Interesses die Fälligkeit nach dem Zeitpunkt der Geltendmachung.232 5. Subsidiäre Bestimmung nach § 904 Satz 1 Fehlt es an einer vertraglichen oder gesetzlichen Leistungszeitbestimmung 49 und ergibt sich diese auch nicht aus der Natur der Sache, so richtet sich die Fälligkeit nach § 904 Satz 1.233 Der Gläubiger kann demnach die Erfüllung sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub fordern. Wie sich aus den §§ 1334 Satz 3 und 1417 erhellt, aktualisiert sich die Leistungspflicht des Schuldners – in den nicht vertraglich oder gesetzlich geregelten Fällen234 – erst durch die Aufforderung des Gläubigers.235 Die Fälligstellung der Leistung bedarf daher Vgl nur Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 530 Rz 24. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352; OGH 3  Ob  47/77, SZ 50/58; aA offenbar OGH 3 Ob 22/99k, EFSlg 91.211. 229  In diese Richtung Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 15/4; s zur Fälligkeit von Schadenersatzansprüchen allg Beck-Mannagetta, ÖJZ 1970, 315. 230  OGH GlU 11035; 2 Ob 181/68, SZ 41/79 = ZVR 1969/147; 2 Ob 392/68, RZ 1969,169 = JBl 1969, 664; 8 Ob 138/81, SZ 54/119 = JBl 1982, 656 = ZVR 1983/142; 2 Ob 158/07k, JBl 2009,39 = ZVR 2008/227 (Huber) = RZ 2009, 66; s auch RIS-Justiz RS0023392. 231  So Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 15/4 ff; aA Reischauer in Rummel3 II § 1323 Rz 16. 232  Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 15/5 und 15/8. 233  Vgl nur Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 26; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352. § 904 Satz 1 gilt auch dann, wenn in einem gerichtlichen Vergleich keine Leistungsfrist bestimmt wurde; vgl OGH 1 Ob 490/50, SZ 23/241. 234  Vgl OGH 5 Ob 6/08f, immolex 2008/105 (Prador). Der durch das ZinsRÄG (BGBl I 2002/118) in Umsetzung der RL 2000/35/EG zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr neugefasste § 1334 regelt in seinem Satz 2 jene Fälle, in denen es – abgesehen von der vertraglichen Vereinbarung der Leistungszeit – keiner Mahnung für den Fälligkeitseintritt bedarf; dazu zählen: die Leistungspflicht (Zug um Zug) ohne unnötigen Aufschub nach Erbringung der Sachleistung; nach Abschluss eines vereinbarten Abnahme- oder Überprüfungsverfahrens; nach Rechnungslegung, wenn die Forderungshöhe davor nicht feststeht; vgl ausführlich zum Ganzen Reischauer in Rummel3 II § 1334 Rz 3. 235  Der terminologischen Klarheit halber sei hier an die bereits oben (Rz 4) festgelegte Definition der Fälligkeit erinnert, die eben nicht bloß auf die Einforderbarkeit durch den Gläubiger, sondern auch auf das Leistenmüssen des Schuldners abstellt, sodass sich der Blick auf die §§ 1334 und 1417 richtet. 227  228 

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einer Mahnung durch den Gläubiger236, und zwar unabhängig davon, ob eine Geld- oder Sachleistung geschuldet ist.237 Mangels spezieller gesetzlicher Regelungen werden auch Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche durch Mahnung fällig gestellt (vgl bereits Rz 48).238 Bei der Mahnung handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willens50 mitteilung239, die erst dann wirksam wird, wenn sie dem Schuldner oder einem zur Entgegennahme Bevollmächtigen zugeht; sie setzt entsprechende Geschäftsfähigkeit auf Schuldner- und Gläubigerseite voraus.240 Die Mahnung unterliegt keinen besonderen Formerfordernissen und kann daher außergerichtlich oder gerichtlich – durch Leistungsklage bzw Klageerweiterung, nicht aber durch Feststellungsklage241 – erfolgen.242 Die Fälligstellung durch Klags­ erhebung birgt jedoch die Gefahr der Kostenlast für den Kläger in sich, wenn der Beklagte iSd §  45 ZPO keine Veranlassung zur Klagsführung gegeben hat.243 Bei Solidarschuldnern wirkt die Mahnung nur subjektiv, dh nur gegenüber dem Gesamtschuldner, der Erklärungsempfänger ist.244 Keiner Mahnung bedarf es hingegen, wenn der Schuldner von vornherein nicht zur Erfüllung seiner Leistungspflicht bereit ist.245 Zur Mahnung bei Zug um Zug Leistungsverpflichtungen vgl bereits Rz 45. Sobald die Mahnung dem Schuldner zugegangen ist, hat dieser sogleich 51 ohne unnötigen Aufschub zu leisten. Für die Prüfung des nötigen Aufschubs ist ein objektiver Beurteilungsmaßstab anzuwenden. Es ist daher darauf abzustellen, welche Zeit im rechtsgeschäftlichen Verkehr für die Erbringung der Leistung üblicher Weise erforderlich ist.246 Im Anschluss an einen Teil der Lehre und die Rsp ist der notwendige Aufschub mE auch nach Treu und 236  Vgl etwa Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 19; Koziol/Welser13 II 37; OGH 1 Ob 666/84, JBl 1985, 746 (Wilhelm); 5.9.1989, 5 Ob 95/88; 7 Ob 526/89, ÖBA 1989, 922; 1 Ob 122/00y, RdW 2001, 145; vgl allg RIS-Justiz RS0017614. 237  Reischauer in Rummel3 II § 1334 Rz 15; Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 1. 238  OGH GlU 5329; 6 Ob 330, 331/62, EvBl 1963/185; 1 Ob 511/92, SZ 65/5 = JBl 1992, 388 = RdW 1993, 205; OGH GlUNF 5781; 2 Ob 23/82, ZVR 1982/323; OLG Wien 31.3.1998, 15 R 39/98k; aA zu Bereicherungsansprüchen Reischauer in Rummel3 II § 1334 Rz 13. 239  Vgl nur Koziol/Welser13 I 99; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 20. 240  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 20; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 5; OGH 3 Ob 456/59, JBl 1960, 255; OLG Wien 31.3.1998, 15 R 39/98k (Zugang an Prozess­ vertreter). 241  So bereits Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 5; eine Mahnung iSd § 13 KSchG ersetzt eine Klage allerdings nicht; vgl OGH 1 Ob 2373/96v, SZ 69/280 = ÖBA 1997, 562 = RdW 1997, 274 = KRES 1e/20. 242  Vgl bereits OGH GlU 8481; GlU 13970; 4 Ob 149/06z, SZ 2006/168. 243  Vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny2 II/1 § 45 ZPO Rz 3. 244  Ausführlich dazu Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 893, 894 Rz 18; OGH 8 Ob 138/81, SZ 54/119 = JBl 1982, 656 = ZVR 1983/142. 245  Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 35; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 20; OGH 6 Os 219/61, RZ 1961/182; so auch die stRsp zum Wegfall des Erfordernisses einer Nachfristsetzung iSd §  918; vgl OGH 6 Ob 805/81, SZ 54/173 = EvBl 1982/95; RIS-Justiz RS0018428. 246  Anschaulich bereits Zeiller, Commentar III 90; treffend auch Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 5; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 21; OGH 7 Ob 510/84, HS XVI/ XVII/3 (Erstellung einer Bankgarantie); 6 Ob 248/03v, ÖBA 2004/1241 (Rabl) (Lastenfreistellung

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Glauben sowie allenfalls einschlägigen Verkehrssitten zu beurteilen.247 Dies lässt sich mit der Vertragsauslegung nach der Übung des redlichen Verkehrs begründen.248 Sofern kein Aufschub notwendig ist, muss die Leistung mit Ablauf des Tages erbracht werden, an dem die Mahnung dem Schuldner zugegangen ist; ansonsten innerhalb der nötigen Aufschubsfrist.249 Im Gegensatz dazu tritt die Fälligkeit nach § 1334 Satz 3 an dem Tag ein, der dem Mahnungszugang folgt, nach § 1417 Satz 1 am Zugangstag selbst. Nach hA ist die Antinomie zwischen § 904 zum einen, und § 1334 Satz 3 und § 1417 zum anderen – im Anschluss an Reischauer250 – dahingehend aufzulösen, dass die letztgenannten Bestimmungen im Hinblick auf § 904 Satz 1 „korrigierend zu interpretieren seien“, mit anderen Worten: auch nach § 1334 Satz 3 und § 1417 ein entsprechender Aufschub zu gewähren ist, sofern dies notwendig scheint.251 Dem wird man für vertragliche Ansprüche folgen müssen; ob diese Korrektur jedoch auch für sämtliche gesetzlichen Schuldverhältnisse erforderlich ist, darf mE bezweifelt werden; so wäre es bspw nicht einsichtig, dem Schädiger oder Bereicherten einen Zahlungsaufschub zu gewähren.252 Generell dürfte für die Zahlung von Geldforderungen keine allzu große Vorbereitungszeit erforderlich sein. Dies entspricht auch den Wertungen des Gesetzgebers; in den Materialien zum ZinsRÄG ist von einem Zeitraum zwischen einem Tag und einer Woche – bei größeren Beträgen mit mehreren Rechnungsposten – die Rede.253 Da Fälligkeit und Erfüllbarkeit im Anwendungsbereich des § 904 Satz 1 52 zusammenfallen (vgl Rz 5), ist auch der Schuldner sogleich berechtigt, seine Leistung zu erbringen, wobei dem Gläubiger in diesem Fall ein nach Treu und Glauben zu bestimmender Zeitraum für die Annahme einzuräumen ist.254 Der Schuldner wird in diesem Fall dem Gläubiger eine angemessene Frist zur Abnahme setzen müssen (vgl dazu bereits Rz 35). Für Dauerschuldverhältnisse lässt sich § 904 lediglich entnehmen, dass 53 sich die Anordnung, sogleich zu erfüllen, bei positiven Handlungspflichten – einer Liegenschaft); 1 Ob 204/06s, wobl 2007/136 (Bollenberger); LGZ Wien 37 R 3/97h, EFSlg 84.389 (Zahlung von Schmerzengeld); vgl auch Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 30. 247  Treffend Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352; Binder in Schwimann3 IV §  904 Rz  28; Koziol/ Welser13 II 37; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 21; OGH 4 Ob 124/79, DRdA 1982, 207 (Robofsky); OLG Wien 31.3.1998, 15 R 39/98k, krit jedoch Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 5. 248  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 21; in der Rsp ist zudem anerkannt, dass auch die Erfüllung und Durchführung von Verträgen nach Treu und Glauben zu erfolgen hat; vgl etwa OGH 2 Ob 375/64, SZ 38/72; 1 Ob 658/78, SZ 51/103; s auch RIS-Justiz RS0013395; RS0017859. 249  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 21. 250  Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 5; ders in Rummel3 II § 1334 Rz 9. 251  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 21; ausdrücklich idS auch die EB RV 1167 BlgNR 21. GP 15, zum ZinsRÄG; § 1417 betreffend wohl auch Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 32. 252  Tendenziell bereits Nippel, Erläuterungen VIII, 216, der jedoch zu Unrecht den Anwendungsbereich von § 904 auf die Erfüllung vertraglicher Verbindlichkeiten beschränken möchte; dem widerspricht schon der Verweis in § 1417. 253  EB RV 1167 BlgNR 21. GP 15; die 30-Tages-Frist darf aber im Anwendungsbereich der Richtlinie schon aufgrund des Gebots richtilinienkonformer Interpretation nicht überschritten werden; vgl Dehn, wbl 2002, 514. 254  Grundlegend Gschnitzer in Klang2 IV/1, 353.

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etwa der Hingabe bei der Gebrauchsüberlassung – auf den ersten Akt der Erfüllung255, bei Unterlassungspflichten auf den Anfang der Dauerverpflichtung bezieht.256

IV. Rechtsfolgen 54

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Der Eintritt der Fälligkeit ist in erster Linie für Gläubiger- und Schuldnerverzug von Bedeutung. Erbringt der Schuldner die Leistung nicht zu dem vertraglich, gesetzlich oder der Natur der Sache nach bestimmten Fälligkeitstag (vgl Rz 9 ff), so gerät er mit dessen Ablauf (§ 903) in Verzug (§ 918)257, eine Mahnung ist nicht erforderlich.258 In den Fällen, in denen die Fälligstellung durch Mahnung erfolgt (vgl Rz 49 ff), gerät der Schuldner in Verzug, sofern er nicht ohne unnötigen Aufschub – mithin innerhalb einer im redlichen Geschäftsverkehr üblichen Zeit – leistet.259 Für die Rechtsfolgen des objektiven und subjektiven Schuldnerverzugs vgl § 918; zu den im Fall der Zahlungsverzögerung vorgesehenen gesetzlichen Verzugszinsen vgl §§ 1333, 1334260. Beim absoluten Fixgeschäft ist die Einhaltung der Leistungszeit von derartiger Bedeutung, dass der Vertrag im Verzugsfall von selbst „zerfällt“; die Rücktrittserklärung liegt bereits in der Vereinbarung des Fixgeschäfts261; dazu sowie zum relativen Fixgeschäft vgl § 919. Der Zeitpunkt der Fälligkeit fällt regelmäßig mit jenem der Erfüllbarkeit zusammen; in bestimmten Fällen tritt die Erfüllbarkeit aber schon eher ein (vgl schon Rz 6). Ist die Leistung erfüllbar, und wird sie am gehörigen Ort (§ 905) auf die bedungene Weise angeboten, so gerät der Gläubiger in Verzug, wenn er sie nicht annimmt.262 Zu den Rechtsfolgen des Annahmeverzugs vgl § 1419; zum Erfordernis der Annahmefristsetzung vgl bereits Rz 35. Darüber hinaus knüpft der Verjährungsbeginn an die objektive Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts an; dies setzt bei Leistungsansprüchen regelmäßig nicht nur ihr Entstehen, sondern auch ihre Fälligkeit voraus263; vgl § 1478. Zu Verjährungs- und Verzugsfolgen bei Vereinbarung der Erfüllung nach Möglichkeit und Tunlichkeit vgl bereits Rz 28 und 29. Die Fälligkeit der Forderung zählt auch zu den Aufrechnungsvorausset­ zungen nach § 1439264; dies gilt jedoch nicht im Insolvenzverfahren, in dem Gschnitzer in Klang2 IV/1, 352, der dies allerdings aus der Natur der Sache ableitet. So wird auch §  271 BGB ausgelegt; s dazu Bittner in Staudinger, BGB (2009) §  271 Rz 18; Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 33. 257  Vgl nur Koziol/Welser13 II 52. 258  Dazu zählen auch die Fälle des §  1334 Satz 2; vgl bereits Rz  49; s auch Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 18. 259  Reischauer in Rummel3 II § 1334 Rz 9. 260  Zu den Neuerungen im Zuge der Neufassung der Richtline zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (RL 2011/7/EU) vgl Frizberg, ÖJZ 2011, 634. 261  Vgl etwa Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 919 Rz 9. 262  S nur Koziol/Welser13 II 59. 263  Vgl Dehn in KBB3 § 1478 Rz 2; Madl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1478 Rz 16; OGH 27.4.2011, 7 Ob 165/10f; vgl allg RIS-Justiz RS0034343. 264  Griss in KBB3 § 1439 Rz 3. 255  256 

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Stundung

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die Aufrechnung – ihrer Sicherungsfunktion Rechnung tragend – insofern erleichtert wird, als mit im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch bedingten oder betagten Forderungen aufgerechnet werden kann (§ 19 Abs 2 IO)265. Als weitere an die Fälligkeit anknüpfende Bestimmungen sind insbesonde- 60 re § 466b (Pfandverwertung), § 471 (Retentionsrecht) sowie § 1416 (Tilgungsregelung) zu nennen.

V. Stundung Die Fälligkeit kann durch Parteivereinbarung, Gesetz oder (im Einzelfall) 61 gerichtliche Entscheidung266 aufgeschoben werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob die bereits bestimmte Leistungszeit nachträglich hinausgeschoben – mithin geändert – werden soll (ändernde Stundung) oder ob bloß die Möglichkeit der Geltendmachung, nicht aber der Fälligkeitseintritt, aufgeschoben werden soll (reine Stundung).267 Bei der ändernden Stundung wird der Fälligkeitszeitpunkt neu festge- 62 setzt; die an den Fälligkeitseintritt anknüpfenden Rechtsfolgen treten folglich erst zum geänderten Zeitpunkt ein: Der Schuldner gerät nicht eher in Verzug, darf aber, sofern die Auslegung der Vereinbarung nichts Abweichendes ergibt, seine Leistung auch nicht früher erbringen (§ 1413).268 Die Verjährungsfrist beginnt daher erst ab dem geänderten Fälligkeitstermin zu laufen, genauer: mit Beginn des auf den Fälligkeitstag folgenden Tages (vgl § 902).269 Ein Verstoß gegen zwingende gesetzliche Fälligkeitsregelungen hat die Unwirksamkeit der Stundungsabrede zur Folge.270 Im Gegensatz dazu berührt die reine Stundung die Fälligkeit nicht, somit 63 wird auch der objektive Verzug – und damit die Verpflichtung zur Zahlung der gesetzlichen Verzugszinsen (§  1333) – nicht beseitigt.271 Die bloße Hinausschiebung der Geltendmachung durch den Gläubiger hindert den Schuldner nicht, vor dem vereinbarten Endzeitpunkt der Stundung zu leisten.272 Ebenso Vgl nur Schubert in Konecny/Schubert, KO §§ 19, 20 Rz 2. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn der Schuldner aufgrund eines Drittverbots seine Leistung nicht erbringen darf; vgl OGH 6 Ob 537/88, SZ 61/79 = ÖBA 1988, 712 (Koziol) = ÖBA 1988, 1097 (Schinnerer) = RdW 1988, 193; aA Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13. 267  Vgl nur Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 49; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 23; Koziol/Welser13 II 38; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13; terminologisch abweichend Mayrhofer, SchRAT 83 (der einander volle und abgeschwächte Stundung gegenüberstellt); OGH 7 Ob 578/92, ÖBA 1993, 315 = JBl 1993, 456; 30.1.2001, 1 Ob 14/01t; 8 Ob 99/09f, ÖBA 2010/1608 = RdW 2010/20 = ecolex 2010/11. 268  Vgl etwa Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 49; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGBON § 904 Rz 23; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13. 269  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 23; Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 49; Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 4; OGH 30.1.2001, 1 Ob 14/01t. 270  OGH 14 Ob 215/86, RdA 1990/12 (Eypeltauer) = Arb 10.605. 271  Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 50; Bollenberger in KBB3 § 904 Rz 4; Koziol/Welser13 II 38; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13; OGH 7 Ob 578/92, ÖBA 1993, 315 = JBl 1993, 456; 4 Ob 215/97i, SZ 70/174 = JBl 1998, 53 = ÖBA 1998/693; 30.1.2001, 1 Ob 14/01t. 272  Vgl nur Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  904 Rz  24; Mayrhofer, SchRAT 83. 265  266 

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Koller

wenig steht die reine Stundung der Aufrechenbarkeit der Forderung entgegen.273 Bis zum Ende der vereinbarten Stundungsfrist steht dem Gläubiger kein Rücktrittsrecht nach § 918 zu274; dies lässt sich mE schon aus einem in der Zustimmung zur Stundung durch den Gläubiger liegenden (konkludenten) Verzicht, binnen der vereinbarten Frist nicht von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen, begründen. Gleichwohl wird man dem Gläubiger die Möglichkeit zugestehen müssen, dem Schuldner „die Rute ins Fenster zu stellen“, in dem er (vorsorglich) den Rücktritt für einen nach der vereinbarten Frist liegenden Zeitpunkt erklärt.275 Bei subjektivem Schuldnerverzug ist ohne besondere Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass der Schuldner von etwai­gen Schadenersatzpflichten befreit wird.276 Für die Frage, wann eine unbefristete reine Stundung beendet werden kann, ist mE die Stundungsvereinbarung auszulegen und nur dann, wenn sich auch im Wege ergänzender Vertragsauslegung kein Zeitpunkt festlegen lässt, eine jederzeitige Widerrufbarkeit ohne Nachfristsetzung anzunehmen.277 Ist im Stundungsersuchen oder in der Stundungsvereinbarung ein deklaratives Anerkenntnis zu erblicken, so wird die Verjährung unterbrochen278; dies ist durch Auslegung zu klären279, weil für die Stundungsvereinbarung auch andere Gründe ausschlaggebend sein können, etwa die Führung von Vergleichsgesprächen280. In der Rsp wird jedoch zum Teil die Auffassung vertreten, die reine Stundung hemme bloß den Lauf der Verjährungsfrist.281 Reine Stundung wirkt auch zugunsten des Bür­ gen und Zahlers.282 Fraglich ist, ob durch die Stundungsvereinbarung das Recht des Gläubigers auf Pfandverwertung (§ 466b) eingeschränkt wird; mE dürfte dies schon aus dem Zweck der Stundungsvereinbarung ableitbar sein. Das bloße Zuwarten mit der Klagserhebung während einer Zeit, inner64 halb derer Sanierungsmaßnahmen des Vertragspartners in Aussicht stehen, lässt jedoch nicht ohne weiteres auf eine reine (oder gar abändernde) Stundung schließen.283 Unklarheiten darüber, ob ändernde oder reine Stundung vorliegt, sind 65 durch Auslegung zu klären.284 Wird die Stundung erst nach Eintritt der FälligOGH 9 ObA 77/01s, DRdA 2003/4 (Reissner); Dullinger in Rummel3 II § 1439 Rz 7 mwN. OGH 4 Ob 518/88, JBl 1988, 447. 275  Treffend Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13. 276  OGH 6 Ob 536/90, ÖBA 1990, 639; im Anschluss an Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13; aA Mayrhofer, SchRAT 83. 277  Tendenziell strenger aber die hA: Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 50; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13; OGH 4 Ob 518/88, JBl 1988, 447 278  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 24; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13; OGH 7 Ob 292/04y, RdW 2005/547 (ohne jedoch darauf einzugehen, ob nicht auch in der Stundung ein Anerkenntnis liegt). 279  So bereits Klang in Klang2 VI 650. 280  Vgl Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13. 281  OGH 3 Ob 189–191/74, EvBl 1975/166; 4 Ob 2114/96b, HS 27.740; vgl auch RIS-Justiz RS0034405 und RS0017597, diese Rechtssätze spiegeln jedoch in den Entscheidungen teilweise vorgenommene Differenzierung nicht adäquat wider; tendenziell wie die Rsp Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 50. 282  OGH 7 Ob 578/92, JBl 1993, 456 = ecolex 1993, 160 = RdW 1993, 7. 283  OGH 8 Ob 503/87, ÖBA 1987, 415 (Koziol) = RdW 1987, 156. 284  Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 51; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 25. 273  274 

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Stundung

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keit vereinbart, so spricht dies regelmäßig für eine reine Stundung; im umgekehrten Fall hingegen liegt der Schluss nahe, dass die Parteien den ursprünglich vereinbarten Fälligkeitstermin abändern wollen (ändernde Stundung).285 So wurde bspw sowohl im Hinausschieben der Rechnungslegung286 als auch in der Neufestsetzung späterer Zahlungstermine in einem konstitutiven Anerkenntnis287 eine ändernde Stundung erblickt. Während bei unentgeltlicher Stundung gem § 915 im Zweifel die geringere Last, mithin reine Stundung, anzunehmen ist, spricht Entgeltsgewährung für die Stundung – oder Stundungsgewährung als Entgelt288 – für das Vorliegen ändernder Stundung.289 Rückstehungserklärungen im Rahmen von Insolvenzverfahren (vgl etwa § 67 Abs 3 IO) werden nach hA als reine Stundung bei gleichzeitigem auflösend bedingtem Forderungs- bzw Befriedigungsverzicht verstanden.290 Die Aufschiebung der Fälligkeit kann aber auch kraft Gesetzes erfolgen. 66 Bei der in § 11 IO angeordneten Zwangsstundung für die Erfüllung von Ausund Absonderungsansprüchen handelt es sich bspw um eine reine Stundung.291 Gem § 26 Abs 3 E-ControlG wird für die Dauer des Schlichtungsverfahrens die Fälligkeit „aufgeschoben“, worunter wohl eine ändernde Stundung zu verstehen sein wird (vgl auch § 71 Abs 2 TKG). Vergleichbar mit der reinen Stundung schiebt auch die Einräumung von 67 Respekttagen (einem sog Respiro) nicht die Fälligkeit einer Forderung, sondern (je nach Sachlage) lediglich die (oder einzelne) Verzugsfolgen hinaus; mit anderen Worten: der Gläubiger verzichtet auf die Geltendmachung von Verzugsfolgen bei zwar verspäteter, aber innerhalb der „Respekttage“ erfolgender Leistung.292 Im Gegensatz zur Stundung wird durch die Skontovereinbarung weder 68 die Fälligkeit noch die Möglichkeit der Geltendmachung hinausgeschoben; vielmehr wird der Schuldner in der Regel berechtigt innerhalb der Skontofrist – mithin vor Fälligkeit – einen um den Skonto verminderten Betrag zu zahlen, wodurch der Schuldner zur raschen Zahlung bewogen werden soll.293 285  Für diese Differenzierung bereits Gschnitzer, SchRAT 46; Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 51; OGH 2 Ob 682/86, MietSlg 38.210; 7 Ob 578/92, JBl 1993, 456 = ecolex 1993, 160 = RdW 1993, 7. 286  OGH 5 Ob 311/80, JBl 1982, 429 = HS 13.151. 287  OGH 4 Ob 215/97i, JBl 1998, 53. 288  OGH 1 Ob 785/82, SZ 56/30 = EvBl 1983/133. 289  Treffend Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 13; vgl auch Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 51; Mayrhofer, SchRAT 85. 290  So bereits zu Rückstehungserklärungen von Ausgleichsgläubigern Koziol, RdW 1988, 342; vgl auch Riel in Konecny/ Schubert, KO § 150 Rz 22; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger4 II/2 § 67 KO Rz 109; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 904 Rz 25; Binder in Schwimann3 IV § 904 Rz 52. 291  Vgl nur Jelinek, Insolvenzrechtsreform 2010, wbl 2010, 384. 292  OGH 3 Ob 86/80, EvBl 1981/42 S 126 = JBl 1981,602; 3 Ob 75/90, EFSlg 63.161; 3 Ob 197/05z, RdW 2006/8. 293  Vgl dazu und zu Fällen, in denen mit der Skontovereinbarung eine Fälligkeitsvereinbarung intendiert sein kann, Höller, Konkursanfechtung von Zahlungen innerhalb der Skontofrist, ecolex 2005, 517; s auch Krüger in MüKoBGB5 § 271 Rz 22; Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 271 Rz 12.

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Zum Terminsverlust, der eine Vorverlegung der Fälligkeit der gesamten Schuld als Sanktion für den Verzug mit einer Teilleistung bewirkt, vgl bei § 13 KSchG und § 14 Abs 3 VKrG. Die Exekutionsstundung ist grundsätzlich eine vollstreckungsrechtliche 70 Vereinbarung, durch welche der Gläubiger lediglich auf die Exekutionsführung verzichtet; die Fälligkeit der Forderung bleibt davon unberührt, der Schuldner befindet sich weiterhin im Verzug. Im Exekutionsverfahren ist sie als Impugnationsgrund nach § 36 Abs 1 Z 3 geltend zu machen.294 Als Exekutionsstundung ist auch die im Urteil gem § 409 Abs 1 ZPO bestimmte Leis­ tungsfrist anzusehen.295 Wurde in einem gerichtlichen Vergleich keine Leis­ tungsfrist vereinbart, so gilt hingegen § 904 Satz 1.296 69

VI. Prozessuales Nach der Grundregel des § 406 Satz 1 ZPO muss der in der Klage geltend gemachte Anspruch spätestens „zur Zeit der Urteilsschöpfung“, worunter der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu verstehen ist, fällig sein.297 Die Voraussetzungen nach § 406 ZPO sind von Amts wegen zu beachten, daher hat nach hRsp das Gericht schon im Fall allgemeiner Bestreitung des Klagsanspruchs verpflichtend den Fälligkeitseintritt zu prüfen.298 Mangelnde Fälligkeit hat die Abweisung der Klage zur Folge.299 Die Rechtskraft des klagsabweisenden Urteils hindert jedoch die neuerliche Einklagung desselben Anspruchs nach Fälligkeitseintritt nicht, weil darin eine nachträgliche Änderung der rechtserzeugenden Tatsachen liegt.300 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich die Einrede 72 der mangelnden Fälligkeit und die Zug um Zug-Einrede prozessual unterschiedlich auswirken: während die Klage bei erfolgreicher Einrede mangelnder Fälligkeit abzuweisen ist, kommt bei Zug um Zug-Verpflichtungen, sofern die Einrede auch tatsächlich erhoben wird, nur eine Verurteilung Zug um Zug in Betracht.301 Die Durchsetzung einer Geldforderung im Mahnverfahren setzt nach 73 § 244 Abs 2 Z 2 ZPO ausdrücklich deren Fälligkeit voraus. Folglich darf kein Zahlungsbefehl erlassen werden, wenn die Klagsforderung nach den Angaben 71

Jakusch in Angst, EO2 § 36 Rz 49. Vgl nur Fucik in Fasching/Konecny2 III § 409 Rz 3. 296  OGH 1 Ob 490/50, SZ 23/241. 297  Vgl etwa Fucik in Fasching/Konecny2 III § 406 Rz 23; Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 406 Rz 1 jeweils mwN. 298  OGH 3 Ob 258/59, EvBl 1959/318; 4 Ob 134/59, JBl 1960, 156; 3.5.1962, 8 Ob 119/62; 1 Ob 68/64, RZ 1965; dies gilt auch für § 37 AußstrG; vgl OGH 6 Ob 247/09f, EFSlg 122.574. 299  So bereits OGH GlUNF 7392; Fasching in Fasching/Konecny2 III § 226 Rz 13, 51; Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 406 ZPO Rz 7. 300  Vgl Fasching/Klicka in Fasching/Konecny2 III § 411 Rz 97; Fucik in Fasching/Konecny2 III § 406 Rz 23; OGH 3 Ob 295/56, EvBl 1957/91; 21.12.1972, 6 Ob 251/72. 301  Treffend bereits Bydlinski, JBl 1973, 284; speziell zum Werkvertrag vgl auch Karollus/ Lukas, Das sogenannte Zurückbehaltungsrecht des Werkbestellers – Überlegungen zu § 1170 ABGB de lege lata und de lege ferenda, JBl 2001, 678. 294  295 

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in der Klage (oder offenkundig) nicht fällig ist.302 In diesem Fall ist das ordentliche Verfahren einzuleiten.303 Das Fälligkeitserfordernis gilt auch für die Geltendmachung von Forderungen im Europäischen Mahnverfahren.304 Vor Eintritt der Fälligkeit steht dem Kläger die Feststellungsklage gem 74 § 228 ZPO zur Verfügung – etwa auf Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs –, vorausgesetzt es besteht ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung.305 Eine Ausnahme vom Erfordernis der Fälligkeit macht § 406 Satz 2 ZPO 75 zugunsten von Alimentationsansprüchen, worunter periodisch zu erbringende Geld- oder Sachleistungen zu verstehen sind, die rechtlich oder wirtschaftlich der gänzlichen oder teilweisen Befriedigung des laufenden unmittelbaren Lebensbedarfs des Klägers dienen. Die Verurteilung zur zukünftig fällig werdenden Leistung ist in diesen Fällen zulässig.306 Durch die Rsp wurde der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung teilweise auf noch nicht fällige Leis­ tungen aus Dauerschuldverhältnissen oder aus Verträgen, die zur Sukzessiv­ lieferung verpflichten, ausgedehnt.307 Zur Vereinbarkeit der Fälligkeitsbestimmung durch richterlichen Gestaltungsakt gem § 904 Satz 3 mit § 406 ZPO bei der Vereinbarung der Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit vgl bereits Rz 26. Richtet sich die Fälligkeit nach vertraglicher Vereinbarung, gesetzlicher 76 Regelung oder der Natur der Sache, so trifft den Gläubiger die Behauptungsund Beweislast dafür, dass sein Anspruch fällig ist, wenn er die Erfüllung verlangt.308 Zu diesem Ergebnis gelangt man auch dann, wenn man die Fälligkeit generell als Anspruchsvoraussetzung versteht. Allein die fehlende Behauptung, dass der Anspruch fällig sei, macht die Klage aber noch nicht unschlüssig.309 Demgegenüber hat der Schuldner zu behaupten und zu beweisen, dass die Fälligkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten soll. Darüber hinaus trifft den Schuldner die Behauptungs- und Beweislast für die Fälligkeit hinausschiebende Vereinbarungen, wie etwa die (reine oder abändernde) Stundung, aber auch für die Vereinbarung der Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit.310 Ist der Anspruch hingegen sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub nach § 904 Satz 1 zu leisten, so spricht diese Zweifelsregel mE eher Vgl dazu Kodek in Fasching/Konecny2 III § 244 ZPO Rz 58. Kodek in Fasching/Konecny2 III § 244 ZPO Rz 10. 304  Ausführlich dazu Kodek in Fasching/Konecny2 V/2 Art 4 EuMahnVO Rz 12. 305  Dies liegt bspw auch dann vor, wenn der künftige Eintritt der Fälligkeit einer Forderung umstritten ist; vgl OGH 3 Ob 628/85, RdW 1986, 81; vgl Fasching in Fasching/Konecny2 III § 228 Rz 72 ff. 306  Vgl zum Ganzen ausführlich Fucik in Fasching/Konecny2 III § 406 Rz 27; Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 406 Rz 8 jeweils mwN. 307  Vgl etwa OGH 7  Ob  37/09f, EvBl 2009/153 = RdW 2009, 640 = immolex 2010/22 (Malaun); Fucik in Fasching/Konecny2 III § 406 Rz 31; Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 406 Rz 9. 308  In diese Richtung bereits OGH GlU 5340; 30.5.1988, 6 Ob 574/87. 309  Vgl OGH 2 Ob 321/51, SZ 24/147; 18.3.1999, 8 ObA 246/98d. 310  OGH 24.5.1989, 3 Ob 37/89; Reischauer in Rummel3 I § 904 Rz 11. Vgl zur – mE unzutreffend als solche bezeichneten – Beweislast des Gläubigers im Fall der Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit Rz 24. 302  303 

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für eine Behauptungs- und Beweislast des Schuldner hinsichtlich aller Umstände, die für einen allenfalls noch notwendigen Aufschub sprechen. Aus insolvenzrechtlicher Sicht ist die Fälligkeit insofern von Bedeutung, 77 als eine Leistung des Gemeinschuldners vor ihrem Eintritt Gefahr läuft den Anfechtungstatbestand des § 30 Abs 1 Z 1 IO (Inkongruenz) zu erfüllen.311 Bei einer bloß nach Möglichkeit oder Tunlichkeit zu erfüllenden Verpflichtung scheitert jedoch die insolvenzrechtliche Anfechtung an der fehlenden Befriedigungstauglichkeit, wenn die Fälligkeitsvoraussetzungen nicht bis zum Ende des Insolvenzverfahrens eintreten.312

VII. Internationale Regelungen 78

Im Gegensatz zu der in § 904 Satz 1 normierten Fälligkeitsregelung sieht Art 33 lit c UN-Kaufrecht vor, dass die Ware innerhalb angemessener Frist nach Vertragsabschluss zu liefern ist, sofern es an einem vertraglich vereinbarten Lieferungszeitpunkt (oder eine vereinbarten Lieferungsfrist) mangelt. Diesem Beispiel folgen transnationale wie europäische Rechtsvereinheitli­ chungsvorschläge gleichermaßen: Art 7:102 Abs 3 der Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (PECL), Art III–2:102 Abs 1 des Entwurfs eines Gemeinsamen Referenzrahmens (DCFR)313 sowie Art 6.1.1 der Unidroit Principles314. Die Auslegung dieser Bestimmungen hat autonom zu erfolgen, wobei sich 79 die Angemessenheit nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Parteien sowie der Branchenüblichkeit richtet.315 Anders als der Wortlaut es vermuten ließe, führt aber auch das Kriterium der Angemessenheit in aller Regel zum selben Ergebnis wie § 904 Satz 1, bei dem ja gerade bei der Prüfung des zur Erbringung der Leistung nötigen Aufschubs in letzter Instanz auf Treu und Glauben abzustellen ist (vgl bereits Rz 51).316

dazu König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung4 (2009) Rz 10/60. OGH 6 Ob 581/87, RdW 1988, 354. 313  Tendenziell strenger ist jedoch die in der derzeitigen Fassung der „Feasibility Study“ (Machbarkeitsstudie) zum Europäischen Vertragsrecht vorgesehene Regelung, nach der die Ware „without undue delay“ (mithin ohne unnötige Verzögerung) zu liefern ist (vgl Part IV, Chapter 10, Section 2, Art 98), sofern sich die Leistungszeit nicht anders bestimmen lässt; vgl http://ec.europa. eu/justice/contract/index_en.htm (15.8.2011). 314  Vgl dazu Atmer in Vogenauer/Kleinheisterkamp, Commentary on the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (2009) Art 6.1.1 Rz 17. 315  Vgl etwa Magnus in Staudinger, BGB (2005) Art 33 CISG Rz 22; Widmer in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum einheitlichen UN Kaufrecht5 (2008) Art 33 Rz 16 jeweils mwN. 316  Ähnlich zu Art 7:102 Abs 3 PECL von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts Teil I und II (2002) 402; tendenziell wie hier zu Art 33 UN-Kaufrecht vgl Posch in in Schwimann3 IV Art 33 UN-Kaufrecht Rz 1. 311  Ausführlich 312 

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Literatur

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§ 905. (1) Kann der Erfüllungsort weder aus der Verabredung noch aus der Natur oder dem Zwecke des Geschäftes bestimmt werden, so ist an dem Orte zu leisten, wo der Schuldner zur Zeit des Vertragsabschlusses seinen Wohnsitz hatte, oder, wenn die Verbindlichkeit im Betriebe des ge­ werblichen oder geschäftlichen Unternehmens des Schuldners entstand, am Orte der Niederlassung. In Ansehung des Maßes, des Gewichtes und der Geldsorten ist auf den Ort der Erfüllung zu sehen. (2) Geldzahlungen hat der Schuldner im Zweifel auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz (Niederlassung) zu überma­ chen. Hat sich dieser nach der Entstehung der Forderung geändert, so trägt der Gläubiger die dadurch bewirkte Erhöhung der Gefahr und der Kosten. (3) Aus der Übernahme der Kosten der Versendung durch den Schuld­ ner allein folgt noch nicht, dass der Ort, an den die Versendung zu erfol­ gen hat, für den Schuldner als Erfüllungsort zu gelten hat. IdF BGBl I 2005/120 (HaRÄG). Mat: NR RV 1058 BlgNR 22. GP, JAB 1078 BlgNR 22. GP; BR AB 7388 BlgBR. Lit: F. Leonhard, Erfüllungsort und Schuldort (1907); Nussbaum, Das Geld in Theorie und Praxis des deutschen und ausländischen Rechts (1925); Wieacker, Leistungshandlung und Leistungserfolg im bürgerlichen Schuldrecht, FS Nipperdey (1965) I 783; v. Caemmerer, Zahlungsort, FS F. A. Mann (1977) 3; Ertl, Inflation, Privatrecht und Wertsicherung (1980); Koziol, Zur Rechtzeitigkeit der Leistung bei Banküberweisungen, RdW 1985, 148; W. Berger, Anm zu OGH 3 Ob 86/84, JBl 1986, 44; Canaris, Bankvertragsrecht3 I (1988); Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate2 (1994); P. Bydlinski, Zivilrechtsfragen bei Zahlung auf ein nicht autorisiertes Gläubigerkonto, ÖBA 1995, 599; Döhmel, Der Leistungsort bei Rückabwicklung von Verträgen (1997); Schön, Prinzipien des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, AcP 198 (1998) 401; Bollenberger, Das Veruntreuungsrisiko bei treuhändiger Abwicklung des Liegenschaftsverkehrs, ÖBA 2000, 847; Eccher/Hagen, Erfüllungswirkung im grenzüberschreitenden Überweisungsverkehr, ÖBA 2000, 115; Herresthal, Die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung bei der Erfüllung von Geldschulden, ZGS 2007, 48; Ertl, Memo: Inflation und Privatrecht, ecolex 2008, 313; Apathy/Iro/Koziol (Hrsg), Österreichisches Bankvertragsrecht III2 – Zahlungsverkehr (2008); Gsell, Rechtzeitigkeit der Zahlung per Banküberweisung und Verzugsrichtlinie – Zugleich eine Besprechung von EuGH, Urteil vom 3.4.2008, C-306/06 – 01051 Telecom GmbH gegen Deutsche Telekom AG, GPR 2008, 165; Herresthal, Das Ende der Geldschuld als sog qualifizierte Schickschuld, ZGS 2008, 259; Hilbig, Anm zu EuGH Rs C-306/06, JZ 2008, 991; Aspöck, EuGH zur Rechtzeitigkeit von Überweisungen, ecolex 2008, 783; Hawel, Rechtzeitigkeit von Banküberweisungen, RdW 2009, 189; Hackl, Neuordnung des Zahlungsverzugsrechts – ABGB-Bestimmung im Geschäftsverkehr obsolet, ZVB 2009, 147; B. Koch, Der Zahlungsverkehr nach dem Zahlungsdienstegesetz – Ein Überblick, ÖBA 2009, 869; Neumayer, Die Rechtzeitigkeit der Zahlung im bargeldlosen Überweisungsverkehr – Ein Überblick, Zak 2010, 31; Hackl, Nochmals: Zum Umsetzungsbedarf bei Zahlungsverzugsrichtlinie, Zak 2010, 52; Aspöck, Anm zu OGH 4 Ob 90/09b, ecolex 2010, 155; P. Bydlinski, Anm zu OGH 6 Ob 218/09s, ÖBA 2010, 393; Dullinger, Zur Bedeutung des Zahlungseingang bei der Geldschuld im Lichte der Zahlungsverzugsrichtlinie, FS Koziol (2010) 97; P. Bydlinski, Gedanken zur Geldschuld, speziell zur Erfüllung bei der

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§ 905

Aichberger-Beig

Buchgeldzahlung - Eine Skizze zum österreichischen Recht unter europäischem Einfluss, FS Posch (2011) 109; Frizberg, Verbesserung der Zahlungsmoral versus Vertragsfreiheit – Das Ringen um die Neufassung der Zahlungsverzugsrichtlinie, ÖJZ 2011, 629.

Übersicht I. II. III. IV.

Entstehungsgeschichte Anwendungsbereich Begriff des Erfüllungsorts Bedeutung des Erfüllungsorts 1. Maß, Gewicht und Geldsorte (§ 905 Abs 1, 2. Satz) 2. Gerichtsstand V. Arten der Schuld (Schickschuld, Holschuld, Bringschuld) VI. Bestimmung des Erfüllungsorts – Allgemeines VII. Erfüllungsort gem § 905 Abs 1 1. Erfüllungsort bestimmter Typen von Verbindlichkeiten 2. Gesetzliche Zweifelsregel VIII. Die Regel des § 905 Abs 3 IX. Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2) 1. Geldschulden 2. Erfüllungsort bestimmter Arten von Geldschulden 3. Dispositivnorm § 905 Abs 2 – Geldschulden als qualifzierte Schickschulden 4. Zahlungsarten 5. Kosten der Geldübermittlung 6. Rechtzeitigkeit von Banküberweisungen a) Allgemeines b) Nicht näher determinierter Fälligkeitstermin c) Perspektiven de lege ferenda 7. Zahlung an einen Treuhänder X. Nachträgliche Änderung des Erfüllungsorts

1–2 3–5 6–9 10–18 12–17 18 19–24 25–31 32–42 33–38 39–42 43–45 46–85 46–51 52–57 58–63 64–71 72 73–84 73–76 77–82 83–84 85 86–88

I. Entstehungsgeschichte 1

Die Urfassung des § 905 sah zum Erfüllungsort noch die dispositive Regel vor, dass unbewegliche Sachen an ihrem Lageort und bewegliche Sachen am Ort des Vertragsabschlusses übergeben werden, und enthielt keine speziellen Anordnungen über den Erfüllungsort von Geldschulden. Die geltende Fassung des § 905 Abs 1 und Abs 2 entstammt der 3. Teilnovelle zum ABGB und hatte Art 324 f des alten ADHGB zum Vorbild. § 905 Abs 3 wurde im Zuge der Handelsrechtsreform in das ABGB einge2 fügt und beruht auf Art 8 Nr 19 Abs 2 der 4. EVHGB, der den Handelskauf regelte. Die analoge Anwendung der handelsrechtlichen Bestimmung im allgemeinen Privatrecht wurde bereits zuvor bejaht.1 1  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 139; Mayrhofer, SchRAT3 74; Aicher in Rummel3 I § 1061 Rz 11; Kramer in Straube, HGB3 Art 8 Nr 19 Abs 2 der 4. EVHGB Rz 6; OGH 7 Ob 590/82, SZ 55/77.

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Begriff des Erfüllungsorts

§ 905

II. Anwendungsbereich § 905 ist nicht nur auf rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse anwendbar. 3 Seit der 3. Teilnovelle zum ABGB verweist § 1420 auf § 905 und macht die Bestimmung dadurch auf alle privatrechtlichen Schuldverhältnisse anwendbar.2 Die Bestimmung wird analog im öffentlichen Recht angewendet, soweit 4 keine Sonderregelungen bestehen.3 § 905 ist keine Kollisionsnorm, sondern Teil des österreichischen Schuld- 5 rechts.4 Den Erfüllungsort einer Verpflichtung bestimmt jenes Recht, dem die Forderung unterliegt (Schuldstatut).5

III. Begriff des Erfüllungsorts Erfüllungsort ist jener Ort, an dem die geschuldete Leistung vom Schuld- 6 ner erbracht werden soll.6 Der Erfüllungsort bezeichnet nicht nur die Gemeinde oder Stadt, an der zu erfüllen ist, sondern auch die genaue Stelle (zB ein bestimmtes Geschäftslokal).7 Der Schuldner ist nicht verpflichtet, die Leistung an einem anderen Ort als dem Erfüllungsort zu erbringen;8 er hat umgekehrt aber auch nicht das Recht, sich durch die Leistung an einem anderen Ort von seiner Schuld zu befreien.9 Weil nur die am Erfüllungsort erbrachte Leistung ordnungsgemäß ist, vermeidet gem § 918 Abs 1 nur diese den Schuldnerverzug. Leistet der Schuldner an einem anderen Ort, so kann der Gläubiger die Leistung ablehnen, ohne in Annahmeverzug zu geraten (§ 1413, 2. Satz).10 Die Obliegenheit zur Annahme bzw Mitwirkung bei der Erfüllung trifft den Gläubiger der Leistung ebenfalls nur am Erfüllungsort.11 Nimmt der Gläubiger die an dem falschen Ort erbrachte Leistung dennoch vorbehaltslos an, so stimmt der Annehmende dieser Änderung des Erfüllungsorts zu und die Schuld wird durch die Leistung an Erfüllungs statt getilgt.12 2  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 362; Ehrenzweig, System II/12, 83; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905 Rz 1; Stabentheiner in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON §  1420 Rz  1; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 1; OGH 3 Ob 549/53, SZ 26/283. 3  ZB VwGH 1230/49, VwSlg 2208A/1951; 92/08/0181, ZfVB 1994/591; 94/08/0153, ZAS 1997/2 (B. Jud). 4  Zu § 905 Abs 1, 2. Satz Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 361 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 7; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 1; zu § 361 HGB aF Dullinger in Jabornegg § 361 HGB Rz 2; Schuhmacher in Straube, HGB3 § 361 Rz 2. 5  Zu vertraglichen Forderungen zB Spellenberg in MüKoBGB5 Art 12 Rom I-VO Rz 69. 6  ZB Gschnitzer in Klang2 IV/1, 360; Koziol/Welser13 II 39; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 1; OGH 4 Ob 116/02 s, EvBl 2002/172; 4 Ob 299/97 t, EvBl 1998/57. 7  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 363 f; Koziol/Welser13 II 39. 8  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 308; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3. 9  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 360 f; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3; Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 6. 10  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 360 f; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3; Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 6. 11  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 360. 12  Eine stillschweigende Vertragsänderung nimmt in diesem Fall ebenfalls an Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 310. Vgl zur Leistung an Erfüllungs statt allgemein zB Reischauer in Rum-

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Besteht die geschuldete Leistung in einer Handlung, so ist der Ort, an dem die vertraglich vorgenommene Handlung vorzunehmen ist, der Erfüllungsort. Ist der Eintritt eines Erfolgs an einem bestimmten Ort geschuldet, so wird dieser Erfolg meist durch eine Handlung an demselben Ort herbeigeführt, sodass Handlungs- und Erfolgsort zusammenfallen und die Lokalisation des Erfüllungsorts unproblematisch ist.13 Fallen diese Orte jedoch auseinander, so ist fraglich, ob der Erfüllungsort am Handlungs- oder am Erfolgsort liegt. In Deutschland vertritt die hM, dass der in § 269 dBGB geregelte „Leistungsort“ an jenem Ort liegt, an dem die letzte Leistungshandlung zu setzen ist.14 Ein Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfüllungsort liegt bei den als qualifizierten Schickschulden ausgestalteten Geldschulden vor (vgl zur qualifizierten Schickschuld unten IX.3.).15 Weil der Schuldner bloß zur Absendung verpflichtet ist, liegt in der Absendung die letzte Erfüllungshandlung; weil der Schuldner bei der qualifizierten Schickschuld aber – anders als bei der „normalen“ Schickschuld“ – die Gefahr des zufälligen Untergangs trägt, wird er von der Verbindlichkeit nur frei, wenn das Geld am Bestimmungsort eintrifft und muss insofern für den Erfolg einstehen. Der Erfüllungsort von qualifizierten Schickschulden liegt nach hM – trotz des abweichenden Erfolgsorts – am Schuldnerwohnsitz als Handlungsort (siehe unten Rz 59). Der Erfüllungsort von Unterlassungsverpflichtungen bestimmt sich pri8 mär nach dem Inhalt der Verpflichtung (zB räumlicher Umfang einer Konkurrenzklausel) und liegt gem §  905 Abs  1 im Zweifel am Wohnsitz (bzw der Niederlassung) des Schuldners.16 Kann eine Partei zwischen mehreren Erfüllungsorten wählen, so liegt eine 9 Wahlschuld vor, wenn die Parteien mehrere, getrennte Erfüllungsalternativen vor Augen hatten.17

IV. Bedeutung des Erfüllungsorts 10

Der Erfüllungsort ist für materiellrechtliche und prozessuale Fragen von zentraler Bedeutung. Der Erfüllungsort dient im materiellen Recht nicht nur der Lokalisierung der Leistung. Aus dem Erfüllungsort ergibt sich auch die Verteilung der Leistungs – bzw Mitwirkungspflichten. Während der Schuldner den Leistungsgegenstand bei der Holschuld nur bereithalten muss, ist er bei der Bringschuld verpflichtet, diesen zum Gläubiger zu transportieren (siehe näher unter V.). Der Erfüllungsort entscheidet daher auch über die Risikoverteilung im Vertrag (Gefahrtragung). mel3 II § 1414; Stabentheiner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1414; Heidinger in Schwimann3 VI § 1414. 13  Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 2; Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 269 Rz 2. 14  Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 2 und 7; Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 269 Rz 2; Wieacker, FS Nipperdey 783 (796 f); Wolf in Soergel, BGB12 § 269 Rz 2; offen lassend Gernhuber, Erfüllung2 10. 15  Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 7; Wolf in Soergel, BGB12 § 269 Rz 2 16  Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 45; Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 269 Rz 44; aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 360 f, nach dem Unterlassungspflichten „zahllose Erfüllungsorte, alle Orte nämlich, an denen unterlassen werden muss“ haben. 17  Vgl § 906 und Gschnitzer in Klang2 IV/1, 364.

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Bedeutung des Erfüllungsorts

§ 905

Nach dem Erfüllungsort bestimmen sich gem § 905 Abs 1, 2. Satz auch Maß, Gewicht und Geldsorte. Siehe dazu gleich unter 1. Früher hatte der Erfüllungsort auch größere Bedeutung für die Anknüp- 11 fung im Internationalen Privatrecht.18 Die Rom I und Rom II-VO ziehen primär andere Anknüpfungsfaktoren heran; im Rahmen von Ausweichklauseln kann auch dem Erfüllungsort (als einem von mehreren Faktoren) Relevanz zukommen.19 Art 9 Abs 3 Rom I-VO erlaubt die Berücksichtigung von Eingriffsnormen des Erfüllungsorts, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Der Erfüllungsort ist im Zivilprozessrecht für die Gerichtszuständigkeit relevant. Siehe dazu näher gleich unter 2. 1. Maß, Gewicht und Geldsorte (§ 905 Abs 1, 2. Satz) Gem § 905 Abs 1, 2. Satz bestimmen sich Maß, Gewicht und Geldsorte im 12 Zweifel nach dem Erfüllungsort. Die Bestimmung ist weit zu verstehen; sie erfasst auch Zeitrechnung und- maß,20 Entfernungsmaße21 und die Wäh­ rung.22 Dies hat auch der Gesetzgeber dadurch bestätigt, dass er § 361 HGB aF, der die Maßgeblichkeit des Erfüllungsorts für diese Maßeinheiten anordnete, in Hinblick auf die übereinstimmende, allgemeine Regel des § 905 als überflüssige Norm aufhob.23 Obwohl der Wortlaut diese Beschränkung nicht zum Ausdruck bringt, ent- 13 hält § 905 Abs 1, 2. Satz nur dispositives Recht.24 Die Maßeinheiten des Erfüllungsortes sind daher nur dann als die vertragsgemäßen zu betrachten, wenn die Parteien nicht Abweichendes vereinbart haben (zB Einigung über Fremdwährungsschuld) und wenn kein abweichender Parteiwille aus dem Vertragszweck oder seinen Begleitumständen hervorgeht.25 Auf vertragliche Verpflichtungen ist § 905 Abs 1, 2. Satz daher insbesondere dann anzuwenden, wenn Anhaltspunkte dafür fehlen, welche Einheiten (zB welche Währung) die Parteien heranziehen wollten. Zu beachten ist auch, dass vor Anwendung der Zweifelsregel des § 905 Abs 1, 2. Satz alle Methoden der Vertragsauslegung auszuschöpfen sind:26 Haben die Parteien daher eine ausdrückliche aber mehrdeutige Vereinbarung getroffen (zB Vereinbarung der Zahlung in Dollar, sodass offen bleibt ob kanadischer, australischer oder US Dollar gemeint war), so Zu dieser alten Rechtslage Gschnitzer in Klang2 IV/1, 361 f. Martiny in MüKoBGB5 Art 4 Rom I-VO Rz 290. 20  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 366; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 24; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 26; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 7. 21  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 366; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 24; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 26; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 7. 22  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 366; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20. 23  EB RV 1058 BlgNR 22. GP 58. 24  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 366; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 26; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 7; zu § 361 HGB aF Dullinger in Jabornegg § 361 HGB Rz 1; Schuhmacher in Straube, HGB3 § 361 HGB Rz 1. 25  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 366; zu § 361 HGB aF Dullinger in Jabornegg § 361 HGB Rz 1. 26  So zum deutschen § 361 HGB auch Welter in MüKoHGB2 § 361 Rz 18. 18  19 

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ist nicht nur die Auslegung gem § 914, die auch den Vertragszweck und die Verkehrssitte berücksichtigt, sondern auch die Unklarheitenregel des § 915 gegenüber § 905 Abs 1, 2. Satz vorrangig. Nur wenn die §§ 914 f zu keinem Ergebnis führen und daher die privatautonome Gestaltung versagt, ist die Zweifelsregel des § 905 Abs 1, 2. Satz anzuwenden. Bei gesetzlichen Forderungen ist die Zweifelsregel nur anzuwenden, wenn der Zweck des Gesetzes nicht Anderes verlangt: Dementsprechend sind etwa Unterhaltsansprüche, die zwar grundsätzlich als Bringschulden in der Währung des Aufenthaltsortes des Unterhaltsberechtigten zu leisten sind, dann im Interesse des Unterberechtigten dennoch in der Währung des Schuldnersitzes zu zahlen, wenn die Währung am Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten einem erheblichen und kontinuierlichen Verfall unterliegt (vgl näher Kommentierung zu § 905a Rz 45). Der für die Währungsbestimmung maßgebliche Erfüllungsort liegt dann, wenn eine Geldschuld vereinbarungsgemäß durch eine grenzüberschreitende Zahlung (Überweisung) getilgt werden soll, mE am Wohnsitz (bzw an der Niederlassung) des Gläubigers. In Hinblick auf die in § 905a angeordnete Ersetzungsbefugnis ist herrschend, dass der Gläubigerwohnsitz als „Zahlungsort“ iSd § 905a anzusehen ist. Gleiches sollte mE auch in diesem Zusammenhang gelten, weil an den Gläubiger im Zweifel in seiner „Heimatwährung“ zu leisten ist. Zu ergänzen ist diese Liste durch die geschuldete Qualität bei Gattungs­ schulden, weil die im Zweifel geschuldete mittlere Qualität (§ 905b) sich an den Vorstellungen am Erfüllungsort orientiert.27 Auch in anderen Fällen kann der Erfüllungsort im Rahmen der Ver­ tragsauslegung Bedeutung erlangen.28 So wird etwa die Vertragsauslegung zumeist ergeben, dass ein örtlich nicht näher konkretisierter Aufwertungsmaßstab, der sich an den Lebenserhaltungskosten orientiert, auf die Lebenserhaltungskosten am Erfüllungsort verweist.29 Hinsichtlich des Anspruches auf Preisminderung hat der OGH ebenfalls ausgesprochen, dass sich die Anspruchshöhe an die Marktverhältnisse am Erfüllungsort auszurichten hat.30 2. Gerichtsstand

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Der Begriff des Erfüllungsorts ist auch für die prozessrechtliche Zuständigkeit relevant: Gem § 88 JN liegt ein Wahlgerichtsstand an dem vertraglich vereinbarten (nicht dem gesetzlichen!) Erfüllungsort.31 Art 5 Z 1 EuGVVO eröffnet am Erfüllungsort vertraglicher Verpflichtungen eine besondere Zuständigkeit. Darüber hinaus beziehen sich auch § 89 JN und § 90 JN auf den Erfüllungsort. Die Auslegung des Begriffs des Erfüllungsorts in prozessrecht27  Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 1 und § 905b Rz 1; zur Vorgängerbestimmung des § 905b (§ 360 HGB) schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 366. 28  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 366. 29  OGH 4 Ob 88/56, EvBl 1957/192. 30  OGH 6 Ob 634/91, JBl 1992, 391. 31  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 361; vgl näher zB Simotta in Fasching/Konecny2 I § 88 JN Rz 1 ff.

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Arten der Schuld (Schickschuld, Holschuld, Bringschuld)

§ 905

lichen Bestimmungen kann jedoch von § 905 abweichen und wird durch das Prozessrecht bestimmt.32 Dementsprechend trifft Art 5 Z 1 lit b EuGVVO selbst Anordnungen über den Erfüllungsort für Kaufverträge beweglicher Sachen und für Verträge zu Erbringung von Dienstleistungen. Der Erfüllungsort von Kauf- und Dienstleistungsverträgen ist ohne Rückgriff auf nationales Recht verordnungsautonom zu bestimmen.33 Nur hinsichtlich anderer Verträge verweist Art 5 Z 1 lit a EuGVVO zur Bestimmung des Erfüllungsortes auf nationales Recht; der Erfüllungsort ist nach der lex causae zu bestimmen, dh nach jenem nationalen Recht, das auf die vertragliche Verpflichtung anzuwenden ist.34

V. Arten der Schuld (Schickschuld, Holschuld, Bringschuld) Um den Erfüllungsort und die geschuldeten Aktivitäten des Schuldners zu beschreiben, werden die Begriffe „Schickschuld“, „Holschuld“ und „Bringschuld“ verwendet. Diese Erfüllungsarten sind jedoch nur dann passend, wenn die Leistung von dem Gläubiger in Empfang genommen werden muss, während sie bei Leistungen, die nicht „empfangsbedürftig“ sind (zB Unterlassungspflichten), nicht passend sind.35 Holschulden legen dem Schuldner hinsichtlich der Übergabe der Leistung die geringsten Pflichten auf. Der Schuldner ist bei der Holschuld lediglich verpflichtet, den Leistungsgegenstand zur Fälligkeit an seinem Wohnort bzw seiner Niederlassung für die Abholung durch den Gläubiger bereitzuhalten.36 Bei der Schickschuld übernimmt es der Schuldner, den Leistungsgegenstand an den Gläubiger zu versenden. Erfüllungsort ist – ebenso wie bei der Holschuld – der Wohnsitz oder die Niederlassung des Schuldners, weil sich die Verpflichtung des Schuldners in der Absendung an den Bestimmungsort erschöpft.37 Ist vereinbart, dass der Schuldner den Leistungsgegenstand nicht von seinem Wohnort bzw seiner Niederlassung, sondern von einem anderen Ort verschickt (zB vom Produktionsort), so ist der Ort, von dem die Versendung erfolgen soll, der Erfüllungsort. Weil den Schuldner bloß die Verpflichtung zur Versendung der Leistung (und nicht zu deren Transport) trifft, haftet er für den Transporteur nicht nach § 1313a, sondern nur für die schuldhafte Auswahl eines ungeeigneten Transporteurs.38 Gefahrtragung und Eigentumsübergang beim Versendungskauf sind in § 429 geregelt. Aus der Übernahme der Versendungskosten durch den Schuldner alleine kann gem § 905 Abs 3 nicht auf das Vorliegen einer Bringschuld geschlossen So schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 361. Näher zB Leible in EuZPR/EuIPR (2011) Art 5 Brüssel I-VO Rz 45 ff. 34  Siehe zu diesem Verweis auf das nationale Recht zB EuGH Tessili/Dunlop Rs 12/76; OGH 4 Ob 90/09b, ecolex 2010, 154 (Aspöck); ausführlich Leible in EuZPR/EuIPR (2011) Art 5 Brüssel I-VO Rz 44 ff. 35  Gernhuber, Erfüllung2, 16. 36  OGH 10 Ob 2035/96d, SZ 69/65 = ecolex 1996, 853 (Th. Rabl); Koziol/Welser13 II 39. 37  S zB OGH 1 Ob 131/57, JBl 1957, 412; 1 Ob 137/67, JBl 1969, 337 (F. Bydlinski); 7 Ob 590/82, SZ 55/77; Koziol/Welser13 II 39; Ehrenzweig, System II/12, 81; Mayrhofer, SchRAT3 73. 38  Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 4; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 27. 32 

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werden. § 905 Abs 3 geht somit davon aus, dass die Kostentragung durch den Schuldner einer eigenen Vereinbarung darf.39 Daraus ergibt sich, dass diese ohne eine Vereinbarung über die Tragung der Versendungskosten bei der Schickschuld der Gläubiger trägt.40 Auch § 1063a ordnet in Übereinstimmung damit an, dass bei Versendungskäufen der Käufer die Versandkosten zu tragen hat. Abweichend davon ist die Kostentragung für die Geldübermittlung in § 905 Abs 2 geregelt (vgl dazu IX.5). Bei der Bringschuld liegt der Erfüllungsort nicht an dem Wohnsitz (bzw 23 der Niederlassung) des Schuldners. Der Schuldner ist vielmehr verpflichtet den Leistungsgegenstand an den Wohnort (bzw die Niederlassung) des Gläubigers zu transportieren. Transportiert der Schuldner die Ware nicht selbst, so haftet er für den Transporteur nach § 1313a.41 Die Vereinbarung einer Bringschuld sah der OGH auch in der vereinbarten Lieferung „frei Haus“.42 Bei der Bringschuld muss der Gläubiger nur jene Mitwirkungshandlungen vornehmen, „die nach dem Vertrag, dessen Gegenstand und den näheren Umständen von ihm vorgenommen werden müssen“,43 um den Leistungsgegenstand in seine Verfügungsmacht zu bringen; zu darüber hinausgehenden Mitwirkungshandlungen ist der Gläubiger nicht verpflichtet.44 Vereinbaren die Parteien, dass der Schuldner – anstelle der im Zweifel gesetzlich vorgesehenen Holschuld – den Leistungsgegenstand an den Gläubiger versenden soll, so reicht dies nicht dafür aus, eine Bringschuld anzunehmen, die nur bei Übernahme darüber hinausgehender Verpflichtungen durch den Schuldner vorliegt; vielmehr haben die Parteien durch die Abrede der Versendung lediglich eine Schickschuld vereinbart (zu dieser oben Rz 21 f). 45 Soll die Erfüllung weder an dem Wohnort (bzw der Niederlassung) des 24 Schuldners noch jenem des Gläubigers, sondern an einem dritten Ort erfolgen, so entsprechen die Pflichten des Schuldners hinsichtlich des Transports zum Erfüllungsort jenen bei einer Bringschuld.46 Für die Entgegennahme der Leistung durch den Gläubiger am Erfüllungsort gelten jedoch die Grundsätze der Holschuld.47 Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 6. Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 6; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 4; siehe zum Kaufvertrag § 1063a; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 139 f. 41  ZB F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 138 f; OGH 7 Ob 534/82, SZ 55/102. 42  OGH 7 Ob 690/80, SZ 53/162; 7 Ob 534/82, SZ 55/102. In Deutschland hingegen werden solche Klauseln überwiegend bloß als Vereinbarung der Kostenübernahme für die Versendung bei einer Schickschuld nicht jedoch zur Übernahme einer Bringschuld angesehen (Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 269 Rz 14; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 17). 43  OGH 7 Ob 534/82, SZ 55/102. 44  OGH 7 Ob 534/82, SZ 55/102. 45  OGH 1 Ob 137/67, JBl 1969, 337 (F. Bydlinski); 7 Ob 590/82, SZ 55/77; 7 Ob 534/82, SZ 55/102. Die Aussage in Koziol/Welser13 II 39 unter Berufung auf diese Entscheidungen, dass im Zweifel zwischen Schick- und Bringschuld das Vorliegen einer Schickschuld anzunehmen ist, ist mE in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. 46  OGH GlU 12.390 (Lieferung ab Bahnhof XY vereinbart); 7 Ob 534/82, SZ 55/102 (Lieferung zur Baustelle); Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 2; Krüger in MüKo­BGB5 § 269 Rz 8; Gernhuber, Erfüllung2 17. 47  Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 8; Gernhuber, Erfüllung2 17. 39  40 

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Bestimmung des Erfüllungsorts – Allgemeines

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VI. Bestimmung des Erfüllungsorts – Allgemeines Weil die Regelungen des § 905 zum Erfüllungsort dispositiv sind, können die Parteien den Erfüllungsort durch Vereinbarung regeln. Dies kann auch durch konkludente Vereinbarung geschehen.48 Die Einigung über den Erfüllungsort gehört nicht zu den essentialia negotii, weil sich der Erfüllungsort in Ermangelung einer Vereinbarung nach Natur und Zweck der Verbindlichkeit oder nach der Zweifelsregel in § 905 bestimmt.49 Die Vereinbarung eines vom dispositiven Recht abweichenden Erfüllungsorts wird im Prozess vom Gericht nur berücksichtigt, wenn eine Partei eine solche Vereinbarung behauptet.50 Haben die Parteien vertraglich einen Ort als Erfüllungsort bezeichnet, möchten diese dadurch zuweilen nicht wirklich den Erfüllungsort, sondern lediglich den Gerichtsstand regeln.51 Die Frage, ob sich die Parteienvereinbarung auf den Erfüllungsort oder bloß auf den Gerichtsstand bezog, ist durch Auslegung des konkreten Vertrages zu beantworten.52 Nebenverpflichtungen können einen anderen Erfüllungsort als die Hauptleistung haben.53 Jedoch liegt der Erfüllungsort von Nebenverpflichtungen im Zweifel an demselben Ort wie jener der Hauptleistung.54 Die Vereinbarung eines Erfüllungsortes für die Nebenverpflichtung lässt jedoch keinen Schluss darauf zu, dass auch die Hauptleistung an diesem Ort zu erbringen ist.55 Wenn in einem Vertrag ohne nähere Präzisierung eine Vereinbarung über den Erfüllungsort getroffen wird, so kann im Zweifel angenommen werden, dass sich die Vereinbarung auf alle vertraglich geschuldeten Leistungen bezieht.56 Grundsätzlich ist der Erfüllungsort jedoch für jede Leistung getrennt zu bestimmen.57 Dies gilt auch dann, wenn in einem Vertrag mehrere Leistungspflichten begründet werden und auch für synallagmatische Verträge.58 48  ZB Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 309; Ehrenzweig, System II/12, 81; Mayrhofer, SchRAT3 73. 49  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 9; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905 Rz 3. 50  OGH 3 Ob 537/50, JBl 1951, 415; 1 Ob 137/67, JBl 1969, 337 (F. Bydlinski); 7  Ob 590/82, SZ 55/77. 51  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 361 und 364; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 139; Koziol/Welser13 II 39; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905 Rz 9. 52  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 361 und 364; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 139; Koziol/Welser13 II 39; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 2; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905 Rz 9. 53  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 363. 54  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 363; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 19. 55  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 363. 56  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 363; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905 Rz  5; Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1062 Rz 22; in diese Richtung auch OGH GlU 10.167, in der es jedoch um eine zuständigkeitsrechtliche Frage (zum alten § 43 JN) geht. 57  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 362; Koziol/Welser13 II 40; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 4; Gernhuber, Erfüllung2 18 ff; Leonhard, Erfüllungsort 117. 58  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 362; Gernhuber, Erfüllung2 19 ff; Leonhard, Erfüllungsort 116 ff; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 19; im Zweifel gilt derselbe Erfüllungsort: OGH 5 Ob 106/72, JBl 1973, 257 zitierend GlU 10.167.

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Auch wenn die gegenseitigen Leistungen Zug-um-Zug zu erbringen sind, betrifft dies primär die Erfüllungszeit und steht unterschiedlichen Erfüllungsorten grundsätzlich nicht entgegen.59 Die gesonderte Bestimmung der Erfüllungsorte wird auch damit begründet, dass andernfalls die Notwendigkeit bestünde, eine Leistung der anderen unterzuordnen, um einen gemeinsamen Erfüllungsort zu begründen.60 Hinsichtlich Zug-um-Zug zu erbringender Leistungen kann ein Auseinanderfallen der Erfüllungsorte jedoch Probleme bereiten, wie das Beispiel des Kaufvertrages zeigt: Mangels entgegenstehender Vereinbarungen hat der Käufer den Kaufpreis bloß abzuschicken (qualifizierte Schickschuld gem § 905 Abs 2), sodass der Erfüllungsort an seinem Wohnort bzw seiner Niederlassung liegt, aber die Kaufsache vom Verkäufer abzuholen ist (Holschuld gem § 905 Abs 1). Der Käufer ist somit de facto – trotz Zug-umZug geschuldeter Leistungen – gezwungen vorzuleisten, weil der Verkäufer ihm die Ware unter Hinweis auf die Zug-um-Zug-Einrede (§ 1052) nur aushändigen wird, wenn der Käufer nachweisen kann, dass er bereits gezahlt hat.61 Will der Käufer es vermeiden vorzuleisten, so muss er den Kaufpreis trotz Vorliegens einer Schickschuld dennoch zum Verkäufer bringen und bei der Abholung begleichen.62 Dieses Problem stellt sich nicht, wenn sich bereits aus Natur und Zweck des Vertrages ergibt, dass die gegenseitigen Verpflichtungen denselben Erfüllungsort haben, wie dies zB beim Ladenkauf der Fall ist, bei dem beide Verpflichtungen an Ort und Stelle erfüllt werden. Vereinbarungen über den Erfüllungsort beziehen sich nur auf vertragliche 29 Erfüllungspflichten und betreffen nicht die Rückabwicklung von Verträgen.63 Wo der Erfüllungsort von Rückabwicklungsansprüchen liegt, ist sehr umstritten und oft werden vielfältige Varianten gebildet.64 Der OGH führte in einem Fall, in dem der Käufer vom Verkäufer listig irregeführt wurde, aus, dass der Verkäufer die Sache an jenem Ort abholen müsse, am dem sich die Sache vertragsgemäß befindet, wenn die Sache noch an diesem Ort ist.65 In der Kommentarliteratur wird vertreten, dass dieser Rechtssatz nur dann gerechtfertigt sei, wenn die Gründe für Rückabwicklung auf Seiten des Rückabwicklungsgläubigers liegen, wie bei Rücktritt des Rückabwicklungsschuldners infolge 59  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 363; Aicher in Rummel3 I § 1062 Rz 18; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 4; Binder in Schwimann3 IV § 1062 Rz 1; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 5; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 19; Döhmel, Leistungsort 57 ff; aA offenbar OGH 8 Ob 56/11k. 60  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 362; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 341; Döhmel, Leistungsort 66 ff. 61  Nach Binder in Schwimann3 IV § 1062 Rz 1 reicht dafür bei bargeldloser Zahlung der Zahlungsbeleg der Bank, während der Verkäufer nach F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 341 und Aicher in Rummel3 I § 1062 Rz 18 das Eintreffen des Kaufpreises verlangen kann. 62  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 340; so auch Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1062 Rz 23. 63  OGH 5 Ob 106/72, JBl 1973, 257; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 25; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 14; Gernhuber, Erfüllung2 32 f. 64  Siehe Bittner in Staudinger, BGB (2009) §  269 Rz 27 ff; Döhmel, Leistungsort 85 ff; Gernhuber, Erfüllung2 30 ff; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 25; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 14. 65  OGH 5 Ob 106/72, JBl 1973, 257.

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Erfüllungsort gem § 905 Abs 1

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einer Leistungsstörung oder infolge eines Irrtums, der vom Rückabwicklungsgläubiger veranlasst wurde oder diesem auffallen musste. Andersfalls, wie zB bei Irrtumsanfechtung infolge rechtzeitiger Aufklärung oder Rücktritt des Rückabwicklungsgläubigers infolge Leistungsstörung des Rückabwicklungsschuldners sei hingegen Bringschuld anzunehmen.66 ME ist die Abgrenzung dieser Sphären diffizil, wie zB die Rückabwicklung infolge laesio enormis, der Fall eines schuldhaft irrenden Käufers, dessen Irrtum dem Verkäufer offenbar auffallen musste, und der Fall des gemeinsamen Irrtums zeigen. Es ist daher vorzuziehen, solch komplexe Abgrenzungen zur Bestimmung des Erfüllungsortes der Sachrückgabe zu vermeiden. ME ist in Einklang mit der zitierten Entscheidung die Sachrückgabe bei Schick- und Bringschuld am Bestimmungsort vorzunehmen. Die vom OGH vorgenommene Einschränkung, dass dies nur gelten solle, wenn sich die Sache noch dort befinde, hat jedoch zu entfallen, weil den Rückabwicklungsgläubiger der für den Vertragspartner nicht vorhersehbare Weitertransport nicht belasten soll.67 Hat der Rückgabeschuldner die Sache an dem Wohnsitz/der Niederlassung des Schuldners geholt (Holschuld), so hat er sie auch an diesem Ort zurückzustellen. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, bei Verschulden der anderen Vertragspartei Schaden­ersatz (der auch zusätzliche Transportkosten abdecken kann) zu verlangen. Fehlt eine Vereinbarung über den Erfüllungsort, so bestimmt sich der 30 Erfüllungsort nach Natur und Zweck der Verpflichtung. Ausführungen dazu finden sich unter IX.2 (zu Geldschulden) und unter VII.1. (zu anderen Verbindlichkeiten). Die dispositiven Regeln des §  905 Abs 1 und Abs 2 verweisen für den 31 Erfüllungsort auf den Wohnsitz (bzw die Niederlassung) des Schuldners oder des Gläubigers. Besteht ein solcher Wohnsitz nicht, so ist gewöhnliche Aufenthalt und in Ermangelung eines solchen der jeweilige Aufenthalt heranzuziehen.68 Da sich somit mithilfe der Zweifelsregel stets ein Erfüllungsort bestimmen lässt, ist eine subsidiäre Bestimmung des Erfüllungsorts durch billiges Ermessen nicht erforderlich.69

VII. Erfüllungsort gem § 905 Abs 1 Der Erfüllungsort richtet sich primär nach den Vereinbarungen der Par­ 32 teien. Fehlt eine solche, so ist zu fragen, ob sich der Erfüllungsort aus Natur oder Zweck der Verpflichtung ergibt (siehe dazu unten unter 1.). Nur wenn dies nicht möglich ist, kommt die Zweifelsregel des § 905 Abs 1 zur Anwendung. 66  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 25; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 14; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 18. 67  So hinsichtlich des Weitertransports auch Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 25; Gern­ huber, Erfüllung2, 33. 68  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 365; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 4; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 16; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 23. 69  Für die Erfüllungsortbestimmung durch billiges Ermessen Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 9; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 3.

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1. Erfüllungsort bestimmter Typen von Verbindlichkeiten 33 34

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Besteht keine Vereinbarung über den Erfüllungsort, so ist zu prüfen, ob sich der Erfüllungsort aus Natur oder Zweck der Verbindlichkeit ergibt. Dabei sind die Interessenlage der Parteien und die Verkehrssitten zu berücksichtigen.70 Der OGH hat beispielsweise festgestellt, dass die Einschulung in eine EDV-Anlage nach Natur und Zweck am Betriebsort stattzufinden hat.71 Nach Ansicht des OGH sind Naturalleistungen, die der Hofübernehmer als Auszugsleistungen (Ausgedingsleistungen) zu leisten hat, ihrer Natur nach Holschulden, die auf dem belasteten Gut bezogen werden.72 Bei einem Rahmenvertrag über die Veredelung von Produkten ergab sich bereits aus dem Vertrag, dass der Sitz des Werkunternehmers Erfüllungsort sein solle; der OGH sprach aus, dass auch Natur und Zweck der Vereinbarung zu diesem Ergebnis geführt hätten.73 Der Erfüllungsort für die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung bestimmt sich nach dem Inhalt des jeweiligen Arbeitsvertrages; fehlt eine ausdrückliche Abrede über den Dienstort, so ist davon auszugehen, dass konkludent der Standort des Betriebes als Erfüllungsort vereinbart wurde, außer die Natur oder der Zweck des Arbeitsverhältnisses gebietet eine abweichende Auslegung des Arbeitsvertrags.74 Wie in der Urfassung des ABGB noch ausdrücklich vorgesehen war (siehe Rz 1) und wie sich schon aus den faktischen Gegebenheiten ergibt, werden unbewegliche Sachen an dem Ort, an dem sie liegen, übergeben.75 Auch andere Leistungen bezüglich unbeweglicher Sachen, wie die Ausbesserung eines Hauses oder Bestandverträge werden an dem Ort, an dem die Liegenschaft gelegen ist, erfüllt.76 Weil die gewährleistungsrechtlichen Rechte auf Verbesserung und Austausch fortwirkende Erfüllungsansprüche darstellen, sind diese Formen der Nacherfüllung im Zweifel am ursprünglichen Erfüllungsort vorzunehmen.77 Aus der Natur der Sache kann sich jedoch auch ergeben, dass sie am Wohnsitz (der Niederlassung) des Gewährleistungsgläubigers zu erfüllen sind, wie zB bei Reparatur einer Sache, die der Gläubiger bestimmungsgemäß mit einer unbeweglichen Sache untrennbar verbunden hat (zB Reparatur einer ein-

70 

OGH 6 Ob 503/83, IPRax 1984, 215 (Matscher); 4 Ob 299/97t, EvBl 1998/57. OGH 8 Ob 547/91, SZ 65/144. 72  OGH GlU 13.288; GlU 14.841; GlUNF 4.710; 2 Ob 412/60, RZ 1961, 67; 5 Ob 603, 604/80, JBl 1982, 426. 73  OGH 7 Ob 76/01d, RdW 2001/677. 74  ZB OGH 9 ObA 102/93, RdA 1994/6; 9 ObA 109/03z, ecolex 2004/300; vgl näher zur Dienstortbestimmung Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 8; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGBON § 905 Rz 12. 75  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 310; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 364; Ehrenzweig, Sys­tem II/12, 83; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 3. 76  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 364; OGH GlU 922; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 310. 77  Zöchling-Jud in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  932 Rz  15; Reischauer in Rummel3 I § 932 Rz 11; Welser, Anmerkungen zum Konsumentenschutzgesetz, JBl 1979, 449 (456); Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 8 KSchG Rz 4; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 37. 71 

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Erfüllungsort gem § 905 Abs 1

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gebauten Maschine).78 Zum Schutz des Verbrauchers sieht § 8 Abs  1 und 2 KSchG Bestimmungen über den Erfüllungsort der Gewährleistungsrechte von Verbrauchern vor.79 Es wird überwiegend vertreten, dass Schadenersatz für vertragliche 38 Pflichtverletzungen an demselben Erfüllungsort zu leisten ist, an dem die verletzte Vertragspflicht zu erfüllen war.80 2. Gesetzliche Zweifelsregel Kann der Erfüllungsort weder aus der Vereinbarung noch aus der Natur oder dem Zweck des Geschäftes bestimmt werden, so ist der Erfüllungsort nach der gesetzlichen Zweifelsregel des § 905 Abs 1 zu bestimmen. Nach dieser Vorschrift ist die Leistung an jenem Ort zu erbringen, an dem der Schuldner zur Zeit des Vertragsabschlusses seinen Wohnsitz hatte,81 oder wenn die Verbindlichkeit im Betrieb des gewerblichen oder geschäftlichen Unternehmens des Schuldners entstand, am Ort der Niederlassung.82 Im Zweifel liegt somit Holschuld vor. Verfügt ein Unternehmen über mehrere Niederlassungen, so ist jene Niederlassung heranzuziehen, im Rahmen derer Tätigkeit der Vertrag geschlossen wurde,83 oder, wenn dies für mehrere Niederlassungen zutrifft, zu der die Forderung im Zeitpunkt ihrer Begründung die engste Beziehung hatte.84 Spätere Änderungen des Wohnsitzes bzw der Niederlassung des Schuldners sind gem § 905 Abs 1 unbeachtlich; der Erfüllungsort folgt nicht einer Änderung des Wohnsitzes bzw der Niederlassung des Schuldners.85 Unter Berufung auf diese Bestimmung hat der OGH ausgesprochen, dass der Erfüllungsort für die Verpflichtungen des Zedenten aus dem Zessionsvertrag gem § 905 Abs 1 am Wohnsitz (der Niederlassung) des Zedenten liegt.86 Auf die Zweifelsregel des § 905 Abs 1 gestützt sprach der OGH aus, dass bei Verwendungsansprüchen, die auf Herausgabe einer Sache gerichtet sind, der Herausgabeberechtigte gem § 1420 iVm § 905 die Sache am Schuldnersitz abzuholen hat.87 Verpflichtet sich eine Person (der „Übernehmer“) intern gegenKrüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 37. Näher dazu Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 8 KSchG. 80  Krüger in MüKoBGB5 §  269 Rz 43; zur internationalen Zuständigkeit OGH RIS-Justiz RS0109445 und RS0116420; aA für die Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz in Geld, der Bringschuld sei, Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 24; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 21; aA Gernhuber, Erfüllung2 29 f und Döhmel, Leistungsort 155 ff, die Geldschulden auch dann, wenn diese Schadenersatz für Nichterfüllung sind, als qualifizierte Schickschulden ansehen. 81  OGH 4 Ob 233/97m, SZ 70/176; Ehrenzweig, System II/12, 81. 82  OGH 3 Ob 45/00i; 7 Ob 590/82, SZ 55/77. 83  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 365; Binder in Schwimann3 IV §  905 Rz  17; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 24. 84  So auch III. 2:101 Abs 2 lit a des DCFR. 85  OGH 1 Ob 173/98t, SZ 71/129. 86  OGH 4 Ob 233/97m, SZ 70/176 (Verpflichtung des Zedenten zur Abgabe einer Erklärung gegenüber dem debitor cessus). 87  Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 19. Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 25; so auch OGH 3 Ob 549/53, SZ 26/283, bei der es jedoch um eine Restitutionsverpflichtung nach dem 2. Weltkrieg geht. 78  79 

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über dem Schuldner, dessen Gläubiger zu befriedigen, so ist nach dem OGH der Erfüllungsort dieser Verpflichtung gem § 905 der Wohnsitz (die Niederlassung) des Übernehmers.88

VIII. Die Regel des § 905 Abs 3 43

Ist der Schuldner einer Sache lediglich verpflichtet, diese an den Gläubiger zu versenden, so liegt Schickschuld und nicht Bringschuld vor. Das gilt auch, wenn der Schuldner die Versendungskosten übernimmt: Gem § 905 Abs 3 lässt die Übernahme der Versendungskosten durch den Schuldner alleine nicht den Schluss zu, dass eine Bringschuld vorliegt. Die Regelung des Abs 3 entstammt Art 8 Nr 19 Abs 2 4. EVHGB zum Handelskauf, der schon zuvor analog im allgemeinen Privatrecht angewandt wurde.89 Ein Beispiel für die Vereinbarung der Kostentragung, ohne dass dadurch 44 der Erfüllungsort geändert wird, ist die in Überseegeschäften verwendete Klausel „cif“ (cost, insurance, freight), die zur Übernahme der Fracht- und Versicherungskosten des Verkäufers führt, aber den Erfüllungsort nicht verändert.90 Auch durch die Klausel „fob“ (free on board) werden die Transportkosten übernommen, aber keine Veränderung des Erfüllungsortes vereinbart.91 In Ermangelung einer Vereinbarung über die Kostentragung für die Ver45 sendung trägt bei der Schickschuld der Gläubiger die Transportkosten (siehe oben Rz 22).92

IX. Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2) 1. Geldschulden 46

Merkmal einer Geldschuld ist, dass der Schuldner zur Zahlung von Geld als „abstrakter Vermögensmacht“93 verpflichtet ist.94 Geldschulden sind auf die Verschaffung eines in Geld ausgedrückten Vermögenswertes gerichtet.95 Sie werden durch Zahlung erfüllt (vgl zu den Zahlungsarten unten 2.).96 88  OGH 2 Ob 251/98w, ZfRV 2000/60 (hier interessierender Entscheidungsteil nicht veröffentlicht). 89  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 139; Mayrhofer, SchRAT3 74; Aicher in Rummel3 I § 1061 Rz 11; Kramer in Straube; HGB3 Art 8 Nr 19 Abs 2 der 4. EVHGB Rz 6; OGH 7 Ob 590/82, SZ 55/77. 90  Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 269 Rz 13; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 17. 91  Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 269 Rz 14; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 17. 92  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 6; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 4; siehe zum Kaufvertrag § 1063a; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 139 f. 93  K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 24 ff Rz C 7. 94  K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 24 ff Rz C 7; Gernhuber, Schuldverhältnis 221 f. 95  K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 24 ff Rz C 2; ähnlich auch Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244 f Rz 83 f. 96  Vgl nur K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 244 ff Rz C 2.

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Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2)

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Die Geldschuld wird zuweilen als Gattungsschuld bezeichnet.97 ME ist diese Einordnung nicht zutreffend.98 Im Gegensatz zu Gattungsschulden sind Geldschulden nicht auf die Leistung bestimmter Leistungsobjekte „um bestimmter Sachqualitäten willen“99 gerichtet sondern auf die Verschaffung von Liquidität. Dementsprechend folgen Geldschulden auch anderen Regelungen als Gattungsschulden: Nicht nur in § 905 Abs 2 bestehen hinsichtlich Erfüllungsort und Gefahrtragung für Geldschulden abweichende Regelungen, sondern auch § 1333 sieht besondere Bestimmungen (Rechtsfolgen des Zahlungsverzugs) für Geldschulden vor. Auch §  905b, der den bei Gattungsschulden geschuldeten Qualitätsstandard festlegt, ist auf Geldschulden nicht anwendbar.100 Die Erfüllung von Geldschulden kann im Gegensatz zu anderen Leistungen nicht unmöglich werden.101 Stattdessen sieht das Insolvenzrecht Rechtsfolgen für die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vor. § 1419, der ausdrücklich vom Verzug mit der Annahme der „Zahlung“ spricht, ist auf Geldschulden anzuwenden, sodass im Annahmeverzug die Gefahr für allenfalls bereits „ausgesondertes“ Geld auf den Gläubiger übergeht. Keine Geldschuld sondern Gattungsschuld liegt vor, wenn nur bestimmte Münzarten oder bestimmte Geldscheine als Erfüllung dienen sollen.102 Solche Schulden werden als eigentliche oder echte Geldsortenschulden bezeichnet.103 Auch die Verpflichtung zur Leistung von Wertpapieren ist keine Geldsondern Sachschuld; auf die Leistung von Wertpapieren ist daher § 905 Abs 1 und nicht § 905 Abs 2 anzuwenden.104 Geldschulden lauten zumeist auf eine bestimmte Summe Geldes (zB 100 Euro oder 200 USD) und werden dann Geldsummenschulden genannt. Jede Geldsummenschuld kann zum Nennwert erfüllt werden: Nach dem sog Zwangskurs gem §  61 Abs 2 NationalbankG müssen Euro-Banknoten zum Nennwert unbeschränkt angenommen werden und der Gläubiger hat somit die nominale Geldsumme als volle Erfüllung anzunehmen (Annahmezwang).105 Die Geldentwertung trifft somit bei Geldsummenschulden grundsätzlich den Gläubiger. Zur Vermeidung dieses Risikos werden häufig Wertsicherungsklauseln vereinbart. Eine gewisse Ausnahme von dem Annahmezwang liegt darin, dass der Gläubiger die Zahlung in vielen, kleinen Münzen ablehnen kann, weil der 97  Koziol/Welser13 II 32; Geldschulden als „Sonderform der Gattungsschuld“ bezeichnend Mayrhofer, SchRAT3 45. 98  Entschieden gegen diese Einordnung auch K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 24 ff Rz C 7; ebenso Gernhuber, Schuldverhältnis 220 ff; Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244 f Rz 84. 99  Gernhuber, Schuldverhältnis 220. 100  Mayrhofer, SchRAT3 45; Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244 f Rz 84; K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 24 ff Rz C 7 und C 9. 101  ZB Mayrhofer, SchRAT3 45; Koziol/Welser13 II 32. 102  Gernhuber, Schuldverhältnis 220 f; K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 244 ff C 6. 103  Gernhuber, Schuldverhältnis 220; K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) Vorbem zu §§ 244 ff C 6. 104  Ehrenzweig, System II/12, 83; Mayrhofer, SchRAT3 75. 105  Aichberger-Beig in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 985 Rz 2; Ertl, ecolex 2008, 313 (313 f).

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Gläubiger gem Art 11 der VO (EG) 974/98 des Rates v 3.5.1988 nicht verpflichtet ist, bei einer einzelnen Zahlung mehr als 50 Münzen anzunehmen. Schulden, die ihrem Ursprung nach auf eine andere Leistung als Geld ge51 richtet sind und deren Inhalt daher erst in einem zweiten Schritt in Geld auszudrücken ist, werden Geldwertschulden genannt. Bei diesen trägt der Schuldner das Risiko der Geldentwertung.106 Eine solche Geldwertschuld sind zB Unterhaltsansprüche, weil diese nach dem Bedarf des Berechtigten bemessen werden.107 2. Erfüllungsort bestimmter Arten von Geldschulden 52

Der Erfüllungsort von Geldschulden kann vertraglich vereinbart werden. In Ermangelung einer Vereinbarung ist auch bei Geldschulden zuerst zu fragen, ob sich der Erfüllungsort der Geldschuld aus der Natur oder dem Zweck des Vertrages bzw der Verbindlichkeit entnehmen lässt. Die in §  905 Abs  1 enthaltene Anordnung, dass sich der Erfüllungsort in Ermangelung einer Parteienvereinbarung nach Natur und Zweck des Geschäftes richtet, ist auch auf § 905 Abs 2 zu beziehen.108 Nur wenn auch diese Bestimmung des Erfüllungsortes zu keinem Ergebnis geht, ist die Zweifelsregel des § 905 Abs 2 anzuwenden. Aus Natur und Zweck ergibt sich, dass beim Ladenkauf das Entgelt an Ort 53 und Stelle, dh im Verkaufslokal, zu zahlen ist.109 Ähnlich ist beim Beherber­ gungsvertrag nach der Verkehrssitte das vom Gast zu leistende Entgelt an dem Ort der Beherbergung zu leisten,110 sodass der Ort der Beherbergung der Erfüllungsort der Vertragspflichten beider Parteien ist. Bucht hingegen ein Reisebüro mehrere Zimmer für seine Kunden, so ist die Geldleistungsverpflichtung des Reisebüros anders als bei einem Beherbergungsvertrag eine qualifizierte Schickschuld gem der Zweifelsregel des § 905 Abs 2.111 Es besteht keine Verkehrsübung, dass Anwaltshonorare am Kanzleisitz des Anwaltes zu zahlen seien, sodass die Honoraransprüche wie alle übrigen Geldschulden qualifizierte Schickschulden sind.112 Nach einhelliger Ansicht ist der Anspruch auf Arbeitsentgelt entsprechend 54 der Natur des Arbeitsvertrages Holschuld.113 Ist der Arbeitnehmer am Zahlungstag im Betrieb jedoch nicht anwesend, so ist das Arbeitsentgelt an den Arbeitnehmer zu senden.114 Wird, wie dies häufig der Fall ist, bargeld­lose Lohnzahlung vereinbart, so wandelt sich die Holschuld in eine Schick106 

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Vgl zB Ertl, Inflation 39 f; Koziol/Welser13 II 33. Vgl etwa OGH 3 Ob 567/78, SZ 51/43; s auch Koziol/Welser13 II 33; Mayrhofer, SchRAT3

F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 339 F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 339; Aicher in Rummel3 I 1062 Rz 16; Krüger in MüKo­ BGB5 § 269 Rz 20. 110  OGH 6 Ob 503/83, IPRax 1984, 215 (Matscher); 4 Ob 299/97t, EvBl 1998/57. 111  OGH 6 Ob 27/01s, RdW 2002, 24. 112  OGH 1 Ob 173/98t, SZ 71/129. 113  ZB OGH 4 Ob 30/59, SZ 32/85; 14 ObA 501/87, SZ 60/81. 114  OGH 9 ObA 162/88, wbl 1989, 125; 4 Ob 30/59, SZ 32/85. 108  109 

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Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2)

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schuld.115 Holschulden sind auch Ansprüche der Bankkunden auf Spareinla­ gen.116 Der OGH judiziert in stRsp, dass die Verpflichtung zur Leistung von Geld­ 55 unterhalt Bringschuld ist.117 Deliktische Verpflichtungen zur Leistung von Schadenersatz in Geld sind Bringschulden, weil der Schadenersatz so zu leis­ ten ist, dass den Geschädigten kein Risiko und keine Nachteile treffen.118 Der VwGH hat in einer Entscheidung judiziert, dass Sozialversicherungsbeiträge Bringschulden sind.119 Auf Geld gerichtete Verwendungsansprüche sind entsprechend allgemei- 56 nen Regeln nach § 905 Abs 2 zu beurteilen.120 In § 36 VersVG ist in Einklang mit der Zweifelsregel des § 905 Abs 2 vorgesehen, dass die Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Prämienzahlung Schickschuld ist.121 Der Erfüllungsort für die Verpflichtung des Bürgen liegt am Sitz des Bür- 57 gen und nicht an jenem des Hauptschuldners, weil der Erfüllungsort für die Verpflichtung des Bürgen getrennt von jener des Hauptschuldners zu bestimmen ist.122 Auch bei Gesamtschuldnern ist der Erfüllungsort für die Verpflichtung jedes Schuldners gesondert zu bestimmen, sodass kein einheitlicher Erfüllungsort bestehen muss.123 3. Dispositivnorm § 905 Abs 2 – Geldschulden als qualifzierte Schickschulden Haben die Parteien keine Vereinbarung über den Erfüllungsort der Geld- 58 leistungsverpflichtung getroffen und ergibt sich der Erfüllungsort auch nicht aus Natur und Zweck des Vertrags bzw der Zahlungsverpflichtung, so ist § 905 Abs  2 anzuwenden, nach dem Geldschulden qualifizierte Schickschulden sind. Die Formulierung, dass der Schuldner das Geld an den Gläubiger zu „über- 59 machen“ hat, wird von der hM so ausgelegt, dass darunter nicht die Überbringung des Geldes, sondern bloß dessen Absendung zu verstehen ist.124 Nach 115  OGH 9 ObA 73/91, ecolex 1991, 638; 9 ObA 87/97b, ASoK 1998, 107; aA Rei­schauer in Rummel3 I § 905 Rz 22, der in diesem Fall Bringschuld annimmt. 116  OGH 10 Ob 2035/96d, SZ 69/65 = ecolex 1996, 864 (Th. Rabl). 117  ZB OGH 4 Ob 253/97b, EFSlg 83.154; 4 Ob 319/98k, EFSlg 87.403; 3 Ob 229/03b, SZ 2004/27; LGZ Wien 48 R 232/04d, EFSlg 107.032; vgl näher Barth/Neumayr in Fenyves/ Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 140 Rz 55. 118  Ebenso, aber ohne Beschränkung auf deliktischen Schadenersatz Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 24; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 21. 119  VwGH 94/08/0153, ZAS 1997/2 (abl B. Jud); aA Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGBON § 905 Rz 17. 120  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 25; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 19. 121  OGH 7 Ob 159/65, SZ 38/100. 122  OGH 2 Ob 304/98i, SZ 71/191; 7 Ob 117/00g, ZfRV 2001/46 (hier relevanter Entscheidungsteil nicht veröffentlicht); ausführlich Gernhuber, Erfüllung2 26; siehe zB auch Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 269 BGB Rz 40; Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 28; Koziol/Welser13 II 39. 123  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 363; Gernhuber, Erfüllung2 24 f. 124  OGH 3 Ob 86/84, SZ 57/160 = JBl 1986, 42 (W. Berger); 1 Ob 173/98t, SZ 71/129; 3 Ob 45/00i; aus der Lehre zB Gschnitzer in Klang2 IV/1, 368; Koziol/Welser13 II 39.

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einhelliger Auffassung sind Geldschulden daher im Zweifel Schickschul­ den.125 Infolge der Einordnung der Geldschuld als Schickschuld ist der Schuldner nicht verpflichtet, das Geld dem Gläubiger zu überbringen, sondern bloß, es an den Gläubiger zu versenden.126 Erfüllungsort ist daher der Wohnsitz des Schuldners (bzw die Niederlassung des unternehmerischen Schuldners) im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.127 Die Ausgestaltung als Schickschuld entspricht dem Willen des historischen 60 Gesetzgebers,128 obwohl er dabei teilweise von unzutreffenden Annahmen über die deutschen Vorbilder der Bestimmung ausging. § 905 Abs 2, der durch die 3. Teilnovelle eingeführt wurde, beruht auf Art 324 des alten AHGB und auf § 270 dBGB.129 Der Herrenhausbericht führt aus, es sei allgemeine Lehre, dass der Leistungsort bei „Übermachung“ der Geldzahlung am Wohnsitz des Schuldners liege; daher sei eine entsprechende Klarstellung zum Erfüllungsort nicht notwendig.130 Tatsächlich war in Deutschland die Einordnung der Geldschuld als Schick- oder Bringschuld jedoch strittig. Die endgültige Fassung des dBGB fügte dem § 270 daher dessen Abs 4 an, nach dem die Vorschriften über den Leistungsort unberührt bleiben, um die prozessualen Folgen einer Bringschuld zu vermeiden. Weil nach § 29 dZPO der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nicht nur, wie in Österreich für vertraglich vereinbarte Erfüllungsorte, sondern auch für Erfüllungsorte gilt, die sich aus dem dispositiven Recht ergeben, würde die Qualifikation der Geldschuld als Bringschuld einen Klägergerichtsstand begründen, was verhindert werden sollte.131 Gerade in letzter Zeit wird in Deutschland die Deutung der Geldschuld als Schickschuld wieder zunehmend in Zweifel gezogen.132 Für Geldschulden sind jedoch einige Abweichungen vom Typus der 61 Schickschuld vorgesehen, weshalb sie als „qualifizierte Schickschulden“ bezeichnet werden: In Abweichung von den sonst für Schickschulden geltenden Grundsätzen trägt der Schuldner gem § 905 Abs 2 die Kosten der Geldübermittlung (dazu 125  Koziol/Welser13 II 39 f; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/10 und 1/14; Ehrenzweig, System II/12, 82; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 14; OGH 2 Ob 534/52, SZ 25/199; 7 Ob 159/65, SZ 38/100; 3 Ob 45/00i; 1 Ob 173/98t, SZ 71/129; 7 Ob 375/97s, JBl 1998, 515; 3 Ob 86/84, SZ 57/160 = JBl 1986, 42 (W. Berger); 7 Ob 159/65, SZ 38/100; 7 Ob 89/03v, ZfRV 2004/7. 126  OGH 3 Ob 86/84, JBl 1986, 42; 1 Ob 173/98t, SZ 71/129; 3 Ob 45/00i. 127  S zu dieser einhelligen Auffassung zB Herrenhausbericht (78 BlgHH, 21. Session 1912) 150; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 368; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 22; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 6; OGH 4 Ob 313/97a, ZfRV 1998/6; 6 Ob 216/98b, ZfRV 1999/11; 1 Ob 173/98t, SZ 71/129; 9 ObA 247/98 h, RdW 1999, 412; 3 Ob 45/00i, RdW 2000, 540; 7 Ob 89/03v, ZfRV 2004/7; 1 Ob 90/07b, SZ 2007/160; 4 Ob 90/09b, ecolex 2010, 154 (Aspöck); 8 Ob 56/11k. 128  Herrenhausbericht (78 BlgHH, 21. Session 1912) 150. 129  Herrenhausbericht (78 BlgHH, 21. Session 1912) 150. 130  Herrenhausbericht (78 BlgHH, 21. Session 1912) 150. 131  Von Caemmerer, FS Mann 3 (7 f); Nussbaum 73 ff; siehe auch Aspöck, ecolex 2008, 783 (784 f). 132  Für eine Ausgestaltung als Bringschuld Schön, AcP 198 (1998) 401 (442 ff); Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 270 Rz 1 ff; Gsell, GPR 2008, 165 (169 ff); Herresthal, ZGS 2007, 48 (49 f); Herresthal, ZGS 2008, 259 (260); in diese Richtung auch Hilbig, JZ 2008, 991.

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Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2)

§ 905

unten 5.) und das Risiko des zufälligen Untergangs.133 Weil der Geldschuldner die Verlustgefahr trägt, muss er nochmals leisten, wenn das Geld bei dem Gläubiger nicht einlangt. Erfolgt die Zahlung vereinbarungsgemäß durch Buchgeld, so ist die Empfängerbank als Machthaber des Empfängers anzusehen (dazu unten Rz 69); daher trägt der Geldschuldner das Verlustrisiko nur bis zu jenem Zeitpunkt, in dem das Geld bei der Empfängerbank einlangt, nicht bis zur Gutschreibung auf dem Konto des Empfängers.134 Bei innerbetrieblichen Überweisungen (Hausüberweisungen), bei denen die Parteien ihre Konten bei derselben Bank haben, ist jener Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Summe von dem Konto des überweisenden Schuldners abgebucht wird.135 Nach einhelliger Auffassung trifft den Schuldner nicht das Risiko der Ver­ 62 zögerung der Übermittlung.136 Weil die höchstzulässige Überweisungsdauer in der Zahlungsdienste-RL (2007/64/EG) und im Zahlungsdienstegesetz (ZaDiG, BGBl I 2009/66) geregelt werden, ist das Risiko von Verzögerungen heute als gering einzuschätzen. Das ZaDiG regelt (neben anderen Zahlungsvorgängen) das Verhältnis zwischen dem überweisenden Bankkunden und der Bank. Ab 1. 1. 2012 beträgt die höchstzulässige Überweisungsdauer, die vom Eingangszeitpunkt des Überweisungsauftrags bis zur Gutschreibung vergehen darf, gem § 42 ZaDiG (jedenfalls im innerstaatlichen Überweisungsverkehr) für elektronische Überweisungen nur mehr einen Tag und für nicht-elektronische Überweisungen (mittels Erlagschein) 2 Tage. Die verspätete Durchführung der Überweisung durch die Bank des Schuldners stellt mE eine Vertragsverletzung gegenüber dem überweisenden Bankkunden dar, für die die Bank bei Verschulden haftet.137 Siehe zur kritischen Würdigung der Aufspaltung der Verlust- und Verzögerungsgefahr und der Ausgestaltung der Geldschuld als qualifizierter Schickschuld unten IX.6.c). § 905 Abs 2, 2. Satz regelt die Rechtsfolgen bei nachträglicher Sitzverle­ 63 gung des Gläubigers. Während der Erfüllungsort für Bringschulden sich durch nachträgliche Sitzverlegungen nicht ändert, ist für Geldschulden, die qualifizierte Schickschulden sind, vorgesehen, dass der Bestimmungsort der Sitzverlegung folgt.138 Der Gesetzgeber mutet dem Schuldner in diesem Fall die Versendung des Geldes an einen anderen Ort zu, aber weist die Tragung der Gefahrenerhöhung und der Mehrkosten dem Gläubiger zu. 133  OGH 3 Ob 2405/96i, EvBl 1998/103: Postanweisung ÖBA 2010, 191; im Verlustfall muss er daher nochmals leisten 6 Ob 55/97z, NZ 1998, 119. 134  OGH 9 ObA 184/91 JBl 1992, 336; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 16 und 19; ders in Rummel3 II § 1424 Rz 1; Mader/W. Faber in Schwimann3 VI § 1424 Rz 8; Eccher/Hagen, ÖBA 2000, 115 (116 ff); Hawel, RdW 2009, 191 f; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905 Rz 42; W. Berger, Anm zu 3 Ob 86/84, JBl 1986, 44; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 367; aA Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/14, nach dem erst bei Gutschrift ein der Barzahlung vergleichbarer Tatbestand vorliegt. 135  P. Bydlinski, FS Posch 109 (118). 136  OGH 7 Ob 28/89, SZ 62/166. 137  Eine verschuldensunabhängige Haftung der Bank gem § 48 ZaDiG steht nur bei Unterbleiben, nicht jedoch bei Verzögerung der Durchführung der Überweisung zu (B. Koch, ÖBA 2009, 869 (889)). 138  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 367.

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4. Zahlungsarten 64

Ob vertragliche Geldschulden durch Leistung von Bargeld oder Buchgeld zu tilgen sind, ist eine Frage der Auslegung des konkreten Vertrages. Wurde keine Vereinbarung darüber getroffen, wie die Schuld getilgt werden soll, ist im Zweifel Bargeld zu leisten.139 Das konkludente Einverständnis des Gläubigers zur Zahlung mittels 65 Buchgeld liegt in der Bekanntgabe der Kontoverbindung,140 der Anführung des Kontos auf den Geschäftspapieren (zB Rechnung)141 oder der Zusendung von Erlagscheinen.142 Wenn Einzahlung auf ein Konto vereinbart wurde, ist auch eine Überweisung – aufgrund der für den Gläubiger vollkommen gleichwertigen Verschaffung von Buchgeld – schuldbefreiend.143 Schuldbefreiende Wirkung hat grundsätzlich nur die Überweisung (Einzahlung) auf das vom Gläubiger angegebene und nicht jene auf ein anderes Konto.144 Die bloße Tatsache, dass der Gläubiger ein Girokonto hat, bedeutet lediglich, dass ein Rechtsverhältnis zwischen der kontoführenden Bank und dem Gläubiger besteht; im Verhältnis zum Schuldner lässt dieser Umstand – ohne Bekanntgabe der Kontonummer an den Schuldner – nicht auf das Einverständnis des Gläubigers zur schuldbefreienden Leistung von Buchgeld auf dieses Konto schließen.145 Entgegen älterer OGH-Entscheidungen146 besteht von diesen Grundsätzen auch keine Ausnahme für Konten bei der Postsparkasse.147 Aus der wiederholten, widerspruchslosen Annahme von Buchgeld kann sich jedoch eine konkludente Zustimmung ergeben.148 ME kann sich die Zustimmung zur bargeldlosen Zahlung darüber hinaus jedoch auch aus den Umständen des Geschäfts ergeben, wie etwa dem Abschluss des Geschäftes im Fernabsatz.149 139  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 330 f; P. Bydlinski, FS Posch, 109 (111); Koziol in Apathy/ Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/10; aA Gernhuber, Erfüllung2 194 f, der nach der allgemeinen Übung entsprechend dem Typ des Geschäfts differenziert; aA auch OGH 2 Ob 534/52, SZ 25/199 (jede Zahlungsart, wenn nicht Anderes vereinbart ist). 140  Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/11; OGH 1 Ob 729/25, SZ 7/307; 5 Ob 77/63, HS 4255; 1 Ob 516/88, SZ 61/64 = ÖBA 1988/103 (Koziol); 8 ObA 281/95, SZ 69/84 = JBl 1997, 124 (bargeldlose Lohnzahlung). 141  OGH 1 Ob 729/25, SZ 7/307; 5 Ob 77/63, HS 4255; 1 Ob 516/88, SZ 61/64 = ÖBA 1988/103 (Koziol); F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 331. 142  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 331; OGH GlUNF 6819. 143  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 333. 144  OGH 6 Ob 190/00k, ÖBA 2001, 332 (P. Bydlinski); 1 Ob 277/04y, ÖBA 2005, 710 (Iro); Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/12; P. Bydlinski, ÖBA 1995, 599. 145  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 331; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/11; Canaris, BVR3 I Rz 470; OGH 1 Ob 729/25, SZ 7/307; hingegen ist das Einverständnis zur Zahlung durch Überweisung nach manchen Entscheidungen zu vermuten: OGH 5 Ob 313/68, HS 6288; 5 Ob 313/68, HS 6316; 1 Ob 382/47, SZ 21/38; 7 Ob 159/65, SZ 38/100. 146  OGH 4 Ob 287/33, SZ 15/153; 1 Ob 123/50, SZ 23/59. 147  So Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 15; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/10 FN 32. 148  OGH 5 Ob 77, 156/63, HS 4.255; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/11; Canaris, BVR3 I Rz 468. 149  Ähnlich Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 15, der – wohl etwas weitgehender – dann von einer Zustimmung zur Zahlung von Buchgeld für gegeben erachtet, wenn „aus Parteiensicht

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Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2)

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Weil der Gläubiger die Gefahr des zufälligen Untergangs trägt, ist es für die schuldbefreiende Wirkung der Überweisung nicht ausreichend, dass der Schuldner den Überweisungsauftrag erteilt; er wird nur dann von seiner Schuld befreit, wenn der Betrag tatsächlich bei der Empfängerbank einlangt. Leistung von Buchgeld ohne Einverständnis des Gläubigers befreit nicht von der Schuld.150 Das Recht des Gläubigers, die Zahlung in Form von Bargeld zu verlangen, bleibt daher nach wie vor aufrecht. Weil der Schuldner somit nicht schuldbefreiend geleistet hat, verfügt er über einen Kondiktions­ anspruch, der auf Herausgabe der Forderung des Gläubigers gegen die kontoführende Bank gerichtet ist.151 Mangels Gleichartigkeit dieser Forderungen ist die Aufrechnung nicht zulässig.152 Leistet der Schuldner durch Überweisung oder Einzahlung, so handelt es sich um eine Leistung an Zahlungs statt, die nur mit Einverständnis des Gläubigers schuldbefreiend ist.153 Zum Einverständnis des Gläubigers zu der Leistung von Buchgeld siehe oben Rz 65. Verschafft der Schuldner dem Gläubiger Buchgeld, so ist dies der Leistung von Bargeld nicht gleichzuhalten, weil der Gläubiger durch die Überweisung – die eine Form der Anweisung darstellt – nur eine Forderung gegen die kontoführende Bank erwirbt und daher zB mit dem Insolvenzrisiko der Bank belastet ist.154 Leistet der Schuldner mit Zustimmung des Gläubigers Buchgeld, so ist die Empfängerbank als „Machthaber“ iSd § 1424 anzusehen, dh als empfangsbevollmächtigter Stellvertreter.155 Machthaber unterscheiden sich von Zahlstellen dadurch, dass sie nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Gläubigers handeln.156 Ist Inhaber des vom Gläubiger (zB auf einem Zahlschein) angegebenen Kontos nicht der Gläubiger, sondern lautet das Konto auf eine andere Person, so ist diese Person Zahlstelle des Gläubigers.157 Der Gläuan eine bare Auszahlung gar nicht oder doch nicht primär gedacht ist“. In mehreren Entscheidungen vermutete der OGH das Einverständnis des Gläubigers zur Zahlung durch Überweisung: OGH 5 Ob 313/68, HS 6288; 5 Ob 313/68, HS 6316; 1 Ob 382/47, SZ 21/38; 7 Ob 159/65, SZ 38/100. 150  OGH 1 Ob 729/25, SZ 7/307; P. Bydlinski, ÖBA 1995, 599 (600); F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 334. 151  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 334; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/11; OGH 6 Ob 190/00k, ÖBA 2001, 332 (P. Bydlinski). 152  P. Bydlinski, ÖBA 1995, 599 (601); F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 334 f; Koziol in Apathy/ Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/11. 153  Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/10; Mader/ W. Faber in Schwimann3 VI § 1424 Rz 8; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3; Schön, AcP 198, 401 (453 f); P. Bydlinski, ÖBA 1995, 599 f. 154  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 331 ff; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/10. 155  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 333; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 19; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 42; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 46; Eccher/Hagen, ÖBA 2000, 115; Hawel, RdW 2009, 189 (191); vgl auch P. Bydlinski, FS Posch 109 (117 FN 35); OGH 8 Ob 602/85, MietSlg 37.072; 9 ObA 184/91, RdA 1992, 210 (Oberhofer/Grömmer); 3 Ob 66/02f, ÖBA 2004/1171; aA Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/14. 156  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 333. 157  So in OGH 1 Ob 516/88, SZ 61/64 = ÖBA 1988/103 (Koziol); 1 Ob 672/90, ecolex 1991, 19.

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biger muss sich den Machthaber/die Zahlstelle als Empfangsgehilfen zurechnen lassen, sodass auch bei der Bringschuld die Verantwortung des Schuldners mit Einlangen der Geldsumme bei der Empfängerbank endet.158 Weil der Schuldner einer Schickschuld verpflichtet ist, das Geld abzusen70 den, wird erwogen, ob die eigene, überweisende Bank des Schuldners noch Erfüllungsgehilfin des Schuldners ist, weil erst diese das Geld des Schuldners absendet.159 ME zählt die Überweisungsbank bereits zur Phase des Transports, sodass der Schuldner zwar die Verlustgefahr trägt, aber für Verzögerungen nicht einzustehen hat. Denn die überweisende Bank beginnt – entsprechende Deckung des Kontos vorausgesetzt – bereits mit der Beförderung des Geldes zum Gläubiger: Nach dem Eingang des Überweisungsauftrages führt die Bank daher den Auftrag zur Überweisung des gedeckten Betrages in vergleichbarer Weise durch, wie ein Transporteur, der eine körperliche Sache vom Schuldner zum Gläubiger befördert. Bei gesetzlichen Verpflichtungen trifft zuweilen das Gesetz selbst Anord71 nungen darüber, wie die Zahlung zu leisten ist, zB bestimmt § 104 Abs 6 ASVG dass die Sozialversicherung Geldleistungen bargeldlos zu erbringen hat, wenn der Anspruchsberechtigte nicht Barzahlung verlangt. 5. Kosten der Geldübermittlung 72

§  905 Abs  2 enthält die dispositive Anordnung, dass der Schuldner die Kosten der Geldübermittlung trägt. Der Gläubiger erhält daher das Geld in der vollen, vereinbarten Höhe. Zu den Kosten der Geldübermittlung zählt auch die Postanweisungszustellgebühr, die beim Gläubiger eingehoben wird, sodass der Schuldner diese dem Überweisungsbetrag zuzuschlagen hat.160 Hingegen trägt der Gläubiger selbst jene Kosten, die ihm von der Bank für die Führung des Kontos verrechnet werden (wie zB Kontoführungsgebühren, Buchungsund Bearbeitungsgebühren, Erlagscheingebühren).161 Gem § 905 Abs 2, 2. Satz trägt der Gläubiger die Erhöhung der Kosten, die sich durch die Verlegung seines Wohnsitzes/seiner Niederlassung ergibt. 6. Rechtzeitigkeit von Banküberweisungen a) Allgemeines

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Hat der Geldschuldner gem § 904 Satz 1 ohne unnötigen Aufschub nach Mahnung zu zahlen oder gem § 1334 ohne unnötigen Aufschub nach Erfüllung der Gegenleistung zu leisten, so kann sich diese Zeitbestimmung nur darauf beziehen, wann der Schuldner verpflichtet ist, die Leistungshandlung zu set158  Canaris, BVR3 I Rz 475a; aA Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/17. 159  Canaris, Bankvertragsrecht3 I Rz 475a; vorsichtig zustimmend Koziol in Apathy/Iro/ Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/16; aA Krüger in MüKoBGB5 § 270 Rz 22. 160  OGH 3 Ob 23/65, SZ 38/49; 5 Ob 9/98d, EvBl 1999/3. 161  OGH 4 Ob 30/59, SZ 32/85; 14 ObA 501/87, SZ 60/81 = ZAS 1989/6 (Eccher/Oberhofer); 5 Ob 9/98d, EvBl 1999/3.

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zen. Die Rechtzeitigkeit der Banküberweisung richtet sich daher in diesen Fällen nach dem Zeitpunkt, in dem der Überweisungsauftrag des Schuldners seiner kontoführenden Bank zugeht.162 Ist die Geldschuld eine Bringschuld, so ist die Zahlung nur dann rechtzei- 74 tig, wenn sie zum Fälligkeitstermin (oder letzten Tag des Fälligkeitszeitraumes) beim Gläubiger einlangt. Weil die Empfängerbank als Machthaber des Empfängers anzusehen ist (Rz 69), ist nicht der Zeitpunkt der Kontogutschrift sondern der Zeitpunkt maßgeblich, in dem das Geld bei der Empfängerbank einlangt. Haben die Parteien eine Fälligkeitsvereinbarung getroffen, so können sie 75 in dieser festlegen, ob der Schuldner zum vereinbarten Zeitpunkt nur die Überweisung tätigen muss oder ob zu diesem Zeitpunkt das Geld bereits beim Gläubiger einlangen soll.163 Zumeist fehlt jedoch eine solche Konkretisierung, sodass die Fälligkeitsvereinbarung insofern „ergänzungsbedürftig“164 ist. Zur Frage, ob es in diesem Fall auf den Zeitpunkt der Absendung oder jenen des Einlangens ankommt, siehe unten b). Dieselbe Frage hinsichtlich der Rechtzeitigkeit stellt sich auch dann, wenn 76 eine Holschuld vorlag (zB Arbeitslohn) und Tilgung durch Überweisung vereinbart wird. Die Rechtzeitigkeit ist mE in diesem Fall gleich zu lösen, wie wenn von Anfang an eine Schickschuld vorgelegen wäre, weil die Verpflichtung durch die Überweisungsvereinbarung zu einer Schickschuld wird.165 b) Nicht näher determinierter Fälligkeitstermin Vor der Entscheidung des EuGH C-306/06 (zu dieser gleich unten Rz 78) 77 war in Österreich166 ebenso wie im Vorlagestaat Deutschland167 herrschend, dass es für die Rechtzeitigkeit einer Banküberweisung nicht erforderlich ist, dass der Betrag zum Fälligkeitstermin (bzw an dem letzten Tag des Fälligkeitszeitraumes) beim Gläubiger einlangt. Vielmehr war es nach hM – unter der Voraussetzung, dass die Überweisungssumme durch das Kontoguthaben gedeckt ist oder eine Überziehung (in Höhe des Fehlbetrages) des Kontos gestattet ist – ausreichend, dass der Überweisungsauftrag am vereinbarten Fälligkeitstag bei der kontoführenden Bank des Schuldners einlangte. Es reichte 162  Hawel, RdW 2009, 189 (192); Dullinger, FS Koziol 97 (102 f); P. Bydlinski, FS Posch 109 (119). 163  Hawel, RdW 2009, 189 (191); Dullinger, FS Koziol 97 (101 f). 164  Dullinger, FS Koziol 97 (103). 165  Siehe OGH 9 ObA 73/91, ecolex 1991, 638; 9 ObA 87/97b, ASoK 1998, 107; aA Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/13. 166  OGH 4 Ob 275/30, SZ 12/229 (zur Postanweisung); 1 Ob 905/32, SZ 14/206 (zur Postanweisung); 2 Ob 534/52, SZ 25/199 (zur Postanweisung); 3 Ob 27/65, HS 5271; 7 Ob 159/65, SZ 38/100; 5 Ob 313/68, HS 6288; 3 Ob 86/84, SZ 57/160 = JBl 1986, 42 (W. Berger); 7 Ob 44/86, SZ 59/188; 7 Ob 28/89, SZ 62/166; 6 Ob 513/92, RdW 1992, 374; 7 Ob 103/97s, SZ 70/66; 6 Ob 218/09s, ÖBA 2010/1628; Ehrenzweig, System II/12, 83; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 16 und 19; Koziol, RdW 1985, 148; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/13; Mayrhofer, SchRAT3 75; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 36. 167  ZB Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 270 Rz 29; Krüger in MüKoBGB5 § 270 Rz 17 und 22; von Caemmerer, FS Mann 3 (13); aA Canaris, Bankvertragsrecht3 I Rz 480 und 780.

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daher nach hM aus, dass der Schuldner zum Fälligkeitstermin alles Erforderliche für die Überweisung getan hatte und Deckung gegeben war, weil er dadurch seine Verpflichtung zur Absendung nachgekommen war.168 In der Entscheidung C-306/06169 sprach der EuGH aufgrund eines Vorab78 entscheidungsersuchens des OLG Köln aus, dass die Beurteilung der Rechtzeitigkeit von Banküberweisungen nach deutschem Recht, das insofern mit dem österreichischen Recht übereinstimmt, im unternehmerischen Geschäftsverkehr Art 3 Abs 1 lit c Z ii Zahlungsverzugs-RL 2002/35/EG widerspricht. Die deutsche Rechtslage, nach der keine Verzugszinsen zu zahlen sind, wenn der Überweisungsauftrag am letzten Tag der Überweisungsfrist bei der Bank des Schuldners eintrifft, ist nach Ansicht des EuGH mit der Zahlungsverzugs-RL nicht vereinbar. Der EuGH entschied, dass nach der RL im unternehmerischen Geschäftsverkehr Verzugszinsen bereits dann zu zahlen sind, wenn die geschuldete Summe dem Konto des Gläubigers zum Fälligkeitstermin noch nicht gutgeschrieben ist. Der Schuldner hat nach dem EuGH den Überweisungszeitpunkt so zu wählen, dass die Summe nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge am Ende der Zahlungsfrist dem Gläubigerkonto gutgeschrieben wird (Rz 30 des Urteils). Dies sei deshalb geboten, weil der europäische Gesetzgeber mit Bedacht in Art 3 Abs 1 lit c Z ii RL die Formulierung gewählt habe, dass der Gläubiger die Geldsumme rechtzeitig „erhalten“ haben muss und sich dieser Wortsinn auch in den anderen Sprachfassungen finde. Auch der Zweck der RL, der darin liege, den Geldgläubiger zu schützen, und der in den Erwägungsgründen 7 und 16 zum Ausdruck komme, spreche für diese Interpretation. Der Schuldner werde dadurch nach Ansicht des EuGH nicht unangemessen belastet, weil Art 3 Abs 3 lit c Z ii eine Entlastungsmöglichkeit des Schuldners vorsehe, wenn dieser für Verzögerungen (in den Bearbeitungsfristen bei Bankgeschäften) nicht verantwortlich sei. Die Entscheidung ist unter Hinweis darauf kritisiert worden, dass die RL 79 keine Vorgaben für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit treffe; die RL regle nicht die Fälligkeit, sondern nur die Zahlung von Verzugszinsen.170 Zutreffend wird moniert, dass die Richtlinie die Frage der Rechtzeitigkeit gar nicht regelt;171 diese ist vielmehr eine von der RL nicht erfasste “Vorfrage”.172 Trotz der berechtigten Kritik an der EuGH-E ist ihr verbindliches Ergebnis 80 zur Kenntnis zu nehmen und die Rechtzeitigkeit von Banküberweisungen künftig in Einklang mit der Entscheidung zu bestimmen. Dies setzt keine Neukonzeption der Geldschuld als Bringschuld voraus.173 Für die Richtlinienkon­ 168  OGH 3 Ob 86/84, SZ 57/160 = JBl 1986, 42 (W. Berger); 7 Ob 28/98, SZ 62/166; 6 Ob 218/09s, ÖBA 2010/1628; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 19; Eccher/Hagen, ÖBA 2000, 115; Koziol, RdW 1985, 148; aA OGH 3 Ob 7/73, SZ 46/6; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/13. 169  EuGH C-306/06, 01052 Telecom/Deutsche Telecom, ÖBA 2008/29, 594. 170  ZB Herresthal, ZGS 2008, 259 (260 und 262); Hawel, RdW 2009, 189; Dullinger, FS Koziol 97 (99); kritisch zur Begründung des EuGH, aber im Ergebnis zustimmend Gsell, GPR 2008, 165; Aspöck, ecolex 2008, 783. 171  P. Bydlinski, FS Posch 115 f; Herresthal, ZGS 2008, 259 (260). 172  Herresthal, ZGS 2008, 259 (260). 173  OGH 4 Ob 90/09b, ecolex 2010, 154 (Aspöck); 8 Ob 56/11k; Aspöck, ecolex 2008, 783 (285); Neumayer, Zak 2010, 31 (32 f); Dullinger, FS Koziol 97 (105 f); Bollenberger in KBB3

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Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2)

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formität der österreichischen Rechtslage ist es ausreichend, hinsichtlich der Leistungszeit eine so frühzeitige Leistungshandlung des Schuldners zu verlangen, dass der Leistungserfolg fristgemäß eintritt.174 Auch der OGH ist bereits in zwei Entscheidungen so vorgegangen.175 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, sollten nicht nur die von der Zahlungsverzugsrichtlinie erfassten Verzugszinsen, sondern alle Verzugsfolgen an dasselbe Kriterium zur Bestimmung der Rechtzeitigkeit geknüpft werden.176 Daher sollte der Zeitpunkt der Rechtzeitigkeit für alle Geldschulden, die Schickschulden sind, einheitlich geregelt werden, obwohl der Anwendungsbereich der Zahlungsverzugs-RL auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr beschränkt ist. Für eine derartige, legislative Regelung, die die EuGH-E überschießend für alle Verzugsfolgen und ohne Beschränkung auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr umsetzt, erscheint derzeit nach Auskunft des Justizministeriums eine eigene Regelung in einem neu zu schaffenden § 1418a wahrscheinlich. Dieselben Grundsätze, die für die Rechtzeitigkeit der Zahlung gelten, sind 81 auch für die Beendigung des Verzugs heranzuziehen, weil der Eintritt des Verzugs die vertraglichen Pflichten nicht verändert.177 Die Rsp differenzierte vor der Telecom-E unrichtigerweise zwischen diesen Fällen und verlangte für die Verzugsbeendigung das Einlangen der geschuldeten Summe beim Gläubiger, obwohl sie für die rechtzeitige Erbringung der Banküberweisung den Eingang der Banküberweisung im Zeitpunkt der Fälligkeit genügen ließ.178 Die Zahlungsverzugsrichtlinie wurde 2011 neu gefasst (RL 2011/7/EU).179 82 Siehe näher zu dieser die Kommentierung des § 904 (Rz 13 und 43). Die Änderung der Richtlinie hat keine Auswirkungen auf die hier behandelte Frage der Rechtzeitigkeit der Zahlung durch Banküberweisungen. c) Perspektiven de lege ferenda Die Differenzierung zwischen der Gefahrtragung für Verlust und Verzöge- 83 rung führt dazu, dass die Geldschuld eine Mischform zwischen einer Schickschuld und einer Bringschuld darstellt. Weil bei der qualifizierten Schickschuld das Verzögerungsrisiko nicht vom Schuldner zu tragen ist und der Erfüllungsort am Sitz des Schuldners liegt, ist eine (reine) Bringschuld zu verneinen. Der § 905 Rz 3; aA Hackl, ZVB 2009, 148; ders, Zak 2010, 52; Hawel, RdW 2009, 189 (192); offen lassend Aspöck, Anm zu 4 Ob 90/09b, ecolex 2010, 155. 174  Neumayer, Zak 2010, 31 (32 f); Dullinger, FS Koziol, 97 (105 f); Bollenberger in KBB3 §  905 Rz 3; aA Hackl, ZVB 2009, 148; ders, Zak 2010, 52; eher gegen die Möglichkeit einer richtlinenkonformen Interpretation Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 40. 175  OGH 4 Ob 90/09b, ecolex 2010, 154 (Aspöck); 8 Ob 56/11k. 176  Für eine überschießende Umsetzung in Hinblick auf nicht nur beiderseitige Unternehmensgeschäfte auch Aspöck, ecolex 2008, 783 (785). 177  S insbes W. Berger, JBl 1986, 44; Hawel, RdW 2009, 190. 178  OGH 3 Ob 7/73, SZ 46/6; 8 Ob 545/85; 7 Ob 28/89, SZ 62/166; 1 Ob 222/99z; 6 Ob 218/09s, ÖBA 2010/1628; LG Innsbruck 3a R 283/86, AnwBl 1987/2686 (abl Grill); kritisch zu dieser Differenzierung schon Hawel, RdW 2009, 189 (190); P. Bydlinski, ÖBA 2010, 392. 179  Zur Neufassung der Zahlungsverzugsrichtlinie Frizberg, ÖJZ 2011, 629 ff.

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Typus der Schickschuld ist jedoch auch nicht vollkommen erfüllt, weil im Gegensatz zu dieser der Schuldner die Gefahr des zufälligen Untergangs trägt, sodass Elemente der Bringschuld vorliegen. Bei der qualifizierten Schickschuld fallen Leistungshandlung und Leistungserfolg (zeitlich und örtlich) auseinander. In sachlich nicht überzeugender Weise wird einmal an der Leistungshandlung (hinsichtlich der Verzögerungsgefahr) und einmal am Leistungserfolg (hinsichtlich des Verlusts) angeknüpft. § 429 zum Versendungskauf ordnet hingegen den Bereich der Versendung konsequent für alle Gefahrtragungsfragen (Verzögerung und Untergang) nur einer Vertragspartei zu, nämlich dem Empfänger, wenn dieser die Versendungsart bestimmt oder genehmigt hat, und andernfalls der versendenden Partei.180 In der widersprüchlichen Zuordnung der Phase der Verschickung bei qualifizierten Schickschulden mE der Kern der Kontroversen über die Leistungszeit: Betont man den Schickschuldcharakter der Geldschuld, aufgrund dessen der Erfüllungsort am Wohnsitz des Schuldners liegt, so kann man aus diesem Aspekt – wie dies die hM vor der EuGH-E getan hat – folgern, dass der Schuldner alle erforderlichen Leistungshandlungen mit der Absendung gesetzt hat und daher die Absendung zur Fälligkeit ausreichend ist.181 Ebenso kann jedoch vor dem Hintergrund, dass der Geldschuldner das Verlustrisiko trägt und daher die Erfüllungswirkung erst mit Einlangen des Geldes beim Gläubiger eintritt, auf den Erfolgsort geblickt werden und daher verlangt werden, dass der Schuldner für das rechtzeitige Einlangen Sorge trägt.182 Weil die Natur der qualifizierten Schickschuld widersprüchlich ist, ist es auch richtig, hervorzuheben, wie dies mehrere Autoren getan haben, dass § 905 nur die Leistungshandlung regelt, aber dies nicht zwingend etwas über die Leistungszeit aussagt, deren Regelung §  904 obliegt.183 Ebenso wurde zutreffend hervorgehoben, dass die Tragung der Verzögerungsgefahr nicht zwingend den Schluss zulässt, dass zum vereinbarten Termin erst die Verschickung erfolgen muss; denn verlangt man, dass der Schuldner so zeitig leisten muss, dass der Gläubiger das Geld unter Berücksichtigung der durchschnittlicher Überweisungsdauer rechtzeitig erhält, so trägt damit der Schuldner noch nicht die Verzögerungsgefahr.184 Dennoch erscheint es wenig glücklich, alle diese Aspekte der Schickschuld aufzuspalten und unterschiedlich zu beurteilen. Aufgrund der jahrzehntelangen gefestigten Aufspaltung der Gefahr bei der qualifizierten Schickschuld scheidet schon aus Gründen der Rechtssicherheit de lege lata eine korrigierende Auslegung aus. De lege ferenda ist mE jedoch eine eindeutige (Verlust- und Verzöge84 rungsgefahr umfassende) Zuordnung der Sphäre der Übermittlung anzustreben. Dies gebieten nicht nur die Abgrenzungsprobleme zwischen Verlust- und Ähnlich P. Bydlinski, FS Posch 109 (113). So etwa Hawel, RdW 2009, 189 und die vor der EuGH-E hM (zB Koziol, RdW 1985, 148; Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht III2 Rz 1/13; Mayrhofer, SchRAT3 75). 182  P. Bydlinski, FS Posch 112 und 119. 183  Aspöck, ecolex 2010, 155; Dullinger, FS Koziol 97 (104); P. Bydlinski, ÖBA 2010, 392 (393); P. Bydlinski, FS Posch 112. 184  Neumayer, Zak 2010, 35 (36). 180  181 

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Der Erfüllungsort von Geldschulden (§ 905 Abs 2)

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Verzögerungsgefahr,185 die bei lang anhaltenden Leistungshindernissen auf­ treten,186 zB bei Beschlagnahmeanordnung gegen ein zwischengeschaltetes Kreditinstitut.187 Auch sachlich ist es nicht befriedigend, dem Schuldner die Bank bei der Gefahrtragung zwar hinsichtlich des Untergangs aber nicht hinsichtlich der Verzögerung anzulasten.188 Weil der Schuldner zur Übermittlung „seine“ Bank heranzieht, ist mE eine Ausgestaltung der Geldschuld als Bring­ schuld vorzuziehen.189 Die Wahl der überweisenden Bank ist stets dem Geldschuldner vorbehalten; der Geldgläubiger hat keinen Einfluss und oft nicht einmal Kenntnis davon, von welchem Konto die Überweisung veranlasst werden soll.190 Die Ausgestaltung der Geldschuld als Bringschuld würde den Schuldner im Vergleich zur geltenden Rechtslage zusätzlich mit der Tragung der Verzögerungsgefahr belasten. Dies ist mE jedoch deshalb sachgerecht, weil der Schuldner bei durch die Bank verschuldeter Überschreitung der höchstzulässigen Überweisungsdauer über einen vertraglichen Schadenersatzanspruch gegen die Bank verfügt (siehe auch Rz 62). Trotz der materiellrechtlichen Argumente, die de lege ferenda für die Einordnung als Bringschuld sprechen, sind auch die prozessualen Folgen nicht außer Acht zu lassen. Anders als Deutschland, dessen § 29 dZPO grundsätzlich an dem Erfüllungsort einen Wahlgerichtsstand vorsieht, sieht der österreichische § 88 JN nur einen Wahlgerichtsstand bei vertraglich vereinbarten Erfüllungsorten vor, sodass eine Änderung des dispositiven Rechts keine Auswirkungen auf die gem § 88 JN zur Verfügung stehenden Gerichtsstände hat. Berühren würde die Auslegung jedoch den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem Art 5 Z 1 EuGVVO, indem die Ausgestaltung als Bringschuld dem Geldgläubiger einen Klägergerichtsstand eröffnen würde.191 Auch dies steht mE jedoch einer Ausgestaltung der Geldschuld als Bringschuld nicht entgegen. Denn erstens betrifft der Klägergerichtsstand nicht alle Arten von Verträgen, weil Art 5 Z 1 lit b EuGVVO für die häufigsten Verträge (Kaufverträge beweglicher Sachen und für Verträge zu Erbringung von Dienstleistungen) den Erfüllungsort selbst festlegt. Die Änderung würde nur andere als diese beiden Vertragstypen betreffen. Zweitens ist die gesetzliche Dispositivnorm ohnehin nur dann anzuwenden, wenn die Parteien keine Erfüllungsortvereinbarung getroffen haben oder sich aus der Natur oder dem Zweck des Vertrages kein anderer Erfüllungsort ergibt. Und drittens scheint die Ausgestaltung der Geldschuld als Bringschuld dem System der EuGVVO nicht zu widersprechen, weil die Ausgestaltung von Geldschulden Aspöck, ecolex 2008, 783 (785); Schön, AcP 1998, 401 (443). Schön, AcP 198 (1998) 401 (442 ff); Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 270 Rz 1 ff; Gsell, GPR 2008, 165 (169); von Caemmerer, FS Mann 3 (10 f). 187  Schön, AcP 198 (1998) 401 (443). 188  So auch P. Bydlinski, FS Posch 112 f. 189  So auch in Österreich Aspöck, ecolex 2008, 783 (785); Dullinger, FS Koziol 97 (106 f); in Deutschland Schön, AcP 198 (1998) 401 (442 ff); Bittner in Staudinger, BGB (2004) §  270 Rz 1 ff; Gsell, GPR 2008, 165 (169 ff); Herresthal, ZGS 2007, 48 (49 f); Herresthal, ZGS 2008, 259 (260); in diese Richtung auch Hilbig, JZ 2008, 991. 190  V. Caemmerer, FS Mann 3 (4). 191  Darauf weisen auch hin Aspöck, ecolex 2008, 783 (785) und Neumayer, Zak 2010, 31 (33). 185  186 

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als Bringschulden in der weit überwiegenden Mehrheit der europäischen Rechtsordnungen das vorherrschende Modell ist.192 7. Zahlung an einen Treuhänder 85

Hat der Schuldner nach dem Vertrag an einen Treuhänder des Gläubigers oder an einen mehrseitigen Treuhänder zu leisten, so ist § 905 Abs 2 auf die Zahlung an den Treuhänder anzuwenden.193 Die umstrittene Gefahrtragung bei Veruntreuung durch einen mehrseitigen Treuhänder, ist nicht Gegenstand dieser Kommentierung. Vgl dazu die Kommentierung des § 1002.

X. Nachträgliche Änderung des Erfüllungsorts 86

Den Parteien steht es frei, den Erfüllungsort der Verpflichtung durch Vereinbarung zu verändern.194 Gem § 905 Abs 1 ändert die nachträgliche Verlegung des Wohnsitzes oder der Niederlassung den Erfüllungsort für Sachschulden nicht.195 Hingegen ordnet Abs 2 an, dass die nachträgliche Veränderung des Wohnsitzes/der Niederlassung den Bestimmungsort für Geldschulden modifiziert, wobei jedoch der Gläubiger die Erhöhung der Kosten und die Gefahrenerhöhung zu tragen hat. Die gerichtliche Geltendmachung lässt den Erfüllungsort unverändert, so87 dass eine Judikatschuld denselben Erfüllungsort wie die eingeklagte Leistung hat.196 Ändert sich der Gläubiger einer Schickschuld infolge einer Zession, so 88 stellt sich die Frage, ob der Schuldner dazu verpflichtet ist, die Übersendung an den Zessionar vorzunehmen. Gegen eine Verschiebung des Bestimmungsortes infolge der Zession spricht der Grundsatz, dass die abgetretene Forderung durch die Übertragung gem § 1394 nicht verändert wird, und die Rechtsposition des Schuldners durch die Zession nicht verschlechtert werden darf. Andererseits würde das Gleichbleiben des Bestimmungsortes trotz erfolgter Zession dazu führen, dass die Leistung dennoch an den Altgläubiger und nicht an den Neugläubiger erfolgt und somit oft der Zweck der Abtretung nicht erreicht werden kann. Richtigerweise ist die Frage in Analogie zu den Regelungen des § 905 zum Wohnortwechsel (Verlegung der Niederlassung) des Gläubigers zu lösen, weil die dort getroffene Interessenabwägung auch in diesem Fall sachgerecht ist: Der Schuldner ist gem § 905 Abs 2, 2. Satz verpflichtet, das Geld an den neuen Bestimmungsort zu schicken, wenn der Zessionar die dadurch (allenfalls entstehende) Erhöhung der Kosten und Erhöhung der Gefahr 192  Siehe nur III. 2:101 Abs 1 lit a des DCFR und dessen Erläuterungen, Art 74 OR (Schweiz) und Art 57 Abs 1 lit a des UNK; vgl aus früherer Zeit von Caemmerer, FS Mann 3 (15 ff); Nussbaum, Geld 73 f. 193  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 19a; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 45. 194  Krüger in MüKoBGB5 § 269 Rz 49. 195  S auch OGH 1 Ob 173/98t, SZ 71/129. 196  OGH 3 Ob 549/53, SZ 26/283; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 8; Kietaibl in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 905 Rz 2.

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Literatur

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trägt.197 Die Kosten kann der Schuldner dem Zessionar aufrechnungsweise entgegen halten;198 auch eine Mithaftung des Zedenten aus Gründen des Schuldnerschutzes ist zu erwägen.199 Die hM wendet die Bestimmung des § 905 Abs 2, 2. Satz nicht auf Gläubigerwechsel bei Bringschulden an, weil sich dadurch nicht bloß ein geänderter Bestimmungsort sondern auch ein geänderter Erfüllungsort ergäbe.200 Auch bei der Anweisung sind dieselben Grundsätze heranzuziehen: Weil der Schuldner einer Schickschuld gegen Gefahr- und Kostentragung einen anderen Bestimmungsort akzeptieren muss, ist er auch verpflichtet, eine solche Anweisung anzunehmen, die für ihn keine zusätzlichen Belastungen mit sich bringt.201 Hingegen ist der Schuldner einer Bringschuld nicht gezwungen, eine Anweisung, die zu einer Änderung des Erfüllungsortes führen würde, anzunehmen.202

§ 905a. (1) Ist eine in ausländischer Währung ausgedrückte Geld­ schuld im Inland zu zahlen, so kann die Zahlung in inländischer Währung erfolgen, es sei denn, dass die Zahlung in ausländischer Währung aus­ drücklich bedungen worden ist. (2) Die Umrechnung erfolgt nach dem zur Zeit der Zahlung am Zah­ lungsort maßgeblichen Kurswert. Wenn der Schuldner die Zahlung ver­ zögert, hat der Gläubiger die Wahl zwischen dem bei Fälligkeit und dem zur Zeit der Zahlung maßgeblichen Kurswert. IdF BGBl I 2005/120 (HaRÄG). Mat: NR RV 1058 BlgNR 22. GP, JAB 1078 BlgNR 22. GP; BR AB 7388 BlgBR. Lit: Lentner, Fremdwährungsforderungen und Exekution auf das unbewegliche Vermögen, ÖJZ 1967, 569; Pfersmann, Bemerkenswertes aus der SZ 44, ÖJZ 1975, 173; Ertl, Inflation, Privatrecht und Wertsicherung (1980); Grunsky, Verzugsschaden und Geldentwertung, GedS Bruns (1980) 19; Remien, Die Währung von Schaden und Schadensersatz – Grundlagen und vertragsrechtliche Besonderheiten, RabelsZ 53 (1989) 245; Schuhmacher, Anm zu OGH 4 Ob 619/88, ÖBA 1989, 739; Dullinger, Handbuch der Aufrechnung (1995); Avancini/Iro/Koziol (Hrsg), Bankvertragsrecht II (1993); Griller, Der Eintritt in die dritte Stufe der WWU, ecolex 1998, 86; Zahradnik, EURO und 197  Koziol, Das vertragliche Abtretungsverbot, JBl 1980, 114 (122); Ertl in Rummel3 II § 1394 Rz 1; Heidinger in Schwimann3 VI § 1394 Rz 3; Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1394 Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3; so auch OGH 4 Ob 30/59, SZ 32/85 zur Übersendung an den Überweisungsgläubiger nach Lohnpfändung. 198  Koziol, Das vertragliche Abtretungsverbot, JBl 1980, 114 (122); Lukas in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 1394 Rz 5. 199  Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1394 Rz 5. 200  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 367; Ertl in Rummel3 II § 1394 Rz 1; Heidinger in Schwimann3 VI § 1394 Rz 3; Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1394 Rz 5; weitergehend wohl Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3. 201  Koziol, Das vertragliche Abtretungsverbot, JBl 1980, 114 (122); Ertl in Rummel3 II § 1394 Rz 1; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3. 202  Koziol, Das vertragliche Abtretungsverbot, JBl 1980, 114 (122); Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 26; Bollenberger in KBB3 § 905 Rz 3.

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Vertragsrecht, wbl 1998, 1; Hoyer, Grundbuchseintragungen in Euro möglich, NZ 1999, 65; Längle, Ist das österreichische Grundbuchsrecht gemeinschaftsrechtswidrig, immolex 1999, 180; Lindtner-Fontano/Schweiger, Hypothek in Schilling, Euro, DM oder Yen?, ÖBA 2000, 143; Schwarzer/List/Gerharter, Die österreichische Währungsordnung5 (2000); Eccher, Der Erfüllungsort für Euro-Schulden, FS Krejci (2001) 1119; Ferrari/Kieninger/Mankowski et al (Hrsg), Internationales Vertragsrecht (2007); Apathy/ Iro/Koziol (Hrsg) Österreichisches Bankvertragsrecht2 II, Konto und Depot (2008).

Übersicht I. Übersicht über die Regelung II. Entstehungsgeschichte III. Begriff und Arten der Fremdwährungsschuld 1. Unechte Fremdwährungsschulden 2. Echte Fremdwährungsschulden a) Nicht effektive Fremdwährungsschulden (mit Ersetzungsbefugnis) b) Effektive Fremdwährungsschulden 3. Terminologie in Deutschland IV. Ersetzungsbefugnis 1. Zweck und Allgemeines 2. Voraussetzungen a) „im Inland zu zahlen“ b) Zahlung in ausländischer Währung nicht „ausdrücklich bedungen“ 3. Umrechnung V. Aufrechnung VI. Verzug des Fremdwährungsschuldners 1. Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Schuldner 2. Keine Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Schuldner VII. Sonderbestimmungen VIII. Ausführungen zu bestimmten Arten von Forderungen 1. Schadenersatzansprüche 2. Unterhaltsansprüche IX. Internationales Privatrecht X. Durchsetzung von Fremdwährungsforderungen 1. Angabe einer falschen Währung in der Klage 2. Hypotheken für Fremdwährungsschulden 3. Exekution

1–2 3–4 5–23 10–11 12–22 13–16 17–22 23 24–31 24–26 27–29 27–28 29 30–31 32–33 34–37 35 36–37 38 39–45 39–42 43–45 46–50 51–55 51 52 53–55

I. Übersicht über die Regelung 1

Gegenstand des § 905a sind Geldschulden, die nicht in Euro sondern in einer anderen Währung zu bezahlen sind (echte Fremdwährungsschulden, siehe näher unten III.2.). §  905a Abs  1 sieht vor, dass der Schuldner einer Fremdwährungsschuld dann, wenn diese Schuld im Inland (bzw richtigerweise 246

Begriff und Arten der Fremdwährungsschuld

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im Euro-Raum, siehe Rz 27) zahlbar ist, mangels entgegenstehender Vereinbarung befugt ist, die Schuld in Euro zu begleichen. § 905a Abs 2 bestimmt, für welchen Zeitpunkt der Kurswert bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis zu berechnen ist. Das ABGB berücksichtigt den Ort, an dem die Geldschuld zu erbringen 2 ist, zwei Mal: Erstens ordnet § 905 Abs 1, 2. Satz an, dass die Schuld im Zweifel in der Währung des Erfüllungsorts zu bezahlen ist. Zweitens nimmt § 905a auf den Zahlungsort einer Geldschuld Bezug. Zahlungsort und Erfüllungsort sind nach hM parallel auszulegen (vgl jedoch unten Rz 28). Ist – abweichend von § 905 – aufgrund der Parteienvereinbarung eine andere Währung als jene des Zahlungsorts geschuldet und liegt der Zahlungsort im Inland, so hat der Fremdwährungsschuldner im Zweifel das Recht, – an Stelle der Leistung in der vereinbarten Währung – in der Währung des Zahlungsorts zu zahlen.

II. Entstehungsgeschichte § 905a ist seit der Handelsrechtsreform1 im ABGB enthalten. Die Rege- 3 lung fand sich zuvor für Handelsgeschäfte in Art 8 Nr 8 der 4. EVHGB, der auf dem deutschen § 244 BGB beruhte. Eine ähnliche Regelung war bereits davor in Art 336 Abs 2 AHGB vorgesehen gewesen. Weil Art 8 Nr 8 4. EVHGB allgemein-zivilrechtliche Fragen betrifft, aus dem deutschen Zivilgesetzbuch stammt und auch davor bereits im allgemeinen Zivilrecht analog angewendet wurde,2 verschob sie der Gesetzgeber im Zuge der Handelsrechtsreform vom HGB ins ABGB.3 Die Regelung des § 905a Abs 2 hatte die wertpapierrechtlichen Regelun- 4 gen in Art 41 WechselG und Art 36 ScheckG zum Vorbild, die vor Erlassung des § 905a Abs 2 im bürgerlichen Recht analog angewandt wurden.4

III. Begriff und Arten der Fremdwährungsschuld Zahlungen in unterschiedlicher Währung sind nicht identisch. Weder kann 5 der Schuldner in einer anderen als der geschuldeten Währung schuldbefreiend leisten, noch kann der Gläubiger Zahlung in einer anderen Währung verlangen.5 1 

BGBl I 2005/120. OGH 3 Ob 111/73, EvBl 1973/307; 3 Ob 502/80, JBl 1981, 645; Stanzl in Klang2 IV/1, 729; Mayrhofer, SchRAT3 50; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 3; Koziol/ Welser12 II 29; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20; Schubert in Rummel3 I §§ 985–987 Rz 3; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 53; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 3; Dullinger in Jabornegg Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 4. 3  EB RV 1058 BlgNR 22. GP 71. 4  OGH 3 Ob 502/80, JBl 1981, 645; 8 Ob 527/87; 1 Ob 568/90, wbl 1991, 72; Stanzl in Klang2 IV/1, 729; Lentner, ÖJZ 1967, 569 (570); Mayrhofer, SchRAT3 50; Schubert in Rummel3 I §§ 985–987 Rz 3; Koziol/Welser12 II 29; nur für nicht dem Handelsrecht unterliegenden Fälle Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 3; offen lassend Dullinger in Jabornegg, Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 11; aA Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 69. 5  OGH 1 Ob 568/90, wbl 1991, 72; 1 Ob 77/01g, SZ 74/178; 3 Ob 221/04b, SZ 2005/9. 2 

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§ 905a

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Die Währung Österreichs ist der Euro. Mit Einführung des Euro waren Geldschulden, die vor der Einführung des Euro in Schilling begründet wurden, in der neuen Währung zu erfüllen. Außer der Änderung der Erfüllungswährung wurde der Inhalt der Verträge durch die Umstellung auf den Euro nicht berührt. Dies wurde auch als Grundsatz der Vertragskontinuität bezeichnet.6 Eine Fremdwährungsschuld (Valutaschuld) ist eine Geldschuld (vgl dazu 7 § 905), die nicht auf einen Geldbetrag in Euro lautet, sondern in einer fremden Währung zu erfüllen ist. In welcher Währung eine Geldforderung zu zahlen ist, richtet sich nach der Parteienvereinbarung. Die dispositive Regelung in § 905 Abs 1, 2. Satz bestimmt, dass sich die Währung („Geldsorte“) im Zweifel nach dem Ort der Erfüllung richtet (siehe näher bei § 905). Bei Fremdwährungsschulden ist grundsätzlich nur die Zahlung in auslän8 discher Währung geschuldet. Wenn der Erfüllung in Fremdwährung jedoch Devisen- oder Transferbeschränkungen entgegen stehen, so hat der OGH ausgesprochen, dass der Gläubiger Zahlung in inländischer Währung verlangen kann.7 Der OGH ist in einer Entscheidung zu diesem Ergebnis gelangt, obwohl die zu zahlende Verbindlichkeit in diesem Fall nicht österreichischem, sondern ausländischem materiellen Recht unterstand.8 Richtigerweise ist nach dem auf der Zahlungsverpflichtung anwendbaren Recht zu beurteilen, welche Rechtsfolgen die Unmöglichkeit der Zahlung in Fremdwährung nach sich zieht. Die Parteien haben auch die Möglichkeit, alternative Zahlung in verschie9 denen Währungen zu vereinbaren. In diesem Fall sind wahlweise verschiedene Schuldwährungen vereinbart, und es liegt eine Wahlschuld iSd § 906 vor.9 6

1. Unechte Fremdwährungsschulden 10

Keine Fremdwährungsschuld liegt vor, wenn die fremde Währung bloß als Berechnungsgrundlage für die Höhe der Forderung dienen soll, aber von vornherein Zahlung in Inlandswährung vereinbart ist. Beispiele für solche unechten Fremdwährungsschulden (uneigentlichen Fremdwährungsschulden) sind Ansprüche auf Provision für in ausländischer Währung geschlossene Geschäfte10 und Forderungen in inländischer Währung, die unter Bezugnahme auf eine ausländische Währung wertgesichert ist.11 § 905a ist nicht auf unechte sondern nur auf echte Fremdwährungsschulden anzuwenden. Wird vertraglich eine unechte Fremdwährungsforderung vereinbart, so 11 richtet sich der Umrechnungszeitpunkt primär nach der Parteienvereinba6  EB RV 1203 BlgNR 20. GP 17; vgl ausführlich Zahradnik, wbl 1998, 1 ff; siehe auch Griller, ecolex 1998, 89 f; Eccher, FS Krejci 1120. 7  OGH 4 Ob 177/33, Rspr 1934/3; 4 Ob 604/33, Rspr 1934/58; 1 Ob 1162/33, Rspr 1934/60; 1 Ob 563/35, Rspr 1935/275; 3 Ob 682/52, SZ 26/117; 3 Ob 41/89, ÖJZ 1989/131 (obiter); Stanzl in Klang2 IV/1, 728 ff; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20. 8  OGH 3 Ob 682/52, SZ 26/117. 9  Gernhuber, Schuldverhältnis 262. 10  OGH 1 Ob 764/51, SZ 24/305. 11  OGH 3 Ob 152/49, SZ 22/82; vgl auch Stanzl in Klang2 IV/1, 729 und Ertl, Inflation 89 ff.

248

Begriff und Arten der Fremdwährungsschuld

§ 905a

rung und nach Natur und Zweck der Bezugnahme auf die Fremdwährung.12 Im Zweifel erfolgt die Umrechnung im Zeitpunkt der Fälligkeit.13 Auch bei gesetzlichen unechten Fremdwährungsansprüchen (wie zB bei Unterhaltsansprüchen, deren Bemessungsgrundlage Einkünfte in ausländischer Währung darstellen, siehe unten VIII.2.) ist die Umrechnung mE in Einklang mit der Rsp im Fälligkeitszeitpunkt vorzunehmen.14 Dieser Umrechnungszeitpunkt ist auch im Zahlungsverzug des Schuldners maßgeblich.15 Vgl jedoch zur Geltendmachung von Verzugsschäden bei Fremdwährungsschulden unten VI. Dass der Gläubiger gem § 905a Abs 2 zwischen einer Umrechnung zum Zahlungszeitpunkt und zur Fälligkeit wählen kann, wenn der Fremdwährungsschuldner in Verzug gerät und die Ersetzungsbefugnis ausübt, während bei unechten Fremdwährungsschulden stets der Zeitpunkt der Fälligkeit für die Umrechnung maßgeblich ist, ergibt sich daraus, dass bei der unechten Fremdwährungsschuld die Zahlung in inländischer Währung von Anfang an Schuldinhalt ist. Hingegen ist bei der Fremdwährungsschuld mit Ersetzungsbefugnis die Zahlung in ausländischer Währung geschuldet. Erst im Zeitpunkt der Ausübung der Ersetzungsbefugnis wird die auf Fremdwährung lautende Forderung – mit dem Gegenwert in diesem Zeitpunkt – durch eine Forderung in inländischer Währung ersetzt. Die Mehrzahl der Entscheidungen zum Umrechnungszeitpunkt stammt aus dem Schadenersatzrecht. Siehe daher näher zur Problematik unten VIII.1. 2. Echte Fremdwährungsschulden Bei echten Fremdwährungsschulden ist Zahlung in fremder Währung ge- 12 schuldet.16 Unter den echten Fremdwährungsschulden werden effektive und nicht effektive Fremdwährungsschulden unterschieden. a) Nicht effektive Fremdwährungsschulden (mit Ersetzungsbefugnis) Bei nicht effektiven Fremdwährungsschulden verfügt der Schuldner 13 über eine Ersetzungsbefugnis17 und kann die Schuld auch durch Zahlung in inländischer Währung erfüllen. Der Gesetzgeber vermutet, dass Fremdwährungsschulden, die im Inland zahlbar sind, nicht effektiv sind. Sind Fremdwährungsschulden jedoch im Ausland zu erfüllen, so ist § 905a Abs 1 nicht einschlägig, und die Fremdwährungsschuld kann nur in Fremdwährung beglichen Mayrhofer, SchRAT3 49. Mayrhofer, SchRAT3 50; OGH 9 ObA 252/00z (Auslandsdienstreise). 14  OGH 2 Ob 74/71, SZ 44/42; 2 Ob 43/89, ZVR 1990/87; siehe auch FN 15. 15  Zu Schadenersatzansprüchen OGH 1 Ob 764/51, SZ 24/305; 2 Ob 74/71, SZ 44/42; 2 Ob 63/73, RZ 1973/169; 2 Ob 179/73, ZVR 1974/220; zu Unterhaltsansprüchen OGH 1 Ob 511/94, ZfRV 1994/32. 16  OGH 3 Ob 41/89, ÖJZ 1989/131; 1 Ob 77/01g, SZ 74/178; 3 Ob 221/04b, SZ 2005/9. 17  Stanzl in Klang2 IV/1, 729; Dullinger in Jabornegg, Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 7; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 6; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 905a Rz 2; OGH 1 Ob 761/80, SZ 53/158; 4 Ob 619/88, ÖJZ 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher). 12 

13 

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werden, sofern nicht vertraglich etwas Anderes bestimmt wurde. Siehe näher zur Ersetzungsbefugnis unten IV. Wird ein Wechsel zwar auf einen Geldbetrag in ausländischer Währung 14 ausgestellt, aber nicht mit einem Effektivvermerk versehen, so kann die Wechselsumme in der Währung des Zahlungsortes beglichen werden.18 Geht bei einer Bank eine Überweisung in einer Währung ein, für die kein 15 Fremdwährungskonto des Zahlungsempfängers besteht, so darf das Kreditinstitut den Geldbetrag gem Z 37 Abs 1 ABB in inländischer Währung gutschreiben. Dies wird als Anwendungsfall der Ersetzungsbefugnis gesehen.19 Ist ein ausländischer Exekutionstitel im Inland anzuerkennen und lautet 16 dieser auf Zahlung einer Geldsumme in ausländischer Währung, so liegt eine nicht effektive Fremdwährungsschuld vor.20 Siehe näher zur Exekution unten IX.3. b) Effektive Fremdwährungsschulden 17

Charakteristikum der effektiven Fremdwährungsschuld ist, dass dem Schuldner keine Ersetzungsbefugnis zusteht, und dass eine schuldbefreiende Zahlung daher nur in Fremdwährung möglich ist. Liegt der Zahlungsort einer Fremdwährungsschuld im Ausland, so ist die 18 Zahlung effektiv in Fremdwährung zu leisten, wenn nichts Anderes vereinbart wurde. Hingegen ordnet § 905a Abs 1 an, dass Fremdwährungsschulden, die im Inland zu begleichen sind, mangels gegenteiliger Vereinbarung nicht effektiv sind und der Schuldner daher über eine Ersetzungsbefugnis verfügt. Dass abweichend von § 905a Abs 1 keine Ersetzungsbefugnis bestehen soll, kann durch Formulierungen wie „nicht anders“, „effektiv“ oder „zahlbar in“ zum Ausdruck gebracht werden. Auch wenn § 905a davon spricht, dass Voraussetzung einer effektiven Fremdwährungsschuld die ausdrückliche Bedingung der Zahlung in ausländischer Währung ist, kann die effektive Zahlung nach ganz hA auch schlüssig vereinbart werden.21 Sie kann sich zB aus dem Vertragszweck ergeben. Gem Z 75 ABB ist die Forderung der Bank auf Rückzahlung eines 19 Fremdwährungskredits eine effektive Fremdwährungsschuld, die daher von dem Bankkunden nur in der Währung beglichen werden kann, in der der Kredit gewährt wurde. Eine Bankgarantie für eine echte Fremdwährungsschuld ist selbst echte Fremdwährungsschuld.22 Gem Z 37 ABB, die Fremdwährungskonten betrifft, sind Überweisun­20 gen in der betreffenden ausländischen Währung gutzuschreiben. Dies wird 18  Art 41 WechselG, vgl auch OGH 1 Ob 761/80, SZ 53/158; 8 Ob 3/94, ZfRV 1994, 211 (Hoyer). 19  Apathy/Iro/Koziol (Hrsg) Österreichisches Bankvertragsrecht II, Konto und Depot (2008) 1/153. 20  Zu Unterhaltstiteln: OGH 3 Ob 18/76, EvBl 1976/264; 8 Ob 527/87; 3 Ob 91/84, RdW 1985, 76; 3 Ob 11/91. 21  OGH 1 Ob 77/01g, SZ 74/178; Dullinger in Jabornegg Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 3; Rei­ schauer in Rummel3 I § 905 Rz 20; Grundmann in MüKoBGB5 § 244 Rz 93. 22  OGH 4 Ob 619/88, ÖJZ 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher).

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Ersetzungsbefugnis

§ 905a

als Effektivklausel verstanden, die die Ersetzungsbefugnis des §  905a ausschließt.23 Deshalb ist auch eine Aufrechnung der Bank nicht möglich, wenn ein Kunde ein Konto in ausländischer Währung und ein auf Euro lautendes Konto hat; der Bank steht keine Ersetzungsbefugnis zu, sodass eine Aufrechnung mangels Gleichartigkeit der Forderungen nicht möglich ist.24 Der OGH hat ausgesprochen, dass der Anspruch auf Rückstellung be- 21 schlagnahmter ausländischer Banknoten eine echte Fremdwährungsschuld ohne Ersetzungsbefugnis darstellt.25 Auch das österreichische Zivilverfahrensrecht erlaubt die Verurteilung auf 22 Zahlung in ausländischer Währung (vgl zur Exekution näher unten IX.3.). 3. Terminologie in Deutschland In Deutschland sind andere terminologische Bezeichnungen als in Öster- 23 reich gebräuchlich. Für jene Geldschulden, die der Schuldner nur in Fremdwährung tilgen kann und die daher in Österreich als effektive Fremdwährungsschulden bezeichnet werden, ist in Deutschland nicht nur diese Bezeichnung sondern auch der Begriff „echte Fremdwährungsschuld“ üblich.26 Nicht effektive Fremdwährungsschulden werden in Deutschland auch als unechte oder einfache Fremdwährungsschulden bezeichnet.27

IV. Ersetzungsbefugnis 1. Zweck und Allgemeines Die Regelung des § 905a Abs 1 beruht auf dem Gedanken, dass jeder Geld- 24 gläubiger im Zweifel das inländische gesetzliche Zahlungsmittel als Erfüllung nicht ablehnen darf.28 Ist daher keine effektive Fremdwährungsschuld vereinbart, ist der Schuldner berechtigt, in heimischer Währung zu zahlen. Zweck des § 905a Abs 2 ist es, dem Schuldner die Verschaffung von Auslandswährung zu ersparen und ihm dadurch die Zahlung zu erleichtern.29 Zusätzlich wird als zweiter Zweck die Privilegierung der inländischen Währung ge23 

Apathy/Iro/Koziol (Hrsg) Österreichisches Bankvertragsrecht II, Konto und Depot (2008)

24 

Apathy/Iro/Koziol (Hrsg) Österreichisches Bankvertragsrecht II, Konto und Depot (2008)

1/153. 1/154.

25 

OGH 1 Ob 32/91, SZ 64/129. Siehe zB K. Schmidt in Staudinger, BGB13 § 244 Rz 6 ff; Martiny in MüKoBGB5 Art 9 Anh I Rz 18. 27  Siehe zB K. Schmidt in Staudinger, BGB13 § 244 Rz 6 ff; Martiny in MüKoBGB5 Art 9 Anh I Rz 18; Bezeichnung als unechte Fremdwährungsschuld zB Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244, 245 Rz 91 ff. 28  Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 4; K. Schmidt in Staudinger, BGB12 § 244 Rz 2. 29  So zur Ersetzungsbefugnis des deutschen Rechts Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244, 245 Rz 91 und 94; demgegenüber nennen als zweiten Zweck die Privilegierung der Inlandswährung OGH 1 Ob 586/90, ZfRV 1991/16 und 1 Ob 77/01g, SZ 74/178. 26 

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§ 905a

Aichberger-Beig

nannt.30 Auch wenn § 905a nur dann zur Anwendung kommen lässt, wenn der Zahlungsort im Inland liegt, und bei ausländischen Zahlungsorten nicht einschlägig ist, kommt der Norm mE seit der Einführung des Euro nicht mehr die Funktion zu, die inländische Währung zu privilegieren, weil die währungsrechtliche Kompetenz der Europäischen Union und nicht den Mitgliedstaaten zusteht.31 Die in §  905a Abs  1 vorgesehene Ersetzungsbefugnis32 ist ein Gestal25 tungsrecht des Schuldners. Der Gläubiger kann nur Zahlung in fremder Währung verlangen. Es handelt sich um keine Wahlschuld iSd § 906.33 Die in §  905a geregelte Ersetzungsbefugnis ist Teil des österreichischen 26 Schuldrechts und nach richtiger Ansicht zur dann anzuwenden, wenn die Fremdwährungsforderung österreichischem Sachrecht unterliegt (vgl näher unten IX.). 2. Voraussetzungen a) „im Inland zu zahlen“ 27

Die Ersetzungsbefugnis steht nur zu, wenn die Schuld im „Inland“ zu zahlen ist. Weil das „Währungsinland“ für die Ersetzungsbefugnis entscheidend ist, sind Zahlungsorte in allen Ländern erfasst, in denen der Euro das gesetzliche Zahlungsmittel ist.34 Maßgeblicher Zahlungsort ist nicht der Ort, an dem tatsächlich geleistet 28 wird, sondern der vertraglich vereinbarte Zahlungsort.35 Unstreitig ist, dass der Erfüllungs- und Zahlungsort von Holschulden am Wohnsitz des Schuldners und jener von Bringschulden am Wohnsitz des Gläubigers liegt. Strittig ist, ob bei qualifizierten Schickschulden der Zahlungsort an dem Ort liegt, von dem der Gläubiger die Zahlung wegschickt (Schuldnerwohnsitz), oder an dem Ort, an den das Geld übersendet wird (Gläubigerwohnsitz). Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, wo bei der vereinbarungsgemäßen Tilgung von qualifizierten Schickschulden durch grenzüberschreitende Überweisungen der Zah30  Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 4; vor der Einführung des Euro Schuhmacher, ÖBA 1989, 739; Dullinger in Jabornegg, Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 1; K. Schmidt in Staudinger, BGB12 § 244 Rz 2 und 72; OGH 1 Ob 586/90, ZfRV 1991/16 und 1 Ob 77/01g, SZ 74/178. 31  Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244, 255 Rz 91; vgl im kollisionsrechtlichen Zusammenhang auch Martiny in Anhang I zu Art 9 Währungsrecht, MüKoBGB5 Rz 24 ff. 32  Stanzl in Klang2 IV/1, 729; Dullinger in Jabornegg, Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 7; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 6; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 905a Rz 2; OGH 1 Ob 761/80, SZ 53/158; 4 Ob 619/88, ÖJZ 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher). 33  OGH 1 Ob 761/80, SZ 53/158; 8 Ob 3/94, ZfRV 1994, 211 (Hoyer); Dullinger in Jabornegg, Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 7; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 6. 34  OGH 1 Ob 77/01g, SZ 74/178; K. Schmidt in Staudinger, BGB (1997) §  244 Rz 76; Grundmann in MüKoBGB5 §§  244, 255 Rz 94; Kolmasch in Schwimann, Taschenkommentar § 905a Rz 5; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 4. 35  OGH 3 Ob 862/52, SZ 26/117; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 5; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 4.

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Ersetzungsbefugnis

§ 905a

lungsort liegt. Obwohl nach dem dispositiven Recht Geldschulden mangels abweichender Vereinbarung qualifizierte Schickschulden sind, liegt nach hM der für die Ersetzungsbefugnis maßgebliche Zahlungsort bei grenzüberschreitenden Überweisungen am Wohnsitz des Gläubigers.36 Der Zahlungsort liegt somit nicht an jenem Ort, an dem die geschuldete Handlung gesetzt wird, sondern an dem Erfolgsort. Dies ist mE zutreffend, weil die im Interesse des Schuldners vorgesehene Ersetzungsbefugnis nur dann sachgerecht ist, wenn die Interessen des Gläubigers durch die Zahlung in Inlandswährung nicht unangemessen beeinträchtigt werden; dies ist nur bei Zahlung in der Währung des Wohnsitzes (bzw der Niederlassung) des Gläubigers der Fall, weil der Gläubiger nur diese Währung als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptieren muss. Hingegen fehlt eine Rechtfertigung dafür, dem Gläubiger ohne entsprechende Vereinbarung zuzumuten, auch Zahlungen in der Währung des Schuldnerwohnsitzes als schuldbefreiend anzunehmen. Eine solche Auslegung des § 905a würde den Fremdwährungsschuldner ohne Berücksichtigung der Interessen des Gläubigers einseitig bevorzugen. §  905a ist daher vielmehr so zu verstehen, dass der Gläubiger anstelle der vereinbarten Währung mangels entgegenstehender Vereinbarung auch die Währung seines Wohnsitzes annehmen muss. b) Zahlung in ausländischer Währung nicht „ausdrücklich bedungen“ Die Ersetzungsbefugnis steht nach dem Wortlaut des § 905a nur zu, wenn 29 die Zahlung in Inlandswährung nicht „ausdrücklich bedungen“ wurde. Nach hM kann die Ersetzungsbefugnis auch schlüssig ausgeschlossen werden.37 3. Umrechnung § 905a Abs 2 Satz 1 legt fest, dass jener Kurswert heranzuziehen ist, der 30 zum Zahlungszeitpunkt am Zahlungsort gilt. Maßgeblich ist der Warenkurs (Kurs zum Ankauf von Fremdwährung mit Inlandswährung) am Zahlungsort,38 damit der Gläubiger in die Lage versetzt wird, sich den geschuldeten Betrag in der Fremdwährung zu verschaffen.39 Der von der Europäischen Zentralbank täglich bekannt gegebene Referenzkurs ist ein Mittelkurs zwischen An- und Verkaufskurs und daher nicht heranzuziehen. Anderes gilt im Schuldnerverzug (siehe dazu näher unter VI.1.) 31 36  OGH 4 Ob 619/88, ÖJZ 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher); 1 Ob 586/90, ZfRV 1991/16; 1 Ob 77/01g, SZ 74/178; Stanzl in Klang2 IV/1, 729 f, 743; Koziol, BVR II Rz 1/62; Dullinger in Jabornegg Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 5; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 905a Rz 4; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 905a Rz 23. 37  OGH 1 Ob 77/01g, SZ 74/178; Dullinger in Jabornegg zu Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 3; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20; Grundmann in MüKoBGB5 § 244 Rz 93. 38  Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 8; Dullinger in Jabornegg Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 9; Koziol in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II Rz 1/62; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 57; Bollenberger in KBB3 § 905a Rz 5; OGH 8 Ob 527/87. 39  K. Schmidt in Staudinger13 § 244 ff Rz 84.

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§ 905a

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V. Aufrechnung 32

Ein Schuldner kann dann gem § 1438 mit einer eigenen Forderung gegen die Forderung des Aufrechnungsgegners aufrechnen, wenn die Forderungen gegenseitig, gleichartig, richtig und fällig sind. Schulden, die auf unterschiedliche Währungen lauten, sind nicht gleichartig. Die Aufrechnungsbefugnis besteht daher nicht, wenn Forderung und Gegenforderung in unterschiedlichen Währungen zu zahlen sind.40 Hat der Fremdwährungsschuldner eine Ersetzungsbefugnis und kann so33 mit auch in inländischer Währung erfüllen, so kann er mit einer Forderung, die auf inländische Währung lautet, gegen diese Forderung aufrechnen, wenn er die Ersetzungsbefugnis ausübt. Der Gläubiger des Fremdwährungsschuldners kann in diesem Fall jedoch nicht aufrechnen, weil die Ersetzungsbefugnis ausschließlich den Schuldner berechtigt, in inländischer Währung zu zahlen, aber der Gläubiger kein Recht auf Zahlung in inländischer Währung hat.41 Der für den Umrechnungskurs maßgebliche Zahlungstag ist bei Schuldtilgung durch Aufrechnung der Zeitpunkt, zu dem die Aufrechnungserklärung zugeht.42

VI. Verzug des Fremdwährungsschuldners 34

Die Rechtsfolgen des Verzugs des Fremdwährungsschuldners richten sich dann nach österreichischem Recht, wenn österreichisches Recht auf die Forderung anzuwenden ist, die verspätet erfüllt wird.43 1. Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Schuldner

35

Für die Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Schuldnerverzug trifft Abs 2, 2. Satz eine Regelung, die die Interessen des Gläubigers bei Währungsschwankungen wahrt: Der Gläubiger kann in diesem Fall wählen, ob der Umrechnungskurs zur Zeit der Fälligkeit oder der Umrechnungskurs zur Zeit der Zahlung heranzuziehen ist. Diese im Zuge des HaRÄG eingeführte Regelung beruht auf Art 41 WechselG und Art 36 ScheckG, die bereits vor dem HaRÄG nach hA sowohl im Handelsrecht als auch im bürgerlichen Recht analog angewendet wurden.44 Bei Tilgung durch Aufrechnung nach Ausübung der Ersetzungsbefugnis ist der für den Umrechnungskurs maßgebliche Zahlungstag jener Zeitpunkt, zu dem die Aufrechnungserklärung zugeht.45 40  OGH 7 Ob 37/78, ÖJZ 1980/30; 4 Ob 554/87, wbl 1987, 275; 3 Ob 172/00s, SZ 74/50; 1 Ob 77/01g, SZ 74/178; vgl zB auch Gschnitzer in Klang2 VI, 508; Dullinger, Aufrechnung 78 f; dies in Rummel3 I § 1440 Rz 2. 41  ZB Gschnitzer in Klang2 VI 508; Dullinger, Aufrechnung 79. 42  ZB Gschnitzer in Klang2 VI 508; Dullinger, Aufrechnung 79. 43  OGH 1 Ob 32/91, SZ 64/129. 44  OGH 3 Ob 502/80, JBl 1981, 645; 1 Ob 568/90, wbl 1991, 72; Stanzl in Klang2 IV/1, 729; Lentner, ÖJZ 1967, 569 (570); Mayrhofer, SchRAT3 50; Schubert in Rummel3 I §§ 985–987 Rz 3; Koziol/Welser12 II 29; nur für nicht dem Handelsrecht unterliegende Fälle Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 3; offen lassend Dullinger in Jabornegg, HGB Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 11; aA Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 69. 45  Dullinger, Aufrechnung 79.

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Verzug des Fremdwährungsschuldners

§ 905a

2. Keine Ausübung einer Ersetzungsbefugnis durch den Schuldner Nach der Rsp46 und der Ansicht von Teilen der Lehre47 kann der Gläubiger 36 der Fremdwährungsschuld im Schuldnerverzug zwischen der Zahlung in Fremdwährung und der Zahlung in inländischer Währung wählen. Es wird vertreten, dass dieses Wahlrecht dem Gläubiger nicht nur bei nicht effektiven, sondern auch bei effektiven Fremdwährungsschulden zustehe.48 Der Gläubiger hat das ihm nach der Rsp zustehende Wahlrecht bereits in der Klage auszuüben.49 Diese Ansicht unterliegt zutreffender Kritik der Lehre, weil sich im Ge- 37 setz keine Grundlage für ein solches Wahlrecht des Gläubigers findet.50 Der Gesetzgeber schützt den Fremdwährungsgläubiger im Verzug des Fremdwährungsschuldners durch § 905a Abs 2, indem er vorsieht, dass der Gläubiger der Fremdwährung im Verzug des Schuldners bei der Umrechnung in inländische Währung zwischen dem Kurswert am Fälligkeitstag oder am Tag der Zahlung wählen kann. Macht der Gläubiger jedoch von keiner Ersetzungsbefugnis Gebrauch (oder steht eine solche nicht zu, weil es sich um eine effektive Fremdwährungsschuld handelt), so könnte der Schuldner bei fallenden Kursen der Fremdwährung von der verzögerten Leistung profitieren. Um dieser Gefahr zu begegnen, ist es jedoch nicht erforderlich, „in freier Rechtsfindung“ ein Wahlrecht des Gläubigers zu konstruieren. Vielmehr hat nach allgemeinen Grundsätzen der Fremdwährungsschuldner bei Verschulden für den Verzugsschaden einzustehen. Der Kursverlust der Fremdwährung, stellt nach der Rsp nur dann einen Verzugsschaden dar, wenn der Geschädigte beweisen kann, dass er den Betrag bei rechtzeitiger Leistung umgehend in inländische Währung umgetauscht hätte.51 Diese Beschränkung ist mE auch sachgerecht. Hätte der Gläubiger nämlich keine Umwechslung vorgenommen, sondern die Fremdwährung zB zur Zahlung eigener Fremdwährungsschulden verwendet, so ist ihm durch den Kursverlust kein Schaden entstanden.

46  OGH 4 Ob 619/88, ÖJZ 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher); 3 Ob 41/89, ÖJZ 1989/131; 1 Ob 586/90, ZfRV 1991/16. 47  Stanzl in Klang2 IV/1, 729 und 743; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 7; Schubert in Rummel3 I §§ 985–987 Rz 3; Koziol in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II Rz 1/62. 48  Ausdrücklich Schubert in Rummel3 I §§ 985–987 Rz 3; OGH 1 Ob 586/90, ZfRV 1991/16. 49  Schuhmacher in Straube, HGB3 Art  8 Nr  8 4. EVHGB Rz  7; Schubert in Rummel3 I §§ 985–987 Rz 3; Koziol in Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht II Rz 1/62; OGH 1 Ob 761/80, SZ  53/158; 4  Ob 619/88, ÖJZ 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher); 1 Ob 586/90, ZfRV 1991/16. 50  Dullinger in Jabornegg, HGB Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 13; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 69; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 905a Rz 3; ders in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 8. 51  Vgl OGH 1 Ob 32/91, SZ 64/129; Ernst in MüKoBGB5 § 286 Rz 149; Löwisch/Feldmann in Staudinger, BGB (2009) § 286 Rz 209. Auch die Entscheidung OGH 2 Ob 321/32, SZ 14/77 stimmt damit überein, weil in diesem Fall die Verwertung in inländischer Währung von den Parteien außer Streit gestellt worden war.

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§ 905a

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VII. Sonderbestimmungen 38

Durch die Erlassung des § 905a blieben die wertpapierrechtlichen Sonderbestimmungen unberührt (Art 41 Abs 1 WechselG, Art 36 Abs 1 ScheckG).52

VIII. Ausführungen zu bestimmten Arten von Forderungen 1. Schadenersatzansprüche 39

Die österreichische Judikatur spricht Schadenersatzansprüche grundsätzlich in inländischer Währung zu; eine Ausnahme davon besteht nur bei natürlichem Ersatz, wie zB bei beschlagnahmtem oder entwendetem Geld in ausländischer Währung.53 Eine weitere Ausnahme bilden Verzugszinsen, die nicht stets in Inlandswährung, sondern in derselben Währung wie die verspätet bezahlte Forderung zu leisten sind.54 Im Gegensatz zu dem Grundsatz der Judikatur, dass Schadenersatzansprüche in inländischer Währung zu begleichen sind, wird in der Literatur teilweise vertreten, dass Schadenersatz in der Währung am Wohnsitz bzw an der Niederlassung des Geschädigten zu leisten ist.55 Für diese Ansicht spricht, dass die Währung sich im Zweifel nach dem Erfüllungsort der Forderung richtet (vgl näher §  905 IV.1.) und deliktische Schadenersatzverbindlichkeiten Bringschulden sind (§ 905 Rz 55), deren Erfüllungsort daher am Wohnsitz bzw der Niederlassung des Geschädigten liegt.56 Überdies ist dem Interesse des Geschädigten durch die Zahlung in seiner „Heimatwährung“ zumeist am besten gedient. In Deutschland ist umstritten, in welcher Währung Schadenersatzansprüche zuzusprechen sind.57 Während die deutsche Judikatur zu Schadenersatz in inländischer Währung ten­ diert,58 wird in der Literatur vertreten, dass die Währung zu ermitteln ist, in der der Schaden tatsächlich entstanden ist, und Schadenersatz in dieser „Schadenswährung“ zu leisten ist.59 Eine solche differenzierende Auffassung liegt auch dem DCFR zugrunde, nach dem Schadenersatzansprüche in jener Währung zu leisten sind, die den Schaden des Geschädigten am treffendsten widerspiegelt (wörtlich: „damages are to be measured by the currency which most appro­ priately reflects the creditor’s loss“, III.3:713). Seit Einführung des Euro stellt 52  Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB §  905a Rz 1; ders in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 1. 53  Wolff in Klang2 VI 124; OGH 3 Ob 473/24, SZ 6/225; 2 Ob 63/73, RZ 1973/169; 2 Ob 63/73, ZVR 1974/64; 8 Ob 61/73, ZVR 1974/167; 2 Ob 179/73, ZVR 1974/220; 1 Ob 32/91, SZ 64/129. 54  OGH 5 Ob 724/79, HS 10.655. § 999 der Urfassung des ABGB ordnete dies für die Zinsen von Gelddarlehen ausdrücklich an (Stanzl in Klang2 IV/1, 758). 55  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 67. 56  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20; Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 67. 57  Vgl ausführlich von Hoffmann in Staudinger, BGB (2001) Vorbem zu Art 40 EGBGB Rz 75 ff; Martiny in MüKoBGB5 Anhang zu Art 9 Rom I-VO Rz 13. 58  Siehe die Leitentscheidung BGH BGHZ 14, 212, NJW 1954, 1441 (Werner) = DJZ 1955, 161 (Kegel). 59  Remien, RabelsZ 1989, 245; K. Schmidt in Staudinger, BGB13 § 244 Rz 28.

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Ausführungen zu bestimmten Arten von Forderungen

§ 905a

sich die Frage nach der Schadenswährung nur mehr in Fällen mit Bezug zu Staaten außerhalb des Euro-Währungsgebietes. ME ist im Interesse der Praktikabilität und Effizienz eine einfache Bestim- 40 mung der Währung anzustreben, da die Währung des Schadenersatzanspruchs aufgrund der weitgehenden, freien Konvertibilität ohnedies eine untergeordnete Rolle spielt. Daher ist der stRsp, die stets Schadenersatz in inländischer Währung zuspricht, zu folgen, weil bei Anwendbarkeit des österreichischen Schadenersatzrechts stets ein starker Inlandsbezug besteht, der neben der Anwendung österreichischen Rechts auch die Verurteilung in heimischer Währung (dem Euro) rechtfertigt. Österreichisches Recht kommt im Wesentlichen dann auf Schadenersatzansprüche zur Anwendung, wenn der Unfallort bei einem Straßenverkehrsunfall in Österreich liegt (Art 3 Haager Straßenverkehrsübereinkommen), der Erfolg der schädigenden Handlung (zB Körperverletzung) in Österreich eingetreten ist (Art 4 Abs 1 Rom II-VO), wenn der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt des Schädigers und des Geschädigten in Österreich liegt (Art 4 Abs 2 Rom II-VO) oder wenn der Schadenersatz in engem Zusammenhang mit einem anderen Rechtsverhältnis (zB Vertrag) steht, das österreichischem Recht unterliegt (4 Abs 3 Rom II-VO). Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die Exekution ohnehin auf inländische Währung gerichtet ist, wenn der Exekutionstitel keinen Effektivvermerk enthält (vgl dazu unten X.3.). Entscheidender als die Schuldwährung ist die Frage, welcher Umrech­ 41 nungszeitpunkt heranzuziehen ist, wenn der Geschädigte Aufwendungen oder Kosten, die in einer anderen Währung getätigt werden, geltend macht. Ein solcher Umrechnungsvorgang erübrigt sich auch nicht bei Zahlbarkeit von Schadenersatzansprüchen in der Geschädigtenwährung, weil auch in diesem Fall Aufwendungen, die in einer anderen Währung gezahlt wurden (zB Heilungskosten am Unfallort), geltend gemacht werden können. Da nach der österreichischen Judikatur Geldschadenersatz stets in Euro zu leisten ist, sind Schadenersatzansprüche unechte Fremdwährungsschulden, wenn sie auf Grund­ lage von Aufwendungen oder Forderungen in Fremdwährung zu berechnen sind. Für die Umrechnung ist der Warenkurs (Kurs zum Ankauf von Fremdwährung mit Inlandswährung) heranzuziehen.60 Die fremde Währung dient lediglich als Berechnungsgrundlage für die Schadenersatzforderung in inländischer Währung. Es stellt sich in diesen Fällen die Frage, für welchen Zeitpunkt der Kurswert zu berechnen ist. Der OGH formulierte in einer Entscheidung, dass die Umrechnung in Inlandswährung „mit Anspruchsentstehung, jedoch spätestens mit Fälligkeit“61 zu erfolgen habe, während er in den anderen Entscheidungen als maßgeblichen Zeitpunkt für die Umrechnung nur die Fällig­ keit nennt.62 Die Fälligkeit einer Schadenersatzforderung tritt ein, sobald der Schaden feststellbar und vom Geschädigten zahlenmäßig bestimmt worden 60 

OGH 2 Ob 63/73, ZVR 1974/64; 5 Ob 712/81, SZ 54/165. OGH 1 Ob 764/51, SZ 24/305. 62  ZB OGH 2 Ob 74/71, SZ 44/42; 2 Ob 63/73, ZVR 1974/64; 8 Ob 61/73, ZVR 1974/167; 2 Ob 179/73, ZVR 1974/220; 8 Ob 75/81, ZVR 1982/73; 5 Ob 712/81, SZ 54/165; 2 Ob 43/89, ZVR 1990/87; 2 Ob 43/89, ZVR 1990/87; 2 Ob 7/93, ZVR 1994/90; nicht aussagekräftig ist die E 1 Ob 359/53, SZ 26/310, weil der Umrechnungszeitpunkt in den Anleihebedingungen geregelt war (so zu dieser E schon Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20). 61 

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ist.63 Nicht maßgeblich ist nach der Judikatur der Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung der unechten Fremdwährungsschuld. Reischauer äußert sich kritisch zu der Heranziehung des Fälligkeitszeit42 punkts für die Bestimmung des Kurswerts und befürwortet ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung, weil die ausländische Währung lediglich Berechnungsgrundlage sei.64 ME ist es zutreffend, die Berechnung zum Fälligkeitszeitpunkt vorzunehmen. Im Fälligkeitszeitpunkt soll der Gläubiger den Gegenwert in Inlandswährung erhalten. Bis zum Fälligkeitszeitpunkt trifft das Risiko von Aufwertungen der Fremdwährung den Schuldner und das Risiko von Abwertungen den Gläubiger. Dies ist sachgerecht, weil die Forderung vor Fälligkeit nicht beglichen oder eingefordert werden kann. Gerät der Fremdwährungsschuldner in subjektiven Verzug, so steht dem Gläubiger der Ersatz des konkret nachweisbaren Verzugsschadens zu (siehe VI.) 2. Unterhaltsansprüche 43

Jenes Recht, das bestimmt, ob und in welcher Höhe Unterhaltsansprüche bestehen (Unterhaltsstatut), entscheidet auch darüber, in welcher Währung ein Unterhaltsanspruch zu leisten ist (vgl dazu auch unten Rz 46).65 Im Anwendungsbereich des Haager Unterhaltsstatutsabkommens ist gem Art 1 des Übereinkommens das Recht jenes Landes anzuwenden, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Anknüpfung von (nach)ehelichem Unterhalt regeln die §§ 18 ff IPRG; sie richtet sich primär nach dem gemeinsamen Personalstatut der Ehegatten, und mangels eines solchen nach dem letzten gemeinsamen und von einem von ihnen beibehaltenen Personalstatut. Nach österreichischem Recht sind Unterhaltsschulden Geldwertschul44 den, die der Deckung des Naturalunterhalts dienen und die erst – in einem zweiten Schritt – in Geld zu beziffern sind. Weil der Naturalunterhalt am Aufenthaltsort gedeckt werden soll, hat die Rsp bezüglich Unterhaltsansprüchen von in Österreich lebenden Kindern ausgesprochen, dass diese in inländischer Währung zu leisten sind.66 Wenn der Unterhaltsschuldner Einkommen in ausländischer Währung bezieht, so ist dieses in inländische Währung umzurechnen.67 Ändert sich der Umrechnungskurs nachhaltig und in relevantem Ausmaß, so kann der Unterhalt aufgrund der geänderten Verhältnisse neu bemessen werden.68 Ist ausländisches Recht anzuwenden, so bestimmt dieses, in welcher Währung der Unterhalt zu leisten ist. 63  Zuletzt OGH 1 Ob 28/11s; vgl davor zB schon 2 Ob 293/68, JBl 1969, 664; 2 Ob 74/71, SZ 44/42; 8 Ob 138/81, JBl 1982, 656; LGZ Wien 46 R 856/98t, MR 1998, 184 (Suppan); vgl auch Beck-Mannagetta, ÖJZ 1970, 315 ff. 64  Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20. 65  OGH 3 Ob 567/78, SZ 51/43; 1 Ob 511/94, ZfRV 1994/32; anders die ältere Rsp, die auf den Schuldnerwohnsitz als Erfüllungsort der Geldschuld abstellt OGH 1 Ob 119/23, SZ 5/30, 1 Ob 181/25, SZ 7/71. 66  OGH 3 Ob 567/78, SZ 51/43; 1 Ob 511/94, ZfRV 1994/32. 67  OGH 1 Ob 511/94, ZfRV 1994/32. 68  OGH 6 Ob 184/97w, EFSlg 83.299; Wechselkursschwankungen berücksichtigt auch 6 Ob 15/98v, EFSlg 86.166.

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Der OGH hat jedoch in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, dass bei 45 einem Unterhaltsanspruch in ausländischer Währung dennoch eine Auszahlung in inländischer Währung geboten sein kann, wenn der erhebliche und kontinuierliche Verfall der ausländischen Währung dazu führen würde, dass die Unterhaltszahlung ihren Zweck nicht erreicht, und die Zahlung in dieser Währung daher den Interessen des Unterhaltsberechtigten zuwiderlaufen würde.69 Beziehe der Unterhaltsschuldner jedoch ausschließlich ein Gehalt in der vom Wertverfall betroffenen Währung, ist nach dem OGH die Heranziehung inländischer Währung nicht möglich.70

IX. Internationales Privatrecht Welche Währung geschuldet wird, ist nach dem auf die Forderung an­ 46 wendbaren Sachrecht (Schuldstatut) zu beurteilen.71 Daher ist die Währung des Unterhaltsanspruchs nach dem Unterhaltsstatut zu bestimmen (oben Rz 43). Bei vertraglichen Forderungen ist nach dem Vertragsstatut nicht nur zu entscheiden, ob und in welcher Höhe Forderungen bestehen, sondern auch, in welcher Währung zu leisten ist.72 Das Vertragsstatut ist der Rom I-VO zu entnehmen. In welcher Währung außervertragliche Schadenersatzansprüche zu zahlen sind, ist nach dem anwendbaren Schadenersatzrecht zu klären, das nach der Rom II-VO (bzw außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom II-VO gem § 48 IPRG) zu bestimmen ist.73 § 905 Abs 1, 2. Satz nach dem sich die Währung („Geldsorten“) im Zweifel nach dem Erfüllungsort richtet, ist keine Kollisionsnorm, sondern österreichisches Sachrecht.74 Dasselbe gilt für § 905a: Die Bestimmung ist Teil des österreichischen ma- 47 teriellen Rechts und hat keinen kollisionsrechtlichen Gehalt. Die Ersetzungs­ befugnis des §  905a steht richtigerweise nur zu, wenn die Fremdwährungsschuld österreichischem Sachrecht unterliegt.75 Die Ersetzungsbefugnis ist Teil des österreichischen Schuldrechts und kein währungsrechtliches Steuerungsinstrument. Weder die Währungspolitik noch das internationale Privatrecht der Verträge liegen in der Kompetenz des nationalen Gesetzgebers. Die Ersetzungsbefugnis kann daher nicht als international zwingende Norm oder als einseitige Kolli­sionsnorm angesehen werden.76 Gegen das Vorliegen einer Eingriffsnorm spricht, dass die Ersetzungsbefugnis dem Schutz des Schuld69  OGH 7 Ob 687/85; 7 Ob 307/97s; 6 Ob 567/93, ZfRV 1994/5; 1 Ob 317/97t, ZfRV 1999, 110; vgl auch 6 Ob 15/98v. 70  OGH 6 Ob 567/93, ZfRV 1994/5. 71  Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244, 245 Rz 29 f; Martiny in MüKoBGB5 Anh I zu Art. 9 Rz 3 und Rz 9 ff; Verschraegen in Rummel3 I Vor § 35 IPRG Rz 11; Remien, RabelsZ 1989, 245 (248). 72  Martiny in MüKoBGB5 Anh I Art 9 Rom I-VO Rz 9. 73  Martiny in MüKoBGB5 Anh I Art 9 Rom I-VO Rz 13. 74  Vgl Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 361 HGB Rz 1; vgl Verschraegen in Rummel3 I Vor § 35 IPRG Rz 11; Eccher, FS Krejci 1123; vgl für Vertragsforderungen auch Czernich in Czernich/Heiss, EVÜ Art 10 Rz 16 75  AA Stanzl in Klang2 IV/1, 743; Schuhmacher in Straube, HGB3 Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 905a Rz 4. 76  Martiny in MüKoBGB5 Art 9 Anh I Rz 24 ff.

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ners dient und für diesen auch disponibel ist. Bei vertraglichen Ansprüchen kommen somit nur eine Anknüpfung der Ersetzungsbefugnis des Schuldners an das allgemeine Schuldstatut77 oder eine Qualifikation als Erfüllungsmodalität iSd Art 12 Abs 2 Rom I-VO78 in Betracht. ME ist an das allgemeine Vertragsstatut anzuknüpfen, das Art und Inhalt der Verpflichtung regelt; Art 12 Abs 2 Rom I-VO ist eng auszulegen und bezieht sind nicht auf die Vertragspflichten, sondern nur auf die äußere Abwicklung der Erfüllung (zB Feiertage, Öffnungszeiten).79 Das UNK sieht keine Ersetzungsbefugnis für Fremdwährungsforderungen 48 vor. Strittig ist, ob daraus der Schluss zu ziehen ist, dass für Fremdwährungsforderungen aus Kaufverträgen, die dem UNK unterliegen, keine Ersetzungsbefugnis besteht,80 oder ob diese Frage mangels Regelung im UNK durch Rückgriff auf nationales Recht zu entscheiden ist.81 Der OGH hat die Beantwortung dieser Frage offen gelassen.82 Stehen der Zahlung Devisen- oder Transferbeschränkungen entgegen, 49 so können diese als Eingriffsnormen iSd Art 9 Rom I-VO zu berücksichtigen sein.83 Währungsrechtliche Lenkungsmaßnahmen, wie staatliche Auf- und 50 Abwertungen und Währungsumstellungen, richten sich nach dem Recht des Staates, in dessen Währung zu zahlen ist (Währungsstatut).84

X. Durchsetzung von Fremdwährungsforderungen 1. Angabe einer falschen Währung in der Klage 51

Forderungen, die auf verschiedene Währungen lauten, sind nicht identisch. Dennoch ist die Rsp mit Recht großzügig, wenn das Klagebegehren richtigerweise auf eine andere Währung zu lauten hätte. Nach der Rsp ist das Begehren in der maßgeblichen Währung zuzusprechen, wenn der Kläger in der Klage nicht vorgebracht hat, dass er nur Zahlung in einer bestimmten Währung begehrt, sondern in der Klage vielmehr zum Ausdruck kommt, dass der Kläger Geld schlechthin begehrt, ohne dass er sich auf eine bestimmte Währung festlegen wollte.85 Einer späteren Präzisierung der zuvor offen gelassenen WähOGH 3 Ob 682/52, SZ 26/117; Spellenberg in MüKoBGB5 Art 12 Rom I-VO Rz 181. Grundmann in MüKoBGB5 §§ 244, 245 Rz 97. 79  Spellenberg in MüKoBGB5 Art 12 Rom I-VO Rz 176 ff. 80  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905a Rz  4; Bollenberger in KBB3 §  905a Rz 2; Magnus in Staudinger, BGB (2005) Art 53 CISG Rz 24 ff; Mankowski in Ferrari/Kieninger/ Mankowski Art 54 CISG Rz 24 ff. 81  Binder in Schwimann3 IV § 905 Rz 52; implizit Dullinger in Jabornegg Art 8 Nr 8 4. EVHGB Rz 5. 82  OGH 1 Ob 77/01g, SZ 74/178. 83  Spellenberg in MüKoBGB5 Art 9 Rom I-VO Anh II. 84  Vgl Verschraegen in Rummel3 I Vor § 35 IPRG Rz 14; Magnus in Staudinger, BGB12 Art 32 EGBGB Rz 127 und 134 f; Martiny in MüKoBGB5 Art 9 Rom I-VO Anhang I Währungsrecht Rz 4 ff. 85  OGH 1 Ob 563/35, Rspr 1935/275; 3 Ob 682/52, SZ 26/117; 9 ObA 120/87; 6 Ob 622/87, wbl 1987, 348; 1 Ob 586/90, ZfRV 1991/16. 77  78 

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Durchsetzung von Fremdwährungsforderungen

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rung im Berufungsverfahren steht auch das Neuerungsverbot nicht entgegen.86 Das Fehlen des Umrechnungskurses führt nicht zur Unschlüssigkeit der Klage.87 2. Hypotheken für Fremdwährungsschulden Gem Art I § 5 Abs 3 des 1. Euro-JuBeG können Hypotheken für solche 52 Forderungen bestellt werden, die auf Euro oder eine andere Währung eines Mitgliedstaats der EU oder des EWR lauten.88 Grundbuchseintragungen sind daher auch in Schweizer Franken möglich, weil die Währung des EWR-Mitglieds Liechtenstein der Schweizer Franken ist.89 Der Ausschluss der Währung von Staaten, die nicht der EU oder dem EWR angehören, soll die Verlässlichkeit des Grundbuchs sicherstellen, die bei Eintragungen in anderen Währungen durch starke Kursschwankungen beeinträchtigt werden könnte.90 Nach manchen Autoren91 kann der Ausschluss ausländischer Währungen als gemeinschaftsrechtswidrig zu beurteilen sein, weil die Kapitalverkehrsfreiheit auch Drittstaaten umfasse; gebe es daher keine ausreichende Rechtfertigung für die Beschränkung auf bestimmte Währungen, stehe die Regelung im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht. Nach dem OGH gilt die Beschränkung des Art I § 5 Abs 3 1. Euro-JuBeG auf bestimmte Währungen auch bei Zwangsversteigerungen von Liegenschaften, sodass eine auf eine andere Währung lautende Fremdwährungsforderung schon im Exekutionsantrag in Euro umzurechnen ist.92 3. Exekution Effektive Fremdwährungstitel verpflichten zur Erbringung der im Exe- 53 kutionstitel genannten Geldschuld in der bezeichneten ausländischen Währung.93 Lautet ein Exekutionstitel auf eine ausländische Währung und enthält der 54 Titel keine Effektivklausel (nicht effektiver Fremdwährungstitel), so ist die Exekution zur Hereinbringung des in fremder Währung ausgedrückten Geldbetrages zu führen und die geschuldete Leistung in Exekutionsantrag und -bewilligung in ausländischer Währung zu bezeichnen.94 Erst im Verwertungsverfahren wird die Geldforderung in inländische Währung umgerechnet.95 Die Umrechnung erfolgt nach der Judikatur mangels anderer Anordnung im ExeOGH 3 Ob 682/52, SZ 26/117; Reischauer in Rummel3 I § 905 Rz 20. OGH 9 ObA 120/87. 88  Hoyer, Grundbuchseintragungen in Euro möglich, NZ 1999, 65; vgl auch OGH 3 Ob 98/06k, SZ 2006/81. 89  Lindtner-Fontano/Schweiger, ÖBA 2000, 145 f. 90  Vgl EB RV 1203 BlgNR 20. GP 32; Schwarzer/List/Gerharter, Währungsrecht 279. 91  Längle, immolex 1999, 180; Lindtner-Fontano/Schweiger, ÖBA 2000, 144 f; Hinteregger in Schwimann3 IV § 451 Rz 14; eher kritisch dazu Kodek, GBG § 13 Rz 50. 92  OGH 3 Ob 98/06t, SZ 2006/81 = JBl 2007, 660 (krit Öhlberger). 93  Jakusch in Angst, EO2 § 7 Rz 48; Höllwerth in Burgstaller/Deixler-Hübner § 7 EO Rz 7. 94  OGH 3 Ob 111/73, EvBl 1973/307; 3 Ob 91/84, RdW 1985,76. 95  OGH 3 Ob 111/73, EvBl 1973/307; 3 Ob 91/84, RdW 1985,76; 3 Ob 11/91, ZfRV 1991/33. 86  87 

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§ 905b

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kutionstitel zum Kurswert im Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung.96 Es wird vertreten, dass der von der Europäischen Zentralbank täglich bekannte gegebene Referenzkurs für die Umrechnung heranzuziehen ist.97 In Einklang mit dem materiellen Recht sollte mE jedoch auch im Exekutionsverfahren der Devisenankaufskurs (Rz 30) herangezogen werden. Bei der Exekution auf unbewegliches Vermögen durch zwangweise 55 Pfandrechtsbegründung und Zwangsversteigerung ist zu beachten, dass die damit verfolgte Eintragung einer Hypothek im Grundbuch nur für Geldforderungen in der Währung eines Mitgliedstaats der EU oder des EWR möglich ist (siehe dazu oben unter 2.).98 Lautet die Schuld im Exekutionstitel auf eine Währung, die im Grundbuch eingetragen werden kann, so ist im Exekutionsantrag lediglich der Betrag der Forderung in der Fremdwährung anzugeben.99 Lautet der Exekutionstitel hingegen auf eine fremde Währung, die nicht eintragungsfähig ist, so ist die Exekution durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung an Immobilien dennoch möglich. Im Exekutionsantrag ist jedoch für die hereinzubringende Forderung der entsprechende Betrag in Euro anzugeben.100 Wird in diesem Fall im Exekutionsantrag der Betrag in Euro nicht angegeben, so ist der Antrag abzuweisen, weil aufgrund des Antragsprinzips im Exekutionsverfahren eine Umrechnung von Amts wegen nicht vorgenommen wird.101

§ 905b. Wird eine nur der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet, so ist diese in mittlerer Art und Güte zu leisten. IdF BGBl I 2005/120 (HaRÄG). Mat: NR RV 1058 BlgNR 22. GP, JAB 1078 BlgNR 22. GP; BR AB 7388 BlgBR. Lit: Ch. Rabl, Die Gefahrtragung beim Kauf (2002); B. Beclin/Kühnberg, Das Unternehmensgesetzbuch (UGB) und die Anpassungen des ABGB im Überblick, NZ 2007, 33.

Übersicht I. Entstehungsgeschichte II. Übersicht über die Regelung III. Gattungsschuld IV. Geschuldeter Qualitätsstandard 1. Allgemeines 2. Parteienvereinbarung

1–2 3–5 6–10 11–23 11–12 13–20

96  OGH 3 Ob 18/76, EvBl 1976/264; 3 Ob 91/84, RdW 1985, 76; 3 Ob 11/91, ZfRV 1991/33; anders zuvor noch OGH 1 Ob 141/61, SZ 34/47, in dem der OGH die Angabe von Ort und Zeit für die Ermittlung des Umrechnungskurses angesehen wurde. 97  Jakusch in Angst, EO2 § 7 Rz 47. 98  OGH 3 Ob 98/06k, SZ 2006/81. 99  Jakusch in Angst, EO2 § 7 Rz 48; Angst in Angst, EO2 § 87 Rz 4. 100  Jakusch in Angst, EO2 § 7 Rz 48; Angst in Angst, EO2 § 87 Rz 5. 101  OGH 3 Ob 98/06t, SZ 2006/81 (US-Dollar); vgl auch Jakusch in Angst, EO2 § 7 Rz 47a; Angst in Angst, EO2 § 133 Rz 4a.

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Übersicht über die Regelung

3. Rechtsfolgen von Qualitätsmängeln 4. Rechtsfolge bei Lieferung besserer Qualität V. Analoge Anwendung auf Stückschulden?

§ 905b 21 22–23 24

I. Entstehungsgeschichte § 905b wurde im Zuge der Handelsrechtsreform1 in das ABGB einge- 1 fügt und ersetzte den durch die Reform aufgehobenen § 360 HGB aF. Gem § 360 HGB war Handelsgut mittlerer Art und Güte zu leisten, wenn nur der Gattung nach bestimmte Ware geschuldet wurde. Die handelsrechtliche Vorschrift erfasste im Gegensatz zu § 905b nur (einseitige und beidseitige) Handelsgeschäfte und bezog sich ausschließlich auf Kaufverträge über Waren. Weil eine analoge Anwendung des § 360 HGB aF aufgrund seines allgemeinen Regelungsgehaltes im Zivilrecht von der hM befürwortet wurde,2 entschied sich der Gesetzgeber im Zuge der Handelsrechtsreform dafür, die Regelung mit kleinen Änderungen in das ABGB zu übernehmen.3 § 905b unterscheidet sich von §  360 HGB aF dadurch, dass der auf Waren beschränkte Anwendungsbereich des § 360 HGB aF auf Verträge zur Lieferung beliebiger Sachen erweitert wurde, weil Gegenstand des Rechtsverkehrs im allgemeinen Zivilrecht nicht nur Waren sind.4 Die Übernahme der Regelung in das ABGB bezweckte keine Änderung der Rechtslage, sondern sollte die aufgrund der Analogie bereits zuvor geltende Rechtslage festschreiben.5 Auch dass gem § 360 HGB aF „Handelsgut“ mittlerer Art und Güte zu leisten war, stimmt mE mit der Anordnung des § 905b überein, weil § 905b so zu verstehen ist, dass in Bezug auf die konkrete, vertragliche Gattungsbeschreibung mittlere Qualität zu leisten ist und im Handelsverkehr die Leistung von Handelsgut vereinbart ist. In Deutschland ist die in Österreich aufgehobene Regelung des §  360 2 HGB aF weiterhin in § 360 dHGB enthalten. Diese deutsche, handelsrechtliche Bestimmung ist jedoch überflüssig, weil das allgemeine deutsche Schuldrecht in §  243 Abs  1 BGB eine entsprechende generelle Regelung für Gattungsschulden vorsieht.6

II. Übersicht über die Regelung § 905b bestimmt als dispositives Recht, welcher Qualitätsstandard bei der 3 Gattungsschuld zu leisten ist. Daher ist zuerst zu fragen, ob dem Vertrag eine nähere Bestimmung der Qualität entnommen werden kann. Nur wenn dies nicht der Fall ist, ist auf §  905b zurückzugreifen (siehe näher unten IV.2.). § 905b hat umso größere Bedeutung, je weiter die Gattung gefasst ist. 1 

BGBl I 2005/120. ZB F. Bydlinski in Klang2 IV/1, 151; Mayer-Maly in Klang2 IV/2, 900; Dullinger in Jabor­negg, HGB § 360 Rz 1; Schuhmacher in Straube, HGB3 § 360 Rz 1. 3  EB RV 1058 BlgNR 22. GP 71. 4  EB RV 1058 BlgNR 22. GP 71. 5  EB RV 1058 BlgNR 22. GP 71. 6  Schiemann in Staudinger, BGB (2009) § 243 Rz 21; Emmerich in MüKoBGB5 § 243 Rz 18. 2 

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§ 905b

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§ 905b setzt erstens voraus, dass Schuldinhalt die Erbringung einer Gattungsschuld ist (dazu unten III.). Zweitens ist § 905b nur anwendbar, wenn der Qualitätsstandard durch die vertragliche Leistung nicht vollkommen exakt umschrieben ist.7 Nicht anwendbar ist § 905b, wenn die Gattung so gefasst ist, dass kein Raum für Qualitätsunterschiede bleibt, wie etwa bei einer Forderung auf Lieferung eines bestimmten, fabriksneuen Produkts, das maschinell hergestellt wird (zB genaue Festlegung des zu leistenden Modells eines Fernsehers).8 In diesem Fall ist ein Produkt zu liefern, das den Produktspezifikationen vollkommen entspricht und nicht ein Produkt mit durchschnittlichen Abweichungen von den vereinbarten Produkteigenschaften.9 Bei in Massenproduktion produzierten Waren ist dann eine Qualitätsbandbreite möglich, wenn die Umschreibung der Gattung nicht nur ein konkretes Modell erfasst, sondern die Gattung weiter gezogen wird (zB ein Fernseher statt ein Fernseher der Type XY des Herstellers Z). Bei land- und forstwirtschaftlichen Produkten ebenso wie bei Urproduktion (zB Edelsteine) bestehen notwendigerweise – jedenfalls kleine – Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Gattungssachen. Nicht zur Anwendung gelangt §  905b beim Gattungsvermächtnis, bei 5 dem die Erben dem Legatar einen durch generelle Merkmale umschriebenen Gegenstand schulden, weil die §§ 656–659 für das Gattungsvermächtnis von § 905b abweichende Regelungen enthalten. Gem § 656 darf im Zweifel der Erbe wählen, welche Sache er zur Erfüllung heranzieht, aber ist verpflichtet, ein solches Stück zu wählen, das der Legatar gebrauchen kann. Der geschuldete Qualitätsstandard ist beim Gattungsvermächtnis daher niedriger als jener, den § 905b fordert.10

III. Gattungsschuld 6

Die Gattungsschuld ist im ABGB nur hinsichtlich des Vermächtnisses (§ 656), aber nicht allgemein gesetzlich geregelt. Im Gegensatz zu jener Zeit, als das ABGB in Kraft trat, dominieren heute Gattungsschulden das Wirtschaftleben, weil in vielen Branchen die Serienanfertigung und nicht die Einzelherstellung im Vordergrund steht.11 Gattungsschulden zeichnen sich dadurch aus, dass die Leistung nicht nach 7 individuellen Merkmalen, sondern nach generalisierenden, gemeinschaftlichen Merkmalen umschrieben ist.12 Die Parteien bestimmen bei der Gattungsschuld nicht ein konkretes Leistungsobjekt, sondern beschränken sich darauf, die Leistung durch gemeinsame Merkmale und Eigenschaften der Leistungsobjekte zu beschreiben. Die Gattung kann enger oder weiter gezogen sein (zB 7  ZB Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 4; Dullinger in Jabornegg, HGB § 360 Rz 4; Emmerich in MüKoBGB5 § 243 Rz 19. 8  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905a Rz 4; Dullinger in Jabornegg, HGB § 360 Rz  4; Gernhuber, Schuldverhältnis 233; Schiemann in Staudinger, BGB (2009) §  243 Rz  21; Emmerich in MüKoBGB5 § 243 Rz 19. 9  Gernhuber, Schuldverhältnis 233; Schiemann in Staudinger, BGB (2009) § 243 Rz 21. 10  Koziol/Welser13 II 28. 11  Mayrhofer, SchRAT3 32; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 149. 12  ZB Ehrenzweig, System II/12, 13; Mayrhofer, SchRAT3 29; F. Bydlinski in Klang2 IV/1, 149; Koziol/Welser13 II 28.

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Gattungsschuld

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1 kg Obst, 1 kg Äpfel, 1 kg Äpfel der Sorte Granny Smith etc).13 Zu der Gattung gehören alle Gegenstände, die die gemeinsamen Merkmale aufweisen. Der Umfang der Leistung wird bei der Gattungsschuld durch die Stückzahl, das Gewicht oder eine andere Maßeinheit bestimmt.14 Ob eine Gattungsschuld vorliegt, richtet sich allein nach der Vereinba­ 8 rung der Parteien. Zumeist umfasst die Gattungsbeschreibung Sachen, die einander auch nach der Verkehrsauffassung vertreten können. Dies ist jedoch nicht zwingend. Auch unvertretbare Sachen können Gegenstand einer Gattungsschuld sein (zB ein Ölbild des Malers X).15 Wie weit die Gattung zu ziehen ist, bestimmt sich nach der Parteienvereinbarung.16 Von beschränkten oder begrenzten Gattungsschulden oder von Vorrats- 9 schulden wird gesprochen, wenn die generell umschriebenen Sachen aus einem bestimmten, begrenzten Vorrat zu leisten sind. Beispiele bilden Gattungssachen aus einem bestimmten Bestand (zB Lager) des Schuldners oder Gegenstände aus der (zukünftigen) Produktion innerhalb einer bestimmten Zeitspanne.17 Bei der begrenzten Gattungsschuld werden die leistungstauglichen Gegenstände dadurch begrenzt, dass nicht alle Gegenstände, die die Gattungsmerkmale aufweisen, erfüllungstauglich sind, sondern nur solche aus einem bestimmten Bestand.18 Keine Gattungsschuld liegt jedoch vor, wenn alle zu einer beschränkten Gattung gehörenden Gegenstände zu leisten sind, zB die gesamte Ladung eines Schiffes.19 Die Auswahl der zu leistenden Sache erfolgt bei der Gattungsschuld durch 10 den Schuldner.20 Dass der Gläubiger die Auswahl trifft, ist nur bei beschränkten Gattungsschulden denkbar. Jedoch spricht ein Wahlrecht des Gläubigers mE dafür, dass in Wahrheit keine begrenzte Gattungsschuld sondern eine Wahlschuld vereinbart wurde, weil der Gläubiger in diesem Fall Wert auf die Auswahl gelegt hat. Besteht jedoch ein besonderes Interesse einer Partei an der Auswahl, so liegt nicht Gattungsschuld sondern Wahlschuld vor. Auf Wahlschulden ist § 905b nicht anwendbar.21 Wie bei der Wahlschuld ist der Leistungsgegenstand auch bei Gattungsschulden relativ unbestimmt. Vgl zur Abgrenzung der Gattungsschuld von der Wahlschuld näher § 906 VI.1.

13  ZB F. Bydlinski in Klang2 IV/1, 149; Ehrenzweig, System II/12, 13; Mayrhofer, SchRAT3 29; Koziol/Welser13 II 28. 14  Gernhuber, Schuldverhältnis 213. 15  ZB Ch. Rabl, Gefahrtragung 340; Koziol/Welser13 II 28; zum deutschen Recht zB Emmerich in MüKoBGB5 § 243 Rz 6. 16  ZB Ehrenzweig, System II/12, 13; Mayrhofer, SchRAT3 29. 17  ZB Emmerich in MüKoBGB5 § 243 Rz 11. 18  ZB Schiemann in Staudinger, BGB (2009) § 243 Rz 10; Gernhuber, Schuldverhältnis 215; Emmerich in MüKoBGB5 § 243 Rz 11. 19  Gernhuber, Schuldverhältnis 273. 20  Emmerich in MüKoBGB5 § 243 Rz 5; Schiemann in Staudinger, BGB (2009) § 243 Rz 6; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905b Rz 3; Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 14; OGH 7 Ob 510/56, EvBl 1957/235, 3 Ob 43/60, EvBl 1960/180. 21  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  905b Rz  4; Kerschner in Jabornegg, HGB § 375 Rz 13; ähnlich auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373, der jedoch auf Wahlschulden § 656 S 3 anwendet.

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IV. Geschuldeter Qualitätsstandard 1. Allgemeines 11

Gem § 905b ist mangels abweichender Vereinbarung bei Gattungsschulden mittlere Qualität zu leisten. Die Qualität muss in Bezug auf die von den Parteien gewählte Gattungsumschreibung eine mittlere sein. Bei beschränkten Gattungsschulden ist daher die mittlere Qualität in Bezug auf den Vorrat, aus dem zu leisten ist, zu verstehen.22 Welche Qualität als mittlere anzusehen ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung am Erfüllungsort.23 Werden mehrere Stücke aus der Gattung geschuldet, so ist ein Ausgleich 12 möglich.24 Das bedeutet zB, dass bei einer Schuld von 10 Melonen nicht jedes Stück mindestens eine durchschnittliche Größe/Qualität aufweisen muss, sondern die Leistung auch vertragskonform ist, wenn einige Melonen unterdurchschnittlich groß sind, aber dies durch überdurchschnittlich große Stücke ausgeglichen wird. 2. Parteienvereinbarung Primär entscheidet die Vereinbarung der Parteien, welche Qualität geschuldet ist. §  905b ist nur anzuwenden, wenn die Vertragsauslegung unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Verkehrssitte nicht zu einem abweichenden Ergebnis führt. Die Parteien können ausdrücklich den Qualitätsstandard bestimmen, indem sie zB die Lieferung bester Qualität vereinbaren. Die Klausel „tel quel“ („telle quelle“) bedeutet, dass auch die schlechteste Qualität innerhalb der vereinbarten Gattung vertragsgemäß ist.25 Beim Kauf nach Probe oder nach Muster sind die Eigenschaften der Probe oder des Musters gem § 922 Abs 1 Satz 2 als zugesichert anzusehen. Eine Vereinbarung über die Qualität kann sich aber auch schlüssig aus dem Vertrag ergeben. So ist etwa beim Kauf von Ramsch oder beim Kauf in Bausch und Bogen ebenso wie bei anderen Käufen, bei denen der Käufer aufgrund der Beschreibung eine bestimmte Qualität nicht erwarten darf, diejenige Qualität zu leisten, die nach der Verkehrsanschauung von redlichen Vertragspartnern unter dieser Bezeichnung veräußert wird.26 Der OGH erklärte in einer Entscheidung, dass die Vertragskonformität von 14 Gattungssachen nicht bereits dann gegeben ist, wenn diese von mittlerer Qua13

Schiemann in Staudinger, BGB (2009) § 243 Rz 22. Dullinger in Jabornegg, HGB § 360 Rz 4; Schuhmacher in Straube, HGB3 § 360 Rz 6; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905b Rz 6; Bollenberger in KBB3 § 905b Rz 1; kritisch dazu Krejci, Handelsrecht3 247, der die Regel für problematisch hält, wenn der Erfüllungsort keinen Nahebezug zu den Parteien hat. ME ist der hM zuzustimmen, weil auch § 905 auf den Erfüllungsort abstellt und die Tatsache, dass dort der Erfüllungsort liegt, ein Naheverhältnis begründet; aA Gernhuber, Schuldverhältnis 233, nach dem sich das, was als mittlere Qualität anzusehen ist, nicht nach der Verkehrsauffassung, sondern nach dem tatsächlichen Qualitätsdurchschnitt bestimmt. 24  So auch Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905b Rz 6. 25  ZB Dullinger in Jabornegg, HGB § 360 Rz 6; Schuhmacher in Straube, HGB3 § 360 Rz 7; Bollenberger in KBB3 § 905b Rz 2. 26  OGH 3 Ob 254/75. 22  23 

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Geschuldeter Qualitätsstandard

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lität sind, sondern diese überdies zum bedungenen Gebrauch nicht untauglich sein dürfen.27 Auch diese Entscheidung ist mE Ausdruck des Vorranges der Vertragsauslegung vor der Anwendung des gesetzlich festgelegten Qualitätsstandards. Der geschuldete Qualitätsstandard ist mE in der überwiegenden Mehrzahl 15 der Fälle aufgrund der Vertragsauslegung zu ermitteln, und nur selten anhand von §  905b. Auch der OGH wendet §  905b bzw die Vorgängerbestimmung § 360 HGB aF nur sehr vereinzelt an und bestimmt die geschuldete Qualität nie ausschließlich anhand dieser Regelung. In der Entscheidung führte er unter Hinweis auf § 360 HGB aF aus, dass bei einem Werkvertrag Material mittlerer Art und Güte zu verwenden sei, wie dies bei solchen Arbeiten üblich sei, und sprach daher aus, dass ein Werkvertrag auch ohne nähere Bestimmung der zu verwendenden Materialen ausreichend bestimmt sei.28 Zu einem von § 905b abweichenden Ergebnis führt die Vertragsauslegung 16 mE oft bei beschränkten Gattungsschulden, weil in diesem Fall die möglichen Leistungsobjekte für beide Parteien überschaubar sind und die Vereinbarung häufig so auszulegen ist, dass der Gläubiger in Kauf nimmt, jedes Stück der beschränkten Gattung als Erfüllung akzeptieren zu müssen. Verpflichtet sich zB eine Person A gegenüber der Person B, ein Gemälde aus ihrer Kunstsammlung zu leisten, so muss B damit rechnen, dass A auch das am wenigsten wertvolle Gemälde für die Erfüllung wählen kann. Würde man die Anwendung des § 905b befürworten, so hätte dies zur Folge, dass A nur die „bessere Hälfte“ ihrer Gemäldesammlung für die Erfüllung zur Verfügung stünde. Die Gattungsschuld würde somit nicht die ganze Gemäldesammlung erfassen, sondern wäre – entgegen der Gattungsumschreibung – auf jene Gemälde innerhalb der Gattung beschränkt, die mindestens durchschnittliche Qualität aufweisen. Weil in diesem Beispiel die Erfüllung aus einem begrenzten Vorrat unvertretbarer Sachen erfolgen soll, könnte die Verpflichtung auch als Wahlschuld eingeordnet werden (siehe näher § 906 VI.1.). Auf Wahlschulden kommt § 905b freilich ohnedies nicht zur Anwendung. ME ist eine von § 905b abweichende Vertragsauslegung jedoch häufig auch in jenen Fällen geboten, in denen die Erfüllung aus einem Bestand vertretbarer Sachen erfolgen soll und in denen nach hM im Zweifel eine Gattungsschuld vorliegt (siehe näher bei § 906). Dies soll folgendes Beispiel veranschaulichen: Fischhändler F hat 10 Forellen in seinem Aquarium. Verspricht F 10 Personen je eine Forelle aus dem Aquarium, so könnte F seine Verbindlichkeiten nicht erfüllen, weil jeder Gläubiger Anspruch auf eine (mindestens) durchschnittlich große Forelle hätte. Im Rahmen der Vertragsauslegung ist daher bei beschränkten Gattungsschulden genau zu prüfen, ob die Parteien jede Sache der Gattung als zur Erfüllung geeignet angesehen haben. Ein Argument gegen die Anwendung des § 905b auf beschränkte Gattungsschulden liegt auch darin, dass die beschränkte Gattungsschuld der Wahlschuld verwandt ist und die Abgrenzung zu dieser schwierig sein kann (vgl näher bei § 906). Daher ist es mE überzeugend, die Rechtsfolgen hinsichtlich der zu liefernden Qualität in beiden Fällen übereinstimmend zu gestalten. Entscheidend 27  28 

OGH 5 Ob 122/69, SZ 42/103. OGH 3 Ob 304/57, EvBl 1958/132.

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ist jedoch stets die Auslegung des konkreten Vertrages. Sind etwa eine große Zahl an Leistungsgegenständen zu leisten (zB 10 Schafe aus einer großen Schafherde), so wird die Vertragsauslegung zumeist zu demselben Ergebnis wie die dispositive Regelung des §  905b führen, weil der Gläubiger davon ausgehen kann, in Summe eine durchschnittliche Auswahl aus der Gattung zu erhalten. Liegt keine beschränkte Gattungsschuld vor, weil die Parteien die Herkunft der Sache nicht näher spezifiziert haben, so entspricht die Rechtsfolge des § 905b meist den Vorstellungen der Parteien. Dass die Parteien eine weite Gattungsbeschreibung gewählt haben, lässt nach der Wertung des Gesetzes nicht den Schluss zu, dass der Gläubiger sich auch mit dem schlechtesten Stück zufrieden geben muss.29 Bei mehreren Stücken ist jedoch ein Ausgleich möglich (vgl oben Rz 12), sodass auch das schlechteste Stück Teil der Leistung sein kann. Die Ursache für die weite Gattungsbeschreibung kann etwa darin liegen, dass die Parteien das Bestehen von Qualitätsunterschieden innerhalb der Gattung nicht bedacht haben oder darin, dass der Schuldner die Sache erst beschaffen muss und das Angebot auf dem Markt zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht bekannt war. Bei der Vertragsauslegung ist auch zu berücksichtigen, ob als Gegenleistung ein Fixpreis oder ein variabler Preis vereinbart wurde, der abhängig von der Größe oder der Qualität des Leistungsobjekts ist. Einerseits könnte ein variabler Preis dafür sprechen, dass die Parteien das Spektrum möglicher Leistungen bedacht haben und dafür Vorkehrungen getroffen haben. Andererseits ist in diesem Fall zu bedenken, dass auch die Interessen des Gläubigers durch eine Leistung von überdurchschnittlich hoher Qualität berührt werden, sodass anhand der Vertragsauslegung zu klären ist, ob auch Stücke von sehr hoher oder sehr niedriger Qualität leistungstauglich sein sollen oder ob die Parteien die Leistung einer Sache von ungefähr durchschnittlicher Qualität vereinbart haben. Zu einer von § 905b abweichenden Regelung führt die Vertragsauslegung mE auch bei unentgeltlichen Geschäften. Weil gem §  915 im Zweifel die geringere Last der Partei, die eine freigiebige Leistung erbringt, anzunehmen ist, ist hinsichtlich unentgeltlich zu erbringender Gattungsschulden die Leistungsverpflichtung im Zweifel so auszulegen, dass jedes Stück der Gattung als Erfüllung akzeptiert werden muss. § 905b tritt in diesem Fall hinter der abweichenden Vertragsauslegung zurück. Vor Inkrafttreten des §  905b wurde die analoge Anwendung des §  360 HGB aF im bürgerlichen Recht ebenfalls auf entgeltliche Verträge beschränkt, und auf unentgeltlich zu leistende Gattungsschulden § 656 angewendet, der die Verpflichtung zur Leistung brauchbarer Sachen beim Gattungsvermächtnis vorsieht. Weil die EB zum Ausdruck bringen, dass durch die Ein­führung des §  905b die materielle Rechtslage nicht geändert werden sollte,30 ist es auch vertretbar, bei unentgeltlichen Verträgen eine teleologische Reduktion des § 905b vorzunehmen und § 656 analog anzuwenden.31 Der Standard des F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 151. EB RV 1058 BlgNR 22. GP. 31  Dafür B. Beclin/Kühnberg, NZ 2006, 33 (43); Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 905b Rz 1; so vor Inkrafttreten des HaRÄG Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373; Koziol/Welser12 II 26. 29  30 

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Analoge Anwendung auf Stückschulden?

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§ 656, nach dem eine Sache zu leisten ist, die der Gläubiger gebrauchen kann, ist etwas höher, als jener, der sich durch § 915 ergibt. Vorzugswürdig ist es mE, auch hinsichtlich des Qualitätsstandards die allgemeinen Regeln der Vertragsauslegung für unentgeltliche Geschäfte in § 915 fruchtbar zu machen. 3. Rechtsfolgen von Qualitätsmängeln § 905b konkretisiert die Leistungspflicht bei Gattungsschulden. Bleibt die 21 Leistung hinter der geschuldeten Qualität zurück, so muss der Gläubiger die Leistung nicht annehmen, sondern kann sie zurückweisen. Wenn die Leistung als Erfüllung angenommen wird, so ist der vertraglich geschuldete Qualitätsstandard nicht erfüllt und es liegt ein Mangel iSd §  922 vor. Der Gläubiger kann daher Gewährleistungsbehelfe geltend machen. 4. Rechtsfolge bei Lieferung besserer Qualität Liefert der Schuldner bessere als mittlere Qualität, aber ist die Leistung 22 dennoch von der Leistungsumschreibung umfasst, so entspricht die Leistung der vertraglichen Verpflichtung, und der Schuldner hat schuldbefreiend geleistet. Eine Rückforderung der Leistung ist nicht möglich.32 Ein Interesse des Gläubigers an der Zurückweisung überdurchschnittlicher 23 Qualität kann jedoch dann gegeben sein, wenn die Gegenleistung abhängig von der Qualität ist. In diesem Fall ist mE eine Zurückweisung der Leistung dann möglich, wenn die Vertragsauslegung zu dem Ergebnis führt, dass ungefähr durchschnittliche Qualität geliefert werden soll. Durch Auslegung des konkreten Vertrages ist zu entscheiden, welche Qualitätsbandbreite obliga­ tionsgemäß ist (siehe oben Rz 19).33

V. Analoge Anwendung auf Stückschulden? Erwogen wird, § 905b analog auf Stückschulden anzuwenden und mangels 24 entgegenstehender Vereinbarung durchschnittliche Qualität als „gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft“ der Sache iSd § 922 anzusehen.34 Auch in diesem Zusammenhang ist mE zu betonen, dass die Auslegung der Willenserklärungen der Parteien im Vordergrund steht. Hat der Gläubiger die Sache vor Vertragsschluss gesehen bzw untersucht, so konnte er sich von der Qualität der Sache selbst ein Bild verschaffen, und §  905b ist daher nicht anwendbar.35 Konnte der Gläubiger die Sache nicht besichtigen, so ist anhand der Vertragsauslegung zu klären, ob der Gläubiger sich – mangels genauerer vertraglicher Konkretisierung – mit jedem Qualitätsstandard zufrieden geben muss, oder ob 32  So auch Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 905b Rz 5; Gernhuber, Schuldverhältnis 234. 33  Ebenso Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373. 34  Dafür Dullinger in Jabornegg, HGB2 § 360 Rz 2; vorsichtig zustimmend Bollenberger in KBB3 § 905b Rz 1. 35  Schuhmacher in Straube, HGB3 § 360 Rz 3, wenn Besichtigung der Ware nicht oder nur in ganz oberflächlicher Weise stattgefunden hat (Canaris in Staub, dHGB4 § 360 Rz 3).

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§ 906

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– im Sinn des § 905b – durchschnittliche Qualität vereinbart wurde. Eine Vermutung, dass Letzteres der Fall ist, besteht mE nicht.

§ 906. (1) Kann das Versprechen auf mehrere Arten erfüllt werden, so hat der Schuldner die Wahl. Er kann aber von der einmal getroffenen Wahl für sich allein nicht abgehen. (2) Hat der Gläubiger die Wahl und ist er mit ihr in Verzug, so kann der Schuldner die Wahl an Stelle des Gläubigers treffen oder nach den §§ 918 und 919 vorgehen. Wenn er die Wahl an Stelle des Gläubigers trifft, hat er diesen davon zu verständigen und ihm zugleich eine angemessene Frist zur Vornahme einer anderen Wahl zu setzen. Trifft der Gläubiger keine solche Wahl, so ist die Wahl des Schuldners maßgebend. In jedem Fall gebührt dem Schuldner der Ersatz des Schadens. IdF BGBl I 2005/120 (HaRÄG). Mat: NR RV 1058 BlgNR 22. GP, JAB 1078 BlgNR 22. GP; BR AB 7388 BlgBR. Lit: Pescatore, Wahlschuldverhältnisse (1905); F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967); Wünsch, Probleme des Spezifikationskaufes, GedS Gschnitzer (1969) 477; Ziegler, Die Wertlosigkeit der allgemeinen Regeln des BGB über die sog. Wahlschuld, AcP 171 (1971) 193; Mayrhofer, Der Kauf mit Umtauschvorbehalt des Käufers, JBl 1972, 445; Eccher, Zur Rechtsnatur der Gutscheine, ÖJZ 1974, 337; F. Bydlinski, Erklärungsbewusstsein und Rechtsgeschäft, DJZ 1975, 1; Nitsche, Der Bestimmungsverzug beim Spezifikationskauf, FS Wilburg-Assistenten (1975) 147; Apathy, Schadenersatz und Rücktritt bei Annahmeverzug, JBl 1982, 561; P. Bydlinski, Die Übertragung von Gestaltungsrechten (1986); E. Bydlinski, Erfüllungsklage beim Spezifikationsverzug?, ÖJZ 1990, 440; Ch. Rabl, Die Gefahrtragung beim Kauf (2002); Rieble/Gutfried, Spezifikationskauf und BGBSchuldrecht, DJZ 2008, 593.

Übersicht I. II. III. IV. V. VI.

Überblick Entstehungsgeschichte Begriff der Wahlschuld Beispiele und Anwendungsfälle Gesetzliche Wahlschulden? Abgrenzungen 1. Gattungsschuld 2. Spezifikationskauf 3. Ersetzungsbefugnis 4. Elektive Konkurrenz VII. Wahlberechtigter VIII. Das Wahlrecht und dessen Ausübung IX. Verzug mit der Wahl 1. Wahlrecht des Schuldners 270

1–2 3 4–13 14–18 19–23 24–43 24–27 28–32 33–41 42–43 44–47 48–57 58–70 58

Begriff der Wahlschuld

2. Wahlrecht des Gläubigers (§ 906 Abs 2) a) Wahlrechtsübergang b) Rücktritt c) Schadenersatz X. Rückforderung erbrachter Leistungen XI. Klage und Vollstreckung

§ 906 59–70 63–66 67–69 70 71–72 73–75

I. Überblick §§ 906 f treffen Regelungen für Verpflichtungen, die „auf mehrere Arten er- 1 füllt werden“ können. Nach hA werden von §§ 906 ff nur Wahlschulden erfasst (siehe unten III.). § 906 Abs 1 ordnet an, dass die Auswahlentscheidung im Zweifel dem Schuldner zukommt und dass der Wahlberechtigte an die Auswahlentscheidung gebunden ist, die er getroffen hat. § 906 Abs 2 bestimmt die Rechtsfolgen des Verzugs des Wahlberechtigten mit der Wahl. § 907 regelt die Gefahrtragung, wenn eine oder mehrere Leistungsalternativen zufällig unmöglich werden. Die Regelungen der §§ 906 f sind dispositiv. Die Parteien können daher 2 zB auch andere Rechtsfolgen bei Wahlverzug vorsehen. Vereinbaren die Parteien abweichend von § 906, dass die getroffene Wahl nicht bindend sein soll, so liegt in der Möglichkeit der nachträglichen Änderung der getroffenen Wahl eine Ersetzungsbefugnis.1

II. Entstehungsgeschichte § 906 Abs 1 entstammt fast unverändert der Urfassung des ABGB; durch 3 das HaRÄG wurde lediglich – in Übereinstimmung mit der gebräuchlichen schuldrechtlichen Terminologie – die Bezeichnung „Verpflichteter“ durch „Schuldner“ ersetzt. Der 2. Absatz wurde durch das HaRÄG hinzugefügt und entspricht fast wortgleich dem gleichzeitig aufgehobenen § 375 Abs 2 HGB aF. Anstelle des § 375 HGB aF, der den Spezifikationskauf regelte, schuf das HaRÄG im allgemeinen Zivilrecht in § 1063b eine Regelung des Spezifikationskaufs. Weil bereits § 375 Abs 2 HGB nach hM analog auf die Wahlschuld anzuwenden war,2 entschied sich der Gesetzgeber dafür, die Regelung in § 906 Abs 2 zu verlagern und bei der Regelung des Spezifikationskaufs in § 1063b auf § 906 Abs 2 zu verweisen. Die Abgrenzung zwischen Spezifikationskauf und Wahlschuld verlor dadurch an Bedeutung, weil die Rechtsfolgen des Wahlverzugs des Gläubigers bei der Wahlschuld nun gleich wie der Spezifikationsverzug beim Spezifikationskauf geregelt sind.

III. Begriff der Wahlschuld § 906 stellt Regelungen für Verpflichtungen auf, die insoweit unbestimmt 4 sind, als „das Versprechen auf mehrere Arten erfüllt werden“ kann. Dieser wei­ te Wortlaut des Gesetzestextes erfasst nicht nur Wahlschulden sondern auch Gernhuber, Schuldverhältnis 267 FN 5. ZB F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 165; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 6; Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 20; Kerschner in Jabornegg § 375 Rz 13; OGH 3 Ob 509/94, NZ 1995, 34. 1  2 

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Gattungsschulden, weil auch bei diesen verschiedene Stücke zur Erfüllung infrage kommen. Die Gattungsschuld ist jedoch von der Wahlschuld zu unterscheiden, weil bei dem Gattungskauf die möglichen Leistungen für die Parteien gleichwertig sind und daher kein eigener Auswahlakt vorgesehen ist.3 Die Abgrenzung ist insbesondere für die Gefahrtragung bedeutsam (näher zur Abgrenzung von der Gattungsschuld unten VI.1.). Der Wortlaut des § 906 erfasst überdies Fälle, in denen der Schuldner über eine Ersetzungsbefugnis verfügt und sich somit durch Erbringung einer anderen als der geschuldeten Leistung von der Verpflichtung befreien kann. Die §§ 906 f sind jedoch nach hM unmittelbar nur auf Wahlschulden und nicht auf Gattungsschulden4 oder Ersetzungsbefugnisse5 anwendbar. Auch die EB zu dem kürzlich eingeführten § 906 Abs 2 führen aus, dass § 906 Wahlschulden regelt.6 Vgl zur Ersetzungsbefugnis VI.3. Bei der Wahlschuld werden mehrere, verschiedene Leistungen alternativ geschuldet, von denen der Schuldner jedoch nur die gewählte Leistung erbringen muss. Das Wahlrecht kann dem Schuldner oder Gläubiger zustehen. Mit Erbringung der gewählten Leistung wird der Gläubiger von der Verbindlichkeit befreit. Die Wahlschuld ermöglicht es, im Vertragsabschlusszeitpunkt lediglich einen Kreis verschiedener wahlweise geschuldeter Leistungen festzulegen und die endgültige Entscheidung über die geschuldete Leistung von dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf den späteren Zeitpunkt der Wahl hinauszuschieben.7 Wenn im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Präferenzen oder der Bedarf einer Partei noch nicht absehbar sind, kann es für die Parteien von Interesse sein, durch Vereinbarung einer Wahlschuld trotz Unbestimmtheit der Leistung bereits eine vertragliche Bindung eingehen. Dem wahlberechtigten Gläubiger oder Schuldner wird so die Möglichkeit eröffnet, die Bestimmung des Leistungsobjekts zB von der Einholung weiterer Informationen oder von zukünftigen Entwicklungen abhängig zu machen. Es kann vereinbart werden, dass die Höhe und/oder Art der Gegenleistung unabhängig von der getroffenen Wahl fest steht, oder dass den zur Wahl stehenden Leistungen unterschiedliche Gegenleistungen entsprechen.8 Meist betrifft die Mehrzahl der Erfüllungsmöglichkeiten den Leistungs­ 3  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 148; aA Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 4, der § 906 auch auf die Gattungsschuld anwenden möchte; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370; ebenso wendet Zeiller (Commentar III/1, 94) § 906 auf die Gattungsschuld an, um die Befugnis des Schuldners zur Auswahl des Leistungsobjekts zu begründen, wobei er diese insofern einschränkt, als ein dem Stande und Bedürfnisse des Promissars angemessenes Stück zu wählen ist. 4  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370. 5  AA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 371; Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 4. 6  EB RV 1058 BlgNR 22. GP 71. 7  Vgl Wünsch, GedS Gschnitzer 477 (483); Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 4; P. Bydlinski, Übertragung 274. 8  Mayrhofer, SchRAT3 32; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 9. Bsp für von der Wahl abhängige Gegenleistungen finden sich in den Entscheidungen OGH 4 Ob 19/75, ZAS 1976, 141 (Hoyer) (unterschiedlicher Lohn für wahlweise zu erbringende Arbeitsleistungen) und 7 Ob 178/63, SZ 36/99 (unterschiedlicher Preise wahlweise geschuldeter Autos).

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Begriff der Wahlschuld

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gegenstand. Bei der Wahlschuld kann der Wahlberechtigte die Wahl zwischen mehreren Speziessachen (Oldtimer X oder Oldtimer Y), aber auch zwischen mehreren Gattungen (1 kg Birnen oder 1 kg Äpfel)9 oder auch zwischen einer Gattungsschuld und einer Speziesschuld haben (Oldtimer X oder ein Neuwagen der Type Y). Die Unterschiede zwischen den Erfüllungsmöglichkeiten können jedoch auch die Erfüllungsmodalitäten (Leistungsmerkmale) betreffen10 und sich zB durch unterschiedliche Erfüllungsorte, Erfüllungszeiten oder Betriebsreglements11 unterscheiden. So liegt eine Wahlschuld vor, wenn bezüglich des Zeitpunkts der Erfüllung mehrere Erfüllungsalternativen bestehen (zB Auftritt eines Alleinunterhalters nach Wahl für zwei unterschiedliche Zeiträume).12 Davon zu unterscheiden ist jedoch die Vereinbarung eines Fälligkeitszeitraumes, innerhalb dessen die Erfüllung zu leisten ist, weil in diesem Fall nicht mehrere, getrennte voneinander gedachte Leistungsalternativen vorliegen, wie dies für die Wahlschuld charakteristisch ist,13 und daher § 904 und nicht § 906 einschlägig ist.14 Aus diesem Grund liegt auch beim Kauf auf Abruf oder bei der Leistung nach Schuldnerwillkür (vgl § 904) keine Wahlschuld vor. Ob eine Wahlschuld gegeben ist, hängt nicht von objektiven Kriterien, sondern von der konkreten Parteienvereinbarung ab.15 Welche Leistungen wahlweise geschuldet werden, ist ebenfalls der Parteienvereinbarung zu entnehmen. Auch infolge eines einseitigen Rechtsgeschäfts kann eine Wahlschuld bestehen,16 zB wenn in einer Auslobung mehrere, alternativ zu erbringende Belohnungen für die ausgelobte Leistung zugesagt werden. Kann eine Person zwischen verschiedenen Schuldverhältnissen mit unterschiedlichem Rechtsgrund wählen, so liegt keine Wahlschuld iSd § 906 vor. In diesem Fall hat die „wahlberechtigte“ Partei vielmehr die Option auf den Abschluss verschiedener Verträge.17 Grundsätzlich sind die §§  906 f nicht auf vertragliche Ansprüche beschränkt, sondern auf alle Schuldverhältnisse anwendbar, wenn eine Wahlschuld vorliegt.18 Die größte Bedeutung liegt jedoch bei rechtsgeschäftlicher Vereinbarung einer Wahlschuld. Die in Abs 2 angeordneten Verzugsfolgen (Übergang des Wahlrechts, Rücktrittsrecht) sind außerhalb von Austauschver9  Siehe den Sachverhalt der Entscheidungen OGH 7 Ob 178/63, SZ 36/99; 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94; 7 Ob 178/63, SZ 36/99; vgl zB auch Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 199; Mayrhofer, SchRAT3 32; Ehrenzweig, System II/12, 14; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 3. 10  Zeiller, Commentar III/1, 95; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370; OGH 1 Ob 301/56, JBl 1957, 359 (obiter); 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94. 11  HG EvBl 1936/228 (Wahl des Verfrächters zwischen verschiedenen Betriebsreglements). 12  OGH 4 Ob 19/75, ZAS 1976, 141 (Hoyer). 13  Vgl zur Besonderheit der Wahlschuld, dass mehrere „einzeln gedachte Leistungen“ zur Wahl stehen (jedoch hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Spezifikationskauf und Wahlschuld) OGH 2 Ob 588/33, SZ 15/137; OLG Wien 2 R 165/65, HS 5.349. 14  Vgl OGH GlU 4127, kritisch dazu Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 2. 15  ZB Rabl, Gefahrtragung 340. 16  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370. 17  Mayrhofer, SchRAT3 33; aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370 zum Stellagegeschäft. 18  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 1; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370.

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hältnissen nicht anwendbar.19 Dass das Gesetz eine Wahlschuld anordnet, ist äußerst selten (siehe dazu näher unten V.). Im Erbrecht sind die Sonderregelungen des § 656 zu beachten und nur subsidiär auf die allgemeinen Regeln der §§ 906 f als leges generales zurückzugreifen.20 Daher kann der Legatsschuldner eine Ersatzwahl treffen, wenn der wahlberechtigte Gläubiger mit der Wahl in Verzug gerät.21

IV. Beispiele und Anwendungsfälle 14

Beispiele aus dem Alltagsleben für Wahlschulden mit Wahlrecht des Gläubigers sind die Bestellung eines Wahlmenüs, bei dem der Kunde zwischen verschiedenen Speisen wählen kann, und oder der Erwerb von Fahrkarten, die für unterschiedliche Routen eingesetzt werden können.22 Auch Skipunktekarten, die für die Fahrt mit verschiedenen Liften genutzt werden können, verkörpern Wahlschulden, wobei jedoch der Kunde in diesem Fall mehrfach eine Wahl trifft.23 Eine Wahlschuld mit Wahlrecht des Schuldners entsteht bei Reiseverträgen, in denen der Kunde dem Veranstalter die Wahl der Unterkunft innerhalb einer bestimmten Kategorie überlässt (von Reiseveranstaltern „Hotel-Roulette“ oder „Glückshotel-Reise“ genannt); aufgrund des Vorteils des Reise­ veranstalters, frei gebliebene Zimmer kurzfristig vergeben zu können, kommt dem Kunden bei diesen Verträgen ein Preisvorteil im Vergleich zur Buchung eines bestimmten Hotels zugute. Eine Wahlschuld mit Wahlrecht des Gläubigers normiert auch die kollektivvertragliche Bestimmung, dass der Arbeitgeber dann, wenn der Arbeitsort von dem ständigen Wohnort so weit entfernt ist, dass eine tägliche Rückkehr nicht zumutbar ist, die Wahl hat, dem Arbeitnehmer unentgeltlich ein Firmenquartier zur Verfügung zu stellen oder Übernachtungsgeld zu leisten.24 Auch wenn der Arbeitnehmer zwischen einer Überstundenvergütung und Zeitausgleich wählen kann, liegt eine Wahlschuld vor.25 Hat eine Partei nach dem Übergabsvertrag einen Baugrund an ein weichendes Kind abzutreten und bestehen mehrere Möglichkeiten für die Auswahl des abzutretenden Baugrunds, so hat die Rsp das Bestehen einer Wahlschuld bejaht.26 Eine Reihe von Entscheidungen beschäftigt sich mit der Abgrenzung zwi­ 15 schen Spezifikationskauf und Wahlschuld (dazu unten VI.2.). Die Judikatur grenzt die beiden Rechtsinstitute danach ob, ob die Leistungsobjekte zu einer einheitlichen Warengattung gehören (dann Spezifikationskauf) oder ob sich das nähere Bestimmungsrecht auf mehrere Warengattungen bezieht (dann Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 1. Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 1, der zutreffend darauf hinweist, dass es sich nicht um analoge Anwendung sondern um eine subsidiäre Anwendung der lex generalis handelt; unrichtig als analoge Anwendung bezeichnend OGH 5 Ob 284/65, SZ 38/221. 21  OGH 5 Ob 284/65, SZ 38/221, der jedoch unrichtig von einer analogen Anwendung gesprochen wird; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 1, der zutreffend darauf hinweist, dass es sich nicht um analoge Anwendung sondern um eine subsidiäre Anwendung der lex generalis handelt. 22  Gernhuber, Schuldverhältnis 261. 23  Gernhuber, Schuldverhältnis 262. 24  OGH 14 Ob 211, 212/86, ZAS 1990/26 (Schima) = DRdA 1990/6 (Löffler). 25  OGH 4 Ob 120/93, RdW 1984, 115. 26  OGH 3 Ob 509/94, NZ 1995, 34; vgl auch 8 Ob 598/90. 19  20 

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Beispiele und Anwendungsfälle

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Wahlschuld).27 Der OGH entschied beispielsweise, dass bei einem Kaufvertrag, nach dem der Käufer eine Auswahl aus verschiedenen Autotypen treffen sollte, Wahlschuld vorliegt.28 Dieselbe Einordnung nahm der OGH zB bei vom Käufer näher zu bestimmenden Büromaschinen,29 Baumaterialien,30 Kassentypen31 und Werkstatteinrichtungen32 vor. Ein Gutschein kann den Inhaber zum Bezug einer konkreten Leistung be- 16 rechtigen. Ist der Inhaber eines Gutscheins berechtigt, zwischen verschiedenen Waren oder Leistungen wählen, so liegt eine Wahlschuld vor. Bei Auswahl der Ware oder Leistung schließt der Gutscheininhaber daher keinen neuen Vertrag, sondern es kommt lediglich zur Erfüllung des bereits geschlossenen Vertrags.33 Dies trifft mE jedoch nicht generell auf Gutscheine zu; lauten diese auf einen bestimmten Nennbetrag, so ist die Vereinbarung so auszulegen, dass der Aussteller sich verpflichtet, den Gutschein als Zahlungsmittel zu akzeptieren.34 Mangels Einschränkung auf mögliche konkrete Leistungsobjekte liegt keine Wahlschuld vor; der Gutscheininhaber schließt daher bei der Einlösung des Gutscheins einen eigenen Vertrag über den Erwerb der Leistung (Kaufvertrag, Werkvertrag, Mietvertrag etc) ab. Bei einem Kauf unter Umtauschvorbehalt liegt vor der Ausübung des 17 Rechts zum Umtausch keine Wahlschuld vor,35 weil zu diesem Zeitpunkt nur die gekaufte Sache geschuldet ist. Der Käufer hat jedoch eine Ersetzungsbefugnis, bei deren Ausübung er das Recht erwirbt, anstelle der gekauften Sache eine andere zu beziehen, und daher eine Wahlschuld mit Wahlrecht des Gläubigers entsteht.36 Bei Verzug des Käufers mit der Wahl der Ersatzware kann der Verkäufer daher unter Nachfristsetzung eine Ersatzwahl vornehmen.37 In der Vereinbarung von Bezugsverträgen mit einer bestimmten Mindest- 18 abnahmemenge liegt dann eine Wahlschuld vor, wenn unterschiedliche Produkte/Leistungen zur Wahl stehen. Bezugsverträge sind nach hA keine bloßen 27  ZB OGH 2 Ob 588/33, SZ 15/137; 6 Ob 126/74, SZ 47/128; 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94; vgl näher Wünsch, GedS Gschnitzer 479. 28  OGH 2 Ob 588/33, SZ 15/137. 29  OGH 1 Ob 164/59, HS 229/28: Büromaschinen. 30  OGH 5 Ob 246/67, HS 6356/21: Baumaterialien. 31  OGH 8 Ob 285/68, HS 6356/46: Kassentypen. 32  OGH 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94. 33  Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 6; Eccher, ÖJZ 1974, 337; JBl 1982, 488 (Eccher). 34  Eccher, ÖJZ 1974, 339 f; aA in Deutschland BGH NJW 1990, 125, 126, der bei Umtausch einer Ware gegen Gutschrift für den Einkauf anderer Ware in dem Geschäft des Verkäufers, inkonsequent sowohl beschränkte Gattungsschuld als auch Wahlschuld annimmt; für das Vorliegen einer Wahlschuld in diesem Fall Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 5. 35  AA Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 6, nach dem bereits bei Vertragsschluss eine Wahlschuld entsteht. 36  Vgl Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 9 aE; Mayer-Maly in Klang2 IV/2, 902; zum deutschen Recht ausführlich Made in Staudinger, BGB (2004) §§ 454 f Rz 5; Gaier in MüKoBGB5 Vor § 346 Rz 24; Grothe in BeckOK (2007) § 346 Rz 21; ähnlich Mayrhofer, JBl 1972, 449, der von einer Option des Käufers spricht. Vertreten wird in Deutschland auch, dass es sich um einen Kauf mit Rücktrittsvorbehalt handelt, Faust in BeckOK (2007) § 456 Rz 16. 37  So unter analoger Anwendung der §§ 1063b, 906 Abs 2 auch Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§ 373 ff Rz 39; so zu § 375 HGB aF auch Mayer-Maly in Klang2 IV/2, 902; Mayrhofer, JBl 1972, 453 f.

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Vorverträge sondern Hauptverträge.38 Es handelt sich um Dauerschuldverhältnisse (Sukzessivlieferungsverträge) mit Wahlrecht des Käufers.39 Das Wahlrecht wird in diesem Fall nicht durch einmalige Wahl konsumiert, sondern steht laufend zu.40 Dem Käufer steht es zumeist auch frei, über die Mindestabnahmemenge hinaus gegen Leistung zusätzlichen Entgelts Waren zu beziehen. Der Verkäufer kann auch bei unterlassener Wahl des Käufers das Mindestentgelt geltend machen.41 Dem Verkäufer stehen überdies die Rechtsbehelfe des § 906 Abs 2 offen. So lässt schon eine ältere Entscheidung das Wahlrecht analog zu § 375 HGB aF übergehen.42 Ist jedoch eine bestimmte Abnahme in einem bestimmten Zeitraum vorgesehen, so ist ein Übergang des Wahlrechts nach Ablauf des Wahlzeitraumes nicht notwendig, weil der Verkäufer die im vergangenen Zeitraum abrufbare Leistung nicht mehr erbringen muss, aber dennoch Anspruch auf das Entgelt hat.

V. Gesetzliche Wahlschulden? 19

Die §§ 906 f sind in Hinblick auf rechtsgeschäftliche Wahlschulden formuliert.43 Es ist jedoch möglich, dass das Gesetz selbst Wahlschulden vorsieht. Zahlreiche, früher als Beispiele für gesetzliche Wahlschulden genannte Fälle sind bei näherer Betrachtung jedoch keine Wahlschulden, sondern sehen Gestaltungsrechte oder Anspruchskonkurrenzen vor. Die Wahlmöglichkeit zwischen Erfüllung oder Rücktritt unter Nachfristsetzung gem § 91844 ist ebenso wie die Auswahlmöglichkeit zwischen alternativen Gewährleistungsbehelfen45 kein Fall einer Wahlschuld. § 908 regelt die Rechtsfolgen des Rücktritts nach Leistung eines Angelds und sieht keine Wahlschuld vor.46 Eine gem § 909 reuberechtigte Vertragspartei verfügt über ein Gestaltungsrecht; eine Wahlschuld liegt nicht vor.47 Keine Wahlschuld begründet auch das in § 980 vorgesehene Recht des Verleihers, der Wertersatz für die verloren geglaubte Leihsache erhalten hat, diese gegen Rückzahlung des Wertersatzes herauszuverlangen, wenn der Entlehner die Sache später findet.48 Fälle von Anspruchs(grundlagen) 38  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 204 f; Reischauer in Rummel3 I § 936 und § 906; 1 Ob 706/86, wbl 1987, 241 (ausdrücklich entgegen SZ 39/35); 4 Ob 566/87, JBl 1987, 783; aA noch 2 Ob 425/65, SZ 39/35. 39  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 204 f ; Reischauer in Rummel3 I § 936 und § 906. 40  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 204 f. 41  OGH 1 Ob 164/59, HS 229/28; 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94; 6 Ob 126/74, SZ 47/128. 42  OGH 5 Ob 246/67, HS 6356/21. 43  Mayrhofer, SchRAT3 33. 44  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 10 und § 918 Rz 4a; Mayrhofer, SchRAT3 381; OGH 7 Ob 14/64, SZ 37/17 = JBl 1964, 367 (F. Bydlinski); aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372. 45  AA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372. 46  AA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372; aber dennoch von einem Rücktrittsrecht ausgehend Gschnitzer in Klang2 IV/1, 387. 47  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 390; Mayrhofer, SchRAT3 212; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 564; Koziol/Welser13 II 21; OGH GlU 981; GlUNF 4142, GlUNF 1791. 48  So auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372 f, der eine Ersetzungsbefugnis annimmt; für eine Wahlschuld hingegen Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 199 f. Der Herausgabeanspruch lässt sich mit einer Ersetzungsbefugnis oder auch mit dem sachenrechtlichen Herausgabeanspruch des Verleihers begründen.

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konkurrenz werden durch das Rechtsinstitut der Wahlschuld nicht interessegerecht beschrieben. Besser passt auf sie der von der deutschen Zivilrechtsdogmatik entwickelte Begriff „elektive Konkurrenz“.49 Siehe näher zur elektiven Konkurrenz unter VI.4. Eröffnet das Gesetz Wahlmöglichkeiten zwischen zwei Leistungen, so lie- 20 gen zwar Wahlschulden vor: die Rechtsfolgen der §§ 906 f sind mE nur eingeschränkt auf im Gesetz angeordnete Wahlschulden anwendbar. Erstens kommt außerhalb von Austauschverhältnissen ein Rücktrittsrecht bei Wahlverzug des Gläubigers nicht in Betracht; mangels Gegenleistung für gesetzliche Verpflichtungen scheidet ein Rücktrittsrecht gem §§ 918 ff aus. Zweitens sind die Gefahrtragungsregeln des § 907 bei gesetzlichen Leistungspflichten nicht anwendbar, weil die Verpflichtungen bei zufälliger Unmöglichkeit einer Alternative nach dem Zweck der Regelung nicht untergehen sollen, sondern die verbleibende Leistung erbracht werden soll. Als anwendbare Rechtsfolgen verbleiben somit die Bindung an die getroffene Auswahlentscheidung und der Übergang des Wahlrechts auf den Schuldner bei Verzug des Gläubigers mit der Wahl. Diese beiden Regelungen sind mE grundsätzlich anzuwenden, wobei jedoch abzuwägen ist, ob diese Rechtsfolge nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Wahlschuld gerechtfertigt ist: Die bindende Wirkung der rechtsgestaltenden Auswahlentscheidung kann auch auf gesetzliche Wahlschulden angewandt werden, sofern sich aus den gesetzlichen Anordnungen oder aus dem Zweck des Gesetzes nicht Abweichendes ergibt. Auch der Übergang des Wahlrechts hat seine Berechtigung bei gesetzlichen Schuldverhältnissen, weil der Schuldner ein Interesse daran hat, seine Leistungsbereitschaft nicht hinsichtlich zwei alternativer Leistungen aufrecht erhalten zu müssen. Zu beachten ist jedoch, dass in der gesetzlichen Bestimmung festgelegte abweichende Rechtsfolgen als leges speciales den §§  906 f vorgehen. Auch kann sich aus dem Zweck des Gesetzes ergeben, dass etwa ein Übergang des Wahlrechts ausgeschlossen sein soll. Das Recht des Arbeitsgebers gem § 7 Abs 2 AngG, bei Verstoß des Ange- 21 stellten gegen das Konkurrenzverbot zwischen Schadenersatz und Abtretung des Geschäfts zu wählen, wurde vom OGH als Wahlschuld qualifiziert, um die bindende Wirkung der Wahl zu begründen.50 Der OGH bejahte mE zurecht die Bindung an die Wahl; die kurze Verjährungsfrist von 3 Monaten ab Kenntnis gem § 7 Abs 3 AngG erübrigt jedoch den Übergang des Wahlrechts auf den Arbeitnehmer. Als Beispiel für eine gesetzliche Wahlschuld wird § 415 genannt,51 der es 22 bei Verarbeitung oder Vereinigung von Sachen unterschiedlicher Eigentümer demjenigen Eigentümer, „mit dessen Sache der andere durch Verschulden die Vereinigung vorgenommen hat“ frei stellt, „ob er den ganzen Gegenstand gegen Ersatz der Verbesserung behalten, oder ihn dem andern ebenfalls gegen Vergütung überlassen wolle“ (§ 415). Mangels entgegenstehender Zwecke ist, wie in § 906 angeordnet, die Wahlentscheidung bindend und wird man dem 49  Vgl dazu zB Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 262 BGB Rz 7 ff; Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 11 f. 50  OGH 8 ObA 199/98t, Arb 11.771. 51  So Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372.

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Schuldner das Recht zur Ersatzwahl unter Nachfristsetzung zugestehen müssen. Auch über § 20 Wohnhaus-WiederaufbauG (WWG) wird gesagt, dass 23 er einen Anwendungsfall der Wahlschuld darstellt.52 Gem § 20 WWG hat der Hauseigentümer eines mit Fondshilfe wiederaufgebauten Hauses den Altmietern die wiederhergestellten oder wiederherzustellenden Räume zur Miete oder alternativ – im Falle der Begründung von Wohnungseigentum – zum Kauf anzubieten. Der OGH leitete aus der Einordnung als Wahlschuld ab, dass auch in der Klage des Altmieters die Wahlmöglichkeit des Beklagten zum Ausdruck kommen müsse, und verlangte, dass die Klage des Altmieters alternativ auf beide Leistungen zu richten ist oder die andere Leistungsmöglichkeit als Alternativermächtigung in der Klage genannt werden muss.53 Als Beispiele für Wahlschulden werden weiters die Entschädigungsleistungen des Bestandnehmers oder sonstigen Nutzungsberechtigten in § 32 Abs 2 MRG, § 21 Abs 2 StadterneuerungsG, §  18 Abs 2 BodenbeschaffungsG genannt.54 Die Rechtsfolgen der Nichtausübung des Wahlrechts werden in diesen Gesetzen selbst geregelt, sodass die Einordnung als gesetzliche Wahlschuld nur zur Begründung der Bindungswirkung der Wahl herangezogen werden kann.

VI. Abgrenzungen 1. Gattungsschuld 24

Gattungsschulden und Wahlschulden haben gemeinsam, dass die Leistung noch relativ unbestimmt ist, weil mehrere Sachen als Erfüllungsobjekt dienen können. Bei der Gattungsschuld werden die Leistungsgegenstände jedoch nach generalisierenden Merkmalen umschrieben, weil für die Parteien jedes Leistungsobjekt gleichwertig ist. Hingegen werden bei der Wahlschuld verschiedene Erfüllungsalternativen getrennt mit unterschiedlichen Merkmalen beschrieben, sodass auf Seiten der wahlberechtigten Person ein Interesse daran besteht, den endgültig zu leistenden Gegenstand auszuwählen.55 Für die Abgrenzung ist jedoch letztlich nicht die Formulierung der Schuld durch eine oder mehrere Erfüllungsvarianten, sondern der Wille der Parteien entscheidend: Während bei der Gattungsschuld nach der Vorstellung der Parteien eine Mehrzahl gleichwertiger Leistungsobjekte zur Erfüllung dienen kann, stehen bei der Wahlschuld verschiedenartige Objekte zur Auswahl.56 Bei der Wahlschuld hat daher der Bestimmungsakt eigenständige Bedeutung.57 Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 7. OGH 2 Ob 242/58, JBl 1959, 105; 2 Ob 194/60, EvBl 1960/357; 8 Ob 373/62, EvBl 1963/166. 54  Mayrhofer, SchRAT3 34, der diese als ähnliche Erscheinungen zu rechtsgeschäftlichen Wahlschulden gedacht; als Ersetzungsbefugnis des Gläubigers einordnend Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 9. 55  Ch. Rabl, Gefahrtragung 343. 56  Mayrhofer, SchRAT3 32; Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 5; Gernhuber, Schuldverhältnis, 256, „Vorstellung verschiedenartiger Leistungen, bei Gattung Vorstellung einer Mehrzahl gleichartiger Leistungsobjekte“. 57  Ch. Rabl, Gefahrtragung 344 f. 52  53 

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Abgrenzungen

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Die Abgrenzung zwischen Gattungsschuld und Wahlschuld hat Bedeu­ 25 tung für den geschuldeten Qualitätsstandard und für die Gefahrtragung. Auch in Verzug und Exekution gibt es für die Wahlschuld abweichende Regeln (siehe dazu unten). Geht ein Teil der Gattung vor dem Fälligkeitszeitpunkt zufällig unter, so ist die Gattungsschuld noch immer erfüllbar, und der Schuldner muss ein anderes Stück der Gattung leisten. Hingegen bestimmt § 907, dass bei der Wahlschuld die zur Wahl berechtigte Partei bei Untergang einer zu leistenden Sache nicht mehr an den Vertrag gebunden ist. § 907 ist jedoch in Einklang mit der hM auf sogenannte bedingte Wahlschulden zu beschränken, bei denen eine Partei nur unter der Bedingung der Wahl zwischen den Erfüllungsalternativen gebunden sein wollte (vgl näher bei §  907). Weil in Zweifelsfällen an der Grenze zwischen Gattungsschuld und Wahlschuld jedenfalls keine unbedingte Wahlschuld für die Zwecke des §  907 vorliegt, wird die Bedeutung für die Gefahrtragung relativiert. Bei unbeschränkten Gattungsschulden, bei denen unbegrenzt viele Leis- 26 tungsobjekte zur Erfüllung dienen können, liegt eindeutig keine Wahlschuld vor. Abgrenzungsprobleme treten jedoch in Fällen auf, in denen Sachen aus einem im Vertrag bestimmten, beschränkten Vorrat als Leistungsobjekt dienen sollen (beschränkte Gattungsschuld). Die hM differenziert in diesem Fall danach, ob die Leistungsobjekte nach der Verkehrsauffassung vertretbar oder unvertretbar sind,58 weil im Zweifel davon auszugehen ist, dass die Sachen auch aus Sicht der Vertragsparteien austauschbar und gleichwertig waren, wenn dies nach der Verkehrsauffassung der Fall ist.59 Die hM führt zumeist zu interessegerechten Entscheidungen, weil die Vertretbarkeit bzw Unvertretbarkeit ein starkes Indiz für den Willen der Parteien ist. Bei der Vertragsauslegung sind jedoch auch andere Umstände zu berücksichtigen, wie die individuelle Bezeichnung der Leistungsgegenstände, die für das Vorliegen einer Wahlschuld spricht, und die Größe des Vorrats, weil eine hohe Zahl möglicher Leistungsobjekte auf das Bestehen einer Gattungsschuld hinweist.60 Bei Gattungsschulden ist stets der Schuldner wahlberechtigt.61 Verein- 27 zelt findet sich auch die Aussage, dass bei Gattungsschulden lediglich „im Zweifel“ der Schuldner über das Wahlrecht verfüge.62 Richtigerweise ist das Wahlrecht bei Gattungsschulden definitionsgemäß dem Schuldner zugewiesen. Denn wenn sich der Gläubiger die Wahl ausbedungen hat, so weist dies klar darauf hin, dass ein besonderer Auswahlakt vorgesehen sein soll, sodass 58  Ehrenzweig, System II/12, 14; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 148 f; vgl zB auch Ch. Rabl, Gefahrtragung 344. 59  F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 149. 60  Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 5; Wolf in Soergel BGB12 § 262 Rz 11; Ziegler, AcP 171 (1971) 193, 207, der jedoch die individuelle Bestimmung weniger betont als die Bedeutung der Anzahl möglicher Leistungsobjekte. 61  Koziol/Welser13 II 28 f; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 164 f; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 5; Ehrenzweig, System II/12, 13. 62  Mayrhofer, SchRAT3 30; wohl auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 370, der auf die Gattungsschuld 906 anwendet. Schiemann in Staudinger, BGB (2009) § 243 Rz 6 und 13; auch Schauer hält dies „ausnahmsweise“ für möglich, aber würde in diesem Fall §  906 Abs 2 analog anwenden (Schauer in ABGB-ON § 906 Rz 5).

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keine Gattungsschuld sondern eine Wahlschuld (bzw ein Spezifikationskauf) vorliegt.63 2. Spezifikationskauf 28

„Wenn dem Käufer beim Kauf einer beweglichen Sache die nähere Bestimmung der Form, des Maßes oder ähnlicher Verhältnisse vorbehalten ist“ (§ 1063b), liegt ein Spezifikationskauf vor. Der Käufer trifft beim Spezifikationskauf nach Vertragsabschluss die nähere Bestimmung über Form, Maß oder ähnliche Eigenschaften der gekauften Sache. Das Leistungsbestimmungsrechts des Käufers ist – wie das Wahlrecht bei der Wahlschuld – ein Ge­staltungsrecht,64 das durch empfangsbedürftige, formlose Willenserklärung ausgeübt wird. Der Spezifikationskauf hat einerseits Elemente der Gattungsschuld, weil 29 ein einheitlicher Leistungsgegenstand geschuldet ist. Da die nähere Bestimmung des Leistungsobjekts durch den Gläubiger jedoch noch erfolgen muss, ähnelt er andererseits der Wahlschuld mit Wahlrecht des Gläubigers. Der Spezifikationskauf wird von der hM in Österreich richtigerweise als Unterart der Wahlschuld gesehen.65 In Deutschland wird die Wahlschuld überwiegend als Gattungsschuld mit Bestimmungsvorbehalt des Gläubigers (§§ 315 ff BGB) angesehen.66 Die Einordnung des Spezifikationskaufs als Unterfall der Wahlschuld wird seit dem HaRÄG dadurch gestützt, dass § 1063b, der den Spezifikationskauf regelt, auf § 906 Abs 2 zur Wahlschuld verweist. Anders als die Bestimmungen zur Wahlschuld sieht § 1063b eine Pflicht 30 des Käufers zur Ausübung des Spezifikationsrechts vor. Hinsichtlich der Rechtsfolgen ergeben sich dadurch jedoch keine Unterschiede zur Rechtslage bei der Wahlschuld, weil der Käufer nach hM nicht auf Vornahme der Spezifikation geklagt werden kann, weil der Verkäufer eine Selbstspezifikation vornehmen kann und somit ein Bedürfnis auf Vornahme der Spezifikation fehlt.67 Der Spezifikationskauf, der zuvor im HGB geregelt war, ist seit dem 31 HaRÄG § 1063b gewidmet. Weil § 1063b auf § 906 Abs 2 verweist, hat die Abgrenzung zwischen Wahlschuld und Spezifikationskauf an Bedeutung verloren. Die Judikatur grenzt die beiden Rechtsinstitute danach ob, ob die Leistungsobjekte zu einer einheitlichen Warengattung gehören (dann Spezifika­ Gernhuber, Schuldverhältnis 230 f. ZB P. Bydlinski, Übertragung 263 ff. 65  OGH 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94; F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 164 f, 372; Nitsche, FS Wilburg-Assistenten, 147 (150 ff); Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 2; Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 3; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 2; Bollenberger in KBB3 § 906 Rz 1; Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§ 373 ff Rz 43; aA Wünsch, GedS Gschnitzer 483 f, der ein dem „dem Kaufrecht eigentümliches Rechtsinstitut“ annimmt. 66  Bittner in MüKoBGB5 § 262 Rz 7; Wolf in Soergel BGB12 § 262 Rz 11; Rieble/Gutfried, DJZ 2008, 593 (595); hingegen auf die Vertragsauslegung im einzelnen Fall abstellend Ziegler, AcP 171, 193 (207); für Wahlschuld hingegen Pescatore, Wahlschuldverhältnisse 141. 67  Ausführlich E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 440 ff; so auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 375 f; Wünsch, GedS Gschnitzer 488 f; Nitsche in Assistenten-FS Wilburg 160; Apathy, JBl 1982, 569; Kerschner in Jabornegg § 375 Rz 22; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 906 Rz 9; Kramer in Straube, HGB3 § 375 Rz 10; OGH 5 Ob 650/82, HS 12.242. 63  64 

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Abgrenzungen

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tionskauf) oder ob sich das nähere Bestimmungsrecht auf verschiedene Warengattungen bezieht (dann Wahlschuld).68 Auch die anderen Rechtsfolgen von Spezifikation und Wahlschuld decken 32 sich mE: Weil es dem Käufer beim Spezifikationskauf wie bei der Wahlschuld gerade auf die Auswahlmöglichkeit ankommen kann, ist mE § 907 analog auf Spezifikationskäufe anzuwenden. §  905b ist weder beim Spezifikationskauf noch bei der Wahlschuld anzuwenden.69 3. Ersetzungsbefugnis Sowohl für die Wahlschuld als auch für die Ersetzungsbefugnis ist charak- 33 teristisch, dass eine Partei den Leistungsinhalt gestalten kann.70 Im Gegensatz zur Wahlschuld wird bei der Ersetzungsbefugnis jedoch nur eine Leistung (die Hauptleistung) geschuldet, sodass der Gläubiger nur diese Leistung fordern kann.71 Durch Ausübung der Ersetzungsbefugnis verfügt der Berechtigte über die Möglichkeit, die geschuldete Leistung durch eine andere, nicht geschuldete Leistung (die Ersatzleistung) zu ersetzen. Ebenso wie die Leistungsalternativen bei der Wahlschuld können sich Haupt- und Ersatzleistung nicht nur hinsichtlich des Leistungsgegenstandes sondern auch bloß bezüglich der Leistungszeit oder des Leistungsorts unterscheiden.72 Die Ersetzungsbefugnis berechtigt dazu, das Schuldverhältnis nachträglich inhaltlich zu ändern, und ist daher ein rechtsänderndes Gestaltungsrecht.73 Das Gestaltungsrecht wird durch einseitige, empfangsbedürftige Erklärung ausgeübt.74 Es kann auch schlüssig durch die Erbringung der Ersatzleistung ausgeübt werden.75 Die Erklärung, die Ersetzungsbefugnis auszuüben, kann wegen Irrtums angefochten werden.76 Die Ersetzungsbefugnis (Lösungsbefugnis, Alternativermächtigung, facul- 34 tas alternativa) ist nicht allgemein gesetzlich geregelt. Es ist jedoch anerkannt, dass das ABGB an mehreren Stellen Ersetzungsbefugnisse vorsieht. ZB handelt es sich bei der Vereinbarung eines Reugeldes gem § 909 um eine Ersetzungsbefugnis77 oder bei der Vereinbarung einer nicht-effektiven Fremdwährungsschuld gem § 905a.78 Ersetzungsbefugnisse bestehen überdies zB bei der laesio enormis gem § 934 und beim Überlassungsrecht des Erben beim Untervermächtnis gem § 650.79 68  ZB OGH 2 Ob 588/33, SZ 15/137; 6 Ob 126/74, SZ 47/128; 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94; vgl näher Wünsch, GedS Gschnitzer 479. 69  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373; Kerschner in Jabornegg § 375 Rz 13; siehe auch FN 113. 70  Gernhuber, Schuldverhältnis 258. 71  ZB OGH 1 Ob 252/92, SZ 65/156; 3 Ob 86/95, RdW 1996, 163. 72  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 371; Mayrhofer, SchRAT3 38. 73  ZB OGH 1 Ob 252/92, SZ 65/156; 3 Ob 86/95, RdW 1996, 163. 74  ZB Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 9; Mayrhofer, SchRAT3 38 f. 75  OGH 3 Ob 86/95, RdW 1996, 163. 76  OGH 1 Ob 252/92, SZ 65/156; 10 Ob 504/94, SZ 67/73. 77  Vgl Kommentierung § 909 Rz 10. 78  Kommentierung § 905a Rz 13. 79  Vgl nur Mayrhofer, SchRAT3 39; Koziol/Welser13 II 31.

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Eine Ersetzungsbefugnis kann auch privatautonom vereinbart werden. Ob die Parteien eine Wahlschuld oder eine Ersetzungsbefugnis vereinbaren wollten, ist nach dem Parteiwillen zu entscheiden. Die Verbindung der Alternativen mit der Konjunktion „oder“ ist ein Indiz für eine Wahlschuld, während deren Verbindung durch Wörter „statt“ oder „anstelle von“ ein Indiz für eine Ersetzungsbefugnis darstellt.80 Entscheidend ist, ob nach dem Zweck der Gestaltung bereits bei Vertragsabschluss mehrere Erfüllungsalternativen gleichrangig nebeneinander treten sollen (dann Wahlschuld) oder ob nach dem „Regel-Ausnahme-Prinzip“ bloß eine Leistung geschuldet sein soll, mit der Möglichkeit die Leistung durch eine andere zu ersetzen (dann Ersetzungsbefugnis).81 Eine vertraglich vereinbarte Ersetzungsbefugnis ist im Zweifel so auszulegen, dass die Ausübung der Ersetzungsbefugnis nur unter der aufschiebenden Bedingung wirksam sein soll, dass die Ersatzleistung vollständig erbracht wird.82 Verfügt der Schuldner über eine Ersetzungsbefugnis, so hat er das Recht, anstelle der bestimmten Leistung eine andere, nicht geschuldete mit Befreiungswirkung zu erbringen. Der Gläubiger hat jedoch – vor Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Schuldner – keinen Anspruch auf die alternative Leistung. Nach Ausübung der Ersetzungsbefugnis steht dem Gläubiger nur mehr die Ersatzleistung zu. Öfters wird die Möglichkeit erwähnt, dass dem Gläubiger eine Erset­ zungsbefugnis zustehen könne.83 Bei einer Ersetzungsbefugnis des Gläubigers hat dieser das Recht, anstelle der geschuldeten Leistung eine andere Leistung zu fordern. Die Ersetzungsbefugnis des Gläubigers unterscheidet sich somit wenig von einer Wahlschuld mit Wahlrecht des Gläubigers. Der einzige Unterschied zwischen diesen beiden Rechtsinstituten liegt darin, dass der Schuldner bei einer Ersetzungsbefugnis des Gläubigers das Recht hat, die geschuldete Leistung schuldbefreiend zu erbringen, während bei einer Wahlschuld mit Wahlrecht des Gläubigers die Erfüllung der Verbindlichkeit vor der Wahl nicht möglich ist.84 Überdies ist § 907 bei der Ersetzungsbefugnis des Gläubigers nicht anzuwenden, sodass der Vertrag bei zufälligem Untergang der Ersatzleistung nicht zerfällt (siehe näher Rz 39). Ein Fall einer Ersetzungsbefugnis des Gläubigers ist der Kauf mit Umtauschvorbehalt (vgl Rz 17). Erbringt der Schuldner in Unkenntnis der Ersetzungsbefugnis die Hauptleistung, so berechtigt ihn dies nicht zur Rückforderung der erbrachten Leistung.85 Auch bei der Wahlschuld kann die in Unkenntnis des Wahlrechts erbrachte Leistung grundsätzlich nicht zurückgefordert werden (vgl unten Rz 55); allenfalls kann die Wahlerklärung wegen Irrtums angefochten werden (vgl unten Rz 57). Wird die Hauptleistung zufällig unmöglich, so zerfällt der Vertrag gem § 1447. Fraglich ist, was gelten soll, wenn die Ersatzleistung zufällig unmöglich Gernhuber, Schuldverhältnis 259. Gernhuber, Schuldverhältnis 259. 82  OGH 3 Ob 86/95, RdW 1996, 163. 83  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372; Mayrhofer, SchRAT3 39 f; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 9; Gernhuber, Schuldverhältnis 666 ff; Koziol/Welser13 II 31. 84  Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 262 Rz 12; Mayrhofer, SchRAT3 39 f; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372. 85  AA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 372. 80  81 

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wird. ME ist – ähnlich wie bei § 907 – durch Vertragsauslegung zu klären, ob die Partei nur unter der Bedingung der Ersetzungsbefugnis an den Vertrag gebunden sein wollte. In diesem Fall würde der Vertrag bei Untergang der Ersatzleistung erlöschen.86 Dies wird jedoch mE nur sehr selten der Fall sein, weil in solchen Fällen, in denen die Wahlmöglichkeit von entscheidender Bedeutung war, zumeist eine Wahlschuld und keine Ersetzungsbefugnis vorliegen wird. Von der Leistung an Zahlungs Statt unterscheidet sich die Ersetzungsbe- 40 fugnis dadurch, dass bei der facultas alternativa ein Gestaltungsrecht zusteht, während bei der Leistung an Zahlungs Statt das alte Schuldverhältnis einvernehmlich durch ein neues ersetzt wird.87 Zivilverfahrensrechtliche Regelungen zur Ersetzungsbefugnis finden 41 sich in §  410 ZPO. Im Prozess wird die einseitige Einräumung einer Ersetzungsbefugnis nach der Jud bereits mit Zugang der Erklärung wirksam.88 4. Elektive Konkurrenz Die deutsche Zivilrechtsdogmatik hat den – in Österreich bisher nicht ver- 42 wendeten – Begriff der elektiven Konkurrenz entwickelt.89 Bei der elektiven Konkurrenz konkurrieren mehrere Rechte (Forderungsrechte oder Gestaltungsrechte) miteinander, die einander ausschließen und unter denen der Gläubiger wählen kann.90 Als Beispiele elektiver Konkurrenz ist in Deutschland zB die Wahl zwischen Rücktritt und Minderung gem § 437 Nr 2 BGB nach mangelhafter Leistung (nach ö. Terminologie Wandlung und Preisminderung) anerkannt.91 Auch die Wahlmöglichkeit des Geschädigten zwischen verschiedenen Arten des Ersatzes, wie zwischen Schadenersatz und der Herausgabe des stellvertretenden commodums, ist ein Fall elektiver Konkurrenz.92 Der Schuldner kann dem Gläubiger in diesen Fällen grundsätzlich keine 43 Frist zur Vornahme der Wahl setzen.93 Ob die Wahlentscheidung bindend ist, richtet sich nach den Anordnungen oder dem Zweck des Gesetzes. Wenn die eine Alternative in der Ausübung eines Gestaltungsrechts besteht, so ist diese als rechtsgestaltender Akt bindend. Hingegen hindert zB das Bestehen des Gläubigers auf Erfüllung im Schuldnerverzug den Gläubiger nicht, später unter Nachfristsetzung vom Vertrag zurückzutreten.94 Bei Wahl des Geschädigten zwischen Naturalherstellung und Geldersatz hat der OGH ausgesprochen, Ähnlich auch Mayrhofer, SchRAT3 40. OGH 1 Ob 252/92, SZ 65/156; 3 Ob 86/95; 3 Ob 56/05i. 88  OGH 3 Ob 380/55, SZ 28/236; 1 Ob 252/92, SZ 65/156; 6 Ob 71/99f; 7 Ob 209/02i; 7 Ob 209/02i; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 9. 89  Vgl dazu zB Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 262 BGB Rz 7 ff; Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 11 f. 90  ZB Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 262 BGB Rz 7; Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 11; Wolf in Soergel BGB12 § 262 Rz 8. 91  Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 262 BGB Rz 9; Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 11 f; Wolf in Soergel BGB12 § 262 Rz 12. 92  Gernhuber, Schuldverhältnis 260. 93  Krüger in MüKoBGB5 § 262 Rz 11; Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 262 BGB Rz 7; Wolf in Soergel BGB12 § 262 Rz 9. 94  Vgl nur OGH 1 Ob 264/57, SZ 37/17. 86  87 

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dass er von seiner Wahl abgehen kann, wenn sich die Naturalherstellung zB durch Verzug des Schädigers nachträglich als untunlich herausstellt. Hinsichtlich der Bindungswirkung lassen sich daher keine allgemeinen Aussagen machen; die Wertung des § 906 Abs 2 kann mE auch hier herangezogen werden, sodass im Zweifel von einer Bindung an die Wahlentscheidung auszugehen ist, weil die Bindungswirkung aufgrund des Vertrauens der anderen Vertragspartei auf die getroffene Entscheidung geboten ist.

VII. Wahlberechtigter Nur die wahlberechtigte Partei hat die Befugnis, zwischen den alternativen Leistungen zu wählen. Besteht daher zwischen einer der wahlweise geschuldeten Leistungen und einer Gegenforderung des Gläubigers Gleichartigkeit, so ist nur dann Aufrechenbarkeit gegeben, wenn die „gleichartige“ Schuld von der wahlberechtigten Partei gewählt wird.95 § 906 Abs 1 weist das Wahlrecht nicht stets dem Schuldner zu, sondern ist 45 eine bloße Auslegungsregel. Sie ist nicht anzuwenden, wenn die Parteien das Wahlrecht ausdrücklich dem Gläubiger zuweisen oder wenn sich dessen Zuordnung zum Gläubiger aus Natur und Zweck des Geschäftes ergibt.96 Die Beweislast dafür, dass nicht der Schuldner wahlberechtigt ist, trifft den Gläubiger.97 Kam der Vertrag infolge der Annahme eines Angebots mit verschiedenen Wahlmöglichkeiten zustande, wird die Vertragsauslegung oft zu dem Ergebnis führen, dass der Annehmende die Wahl haben soll.98 Sind Leistung und Gegenleistung von der Wahl abhängig, so trifft nach der gesetzlichen Vermutung der Schuldner der Sachleistung die Wahl.99 In dem Fall, dass beide Parteien je nach Auswahl unterschiedliche Sachleistungen erbringen und daher „Leistungspaare“ bestehen, führt § 906 zu keinem Ergebnis.100 Es ist daher für die Zuordnung des Wahlrechts durch Vertragsauslegung zu ermitteln, im Interesse welcher Partei die Wahl eröffnet wurde, weil davon auszugehen ist, dass im Zweifel diese Partei zur Wahl berechtigt sein soll.101 In der Literatur wird kritisiert, dass die gesetzliche Auslegungsregel die 46 typische Interessenlage nicht treffe, weil im Rechtsleben bei Wahlschulden nach dem konkreten Parteiwillen zumeist der Gläubiger wahlberechtigt sei.102 ME ist die Anordnung in § 906 Satz 1 dennoch sachgerecht, weil die Auslegungsregel ohnedies nur in Zweifelsfällen Bedeutung erlangt, in denen die Parteien nicht bestimmt haben, wem das Wahlrecht zukommen soll, und da­44

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OGH 1 Ob 608/95, EFSlg 76.719. Vgl zB Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373; OGH 1 Ob 553/76, EvBl 1977/15; 8 Ob 598/90; 8 Ob 598/80; 3 Ob 509/94, NZ 1995, 34; 10 Ob 140/00k. 97  Krüger in MüKoBGB5 § 263 Rz 15. 98  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 383; OGH 1 Ob 553/76, EvBl 1977/15. 99  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 3. 100  Mayrhofer, SchRAT3 33. 101  Gernhuber, Schuldverhältnis 265. 102  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 3; so zur deutschen Rechtslage Krüger in MüKoBGB5 § 263 Rz 1 und 15; Ziegler, AcP 171, 193; Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 262 Rz 20. 96 

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her dem Auswahlakt keine besondere Bedeutung beigemessen haben. Dafür spricht auch, dass Fälle, in denen die Parteien die Wahlbefugnis nicht vertraglich zugewiesen haben, oft eine Nähe zur Gattungsschuld aufweisen, bei der stets der Schuldner die Auswahl des Leistungsobjektes trifft, sodass die diesbezügliche Gleichbehandlung von Wahlschuld und Gattungsschuld Ab­ grenzungsproblemen vorbeugt. Deshalb ist es zu begrüßen, dass auch der DCFR bei Wahlschulden das Wahlrecht im Zweifel dem Schuldner zuweist (III.2:105). Die Privatautonomie ermöglicht den Parteien, das Wahlrecht einer dritten 47 Person zuzuweisen.103 Liegt ein Vertrag zugunsten des wahlberechtigten Dritten vor, so ist das Wahlrecht des Dritten wie ein Wahlrecht des Gläubigers zu behandeln.104 In den anderen Fällen, in denen das Wahlrecht einem Dritten eingeräumt wird, ist fraglich, ob der Vertrag wie bei der Kaufpreisbestimmung durch einen Dritten (§ 1056) erlöschen soll, wenn der Dritte nicht wählt, oder ob der Richter analog zu dem vermächtnisrechtlichen § 659 die Wahl treffen soll.105 Es wird vertreten, dass nach dem Parteiwillen zu entscheiden sei, ob der Vertrag in diesem Fall zerfallen oder das Gericht entscheiden solle.106 ME ist § 1056 anzuwenden,107 weil der Grund für die Leistungsbestimmung durch das Gericht bei Vermächtnissen darin liegt, dass der Erblasser verstorben ist, sodass eine erneute Einigung nicht in Betracht kommt. Außerhalb des Vermächtnisrechts ist es jedoch nicht Aufgabe der Gerichte, die Verträge näher zu determinieren, wenn die Parteien sich durch Zuweisung des Wahlrechts an einen Dritten bewusst dem Risiko ausgesetzt haben, dass dieser nicht wählt. Der Vertrag erlischt daher in diesem Fall analog zu § 1056.

VIII. Das Wahlrecht und dessen Ausübung Das Wahlrecht wird durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklä- 48 rung ausgeübt.108 Es ist ein Gestaltungsrecht.109 Ist der Gläubiger wahlberechtigt und wird die Forderung abgetreten oder das gesamte Schuldverhältnis übertragen, so geht das Wahlrecht gemeinsam mit der Forderung über.110 Der Wahlberechtigte ist in seiner Wahl frei. Entsprechend allgemeinen 49 Grundsätzen ist die Ausübung des Wahlrechts nur durch die Rechtsmissbrauchsschranke begrenzt.111 § 905b, der die Leistung durchschnittlicher Qua103  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 376 f; Koziol/Welser13 II 28 f; P. Bydlinski, Übertragung 274; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 8; Bollenberger in KBB3 § 906 Rz 2. 104  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 8. 105  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 376 f. 106  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 377; Mayrhofer, SchRAT3 36. 107  So zu § 375 HGB Kerschner in Jabornegg § 375 Rz 11. Zu demselben Ergebnis gelangt Hasenöhrl (Obligationenrecht2 I, 198 f), indem er das Geschäft als durch die Wahl der dritten Person bedingt ansieht. 108  Zeiller, Commentar III/1, 94; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 374; Ch. Rabl, Gefahrtragung 360; OGH 3 Ob 131/01p. 109  OGH 3 Ob 509/94, NZ 1995, 34; P. Bydlinski, Übertragung 263 ff; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4 und Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 13. 110  P. Bydlinski, Übertragung 266; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 374. 111  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 7.

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lität bei Gattungsschulden anordnet, ist auf Wahlschulden nicht anwendbar.112 Der Wahlberechtigte darf frei zwischen allen Erfüllungsalternativen wählen und muss keine durchschnittliche Sache wählen.113 Nach Ausübung des Gestaltungsrechts ist der Wahlberechtigte an die Aus­ wahlentscheidung gebunden und kann von dieser nicht mehr einseitig abgehen. Die Bindung tritt mit dem Zugang der Willenserklärung ein.114 Wird das Wahlrecht konkludent durch Einbringung einer Klage ausgeübt, ändert auch die Klagsrücknahme nichts an der bindenden Wirkung der Wahl.115 Nach der Wahl ist ein Wechsel auf eine Leistungsalternative nur einvernehmlich möglich. Wenn die Parteien einvernehmlich von der getroffenen Wahl abgehen, so ist diese Rücknahme der Wahl im Zweifel so zu verstehen, dass das Wahlrecht wieder auflebt und dem Wahlberechtigten das Wahlrecht daher wieder uneingeschränkt offen steht.116 Bei wiederkehrenden Leistungen ist nach der Vertragsauslegung zu entscheiden, ob die einmal getroffene Wahl für die gesamte Dauer des Vertrages Bindungswirkung entfaltet oder ob die Wahl nur für eine bestimmte Leistungsperiode wirksam ist und danach eine neue Auswahlentscheidung getroffen werden soll. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die Wahl für die gesamte Vertragsdauer Wirkung und Bindung entfaltet.117 Hat der Arbeitgeber nach dem Kollektivvertrag die Wahl, dem Arbeitnehmer eine Unterkunft oder Übernachtungsgeld zu gewähren, so wird die Auslegung ergeben, dass das Wahlrecht für jeden neuen Arbeitsort erneut ausgeübt werden kann.118 Die Ausübung des Wahlrechts gestaltet die Rechtslage, indem die Leistungspflicht auf eine Erfüllungsvariante konkretisiert wird. Nach der Wahl ist nur mehr die gewählte Leistung geschuldet. Dies wirkt sich auch auf die Gefahrtragung aus: Ab dem Zeitpunkt der Wahl ist § 907, der dem Wahlberechtigten mehrere Wahlmöglichkeiten sichert, nicht mehr anwendbar. Stattdessen kommen hinsichtlich der gewählten Leistungsalternative (gewählte Gattung oder Spezies) die für diese Leistung geltenden Gefahrtragungsregeln zur Anwendung.119 In § 263 Abs 2 dBGB ist – anders als nach österreichischer Rechtslage – vorgesehen, dass die Wahl auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurückwirkt. Weil diese Rechtsfolge der Wahl für Fragen der Gefahrtragung nicht 112  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  906 Rz 4; Kerschner, in Jabornegg § 375 Rz 13; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373; Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 3; Nitsche, FS WilburgAssistenten 147 (151 f). 113  Kerschner in Jabornegg, HGB §  375 Rz 13; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 5; aA Binder in Schwimann3 IV §  906 Rz 3, der § 360 HGB anwendet; Nitsche, FS Wilburg-Assistenten 147 (151 f). 114  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 374; Ch. Rabl Gefahrtragung 360; Schauer in Kletečka/ Schauer ABGB-ON § 906 Rz 4. 115  OGH GlU 14837. 116  OGH 1 Ob 642/94; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 374. 117  OGH 14 Ob 211, 212/86, ZAS 1990/26; Gschnitzer in Klang2 IV/2, 374; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4; Gernhuber, Schuldverhältnis 266. 118  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4. 119  Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 15; Rabl, Gefahrtragung 359 ff; Schauer in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 9.

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sachgerecht ist, wird die Anordnung der Rückwirkung in Deutschland – auch unter Hinweis auf die abweichende Regel in § 265 dBGB – korrigierend ausgelegt.120 Das Wahlrecht kann auch durch schlüssiges Verhalten ausgeübt werden. 55 Entscheidend dafür, ob eine konkludente Ausübung des Wahlrechts vorliegt, ist, ob ein redlicher, verständiger Vertragspartner das Verhalten der wahlberechtigten Partei als Ausübung des Wahlrechts verstehen durfte.121 Erbringt der wahlberechtigte Schuldner auch nur teilweise eine der alternativ geschuldeten Leistungen, so liegt darin eine schlüssige Wahlrechtsausübung.122 Kann der wahlberechtigte Gläubiger zwischen zwei Zeiträumen der Leistungserbringung wählen, so ist im Verstreichenlassen eines möglichen Leistungszeitraums die konkludente Wahl der anderen Zeitspanne zu sehen.123 Nach manchen124 liegt eine konkludente Ausübung des Wahlrechts dann – analog zu § 1436 – nicht vor, wenn der Wahlberechtigte in Unkenntnis seines Wahlrechts eine der wahlweise geschuldeten Leistungen „als vermeintlich alternativenlos Geschuldete“125 erbringt. Nach anderen Autoren hindert dies die konkludente Ausübung nicht, weil es auf den Empfängerhorizont ankomme.126 ME ist die Frage nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgabe von Willenserklärungen ohne Erklärungsbewusstsein zu lösen: Konnte der Erklärungsempfänger das mangelnde Erklärungsbewusstsein nicht erkennen, so muss sich der Erklärende die Willenserklärung zurechnen lassen, außer ihn trifft kein Verschulden an der Abgabe der Erklärung. An einer Erklärungsfahrlässigkeit fehlt es, wenn der Erklärende nicht in der Lage war, die Abgabe der Erklärung zu erkennen und zu verhindern. Bei der Erbringung einer der wahlweise geschuldeten Leistungen fehlt es zumeist an einer Erkennungsmöglichkeit des Gläubigers, und dem Erklärenden, dem der Vertragsinhalt jedenfalls bekannt sein könnte, ist Erklärungsfahrlässigkeit anzulasten. Deshalb ist dem Wahlberechtigten die Wahl auch zuzurechnen, wenn er sich seines Wahlrechts nicht bewusst war. Ebenso liegt – umgekehrt – eine konkludente Ausübung des Wahlrechts vor, wenn der wahlberechtigte Gläubiger eine der wahlweise geschuldeten Leistungen fordert oder einklagt, auch wenn diesem das Wahlrecht nicht bewusst war. Eine Irrtumsanfechtung der Wahlrechtsausübung ist bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 871 ff möglich (vgl unten Rz 57). Anders zu beurteilen sind hingegen Fälle, in denen der Gläubiger wahlbe- 56 rechtigt ist, aber er dennoch vor der Wahl vorbehaltslos eine wahlweise ge120  Bittner in Staudinger, BGB (2009) § 263 BGB Rz 12 ff; Krüger in MüKoBGB5 § 263 Rz 7 und § 265 Rz 1. 121  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4; Rummel in Rummel3 I § 1436 Rz 1; so jetzt auch auch Honsell/Mader in Schwimann3 IV § 1436 Rz 1 und Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1436 Rz 2. 122  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 374 („beginnt mit der Erfüllung“); Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4; OGH 14 Ob 211, 212/86, ZAS 1990/26 (Schima) = DRdA 1990/6 (Löffler). 123  OGH 4 Ob 19/75, ZAS 1976, 141 (Hoyer). 124  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 374; so auch Gernhuber, Schuldverhältnis 268. 125  Gernhuber, Schuldverhältnis 268. 126  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4; Ehrenzweig, System II/12, 15; Mayrhofer, SchRAT3 36 (der auf die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung verweist). Auch Koziol/Welser13 II 30 verneint die Rückforderung der Leistung unter Hinweis darauf, dass diese Leistung geschuldet war.

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schuldete Leistung annimmt. Der OGH hatte einen solchen Fall zu beurteilen und sprach aus, dass keine konkludente Wahlrechtsausübung vorliege, wenn dem Gläubiger das Wahlrecht unbekannt gewesen sei oder ihm – wie in dem Entscheidungssachverhalt – nicht bewusst gewesen sei, dass die Leistung der Erfüllung der Wahlschuld dienen solle.127 Der Entscheidung ist mE zuzustimmen. Dieser Fall unterscheidet sich von den oben (Rz 55) erwähnten Konstellationen dadurch, dass in diesem Fall die falsche Partei, nämlich der nicht wahlberechtigte Schuldner wählt. Das Verhalten des Gläubigers könnte allenfalls als Genehmigung der unrechtmäßig erfolgten Wahl zu deuten sein, aber nicht als eigene Wahl. Es ist zu beachten, dass in diesen Fällen der unberechtigt wählende Schuldner nur dann von einer Genehmigung ausgehen darf, wenn er selbst weiß, dass er nicht zur Wahl berechtigt ist, und wenn das Verhalten der anderen Partei darauf schließen lässt, dass auch diese ihr Wahlrecht kennt. Konkludente Zustimmung könnte daher nur unter der – sehr engen – Voraussetzung vorliegen, dass das Verhalten des wahlberechtigten Gläubigers klar zu erkennen gibt, dass er weiß, dass das Wahlrecht bei ihm liegt, und er dennoch die Leistung als Erfüllung annimmt.128 Die Ausübung des Gestaltungsrechts kann wie die Abgabe einer Willens57 erklärung gem § 876 wegen Irrtums angefochten werden.129 Weil das Vertrauen des Erklärungsempfängers auf die erfolgte Wahl schutzwürdig ist, kann die Irrtumsanfechtung nur unter den Voraussetzungen der §§  871 ff geltend gemacht werden.130

IX. Verzug mit der Wahl 1. Wahlrecht des Schuldners 58

Hat der Schuldner das Wahlrecht, so behält er dieses auch im Verzug. Der Gläubiger kann nach allgemeinen Regeln (§§ 918 ff) auf Erfüllung bestehen oder unter Nachfristsetzung zurücktreten. Zu Klage und Vollstreckung unten XI. 2. Wahlrecht des Gläubigers (§ 906 Abs 2)

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Wenn nichts Näheres dazu bestimmt ist, zu welchem Zeitpunkt die Wahl erfolgen soll, kann der Gläubiger frei bestimmen, wann er sein Wahlrecht ausübt. Generell ist der Gläubiger nicht dazu verpflichtet, sein Wahlrecht auszuüben, außer eine Verpflichtung zur Wahl wäre vereinbart worden.131 Die Interessen des Schuldners werden durch eine unterlassene Wahl jedoch beeinträchtigt: Übt der Gläubiger sein Wahlrecht bis zur Fälligkeit nicht aus, so ist es dem 127 

OGH 1 Ob 553/76, EvBl 1977/15. Ähnlich zur Genehmigung ohne Erklärungsbewusstsein Singer in Staudinger, BGB (2004) Vorbem zu den § 116 ff Rz 45. 129  Mayrhofer, SchRAT3 36; Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4; Rummel in Rummel3 I § 876 Rz 1; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 976 Rz 1. 130  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 4; 131  Binder in Schwimann3 IV § 906 Rz 20; OGH 2 Ob 588/33, SZ 15/137. 128 

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Verzug mit der Wahl

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Schuldner zum Fälligkeitszeitpunkt nicht möglich, seine Leistung zu erbringen, weil nicht fest steht, welche Leistung als Erfüllung dienen soll. Der Gläubiger unterlässt somit die erforderliche Mitwirkung bei der Erfüllung, sodass nach allgemeinen Regeln Annahmeverzug vorläge.132 Die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs (§§  1419, 1425) vermögen den Schuldner in diesem Fall nicht ausreichend zu schützen. Denn – anders als bei einem „gewöhnlichen Annahmeverzug“ – muss der Schuldner seine Leistungsbereitschaft hinsichtlich verschiedener Erfüllungsalternativen aufrecht erhalten, weil ungewiss ist, welche Leistung er zu erbringen hat.133 Wenn die Gegenleistung unabhängig von der Wahl bereits bestimmt ist, 60 kann diese trotz unterlassener Wahl eingefordert werden.134 Wenn hingegen die (Höhe der) Gegenleistung von der Wahl abhängig ist, so kann diese mangels Bestimmtheit vor erfolgter Wahl nicht eingefordert werden.135 In diesen Fällen könnte der Gläubiger ohne die Rechtsbehelfe des § 906 Abs 2 durch Untätigkeit den wirksam geschlossenen Vertrag zu Fall bringen, indem er durch das Unterlassen der Wahl den Leistungsaustausch verhindert.136 Durch den Wahlverzug des Gläubigers wird die Rechtsposition des Schuldners ähnlich wie bei einem Zahlungsverzug beeinträchtigt, weil die Zahlung im vertraglich vorgesehenen Zeitpunkt unterbleibt, und der Schuldner zu diesem Zeitpunkt eigentlich mit Entgelt rechnen konnte.137 Daher eröffnet § 906 Abs 2 dem Schuldner im Wahlverzug des Gläubigers 61 zwei Handlungsoptionen: Er kann entweder – wie bei einem Schuldnerverzug – gem § 918 vom Vertrag unter Nachfristsetzung zurücktreten oder anstelle des Schuldners die Wahl vornehmen. Die Regelung entstammt § 375 HGB aF zum Spezifikationskauf. Sie gilt gem § 1063b auch weiterhin für den Spezifikationskauf. § 906 Abs 2 ist schon bei objektivem Verzug des Gläubigers mit der Wahlrechtsausübung anwendbar.138 Eine Klage auf Vornahme der Wahl scheidet aus, weil der Wahlberech- 62 tigte zur Vornahme der Wahl nicht verpflichtet ist. Selbst beim Spezifikationsverzug, bei dem eine solche Pflicht im Gesetz vorgesehen ist, verneint die hM eine solche Klage, weil kein schutzwürdiges Interesse an der Vornahme der Wahl durch den Gläubiger bestehe. Dies wurde früher aus prozessualen Erwägungen mit dem Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses begründet, während die Erfüllungsklage heute bereits nach materiellem Recht (Fehlen eines Interesses) abgelehnt wird.139 132  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 11; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 906 Rz 4; zu § 375 HGB zB Kerschner in Jabornegg § 375 Rz 16. 133  Rieble/Gutfried, DJZ 2008 593 (597). 134  OGH 1 Ob 164/59, HS 229/28; 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94; 6 Ob 126/74, SZ 47/128. 135  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 6; Eine alternative Klage auf verschieden hohe Gegenleistungen ist entgegen zwei älteren Entscheidungen (OGH 2 Ob 588/33, SZ 15/137 und 7 Ob 178/63, SZ 36/99) nicht zulässig. 136  Rieble/Gutfried, DJZ 2008, 593 (598). 137  E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 442 f. 138  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 11; so schon zuvor zum Spezifikationskauf Wünsch, GedS Gschnitzer 477 (486); E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 440 (442 FN 16). 139  Ausführlich E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 440 ff; so auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 375 f; Wünsch, GedS Gschnitzer 488 f; Nitsche in Assistenten-FS Wilburg 160; Apathy, JBl 1982, 569;

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§ 906

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a) Wahlrechtsübergang 63

Im Wahlverzug des Gläubigers kann der Schuldner anstelle des Gläu­ bigers die Wahl treffen. In diesem Fall hat er den Gläubiger von seiner Ersatzwahl zu verständigen und ihm zugleich eine angemessene Frist zur Vornahme einer anderen Wahl zu setzen. Der Gläubiger muss die Ersatzwahl nicht sofort nach Eintritt des Wahlverzugs des Schuldners vornehmen, sondern kann auch zuwarten.140 So wie der Gläubiger das Wahlrecht frei ausüben darf, steht es auch dem Schuldner, auf den dieses Recht übergeht, grundsätzlich frei, bei der Wahl seine eigenen Interessen zu verfolgen.141 Weil er ein Recht ausübt, das vertraglich dem Gläubiger eingeräumt war, ist er jedoch verpflichtet, ihm bekannte Interessen des Gläubigers zu berücksichtigen und darf keine offenbar unbrauchbare Wahl treffen.142 Nachforschungspflichten hinsichtlich der Interessen des in Verzug befindlichen Gläubigers treffen ihn jedoch nicht.143 Das Gesetz ordnet an, dass der Schuldner dem Gläubiger eine angemesse­ 64 ne Nachfrist setzen muss. Wie im unmittelbaren Anwendungsbereich der §§ 918 ff sollte es nur dann als ausreichend angesehen werden, anstelle einer ausdrücklichen Setzung der Nachfrist eine solche bloß tatsächlich zu gewähren, wenn der Gläubiger dem Verhalten des Schuldners entnehmen kann, dass eine Nachholung der verspäteten Handlung (hier der Wahl) noch akzeptiert wird.144 Konnte der Gläubiger hingegen nicht damit rechnen, dass eine Nachholmöglichkeit besteht, fehlt es an der erforderlichen Nachfristsetzung. Die Nachfrist muss nicht gleichzeitig mit der Ersatzwahl erfolgen; sie kann auch später gesetzt werden, wenn der Gläubiger bei der Nachfristsetzung ausdrücklich oder konkludent auf die Ersatzwahl Bezug nimmt.145 Weil innerhalb der Nachfrist nur eine Willenserklärung gesetzt werden muss, die – anders als die Erfüllung – keiner besonderen Vorbereitungen bedarf, reichen mE als angemessene Frist wenige Tage. Wird die Nachfrist zu kurz bemessen, so kann die Wahl dennoch innerhalb angemessener Frist nachgeholt werKerschner in Jabornegg § 375 Rz 22; Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§ 373 ff Rz 51; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 906 Rz 9; OGH 5 Ob 650/82, HS 12.242. 140  OGH 1 Ob 269/53, JBl 1953, 656; 6 Ob 173/58, SZ 31/113; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 11; zum alten § 375 HGB Kramer/Martini in Straube, UGB4 § 375 Rz 49. 141  E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 447 f; Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§  373 ff Rz 48; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 11. 142  E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 447 f; Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§  373 ff Rz 48; etwas großzügiger Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 11, nach dem diese Einschränkungen bloß Ausdruck der allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke sind; noch weitgehender Nitsche, FS Wilburg Assistenten 147 (152 f) und Wünsch, GedS Gschnitzer 477 (487) (ohne Beschränkung, weil der Verkäufer bei Übergang des Spezifikationskaufs ein eigenes Recht geltend mache). 143  So zu § 375 HGB E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 447 f; 144  So die jüngere Jud 1 Ob 203/98d, JBl 1999, 527; 9 Ob 35/07y, bbl 2008, 157; in diesem Sinn auch Reischauer in Rummel3 I § 918 Rz 13 und 15; Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 918 Rz 34. 145  Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§ 373 ff Rz 48; Wünsch in GedS Gschnitzer 487 f; aA Kerschner in Jabornegg § 375 Rz 27.

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Verzug mit der Wahl

§ 906

den.146 Verweigert der Gläubiger endgültig die Wahl, so kann die Nachfristsetzung entfallen. Der Verweis in § 906 Abs 2 S 1 auf § 919 berücksichtigt jene Fälle, in denen nach dem Vertrag eine verspätete Wahl nicht möglich oder unerwünscht ist und die Wahl somit „fix“ vereinbart wurde.147 In diesen Fällen zerfällt im Wahlverzug der Vertrag; entsprechend den allgemeinen Grundsätzen bei Fixgeschäften bleibt der Vertrag jedoch aufrecht, wenn der Schuldner trotz der verspäteten, fix vereinbarten Wahl ein Interesse an der Abwicklung des Vertrages hat. In diesem Fall kann er die Aufhebung des Vertrages verhindern, indem er anstelle des Gläubigers die Wahl vornimmt.148 Macht der Gläubiger innerhalb der Frist von seinem Wahlrecht keinen Ge- 65 brauch, erwächst die Ersatzwahl in volle Wirksamkeit. Wählt er hingegen, so ist die ersatzweise Wahl des Schuldners hinfällig und die Wahl des Gläubigers wirksam. Dadurch konkretisiert sich das Rechtsverhältnis auf die gewählte Sache (siehe oben Rz 53) und die Besonderheiten der Wahlschuld sind in diesem Zeitpunkt nicht mehr anwendbar. War die Gegenleistung von der Wahl abhängig (vgl oben Rz 8), so steht die Höhe der Gegenleistung mit der (Ersatz)Wahl fest. Der letzte Satz des § 906 Abs 2 stellt klar, dass dem Schuldner auch ein 66 Schadenersatzanspruch zustehen kann. Bei Verzug mit der Wahl können dem Schuldner Verzugsschäden entstehen, zB durch die Verteuerung der Herstellungskosten.149 Auch wenn die Nichtvornahme der Wahl oder die verspätete Wahl nicht rechtswidrig ist, weil keine Verpflichtung zur Ausübung des Wahlrechts besteht, ordnet § 906 Abs 2 letzter Satz an, dass ein Schadenersatzanspruch zusteht. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die verspätete Wahl schuldhaft erfolgt ist. b) Rücktritt § 906 Abs 2 eröffnet dem Schuldner im Wahlverzug des Gläubigers auch 67 das Recht, in sinngemäßer Anwendung der §§  918 ff zurückzutreten. §  906 Abs 2 gestattet dem Gläubiger somit, den Annahmeverzug wie einen Schuldnerverzug zu behandeln.150 Die ratio dafür, dass dem Schuldner im bloßen Annahmeverzug ein Rück- 68 trittsrecht zusteht, ist darin zu sehen, dass der Gläubiger im Wahlverzug häufig seine eigene vertragliche Verpflichtung nicht erfüllen wird.151 Das Rücktrittsrecht ermöglicht es dem Schuldner, sich schneller von dem Vertrag zu lösen als bei einer Ersatzwahl, bei der er bis zur Vertragsauflösung zwei Mal (ein Mal 146  Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§ 373 ff Rz 52; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 12. 147  Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§ 373 ff Rz 52; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 12. 148  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 12; Kramer/Martini in Straube, UGB4 Vorbem §§ 373 ff Rz 53. 149  Rieble/Gutfried, DJZ 2008, 593 (601). 150  Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 906 Rz 5; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 12. 151  Apathy, JBl 1982, 570; E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 442 f; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 906 Rz 5; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 906 Rz 11.

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bei der Ersatzwahl und danach ein zweites Mal bei Unterbleiben der Gegenleistung) eine Nachfrist setzen muss.152 Aufgrund dieser ratio steht das Rücktrittsrecht nur bei Austauschverhältnissen zu (siehe oben Rz 13).153 Voraussetzung für den Rücktritt ist das Setzen einer Nachfrist. Wie beim 69 Schuldnerverzug ist strittig, ob auch das bloße Gewähren einer Frist – ohne Setzen einer Frist – ausreichend ist. Richtigerweise ist darauf abzustellen, ob die andere Vertragspartei damit rechnen konnte, dass die verspätete Erfüllung noch möglich ist.154 Der Verweis auf § 919 berücksichtigt jene Fälle, in denen ein Fixgeschäft vorliegt.155 Die Nachfristsetzung kann auch entfallen, wenn der Gläubiger die Abnahme verweigert.156 c) Schadenersatz 70

Der letzte Satz des § 906 Abs 2 stellt klar, dass dem Schuldner auch ein Schadenersatzanspruch zustehen kann. Dies ergibt sich nicht von selbst, weil keine Verpflichtung zur Vornahme der Wahl besteht und der bloße Annahmeverzug nicht rechtswidrig ist. Aus der ausdrücklichen Anordnung der Schadenersatzpflicht ist jedoch zu folgern, dass ein solcher für den Verspätungsschaden (bei Übergang des Wahlrechts) oder für den Nichterfüllungsschaden (bei Rücktritt) zustehen soll und daher auch insofern der Gläubigerverzug wie ein Schuldnerverzug zu werten ist. Entsprechend allgemeinen Grundsätzen setzt der Schadenersatzanspruch Verschulden voraus.

X. Rückforderung erbrachter Leistungen 71

Gem §  1436 kann der wahlberechtigte Schuldner, der irrtümlich beide Leistungen erbracht hat, nach seiner Wahl eine der beiden Leistungen zurückfordern. Der wahlberechtigte Schuldner behält somit sein Wahlrecht auch bei der Rückforderung.157 § 1436 ist jedoch nur bei gleichzeitiger Erbringung mehrerer wahlweise 72 geschuldeten Leistungen anwendbar. Denn wenn die Leistungen nacheinander erbracht werden, so stellt der erste Erfüllungsakt die schlüssige Ausübung des Wahlrechts dar (siehe oben Rz 55).

152  Apathy, JBl 1982, 570; E. Bydlinski, ÖJZ 1990, 442 f; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 906 Rz 5. 153  Reischauer in Rummel3 I § 906 Rz 1. 154  So die jüngere Jud OGH 1 Ob 203/98d, JBl 1999, 527; 9 Ob 35/07y, bbl 2008, 157; in diesem Sinn auch Reischauer in Rummel3 I § 918 Rz 13 und 15; Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 918 Rz 34. 155  Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB §  906 Rz  5; Kramer/Martini in Straube, UGB4 vor § 373 Rz 53; Wünsch, GedS Gschnitzer 491. 156  OGH 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94; Kramer/Martini in Straube, UGB4 vor § 373 Rz 52; Wünsch, GedS Gschnitzer 477 490; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 906 Rz 5. 157  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 373.

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Klage und Vollstreckung

§ 906

XI. Klage und Vollstreckung Steht das Wahlrecht dem Gläubiger zu, so muss dieser sein Wahlrecht 73 spätestens in der Klage ausüben.158 Andernfalls fehlt der Klage die gem § 226 ZPO erforderliche Bestimmtheit.159 Ein Urteil kann somit nicht auf alternative Leistung nach Wahl des Gläubigers lauten. Jedoch kann es das Ergebnis eines gerichtlichen Vergleiches oder Notariatsaktes sein, dass ein Exekutionstitel verschiedene Erfüllungsvarianten nach Wahl des Gläubigers vorsieht.160 Enthält ein Exekutionstitel ein solches Wahlrecht, so hat der Gläubiger sein Wahlrecht vor der Exekution auszuüben, weil erst mit Ausübung der Wahl die für die Exekution erforderliche Fälligkeit eintritt.161 In dem Exekutionsantrag auf Hereinbringung der gewählten Leistung ist ein Sachverhaltsvorbringen über die Verständigung des Verpflichteten von der getroffenen Wahl vorzubringen.162 Ist der Schuldner wahlberechtigt und hat er bereits gewählt, so ist die 74 Klage auf die gewählte Leistung zu richten.163 Hat der Schuldner noch nicht gewählt, so ist die Klage des Gläubigers auf alternative Erfüllung der in Betracht kommenden Erfüllungsalternativen zu richten.164 Nach der Jud ist es aber auch ausreichend, wenn die Klage nur auf eine der Erfüllungsmöglichkeiten gerichtet ist, aber eine Ersetzungsbefugnis zugunsten des Schuldners enthält, weil diese Formulierung zwar der materiellen Rechtslage nicht entspricht, aber der Schuldner dadurch nicht beschwert sein könne.165 Wenn weder eine Ersetzungsbefugnis noch ein Wahlrecht im Klagebegehren vorgesehen ist, so ist die Klage abzuweisen.166 Enthält der Exekutionstitel eine Ersetzungsbefugnis zugunsten des Schuld- 75 ners (des Verpflichteten), so ist nur auf die geschuldete (Haupt)Leistung Exekution zu führen, wobei sich der Schuldner auch durch Erbringung der Ersatzleistung befreien kann.167 Wurde die Klage jedoch auf alle Erfüllungsalternativen gerichtet, so ist die Vollstreckung in § 12 EO geregelt. Der Schuldner behält sein Wahlrecht nicht nur im Verzug sondern auch in der Exekution bis zur vollen oder teilweisen Befriedigung des Gläubigers. Zwar geht gem § 12 EO das Wahlrecht vorläufig auf den Gläubiger über. Der Gläubiger muss gem § 12 EO eine Wahl treffen und kann die alternativ geschuldeten Leistungen nicht eventualiter betreiben.168 Jedoch ist diese Wahl weder für den Verpflichteten 158  OGH 1 Ob 363/33, SZ 15/119; 8 Ob 527/87; 4 Ob 619/88, EvBl 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher); 3 Ob 131/01p. 159  OGH 1 Ob 363/33, SZ 15/119; 4 Ob 619/88, EvBl 1989/84 = ÖBA 1989/162 (Schuhmacher). 160  Meinhart in Burgstaller/Deixler-Hübner § 12 EO Rz 11. 161  Meinhart in Burgstaller/Deixler-Hübner § 12 EO Rz 20. 162  Jakusch in Angst, EO2 § 12 Rz 6. 163  Meinhart in Burgstaller/Deixler-Hübner § 12 EO Rz 7. 164  OGH 7 Ob 178/63, SZ 36/99; 5 Ob 142/72, EvBl 1973/50, 128; 3 Ob 509/94, NZ 1995, 34. 165  OGH 5 Ob 152/72, EvBl 1973/50; 5 Ob 532/89, RZ 1990/46; 2 Ob 62/04p, SZ 2006/25; 3 Ob 509/94, NZ 1995, 34. 166  OGH 5 Ob 532/89, RZ 1990/46; 2 Ob 62/04p, SZ 2006/25. 167  Meinhart in Burgstaller/Deixler-Hübner § 12 EO Rz 12. 168  Jakusch in Angst, EO2 § 12 Rz 2; OGH 3 Ob 7/76, SZ 49/22.

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§ 907

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noch für die betreibenden Gläubiger endgültig verbindlich: Der Verpflichtete kann sich auch durch Erbringung einer anderen, geschuldeten Leistung von der Verpflichtung befreien. Der Schuldner kann somit auch noch im Exekutionsverfahren wählen, wobei er das Wahlrecht nur ausüben kann, indem er die gewählte Leistung auch tatsächlich erbringt (vgl § 39 Abs 1 Z 7 EO).169 Die vom Gläubiger vorgenommene vorläufige Wahl ist für den Verpflichteten nicht endgültig bindend; wenn die Leistung noch nicht gänzlich oder teilweise erbracht wurde, kann er die Einstellung der Exekution beantragen und eine neue Exekution beantragen.170

§  907. Wird ein Vertrag ausdrücklich mit Vorbehalt der Wahl ge­ schlossen, und dieselbe durch zufälligen Untergang eines oder mehrerer Wahlstücke vereitelt; so ist der Teil, dem die Wahl zusteht, an den Vertrag nicht gebunden. Unterläuft aber ein Verschulden des Verpflichteten; so muß er dem Berechtigten für die Vereitlung der Wahl haften. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Pescatore, Wahlschuldverhältnisse (1905); Ziegler, Die Wertlosigkeit der allgemeinen Regeln des BGB über die sog. Wahlschuld (§§ 262–265 BGB), AcP 171 (1971) 193; Ch. Rabl, Die Gefahrtragung beim Kauf (2002).

Übersicht I. Allgemeines II. Zufällige Unmöglichkeit III. Erfasste Wahlschulden IV. Auflösung des Vertrages V. Anfängliche Unmöglichkeit VI. Unmöglichkeit nach Ausübung des Wahlrechts VII. Schuldhafte Wahlvereitelung 1. des Schuldners bei Schuldnerwahlrecht 2. des Gläubigers bei Schuldnerwahlrecht 3. des Gläubigers bei Gläubigerwahlrecht 4. des Schuldners bei Gläubigerwahlrecht

1–2 3–4 5–9 10–12 13–14 15 16–19 16 17 18 19

I. Allgemeines 1

§  907 enthält eine Sonderregelung für die teilweise nachträgliche Un­ möglichkeit bei Wahlschulden. § 907 regelt den Fall, dass bei der Wahlschuld eine oder mehrere Erfüllungsalternativen zufällig nachträglich unmöglich werden. 169  170 

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Jakusch in Angst, EO2 § 12 Rz 1; Meinhart in Burgstaller/Deixler-Hübner § 12 EO Rz 26. Jakusch in Angst, EO2 § 12 Rz 2.

Erfasste Wahlschulden

§ 907

§ 907 dient dem Schutz der zur Wahl berechtigten Partei in der Phase 2 vor der Ausübung des Wahlrechts, in der sie frei entscheiden kann, welche Erfüllungsalternative erbracht werden soll. Weil die Auswahl beschränkt wird, wenn eine Erfüllungsalternative zufällig unmöglich wird, bestimmt § 907, dass die wahlberechtigte Partei in diesem Fall nicht mehr an den Vertrag gebunden ist. Die Bestimmung schützt die wahlberechtigte Partei, die vielleicht gerade das untergegangene Stück gewählt hätte.1

II. Zufällige Unmöglichkeit Zufällig ist ein Untergang, den keine der Vertragsparteien zu vertreten hat. 3 Zufällige Unmöglichkeit einer Erfüllungsalternative, die in der Lieferung einer Spezies besteht, liegt vor, wenn die Speziessache zufällig untergeht. Liegt eine Erfüllungsalternative in der Erbringung einer Gattungsschuld, so liegt Unmöglichkeit erst vor, wenn die gesamte Gattung untergegangen ist.2 Die Regelung ist analog auf die nachträgliche, zufällige Verschlechterung 4 von Wahlstücken anzuwenden, weil auch in diesem Fall die Wahl dadurch beschränkt wird, dass die mangelfreie Leistung des verschlechterten Wahlstückes nicht mehr möglich ist.3

III. Erfasste Wahlschulden Der Schutz, den § 907 der wahlberechtigten Partei gewährt, ist nicht im- 5 mer sachgerecht: Ist eine Partei berechtigt, zwischen verschiedenen Erfüllungsvarianten zu wählen, so kann es dieser Partei – nach dem zufälligen Untergang eines Wahlstücks – durchaus zumutbar sein, das verbleibende Leistungsobjekt als Erfüllung annehmen bzw leisten zu müssen. Diese Lösung entspricht auch der Rechtslage bei Gattungsschulden, nach der – vor Individualisierung eines zu leistenden Stückes – bei Untergang eines Teiles der Gattung die Verpflichtung aufrecht bleibt und ein verbleibendes Stück der Gattung zu leisten ist. Die Wahlschuld unterscheidet sich von der Gattungsschuld jedoch dadurch, dass bei einer Wahlschuld die wahlberechtigte Partei ein besonderes Interesse an der Auswahlmöglichkeit hat (siehe § 906 VI.1.). Dieses Interesse kann allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt sein: Die hM reduziert die Anordnung des § 907 auf so genannte „reine Wahl­ 6 schulden“, bei denen es dem Wahlberechtigten gerade auf die Wahl angekommen ist und dieser daher nur unter der Bedingung der Wahl an den Vertrag gebunden sein wollte.4 Diese Bedingung muss entgegen dem Wortlaut des § 907 nicht ausdrücklich vereinbart werden, sondern kann sich auch schlüssig aus der Vereinbarung ergeben.5 Dies kann durch folgendes Beispiel illustriert Zeiller, Commentar III/1, 95. Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 1. 3  Zeiller, Commentar III/1, 95; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 378; Ch. Rabl, Gefahrtragung 359; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 1; Binder in Schwimann3 IV § 907 Rz 1. 4  ZB Gschnitzer in Klang2 IV/1, 377 f; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 207 f; Ehrenzweig, System II/12, 12 ff; Mayrhofer, SchRAT3 37; Ch. Rabl, Gefahrtragung 350 ff. 5  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 377 f; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 2. 1  2 

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§ 907

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werden: Sieht ein Bibliothekar in einer antiquarischen Buchhandlung zwei Bände eines mehrbändigen Sammelwerkes, von denen er einen schon lange sucht, aber kann er sich nicht erinnern, welcher der beiden Bände es ist, und kauft er dann alternativ nach seiner Wahl eines der beiden Bücher, so ist ihm im Falle des zufälligen Untergangs des gesuchten Buches nicht damit gedient, nun das andere Buch zu erhalten, das ohnehin bereits in seiner Bibliothek vorhanden ist.6 Führt die (ergänzende) Vertragsauslegung zu dem Ergebnis, dass die wahlberechtigte Partei dem Vertrag nur unter der Bedingung der Einräumung eines Wahlrechts zugestimmt hat, so versteht sich die Anordnung des § 907 von selbst, weil bei Entfall der Wahl die Bedingung nicht erfüllt ist.7 Liegt eine reine Wahlschuld vor und wird die Wahl durch den zufälligen 7 Untergang auf eine geringere Anzahl von Erfüllungsalternativen einge­ schränkt, aber verbleiben dennoch mehrere Erfüllungsalternativen zur Wahl, so ist durch Vertragsauslegung zu klären, ob die Bedingung dadurch eingetreten ist oder nicht.8 Dabei wird insbesondere zu berücksichtigen sein, welchem Interesse die Wahl dienen sollte. Liegt keine reine Wahlschuld vor (so genannte „unbedingte Wahl­ 8 schuld“), weil die Wahlberechtigung nicht der Sicherung der Auswahlwahlmöglichkeit sondern anderen Zwecken dienen soll, wie etwa der Absicherung der Erbringbarkeit der Leistung, so ist § 907 bei zufälligem Untergang eines Wahlstückes nicht anzuwenden. Die Wahl beschränkt sich in diesem Fall auf die verbleibenden Erfüllungsalternativen. Die unbedingte Wahlschuld steht somit der Gattungsschuld hinsichtlich der Rechtsfolgen bei zufälliger Teilunmöglichkeit der Leistung gleich, die ebenso erfüllbar bleibt, wenn nicht die gesamte Gattung untergegangen ist. Ob eine unbedingte Wahlschuld oder eine reine Wahlschuld vorliegt, ist durch Auslegung des konkreten Vertrages unter Berücksichtigung von Natur und Zweck des Vertrages und der Verkehrssitte zu beurteilen.9 Gehen alle Wahlstücke zufällig unter, so liegt kein Fall des § 907 vor. 9 Die Erfüllung des Schuldverhältnisses ist vollständig unmöglich geworden. Die Rechtsfolgen regelt § 1447, der den Zerfall des Vertrages anordnet.10

IV. Auflösung des Vertrages 10

§ 907 dient ausschließlich dem Schutz der zur Wahl berechtigten Vertragspartei und gestattet dieser, sich von dem Vertrag zu lösen. Der Vertrag erlischt nicht ipso iure.11 Die andere Vertragspartei bleibt an den Vertrag gebunden.12 Der wahlberechtigten Partei steht es auch frei, an dem Vertrag festhalten. Das 6  Dieses Beispiel ist − leicht verändert − entnommen aus: Ziegler, AcP (171) 1971, 193 (211). 7  Pescatore, Wahlschuldverhältnisse 96. 8  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 378. 9  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 378. 10  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 378. 11  ZB Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 5; Ehrenzweig, System II/12, 16; OGH 3 Ob 47/60, JBl 1960, 609. 12  Zeiller, Commentar III/1, 95; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 379.

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Anfängliche Unmöglichkeit

§ 907

Recht des Wahlberechtigten, zwischen Erfüllung und Auflösung des Vertrages zu wählen, ist ein Gestaltungsrecht.13 Hätte der Wahlberechtigte zB ohnehin ein Stück gewählt, das nicht untergegangen ist, so wird er zumeist an dem Vertrag festhalten. Auch der Wortlaut der Bestimmung („ist nicht gebunden“) spricht dafür, dass der Wahlberechtigte sich zwar von dem Vertrag lösen kann, aber sich nicht von dem Vertrag lösen muss. Wird der Vertrag aufgehoben, so sind die empfangenen Leistungen gem 11 § 1435 zurückzustellen.14 Das stellvertretende commodum, das an die Stelle einer Erfüllungsalternative getreten ist, kann verlangt, aber dem Partner nicht gegen dessen Willen aufgedrängt werden.15 Bevor der Wahlberechtigte entscheidet, ob er an den Vertrag gebunden sein 12 möchte, besteht ein „Schwebezustand“ bezüglich des Schicksals des Vertrages.16 Das Gesetz regelt nicht, wie dieser Schwebezustand beendet wird. Binder vertritt, dass der Vertrag ipso iure aufgelöst wird, wenn der Wahlberechtigte nicht analog § 919 unverzüglich bekannt gibt, dass er an dem Vertrag festhalten möchte.17 Dies widerspricht mE den Interessen des Wahlberechtigten. § 919 regelt das relative Fixgeschäft und somit eine Konstellation, in der nach der vertraglichen Vereinbarung eine spätere Erfüllung nicht gewollt ist. Geht hingegen ein Wahlstück zufällig unter, so wird es ebenso oft der Fall sein, dass der Wahlberechtigte das verbleibende Stück gewählt hätte, wie dass seine Wahl auf das untergegangene Stück gefallen wäre. Im Übrigen kann auch dann, wenn der Wahlberechtigte ein anderes Stück gewählt hätte, er dennoch – als „zweitbeste Variante“ für ihn – ein Interesse an einem Vertrag über das verbleibende Stück haben. Dem Wahlberechtigten wird auch oft nicht bewusst sein, dass er die Fortsetzung des Schuldverhältnisses unverzüglich bekannt geben muss. Nach Schauer steht der wahlberechtigten Partei derselbe Zeitraum für die Entscheidung zwischen der Aufrechterhaltung des Vertrages und dem Rücktritt zur Verfügung, der ihr ohne die Unmöglichkeit für die Ausübung des Wahlrechts zugestanden hätte.18 Dies ist mE zutreffend. Die andere Vertragspartei hat jedoch mE auch die Möglichkeit, der wahlberechtigten Partei eine angemessene Frist zu setzen, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt endet. Auch wenn der Wahlberechtigte für die Wahl einen längeren Zeitraum zur Verfügung hatte, besteht ein berechtigtes Interesse der anderen Vertragspartei, bereits zuvor zu erfahren, ob der Vertrag aufrecht bleibt.19

V. Anfängliche Unmöglichkeit Die anfängliche Unmöglichkeit einer Erfüllungsalternative wird von § 907 13 nicht geregelt. Ist der zur Wahl berechtigten Partei das Leistungshindernis ohne Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 6. Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 8. 15  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 8; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 379. 16  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 5; Ehrenzweig, System II/12, 16. 17  Binder in Schwimann3 IV § 907 Rz 1. 18  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 6. 19  Für eine Fristsetzung auch Reischauer in Rummel3 I § 907 Rz 2, der vertritt, dass der Gläubiger bei Wahlrecht des Schuldners in diesem Fall unter Fristsetzung wie bei § 918 zurücktreten kann. 13  14 

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ihr Verschulden unbekannt, so entspricht die Interessenlage der Parteien jener bei nachträglicher Unmöglichkeit; die wahlberechtigte Partei kann entscheiden, ob sie an dem Vertrag fest hält. § 907 ist daher mE analog auf die unverschuldete anfängliche Unmöglichkeit einer Erfüllungsalternative anzuwenden.20 Hingegen vertritt Gschnitzer, dass in diesem Fall § 878 einschlägig ist.21 14 Nach Gschnitzer führe dies ohnedies meist zum selben Ergebnis wie die Anwendung des § 907. Nach Binder ist gem §  878 Satz 2 zu entscheiden, ob teilweise oder vollständige Nichtigkeit anzunehmen ist. ME ist die Anwendung von § 907 vorzuziehen. § 878 erfasst nach heute hM nur jene Fälle, in denen die Erfüllung bei Vertragsschluss rechtlich unmöglich oder faktisch absurd ist. Die schlichte Unmöglichkeit, zu der auch die Existenz des Leistungsgegenstands gehört, wird hingegen von § 878 nicht erfasst. Der Vertrag bliebe daher bei Anwendung des § 878 aufrecht. Liegt ein zufälliger Untergang vor und war dieser den Parteien ohne ihr Verschulden unbekannt, so trifft sie keine Schadenersatzpflicht. Die spezifisch bei Wahlschulden auftretenden Fragen vermag § 878 jedoch nicht zu beantworten.

VI. Unmöglichkeit nach Ausübung des Wahlrechts 15

Nach Ausübung des Wahlrechts ist nur mehr die gewählte Erfüllungsalternative geschuldet. Die Gefahrtragung weist bei einem Untergang nach erfolgter Wahl keine Besonderheiten auf, sondern bestimmt sich nach allgemeinen Regeln. Nach Reischauer soll dies auch in jenen Fällen gelten, in denen die Wahlerklärung zwar noch nicht zugegangen ist, aber bereits abgegeben wurde, sowie in jenen Fällen, in denen der Wahlberechtigte nachweisen kann, welche Wahl er getroffen hätte.22

VII. Schuldhafte Wahlvereitelung 1. des Schuldners bei Schuldnerwahlrecht 16

Verschuldet der Schuldner das Unmöglichwerden einer Leistungsalternative, so bleibt er an den Vertrag gebunden. Richtigerweise verliert der Schuldner dadurch nicht sein Wahlrecht: Der Schuldner kann entweder die unmöglich gewordene Erfüllungsvariante oder eine Alternative wählen.23 Entscheidet er sich für Zweiteres, so entsteht dem Gläubiger kein Schaden.24 Wählt der Schuldner den untergegangenen Leistungsgegenstand, so hat er dem Gläubiger Schadenersatz gem §§ 920 f (Austausch- oder Differenzanspruch) zu leisten.25 20  So auch Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 3; aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 378; Binder in Schwimann3 IV § 907 Rz 1. 21  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 378. 22  Reischauer in Rummel3 I § 907 Rz 2 und 4. 23  Schauer in ABGB-ON § 907 ABGB; aA Reischauer in Rummel3 I § 907 Rz 2. 24  Reischauer in Rummel3 I § 907 Rz 2. 25  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 9.

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Allgemeines

§ 908

2. des Gläubigers bei Schuldnerwahlrecht Ein Größenschluss zu § 907 ergibt, dass dem wahlberechtigten Schuldner 17 das Lösungsrecht des § 907 auch zusteht, wenn der Gläubiger die Unmöglichkeit verschuldet hat.26 Er kann wählen, ob er an dem Vertrag festhalten oder ob er nicht mehr gebunden sein möchte. Der Gläubiger haftet in beiden Fällen für den Schaden, der durch die Unmöglichkeit verursacht wurde. 3. des Gläubigers bei Gläubigerwahlrecht Der wahlberechtigte Gläubiger bleibt auch dann an den Vertrag gebunden, 18 wenn er die Teilunmöglichkeit verschuldet hat.27 Entsprechend seinem Wahlrecht kann er eine Erfüllungsalternative wählen. Wählt er das untergegangene Stück, so hat er die Gegenleistung trotz des Untergangs zu erbringen. Wählt er eine andere Erfüllungsalternative, so trifft ihn eine Schadenersatzpflicht für den Schaden, den der Schuldner durch den Untergang erlitten hat. 4. des Schuldners bei Gläubigerwahlrecht Aus einem Größenschluss zu § 907 ergibt sich, dass der wahlberechtigte 19 Gläubiger bei schuldhafter Wahlvereitelung des Schuldners gem §  907 zwischen dem Rücktritt und der Aufrechterhaltung des Vertrages wählen kann.28 Wählt er die Erfüllung durch das untergegangene Stück, so steht ihm gem §§ 920 f ein Differenz- oder Austauschanspruch zu. Wählt er eine mögliche Erfüllungsalternative, so kann ihm dennoch ein Schadenersatzanspruch zustehen, wenn die Erfüllung durch das untergegangene Stück für ihn günstiger gewesen wäre.29

4) Angeld; § 908. Was bei Abschließung eines Vertrages voraus gegeben wird, ist, außer dem Falle einer besondern Verabredung, nur als ein Zeichen der Abschließung, oder als eine Sicherstellung für die Erfüllung des Vertrages zu betrachten, und heißt Angeld. Wird der Vertrag durch Schuld einer Partei nicht erfüllt; so kann die schuldlose Partei das von ihr empfangene Angeld behalten, oder den doppelten Betrag des von ihr gegebenen Angel­ des zurückfordern. Will sie sich aber damit nicht begnügen, so kann sie Gschnitzer in Klang2 IV/1, 379 f. In dem der Entscheidung OGH 3 Ob 47/60, JBl 1960, 609 zugrunde liegenden Sachverhalt wird eine Erfüllungsalternative im Wahlverzug des wahlberechtigten Gläubigers zufällig unmöglich, nachdem die vom Schuldner für die Vornahme der Wahl gesetzte Nachfrist bereits ungenützt verstrichen war. Der OGH wandte in diesem Fall zu Unrecht § 907 an. Vielmehr kann der Schuldner die Rechte des § 906 Abs 2 geltend machen (vgl bereits Gschnitzer, Glosse zu 3 Ob 47/60, JBl 1960, 611). 28  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 379 f. 29  Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 907 Rz 9. 26  27 

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auf die Erfüllung; oder, wenn diese nicht mehr möglich ist, auf den Ersatz dringen. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Gschnitzer, § 908 und §§ 918 ff ABGB, JBl 1933, 97; Hackl, Tendenzen im Allgemeinen Vertragsrecht, ÖJZ 1980, 645; Lehofer/Mayer, Anforderungen an eine KSchG-Novelle – Anregungen aus der Praxis, in Konsumentenpolitisches Jahrbuch 1988-1989 (1989) 111; Fromherz, Kommentar zum MaklerG (1997); Kepplinger, Das Synallagma in der Insolvenz (2000); Arlt, Angeld und Anzahlung – eine Kurzdarstellung, FJ 2008, 45.

Übersicht I. II. III. IV.

Funktionen Praktische Bedeutung Begriff des Angelds Voraussetzungen der Wirksamkeit 1. Angeldabrede 2. Gültiger Vertrag 3. Zulässigkeit V. Rechtsfolgen 1. Das Angeld bei Erfüllung des Vertrages 2. Angeld bei schuldhafter Nichterfüllung a) Nichterfüllung b) Verschulden c) Handlungsalternativen bei schuldhafter Nichterfüllung d) Nachfristsetzung erforderlich? 3. Ausübung von Rücktritts- oder Anfechtungsrechten 4. Nicht-Abwicklung des Vertrages ohne Angeldverfall 5. Rücktritt gem § 21 IO VI. Mäßigungsrecht VII. Abgrenzungen 1. Anzahlung 2. Konventionalstrafe 3. Reugeld 4. Option 5. Kaution

1–7 8–9 10–12 13–24 13–19 20–22 23–24 25–46 26 27–40 29–31 32 33–37 38–40 41–43 44–45 46 47–48 49–56 49 50–52 53–54 55 56

I. Funktionen 1

Die Zahlung eines Angelds bei Vertragsabschluss war zur Zeit des Inkrafttretens des ABGB häufig.1 In vielen Rechtsordnungen war früher eine Leistung bei Vertragsabschluss als „Seriositätsindiz“ üblich (Handgeld, Draufgeld, arrha etc).2 In neueren Kodifikationen ist eine solche Leistung nicht vorgesehen, weshalb auch der DCFR kein solches Rechtsinstitut enthält. Zeiller, Commentar III/1, 96. Gottwald in MüKoBGB5 § 336 Rz 1; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 538 f; Ehrenzweig, System II/12, 185; Mayrhofer, SchRAT3 206. 1  2 

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Funktionen

§ 908

Das Angeld erfüllt nach dem Gesetz zwei Funktionen: Es hat Beweisfunktion (§ 908 S 1: „als Zeichen des Abschlusses“) und dient der Verstärkung der vertraglichen Pflichten. Wird das Angeld erst nach Vertragsabschluss gegeben und dient dann bloß der Sicherung der Vertragserfüllung, so steht dies der Charakterisierung als Angeld nicht im Wege. Es ist nicht erforderlich, dass durch das Angeld beide Ziele verfolgt werden.3 Die Beweisfunktion ist in den Hintergrund getreten, weil nunmehr als Beweismittel bei Verträgen meist die Schriftlichkeit dient.4 Die Leistung des Angelds erleichtert nur insofern den Beweis, dass eine vertragliche Einigung erzielt wurde, als sie Ausdruck des endgültigen Bindungswillens der Parteien ist (siehe näher IV.1.). In den seltenen Fällen (vgl näher unten II.), in denen heute ein Angeld geleistet wird, verfolgen die Parteien dadurch vorrangig den Zweck, die vertrag­ liche Bindung zu verstärken. Das Angeld sichert die Erfüllung auf zweierlei Weise: Erstens steht bei schuldhafter Nichterfüllung dem schuldlosen Teil eine Summe in Höhe des Angelds zu. Zweitens wird das Angeld von einer Vertragspartei bereits geleistet, sodass der Angeldempfänger das Angeld bei schuldhafter Nichterfüllung nicht geltend machen muss, sondern schlicht einbehalten kann. Weil das Angeld im Voraus bezahlt wird, dient es somit auch als Sicherstellung.5 Weil das Angeld ebenso wie die Vertragsstrafe bei vertragwidrigem Verhalten unabhängig von einem Schadensnachweis zu leisten ist und der Schadenspauschalierung dient, ist es der Vertragsstrafe eng verwandt. Nach Gschnitzer liegt bei Hingabe einer hohen Summe als Angeld die „Maskierung einer Vertragsstrafe“ nahe.6 Nach der Konzeption des Angelds im ABGB und entsprechend der damals herrschenden Verkehrssitte wurden lediglich geringe Summen als Angeld geleistet, die nicht der Schadenspauschalierung dienten. Heute hingegen dient das Angeld in der Rechtspraxis nur mehr dazu, das Geschäft zu sichern, und erfüllt somit dieselbe Funktion wie eine Vertragsstrafe. Dementsprechend wird in den seltenen Fällen, in denen heute ein Angeld erbracht wird, eine hohe Summe geleistet (vgl unten II.). Daher ist es zutreffend, das Angeld als eine Unterart der Vertragsstrafe mit der Besonderheit, dass dieses im Voraus gegeben wird, zu bezeichnen.7 Aufgrund der engen Verwandtschaft von Angeld und Vertragsstrafe ist § 1336 Abs 2 nach ganz hM nicht nur 3  Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 1; aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 382 und Bollenberger in KBB3 § 908 Rz 1; Gschnitzer (in Klang2 IV/1, 382) betont, dass die Angeldvereinbarung beiden Zwecken dient vor dem gesetzlichen – überholten – Hintergrund, dass eine Anzahlung schon ohne entsprechende Abrede als Angeld gilt und die Anzahlung somit ohne entsprechende Vereinbarung beide Funktionen erfüllt. Gschnitzer selbst erwähnt an anderer Stelle, dass auch eine Vereinbarung nach Vertragsabschluss möglich ist. Weil heute das Angeld jedoch einer ausdrücklichen Abrede bedarf, kann ein solches auch vorliegen, wenn nur der Sicherungszweck verfolgt wird und eine Beweisfunktion – wie heute meist – nicht erforderlich ist. 4  OGH 1 Ob 693/51, SZ 24/289; 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255; so in der Lit zB Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 1; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 4; Winner in Kletečka/Schauer, ABGBON § 908 Rz 2. 5  Vgl OGH 1 Ob 237/52, JBl 1952, 520. 6  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 384. 7  Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 3.

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gem § 7 KSchG auf Verbrauchergeschäfte, sondern auf alle Angelder anwendbar (vgl unten VI.). Vor der 3. Teilnovelle erfüllte das Angeld noch eine weitere Funktion: Mit 6 der Angeldabrede galt ein Rücktrittsrecht für den Fall der schuldhaften Nichterfüllung als vereinbart.8 Das Angeld ermöglichte es einer Partei daher, sich im Fall der Vertragsverletzung der anderen Partei von dem Vertrag zu lösen. Ein solches Rücktrittsrecht aufgrund des Gesetzes, wie es heute § 918 vorsieht, war in der Urfassung des ABGB nicht enthalten (vgl näher unten V.2.c und d). Das deutsche Recht kennt ein Angeld iSd § 908 nicht. Dem Angeld ähnelt 7 die Draufgabe der §§ 336 ff dBGB, die wie das Angeld ein Beweiszeichen für den Vertragsschluss ist. Die Draufgabe ist ebenso wie das Angeld bei Erfüllung des Vertrages in die Leistung einzurechnen (§ 337 dBGB). Anders als das Angeld hat die Draufgabe jedoch nur für jene Partei, die es leistet, Vertragsstrafenfunktion: Nur bei Vertragsbruch jener Vertragspartei, die die Draufgabe geleistet hat, verfällt das Angeld, während bei Vertragsbruch des Empfängers der Draufgabe die Leistung lediglich zurückzustellen ist (§ 338 dBGB). Wie das Angeld in Österreich, so ist auch die Draufgabe in Deutschland wenig verbreitet.9

II. Praktische Bedeutung 8

Die Zahlung kleinerer Summen als Angeld war in früherer Zeit verbreitet. Jedoch ist seit Inkrafttreten der Bestimmung die Bedeutung des Angelds stark zurückgegangen.10 Als äußeres Zeichen für den Vertragsabschluss dient im modernen Wirtschaftsleben die Schriftlichkeit.11 Nach dem 2. Weltkrieg hat der OGH lediglich in wenigen Entscheidungen das Vorliegen eines Angelds bejaht. Bei Vertragsabschluss wird zwar oft eine Anzahlung geleistet; diese erfüllt jedoch zumeist als „schlichte Anzahlung“ nicht die Funktion eines Angelds. Infolge des Bedeutungsverlusts des Angelds wandelte sich auch die Auslegung des § 908 in Lehre und Rsp. Die Vermutung des § 908, dass bei Vertragsabschluss geleistete Vorauszahlungen als Angelder anzusehen seien, kommt in der Rechtsprechung kaum mehr zum Tragen: Die Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte ergibt zumeist, dass eine bei Vertragsabschluss geleistete Zahlung als bloße Anzahlung und nicht als Angeld dienen soll, insbesondere wenn es sich um höhere Summen handelt (siehe dazu näher unten IV.1.). Verbreitung haben Angeldzahlungen heute bei von Maklern vermittelten 9 Immobilienkäufen,12 wobei jedoch die Schranken des §  30a Abs  4 KSchG (vgl dazu unten IV.3.) zu beachten sind. Während früher als Angeld oft kleinere Summen geleistet wurden, erreichen die bei Immobilienkäufen als Angeld Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 552; Gschnitzer, JBl 1933, 97. Gottwald in MüKoBGB5 § 336 Rz 5; Rieble in Staudinger, BGB (2009) § 336 Rz 2; Gern­ huber, Schuldverhältnis 748. 10  OGH 1 Ob 693/51, SZ 24/289; 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255. 11  OGH 1 Ob 693/51, SZ 24/289; 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255. 12  Vgl Lehofer/Mayer in Konsumentenpolitisches Jahrbuch 1988-1989, 111 (128 f). Solche Fälle lagen auch den Entscheidungen OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46; 4 Ob 532/88, SZ 61/136; 6 Ob 241/02p, immolex 2004/39 zugrunde. 8  9 

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Voraussetzungen der Wirksamkeit

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geleisteten Zahlungen oft stattliche Höhen. Aufgrund dieser Entwicklung hat die KSchG-Nov 1997 in § 7 KSchG festgehalten, dass das Mäßigungsrecht des § 1336 Abs 2 auf Angeldversprechen anzuwenden ist (s zum Mäßigungsrecht unten VI.).

III. Begriff des Angelds § 908 vermutet, dass Geldzahlungen, die bei Vertragsabschluss im Voraus 10 gegeben werden, mangels anderer Vereinbarung als Angeld dienen sollen.13 Die Widmung der Vorauszahlung als Angeld bedarf jedoch einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien. Aufgrund der abweichenden Verkehrssitte ist heute entgegen § 908 im Zweifel nicht von einer solchen Vereinbarung auszugehen (vgl näher zur Angeldabrede unten IV.1.). Das Gesetz spricht davon, dass das Angeld „vorausgegeben wird“ und geht 11 somit davon aus, dass das Angeld von derjenigen Vertragspartei, die als Hauptleistung Geld zu erbringen hat,14 an die andere Vertragspartei gezahlt wird. Vereinbart werden kann jedoch auch, dass das Angeld bei einem Treuhänder hinterlegt wird,15 oder dass eine Partei, deren Hauptleistung nicht in Geld besteht, eine Angeldzahlung erbringt.16 Die Regeln des § 908 sind auf die Leistung von Geld als Gegenstand des 12 Angelds zugeschnitten. Es kann nicht nur Bar- oder Buchgeld als Angeld geleistet werden, sondern zB auch Wechselakzepte17 oder Schecks.18 Es ist mE auch zulässig zu vereinbaren, dass etwas Anderes als Geld als Angeld dient.19 Die als Angeld übergebenen Sachen gehen in das Eigentum des Empfängers über.20 Wird bei Vertragsabschluss etwas anderes als Geld geleistet, so wird eine Rückgabe des Doppelten zumeist nicht gewollt sein und liegt daher im Zweifel kein Angeld vor.21 Werden Sachen übergeben, die von der zu erbringenden vertraglich geschuldeten Leistung verschieden sind, liegt zumeist eine Kaution und kein Angeld vor (vgl auch VII.5.).22

IV. Voraussetzungen der Wirksamkeit 1. Angeldabrede Nach der Konzeption des Gesetzes ist eine Angeldabrede nicht notwendig; 13 die Widmung als Angeld ist gem § 908 auch ohne besondere Erklärungen der Zeiller, Commentar III/1, 97; Ehrenzweig, System II/12, 185 f. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 382 f; Zeiller, Commentar III/1, 96. 15  Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 3. 16  Vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1, 382 f. 17  OGH GlU 997; GlUNF 3941. 18  OGH Ob II 802/21, ZBl 1921/168; 6 Ob 820/80, SZ 54/46. 19  So auch Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 542 f. 20  Ehrenzweig, System II/12, 186; Zeiller, Commentar III/1, 97; vgl auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 382, der jedoch nur Geldzahlungen als Angeld zulässt. 21  Vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1, 382. 22  Vgl Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 1; OGH GlU 6167; wie Reischauer richtig feststellt, wären auch GlU 7781 und 13499 als Kautionsfälle einzuordnen gewesen. 13  14 

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§ 908

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Parteien zu vermuten.23 Diese Vermutung des Gesetzes wird nur schlagend, wenn die Leistung des Angelds einen integrierenden Bestandteil des Kaufvertrages darstellt.24 Vgl jedoch unter Rz 16 f zur Einschränkung dieser Vermutung. Das Gesetz geht davon aus, dass das Angeld bei Vertragsabschluss geleistet wird. Es ist jedoch auch möglich, dass vereinbart wird, dass erst später ein Angeld als Sicherung für die Erfüllung geleistet wird.25 Weil die Angeldabrede durch Zahlung des Angelds zustande kommt, wird sie auch als Realvertrag bezeichnet.26 Dies ist insofern zutreffend, als kein Angeld, sondern eine Vertragsstrafe vorliegt, wenn das „Angeld“ bloß versprochen, aber noch nicht geleistet wird.27 Nach der hier vertretenen, harmonisierenden Auslegung von Angeld und Vertragsstrafe sind die Rechtsfolgen von Angeldabrede und Konventionalstrafenvereinbarung identisch (vgl dazu unten VII.2.). Die Bezeichnung als Realvertrag ist jedoch insofern irreführend, als das Angeld eine bloße Nebenbestimmung des Hauptvertrages und keinen eigenen Vertrag darstellt. Seitdem die Bestimmung als Teil der Urfassung des ABGB in Kraft gesetzt wurde, ist die Bedeutung des Angelds stark zurückgegangen. Die Vermutung des § 908, dass ein bei Vertragsabschluss geleisteter Betrag Angeld ist, wird heute nicht mehr angewendet, weil die Parteien immer seltener die Leistung eines Angelds beabsichtigen. Nach heutiger Verkehrssitte sind bei Vertragsabschluss gegebene Zahlungen im Zweifel als schlichte Anzahlungen und nicht als Angelder zu verstehen.28 Die Widmung der Vorauszahlung als Angeld bedarf einer entsprechenden ausdrücklichen oder schlüssigen Vereinbarung der Parteien.29 Wählen die Parteien den Begriff „Anzahlung“, so spricht dies dafür, dass eine bloße Anzahlung und kein Angeld gewollt war.30 Gegen das Vorliegen eines Angelds spricht insbesondere eine mehr als geringfügige Höhe der Vorauszahlung, weil in diesem Fall ohne besondere Vereinbarung nicht angenommen werden kann, dass der Leistende auf die Rückerstattung verzichte.31 Der OGH stellte teilweise auf das Verhältnis der Höhe des Angelds zur Höhe des Entgelts ab und teilweise auf den absoluten Betrag des Angelds. Eine Angeldabrede verneinte der OGH in einem Fall, in dem ein Betrag in Höhe von 30 Prozent des Kaufpreises 23  OGH GlU 840; GlU 6463; GlUNF 454; Ob III 754/23, SZ 5/268; Zeiller, Commentar III/1, 97; Ehrenzweig, System II/12, 186; Mayrhofer, SchRAT3 207. 24  OGH 1 Ob 236/52, JBl 1952, 520. 25  OGH 1 Ob 750/78, RZ 1979/78; 7 Ob 750/87, RZ 1979/46. 26  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46. 27  OGH GlUNF 3761; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 543 f. 28  OGH 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255; 6 Ob 2317/96w, RdW 1997, 655; in der Lit zB Rei­ schauer in Rummel3 I § 908 Rz 1; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 12. 29  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 547. 30  OGH 1 Ob 693/51, SZ 24/289; 3 Ob 754/53, SZ 26/299; 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255; 6 Ob 820/80, SZ 54/46; 7 Ob 786/81, SZ 54/186; 6 Ob 2317/96w, RdW 1997, 655. 31  OGH 1 Ob 695/51, SZ 24/89; 3 Ob 754/53, SZ 26/299; 1 Ob 750/78, RZ 1979/46; 3 Ob 458/53, SZ 26/176; 7 Ob 786/81, SZ 54/186; 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 384.

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Voraussetzungen der Wirksamkeit

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gezahlt wurde,32 sowie in einem Fall, in dem etwas weniger als ein Fünftel geleistet wurde.33 Auch eine hohe Summe kann jedoch bei ausdrücklicher Vereinbarung als Angeld dienen.34 Auch wenn bei hohen Beträgen im Zweifel nicht zu vermuten ist, dass 18 diese ein Angeld darstellen, so ist es dennoch möglich und zulässig, auch einen hohen Betrag als Angeld ausdrücklich zu vereinbaren.35 Ob eine rechtsgeschäftliche Vollmacht auch die Vereinbarung über ein An- 19 geld deckt, ist durch Auslegung der Vollmachtseinräumung zu klären.36 2. Gültiger Vertrag Die Angeldabrede ist von der Existenz eines gültigen Vertrages abhängig, 20 den sie sichern und bestärken soll. Sie kann auch für einen Vorvertrag vereinbart werden.37 Die Angeldabrede ist nur dann gültig, wenn der Vertrag wirksam geschlossen wurde.38 Ist der zu sichernde Vertrag unwirksam, ist auch die Angeldabrede ungültig und das geleistete Angeld kann zurückgefordert werden.39 Der OGH hat daher mehrfach entschieden, dass die Angeldvereinbarung dahin fällt, wenn die Parteien die Regelung von Nebenpunkten einer späteren Vereinbarung vorbehalten hatten oder Nebenpunkte in die Vertragsverhandlungen einbezogen hatten, aber keine Einigung über diese Nebenpunkte erzielt wurde.40 Weil das Angeld als „Zeichen des Abschlusses“ geleistet wird, ist die Leis- 21 tung eines Angeldes jedoch ein Hinweis darauf, dass die Parteien das Stadium der Vertragsverhandlungen für beendet hielten und sich bereits endgültig binden wollten.41 Die Leistung des Angelds lässt somit den endgültigen Bin­ dungswillen der Parteien erkennen. Deshalb hat der OGH entschieden, dass bei einer mündlichen Einigung mit Vereinbarung der schriftlichen Vertragserrichtung die Leistung eines Angelds darauf schließen lässt, dass die Parteien bereits gebunden sein wollten.42 Keine Verpflichtung zur Leistung des Angelds besteht, wenn der Vertrag 22 nicht zustande kommt, weil es dem Vertreter an der für den Abschluss des Vertrags erforderlichen Vertretungsmacht fehlte. Ein geleistetes Angeld ist 32 

OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46; 7 Ob 786/81, SZ 54/186. OGH 3 Ob 458/53, SZ 26/176; vgl auch 2 Ob 172/58, ImmZ 1959, 239. 34  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46. 35  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46; so auch 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255 und 7 Ob 786/81, SZ 54/186, SZ 54/186. 36  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46. 37  OGH GlU 3276; GlU 5144; Rv I 292/18 = ZBl 1919/232; Ehrenzweig, System II/12, 185; Mayrhofer, SchRAT3 207; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 540. 38  OGH 5 Ob 744/78, RZ  1979/78; 6 Ob 820/80, SZ 54/46; 4 Ob 532/88, SZ 61/136; 6 Ob 663/89; 10 Ob 44/98p. 39  OGH 5 Ob 744/78, RZ 1979/78; 6 Ob 820/80, SZ 54/46; 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255; 4 Ob 532/88, SZ 61/136; 10 Ob 44/98p. 40  OGH 4 Ob 532/88, SZ 61/136; 6 Ob 663/89; 10 Ob 44/98p. 41  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 539. 42  OGH 3 Ob 22, EvBl 1956/67. 33 

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daher bei Scheinvertretung zurückzustellen.43 Dies gilt seit Abschaffung der handelsrechtlichen Sondervorschriften über die Haftung des falsus procurator unstreitig auch im Unternehmensrecht. Als Art 8 Nr 11 der 4. EVHGB über die Haftung des falsus procurator auf das Erfüllungsinteresse noch geltendes Recht war, war strittig, ob die Angeldvereinbarung gegenüber dem Scheinvertreter wirksam wurde.44 3. Zulässigkeit 23

Grundsätzlich ist die Vereinbarung eines Angelds im Gesetz vorgesehen und zulässig. Die Vereinbarung eines sehr hohen Geldbetrages kann – in krassen Fällen – auch teil(nichtig) sein, wenn die Vereinbarung die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit unangemessen beeinträchtigt. Dagegen spricht nicht, dass der Anspruch auf das Angeld gemäßigt werden kann.45 Ebenso wie bei der Vertragsstrafe ist auch beim Angeld zuerst ex ante die Wirksamkeit der Vereinbarung zu prüfen, die zu verneinen ist, wenn die Vereinbarung zu einer wirtschaftlichen Knebelung des Schuldners führt (zB bei hoher Strafe für eine geringfügige Fristüberschreitung), und danach ex post eine Mäßigung anhand des tatsächlich eingetretenen Schadens zu prüfen.46 Steht einem Verbraucher bei einem Immobiliengeschäft ein Rücktrittsrecht 24 gem § 30a KSchG zu, so kann ein Angeld erst nach Ablauf der Rücktrittsfrist vereinbart werden (§ 30a Abs 4 KSchG). § 30a KSchG gewährt Verbrauchern ein Rücktrittsrecht, die bei dem Immobiliengeschäft ihre Vertragserklärung an demselben Tag abgegeben haben, an dem sie das Vertragsobjekt das erste Mal besichtigt haben, um Verbraucher vor Überrumpelung zu schützen.47 Entgegen § 30a Abs 4 KSchG bereits vor Ablauf der Rücktrittsfrist geleistete Angelder können zurückgefordert werden.48

V. Rechtsfolgen 25

Die Angeldvereinbarung ist nur wirksam, wenn der Vertrag gültig zustande gekommen ist (siehe oben IV.2.). Die Rechtsfolgen der Angeldabrede sind von dem weiteren Schicksal des Vertrages abhängig. 1. Das Angeld bei Erfüllung des Vertrages

26

Bei der Erfüllung des Vertrages ist das Angeld auf die Erfüllung anzurechnen, sodass sich die Leistungspflicht des Angeldgebers um den bereits als An43 

OGH GlUNF 2464; 1 Ob 548, EvBl 1951/416. Dafür Gschnitzer in Klang2 IV/1, 383; Stanzl in Klang2 IV/1, 854; Reischauer in Rum­mel3 I §  908 Rz  4; OGH GlUNF 7161; dagegen Strasser in Rummel3 I §§ 1016, 1017 Rz  19; Welser, Vertretung ohne Vertretungsmacht 240 ff; OGH GlUNF 2464. 45  So aber Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 24. 46  Vgl näher zB Größ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1336 Rz 15; Reischauer in Rummel3 II § 1336 Rz 3; Krejci in Rummel3 I § 879 Rz 120a. 47  Vgl näher zum Rücktrittsrecht Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 30a KSchG. 48  OGH 6 Ob 241/02p, immolex 2004/39; Fromherz, MaklerG-Komm § 30a KSchG Rz 51. 44 

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geld geleisteten Betrag verringert.49 Soll der bei Vertragsabschluss geleistete Betrag nach der Vereinbarung nicht anzurechnen sein, sondern dem Empfänger zusätzlich zu der Erfüllung zustehen, so hindert dies mE den Charakter als Angeld, weil dessen Funktion darin besteht, die Erfüllung zu sichern, aber nicht zusätzlich zur Erfüllung zustehen soll. 2. Angeld bei schuldhafter Nichterfüllung Das Angeld verfällt und muss nicht zurückerstattet werden, wenn jene Ver- 27 tragspartei, die das Angeld geleistet hat, den Vertrag schuldhaft nicht erfüllt. Erfüllt umgekehrt der Angeldempfänger den Vertrag schuldhaft nicht, so hat er das doppelte Angeld zurückzustellen. (vgl näher sogleich unter a) bis d)). Gem §  6 Abs  2 Z 6 KSchG, der durch die KSchG-Novelle 1997 in das 28 KSchG eingefügt wurde, sind Vertragsbestimmungen, die Ansprüche des Verbrauchers aus §  908 ausschließen oder beschränken, nur rechtswirksam, wenn sie im Einzelnen ausgehandelt wurden. a) Nichterfüllung Unter den Begriff der schuldhaften Nichterfüllung iSd § 908 fällt nicht nur 29 die vollständige Nichterfüllung, sondern auch die teilweise Nichterfüllung,50 der Verzug,51 und die Schlechterfüllung.52 Nicht erforderlich ist der Nachweis, dass der Vertragspartei durch die schuldhafte Nichterfüllung ein Schaden entstanden ist.53 Bei Dauerschuldverhältnissen ist fraglich, ob das Angeld die Erfüllung 30 des Vertrages während der gesamten Vertragsdauer sichern soll. Führt die Vertragsauslegung zu keinem klaren Ergebnis, so sichert das Angeld im Zweifel nur den „Beginn“ des Dauerschuldverhältnisses;54 der Angeldgeber kann daher das Angeld bei der Einbringung der ersten vertraglichen Leistung einrechnen. Keine schuldhafte Nichterfüllung einer Vertragspartei liegt vor, wenn 31 diese von einem Rücktritts- oder Anfechtungsrecht Gebrauch macht (siehe näher unten 3.) oder wenn der Vertrag einvernehmlich aufgelöst wird (siehe dazu näher unten 4.). 49  ZB Gschnitzer in Klang2 IV/1, 385 f; Zeiller, Commentar III/1, 97; Ehrenzweig, Sys­tem II/12, 186. 50  OGH GlU 1744; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 386; Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 5; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 25 und 29; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 21; aA OGH GlU 5024; Ehrenzweig, System II/12,187; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 551. 51  OGH Ob III 754/23, SZ 5/268; 23/142; 3 Ob 22, EvBl 1956/67; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 386; Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 5; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 25; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 21; Bollenberger in KBB3 § 908 Rz 3. 52  OGH GlU 13556; GlUNF 5071; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 386; Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 5; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 25 und Rz 29; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 21; Bollenberger in KBB3 § 908 Rz 3. 53  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46. 54  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 386 (zum Dienstvertrag) und 385.

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b) Verschulden 32

Angeldverfall (bzw die Pflicht zur doppelten Rückzahlung) tritt nur ein, wenn eine Partei Verschulden an der Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen trifft und der anderen Partei kein Mitverschulden zur Last fällt.55 Das Verschulden der vertragsbrüchigen Partei wird gemäß § 1298 vermutet, sodass sich diese frei beweisen muss, um den Angeldverfall bzw die Rückforderung des doppelten Angelds zu vermeiden.56 c) Handlungsalternativen bei schuldhafter Nichterfüllung

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§ 908 soll den Vertragsparteien nach der Vorstellung des Gesetzgebers der Urfassung des ABGB bei schuldhafter Nichterfüllung einen zusätzlichen Rechtsbehelf einräumen, der neben die allgemeinen, vertragsrechtlichen Rechtsbehelfe tritt.57 Dass das allgemeine Leistungsstörungsrecht nicht eingeschränkt werden soll, bringt der letzte Satz des § 908 zum Ausdruck, der erläutert, dass es dem schuldlosen Vertragspartner auch frei steht, Erfüllung oder, wenn dies nicht mehr möglich ist, Schadenersatz zu verlangen. §  908 entstammt unverändert der Urfassung des ABGB und verweist auf die damals zustehenden Rechtsbehelfe. Die Urfassung sah in § 918 noch kein Rücktrittsrecht vor. Verletzte eine Vertragspartei den Vertrag, so konnte die andere Vertragspartei nur auf Erfüllung klagen und Schadenersatz verlangen, aber verfügte über kein gesetzliches Rücktrittsrecht. Wurde ein Angeld vereinbart, so lag darin die stillschweigende Vereinbarung eines Rücktrittsrechts, kombiniert mit einer Abrede über den Verfall des Angelds. Die schuldlose Vertragspartei konnte sich daher von dem Vertrag lösen und das Angeld behalten. Auch bei Vereinbarung eines Angelds steht es jeder Partei frei, auf Zuhal­ 34 tung des Vertrages zu bestehen. Die Angeldabrede sieht für jene Vertragspartei, die den Vertrag schuldhaft nicht erfüllt, keine Lösungsmöglichkeiten von dem Vertrag vor. Alternativ zu dem Erfüllungsbegehren erhält eine Vertragspartei durch die 35 Angeldabrede das Recht, bei schuldhafter Nichterfüllung der anderen Partei (Verzug, Nichterfüllung oder Schlechterfüllung) ihre Rechte aus der Angeld­ vereinbarung geltend zu machen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass zuvor auf Erfüllung geklagt wurde.58 Vgl zum Erfordernis der Nachfristsetzung bzw dem Vorrang der Verbesserung unten d). § 908, letzter Satz stellt klar, dass das allgemeine Leistungsstörungsrecht 36 durch die Angeldabrede nicht modifiziert wird. Nach der einhelligen Literatur kann die schuldlose Partei daher bei Verzug des Partners gem § 918 unter Nachfristsetzung vom Vertrag zurücktreten und Schadenersatz gem §§ 920 f begehren. Nach hM steht dem Vertragspartner gem §§ 920 f auch den Nichterfül­ 55  OGH 3 Ob 232, EvBl 1956/67; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 386; Binder in Schwi­mann3 IV § 908 Rz 25; Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 6. 56  OGH Ob III 754/23, SZ 5/268; vgl zB auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 386; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 30; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 22. 57  Zeiller, Commentar III/1, 97 f. 58  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 387; Ehrenzweig, System II/12, 187 etc.

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lungsschaden zu, der über die Summe des Angeldes hinaus geht.59 Hat der zurücktretende Vertragspartner bereits das Angeld erhalten, so ist dieses in den Nichterfüllungsschaden einzurechnen.60 ME kann ein über das Angeld hinausgehender Erfüllungsschaden bei Ver- 37 brauchergeschäften jedoch nur in den Grenzen des § 1336 Abs 3 geltend gemacht werden. Ein Verbraucher ist somit nur dann zur Deckung eines über das Angeld hinausgehenden Schadens verbunden, wenn dies im Einzelnen ausgehandelt wurde; ohne individuelle Vereinbarung darf der Verbraucher gem § 1336 Abs 3 damit rechnen, dass seine Haftung mit dem Angeld begrenzt ist. Der OGH hat ausgesprochen, dass die Ähnlichkeiten zwischen Vertragsstrafe und Angeld eine analoge Anwendung des Mäßigungsrechts § 1336 Abs 2 gebieten. Noch nicht untersucht wurde, ob auch § 1336 Abs 3 auf das Angeld analog anzuwenden ist.61 ME spricht die Parallelität von Vertragsstrafe und Angeld dafür, nicht nur das Mäßigungsrecht sondern auch § 1336 Abs 3 analog auf das Angeld anzuwenden. Das Angeld erfüllt genau dieselbe Funktion wie eine Vertragsstrafe mit der Besonderheit, dass die Summe bereits bei Vertragsabschluss übergeben wird. Eine unterschiedliche Behandlung von Konventionalstrafe und Angeld würde nicht nur die Möglichkeit zur Umgehung des § 1336 Abs 3 bieten, sondern wäre auch nicht sachgerecht. Dass der Verbraucher das Angeld bereits entrichtet hat, vermag nichts daran zu ändern, dass die Vereinbarung beim Verbraucher den Eindruck entstehen lässt, dass die vereinbarte Zahlung die Obergrenze seiner Haftung darstellt. Dass nach der ursprünglichen Konzeption des § 908 nur eine geringe Summe als Angeld diente, spricht mE nicht gegen die analoge Anwendung des § 1336 Abs 3. Denn es ist auch möglich und insbesondere bei Immobilienkäufen, die heute der Hauptanwendungsfall des Angelds sind, sogar üblich, dass eine höhere Summe als Angeld gegeben wird. Wäre das Angeld stets gering, so würde sich auch das Mäßigungsrecht erübrigen. Weil die Leistung eines Angeldes heute dieselbe Funktion wie eine Vertragsstrafe erfüllt, ist § 1336 Abs 3 analog auf das Angeld anzuwenden. d) Nachfristsetzung erforderlich? Nach hA verfällt das Angeld bei subjektivem Verzug, ohne dass eine 38 Nachfrist gesetzt werden müsse, weil § 908 den §§ 918 ff als lex specialis vorgeht.62 Auch der OGH hat in mehreren, allerdings bereits länger zurückliegenden Entscheidungen ausgesprochen, dass die Rechte aus der Angeldabrede 59  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 387; Ehrenzweig, System II/12, 187; System II/12, 187; Zeiller, Commentar III/1 97; OGH 3 Ob 148/30, SZ 12/72. 60  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 387; Ehrenzweig, System II/12, 187; Zeiller, Commentar III/1 97 f; OGH 3 Ob 148/30, SZ 12/72. 61  Davon, dass dies nicht der Fall ist, geht implizit Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 7 KSchG Rz 17 aus. 62  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 387 und 449 f; Gschnitzer, Schuldrecht AT 2, 38; Ehrenzweig, System II/12, 187; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 25; Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 5; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 21; Bollenberger in KBB3 § 908 Rz 3; aA Gschnitzer, JBl 1933, 97 f; Mayrhofer, SchRAT3 209.

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ohne Nachfristsetzung geltend gemacht werden können.63 Dies wird damit begründet, dass § 908 den §§ 918 ff als lex specialis vorgehe. ME widerspricht diese Ansicht dem System des Leistungsstörungsrechts, das stets eine Nachfristsetzung verlangt. Für den Verfall des Angelds bzw dem Anspruch auf dessen doppelte Rückzahlung ist daher mE die Setzung einer Nachfrist Voraussetzung.64 Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: § 908 entstammt unverändert der Urfassung des ABGB. Die Urfassung sah 39 in § 918 noch kein Rücktrittsrecht vor. Erst die 3. Teilnovelle zum ABGB änderte die §§ 918 ff und schuf das Rücktrittsrecht des § 918, das an die Voraussetzung der Nachfristsetzung geknüpft ist.65 § 908 enthält keine Sonderbestimmungen über das Rücktrittsrecht, sondern setzt den Rücktritt vielmehr stillschweigend voraus.66 Daher gelangen mE die allgemeinen Bestimmungen zur Anwendung: Nach allgemeinen Regeln ist somit ein Rücktritt nur möglich, wenn dem Vertragspartner zuvor eine angemessene Nachfrist für die ordnungsgemäße Erfüllung gesetzt wurde. Die Nachfristsetzung entfällt – entsprechend allgemeinen Grundsätzen – nur beim Fixgeschäft und bei Erfüllungsverweigerung. Ebenso sieht das Gewährleistungsrecht vor, dass bei mangelhafter Leis40 tung keine sofortige Lösung von dem Vertrag möglich ist. Die Schlechtlieferung hat daher nicht den sofortigen Angeldverfall zur Folge. Nur in jenen Fällen, in denen gem §  932 das Recht auf Wandlung zusteht, wird der Vertrag aufgelöst und steht das Angeld zu. 3. Ausübung von Rücktritts- oder Anfechtungsrechten 41

Übt eine Vertragspartei ein ihr zustehendes Rücktritts- oder Anfechtungsrecht aus, so führt dies nicht dazu, dass das von ihr geleistete Angeld verfällt bzw sie das Doppelte des erhaltenen Angelds zurückstellen muss, weil ihr keine schuldhafte Nichterfüllung des Vertrages angelastet werden kann. Die Ausübung dieses Rechts stellt keine schuldhafte Nichterfüllung des Vertrags dar. Die Voraussetzungen des Angeldverfalls bzw des Anspruchs auf doppelte Rückzahlung liegen daher etwa dann nicht vor, wenn eine Vertragspartei von einem Rücktrittsrecht des Verbraucherschutzrechts (zB aufgrund des Vorliegens eines Haustürgeschäfts gem § 3 KSchG) oder er von einem vertraglich eingeräumten Rücktrittsrecht Gebrauch macht. Das Angeld verfällt nicht, wenn der Vertragspartner, der das Angeld gezahlt hat, aufgrund der Vertragverletzung der anderen Partei (gem §§ 918 ff) vom Vertrag zurücktritt oder den Vertrag gem § 932 wandelt. Das ist deswegen sachgerecht, weil in diesen Fällen der andere Vertragspartner nach Ausübung des Rücktrittsrechts nicht auf Erfüllung des Vertrages bestehen könnte. Das Angeld sichert nur die Erfüllung einer gültigen vertraglichen Verpflichtung und ist von einem wirksamen Vertrag abhängig. Dies gilt auch für das Recht zur Irrtumsanfechtung, selbst wenn 63  OGH 3 Ob 754/23, SZ 5/268; 2 Ob 267/50, SZ 23/142; so zum Verhältnis von § 908 zu §  354 ff AHGB, die bei Handelskäufen ein Rücktrittsrecht vorsahen OGH 3 Ob 360/20, SZ 3/131. 64  So auch Gschnitzer, JBl 1933, 97 f; Mayrhofer, SchRAT3 209. 65  S dazu den Herrenhausbericht (78 BlgHH, 21. Session) 161 ff. 66  Gschnitzer, JBl 1933, 97.

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entsprechend einer im Vordringen begriffenen neueren Auffassung67 den schuldhaft Irrenden eine Haftung aus culpa in contrahendo trifft, weil das Angeld nur die Erfüllung sichert. Umgekehrt stehen einer Partei, die selbst von dem Vertrag zurücktritt, den- 42 noch Rechte aus der Angeldvereinbarung zu, wenn die von § 908 geforderte verschuldete Nichterfüllung der anderen Partei vorliegt. Eine Partei, die daher von dem Vertrag aufgrund einer Vertragsverletzung der anderen Vertragspartei gem §§ 918 ff zurücktritt, hat Anspruch auf das Angeld (siehe ausführlich oben c) und d)). In einer Entscheidung hat sich der OGH mit der Frage beschäftigt, ob eine Person, die den Vertrag wegen arglistig veranlassten Irrtums anficht, Ansprüche aus der Angeldvereinbarung geltend machen kann, und dies verneint, weil der Vertrag von Anfang an als nicht zustande gekommen anzusehen sei und das Angeld damit seiner Funktion, die Erfüllung zu sichern, beraubt sei.68 Der Entscheidung ist zuzustimmen, weil der Irrende infolge der Irrtums­ anfechtung so zu stellen ist, wie er ohne Irrtum stünde, und ihm ohne die arglistige Täuschung auch kein Anspruch auf das Angeld zustünde. Vertrauensschäden kann der arglistige Irregeführte gem § 874 geltend machen. Schuldhafte Nichterfüllung liegt auch vor, wenn der Masseverwalter im 43 Konkurs von dem Vertrag gem § 21 IO zurücktritt (siehe unten 5). 4. Nicht-Abwicklung des Vertrages ohne Angeldverfall Wenn die Vertragserfüllung zufällig unmöglich wird, so hat keine der Par- 44 teien Anspruch auf das Angeld. Auch wenn die Parteien den Vertrag einver­ nehmlich auflösen, steht das Angeld nicht zu.69 Auch wenn beide Teile Verschulden an der Nichterfüllung trifft, so steht 45 das Angeld keiner der Vertragsparteien zu. In solchen Fällen käme prinzipiell auch eine Teilung analog zu § 1304 in Betracht,70 § 908 wird jedoch so ausgelegt, dass in diesem Fall keine Partei ein Recht auf das Angeld hat.71 5. Rücktritt gem § 21 IO Fraglich ist, ob dem Vertragspartner des Gemeinschuldners Rechte aus der 46 Angeldvereinbarung zustehen, wenn der Masseverwalter gem §  21 IO von dem Vertrag zurücktritt. Nach älterer Ansicht schafft das Insolvenzrecht ein zusätzliches Rücktrittsrecht des Masseverwalters, das der Regelung des § 908 vorgeht.72 Daher könne ein vom Gemeinschuldner gegebenes Angeld vom 67  Vonkilch, Kennt das ABGB eine Haftung für die anfechtbare Erklärung? JBl 2004, 759; ders, Rechtsfragen der Irrtumsanfechtung von Wertpapierkäufen, ÖJZ 2010, 579, 589; G. Graf, Zur Schadenersatzhaftung des schuldhaft Irrenden, ecolex 2010, 1131; in einem obiter dictum befürwortend auch OGH 8 Ob 25/10z, EvBl 2011/4. 68  OGH 5 Ob 744/78, RZ 1979, 254; ablehnend Hackl, ÖJZ 1980, 645 (647). 69  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 384, Ehrenzweig, System II/12, 187; OGH GlU 2728, GlU 7796; 1 Ob 750/78, RZ 1979/46. 70  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 389. 71  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 389 mwN der älteren Lehre. 72  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 388; so auch Ehrenzweig, System II/12, 187 f, der meint, dies wäre eine Begünstigung im Konkurs; so auch OGH GlU 7237; GlU 7304.

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Masseverwalter zurückgefordert werden, und ein an den Gemeinschuldner gezahltes Angeld sei nur in einfacher Höhe an den Vertragspartner des Gemeinschuldners zurück zu erstatten. Diese Frage ist insbesondere in der erstgenannten Konstellation, in der der Vertragspartner des Gemeinschuldners das Angeld empfangen hat, von Bedeutung, weil das Angeld in diesem Fall bereits bezahlt wurde und somit konkursfest ist. Nach heute herrschender und zutreffender Ansicht entfaltet der Empfang des Angeldes wie andere Sicherungsrechte auch im Konkurs die Sicherungsfunktion, sodass – entgegen der älteren Ansicht – das Insolvenzrecht § 908 nicht verdrängt.73 Kann der Gemeinschuldner daher nicht darlegen, dass ihn kein Verschulden an der Nichterfüllung und am Eintritt des Konkurses treffe (vgl §  1298), so tritt Angeldverfall ein.74 Dafür spricht auch, dass gem § 21 Abs 2 IO der Gemeinschuldner bei Vertragsrücktritt Schadenersatz an den Vertragspartner zu leisten hat. Diese Verpflichtung wird bei einer Angeldabrede durch das Angeld pauschaliert. Da das Angeld bereits geleistet wurde, kann der Vertragspartner es einbehalten. Liegt der Sachverhalt umgekehrt und hat der Vertragspartner des Gemeinschuldners das Angeld geleistet, so hat er im Konkurs seines Vertragspartners eine Konkursforderung auf das doppelte Angeld, wenn der Masseverwalter gem §  21 IO zurücktritt.75

VI. Mäßigungsrecht 47

§  7 KSchG erstreckt seit der KSchG-Novelle 1997 das Mäßigungsrecht des Richters bei der Vertragsstrafe (§ 1336 Abs 2) auf von Verbrauchern versprochene Angelder. Gem § 7 KSchG kann der Richter in sinngemäßer Anwendung des §  1336 Abs  2 unangemessen hohe Angelder mäßigen, die ein Unternehmer einbehalten darf oder dessen Rückzahlung (in doppelter Höhe) ein Unternehmer von einem Verbraucher verlangt. Die Beweislast dafür, dass die Summe unangemessen hoch ist, trifft jene Partei, deren Zahlungspflicht gemäßigt werden soll (vgl § 1336 Abs 2).76 Entscheidend ist, ob das Verhältnis zwischen dem Schaden und dem bedungenen Betrag unverhältnismäßig ist.77 Wie bei § 1336 Abs 2 bildet der tatsächlich eingetretene Schaden die Untergrenze der Mäßigung.78 73  Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 11; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 31; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  908 Rz  25; Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchinger, Insolvenzrecht § 21 KO Rz 25. 74  Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 11; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 31; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 25; Widhalm-Budak in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 21 Rz 235; aA Kepplinger, Synallagma in der Insolvenz 263. 75  Reischauer in Rummel3 I § 908 Rz 11; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 31; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 908 Rz 25. 76  Näher zB Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 7 KSchG Rz 18; Reischauer in Rummel3 II § 1336 Rz 18. 77  So zur Vertragsstrafe die ganz hM, zB Reischauer in Rummel3 II § 1336 Rz 14; Größ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1336 Rz 25. 78  ZB Reischauer in Rummel3 II §  1336 Rz  13; Größ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1336 Rz 25.

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Abgrenzungen

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Schon vor Erweiterung des § 7 KSchG auf das Angeld wurde vertreten, 48 dass Angelder wie Vertragsstrafen gemäßigt werden können.79 Angeld und Vertragsstrafe ähneln einander stark, weil sowohl das Angeld als auch die Vertragsstrafe den Schadenersatzanspruch pauschalieren und unabhängig von einem Schadensnachweis zustehen.80 Daher weisen die Erläuternden Bemerkungen zu § 7 KSchG darauf hin, dass die Bestimmung die Rechtslage nicht ändert, sondern lediglich die bereits geltende Rechtslage in Gesetzesform gießt.81 Nach hM ist das Mäßigungsrecht daher nicht nur gem §  7 KSchG auf Verpflichtungen von Verbrauchern anzuwenden, sondern auch auf solche von Unternehmern.82 Seit Inkrafttreten des HaRÄG ist das Mäßigungsrecht des § 1336 Abs 2 auch zugunsten eines Unternehmers zwingend.

VII. Abgrenzungen 1. Anzahlung Bei vertragsgemäßer Erfüllung ist das Angeld als Teilerfüllung auf die 49 Leistung anzurechnen und zieht somit in diesem Fall dieselben Rechtsfolgen wie eine Anzahlung nach sich. Anders als die Anzahlung wirkt das Angeld jedoch bei verschuldeter Nichterfüllung: In diesem Fall hat das Angeld für beide Vertragsparteien Vertragsstrafcharakter, weil die verschuldete Nichterfüllung des Angeldgebers dazu führt, dass das Angeld verfällt, und die verschuldete Nichterfüllung des Angeldempfängers die Rechtsfolge nach sich zieht, dass das Angeld in doppelter Höhe zurückzustellen ist. Ob Angeld oder Anzahlung vorliegt, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Siehe näher oben IV.1. 2. Konventionalstrafe Der Unterschied zwischen Angeld und Konventionalstrafe liegt darin, dass 50 das Angeld im Gegensatz zur Konventionalstrafe schon vor der Vertragsverletzung gegeben wird. Das Angeld entfaltet nach der gesetzlichen Konzeption Wirkung für beide Parteien, während dies bei der Konventionalstrafe nicht stets der Fall ist. Des Weiteren hatte der Gesetzgeber bei Inkrafttreten des § 908 als Angeld nur geringe Beträge im Auge, jedoch ist auch eine Vereinbarung eines höheren Betrages als Angeld zulässig. Der OGH hat in einem Fall entschieden, dass Konventionalstrafe und kein Angeld vorliegt, wenn beide Parteien zur Sicherstellung der Vertragserfüllung einen Geldbetrag bei einem Dritten hinterlegen.83 79  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46; Ehrenzweig, System II/12, 186 FN 10; aA Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 553. 80  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46. 81  EB RV 311 BlgNR 20. GP 23. 82  OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46 (vor Erweiterung des §  7 KSchG auf das Angeld); 6 Ob 2317/96w, RdW 1997, 655; Ehrenzweig, System II/12, 186 FN 10; Krejci in Rummel3 II §  7 KSchG Rz 3b; so auch Ehrenzweig, System II/12, 186 FN 10 zu übermäßig hohen Angeldern. 83  OGH GlUNF 2377.

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Die Zuordnung einer vertraglichen Pauschalierung eines Schadenersatzanspruchs zu § 908 oder zu § 1336 Abs 2 ist bei der hier vertretenen harmonisierenden Auslegung der Rechtsinstitute bedeutungslos: Das in § 1336 Abs 2 für die Konventionalstrafe vorgesehene Mäßigungsrecht ist nach ganz hM auf das Angeld analog anzuwenden (siehe oben VI.). Ist, wie hier vertreten wird, § 1336 Abs 3 ebenfalls analog auf die Angeldabrede anzuwenden (siehe Rz 37), entsprechen die Rechtsfolgen der beiden Rechtsinstitute einander vollkommen. Ebenso wie das Angeld dient auch die Konventionalstrafe dazu, die vertrag52 liche Bindung zu verstärken. Diese Wirkung ist umso stärker, je mehr der Betrag über den zu erwartenden Schaden hinaus geht.84 Sowohl das Angeld als auch die Konventionalstrafe sind von einem Schadensnachweis unabhängig. 3. Reugeld 53

Die Reugeldabrede räumt dem Reuberechtigten ein zusätzliches Rücktrittsrecht ein und schwächt dadurch die vertragliche Bindung: Der Reuberechtigte kann wählen, ob er erfüllen oder das Reugeld zahlen möchte. Hingegen eröffnet das Angeld keine Lösungsmöglichkeit von dem Vertrag. Beim Angeld hat vielmehr der Gläubiger bei verschuldeter Nichterfüllung seines Partners die Wahl, ob er auf die Erfüllung bestehen möchte oder ob er sich mit dem Angeld zufrieden gibt.85 Die Abgrenzung ist daher wie jene zwischen Reugeld und Konventionalstrafe danach zu treffen, ob dem zahlungspflichtigen Vertragspartner ein Rücktrittsrecht zusteht. Ein Reugeld liegt nur dann vor, wenn dieselbe Partei, die sich von dem Vertrag löst, auch die Zahlungspflicht trifft. Vgl näher zur Abgrenzung zwischen Konventionalstrafe und Reugeld § 909 VIII. 3. Nicht bedeutsam ist, ob die Leistung sofort erbracht wird: Das Gesetz sieht 54 zwar vor, dass das Angeld bei Vertragsschluss gegeben wird, während die Leistung des Reugelds für den Fall des Rücktritts lediglich versprochen wird. Auch das Reugeld kann jedoch bei Vertrag sofort erlegt werden (siehe näher bei § 910). 4. Option 55

Unter einer Option „wird ein Vertrag verstanden, durch den eine Partei das Recht erhält, ein inhaltlich vorausbestimmtes Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung in Geltung zu setzen.“86 Der OGH beschäftigte sich mit der Abgrenzung zwischen Option und Angeld bei einem Liegenschaftskauf und billigte die Vertragsauslegung der Vorinstanz, die eine „Anzahlung“, die verfallen sollte, wenn der Kauf nicht zustande kommt, als Option qualifizierte.87 Die Option hat jedoch mit dem Reugeld größere Ähnlichkeiten als mit dem Angeld, weil Option und Reurecht dem Berechtigten mehrere Handlungsmög84 

OGH 6 Ob 820/80, SZ 54/46; RIS-Justiz RS0032072. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 383. 86  Koziol/Welser13 I 143; zB auch OGH 1 Ob 585/94, SZ 67/137; 6 Ob 2317/96w, RdW 1997, 655. 87  OGH 6 Ob 2317/96w, RdW 1997, 655. 85 

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Literatur

§ 909

lichkeiten eröffnen, während die Angeldabrede kein Recht dazu einräumt, von dem Vertrag Abstand zu nehmen. Sowohl bei Vereinbarung eines Reurechts als auch bei Vereinbarung einer Option wird es einer Partei gegen Gewährung eines Entgelts ermöglicht, die Wahl zu treffen, ob sie gebunden sein möchte oder nicht (vgl näher zur Abgrenzung zwischen Reugeld und Option bei § 909). 5. Kaution Auch die Kaution dient als Sicherstellung für zukünftige Schadensfälle. Im 56 Gegensatz zum Angeld pauschaliert die Kaution jedoch nicht den Schadenersatzanspruch; aus der Kaution kann sich der Empfänger nur zur Abdeckung des tatsächlich entstandenen Schadens befriedigen.88 Überdies ist die Kaution anders als das Angeld bei Vertragserfüllung nicht auf das zu leistende Entgelt anzurechnen, sondern dem Kautionsgeber zurückzustellen.89 Bei Dauerschuldverhältnissen dient die Kaution meist zur Sicherstellung während der gesamten Dauer des Schuldverhältnisses, während das Angeld meist nur den Beginn des Schuldverhältnisses sichert (siehe Rz 30).90 Für eine Kaution spricht es auch, wenn eine andere Sache geleistet wird als jene, die vertraglich geschuldet ist.

5) Reugeld; § 909. Wird bei Schließung eines Vertrages ein Betrag bestimmt, wel­ chen ein oder der andere Teil in dem Falle, daß er von dem Vertrage vor der Erfüllung zurücktreten will, entrichten muß; so wird der Vertrag ge­ gen Reugeld geschlossen. In diesem Fall muß entweder der Vertrag erfüllt, oder das Reugeld bezahlt werden. Wer den Vertrag auch nur zum Teile erfüllt; oder das, was vom andern auch nur zum Teil zur Erfüllung geleis­ tet worden ist, angenommen hat, kann selbst gegen Entrichtung des Reu­ geldes nicht mehr zurücktreten. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Mayrhofer, Zur Rechtsnatur der Stornogebühr im österreichischen Privatrecht, in Festschrift Herdlitczka (1972) 187; Doralt/Koziol, Stellungnahme zum Ministerialentwurf des Konsumentenschutzgesetzes (1979); Schilcher, Allgemeine Bestimmungen über Verbrauchergeschäfte – §§ 5, 7, 10, 12 und 13 KSchG, in Krejci (Hrsg), Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz (1981) 409; Kerschner, Kommentar zu OGH 29. 11. 1983, 4 Ob 124/82, ZAS 1985, 30.

88  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 385; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  908 Rz  30; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 22. 89  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 385. 90  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 385; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  908 Rz  30; Binder in Schwimann3 IV § 908 Rz 21.

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§ 909

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Übersicht I. II. III. IV.

Funktion Anwendungsfälle Allgemeines Voraussetzungen der Wirksamkeit 1. Reugeldabrede 2. Gültiger Hauptvertrag 3. Unwirksamkeit bei bestimmten Rechtsgeschäften V. Mäßigungsrecht VI. Rücktrittsrecht 1. Ausübung des Rücktrittsrechts 2. Erlöschen des Rücktrittsrechts 3. Verhältnis zu anderen Rücktrittsrechten VII. Verpflichtung zur Leistung des Reugeldes VIII. Abgrenzungen 1. Angeld 2. Stornogebühr 3. Konventionalstrafe 4. Unechte Vertragsstrafe 5. Option

1–3 4–9 10–16 17–23 17–19 20–21 22–23 24 25–31 25–27 28 29–31 32–34 35–50 35 36 37–46 47–48 49–50

I. Funktion 1

In der Reugeldabrede wird dem Reugeldberechtigten ein vertragliches Rücktrittsrecht eingeräumt und gleichzeitig bestimmt, dass der Reuberechtigte im Fall der Ausübung dieses vertraglichen Rücktrittsrechts ein Reugeld in bestimmter Höhe zu leisten hat. Das Reugeld ist die „Vergütung, die ein Teil für die Ausübung eines ihm vertragsmäßig vorbehaltenen Rücktrittsrechtes dem anderen Teil zu entrichten verspricht.“1 Die Parteien können vereinbaren, dass beiden Vertragsparteien oder dass nur einer Vertragspartei das Reurecht zusteht.2 Gesetzliche Rücktrittsrechte werden durch die Reugeldabrede nicht beschränkt (siehe unten VI.3.) Weil der Reuberechtigte die Wahl hat, an dem Vertrag festzuhalten oder 2 sich gegen Zahlung des Reugeldes von dem Vertrag zu lösen, schwächt die Reugeldabrede die vertragliche Bindung.3 Die Reugeldabrede verschafft dem Reuberechtigten ein Gestaltungsrecht und stellt einen Vorteil für diesen dar. Dieser Vorteil ist umso größer, je mehr das Reugeld die Kosten der Aufrechterhaltung des Vertrages unterschreitet.4 Dem Vertragspartner des Reuberech1  Ehrenzweig, System II/12, 189; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 369; OGH 3 Ob 888/33, ZBl 1934/114. 2  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 564; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 369; GlU 8212; GlUNF 1791. 3  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 564; Mayrhofer, SchRAT3 213; Koziol/Welser13 II 22; Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 2a; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 1; Apathy in Schwimann3 V § 7 KSchG Rz 1. 4  Ähnlich auch Krejci in Rummel3 II § 7 KSchG Rz 4.

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Anwendungsfälle

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tigten erwachsen durch die Reugeldabrede keine Rechte (vgl jedoch § 911 zur Wirkung der Reugeldabrede bei verschuldeter Unmöglichkeit der Leistung). Das Reugeld stellt nach hM keinen Schadenersatz dar, weil der Rücktritt 3 nicht rechtswidrig erfolgt, sondern der Reuberechtigte über ein vertragliches Rücktrittsrecht verfügt.5 Da das Reugeld gem § 911 auch im Fall der verschuldeten Nichterfüllung zusteht, kann es jedoch eine ähnliche Wirkung wie eine Vertragsstrafe erzielen (vgl ausführlich § 911).6

II. Anwendungsfälle Reugeldabreden sind häufig, werden aber zumeist anders bezeichnet, zB als Vereinbarung über Stornogebühren (siehe unten VIII.2.). Reiseveranstaltungsverträge enthalten zumeist Reugeldvereinbarungen: Der Kunde kann von der Reise zurücktreten und hat als Entgeltersatz die Stornogebühr zu leisten (siehe Allgemeine Reisebedingungen Teil B Z 7.1.c7). In dem Muster Allgemeinen Reisebedingungen ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Stornogebühren dem richterlichen Mäßigungsrecht unterliegen. Zu beachten ist, dass auf Reiseverträge nach hM die werkvertragliche Vorschrift des § 1168 anzuwenden ist und nach zutreffender Ansicht des OGH § 1168 den Bestimmungen zum Reugeld vorgeht (siehe näher § 911 III.). Auch in der Hotellerie sind Reugeldvereinbarungen zugunsten des Kunden häufig. Die Muster-AGB für die Hotellerie in der Fassung vom 15. 11. 2006 (AGBH)8 sehen (in 5.5 und 5.6) Rücktrittsrechte vor, bei deren Ausübung Stornogebühren zu entrichten sind. Die Höhe der Stornogebühren nimmt üblicherweise mit der Nähe zur geplanten Anreise zu. Die Reugeldabrede kann auch mit der Bessergebotsklausel der §§ 1083 ff verbunden werden, sodass dem Verkäufer ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird, das dieser ausüben kann, wenn er eine Person findet, die bereit ist, einen höheren Preis zu bezahlen, und der Verkäufer in diesem Fall das Reugeld zu entrichten hat.9 Das Lösungsrecht des Reuberechtigten kann als Widerrufsrecht, Rücktrittsrecht oder – bei Dauerschuldverhältnissen – als Kündigungsrecht ausgestaltet sein. Auch bei Dauerschuldverhältnissen kann ein Entgelt für die Ausübung von vertraglichen Lösungsrechten vereinbart sein. Diese Vereinbarungen stellen Reugeldabreden dar. In diesem Sinn hat eine jüngere Entscheidung die Vorfälligkeitsentschädigung, die ein unternehmerischer Kreditnehmer infolge der vorzeitigen Vertragsauflösung zu leisten hatte, als Reugeld beurteilt.10 Da 5  OGH 1 Ob 268/03y, SZ 2004/20; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  909 Rz  1; Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 2a. 6  Ehrenzweig, System II/12, 190; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 391; Doralt/Koziol, Stellungnahme 51; Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I, 565. 7  Abgedruckt in Dorner, Reiserecht, Anhang V. 8  Abrufbar zB auf der Homepage der Wirtschaftskammer Österreich (http://portal.wko.at/ wk/format_detail.wk?AngID=1&StID=254299&DstID=316), abgerufen am 7. 3. 2011. 9  GlU 12543. 10  So OGH 7 Ob 78/10m, JBl 2010, 578.

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die Vorfälligkeitsentschädigung von einem Unternehmer zu leisten war, verneinte der OGH das Bestehen eines richterlichen Mäßigungsrechts. Vorfälligkeitsentschädigungen, die Verbraucher zu leisten haben, sind mE ebenfalls nicht als Reugelder zu mäßigen, weil bei Verbraucherkrediten die zulässige Höhe einer Vorfälligkeitsentschädigung in § 16 Abs 3 VKrG bereits detailliert und abschließend geregelt ist, sodass eine Mäßigung nicht in Betracht kommt. Bei Unternehmerkrediten scheidet eine Mäßigung richtigerweise aus, wie auch der OGH ausführte, weil eine Analogie zu § 7 KSchG für von Unternehmern zu zahlende Reugelder richtigerweise nicht zu ziehen ist (dazu näher §  911 IV.2.). Soweit § 15 KSchG anwendbar ist (Verträge über wiederkehrende Leistungen) verfügen Verbraucher über nicht beschränkbare, freie Kündigungsrechte, sodass die Vereinbarung zusätzlicher Kündigungsrechte gegen Reugeldzahlung wenig Bedeutung hat.

III. Allgemeines 10

Auch wenn dem Reuberechtigten die Wahl zwischen der Erfüllung des Vertrags und der Zahlung des Reugeldes zusteht, liegt dennoch keine Wahlschuld iSd § 906 vor, sondern der Reuberechtigte verfügt über eine Ersetzungsbefug­ nis.11 Der Reuberechtigte schuldet Vertragserfüllung, aber hat das Recht, diese Verpflichtung durch die Pflicht zur Leistung des Reugeldes zu ersetzen. Durch die Ausübung des Rücktrittsrechts erlöschen die vertraglichen Er11 füllungsansprüche auf beiden Seiten. Vertragliche Erfüllungsansprüche bestehen dann weder zugunsten des Reuberechtigten12 noch zugunsten des anderen Vertragspartners. Nach Erklärung des Rückritts kann der Reuberechtigte daher den Vertrag nicht mehr erfüllen.13 Der Vertragspartner des Reuberechtigten erwirbt durch den Rücktritt das 12 Recht auf Zahlung des vereinbarten Reugelds. Darüber hinausgehende Nachteile können nicht – etwa im Rahmen eines Schadenersatzanspruchs – geltend gemacht werden, weil der Reuberechtigte von einem vertraglich vereinbarten Recht Gebrauch macht und nicht rechtswidrig handelt.14 Die §§ 909–911 enthalten dispositive Bestimmungen, von denen die Par13 teien im Rahmen der Vertragsfreiheit abweichen können. Die Vertragsparteien können zB Formvorschriften für die Ausübung des Rücktrittsrechts vorsehen oder vereinbaren, dass das Rücktrittsrecht abweichend von §  909 auf bestimmte Gründe eingeschränkt sein soll.15 Vereinbart werden kann auch die Ausweitung der Pflicht zur Leistung des Reugelds auf Fälle nichtverschuldeter Nichterfüllung.16 Es ist auch möglich, das Rücktrittsrecht zeitlich zu be11  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 390; Mayrhofer, SchRAT3 212; Hasenöhrl, Obligationen­recht2 I, 564; GlUNF 4142, GlUNF 1791, GlU 981; Koziol/Welser13 II 21. 12  GlU 1065. 13  GlU 1065. 14  ZB Koziol/Welser13 II 21. 15  Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 909 Rz 2; GlU 12543: Finden eines besseren Käufers. 16  Vgl OGH GlU 15931 (Verpflichtung zur Leistung des Reugeldes, wenn das für ein Pferderennen angemeldete Pferd infolge Erkrankung nicht an dem Rennen teilnimmt).

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Voraussetzungen der Wirksamkeit

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fristen17 oder – abweichend von § 909 – zu vereinbaren, dass es auch erst nach der Erfüllung ausgeübt werden kann.18 Während aufrechter Rücktrittsfrist kann der Vertragspartner des Reube- 14 rechtigten noch nicht sicher damit rechnen, dass der Vertrag durchgeführt wird. Muss dieser bereits Vorbereitungshandlungen für die Erfüllung tätigen, so kann er ein Interesse an einer raschen Klärung dieses „Schwebezustandes“ haben. Daher wird vertreten, dass der Vertragspartner in diesem Fall dem Reuberechtigten eine Frist für die Ausübung des Reurechts setzen kann.19 ME ist eine solche Fristsetzung im Allgemeinen nicht zulässig, weil das Reurecht gerade dazu dient, dass der Reuberechtigte sich die Option offen halten kann, von dem Vertrag zurücktreten, um auf noch unbekannte zukünftige Ereignisse (zB Krankheit vor Reiseantritt; unternehmerische Entwicklung etc) reagieren zu können. Im Gegensatz zu anderen vertraglichen Rücktrittsrechten erhält der Vertragspartner für die Ausübung des Rücktrittsrechts eine Gegenleistung in Form des Reugelds, das gerade zur Abdeckung von Nachteilen durch den Rücktritt dient. Im Einzelfall kann die Vertragsauslegung jedoch zu dem Ergebnis führen, dass das Reurecht keinen längeren „Schwebezustand“ ermöglichen sollte, sodass in diesem Fall eine Fristsetzung zulässig wäre. Das Reugeld wird gem § 909 nur versprochen und nicht bereits bei Ver- 15 tragsabschluss geleistet. Es steht der Qualifikation als Reugeld jedoch nicht entgegen, wenn das Reugeld bei Vertragsabschluss sogleich entrichtet wird. Dass dies zulässig ist, ergibt sich auch aus § 910, nach dem eine bei Vertragsschluss gegebene Summe als Reugeld dienen kann.20 Oft wird bei Vertragsschluss eine Anzahlung geleistet, deren Höhe sich allerdings von dem später zu leistenden Reugeld unterscheiden kann. Als Reugeld kann nicht nur eine Summe Geldes, sondern auch eine Sache 16 vereinbart werden.21 Das Reugeld kann auch bei einem Dritten hinterlegt werden, der es an den Vertragspartner bei Ausübung des Reurechts auszufolgen hat.22

IV. Voraussetzungen der Wirksamkeit 1. Reugeldabrede Ein Reugeld liegt nur dann vor, wenn die Parteien eine Reugeldabrede 17 getroffen haben.23 Das Reurecht kann entweder beiden Vertragsparteien oder nur einer Vertragspartei eingeräumt werden. Lässt sich ein Unternehmer in einem Verbrauchergeschäft ein Reurecht 18 einräumen, so ist diese Vereinbarung nur wirksam, wenn sie im Einzelnen aus17 

GlUNF 1791 Befristung des Reurechts auf 14 Tage. GlUNF 6554. 19  Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 5; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 16. 20  Gschnitzer in Klang IV/12, 389. 21  Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 909 Rz 7; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 5. 22  GlU 14084. 23  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 389. 18 

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gehandelt wurde (§ 6 Abs 2 Z 1 KSchG).24 Gem § 6 Abs 2 Z 1 KSchG ist eine Vertragsbestimmung, nach der „der Unternehmer ohne sachliche Rechtfertigung vom Vertrag zurücktreten kann“ (§ 6 Abs 2 Z 1 KSchG), nur wirksam wenn diese im Einzelnen ausgehandelt wurde. Dies gilt auch dann, wenn – wie bei einem Reurecht – ein Entgelt für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu zahlen ist.25 Reugeldvereinbarungen können zu keiner gröblichen Benachteiligung 19 oder sittenwidrigen Belastung des Reuberechtigten führen, weil die Reugeldvereinbarung dem Reuberechtigten lediglich ein andernfalls nicht bestehendes Recht einräumt und seine Rechtsposition im Vergleich zum dispositiven Recht verbessert.26 Aus diesem Grund wird auch von vielen Autoren eine Mäßigung des Reurechts abgelehnt (vgl näher § 911 IV.). 2. Gültiger Hauptvertrag 20

Die Reugeldabrede eröffnet eine Lösungsmöglichkeit von einem gültig geschlossenen Vertrag. Ist kein Vertrag zustande gekommen, so ist die Reugeldvereinbarung funktionslos und hinfällig.27 Auch durch die erfolgreiche Irrtums­ anfechtung des Vertrages wird die Reugeldabrede aufgehoben. Das Reugeld steht nur zu, wenn das in der Reugeldabrede eingeräumte zusätzliche Lösungsrecht ausgeübt wird. Wird der Vertrag durch Ausübung gesetzlicher Rücktrittsrechte- oder Kündigungsrechte aufgelöst, kann das Reugeld nicht verlangt werden.28 Eine Reugeldabrede kann grundsätzlich zu jedem Rechtsgeschäft verein21 bart werden. Es ist auch zulässig, eine Reugeldabrede mit einer Punktation,29 einem einseitigen Rechtsgeschäft (zB Auslobung) oder einer Willenserklärung (zB Angebot)30 zu verbinden. Auch ein Vorvertrag kann eine Reugeldabrede enthalten.31 Möglich ist es auch, für Rechtsgeschäfte, deren Gültigkeit auflösend oder aufschiebend bedingt ist, durch eine Reugeldabrede eine Aufhebungsmöglichkeit zu schaffen. 3. Unwirksamkeit bei bestimmten Rechtsgeschäften 22

Bestimmte Rechtsgeschäfte können kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht mit einer Reugeldabrede verbunden werden: 24  Mayrhofer, SchRAT3 214; Binder in Schwimann3 IV §§  909–911 Rz  4; Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 1; Apathy in Schwimann3 V § 6 KSchG Rz 5. 25  Mayrhofer, SchRAT3 214. 26  OGH 2 Ob 85/05x, EvBl 2006/27; so auch die Entscheidung 8 Ob 691/90, ÖJZ 1992/109, die diese Aussage jedoch insofern einschränkt, als dies jedenfalls für Vereinbarungen von Stornogebühren „in der Höhe des durch die Stornierung tatsächlich erlittenen Schadens“ gelte; gegen die Sittenwidrigkeit einer Stornogebührenvereinbarung beim Werkvertrag 1 Ob 268/03y, SZ 2004/20. 27  GlU 12543 (Preisbestimmtheit); GlUNF 533; OGH 5 Ob 138/94, JBl 1995, 788 (Lukas) (anfängliche rechtliche Unmöglichkeit). 28  Vgl zB Koziol/Welser13 II 21. 29  GlU 14084; GlUNF 7027. 30  Gschnitzer in Klang IV/12, 389. 31  OGH 1 Ob 34/68, HS 6.441; GlU 7022; GlU 1539; Rv I 202/18, ZBl 1919/232.

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Voraussetzungen der Wirksamkeit

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Gem § 45 besteht beim Verlöbnis weder ein Anspruch auf Verehelichung, noch kann vereinbart werden, dass eine bestimmte Leistung im Falle des Rücktrittes zusteht. Eine dem Verlöbnis beigefügte Reugeldabrede ist unwirksam.32 Das AÜG dient dem Schutz von Leiharbeitnehmern. Es verbietet in § 11 Abs 2 Z 6, den Leiharbeitnehmer durch eine Reugeldabrede über die Vertragszeit hinaus in seiner Erwerbstätigkeit zu beschränken. Um Verbraucher vor unüberlegten und übereilten Immobiliengeschäften zu schützen, gewährt § 30a KSchG diesen ein Rücktrittsrecht von Immobi­ liengeschäften, wenn sie ihre Vertragserklärung an demselben Tag abgeben, an dem sie die Immobilie das erste Mal besichtigt haben. § 30a KSchG erfasst Verträge zum Erwerb eines Bestandrechts, eines sonstigen Gebrauchs- oder Nutzungsrechts oder des Eigentums an einer Eigentumswohnung, einem Einfamilienwohnhaus oder an einer Liegenschaft, die zum Bau eines Einfamilienwohnhauses geeignet ist. Der Rücktritt kann binnen einer Woche nach Vertragsabschluss erklärt werden. Gem § 30a Abs 4 KSchG kann die Zahlung eines Angelds, Reugelds oder einer Anzahlung vor Ablauf der Rücktrittsfrist nicht wirksam vereinbart werden. Nach allgemeinen Grundsätzen gebührt das Reugeld nicht bei Ausübung gesetzlicher Rücktrittsrechte, wie des Rücktrittsrechts gem § 30a KSchG (siehe VI.3.). Die Bestimmung des § 30a KSchG soll überdies verhindern, dass der Makler schon vor Ablauf der Rücktrittsfrist Zahlungen entgegennimmt.33 §  38 WEG dient dem Schutz des Wohnungseigentumsbewerbers oder Wohnungseigentümers vor einer unbilligen Beschränkung der ihm zustehenden Nutzungs- und Verfügungsrechte und erklärt Vereinbarungen für unwirksam, die dazu geeignet sind, eine solche Beschränkung herbeizuführen. § 38 Abs  1 Z 5 WEG nennt als einen Spezialtatbestand einer unwirksamen Vertragsbestimmung die Vereinbarung einer Konventionalstrafe oder eines Reugeldes. Diese Vereinbarungen sind jedoch nicht schlechthin unwirksam, sondern nur dann, wenn sie die dem Wohnungseigentumsbewerber oder Wohnungseigentümer zustehenden Nutzungs- oder Verfügungsrechte unbillig beschränken.34 Daher ist es zulässig, dass dem Wohnungseigentumsbewerber ein Reurecht eingeräumt wird. Unwirksam sind jedoch Vereinbarungen, die dem Wohnungseigentumsorganisator ermöglichen, sich allzu leicht von dem Vertrag zu lösen.35 Ist ein Rechtsgeschäft oder die Ausübung eines Gestaltungsrechts bedin­ 23 gungsfeindlich, so ist es mE nicht zulässig, ein Reurecht zu vereinbaren. Die Bedingungsfeindlichkeit mancher Rechtsgeschäfte (zB Vaterschaftsanerkenntnis, Kündigung) ist darin begründet, dass statusrelevante Rechtsgeschäfte eindeutig feststehen müssen. Mit diesem Zweck ist ein einseitiges Lösungsrecht, wie es die Reugeldabrede einräumt, nicht vereinbar.

Vgl zB auch Gschnitzer in Klang2 IV/1 390; Mayrhofer, SchRAT3 214. Krejci in Rummel3 II § 30a KSchG Rz 20. 34  Vgl näher dazu Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Wohnrecht § 38 WEG Rz 25 ff. 35  Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Wohnrecht § 38 WEG Rz 26. 32  33 

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V. Mäßigungsrecht 24

Ist ein Verbraucher zur Zahlung eines Reugeldes verpflichtet, so kann der Richter das Reugeld gem § 7 KSchG in sinngemäßer Anwendung des § 1336 Abs 2 mäßigen. Die Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechts auf Reugeldabreden ist jedoch sehr umstritten. Vgl zum Mäßigungsrecht ausführlich § 911 IV.

VI. Rücktrittsrecht 1. Ausübung des Rücktrittsrechts Das Rücktrittsrecht ist ein Gestaltungsrecht, das durch einseitige, emp­ fangsbedürftige Erklärung ausgeübt wird. Die Rücktrittserklärung kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. 26 Entsprechend allgemeinen Grundsätzen ist entscheidend, ob der Erklärungsempfänger aufgrund der Umstände des konkreten Falles zu dem Schluss gelangen muss, dass der Reuberechtigte sein Reurecht ausübt (§  863). Der bloße Verzug des Reuberechtigten mit der Leistung erlaubt keinen Schluss auf die Ausübung des Reurechts, weil der Verzug unterschiedliche Ursachen haben kann und daher keinen eindeutigen Erklärungswert aufweist.36 Ebenso liegt darin keine stillschweigende Ausübung des Rechts, wenn der Reuberechtigte die Zahlung verweigert und dafür einen anderen Grund als die Ausübung des Reurechts angibt, wie zB die mangelnde Gültigkeit des Vertrages.37 Wenn der Reuberechtigte die Erfüllung ohne Angabe von Gründen verweigert, so kann die andere Partei daraus zumeist den Schluss ziehen, dass er sein Reurecht ausübt,38 weil nur die Ausübung des Reurechts das Abstehen von dem Vertrag erlaubt, ohne dass weitere Voraussetzungen vorliegen müssen. Durch die Ausübung des Rücktrittsrechts erlöschen die vertraglichen Er27 füllungsansprüche. Gem § 909 letzter Satz erlischt das Reurecht mit (teilweiser) Annahme oder Erbringung der vertraglichen Leistung. Besteht aufgrund einer vom dispositiven Recht abweichenden Vereinbarung noch nach Leistungserbringung ein Reurecht, so richtet sich die Rückstellung bereits erbrachter Leistungen bei Ausübung des Reurechts nach dem Bereicherungsrecht.39 Die Leistungen können gem §  1435 kondiziert werden. Der Anspruch auf 25

36  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 390. GlU 8212 (jedoch ist nach dem OGH in diesem Fall auch nicht klar, ob der Vertrag selbst wirksam geschlossen wurde). In GlU 14084 vereinbarten die Parteien ausdrücklich, dass das Reurecht bei Nichterscheinen zum angegeben Termin zustehen soll. 37  Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 3; GlU 1065; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 390; GlU 8212 (wobei der OGH jedoch offen lässt, ob der Vertrag wirksam zustande kam); GlUNF 1791 (Wegfall von Bedingungen des Kaufes). 38  Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 3; aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 390. Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 17. GlU 1065 lässt sich mE keine klare Aussage entnehmen, weil der OGH zwar einerseits einen konkludenten Rücktritt annimmt, aber andererseits ausführt, dass ein Verschulden des Reuberechtigten vorliegt, sodass offen bleibt, ob hier das Reurecht ausgeübt wurde oder ob die Erfüllung schuldhaft unterblieben ist (§ 911). GlU 10082 sagt, dass in der Erfüllungsverweigerung eine konkludente Ausübung des Reurechts liegt; vgl auch OGH 1 Ob 268/03y, SZ 2004/20. 39  GlUNF 6554; Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 4.

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Verpflichtung zur Leistung des Reugeldes

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Reugeldzahlung entsteht mit Ausübung des Rücktrittsrechtes (siehe zu diesem unten VI.). 2. Erlöschen des Rücktrittsrechts Das Rücktrittsrecht erlischt gem §  909 bei vollständiger oder teilweiser 28 Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen. § 909 letzter Satz bestimmt überdies, dass die Annahme von Leistungen das Reurecht untergehen lässt. Dasselbe gilt, wenn der Reuberechtigte Erfüllung verlangt.40 Nach Zeiller liegt die ratio für diese Erlöschenstatbestände darin, dass diese Handlungen den Tatbestand eines stillschweigenden Verzichts auf das Rücktrittsrecht erfüllen.41 Das Erlöschen des Rücktrittsrechts zu diesen Zeitpunkten wird auch dem typischen Parteiwillen entsprechen. Abweichend von der Regelung des § 909 können die Parteien auch vereinbaren, dass das Rücktrittsrecht zu einem anderen Zeitpunkt, zB nach Ablauf von 14 Tagen ab Vertragsabschluss erlischt.42 3. Verhältnis zu anderen Rücktrittsrechten Die Reugeldabrede schafft ein zusätzliches Rücktrittsrecht. Gesetzliche 29 Rücktrittsrechte bleiben von dem Reurecht unberührt. Übt der Reuberechtigte ein ihm bereits aufgrund des Gesetzes zustehendes Rücktrittsrecht aus (zB §  918, §  934, §  3 KSchG), löst dies die Pflicht zur Leistung des Reugeldes nicht aus. Vereinbaren die Parteien, dass eine bestimmte Summe zu zahlen ist, wenn 30 ein aufgrund des Gesetzes zustehendes Rücktrittsrecht ausgeübt wird, so liegt darin keine Reugeldvereinbarung, sondern eine vertragliche Beschränkung des gesetzlichen Rücktrittsrechts. Dies ist bei zwingenden Rechten unzulässig. Außerhalb zwingenden Rechts ist die Gültigkeit der Vereinbarung am Maßstab des § 879 Abs 3 zu prüfen.43 Zum Verhältnis zu § 1168 vgl § 911 III. 31

VII. Verpflichtung zur Leistung des Reugeldes Die Entrichtung des Reugeldes ist nach dem Gesetz nicht Bedingung für 32 die Ausübung des Rücktrittsrechts.44 Mit Ausübung des Rücktrittsrechts erwirbt der Vertragspartner lediglich den schuldrechtlichen Anspruch, das Reugeld zu verlangen.45 Die Parteien können die Reugeldzahlung jedoch rechtsgeschäftlich zur Bedingung erheben. Gem § 911 steht das Reugeld auch zu, wenn der Reuberechtigte den Ver- 33 trag schuldhaft nicht erfüllt (näher bei § 911). Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 5. Zeiller, Commentar III/1, 99; so auch Mayrhofer, SchRAT3 212. 42  So im SV der Entscheidung GlUNF 1791. 43  Krejci in Rummel3 II § 7 KSchG Rz 4; OGH 3 Ob 562/78, SZ 51/83; ähnlich auch Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 7 KSchG Rz 11. 44  Anders die deutsche Rechtslage (§ 353 BGB). 45  GlU 1065; GlU 14084. 40  41 

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§ 909 34

Aichberger-Beig

Der Anspruch auf das Reugeld verjährt nach hM innerhalb von 3 Jahren. Dies wird zumeist damit begründet, dass das Reugeld eine Entschädigungszahlung im weiteren Sinn sei und somit § 1489 unterliege.46 Die Verjährung beginnt mit jenem Zeitpunkt, in dem der Reugeldanspruch erstmals geltend gemacht werden kann.47 Die Triennalfrist der Verjährung ergebe sich hingegen nach Binder aus der Anwendung des § 1486 auf „Forderungen des täglichen Lebens“.48

VIII. Abgrenzungen 1. Angeld 35

Vgl § 908 VII. 3. 2. Stornogebühr

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In der Praxis werden häufig Stornogebühren vereinbart. Ob Stornogebühren Vertragsstrafen iSd § 1336 oder Reugelder gem § 909 darstellen, wird kontrovers beurteilt. Vgl näher zur Einordnung von Stornogebühren unter 3. 3. Konventionalstrafe

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Der Gesetzgeber sieht zwischen Reugeld und Konventionalstrafe eine nahe Verwandtschaft: Als Gründe für die Ausweitung des Mäßigungsrechts des Richters gem § 1336 Abs 2 auf das Reugeld durch § 7 KSchG nennen die Materialien die Verwandtschaft und Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den beiden Rechtsinstituten.49 Seit der Erweiterung des Mäßigungsrechts ist die Bedeutung der Abgren­ 38 zung bei Verbrauchergeschäften gesunken, weil die Rechtsfolgen weitgehend angenähert sind. Sowohl die Vertragsstrafe als auch das Reugeld können im Verbrauchergeschäft vom Richter gemäßigt werden (vgl jedoch zur kontroversen Anwendung des Mäßigungsrechts auf Reugelder §  911 IV.). Jedoch kann der über die vereinbarte Zahlung hinausgehende Schaden beim Reugeld nicht geltend gemacht werden, während dies bei Vertragsstrafen gegenüber einem Verbraucher gem § 1336 Abs 3 dann möglich ist, wenn dies im Einzelnen ausgehandelt wurde. Größere Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen Reugeld und Ver39 tragsstrafe im Unternehmergeschäft, weil die analoge Anwendung des richterlichen Mäßigungsrecht auf von Unternehmern versprochene Reugelder von der hM abgelehnt wird (siehe § 911 IV.2.). Die Konventionalstrafe ist nach der 46  Mayrhofer, FS Herdlitczka 193 ff; Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 6; Schilcher, HB z KSchG 426 f; OGH 4 Ob 543/75, SZ 48/88. Auch 6 Ob 70/62, ÖJZ 1962/311 wendet § 1489 auf Stornogebühr für das Abgehen von dem Vertrag an, aber charakterisiert die Stornogebühr, die mE ein Reugeld darstellt, als Vertragsstrafe. 47  Schilcher, HB z KSchG 427; Mayrhofer, FS Herdlitczka 194. 48  Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 14. 49  EB RV 744 BlgNR 14. GP 27.

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Abgrenzungen

§ 909

gesetzlichen Konzeption überdies lediglich Mindestschadenersatz, während über das Reugeld hinausgehende Schäden nicht geltend gemacht werden können. Konventionalstrafe und Reugeld unterscheiden sich dadurch, dass die 40 Reugeldabrede mit der Einräumung eines Rücktrittsrechts verbunden ist, während die Vereinbarung einer Konventionalstrafe kein Rücktrittsrecht gewährt. Das Reugeld ist vereinbarungsgemäß zu zahlen, obwohl der Rücktritt vertragskonform und daher nicht rechtswidrig ist. Hingegen dient die Konventionalstrafe als Schadenersatz für rechtswidriges Verhalten. Die Vereinbarung einer Konventionalstrafe räumt jener Partei, die zu deren Zahlung verpflichtet ist, kein Rücktrittsrecht ein, sodass der Partner das Recht hat, auf Erfüllung zu bestehen.50 Die Qualifikation als Reugeld oder Konventionalstrafe ist anhand der Vertragsauslegung vorzunehmen.51 Der maßgebliche Wertungsgesichtspunkt, der Vertragsstrafe und Reugeld voneinander unterscheidet, liegt mE darin, dass dem Reuberechtigten durch die Reugeldvereinbarung eine zusätzliche Handlungsmöglichkeit eröffnet wird. Der Reuberechtigte wird durch die Reugeldvereinbarung begünstigt, weil die Abrede ihm ein andernfalls nicht bestehendes Recht einräumt. Der Reuberechtigte ist daher weniger schutzbedürftig als eine Vertragspartei, die eine Vertragsstrafe versprochen hat. Eine Vertragsstrafe liegt jedenfalls dann vor, wenn die Zahlung nicht von 41 jener Partei zu leisten ist, die zurücktritt, sondern die Abgeltung von dem Ver­ tragspartner des Rücktrittsberechtigten zu zahlen ist.52 Daher liegt Konventionalstrafe vor, wenn vereinbart wurde, dass der Verkäufer im Zahlungsverzug des Käufers die Leistung des Reugeldes verlangen kann.53 Hat hingegen jene Partei, die zurücktritt, die vereinbarte Abgeltung zu zah- 42 len, so liegt Reugeld vor. In den oben genannten Beispielen aus Reisevertragsbedingungen ergibt sich aus der Formulierung, dass dem Kunden ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird, sodass eine Reugeldabrede vorliegt. Anderen Vertragsgestaltungen lässt sich jedoch nicht eindeutig entnehmen, ob ein Rück­ trittsrecht besteht oder nicht. Wenn etwa für die „Nichtdurchführung“ eines Vertrages die Zahlung einer „Pönale“ oder einer „Stornogebühr“ vereinbart wird, so ist oft unklar, ob ein Rücktrittsrecht zusteht, sodass ist die Zuordnung zu Konventionalstrafe oder Reugeld umstritten ist. Als Indizien für das Vorliegen von Reugeld oder Vertragsstrafe werden in der Literatur mehrere, unterschiedliche Kriterien genannt: So wird argumentiert, dass der Begriff „stornieren“ für ein Rücktrittsrecht spreche,54 während der Ausdruck „Pönale“ eher darauf hinweise, dass ein rechtswidriges Ver­halten Auslöser der Zahlungspflicht sei und somit eine Vertragsstrafe vorlie50  Würde eine Konventionalstrafenvereinbarung mit der Einräumung eines Rücktrittsrechts verbunden, so läge zugleich eine Reugeldabrede vor (Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 7; Zeiller, Commentar III/2, 776). 51  Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 7. 52  So ausdrücklich OGH 4 Ob 99/09a, wbl 2010/142; Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 8; Bollenberger in KBB3 § 909 Rz 3; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 909 Rz 20; vgl auch die in Einklang mit diesem Grundsatz entschiedenen Fälle 3 Ob 888, ZBl 1934/114; 2 Ob 251/49, SZ 23/22; 6 Ob 156/67, SZ 40/84; 1 Ob 558/79, SZ 52/83. 53  So in dem Fall OGH 6 Ob 156/67, SZ 40/84. 54  Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 11; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 11 f.

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ge.55 Die Bindung der Zahlung des Reugelds an das Vorliegen bestimmter Rücktrittsgründe spreche für die Einräumung eines Rücktrittsrechts und damit für ein Reugeld.56 Während Mayrhofer betont, dass Verträge grundsätzlich verbindlich sind und daher im Zweifel kein Rücktrittsrecht zusteht,57 führt nach Reischauer die Unklarheitenregel des § 915 dazu, dass in AGB vorgesehene Klauseln im Zweifel zu Lasten des AGB-Verwenders auszulegen sind und daher im Zweifel von der Existenz eines Rücktrittsrechts und somit einem Reugeld auszugehen ist. Die Rsp nimmt überwiegend Vertragsstrafe an.58 ME ist danach zu differenzieren, worin die Hauptleistung der Vertrags43 partei besteht, die die Stornogebühr zu zahlen hat. In den allermeisten Fällen von Stornogebühren wird vereinbart, dass der Geldschuldner (Abnehmer) eine Stornogebühr an den Anbieter zu zahlen hat, wenn dieser kein Interesse mehr an der Leistung des Anbieters hat. In diesen häufigsten Fällen von Stornogebühren liegt mE keine Vertragsstrafe sondern ein Reugeld vor, außer die stornierende Partei hätte sich zur Abnahme der vertraglichen Leistung verpflichtet. Eine Abnahmeverpflichtung ist ohne gesonderte Vereinbarung nur dann anzunehmen, wenn ein besonderes Interesse des Schuldners an der Vertragserfüllung besteht, das über jenes am Erhalt der Gegenleistung hinaus geht (zB Interesse eines Künstlers an einem Auftritt).59 Wenn – wie zumeist – keine Abnahmeverpflichtung besteht, verstößt der Abnehmer durch die Stornierung nicht gegen seine vertraglichen Verpflichtungen. Vielmehr wird die Vertragsauslegung mE zumeist zu dem Ergebnis führen, dass in der Stornogebührenvereinbarung ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird. Dies folgt daraus, dass der Abnehmer sich andernfalls von der Pflicht zur Zahlung des vollen Entgelts auch bei Abbestellung der Leistung nicht befreien könnte und es im Belieben des Anbieters stünde, anstelle der Stornogebühr die volle Gegenleistung zu verlangen. Hätte der Anbieter jedoch auch das Recht, das gesamte Entgelt zu verlangen, so wäre die Vereinbarung der Stornogebühr entbehrlich. Eine solche Auslegung des Vertrags ist im Zweifel nicht geboten; bei Vereinbarung einer Zahlung für den Fall der Abbestellung einer Leistung kann der Abnehmer mE im Allgemeinen davon ausgehen, dass er berechtigt ist, sich gegen Zahlung der vereinbarten Stornogebühr von dem Vertrag zu lösen. Zu diesem Ergebnis führt die Auslegung unabhängig davon, ob die zu leistende Zahlung als „Pönale“ oder „Stornogebühr“ bezeichnet wird. Wenn die Stornogebührenvereinbarung in den AGB des Anbieters enthalten ist, spricht auch der von Reischauer ins Treffen geführte Gesichtspunkt, dass unklare Klauseln in den AGB des Anbieters gem § 915 im Zweifel zu Lasten des AGB-Verwenders auszulegen sind, für das Bestehen eines Rücktrittsrechts. 55 

Rz 21.

Reischauer in Rummel3 I §  909 Rz  10; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  909

Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 909 Rz 19. Mayrhofer, FS Herdlitczka 188; so auch OGH 3 Ob 60/75, SZ 48/38. 58  OGH 2 Ob 250/76, SZ 38/208 und 3 Ob 60/75, SZ 48/38; offen lassend hingegen 2 Ob 85/05x, EvBl 2006/27; widersprüchlich 6 Ob 70/62, EvBl 1962/311, der einerseits Konventionalstrafe des Käufers annimmt, aber andererseits von der Ausübung eines Rücktrittsrechts des Käufers ausgeht. 59  Vgl nur F. Bydlinski in Klang2 IV/2, 357; Koziol/Welser13 II 56 f. 56  57 

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Abgrenzungen

§ 909

Eine Ausnahme davon, dass Stornogebühren, die der Abnehmer zu leisten 44 hat, als Reugeld einzuordnen sind, liegt dann vor, wenn diese als Mindestersatz formuliert sind.60 In diesem Fall kann die stornierende Partei nicht damit rechnen, dass sie keine weiteren Zahlungen zu leisten hat und ihr Verhalten rechtmäßig ist. Daher wird zumeist Vertragsstrafe vorliegen. Schwierig ist die Abgrenzung, wenn der stornierende Teil zur Erbringung 45 einer Leistung verpflichtet ist, die nicht die Zahlung einer Geldschuld ist. In diesem Fall ist durch Vertragsauslegung zu klären, ob die andere Vertragspartei sich mit der Stornogebühr zufrieden geben muss oder auf Erfüllung bestehen kann. Wenn die andere Partei das Recht hat, Erfüllung zu verlangen, so handelt die Vertragspartei bei Stornierung rechtswidrig und es wurde eine Konventionalstrafe vereinbart. Für die Qualifikation als Vertragsstrafe spricht es auch, wenn eine Mindestsumme vereinbart wurde.61 Ergibt die Vertragsauslegung, dass kein Erfüllungsanspruch besteht, so liegt eine Reugeldvereinbarung vor. Zuweilen wird vereinbart, dass eine bestimmte Summe Geldes bei einver­ 46 nehmlicher Vertragsauflösung (oder bei einvernehmlicher Vertragsauflösung auf Initiative der anderen Vertragspartei) zustehen soll. Ob diese Vereinbarungen als Reugeldabrede oder als Vereinbarung einer Konventionalstrafe einzuordnen sind, ist umstritten.62 In diesen Fällen besteht die Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Summe weder aufgrund einer Vertragsverletzung, wie dies bei der Vertragsstrafe der Fall ist, noch ist die Zahlung aufgrund der Ausübung eines einseitigen Kündigungsrechts zu leisten.63 In einer jüngeren Entscheidung hat der OGH eine solche Vereinbarung zutreffend als Reugeld eingeordnet, weil der Vergütungsbetrag keine pauschale Abgeltung für eine Vertragsverletzung darstellt, sondern die vertraglich vereinbarte Vergütung für die Lösungsmöglichkeit von dem Vertrag.64 Die Einordnung als Reugeld ist zu begrüßen, weil die einvernehmliche Auflösung nicht rechtswidrig ist und eine zusätzliche Lösungsmöglichkeit vom Vertrag darstellt. Dies kann auch dadurch illustriert werden, dass die Vereinbarung eines Entgelts für den Fall einer künftigen einvernehmlichen Vertragsauflösung als Reugeldabrede verstanden wird, bei der für die Wirksamkeit des Rücktritts zusätzlich die Zustimmung der anderen Vertragspartei erforderlich ist. Anderes gilt freilich, wenn Voraussetzung der Zahlungspflicht nicht bloß die einvernehmliche Vertragsverletzung ist, sondern nur Vertragsverletzung die Zahlungspflicht auslösen.65

Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 9. Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 9. 62  Für die Einordnung als Konventionalstrafe Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 909 Rz 6; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 12; für die Einordnung als Reugeld Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 12, vgl jedoch offenbar anderslautend § 909 Rz 8 aE; Mayrhofer, FS Herdlitczka 192 f; OGH 3 Ob 105/73, JBl 1974, 368 als unechte Vertragsstrafe deutend. Rei­schauer Rz 8: Konventionalstrafe, weil Rücktritt nur mit Zustimmung des Gegners wie in HS 14.930/3 widerspricht dem Charakter als Reugeld, weil es kein einseitiges Rücktrittsrecht gibt (mE aber auch kein rechtswidriges Verhalten). 63  OGH 7 Ob 78/10m, JBl 2010, 578. 64  So OGH 7 Ob 78/10m, JBl 2010, 578. 65  Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 12. 60  61 

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4. Unechte Vertragsstrafe 47

Als „unechte Vertragsstrafe“ werden Zahlungen bezeichnet, die eine Vertragspartei vereinbarungsgemäß für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu leisten hat, obwohl die Partei durch diese Handlung oder Unterlassung nicht gegen vertragliche Pflichten verstößt.66 Die Pflicht zur Zahlung der unechten Vertragsstrafe wird somit ausgelöst durch ein Verhalten, das nicht rechtswidrig ist; der andere Vertragspartner hat daher keinen Anspruch auf die Unterlassung der die Zahlungspflicht auslösenden Handlung bzw auf ein bestimmtes Tun hat, das die Zahlungspflicht vermeiden würde. Ist die Handlung, die die Verpflichtung zur Zahlung der „unechten Ver48 tragsstrafe“ auslöst, die Auflösung des Vertrages, so ist die unechte Vertragsstrafe als Reugeld anzusehen.67 Dies trifft für jene Fälle zu, in denen eine Vertragsstrafe für den Fall einer einvernehmlichen Vertragsauflösung zu leisten ist (siehe auch Rz 46).68 Hingegen ist eine unechte Vertragsstrafe dann nicht wie ein Reugeld zu behandeln, wenn sie durch eine Handlung ausgelöst wird, die nicht in der Auflösung des Vertrages besteht. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Zahlung für den Verstoß gegen ein vertragliches Konkurrenzverbot vereinbart wird, wobei nach dem Parteiwillen keine Klage auf Zuhaltung des Vertrages zustehen soll.69 Ebenso stellen mE Vertragsstrafen gem §  37 Abs  3 AngG für den Verstoß des Arbeitnehmers gegen ein Konkurrenzverbot kein Reugeld dar, weil die Zahlung nicht infolge einer Vertragsauflösung zu leisten ist.70 Ein Reugeldcharakter der Vertragsstrafe für den Verstoß gegen das Konkurrenzverbot ergibt sich mE auch nicht daraus, dass gem § 37 Abs 3 AngG bei Vereinbarung einer Konventionalstrafe kein Erfüllungsanspruch mehr be­ steht,71 weil der Erfüllungsanspruch bereits mit Abschluss dieser Vereinbarung entfällt und nicht – wie beim Reugeld – eine Vertragspartei die Pflicht zur Erfüllung durch die Pflicht zur Zahlung des Reugelds ersetzen kann. Auch Provisionsansprüche, die Maklern unter bestimmten Voraussetzungen trotz Unterbleiben des Vertragsabschlusses über das vermittelte Objekt zustehen, werden als unechte Vertragsstrafen eingeordnet.72 Diese Provisionsansprüche sind keine Reugelder, weil sie nicht als Gegenleistung für einen Rücktritt vom Maklervertrag zu leisten sind. 5. Option 49

Der rechtstechnische Unterschied zwischen der Option und dem Reugeld besteht darin, dass der Optionsberechtigte das Gestaltungsrecht hat, einen beZB Ehrenzweig, System II/12, 194; Wolff in Klang2 VI, 188; Mayrhofer, SchRAT3 220 f. Reischauer in Rummel3 I § 909 Rz 13; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 10; OGH 7 Ob 78/10m, JBl 2010, 578; anders lag der Fall in 6 Ob 202/73, RZ 1974/42, in dem kein „Haupt­ vertrag” zwischen den Parteien bestand, von dem zurückgetreten werden konnte. 68  OGH 7 Ob 78/10m, JBl 2010, 578. 69  So in dem Fall OGH 2 Ob 657/23, SZ 5/229. 70  AA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 390; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 10. 71  Für einen solchen Reugeldcharakter Kerschner, ZAS 1985, 30; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 390; Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 10. 72  ZB OGH 1 Ob 269/91, EvBl 1962/6. 66  67 

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Allgemeines

§ 910

stimmten Vertrag in Geltung zu setzen, während das Reugeld dem Reuberechtigten die Möglichkeit bietet, von einem bindenden Vertrag gegen Zahlung des Reugelds zurückzutreten. Das wirtschaftliche Ergebnis ist bei Option und Reugeld jedoch dasselbe: Ebenso wie das Reugeld gewährt die Option die Möglichkeit zu wählen, ob eine vertragliche Bindung bestehen soll oder nicht. Das Entgelt für eine Option kann anders als das Reugeld nicht gemäßigt 50 werden.73 Weil es sich um wirtschaftlich gleichgelagerte Fälle handelt, spricht auch dies dafür die Anwendung des Mäßigungsrechts auf Reugelder kritisch zu beleuchten (siehe näher § 911 IV.)

§ 910. Wenn ein Angeld gegeben, und zugleich das Befugnis des Rück­ trittes ohne Bestimmung eines besonderen Reugeldes bedungen wird; so vertritt das Angeld die Stelle des Reugeldes. Im Falle des Rücktrittes ver­ liert also der Geber das Angeld; oder der Empfänger stellt das Doppelte zurück. Stammfassung JGS 1811/946

Angeld und Reugeld sind voneinander zu unterscheiden. Während das An- 1 geld die vertragliche Bindung ähnlich einer Vertragsstrafenvereinbarung verstärkt, lockert das Reugeld die vertragliche Bindung, indem es ein Rücktrittsrecht gewährt (siehe zur Abgrenzung § 908 VII.3). Das Angeld dient nicht als Reugeld, und das Reugeld hat nicht die Funktion eines Angelds: Angeldzahlungen räumen nicht, wie dies bei der Vereinbarung eines Reugelds der Fall wäre, ein vertragliches Rücktrittsrecht ein.1 Umgekehrt dient auch eine als Reugeld bereits bei Vertragsabschluss geleistete Zahlung nicht als Angeld, sodass im Fall der schuldhaften Nichterfüllung des Vertrags nach Erlöschen des Reurechts das geleistete Geld vom Empfänger des Reugeldes nicht behalten werden bzw vom Angeldgeber in doppelter Höhe zurückgefordert werden kann, wie dies beim Angeld der Fall wäre. Abweichend von dieser grundsätzlichen Trennung der beiden Rechtsinsti- 2 tute können die Parteien gem §  910 jedoch vereinbaren, dass eine Zahlung sowohl Angeld- als auch Reugeldfunktion hat.2 Ein Bedarf nach einer Kombination von An- und Reugeld kann dann bestehen, wenn die Summe zuerst als Reugeld dienen soll, aber nach Erlöschen des Reurechts die Erfüllung sichern soll.3 Eine solche Vereinbarung ist im Zweifel nicht anzunehmen.4 § 910 vermutet jedoch, dass eine solche Abrede getroffen wurde, wenn gemeinsam mit der Leistung eines Angelds ein Rücktrittsrecht vereinbart wurde.5 § 910 ist nur 73  Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 909 Rz 25; aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 389 f; offen lassend OGH 6 Ob 2317/96w, HS 28.290. 1  GlU 840. 2  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 391; OGH 3 Ob 875/21, SZ 3/126. 3  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 391; GlUNF 6347. 4  GlU 1825. 5  Vgl auch GlUNF 6347.

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anzuwenden, wenn eine Hingabe des Angelds vorliegt; fehlt eine solche, so wurde lediglich ein Reugeld vereinbart.6 Hat sich nur eine der beiden Parteien ein Rücktrittsrecht vorbehalten, so hat auch nur diese Partei die Möglichkeit, sich gegen Zahlung des Reugeldes von dem Vertrag zu lösen.7 Die Rechtsfolgen von Angeld und Reugeld sind gem § 910 folgendermaßen 3 zu verbinden: Während offener Rücktrittsfrist dient die geleistete Summe als Reugeld. Abweichungen von anderen Reugeldabreden ergeben sich dadurch, dass die Summe bereits geleistet wurde: Im Fall des Rücktritts jener Person, die das Angeld geleistet hat, darf der Empfänger das Geld behalten (§ 910: „verliert der Geber das Angeld“); übt der Empfänger des Angeldes sein Rücktrittsrecht aus, so hat er die doppelte Summe zurückzustellen (§ 911 letzter Halbsatz). Möglich ist auch, dass die Parteien neben dem Angeld einen Betrag in an4 derer Höhe als Reugeld vereinbaren. In diesem Fall bestehen die Vereinbarungen getrennt voneinander. Die Rechtsfolgen eines Rechtsinstituts sind dann unabhängig von dem Bestehen des anderen zu beurteilen, sodass Angeld- und Reugeldverfall gesonderte Fragen sind.8 Die Ausübung des Reurechtes führt daher nicht zum Angeldverfall.9

§ 911. Wer nicht durch bloßen Zufall, sondern durch sein Verschulden an der Erfüllung des Vertrages verhindert wird, muß ebenfalls das Reu­ geld entrichten. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Mayrhofer, Zur Rechtsnatur der Stornogebühr im österreichischen Privatrecht, in Festschrift Herdlitczka (1972) 187; Doralt/Koziol, Stellungnahme zum Ministerialentwurf des Konsumentenschutzgesetzes (1979); Schilcher, Allgemeine Bestimmungen über Verbrauchergeschäfte – §§ 5, 7, 10, 12 und 13 KSchG, in Krejci (Hrsg), Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz (1981) 409; Fischer-Czermak, Leistungsstörungen beim Reiseveranstaltungsvertrag, JBl 1997, 274.

Übersicht I. Ratio II. Anwendungsvoraussetzungen 1. Bestehen des Rücktrittsrechts 2. Schuldhaftes Unterbleiben der Leistung III. Verhältnis zu § 1168 IV. Mäßigungsrecht 1. § 7 KSchG 2. Analoge Anwendung auf Nicht-Verbrauchergeschäfte Gschnitzer in Klang2 IV/1, 391. Zeiller, Commentar II/1, 100. 8  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392; Reischauer in Rummel3 I § 910 Rz 1. 9  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392. 6  7 

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1–7 8–14 8–9 10–14 15–16 17–24 17–23 24

Ratio

§ 911

I. Ratio § 911 regelt den Fall, dass der Reuberechtigte den Vertrag schuldhaft nicht erfüllt. Die ratio des § 911 liegt darin, den Vertragspartner in dem Fall, dass der Reuberechtigte das Unterbleiben der vertraglich geschuldeten Leistung verschuldet, gleich zu stellen, wie bei Ausübung des Reurechts durch den Reuberechtigten. § 911 ist nur bei aufrechtem Rücktrittsrecht anzuwenden (näher II.1.). Bei schuldhafter Nichterfüllung nach Erlöschen des Reurechtes richten sich die Rechtsfolgen der schuldhaften Nichterfüllung nicht nach § 911 sondern nach den allgemeinen Regeln der §§ 920 f. Die Höhe des Schadenersatzanspruchs bestimmt sich gem §  921 nach dem tatsächlich entstandenen Schaden und nicht nach der Höhe des Reugeldes. Ist das Reurecht noch aufrecht, so sieht § 911 vor, dass der Partner des Reuberechtigten bei verschuldeter Nichterfüllung des Reuberechtigten Anspruch auf das Reugeld hat. Übersteigen die Nachteile, die der Vertragspartner des Reuberechtigten durch die schuldhafte Nichterfüllung erleidet, das Reugeld, so hat die Partei die über das Reugeld hinausgehenden Schäden selbst zu tragen. Dies entspricht allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen, weil der Vertragspartner des Reuberechtigten sich auch den Rücktritt gegen Zahlung des Reugelds hätte gefallen lassen müssen.1 Der Reuberechtigte könnte einem Begehren auf Ersatz dieser Schäden daher berechtigterweise entgegen halten, dass dem Vertragspartner bei der rechtmäßigen Ausübung des Rücktrittsrechts auch bloß das Reugeld zugestanden wäre. Das vereinbarte Reugeld begrenzt somit das Erfüllungsinteresse; es markiert die Obergrenze der Anspruchshöhe, die der Vertragspartner des Reuberechtigten als Erfüllungsinteresse geltend machen kann.2 Zu beachten ist jedoch, dass das Reugeld gem § 911 nicht bloß den Höchstbetrag für den Schadenersatzanspruch bildet. Vielmehr ordnet § 911 an, dass dem Vertragspartner des Reuberechtigten bei schuldhafter Nichterfüllung stets das gesamte Reugeld zusteht, auch wenn die Schadenshöhe niedriger ist.3 Die Höhe des Reugelds wird – bei mindestens gleicher Verhandlungsstärke der Vertragsparteien – zumeist über der voraussichtlichen Schadenshöhe liegen, weil der Vertragspartner dem Reuberechtigten üblicherweise nur dann ein zusätzliches Rücktrittsrecht einräumen wird, wenn das Reugeld die voraussichtlich entstehenden Nachteile abdeckt. Die Reugeldvereinbarung wirkt gem § 911 bei verschuldeter Nichterfüllung wie eine Vertragsstrafe,4 weil das Reugeld bei schuldhafter NichterfülGschnitzer in Klang2 IV/1, 392. Dafür ist die Anwendung des §  1336 Abs 3, der sich auf Vertragsstrafen bezieht, nicht notwendig (irreführend EB RV zum HaRÄG (1058 der Beilagen 22. GP, 54), die als Grund für die Einführung des § 1336 Abs 3 das Schutzbedürfnis des Verbrauchers bei Stornogebühren anführen). 3  Hingegen vertritt Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392 die Ansicht, dass auch in diesem Fall das Reugeld nicht zur Konventionalstrafe geworden sei. 4  Hasenöhrl, Obligationenrecht2 I 565; Ehrenzweig, System II/12, 190; Doralt/Koziol, Stellungnahme 51; aA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392. 1  2 

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lung zu leisten ist, ohne dass es eines Nachweises über die Schadenshöhe bedürfte. Dieses Ergebnis ist überraschend: Während die Reugeldabrede grundsätzlich die vertragliche Bindung durch Einräumung eines freien Rücktrittsrechts abschwächt, führt die Reugeldabrede im Fall schuldhafter Nichterfüllung zu einer Verstärkung der vertraglichen Bindung. Dies erscheint mE nur im Fall vorsätzlicher Nichterfüllung des Reuberechtigten (zB Doppelverkauf und Übereignung an den anderen Käufer) gerechtfertigt, in dem der Reuberechtigte sich für die Nichterfüllung entschieden hat oder diese jedenfalls – im Sinn eines dolus eventualis – in Kauf genommen hat. Zwar unterscheidet sich selbst die vorsätzliche Nichterfüllung von der Ausübung des Reurechts: Bei vorsätzlicher Nichterfüllung macht der Reuberechtigte nicht von einem vertraglichen Rücktrittsrecht Gebrauch, weil er auch ohne die Reugeldabrede die Möglichkeit zu diesem Verhalten gehabt hätte. Überdies kann der Vertragspartner des Reuberechtigten in diesem Fall auf die Erfüllung bestehen. Es sprechen jedoch dennoch gute Gründe dafür, die vorsätzliche Nichterfüllung der Ausübung des Reurechts gleich zu stellen, weil der Reuberechtigte andernfalls anstelle der Ausübung des Reurechts die für ihn günstigere Variante vorsätzlicher Nichterfüllung wählen und dadurch die Zahlung des Reugeldes umgehen könnte. Die Reugeldabrede ist insofern auch als Vereinbarung zugunsten des Vertragspartners zu sehen, der das Reugeld erhalten soll, wenn der Reuberechtigte sich – durch Ausübung des Rücktrittsrechts oder faktisch durch Erfüllungsverweigerung – dafür entscheidet, den Vertrag nicht abzuwickeln. Für Fälle fahrlässiger Nichterfüllung ist die Anordnung des § 911 jedoch 6 mE nicht sachgerecht. Wird einer Partei das Recht eingeräumt, sich gegen Zahlung einer sehr hohen Summe von dem Vertrag zu lösen, so kann diese Partei mE berechtigerweise erwarten, dass sie durch diese Vereinbarung bloß ein Gestaltungsrecht erhält, dessen Ausübung kostspielig ist; die Partei muss jedoch nicht damit rechnen, dass sie diese Summe auch bei fahrlässiger Nichterfüllung leisten muss, weil die Reugeldabrede nach der vertraglichen Vereinbarung nur für den Fall der Ausübung des vertraglichen Rücktrittsrechts vorgesehen ist. Auch kann der Reugeldabrede mE kein Wille der Parteien entnommen werden, den Reuberechtigten schlechter als ohne Reugeldvereinbarung zu stellen, wenn dieser den Vertrag schuldhaft nicht erfüllt. Es ist nicht ersichtlich, warum der Partner des Reuberechtigten besser stehen sollte, wenn die schuldhafte Nichterfüllung während offener Rücktrittsfrist erlischt, als wenn die Nichterfüllung in einen Zeitraum nach Erlöschen des Rücktrittsrechts fällt. Die gesetzliche Regelung ließe sich nur damit begründen, dass nach dem Parteiwillen bei Vereinbarung eines Reurechts im Fall des Unterbleibens der Abwicklung des Vertrages, den der Reuberechtigte verschuldet hat, dem Vertragspartner das Reugeld zustehen soll. Dies entspricht jedoch mE nicht dem Willen und den Erwartungen der Parteien, sodass §  911 auf Fälle vorsätzlicher Nichterfüllung teleologisch zu reduzieren ist. Das Recht des Vertragspartners bei fahrlässigen Vertragsverletzungen des Reuberechtigten Schadenersatz zu verlangen, wird durch die Reugeldvereinbarung mE nur insoweit berührt, als der Schadenersatzanspruch die als Reugeld vereinbarte Summe nicht überschreiten kann, weil der Reuberechtigte sich während offener Rücktrittsfrist gegen Zahlung dieser Summe rechtmäßig von der Erfüllung seiner vertragli332

Anwendungsvoraussetzungen

§ 911

chen Verpflichtungen befreien könnte. Das Reugeld stellt somit bei fahrlässiger Nichterfüllung durch den Reuberechtigten die Obergrenze dessen dar, was der Vertragspartner aus dem Titel des Schadenersatzes verlangen kann. Die Judikatur hat – soweit ersichtlich – eine Forderung auf Zahlung des 7 Reugeldes nie alleine auf § 911 gestützt. Vielmehr hat sie sich in solchen Fällen (auch) darauf berufen, dass der Reuberechtigte durch sein Verhalten stillschweigend von dem Vertrag zurückgetreten ist.5 Auch diesen Entscheidungen liegen Sachverhalte zugrunde, in denen der Reuberechtigte nicht durch Fahrlässigkeit an der Erfüllung gehindert war, sondern sich bewusst für eine solche entschieden hat, weil nur in solchen Fällen eine konkludente Willenserklärung vorliegen kann.

II. Anwendungsvoraussetzungen 1. Bestehen des Rücktrittsrechts Der Gedanke des § 911, den Vertragspartner des Reuberechtigten in dem 8 Fall, dass der Reuberechtigte das Unterbleiben der Leistung verschuldet, gleich zu stellen, wie bei Ausübung des Reurechts durch den Reuberechtigten, ist nur sachgerecht, wenn das Rücktrittsrecht zum Zeitpunkt der Nichterfüllung noch aufrecht ist. Nach hM ist daher § 911 nur anwendbar, wenn das Rücktrittsrecht bei der Nichterfüllung noch besteht.6 Ist das Reurecht etwa befristet und bereits erloschen zu dem Zeitpunkt, in dem der Reuberechtigte schuldhaft den Vertrag nicht erfüllt, so ist § 911 nicht einschlägig.7 Darüber hinaus ist § 911 mE auf jene Fälle zu beschränken, in denen der 9 Vertragspartner des Reuberechtigten während aufrechter Rücktrittsfrist eine Mitteilung über die Unmöglichkeit der Erfüllung erhält, weil andernfalls der Vertragspartner des Reuberechtigten erst zu einem Zeitpunkt Kenntnis von der Nichterfüllung erlangt, zu dem ein Rücktritt nicht mehr zulässig wäre und er daher mit der Vertragserfüllung rechnen darf. Die Mitteilung über die Nichterfüllung muss, damit § 911 anwendbar ist, wie die Rücktrittserklärung rechtzeitig zugehen. 2. Schuldhaftes Unterbleiben der Leistung Gem § 911 hat der Vertragspartner des Reuberechtigten nicht nur infolge der 10 Ausübung des Reurechts Anspruch auf das Reugeld, sondern auch dann, wenn der Reuberechtigte seine Leistung schuldhaft nicht erbringt. Nach der hier vertretenen Ansicht ist § 911 nur bei Vorsatz anzuwenden (vgl näher oben Rz 5 ff). § 911 hat den Fall vor Augen, dass die Leistung aus Verschulden des Reu- 11 berechtigten unmöglich wird. Bei zufälliger Unmöglichkeit, zB infolge einer Erkrankung eines Vertragspartners, steht das Reugeld nicht zu.8 Die Rechts5 

GlU 1065; GlU 14084; OGH 6 Ob 70/62, ÖJZ 1962/311; 1 Ob 268/03y, SZ 2004/20. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392. 7  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392. 8  Zeiller, Commentar III/1, 101; Mayrhofer, SchRAT3 212; aA hinsichtlich der Erkrankung als Zufall GlU 14084. 6 

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folgen zufälliger Unmöglichkeit der Leistung richten sich nach §  1447 und nicht nach § 911.9 Die Parteien können jedoch abweichend von § 911 vertraglich vereinbaren, dass das Reugeld auch bei zufälliger Nichterfüllung zustehen soll.10 Nach Reischauer ist das Reugeld auch bei Rücktritt des Vertragspart­ 12 ners gem §§ 918 f zu entrichten, wenn der Reuberechtigte sich in subjektivem Verzug befindet.11 Diese Frage ist bedeutsam, weil Reurechte oft zugunsten des Geldschuldners vorgesehen werden. Die Frage der Anwendung des § 911 stellt sich daher nur, wenn der Geldschuldner in Verzug gerät, weil die Unmöglichkeit der Leistung bei Geldschulden nicht in Betracht kommt. Reischauer begründet die Anwendbarkeit des § 911 damit, dass zur Zeit der Erlassung der Norm ein Rücktrittsrecht bei Verzug noch nicht bestand, sodass § 911 darauf nicht Bezug nehmen konnte. Weil heute auch bei Verzug ein Rücktrittsrecht besteht, sei § 911 auch bei Rücktritt aufgrund Verzugs anwendbar, sodass bei verschuldetem Verzug das Reugeld zustehe.12 ME ist Reischauer zu folgen, mit der Einschränkung, dass § 911 nur bei Vorsatz des Reuberechtigten anzuwenden und somit auf Fälle zu beschränken ist, in denen sich der Reuberechtigte dafür entscheidet, den Vertrag nicht zu erfüllen (vgl auch oben Rz 5 ff). Im Ergebnis entspricht dies auch der Judikatur: Die Rsp verweist bei Verzug des Reuberechtigten nicht (alleine) auf § 911, um die Pflicht zur Zahlung des Reugeldes zu begründen, sondern prüft die konkludente Ausübung des Rücktrittsrechts an.13 Die Rsp und die hier vertretene Ansicht führen dazu, dass in den Fällen bloß fahrlässigen Verzuges des Reuberechtigten dem Vertragspartner durch die Reugeldvereinbarung kein Recht erwächst und dieser nur auf Erfüllung dringen oder unter Nachfristsetzung von dem Vertrag zurücktreten kann. Die Folgen mangelhafter Erfüllung des Reuberechtigten richten sich – 13 auch wenn das Reurecht noch aufrecht ist – nach allgemeinem Gewährleistungsrecht. Das Reurecht dient nicht dazu, die Äquivalenz der Leistungen wieder herzustellen. Auch Mangelfolgeschäden sollen durch das Reugeld nicht abgedeckt werden.14 In mehreren Kommentaren findet sich zu § 911 die Aussage, dass bei ei14 nem Mitverschulden des Vertragspartners des Reuberechtigen §  1304 entsprechend anzuwenden ist.15 Wird § 911 auf Fälle vorsätzlicher Nichterfüllung teleologisch reduziert, wie dies hier vertreten wird, ist die Berücksichtigung eines Mitverschuldens ausgeschlossen. Binder in Schwimann3 IV §§ 909-911 Rz 20. GlU 15931 (Verpflichtung zur Leistung des Reugeldes, wenn das für ein Pferderennen angemeldete Pferd infolge Erkrankung nicht an dem Rennen teilnimmt). 11  Reischauer in Rummel3 I § 911 Rz 1. 12  Reischauer in Rummel3 I § 911 Rz 1. 13  GlU 1065; GlU 14084; OGH 6 Ob 70/62, ÖJZ 1962/311; 1 Ob 268/03y, SZ 2004/20. 14  So hinsichtlich Mangelfolgeschäden auch Reischauer in Rummel3 I § 911 Rz 3 und Binder in Schwimann3 IV §§ 909-911 Rz 19. 15  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392; Binder in Schwimann3 IV §§ 909-911 Rz 23; für die Berücksichtigung im Rahmen des Mäßigungsrechts Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 911 Rz 9. 9 

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Mäßigungsrecht

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III. Verhältnis zu § 1168 Der OGH beschäftigte sich kürzlich erstmals mit der Beurteilung einer 15 Stornogebühr, die der Werkbesteller dem Werkunternehmer versprochen hatte:16 Der OGH erläuterte, dass der Werkbesteller gem § 1168 jederzeit berechtigt ist, das Werk abzubestellen. Für den Fall der Abbestellung des Werkes sehe § 1168 Abs 1 vor, dass der Werkbesteller den Werklohn zu zahlen habe, wobei von dem Werklohn ersparte Aufwendungen abzuziehen seien. Dem Werkunternehmer stehe daneben ein Schadenersatzanspruch nur in den seltenen Fällen zu, in denen eine Abnahmepflicht vereinbart worden sei. Weil die Abbestellung (mangels Abnahmepflicht) nicht rechtswidrig sei, stelle die vereinbarte Stornogebühr keine Vertragsstrafe, sondern ein Reugeld dar. Das Reugeld pauschaliere beim Werkvertrag den eingeschränkten Entgeltanspruch gem § 1168 Abs 1 Satz 1. § 27a KSchG sei daher in diesem Fall unmittelbar anwendbar. Gem § 27a KSchG habe der Werkunternehmer, der das Entgelt gem § 1168 Abs 1 verlange, „dem Verbraucher die Gründe dafür mitzuteilen, dass er infolge Unterbleibens der Arbeit weder etwas erspart noch durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat“ (§ 27a KSchG). Für den Verbraucher sei nach dem OGH die Anwendung der werkvertragsrechtlichen Bestimmungen sogar günstiger als das Mäßigungsrecht, weil bei der Mäßigung der tatsächlich eingetretene Schaden die Untergrenze der Mäßigung bilde und somit auch der entgangene Gewinn zu ersetzen wäre, während der Werklohnspruch gem § 1168 Abs 1 auch zur Gänze entfallen könne.17 Der Lösung des OGH ist zuzustimmen. Eine Stornogebührenvereinbarung 16 beim Werkvertrag unterscheidet sich von anderen Vereinbarungen über Stornogebühren dadurch, dass der Werkbesteller von Gesetzes wegen über ein Abbestellungsrecht verfügt, bei dessen Ausübung er nur ein vermindertes Werk­ entgelt zu zahlen hat. Seine Rechtsposition ist daher nicht mit jener einer Vertragspartei vergleichbar, der durch die Stornogebührenvereinbarung ein andernfalls nicht bestehendes Recht zur Stornierung eingeräumt wird. Daher sind die Wertungen zur Beurteilung von Stornogebühren in diesen Fällen den spezifisch werkvertraglichen Bestimmungen und nicht den §§ 909 ff zu entnehmen.18

IV. Mäßigungsrecht 1. § 7 KSchG § 7 KSchG erklärt, dass ein von einem Verbraucher versprochenes Reugeld 17 in sinngemäßer Anwendung des §  1336 Abs 2 gemäßigt werden kann. Der Gesetzgeber begründet die Anwendung des Mäßigungsrechts auf Reugeldabreden damit, dass erstens Vertragsstrafe und Reugeld wirtschaftlich verwandt 16 

OGH 1 Ob 268/03y, SZ 2004/20 OGH 1 Ob 268/03y, SZ 2004/20. 18  AA Gschnitzer in Klang2 IV/1, 392, der vertritt, dass beim Werkvertrag höchstens das Reugeld geschuldet wird, wobei jedoch auf das Reugeld ersparte Aufwendungen und anderweitig Verdientes anzurechnen seien. 17 

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seien, weil beide entgelten sollen, was dem Vertragspartner bei Unterbleiben der Durchführung entgeht, und dass zweitens bei als „Stornogebühren“ bezeichneten Beträgen oft Zweifel bestünden, ob ein Reugeld oder eine Vertragsstrafe vereinbart worden sei.19 Als Begründung für die Anwendung des Mäßigungsrechts auf das Reugeld wurde in der Literatur auch vorgebracht, dass sowohl in der Reugeldabrede als auch in der Konventionalstrafvereinbarung vorab der Ersatz des Nachteiles aus der Vertragsaufhebung festgelegt wird, bevor der Nachteil wirklich entsteht.20 Schon vor der gesetzlichen Ausdehnung des Mäßigungsrecht auf Reugeldabreden durch § 7 KSchG wurde vertreten, dass das Mäßigungsrecht auf Reugelder, die gem §  911 zu leisten sind, analog anzuwenden ist.21 Die Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechts auf Reugelder, die in 18 §  7 KSchG vorgesehen ist, ist dennoch umstritten. Sie wird zu Recht unter Hinweis darauf kritisiert, dass die Reugeldabrede dem Konsumenten zusätzliche Handlungsmöglichkeiten eröffnet.22 Nach hM ist daher eine richterliche Mäßigung bei Ausübung des Rücktrittsrechts sowie bei vorsätzlicher Nichterfüllung nicht geboten, sodass das Mäßigungsrecht auf Fälle fahrlässiger Nichterfüllung zu beschränken ist.23  Dies ist mE interessegerecht, weil die Funktionen von Vertragsstrafe und Reugeld entgegengesetzt sind. Während die Reugeldabrede die vertragliche Bindung lockert, indem sie dem Reuberechtigten die Möglichkeit gibt, sich gegen Zahlung des Reugeldes von dem Vertrag zu lösen, pauschaliert die Vertragsstrafenvereinbarung den Schadenersatzanspruch, der bei Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen zu leisten ist.24 Ist das Reugeld übermäßig hoch, so steht der Konsument durch die Reugeldabrede dennoch nicht schlechter als bei dem zulässigen Vertragsabschluss ohne Vereinbarung eines Reugeldes.25 Auch die EB führen aus, dass § 7 KSchG das Mäßigungsrecht nicht auf 19 alle Reugelder ausdehne, die von Verbrauchern zu leisten sind.26 Unklar bleibt nach Lektüre der EB zu § 7 KSchG jedoch, welche Reugelder nach Ansicht des Gesetzgebers dem Mäßigungsrecht nicht unterliegen sollen.27 Die EB führen 19 

EB RV 744 14. GP 27. Mayrhofer, FS Herdlitczka 193. 21  Ehrenzweig, System II/12, 190; Mayrhofer, SchRAT3 213; Hasenöhrl, Obligationen­recht2 I, 565; Gschnitzer Klang2 IV/1, 392; weitergehend Mayrhofer, FS Herdlitczka, 193, der das Mäßigungsrecht generell auf Reugelder erstrecken möchte; GlUNF 533; OGH 1 Ob 269, ÖJZ 1962/6. 22  Doralt/Koziol, Stellungnahme 51; Krejci in Rummel3 I § 7 KSchG Rz 4. 23  Reischauer in Rummel3 I § 911 Rz 2; Krejci in Rummel3 I § 7 KSchG Rz 5; Apathy in Schwimann3 IV § 7 Rz 4; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 911 Rz 6 f; Bollenberger in KBB3 § 911 Rz 2; Schilcher, HB z KSchG 420 f; für eine weitergehende Anwendung des Mäßigungsrechts hingegen Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 7 KSchG Rz 16 und Binder in Schwimann3 IV §§ 909–911 Rz 22. 24  Reischauer in Rummel3 I § 911 Rz 2; Krejci in Rummel3 I § 7 KSchG Rz 5; Apathy in Schwimann3 IV § 7 Rz 4; Winner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 911 Rz 6 f; Bollenberger in KBB3 § 911 Rz 2; Schilcher, HB z KSchG 420 f. 25  Doralt/Koziol, Stellungnahme 51; Krejci in Rummel3 I § 7 KSchG Rz 4. 26  EB RV 744 14. GP 27. 27  So auch Krejci in Rummel3 I § 7 KSchG Rz 4. 20 

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aus, dass eine Mäßigung dann nicht möglich sein soll, wenn sich der Verbraucher durch die Zahlung des Reugeldes von der Pflicht zur Erfüllung des Vertrages befreien könne, was nach den EB eher dem „gesetzlichen Typ des Reu­ geldes“ entspreche.28 Das Mäßigungsrecht solle nur anwendbar sein, wenn der Verbraucher von einem einseitigen Auflösungsrecht Gebrauch gemacht habe und daher auf Zahlung des Reugeldes geklagt werden könne.29 Auch wenn die Abgrenzung der EB im Dunkeln bleibt, so ist sie wohl in dem Sinn der hM zu verstehen, nach der das Mäßigungsrecht nur anwendbar sein soll, wenn der Verbraucher keine echte Wahl zwischen der Erfüllung und dem Rücktritt unter Zahlung des Reugeldes hatte. Folgt man dem hier vertretenen engen Verständnis des § 911, nach dem 20 § 911 ohnedies nur bei Vorsatz einschlägig ist und bei fahrlässiger Nichterfüllung nur die Obergrenze für Schadenersatzansprüche markiert (vgl oben Rz 5 ff), so verbleibt kein Anwendungsbereich für das Mäßigungsrecht von Reugeldern. Die Mat weisen auch darauf hin, dass die Norm mit dem Zweck eingeführt 21 wurde, Stornogebühren zu erfassen.30 Das gesetzgeberische Anliegen, den Konsumenten in solchen Fällen vor übermäßig hohen Kosten zu schützen, ist mE in manchen Konstellationen durchaus berechtigt, weil dem Unternehmer durch eine frühzeitige Stornierung oft nur geringe Kosten erwachsen, da er die Leistung anderweitig absetzen kann (zB Stornierung einer Reise mehrere Monate vor Reisebeginn). Ein generelles Recht, sich von geschlossenen Verträgen wieder lösen zu können, besteht jedoch nicht. Wird dem Konsumenten ein zusätzliches Rücktrittsrecht eingeräumt, so ist er auch bei einem hohen Reugeld nicht zu schützen, weil auch der Vertragsabschluss ohne Rücktrittsmöglichkeit rechtmäßig wäre. Denn die Reugeldabrede räumt dem Konsumenten bloß die – sonst nicht gegebene – Wahl zwischen der Durchführung des Vertrages oder dem Rücktritt gegen Zahlung des Reugelds ein, sodass der Konsument durch die Reugeldabrede besser steht als ohne eine solche. Der Schutz des Konsumenten ist nur dann gerechtfertigt, wenn er damit rechnen kann, von dem Vertrag zurücktreten oder die Leistung abbestellen zu können. Wenn die Bestimmung des § 1168 anwendbar ist, so trägt das dispositive Recht dem Interesse des Abnehmers, von dem Vertrag Abstand nehmen zu können, Rechnung und berücksichtigt die Dispositionsmöglichkeiten des Unternehmers. Gem § 1168 Abs 1 hat der Werkbesteller das Recht, das Werk abzubestellen; in diesem Fall kann der Werkunternehmer das Entgelt verlangen, wobei er sich Erspartes und anderweitig Verdientes anrechnen lassen muss. Verbrauchern kommt zusätzlich § 27a KSchG zugute. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass die Wertungen des § 1168 den reugeldrechtlichen Bestimmungen vorgehen (siehe oben III.). Auch auf Reiseveranstaltungsverträge, die gemischte Verträge sind und bei denen das werkvertragliche Element im Vordergrund steht, ist § 1168 anzuwenden.31 Dass auch bei Beherbergungsverträgen die Er28 

EB RV 744 14. GP 27. EB RV 744 14. GP 27. 30  EB RV 744 14. GP 27; Schilcher, HB z KSchG 420 f. 31  Fischer-Czermak, JBl 1997, 274 (275); vgl allgemein zur Anwendung von Werkvertragsrecht auf Reiseveranstaltungsverträge zB Krejci in Rummel3 I §§ 1165, 1166 Rz 55. 29 

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wartung des Verbrauchers, von dem Vertrag Abstand nehmen zu können, berechtigt sein kann, zeigt die Entscheidung SZ 52/189:32 In dieser Entscheidung hatte ein Verbraucher etwa 11 Monate vor Reiseantritt einen Beherbergungsvertrag gebucht, den er etwa 6 Monate vor dem geplanten Reiseantritt stornieren wollte. Der OGH sprach aus, dass der Beherbergungsvertrag ein Vertrag sui generis sei. Der Vertrag sei jedoch entsprechend den Grundsätzen des redlichen Verkehrs so auszulegen, dass dem Kunden dann ein Rücktrittsrecht zustehe, wenn sich dies aus einer Abwägung der Interessen ergebe. Das Höchstgericht bejahte in dem Fall das Rücktrittsrecht, weil es ein in der Natur liegender Bestandteil des Vertrages sei, dass die persönlichen Verhältnisse des Gastes sich ändern könnten, und der Rücktritt für den Hotelier in der Regel keine besondere Belastung darstelle, insbesondere wenn dieser so lange vor der Anreise erfolge. Dem Ergebnis der Entscheidung ist mE zuzustimmen. Das Rücktrittsrecht ist jedoch mE auf eine Analogie zu §  1168 zu stützen, dem auch nähere Kriterien für die Höhe der im Falle des Rücktritts vom Kunden zu leistende Zahlungen entnommen werden können. In der OGH-E SZ 52/189 erübrigte sich die Klärung dieser Frage, weil der Rücktritt zu einem sehr frühen Zeitpunkt erfolgte, sodass der Anspruch auch gem § 1168 vermutlich zur Gänze entfallen wäre. ME ist daher bei Stornogebühren, die zumeist Reugelder darstellen (siehe § 909), zu prüfen, ob § 1168 anzuwenden ist. Ist dies der Fall, so schützt die Rechtsordnung das Interesse des Abnehmers, die Leistung abbestellen zu können und dadurch von der Verpflichtung zur Zahlung eines Teils des Entgelts frei zu werden. Wird das Entgelt in einer Stornogebührenverein­ barung pauschaliert, so kann das Gericht dessen Angemessenheit gem §  879 Abs 3 überprüfen. Der OGH hat in einer Entscheidung zur vertraglichen Pauschalierung des geminderten Entgeltanspruchs gem § 1168 Abs 1 ABGB Stellung bezogen und die Anwendung des Mäßigungsrechts bejaht.33 Die hier vertretene Lösung ist der Rechtslage in Deutschland ähnlich. 22 §  651i dBGB sieht ein gesetzliches, vor Reisebeginn jederzeit ausübbares Rücktrittsrecht des Kunden von dem Reisevertrag vor. Gem § 651i Abs 2 dBGB steht dem Reiseveranstalter im Fall des Rücktritts eine Entschädigung in Höhe des Reisepreises zu, wobei ersparte Aufwendungen und das, was der Veranstalter durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben konnte, von dem Reisepreis abzuziehen sind. Eine vertragliche Pauschalierung der Entschädigung ist gem §  651i Abs  3 dBGB nur unter Berücksichtigung der Kriterien des Abs 2 möglich. Das in § 353 dBGB geregelte Reugeld kann jedoch nicht gemäßigt werden.34 Folgt man der hier vertretenen Ansicht nicht und wendet das Mäßigungsrecht 23 auf Reugelder an, so hat der Schuldner des Reugeldes, der eine Mäßigung anstrebt, die Übermäßigkeit des Reugeldes darzulegen.35 Dabei bildet – ebenso wie bei der Vertragsstrafe – die Höhe des Schadens die Untergrenze der Mäßigung. 32 

OGH 1 Ob 779/79, SZ 52/189. So auch der OGH in 6 Ob 25/67, SZ 40/37, der jedoch das Mäßigungsrecht des § 1336 anwendet. 34  Gaier in MüKoBGB5 § 353 BGB Rz 1 35  ZB Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 7 KSchG Rz 18; Krejci in Rummel3 I § 7 KSchG Rz 11. 33 

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Literatur

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2. Analoge Anwendung auf Nicht-Verbrauchergeschäfte Ein von dem Unternehmer versprochenes Reugeld kann nach hM nicht in 24 analoger Anwendung des §  7 KSchG gemäßigt werden, wenn das Reugeld aufgrund vorsätzlichen Verhaltens des Unternehmers zusteht.36 Auch der OGH sprach kürzlich aus, dass die Mäßigung des von einem Unternehmer versprochenen Reugeldes jedenfalls dann nicht möglich ist, wenn das Reugeld infolge der Ausübung des Reurechts oder der vorsätzlichen Nichterfüllung zusteht.37 Nach der hier vertretenen Ansicht gebührt das Reugeld stets nur bei vorsätzlicher Nichterfüllung, sodass kein Bedarf nach einem Mäßigungsrecht besteht.

6) Nebengebühren. § 912. Der Gläubiger ist von seinem Schuldner außer der Hauptschuld zuweilen auch Nebengebühren zu fordern berechtigt. Sie bestehen im Zu­ wachs, und in den Früchten der Hauptsache, in den bestimmten oder in den Zögerungs-Zinsen; oder im Ersatz des verursachten Schadens; oder dessen, was dem anderen daran liegt, daß die Verbindlichkeit nicht gehö­ rig erfüllt worden; endlich im Betrag, welchen ein Teil sich auf diesen Fall bedungen hat. Stammfassung JGS 1811/946

§ 913. Inwieweit mit einem dinglichen Rechte das Recht auf den Zu­ wachs, oder auf die Früchte verbunden sei, ist im ersten und vierten Hauptstück des zweiten Teiles bestimmt worden. Wegen eines bloß per­ sönlichen Rechtes hat der Berechtigte noch keinen Anspruch auf Neben­ gebühren. Inwieweit dem Gläubiger ein Recht auf diese zukomme, ist teils aus den besondern Arten und Bestimmungen der Verträge; teils aus dem Hauptstück, vom Recht des Schadenersatzes und der Genugtuung, zu ent­ nehmen. Stammfassung JGS 1811/946 Lit: M. Roth, Voraussetzungen einer Interessenklage – Zugleich eine Anmerkung zur E des OGH 12.3.1991, 4 Ob 508/91, JBl 1992, 302; Kodek (Hrsg), Kommentar zum Grundbuchsrecht (2007); P. Bydlinski, Der Anspruch auf gesetzliche Verzugszinsen, FS Koziol (2010) 21.

36  Reischauer in Rummel3 I § 911 Rz 2; Krejci in Rummel3 I § 7 KSchG Rz 5; Apathy in Schwimann3 IV §  7 KSchG Rz 4; aA Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 §  7 KSchG Rz 16 und Binder in Schwi­mann3 IV §§ 909–911 Rz 22, die für eine analoge Anwendung des Mäßigungsrechts eintreten. 37  OGH 7 Ob 78/10m, JBl 2010, 578.

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Übersicht I. Redaktionsgeschichte II. Kein Regelungsgehalt III. Aufzählung des § 912 IV. Begriff der Nebengebühren

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I. Redaktionsgeschichte 1

Der Urentwurf des ABGB enthielt ein eigenes Hauptstück über Rechte und Verbindlichkeiten „durch Nebenpersonen und auf Nebengebühren“.1 Weil dieses Hauptstück sehr heterogene Regelungen umfasste, wurde das Hauptstück aufgelöst und die darin enthaltenen Regelungen thematisch passenden Kapiteln zugeordnet. Aus diesem Hauptstück verblieben in der Endfassung des ABGB lediglich die §§ 912, 913.2

II. Kein Regelungsgehalt 2

Auf den ersten Blick scheint es, als würde § 912 regeln, welche Forderungen als Nebengebühren bezeichnet werden, und § 913 normieren, wann diese beansprucht werden können. Tatsächlich enthält § 912 jedoch keine maßgebliche oder abschließende Aufzählung von Nebengebühren (siehe unten III. und IV.) und § 913 bietet keine eigene Anspruchsgrundlage, sodass sich dieser Bestimmung nicht entnehmen lässt, wann und in welcher Höhe Nebengebühren zustehen. Stattdessen spricht § 912 Satz 1 lediglich davon, dass Nebengebühren „zuweilen“ zustehen, und § 913 verweist darauf, dass sich Anspruchsgrundlagen und Voraussetzungen in anderen Bestimmungen finden. Die §§  912 f haben somit keinen eigenen Regelungsgehalt und könnten „ohne Schaden entbehrt werden“.3

III. Aufzählung des § 912 Die Aufzählung des § 912 beginnt mit dem „Zuwachse“ und den Früch­ ten der Hauptsache. Gemeint sind damit das Zubehör, natürliche Früchte und Zivilfrüchte.4 Inwieweit diese von Personen gefordert werden können, die dingliche Rechte an der Hauptsache haben, ist dem Sachenrecht zu entnehmen, sodass § 913 zu Recht auf sachenrechtliche Vorschriften verweist. Danach nennt das Gesetz die „bestimmten oder Zögerungs-Zinsen“. Da4 durch werden gesetzliche und vertraglich vereinbarte Verzugszinsen angesprochen.5 Verzugszinsen werden in § 1333 geregelt. Vertraglich vereinbarte Zinsen sind dann keine Nebengebühren, wenn sie die Hauptleistung darstellen, 3

Gschnitzer in Klang2 IV/1, 393. Gschnitzer in Klang2 IV/1, 393. 3  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 393. 4  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 395. 5  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 395.

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Aufzählung des § 912

§§ 912, 913

wie zB die von dem Kreditnehmer als Entgelt für die Kapitalnutzung zu leistenden Kreditzinsen.6 Als nächstes führt das § 912 den Ersatz des verursachten Schadens oder „dessen, was dem Andern daran liegt, dass die Verbindlichkeit nicht gehörig erfüllt worden ist“, an. Die zweite, angeführte Alternative umschreibt das Erfüllungsinteresse, das auch den entgangenen Gewinn (der gem §§ 1323 f bei grobem Verschulden des Schädigers zusteht) und den Wert der besonderen Vorliebe (der gem § 1331 bei Vorsatz des Schädigers ersatzfähig ist) umfassen kann.7 Weil dies bereits der allgemeine Schadensbegriff des Schadenersatzrechts umfasst,8 wäre der Verweis auf den Schaden alleine auch ausreichend. Ob und in welcher Höhe Schadenersatz zusteht, bestimmen nicht die §§ 912 f sondern das Schadenersatzrecht (§§ 1293 ff).9 Schadenersatzansprüche können nicht generell als Nebengebühren bezeichnet werden. Für die Zwecke des § 54 JN sind Schadenersatzansprüche keine Nebengebühren, weil sie ein gesondertes Klagsvorbringen erfordern.10 Jedoch zählen Verzugszinsen, denen schadenersatzrechtlicher Charakter zukommt,11 zu den Nebengebühren (vgl Rz 4). Zuletzt nennt § 912 die Vertragsstrafe. Auch § 1336, der die Vertragsstrafe regelt, verweist auf § 912. Die Vertragsstrafe stellt jedoch keine Nebengebühr iSd § 54 JN dar.12 Im Gegensatz zu § 54 JN erwähnt § 912 die Kosten der Rechtsdurchset­ zung nicht: In der Aufzählung des § 912 fehlen die gemeinsam mit der Hauptforderung eingeklagten Verfahrenkosten zur Rechtsverfolgung (Prozess- und Exekutionskosten), die zu den Nebengebühren gehören.13 Auch die zweckentsprechenden, außergerichtlichen Betreibungskosten bleiben von §  912 unerwähnt, aber zählen zu den Nebengebühren iSd § 54 JN, wenn sie gemeinsam mit der Forderung, für deren Eintreibung sie entstanden sind, geltend gemacht werden.14 Der Ersatz der Inkassokosten ist seit dem ZinsRÄG15 in §  1333 Abs 3 geregelt.

Gschnitzer in Klang2 IV/1, 395. Zeiller, Commentar III/1, 102. 8  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 395. 9  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 395; M. Roth, JBl 1992, 302 (305); OGH 1 Ob 716/81, MietSlg 34.861. 10  Rechberger in Rechberger §  54 JN Rz 3; Gitschthaler in Fasching/Konecny §  54 JN Rz 30; dies lediglich für deliktische Schadenersatzansprüche verneinend OGH R II 200/20, SZ 2/120; vgl auch OGH 7 Ob 569/94 und 6 Ob 544/94. 11  Reischauer in Rummel3 I § 1333 Rz 6 und 18; Harrer in Schwimann3 IV § 1333 Rz 3; Größ in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §  1333 Rz 2; Danzl in KBB3 § 1333 Rz 1; OGH 3 Ob 225/98d, JBl 1999, 470; aA P. Bydlinski, FS Koziol 21 (24 ff). 12  Gitschthaler in Fasching/Konecny § 54 JN Rz 30; das Gesetz referierend und den Charakter als Nebengebühr nicht bestreitend Gschnitzer in Klang2 IV/1, 396; GlUNF 2658. 13  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 397 f; Gitschthaler in Fasching/Konecny § 54 JN Rz 30; OGH 4 Ob 86/29, SZ 11/175; 2 Ob 105/68, SZ 41/78; 3 Ob 16/78, JBl 1979, 144. 14  Rechberger in Rechberger § 54 JN Rz 4; Binder in Schwimann3 IV §§ 912, 913 Rz 1; OGH 1 Ob 46/03a, ÖJZ 2004/150. 15  BGBl I 2002/118. 6 

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IV. Begriff der Nebengebühren 9

Als Nebengebühr wird all das bezeichnet, was der Gläubiger außer dem Hauptgegenstand der Forderung von dem Schuldner begehren kann.16 Was der Gläubiger fordern kann, ergibt sich aus den einzelnen Sonderbestimmungen (zB Verzugszinsen gem § 1333). Nebengebühren sind insofern von der Hauptschuld abhängig, als sie nur zustehen, wenn ein gültiger Hauptanspruch besteht.17 Sie sind jedoch insofern selbständig, als sie nicht notwendigerweise das rechtliche Schicksal der Hauptschuld teilen und auch nach Erlöschen der Hauptforderung bestehen bleiben können, so zB nach Erlöschen der Hauptschuld durch Erfüllung.18 Ebenso kann der Gläubiger auf die Hauptforderung verzichten und den Anspruch auf Zinsen aufrecht lassen.19 Die Verjährungsfrist von Nebengebühren richtet sich nicht nach der Hauptforderung, sondern ist getrennt von dieser zu berechnen (vgl zB die Dreijahresfrist für Zinsen gem §  1480). Auch können Nebengebühren ohne die Hauptforderung eingeklagt werden. Nebengebühren beruhen auf einem eigenen Rechtsgrund. Sie stehen nicht 10 automatisch als Teil der Hauptschuld zu, sondern vielmehr nur dann, wenn es für sie eine eigene Anspruchsgrundlage gibt (§ 913 Satz 3).20 Auch im Prozess werden sie nur dann zugesprochen, wenn sie geltend gemacht werden (§ 405 ZPO). Der Gehalt des § 913 erschöpft sich darin, klarzustellen, dass die §§ 912 f 11 selbst keine Anspruchsgrundlage darstellt; §  913 weist darauf hin, dass ein Anspruch auf Nebengebühren dann besteht, wenn dies in anderen Bestimmungen angeordnet ist. § 913 schließt weder aus, dass Nebengebühren bestehen noch bietet er für diese eine Anspruchsgrundlage. § 913 S 2 bietet auch keinen Anlass, eine einschränkende Interpretation in Bezug auf das Zustellen von Nebengebühren zu schuldrechtlichen Ansprüchen vorzunehmen.21 Die Rechtsfolge der Qualifikation einer Forderung als Nebengebühr liegt 12 darin, dass Nebengebühren, die gemeinsam mit der Hauptforderung gerichtlich geltend gemacht werden, bei der Bemessung des Streitwerts gem §  54 Abs 2 JN nicht berücksichtigt werden. Nur für manche Nebengebühren haftet ein zur Sicherung der Hauptforderung bestelltes Pfandrecht (vgl §§ 16 f GBG und unten Rz 15 f). Eine Höchstbetragshypothek iSd § 14 Abs 2 GBG kann für alle Arten von Forderungen begründet werden,22 sodass die Einordnung als Nebengebühr dafür nicht Voraussetzung ist. 16  Zeiller definiert Nebengebühren als „alles, was außer dem Hauptgegenstande der Forderung, obschon es nicht ausdrücklich bedungen worden ist, begehret werden kann“ (Commentar III/1, 102). Entgegen Zeiller gibt es jedoch Nebengebühren, die eine entsprechende Vereinbarung voraussetzen, zB vertragliche Verzugszinsen (so auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 393 FN 5). 17  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 394; Bollenberger in KBB3 §§ 912, 913 Rz 2. 18  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 393; Bollenberger in KBB3 §§ 912, 913 Rz 2. 19  Binder in Schwimann3 IV §§ 912, 913 Rz 17; GlU 10884; GlUNF 5927. 20  Gschnitzer in Klang2 IV/1, 394; Binder in Schwimann3 IV §§ 912, 913 Rz 5. 21  So jedoch Binder in Schwimann3 IV §§ 912, 913 Rz 8; zweifelnd an dieser Auslegungsregel Bollenberger in KBB3 §§ 912, 913 Rz 2. 22  Seit der E des verst Senates in 3 Ob 34/94, SZ 69/159.

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Begriff der Nebengebühren

§§ 912, 913

Keine Nebengebühren sind Aufwertungsbeträge, die aufgrund einer Wertsicherungsklausel zustehen, weil sie Teil der Hauptforderung sind.23 Auch die Umsatzsteuer ist Teil der vertraglichen Forderung auf das Entgelt und zählt daher nicht zu den Nebengebühren.24 Der Begriff der Nebengebühren findet sich nicht nur in §§ 912 f sondern auch in mehreren anderen Gesetzen. Welche Forderungen von diesen Bestimmungen erfasst werden, ist anhand dieser Gesetze und ihrer Zwecke (und nicht nach § 912) zu beurteilen. Auf Nebengebühren beziehen sich insbesondere folgende Gesetze: §  405 ZPO: Nebengebühren dürfen ebenso wie andere Ansprüche nicht ohne Antragstellung zugesprochen werden. Eine Abgrenzung zwischen Nebengebühren und anderen Forderungen erfordert § 405 ZPO daher nicht. § 54 Abs 2 JN über die Streitwertbestimmung ordnet an, dass „Zuwachs, Früchte, Zinsen, Schäden und Kosten, die als Nebenforderungen geltend gemacht werden“, bei der Wertberechnung nicht zu berücksichtigen sind. Werden Nebenforderungen selbständig eingeklagt, ist § 54 Abs 2 JN nicht anwendbar. Die Pfandsache haftet nicht nur für die besicherte Forderung, sondern gem §§ 16 f GBG bzw gem § 125 Abs 1 und § 216 Abs 2 EO im selben Rang auch für rückständige gesetzliche oder verbücherte vertragliche Zinsen der letzten drei Jahre und für die Prozess- und Exekutionskosten, die durch die Sicherstellung und Einbringung der Hypothekarforderung entstanden sind.25 Außerhalb des Prozesses entstandene Kosten, zB Kosten für die Errichtung und Durchführung der Urkunden oder Kosten einer anderen Exekution zur Betreibung derselben Forderung, fallen nicht darunter. Für Nebengebühren, die nicht ohnedies von der Pfandhaftung erfasst sind, (zB länger als drei Jahre rückständige Zinsen, soweit diese noch nicht verjährt sind) kann im Grundbuch eine Nebengebührensicherstellung (Nebengebührenkaution) einverleibt werden. Die Nebengebührensicherstellung ist gesetzlich nicht geregelt und wurde von der Praxis entwickelt.26 Sie ist ein Unterfall der Höchstbetragshypothek iSd § 14 Abs 2 GBG.27 Erforderlich ist, dass die Vereinbarung über die Nebengebührensicherstellung einen Höchstbetrag enthält und dass die Arten der Nebengebühren (und die Höhe erfasster vertraglicher Zinsen) näher spezifiziert werden.28 Wird eine Eintragung ohne nähere Angaben zur „Sicherung aller Nebengebühren“ vorgenommen, so ist die Nebengebührensicherstellung aufgrund von §  912 zwar ausreichend bestimmt;

23  OGH 3 Ob 62/64, EvBl 1964/433; 1 Ob 641/81, NZ 1982, 154; 6 Ob 540/86; 4 Ob 557/88, EvBl 1989/56; 2 Ob 562/82, MietSlg 36.226; 1 Ob 556/89, wbl 1989, 318; 4 Ob 2319/96z. 24  So zu § 54 JN Rechberger in Rechberger, Kommentar zur ZPO § 54 JN Rz 5; OGH 2 Ob 257/74, EvBl 1975/149. 25  Näher Rassi in Kodek § 16 GBG Rz 4. 26  ZB Kodek in Kodek § 14 GBG Rz 18. 27  ZB Kodek in Kodek § 14 GBG Rz 23. 28  Vgl näher zur erforderlichen Bestimmtheit der Nebengebührensicherstellung OGH 5 Ob 140/95, ÖJZ 1996/106; Kodek in Kodek § 14 GBG Rz 21; allgemein zur Höchstbetragshypothek OGH 5 Ob 292/98x, NZ 2000/454.

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erfasst werden dann von der Nebengebührensicherstellung jedoch lediglich mehr als 3 Jahre rückständige, gesetzliche Zinsen.29 Gem § 54 Abs 1 IO stehen im Fall der Insolvenz die bis zur Eröffnung des 17 Insolvenzverfahrens entstandenen Nebengebühren mit der Hauptforderung im gleichen Rang. Prozesskosten entstehen (bedingt durch den Prozesserfolg) mit der Vornahme der einzelnen Prozesshandlung.30

Auslegungsregeln bei Verträgen. § 914. Bei Auslegung von Verträgen ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erfor­ schen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. IdF RGBl 1916/69 (III. Teilnovelle). Mat: 78 BlgHH, 21. Sess 1912. Lit: Hartmann, Wort und Wille im Rechtsverkehr, JherJB 20 (1882) 1; Danz, Über das Verhältnis des Irrtums zur Auslegung nach dem BGB, JherJB 46 (1904) 381; ders, Die Auslegung der Rechtsgschäfte2 (1906); Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910); Riezler, Venire contra factum proprium (1912); Fischer, Konversion unwirksamer Rechtsgeschäfte, in FS Wach (1913) 170; Bang, Falsa demonstratio – Ein Beitrag zur Lehre der Auslegung und Anfechtung, JherJB 66 (1916) 309; Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts (1930; Nachdruck 1966); Siller, Die Konversion, AcP 138 (1938) 144; Betti, Zur Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre, in FS Rabel II (1954) 79; Henckel, Die ergänzende Vertragsauslegung, AcP 159 (1959) 116; F. Bydlinski, Vertragliche Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter, JBl 1960, 359; Brandner, Die Umstände des einzelnen Falles bei der Auslegung und Beurteilung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, AcP 162 (1963) 237; Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966); Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht (1966); Betti, Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften (1967); F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967); Mayer-Maly, Auslegen und Verstehen, JBl 1969, 413; Liedermann, ÖNormen und Einzelvertrag, ÖJZ 1970, 64; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag (1970); Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung (1972); Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972); Wieling, Die Bedeutung der Regel „falsa demonstratio non nocet“ im Vertragsrecht, AcP 172 (1972) 297; Ertl, Der Versicherer als Gesetzgeber, RZ 1973, 59, 76, 96, 113; Ostheim, Zur Auslegung des Gesellschaftsvertrages bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in FS Demelius (1973) 381; Rummel, Verkehrssitten und Vertragsaus­ legung, JBl 1973, 66; Welser, Konsens, Dissens und Erklärungsirrtum, JBl 1974, 79; 29  ZB OGH 3 Ob 101/64, SZ 37/123; 5 Ob 140/95, ÖJZ 1996/106; Hofmann in Rummel3 I § 451 Rz 8; Kodek in Kodek § 14 GBG Rz 22. 30  So zu den Vorgängerbestimmungen in § 54 KO und § 24 AO zB OGH Präs 536/32 (Judikatenbuch 48), SZ 16/16; 1 Ob 710/87, SZ 61/31; 8 Ob 2239/96i, ZIK 1997, 102; 4 Ob 213/06m, SZ 2007/59.

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Literatur

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Übersicht

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wählte Aspekte der Irrtumsanfechtung beim Wertpapierkauf, ÖJZ 2011, 107. Uffmann, Richtungswechsel des BGH bei der ergänzenden Vertragsauslegung, NJW 2011, 1313; P. Bydlinski, Thesen zur praktischen Handhabung des „Transparenzgebots“ (§ 6 Abs 3 KSchG, JBl 2011, 141; Leitner, Transparenzgebot, Privatautonomie und Auslegung, JBl 2011, 428..

Übersicht I.

Grundlagen 1–9 1. Allgemeines und Entwicklungsgeschichte 1–3 2. Bedeutung und Wert gesetzlicher Regelungen für die Vertragsauslegung 4–7 3. Verhältnis der Vertragsauslegung zur Auslegung von Gesetzen 8–9 II. Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung 10–11 III. Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Bestimmungen 12–70 1. § 863 12–14 2. § 915 15–16 3. § 346 UGB (§ 346 HGB aF) 17–18 4. Spezielle Auslegungsregeln 19–20 5. Konversion 21–43 a) Das Wesen der Konversion im Allgemeinen 21–23 b) Die einzelnen Voraussetzungen für die Vornahme einer Konversion 24–43 aa) Unwirksamkeit des von den Parteien tatsächlich abgeschlossenen Geschäftes 25–29 bb) Existenz eines konversionstauglichen Ersatzgeschäftes 30–32 cc) Legitimität der Bindung der Parteien auch an das Ersatzgeschäft 33–43 6. § 869 44–47 7. § 6 Abs 3 KSchG 48 8. §§ 870 ff 49–64 9. Geschäftsgrundlagenlehre 65–70 IV. Von § 914 erfasste Rechtsakte 71–83 V. Wesen und Ziel der Auslegung 84–128 1. Grundlagen 84–93 2. „Einfache“ und „ergänzende“ Auslegung 94–102 3. Begriff und Phänomen der Vertragslücke 103–112 4. Verhältnis von Auslegung und dispositivem Recht 113–123 5. Grenzen der Auslegung 124–128 VI. Willenstheorie – Erklärungstheorie – Vertrauenstheorie 129–132 VII. „Falsa demonstratio non nocet“ 133–136 VIII. „Protestatio facto contraria non valet“? 137 IX. Einzelne Auslegungskriterien und -maximen 138–212 1. Wortlaut 138–149 a) Zur Bedeutung des Wortlautargumentes für die Auslegung im Allgemeinen 138–144 347

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b) Ermittlung der konkreten Bedeutung des Wortlautes einer Willenserklärung; Relevanz von bestimmten Sprachgebräuchen und Erklärungssitten 2. Umstände der Erklärungsabgabe bzw des Vertragsabschlusses; Relevanz von Vertragsverhandlungen 3. Dem Vertragsabschluss nachfolgende Umstände; nachträgliche Vertragsinterpretation durch die Parteien 4. Verhältnis zu anderen Vertragspunkten 5. Auslegung „in favorem negotii“ 6. Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung 7. Vertrags- und Regelungszwecke 8. Verkehrssitten 9. Berücksichtigung der Parteiinteressen/Vornahme einer Interessenabwägung 10. Der „hypothetische Parteiwille“ 11. Die Berücksichtigung von „Treu und Glauben“ X. Rangordnung der Auslegungskriterien XI. Judikaturüberblick zu Auslegungsfragen 1. Auslegung bestimmter Vertragsformulierungen a) Vertragstypenübergreifende Kasuistik b) Vertragstypenbezogene Kasuistik aa) Kaufverträge bb) Bestandverträge cc) Arbeitsverträge dd) Versicherungsverträge ee) Varia 2. Mittels Auslegung ermittelte Nebenleistungs-, Schutzund Sorgfaltspflichten a) Allgemeines b) Vertragstypenübergreifende Pflichten c) Einbeziehung Dritter in vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten d) Vertragstypenbezogene Pflichten aa) Kaufverträge bb) Strombezugsverträge cc) Bestandverträge dd) Leasingverträge ee) Bankverträge ff) Mandatsverträge mit Rechtsanwälten gg) Ärztliche Behandlungsverträge hh) Beförderungsverträge ii) Bewirtungs- und andere Dienstleistungsverträge XII. Auslegungsfragen bei spezifischen Rechtsgeschäften 1. Erklärungen an einen größeren Adressatenkreis bzw an die Öffentlichkeit 2. Bücherliche Rechte und Registerrechte 348

145–149 150–156 157–163 164–167 168–172 173–174 175–184 185–198 199–203 204–210 211–212 213–222 223–302 223–264 223–236 237–264 237–244 245–250 251–255 256–261 262–264 265–302 265–266 267–275 276–279 280–303 280–282 283 284–287 288 289–295 296–297 298 299–300 301–302 303–346 303–306 307–310

Grundlagen

3. Gesellschaftsverträge Satzungen, Gemeinschaftsvereinbarungen und Beschlüsse 4. Stiftungserklärungen 5. Allgemeine Geschäftsbedingungen, Vertragsformblätter, ÖNormen 6. Verzichtserklärungen 7. Konkurrenzklauseln 8. Bankgarantien 9. Erklärungen im Rahmen von Vergabeverfahren XIII. Prozessuale Aspekte der Auslegung

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311–319 320–322 323–332 333–338 339–341 342–344 345–346 347–351

I. Grundlagen 1. Allgemeines und Entwicklungsgeschichte § 914 ist gemeinsam mit § 863 und § 915 positivrechtlicher sedes materiae 1 jener allgemeinen1 zivilrechtlichen2 Grundsätze, die vom Rechtsanwender bei der Auslegung von Verträgen, aber auch – per analogiam – von anderen Rechtsakten3 zu beachten sind. Seine heutige Fassung erhielt § 914 durch die III. TN, die sich va auf- 2 grund des damals modernen dt BGB und seiner „suggestiven Kraft“4 veranlasst sah, auch die einschlägigen Regelungen des ABGB zu modifizieren.5 Die solcherart vorgenommenen (und formal an Art 278 f AHGB angelehnten) Korrekturen gegenüber der Urfassung von § 914, die einerseits einen Verweis auf § 6, andererseits das Gebot zur widerspruchsfreien Auslegung6 sowie die Auslegungsregel „in favorem negotii“7 enthielt8, fielen in der Sache allerdings denkbar bescheiden aus. Glaubt man den Ausführungen des HHB9, wurden sie im Wesentlichen überhaupt nur zur Klarstellung vorgenommen.10 Das heutige Verständnis all dessen, was noch als „Auslegung“ (iwS) be- 3 griffen wird, dürfte sich indes von diesen historischen Wurzeln durchaus ent­ fernt haben. Vor allem werden von der heute hA unter Bezugnahme auf § 914 auch Vertragsergänzungen für zulässig gehalten (und in praxi auch reichlich 1 

Zu speziellen Auslegungsvorschriften siehe unten Rz 19 f. Zur unternehmensrechtlichen Sondernorm des § 346 UGB (bzw § 346 HGB aF) siehe unten Rz 17 f. 3  Vgl unten Rz 72 ff. 4  So ausdrücklich der HHB 151. 5  Vgl dazu neben den Ausführungen im HHB, etwa auch Mayer-Maly, Bemerkungen zum Verhältnis zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften, in FS Weinberger (1984) 583 ff (586) und Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 1 ff. 6  Zu diesem näher noch unten Rz 164 ff. 7  Zu dieser näher noch unten Rz 168 ff 8  Zu deren Kodifikationsgeschichte bzw den diese bestimmenden dogmengeschichtlichen Hintergründen vgl etwa Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung (1972) 21 ff sowie Mayer-Maly, Bemerkungen zum Verhältnis zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften, in FS Weinberger (1984) 583 ff (586 f). 9  Vgl HHB 151 ff. 10  Vgl zum Ganzen schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 399 f. 2 

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vorgenommen11), die die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers vom Regelungsgehalt dieser Norm zT doch überschreiten dürften und – wenngleich unter dem Deckmantel der „Auslegung“ – in der Sache auch das österreichische Vertragsrecht an ein allgemeines Prinzip der „vertraglichen Solidarität“ heranführen.12 Von der grundlegenden Skepsis etwa des HHB13 gegenüber einer Norm wie § 242 BGB ist vor diesem Hintergrund – zumindest für den Bereich des Vertragsrechts – jedenfalls nicht mehr viel zu bemerken.14 2. Bedeutung und Wert gesetzlicher Regelungen für die Vertragsauslegung Die Sinnhaftigkeit, ja sogar die Legitimität spezifischer Vorgaben des positiven Rechts für die Auslegung von Rechtsgeschäften wird im internationalen rechtswissenschaftlichen Diskurs bisweilen bestritten.15 Dieser Sichtweise ist allerdings nicht zu folgen.16 Mag es auch zutreffen, 5 dass sich viele Auslegungsgrundsätze als Anwendungsfälle von „praktischer Logik“ begreifen lassen17, und es in der Tat hermeneutische Grundsätze gibt, deren Relevanz auch für die Rechtswissenschaft von jeglicher positivrechtlichen Normenordnung grundsätzlich unabhängig ist18, geht es wohl doch zu weit, jegliche Stellungnahme des Gesetzgebers zu rechtsgeschäftlichen Auslegungsfragen als unsinnig bzw sogar illegitim diskreditieren zu wollen. Es ist nämlich – nicht zuletzt aus Rechtssicherheitsgründen – als durchaus sinnvoll einzuschätzen, wenn schon vom Gesetzgeber selbst konkrete Auslegungsregeln vorgegeben und solcherart relativ eindeutige rechtliche Risikotragungsregeln für den rechtsgeschäftlichen Verkehr etabliert werden.19 4

11  Zur Modifikation bzw Erweiterung des „Vertragsprogramms“ aufgrund einer ad hoc vorgenommenen Interessenabwägung siehe noch eingehend unten Rz 199 ff. 12  Grundlegende Bemühungen um dessen nähere dogmatische Erfassung nunmehr bei G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) insbes 189 ff; siehe zum Thema auch (wenngleich mit etwas anderer Akzentuierung) Lurger, Vertragliche Solidarität (1997) insbes 128 ff; vgl weiters Art 89 der feasibility study zum Europäischen Vertragsrecht (http://ec.europa.eu/justice/contract/files/ feasibility-study_en.pdf). 13  Vgl HHB 153 f. 14  Diesbezüglich nach wie vor lesenswert die Ausführungen von Gschnitzer in Klang2 IV/1, 403 f; zum Problem siehe auch Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 2. 15  IdS etwa Bickel, Die Methoden der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen (1976) (passim), und Vollmer, Auslegung und „Auslegungsregeln“ (1990) (passim). 16  Ebenso für die Auslegungsbestimmungen der jeweiligen nationalen Kodifikationen Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 5; Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 1 und Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 3. Auch die Arbeiten zur europäischen Vertragsrechtsvereinheitlichung (dazu sogleich Rz 11) gehen ersichtlich von der Sinnhaftigkeit derartiger Normen aus. 17  So ja die bekannten Erwägungen, die den dt Gesetzgeber dann davon abhielten, konkrete „Belehrungen“ über dieselben unmittelbar in das Gesetz aufzunehmen (vgl Mot I 155). 18  Zu diesen nach wie vor grundlegend Betti, Zur Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre, in FS Rabel II (1954) 79 ff; ders, Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften (1967). 19  Den Charakter von Auslegungsregeln (auch) als Risikoverteilungsgrundsätze betont zutreffend etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 2.

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Grundlagen

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Gerade für das österreichische Privatrecht tritt denn auch in mehrfacher 6 Hinsicht relativ offen zutage, welche durchaus eminente praktische Bedeu­ tung bestimmten konkreten Wertentscheidungen des Gesetzgebers zu Fragen der Vertragsauslegung (bzw zur damit zusammenhängenden Risikotragung der Kontrahenten für Kommunikationsstörungen und Missverständnisse) zukommt. Zu verweisen ist insoweit vor allem auf die Rezeption der sog „Vertrauenstheorie“ für die Ermittlung des Inhalts von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen durch das ABGB20,21, auf den Vor­rang des tatsächlichen Geschäftswillens bei Fehlen jeglicher Vertrauensschutzgesichtspunkte22 sowie auf die grundsätzliche Etablierung einer Vertragsrechtsordnung, die – im Unterschied zu den eher formalen Vertragsrechtsordnungen des common law und auch dem herrschenden Verständnis des Code Civil23 – für die Anerkennung von Vertragspflichten keine unabdingbare Voraussetzung in deren Aufnahme unmittelbar in den Erklärungstatbestand erblickt, sondern gleichsam als „Serviceleistung“ auch den Richter in bestimmtem Umfang zur Im­ plementierung von ergänzenden Pflichten in das Vertragsprogramm ermäch­ tigt.24,25 Dass trotz der – demnach grundsätzlich positiv zu bewertenden – Existenz 7 konkreter gesetzlicher Auslegungsgrundsätze im österreichischen Privatrecht immer noch die Beantwortung zahlreicher Detailfragen, die sich im Zusammenhang mit dem Phänomen der Auslegung von Verträgen und Rechtsgeschäften stellen, Wissenschaft und Praxis überlassen bleibt, ist freilich nicht zu bestreiten. 20 

Zur „Vertrauenstheorie“ ausführlich unten Rz 129 ff. Gerade dadurch wurde im Übrigen in einer Frage für das österreichische Recht Rechts­ sicherheit geschaffen, die – wie die Dogmengeschichte lehrt – ohne klare positiv-rechtliche Stellungnahme des Gesetzgebers eine geradezu heillose Verwirrung der Dogmatik heraufzubeschwören geeignet ist. Schon allein dieser Umstand dürfte denn auch in nicht zu überbietender Deutlichkeit die Auffassungen all jener widerlegen, die in positiv-rechtlichen Auslegungsnormen gleichsam Banalitäten erblicken und ihrer daher entbehren zu können glauben. 22  Zur Relevanz des Grundsatzes „falsa demonstratio non nocet“ siehe eingehend unten Rz 131 ff; zur bewussten Ablehnung jeglicher „Erklärungstheorie“ (iS einer ausschließlichen Relevanz des – bei objektiver Betrachtung – tatsächlich Erklärten) durch die III. TN vgl den HHB 151 f. 23  Vgl dazu etwa Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (665 [FN 18], 670 f). Der Problemzugang dieser Rechtsordnungen verdeutlicht im Übrigen, dass die Anerkennung von richterlicher Vertragsergänzung durch eine bestimmte Rechtsordnung vornehmlich auf eine (rechtspolitische) Zweckmäßigkeitsbewertung hinausläuft und nicht etwa mit der Anerkennung der Privatautonomie untrennbar verbunden wäre (so aber offenbar Schimmel, Zur ergänzenden Auslegung von Verträgen, JA 2001, 339 ff [339]). Man wird nämlich weder dem – diesbezüglich eben einen formalen Zugang verfolgenden – common law noch dem Code Civil ernsthaft unterstellen können, der Privatautonomie keine konstitutive Kraft für die Vertragsrechtsordnung zuzumessen. 24  Deutlich idS ja bereits die EB RV zur III. TN zum ABGB (2 BlgHH, 21. Session 120), die in ganz spezifischer Manier von „Lücken“ einer Parteivereinbarung sprechen, die festzustellen und zu füllen eine Aufgabe des Richters sei. 25  Näher zu den Vorteilen einer derartigen Vertragsrechtsordnung, va auch unter Berücksichtigung einer ökonomischen Analyse des Rechts, zB Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (670 f) und G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 194 ff. 21 

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3. Verhältnis der Vertragsauslegung zur Auslegung von Gesetzen In welchem Verhältnis das Phänomen der Vertragsauslegung zu jenem der Gesetzesauslegung steht, va was diese beiden Phänomene miteinander verbindet bzw voneinander unterscheidet, wird im rechtswissenschaftlichen Diskurs intensiv und zT auch äußerst kontrovers diskutiert.26 Jedenfalls für den Bereich des österreichischen Privatrechts scheint eine 9 pragmatische Haltung zu dieser Frage aus mehreren Gründen nahe liegend. Zunächst enthält das ABGB mit den §§ 6 f einerseits und den §§ 914 f andererseits ohnedies für beide Themenkomplexe eigenständige Auslegungsvorschriften27, sodass sich schon aus diesem Grund für das österreichische Recht nicht – wie etwa für den Bereich des BGB – in voller Schärfe das praktisch auch als solches bedeutsame Problem stellt, ob Grundsätze des einen Bereiches per analogiam auch auf den anderen, gesetzlich nicht explizit geregelten Bereich übertragen werden können bzw müssen.28 Weiters lehrt ein Blick in die geschichtliche Entwicklung des ABGB, dass es wohl jedenfalls verfehlt wäre, zwischen Gesetzes- und Vertragsauslegung einen schroffen Gegensatz zu erblicken.29, 30 Immerhin begnügte sich das ABGB bis zur III. TN in der Frage der Auslegung von Verträgen ja im Wesentlichen mit einem schlichten Verweis auf § 6, ohne dass es solcherart zu irgendwelchen signifikanten Beeinträchtigungen des Rechtsverkehrs oder der Rechtspraxis gekommen wäre, denen man dann im Rahmen der III. TN hätte Rechnung tragen müssen.31 Schließlich 8

26  Siehe etwa Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 20 ff; Ertl, Der Versicherer als Gesetzgeber, RZ 1973, 59 ff, 76 ff, 96 ff, 113 ff (122 ff); Mayer-Maly, Bemerkungen zum Verhältnis zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften, in FS Weinberger (1984) 583 ff; Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 73; Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag (1989) va 427 ff; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 346 f und F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991) 465 ff. 27  Insofern ist es völlig zutreffend, wenn etwa VfSlg 1726 = JBl 1949, 313 darauf hinweist, dass für die Auslegung von Gesetzen die §§ 6 f maßgeblich sind und eine unmittelbare Anwendung von § 915 auf diese daher ausscheidet. Ähnlich auch VwGH in ÖJZ 1968, 80/A 1. IdS auch schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 402 (mit Kritik an ggt älterer Rsp). 28  Vgl aber etwa zum Meinungsstand zur analogen Anwendbarkeit von § 133 BGB auch auf die – im BGB bekanntlich nicht näher geregelte – Gesetzesauslegung Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 46. 29  Ebenso schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 402 sowie Mayer-Maly, Auslegen und Verstehen, JBl 1969, 413 ff (415) und Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 1. 30  Gemeinsamkeiten bestehen wohl vor allem in allgemeinen hermeneutischen Belangen (so auch Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 46), wie etwa dem Phänomen eines „überschießenden Sinngehaltes“ von Erklärungen (va deren „Zwecke“ – dazu allgemein etwa Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 301; dazu näher noch unten Rz 175 ff), die dann hier wie dort zum Einsatz von Rechtsgewinnungsmethoden wie der Analogie bzw der teleologischen Reduktion legitimieren (zu dieser Parallele in der Rechtsfolgenermittlung treffend schon Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff [738 f]; idS auch Schimmel, Zur ergänzenden Auslegung von Verträgen, JA 2001, 339 ff [343]), sowie der Tatsache, dass im Zweifel nicht mit sich in Widerspruch stehende Rechtsfolgen in Geltung gesetzt werden sollten (dazu näher noch unten Rz 164 ff). 31  Zur Urfassung von § 914 sowie zum im Wesentlichen bloß klarstellenden Charakter der III. TN siehe bereits oben Rz 2.

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Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung

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und vor allem aber lässt sich mit der bloßen Behauptung, bestimmte Rechtsakte müssten „wie Gesetze“ bzw „wie Verträge“ ausgelegt werden, in Wahrheit ohnedies noch überhaupt kein Auslegungsergebnis überzeugend begründen. Vielmehr wird man immer im Einzelfall den fraglichen Rechtsakt im Lichte der Teleologie der jeweils in Frage kommenden Auslegungsprinzipien näher analysieren und solcherart deren tatsächliche Relevanz für diesen ermitteln müssen.32 33 Die größte praktische Bedeutung wird dabei wohl vielfach dem Umstand zukommen, dass die für Rechtsgeschäfte maßgeblichen Auslegungsgrundsätze vornehmlich dem individuellen Geschäfts- bzw Geltungswillen des Erklärenden Rechnung tragen, soweit dem nicht ein schutzwürdiges Vertrauen des konkreten Erklärungsempfängers entgegensteht, wohingegen bei der Auslegung von Gesetzen Vergleichbares – vor allem aufgrund des Fehlens sowohl eines derart individuellen „Geschäfts-“ bzw „Geltungswillens“ eines einzelnen rechtssetzenden Subjektes34 als auch eines konkreten Erklärungsempfängers – als ausgeschlossen angesehen werden muss.35

II. Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung Bei einer rechtsvergleichenden Betrachtung des Themas fällt zunächst 10 auf, dass die österreichische Rechtsordnung zwar zur Gruppe jener Rechtsordnungen (va des deutschen Rechtskreises36) zählt, die über positivierte Aus­ legungsregeln verfügen37, es aber bei allgemeinen Grundsätzen belassen und – va im Unterschied zum romanischen Rechtskreis38 – auf die Statuierung re32  Vor einer „schablonenhaften Starre“ in der Beantwortung der Frage, ob in einem bestimmten Fall die Grundsätze für die Vertrags- oder aber jene für die Gesetzesauslegung maßgeblich sind, warnte zu Recht bereits Mayer-Maly, Auslegen und Verstehen, JBl 1969, 413 ff (415); vgl auch ders, Bemerkungen zum Verhältnis zwischen der Gesetzesinterpretation und der Auslegung von Rechtsgeschäften, in FS Weinberger (1984) 583 ff (va 585, 588). Treffend etwa auch der Hinweis Jaborneggs in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 17 Rz 9, wonach die Fragestellung, ob die Auslegung der Satzung einer AG nach den Regeln über die Auslegung von Rechtsgeschäften oder denjenigen über die Interpretation von Gesetzen oder Verordnungen zu erfolgen hat, „in Wahrheit nicht den Kern des Problems trifft“. 33  Zu jenen Sonderfällen, bei denen die Orientierung eher an den für Gesetze oder aber eher an den für Verträgen maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen umstritten ist bzw war, siehe noch eingehend unten Rz 79 (Kollektivverträge), Rz 304 ff (einseitige Erklärungen an die Öffentlichkeit bzw Registerrechte), Rz 308 ff (Satzungen) und Rz 324 ff (AGB) 34  Das ja bei Gesetzen idR ein (Kollektiv-)Organ darstellt. 35  Im Wesentlichen ebenso Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 346 f; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991) 465 f und Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 46. Eine „Skala“ zwischen den Extremen der rein subjektiven und der rein objektiven Auslegung skizziert Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 73. 36  Vgl etwa §§ 133, 157 BGB und Art 18 OR. 37  Anders etwa als das Niederländische BW, das auf Auslegungsregeln (wegen deren All­ gemeinheit und Bekanntheit) bewusst verzichtet. Zur (Grundlagen-)Diskussion über Sinnhaftig­keit bzw Unsinnigkeit positivierter Auslegungsgrundsätze für Rechtsgeschäfte siehe bereits oben Rz 4 ff. 38  Vgl etwa Art 1156-1164 Code Civil, Art 1362-1371 Codice Civile und Art 1258 sowie 1281–1289 Código Civil.

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lativ konkreter Rechtsregeln für diesen Bereich verzichten. Nähere Analyse fördert dann freilich zutage, dass auch in der österreichischen Rechtslehre und -praxis die Relevanz jener konkreten Auslegungsgrundsätze, wenngleich als „lex non scripta“ und va aufgrund ihrer evidenten Sachgerechtigkeit und Vernünftigkeit, im Allgemeinen durchaus anerkannt wird.39 Mit Blick auf die Europäische Rechtsvereinheitlichung schließlich lässt 11 sich konstatieren, dass sich das ABGB durchaus in der „europäischen Fließrichtung“ befindet.40 Anvisiert wird nämlich im Rahmen der Bemühungen zur Vereinheitlichung des Europäischen Vertragsrechts41 – und zwar durchaus in Abkehr von einer im anglo-amerikanischen Recht vorherrschenden, dogmengeschichtlich an die „Erklärungstheorie“ gemahnenden Auffassung42 – die herausragende Stellung der in § 914 ja schon jetzt verankerten „Vertrauenstheo­ rie“43 (samt den damit verbundenen Unterprinzipien des Verbotes der Buchstabeninterpretation und des Vorrangs des tatsächlich übereinstimmenden Geschäftswillens der Kontrahenten [„falsa demonstratio non nocet“]44). Aber auch der „interpretatio contra proferentem“ (vgl schon jetzt § 915) soll im vereinheitlichten Europäischen Vertragsrecht Bedeutung zukommen.45 Soweit schließlich der Vereinheitlichungsvorschlag, offenbar in Anlehnung an die Tradition des romanischen Rechtskreises, auch relativ konkrete Auslegungsregeln inkorporieren will46, ist auf den soeben erhobenen rechtsvergleichenden Befund zu verweisen: Derartiges würde für das österreichische Privatrecht zwar in formeller Hinsicht, gewiss aber nicht in materieller Hinsicht ein Novum bedeuten. Endlich soll im vereinheitlichten Europäischen Vertragsrecht auch jene Kompetenz zur richterlichen Vertragsergänzung explizit festgeschrieben werden47, die nach der hA auch schon jetzt für die österreichische Rechtsordnung als gegeben anzusehen ist.48

39  Zu den einzelnen detaillierten Auslegungskriterien und -maximen, die von der öster­ reichischen Dogmatik und Praxis für maßgeblich eingeschätzt werden, siehe ausführlich unten Rz 138 ff. 40  Vgl dazu etwa auch Wittwer, Vertragsschluss, Vertragsauslegung und Vertragsanfechtung nach europäischem Recht (2004) 213 ff. 41  Vgl va Art 56 der feasibility study zum Europäischen Vertragsrecht (http://ec.europa.eu/ justice/contract/files/feasibility-study_en.pdf). 42  Dazu, va zur sog „plain meaning rule“, ausführlicher zB Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 65 ff. 43  Näher unten Rz 129 ff. 44  Zu beidem näher unten Rz 131 ff. 45  Vgl Art 63 der feasibility study zum Europäischen Vertragsrecht (http://ec.europa.eu/justice/ contract/files/feasibility-study_en.pdf). 46  Vgl Art 57 ff der feasibility study zum Europäischen Vertragsrecht (http://ec.europa.eu/ justice/contract/files/feasibility-study_en.pdf). 47  Vgl va Art 66 der feasibility study zum Europäischen Vertragsrecht (http://ec.europa.eu/ justice/contract/files/feasibility-study_en.pdf). 48  Dazu bzw zur damit verbundenen Ablehnung einer formalen Vertragsrechtsordnung siehe schon oben Rz 3, 6.

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Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Bestimmungen

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III. Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Bestimmungen 1. § 863 Auch § 863 enthält Grundsätze für die Ermittlung der rechtsgeschäftlichen 12 Bedeutung von menschlichen Verhaltensweisen. Der exakten Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 914 einerseits und § 863 anderseits kommt indes bei weitem eher theoretische denn praktische Bedeutung zu, ist doch die Rechtsfolgenanordnung in beiden Fällen ident49: Im Einklang mit der dem ABGB inhärenten „Vertrauenstheorie“50 ist von jener rechtsgeschäftlichen Bedeutung auszugehen, auf die ein redlicher Beobachter des Verhaltens (bzw Empfänger der Erklärung) vertrauen durfte und vertraut hat.51,52 Dementsprechend werden die §§ 863 und 914 denn auch von der hA weitestgehend für wechselseitig substituierbar gehalten.53 In der Sache selbst dürfte es – bei aller Unschärfe im Detail54 – am ehesten 13 zutreffen, in § 863 eine Norm zu erblicken, der es vornehmlich um die Prüfung der Frage geht, ob überhaupt eine rechtsgeschäftliche Bindung eingegangen wurde, wohingegen § 914 bei an sich unzweifelhafter Existenz eines Rechtsgeschäftes den Weg zur näheren Ermittlung von dessen Inhalt weist.55 Nicht zutreffend ist es aber wohl, in § 863 Abs 2 bloß aufgrund seines 14 Wortlautes56 einen normativen Maßstab auch für die Beurteilung der Rechtswirkungen von Realakten zu erblicken.57 Sowohl historische58 als auch systematische Interpretationsgesichtspunkte59 legen nämlich doch recht deutlich nahe, dass es auch § 863 ausschließlich um die normative Bewertung rechtsgeschäftlichen Verhaltens geht. Vergleichbare Fragen für andere Verhaltensweisen, an die von der Rechtsordnung Rechtsfolgen geknüpft werden, müssen daher – naturgemäß immer unter Berücksichtigung von deren Eigen49  IdS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 403 sowie nunmehr Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 10. 50  Dazu ausführlich unten Rz 129 ff. 51  Zur Relevanz der „Vertrauenstheorie“ auch im Anwendungsbereich des § 863 siehe näher die Kommentierung zu dieser Bestimmung in der 3. Auflage des Kommentars. 52  Insofern verwundert es auch nicht, wenn von der Rechtsanwendung bei der Begründung einer bestimmten Rechtsauffassung zur Vertragsauslegung die §§ 863 und 914 häufig gleichsam „in einem Atemzug“ zitiert werden. 53  Grundlegend Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung (1972) 50 ff; ebenso Welser, Konsens, Dissens und Erklärungsirrtum, JBl 1974, 79 ff (81); Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 1 und Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 16. 54  Diese mit Recht betonend Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 10. 55  Ähnlich auch Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 1 und Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 16. Vgl allerdings auch den zutreffenden Hinweis bei Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 10, dass bei der – ebenfalls gemäß § 914 zu entscheidenden – Frage, ob im konkreten Fall eine Willens- oder aber eine bloße Wissenserklärung vorliegt, das „Ob“ betroffen ist. 56  Arg „Handlungen und Unterlassungen“. 57  So aber Gschnitzer in Klang2 IV/1, 402 und – ihm folgend – Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 16. 58  Vgl va die Ausführungen im HHB 153. 59  Immerhin ist § 863 im 17. Hauptstück der 2. Abteilung des 2. Teiles des ABGB angesiedelt („Von Verträgen und Rechtsgeschäften überhaupt“).

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heiten einerseits und der Teleologie der zur Verfügung stehenden gesetzlichen Vorgaben andererseits – in großem Umfang durch ergänzende Rechtsfortbildung bewältigt werden.60 2. § 915 Gegenüber den Auslegungsregeln des § 91561 kommt den in § 914 eingeflossenen Auslegungsgrundsätzen nach völlig hA62 Anwendungsvorrang zu. Ein Rekurs auf diese Zweifelsregeln ist daher nur zulässig, wenn sich weder ein übereinstimmender Geschäftswille der Parteien feststellen lässt63, noch eine Vertragspartei in jenem Verständnis zu schützen ist, das sie vom Inhalt der an sie gerichteten Erklärung nach der „Vertrauenstheorie“64 gewinnen durfte und auch tatsächlich gewonnen hat. Diese Subsidiarität von § 915 gegenüber § 914 erscheint, abgesehen 16 vom doch recht klaren Wortlaut der Norm65, auch teleologisch durchaus ein­ leuchtend: Bei vorschnellem Rückgriff auf die „interpretatio contra profe­ rentem“ (§ 915, 2. Fall) drohte eine im Lichte der „Vertrauenstheorie“66 nicht gerechtfertigte Begünstigung desjenigen, der sich bei der Ermittlung des Inhalts einer an ihn gerichteten Willenserklärung nicht in zumutbarer Weise um die Erforschung des tatsächlichen Geschäftswillens des Erklärenden bemüht hat67,68, bei vorschnellem Rückgriff auf das Prinzip der geringeren Last 15

60  Ähnlich auch Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 12. Siehe speziell zur Anwendbarkeit von § 914 auch auf die Auslegung von Wissenserklärungen noch unten Rz 73. 61  Zu diesen näher die Kommentierung zu § 915. 62  Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 1; Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 1; Kerschner, JBl 1985, 575 f (Buchbesprechung von Krampe, Die Unklarheitenregel [1982]); OGH 1 Rv 183/20, SZ 2/72; 4 Ob 66/66, Arb 8308; 1 Ob 755/55, SZ 29/5; 8 Ob 57/67, SZ 40/57; 4 Ob 302/72, SZ 45/20 = ÖBl 1972, 121; 7 Ob 743/77, SZ 51/9; 5 Ob 57/73, EvBl 1973/177; 4 Ob 63/75, JBl 1976, 657 (F. Bydlinski); 4 Ob 161/77, JBl 1978, 387; 2 Ob 579/86, ÖBA 1987, 500 (Dullinger/Rummel); 10 Ob 512/87, ÖBA 1988, 615 (Jabornegg); 8 Ob 675/90, ÖBA 1992, 83; 1 Ob 628/93, ÖBA 1994, 804 (Iro); 1 Ob 2385/96h, ÖBA 1997, 826; 1 Ob 326/98t, ÖBA 1999, 822 (F. Bydlinski); 5 Ob 31/99s, MietSlg LI/12; 1 Ob 160/02i, ÖBA 2003, 541; 8 ObA 64/02y, RdW 2004/277. Auch Welser, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4 ff vertritt – entgegen der Einschätzung von Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 1 – aaO 9 f nichts anderes. Er relativiert nämlich mitnichten die Subsidiarität von § 915 dadurch, dass die Unentgeltlichkeit „schon im Rahmen anderer Auslegungskriterien relevant werden soll“ (so aber Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 1), sondern schlägt bloß vor, dass bei der – im Einzelfall uU gebotenen – Anwendung ergänzenden objektiven Rechts dieses im Zweifel zugunsten des unentgeltlich Versprechenden ausgelegt werden soll. Welser trifft also aaO in Wahrheit eine Aussage über die Gesetzesauslegung und nicht über die Vertragsauslegung. 63  Zum generellen Vorrang des übereinstimmenden Geschäftswillens der Kontrahenten vgl unten Rz 131 ff. 64  Zu dieser näher unten Rz 129 ff. 65  Arg „wird im Zweifel angenommen“. 66  Zu dieser allgemein unten Rz 129 ff. 67  Zur aus § 914 erfließenden Deutungsdiligenzobliegenheit des Erklärungsempfängers siehe eingehend unten Rz 131, 151. 68  Für einen Vorrang der Auslegungssorgfalt vor der „interpretatio contra proferentem“ auch Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 62. Grundlegende Warnungen vor einseitigen Bevorzugungen des Erklärungsempfängers aufgrund einer „interpretatio contra proferentem“ schon bei Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910) 178 f.

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(§ 915, 1. Fall) eine solche desjenigen, der eine Erklärungsfahrlässigkeit zu vertreten hat.69 3. § 346 UGB (§ 346 HGB aF) Bezüglich des Verhältnisses von § 914 zu § 346 UGB (bzw § 346 HGB aF) 17 ist Ähnliches zu konstatieren wie bezüglich des Verhältnisses von § 914 zu § 86370: Aufgrund identer Rechtsfolgenanordnungen kommt der logischexakten Abgrenzung der Tatbestände beider Normen (die richtigerweise danach erfolgen muss, ob ein Verhalten im unternehmerischen Rechtsverkehr71 gesetzt bzw beobachtet wurde oder nicht) keine besondere praktische Be­ deutung zu.72 Der ME für das HaRÄG wollte denn auch genau aus diesem Grund § 346 18 HGB ersatzlos aufheben. Lediglich „zur Vermeidung von Missverständnissen“ und im Hinblick auf die weitere Verwertbarkeit der formal zu dieser Bestimmung ergangenen Judikatur und vorhandenen Literatur wurde schließlich im Rahmen des weiteren Gesetzwerdungsverfahrens doch anders, und zwar im Sinne der formalen Beibehaltung einer unternehmensrechtlichen Sondernorm für die Vertragsauslegung, entschieden.73 4. Spezielle Auslegungsregeln Die österreichische Rechtsordnung enthält auch eine nicht unbeträchtli­ 19 che Anzahl von einzelfallbezogenen Auslegungsregeln, die Auskunft darüber geben, welche (rechtsgeschäftliche) Deutung in ganz spezifischen Situationen bei ganz bestimmten Verhaltensweisen Platz greifen soll. Zu diesen ganz speziellen Auslegungsregeln, die zT als Kreation „normierter Willenserklärungen“ durch den Gesetzgeber begriffen werden74, sind etwa für den Bereich des ABGB die §§ 484, 492 ff, 551 Satz 3, 881 Abs 1, 884, 1029, 1081, 1114 und 1408 zu zählen. 69  Anderenfalls, dh wenn der freigiebig Zuwendende den Inhalt seiner nach der „Vertrauenstheorie“ ausgelegten Erklärung bei gehöriger Sorgfalt nicht hätte erkennen können, würde ihm dieser Erklärungsinhalt nach heute hA ohnedies nicht zugerechnet (vgl zu diesem Grundsatz schon F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes [1967] 159 ff sowie – aus jüngerer Zeit – Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung [1999] 214 f [mwN]). 70  Dazu bereits oben Rz 12 ff. 71  Bzw – bei § 346 HGB aF – im Handelsverkehr. 72  Mit dieser grundsätzlichen Rechtsfolgenidentität nicht zu verwechseln ist freilich die Frage, ob bestimmte Bräuche bzw Sitten solche ausschließlich eines spezifisch unternehmerischen Rechtsverkehrs oder aber (auch) solche des allgemeinen Rechtsverkehrs sind, was insbesondere dann von praktischer Bedeutung ist, wenn nicht beide Vertragspartner einschlägig tätige Unternehmer sind (dazu näher etwa Kramer/Rauter in Straube, UGB4 I § 346 Rz 43 ff sowie Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 54 ff). Siehe auch zum verwandten Problem des (sei es personell, sei es örtlich) beschränkten Geltungsbereiches von (allgemeinen) Verkehrssitten unten Rz 194. 73  Siehe zu diesen Erwägungen die EB RV 1058 BlgNR 22. GP 53 zum HaRÄG. 74  Vgl etwa Koziol/Welser13 I 104 f.

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Ihnen allen ist gemein, dass sie, gleichermaßen wie die Auslegungsregeln des § 91575, gegenüber den Interpretationsgrundsätzen des § 914 Nachrang haben.76 Soweit sich dies nicht ohnedies schon aus dem Wortlaut der fraglichen Normen relativ eindeutig ergibt77, lässt sich diese Auffassung mit eben jenen teleologischen Argumenten untermauern, die bereits zuvor für die Subsidiarität von § 915 gegenüber § 914 ins Treffen geführt wurden. Es ist nämlich – jedenfalls ohne Preisgabe der für das ABGB schlechterdings fundamentalen „Vertrauens­ theorie“78 – nicht zu rechtfertigen, auch demjenigen eine Berufung auf diese Zweifels- bzw Vermutungstatbestände zu gestatten, der sich nicht in zumutbarer Weise um die Ermittlung des wahren Geschäftswillens desjenigen, dem nunmehr aufgrund dieser Tatbestände Rechtsfolgen zugerechnet werden sollen, gekümmert hat,79 oder gar demjenigen, der diesen wahren (und von der gesetzlichen Vermutung eben abweichenden) Geschäftswillen positiv gekannt hat.80 Dies umso weniger, als ja ohnedies denjenigen, der die Zurechnung derartiger Rechtsfolgen abwenden möchte, die Beweislast für die im Einzelfall fehlende Schutzwürdigkeit seines Gegenübers trifft (worin dann allein schon eine gravierende – aber eben nicht noch weiter auszudehnende – Konsequenz der Schaffung derartiger [Verkehrsschutz-]Tatbestände durch den Gesetzgeber gesehen werden kann). 5. Konversion a) Das Wesen der Konversion im Allgemeinen

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Die Frage, in welchem Verhältnis das Rechtsinstitut der Konversion81,82, worunter ganz überwiegend der Vorgang verstanden wird, an die Stelle eines 75 

Dazu bereits oben Rz 15 f. Ebenso für das Verhältnis der §§ 133, 157 BGB zu den speziellen Auslegungsregeln dieses Gesetzbuches schon Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910) 177 (FN 8). 77  Vgl etwa die verba legalia „im Zweifel“ in § 1408. 78  Zu dieser ausführlich unten Rz 129 ff. 79  Zur jedem Kontrahenten von § 914 auferlegten Deutungsdiligenzobliegenheit siehe unten Rz 131, 151. 80  Völlig zurecht wurden daher gegenteilige Ansichten, die auch den bösgläubigen Begünstigten derartiger Tatbestände in den Genuss der von ihnen verheißenen Rechtswirkungen kommen lassen wollen, von F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 76 als „direkter Angriff auf den Minimalbestand an Treu und Glauben, den die Rechtsordnung im Geschäftsverkehr sichern helfen sollte“, bezeichnet. 81  Zu diesem eingehender etwa Fischer, Konversion unwirksamer Rechtsgeschäfte, in FS Wach (1913) 170 ff; Siller, Die Konversion, AcP 138 (1938) 144 ff; Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) und M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982). Zur historischen Entwicklung dieses Rechtsinstitutes siehe Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 590 f und – minutiös – Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 28 ff. 82  Die grundsätzliche Relevanz dieses Rechtsinstitutes auch für den österreichischen Rechtsbereich ist unbestritten. Zwar enthält das ABGB, wohl vor allem aufgrund der ihm erst nachfolgenden allgemeinen Verbreitung der Konversionslehre (vgl Flume, Das Rechtsgeschäft3 [1979] 590), keine § 140 BGB vergleichbare allgemeine Konversionsbestimmung. Doch kann auch für das österreichische Privatrecht mittels Rechtsanalogie, va zu den §§ 610, 880a, 956, 1250 und 1405 ABGB sowie § 15 Abs 4 KSchG und § 33 Abs 1 MRG, ein allgemeines Konversionsprinzip ermittelt werden (zu dieser Rechtsanalogie grundlegend M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften [1982] 65 ff). 76 

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unwirksamen Rechtsgeschäftes 83,84 ein solches treten zu lassen, das dem (zumindest „hypothetischen“) Parteiwillen bzw den von den Parteien verfolgten Geschäftszwecken eher entspricht als der ersatzlose Entfall des unwirksamen Geschäftes, zur Vertragsauslegung steht, ist umstritten. Von manchen wird die Auffassung vertreten, dass die Konversion eine bloße Facette der Vertragsauslegung darstellt85, während andere auf dem Standpunkt stehen, dass die Konversion als von der Vertragsauslegung wesensverschieden zu begreifen ist.86 Bei dieser Kontroverse dürfte es sich indes bloß um eine solche über die 22 Zweckmäßigkeit bestimmter dogmatischer Kategoriebildungen handeln, wohingegen praktische Unterschiede zwischen diesen beiden Auffassungen, soweit ersichtlich, weder von Vertretern der einen noch von jenen der anderen Auffassung behauptet werden.87 Jedenfalls für das österreichische Recht spricht in diesem Zusammen- 23 hang viel dafür, zwar den formalen sedes materiae für ein allgemeines Kon83  Auch ein einseitiges Rechtsgeschäft kann grundsätzlich konvertiert werden: vgl etwa OGH 7 Ob 17/94, RdW 1995, 98 (Umdeutung einer unwirksamen Kündigung in ein Anbot zur einvernehmlichen Vertragsauflösung); sowie idS nunmher ausdrücklich § 33 Abs 1 MRG. 7 Ob 210/03p, RdW 2004/120 (Umdeutung einer zeitwidrigen Kündigung in eine solche zum nächst zulässigen Termin). Vgl aber auch zur (Un-)Zulässigkeit der Konversion einer Ausschließungserklärung bei einer GesbR in eine Aufkündigung OGH 1 Ob 204/72, RZ 1973/38. In welchem Umfang auch im Bereich des Arbeitsrechts bei zeitwidrigen Kündigungen das sog „Konversionsprinzip“ eingreift (und nicht etwa das „Unwirksamkeits-“ oder das „Schadenersatzprinzip“) ist bis in die jüngste Vergangenheit herauf besonders heftig umstritten. Vgl zum Meinungsstand näher die Kommentierung zu § 1159 in der 3. Auflage des Kommentars. 84  Von der Rsp wurde allerdings auch schon, und zwar mit Recht, die Umdeutung einer fehlerhaften Wissenserklärung in eine Willenserklärung vorgenommen (vgl etwa OGH 9 ObA 68/88, wbl 1988, 399 [Umdeutung der – unzutreffenden – Wissenserklärung eines Arbeitnehmers, dass sein Arbeitsverhältnis mit Ende der – unwirksamen – Probefrist ende, in ein Anbot auf einvernehmliche Vertragsauflösung zu diesem Zeitpunkt] und in OGH 7 Ob 30/87, VersE 1340 [Umdeutung der Bestreitung der Vertragsgültigkeit in eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin]). Zur Möglichkeit der Konversion auch von Prozesshandlungen siehe etwa OGH 3 Ob 2303/96i, RdW 1997, 276 sowie eingehend Fasching, Die Umdeutung von Parteiprozesshandlungen im österreichischen Zivilprozessrecht, in FS Baumgärtel (1990) 65 ff. Zur Möglichkeit der Konversion auch von öffentlich-rechtlichen Hoheitsakten in Rechtsgeschäfte des Privatrechts siehe va OGH 9 ObA 33/88, DRdA 1990, 456 (M. Binder). 85  So etwa Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) (passim) und J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften (1983) 154 ff. 86  IdS etwa M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982); Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 1 und Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 268 ff. 87  So erblickt etwa M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 57 den Vorteil einer dogmatischen Trennung von Auslegung und Konversion (nur) in der höheren „rechtsdogmatischen Schärfe“ und auch Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 289 gesteht, dass eine Konversionslehre, die (zumindest nach seinem Verständnis) lediglich eine Aufgabe der Auslegung verselbständigt, sich in der Sache grundsätzlich nicht von einer Konversionslehre unterscheidet, die diese Aufgabe als Bestandteil der Auslegung selbst wahrnimmt, wenn man nur in beiden Fällen nach den zutreffenden Maßstäben verfährt. Krampe befürchtet denn auch aaO bloß, dass eine Doktrin von der Konversion als selbständigem Rechtsinstitut die Gerichte dazu verleiten könnte, die für die Auslegung gesetzten Grenzen (zu diesen allgemein unten Rz 124 ff) zu überschreiten. In Wahrheit dürfte diese Gefahr aber immer bestehen.

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versionsprinzip im positiven Recht außerhalb der für die Vertragsauslegung maßgeblichen Normen angesiedelt zu sehen88, inhaltlich aber einem harmonisierten Verständnis dieser beiden Rechtsinstitute zuzuneigen. Denn auch wenn und insoweit man die bezüglich der Aufrechterhaltung eines prima vista von Unwirksamkeit bedrohten Rechtsgeschäftes zum Einsatz kommenden Argumentationsmuster nicht ohnedies als bloß auf die Ermittlung des tatsächlichen Geschäftswillens der Parteien gerichtet begreifen muss89, sollte kein Zweifel bestehen, dass die im Rahmen der Auslegung iwS auf der einen Seite und die bei der Konversion eines zur Gänze unwirksamen Rechtsgeschäftes auf der anderen Seite zum Einsatz gelangenden Rechtsgewinnungsmethoden völlig ident sind: Schließlich ist es ja da wie dort nach hA der „hypothetische Parteiwille“, der über das Ergebnis der richterlichen Intervention in das vertraglich tatsächlich konsentierte Pflichtenprogramm entscheiden soll.90 91 Vor diesem Hintergrund ist es dann aber in der Tat nur mehr eine Frage der Quantität92 (und eben keine mehr der Qualität), die Vertragsauslegung (iwS) und Konversion unterscheidet93 und der es – vor allem zur Vermeidung eines unbegründeten Auseinanderdriftens der von der Rechtsanwendung dabei im Detail zum Einsatz gebrachten Wertungsgesichtspunkte – durch 88  Dies zum einen aufgrund historischer Gesichtspunkte (siehe zu diesen auch bereits oben FN 82) und zum anderen aus der systematischen Überlegung heraus, dass man die Existenz der einzelnen Konversionsnormen des ABGB wohl für völlig überflüssig ansehen müsste, wenn man deren normativen Gehalt bereits aus § 914 ableiten wollte (was es aber im Lichte allgemeiner methodischer Grundsätze tunlichst zu vermeiden gilt); ebenso M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 50 f. 89  Wie dies etwa dann der Fall ist, wenn man – im Sinne des Prinzips „falsa demonstratio non nocet“ – bei einem eindeutigen Inhalt des Rechtsgeschäftes von einer fehlerhaften Qualifikation desselben durch die Parteien abstrahiert (dazu näher unten Rz 134), wenn man das Rechtsgeschäft im Zweifel „in favorem negotii“ interpretiert (dazu näher unten Rz 168 ff) oder wenn man bloß eine vertragliche Konversionsklausel zur Anwendung bringt, die die Parteien selbst dem nichtigen Rechtsgeschäft vorsorglich beigefügt haben (zur Ansiedelung dieser Fallgruppen bereits im Bereich der Auslegung ieS vgl auch Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 3 ff sowie Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 268). 90  Deutlich idS auch J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften (1983) 156, 163; Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 1 und Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 267. 91  Vor diesem Hintergrund verwundert es denn auch nicht weiter, dass sich die zB bei OGH 1 Ob 14/97h, immolex 1997, 254 anzutreffende „falsa demonstratio“ (Vornahme einer „ergänzenden Vertragsauslegung“ statt einer Konversion trotz Gesamtnichtigkeit des fraglichen Rechtsgeschäftes [„Wohnungsschenkung“; „ergänzend ausgelegt“ – in Wahrheit konvertiert – in Schenkung einer Wohnungsdienstbarkeit]) auf das Ergebnis der gerichtlichen Rechtsanwendung überhaupt nicht ausgewirkt hat. (In concreto hätte freilich – je nach Beschaffenheit der fraglichen Liegenschaft – auch an eine Konversion in die Zusage der WE-Begründung gedacht werden können [vgl zur Möglichkeit der Heilung der für eine derartige Zusage erforderlichen Schriftform durch tatsächliche Objektübergabe Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, Vor §§ 37–44 WEG 2002 Rz 9]). 92  Wird bloß eine drohende Teil- oder aber eine drohende Gesamtnichtigkeit abgewendet? Zur von der Rsp tw nicht in der dogmatisch gebotenen Schärfe vorgenommenen Berücksichtigung dieses Umstandes siehe oben FN 91. 93  Ebenso J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften (1983) 157.

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ein möglichst harmonisiertes Verständnis von Vertragsauslegung (iwS) und Konversion Rechnung zu tragen gilt.94 b) Die einzelnen Voraussetzungen für die Vornahme einer Konversion Was nun die für die Zulässigkeit einer Konversion im Einzelfall erforder­ 24 lichen Voraussetzungen im Detail betrifft, so lassen sich diese, wie bereits angedeutet, nach hA zunächst ganz allgemein dahingehend charakterisieren, dass erstens das vom tatsächlichen Geschäftswillen der Parteien anvisierte Rechtsgeschäft (und zwar zur Gänze) von Unwirksamkeit bedroht ist, dass zweitens ein anderes Rechtsgeschäft vorstellbar ist, das von dieser Unwirksamkeit nicht betroffen wäre, und dass es drittens dem „hypothetischen Parteiwillen“ entspricht, der Wirksamkeit dieses anderen Rechtsgeschäftes den Vorzug vor dem ersatzlosen Entfall des eigentlich beabsichtigten Rechtsgeschäftes zu geben.95 aa) Unwirksamkeit des von den Parteien tatsächlich abgeschlossenen Geschäftes Die Gründe für die Unwirksamkeit des vom Geschäftswillen der Par­ 25 teien tatsächlich erfassten Rechtsgeschäftes als erste, grundlegende Kon­ versionsvoraussetzung96 können ganz unterschiedlicher Art sein.97 Zu denken ist vor allem an Verstöße gegen das Verbot des Vertrages zu Lasten Dritter98, an einen Eingriff in die Testierfreiheit anderer99, an einen Verstoß gegen zwingende gesetzliche Vorgaben für bestimmte Rechtsinstitute (zB des Sachen-100 oder 94  Ähnlich auch die Forderung J. Hagers, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften (1983) 158 nach einer „identen Gewichtung der Parteiinteressen“ in beiden Fällen. 95  Zu diesen Voraussetzungen vgl statt aller bloß M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 106 mwN. 96  Siehe dazu auch M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 82 f. 97  Umfassender und systematischer Überblick dazu va bei Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 213 ff und M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 82 f. 98  Auf diesem Umstand bauen denn auch die speziellen Konversionsregelungen der §§ 880a und 1405 auf. 99  Diesen Unwirksamkeitsgrund bedenkt zB auch die spezielle Konversionsnorm des § 610. 100  So kann etwa der Verkauf einer Liegenschaft „mit Vorbehalt des stehenden Holzes“ – mangels rechtlicher Selbständigkeit desselben – nicht mit sachenrechtlicher Wirksamkeit vereinbart werden (vgl den Sachverhalt von OGH 3 Ob 108/80, EvBl 1981/48); die Konversion in eine schuldrechtliche Absprache (obligatorisches Schlägerungsrecht) liegt aber nahe. Auch ist es für den Fall, dass die Voraussetzungen für ein Superädifikat nicht erfüllt sind, rechtlich unmöglich, einen Eigentumserwerb des Bauführers nur am Gebäude zu vereinbaren; eine derartige Vereinbarung zwischen Grundeigentümer und Bauführer kann aber Gegenstand einer Konversion in eine schuldrechtliche Duldungspflicht der Hausbenutzung durch den Grundeigentümer sein (so OGH 7 Ob 502/85, SZ 58/12). Auch die – seit der Abschaffung der Möglichkeit zur Neubegründung von Stockwerkseigentum – rechtlich unmögliche Schenkung einer „Wohnung“ wurde von der Rsp in der Sache bereits in eine Wohnungsdienstbarkeit konvertiert (idS OGH 1 Ob 14/97h, immolex 1997, 254; vgl zu dieser E auch schon oben FN 91). Zur Konversion der Verpfändung eines – in Wahrheit rechtlich nicht selbständigen – Teiles eines Superädifikates in die schuldrechtliche Pflicht

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des Gesellschaftsrechts101) oder gegen Formvorschriften102, aber auch an die Gesetz- oder Sittenwidrigkeit des Geschäftes.103 Zu berücksichtigen ist freilich – speziell bei den zuletzt genannten Unwirksamkeitsgründen –, dass nicht auch das als Ergebnis der Konversion in Frage kommende Ersatzgeschäft gegen den Zweck der jeweils zur Unwirksamkeit führenden Normen verstoßen darf.104 Auch dass ein Geschäft, zB mangels hinreichender Geschäftsfähigkeit ei26 nes der Kontrahenten oder fehlender Vertretungsmacht eines das Geschäft im zur Pfandbestellung am entsprechenden Miteigentumsanteil siehe Bollenberger, Die zivilrechtliche Selbständigkeit von Superädifikaten, RdW 2001, 582 ff (588). Sollte weiters die Verbücherung von Wohnungseigentum wegen Verstoßes gegen zwingende Grundsätze dieses Rechtsinstitutes nichtig sein, so ist eine Konversion des WE-Vertrages in die wechselseitige Einräumung schuldrechtlicher Nutzungsrechte vorzunehmen (vgl OGH 5 Ob 279/00s, wobl 2001, 81 [Call]). Schließlich kann etwa der Fruchtgenuss nicht dem Inhalt nach übertragen werden; wird eine derartige Übertragung dennoch vereinbart, so ist sie in eine solche der Ausübung nach zu konvertieren (vgl RG in JW 1910, 801). Die – unwirksame – Vereinbarung von Pfandrechten an nicht verwertbaren Gegenständen (zB Ausweispapieren) endlich kann in ein Zurückbehaltungsrecht konvertiert werden (vgl Gschnitzer, Österreichisches Sachenrecht2 232), die an noch nicht existierenden Sachen in einen bloß obligatorischen Anspruch auf künftige Pfandrechtseinräumung (vgl M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften [1982] 137 f). 101  So ist etwa die unwirksame Gründung einer OHG (ab dem HaRÄG: OG) einer Konversion in jene einer GesbR grundsätzlich zugänglich (vgl M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften [1982] 159 f). Zur erforderlichen Konversion einer unwirksamen „Gewinnausschüttungsvereinbarung“ bei einer GmbH siehe Reich-Rohrwig, Anmerkung zu OGH 4 Ob 154/01b, ecolex 2002/138. Weitere Bsp für Konversionen, die bei Verstößen gegen zwingende gesellschaftsrechtliche Vorgaben Platz greifen können, finden sich bei M. Binder aaO 159 ff sowie Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 29. 102  So kann etwa eine formungültige Wechselbürgschaft ebenso Gegenstand einer Konversion in eine Bürgschaft nach bürgerlichem Recht sein (OGH 8 Ob 2082/96a, RdW 1996, 309; 8 Ob 1026/95, ÖBA 1996, 721) wie ein formnichtiger Wechsel Gegenstand einer Konversion in eine Anweisung sein kann (idS schon GlUNF 3744); weitere Beispiele für im Wertpapierrecht angesiedelte Formunwirksamkeiten, denen mit Konversion begegnet werden kann, zB bei Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 263 ff und M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 167 ff. Eine mangels Notariatsakts unwirksame Ehegütergemeinschaft kann in eine GesbR oder eine schlichte Miteigentumsgemeinschaft umgedeutet werden (vgl Welser, Ehepakt, Erwerbsgesellschaft bürgerlichen Rechts und Formzwang, GesRZ 1976, 34 ff [38 ff]). Formunwirksam begründete dingliche Sicherungsrechte geben aufgrund einer Konversion dem Berechtigten zumindest einen obligatorischen Anspruch auf wirksame Sicherheitenbestellung (dazu zB OGH 8 Ob 101/67, JBl 1967, 618 sowie P. Bydlinski, Durchbrechungen des Publizitätsprinzips im Mobiliarpfandrecht? ÖJZ 1986, 327 ff). Zur bereits in § 956 angelegten allgemeinen Möglichkeit einer Umdeutung von formunwirksamen Rechtsgeschäften unter Lebenden in solche auf den Todesfall siehe schließlich B. Jud, Testierabsicht, Form und Konversion, NZ 2001, 10 ff. 103  So kann etwa die in einem wegen Verstoßes gegen die einschlägigen Grundverkehrs­ gesetze unwirksamen Bestandvertrag enthaltene Weitergabeklausel in eine Bevollmächtigung des Bestandnehmers zum Abschluss eines derartigen Bestandvertrages umgedeutet werden (vgl H. Böhm, Ausländergrundverkehr und Miete, JBl 1990, 222 ff [235]). Bei unzulässigen Kettenarbeitsverträgen, die mit Billeteuren immer im Abstand von zwei Monaten für zehn Monate abgeschlossen wurden, sind die vorgesehenen entgeltsfreien Zeiten in eine (zulässige) Karenzierungsvereinbarung umzudeuten (vgl OGH 9 ObA 2126/96d, DRdA 1997, 126 [Ziehensack]). 104  Zutr Betonung dieses Umstandes etwa bei Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 13 (auch mit Nw jener Stimmen in der deutschen Rsp und Lehre, die – diesen Umstand wohl zu pauschal bzw zu generalisierend gewichtend – jegliche Konversion von form-, gesetz- oder sittenwidrigen Geschäften für unzulässig halten).

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fremden Namen abschließenden (Schein-)Vertreters, zunächst bloß schwe­ bend unwirksam ist, spricht nicht grundsätzlich gegen dessen Konversion105; dies nach der Beendigung des Schwebezustandes im negativen Sinn.106 Sollte allerdings ein Rechtsgeschäft, va wegen des Vorliegens eines Wil- 27 lensmangels, bloß anfechtbar sein, ist richtigerweise davon auszugehen, dass eine uU in Frage kommende Umsetzung des um die Willensstörung bereinigten Geschäftswillens der Parteien jedenfalls formal nicht im Wege der Kon­ version erfolgen kann.107 Sowohl die Berufung auf einen Willensmangel durch die von diesem betroffene Vertragspartei als auch die Annahme von deren Bindung an jenes Rechtsgeschäft, das sie ohne diesen Willensmangel abgeschlossen hätte, setzen nämlich in einem ersten, entscheidenden Schritt die Einhaltung der für die Geltendmachung von Willensmängeln gesetzlich vorgezeichneten Mechanismen, va die korrekte und zeitgerechte Ausübung der jeweiligen Gestaltungsrechte voraus, und unterscheiden sich dadurch doch grundlegend von der Konversion, die derartige Voraussetzungen nicht kennt. Zuzugeben ist freilich, dass jene Wertungsgesichtspunkte, die die zunächst in einem Willensmangel verfangene Partei an jenes Geschäft jedenfalls binden, das sie ohne diesen Willensmangel abgeschlossen hätte, mit jenen, die zur Bindung an das konvertierte Geschäft führen108, weitestgehend ident sind.109 Gleiches gilt, wenn die Unwirksamkeit des Geschäftes wegen Unbe­ 28 stimmtheit oder Mehrdeutigkeit droht. Auch hier ist es wohl formal keine Konversion110, wenn man die Parteien am Mindestgehalt der nicht in vollem Umfang übereinstimmenden Erklärungen festhält111; die Verwandtheit der maßgeblichen Wertungen112 lässt sich indes auch hier nicht bestreiten. Auch die für den Abschluss eines Scheingeschäftes maßgeblichen Grund- 29 sätze113 stellen in Wahrheit keine Facette des Rechtsinstitutes der Konversi­ on dar.114 Denn bei diesen muss nicht eine potentielle Willensrichtung der Vertragsteile ermittelt werden, sondern es ist – soweit rechtlich zulässig – ihrem tatsächlichen Geschäftswillen Rechnung zu tragen. 105  Deutlich in diese Richtung ja schon die spezielle Konversionsnorm des § 1250; bei völliger Geschäftsunfähigkeit wird freilich eine Konversion deswegen nicht in Frage kommen, weil dieser Mangel in vollem Umfang auch auf ein allfälliges Ersatzgeschäft durchschlägt. 106  Zuvor werden einer Konversion vielfach die Interessen der Parteien (bzw ihr „hypothetischer Parteiwille“) entgegenstehen: vgl M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 88 f. 107  Im Ergebnis ebenso zB Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 592 f; Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 247 ff und Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 14; aA aber etwa M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 85 ff. 108  Ie der Ausschluss eines grundlosen Reuerechts; dazu sogleich unten im Text Rz 34 109  Vgl zu dieser Koinzidenz auch G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 319 f. 110  IdS wohl auch Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 12, wonach im Fall des Dissenses § 140 BGB nicht einschlägig sei. Vgl zur Konversion im Dissensfall auch – freilich in anderem Zusammenhang – M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 92. 111  Zu dieser Möglichkeit näher unten Rz 47 112  Ie der Ausschluss eines grundlosen Reuerechts; dazu sogleich unten im Text Rz 34. 113  Siehe zu diesen die Kommentierung von § 916. 114  Ebenso etwa auch Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 12 und M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 92; formal unzutreffend daher die Begründung des Rechtsinstitutes der Konversion auch mit § 916 durch den OGH 9 ObA 33/88, DRdA 1990, 456 (M. Binder).

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bb) Existenz eines konversionstauglichen Ersatzgeschäftes Was in weiterer Folge als zweite Konversionsvoraussetzung das denkba­ re Ersatzgeschäft betrifft, in das das vom Geschäftswillen der Parteien eigentlich anvisierte, aber unwirksame Geschäft konvertiert werden soll, erscheint vor allem wesentlich, dass dieses überhaupt rechtlich möglich ist115, dass es, wie bereits erwähnt116, nicht vom gleichen Wirksamkeitshindernis wie das unwirksame Hauptgeschäft bedroht sein darf117, und dass durch das Ausweichen auf das Ersatzgeschäft auch nicht sonstige zwingende Vorgaben des objektiven Rechts konterkariert werden.118,119 Alle weiteren Voraussetzungen, die vielfach an das Ersatzgeschäft gestellt 31 werden, wie etwa, dass dieses „im Hauptgeschäft enthalten sein muss“120, dass es diesem „entspricht“121 oder dass es mit seinen Rechtswirkungen im Vergleich zu diesem nur ein „aliud“ oder „minus“, aber kein „plus“ darstellen dürfe122, dürften demgegenüber – abgesehen von der hochgradigen Unbestimmtheit der verwendeten Formeln und Begriffe – bloß Scheinprobleme behandeln. Der wahre Kern all dieser zuletzt genannten Anforderungen, die an das 32 Ersatzgeschäft gestellt werden, ist nämlich darin zu erblicken, dass es immer im Einzelfall ausführlich zu begründen ist, dass und warum eine Partei auch an ein Rechtsgeschäft gebunden sein soll, das so von ihrem tatsächlichen Geschäfts30

115  Vom OGH (10 Ob 2204/96g, ecolex 1997, 85 [Wilhelm]) wurde daher die Konversion einer formunwirksamen letztwilligen Stiftungserklärung in die Auflage zur Vereinsgründung als ausgeschlossen angesehen (in concreto kein gesetzeskonformer Vereinszweck). 116  Vgl oben Rz 25 117  Daher kann etwa eine formunwirksame Bürgschaft nicht in einen Garantievertrag umgedeutet werden und eine formunwirksame Sicherungszession nicht in eine „starke Zahlungssperre“ (vgl Grassl-Palten, ÖBA 1997, 473 [Entscheidungsanmerkung]; ihr folgend auch Kodek, Die Wirkung der Vinkulierung von Versicherungsforderungen im Konkurs, ZIK 2005, 150 ff [151]) und die Verpfändung eines – in Wahrheit rechtlich unselbständigen – Teiles eines Superädifikates wegen Fehlens des erforderlichen modus nicht in die sachenrechtlich bereits wirksame Verpfändung eines Miteigentumsanteils an demselben; die entsprechende Umdeutung des schuldrechtlichen Pfandbestellungsvertrages ist freilich möglich; vgl Bollenberger, Die zivilrechtliche Selbständigkeit von Superädifikaten, RdW 2001, 582 ff (588). Auch die – grundsätzlich mögliche (vgl FN 119) – Konversion einer formunwirksamen Schenkung unter Lebenden in ein Vermächtnis setzt die Einhaltung der für Letzteres maßgeblichen Formvorschriften voraus. Eingehend zur Berücksichtigung von Formgeboten bei Konversionsfragen auch M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 97 ff. 118  Daher kann etwa ein verjährter oder präjudizierter Scheck (siehe dazu auch OGH 8 Ob 686/89, JBl 1991, 531) nicht in einen kaufmännischen Verpflichtungsschein konvertiert werden; näher zB Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 278 f. 119  Kein generelles Konversionshindernis ist allerdings darin zu erblicken, dass es sich beim unwirksamen Rechtsgeschäft um ein solches unter Lebenden gehandelt hat, beim in Frage stehenden Ersatzgeschäft hingegen um eine Verfügung von Todes wegen: vgl dazu – speziell zur Konversion einer formunwirksamen Schenkung unter Lebenden in ein Vermächtnis – B. Jud, Testierabsicht, Form und Konversion, NZ 2001, 10 ff (mit reichen Nw auch zum einschlägigen dt Meinungsstand). 120  So etwa Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 594. 121  Dazu eingehend Fischer, Konversion unwirksamer Rechtsgeschäfte, in FS Wach I (1913) 170 ff (199). 122  So etwa Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 17.

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willen nicht erfasst war. Dies stellt nun aber in Wahrheit einen Aspekt dar, den es ohnedies gebührend zu würdigen gilt, wenn man jenen Prozess in Angriff nimmt, den die hA im gegebenen Zusammenhang als Ermittlung des „hypothetischen Parteiwillens“ (und damit eben als eigenständige, dritte Konversionsvoraussetzung) begreift. In ihm eine besondere Voraussetzung für das Ersatzgeschäft zu erblicken, erscheint daher unzweckmäßig und somit entbehrlich. cc) Legitimität der Bindung der Parteien auch an das Ersatzgeschäft Wie eben bereits angedeutet, geht es bei der Prüfung, ob die Konversion des unwirksamen Hauptgeschäftes in ein potentiell in Frage kommendes Ersatzgeschäft dem „hypothetischen Parteiwillen“ eher entspricht als dessen ersatzloser Entfall, als dritter allgemeiner Konversionsvoraussetzung in der Sache vor allem darum, die Bindung der Parteien auch an ein Rechtsge­ schäft zu begründen, das so von ihrem tatsächlichen Geschäftswillen nicht erfasst war. Einen zentralen Wertungsgesichtspunkt stellt es in diesem Zusam­ menhang nun bereits dar, dass schon im Rahmen des unwirksamen Hauptgeschäftes jede Partei in bestimmtem Umfang eine Bindung gegenüber der anderen eingegangen ist, und es in diesem Umfang nicht zu rechtfertigen wäre, wenn sie sich aus dieser Bindung bloß aus Anlass der Unwirksamkeit des eigentlich konsentierten Geschäftes wieder völlig lösen könnte.123 Dies liefe nämlich in Wahrheit auf die Gewährung eines grundlosen „Reuerechts“ hinaus. Allein aus dieser Überlegung heraus erhellt, dass etwa gegen eine Konver­ sion von sachenrechtlich unwirksamen Vereinbarungen in solche bloß ob­ ligatorischer Natur124 vom dadurch Belasteten nie vorgebracht werden kann, Derartiges widerspräche seinem „hypothetischen Willen“. Schließlich wird er in einem derartigen Fall durch die Konversion zu keiner größeren Belastung verhalten, als er tatsächlich privatautonom eingegangen ist. Gleiches gilt etwa auch für die Konversion unwirksamer wertpapierrechtlicher Verpflichtun­ gen in solche des allgemeinen Zivilrechts, die im Vergleich zu jenen eine bloß geringere Belastung für den Verpflichteten darstellen.125, 126 Und auch die besonderen Konversionsnormen der §§ 880a und 1405 finden in dem eben geschilderten Gesichtspunkt ihre teleologische Rechtfertigung. Gerade weil nun aber die im unwirksamen Hauptgeschäft eingegangene Bindung in aller Regel (und zwar durchaus in verschiedener Hinsicht) bloß limitiert ist, ist vor allem beim zweiseitig verpflichtenden Rechtsgeschäft imÄhnlich auch G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 319 f. Vgl die einschlägigen Beispiele dazu bereits oben FN 100. 125  Vgl die einschlägigen Beispiele dazu bereits oben FN 102; weitere Beispiele finden sich etwa bei Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 263 ff und M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 169 ff. 126  Wertungsmäßig gehört auch der – mittlerweile freilich in dieser Form nicht mehr praktisch relevante – Fall der Umdeutung einer (seinerzeit rechtsunwirksamen) „Leerübertragung“ einer Marke in einen zeitlich unbefristeten und zumindest vom Markeninhaber unkündbaren Lizenzvertrag (vgl OGH 4 Ob 321/83, ÖBl 1984, 90) hier her. 123  124 

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mer auch zu prüfen, ob es durch die im Interesse einer Partei liegende Konversion nicht zugleich auch zu einem unzulässigen Eingriff in die Privatauto­ nomie der anderen Partei käme.127, 128 Dies wäre etwa – abgesehen von einem einvernehmlichen (und selbst­ 37 verständlich zu respektierenden) Konversionsausschluss durch beide Par­ teien129, 130 – unstrittig dann der Fall, wenn eine Partei der Gegenpartei deutlich zu erkennen gegeben hat, dass sie – und zwar gleich aus welchen Gründen131 – nur das in weiterer Folge sich als unwirksam herausstellende Rechtsgeschäft abschließen wollte, nicht aber auch ein anderes bzw speziell nicht jenes, das nunmehr als Ersatzgeschäft in Frage kommt.132 Ein unzulässiger Eingriff in die Privatautonomie einer der Vertragsparteien 38 drohte aber auch immer dann, wenn das Geschäft, in das konvertiert werden soll, dieser Partei größere Belastungen brächte bzw ihre Interessen stärker 127  Bei einseitigen Rechtsgeschäften stellt sich dieses Problem naturgemäß nicht. Dies dürfte denn auch der Grund sein, warum diese als eine „Hochburg“ der Konversion gelten können. Vgl zu dieser Koinzidenz auch J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften (1983) 158. Eine andere Ursache für die große Verbreitung der Konversion im Bereich des Erbrechts vermutet allerdings M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 79 (Unmöglichkeit der nachträglichen Fehlersanierung). 128  Sollte freilich der Schutzzweck jener Norm, die zur Unwirksamkeit des eigentlich intendierten Geschäftes geführt hat, die Annahme eines Ersatzgeschäftes mit einem bestimmten Inhalt gebieten, kommt es auf die Willensrichtung des davon uU nachteilig betroffenen Vertragsteils nicht mehr an. In diesen Fällen liegt daher in Wahrheit auch keine Konversion vor (unzutr daher die Deutung der E OGH 8 ObA 130/99x, DRdA 2000, 328 [Egger] durch Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 245 [„Konversion“ von unzulässig befristeten Arbeitsverhältnissen in solche auf unbestimmte Zeit; in Wahrheit lag, wie auch vom Höchstgericht völlig korrekt angenommen, ein geradezu klassischer Fall einer – aufgrund des Schutzzwecks der übertretenen Norm – bloßen Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäftes vor]). 129  Der freilich nicht schon allein deswegen vorliegen muss, weil beiden Parteien die Nichtigkeit des ursprünglichen Geschäftes bewusst war; vielleicht wollte sie es ja bloß „probieren“ und wären in eventu durchaus mit der Wirksamkeit des Ersatzgeschäftes einverstanden. AA freilich Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 18 und M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 109 (Kenntnis der Nichtigkeit soll Konversion jedenfalls ausschließen). 130  Siehe zum tatsächlichen Parteiwillen auch als Grenze jeglicher richterlicher Intervention in das vertragliche Pflichtenprogramm qua „Auslegung“ noch eingehend unten Rz 125. 131  Insoweit ist nämlich die Abschlussfreiheit als Facette der Privatautonomie in vollem Umfang zu respektieren. Es ist daher irrelevant, ob – wie etwa im Sachverhalt von BGHZ 19, 269 (Konversion einer unwirksamen OHG in eine BGB-Gesellschaft, obwohl sich ein Kontrahent, und zwar aufgrund der „schlechten Erfahrungen“ seines Vaters mit einer derartigen Gesellschaft, gegen eine derartige Gründung explizit verwahrt hatte) – die Gründe, die gegen das Ersatzgeschäft ins Treffen geführt werden, rational nachvollziehbar sein mögen oder nicht. 132  Diese Konversionsgrenze kann als grundsätzlich unstrittig gelten; vgl bloß M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 108 f. Als verfehlt erweist sich daher BGHZ 19, 269, wo die Konversion in eine BGB-Gesellschaft ungeachtet der geäußerten Vorbehalte eines der Kontrahenten (vgl oben FN 131) bejaht wurde. Zumindest in der Sache zutreffend demgegenüber OGH 9 ObA 175/93, wbl 1994, 53: Unzulässigkeit der „Konversion“ (in Wahrheit wohl: der „ergänzenden“ Auslegung; vgl zur Abgrenzung oben Rz 23) eines Vertrages mit einer gesetzwidrigen Vertragsklausel über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses dahingehend, dass dem Arbeitgeber eine Vertragsauflösung zu den gesetzlichen oder längeren vertraglichen Kündigungsfristen möglich ist, weil der Vertrag nach dem Willen des Arbeitnehmers bis zu einem bestimmten Zeitpunkt unkündbar sein sollte.

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beeinträchtigte, als dies bei jenem Geschäft, dem diese Partei tatsächlich ihre Zustimmung gab, der Fall wäre.133 Der genannte Umstand ist aber auch immer dann zu berücksichtigen, wenn 39 aufgrund der Konversion die Interessen einer Partei bloß in quantitativ ge­ ringerem Umfang befriedigt würden als durch das unwirksame Hauptgeschäft. Hier ist nämlich – und zwar trotz grundsätzlicher Aufrechterhaltung des beidseits konsentierten Äquivalenzverhältnisses – immer auch zu prüfen, ob nicht etwa von der nach Vornahme der Konversion mit einem „minus“ konfrontierten Partei dem Gegenüber von Anfang an hinreichend deutlich dargelegt wurde, dass sie bloß an einer Leistung in vollem Umfang Interesse hatte, diese sohin für sie unteilbar war.134 Schließlich wird man als Konversionshindernis auch berücksichtigen müs- 40 sen, wenn das Ergebnis der Konversion für eine Partei im Einzelfall derart überraschend käme, dass ihr eine angemessene Interessenwahrung, etwa durch die Geltendmachung von ihr an sich zukommenden Rechtsbehelfen, nicht mehr möglich wäre.135 Als zu weitgehend muss es vor diesem Hintergrund freilich angesehen 41 werden, wenn man im Rahmen der zur Prüfung der Legitimität einer Konversion im Einzelfall erforderlichen Wertentscheidung alle Interessen der Par­ teien berücksichtigen wollte, dh auch und gerade jene, die nicht zum Inhalt des ursprünglichen Rechtsgeschäfts gemacht wurden.136 Soweit nämlich auf die Durchsetzung dieser Interessen nicht bereits im ursprünglichen Rechtsgeschäft hingewirkt wurde bzw diese dem Vertragspartner bei dessen Abschluss nicht zumindest hinreichend deutlich gemacht wurden, wird – va zur Vermei133  Dieser Umstand spricht etwa – und zwar wegen der damit verbundenen „Aufwertung“ der bloßen Regresshaftung in eine unmittelbare Haftung – gegen die Konversion einer ungültigen Scheckausstellung in ein Schuldversprechen (vgl Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts [1980] 276 f) oder – wegen des Verlustes der Akzessorietät der Haftung – gegen die Konversion einer formunwirksamen Bürgschaft in einen Schuldbeitritt (diese müsste richtiger Ansicht nach in aller Regel, dh bei Fehlen eines eigenen wirtschaftlichen Interesses des „Bürgen“ an der Haftung, schon wegen Formunwirksamkeit auch des Ersatzgeschäftes scheitern; vgl dazu nunmehr OGH 4 Ob 205/09i, JBl 2010, 509 [Lukas]). 134  Siehe dazu auch Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 231 f. 135  Dieser Umstand erweist sich vielfach bei der Prüfung einer Konversion von unwirksamen einseitigen Rechtsgeschäften, die auf eine Vertragsbeendigung gerichtet sind (Kündigungen etc), als relevant, weshalb in diesen Fällen als Konversionsvoraussetzung häufig auch gefordert wird, dass dem Erklärungsempfänger die Möglichkeit des Wirksamwerdens des Ersatzgeschäftes hinreichend bewusst war. Vgl zu diesem Themenkreis näher etwa Krampe, Die Konversion des Rechtsgeschäfts (1980) 251 ff und M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 179 ff. Aus der österr Rsp vgl zu diesem Fragenkreis va OGH 9 ObA 33/88, DRdA 1990, 456 (M. Binder). Wenig aussagekräftig ist es freilich, wenn man in derartigen Fällen die Konversion zT nicht unter inhaltlicher Bezugnahme auf die geschilderten Interessen des Erklärungsempfängers prüft, sondern ihre Zulässigkeit bloß mit dem formalen Hinweis darauf verneint, dass die Konversion nie zu einem „Mehr an Rechtsfolgen“ führen darf. Entspricht nämlich das Ersatzgeschäft den Interessen des Erklärenden und wurde dies auch dem Erklärungsempfänger hinreichend deutlich und drohen keine sonstigen Beeinträchtigungen von dessen schutzwürdigen Interessen, ist im Einzelfall auch eine Konversion denkbar, die zu einem „Mehr an Rechtsfolgen“ führt (kritisch zu einem apodiktischen Ausschluss jeglichen „Mehrs an Rechtsfolgen“ auch Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 10a). 136  So aber Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 594 f.

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dung eines grundlosen Abstehens vom gegebenen Wort – eine Berufung auf diese Interessen einer Konversion richtigerweise nicht im Wege stehen. Ebenso ist es etwa nicht möglich, der Bindung an das Ersatzgeschäft 42 einen Willensmangel bei Abschluss des ursprünglichen Geschäftes entgegenzuhalten, mag dieser auch noch so sehr die hinreichende Interessenwahrung hindern. Denn auch hier ist davon auszugehen, dass die in bestimmtem Umfang gegenüber dem Vertragspartner bereits eingegangene rechtsgeschäftliche Bindung nicht bloß aus Anlass einer in Frage stehenden Konversion wieder beseitigt werden kann, sondern nur nach Maßgabe der dafür uU zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe, dh etwa mittels Irrtumsanfechtung des Ersatzgeschäftes. In der Sache zugestimmt werden kann demgegenüber nach dem Gesagten 43 der hA, wenn sie als maßgeblichen Zeitpunkt für die Ermittlung des über die Zulässigkeit der Konversion entscheidenden „hypothetischen Parteiwillens“ je­ nen des ursprünglichen Vertragsabschlusses ansieht und nicht jenen, zu dem die Umdeutung erfolgen soll.137 In der Tat muss es aufgrund der soeben dargelegten Wertungsgesichtspunkte, die diesen Prozess in der Sache bestimmen, ausgeschlossen erscheinen, wenn sich eine Vertragspartei darauf berufen wollte, dass sie bloß aufgrund einer nachträglichen Änderung ihrer subjektiven Präferenzen an das in Frage stehende Ersatzgeschäft nicht mehr gebunden sein möchte. 6. § 869 44

Eine wesentliche Funktion der in § 914 eingeflossenen Auslegungsmaximen (ebenso wie übrigens auch jener der – subsidiären138 – Zweifelsregeln des § 915) besteht darin, die von § 869 angedrohte Unwirksamkeit von Verträgen wegen Unbestimmtheit, Mehrdeutigkeit oder Widersprüchlichkeit tunlichst zu verhindern.139 Diese Funktion von § 914 kam in der Fassung vor der III. TN noch deutlicher zum Ausdruck, als es explizit zum Auslegungsziel erklärt wurde, dass ein „zweifelhafter Vertrag von Wirkung sey“.140 Mit Gschnitzer in der Vorauflage141 könnte man auch formulieren, dass § 869 die „Obergrenze“ der Auslegung142 darstellt.143 137  Vgl etwa Busche in MüKoBGB5 § 140 Rz 22 mwN; tw weitergehend aber offenbar M. Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften (1982) 108 (auch Rekurs auf den im Umdeutungszeitpunkt vorhandenen Parteiwillen dann nicht ausgeschlossen, wenn dieser „einen Brückenschlag zum rechtsgeschäftlichen Abschlusszeitpunkt erlaubt“). 138  Vgl oben Rz 15 f 139  Dazu allgemein die Kommentierung zu § 869 in der dritten Auflage des Kommentars. 140  Zur Relevanz der „interpretatio in favorem negotii“ im geltenden Recht eingehend noch unten Rz 168 ff. 141  Klang2 IV/1, 410. 142  Jedenfalls nach § 914; einem Dissens gemäß § 869 kann dann aber immer noch die Anwendung von § 915 entgegenstehen (dies in concreto allerdings negierend OGH 7 Ob 146/03a, JBl 2004, 248 [krit Apathy] [Widersprüchliche Berechnungsweisen für die Rückzahlungspflicht eines versicherungsvertraglichen Dauerrabattes]; vgl zu dieser Entscheidung auch Vonkilch, Dauerbrenner Dauerrabatt, in Koban/Rubin/Vonkilch [Hrsg], Aktuelle Entwicklungen im Versicherungsrecht [2005] 109 ff [117 f]). 143  IdS auch schon GlU 4404: Bei völliger Unbestimmtheit kommt nicht § 914, sondern § 869 zur Anwendung. Vgl zu den Grenzen der Auslegung noch näher unten Rz 124 ff.

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Dementsprechend mangelt es einer Vereinbarung, wonach der Arbeitneh- 45 mer „im Mai anfangen könne“ jedenfalls dann nicht an Wirksamkeit, wenn der übereinstimmende Geschäftswille beider Vertragspartner darauf gerichtet war, dass der erste Arbeitstag der 3. Mai ist.144, 145 Aber auch bei Fehlen eines tatsächlich übereinstimmenden Geschäftswillens führt eine prima vista vielleicht zu konstatierende Unklarheit der Vertragserklärungen so lange nicht zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes, als diese im Rahmen einer Auslegung gemäß der „Vertrauenstheorie“ zugunsten des Verständnisses einer der beiden Kontrahenten behoben werden kann.146, 147 Als zumindest terminologisch verfehlt muss es vor diesem Hintergrund 46 demgegenüber angesehen werden, wenn in der älteren Rsp bisweilen vertreten wurde, dass § 869 immer schon dann zur Anwendung gelange, wenn eine Vertragsbestimmung von den Vertragsteilen ganz verschieden aufgefasst wurde.148 Schließlich ist zuvor allemal noch zu prüfen, ob sich nicht zumindest das Verständnis einer Partei mit dem Ergebnis einer nach den Maßstäben des § 914 vorgenommenen Auslegung dieser Vertragsbestimmung deckt (und also diese Bestimmung auch in diesem Sinn als normativ wirksam anzusehen ist). Aber auch wenn sich eine Unbestimmtheit, Mehrdeutigkeit oder Wider- 47 sprüchlichkeit der Vertragserklärungen weder durch den Rekurs auf einen tatsächlich übereinstimmenden Geschäftswillen oder durch eine objektivierte Auslegung iSv § 914 noch durch die subsidiären Zweifelsregeln des § 915 beheben lässt, ist es einer Partei vielfach immer noch möglich, die andere am – nach dem Ergebnis der Auslegung iSv § 914 unstrittigen – Mindestgehalt der nicht in vollem Umfang übereinstimmenden Erklärungen festzuhalten.149 Dies folgt unzweifelhaft aus dem Umstand, dass im geschilderten Umfang auch die Gegenpartei jedenfalls mit ihrer rechtsgeschäftlichen Bindung rechnen musste und es insoweit einen Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium darstellen bzw auf ein grundloses „Reuerecht“ hinauslaufen würde, wenn sie sich nun bloß aufgrund der nicht in vollem Umfang gelungenen Vertragsperfektion wieder völlig von dieser Bindung lösen wollte bzw könnte.150 Jedenfalls vor diesem Hintergrund– und ungeachtet einer mög144 

So der Sachverhalt von OGH 9 ObA 268/97w, RdW 1998, 367. Zur gemäß § 914 überragenden Relevanz des tatsächlich übereinstimmenden Geschäftswillens der Kontrahenten siehe noch unten Rz 131 ff. Zur Irrelevanz des Vorliegens objektiv übereinstimmender bzw eindeutiger Vertragserklärungen für die Anwendbarkeit der falsa demonstratio-Regel vgl auch Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 86. 146  Vgl dazu etwa OGH 1 Ob 283/66, EvBl 1967/282. 147  Dem anderen Kontrahenten bleibt in einem derartigen Fall eines sog „normativen Konsenses“ lediglich die Möglichkeit einer Irrtumsanfechtung. 148  So aber Rsp 1930/391. 149  IdS schon Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910) 182 f (mit Nw einschlägiger gemeinrechtlicher Quellen in FN 22). Ebenso zu einem Sonderfall (drohender Dissens wegen Diskrepanz, ob Bürgschaft oder Schuldbeitritt vereinbart wurde) auch Koziol, Über den Anwendungsbereich des Bürgschaftsrechts, JBl 1964, 306 ff (311 f) (jedenfalls Annahme einer Bürgschaftsverpflichtung, wenn diese auch formwirksam wäre). 150  Vgl auch die – auf ähnlichen Wertungsgesichtspunkten beruhende – Bindung der Parteien an das Ersatzgeschäft im Rahmen einer Konversion (näher oben 129 ff) und die Bindung der Parteien an den Inhalt des um den Irrtum bereinigten Geschäftes (vgl § 872) sowie die irrtumsrechtli145 

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lichen Anwendung von § 1152 per analogiam – ist es dann etwa völlig zutreffend, wenn die Rsp151 selbst dann, wenn die Parteien über die tatsächliche Höhe einer „fürstlichen Belohnung“ für die Vermittlung eines Liegenschaftskaufs uneinig sind und – va wegen des Fehlens näher spezifizierender Umstände, unter denen diese Entgeltsvereinbarung abgeschlossen wurde, und einer einschlägigen Erklärungssitte – der Versuch einer objektiven Auslegung dieser Vereinbarung scheitert, den Versprechenden zumindest zur Leistung eines ortsüblichen Entgelts verpflichtet. 7. § 6 Abs 3 KSchG 48

Anders, als eben für § 869 dargelegt, stellt sich das Verhältnis der Auslegungsgrundsätze des § 914 zum sog „Transparenzgebot“ des § 6 Abs 3 KSchG dar, das für im Verbrauchergeschäft zum Einsatz kommende Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vertragsformblätter spezifisch verbraucherschutzorientierte Klarheits- und Verständlichkeitsanforderungen als Wirksamkeitsvoraussetzung vorsieht. Da diese verbraucherschutzorientierten Klarheits- und Verständlichkeitsanforderungen richtigerweise nicht bloß als eine – durch die Umsetzung der „Klausel-RL“ der EU152 bedingte – Wiederholung der Vorgaben des § 869, dh im Wesentlichen als „legistischer Pleonasmus“, zu begreifen sind, sondern es ihnen um die hinreichende Durchschaubarkeit von Klauseln (auch und gerade) für den „Durchschnittskunden“ geht153, sind zahlreiche Fälle von Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern denkbar, bei denen durch den (intensiven) Einsatz von sämtlichen im Rahmen der Auslegung gemäß § 914 grundsätzlich Platz greifenden (Detail-)Auslegungskriterien154 zwar durchaus ein iSv § 869 hinreichend bestimmtes Auslegungsergebnis erzielt werden könnte, dies aber an dem von § 6 Abs 3 KSchG über diese Bestimmungen verfügten Unwirksamkeitsverdikt gleichwohl nichts ändert.155 8. §§ 870 ff

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Für das österreichische Privatrecht als durchaus diffizil erweist sich die Abgrenzung des Bereiches der Auslegung von Willenserklärungen iSv § 914 von jenen Fällen, in denen zwar nach dem Ergebnis der Auslegung zunächst vom Vorliegen einer Willenserklärung mit einem bestimmten Inhalt ausgegangen werden muss, diese dann aber aufgrund des Vorliegens eines Wilche Abwendungsbefugnis (zu Letzterem näher die Kommentierung der §§ 871 ff in der 3. Auflage des Kommentars). 151  OGH in GlU 492. 152  Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 93/13/EWG. 153  Dazu näher die Kommentierung von § 6 Abs 3 KSchG durch Schurr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3. 154  Zu diesen siehe ausführlich unten Rz 138 ff. 155  Ebenso Leitner, Das Transparenzgebot (2005) 58 f sowie ders, Transparenzgebot, Privatautonomie und Auslegung, JBl 2011, 428 ff (434); tendentiell aA P. Bydlinski, Thesen zur praktischen Handhabung des Transparenzgebots (§ 6 Abs 3 KSchG) JBl 2011, 141 ff (144 f).

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lensmangels (in Verbindung mit der fehlenden Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers) vom Erklärenden durch rechtsgestaltenden Akt (va Anfechtung wegen Irrtums, List oder Drohung) wieder beseitigt werden kann, aber auch – und hieraus resultiert die große praktische Bedeutung der erwähnten Abgrenzung – binnen bestimmter Fristen beseitigt werden muss, um die Rechtsfolgen der fraglichen Erklärung nicht definitiv gegen sich gelten lassen zu müssen.156 Die Hauptursache für dieses Abgrenzungsproblem liegt vor allem dar- 50 in, dass prima vista einerseits verschiedenen Regelungen des ABGB (vgl §§ 870 ff) der Gedanke zugrunde liegt, bei diversen, dem Erklärungsempfänger erkennbaren Mängeln der Willensbildung des Erklärenden diesem ein rechtsvernichtendes Gestaltungsrecht einzuräumen, andererseits es nach dem – für den Bereich des ABGB grundsätzlich unstrittigen – Primat der „Vertrauens­ theorie“157 ganz allgemein dem Erklärungsempfänger auferlegt wird, schon bei der Ermittlung des Inhalts von Willenserklärungen nicht „am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die (wahre) Absicht zu erforschen“ (vgl § 914) bzw – in der Diktion moderner Dogmatik ausgedrückt – bei der Auslegung den gesamten Erklärungstatbestand zu berücksichtigen, dh sowohl alle Tatsachen, die den Gegenstand der Auslegung bilden, als auch alle Hilfsmittel, die Rückschlusse auf ihren Inhalt zulassen.158 Die vor diesem Hintergrund nun drohenden Antinomien liegen auf der 51 Hand: Kann bei dem Erklärungsempfänger erkennbaren oder diesem gar bekannten „Geschäftsirrtümern“ (iwS) schon im Wege der Auslegung der „wahre“ Wille des Erklärenden berücksichtigt werden oder muss die – wenngleich mit einem Willensmangel behaftete – Erklärung so lange als normativ wirksam angesehen werden, bis sie durch einen rechtsgestaltenden Akt des Erklärenden ihrer normativen Wirksamkeit wieder beraubt wird? Vergleichbares gilt für den Fall des listigen oder drohenden Erklärungsempfängers. Die nunmehr herrschende Strömung innerhalb der österreichischen 52 Rechtswissenschaft vermeidet, einem Vorschlag F. Bydlinskis159 folgend, derartige Antinomien dadurch, dass sie zwischen ausdrücklichen und stillschweigenden Willenserklärungen unterscheidet. Nur bei stillschweigenden Erklärungen seien die dem Erklärungsempfänger erkennbaren Umstände schon im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen, wohingegen bei der Auslegung von ausdrücklichen Willenserklärungen die Erklärungsumstände zunächst (grundsätzlich160) außer Acht zu lassen seien, dann aber in weiterer Folge ein 156  Erstmals in aller Deutlichkeit auf die Bedeutung dieser Abgrenzung hingewiesen hat, soweit ersichtlich, F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 165. Zum Abgrenzungsproblem eingehend nunmehr Vonkilch, Auslegung oder Anfechtung? JBl 2010, 3 ff. 157  Zu diesem noch ausführlich unten Rz 129 ff. 158  Vgl Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 8. 159  F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 165 f. 160  Eine Ausnahme will F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 166 aber für „evidente, gar nicht zu übersehende“ Umstände machen.

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Gestaltungsrecht desjenigen begründen können, dessen tatsächlicher Geschäftswille vom solcherart erzielten Auslegungsergebnis abweicht.161 Einen anderen Weg beschritt E. A. Kramer162: Er will die Abgrenzungsproblematik „Auslegung oder Anfechtung“ im Wesentlichen dadurch lösen, dass dem Erklärungsempfänger erkennbare Mängel des Erklärungsaktes bzw der Geltungserklärung163 (dh va fehlendes Erklärungsbewusstsein sowie „Inhaltsirrtum“ und „Irrung“ iSv § 119 Abs 1 BGB) schon im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden, (sodass dem tatsächlichen Geschäftswillen des Erklärenden bereits auf dieser Ebene zum Durchbruch verholfen werden kann), wohingegen Mängel der rechtsgeschäftlichen Wertungsgrundlage (dh bloße Beeinträchtigungen des materiellen Selbstbestimmungsrechts164 bzw „Sachverhaltsirrtümer“ iSv § 119 Abs 2 BGB) vom Erklärenden nur (aber immerhin) durch Geltendmachung eines Anfechtungsrechtes korrigiert werden können. Die bisherige österreichische Judikatur zur geschilderten Abgrenzungsproblematik schließlich erweist sich als überaus inhomogen: Einerseits werden dem Erklärungsempfänger erkennbare Mängel des Erklärungsaktes als zur Anfechtung legitimierende „Erklärungsirrtümer“ behandelt165, andererseits – und wohl zum überwiegenden Teil – wird auch bei ausdrücklichen Willenserklärungen schon im Rahmen der Auslegung die Erkennbarkeit derartiger Mängel zum Anlass genommen, um die Erklärung in dem vom Erklärenden tatsächlichen gewollten Sinn gelten zu lassen (bzw – bei fehlendem Geschäftswillen – eben vom Nichtvorliegen einer Willenserklärung auszugehen).166 Richtigerweise hat die Lösung des Problems „Auslegung oder Anfechtung“ – und zwar im Ergebnis im Sinne Kramers und der wohl überwiegenden Rsp – danach zu erfolgen, ob dem Erklärungsempfänger Mängel des Erklärungsaktes oder solche der rechtsgeschäftlichen Wertungsgrundlage bekannt waren oder bei gehöriger Sorgfalt zumindest hätten bekannt sein müssen. Der maßgebliche Grund für die höhere Überzeugungskraft dieses Ansatzes ist darin zu erblicken, dass eine der herrschenden Auffassung innerhalb der Lehre in ganz entscheidender Hinsicht zugrunde liegende Prämisse, nämlich jene, wonach das ABGB die Erklärung von jenen Umständen, unter denen sie abgegeben wird, trenne167, in Wahrheit nicht aufrecht erhalten werden kann. 161  IdS – neben F. Bydlinski (FN 159) – va Welser, Konsens, Dissens und Erklärungsirrtum, JBl 1974, 79 ff (84) und Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 8. 162  Vgl Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung (1972) 74 ff. 163  Zu diesem Begriff grundlegend Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts (1930; Nachdruck 1966). 164  Vgl Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995) 207 ff. 165  IdS etwa OGH 7 Ob 671/78, SZ 51/144 (Offensichtliche Verwechslung des Kilopreises mit dem Preis über eine Tonne) und 1 Ob 608/84, MietSlg 36.078 (erhebliche Differenz zwischen dem ursprünglich geforderten und vom Käufer unbeanstandeten Preis von dem im schriftlichen Vertrag aufscheinenden Preis). 166  IdS etwa OGH 7 Ob 41/87, VR 1998, 133 = ZVR 1988, 273 (offensichtlicher Tippfehler); 9 Ob 515/95, wobl 1997, 48 (Niederberger) („Unterschieben“ einer Befristungsregelung in der Vertragsurkunde) und 9 ObA 42/94, ARD 4576/27/94 (offensichtliches Missverständnis des vom Arbeitnehmer unterfertigten Dienstvertrages bzgl dessen Inhalt). 167  Am deutlichsten idS wohl Welser, Konsens, Dissens und Erklärungsirrtum, JBl 1974, 79 ff (83).

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Schon im HHB zur III. TN, durch die ja die für die Auslegung maßgebliche „Vertrauenstheorie“ in den §§ 863 und 914 zweifelsfrei festgeschrieben werden sollte, wurde mehrfach, und zwar ohne weitere Unterscheidung nach der Art der Willenserklärung, darauf hingewiesen, dass schon die Auslegung von Erklärungen auch und gerade unter Berücksichtigung jener Umstände zu erfolgen hat, unten denen die Erklärungen abgegeben wurden.168 Damit korrespondiert, dass in bestimmten Fallkonstellationen auch von der völlig herrschenden Auffassung geradezu selbstverständlich schon im Rahmen der Auslegung über den Bedeutungsgehalt von Worten und festgelegten Zeichen hinausgegangen und berücksichtigt wird, unter welchen dem Erklärungsempfänger erkennbaren Umständen die fragliche Erklärung abgegeben wurde. Dieses Phänomen lässt sich etwa bei der – völlig unstrittigen – Anwendung des Grundsatzes „falsa demonstratio non nocet“ auch bei ausdrücklichen Erklärungen (bei denen der normativ relevante Inhalt der Willenserklärung schon gleichsam per definitionem nur aus den die – an sich eindeutige – Erklärung begleitenden Umständen abgeleitet werden kann) beobachten169, aber auch bei der Prüfung des Vorliegens der Ernstlichkeit einer bestimmten Erklärung (die – bei eindeutigem Wortlaut bzw eindeutigem Sinngehalt des verwendeten festgelegten Zeichens – ebenfalls nur aufgrund der die Erklärung begleitenden Umstände vorgenommen werden kann170). Wollte man nun, um all dessen ungeachtet dennoch an der These von der Irrelevanz der Erklärungsumstände für die Auslegung von ausdrücklichen Willenserklärungen festhalten zu können, (bloß) die Konzession machen, dass (nur) „evidente, gar nicht zu übersehende Umstände“ auch bei der Auslegung von ausdrücklichen Willenserklärungen zu beachten sind171, so muss dem entgegen gehalten werden, dass für eine derartige Differenzierung (sc von evidenten, gar nicht zu übersehenden und nicht evidenten, aber bei gehöriger Sorgfalt dem Erklärungsempfänger erkennbaren Umständen) in den gesetzli­ chen Vorgaben nicht einmal die Spur einer Begründung ersichtlich ist und dadurch nicht zuletzt die allgemeinen Grundsätze der „Vertrauenstheorie“ partiell in einer Art und Weise „zurechtgebogen“ würden, wie es sich mit einem um Kohärenz bemühten Rechtssystem als schlechterdings unverträglich erweist.172 Eine gewichtige Konsequenz der hier präferierten Lösung des Problems „Auslegung oder Anfechtung“ besteht darin, dass die §§ 870 ff partiell, nämlich bei dem Erklärungsempfänger erkennbaren oder – etwa wegen listigen Verhaltens – gar bekannten Mängeln des Erklärungsaktes bzw der „Geltungs168 

Vgl HHB 151 ff. Statt aller Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 8. 170  Deutlich idS etwa Migsch, Der durchschaute geheime Vorbehalt und verwandte Erscheinungen, in FS Schnorr (1988) 737 ff (744 f). 171  IdS ja F. Bydlinski (FN 160). 172  Soweit ersichtlich, ist ja etwa bei der Anwendung der „Vertrauenstheorie“ zur Ermittlung des für die Konkludenzprüfung nach § 863 relevanten Empfängerhorizontes bislang noch niemand auf die Idee gekommen, zwischen für den Erklärungsempfänger evidenten, von diesem gar nicht zu übersehenden Umständen und solchen, die zwar für ihn nicht evident sind, ihm aber bei gehöriger Sorgfalt erkennbar waren, zu unterscheiden. 169 

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erklärung“ (mithin bei „Erklärungsirrtümern“ iwS), ihren Anwendungsbe­ reich verlieren und ihre Bedeutung lediglich im Bereich der Mängel der rechtsgeschäftlichen Wertungsgrundlage (dh bei sog „Sachverhaltsirrtümern“) behalten.173 Diese Konsequenz ist nun aber mit der gegenwärtigen dogmatischen 61 Konzeption des ABGB durchaus zu vereinbaren: Während bis zur III. TN immer wieder die Auffassung anzutreffen war, dass – zumindest im Bereich des allgemeinen bürgerlichen Rechtes – in erster Linie eine „buchstäbliche Auslegung des Wortes“ zu erfolgen habe174 (sodass zur Durchsetzung des wahren Geschäftswillens des Erklärenden in der Tat eine Anfechtung der Erklärung durch diesen erforderlich gewesen wäre), wollte die III. TN ganz bewusst die generelle Relevanz der dem Erklärungsempfänger erkennbaren Umstände schon bei der Auslegung sicherstellen.175 Insofern erfolgte dann aber, wenn man denn überhaupt das Irrtumsrecht des ABGB bis dahin in dem Sinne verstehen durfte, dass es ihm in der Tat vornehmlich um die Regelung von Mängeln des Erklärungsaktes ging176, eine – mehr oder weniger bewusst vorgenommene – materielle Derogation der §§ 870 ff durch den Gesetzgeber. Und auch die Materialien zur – ebenfalls im Rahmen der III. TN neu ge62 schaffenen – Listanfechtung lassen bei weitem eher den Schluss zu, dass dem Gesetzgeber bei diesem Tatbestand vornehmlich dolose Beeinflussungen der rechtsgeschäftlichen Wertungsgrundlage der Gegenpartei vor Augen standen, und nicht auch die Fälle des Erschleichens von Willenserklärungen durch Manipulationen unmittelbar des Erklärungsaktes (also etwa das Unterschieben einer anderen Geschäftsurkunde als jener, die der Erklärende zu unterfertigen offensichtlich vorhat).177 Ein derartiges Verständnis der Listanfechtung ent173  So der gewichtige Einwand va von Welser, Konsens, Dissens und Erklärungsirrtum, JBl 1974, 79 ff (83) gegen einen derartigen Ansatz. Der ebenfalls von Welser aaO vorgebrachte Einwand, dass man bei einem derartigen Verständnis dem „Irrenden“ gleichsam „Steine statt Brot“ gibt, weil dann auch bei einem iSv § 872 „unwesentlichen Irrtum“ der Vertrag ungültig sein müsste, greift allerdings bei weitem zu kurz: Gilt – wie nach dem hier vertretenen Verständnis – schon als Ergebnis der Auslegung die Erklärung aufgrund der dem Erklärungsempfänger bekannten oder erkennbaren Umstände in dem Sinne, in dem sie der Erklärende tatsächlich verstanden hat, und wird eine derartige Offerte „glatt“ angenommen, so kommt, wegen des Vorliegens von normativem Konsens, auch der Vertrag grundsätzlich wirksam im Sinne des wahren Willens des Erklärenden zustande. Sollte aber demgegenüber der Inhalt der Annahmeerklärung von jenem der – korrekt ausgelegten – Offerte abweichen, so liegt zunächst in der Tat Dissens vor. Freilich ist es auch hier nach allgemeinen Grundsätzen möglich, dass jede Seite die andere in jenem Umfang zu binden vermag, in dem tatsächlich ein übereinstimmender Geschäftswille besteht. Es kann also keinesfalls zu dem von Welser aaO befürchteten Ergebnis kommen, dass nach dem hier vertretenen Verständnis „ein Vertrag verhindert wird, obwohl er – unter gewissen Korrekturen (§ 872) – von beiden Seiten erwünscht war“. 174  Vgl dazu den Hinweis im HHB 151. 175  Vgl wiederum den HHB 151 f. 176  Und nicht etwa vornehmlich – in Anknüpfung an die tradierten Kategorien der errores in objecto, substantia, qualitate und persona – um die Regelung von „Sachverhaltsirrtümern“ (dazu etwa Schermaier, Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB [2000] 457 ff). 177  Vgl die Ausführungen im HHB 136, wonach es dann unter den Listtatbestand fallen solle, wenn „der Entschluss (Herv v Verf) eines Teiles durch Arglist des anderen hervorgerufen wurde“.

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spräche denn auch der gemeinrechtlichen Tradition, war doch schon dieser durchaus die Unterscheidung geläufig, ob der Erklärende durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Abgabe einer Erklärung veranlasst worden war, die er tatsächlich gar nicht abgeben wollte (dann war das Geschäft nichtig), oder ob lediglich der Geschäftswille durch arglistige Täuschung beeinflusst wurde (dann war das Geschäft grundsätzlich gültig, allerdings wurde der Getäuschte durch die Einrede der exceptio doli und durch den Wiederherstellungsanspruch der actio doli geschützt).178 Ihre Grenze findet die Auslegung von Willenserklärungen unter gene- 63 reller Berücksichtigung der Umstände, unter denen diese abgegeben wurden, freilich im Geschäftswillen des Erklärenden. Das genuine Wesen der Auslegung von Erklärungen besteht ja bloß in der Ermittlung jener Rechtsfolgen, die vom Geschäftswillen des Erklärenden erfasst waren (und von diesem solcherart „in Geltung“ gesetzt werden sollten), und nicht etwa in der Ermittlung der Wertungsgrundlagen, auf denen ein bestimmter Geschäftswille bloß aufbaut. Insofern ist es dann aber keineswegs „nicht einzusehen“179, sondern resultiert gleichsam aus der „Natur der Sache“, dass nur bei dem Erklärungsempfänger erkennbaren oder bekannten „Erklärungsirrtümern“ (iwS) schon auf der Ebene der Auslegung dem wahren Geschäftswillen des Erklärenden zum Durchbruch verholfen werden kann, wohingegen dem Erklärungsempfänger erkennbare oder bekannte „Sachverhaltsirrtümer“ nur (aber immerhin) zum Anlass für eine Anfechtung der Erklärung iSd §§ 870 ff genommen werden können. Veranschaulichen lässt sich diese Unterscheidung (und damit die hier 64 vertretene Auffassung zum Abgrenzungsproblem „Auslegung oder Anfechtung“) anhand von Beispielen aus der Rechtspraxis folgendermaßen: Wenn in Frankreich versehentlich ein Scheck über 33.991,18 DM ausgestellt wurde (wohl unzweifelhaft eine ausdrückliche Willenserklärung), obwohl die zu begleichende Rechnung über 33.991,18 französische Francs lautete180, so haftet nach dem hier vertretenen Verständnis der Aussteller dem ersten Schecknehmer schon von vornherein nur auf den offensichtlich gewollten Betrag in Francs (wohingegen nach der – hier abgelehnten – Auffassung wohl eine zeitgerechte Anfechtung der Erklärung erfolgten müsste, um nicht definitiv auch dem ersten, zweifelsohne nicht gutgläubigen Schecknehmer gegenüber einer Haftung auf DM ausgesetzt zu sein). Wenn aber etwa ein Teppichhändler bewusst einen bestimmten „Mondpreis“ eines Orientteppichs als „Listenpreis“ vortäuscht, bloß um dann einen „Schnäppchenjäger“ durch das scheinbare Gewähren eines außergewöhnlich hohen „Rabattes“ zum Kauf zu motivieren181, wird es dem Käufer auch nach dem hier vertretenen Verständnis nicht möglich sein, sich schon unmittelbar im Rahmen der Auslegung seiner Vertragserklärung auf seinen „wahren“ Willen zu berufen und sich auf diesem Weg von dem – für ihn in Wahrheit doch nicht so besonders günstigen – Geschäft wieder zu lösen. Vgl Singer/von Finckenstein in Staudinger, BGB13 § 123 Rz 3. So aber Welser, Konsens, Dissens und Erklärungsirrtum, JBl 1974, 79 ff (83). 180  Sachverhalt nach OLG Köln in NJW-RR 1997, 940. 181  Sachverhalt in Anlehnung an OGH 6 Ob 146/97g, ecolex 1998, 197 (Wilhelm) = HS 28.309. 178  179 

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9. Geschäftsgrundlagenlehre 65

Nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten bereitet auch – und zwar nicht nur für das österreichische Recht182 – die Abgrenzung von (sei es auch „ergänzender“) Vertragsauslegung auf der einen Seite und der Anwendung jener Grundsätze, die im Rahmen der Geschäftsgrundlagenlehre entwickelt wurden183, auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang steht nun nicht bloß, wie man vielleicht anneh66 men könnte, die dogmatische Überzeugungskraft von theoretischen Lösungsansätzen, die bei der praktischen Einzelfallbeurteilung in der Regel ohnedies zu identen Ergebnissen führen, auf dem Spiel.184 Es sind vielmehr (auch185) mit dieser Grenzziehung handfeste Konsequenzen für die praktische Rechts­ anwendung verbunden. Ist es nämlich auch zutreffend, dass Vertreter verschiedener Ansätze bezüglich der konkreten Rechtfolgenermittlung vielfach gleichermaßen zur Relevanz des „hypothetischen Parteiwillens“186 gelangen187, so darf doch nicht übersehen werden, dass nach hA zum einen nur die auf Änderung der Geschäftsgrundlage gestützten Rechtsbehelfe binnen einer bestimmten Frist188 – und zwar grundsätzlich durch Klage oder Einrede189 – geltend gemacht werden müssen, wohingegen die Berufung auf Rechtspositionen, die sich durch (wenn auch „ergänzende“) Vertragsauslegung ermitteln lassen, nach allgemeinen Grundsätzen wohl losgelöst von derartigen Restriktionen möglich sein muss. Zum anderen wird bloß im Rahmen der Geschäfts182  Zum – im Detail äußerst unübersichtlichen – Meinungsstand in Deutschland vgl etwa Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 35 und Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 9. 183  Dazu zuletzt umfassend Fenyves, Der Einfluss geänderter Verhältnisse auf Langzeitverträge, GA für den 13. ÖJT (1997) II/1 sowie ders im Rahmen der Kommentierung von § 901 in diesem Kommentar. 184  Tendenziell idS aber wohl F. Bydlinski, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage im österreichischen Recht, ÖBA 1996, 499 ff (nach FN 26). 185  Vgl zur Abgrenzung von Auslegung und Anfechtung ja soeben oben Rz 49 ff. 186  Zur Kritik dieser Argumentationsfigur vgl unten Rz 204 ff. 187  Vgl F. Bydlinski, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage im österreichischen Recht, ÖBA 1996, 499 ff (vor FN 29). 188  Konkret wohl jedenfalls bei jenen Geschäftsgrundlagenfällen, die durch Analogie zum Irrtumsrecht zu bewältigen sind (vgl dazu Rz 51 ff zu § 901), richtigerweise immer innerhalb der Triennalverjährung (§ 1487 per analogiam), da sich das Interesse an einer raschen Klärung der durch den behaupteten Wegfall von gemeinsam vorausgesetzten Wertungsgrundlagen hervorgerufenen Rechtsfolgen nicht wesentlich von jenem unterscheidet, das bei behauptetem Fehlen der gemeinsam vorausgesetzten Wertungsgrundlage anzutreffen ist (idS schon Wilburg in Klang2 VI 490 und nunmehr F. Bydlinski, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage im österreichischen Recht, ÖBA 1996, 499 ff (503); aA freilich die hRsp und ein Teil der Lehre, die zwischen Fehlen und Wegfall der Geschäftsgrundlage differenzieren und letzteren Fall der langen Verjährung unterwerfen: vgl va OGH 1 Ob 34/98a, RdW 1998, 664; 3 Ob 2199/96w, SZ 71/94 = JBl 1998, 643 [Pfersmann] und Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 8), wobei der Beginn des Fristenlaufes iSv § 1478 Satz 2 mit dem Zeitpunkt der maßgeblichen Umstandsänderung anzusetzen sein wird (aA Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 8, der für diesen Fall eine Analogie zu § 1489 [Kenntnis der Umstandsänderung] bevorzugen würde; derartiges ist aber wohl nur de lege ferenda vorzugswürdig). 189  Vgl dazu va OGH 3 Ob 205/98p unter Berufung auf OGH 1 Ob 725/80, SZ 54/4 ua; zur – richtigerweise zu bejahenden – Perpetuierung der Einrede bei außergerichtlicher Geltendmachung siehe Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 7a.

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grundlagenlehre der (Un-)Vorhersehbarkeit der fraglichen Umstandsänderung und ihrer Sphärenfremdheit eine (wenn auch im Detail durchaus überprü­fungs­ bedürftige190) Bedeutung zugemessen, wohingegen Derartiges bei der (wenn auch „ergänzenden“) Vertragsauslegung im Allgemeinen191 keine Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund der doch nicht unbeträchtlich divergierenden 67 Rechtsfolgen bei Eingreifen von (wenn auch „ergänzender“) Vertragsauslegung auf der einen Seite und der Anwendbarkeit von Geschäftsgrundlagengrundsätzen auf der anderen Seite verbietet es sich nun zunächst, es mit einem bloßen Hinweis auf den „fließenden Übergang“ zwischen beiden Rechtsinstituten192 bzw auf die Existenz eines „Übergangsbereiches“193 bewenden lassen zu wollen.194 Es ist aber auch jenen Ansätzen nicht zu folgen, die – zT abgesehen von 68 den Konstellationen der „Änderung der Sozialexistenz“ bzw der sog „großen Geschäftsgrundlage“– alle übrigen Geschäftsgrundlagenfälle im Rechtsins­ titut der (einfachen oder „ergänzenden“) Vertragsauslegung aufgehen las­ sen wollen.195 190  Vor allem das Kriterium der „Unvorhersehbarkeit“ gerät nämlich – jedenfalls bei Ab­ leitung der Lösung eines Teiles der „Geschäftsgrundlagenfälle“ aus dem fortgebildeten Irrtumsrecht des ABGB – in einen unaufklärbaren Widerspruch zu dem Umstand, dass jedenfalls nach dem Irrtumsrecht des ABGB die Vermeidbarkeit des Irrtums keinen Hinderungsgrund für sei­ne Geltendmachung darstellt (zutr Hinweis auf diesen „Bruch“ der Pisko´schen Geschäftsgrundlagenkriterien mit dem allgemeinen Irrtumsrecht bei Kerschner, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei unwiderruflichen Sozialleistungen, wbl 1988, 211 ff [214] in Derartigem hingegen keinen dogmatischen „Bruch“ erblickend Fenyves in § 901 Rz 55 FN 236). In rechtsverglei­ chender Hinsicht als überaus interessant erweist sich in diesem Zusammenhang, dass maßgebliche Stimmen der Schweizer Zivilrechtsdogmatik einen „Grundlagenirrtum über Zukünftiges“ iSv Art 24 I Z 4 OR vielfach gerade auch bei Vorhersehbarkeit der Veränderung der fraglichen Rahmenbedingungen zulassen: vgl zB Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 309. 191  ZT anders verhält es sich freilich bei jenen Ansätzen, die die Geschäftsgrundlagenproblematik zwar im Wesentlichen mittels ergänzender Vertragsauslegung bewältigen, aber auch dabei nicht auf die tradierten topoi der Geschäftsgrundlagenlehre verzichten wollen (idS va Rummel, Anmerkungen zum gemeinsamen Irrtum und zur Geschäftsgrundlage, JBl 1981, 1 ff [9], wo ausgeführt wird, dass die von Pisko eingeführten Einschränkungen Vorhersehbarkeit und Sphärenfremdheit auch beim Ansatz der ergänzenden Vertragsauslegung unverändert berücksichtigt werden könnten). 192  So aber etwa OGH 8 Ob 2177/96x (insoweit unveröffentlicht), HS 28.462 (in Anlehnung an Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6). 193  So aber etwa OGH 8 Ob 2361/96f, RdW 1997, 452 = wobl 1997, 271 (Kletečka) (wiederum in Anlehnung an Rummel in Rummel3 I § 901 Rz 6). 194  Zutreffende Betonung der Abgrenzungsnotwendigkeit durch den OGH demgegenüber in 3 Ob 534/95, HS XXVI/4, wo – in Anlehnung an dt Rsp und Lehre – ausgeführt wird, dass die Geschäftsgrundlage nicht zum Vertragsinhalt gehört und das, was (noch) zum Vertragsinhalt gehört, nicht gleichzeitig nach den Regeln über die Geschäftsgrundlage behandelt werden kann. Unklar aber wiederum OGH 3 Ob 502/94 (insoweit unveröffentlicht), ÖWR 1998, E 20, wonach für den Fall, dass ein Umstand, der gerade nicht Vertragsinhalt wurde, sondern (bloß) eine gemeinsame Wertungsgrundlage der Parteien gebildet hat, nachträglich wegfällt, „im Weg ergänzender Vertragsauslegung“ vorzugehen sein soll. 195  Vgl dazu vornehmlich Tomandl, Geänderte Verhältnisse – dargestellt am Beispiel der Betriebspension, ZAS 1988, 1 ff (dogmatisch anknüpfend an Pfaff, Die Klausel: rebus sic stantibus – in der Doktrin und der österreichischen Gesetzgebung, in FS Unger [1898] 221 ff) und G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 280 ff (beide für Lösung des Problems schon über einfache

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Richtigerweise ist nämlich daran festzuhalten, dass (sei es auch „ergänzende“) Vertragsauslegung dort ihre Grenzen findet, wo dem Vertrag selbst für das in Frage stehende Problem weder eine (unmittelbar anwendbare) einschlägige Regelung noch eine (zumindest mittelbar heranzuziehende) einschlägige Wertung oder Zweckabrede entnommen werden kann, sondern bloß eine schon ex ante fehlerhafte oder bloß ex post fehlerhaft gewordene Wertungsgrundlage dazu geführt hat, dass die Parteien den fraglichen Themenkomplex aus ihrem Rechtsfolgewillen gerade ausgeklammert und diesen damit explizit wie implizit ungeregelt gelassen haben. In derartigen Fällen ist daher – nicht zuletzt im Interesse der Vermeidung rechtsgeschäftlicher Fiktionen196 sowie zur hin­ reichenden Wahrung der Interessen der Gegenpartei, der eine Korrektur der bloß fehlerhaften Wertungsgrundlage im Unterschied zur bloßen Fruchtbarmachung einer zuvor bereits vom beiderseitigen vertraglichen Konsens er­ fassten Wertung oder Zweckabrede nicht ohne weiteres zugemutet werden kann197, und im Einklang mit der allgemein maßgeblichen Abgrenzung von Auslegung und Anfechtung198 – eine Geltendmachung der Umstandsänderung (abgesehen von den Fällen der „objektiven“ Geschäftsgrundlage, die völlig eigenständigen dogmatischen Grundsätzen folgen199) nur nach den sinngemäß anwendbaren Grundsätzen des Irrtumsrechts zuzulassen.200 Die demnach in der Tat gebotene Grenzziehung zwischen (wenn auch 70 „ergänzender“) Vertragsauslegung und rechtsfortbildender Instrumentalisierung des Irrtumsrechts zur Bewältigung des Geschäftsgrundlagenproblems Auslegung) sowie Rummel, Anmerkungen zum gemeinsamen Irrtum und zur Geschäftsgrundlage, JBl 1981, 1 ff (5 ff); ders in Rummel3 I § 901 Rz 6 ff und Kerschner, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei unwiderruflichen Sozialleistungen, wbl 1988, 211 ff (beide für Lösung des Problems über „ergänzende“ Auslegung). 196  Gegen diese im gegebenen Zusammenhang zu Recht va Kerschner, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei unwiderruflichen Sozialleistungen, wbl 1988, 211 ff (214); F. Bydlinski, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage im österreichischen Recht, ÖBA 1996, 499 ff (bei FN 28) und Fenyves, Der Einfluss geänderter Verhältnisse auf Langzeitverträge, GA für den 13. ÖJT (1997) II/1 80 (et passim). 197  Vgl Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995) 227. Anhand eines konkreten Falles gut veranschaulicht wird dieser Umstand (und damit auch der signifikante Unterschied zwischen Auslegung und Berufung auf den Wegfall bzw die Änderung der Geschäftsgrundlage) bei H. Böhm, Die „Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (113). 198  Dazu ausführlich oben Rz 49 ff. 199  Dazu näher Fenyves in § 901 Rz 58 ff. 200  IdS im österreichischen Schrifttum va Fenyves, Der Einfluss geänderter Verhältnisse auf Langzeitverträge, GA für den 13. ÖJT (1997) II/1 81 ff sowie ders, Rz 51 ff zu § 901, für das deutsche Recht idS va Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995) 222. Vor diesem Hintergrund mag es angehen, von einer „Subsidiarität“ der „Geschäftsgrundlagenlehre“ gegenüber („ergänzender“) Vertragsauslegung zu sprechen (so etwa – obiter, weil in concreto von einer jedenfalls verbindlichen Risikotragungsregelung der Parteien ausgehend – OGH 3 Ob 513/94, JBl 1995, 173 = AnwBl 1995/6027 [Arnold] und – jedenfalls in der Begründung verfehlt, weil in Wahrheit nicht mehr mit „ergänzender“ Vertragsauslegung zu bewältigen – 3 Ob 502/94 [insoweit unveröffentlicht], ÖWR 1998, E 20). Zweckmäßiger wäre es wohl, va um sich des klaren „aut-aut“ bewusst zu werden, „ergänzende“ Vertragsauslegung auf der einen und Bewältigung der Geschäftsgrundlagenproblematik mittels fortgebildetem Irrtumsrecht auf der anderen Seite als „aliud“ zu begreifen.

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Von § 914 erfasste Rechtsakte

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lässt sich nun auch anhand von Beispielen aus der Rechtspraxis gut veran­ schaulichen: Wenn einer Vertragsbestimmung, wonach von einem Ausschluss jeglicher Mietzinsanhebung durch den Vermieter eine solche nach den §§ 7 f MG ausgenommen ist, nachweisbar der allgemeine Zweck zugrunde liegen sollte, jedenfalls solche Mietzinsanhebungen zu ermöglichen, die sich für den Erhalt und – in bestimmtem Umfang – auch die Verbesserung der Gebäudesubstanz als unumgänglich erweisen, so lässt sich schon mittels Vertragsauslegung hinreichend begründen, dass von diesem Anhebungsausschluss auch der nachträglich durch das MRG geschaffene sog „Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrag“ nicht erfasst ist, diente diese – ursprünglich strikt zweck- und verrechnungsgebundene – vorausschauende Mietzinsanhebung doch bloß einer Vermeidung von (aufwändigen) Mietzinsanhebungsverfahren gemäß der §§ 7 f MG (bzw nunmehr §§ 18 ff MRG) erst bei akutem Erhaltungs- bzw Sanierungsbedarf.201 Sollte aber demgegenüber ein Veräußerungsvertrag zwischen einem Liegenschaftseigentümer und einer Gemeinde ausschließlich deswegen zustande gekommen sein, weil beide Vertragsparteien von einer Nutzung für Verkehrszwecke durch die Gemeinde ausgingen und eine diesbezüglich denkbare Enteignung vermeiden wollten202, so kann die nachträgliche Veränderung dieser Wertungsgrundlage (die Gemeinde nimmt von ihren Verwendungsplänen Abstand, weshalb auch die Enteignungsgefahr wegfällt) vom rückerwerbswilligen Verkäufer nur (aber immerhin) zum Anlass für eine Geltendmachung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage genommen werden.203

IV. Von § 914 erfasste Rechtsakte Wiewohl § 914 nach seinem Wortlaut bloß die Auslegung von Verträgen zu 71 regeln vorgibt, ist nach dem heutigen Erkenntnisstand jener Bereich, in dem sich die in § 914 niedergelegten Interpretationsgrundsätze als maßgeblich erweisen, als bedeutend umfangreicher anzusehen. Diese expansive Kraft, die § 914 in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bislang entwickeln konnte, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass zum einen – abgesehen von den vorrangig für die Auslegung von Gesetzen und Verordnungen maßgeblichen §§ 6 f – in der österreichischen Rechtsordnung spezielle Auslegungsvorschriften für andere Rechtsakte und rechtlich relevante Handlungen als Verträge äußerst spärlich gesät sind (diese sich somit bezüglich der Auslegung dieser anderen Rechtsakte und rechtlich relevanten Handlungen in vielfacher Hinsicht als lückenhaft erweist) und zum anderen die in § 914 eingeflossenen Wertungsge­ sichtspunkte204 einen durchaus verallgemeinerungsfähigen Charakter auf201 

So auch zutr OGH 6 Ob 736/88, MietSlg 41.433. Sachverhalt in Anlehnung an BGH in NJW 1982, 2184. 203  Gerade ein derartiger Sachverhalt veranschaulicht gut, warum es in der Tat auf eine bloße Fiktion hinauslaufen würde, den Rückgabeanspruch des Verkäufers auf „Vertragsauslegung“ (und damit unmittelbar auf eine rechtsgeschäftliche Basis) stützen zu wollen: Da von beiden Vertragsteilen die entsprechende Verwendung der Liegenschaft als völlig unstrittig vorausgesetzt wurde, bestand für sie überhaupt kein Bedarf, ein entsprechendes Risiko bzw Wege zu dessen Bewältigung in ihren Rechtsfolgewillen aufzunehmen. 204  Wie vor allem jener, dass die Ermittlung des rechtlich relevanten Inhalts eines Aktes der Kommunikation bzw der Interaktion grundsätzlich weder nach der tatsächlichen Intention des 202 

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weisen, ihre analoge Anwendung zur Schließung der erwähnten Lücken sich daher geradezu aufdrängt. Auf dem Gebiet des Privatrechts sind dementsprechend nicht bloß Verträ­ 72 ge (und zwar auch solche außerhalb des Schuldrechts205, dh etwa auch solche des Erb-, Familien-, Sachen- oder Immaterialgüterrechts206) nach § 914 auszulegen, sondern auch einseitige Willenserklärungen.207,208 Agierenden, noch nach dem (isolierten) objektiven Erscheinungsbild dieses Aktes zu erfolgen hat, sondern nach jenem Eindruck, den der jeweilige Kommunikations- bzw Interaktionspartner eines derartigen Aktes bei sorgfältiger Würdigung aller ihm bekannten oder erkennbaren Umstände, unter denen dieser Akt gesetzt worden war, gewinnen durfte und gewonnen hat (zur mit diesem Wertungsgesichtspunkt speziell im Bereich der Dogmatik des Rechtsgeschäftes angesprochenen sog „Vertrauenstheorie“ siehe noch eingehend unten Rz 129 ff). 205  In seinem vollen Umfang, dh auch unter Einschluss von Anerkenntnissen (vgl etwa OGH 2 Ob 110/60, ZVR 1960, 157) und (außergerichtlichen; zur Auslegung von gerichtlichen siehe unten Rz 80 ff) Vergleichen (siehe etwa OGH 1 Ob 617/91, SZ 64/160; 4 Ob 21/03x, EvBl 2003/107; vgl in diesem Zusammenhang aber auch zum Charakter von § 1389 Satz 2 als spezieller Auslegungsnorm Kletečka, Unerkennbare Ansprüche bei der Schadensregulierung durch Abfindungsvergleich, ecolex 1991, 5 ff). 206  Zur Relevanz von § 914 auch für Verträge und Vereinbarungen im Bereich etwa des Erb-, Familien-, Sachen- oder Immaterialgüterrechts siehe bereits Gschnitzer in Klang2 IV/1, 401. Aus der Rsp vgl in diesem Zusammenhang etwa OGH 1 Ob 201/73, EvBl 1974/113; 6 Ob 529/87, EFSlg 54.122; 7 Ob 631/90, NZ 1991, 131 (Auslegung von Erbverzichten); 3 Ob 530/85, REDOK 7741 (Auslegung eines Erbübereinkommens, das den Charakter eines Besitznachfolgerechts hat); 5 Ob 542/88, EFSlg 56.919 (Auslegung eines Ehepaktes; in concreto allerdings Auslegungs- und Formfrage nicht hinreichend deutlich auseinander gehalten); 4 Ob 242/97k, EFSlg 83.702; 6 Ob 207/98d, EFSlg 86.695; 2 Ob 33/99p, EFSlg 90.059; 6 Ob 81/00 f, EFSlg 92.750; 6 Ob 57/03f (insoweit unveröffentlicht), EFSlg 103.367; 3 Ob 240/02v, EFSlg 103.232 (Auslegung von Unterhaltsvergleichen); 3 Ob 79/91, ÖBA 1992, 389; 7 Ob 508/92, RdW 1992, 238 (Auslegung von Pfandbestellungsverträgen); GlUNF 1125; 1 Ob 672/80, SZ 53/149; 7 Ob 709/77, MietSlg 29.055; 6 Ob 583/77, JBl 1979, 88; 1 Ob 555/83, JBl 1983, 645; 7 Ob 542/91, JBl 1991, 642 (Pfersmann); 7 Ob 521/94, JBl 1995, 170; 1 Ob 201/98k, JBl 1999, 380; 1 Ob 131/02z, bbl 2003/84; 6 Ob 148/03p, EvBl 2004/46; OLG Linz 2 R 169/01p, RdU-LSK 2002/23 (Auslegung von Servitutsbestellungsverträgen; vgl speziell dazu aber auch die Sondervorschriften der §§ 484 ff sowie Welser, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4 ff und M. Binder, Der rechtliche Umgang mit „Ewigkeitsklauseln“ in dinglichen Bezugsverträgen, JBl 1999, 368 ff); OGH 3 Ob 338/54 (Auslegung eines Lizenzvertrags; siehe zur Auslegung speziell von in Registern eingetragenen Immaterialgüterrechten auch noch unten Rz 308 ff); 4 Ob 76/89, ÖBl 1990, 136; 4 Ob 77/00b, MR 2000, 171 (Walter) (Auslegung von Werknutzungsverträgen; zum – zT über die allgemeinen Grundsätze des § 914 hinausgehenden und auf Vertragskorrektur hinauslaufenden – Gehalt der sog „Zweckübertragungstheorie“ bei der Auslegung dieser Verträge siehe Walter aaO mwN). 207  Wobei es im Übrigen durchaus unzutreffend wäre, die Auslegung von einseitigen Willenserklärungen und jene von Verträgen als scharf voneinander abzugrenzende bzw überhaupt abgrenzbare Phänomene zu behandeln. Wie etwa das Beispiel der dogmatischen Behandlung des durchschauten Erklärungsirrtums beweist (normativer Konsens iSd wahren Willens des Irrenden; siehe dazu die Kommentierung der §§ 871 ff in der 3. Auflage des Kommentars), ist es ja auch bei der Auslegung von Verträgen, va bei der Prüfung des Vorliegens eines bloß normativen Konsenses, vielfach erforderlich, die einseitigen Willenserklärungen „Angebot“ und „Annahme“ jeweils für sich nach den Maßstäben des § 914, va gemäß der sog „Vertrauenstheorie“ (zu dieser unten Rz 129 ff), auszulegen und dann deren zumindest objektive Übereinstimmung zu prüfen. Anhand eines konkreten Beispiels treffend veranschaulicht wird diese auch bei der Auslegung von Verträgen gebotene „Zweiaktigkeit“ etwa bei Fenyves, Einkaufszentren, Privatautonomie und Vertrauensschutz, wobl 2006, 2 ff (va 8 ff). 208  IdS etwa die ständige Rsp zu Kündigungen; vgl etwa OGH 4 Ob 49/76, Arb 9473; 4 Ob 60/74, Arb 9259; 4 Ob 68/73, Arb 9142; 4 Ob 165/82, JBl 1983, 559; 4 Ob 142/83, SZ 56/176;

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Von § 914 erfasste Rechtsakte

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Gleiches gilt auch für Willensmitteilungen209 und Wissenserklärun­ 73 gen.210 Etwas modifiziert stellt sich die Situation demgegenüber bei der nähe­ren 74 Ermittlung des normativ relevanten Gehaltes von Willensbetätigungen dar: Da Willensbetätigungen schon per definitionem eines Kundgabezweckes entbehren, kann sich dieser Vorgang nicht unmittelbar an den Wertungsmaßstäben des § 914, vor allem nicht an der demnach ja gebotenen Berücksichtigung auch der schutzwürdigen Interessen des (hier eben gerade nicht vorhandenen) Kommunikations- bzw Interaktionspartners des seinen Willen Betätigenden orientieren, sondern muss verstärkt der Ermittlung des tatsächlichen Geschäftswillens des seinen Willen Betätigenden verpflichtet sein. Soweit freilich auch bei Willensbetätigungen aufgrund ihres – dem die Willensbetätigung Vornehmenden zumindest erkennbaren211 – Charakters, durch – zumindest implizit erfolgende – „Kundgabe“ (iwS)212 eine Situation zu schaffen, auf die sich auch Dritte einstellen können bzw müssen, die Zubilligung von Vertrauensschutz für erforderlich angesehen wird213, ist dessen nähere Konturierung sehr wohl im Einklang mit jenen allgemeinen Grundsätzen über die Ermittlung des Sinngehaltes kommunikativer bzw interaktiver Akte zu ermitteln, die in § 914 grundgelegt sind. Weiters ist richtigerweise davon auszugehen, dass die § 914 inhärenten 75 Auslegungsgrundsätze ihre volle Wirksamkeit auch bei der Auslegung von Erklärungen, die (zumindest implizit) auch an die Öffentlichkeit gerichtet bzw zu deren Kenntnisnahme bestimmt sind214, entfalten, ebenso bei der Aus9 ObA 6/87, JBl 1988, 257; 9 ObA 114/91, Arb 10.949; 4 Ob 159/01p, MietSlg 53.103; 9 ObA 38/02g, DRdA 2003, 333 (Kerschner); zur Auslegung einer Verzichtserklärung siehe OGH 5 Ob 182/67, MietSlg 19.130; zur Auslegung der Einwilligung des Geschädigten ausführlich Resch, Die Einwilligung des Geschädigten (1997) 140 ff mwN (auch mit Ausführungen zur Relevanz von einzelnen Interpretationsaspekten sowie zur Anwendbarkeit von § 915 in diesen Fällen; vgl auch den zutr Hw aaO [140], dass sich an der Relevanz dieser Auslegungsgrundsätze auch dann nichts änderte, wenn man – mit Teilen der L und Rsp – derartige Rechtsakte nicht als Willenserklärungen, sondern als – diesen bloß verwandte – Rechtsakte [sui generis] deuten wollte); zur – ebenfalls gemäß § 914 vorzunehmenden – Auslegung der Stimmabgabe im Rahmen eines Beschlussverfahrens siehe noch ausführlich unten Rz 318. 209  Vgl etwa OGH 7 Ob 41/87, VersE 1350 (zur Auslegung einer Mahnung). 210  Vgl dazu etwa F. Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff, 126 ff (84) sowie Popp, Das Schuldanerkenntnis des Schuldners gegenüber dem Zessionar (2001) 12 f, 113. Vgl auch Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 14. 211  Zu diesem Erfordernis näher etwa F. Bydlinski, Gesamtvertretung und Verkehrsschutz, JBl 1983, 627 ff (642 f). 212  Auch zu diesem Erfordernis näher etwa F. Bydlinski, Gesamtvertretung und Verkehrsschutz, JBl 1983, 627 ff (642 f). 213  Grundlegend idS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 87; ebenso in weiterer Folge etwa Welser, Drei Fragen des Stellvertretungsrechts, JBl 1972, 337 ff (340); Ertl, Aneignung preisgegebener Sachen, JBl 1974, 281 ff, 342 ff (342 ff); P. Bydlinski, Zum Vertragsschluss durch „stille Annahme“ (§ 864), JBl 1983, 169 ff (va 176 ff, 185); F. Bydlinski, Gesamtvertretung und Verkehrsschutz, JBl 1983, 627 ff (642 f) und Eccher, Zur Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Elektrizitätsversorgungsunternehmen, JBl 1995, 205 ff (212). 214  Wie etwa Auslobungen (dazu etwa OGH 5 Ob 638/81, SZ 54/130), Ausschreibungen (dazu etwa BVA in wbl 1996, 413; ZVB 2008/25 [Hackl]; RPA 2008, 153; RPA 2008, 212; RPA

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legung von typisierten Vertragserklärungen, die zum gleichförmigen Einsatz in einer Vielzahl von Rechtsgeschäften bestimmt sind215, und nicht anders bei der Auslegung von mehrseitigen Rechtsgeschäften und Ge­ samtakten.216 Soweit demgegenüber in all diesen Fällen – und zwar vielfach ohne nähere Begründung – eine objektive Auslegung (va isoliert aus dem jeweiligen Rechtsakt heraus) oder gar eine Auslegung nach den §§ 6 f postuliert wird, ist daran bloß zutreffend, dass aufgrund der bei den genannten Rechtsakten typischerweise anzutreffenden Sachverhaltskonstellationen, va der regelmäßig fehlenden Kenntnis des jeweiligen Erklärungsempfängers von den besonderen Umständen, unter denen diese Rechtsakte entstanden sind bzw die dafür erforderlichen Willenserklärungen abgegeben wurden, schon eine korrekte und folgerichtige Anwendung unmittelbar der Auslegungskriterien des § 914 selbst im Ergebnis vielfach als Objektivierung des Ausle­ gungsresultates erscheinen mag. Dies darf freilich nicht den Blick dafür trüben, dass – und zwar wiederum bloß in korrekter und folgerichtiger Anwendung der Auslegungskriterien des § 914 – Besonderheiten des Einzelfalles, va eine weitergehende Kenntnis des jeweiligen Erklärungsempfängers von diesen Umständen, durchaus auch eine mehr oder weniger weitgehende Subjektivierung bei der Auslegung der erwähnten Rechtsakte gebieten können. Schließlich kann mittlerweile als unstrittig gelten, dass auch der Be­76 reich der formbedürftigen Rechtsgeschäfte keine den Auslegungsgrund­ sätzen des § 914 entzogene Enklave darstellt, sondern es allenfalls spezifi­sche Formzwecküberlegungen gebieten können, bestimmten gemäß § 914 erzielten Auslegungsergebnissen die rechtliche Anerkennung zu versa­gen.217 Anders verhält es sich mit der Auslegung von (einseitigen218) letztw­illigen 77 Verfügungen. Zwar ist auch bei diesen richtigerweise die Auslegungs- von der Formfrage zu trennen, doch kann deren Auslegung nicht unmittelbar nach den gemäß § 914 relevanten Auslegungsmaßstäben erfolgen, sondern es müssen andere heuristische Grundsätze berücksichtigt werden.219 Die Ursache für die2009, 28; RPA 2009, 194), Haftungsausschlüsse durch Anschlag (dazu zB OGH 1 Ob 508/79, JBl 1980, 590) und – ganz allgemein – in öffentliche Register eingetragene Rechte; siehe zu alldem noch eingehender unten Rz 304 ff, 308 ff. 215  Wie etwa AGB, AVB und ÖNORMEN; siehe dazu noch eingehender unten Rz 324 ff. 216  Wie etwa Gesellschaftsverträge, Satzungen, Vereinbarungen innerhalb einer Rechtsgemeinschaft und Beschlüsse; siehe dazu noch eingehender unten 312 ff. 217  IdS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 401 mit Hinweis auf die entsprechenden Klarstellungen, die die III. TN in diesem Zusammenhang gebracht hat. Aus der Rsp, die die Trennung von Auslegung und Prüqfung der Einhaltung des Formgebotes wohl erst seit jüngerer Zeit in der gebotenen Deutlichkeit vornimmt, vgl va OGH 1 Ob 213/03k, ÖBA 2004, 481 (P. Bydlinski) sowie 1 Ob 22/08d, wobl 2009/49 (Relevanz des „falsa demonstratio“-Grundsatzes auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften). Zu näheren Details in diesem Zusammenhang siehe die Kommentierung der §§ 883 ff in der 3. Auflage des Kommentars. 218  Zur uneingeschränkten Relevanz von § 914 für Erbverträge siehe bereits oben Rz 72. 219  Wobei als einschlägiger positivrechtlicher sedes materiae der – bezüglich seiner Wertung verallgemeinerungsfähige – § 655 gilt (vgl etwa OGH 5 Ob 655/83, NZ 1984, 130). Spezielle

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se normative Eigenständigkeit der Auslegung von einseitigen letztwilligen Verfügungen ist darin zu erblicken, dass es – im Unterschied zum von § 914 bedachten Fall – bei derartigen Rechtsakten keinen spezifischen Erklärungsempfänger gibt, der in seinem individuellen Verständnis vom Inhalt dieser Rechtsakte geschützt werden müsste. Dementsprechend geht es – auch220 – bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen ausschließlich darum, den tatsächlichen Geschäftswillen des Verfügenden, und zwar mit welchen Mitteln auch immer, in bestmöglichem Umfang zu ermitteln221 und diesem dann soweit Rechnung zu tragen, als es nach den einschlägigen Formzwecken eben möglich ist.222 Soweit auf sie nach den einschlägigen internationalprivatrechtlichen Nor- 78 men österreichisches Recht zur Anwendung gelangt, sind auch Rechtswahl­ vereinbarungen gemäß den Grundsätzen des § 914 auszulegen.223 Im Hinblick auf Akte kollektiver Rechtsetzung im Bereich des Arbeits- 79 rechts, wie etwa Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen, entspricht es in Österreich224 einer völlig gefestigten Rsp, diese zumindest bezüglich ihres normativen Teiles grundsätzlich nicht nach den für Rechtsgeschäfte maßgeblichen Prinzipien der §§ 914 f auszulegen, sondern ausschließlich nach den

Auslegungsregeln finden sich dann etwa in den §§ 554 ff, 560 ff, 614, 616 f, 649, 656 ff und 721 ff). 220  Zur grundsätzlich identen Wertungslage bei Willensbetätigungen siehe bereits oben Rz 74. 221  IdS etwa OGH 5 Ob 284/65, SZ 38/221. Vereinfachend könnte man im gegebenen Zusammenhang auch von der Relevanz der „Willenstheorie“ (statt der „Vertrauenstheorie“; zu dieser eingehend Rz 129 ff) sprechen. Dabei wird, wenn man so will, der maßgebliche „Deutungshorizont“ zumindest im Streitfall durch die zur Entscheidung berufenen Richter der jeweiligen Tatin­ stanzen gebildet. 222  Wobei die Rsp, aber auch die hL – auch – in diesem Zusammenhang der sog „Andeutungstheorie“ anhängt. Diese dürfte freilich nicht unbeträchtlichen Einwänden ausgesetzt sein (kritisch etwa auch Stagl, Der Wortlaut als Grenze der Auslegung von Testamenten2 [2005] 61 ff). Zu einen steht die „Andeutungstheorie“ in einem doch erheblichen Widerspruch sowohl zur Relevanz des „falsa demonstratio“-Grundsatzes auch bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen (vgl § 571) als auch zur – überwiegend anerkannten – Möglichkeit auch zur „ergänzenden“ Auslegung derselben (vgl dazu etwa OGH 6 Ob 189/98g, SZ 71/166). Zum anderen stellt die „Andeutungstheorie“ bei näherer Betrachtung ein – in Wahrheit kaum justiziables – Vehikel zur (Schein-)Begründung von richterlichem Einzelfalldezisionismus dar, das, in Ver­ bindung mit der weitgehenden Möglichkeit zumindest der Anfechtung letztwilliger Verfügungen wegen Irrtums, einer in Wahrheit nicht begründeten Konterkarierung des wahren Willens des Verfügenden Vorschub zu leisten geeignet ist. Eine Revidierung der „Andeutungstheorie“, die Rückkoppelung der Formwahrungsprüfung an die (im Einzelnen dann auch hinreichend nachgewiesenen!) Formzwecke (zum diesbezüglichen Meinungsstand siehe etwa B. Jud, Testierabsicht, Form und Konversion, NZ 2001, 10ff) und die verstärkte Verlagerung von Beweisproblemen des Einzelfalles in die dafür vorgesehenen Beweisverfahren täten daher Not. Siehe zu alldem näher die Kommentierung von § 565 in der 3. Auflage des Kommentars. Zum diesbezüglichen Meinungsstand in Dt vgl etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 37 ff; zu jenem in der Schweiz zB Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 52 f. 223  Vgl Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 15. 224  Zum Meinungsstand in Dt vgl etwa Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 38 und Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 74 f (beide mwN), zu jenem in der Schweiz Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 63.

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für die Gesetzesauslegung relevanten Bestimmungen der §§ 6 f.225, 226 In ihrer praktischen Konsequenz dürfte sich diese – angesichts des vertragsrechtlichen Charakters dieser Akte kollektiver Rechtsetzung doch etwas überraschende – Auffassung allerdings im Wesentlichen darauf beschränken, dass mit ihrer Hilfe begründet werden soll, dass es auf den tatsächlichen Geschäftswillen der vertragsschließenden Teile dann nicht ankommen kann, wenn dieser im jeweiligen Rechtsakt selbst keinen Niederschlag gefunden hat227, und sich deshalb zur Ermittlung des Inhalts dieser Rechtsakte auch eine Zeugenvernehmung der am Entstehen dieser Rechtsakte beteiligten Interessenvertreter erübrige bzw sogar verbiete.228, 229 Vergleichbares ließe sich nun aber in Wahrheit wohl auch (und womöglich sogar noch überzeugender230) im Rahmen einer prinzipiellen Anwendung von § 914 auch auf die Auslegung dieser Akte kollektiver Rechtsetzung mit durchaus guten Gründen vertreten. Schließlich entspricht es ja auch bei der Auslegung von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen allgemeinen Grundsätzen231, dass diese dann verstärkt objektiv, dh losgelöst vom 225  Vgl bloß aus jüngerer Zeit zur Auslegung von Kollektivverträgen im genannten Sinn OGH 8 ObA 137/02h, RdW 2004/278; 9 ObA 58/03z, RdW 2004/281; 8 ObA 30/04a, wbl 2004, 582 und 8 ObA 133/04y, ecolex 2005/405 sowie zur Auslegung von Betriebsvereinbarungen im genannten Sinn OGH 8 ObA 137/02h, RdW 2004/278; 8 ObA 77/03m, Arb 12.428; 9 ObA 63/04m und 8 ObA 40/04x (insoweit unveröffentlicht), ARD 5544/11/2004; speziell zur authentischen Interpretation von Kollektivverträgen siehe OGH 4 Ob 61/68, Arb 8586; 9 ObA 168/88, Arb 10.727 = DRdA 1990, 447 (Mayer-Maly) und 9 ObA 136/92 (dazu auch Tomandl, ZAS 1969, 106 ff [109] und Kuderna, DRdA 1975, 161 ff [170]); dieser Rsp grundsätzlich zustimmend auch die überwiegende Lehre (die sich dann allerdings bezüglich Detailfragen einer den §§ 6 f dem Grunde nach verpflichteten Auslegung bereits in heftige Kontroversen verstrickt hat); vgl bloß Kuderna, Die Auslegung kollektivrechtlicher Normen und Dienstordnungen sowie deren Ermittlung im Prozess, DRdA 1975, 161 ff; Steindl, Auslegungsprobleme im Urlaubszuschussrecht, ZAS 1980, 43 ff; Kuderna, Zur Diskussion über die Auslegung kollektivrechtlicher Normen, ZAS 1981, 203 ff und wieder Steindl, Kollektivverträge im Gesamtgefüge der Rechtsordnung, JBl 1983, 113 ff; aus jüngerer Zeit vgl zB Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 (2001) 159; Tomandl/ Schrammel, Arbeitsrecht6 I 162 ff; vgl aber auch – gegenüber einer Heranziehung der §§ 6 f im gegebenen Zusammenhang schon dem Grunde nach kritisch eingestellt – Mayer-Maly, ZAS 1978, 106 (Entscheidungsanmerkung) und M. Binder, Bedarf es für das Arbeitsrecht einer besonderen Interpretationsmethode? DRdA 1986, 1 ff (10 ff). 226  Anders ist dies aber etwa dann, wenn freie Betriebsvereinbarungen Eingang in die Einzelarbeitsverträge gefunden haben. Diese sollen dann nämlich auch nach der Rsp sehr wohl gemäß der §§ 914 f ausgelegt werden (vgl etwa OGH 8 ObA 115/04a, infas 2005, A 43; 9 ObA 126/05b [insoweit unveröffentlicht], ARD 5668/6/2006). 227  IdS etwa OGH 4 Ob 100/67, Arb 8553; 4 Ob 50/70, Arb 8791; 4 Ob 59/75, Arb 9421; 4 Ob 38/78, Arb 9699 uva. 228  Ausgangsentscheidung idS war OGH 4 Ob 74/52, Arb 5453. 229  Die bei kollektiven Gestaltungsmitteln des Arbeitsrechts ebenfalls verbreitet anzutreffende Auslegungsmaxime, dass die Kollektivvertragsparteien im Zweifel eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollen (idS etwa OGH 9 ObA 10/87, infas 1988, A 22 und 9 ObA 2106/96p) ließe sich demgegenüber ganz zwanglos auch aus § 914 ableiten; vgl zum Gebot der teleologischen Auslegung von Verträgen unten Rz 175 ff sowie zu jenem der Auslegung in favorem negotii unten Rz 168 ff. 230  Schließlich ist bei der Gesetzesauslegung etwa der Rückgriff auch auf Materialien, die dem Entstehen einer Norm vorausgegangen sind bzw diese begleitet haben, durchaus zulässig bzw sogar geboten. 231  Siehe schon oben Rz 75.

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tatsächlichen Geschäftswillen der Erklärenden und bloß aus sich selbst heraus, auszulegen sind, wenn – wie bei den erwähnten Akten kollektiver Rechtsetzung ja unstrittig – diese Erklärungen (auch) an außen stehende Dritte gerichtet bzw zumindest zu deren Kenntnisnahme bestimmt sind.232 Eine praktisch relevante Diskrepanz zwischen einer grundsätzlichen Orientierung an den §§ 6 f einerseits bzw § 914 andererseits besteht daher im gegebenen Zusammenhang wohl nur darin, dass im letztgenannten Fall zum einen dann sehr wohl von der Relevanz des tatsächlichen, wenn auch nicht hinreichend nach außen tretenden Willens der am Entstehen eines derartigen Aktes kollektiver Rechtsetzung beteiligten Personen auszugehen wäre, wenn diesen Willen ausnahmsweise dennoch alle potentiellen Erklärungsadressaten bzw alle von diesem Rechtsakt betroffenen Rechtssubjekte kennen bzw kennen mussten233, und dass zum anderen bei deren – uU „ergänzender“ – Auslegung auch methodisch zweifelsfrei auf die „Übung des redlichen Verkehrs“, dh etwa auch auf allenfalls vorhandene Branchensitten und bestimmte verfestigte Gepflogenheiten, zurückgegriffen werden könnte.234,235 Gerade Derartiges erschiene freilich durchaus sinnvoll und zweckentsprechend, weshalb eine – auch grundsätzliche – Rückbesinnung der Rsp auf § 914 im gegebenen Zusammenhang zu begrüßen wäre.236 Nicht zuletzt würden dadurch auch jene Probleme vermieden, die bei einer „gespaltenen Auslegung“ (inter partes gemäß § 914, gegenüber Dritten „normativ“) drohen.237 Bezüglich der (analogen) Anwendbarkeit von § 914 auf Prozesshandlun­ 80 gen238 ist zunächst bis in die jüngste Vergangenheit eine merkwürdige Diskrepanz innerhalb der Rsp festzustellen.239 Während nämlich auf der einen Seite dezidiert bestritten wird, dass die für Rechtsgeschäfte maßgeblichen Auslegungsgrundsätze auch für die Auslegung von Prozesshandlungen Relevanz besäßen, diese vielmehr nach objektiven Maßstäben bzw im Sinne einer „objektivierten Erklärungstheorie“ auszulegen seien240, wird auf der anderen Seite 232  Zum gleichen Ergebnis (auch bei Anwendung von § 914 auf Kollektivverträge kann der wahre Wille der vertragsschließenden Teile nur dann beachtet werden, wenn er auch außen stehenden Dritten erkennbar ist) gelangt etwa auch Mayer-Maly, ZAS 1978, 106 (Entscheidungsanmerkung). 233  Vgl zu einer derartigen Konstellation etwa Mayer-Maly, ZAS 1978, 106 (Entscheidungsanmerkung). 234  Vgl M. Binder, Bedarf es für das Arbeitsrecht einer besonderen Interpretationsmethode? DRdA 1986, 1 ff (10 ff). 235  Im Ergebnis aber zT wohl ohnedies idS die Rsp, wenn sie etwa – trotz der programmatischen Festlegung auf die §§ 6 f – einen „Blick über den Kollektivvertrags-Rand“ als zusätzliches Auslegungskriterium zulässt (vgl etwa OGH 8 ObA 190/97t, infas 1998, A 22). 236  IdS va auch Mayer-Maly, ZAS 1978, 106 (Entscheidungsanmerkung) und M. Binder, Bedarf es für das Arbeitsrecht einer besonderen Interpretationsmethode? DRdA 1986, 1 ff (10 ff); (nur) bei Betriebsvereinbarungen für die Anwendung von § 914 Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht6 I 212 f. 237  Zu ihnen Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 19. 238  Umfassend dazu nunmehr Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004). 239  Eingehendere Darstellung des Meinungsstandes der Rsp bei Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 94 ff. 240  So etwa wieder OGH 5 Ob 68/03s, MietSlg 55.430.

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explizit betont, dass die für rechtsgeschäftliche Erklärungen maßgeblichen Auslegungsregeln des bürgerlichen Rechts sehr wohl auch auf die Auslegung von Erklärungen einer Partei in einem Verfahren anzuwenden seien.241 Eine nähere Analyse jener Entscheidungen, die sich entweder zum einen oder zum anderen Grundsatz bekennen, fördert freilich zutage, dass es sich bei dieser Kontroverse wohl nur um einen Scheinkonflikt handelt, der, soweit ersichtlich, auf ein nicht ganz zutreffendes Verständnis242 von den Auslegungsmaximen des § 914 zurückzuführen sein dürfte. Denn auch nach § 914 ist ja keineswegs der tatsächliche, innere Wille der Partei dergestalt „zu erforschen“, dass diesem tatsächlichen inneren Willen dann auch unabhängig von den jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Erklärungsempfängers rechtliche Relevanz zukäme. Vielmehr ist ja auch nach der – in § 914 grundgelegten – Vertrauenstheorie für die Ermittlung des normativ relevanten Inhalts einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung in der Regel entscheidend, auf welchen Inhalt dieser Erklärung ein redlicher, verständiger, auch die Umstände, unter denen die Erklärung abgegeben wurde, angemessen berücksichtigender Erklärungsempfänger vertrauen durfte und vertraut hat.243 Von dieser Erkenntnis ausgehend ist es dann aber nur mehr ein kleiner Schritt, die formal einander kontrastierenden Judikaturstränge zur Relevanz von § 914 auch für die Auslegung von Prozesshandlungen zu harmonisieren und anzuerkennen, dass – mangels Existenz spezifischer Auslegungsvorschriften im Prozessrecht und im Wege einer Analogie – auch die Auslegung von Prozesshandlungen in ganz entscheidendem Umfang von § 914244 sowie den danach maßgeblichen Auslegungsgesichtspunkten determiniert wird.245 So lässt sich der in der Rsp tradierte 241 

IdS etwa OGH 3 Ob 146/93. Und zwar etwa Faschings (vgl etwa Zivilprozessrecht2 [1990] Rz 757); vgl speziell zu den (mutmaßlichen) Gründen für das Entstehen einer eigenen „Auslegungsdogmatik“ für Prozessverträge Oberhammer, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Konkurrierende oder ausschließliche Zuständigkeit? JBl 1997, 434 ff (435 f). 243  Dazu allgemein unten 129 ff. 244  Vgl aber auch zur – richtigerweise wohl zu verneinenden – Anwendbarkeit von § 915 auf Prozesshandlungen Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 213 f; in der Sache dürfte sich die Rsp freilich zT durchaus zumindest der „interpretatio contra proferentem“ bedienen: siehe OGH 3 Ob 149/89, RZ 1990/112. 245  Deutliche (und uneingeschränkt zu begrüßende) Anklänge in diese Richtung etwa bei OGH 3 Ob 2303/96i, RdW 1997, 276; zuvor bereits idS auch Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, JBl 1984, 13 ff (23 ff). AA aber nunmehr Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 211 ff sowie passim, deren These von der Maßgeblichkeit der „Andeutungstheorie“ (statt der Vertrauenstheorie iSv § 914) für die Auslegung von Prozesshandlungen freilich in ganz entscheidender Hinsicht darauf zurückzuführen sein dürfte, dass zum einen Auslegungs- und Formfrage nicht ausreichend auseinander gehalten werden und zum anderen nicht hinreichend gewürdigt wird, dass es auch nach der Vertrauenstheorie iSv § 914 bei mehrseitigen Rechtsakten in aller Regel zu einer Objektivierung des Auslegungsergebnisses kommt. In anderen Rechtsordnungen dürfte sich der Gleichklang zwischen den für die Auslegung von Rechtsgeschäften und jenen für die Auslegung von Prozesshandlungen maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen, konkret eine analoge Anwendung jener auch auf diese, bereits durchgesetzt haben: siehe etwa für das deutsche Recht Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 41 und Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 27 sowie für das Schweizer Recht Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 65, alle mwN. 242 

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Rechtssatz, dass es bei der Auslegung einer Prozesshandlung darauf ankommt, wie die Erklärung unter Berücksichtigung des Prozesszwecks und der dem Gericht und dem Gegner bekannten246 Prozess- und Aktenlage verstanden werden musste247, ebenso ganz zwanglos mit den auch nach § 914 für den Auslegungsprozess als maßgeblich anzusehenden Interpretationsgesichtspunkten in Einklang bringen, wie der, wonach für die Auslegung von Prozesshandlungen grundsätzlich bloß die Aktenlage zum Zeitpunkt von deren Abgabe maßgeblich ist (und nicht etwa auch eine sich erst später ergebende)248, oder der, dass im Zweifel der Auslegungsvariante der Vorzug zu geben ist, die es erlaubt, eine prozessuale Willenserklärung als wirksame Prozesshandlung anzusehen.249 Mit der grundsätzlichen Relevanz von § 914 (per analogiam) auch für die Auslegung von Prozesshandlugen nicht zu verwechseln ist freilich die – nach allgemeinen Grundsätzen gesondert vorzunehmende250 – Beurteilung der Frage, ob der solcherart ermittelte Prozesshandlungswille der Parteien auch hinreichend in die vorgeschriebenen prozessualen Formen eingekleidet wurde bzw gegebenenfalls gemäß §§ 84 f ZPO ein Verbesserungsauftrag zu erteilen ist.251

246  Wobei in diesem Zusammenhang immer im Detail zu prüfen sein wird, ob eine Prozesshandlung zu ihrer Wirksamkeit nur an den Gegner, nur an das Gericht oder an beide gerichtet sein muss, da sich danach der für die Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen maßgebliche Empfängerhorizont bestimmt (praktisch relevant va für die Prüfung, welche Deutungsdiligenzobliegenheit den konkreten Erklärungsempfänger trifft [dazu allgemein unten Rz 131] und ob die für zweioder mehrseitige Rechtsakte diesbezüglich relevanten Grundsätze [zu diesen bereits oben Rz 75] zur Anwendung zu gelangen haben). Das angesprochene Problem wird auch von Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 211 ff erkannt; die von ihr – ua – daraus gezogenen Schlüsse (Geltung der „Andeutungstheorie“ statt der Vertrauenstheorie iSv § 914 für die Auslegung von Prozesshandlungen) bauen freilich auf einem unzutreffenden Verständnis der Vertrauenstheorie auf. Denn auch nach dieser kommt es ja bei mehrseitigen Rechtsakten richtigerweise zu einer Objektivierung des Auslegungsergebnisses (oben Rz 75), weshalb es keiner Zuflucht zur – schon in ihrem ureigensten Anwendungsbereich (Auslegung formbedürftiger Erklärungen) sehr problematischen (vgl dazu oben FN 222) – „Andeutungstheorie“ bedarf, um jene Probleme zu lösen, die bei unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten des Gerichtes einerseits und des Prozessgegners andererseits auftreten könnten. 247  IdS etwa OGH 10 ObS 249/89, RZ 1990/44; 3 Ob 602/90, RZ 1992/8; 3 Ob 50/93, JBl 1993, 792; 1 Ob 638/95, SZ 69/57; 3 Ob 369/97d, SZ 70/266; 6 Ob 193/98w, SZ 71/152; 6 Ob 189/98g, SZ 71/166; 6 Ob 244/99x, SZ 72/197; zur Relevanz des Zwecks, der einer rechtsgeschäftlichen Erklärung zugrunde liegt, auch für deren Auslegung vgl unten Rz 175 ff sowie zur Maßgeblichkeit der Verständnismöglichkeit des (der) jeweiligen Erklärungsempfänger(s) auch für die Auslegung von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen unten Rz 131, 151. 248  IdS etwa OGH 10 Ob 2319/96v; zum nach § 914 relevanten zeitlichen Bezugspunkt für die Ermittlung des Inhalts von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen siehe eingehend unten Rz 150, 157. 249  IdS etwa OGH 6 Ob 103/02v, EFSlg 101.996; zum Grundsatz der Auslegung von Rechtsgeschäften „in favorem negotii“ ausführlich unten Rz 168 ff. 250  Zur Trennung von Auslegungs- und Formfrage allgemein vgl schon oben Rz 76. Zwischen Auslegungs- und Formfrage im gegebenen Zusammenhang hingegen nicht differenzierend Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 198 ff. 251  IdS auch Konecny, Zur Erweiterung der Verbesserungsvorschriften durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, JBl 1984, 13 ff (23 ff).

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Vergleichbares gilt auch für die Auslegung von Prozessverträgen.252 Auch bei deren Auslegung ist richtigerweise von einer weitestgehenden Relevanz der gemäß §§ 914 f als relevant anzusehenden Auslegungskriterien auszugehen.253 Daran vermögen richtiger Ansicht nach weder der in der Rsp zT anzutreffende Programmsatz, dass vorrangig die – praktisch aber eben nicht vorhandenen254 – Vorschriften des Prozessrechts zu berücksichtigen seien255, noch jene Formgebote, denen Prozessverträge vielfach unterworfen sind256, etwas zu ändern. Was schließlich die Auslegung von Urteilen sowie von anderen hoheitli­ 82 chen Entscheidungen und etwa auch Schiedssprüchen257 betrifft, so ist wohl im Ergebnis zu konstatieren, dass deren Auslegung nach einem verstärkt ob81

252  Zu Prozessvergleichen siehe etwa OGH 1 Ob 102/68, SZ 41/55; 7 Ob 580/76, RZ 1977/14 und 8 Ob 232/99x, MietSlg 52.090, zu Gerichtsstandsvereinbarungen OGH 8 Ob 571/86, wbl 1987, 17; 5 Ob 503/93, JBl 1994, 546 (speziell zu internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen auch Oberhammer, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Konkurrierende oder ausschließliche Zuständigkeit? JBl 1997, 434 ff [435 ff]) und zu Schiedsverträgen OGH 1 Ob 628/82, SZ 55/89; 7 Ob 551/85, SZ 58/60; 7 Ob 544/86, RdW 1986, 273; 1 Ob 545/86, RdW 1987, 54; 3 Ob 80/87, RdW 1988, 12; 3 Ob 543/94, JBl 1995, 596 (Rummel); 6 Ob 186/97i, SZ 70/156; 3 Ob 2372/96m, SZ 71/82 (mit der zwar in concreto wohl nicht schädlichen, aber in ihrer Allgemeinheit bedenklichen Aussage, dass Schiedsklauseln grundsätzlich „ausdehnend“ auszulegen seien); 1 Ob 163/99y, wbl 2000, 41; 4 Ob 37/01x, ecolex 2001/350 (Reich-Rohrwig/Karollus-Bruner); 6 Ob 155/02s, RdW 2003/56 (hier übrigens nur mehr die – korrekte – Aussage, dass „ausdehnende“ Auslegung „zulässig“ sei); 7 Ob 310/02t, RdW 2003/320 (hier schließlich die – verfehlte – Ablehnung einer „ausdehnenden“ Auslegung als „unzulässig“) (speziell zur Auslegung von Schiedsverträgen siehe auch Rummel, Schiedsvertrag und ABGB, RZ 1986, 146 ff sowie Falkner, Zum Geltungsbereich der Schiedsvereinbarung einer OHG, wbl 1989, 173 ff). Umfassend zur Auslegung von Prozessverträgen nunmehr auch Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 227 ff. 253  Entschieden idS auch Oberhammer, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Konkurrierende oder ausschließliche Zuständigkeit? JBl 1997, 434 ff (435 ff); in diese Richtung auch Rummel, Schiedsvertrag und ABGB, RZ 1986, 146 ff (148 ff); gleichsinnig und pointiert schließlich auch F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 86 (FN 86; „Etablierung einer archaischen reinen Erklärungstheorie, die ungefähr zum Rechtszustand des Zwölftafelrechts zurückführt, … im Rahmen des heutigen, als Einheit zu verstehenden Rechtssystems unvertretbar...“). Aus der Rsp plädieren für eine analoge Anwendung der §§ 914 f auf Prozessverträge explizit etwa OGH 6 Ob 186/97i, SZ 70/156 und 3 Ob 2372/96m, SZ 71/82. Zwar formal der Analogie zustimmend auch Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 242 ff; materiell wird dann freilich einer Verdrängung der Vertrauenstheorie iSv § 914 durch die „Andeutungstheorie“ das Wort geredet (vgl aaO 244 ff); dabei dürften allerdings Auslegungs- und Formfrage nicht hinreichend deutlich auseinander gehalten werden. Speziell zur – richtigerweise zu bejahenden – Anwendbarkeit auch von § 915 auf Prozessverträge vgl den bei Schneider aaO 251 ff wiedergegebenen Meinungsstand. 254  Zutreffend Oberhammer, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Konkurrierende oder ausschließliche Zuständigkeit? JBl 1997, 434 ff (435). 255  IdS va die Rsp zur Auslegung von Schiedsvereinbarungen (Nw oben in FN 252). 256  Siehe allgemein zur Irrelevanz von Formgeboten für die Anwendbarkeit der Auslegungsgrundsätze des § 914 bereits oben Rz 76. Tw aA aber die Rsp, die – zumindest bislang – (auch) hier schon im Rahmen der Auslegung der „Andeutungstheorie“ anhing (vgl etwa OGH 8 Ob 571/86, wbl 1987, 17; 5 Ob 503/93, JBl 1994, 546) sowie neuerdings Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 244 f. 257  Rechtsvergleichend siehe dazu etwa Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 41 und Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 28, beide mwN.

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jektivierenden Maßstab zu erfolgen hat.258 Fraglich ist allerdings, ob darin eine spezifische Abweichung von den nach § 914 maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen zu erblicken ist259 aber, ob nicht gerade auch deren konsequente Anwendung zu derartigen Objektivierungstendenzen führen müsste. Schließlich gilt es zu bedenken, dass Urteile und andere hoheitliche Entscheidungen normative Wirkungen in nicht unbeträchtlichem Umfang auch im Hinblick auf nicht am vorangegangenen Verfahren beteiligte Dritte, zu denen etwa auch die Organe des für die Exekution zuständigen Bewilligungsgerichtes zu zählen sind, bzw gegenüber der Öffentlichkeit entfalten und diesen die spezifischen Umstände der Entstehung dieser Akte regelmäßig nicht bekannt sind (und auch gar nicht bekannt sein müssen), was dann ja schon nach den allgemeinen Grundsätzen des § 914 zu einer Objektivierung der Auslegung, va in Richtung einer Auslegung aus dem jeweiligen Rechtsakt selbst heraus, führt.260, 261 Umgekehrt dürfte die Rsp aber doch auch zu einer stärkeren Subjektivierung der Auslegung auch von Urteilen tendieren, wenn das Ergebnis dieser Auslegung im Einzelfall Rechtsfolgen bloß im Verhältnis zu einer Prozesspartei (der ja die zur Entscheidung des Urteils führenden Umstände bekannt sind bzw bekannt sein müssen) auslöst, wie etwa bei der Beurteilung der Frage, ob die Berichtigung eines Urteils gemäß § 419 ZPO tatsächlich eine neue Rechtsmittelfrist auslöst.262 Nicht zu verwechseln ist das Problem der Auslegung von Urteilen und anderen hoheitlichen Entscheidungen schließlich mit der Frage, ob und wenn ja, mittels welcher spezifischen Mechanismen des Prozessrechts, eine formale Korrektur von Rechtsakten herbeigeführt werden kann bzw muss, deren äußeres Erscheinungsbild zum – durch Auslegung ermittelbaren – tatsächlichen Entscheidungswillen des erkennenden Organs im Widerspruch steht, also etwa, in welchem Umfang noch eine Urteilsberichtigung gemäß § 419 ZPO zulässig ist. Für die Auslegung von Bescheiden wird von der jüngeren Judikatur des 83 VwGH263 § 914 nicht für anwendbar gehalten, sondern insoweit auf die §§ 6 f rekurriert. Besondere Bedeutung kann diesbezüglich auch dem Gebot zur verfassungskonformen Interpretation des Bescheides zukommen.

V. Wesen und Ziel der Auslegung 1. Grundlagen Wenngleich die Formulierung von § 914 den Eindruck nahe legen könnte, 84 es gäbe einen einheitlichen Grundsatz, der für die Auslegung von Erklärungen Vgl dazu etwa M. Bydlinski in Fasching/Konecny2 § 419 ZPO Rz 1. So etwa Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 26. 260  Dazu näher oben Rz 75 und unten Rz 304 ff. 261  Zur nach hA dementsprechend gebotenen objektiven Auslegung von Exekutionstiteln siehe etwa Schneider, Die Auslegung von Parteiprozesshandlungen (2004) 203 f mwN. 262  Vgl dazu zuletzt OGH 9 Ob 33/05a mwN. 263  Vgl etwa VwGH 99/05/0082; 99/07/0147 = bbl 2000/42 (Giese); 2001/08/0034; für eine Auslegung einer Beschlagnahme gemäß § 914 allerdings VwGH 613/48. 258  259 

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und Verträgen264 maßgeblich ist, erweist sich all das, was gegenwärtig von der hA als „Vertragsauslegung“ iwS begriffen wird, seinem Wesen nach in Wahrheit doch als eine normativ durchaus heterogene Gemengelage von Rechts­ gewinnungsmethoden, die auch durch die – nach hA ja vornehmlich formal vorzunehmende265 – Scheidung des Phänomens der „einfachen“ Auslegung von jenem der „ergänzenden“ Auslegung noch keineswegs befriedigend charakterisiert wird.266 Bemüht man sich nun um eine doch etwas präzisere Umschreibung all derjenigen Vorgänge, die, jedenfalls nach dem gegenwärtigen dogmatischen Verständnis, im Rechtsinstitut der „Auslegung“ ihren Platz gefunden haben, so lässt sich zunächst feststellen, dass ihnen allen das grundsätzliche Ziel gemein ist, die für ein bestimmtes Rechtsgeschäft in einer bestimmten Frage bzw in einer bestimmten Situation maßgebliche Rechtsfolge zu ermitteln.267 Die dabei im Detail relevanten dogmatischen Wertungsgesichtspunkte erweisen sich indes als äußerst verschiedenartig, können sich aber – zumindest idealtypisch und trotz aller Abgrenzungsprobleme im Detail bei der praktischen Falllösung – in solche unterscheiden lassen, die zu einer verstärkten Relevanz von autonom gesetzten Rechtsfolgen führen, und solche, bei denen die Relevanz der für ein bestimmtes Rechtsgeschäft in einer bestimmten Frage maßgeblichen Rechtsfolgen in Wahrheit vornehmlich heteronom zu begründen ist.268 Zu jenen Wertungsgesichtspunkten, die im Ergebnis zur Relevanz bzw „Geltung“ von autonom gesetzten Rechtsfolgen führen, zählt zunächst vor allem das unmittelbar § 914 zu entnehmende Gebot, „nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen“, also das Verbot der bloßen Buchstabeninterpretation, samt der unmittelbar darauf zurückzuführenden Geltung des Prinzips von der „falsa demonstratio“, welche „non nocet“.269 Ebenfalls noch autonom gesetzten Rechtsfolgen wird auch vielfach zum Durchbruch verholfen, wenn man bei der Auslegung von Erklärungen auch jene Umstände mit ins Kalkül zieht, unter denen diese abgegeben wurden, las264  Zum genauen Anwendungsbereich der in § 914 positivierten Auslegungsgrundsätze vgl bereits oben Rz 71 ff. 265  Zur diesbezüglich überwiegend für maßgeblich gehaltenen Wortlautgrenze siehe sogleich unten Rz 94. 266  Dazu näher noch unten Rz 94 ff. 267  Ein derartiges Verständnis der Auslegung als „Fixierung von Rechtsfolgen“ hat lange Tradition: vgl bloß Danz, Über das Verhältnis des Irrtums zur Auslegung nach dem BGB, JherJB 46 (1904) 381 ff (433 ff); ders, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte3 (1911) 5 (et passim) und Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910) 451. 268  Jene Versuche, die auch derart heteronome Rechtsfolgen als autonome Rechtsfolgen begreifen wollten (also etwa die Rückführung der Geltung dispositiven Rechts auf den Geschäftswillen der konkreten Vertragsparteien zu unternehmen versuchten), gelten heute – da sie idR bei bloßen Fiktionen Zuflucht nehmen mussten – zu Recht als überwunden: vgl etwa aus dem österreichischen Schrifttum zur gebotenen „Loslösung“ der Geltung von Verkehrssitten vom (vielfach bloß fingierten) Parteiwillen in aller Deutlichkeit Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 32 ff. 269  Dazu unten Rz 131 ff.

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sen derartige Umstände doch häufig einen Rückschluss auf den tatsächlichen Geschäftswillen zu.270 Gleiches gilt, wenn man sich auch gegenwärtig (und richtigerweise trotz der Eliminierung eines derartigen expliziten Auslegungsprinzips aus § 914 durch die III. TN271) bemüht, Verträge im Zweifel so auszulegen, dass Widersprüche innerhalb derselben vermieden werden, entspricht Derartiges doch auch dann, wenn dies etwa von Flume bestritten wird272, vielfach dem eigentlichen Geschäftswillen der Kontrahenten. Vernünftige Menschen wollen eben – zumindest im Regelfall – keine Rechtsfolgen in Geltung setzen, die zueinander in Widerspruch stehen.273 In Wahrheit vornehmlich heteronom zu begründen ist es aber schon, 89 wenn im Einzelfall (und zwar entgegen der – nach wie vor gleichermaßen grundlegenden wie mittlerweile legendären – Formulierung von Savigny274, wonach „die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung nicht etwas Zufälliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis ist“) die eben geschilderten Auslegungsgrundsätze den tatsächlichen Geschäftswillen zumindest einer der beiden Kontrahenten verfehlen, dieser aufgrund der Relevanz der sog „Vertrauens­ theorie“275 sowie des Ausschlusses einer Anfechtung dieser Erklärung gemäß der §§ 870 ff an eine solcherart ausgelegte Erklärung indes gleichwohl gebunden bleibt. Daran vermag es auch nichts zu ändern, wenn man in derartigen Fällen subtil das Konstrukt der „halben Privatautonomie“ ersinnt, um die (jedenfalls nach österreichischem Recht unstrittig anzunehmende) Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes nicht in einen allzu schroffen Gegensatz zum rechtsgeschäftlichen Primat der Privatautonomie treten zu lassen.276 Jedenfalls gegenüber demjenigen, der an einen in Wahrheit nicht vorhandenen Geschäftswillen gebunden wird, bleibt es nämlich dabei: Diese Bindung ist ausschließlich autonom nicht mehr zu begründen.277 Wiederum stärker autonome Rechtsfolgenbestimmungen (wenngleich 90 zT auch verbunden mit heteronomen Elementen)278 stehen in weiterer Folge 270  Zur Relevanz der Erklärungsumstände für die Auslegung vgl noch im Detail unten Rz 150 ff; zur diesbezüglich gebotenen Abgrenzung von Auslegung und Anfechtung vgl bereits oben Rz 49 ff. 271  Vgl oben Rz 2. 272  Das Rechtsgeschäft3 (1979) 309 f. 273  Zu diesem Auslegungsgrundsatz und seinen Grenzen vgl näher unten Rz 164 ff. 274  System des heutigen römischen Rechts III (1840) 258. 275  Dazu grundlegend unten Rz 129 ff. 276  Dieses Gedankenmodell geht zurück auf F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 10 und wurde dann von Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung (1972) 150 (et passim) weiter vertieft. 277  So wohl auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995) 87 f. 278  Zu einseitig daher wohl Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 28, wonach bei jedem „ZuEnde-Denken“ von Verträgen im Rahmen der („ergänzenden“) Auslegung ausschließlich heteronome Rechtsetzung Platz greift. Zu streng wohl auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag (1997) passim, wo der Geltungsgrund sämtlicher „naturalia negotii“ in ganz zentraler Hinsicht im Schutz der Gläubigererwartungen bzw des Gläubigervertrauens erblickt (und damit vielfach von der Privatautonomie des Versprechenden mehr als in Wahrheit nötig abgekoppelt) wird. Tendenziell wie hier in diesem Zusammenhang demgegenüber Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 225 f („Grenzen fließend“) und Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung

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im Vordergrund, wenn vom dazu berufenen Rechtsanwendungsorgan eine zu eng gefasste Vertragsbestimmung unter Bezugnahme auf die ihr zugrunde liegende (und solcherart eben sehr wohl vom beiderseitigen Konsens erfasste) ratio auch auf bestimmte Fallgruppen zur Anwendung gebracht wird, die unmittelbar nicht in den Anwendungsbereich dieser Vertragsbestimmung fallen würden, oder ganz allgemein unter Berufung auf den einem privatautonom abgegebenen Leistungsversprechen inhärenten Zweck eine Vertragspartei zur Beachtung auch von nicht explizit vereinbarten, zur Zweckerreichung aber gleichwohl unabdingbar erforderlichen Pflichten verhalten wird.279 Ausschließlich heteronom zu begründen ist es schließlich vielfach, wenn 91 – in Ergänzung des tatsächlich privatautonom konsentierten vertraglichen Pflichtenprogramms – einem der Kontrahenten zusätzliche (Neben-)Pflichten aufgebürdet werden, deren Relevanz sich ausschließlich aus einer allfälligen Verkehrssitte oder einer richterlichen ad hoc-Intervention als Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung ergibt (wobei dann in diesen Fällen zum „Auslegungsprozess“ auch noch die Beantwortung der – idR überaus diffizilen – Frage zu zählen ist, welche Vorrangrelationen zwischen diesen „Rechtsfolgenrepertoirs“ im Einzelfall zu beachten sind280). Vor diesem Hintergrund dürfte – auch und gerade für die praktische Rechts92 anwendung – vor allem eine möglichst präzise Charakteristik all jener Rechtsgewinnungsmethoden, die sub titulo „Vertragsauslegung“ zum Einsatz kommen können, sowie der Versuch zur Herstellung von Vorrangrelationen zwischen diesen bzw – damit untrennbar verbunden – die Ermittlung jener Gren­ zen, die dem Einsatz einzelner dieser Rechtsgewinnungsmethoden gezogen sind, von grundlegendem Interesse sein. Darum soll es im Folgenden vornehmlich gehen.281 Dass nämlich mit Formulierungen wie etwa jener, dass vom Richter einem lückenhaften Vertrag jene Rechtsfolge zu implementieren ist, die „sich gehört“282 oder dem lapidaren Hinweis, dass es zwischen den oben geschilderten Rechtsgewinnungsmethoden keine feste Rangfolge gebe283, in praxi noch kaum etwas gewonnen ist, dürfte auf der Hand liegen. Zunächst sind allerdings noch einige grundlegende Überlegungen das 93 Phänomen der Vertragsauslegung betreffend anzustellen. Diese haben zum einen tradierte dogmatische Denkschemata, konkret die Abgrenzung der „einfachen“ von der „ergänzenden“ Vertragsauslegung und den Begriff bzw das Phänomen der „Vertragslücke“, sowie deren Zweckmäßigkeit zum Inhalt. Zum anderen gilt es schon gleich zu Beginn aller Detailüberlegen zur Auslegung auszuloten, wo jene Grenzen liegen, die im Rahmen der Auslegung jedenfalls und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff (739) („Lückenergänzung von der Auslegung im engeren Sinne nicht wesensverschieden“; „nur gradueller Unterschied“). 279  Zur herausragenden Relevanz der Vertragszwecke für die Auslegung siehe unten Rz 175 ff. 280  Dazu unten Rz 213 ff. 281  Aufgrund der potentiellen Uferlosigkeit des Themas nicht erfolgen kann im Folgenden freilich eine (womöglich taxative) Erörterung sämtlicher Auslegungsprobleme, die sich in der Rechts- und Verkehrspraxis stellen können. Hier muss vielmehr auch gegenüber einer Kommentarbearbeitung in einem Großkommentar gelten: ultra posse nemo tenetur. 282  Vgl Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 323. 283  IdS etwa Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 11.

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zu respektieren sind, dh mit keiner der in Frage kommenden (und sodann näher zu charakterisierenden) Rechtsgewinnungsmethoden überschritten werden dürfen. Damit zusammenhängend ist auch das Verhältnis der Auslegung eines Vertrages iwS zu dessen Ergänzung durch einschlägiges Dispositivrecht zu klären. 2. „Einfache“ und „ergänzende“ Auslegung Nicht nur für das österreichische Recht weit verbreitet ist die Unterschei­ 94 dung von „einfacher“ und „ergänzender“ Auslegung, die – nach der in Österreich herrschenden und von Rummel284 begründeten Auffassung – grundsätzlich285 nach der Wortlautlautgrenze vorzunehmen ist286: Bewegt sich das Auslegungsergebnis noch innerhalb des äußerst möglichen Wortsinns der Vertragserklärungen, so liege einfache Auslegung vor, überschreitet es diesen, „ergänzende“.287 Im Hinblick auf eine derartige Klassifikation all jener Rechtsgewinnungs- 95 methoden, die im Rahmen dessen, was gegenwärtig als Vertragsauslegung (iwS) begriffen wird, anzutreffen sind288, muss man sich zunächst bewusst sein, dass diese Klassifikation eine solche ist, die in dieser Form dem positi­ ven Recht gänzlich fremd ist:289 § 914 (und grundsätzlich auch alle anderen Normen, die die Auslegung von Verträgen und Rechtsgeschäften zum Inhalt haben290) enthalten in ihren Tatbeständen mitnichten eine – dann für die angeordneten Rechtsfolgen in entscheidender Hinsicht relevante – Unterscheidung, die in spezifischer Hinsicht an die äußerst mögliche Bedeutung von Worten anknüpft.291 Die Legitimität einer Abgrenzung von „einfacher“ und „ergänzender“ 96 Aus­legung im Allgemeinen und speziell mittels der Wortlautgrenze im Beson­ deren kann dann aber vor diesem Hintergrund allenfalls in Zweckmäßig­ keitsgesichtspunkten gefunden werden. Konkret: Für die Erkenntnis des geltenden Rechts bzw für die praktische Rechtsanwendung sei es eben zweck­ 284 

Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) passim. Eine Ausnahme wird von dieser hA allerdings für jene Auslegungsergebnisse gemacht, die mittels des Grundsatzes „falsa demonstratio non nocet“ (dazu unten Rz 131 ff) erzielt werden. Diese sollen, trotz gleichsam definitionsgemäßer Ermangelung einer Abstützung des Auslegungsergebnisses im Erklärungswortlaut, noch zu den Fällen „einfacher“ Auslegung zählen (vgl zu dieser Einschränkung der Wortlautgrenze schon Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte [1972] 94 [FN 305]). 286  Anders aber wohl die in Deutschland herrschende Auffassung: dazu etwa Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen (1995) 51 mwN. 287  IdS etwa Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 2. 288  Grundlegend dazu ja bereits oben Rz 83 ff. 289  Vgl schon die EB RV zur III. TN zum ABGB (2 BlgHH, 21. Session 120), wo (auch) die Füllung von Vertragslücken durch den Richter explizit als „Auslegung“ des Vertrages begriffen wird. 290  Zu diesen siehe Rz 19 f. 291  Bis zu einem gewissen Grad Anderes mag für § 915 aufgrund der Eigenart seines Tatbestandes gelten. Vgl aber auch zur Möglichkeit, § 915 jenseits der Auflösung des Vagheitsbereiches von Begriffen zur Anwendung zu bringen. Rz 27, 31 zu § 915. 285 

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mäßig, zwischen Auslegungsergebnissen zu unterscheiden, die im Wortlaut von Vertragserklärungen noch eine Stütze finden und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist.292 Das tatsächliche Vorliegen derartiger Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte kann nun aber in großem Umfang mit Fug bezweifelt werden. So ist es etwa schon angesichts der – wohl unstrittigen – Gleichbehandlung von ausdrücklichen und konkludenten Willenserklärungen durch das ABGB293 auf der einen und der offensichtlich nicht weiter differenzierenden Fassung von § 914 auf der anderen Seite alles andere als einleuchtend, dass konklu­ dente Willenserklärungen (die eines Wortlautes gleichsam definitionsgemäß entbehren) niemals einer „einfachen“ Auslegung zugänglich sein sollten. Vor allem aber dürfte – auch und gerade unter Berücksichtigung der korrekterweise anzunehmenden Rechtsfolgen – die Abgrenzung von „einfacher“ und „ergänzender“ Auslegung anhand der Wortlautgrenze die gebotene Gleich- bzw Verschiedenbehandlung von bestimmten Sachverhaltskon­ stellationen bzw Fallgruppen eher verdunkeln denn erhellen. Von jenen Rechtsfolgenunterscheidungen, die sich im gegebenen Zusammenhang als relevant erweisen, dürfte es nämlich, soweit ersichtlich, bloß eine einzige sein, bei der die Orientierung an der Wortlautgrenze eine einigermaßen zutreffende Fallbehandlung verspricht. Es ist dies die Frage nach der Behauptungs- und Beweislast für den tatsächlichen Inhalt von Willenserklärungen und Verträgen. Hier ist es in der Tat der Wortlaut der in Frage stehenden Erklärung, der den Ausschlag für massive Unterschiede in den maßgeblichen Rechtsfolgen gibt.294 Sowohl für die Frage der Zulässigkeit einer Irrtumsanfechtung wegen Vorliegens von sog „Rechtsfolgenirrtümern“295 als auch für die Beurteilung des Umstandes, ob bei der richterlichen Implementierung von Rechtsfolgen bereits verstärkt objektive Gerechtigkeits- bzw Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen sind oder aber noch der subjektive Parteiwille der Kontrahenten maßgeblich ist296 als auch für die Ermittlung der Vorrangrelation zwischen Anwendung dispositiven Rechts und richterlicher ad hoc-Intervention297, erscheint es aber äußerst problematisch, sich am Aspekt des Wortlautes der Vertragser­ klärung zu orientieren. Schließlich scheint es auch phänomenologisch eher nahe liegend, den Be­ reich dessen, was gegenwärtig dogmatisch als Vertragsauslegung begriffen wird, einer Dreiteilung (und nicht einer bloßen Zweiteilung iSv „einfacher“ und „ergänzender“ Auslegung) zu unterwerfen298: Zunächst können Rechtsfol292  So weist denn auch Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 222 zu Recht darauf hin, dass es vielfach bloß eine „Geschmacksfrage“ sei, ob man noch von „Vertragsauslegung“ oder schon von „Vertragsergänzung“ spricht. 293  Vgl bloß § 863. 294  Dazu näher noch unten Rz 143, 349. 295  Siehe dazu die Kommentierung von § 871 in der 3. Auflage des Kommentars. 296  Eingehend dazu unten Rz 101, 202. 297  Dazu näher unten Rz 113 ff 298  Ein grundlegender Vorstoß zur weiteren dogmatischen „Zergliederung“ der sub titulo „Auslegung“ anzutreffenden Rechtsgewinnungsprozesse findet sich auch bei H. Böhm, Die „Alt-

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gen ihre normative Relevanz unmittelbar aufgrund des vorliegenden Erklärungstatbestandes bzw des tatsächlichen Geschäftswillens der Parteien erlangen. An diesen Bereich schließt dann ein weiterer an, in dem es zwar eine Fiktion wäre, Rechtsfolgen unmittelbar mit dem vorliegenden Erklärungstatbestand bzw dem tatsächlichen Geschäftswillen der Parteien begründen zu wollen, in dem diese Rechtsfolgen aber dennoch ihre Legitimation aus dem konsentierten subjektiven Pflichtenprogramm beziehen, vor allem dieses – gerade im Lichte der ihm immanenten Zwecke – ausgestalten und „abrunden“. Endlich gibt es einen Bereich, bei dem die Implementierung von Pflichten in ein Vertragsverhältnis nahezu ausschließlich durch objektive Gesichtspunkte (wie etwa solche der austeilenden Gerechtigkeit oder der Zweckmäßigkeit) zu begründen ist (und der sich in Wahrheit vielfach als richterliche Fortbildung lückenhaften oder inadäquaten dispositiven Rechts erweist299). Jedenfalls aber ist, selbst wenn man die eben dargelegten Einwände gegen 102 die derzeit von der österreichischen Dogmatik ganz überwiegend praktizierte Abgrenzung von „einfacher“ und „ergänzender“ Auslegung nicht für durchschlagend halten sollte (und der stattdessen für zweckmäßiger gehaltenen gedanklichen Dreiteilung des Phänomens der Auslegung nicht näher treten wollte), im Einzelfall größte Skepsis geboten, wenn ohne eingehende Begründung just zwischen diesen beiden Bereichen gravierende Unterschiede bei den im Detail Platz greifenden Rechtsfolgen behauptet werden sollten. Die Gefahr des Rückfalls in die Unsitten der Begriffsjurisprudenz wäre dann nämlich evident. 3. Begriff und Phänomen der Vertragslücke Vor allem im Zusammenhang mit der „ergänzenden“ Auslegung von Ver- 103 trägen findet sich häufig auch eine Bezugnahme auf das dogmatische Phäno­ men der sog „Vertragslücke“.300 Deren Vorliegen sei, so die nicht nur für das österreichische Recht wohl bei weitem herrschende Auffassung301, als generelle Voraussetzung dafür zu fordern, dass es überhaupt zu einer Ausdehnung bzw zumindest einer Modifikation des vertraglich klar konsentierten Pflichtenprogramms kommen könne (und dann solcherart eben einem Rechtsgeschäft unter anderem Rechtsfolgen implementiert werden dürften, die gerade nicht unmittelbar auf die Privatautonomie der Kontrahenten bzw deren übereinstimmenden Geschäftswillen rückführbar sind). Bei näherer, va auch um rechtsvergleichende Perspektiven erweiterter Be- 104 trachtung erweist sich dieses Phänomen freilich als überaus schillernd und bar dogmatisch fester Konturen. So wird etwa schon diskutiert, ob vom Vorliegen einer derartigen Lücke nur dann gesprochen werden sollte, wenn solastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff. 299  Zu dieser Koinzidenz siehe noch unten Rz 117. 300  Schon die EB RV zur III. TN zum ABGB (2 BlgHH, 21. Session 120) sprechen in ganz spezifischer Manier von „Lücken“ einer Parteienvereinbarung, die festzustellen und zu füllen eine Aufgabe des Richters sei. 301  Statt aller siehe nur Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 9.

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wohl der Vertrag als auch allenfalls existierendes dispositives Recht einer zur Bewältigung des gerade in Frage stehenden Problems tauglichen Regelung entbehren, oder aber schon dann, wenn Derartiges bloß bezüglich des Vertrages zu konstatieren ist (sodass in weiterer Folge dann noch jenseits der Lückenfeststellung – und damit eben im Rahmen eines eigenständigen, als solchen aber auch hinreichend offen zu legenden Wertungsaktes – die Frage zu klären ist, ob der lückenhafte Vertrag durch Anwendung dispositiven Rechts oder aber durch richterliche ad hoc-Intervention zu ergänzen ist).302 Es sind aber auch Stimmen zu verzeichnen, die dem Phänomen der Vertragslücke jeglichen eigenständigen Erkenntniswert absprechen; dies vor allem mit dem Hinweis darauf, dass jene gedanklichen Prozesse, die über die Feststellung von Lücken einerseits und deren Füllung andererseits entscheiden, in Wahrheit ident sind303, sodass die Annahme eines zweiaktigen Prüfungsschemas (zunächst Ermittlung einer Lücke, sodann Ermittlung der diese Lücke ausfüllenden Rechtsfolgen) die dogmatisch korrekte Vorgangsweise verschleiert (und sich damit eben als unzweckmäßig erweist).304 Der eigenen Stellungnahme zum Begriff und Phänomen der Vertragslü105 cke ist zunächst ein Hinweis darauf voranzustellen, dass es sich (auch) bei diesem gesamten Themenkomplex im Wesentlichen bloß um Fragen der Zweckmäßigkeit von bestimmten Begriffsbildungen sowie der Charakterisierung von bestimmten Denk- und Rechtsanwendungsprozessen handelt, nicht aber um Fragestellungen, bei denen unterschiedliche Auffassungen auch zwangsläufig zu unterschiedlichen Folgen für die praktische Rechtsanwendung führen müssen.305 Allzu heftiges Rechten dürfte also – hier wie stets bei bloßen Zweckmäßigkeitsfragen – fehl am Platz sein. In der Sache selbst spricht vieles dafür, am Begriff der „Vertragslücke“ 106 grundsätzlich festzuhalten, ist dieser doch in den überkommenen dogmatischen Argumentationsmustern derart fest verwurzelt, dass es zu dessen völliger Preisgabe wohl gewichtigerer Gründe bedürfte als jener, die bislang gegen die Zweckmäßigkeit einer derartigen Begriffsbildung vorgetragen wurden.306 302  Für Ersteres die wohl hA (vgl nur für Österreich Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 9 mwN und für die deutsche Dogmatik Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff [673 ff] mwN), für Letzteres aber etwa Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 38. 303  Besonders deutlich wird diese Koinzidenz etwa bei der Vertragsergänzung durch den Rekurs auf eine bestehende Verkehrssitte; vgl G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 270 f. 304  In diesem Sinne etwa Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 401 ff; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag (1970) 165 ff und – im österreichischen Schrifttum – G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 259 ff, der – nach der Kritik des tradierten Verständnisses der „Vertragslücke“ im eben im Text skizzierten Sinn – noch neue Deutungsvarianten diskutiert, um den Begriff der „Vertragslücke“ retten zu können, diesem aber letztlich doch äußerst skeptisch gegenüber stehen dürfte. 305  Deutlich in diesem Sinn auch Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 22. Auch Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 106 weist – im Anschluss an Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 409 – zu Recht darauf hin, dass das Vorrangproblem zwischen Vertragsauslegung iwS und Anwendung dispositiven Rechts nicht aus einem irgendwie vorgegebenen Lückenbegriff zu lösen ist. 306  Für ein Festhalten an Begriff und Phänomen der „Vertragslücke“ etwa auch Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 104; ders, Verkehrssitten und Vertragsauslegung,

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Im Detail erschiene es dann aber wohl terminologisch zweckmäßig, zwi- 107 schen „echten“ und bloßen „Scheinlücken“ zu unterscheiden, wobei beiden Phänomenen zwar gemein ist, dass das nunmehr zu beurteilende Problem im vertraglich klar konsentierten Pflichtenprogramm keine explizite Rechtsfolgenregelung erfahren hat, allerdings die Ergänzung des Vertrags lediglich bei ersteren, dh echten Lücken, in der Tat zulässig bzw geboten ist, wohingegen bei Scheinlücken Derartiges abzulehnen ist (und damit die Abgeschlossenheit des vertraglich klar konsentierten Pflichtenprogramms bzw die darin zum Ausdruck kommende Risikoverteilung zu respektieren ist307). Bei der Abgrenzung der echten von den Scheinlücken muss man sich indes 108 bewusst sein, dass – vor allem aufgrund der dogmatischen Vielfältigkeit dessen, was nach hA in der österreichischen Rsp und Lehre noch als Auslegung (iwS) begriffen wird308, und der Verschiedenartigkeit der diesbezüglich (durchaus legitimerweise) zum Einsatz kommenden Rechtsgewinnungsmethoden309 – gerade diese Abgrenzung im Einzelfall regelmäßig ganz beträchtlichen Ar­ gumentationsbedarf mit sich bringt.310 Dieser sollte aber – im Interesse rational möglichst nachvollziehbarer Entscheidungsbegründungen – durchaus im Detail offen gelegt und nicht hinter der – vielfach gerne bloß apodiktisch getätigten – Behauptung, es liege eine Vertragslücke vor (oder eben nicht), versteckt werden.311 Dabei mag es – vor allem bei der Anknüpfung der Lückenprüfung an eine bloß punktuelle Vertragsregel, mittels derer aber ein umfassenderer Vertragszweck umgesetzt werden sollte – in der Tat oftmals vorkommen, dass Argumente, die sich für die Feststellung einer echten Vertragslücke ins JBl 1973, 66 ff (73 f); Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (673 ff) und Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 37. 307  Dies ist etwa dann der Fall, wenn – wie zumindest vom OGH in der E 3 Ob 513/94, JBl 1995, 173 = AnwBl 1995/6027 (Arnold) angenommen – den Parteien die Verwirklichung eines bestimmten Risikos durchaus bewusst war (in concreto: Ablehnung eines „Bauherrenmodells“ aus Sicht der GrESt), sie aber dessen ungeachtet dem vertraglichen Pflichtenprogramm eine bestimmte Ausgestaltung gegeben haben (in concreto: Gestaltung des dem Bauunternehmer zu zahlenden Werklohnes als von der tatsächlichen USt-Pflichtigkeit unabhängiger Fixpreis) und damit eben eine bewusste Risikoverteilung vorgenommen haben. Vgl zu derartigen „Scheinlücken“ auch Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff [674 ff]. 308  Dieses Verständnis dürfte ein im Detail durchaus weiteres als jenes etwa der deutschen Dogmatik sein, die in großem Umfang die Implementierung von heteronomen Rechtsfolgen in Verträge nicht mehr iSv § 157 BGB als die Füllung von „Lücken“ in diesen qua Auslegung begreift, sondern als Anwendungsfall von § 242 BGB (vgl dazu etwa Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 15; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I [1996] 184 ff und Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff [668 f]; zum gegenüber § 157 BGB deutlich erweiterten Anwendungsbereich, der § 914 von der hA zugebilligt wird, siehe auch schon oben Rz 3). Insofern erscheint es zweckmäßig, auch den Begriff der „Vertragslücke“ für das österreichische Recht grundsätzlich weiter zu fassen als etwa für das deutsche. 309  Dazu ja schon oben Rz 84 ff. 310  Zur Lückenfeststellung als „wertenden Akt“ vgl zB Schimmel, Zur ergänzenden Auslegung von Verträgen, JA 2001, 339 ff (341). Gute Veranschaulichung dieses Umstandes anhand eines konkreten Beispieles (Auswirkung der Insolvenz des Arbeitgebers auf – diesbezüglich keine explizite Regelung aufweisende – Betriebspensionsvereinbarungen) bei Kerschner, ZAS 1986, 93 (Entscheidungsanmerkung). 311  IdS auch Schimmel, Zur ergänzenden Auslegung von Verträgen, JA 2001, 339 ff (341).

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Treffen führen lassen, zugleich auch den Weg zu deren Füllung weisen.312 Von wesentlicher Bedeutung erweist sich jedenfalls bei der Abgrenzung der echten von den Scheinlücken die hinreichenden Wahrung der Grenzen jeglicher Vertragsauslegung bzw -ergänzung, die in ganz entscheidendem Umfang vom Gebot der hinreichenden Wahrung der Privatautonomie der Kontrahenten vorgegeben wird.313 Bemüht man sich um eine nähere Typologie der echten Vertragslücken 109 (dh von Regelungsdefiziten des vertraglich klar konsentierten Pflichtenprogramms, die tatsächlich durch Rechtsfolgenimplementierung zu beseitigen sind), so lässt sich Folgendes sagen: Es erscheint durchaus nicht unzweckmäßig, zwischen logischen und teleo­ 110 logischen Vertragslücken zu unterscheiden, und zwar aus folgendem Grund: Während bei logischen Vertragslücken schon eine unmittelbare Betrachtung des vertraglichen Pflichtenprogramms dessen echte Lückenhaftigkeit offenbart, weil ein bestimmter Vertragspunkt ohne Ergänzung um bestimmte Rechtsfolgen gar nicht sinnvoll angewendet werden kann314, ist bei teleologischen Lücken das klar festgelegte vertragliche Pflichtenprogramm als solches zwar durchaus exakt zu exekutieren, es stellt sich allerdings die (durchaus komplexere, va vielfach nur durch umfassende Berücksichtigung der Interessen beider Parteien sowie deren Erkenntnisstandes im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beantwortende) Frage, ob sich nicht dieses – va im Lichte der beidseits konsentierten allgemeinen Vertragszwecke315 – als zu eng gefasst erweist, um den Vertragszwecken auch tatsächlich zum Durchbruch verhelfen zu können.316 Wenig Erkenntnisgewinn dürfte demgegenüber die Abgrenzung der ur­ 111 sprünglichen von den nachträglichen (echten) Vertragslücken verschaffen.317 Im Hinblick auf die grundsätzliche Legitimität der Implementierung von 312  Zum – grundsätzlich durchaus berechtigten – Hinweis auf diesen Umstand vgl bereits oben Rz 104. 313  Zu diesen Grenzen der Vertragsauslegung näher sogleich unten Rz 124 ff. Zum Konnex zwischen Feststellung einer (echten) Vertragslücke und der Respektierung der Privatautonomie vgl auch Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 15; Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 37 und Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (664 ff). 314  Als Veranschaulichungsbeispiel für eine derartig logische Vertragslücke mögen etwa der vom OGH in 1 Ob 626/52, SZ 25/218 entschiedene Fall dienen, in dem von den Parteien zwar dem Grunde nach unstrittig ein Recht einer Seite auf Bucheinsicht vereinbart wurde, aber dessen nähere Modalitäten völlig ungeregelt blieben, sowie der vom RG in JW 1908, 544 zu beurteilende Sachverhalt, in dem die Parteien zwar für die Verletzung der Kartellvereinbarung eine Konventionalstrafe in bestimmter Höhe vorgesehen haben, aber jeglicher Hinweis darauf unterblieben war, zu wessen Gunsten diese verfallen soll. 315  Zur – herausragenden – Relevanz der einzelnen Vertragszwecke für die Vertragsauslegung vgl noch ausführlich unten Rz 175 ff. 316  Als Veranschaulichungsbeispiel für eine derartig teleologische Vertragslücke möge etwa der „Arztpraxen-Fall“ des BGH (BGHZ 16, 71) dienen. Zwar konnten in diesem alle vertraglichen Regelungen durchaus auch ohne Implementierung eines Rückkehrverbotes in das vertragliche Pflichtenprogramm sinnvoll umgesetzt werden; allein der beidseits offensichtlich konsentierte Vertragszweck (Tausch selbständiger Erwerbsgelegenheiten) wäre ohne Implementierung dieser Zusatzpflicht in großem Umfang konterkariert worden. 317  Diese Unterscheidung treffen etwa Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 16 und Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 41.

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Pflichten in ein bestimmtes Vertragsgefüge (dh die Prüfung des Vorliegens einer echten Lücke) erweist es sich nämlich bei richtiger Sichtweise als einerlei, ob jene Umstände, die zur Prüfung dieser Frage Anlass geben, schon im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorgelegen sind oder sich erst im Rahmen der Vertragsdurchführung ereignet haben.318 Und ob bezüglich der Vertragsergänzung, wenn sie denn im Einzelfall statthaft bzw geboten sein sollte, die Verhältnisse zum Vertragsabschlusszeitpunkt oder aber jene zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Ergänzungsbedürftigkeit als maßgeblich heranzuziehen sind, ist mit einer derartigen Klassifizierung von Lückentypen in Wahrheit noch keineswegs entschieden319, sondern muss ohnedies einer eigenständigen, als solche dann aber auch gesondert zu begründenden Wertung vorbehalten bleiben.320 Als relativ eigenständige Fallgruppe von echten Lücken dürfte es sich 112 aber wiederum begreifen lassen, wenn es – vor allem aufgrund des Eingreifens zwingenden Rechts – zu einer (teilweisen) Unwirksamkeit des explizit kon­ sentierten vertraglichen Pflichtenprogramms kommt.321 In derartigen Fällen ist es nämlich grundsätzlich unproblematisch, eine solcherart entstandene Lücke durch Implementierung von im Wesentlichen gleichwertigen Pflichten zu schließen. Eine unzulässige Beeinträchtigung der Privatautonomie der Parteien (die ja im Einzelfall immer als Grenze der Zulässigkeit derartiger Pflichtenimplementierungen zu berücksichtigen ist322) ist in einer derartigen Kon­ stellation in aller Regel schon deswegen ausgeschlossen, weil beide Parteien zuvor ihr Einverständnis zur vertraglichen Regelung des fraglichen Punktes erklärt haben, sodass es keineswegs um eine Erweiterung des vertraglichen Pflichtenprogramms geht, sondern bloß um den Fall der Substitution eines bestimmten Teiles desselben durch eine im Wesentlichen gleichwertige Ersatzregelung.323 Sehr wohl als ein Hindernis für eine derartige Pflichtensubstitution könnte sich aber der Schutzzweck jener Normen erweisen, die im konkreten Fall zur Unwirksamkeit eines Teiles des konsentierten Pflichtenprogramms geführt haben.324 Unzutreffend ist es aber jedenfalls, wenn man – wie zT in der deutschen Rechtswissenschaft vertreten – in derartigen Fällen schon ganz grundsätzlich von der Unzulässigkeit einer Vertragsergänzung ausgehen woll318  Ebenso Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (676 ff). 319  Eher missverständlich daher Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 16, wo auch diese Fragestellung unter dem Titel „Anfängliche und nachträgliche Lücken“ abgehandelt wird. 320  Dazu zB unten Rz 197. 321  Vgl dazu allgemein (wenngleich in concreto, aufgrund der nicht gebührenden Würdigung des Schutzzwecks der einschlägigen Verbotsnorm, wohl unzutreffend [dazu unten Rz 127]) etwa die Entscheidungen des OGH im „Zinsenstreit“ (einschlägige Leitentscheidung OGH 4 Ob 73/03v, JBl 2004, 50 [Rummel]; die Folgeentscheidungen sind mittlerweile Legion), bei denen weit verbreitete Zinsanpassungsklauseln als gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG verstoßend gewertet wurden und an deren Stelle eine Vertragsergänzung nach dem „hypothetischen Parteiwillen“ treten sollte. 322  Vgl Rz 125. 323  Als paradigmatisch erweisen sich in diesem Zusammenhang jene Fälle, in denen bestimmte Wertsicherungsklauseln – va aufgrund währungspolitischer Interventionen – ihre Wirksamkeit verlieren (vgl etwa die „Roggen- bzw Weizenklausel-E“ des BGH [zB BGHZ 81, 135 und WM 1985, 417]). Eine subtile dogmatische Analyse dieser Konstellationen findet sich bei G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 198 ff. 324  Dazu unten Rz 127.

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te und dies unter anderem mit den Argumenten zu untermauern suchte, dass jede Partei deswegen allein das Risiko eines solchen Lückenhaftwerdens des Vertrages tragen müsse, weil sie eine Obliegenheit zur gesetzeskonformen Vertragsgestaltung getroffen hätte bzw man ihr unterstellen dürfte, dass sie sich bei Vereinbarung einer gesetzwidrigen Regelung zu deren ersatzlosem Entfall bereit finde.325 Letzteres ist eine bare Fiktion, Ersteres – jedenfalls für den Bereich des österreichischen Rechts – eine unbewiesene (und unbeweisbare) Behauptung. 4. Verhältnis von Auslegung und dispositivem Recht 113

Für die Dogmatik der Vertragsauslegung zählt es seit langem zu einer der wohl schwierigsten Herausforderungen, das Verhältnis von Auslegung (iwS) und Anwendung von einschlägigem Dispositivrecht zu klären, va anzugeben, wann diesem der Vorrang vor jener gebührt und umgekehrt. Als klar und eindeutig erweist sich das Verhältnis von Auslegung und dis114 positivem Recht nämlich nur, soweit von dieser Fragestellung jene Auslegungskriterien betroffen sind, die von der hA unter dem Begriff der „einfachen“ Auslegung zusammengefasst werden, also in der Sache auf die Ermittlung des tatsächlich übereinstimmenden Geschäftswillens der Kontrahenten oder die Ermittlung des zumindest normativ als übereinstimmend anzusehenden Bedeutungsgehaltes der jeweiligen Erklärungstatbestände gerichtet sind.326 Da es nämlich dem unstrittigen Wesen des dispositiven Rechts entspricht, gegenteiligen Absprachen der Parteien zu weichen, ist es geradezu evident, dass sowohl dem natürlichen als auch dem bloß normativen (ausdrücklichen oder konkludenten) Konsens der Parteien über einen bestimmten Vertragspunkt Vorrang vor der Anwendung einschlägiger Dispositivnormen zukommen muss.327 Völlig anders stellen sich die Dinge demgegenüber dar, wenn es gilt, das 115 Verhältnis der sog „ergänzenden“ Auslegung zum dispositiven Recht auszuleuchten. In diesem Zusammenhang wurden und werden nämlich bezüglich des Vorrangproblems eine Vielzahl von völlig unterschiedlichen Auffassun­ gen vertreten, und zwar – wie eine rechtsvergleichende Umschau zutage fördert328 – nicht bloß von der österreichischen Rechtslehre und -praxis.329 325  In diesem Sinn zuletzt wieder Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (677). 326  Zu diesen Facetten der Auslegung siehe soeben oben Rz 94 ff 327  Völlig hA; vgl bloß Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 8. 328  Zum Meinungsstand in Deutschland siehe etwa Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 44 f sowie Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 23 ff, zu jenem in der Schweiz etwa Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 230 ff, alle mwN; vgl darüber hinaus aus dem ausländischen Schrifttum va auch noch Henckel, Die ergänzende Vertragsauslegung, AcP 159 (1960/1961) 106 ff; Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht (1966) (va 13 ff); Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) (va 454); Bucher, Der Ausschluss dispositiven Gesetzesrechts durch vertragliche Absprachen, in FS Deschenaux (1977) 249 ff; Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (678 ff) und Schimmel, Zur ergänzenden Auslegung von Verträgen, JA 2001, 339 ff (341). 329  Aus dem österreichischen Schrifttum vgl zum Problem va Rummel, Vertragsauslegung

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Richtigerweise ist zunächst einmal davon auszugehen, dass sich auch im 116 zuletzt beschriebenen Bereich das Rangproblem dann in Wahrheit gar nicht stellt, wenn tatsächlich einschlägiges330 Dispositivrecht gar nicht existiert (und auch nicht etwa im Wege ergänzender Rechtsfortbildung gewonnen werden kann), va, weil es sich bei dem Vertrag, den es vom Rechtsanwender in concreto zu beurteilen gilt, um ein atypisches Rechtsgeschäft handelt, oder es sich zwar um ein typisches Rechtsgeschäft handelt, aber das in Frage stehende Problem dennoch keine gesetzliche Regelung erfahren hat.331,332 Ebenso stellt sich das Rangproblem in Wahrheit dann nicht, wenn es sich 117 bei jenem Rechtsgewinnungsvorgang, der dem Rechtsanwender den Weg zu einer vom vorhandenen Dispositivrecht abweichenden Beurteilung des Problems weist, tatsächlich bloß um eine richterliche Rechtsfortbildung der fraglichen Normen des dispositiven Rechts handelt, diese also etwa für eine bestimmte Fallgruppe einer teleologischen Reduktion unterzogen werden. Im letztgenannten Fall kommt es nämlich in Wahrheit zu gar keiner Kollision von dispositivem Recht und Vertragsauslegung; vielmehr wird Letztere in der richterlichen Fallbeurteilung allenfalls deshalb formal als Begründungsmuster ausgegeben, um sich den – idR erhöhten – Begründungsaufwand für eine ergänzende Fortbildung des objektiven Rechts zu ersparen.333 In dem nach dem Gesagten verbleibenden Bereich einer in der Tat drohen- 118 den Kollision von Auslegung iwS und Anwendung dispositiven Rechts ist zunächst in jenen Fällen von einem Vorrang der richterlichen Vertragsausle­ gung bzw -ergänzung vor einer Anwendung einschlägiger Dispositivnormen auszugehen, in denen festgestellt werden kann, dass die Parteien die Anwen­ dung dieser Dispositivnormen jedenfalls nicht wollten (aber die Schaffung einer adäquaten Ersatzregelung verabsäumt haben, dh va nicht von einer abschließenden Regelung des explizit konsentierten Pflichtenprogramms ausgenach der Verkehrssitte (1972) 101 ff sowie ders in Rummel3 I § 914 Rz 9 und 22; G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 327 ff sowie Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 100 ff. Aus der Rsp siehe etwa OGH 6 Ob 546/90, JBl 1991, 116 (Problem des Rangverhältnisses von dispositivem Recht und Unternehmerbrauch bewusst offen lassend; weitere – va ältere – Rsp zu dieser Frage etwa bei Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 45) sowie 5 Ob 617/88, JBl 1990, 105 und 3 Ob 146/01v, JBl 2002, 455 (grundsätzlicher Vorrang des dispositiven Rechts vor einer „ergänzenden“ Vertragsauslegung; beide E stark beeinflusst von der Lehre Rummels). 330  Zu dem va jene Normen nicht zu zählen sind, die sich nur mit dem allgemeinen „negativen Satz“ „begründen“ lassen. 331  IdS schon Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff (740 f); ebenso dann auch in der österreichischen Lehre Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 101 ff. Zur (gleichsinnigen) Schweizer Doktrin vgl etwa Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 228, 236. 332  Als Beispiel für eine derartige Konstellation mag etwa der Vertrag über den Tausch zweier Arztpraxen dienen, bei dem vom BGH (vgl BGHZ 16, 71 = NJW 1955, 337) bekanntlich im Wege der Vertragsauslegung ein Rückkehrverbot der beiden Ärzte für eine bestimmte Zeit angenommen wurde. 333  Gegenüber derartigen Scheinbegründungen zu Recht kritisch aber etwa Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 229. Freilich kann die Existenz einer zur fraglichen Dispositivnorm konträren Verkehrs- (und wohl sogar auch Vertrags-) Sitte ein deutliches Indiz für die methodologische Korrekturbedürftigkeit dieser Norm darstellen (zutr Hw darauf schon bei Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte [1972] 109).

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gangen sind).334 Dies folgt unmittelbar aus dem Zurückweichen vor einer – wenn auch bloß „negativen“ – vertraglichen Einigung der Parteien, wie es eben dem Wesen des dispositiven Rechts entspricht. Statt ihm kommen vielmehr unter der geschilderten Voraussetzung zur Vertragsergänzung entweder ein Rekurs auf eine im vertraglichen Lückenbereich bestehende Verkehrssitte oder eine richterliche ad hoc-Intervention zum Zug, und zwar diese subsidiär zu jenem.335 Weiters ist richtigerweise auch dann noch von einer Nachrangigkeit dis­ 119 positiven Rechts gegenüber einer Vertragsergänzung qua Auslegung iwS auszugehen, wenn die Anwendung des fraglichen Dispositivrechts der privat­ autonomen Rechtsetzung der konkreten Vertragsparteien zuwiderliefe, es also bei einer wertenden und interessenbezogenen Betrachtung des vorliegenden Vertragsgefüges in concreto als „nicht passend“ erscheint. So sehr dies nun auch im Ergebnis unbestritten sein dürfte336, so wenig kann geleugnet werden, dass die Prüfung, wann denn im Einzelfall die Anwendung dispositiven Rechts nicht mehr in das konkret zu beurteilende Vertragsgefüge „passt“, dem jeweiligen Rechtsanwendungsorgan einen ungemein weiten Beurteilungsspielraum eröffnet (weshalb sich auch über die im Einzelfall erzielten Ergebnisse zumeist trefflich streiten lässt).337 Am häufigsten wird es sich dabei wohl um Fälle handeln, in denen der Nachweis eines von den Parteien ganz konkret konsen­ tierten Vertragszwecks erbracht werden kann (der dann auf die vertraglich explizit nicht geregelte Fragestellung analog zur Anwendung zu bringen ist338 bzw der durch die Anwendung von vorhandenem Dispositivrecht nicht konterkariert werden darf339) oder dargetan wird, dass sich die Interessenlage der konkreten Vertragsparteien von den Interessen von Vertragsparteien, die typischerweise einen Vertrag wie den fraglichen abschließen (und die [aber eben auch nur die!] angemessen auszugleichen und die entsprechenden Erwartungshaltungen der Parteien zu schützen ja das entscheidende Regelungsanliegen des dispositiven Rechts darstellt340) deutlich unterscheidet.341 Jedenfalls 334  Vgl idS schon Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 105. Ebenso zB auch Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 2; Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 101 sowie OGH 3 Ob 146/01v, JBl 2002, 455. 335  Dies ergibt sich aus dem zwischen diesen beiden Rechtsgewinnungsmethoden bestehenden Rangverhältnis; vgl zu diesem unten Rz 222. 336  Vgl aus dem österreichischen Schrifttum bloß Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 9 und 22 (der freilich die Nichtanwendbarkeit dispositiven Rechts in derartigen Fällen zumindest formal als Ausnahme begreifen dürfte); H. Böhm, Die “Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (wo – vorzugswürdiger – unter den eben im Text geschilderten Voraussetzungen schon von einer grundsätzlichen Vorrangigkeit der Auslegung iwS vor dem dispositiven Recht ausgegangen wird); Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 178; Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 2 und Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 102. 337  Durchaus zu Recht mahnt daher etwa F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 162 (FN 168) in diesem Zusammenhang eine besonders sorgfältige Prüfung und Begründung durch das jeweilige Rechtsanwendungsorgan ein. 338  Vgl etwa Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 222, 235. 339  Deutlich idS auch F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 162 (FN 168). 340  Diesen Gesichtspunkt betont etwa G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 334 f. 341  IdS schon Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff (740 f). Ähnlich dann wohl auch in weiterer Folge Rummel, Vertragsauslegung nach der Ver-

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ausgeblendet werden sollte aber – zumindest in diesem Zusammenhang342 – der Gesichtspunkt des Gerechtigkeitsgehaltes des dispositiven Rechts, wie er zT als Argument für einen doch relativ weitgehenden Vorrang des dispositiven Rechts vor einer Vertragsergänzung durch Auslegung iwS ins Treffen geführt wird.343 Denn wenn und soweit es dem Vertragsinterpreten noch möglich ist, jener – wenn auch im konkreten Zusammenhang nur ansatzweise nachweisbaren – privatautonomen Ordnung Rechnung zu tragen, die von den beiden Kontrahenten einvernehmlich etabliert wurde, hat es dabei zu bleiben: Stat voluntas pro ratione.344 Besonders umstritten ist die vorzugswürdige Lösung des Rangproblems 120 schließlich, wenn es einen drohenden Konflikt zwischen der Anwendung dis­ positiven Rechts und einer richterlichen Vertragsergänzung mittels eines Re­ kurses auf eine davon abweichende Verkehrssitte bzw einen davon abweichenden Unternehmerbrauch345 zu bereinigen gilt. Während die österreichische Lehre346 lange Zeit die Ansicht Rummels347 121 favorisierte, wonach von einem grundsätzlichen Vorrang des dispositiven Rechts vor der Verkehrssitte auszugehen sei, findet sich im jüngeren Schrifttum durchaus auch Kritik an dieser Auffassung348 (die sich ihrerseits wiederum jedenfalls was den Unternehmerbrauch betrifft, ua auch auf die hA innerhalb der deutschen Dogmatik und Rechtspraxis stützen kann349). Die öster­ kehrssitte (1972) 104 f. Gleichsinnig auch Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 23 und Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 237. 342  Zu seiner sehr wohl anzuerkennenden Relevanz für Wertentscheidungen im Zusammenhang mit dem Vorrangproblem siehe aber noch unten Rz 123. 343  Vgl zu diesen Auffassungen etwa G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 335 f. Siehe aber etwa auch Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 24 mwN. 344  Im Ergebnis ebenso etwa auch Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 24. Zumindest terminologisch abweichend aber wohl all jene Stimmen der Lehre, die in sämtlichen Fällen des Rekurses auf den „hypothetischen Parteiwillen“ nicht so sehr den konkreten Anhaltspunkten im privatautonomen Vertragsgefüge Beachtung schenken wollen, sondern die Erzielung eines „angemessenen Interessenausgleichs“ fordern (paradigmatisch idS etwa Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 12). Ihnen gegenüber bleibt aber festzuhalten: Lässt sich ein übereinstimmender Konsens beider Vertragsteile über bestimmte Vertragszwecke nachweisen und hat dieser bloß im explizit konsentierten Pflichtenprogramm aufgrund eines Versehens keinen hinreichenden Niederschlag gefunden, so hat der fragliche Vertragszweck auch dann den (und zwar alleinigen) Maßstab für die richterliche Vertragsergänzung abzugeben, wenn dessen Umsetzung für einen der Kontrahenten nachteilig bzw gar drückend ist. Hat also etwa ein Vertragsteil einer eindeutigen, aber für ihn wirtschaftlich äußerst nachteiligen Wertsicherungsvereinbarung zugestimmt, so ist die mit ihr verbundene Wertrelation auch bei jener Ersatzregelung zu berücksichtigen, die bei einer allfälligen nachträglichen Unmöglichkeit einer Bezugnahme auf den fraglichen Wertsicherungsmaßstab vom Richter dem Vertragsgefüge zu implementieren ist (und nicht etwa zu fragen, durch welchen Ersatz-Wertsicherungsparameter ein möglichst „angemessener Ausgleich“ zwischen den widerstreitenden Interessen hergestellt werden kann). 345  Zum Unternehmerbrauch als bloßen – wenn auch praktisch äußerst bedeutsamen – Sonderfall einer Verkehrssitte siehe unten Rz 188. 346  Vgl bloß Koziol/Welser13 I 108 sowie Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 102. 347  Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) passim. 348  Vgl va Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 45 sowie G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 345. 349  Vgl etwa die Nw bei Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 45 sowie G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 346 (FN 176).

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reichische Rsp schließlich verfolgt keine einheitliche Linie, dürfte aber zumindest für den Unternehmerbrauch überwiegend von dessen Vorrang vor dem dispositiven Recht ausgehen.350 Richtigerweise ist der Kritik an der These vom grundsätzlichen Vor­ 122 rang des dispositiven Rechts vor einer Vertragsergänzung qua Verkehrs­ sitte und Unternehmerbrauch beizutreten. Die für diese These vorgetragenen Argumente vermögen diese These nämlich bei näherer Betrachtung nicht abzustützen; zumindest bei weitem nicht in jener Allgemeinheit, in der diese These vorgetragen wird. Wenn nämlich einerseits Vertrauensschutz für denjenigen eingefordert wird, der vor einem Vertragsabschluss das dispositive Recht konsultiert hat351 (offenbar aber nicht die entsprechende Verkehrssitte), und andererseits darauf hingewiesen wird, dass aus der bloßen Existenz von Verkehrssitten und Unternehmerbrauch noch keineswegs generell auf eine gewisse Richtigkeitsgewähr derselben geschlossen werden kann352, so ist damit der Vorrang des dispositiven Rechts vor Verkehrssitten und Unternehmerbräuchen in jenen Fällen noch keineswegs hinreichend begründet, in denen keine der Parteien das dispositive Recht konsultiert hat (wohl aber zumindest einer der Vertragsteile in Kenntnis von und im Vertrauen auf die fragliche Verkehrssitte bzw den fraglichen Unternehmerbrauch kontrahiert hat) und der sich bereits herausgebildeten Verkehrssitte bzw dem bereits bestehenden Unternehmerbrauch durchaus mehr materieller Gerechtigkeitsgehalt als dem prima vista einschlägigen Dispositivrecht zukommt; va, weil die entsprechenden Dispositivnormen nicht (oder nicht mehr) den – die schutzwürdigen Interessen beider Parteien durchaus gleichermaßen berücksichtigenden – ökonomischen Bedürfnissen des Rechtsverkehrs entsprechen.353 Zumindest in den soeben umschriebenen Konstellationen ist daher sehr wohl von einem Vorrang der rich­ terlichen Vertragsergänzung qua Berücksichtigung von Verkehrssitte bzw Unternehmerbrauch auszugehen354; dies jedenfalls dann, wenn man die zentralen Zwecke des dispositiven Rechts (Bereithaltung eines angemessenen Ausgleichs der typischen Parteiinteressen, Schutz der typischen Erwartungshaltungen der Parteien) nicht hinter dem vordergründigen und bloß formalen Argument zurücktreten lassen möchte, dass dispositives Recht eben „gilt“.355 Relativ klar zu beantworten dürfte die Vorrangfrage schließlich in jenen 123 Fallgruppen sein, in denen – und zwar mangels hinreichend deutlicher Anhaltspunkte in dem von den Kontrahenten tatsächlich privatautonom konstituierten Vertragsgefüge sowie einschlägiger Verkehrssitten oder UnternehmerDiesbezügliche Nw etwa bei Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 45. So vornehmlich Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 101. Die aaO (in FN 323) vorgenommene unterschiedliche Behandlung von „Erklärungssitten“ und dispositiven Auslegungsregeln für den Fall, dass vom Kontrahenten nur Letztere konsultiert wurden, nicht aber Erstere, ist freilich nicht recht einsichtig. 352  So – im Anschluss an die frühe Lehre Oertmanns – wiederum Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 109. 353  Dass dies der Fall sein kann, sollte dem Grunde nach nicht ernstlich bestritten werden. Zutr idS schon Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 454. 354  Ähnlich im Ergebnis auch Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 45 sowie G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 345. 355  Dies im Unterschied zu Verkehrssitten und Unternehmerbrauch: vgl unten Rz 189 f. 350  351 

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bräuche – als Alternative zur Anwendung vorhandenen Dispositivrechts lediglich eine Ergänzung des Pflichtenprogramms durch eine vom zuständigen Rechtsanwendungsorgan ad hoc getroffene Wertung zur Diskussion steht. In einem derartigen Fall sprechen nämlich in der Tat, zumindest in aller Regel, sowohl die größere Richtigkeitsgewähr des dispositiven Rechts als auch (und vor allem) die durch eine Anwendung desselben bei weitem eher zu erwartende Gleichmäßigkeit und Vorhersehbarkeit der solcherart erzielten Ergebnisse356 für die Vorrangigkeit des dispositiven Rechts. 5. Grenzen der Auslegung Schon aus den bisherigen Ausführungen, vor allem über das Wesen dessen, 124 was im österreichischen Privatrecht gegenwärtig alles als Vertragsauslegung iwS begriffen wird, dürfte deutlich geworden sein, dass sich generelle Gren­ zen für die damit angesprochenen Rechtsgewinnungsmethoden nur bedingt festmachen lassen. Als ausgeschlossen muss Derartiges nämlich vornehmlich für jene Fälle angesehen werde, in denen erst im Einzelfall durch umfassende richterliche Interessenabwägung ad hoc ermittelt wird, ob dem vertraglich explizit konsentierten Pflichtenprogramm noch eine zusätzliche (va Nebenleistungs-, Schutz- oder Sorgfalts-) Pflicht zu implementieren ist.357 Zu den demgegenüber sehr wohl in genereller Art und Weise umschreibba- 125 ren Grenzen für jegliche Form der Auslegung zählt zunächst die unbedingte Wahrung des von den Parteien tatsächlich erzielten rechtsgeschäftlichen Konsenses. Eine gegen den übereinstimmenden Geschäftswillen beider Kontrahenten in einem bestimmten Rechtsgeschäft Platz greifende Rechtsfolge ist als Auslegung dieses Rechtsgeschäftes nicht mehr zu legitimieren. Dieser unbedingte Primat der übereinstimmend betätigten Privatautonomie macht sich im Detail in durchaus verschiedenen Konstellationen bemerkbar. Zu ihnen zählen – getreu der Parömie „falsa demonstratio non nocet“ – das Verbot der bloßen Buchstabeninterpretation358, aber auch die Respektierung der Abgeschlossenheit des Pflichtenprogramms (etwa wegen bewusster Risikoübernahme durch eine Partei359)360 sowie – uU trotz grundsätzlicher Zulässigkeit der Implementierung von Pflichten in ein Rechtsgeschäft wegen dessen Lückenhaftigkeit – das Verbot der Implementierung gerade von solchen Pflichten, die von den Kontrahenten übereinstimmend (oder zumindest von einem von ihnen in einer auch für den anderen erkennbaren Art und Weise) abgelehnt wurden (also dem tatsächlichen [und auch hinreichend deutlich geäußerten] Geschäftswillen zumindest einer der Parteien widersprechen), unter Berufung auf deren 356  Auf diesen wichtigen Gesichtspunkt deutlich hinweisend schon Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff (740). 357  Vgl Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (688 ff). 358  Dazu noch ausführlich unten Rz 140. 359  Siehe dazu bereits das oben in FN 307 angeführte Bsp und die dort angeführte Lite­ratur. 360  Vgl statt aller OGH 5 Ob 1578/94, MietSlg 46.062.

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(angeblichen) hypothetischen Parteiwillen.361 Zumindest terminologisch missverständlich ist es vor diesem Hintergrund dann aber, wenn sowohl im Schrifttum362 als auch in der Rsp363 zT die Ansicht geäußert wird, dass ein „objektiver“ Vertragsinhalt, der von den Partnern übereinstimmend (!) nicht gewollt ist, nur (aber immerhin!) soweit gilt, als „eine entsprechende Vertragsergänzung zulässig und geboten ist.“ Richtigerweise ist nämlich davon auszugehen, dass unter den beschriebenen Voraussetzungen eine Vertragsauslegung in aller Regel gerade nicht zulässig (und damit auch nicht geboten) ist. Ebenfalls stoßen jegliche Auslegungsbemühungen in aller Regel an ihre 126 Grenzen, wenn im Einzelfall kein (wenn auch bloß normativer) Konsens be­ züglich der essentialia negotii des fraglichen Rechtsgeschäftes feststellbar ist. In derartigen Fällen ist vielmehr, mangels allgemeiner richterlicher Moderationskompetenz in diesem Bereich, gemäß § 869 grundsätzlich von einer Unwirksamkeit des Geschäftes auszugehen.364 Streng zu trennen ist diese Grenze jeglicher Auslegung von Rechtsgeschäften aber von der zT anzutreffenden Auffassung, wonach die konsentierten Hauptleistungspflichten generell einer Modifikation im Wege der Auslegung entzogen seien.365 Diese Auffassung ist nämlich in ihrer Allgemeinheit ebenso unbegründet366 wie die These, dass es durch Auslegung nicht zu einer Erweiterung des vertraglichen Pflichtenprogramms kommen dürfe.367 Schließlich ist vor allem in jenen Fällen, in denen durch Auslegung iwS 127 eine Lücke des vertraglichen Pflichtenprogramms geschlossen werden soll, die 361  Zur Schrankenfunktion des tatsächlichen für den hypothetischen Parteiwillen grundlegend Mayer-Maly, Die Bedeutung des tatsächlichen Parteiwillens für den hypothetischen, in FS Flume (1978) 621 ff; vgl aber auch Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (688 f); einschlägige Bsp aus der österr Rsp stellen etwa OGH 7 Ob 543/95, SZ 68/162 und 2 Ob 89/95, ecolex 1996, 453 dar. 362  IdS etwa Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 8. 363  Vgl aus der jüngeren Rsp etwa OGH 7 Ob 81/97f, EFSlg 84.392. 364  Völlig hA (statt aller siehe nur Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 9; Heiss in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 75 und OGH 7 Ob 1657/92, RdW 1993, 303). Siehe auch zum Verhältnis der §§ 869 und 914 zueinander sowie zur Möglichkeit jedes Kontrahenten, den anderen an einem allenfalls feststellbaren Kernbereich der nicht zu vollem Konsens gelangten Willenserklärungen festzuhalten, bereits oben Rz 47. 365  IdS etwa Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (688 f) sowie die dort gegebenen Nachweise. 366  Und wird daher völlig zu Recht von der hL und Rsp abgelehnt (vgl bloß Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 10 sowie OGH 5 Ob 229/02s, immolex 2003, 196 [Korrektur des als Naturalleistung (konkret: ärztliche Betreuung des Vermieters) geschuldeten Mietzinses nach dem Tod des Vermieters]). 367  So Schimmel, Zur ergänzenden Auslegung von Verträgen, JA 2001, 339 ff (344). Widerlegt wird eine derartige Auffassung schon durch den gesamten Komplex der qua („ergänzender“) Auslegung ermittelten Nebenleistungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten (Überblick über diese noch im Detail unten Rz 266 ff), die allesamt zu einer – mehr oder weniger starken – Erweiterung des vertraglichen Pflichtenprogramms führen. Berechtigt ist in diesem Zusammenhang allenfalls ein Hinweis, dass bei einer in Frage stehenden Erweiterung des vertraglichen Pflichtenprogramms immer auch die Interessen jener Partei gebührend zu würdigen sind, die durch die implementierten Pflichten belastet würde. Im Detail und in der gebotenen Differenziertheit zum Thema etwa Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 39.

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durch Eingreifen zwingenden Rechts entstanden ist368, eingehend zu prüfen, ob sich die jeweils in Frage stehende richterliche Rechtsfolgenimplementierung in der Tat mit dem Schutzzweck jener Normen vereinbaren lässt, die gerade zur Unwirksamkeit bestimmter Facetten des vertraglichen Pflich­ tenprogramms geführt haben. Diesem Gesichtspunkt kommt etwa dann erhöhte Bedeutung zu, wenn der Schutzzweck der fraglichen Verbotsnorm eine strikte, dh nicht durch richterliche Moderation zu modifizierende Restgültigkeit des zulässig konsentierten Pflichtenprogramms gebietet.369 Gleiches gilt, wenn es Verstöße gegen spezifische Transparenzanforderungen waren, die einer Anerkennung des vertraglich konsentierten Pflichtenprogramms durch die Rechtsordnung entgegenstanden.370 Es sollte nämlich auf der Hand liegen, dass eine ex post vorgenommene richterliche Rechtsfolgenimplementierung für den vom jeweiligen Transparenzgebot geschützten Kontrahenten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses um keinen Deut transparenter ist als eine intransparente (aber immerhin formulierte!) Bestimmung in einer Vertragsurkunde; ganz im Gegenteil.371 Die herrschende Auffassung innerhalb der österreichischen Rsp und Lehre372 dürfte dies freilich anders sehen (und gelangt dementsprechend bei Vertragsurkunden mit intransparenten Bestimmungen qua ergänzender Auslegung ungeachtet der gesetzlich eigens verfügten spezifischen Transparenzanforderungen für die wirksame Begründung vor vertraglichen Verpflichtungen zur normativen Relevanz von für den Verbraucher ex ante völlig intransparenten Rechtsfolgen bzw Verpflichtungen). Endlich wird eine Grenze jeglicher Auslegung von Verträgen auch darin zu 128 erblicken sein, dass (trotz uU unstrittig echter Lückenhaftigkeit des Vertrages) keinerlei rational nachvollziehbare Gesichtspunkte auffindbar sind, wie denn im Detail diese Lückenhaftigkeit zu beheben ist, etwa weil Rechtsfolgen, die die Interessen einer Vertragspartei stärker berücksichtigen würden, sich – va aufgrund des völligen Fehlens einschlägiger Wertungen des konsen368 

Zu diesen Lückenkonstellationen allgemein siehe schon oben Rz 112. Wie dies etwa paradigmatisch bei Preisregelungsvorschriften der Fall ist; deutlich idS ja zB § 917a ABGB und § 16 Abs 8 MRG. 370  Vgl etwa §§ 6 Abs 1 Z 5 und 31c KSchG sowie § 4 Abs 1 Z 2 BTVG. Anderes mag dann gelten, wenn Vertragsbestimmungen „nur“ gegen das allgemeine Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG verstoßen haben. Hier dürften durchaus gewichtige Gründe für die grundsätzliche Zulässigkeit einer richterlichen Vertragsverlängerung sprechen. Vgl zu ihnen – auch mit weiteren Nw – etwa Schauer, Der Dauerrabatt beim Versicherungsvertrag nach der E OGH 7 Ob 266/09g, RdW 2011, 267 ff (268 ff). 371  IdS – speziell für § 6 Abs 1 Z 5 KSchG – va Vonkilch, Ist der hypothetische Parteiwille „im Vertrag umschrieben“ (§ 6 Abs 1 Z 5 KSchG)? RdW 2003, 690 ff; ders, Nochmals: Zum Verhältnis von „kleinem“ Transparenzgebot, Teilnichtigkeit und ergänzender Vertragsauslegung, RdW 2005, 405 f und ders, Zinsenstreit: OGH bekräftigt Erfordernis einer ergänzenden Vertragsauslegung bei unwirksamen Zinsanpassungsklauseln, RdW 2006, 7; ebenso Perner, Aktuelle Judi­ katur zum AGB-Recht, ecolex 2009, 288. 372  Vgl etwa die Rsp zu den Rechtsfolgen der Vereinbarung von Zinsgleitklauseln, die gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG verstoßen (Leitentscheidung OGH 4 Ob 73/03v, JBl 2004, 50 [Rummel]; [zutreffend] für strikte Teilnichtigkeit aber demgegenüber die Rsp bei Verstößen gegen § 4 Abs 1 Z 2 BTVG: vgl OGH 2 Ob 270/03z, wobl 2004, 377 [zust Vonkilch]) sowie Rummel, Anmerkung zu OGH 4 Ob 73/03v, JBl 2004, 50 und offenbar auch Apathy, Anmerkung zu OGH 7 Ob 146/03a, JBl 2004, 248. 369 

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tierten vertraglichen Pflichtenprogramms oder einer entsprechenden Verkehrssitte – ebenso gut vertreten ließen wie solche, bei denen dies bezüglich der Interessen der anderen Vertragspartei der Fall wäre.373 Hier würde es wohl in der Tat einen zu weitgehenden Eingriff in die Privatautonomie einer der beiden Vertragsparteien darstellen, wollte man dem Richter eine „Losfunktion“ zubilligen.374 Freilich bleibt es auch in derartigen Fällen eines „hypothetischen Dissenses“ häufig jeder Partei unbenommen, die andere an der für diese günstig­ sten (und damit für die bindungswillige Partei ungünstigsten) Auslegungsvariante festzuhalten, um so die Unwirksamkeit des Vertrages abzuwenden.375 Auch kann eine analoge Berücksichtigung von § 915, 2. Hs noch Abhilfe schaffen.376

VI. Willenstheorie – Erklärungstheorie – Vertrauenstheorie 129

Alle Versuche zur näheren Charakterisierung jener Rechtsgewinnungsmethoden, die sich nach der Konzeption des ABGB als Auslegung begreifen lassen, müssen ihren Ausgangspunkt naheliegenderweise bei der zentralen Wertentscheidung nehmen, mittels derer das ABGB in ganz grundlegender Hinsicht seine Position zu einer Kontroverse bezieht, die gewiss zu den legendärsten der europäischen Dogmengeschichte gezählt werden kann und die durch die Feldzeichen „Wille“ und „Erklärung“ (um die sich dann jeweils Legionen von rechtswissenschaftlichen Kombattanten versammelten) bestimmt war. Diese Wertentscheidung war zwar wohl schon der Urfassung des ABGB 130 recht deutlich zu entnehmen, sie wurde dann aber durch die Neufassung von § 914 (aber auch der §§ 870 ff) im Rahmen der III. TN zum ABGB in einer nunmehr wohl zweifelsfreien Art und Weise zum Ausdruck gebracht.377, 378 373  Ebenso Kerschner, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei unwiderruflichen Sozialleistungen, wbl 1988, 211 ff (217, FN 36). Diesbezüglich skeptisch (und damit im Ergebnis offenbar für ein weitergehendes richterliches Moderationsrecht in derartigen Fällen) aber Dullinger, ZAS 1987, 93 (Entscheidungsanmerkung) und Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 12. Vgl zum Problem auch Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (689) mwN zum Meinungsstand der dt Rsp und Lehre. Eine „Vorrangrelation“ entwickelte im hier interessierenden Zusammenhang schließlich F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 162 (FN 168) (Vorrang jener Vertragsergänzung, die in der Sache und auch äußerlich-formal die geringste Änderung bzw Erweiterung des Vertrages, wie er von den Parteien tatsächlich bestimmt wurde, erfordert). 374  So zutr Kerschner, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei unwiderruflichen Sozialleistungen, wbl 1988, 211 ff (217, FN 36). 375  Vgl dazu bereits allgemein oben Rz 47. 376  Dazu § 915 Rz 131. 377  Dazu näher der HHB 151; vgl zur Novellierung von § 914 durch die III. TN auch bereits oben Rz 2. 378  Aus diesem Grund dürfte sich denn auch das ABGB etwa dem dt BGB gegenüber legistisch als deutlich überlegen erweisen, war und ist doch bei Letzterem – va aufgrund der prima vista konträren Positionen, die § 133 BGB einerseits und § 157 BGB andererseits einnehmen – der Standpunkt des positiven Rechts zum hier interessierenden Problem Gegenstand durchaus lebhafter Kontroversen (dazu [und zur heute hA] ausführlich Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 3 ff); die „legistische Vorbildwirkung“ von § 914 betont auch Wittwer, Vertragsschluss, Vertragsauslegung und Vertragsanfechtung nach europäischem Recht (2004) 228 f.

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Demnach ist es – va im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs im Allgemeinen und des jeweiligen Erklärungsempfängers im Besonderen – für die Ermittlung der normativen Bedeutung von Willenserklärungen grundsätzlich weder entscheidend, welche normative Bedeutung dieser Erklärung vom Erklärenden zugemessen wurde (so aber die sog „Willenstheorie“), noch, welche normative Bedeutung dieser Erklärung bei einer ausschließlich objektiven Beurteilung der verwendeten Worte bzw Erklärungszeichen zugemessen werden kann (so aber die sog „Erklärungstheorie“379, 380), sondern allein, auf welche normative Bedeutung der konkrete Erklärungsempfänger redlicherweise vertrauen durfte und vertraut hat (so die dem ABGB inhärente „Vertrauens­ theorie“).381 Schon unmittelbar aus dem in § 914 verankerten Verbot der bloßen Buch- 131 stabeninterpretation ergibt sich, dass den Erklärungsempfänger eine gene­ relle Deutungsdiligenzobliegenheit trifft.382 Demnach darf sich dieser bei der Ermittlung des Inhalts einer an ihn gerichteten Erklärung nicht ohne weiteres auf den Wortlaut dieser Erklärung verlassen, sondern er muss sich – va unter Berücksichtigung aller ihm bekannten bzw zumutbarerweise erkennbaren Umstände, unter denen die fragliche Erklärung abgegeben wurde383 – um die Erforschung des tatsächlichen Geschäftswillens des Erklärenden bemühen.384, 385 Auch die Bewältigung von bestimmten Sachverhaltskonstellationen, die in 132 der Rechtsgeschäftsdogmatik seit jeher ihren eigenständigen Platz hatten (und in deren Rahmen dann auch durchaus kontrovers diskutiert wurden und zT noch werden), hängt für den Bereich des ABGB mit der eben erwähnten Rele­ 379  Deren Ablehnung durch das ABGB resultiert in nicht zu überbietender Deutlichkeit aus dessen § 916 Abs 1, wonach der bloß äußere Anschein, der durch eine Erklärung erweckt wird, für sich allein noch keineswegs geeignet ist, um den normativen Eintritt der spezifischen Wirkungen eines Rechtsgeschäftes hinreichend zu legitimieren. Hinzukommen muss vielmehr bei fehlendem tatsächlichem Geschäftswillen zumindest das Vertrauen eines Dritten auf dessen Existenz (vgl § 916 Abs 1 e contrario [arg „mit dessen Einverständnis“] bzw – in gewissem Umfang auch – § 916 Abs 2). 380  Insofern ist es – jedenfalls bei hinreichender Berücksichtigung der dogmengeschichtlichen Entwicklungsstränge – zumindest terminologisch verfehlt, wenn in OGH 3 Ob 101/89, EFSlg 60.069 von der Relevanz der „Erklärungstheorie“ für die Auslegung von Rechtsgeschäften gesprochen wird. 381  Nach wie vor grundlegend dazu die Ausführungen im HHB 151 f. Als Nw für die diesbezüglich heute völlig hA vgl etwa schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 404; Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 8 sowie § 914 Rz 4; Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 16 ff und Koziol/Welser13 I 105 f sowie aus der Rsp OGH 6 Ob 665/78, MietSlg 30.125; 3 Ob 573/85, JBl 1987, 378; 8 Ob 232/99x, MietSlg 52.090. 382  So bereits zutr Gschnitzer in Klang2 IV/1, 404. 383  Zum solcherart zu begründenden Gewicht, das den dem Erklärungsempfänger bekannten bzw zumindest erkennbaren Umständen der Erklärungsabgabe im Hinblick auf die Ermittlung von Vorrangrelationen zwischen den diversen Auslegungskriterien im Detail zukommt, siehe noch näher unten Rz 218. 384  Deutlich idS schon der HHB 152; aus der Rsp vgl etwa OGH 8 Ob 232/99x, MietSlg 52.090 uva. 385  Zur Relevanz dieser Deutungsdiligenzobliegenheit für die Lösung des Problems „Auslegung oder Anfechtung“ siehe schon oben Rz 56 ff.

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vanz der Vertrauenstheorie untrennbar zusammen. Es handelt sich dabei um die Situation der „falsa demonstratio“ und jene der „protestatio facto cont­ raria“. Dazu Näheres im sogleich Folgenden.

VII. „Falsa demonstratio non nocet“ 133

Was zunächst den Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“386 betrifft, so ist dessen Geltung – wohl nicht zuletzt auch aufgrund des diesbezüglich doch recht klaren Wortlautes schon von § 914387 – auch für das österreichische Recht grundsätzlich388 unbestritten389: Haben beide Parteien einen tatsächlich übereinstimmenden Geschäftswillen, so gebietet keinerlei Vertrauensschutz mehr, den Vertrag anders zu verstehen denn im Sinne eben dieses Geschäftswillens. Umgekehrt würde es ein mit dem Primat der Privatautonomie schlechterdings nicht zu vereinbarendes Resultat zeitigen, wollte man die Parteien bloß aufgrund der objektiven Bedeutung ihrer Vertragserklärungen an einen Geschäftsinhalt binden, den beide Parteien so nicht wollten und auf den auch keine der beiden Parteien so vertraut hat.390 Praktische Anwendungsfälle für die „falsa demonstratio“-Regel stellen 134 neben dem klassischen Fall des gemeinsamen Erklärungsirrtums391 zB Konstellationen dar, in denen die Parteien über einzelne Rechnungsposten einer Vertragserklärung völlig einig waren392 und bloß bei deren Addition ein Rechenfehler auftrat393 oder aufgrund einer bloßen Fehlberechnung der beidseits unstrittig gewollten Vertragsdauer ein falscher Endtermin genannt wurde394, sowie jene, in denen die Parteien das Rechtsgeschäft zwar in einer bestimmten Weise titulie386  Zu dessen historischen Wurzeln vgl etwa Bang, Falsa demonstratio – Ein Beitrag zur Lehre der Auslegung und Anfechtung, JherJB 66 (1916) 309 ff (310 ff) und Wieling, Die Bedeutung der Regel „falsa demonstratio non nocet“ im Vertragsrecht, AcP 172 (1972) 297 ff (298 f). 387  „Nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks haften“, „die Absicht der Parteien erforschen“. Vgl auch bereits Dig. 50, 16, 219: „In conventionibus contrahentium voluntas potius quam verba spectanda sunt.“. 388  Zu Sonderfragen bei formbedürftigen Rechtsgeschäften vgl schon oben Rz 76. 389  Statt aller siehe bloß Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 8 sowie § 871 Rz 6 und Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 5 sowie aus der Rsp OGH 9 ObA 6/87, JBl 1988, 257; 1 Ob 682/89, wbl 1990, 149; 4 Ob 618/89, ÖBA 1990, 558; 9 ObA 64/90, NRsp 1990/124; 6 Ob 160/00y, JBl 2001, 590. 390  Grundlegend idS F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 9 ff. 391  Vgl zu diesen schon die Nw aus der Rsp in FN 389. 392  Nicht zu verwechseln sind diese Konstellationen freilich mit jenen, bei denen eine Fehlvorstellung einer (oder beider) Parteien von den für derartige Rechenoperationen maßgeblichen Prämissen vorliegt. Derartige Fälle (paradigmatisch etwa der „Brockeneisen-Fall“ des BGH RGZ 90, 268) können mit der „falsa demonstratio“-Regel somit nicht gelöst werden. Vgl zu diesen Fällen – und ihrer Abgrenzung von jenen, bei denen in der Tat die „falsa demonstratio“-Regel einschlägig ist – etwa auch Kramer in MüKoBGB5 § 119 Rz 87 ff und Singer in Staudinger, BGB13 § 119 Rz 54, 61. 393  Dazu etwa Kramer in MüKoBGB5 § 119 Rz 87 ff; Singer in Staudinger, BGB13 § 119 Rz 54 und Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 85. 394  Vgl dazu etwa OGH 4 Ob 601/95, wobl 1997, 104 (Dirnbacher) und 1 Ob 1/97x, wobl 1998, 112 (Vonkilch) = immolex 1998, 8 (Pfiel).

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ren, das tatsächlich einvernehmlich gewollte Pflichtenprogramm aber eindeutig und ausschließlich auf ein anderes Rechtsgeschäft hindeutet.395 Der Grundsatz der Auslegung von Verträgen und Erklärungen im Sinne 135 des tatsächlichen Geschäftswillens des bzw der Kontrahenten, soweit dem kein schutzwürdiges Vertrauen des Erklärungsempfängers entgegensteht, hat nun in weiterer Folge auch zur Konsequenz, dass einem übereinstimmenden Geschäftswillen auch dann Relevanz zukommt, wenn er in den Vertragser­ klärungen nicht bloß (wie in den genuinen Fällen der „falsa demonstratio“) einen bei objektiver Betrachtung fehlerhaften Niederschlag gefunden hat, sondern auch dann, wenn er in diesen gar keinen Niederschlag gefunden hat (dh über den unmittelbaren Erklärungstatbestand hinausgehen würde396), sowie, dass auch einseitige Willenserklärungen dann im Sinne des tatsächlichen Geschäftswillens des Erklärenden auszulegen sind, wenn dieser dem Erklärungsempfänger bekannt war oder bekannt sein musste.397 Als völlig verfehlt muss es aber angesehen werden, wenn – offenbar in 136 (zumindest unbewusster) Anlehnung an Dig. 32, 25, 1398 bzw die Parömie „in claris non fit interpretatio“ – von der Rsp zum Teil ausgeführt wird, dass bei „genügend deutlichem“ Vertragstext kein Raum für eine Vertragsausle­ gung (dh offenbar auch nicht im Sinne des übereinstimmenden tatsächlichen Geschäftswillens beider Parteien!) bleibe,399,400 oder wenn aus dem Offenlassen eines bestimmten Punktes in einem Vertragsformular automatisch abgeleitet wird, dass es in diesem Punkt zu keiner rechtsgeschäftlichen Regelung gekommen sei.401 Und zumindest terminologisch unglücklich ist es, wenn man die Erforschung des tatsächlichen Parteiwillens erst dann gestatten möchte, wenn feststeht, dass der schriftlich festgehaltene Vertragsinhalt die übereinstimmende Parteiabsicht nicht zutreffend wieder gibt.402 Denn nur durch Ersteres kann Letzteres ja überhaupt geprüft werden. 395  IdS etwa OGH 1 Ob 291/66, MietSlg 18.117; 1 Ob 58/69, MietSlg 21.131; 7 Ob 561/95, SZ 68/198; 8 Ob 2148/96g, ecolex 1997, 362. Vgl dazu sowie zur Kritik an diesbezüglich zu weitgehenden Tendenzen (Vernachlässigung der privatautonom erfolgten Qualifikation des Geschäftes selbst bei „offenem“, dh vertragstypenneutralem Pflichtenprogramm) auch Fenyves, Einkaufszentren, Privatautonomie und Vertrauensschutz, wobl 2006, 2 ff und Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13 ff (29 f). 396  So etwa OGH 9 ObA 122/02k, RdW 2004/143; vgl auch Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 86. 397  Treffend schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 404: „Gewiss muss sich der Ausleger zunächst an den Ausdruck halten, aber er darf, sagt § 914, nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, dh ihn auch dann maßgebend sein lassen, wenn er die Absicht der Parteien erweislich unrichtig wiedergibt – Absicht im oben bestimmten Sinne als dem Gegner erkennbar geäußerter Parteiwille, als Geschäftszweck verstanden. Der Gegner wird durch das Abgehen vom Buchstaben nicht in seinem Vertrauen getäuscht, weil er voraussetzungsgemäß den entgegen gesetzten Willen kannte oder kennen musste.“. Vgl zu diesem Gesichtspunkt auch bereits oben Rz 49 ff im Zusammenhang mit der Abgrenzung von § 914 zu den §§ 870 ff.“. 398  „Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio“. 399  So aber in der Tat zB OGH 3 Ob 632/76, JBl 1978, 426; LGZ Wien 41 R 605/85, Miet­Slg 37.074 und OGH 3 Ob 2135/96h, ecolex 1998, 407 (Reich-Rohrwig). 400  Vgl aber zu den – in der Tat anzunehmenden – Konsequenzen eines eindeutigen Wortlautes für die Behauptungs- und Beweislast bei Auslegungsstreitigkeiten unten Rz 143. 401  So aber offenbar VwGH in ÖJZ 1977, 332. 402  IdS etwa OGH 2 Ob 36/98b, MietSlg 50.086.

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VIII. „Protestatio facto contraria non valet“? 137

Ebenfalls unmittelbar aus der für das ABGB maßgeblichen Vertrauens­ theorie folgt aber auch die richtigerweise anzunehmende Irrelevanz der Re­ gel „protestatio facto contraria non valet“ für die österreichische Rechts­ geschäftslehre. Wie erwähnt, ist ja nach der Vertrauenstheorie gerade bei Fehlen eines tatsächlich vorhandenen einschlägigen Geschäftswillens des Erklärenden entscheidend, auf welche normative Bedeutung einer bestimmten Willenserklärung der konkrete Erklärungsempfänger redlicherweise vertrauen durfte und vertraut hat. Ein derartiges Vertrauen auf das Vorliegen eines tatsächlich auf den Abschluss eines Rechtsgeschäftes gerichteten Geschäftswillens kann sich nun aber schlechterdings nicht bilden, wenn derjenige, der eine bestimmte angebotene Leistung bloß tatsächlich beansprucht, spätestens gleichzeitig mit dem Zugang403 jener (konkludenten) Willenserklärung, als die sein Verhalten grundsätzlich durchaus gedeutet werden könnte404, dem Offerenten hinreichend deutlich vor Augen führt, dass speziell er – warum auch immer – den Abschluss eines Vertrages über die angebotene Leistung ablehnt.405 Dieser Befund kann richtigerweise auch durch einen Hinweis auf § 915, 2. Fall nicht erschüttert werden406: Nicht nur, dass diese Unklarheitenregel richtiger Ansicht nach bezüglich der Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, grundsätzlich nicht anwendbar ist407, fehlt es bei Vorliegen einer (zeitgerechten) Protestation gerade an jeglicher Unklarheit: Der Protes403  Zur generellen Relevanz dieses Zeitpunktes für die Auslegung des Inhalts von Willenserklärungen siehe noch unten Rz 150, 157; zur systemkonformen, dh mit den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre durchaus im Einklang stehenden, Lösung zahlreicher Protestationsfälle durch Berücksichtigung des Zeitmomentes vgl schon Riezler, Venire contra factum proprium (1912) 119 („was sich aus der Rechtslogik schon ohnehin ergibt, dass man sich einer Verpflichtung, die man durch ein sonstiges, regelmäßig concludentes Verhalten ……. auf sich genommen hat, nicht einseitig durch Erklärung wieder entledigen kann“). Im Detail nicht präzise genug beachtet werden dürfte die Relevanz des Zugangszeitpunktes allerdings von Wenusch, Protestatio facto contraria non valet? ZVR 2005, 112 ff, wenn er für den – für das Problem der „protestatio facto contraria“ geradezu paradigmatischen (vgl schon BGHZ 21, 319) – „Parkplatzfall“ ausschließlich auf das Befahren des Parkplatzes abstellen möchte. Zutreffende Differenzierung in der Zugangsfrage aber etwa bei Stefula, Zivilrechtliche Fragen des Schwarzfahrens, ÖJZ 2002, 826 ff (833 ff). 404  Dazu näher die Kommentierung zu § 863 in der 3. Auflage des Kommentars. 405  Grundlegend F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 94 ff. Ebenso die heute wohl hL: siehe etwa Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 25; Apathy/Riedler in Schwimann3 IV § 861 Rz 11; Koziol/Welser13 I 140 und Bollenberger in KBB3 § 863 Rz 13; aA jedoch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 82 f und neuerdings Wenusch, Protestatio facto contraria non valet? ZVR 2005, 112 ff; zumindest skeptisch Mayer-Maly, ÖJZ 1969, 414 ff (415) (Buchbesprechung von F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes). Aus der Rsp vgl etwa OGH 9 ObA 61/94, ecolex 1994, 635. Zum Meinungsstand in Deutschland siehe etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 58 f; für das Schweizer Recht vgl zB Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 46. 406  So aber Ostheim, Eine Wende in der Rechtsprechung zur Auslegung des Gesellschaftsvertrages und zur Abberufung von Gesellschafter-Geschäftsführern bei der GmbH, GesRZ 1975, 44 ff (46, FN 10) und nunmehr wieder – freilich ohne Bezugnahme auf Ostheim – Wenusch, Protestatio facto contraria non valet? ZVR 2005, 112 ff. 407  Vgl Rz § 915 Rz 9.

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Einzelne Auslegungskriterien und -maximen

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tierende will sich rechtsgeschäftlich eben eindeutig nicht binden, sodass die durch sein Verhalten ausgelösten Rechtsfolgen nach den Grundsätzen des Schadenersatz- und des Bereicherungsrechts zu bestimmen sind408 bzw bei Versuchen zur Umgehung zwingenden Rechts durch eine Protestation dieses – so nicht ohnedies ein bloßes Scheingeschäft vorliegen sollte409 – kraft seines Anwendungswillens (zumindest analog) zur Anwendung zu bringen ist.410

IX. Einzelne Auslegungskriterien und -maximen 1. Wortlaut a) Zur Bedeutung des Wortlautargumentes für die Auslegung im Allgemeinen Innerhalb der Auslegungskriterien und -maximen, die zur Ermittlung der 138 für ein bestimmtes Rechtsgeschäft in einer bestimmten Frage bzw in einer bestimmten Situation maßgeblichen Rechtsfolgen411 grundsätzlich zum Einsatz gelangen können, wurde und wird dem Wortlaut der Vertragserklärung viel­ fach eine besondere Bedeutung zugemessen. Ob und wenn ja, in welchem Umfang, eine besondere Bedeutung des Wort- 139 lautargumentes im Rahmen der praktischen Rechtsanwendung tatsächlich anzuerkennen ist, lässt sich jedoch keineswegs generell, dh etwa unter bloßer Bezugnahme auf allgemeine heuristische Grundsätze beantworten, sondern kann nur durch eine eingehende Analyse der für die Vertragsauslegung fundamentalen Wertentscheidungen einer ganz bestimmten Rechtsordnung beurteilt werden.412 Vor diesem Hintergrund wäre es nun speziell für den Bereich des ABGB 140 völlig verfehlt, entsprechend Dig. 32, 25, 1413 bzw der Parömie „in claris non fit interpretatio“ einen absoluten Vorrang des Wortlautkriteriums für den Auslegungsprozess dahingehend anzuerkennen, dass bei einem „genügend deutlichen“ Vertragstext kein Raum für eine Vertragsauslegung oder eine Ver-

408  Zu diesen im Detail etwa am Beispiel der „Schwarzfahrt“ in öffentlichen Verkehrsmitteln Stefula, Zivilrechtliche Fragen des Schwarzfahrens, ÖJZ 2002, 826 ff (837 ff). Vgl auch OGH 9 ObA 61/94, ecolex 1994, 635. 409  IdS schon zutr Mayer-Maly, ÖJZ 1969, 414 ff (415) (Buchbesprechung von F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes); so nunmehr auch Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 25. 410  IdS schon zutr F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967) 28; so nunmehr auch Rummel in Rummel3 I § 863 Rz 8. 411  Zum solcherart letztlich zu charakterisierenden Phänomen der Auslegung (iwS) siehe oben 83 ff. 412  Freilich lassen sich rechtsgeschichtlich und rechtsvergleichend durchaus gewisse Entwicklungstendenzen in dieser Frage nachweisen, die man – cum grano salis – dahingehend charakterisieren könnte, dass der Stellenwert, den eine bestimmte Rechtsordnung dem Wortlautkriterium in der Auslegungsfrage zubilligt, in indirekt proportionalem Verhältnis zum Entwicklungsgrad dieser Rechtsordnung steht. 413  „Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio“.

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tragsergänzung mehr sei.414 Dies sollte, einmal abgesehen von der ohnedies bereits deutlich auf das Verbot einer bloßen Wortinterpretation hindeutenden Fassung von § 914415, schon aufgrund der unstrittigen Relevanz des „falsa demonstratio“-Prinzips416 und der Vertrauenstheorie417 im österreichischen Privatrecht keiner besonderen Begründung bedürfen. Nicht zuletzt wurde ja auch der – zT einen anderen Eindruck erweckende – § 887 ganz bewusst durch die III. TN zum ABGB aufgehoben.418 Unzutreffend wäre es aber auch, dem Wortlautkriterium einen bloß 141 relativen Vorrang im Rahmen des Auslegungsprozesses zuzubilligen, etwa dahingehend, dass die Erforschung des Parteiwillens als das „schärfere“ Mittel erst dann Platz greifen dürfe, wenn das „mildere“ Mittel der Beachtung des buchstäblichen Sinnes nicht mehr zum Ziel führe.419 Auch eine derartige These lässt sich nämlich mit jener, wie im Folgenden zu zeigen ist, durchaus bescheidenen Stellung, die dem Wortlautkriterium im Rahmen des österreichischen Rechts für die Auslegung zukommt, nicht in Einklang bringen. Richtigerweise kann im österreichischen Recht dem Wortlautargument 142 nämlich lediglich insoweit eine besondere Stellung im Rahmen des Auslegungsprozesses zugebilligt werden, als einer primären Berücksichtigung dieses Argumentes naturgemäß zunächst eine gewisse erkenntnisökonomische Funktion zukommt.420 Damit ist freilich über die dem österreichischen Recht angemessene normative Behandlung dieses Argumentes im Rahmen des Auslegungsprozesses, va über dessen allfälligen Vor- bzw Nachrang gegenüber anderen Auslegungskriterien und -maximen421, noch überhaupt nichts ausgesagt. Analysiert man in weiterer Folge, welche normative Behandlung des Wort143 lautargumentes den Vorgaben des positiven Rechts tatsächlich entspricht, so erhellt, dass dem Wortlaut der Vertragserklärung bloß im Hinblick auf das prozessuale Beweisverfahren im Streitfall eine gewisse bevorzugte Stellung 414  IdS aber in der Tat OGH 3 Ob 632/76, JBl 1978, 426 und 3 Ob 2135/96h, ecolex 1998, 407 (Reich-Rohrwig) sowie LGZ Wien 41 R 605/85, MietSlg 37.074. Zutreffend aber demgegenüber etwa OGH 1 Ob 3/91, EFSlg 69.039: Der buchstäbliche Sinn des Ausdrucks wird unmaßgeblich, wenn er die Absicht der Parteien unrichtig wiedergibt. Ähnlich zutreffend auch OGH 9 ObA 6/87, JBl 1988, 257; 1 Ob 682/89, wbl 1990, 149; 4 Ob 618/89, ÖBA 1990, 558 uva: Einem vom objektiven Erklärungswert abweichenden, übereinstimmend erklärten Parteiwillen kommt Vorrang zu. Auf den Punkt gebracht wurde die dem ABGB in diesem Punkt entsprechende Auffassung aber auch bereits von OGH 2 Ob 159, EvBl 1960/3: § 914 richtet sich gegen die Buchstabeninterpretation. 415  Arg „…ist nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften…“. 416  Zum Vorrang des vom Wortlaut der Erklärung abweichenden übereinstimmenden Geschäftswillens der Parteien siehe bereits oben 131 ff. 417  Zu dieser sowie zur aus ihr abzuleitenden Deutungsdiligenz des Erklärungsempfängers, die es ihm verbietet, bloß auf den Wortlaut der Erklärung Rücksicht zu nehmen, siehe bereits oben Rz 131. 418  Zu den diesbezüglich maßgeblichen Erwägungen siehe etwa die EB RV zur III. TN zum ABGB (2 BlgHH, 21. Session 120). 419  So aber Gschnitzer in Klang2 IV/1, 411 (zutreffender aber ders aaO 404 f) und ihm folgend OGH 1 Ob 216/70, JBl 1971, 429; 7 Ob 554/76, MietSlg 28.162; 6 Ob 665/78, MietSlg 30.125; 7 Ob 522/87, SZ 60/42 ua. 420  Mit dieser korrespondiert, dass die stRsp betont, dass „die wörtliche Auslegung am Anfang des Interpretationsvorganges steht“ (vgl etwa OGH 6 Ob 148/03p, EvBl 2004/46). 421  Dazu noch eingehend unten Rz 213 ff.

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zukommen dürfte; diese dann freilich gleich in mehrfacher Hinsicht. So kann erstens nicht verkannt werden, dass dem zweifelsfrei nachweisbaren Wortlaut des Rechtsgeschäftes eine ganz erhebliche Beweiskraft für den tatsächlichen Geschäftswillen der Kontrahenten zukommt422, weshalb der entsprechende Gegenbeweis, dass nämlich der übereinstimmende Geschäftswille vom Wortlaut des Rechtsgeschäftes abweicht (also etwa eine falsa demonstratio vorliegt), oftmals nicht eben leicht zu führen sein wird.423 Zweitens kommt dem zweifelsfrei nachweisbaren Wortlaut des Rechtsgeschäftes auch bei unstrittig divergierendem tatsächlichem Geschäftswillen der Parteien dann erhebliche Bedeutung für das prozessuale Beweisverfahren zu, wenn es gilt, zur Vermeidung von Dissens einen zumindest normativen Konsens festzustellen.424 Denn demjenigen, der sein Verständnis vom Inhalt des Geschäftes auf dessen Wortlaut stützen kann, wird es auch oft erheblich leichter fallen, Beweis für sein – iSv § 914 dann ja grundsätzlich schutzwürdiges – Vertrauen auf einen derartigen Inhalt der fraglichen Willenserklärungen zu führen425, als seinem Gegenüber, den Gegenbeweis dafür zu erbringen, dass es dem auf den Wortlaut Vertrauenden im Rahmen der ihn treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit426 sehr wohl oblägen wäre, aufgrund von außerhalb des Wortlautes angesiedelten besonderen Umständen des Einzelfalles von einem anderen Inhalt der Willenserklärung auszugehen als jenem, der sich aus der Berücksichtigung bloß des Wortlautes erschließt.427 Und drittens schließlich wird eine Verankerung bestimmter Umstände auch im Wortlaut des Rechtsgeschäftes den Beweis dafür erheblich erleichtern, dass diese Umstände nach den Vorstellungen beider Parteien tatsächlich zum Geschäftsinhalt werden und nicht etwa bloß in die Risikosphäre einer Partei fallen sollten (was dann vor allem im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit einer richterlichen Intervention in das vertraglich explizit festgelegte Pflichtenprogramm von Bedeutung sein kann428). 422  Vgl ja bereits die legendäre Feststellung Savignys, wonach „die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung nicht etwas Zufälliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis ist“. 423  Deutlich in diese Richtung etwa auch jene Judikaturketten, die ausführen, dass die Beweislast (und – nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen selbstverständlich – auch die Behauptungslast) für einen vom Wortlaut des Vertrages abweichenden Parteiwillen derjenige trägt, der hieraus Ansprüche ableitet (idS etwa OGH 9 Ob 171/98g, MietSlg 50.090; 7 Ob 116/98d, MietSlg 50.092; 14 Ob 195/86, RdW 1987, 205), oder dass der schriftliche Gehalt der Willenserklärung dann für die Auslegung maßgeblich ist, wenn eine abweichende übereinstimmende Parteienabsicht nicht als erwiesen angenommen werden kann (vgl etwa OGH 3 Ob 2/98k, EFSlg 90.058). 424  Zum Vorrang eines allenfalls feststellbaren normativen Konsenses vor der Annahme von Dissens siehe schon oben Rz 45. 425  Dazu grundlegend oben Rz 129 ff. 426  Zu dieser grundlegend oben Rz 131. 427  Praktisch kommt es freilich immer wieder vor, dass dieser Gegenbeweis sehr wohl erbracht werden kann, zB dann, wenn aufgrund der konkreten Umstände der Erklärungsabgabe (vgl dazu etwa die vom OGH 9 Ob 515/95, wobl 1997, 48 [Niederberger] und vom OLG Wien 3 R 7/98s, wobl 2001, 95 [Vonkilch] zu beurteilenden Sachverhalte) oder aufgrund offensichtlicher Sprachunkundigkeit des Erklärenden (dazu speziell im Zusammenhang mit der Einbeziehung von AGB eingehend OGH 1 Ob 30/04z, JBl 2004, 716) der Erklärungsempfänger auf das wortlautgemäße Verständnis einer (womöglich gar noch von ihm vorformulierten!) Willenserklärung tatsächlich nicht vertrauen durfte. 428  Zu dieser oben Rz 124 ff.

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In materieller Hinsicht, dh speziell im Hinblick auf die Rangordnung der Auslegungskriterien429, lässt sich für den Bereich des ABGB demgegenüber überhaupt keine herausragende Stellung des Wortlautargumentes ausmachen. Im Gegenteil: Sowohl die – bereits erwähnte – unbestrittene Gültigkeit des falsa demonstratio-Prinzips als auch die praktischen Konsequenzen der Vertrauenstheorie (samt der aus ihr abzuleitenden Deutungsdiligenzobliegenheit des Erklärungsempfängers), aber auch das – richtigerweise als beträchtlich einzuschätzende – Gewicht des konsentierten Vertragszwecks430 weisen dem bloßen Wortlaut einer Willenserklärung eine durchaus untergeordnete Bedeutung für das tatsächlich als normativ relevant anzusehende Auslegungsergebnis zu. b) Ermittlung der konkreten Bedeutung des Wortlautes einer Willenserklärung; Relevanz von bestimmten Sprachgebräuchen und Erklärungssitten

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Ähnlich wie die Frage nach der grundsätzlichen Stellung des Wortlautargumentes im Rahmen der Auslegung ist auch die Frage danach zu beantworten, welche Bedeutung einem bestimmten Sprachgebrauch bzw einer be­ stimmten Erklärungssitte431 im Rahmen der Auslegung für die Beseitigung von Zweifelsfragen im Vagheitsbereich von Begriffen und semantischen Gebilden zukommt. Auch deren Bedeutung ist nämlich – von allgemeinen erkenntnisökonomischen Überlegungen einmal abgesehen432 – in normativer Hinsicht vor allem im Zusammenhang mit prozessualen Beweisfragen zu sehen. Sollten nämlich die Vertragsteile keinem speziellen Verkehrskreis angehö146 ren, so wird es erheblich leichter sein zu beweisen, dass sie ihren gemeinsamen Geschäftswillen im Sinne des allgemeinen433 Sprachgebrauches der verwen429 

Dazu grundlegend noch unten Rz 213 ff. Näheres unten in Rz 175 ff. 431  Zu diesem Begriff grundlegend Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 78 ff. 432  Hier gilt mutatis mutandis Gleiches wie für die Bedeutung der Wortlautinterpretation. Denn es fördert gleichermaßen die Erkenntnisökonomie, wenn man den Interpretationsprozess bei der gewöhnlichen Bedeutung des Wortsinns seinen Anfang nehmen lässt (idS etwa OGH 8 Ob 643/91, ÖBA 1992, 743 [Apathy]; 7 Ob 508/92, ÖBA 1992, 745; 1 Ob 2385/96h, ÖBA 1997, 826; 2 Ob 585/95, ÖBA 1997, 1016; 2 Ob 36/98b, MietSlg 50.086). 433  Wobei diesen „allgemeinen“ Sprachgebrauch bei Fachausdrücken mit klar umrissenem Bedeutungsgehalt richtigerweise wohl jener Sprachgebrauch darstellt, in dem diese Fachausdrücke von den diesbezüglich Kundigen eben üblicherweise verwendet werden (rechtsvergleichend vgl zu diesem Problem, das sich auch und gerade bei juristischen Fachausdrücken in praxi immer wieder stellt, zB Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 45 ff und Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 22 ff; besonders zur Auslegung von juristischen Fachausdrücken siehe allgemein Dreher, Die Auslegung von Rechtsbegriffen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, AcP 189 [1989] 342 ff sowie – speziell für die ARB – Winter, Festumrissene Rechtsbegriffe in den ARB, r+s 1991, 397 ff und – für AVB ganz allgemein – Rath, Rechtsfragen bei Verwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen [2007] 104 ff). Sollte allerdings einer der Vertragsteile mit diesem Bedeutungsgehalt offensichtlich nicht vertraut sein, so wird es ihm im Einzelfall durchaus möglich sein nachzuweisen, dass der Erklärungs430 

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deten Begriffe gebildet haben, als zu beweisen, dass ihrem übereinstimmenden Geschäftswillen ein von diesem abweichendes, ganz spezielles Begriffsverständnis entsprochen hat.434 Mutatis mutandis Gleiches gilt für den Fall, dass beide handelnden Akteure Angehörige eines – sachlich, örtlich oder persönlich – speziellen Verkehrskreises mit einem ganz bestimmten (und dann eben grundsätzlich vorrangig maßgeblichen) Sprachgebrauch sind bzw im konkreten Fall von der Relevanz ganz bestimmter (dann eben vorrangiger) Erklärungssitten auszugehen ist. 435 Aber auch bei einem bezüglich der Bedeutung bestimmter Begriffe bzw 147 semantischer Gebilde tatsächlich divergierenden Geschäftswillen der Kontrahenten führt der Einklang mit dem im konkreten Fall grundsätzlich als maßgeblich zu vermutenden (allgemeinen oder speziellen) Sprachgebrauch bzw mit im konkreten Fall grundsätzlich als einschlägig anzusehenden Erklärungssitten zu einer erheblichen Verbesserung der Beweislage, zB im Hinblick auf die Ermittlung eines bloß normativen Konsenses.436 Denn dann liegt es ja am anderen Vertragsteil nachzuweisen, dass und warum im konkreten Fall der Erklärungsempfänger nicht auf ein derartiges Begriffsverständnis vertrauen durfte437 bzw gar nicht vertraut hat.438 Eine materiell herausragende Stellung bestimmter Sprachgebräuche 148 bzw Erklärungssitten, dh ihre vorrangige materielle Relevanz für die Ermittlung des Auslegungsergebnisses, ist indes für den Bereich des ABGB nicht anzuerkennen. Hier gilt vielmehr Vergleichbares wie für das Wortlautargument als solches. Sollte also etwa ein vom grundsätzlich als maßgeblich zu empfänger dann im konkreten Fall auf das übliche Verständnis der verwendeten Fachausdrücke gerade nicht vertrauen durfte (zu pauschal daher etwa Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte [1972] 80, wo ausgeführt wird, dass derjenige, der sich einer bestimmten Handelsklausel bedient, stets auch in zurechenbarer Weise im anderen Teil die Vorstellung erweckt, dass er die Klausel im Sinn des Üblichen gemeint habe). 434  Deutlich in diese Richtung etwa auch die Rsp, wenn sie ausführt, dass bei einem aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauches nicht zweifelhaften objektiven Erklärungswert einer Vereinbarung derjenige die Umstände für ein abweichendes Verständnis behaupten und beweisen muss, der sich auf dieses berufen möchte (vgl etwa OGH 5 Ob 566/78, MietSlg XXX/19; 6 Ob 665/78, MietSlg 30.125; 7 Ob 662/87, MietSlg 39.067; 7 Ob 116/98d, MietSlg 50.092; 2 Ob 223/97a, ecolex 1997, 925; 4 Ob 154/01b, ecolex 2002/138 [Reich-Rohrwig]). 435  Zum Vorrang des speziellen vor dem allgemeinen Sprachgebrauch in diesen Fällen siehe etwa BGH in NJW-RR 1994, 1108; NJW-RR 1995, 364 und NJW 1996, 1209. 436  Symptomatisch idS etwa der von OGH 4 Ob 154/01b, ecolex 2002/138 (Reich-Rohrwig) zu beurteilende Sachverhalt. 437  Und zwar speziell aufgrund einer Verletzung der ihn treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit (oben Rz 131). 438  Auch wenn der Erklärungsempfänger gar nicht auf den nach allgemeinem Sprachgebrauch zu vermutenden Erklärungsinhalt vertraut hat, so ist jedenfalls dann, wenn auch der Erklärende von einem anderen (dritten, dh gerade nicht jenem des Erklärungsempfängers, da sonst falsa demonstratio vorliegt) Verständnis des Begriffes ausgegangen ist, Dissens anzunehmen: vgl Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 18 f (mit Berufung auf F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes [1967] 10 ff, 36 ff). Nicht präzise genug Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 7, wonach Erklärungssitten bei Nichtfeststellbarkeit der Parteienabsicht schon deswegen relevant sind, weil sie angeben, wie der Empfänger die Erklärung verstehen durfte. Zu fordern ist richtigerweise nämlich, dass er in diesem Sinne auch vertraut hat.

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vermutenden Sprachgebrauch abweichender natürlicher Konsens der Parteien über die Bedeutung bestimmter Begriffe nachgewiesen werden können, so setzt sich dieser als relevantes Auslegungsergebnis ebenso durch wie ein normativer Konsens, von dessen Zustandekommen zB deswegen ausgegangen werden muss, weil ein Kontrahent den – vom an sich nahe liegenden Sprachgebrauch abweichenden – tatsächlichen Geschäftswillen seines Gegenübers kannte bzw zumindest kennen musste439 und dessen ungeachtet vorbehaltslos den Vertrag abgeschlossen hat; zB in der Annahme, es würde dann der nach dem prima vista zu vermutenden Sprachgebrauch relevante Bedeutungsgehalt zum Vertragsinhalt. Und auch der Beachtung von beidseits konsentierten spezifischen Vertragszwecken, die die Deutung von bestimmten Begriffen abweichend vom in concreto als grundsätzlich maßgeblich einzuschätzenden (allgemeinen oder besonderen) Sprachgebrauch gebieten, wird man im Rahmen der Auslegung in aller Regel Vorrang vor einer formalen Berufung auf diesen Sprachgebrauch einräumen müssen. Spezielle Probleme werden schließlich dann aufgeworfen, wenn die Ver­ 149 tragsteile – sachlich, örtlich oder persönlich – unterschiedlichen Verkehrs­ kreisen mit abweichendem Sprachgebrauch bzw divergierenden Erklärungssitten angehören.440 Der Schlüssel zur zutreffenden Lösung dieser Probleme ist wohl – so kein (dann selbstverständlich vorrangig maßgeblicher) natürlicher Konsens der Parteien über die Wahl einer bestimmten Verkehrssitte vorliegt441 – untrennbar mit der – immer nur im Einzelfall bzw für bestimmte typische Fallgruppen möglichen – Beantwortung der Frage verbunden, in welchem Umfang die einen Erklärungsempfänger schon nach allgemeinen Grundsätzen treffende Deutungsdiligenzobliegenheit442 uU auch die Obliegenheit beinhaltet, sich um die Erfassung des spezifischen Begriffsverständnisses zu bemühen, das der Erklärende seiner Erklärung tatsächlich zugrunde gelegt hat.443 Derartiges wird man wohl vor allem einem Verbraucher im Verhältnis zu einem Unternehmer – und zwar im Zusammenhang mit der Verwendung von AGB durch den Unternehmer nicht zuletzt auch aufgrund der in § 6 Abs 3 KSchG zum Ausdruck kommenden Wertung – in aller Regel nicht abverlangen können444, darüber hinaus aber dann durchaus zu bejahen haben, 439 

Und zwar im Rahmen der ihn treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit (oben Rz 131). Zu diesen eingehender etwa Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 78 f (mit reichen Nw zur einschlägigen älteren Literatur). Vgl auch Heiss in Kletečka/Schauer, ABGBON § 914 Rz 53 ff. 441  Zu den für dessen Zustandekommen relevanten Aspekten näher Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 57. 442  Zu dieser oben Rz 131. 443  Ähnlich etwa auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 300 ff. 444  Weshalb ein Unternehmer gegenüber einem Verbraucher in seinem vom allgemeinen Sprachgebrauch allenfalls abweichenden branchenspezifischen Verständnis vom Inhalt seiner Vertragserklärung in aller Regel nicht geschützt wird. Symptomatisch für derartige Konstellationen etwa der vom BGH in NJW 1992, 1446 zu beurteilende Sachverhalt (keine Obliegenheit des geschäftlich unerfahrenen Bürgen, die – vom allgemeinen Rechtsverständnis abweichende – Bedeutung spezifisch titulierter Sicherungsgeschäfte des Bank- und Außenhandelsverkehres zu erfassen). Vgl aber auch die – zumindest implizit erfolgte – Ablehnung besonderer Auslegungsobliegenheiten selbst eines unternehmerisch tätigen Bankkunden in OGH 9 Ob 139/00g, ÖBA 2001, 440 

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wenn das fragliche Rechtsgeschäft, sei es sachlich, örtlich oder persönlich, zu einem der in Frage kommenden Verkehrskreise die deutlich stärkere Bezie­ hung hat.445 Sollte also etwa ein Unternehmer einen Werbeagenturvertrag abschließen, so wird er sich ebenso um die korrekte Erfassung des in der Werbebranche üblichen Verständnisses der von seinem Vertragspartner verwendeten termini technici bemühen müssen446, wie sich ein sprachlich unsicherer Ausländer, der dessen ungeachtet Vertragsverhandlungen in der Landessprache führt, um ein korrektes Verständnis der Landessprache bemühen muss.447 Und auch derjenige, der in einer bestimmten Stadt eine Wohnung in einer bestimmten Lage innerhalb eines Gebäudes mieten möchte, wird dafür Sorge zu tragen haben, dass er die vor Ort gebräuchliche Bezeichnung korrekt erfasst bzw verwendet.448 Sollte freilich im Einzelfall dem Vertragspartner erkennbar sein, dass der Erklärende das aufgrund der sachlichen, örtlichen oder persönlichen Nähe des Vertrages zum Verkehrskreis des Erklärungsempfängers an sich gebotene Verständnis der Erklärung im Sinne dieses Verkehrskreises nicht aufbringt, er seinen Geschäftswillen vielmehr davon abweichend gebildet hat, so wird sich der Erklärungsempfänger aufgrund der Verletzung der ihn treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit nicht darauf berufen können, dass der Vertrag tatsächlich im Sinne eben dieses Verständnisses ausgelegt wird. Besonderes gilt schließlich auch dann, wenn das aufgrund der stärksten Beziehung des Rechtsverhältnisses zu einem bestimmten Verkehrskreis nahe liegende Erklä­ rungsverständnis für den Erklärungsempfänger ausschließlich vorteilhaft ist. Hier wird sich dieses Verständnis nämlich idR völlig unabhängig von einer Kenntnis bzw einem Kennenmüssen des Erklärungsempfängers durchsetzen. Denn dem wahren Willen des Erklärenden wird dieses Verständnis entsprechen und auf Seiten des Erklärungsempfängers ist in diesen Fällen kein Vertrauensschutz vonnöten.449

472 (Koch) („Diese [sc von der beklagten Bank begehrte] Auslegung mag dem Horizont eines geschulten Juristen oder Bankfachmannes entsprechen, doch ist sie mit den Auslegungsgrundsätzen der §§ 914 f nicht in Einklang zu bringen. Die Auslegung einer vertraglichen Erklärung ist vielmehr am [sc diesbezüglich „ungeschulten“] Empfängerhorizont zu messen…“). 445  Ähnlich auch Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 67; offenbar aA aber zB Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 313 und Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung (1972) 152 f, die auch in derartigen Fällen beide Teile für gleich schutzwürdig halten und daher zu Dissens gelangen dürften. 446  Vgl etwa den Sachverhalt von BGH in NJW-RR 1986, 1106. 447  Vgl dazu, zu den Grenzen einer Obliegenheit, sich über den Inhalt einer in einer fremden Sprache verfassten Vertragsurkunde kundig zu machen, sowie zur einschlägigen Bedeutung des Umstandes, in welcher Sprache die Vertragsverhandlungen geführt wurden, eingehend OGH 1 Ob 30/04z, JBl 2004, 716. 448  IdS ja das berühmte Lehrbuchbeispiel Hartmanns, Wort und Wille im Rechtsverkehr, JherJB 20 (1882) 1 ff (36), in dem ein Süddeutscher einem Norddeutschen eine Wohnung „im ersten Stock“ vermietet. 449  Ebenso Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 313. Zum – wertungsmäßig verwandten – Problem der Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte von AGB und AVB (nur!) zugunsten des Vertragspartners des Verwenders siehe unten Rz 330.

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2. Umstände der Erklärungsabgabe bzw des Vertragsabschlusses; Relevanz von Vertragsverhandlungen Erhebliche Bedeutung für die Auslegung wird auch den Umständen zu­ gemessen, unter denen eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung abgege­ ben bzw ein Vertrag abgeschlossen wurde.450, 451 Dieser Befund ist speziell für das österreichische Recht vor allem auf die 151 in § 914 grundgelegte Vertrauenstheorie im Allgemeinen sowie auf die – mit der Vertrauenstheorie ja untrennbar zusammenhängende – Deutungsdili­ genzobliegenheit des Erklärungsempfängers im Besonderen452 zurückzuführen. Denn gerade all jene Umstände, unter denen eine rechtsgeschäftliche Erklärung in concreto abgegeben bzw ein Vertrag in concreto abgeschlossen wurde, sind es ja, die den Erklärungsempfänger vielfach jene Rückschlüsse auf den wahren Geschäftswillen des Erklärenden ziehen lassen, die er – eben aufgrund der Vertrauenstheorie und der ihn treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit – dann auch ziehen muss, wenn er im Vertrauen auf sein Verständnis vom Inhalt der Erklärung auch tatsächlich als schutzwürdig angesehen werden will. Im Detail kommt den Umständen der Erklärungsabgabe zunächst einmal 152 die Bedeutung zu, jene Unklarheiten über den Inhalt einer Erklärung bzw eines Vertrages zu beseitigen, denen sich der Interpret uU auch nach einer Analyse des unmittelbar semantischen Teiles des Erklärungstatbestandes immer noch gegenüber sieht. Sollte also, um mit einem alten Lehrbuchbeispiel zu beginnen, bei einer 153 bloßen Wortlautinterpretation des Vertrages dessen Inhalt deshalb zweifelhaft sein, weil das Entgelt in einer Währung ausgedrückt ist, die (bzw deren Name) in mehreren Staaten gebräuchlich ist453, so wird jedenfalls dann, wenn kein übereinstimmender gegenteiliger Geschäftswille der Parteien feststellbar sein sollte, der Ort, an dem der konkrete Vertrag abgeschlossen wurde, für die Auslegung dieses Vertrages von entscheidender Bedeutung sein. Denn zumindest in aller Regel wird ja derjenige in seinem Verständnis des Vertrages zu schüt­zen sein, der sich im Einklang mit dem Verständnis befindet, das am Ort des Vertragsabschlusses als maßgeblich anzusehen ist, durfte er doch die Erklärung seines Gegenübers grundsätzlich ebenfalls in diesem Sinn verstehen.454 150

450  Vgl bloß Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 310 ff (mit umfassender Aufzählung der in Frage kommenden Umstände aaO 312). 451  Von jenen Umständen, die der Erklärungsabgabe bzw dem Vertragsabschluss vorausgehen bzw diese begleiten, sind im Zusammenhang mit der Ermittlung des Inhalts der Erklärung bzw des Vertrages freilich jene Umstände deutlich zu unterscheiden, die diesen Zeitpunkten nachfolgen. Der Grund hierfür ist darin zu erblicken, dass nachträglich (genauer: nach Zugang der Erklärung) zu Tage tretende Umstände vom Erklärungsempfänger im Rahmen der ihn bezüglich der Ermittlung des Erklärungsinhaltes treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit (oben Rz 131) selbstverständlich weder berücksichtigt werden können noch berücksichtigt werden müssen. Damit soll freilich nicht bestritten werden, dass auch diesen nachträglichen Umständen im Rahmen des Auslegungsprozesses eine gewisse Bedeutung zukommen kann. Zu dieser Bedeutung siehe sogleich unten Rz 157 ff. 452  Grundlegend zu beidem ja schon oben Rz 129 ff. 453  Wie etwa – bis zur Einführung des Euro – „Francs“. 454  Zur hier zugleich angesprochenen Problematik regional unterschiedlicher Erklärungssitten siehe auch bereits oben Rz 149.

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Aber auch der „Vorgeschichte“ eines Vertrages, dh vor allem der zwi- 154 schen den Parteien im Vorfeld des Vertragsabschlusses erfolgten Kommunikation über den allgemeinen Zweck455 und den genauen Inhalt des Vertrages, wird vielfach Bedeutung für die Beseitigung der Zweifelsfragen zukommen, die durch eine Konsultation der Vertragsurkunde allein vom Vertragsinterpreten nicht befriedigend beantwortet werden können. So wird beispielsweise der – vorab konsentierte – Vertragszweck, dem Nutzungsberechtigten eine möglichst sichere Rechtsposition zu verschaffen, im Zweifel für die Begründung einer dinglichen (und nicht etwa bloß einer obligatorischen) Rechtsposition als Vertragsinhalt sprechen456, der Umstand, dass durch eine Interzession ein Haftrücklass substituiert werden sollte, eher auf eine Garantie als auf eine bloße Bürgschaft hindeuten457, der vorangegangene Streit über die Höhe der von einer Versicherung zu erbringenden Leistung es ausschließen, in der Einlösung eines Schecks über einen Teilbetrag die Zustimmung zu einem Abfindungsvergleich zu erblicken458, die Tatsache, dass eine bestimmte Vertragsklausel zwischen den Vertragsteilen zwar in contrahendo angesprochen, von einem der Vertragsteile aber vehement zurückgewiesen wurde, auch im allfälligen Vagheitsbereich sonstiger Vertragsbestimmungen deutlich gegen ein Verständnis des Vertrages im Sinn dieser Klausel sprechen459 und schließlich der Insolvenzbezug eines bestimmten Rechtsgeschäftes zumindest in aller Regel ebenso zur Annahme zwingen, dass der kontrahierende Masseverwal­ter gerade kein Eigengeschäft abschließen wollte460, wie der aus den Um­ ständen des Vertragsabschlusses sich ergebende Unternehmensbezug eines Rechtsgeschäftes gegen die Annahme eines Eigengeschäftes des Handelnden spricht.461 Die gebührende Berücksichtigung der einer Erklärung bzw einem Ver- 155 tragsabschluss vorangehenden bzw diese begleitenden Umstände kann freilich sogar zu einem Auslegungsergebnis führen, das zum Bedeutungsgehalt, der sich dem Interpreten bei einer bloßen Analyse des semantischen Teiles des Erklärungstatbestandes erschließen würde, in diametralem Widerspruch steht. Dies ist nun allerdings schon angesichts des § 914 unmittelbar zu entnehmenden Verbotes der bloßen Buchstabeninterpretation nicht weiter verwunderlich und dogmatisch schlicht damit zu erklären, dass unter bestimmten Umständen oder nach einem bestimmten Lauf der Vertragsverhandlungen der Erklärungsempfänger im Lichte der ihn treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit 455 

Zu dessen Bedeutung für die Vertragsauslegung siehe noch eingehend unten Rz 175 ff. IdS wurde etwa vom OGH 7 Ob 542/91, JBl 1991, 642 (Pfersmann) ein Auslegungsproblem entschieden. 457  Vgl zu einem derartigen Fall Dullinger/Rummel, ÖBA 1987, 503 (Entscheidungsanmerkung). 458  Zutr Iro, JBl 1982, 316 (Entscheidungsanmerkung). Bei der – in diesem Beispiel ja angesprochenen – Ermittlung des Inhalts von konkludenten Erklärungen bzw deren Auslegung kommt den Umständen des in Frage stehenden Verhaltens im Übrigen genau dieselbe Bedeutung wie bei ausdrücklichen Erklärungen und Verträgen zu: vgl Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 45. 459  Vgl zu einer derartigen Konstellation OGH 7 Ob 542/81, JBl 1982, 142. 460  Unzutreffend daher OGH 1 Ob 702/89, ÖBA 1990, 843 (abl P. Bydlinski). 461  IdS zuletzt wieder OGH 1 Ob 290/00d, SZ 74/112 mwN. 456 

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gerade nicht berechtigt ist darauf zu vertrauen, dass sich der tatsächliche Geschäftswille des Erklärenden mit dem semantischen Teil des von ihm gesetzten Erklärungstatbestandes im Einklang befindet. Praktisch relevant ist dieser Umstand vor allem bei allen Fällen des durchschauten, aber auch des dem Erklärungsempfänger bloß erkennbaren Erklärungsirrtums und bestimmt somit dessen zutreffende dogmatische Behandlung.462 Wer also zB bei seinem Gegenüber den Eindruck erweckt, dass dieser durch Unterfertigung eines ihm ausgehändigten Formulars bloß eine Wissenserklärung abgebe, darf selbst bei einer sprachlich eindeutig gehaltenen rechtsgeschäftlichen Willenserklärung, die in diesem Formular (womöglich gar noch an unscheinbarer Stelle) enthalten ist, nicht davon ausgehen, dass bei seinem Gegenüber tatsächlich ein auf deren Abgabe gerichteter Geschäftswille vorhanden ist.463 Und auch wer im Rahmen der Vertragsverhandlungen über ein Mietverhältnis den Mietinteressenten unmittelbar vor Vertragsunterzeichnung noch ausdrücklich zusagt, diese könnten das Bestandobjekt deshalb solange nutzen, wie sie wollen, weil ein Verkauf desselben grundsätzlich nicht in Frage käme, wird sich auf eine Klausel im Mietvertrag nicht berufen können, nach der das Mietverhältnis im Fall eines Verkaufes des Hauses erlischt.464 Freilich darf bei der Berücksichtigung der Umstände, die einem be­ 156 stimmten Vertragsabschluss vorausgegangen sind bzw diesen begleitet haben, dh speziell auch der diesem vorausgehenden Kommunikation zwischen den Vertragsteilen, im Rahmen von dessen Auslegung eine wichtige Ein­ schränkung nicht übersehen werden: Nicht alles, was den Parteien im Vorfeld des Vertragsabschlusses bekannt war bzw was zwischen ihnen an Informationen ausgetauscht wurde, ist auch als für die Ermittlung des Inhalts ihres Geschäftswillens relevant anzusehen.465 Durchaus denkbar ist ja etwa, dass diese Umstände bzw Informationen bloß jene Wertungsgrundlagen betrafen, auf denen die Vertragsteile ihren Geschäftswillen aufbauten, oder aber überhaupt nur Dinge zum Inhalt hatten, bei denen richtigerweise davon auszugehen ist, dass sie in die alleinige Risikosphäre eines der Vertragsteile fallen, bei der Ermittlung der konkreten Ausgestaltung des vertraglichen Pflichtenprogramms durch den Vertragsinterpreten daher unberücksichtigt bleiben müssen.466 Dies zu beurteilen (und damit die geschilderte Abgrenzung vorzunehmen), wird aber immer einer sorgfältigen Würdigung des Einzelfalles vorbehalten bleiben müssen (und kann getrost zu einer der anspruchsvollsten Aufgaben gezählt werden, denen sich der Vertragsinterpret gegenübersieht).

462  Und zwar im Sinn der Auslegung der Erklärung gemäß des wahren Geschäftswillens des Erklärenden, ohne dass es zu dessen Durchsetzung einer Irrtumsanfechtung bedürfte (ausführlich bereits oben Rz 49 ff). 463  Vgl dazu, wenngleich “mit umgekehrten Vorzeichen” (Beachtung der Umstände kann dazu führen, dass im Rahmen der Auslegung eine semantisch bloß als Wissenserklärung zu qualifizierende Erklärung tatsächlich als Willenserklärung zu behandeln ist), F. Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff, 126 ff (84). 464  So der vom OGH in der E 1 Ob 16/05t, EWr I/30/538 zu beurteilende Sachverhalt. 465  IdS etwa auch die Warnung Flumes, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 312 (FN 44). 466  Zu dieser Grenzziehung siehe auch schon oben Rz 63 f sowie noch unten Rz 183.

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3. Dem Vertragsabschluss nachfolgende Umstände; nachträgliche Vertragsinterpretation durch die Parteien Die Bedeutung der der Erklärungsabgabe bzw dem Vertragsabschluss nachfolgenden Umstände für die Auslegung der- bzw desselben stellt sich deutlich anders dar als jene der diesen vorangegangenen bzw der diese begleitenden Umstände. Dies folgt daraus, dass jene (im Unterschied zu diesen) vom Erklärungsempfänger im Rahmen der ihn bezüglich der Ermittlung des Erklärungsinhaltes treffenden Deutungsdiligenzobliegenheit naturgemäß überhaupt nicht berücksichtigt werden können, er daher auch für die Zukunft in dem Vertrauen vom Inhalt der Erklärung bzw des Vertrages zu schützen ist, das sich bis zum dafür maßgeblichen Zeitpunkt467 bilden durfte und auch tatsächlich gebildet hat.468 Diesen Schutz gilt es auch und gerade gegenüber Versuchen des anderen Vertragsteils zur einseitigen „Uminterpretation“ des Vertragsinhaltes post festum zu gewähren, wie sie sich etwa hinter nachträglichen „Bestätigungen“ (in Wahrheit: Abänderungen) des Vertragsinhaltes vielfach verbergen können.469 Dogmatisch ist die Gewährung dieses Schutzes auf der Basis des ABGB nicht schwer zu begründen, fehlt es in diesen Fällen doch in aller Regel sowohl an einem auf eine nachträgliche Vertragsänderung gerichteten tatsächlichen Geschäftswillen beider Vertragsteile als auch an einem schutzwürdigen Vertrauen des „änderungswilligen“ Vertragsteils darauf, dass in einem bestimmten Verhalten des anderen Vertragsteils, va dessen unterbliebener Reaktion auf die „fehlerhafte“ „Bestätigung“, eine (konkludente) Zustimmung zu einer Vertragsänderung zu erblicken ist.470 Durchaus anders stellen sich die Dinge freilich dann dar, wenn es nach Vertragsabschluss zu einer beidseitigen Interpretation des Vertragsinhal­ tes durch die Vertragsteile kommt. Denkbar ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass die Parteien eine derartige „authentische Interpretation“ der lex contractus mit eigenständigem Rechtsgeschäftswillen und dementsprechend mit konstitutiver Wirkung vornehmen.471 Dogmatisch wäre Derartiges – je nach sonstiger Lage der Dinge – 467 

Rz 50.

Ie der Zugang der fraglichen Erklärung; zutr idS etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133

468  Dies betont besonders auch Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 50 f und arbeitet zutreffend heraus, dass eben aufgrund dieses Umstandes das nachträgliche Parteiverhalten grundsätzlich nur im Rahmen der Ermittlung des natürlichen Konsenses Beachtung finden darf, nicht aber auch bei der Ermittlung des Inhalts eines bloß normativen Konsenses. 469  Zutreffend Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 22 ff. 470  Paradigmatisch für die damit angesprochenen Rechtsfragen ist das sog „Kaufmännische Bestätigungsschreiben“; grundlegend zu ihrer korrekten Beantwortung auf der Basis des ABGB F. Bydlinski, Zur Entmythologisierung des „kaufmännischen Bestätigungsschreibens“ im österreichischen Recht, in FS Flume (1978) 335 ff; vgl auch OGH 3 Ob 570/92, JBl 1993, 782 und 8 Ob 507/93, ecolex 1994, 316. Vgl zum Problem auch aus jüngerer Zeit K. Schmidt, Die Praxis zum sog. kaufmännischen Bestätigungsschreiben: ein Zankapfel der Vertragsrechtsdogmatik, in FS Honsell (2002) 99 ff. 471  Zu diesem Phänomen siehe bereits Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte3 (1911) 73 f; vgl auch Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 300 und OGH 1 Ob 201/98k, JBl 1999, 380.

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zumeist als Vergleich, Anerkenntnis, Schuldänderung oder Novation zu qualifizieren. Aber auch bei Fehlen eines derartigen Rechtsgeschäftswillens ist die – 161 dann als bloße Wissenserklärung zu qualifizierende – Selbstinterpretation des Vertrages durch die Parteien, wie sie, wenngleich konkludent, auch und gerade in der einvernehmlichen Art der Vertragsdurchführung erblickt werden kann, keineswegs völlig unbeachtlich.472 Zunächst wird einer derartigen (konkludenten) Wissenserklärung im Ein162 zelfall durchaus beträchtliche Indizwirkung für die Ermittlung des überein­ stimmenden tatsächlichen Geschäftswillens473 zukommen474; dies umso eher, als die fragliche Selbstinterpretation in engem zeitlichem oder sachlichem Zusammenhang mit der auszulegenden Erklärung oder gegen eigenes Interesse erfolgt.475 Denn es entspricht ja in der Tat der praktischen Lebenserfahrung, dass sich eine Partei nur dann mit einer bestimmten (und für sie im Vergleich zum Vertragstext uU auch sogar nachteiligen) Art der Vertragserfüllung zufrieden gibt, wenn sich diese mit ihrem tatsächlichen Verständnis vom Vertragsinhalt (und damit, zumindest im Haupt- und Regelfall, auch mit ihrem tatsächlichen Geschäftswillen) deckt. Aber auch wenn im Streitfall der Nachweis geführt werden sollte, dass die 163 anfangs einvernehmliche Vertragsabwicklung durch die Parteien im Widerspruch entweder zu ihrem tatsächlichen ursprünglichen Geschäftswillen oder aber zum Inhalt jenes normativen Konsenses, zu dem der Vertragsinterpret bei korrekter Vertragsauslegung gelangen muss, steht, ist noch keineswegs gesagt, dass die bisherige Abwicklungspraxis nunmehr völlig unbeachtlich sein muss. Denn mag die Annahme einer konkludenten Vertragsänderung in derartigen Fällen vielfach an den strengen Voraussetzungen des § 863 scheitern, so ist es im Einzelfall durchaus denkbar, unter Rekurs auf das Institut der „Erfüllungs­ wirkung“ von Wissenserklärungen zu weiterwirkenden Rechtsfolgen dieser bisherigen Abwicklungspraxis zu gelangen.476 472  Ausdrücklich für im Rahmen der Vertragsauslegung beachtlich erklärt wird Derartiges etwa in Art 1362 Abs 2 Codice Civile. 473  Der auch vom Wortlaut der Vertragsurkunde durchaus abweichen kann und der sich dann, wenn er denn vom Richter als erwiesen angenommen wird, schon nach dem Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ als relevantes Auslegungsergebnis durchsetzt, ohne dass es dazu der Annahme einer Vertragsänderung bedürfte (ungenau daher Kerschner, DRdA 1980, 321 [Entscheidungsanmerkung], wonach dann, wenn der Wortlaut des Vertrages mit dem nachträglichen faktischen Verhalten nicht mehr in Einklang zu bringen ist, Letzterem nicht mehr im Wege der Auslegung, sondern nur mehr im Rahmen einer [konkludenten] Vertragsänderung Rechnung getragen werden könne). 474  Vgl Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 312 (FN 44); auch der OGH hat diesen Umstand bereits mehrfach gewürdigt: vgl etwa OGH 1 Ob 592/82, SZ 55/54; 7 Ob 556/78, SZ 51/92; 1 Ob 201/98k, JBl 1999, 380 und 6 Ob 172/05w, JBl 2006, 658; aus der österr Literatur siehe va Kerschner, DRdA 1980, 321 (Entscheidungsanmerkung). Vgl auch Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 6. 475  Zutr idS Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 337. IdS auch OGH 1 Ob 201/98k, JBl 1999, 380. 476  Grundlegend dazu F. Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff, 126 ff; vgl auch Fenyves, Einkaufszentren, Privatautonomie und Vertrauensschutz, wobl 2006, 2 ff (10 ff); diesbezüglich skeptisch (und auf andere dogmatische Ansätze zur Begrün-

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4. Verhältnis zu anderen Vertragspunkten Ebenso wie bei der Gesetzesauslegung kommt auch bei der Vertragsausle- 164 gung dem systematischen Interpretationsargument, dh va auch der Berücksichtigung jenes Kontextes, in den eine bestimmte Vertragsklausel eingebettet ist, und ihres grammatikalisch-logischen Verhältnisses zu anderen Vertragspunkten, beachtliche Bedeutung zu. Dies wird seit langem so gesehen477, kann bei rechtsvergleichender Betrachtung als völlig gesichert gelten478 und wurde speziell vom ABGB in seiner Urfassung auch insofern deutlich zum Ausdruck gebracht, als ja in § 914 aF einerseits auf den – diesbezüglich eine relativ klare Sprache sprechenden479 – § 6 verwiesen und andererseits als Auslegungsziel noch ganz explizit formuliert wurde, dass der „zweifelhafte Vertrag keinen Widerspruch enthalten solle“.480 Seine teleologische Legitimation findet das Gebot zur systematischen 165 Vertragsauslegung im Wesentlichen darin, dass es schon einem Gebot der praktischen Vernunft entspricht anzunehmen, dass die Vertragsteile durch den Vertragsabschluss im Zweifel eine sinnvolle, in sich widerspruchsfreie normative Ordnung inter partes in Geltung setzen wollten481, und – vor allem – darin, dass jeder der beiden Vertragsteile zumindest im Zweifel auch berechtigt ist, darauf zu vertrauen, dass dem so ist. 482, 483 Im Detail lassen sich durchaus unterschiedliche Wirkungsweisen des 166 Gebotes zur systematischen Vertragsauslegung beobachten. Seinen Hauptanwendungsfall bilden wohl die Konstellationen, in denen zwar bei einer isolierten Betrachtung einer bestimmten Vertragsbestimmung noch Zweifel an deren genauem Inhalt verbleiben, sich dieser – va semantische – Vagheitsbereich dann aber durch eine Berücksichtigung auch von anderen Vertragspunkten, die mit dieser Bestimmung in sachlichem Zusammenhang stehen, beseitigen lässt. Sollte also etwa prima vista zweifelhaft sein, ob eine generalklauselartig gefasste Befugnis eines Vertragsteiles, den Vertrag vorzeitig aufzulösen, dung von Rechtsfolgen der bisherigen Vertragspraxis rekurrierend) aber etwa Kerschner, DRdA 1980, 321 (Entscheidungsanmerkung). 477  Vgl schon Dig. 1, 3, 24: „Incivile est nisi tota lege perspecta una aliqua particula eius proposita iudicare vel respondere”. 478  Auch in jenen Rechtsordnungen, in denen eine derartige Auslegungsregel nicht schon unmittelbar den jeweiligen Kodifikationen selbst zu entnehmen ist (wie etwa Art 1161 Code Civile und Art 1363 Codice Civile), rekurrieren Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung ganz zwanglos auf sie (vgl zum Meinungsstand in Dt etwa Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 7 und Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 47, zu jenem in der Schweiz zB Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 26). Zu diesem Auslegungsprinzip kritisch, jedoch nicht überzeugend äußerte sich aber Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 309. 479  Arg „… Bedeutung der Worte i n i h r e m Z u s a m m e n h a n g…“. 480  Zur historischen Entwicklung von § 914 siehe schon oben Rz 2. 481  So auch Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 47. 482  Vgl auch Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 6, wo das Gebot zur systematischen Vertragsauslegung aus Treu und Glauben abgeleitet wird. 483  Aus dem Umstand, dass all die genannten Gesichtspunkte nur im Zweifel als relevant anzusehen sind, resultiert zugleich auch eine gewisse Schwäche des systematischen Interpretationsargumentes im Rahmen der Rangprüfung der Auslegungskriterien, va auch gegenüber den speziellen Umständen des Vertragsabschlusses. Dazu eingehender noch unten Rz 213 ff.

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auch den Fall einer diesem Vertragsteil drohenden gravierenden Existenzverschlechterung erfasst, so lässt sich dies aufgrund systematischer Interpreta­ tionsgesichtspunkte dann doch verneinen, wenn die in weiterer Folge demon­ strativ aufgezählten Gründe für die Ausübung dieser Befugnis ausschließlich auf Vertragsverletzungen der Gegenseite Bezug nehmen und dieser für sämtliche Fälle der Ausübung dieser Befugnis die Pflicht zur weiteren Entgeltsleistung bis zum ursprünglich vereinbarten Vertragsende auferlegt wird. Aber auch der Vorrang der Individualabrede gegenüber abweichenden Bestimmungen in Vertragsformblättern und AGB484 sowie jener der spezielleren Regelung eines Vertrages vor einer allgemeiner gehaltenen, dh die Geltung der Regel „lex contractus specialis derogat legi contractus generali“485, finden ebenso wie der Grundsatz, dass einzelne Vertragsbestimmungen vom Interpreten im Zweifel nicht als gegenstands- oder funktionslos begriffen werden dürfen486, im Gebot nach systematischer Vertragsauslegung ihre Rechtfertigung. 487 An ihre Grenzen stößt die systematische Vertragsauslegung, von ihrer 167 spezifischen Schwäche im Vergleich zu anderen Auslegungskriterien einmal abgesehen488, aber etwa dann, wenn sie wegen der ihr oftmals eigenen gedanklichen Komplexität argumento e § 6 Abs 3 KSchG einem Verbraucher nicht mehr zugemutet werden darf. Aber auch dann, wenn sich ein Widerspruch zwischen verschiedenen Vertragspunkten in keine Richtung hin sinnvoll auflösen lässt, können nur andere Interpretationsgesichtspunkte, wie zB die besonderen Umstände des Vertragsabschlusses, oder – subsidiär – die Zweifelsregeln des § 915 helfen, um die Perplexität des Vertrages im vom Widerspruch tangierten Bereich zu vermeiden.

484 

Vgl dazu bloß OGH 3 Ob 620/53, SZ 26/264. praktische Anwendungsfälle für diese Regel können etwa der Vorrang der speziellen Zusicherung bestimmter Eigenschaften des Vertragsgegenstandes vor einem allgemein gehaltenen Gewährleistungsverzicht (vgl etwa OGH 8 Ob 7/10b, JBl 2011, 306 [P. Bydlinski] und RIS-Justiz RS0018523) sowie der Umstand gelten, dass im Rahmen der Auslegung der speziellen Ausgestaltung des vertraglichen Pflichtenprogramms Vorrang vor einer demgegenüber widersprüchlichen allgemeinen Vertragstypenqualifikation durch die Parteien einzuräumen ist (vgl dazu, aber auch zu den Grenzen der Irrelevanz der Vertragstypenqualifikation, anhand konkreter Beispiele Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13 ff [30]). 486  IdS etwa OGH 7 Ob 833/76, MietSlg 29.109. 487  Bei den im Text zuletzt genannten Auslegungsgrundsätzen fällt freilich bei näherer Reflexion auf, dass für ihre Richtigkeit auch die Relevanz der speziellen Umstände des Vertragsabschlusses (vgl oben Rz 150 ff) bzw – an diese anknüpfend – unmittelbar die Vertrauenstheorie (zu ihr ausführlich oben Rz 129 ff) ins Treffen geführt werden könnten. Dies ist freilich insofern wenig überraschend, als ja, wie oben (Rz 165) bereits ausgeführt, neben einer allgemeinen Plausibilitätserwägung auch und gerade die Vertrauenstheorie die teleologische Fundierung für das Gebot nach einer systematischen Vertragsauslegung bildet. Zudem lassen sich die im Text zuletzt genannten Fälle auch als Facetten des Gebotes zur Auslegung „in favorem negotii“ begreifen, das ja im Zweifel die Annahme von Auslegungsergebnissen verbietet, die zur Unwirksamkeit des Geschäftes als Ganzem oder zumindest einzelner Teile desselben führen würden (zu dieser Auslegungsmaxime siehe sogleich näher Rz 168 ff). 488  Ausführlich unten Rz 213 ff. 485  Als

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5. Auslegung „in favorem negotii“ Ebenfalls bereits eine lange Tradition hat der Grundsatz von der Ausle­ 168 gung „in favorem negotii“, wonach ein Rechtsgeschäft bzw Teile desselben im Zweifel so zu verstehen sind, dass sie von Wirksamkeit sind.489 Auf diesen Auslegungsgrundsatz nahmen und nehmen auch verstärkt gesetzliche Auslegungsregeln Bezug490; speziell dem ABGB war er bis zur III. TN in § 914 aF unmittelbar inhärent.491 Seine teleologische Rechtfertigung findet der Grundsatz von der Ausle- 169 gung „in favorem negotii“ – insofern durchaus ähnlich wie das Postulat nach systematischer Vertragsauslegung492 – einerseits in einem praktischen Erfahrungssatz und andererseits unmittelbar in der Vertrauenstheorie.493 Man wird nämlich schon zum einen nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgehen müssen, dass die Parteien im Zweifel eine wirksame lex contractus in Geltung setzen wollten494. Zum anderen wird auch jeder der Vertragsteile im Zweifel darauf vertrauen dürfen, dass das Gegenüber seine Zustimmung zu einem wirksamen Rechtsgeschäft (bzw zu wirksamen Teilen desselben) gegeben hat.495 Praktische Relevanz kommt dem Gebot der Auslegung „in favorem ne- 170 gotii“ zunächst dann zu, wenn – nach dem Ausschöpfen von vorrangig maßgeblichen Auslegungskriterien496 – zwei (oder mehrere) Bedeutungen vom Inhalt eines Rechtsgeschäftes (bzw von Teilen desselben) als potentielle Auslegungsergebnisse zur Diskussion stehen, aber nur einer dieser Bedeutungen auch tatsächlich Rechtswirksamkeit zukommen würde. Schon aufgrund des Gebotes zur Auslegung „in favorem negotii“ bzw – als bloßer Unterfall desselben – zur gesetzes- und sittenkonformen Auslegung497 ist es daher zutreffend, etwa vertraglich eingeräumte einseitige Preisanpassungsklauseln im Zweifel als bloß nach billigem Ermessen ausübbar zu verstehen, könnte doch ein schrankenloses Änderungsrecht eines Vertragsteiles in diesem Punkt getrost als sittenwidrig angesehen werden.498 489  Vgl bereits den Grundsatz des römischen Rechts: „Quotiens in actionibus aut in exceptionibus ambiqua oratio est, commodissimum est id accipi, quod res de qua agitur magis valeat quam pereat”. 490  Vgl etwa Art 1157 Code Civile und Art 1367 Codice Civile. 491  Dazu bereits oben Rz 2. 492  Zu diesem und seiner teleologischen Rechtfertigung siehe bereits oben 164 ff. 493  Kritisch zur teleologischen Rechtfertigung der Auslegung „in favorem negotii“ aber etwa Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910) 183 ff. 494  Warum hätten sie sonst kontrahiert? 495  Und nicht etwa insgeheim darauf spekuliert hat, dass sich dieses (bzw diese) post festum als unwirksam herausstellen. 496  Zur – durchaus ähnlich wie beim systematischen Interpretationsprinzip zu veranschlagenden – Stärke (bzw Schwäche) des Auslegungsgrundsatzes „in favorem negotii“ innerhalb des Kanons sämtlicher Vertragsauslegungskriterien siehe unten Rz 213 ff. 497  Zu dieser sogleich unten Rz 173 ff. 498  Grundlegend F. Bydlinski, Die Baukostenendabrechnung als Bestimmung der Leistung des einen Vertragsteils durch den anderen, JBl 1975, 245 ff (248); aus jüngerer Zeit vgl dazu zB Fenyves/Rubin, Vereinbarung von Preisänderungen bei Dauerschuldverhältnissen und KSchG,

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Darüber hinaus wird man den Auslegungsgrundsatz „in favorem negotii“ aber auch ganz allgemein als Aufforderung an den Vertragsinterpreten zu verstehen haben, bei prima vista unklaren, etwa weil von rechtlich nicht versierten Parteien abgeschlossenen Rechtsgeschäften nicht vorschnell auf völli­ ge Unbestimmtheit oder Perplexität derselben zu erkennen, sondern sich – va durch eingehende Erhebung all jener Umstände, die Rückschlüsse auf den Parteiwillen zulassen – zu bemühen, der von den Parteien ja offenkundig intendierten privatautonomen Rechtsgestaltung nach Möglichkeit zur Wirksamkeit zu verhelfen.499 Die Grenzen ihrer Relevanz findet die Auslegung „in favorem negotii“ 172 allerdings, ähnlich wie auch die systematische Vertragsauslegung, zum einen im Verbrauchergeschäft, wird es doch per se als Intransparenz des Vertragsinhaltes iSv § 6 Abs 3 KSchG einzuschätzen sein, wenn sich zB dem Verbraucher der eigentliche Vertragsinhalt erst dann erschließt, wenn er aus mehreren denkbaren Bedeutungsvarianten von Klauseln in Vertragsformblättern jene gedanklich ausgesondert und ausgeschlossen hat, die zu einer Unwirksamkeit dieser Klauseln führen würden. Die Dinge liegen hier ja kaum anders als bei der Frage nach der Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion.500 Zum anderen ist eine gewisse Vorsicht davor geboten, im Wege der Auslegung gleichsam um jeden Preis die Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes halten zu wollen. Denn sollte etwa bei einer unklar gefassten Vertragsurkunde der tatsächliche Geschäftswille beider Parteien zwar feststehen, sich dieser aber nicht rechtswirksam umsetzen lassen, so ist dies vom Interpreten zu respektieren und die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Deutung der unklaren Vertragsurkunde zu einem wirksamen Rechtsgeschäft führen würde. Ähnlich wie bei der Konversion501 gilt es nämlich auch hier, im Interesse der Wahrung der („negativen“) Privatautonomie der Parteien ihre Bindung an ein Rechtsgeschäft, das sie so nie gewollt hätten, grundsätzlich zu vermeiden. Die Berücksichtigung des Schutzzwecks jener Norm, zu der sich der tatsächliche Geschäftswille beider Vertragsteile in Widerspruch gesetzt hat, kann freilich im Einzelfall auch zu gegenteiligen Ergebnissen führen.502 6. Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung 173

Relativ knapp gehalten werden können die Ausführungen zum Postulat einer gesetzes- und sittenkonformen Auslegung.503 Da dieses Postulat bloß ÖBA 2004, 347 ff (349 f mwN; in weiterer Folge dann ua auch zu § 6 Abs 1 Z 5 KSchG als besonderen Schranke für die Vereinbarung derartiger Rechte im Verbrauchergeschäft). 499  Deutlich idS etwa OGH 1 Ob 633/85, HS 16.658. Auch vom BGH wird es nicht toleriert, wenn der Tatrichter vor Auslegungsschwierigkeiten allzu rasch kapituliert und sich auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes berufen möchte: vgl Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 10 mwN. 500  Vgl zu deren Unzulässigkeit im Verbrauchergeschäft aufgrund ihrer typischen Intransparenz bereits oben Rz 48 501  Zu verwandten Fragen bei dieser siehe oben Rz 36 ff. 502  Siehe zu alldem näher die Kommentierung von § 878 in der 3. Auflage des Kommentars. 503  Zu dieser Auslegungsmaxime umfassend etwa J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften (1983). Den im gegebenen Zusammen-

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einen (wenngleich praktisch wohl den bedeutsamsten) Unterfall der Interpre­ tation „in favorem negotii“ darstellt, lassen sich die zu dieser eben angestellten Überlegungen in vollem Umfang auch auf die gesetzes- und sittenkonforme Auslegung übertragen. Zu erwähnen ist allenfalls, dass gerade unter dem Titel einer gesetzes- bzw 174 sittenkonformen Auslegung eine etwas erhöhte Bereitschaft va der Judika­ tur bestehen dürfte, dem Ziel der Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäftes oder einzelner Teilen desselben andere, deutlich auf einen in der Tat gesetz- bzw sittenwidrigen Geschäftswillen der Parteien (bzw zumindest von einer von ihnen) hindeutende Auslegungskriterien über Gebühr unterzuordnen. Richtigerweise wäre aber bei doch relativ klar ermittelbarem, aber eben gesetz- oder sittenwidrigem Geschäftswillen die Beseitigung der durch die Betätigung dieses Geschäftswillens uU hervorgerufenen Rechtsfolgen durch die dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe, wie etwa der Inhaltskontrolle von AGB, im Vergleich zu einer entsprechenden „Auslegung“ des fraglichen Rechtsgeschäftes als methodenehrlicher zu bevorzugen.504 7. Vertrags- und Regelungszwecke Seit jeher wird verbreitet auch dem Zweck, der einem bestimmten Rechts­ 175 geschäft im Allgemeinen oder einer bestimmten Vertragsbestimmung im Besonderen zugrunde liegt, Bedeutung für die Auslegung iwS, dh für die Ermittlung der bei diesem Rechtsgeschäft in einer bestimmten Frage bzw in einer bestimmten Situation maßgeblichen Rechtsfolgen505, zugemessen. Freilich sind im internationalen rechtswissenschaftlichen Diskurs auch immer wieder Stimmen zu verzeichnen, die diesem Auslegungskriterium eher reserviert gegenüberstehen.506 Eine Ambivalenz der zum (Vertrags-)Zweck als Auslegungskriterium ein- 176 genommenen Positionen lässt sich denn auch für den Bereich des ABGB507 hang ebenfalls bisweilen genannten Prinzipien zur verfassungs- sowie zur richtlinienkonformen Interpretation (vgl etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 60) dürfte demgegenüber schon deswegen eine viel geringere praktische Bedeutung für die Vertragsauslegung zukommen, weil sowohl Verfassungsnormen als auch EU-Richtlinien nur in sehr beschränktem Umfang unmittelbare Wirkung inter privatos zukommt, deren Berücksichtigung also nur in seltenen Ausnahmefällen etwas zur Vermeidung der Unwirksamkeit von Verträgen oder einzelnen Vertragspunkten beiträgt. 504  Zu alledem näher etwa Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS F. Bydlinski (2002) 121 ff (141 ff). 505  Zum solcherart letztlich zu charakterisierenden Phänomen der „Auslegung“ (iwS) siehe oben Rz 83 ff. 506  Vgl bloß die konträren Positionen zur Bedeutung des Vertragszwecks für die Vertragsauslegung von Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff (738 f) einerseits und Medicus, Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlage, in FS Flume (1978) 629 ff (640 f) andererseits. Weitere Nachweise zum Meinungsstand finden sich etwa bei Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 397 ff und Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag (1997) 237 ff. 507  Rechtsvergleichend siehe zum Stellenwert, der dem Vertragszweck im Rahmen der Auslegung zugemessen wird, etwa zum deutschen Recht Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 52 ff

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feststellen: Während noch von Gschnitzer508 die – dann auch von der Rsp explizit übernommene509 – Parole ausgegeben wurde, dass „der Zweck des Vertrages über seinen Wortlaut zu triumphieren habe“, kritisiert eine jüngere monographische Arbeit zum Thema, dass der „Sinn“ und der „Zweck“ des Vertrages in Wahrheit bloße Fiktionen seien und daher deren Berücksichtigung im Rahmen des Auslegungsprozesses letztlich auf eine Scheinbegründung des erzielten Ergebnisses hinauslaufe.510 Begründet wird diese Kritik am (Vertrags-) Zweck als Auslegungskriterium va damit, dass die Parteien im Rahmen des Vertragsabschlusses Konsens bloß über den semantisch abgegrenzten Bereich der jeweiligen Willenserklärungen erzielen, wohingegen es jenseits dieses Bereiches nicht den einen (und als solchen auch konsentierten) (Vertrags-)Zweck gebe, sondern bloß die verschiedenen widerstreitenden Zwecke, die jeder Vertragsteil in contrahendo ganz für sich allein und ganz allein in seinem eigenen Interesse verfolge. In Wahrheit ist diese Kritik jedoch nicht geeignet, die – wie noch zu zei177 gen sein wird, vielfach sogar überaus gewichtige511 – Bedeutung des Zweckes eines Rechtsgeschäftes im Allgemeinen und von einzelnen Vertragsbestimmungen im Besonderen für den Auslegungsprozess in Zweifel zu ziehen. Sie dürfte nämlich auf einer – zumindest in dieser Allgemeinheit – unzutreffenden Prämisse aufbauen. Denn richtigerweise sollte nicht ernstlich in Frage gestellt werden, dass es sehr wohl möglich (und in praxi auch häufig zu beobachten) ist, dass sich die Parteien im Rahmen der rechtsgeschäftlichen Konsensbildung zwar bloß bestimmter semantischer Gebilde bedienen, dass diesen semantischen Gebilden aber nach dem beiderseitigen (und dann auch in den vertraglichen Konsens einfließenden) Geschäftswillen ganz bestimmte Zwecke zugrunde liegen sollten, die ungeachtet des Umstandes, dass ihr normativer Gehalt über den Wortlaut der Vertragserklärungen hinausgeht, als taugliche Grundlage für schutzwürdiges Vertrauen eines Vertragsteiles in den Umfang und die nähere Ausgestaltung des vertraglichen Pflichtenprogramms dienen können (und müssen).512 sowie aus dem Schweizer Recht Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 35 ff, beide mwN. 508  Und zwar im Rahmen der Kommentierung von § 914 durch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 405. 509  IdS etwa OGH 1 Ob 42/71, JBl 1971, 620; 1 Ob 658/78, EvBl 1979/112 uva. 510  So G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 251 ff. Ähnlich bereits zuvor Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 399 und Medicus, Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlage, in FS Flume (1978) 629 ff (641). 511  Vgl dazu unten Rz 213 ff. 512  Ausführlich zum Schutz der berechtigten Erwartungen des Gläubigers auf die Setzung jener Erfüllungshandlungen durch den Schuldner, die zur Erreichung des dem schuldnerischen Leistungsversprechen offenkundig zugrunde liegenden Zwecks unabdingbar erforderlich sind, als Konstituente für die Ausgestaltung des vertraglichen Pflichtenprogramms nunmehr Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag (1997) va 199 ff. Ähnliche Überlegungen finden sich interessanterweise auch bei G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) etwa 201 ff; mit dessen These, der vertragliche Konsens beschränke sich immer nur auf den semantisch abgegrenzten Bereich der unmittelbaren Willenserklärungen, lässt sich diese Berücksichtigung auch von darüber hinausgehenden Absichten und Erwartungshaltungen eines Vertragsteiles im Rahmen der Vertragsauslegung aber wohl nicht wirklich vereinbaren.

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Dieses Phänomen lässt sich, wie ein Blick auf die einschlägige Entschei- 178 dungspraxis des Höchstgerichtes exemplarisch deutlich macht, schon im Zusammenhang mit der Auslegung einzelner Vertragspunkte beobachten. Zu denken ist daran, dass einer bestimmten Ratenzahlungsvereinbarung ganz bewusst der Zweck einer Absicherung des Verkäufers mit einer wertgesicherten Rente zugrunde gelegt wurde513, dass die Parteien durch das vertragliche Abstellen auf die Anzahl der „Behandlungsstühle“ ganz offenkundig den Zweck der Vermeidung einer Erweiterung der bereits bestehenden Behandlungskapazitäten verfolgt haben514, dass die offensichtliche ratio einer bestimmten Ausnahme von jeglichem Recht zur einseitigen Mietzinsanhebung im Zweck der Ermöglichung von ausschließlich der Erhaltung des Gebäudes dienenden Finanzierungsbeiträgen des Mieters zu erblicken ist515 sowie schließlich, dass es offenkundig der Sinn und Zweck der Möglichkeit zur Ausstellung von Zusatzkreditkarten für Familienangehörige ist, dass diese dann in weiterer Folge im Rahmen des Kreditkartensystems möglichst selbständig agieren können.516 Aber auch die altbekannte Streifrage, in welchem Umfang ein vertraglich explizit vereinbarter Gewährleistungsausschluss auch die vertraglich nicht explizit bedachte Irrtumsanfechtung ausschließt, ist dogmatisch richtigerweise an der hier erörterten Stelle zu verorten, bildet doch den Dreh- und Angelpunkt zu ihrer zutreffenden Lösung die Ermittlung jenes Zwecks, den die Parteien mit dem Ausschluss der Gewährleistungsansprüche verfolgt haben.517, 518 Die Bedeutung teleologischer Vertragsauslegung beschränkt sich nun frei- 179 lich nicht bloß auf die isolierte Analyse einzelner Vertragspunkte und die Ermittlung der ihnen zugrunde liegenden Zwecke. Denn auch dem gesamten Rechtsgeschäft als solchem liegt, zumindest in aller Regel, nach dem übereinstimmenden Geschäftswillen beider Vertragsteile ein bestimmter Zweck zugrunde (seine „causa“), der dann – jedenfalls im Zweifel519 – die Richt513  Was dann nicht ohne Konsequenz für die Auslegung einer Terminsverlustvereinbarung bleiben kann (vgl OGH 1 Ob 658/78, EvBl 1979/112). 514  Sodass vor diesem Hintergrund kein ernsthafter Zweifel bestehen kann, dass darunter nicht auch veraltete und nicht installierte Behandlungsstühle zu verstehen sind (vgl OGH 6 Ob 579/87, JBl 1988, 38). 515  Weshalb dann ein Verzicht auf alle Mietzinserhöhungen außer jener der §§ 7 und 8 MG der Einhebung auch der – erst durch das MRG 1982 geschaffenen – Erhaltungsbeiträge nicht entgegensteht (vgl OGH 6 Ob 736/88, NRsp 1989/115; vgl zu dieser E auch schon bereits oben Rz 70). 516  Sodass es nicht gerechtfertigt erscheint, jene Klausel in den AGB von Kreditkartenunternehmen, wonach die (erstmalige) Ausstellung derartiger Zusatzkarten die Zustimmung des Karteninhabers voraussetzt, auch auf die Beantragung von Ersatzkarten, etwa wegen Diebstahls, zu erstrecken (idS OGH 7 Ob 41/01g, ecolex 2001/207 [Helmich]). 517  Zum Problem weiterführend etwa P. Bydlinski, Beschränkung und Ausschluss der Gewährleistung, JBl 1993, 559 ff (561 ff). 518  Vgl auch zur Ermittlung des Umfangs des Geltungsbereiches der Schiedsvereinbarung einer OHG durch gediegene Analyse des ihr zugrunde liegenden Zweckes Falkner, Zum Geltungsbereich der Schiedsvereinbarung einer OHG, wbl 1989, 173 ff (177 f). 519  Gravierende Probleme stellen sich auch dann, wenn – wie in praxi nicht selten beim Einsatz von Vertragsformblättern und AGB der Fall – die nähere Ausgestaltung der vertraglichen Rechte und Pflichten zwar formal zweifelsfrei, aber materiell in einer Art und Weise vorgenommen wird, dass dadurch zu Lasten eines Vertragsteiles der eigentliche Geschäftszweck konterkariert zu werden droht. Als Beispiele für dieses Phänomen mögen etwa Klauseln in Mustermietver-

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schnur für die Ausdifferenzierung des vertraglichen Pflichtenprogramms, und zwar durchaus auch über den Wortlaut der Vertragsurkunde hinaus, abgeben kann und muss. Dabei ist durch den Vertragsinterpreten vor allem auch sicherzustellen, dass nicht durch die vorschnelle Negierung von nicht explizit ausgehandelten Vertragspflichten die Erreichung des gesamten Vertragszwecks ernsthaft in Frage gestellt wird.520, 521 So kann etwa der allgemeine Vertragsträgen dienen, durch die sich der Bestandgeber seiner (Haupt-)Leistungspflicht zur Verschaffung des konkret bedungenen Gebrauches (der ja mit dem generellen Zweck eines derartigen Vertrages gleichzusetzen ist) allzu sehr zu entziehen versucht, oder Risikoausschlüsse in AVB, die die berechtigten Deckungserwartungen des jeweiligen Versicherungsnehmers unterlaufen (und damit den gesamten Zweck dieses Vertrages aushöhlen). Korrekterweise ist diese Lösung dieser Probleme aber zumindest dann, wenn die den Vertragszweck gefährdenden Vertragspunkte der Vertragsurkunde zweifelsfrei zu entnehmen sind (ansonsten kann sehr wohl noch das Gebot der gesetzesund sittenkonformen Interpretation eingreifen; siehe zu diesem Rz 173 ff), nicht mehr im Bereich der Vertragsauslegung anzusiedeln, sondern jenseits von diesem, und zwar konkret im Bereich der Sittenwidrigkeitskontrolle von Verträgen im Allgemeinen und der Geltungs- und Inhaltskontrolle von AGB im Besonderen. Die Judikatur dürfte diese Grenzziehung freilich nicht immer hinreichend beachtet haben und zum Teil durchaus der Versuchung erlegen sein, schon im Rahmen der Auslegung von Verträgen dem ihr als billig (und in Wahrheit auch als allein zulässig) erscheinenden Ergebnis zum Durchbruch zu verhelfen. Zum Problem näher oben Rz 174 sowie Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS F. Bydlinski (2002) 121 ff (141 ff). 520  Trefflich veranschaulichen lässt sich dieses Phänomen etwa anhand des bekannten „Arztpraxen-Falls“ des BGH (vgl BGHZ 16, 71, 76; vgl zu dieser E eingehender schon Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737 ff [738 f] und aus jüngerer Zeit zB Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag [1997] 209 ff sowie G. Graf, Vertrag und Vernunft [1997] 91 f, 213, 216, 220, 258, 265): Da beiden, ihre Praxen in verschiedenen Städten tauschenden Ärzten bewusst war, dass der Zweck der Transaktion darin besteht, dem jeweils anderen eine gesicherte Erwerbsmöglichkeit in der jeweils anderen Stadt zu verschaffen, muss dem Vertrag konsequenterweise auch das Verbot hinzugedacht werden, sich sofort nach Vollzug des Tausches wieder in der alten Heimatstadt anzusiedeln und dort eine neue Arztpraxis zu eröffnen. Denn die Gefahr, dass dann die Patienten dem neuen Praxisinhaber in Scharen davon- und zu ihrem bisherigen Vertrauensarzt überlaufen (was in weiterer Folge die wirtschaftliche Existenz des neuen Praxisinhabers unweigerlich zerstört hätte), ist evident. Aus der Judikatur des OGH kann in diesem Zusammenhang etwa auch auf die E 3 Ob 537/51, SZ 24/248 (vgl zu dieser E etwa auch G. Graf, Vertrag und Vernunft [1997] 219, 221, 238) verwiesen werden, in der es – selbstverständlich – dem Verkäufer eines Kfz auch dann zur Pflicht gemacht wurde, dem Käufer die Papiere dieses Autos auszuhändigen, wenn dies vertraglich nicht eigens abgesprochen war. Denn wie sollte der Käufer sonst sein Eigentumsrecht am Kfz, dessen Erwerb das fragliche Geschäft ja gerade diente, durch Gebrauch des Kfz praktisch ausüben können? Jenseits jenes Bereiches, in dem eine Ausdehnung des vertraglichen Pflichtenprogramms über den explizit festgelegten Umfang hinaus zur Vermeidung einer völligen Frustration des Zwecks des gesamten Vertrages bzw zumindest eines Vertragspunktes unabdingbar erforderlich ist, wird man freilich immer auch die Kosten, mit der ein Vertragsteil durch die Implementierung von nicht explizit konsentierten Pflichten belastet würde, verstärkt berücksichtigen müssen; dies deshalb, damit es nicht ohne hinreichende Begründung zu Lasten eines Vertragsteils zu einem – seinem Wesen ja enteignungsähnlichen – richterlich oktroyierten entgeltslosen Leistungstransfer kommt. Eingehend zu diesem Gesichtspunkt Eike Schmidt, Zur Ökonomie ergänzender Vertragspflichten unter besonderer Berücksichtigung von Konkurrenzschutzgeboten, JA 1978, 597 ff. Betont wird dieser Umstand etwa auch von G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 239. 521  Vergleichbares gilt freilich auch dann, wenn ohne eine entsprechende Adaption des explizit konsentierten Pflichtenprogramms bloß die völlige Frustration eines ganz bestimmten Vertrags-

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zweck, eine gegen jedermann wirkende Rechtsposition zu begründen, auch eine vertraglich nicht explizit vorgesehene Pflicht der Zustimmung zur Intabulation dieser Rechtsposition begründen522, der generelle Zweck, dem Begünstigten ein möglichst wertvolles Sicherungsmittel in die Hand zu geben, den Ausschlag bei der Auslegung einer bestimmten Haftungserklärung einer Bank geben523 oder der Darlehenscharakter eines mit einem Getränkebezugsvertrag gekoppelten Vertrages auch über dessen (Mindest-)Vertragslaufzeit entscheiden.524 Besondere Bedeutung kommt dem generellen Zweck des Vertrages für die Auslegung auch dann zu, wenn er – wie etwa im Bereich des Bestandrechts525 oder des Immaterialgüterrechts526 praktisch bedeutsam – ganz generell den Umfang der nicht in Geld bestehenden vertraglichen Hauptleistungspflicht näher konturiert oder – wie etwa bei der Abgrenzung von Miete und Pacht527 – sogar über die korrekte rechtliche Qualifikation des gesamten Rechtsverhältnisses entscheidet. Eine gewisse „Breitenwirkung“ dürfte die Berücksichtigung des Vertragszwecks schließlich auch im Vertragsversicherungsrecht entfalten, wenn es im Rahmen der Auslegung von die Risikoumschreibung betreffenden Teilen von AVB unter anderem zu prüfen gilt, ob nicht durch eine bestimmte Auslegungsvariante der erkennbar verfolgte Versicherungszweck konterkariert würde.528 Wirklich überraschend ist diese eminente Bedeutung, die, wie zu sehen 180 war, gerade auch dem grundlegenden Zweck des Rechtsgeschäftes als solchem vom ganz überwiegenden Teil der österreichischen Rechtslehre und -praxis für die nähere Ausgestaltung des jeweiligen vertraglichen Pflichtenprogramms zugemessen wird529, freilich nicht, zieht sich doch das damit angesprochene

punktes droht. Als Beispiel kann etwa die Auffassung dienen, dass bei der vertraglichen Zusicherung bestimmter Eigenschaften, deren Vorliegen während der gewährleistungsrechtlichen Verjährungsfristen nicht überprüft werden kann, der explizit konsentierte Vertragsinhalt um die Verschiebung des Beginns des Fristenlaufes anzureichern ist (vgl zu dieser Auffassung etwa OGH 5 Ob 504/96, JBl 1998, 577 [Staudegger] = ecolex 1998, 127 [Wilhelm] mwN). 522  Zu einer derartigen Konstellation siehe etwa OGH 7 Ob 542/91, JBl 1991, 642 (Pfersmann). 523  Dazu näher etwa OGH 5 Ob 1510/93, ÖBA 1993, 730. 524  Vgl OGH 8 Ob 1/92, ecolex 1993, 736. 525  Vgl dazu etwa OGH 1 Ob 2124/96a, wobl 1997, 38. 526  Vgl dazu etwa OGH 4 Ob 77/00b, MR 2000, 171 (Walter). 527  Konkret: Ist – bei einer sowohl zum bloßen Gebrauch als auch zur Fruchtziehung geeigneten (zur Bedeutung dieses Umstandes siehe etwa Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13 ff [20 ff]) Sache – der Zweck des Bestandvertrages nur in der Gebrauchsüberlassung oder auch in der Überlassung der Fruchtziehung zu erblicken? 528  Dazu näher Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS F. Bydlinski (2002) 121 ff (125 f) mwN. 529  Vgl neben den in den vorhergehenden FN bereits im Detail geschilderten Beispielen aus der Rsp etwa auch die sich bezüglich der Vertragsauslegung ebenfalls zur Relevanz des jeweiligen Geschäftszweckes bekennenden höchstgerichtlichen E OGH 5 Ob 57/73, EvBl 1973/177; 6 Ob 756/81, MietSlg XXXIV/14; 3 Ob 541/87, RdW 1988, 88; 1 Ob 525/94, wbl 1994, 378 und 8 Ob 232/99x, MietSlg 52.090.

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Phänomen, und zwar in den Gestalten der „natura contractus“ 530 bzw der „causa“, seit langem wie ein roter Faden durch die europäische Dogmenge­ schichte. Er tritt denn auch in der Kodifikationsgeschichte des ABGB mehrfach an 181 markanter Stelle zutage. Zu erinnern ist etwa an den Codex Theresianus, der es bereits dem Richter unter anderem zur Aufgabe machen wollte, bei der Vertragsauslegung auch das zu berücksichtigen, „was der Billigkeit gemäß ist, obgleich solches unter den Contrahenten nicht verabredet, und wörtlich gesaget und ausgedrucket worden, wofern es nur mit der Natur und Eigenschaft der fürwaltenden Handlung übereinstimmet“ 531, an die Kommentierung des ABGB durch den Gesetzesredaktor v. Zeiller, in der ausgeführt wird, dass „auch der Richter da, wo die Äußerungen des Willens zweifelhaft oder unvollständig sind, zur Vermuthung Zuflucht nehmen muß, was die Handelnden zur Absicht gehabt haben“532 sowie schließlich an den HHB zur III. TN des ABGB, wo im Zusammenhang mit der – durch die III. TN ja neu geschaffenen – Fassung von § 914533 geradezu als Selbstverständlichkeit ausgeführt wird, dass die gemäß § 914 nF im Rahmen der Auslegung explizit zu erforschende „Absicht“ der Parteien nichts anderes sei als „der Geschäftszweck, die causa des Vertrages, über welche der Konsens erklärt ist“.534 Vor diesem Hintergrund erhellt dann aber zugleich einmal mehr, welche 182 Fehlinterpretation gerade des ABGB es wäre, wollte man den Vertrags­ zweck zur bloßen Fiktion erklären und als für die Vertragsauslegung gänzlich irrelevant abtun. Zuzugestehen ist daher jenen, die – va, weil sie den Konsens bloß auf den 183 semantisch abgegrenzten Bereich der unmittelbaren Willenserklärungen beschränken wollen – diesem Auslegungskriterium skeptisch gegenüber stehen, nach alldem bloß zum einen, dass es im Einzelfall durchaus vorkommen kann, dass die Vertragsteile den Ausgleich zwischen ihren in bestimmter Hinsicht offenkundig divergierenden individuellen Vertragszwecken ganz bewusst ausschließlich in einer semantischen Kompromisslösung zustande bringen (was es dann selbstverständlich ausschließt, im Rahmen der Auslegung eines derartigen vertraglichen „dilatorischen Formelkompromisses“ den Zwecken bloß eines Vertragsteils in einem über den semantischen Kompromiss hinausgehen530  Zu Geschichte und Wirkungsmächtigkeit der Idee von der „Vertragsnatur“ bzw der „naturalia negotii“ nunmehr ausführlich Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag (1997). Die Bedeutung der hermeneutischen Figur der „Vertragsnatur“ für die Rechtspraxis dürfte freilich in indirekt proportionalem Charakter zum Umfang der Ausbildung dispositiven Gesetzesrechts für diverse Vertragstypen durch eine bestimmte Rechtsordnung stehen, soll doch auch und gerade dieses seinem Wesen nach die Erreichung des eigentlichen Zwecks eines bestimmten Vertragstyps absichern und Antworten zur Bewältigung nachträglich auftauchender Probleme, die die Erreichung dieses Vertragszwecks gefährden könnten, geben. Ihre „Hochburg“ dürfte sie daher gegenwärtig im Bereich der atypischen, von der jeweils maßgeblichen Kodifikation nicht erfassten Vertragstypen (wie eben dem „Arztpraxentauschvertrag“; siehe dazu bereits oben FN 520) haben. 531  Vgl C Th III 2 171. 532  Commentar I 71. 533  Vgl dazu schon oben Rz 2. 534  Vgl HHB 152.

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den Umfang zum Durchbruch zu verhelfen).535 Zum anderen soll selbstverständlich auch an dieser Stelle nicht bestritten werden, dass es bei der praktischen Vornahme teleologischer Vertragsauslegung vielfach zu einer anspruchs­ vollen Herausforderung für den Vertragsinterpreten zählt, jene Geschäftszwecke, die tatsächlich dem übereinstimmenden Rechtsfolgewillen der Parteien zugrunde liegen (und die daher für die nähere Ermittlung des vertraglichen Pflichtenprogrammes von Bedeutung sein können), von den bloßen gemeinsamen Wertungsgrundlagen (deren Fehlerhaftigkeit dann aber etwa im Rahmen der Geschäftsgrundlagenlehre releviert werden kann536) einerseits und von den ausschließlich einseitigen Geschäftszwecken (die nicht in die gemeinsame Risikosphäre fallen und deren Vereitelung daher ausschließlich die davon betroffene Partei trifft) andererseits abzugrenzen. Aber das stand ja in großem Umfang bereits dem HHB zur III. TN in aller Deutlichkeit vor Augen.537, 538 Bezüglich ihrer materiellen Dimension ist abschließend noch darauf hin- 184 zuweisen, dass das Gebot zur Berücksichtigung des Zwecks, der nach der Vorstellung beider Parteien einer bestimmten Vertragsbestimmung oder gar dem gesamten Rechtsgeschäft als solchem zugrunde liegen soll, im Rahmen der Vertragsauslegung selbstverständlich insofern umfassend zu begreifen ist, als es – abgesehen von der Beseitigung von Unklarheiten im Vagheitsbereich unmittelbar des Vertragstextes selbst – nicht bloß zu einer Erweiterung des ver­ traglichen Pflichtenprogramms über den im Rahmen der Vertragserklärungen semantisch abgesteckten Bereich führen kann539, sondern – nicht anders als der Rekurs auf den Gesetzeszweck im Rahmen der Gesetzesauslegung – auch das Ergebnis haben kann, dass die verba contractus im Lichte eben dieses Zwecks als überschießend zu betrachten sind und das im Rahmen der Willenserklärungen explizit fixierte Pflichtenprogramm daher entsprechend zu reduzieren ist.540 Dass im letztgenannten Fall häufig auch Rechtsmissbrauchsüberlegungen mit ins Spiel kommen können, liegt auf der Hand.541 8. Verkehrssitten Bezüglich der Darstellung der Bedeutung, die Verkehrssitten für die 185 Vertragsauslegung iwS zukommt, erscheint es zunächst aus Zweckmäßigkeitsgründen geboten, eine Unterscheidung zu treffen: 535  Zum völlig identen Problem im Zusammenhang mit der Gesetzesauslegung siehe bloß F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991) 408. 536  Dazu bereits ausführlich oben 69 ff. 537  Vgl HHB 152. 538  Zutreffender Hinweis auf diese Abgrenzungsprobleme etwa auch bei Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag (1997) 237 und Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 4. 539  Vgl etwa die Bsp oben in FN 520. 540  So auch Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 10. Aus der Rsp des OGH vgl dazu etwa 6 Ob 95/58, EvBl 1958/345 (umfassend formuliertes Wiederkaufsrecht über eine geförderte Wohnung ist auf den Fall widmungswidriger Verwendung zu beschränken) und 6 Ob 1549/90, ecolex 1991, 394 (Gesellschaftsvertraglich vereinbartes Aufgriffsrecht für den Fall des Ausscheidens anderer Gesellschafter erfasst nicht auch den Fall, dass der Aufgriffswillige den Anlass zu deren berechtigtem Austritt gegeben hat). 541  Vgl dazu etwa die – eben bereits erwähnte – E OGH 6 Ob 1549/90, ecolex 1991, 394.

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Soweit auf Verkehrssitten bloß zur Ermittlung des genauen Inhalts des semantischen Teils von Willenserklärungen im Wege der Berücksichtigung eines in bestimmten Verkehrskreisen üblichen Sprachgebrauches rekurriert wird (wofür sich in der jüngeren österreichischen Dogmatik – im Anschluss an Rummel542 – der Terminus der „Erklärungssitten“ eingebürgert hat543), ist auf die damit verbundenen Detail- und Zweifelsfragen schon im Rahmen der Ausführungen zur Beachtlichkeit des Wortlautargumentes für die Vertragsauslegung eingegangen worden, sodass an dieser Stelle auf diese Ausführungen verwiesen werden kann.544 Im Folgenden ist daher nur mehr von den anderen, vornehmlich der Ver­ 187 tragsergänzung, dh der Vertragsauslegung iwS, dienenden Verkehrssitten zu handeln. Unter diesen versteht man ganz überwiegend redliche545 Verhaltensweisen, die von bestimmten Verkehrskreisen546 in bestimmter Hinsicht, va bei der Abwicklung bestimmter Verträge, gleichermaßen und dauerhaft, wenngleich – zumindest zunächst547 – ohne aktuelle Pflichtvorstellung548, ge542  Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 78 ff; zuvor war für diesen Fall des Rekurses auf Verkehrssitten der – va auch von Pisko geprägte – Terminus „Verkehrssitte als Auslegungsmittel“ gebräuchlich. 543  Gegenüber der Zweckmäßigkeit einer derartigen Differenzierung innerhalb der Verkehrssitten aber kritisch etwa Teile der deutschen Lehre: vgl Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 64 mwN. 544  Siehe oben Rz 138 ff. 545  Zu dieser Einschränkung siehe schon die EB RV zur III. TN zum ABGB (2 BlgHH, 21. Session 120). Praktisch sollen dadurch nach hA va gesetz- und sittenwidrige (vgl dazu schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 407; gegen deren Relevanz vgl aber ohnedies schon § 879; praktischer Anwendungsfall etwa bei OGH 7 Ob 479/56, SZ 29/76; 6 Ob 217/60, SZ 33/139 und 4 Ob 565/68, JBl 1970, 201 [Unternehmerbrauch, wonach angeblich jeglicher Schadenersatzanspruch ausgeschlossen sein soll]), aber auch von wirtschaftlicher Übermacht eines Vertragsteils bzw einer Gruppe von Vertragsteilen (dh praktisch einer ganzen Branche) beeinflusste Verkehrssitten (idS etwa Rummel, Verkehrssitten und Vertragsauslegung, JBl 1973, 66 ff [69]; ebenso zum Unternehmerbrauch Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 59) in ihrer praktischen Bedeutung beschränkt werden. Letzteres erscheint aber zumindest dann zweifelhaft, wenn sich die Relevanz der fraglichen Verkehrssitte – zumindest auch – erklärungstheoretisch begründen ließe; dann müsste nämlich wohl richtigerweise schon der Beweis im Einzelfall angetreten werden, dass und warum ein derartiger Vertragsinhalt an spezifischen Geltungs- bzw Inhaltsschranken des positiven Rechts scheitern soll (bezüglich der Redlichkeitskontrolle von Verkehrssitten zurückhaltender etwa auch Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag [1970], 84 ff [Unbeachtlichkeit erst bei Monopolzwang]). 546  Sollten bloß zwischen den Parteien des einzelnen Vertrages bestimmte individuelle Gepflogenheiten bestehen, so handelt es sich dabei nicht um Verkehrssitten im hier interessierenden Zusammenhang. Freilich kann auch derartigen individuellen Gepflogenheiten Bedeutung für die Vertragsauslegung zukommen, sei es, dass diese – als Umstände, unter denen eine Erklärung abgegeben wird – die gebotene Deutungsdiligenz des Erklärungsempfängers beeinflussen (dazu allgemein oben Rz 131), sei es, dass sie Rückschlüsse auf den schon ursprünglichen Geschäftswillen der Kontrahenten zulassen (dazu allgemein oben Rz 162). 547  Durchaus denkbar ist freilich, dass bestimmte Verkehrssitten (und selbstverständlich auch bestimmte Unternehmerbräuche: vgl dazu im gegebenen Zusammenhang etwa Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 11) zu (echtem) Gewohnheitsrecht erstarken. 548  Weshalb die Vorstellung der fraglichen Verkehrskreise, zu einem bestimmten Verhalten – warum auch immer – ohnedies verpflichtet zu sein, der Qualifikation dieses Verhaltens als Verkehrssitte entgegensteht (idS Rummel, Verkehrssitten und Vertragsauslegung, JBl 1973, 66 ff [69];

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übt werden.549 Als praktisches Beispiel mag etwa dienen, dass es in der Filmbranche für den Fall, dass der Beginn der Leistung vertraglich nicht eigens fixiert ist, üblich ist, die Verschiebung des Drehbeginns höchstens bis zum Ablauf eines halben Jahres nach Abschluss der Vereinbarung dauern zu lassen.550 Den praktisch wohl mit Abstand wichtigsten Fall derartiger Verkehrssitten 188 bildet der Handelsbrauch (bzw – seit der Ablösung des HGB durch das UGB – der „Unternehmerbrauch“), der daher nichts anderes als die „Verkehrssitte der Kaufleute“ (bzw – im Rahmen des UGB – der Unternehmer) darstellt551 und dem auch gemäß § 346 HGB (bzw nunmehr UGB) im Rahmen der Vertragsauslegung iwS, dh va bezüglich der Vertragsergänzung, genau die gleiche Funktion zugemessen wird wie nach dem herrschenden Verständnis von § 914 sonstigen Verkehrssitten im allgemeinen Rechtsverkehr.552 Dieser Koinzidenz gilt es vor allem insofern Rechnung zu tragen, als – dem Gebot systematischteleologischer Interpretation entsprechend – eine gleichmäßige Behandlung von dogmatischen Zweifelsfragen bei allgemeinen Verkehrssitten auf der einen und beim Unternehmerbrauch auf der anderen Seite anzustreben ist, sodass etwa die Fragen nach dem Verhältnis zum dispositiven Recht oder nach der Zulässigkeit einer Irrtumsanfechtung, aber auch alle anderen einschlägigen Detailfragen553 bei Verkehrssitten im allgemeinen Rechtsverkehr richtigerweise nicht anders beantwortet werden dürfen als beim Unternehmerbrauch.554 Gleichermaßen phänomenologisch wie dogmatisch abzugrenzen sind 189 (vertragsergänzende) Verkehrssitten jedoch zum einen vom Gewohnheits­ recht und zum anderen von den sog „Vertragssitten“.555, 556 Während nämlich zur Frage der Freiwilligkeit beim Entstehen von Unternehmerbrauch siehe etwa Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 22 ff). 549  Vgl bloß Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 82 f. Zum – facettenreicheren und daher im Detail nicht unumstrittenen – Verständnis der deutschen Lehre und Rsp von (va vertragsergänzenden) Verkehrssitten siehe etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 65 ff mwN. 550  Vgl dazu etwa LGZ Wien in 44 Cg 95/72, Arb 9.028. Weitere Bsp für vertragsergänzende Verkehrssitten auch bei Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 14 sowie unten Rz 266 ff. 551  Vgl etwa Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 8; idS auch schon Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 15 f (mit zahlreichen Nw aus dem älteren Schrifttum). 552  Zur normativen Kongruenz von § 914 ABGB und § 346 UGB sowie zu den Gründen, warum dieser „normative Pleonasmus“ auch vom Gesetzgeber des UGB fortgeführt wurde, siehe bereits oben Rz 17 f. 553  Wie etwa nach dem Grund und den Grenzen des Entstehens von allgemeinen Verkehrssitten und Unternehmerbräuchen, deren bzw dessen Geltung auch bei Verträgen, die von Vertragspartnern verschiedener Verkehrskreise abgeschlossen wurden sowie der Relevanz von nach Vertragsabschluss sich ändernden Verkehrssitten bzw Unternehmerbräuchen. 554  Eine – nach dem Gesagten überaus zustimmungswürdige – konsequente dogmatische Gleichbehandlung von Verkehrssitte und Unternehmerbrauch findet sich etwa schon bei Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 14 ff. 555  Begriff nach Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 83 ff. 556  Weitere Unterscheidungen sind va im Zusammenhang mit dem Unternehmerbrauch anzutreffen (zu diesen näher etwa Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 9 ff [Usancen, Standesregeln etc]). Im Hinblick auf die normative Spezifität der davon erfassten Phänomene er-

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Gewohnheitsrecht, und zwar aufgrund seiner – definitionsgemäß vorauszusetzenden – Erstarkung zu einem Normgebilde mit eigenständiger Geltungskraft557, zu seiner Verbindlichkeit für die Normadressaten keiner speziellen positiv-rechtlichen Geltungsanordnung mehr bedarf, ist für bloße Vertragssitten558 charakteristisch, dass diesen trotz der Existenz einer speziellen positivrechtlichen Geltungsanordnung für Verkehrssitten noch keine eigenständige normative Bedeutung für die Vertragsauslegung iwS zukommt, sie diese vielmehr ausschließlich einem entsprechenden privatautonomen Geltungsakt der jeweiligen Vertragsparteien im Einzelfall verdanken. Vertragssitten beschreiben somit als bloß deskriptives Phänomen ein verbreitetes Kontrahierungsverhalten von Parteien, va, was den – etwa in branchenüblichen AGB niedergelegten – Inhalt bestimmter Vertragstypen betrifft, sie präsentieren sich aber – und dies im Unterschied zu echten Verkehrssitten559 – ohne ein derartiges Kontrahierungsverhalten der Parteien im Einzelfall gerade nicht als normatives Phänomen.560 Diese unterschiedliche Behandlung von Verkehrs- und Vertragssitten in Bezug auf deren Beachtlichkeit für die Ergänzung des einzelnen Vertrages findet ihre teleologische Rechtfertigung va in dem Umstand, dass es bei bloßen Vertragssitten den typischen Vorstellungen der Parteien gerade nicht entspricht, dass diese auch ohne entsprechende Vereinbarung den Vertragsinhalt bestimmen, weshalb eine dennoch vorgenommene Einbeziehung auch von bloßen Vertragssitten in das vertragliche Pflichtenprogramm geradezu typischerweise Gefahr liefe, den tatsächlichen Geschäftswillen der Parteien zu verfehlen.561 Nicht übersehen werden darf freilich, dass es zum einen am Charakter echter Verkehrssitten selbstverständlich nichts ändert, wenn diese auch in Vertragsmustern festgeschrieben werden, und dass zum anderen zunächst bloße Vertragssitten im Lauf der Zeit zu echten Verkehrssitten erstarken können, sich somit im Bewusstsein der maßgeblichen Verkehrskreise ab einem bestimmten Zeitpunkt die Auffassung festsetzen kann, dass die Relevanz einer bestimmten Verhaltensweise, va im Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung, von einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung gerade nicht (mehr) abhängig ist.562 Dass vor diesem Hintergrund für die Rechtspraxis oftmals komplexe Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten vorprogrammiert sind, liegt auf der Hand. Was nun in weiterer Folge die dogmatische Legitimation für die Be­ 190 rücksichtigung von Verkehrssitten auch im Rahmen der Vertragsergän­ zung betrifft, dh – mit anderen Worten – den positiv-rechtlichen „Geltungs­ scheint die Zweckmäßigkeit vieler dieser Unterscheidungen allerdings überaus fraglich. Zudem bergen viele dieser Unterscheidungen auch die Gefahr eines bloßen „Streits um Worte“ in sich. 557  Zur Existenz von Gewohnheitsrecht (auch) im österreichischen Recht ausführlich in der Kommentierung von § 10 in der 3. Auflage des Kommentars. 558  Zu diesen eingehender va Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 83 ff. 559  Zu deren Relevanz für die Vertragsergänzung auch dann, wenn sich ihre „Geltung“ im Einzelfall nicht rechtsgeschäftlich, dh va vertrauenstheoretisch, erklären lässt, siehe noch eingehend unten Rz 190. 560  Nw aus der Rsp bei Rummel in Rummel3 § 914 Rz 13. 561  In diese Richtung argumentierte zutreffend auch schon Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 85. 562  IdS etwa auch Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 13.

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grund“563 für Verkehrssitten in diesem Bereich, so dürfte diese – angesichts der Einigkeit der jüngeren Lehre und Rsp im Hinblick auf das diesbezüglich für richtig gehaltene Ergebnis durchaus erstaunlich – in einem praktisch wichti­ gen Bereich bis dato nicht hinreichend geklärt sein. Dieser Bereich betrifft jene Fälle, in denen die Ergebnisse einer derartigen Vertragsergänzung qua Verkehrssitte von keinem der Kontrahenten bei der Bildung seines Geschäftswillens in Erwägung gezogen wurden.564 Zwar wird, wie bereits angedeutet, von der völlig herrschenden jüngeren Lehre und Rsp auch in diesen Fällen in § 914 eine hinreichende Legitimation für den richterlichen Rekurs auf allenfalls bestehende Verkehrssitten gesehen.565 566 Methodisch selbstverständlich ist dies freilich keineswegs567; zumindest dann nicht, wenn man nicht davon ausgeht, dass ein entsprechendes Verständnis von § 914 mittlerweile schon gewohnheitsrechtlich begründet werden kann.568 Denn ist es auch zutreffend, dass seit der III. TN ein derartiges Verständnis jedenfalls mit der Textierung von § 914 in Einklang gebracht werden kann569, so darf wohl nicht ohne wei563  Geltungsgrund deswegen unter Anführungszeichen gesetzt, weil ja Verkehrssitten – im Unterschied zum Gewohnheitsrecht – gerade keine eigenständige „Geltung“ zukommt, sondern diese ihre Relevanz für die Vertragsauslegung nur durch einen besonderen konstitutiven Akt (rechtsgeschäftlicher oder positiv-rechtlicher Natur) erhalten. 564  In jenen Fällen, in denen beide Kontrahenten die fragliche Verkehrssitte in ihren Geschäftswillen einbezogen haben oder zumindest einer der Kontrahenten dies tat und darauf vertrauen durfte, dass dies auch beim anderen der Fall ist, ist demgegenüber die Legitimation des Rekurses auf diese Verkehrssitte zur Vertragsergänzung ohne weiteres schon durch eine Übereinstimmung des Wortlautes von § 914 mit dem diesbezüglichen Willen des historischen Gesetzgebers (vgl zu diesem sogleich unten FN 570) zu begründen (vgl § 6). Zudem vermögen in diesen Konstellationen in aller Regel auch schon allgemeine Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre die Relevanz der fraglichen Verkehrssitten für die Vertragsauslegung iwS hinreichend zu begründen. Auf deren (unstrittig zu bejahende) Maßgeblichkeit in den geschilderten Konstellationen ist daher nicht mehr gesondert einzugehen. 565  IdS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 408; ebenso dann in weiterer Folge auch Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 41 ff (va in Auseinandersetzung mit der abweichenden Auffassung Piskos) sowie ders in Rummel3 I § 914 Rz 15; aus der Rsp vgl etwa OGH 5 Ob 189/63, EvBl 1964/63; 5 Ob 57/73, EvBl 1973/177; 5 Ob 55/73, JBl 1974, 473; 6 Ob 696/77, SZ 50/112 und 6 Ob 546/90, JBl 1991, 116 (betreffen zwar durchwegs Unternehmerbräuche, für allgemeine Verkehrssitten kann aber wohl nichts anderes gelten: vgl oben Rz 188). 566  Unstrittig dürfte sein, dass bei Unkenntnis beider Vertragsparteien von der fraglichen Verkehrssitte allgemeine Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre deren Relevanz für die Auslegung iwS nicht mehr zu legitimieren vermögen: vgl bloß Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 35 sowie G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 269 f. 567  Dementsprechend war es auch nicht „von vornherein überflüssig“, dass sich etwa schon Pisko um einen über den positiv-rechtlichen Verweis auf § 914 hinausgehenden Nachweis für die Zulässigkeit des Rekurses auf Verkehrssitten zur Vertragsergänzung bemühte (so aber Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte [1972] 41 f). Gleiches gilt für moderne Bemühungen zur Erfassung des „Geltungsgrundes“ von Verkehrssitten, wie sie va im Zusammenhang mit dem Unternehmerbrauch anzutreffen sind (vgl dazu etwa Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 29 f). 568  Dafür spräche aber wohl in der Tat Einiges. 569  Auf diesem Umstand baute va Gschnitzer in Klang2 IV/1, 408 seine Argumentation auf: „Der letzte Teil des § 914 greift über die Erforschung des Parteiwillens hinaus. Es ist wohl zu beachten, dass es heißt: der Ve r t r a g ist so zu verstehen. Der Vertrag wird losgelöst von der Absicht der Parteien, er beginnt ein Eigenleben. Der Ausleger muss auch dort, ja dort vor allem, die Ver-

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teres über die Tatsache hinweggegangen werden, dass den Vorstellungen des Gesetzgebers der III. TN ein derart weitgehendes, im Rahmen der Vertragsergänzung qua Verkehrssitte vom Geschäftswillen beider Kontrahenten abstrahierendes Verständnis von § 914 zweifelsfrei nicht entsprach.570 Dem kann auch nicht ohne weiteres entgegengehalten werden, dass ja immerhin die grundsätzliche richterliche Kompetenz zur Vertragsergänzung durchaus mit jener Konzeption der Vertragsrechtsordnung des ABGB im Einklang steht, die dem Gesetzgeber, und zwar seit jeher, vorschwebt.571 Denn damit ist ja noch nicht gesagt, nach welchem Maßstab eine derartige richterliche Vertragsergänzung zu erfolgen hat, vor allem, ob bei dieser Vertragsergänzung der Rekurs auf allenfalls vorhandene, aber von beiden Parteien niemals bedachte Verkehrssitten oder aber eine richterliche ad hoc-Intervention (unter Berücksichtigung des allgemeinen Vertragszwecks und der beiderseitigen Interessen in der konkreten Situation) vorrangig zum Zug kommen soll; dies umso weniger, als ja zumindest der historische Gesetzgeber eindeutig Letzteres (und nicht etwa die beidseits unbewussten Verkehrssitten) präferiert haben dürfte.572, 573 Wirklich überzeugend abgestützt werden kann die hA zur Relevanz auch von beidseits unbekannten Verkehrssitten für die Vertragsergänzung in diesem Spannungsverhältnis zwischen dem, wie zu sehen war, durchaus für sie streitenden Wortlaut von § 914 auf der einen und dem, wie ebenfalls zu sehen war, eindeutig gegen sie sprechenden Verständnis des historischen Gesetzgebers auf der anderen Seite somit wohl nur durch gewichtige teleologische Argukehrsübung heranziehen, wo die Erforschung des Parteiwillens wegen Lückenhaftigkeit versagt. Also besonders in Lagen, die die Parteien nicht voraussahen, vielleicht gar nicht voraussehen konnten“. 570  Vgl bloß die EB RV zur III. TN zum ABGB (2 BlgHH, 21. Session 120): „Die Verkehrsübung hat aber für die Beteiligten nur Bedeutung, wenn sie diese kannten oder wenn nach den Anforderungen des redlichen Verkehrs der Teil, der sie kannte und vor Augen hatte, auch darauf rechnen durfte, dass sich der andere Teil danach richten wird“. Durchaus ähnlich dann auch der HHB 152 f: „Die „Rücksicht auf die Verkehrssitte“ … ist im Grunde genommen mit dem Standpunkte des a.b.G.B. von selbst gegeben; denn zu den „Umständen“, die bei objektiver Beurteilung der Erklärung im Sinne der „Vertrauenstheorie“ „zu überlegen“ sind, gehört naturgemäß die für die betreffende Geschäftskausa bestehende „Übung des Verkehrs“.“. 571  So aber Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 41 ff. Im Übrigen unterschätzt Rummel wohl auch die praktische Bedeutung einer derartigen Wertentscheidung des Gesetzgebers, wenn er die Kompetenz zur richterlichen Vertragsergänzung gleichsam als Selbstverständlichkeit abtut. Die Existenz sämtlicher Rechtsordnungen mit eher formalen Vertragsrechtssystemen (zu diesen oben Rz 6) belegt nämlich das Gegenteil. 572  Vgl die EB RV zur III. TN zum ABGB (2 BlgHH, 21. Session 120): „Ist auf diese Weise (sc unter Berücksichtigung der Kenntnis der Verkehrssitte zumindest durch einen Vertragsteil) der Sinn der Parteienerklärungen festgestellt und zeigt sich, dass die streitige Frage weder unmittelbar durch den übereinstimmenden Parteiwillen gelöst, noch aufgrund der festgestellten Vereinbarung durch das Gesetz entschieden ist, so muss der Richter die Frage so entscheiden, wie der Gesetzgeber bei billiger Erwägung der beiderseitigen Interessen den Rechtsfall entschieden hätte“. 573  Vor diesem Hintergrund kann es auch nicht wirklich überzeugen, wenn Rummel (Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte [1972] 42) davon ausgeht, dass der Gesetzgeber mit der Generalklausel des § 914 ABGB gerade auch im Zusammenhang mit der bei der Vertragsergänzung anzuwendenden Methode auf die Verkehrssitte verwiesen hat.

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mente, die sich für den Rekurs auch und gerade auf eine allenfalls bestehende Verkehrssitte zur richterlichen Vertragsergänzung ins Treffen führen lassen und die daher den Ausschlag zwischen den Ergebnissen der Wortlautinterpretation und jenen der historischen Interpretation geben können.574 Derartige Argumente lassen sich nun freilich durchaus finden. Ist nämlich einmal, wie für den Bereich des ABGB, die grundsätzliche Kompetenz zur richterlichen Vertragsergänzung unstrittig, so fragt sich, was jene ad hoc-Ergänzung durch richterliche Eigenwertung, die dem historischen Gesetzgeber offenbar vorgeschwebt ist, tatsächlich vorzugswürdiger erscheinen ließe als die Berücksichtigung einer schon bestehenden Verkehrssitte, mag diese in concreto auch beiden Vertragsteilen nicht bekannt gewesen sein. Die Antwort auf diese Frage muss nun lauten: Nichts; ganz im Gegenteil. Denn mit von ihnen zunächst nicht Bedachtem werden die Parteien ja hier wie dort konfrontiert. Dieser Gesichtspunkt kann also nicht gegen die Zulässigkeit einer Berücksichtigung auch von anfangs beidseits unbekannten Verkehrssitten ins Treffen geführt werden.575 Demgegenüber kann aber für den richterlichen Rekurs auf eine schon bestehende Verkehrssitte ins Treffen geführt werden, dass diese, zumindest in der Regel, eben schon aufgrund ihres Entstehens und ihrer Existenz eine Richtigkeitsgewähr dafür bietet, wie den Interessen der Parteien in der fraglichen Situation angemessen, dh auch und gerade im Sinne einer ökonomischen Nutzenoptimierung576, Rechnung getragen werden kann. Schließlich und vor allem garantiert einzig die Berücksichtigung schon bestehender Verkehrssitten bei der richterlichen Vertragsergänzung sowohl eine möglichst vorhersehbare wie eine gleichmäßige richterliche Entscheidungspraxis und ist daher im Unterschied zur richterlichen Eigenwertung ad hoc bei der Vertragsergänzung bei weitem eher geeignet, den fundamentalen Rechtswerten der Rechtssicherheit und des Gleichheitsgrundsatzes Rechnung zu tragen.577 Lässt sich nun auch mit den eben angestellten Überlegungen hinreichend 191 begründen, dass und warum Verkehrssitten vom Richter auch dann für die Vertragsergänzung herangezogen werden können, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses keinem der Kontrahenten bekannt waren (diesbezüglich also der sog „objektiven“ Theorie der Vorzug vor der sog „subjektiven“ zu geben ist578), so wäre es doch unzutreffend, alleine aus diesem Umstand auch schon 574  Noch nicht hinreichend erscheint demgegenüber der im Zusammenhang mit demselben Problem beim Unternehmerbrauch vorgenommene Versuch Kerschners (in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 29 f) das Geltungsproblem mit einem vermuteten, typisierten Parteiwillen zu begründen. Denn eine derartige gesetzliche Vermutung ist dem ABGB, im Unterschied etwa zum UNK (vgl dessen Art 9 Abs 2), ja gerade nicht zu entnehmen; ja sie stünde, wie zu sehen war, mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers sogar in Widerspruch. 575  Vgl dazu, dass der Gesichtspunkt der zumindest typischen Vorhersehbarkeit den Rekurs auf Verkehrssitten gegenüber einer richterlichen Eigenwertung sogar vorzugswürdiger erscheinen lässt, sogleich im Text. 576  Zutreffender Hinweis auf diesen Umstand etwa auch bei G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 272 f. 577  Zur in der Beseitigung eines drohenden Entscheidungsnotstandes liegenden Funktion des richterlichen Rekurses auf Verkehrssitten siehe auch G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 275. 578  Zu diesen Theorien vgl schon Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 20 f.

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die Lösung sämtlicher Folgefragen, die sich im Zusammenhang mit der normativen Relevanz von Verkehrssitten seit jeher stellen (und zu deren bedeutendsten wohl das Vorrangproblem zum dispositiven Recht sowie die Zulässigkeit einer Vertragsanfechtung wegen eines Irrtums über die Existenz bzw den Inhalt von einschlägigen Verkehrssitten zählen), deduzieren zu wollen.579 Denn mag auch bei einer ausschließlich rechtsgeschäftlich bzw vertrau192 enstheoretisch begründeten Relevanz von Verkehrssitten für die Vertragsergänzung, dh unter Zugrundelegung der sog „subjektiven Theorie“, gleichsam auf der Hand liegen, dass dann den Verkehrssitten Vorrang vor dem dispositiven Recht zukommt sowie eine Irrtumsanfechtung, und zwar wegen des Vorliegens eines sog „Erklärungsirrtums“, als zulässig angesehen werden muss580, so wäre es dennoch verfehlt, bei einer – wie zu sehen war, richtigerweise gebotenen – Favorisierung der sog „objektiven“ Theorie gleichsam automatisch das Gegenteil anzunehmen (und damit im Ergebnis für einen Nachrang von Verkehrssitten gegenüber dem dispositiven Recht sowie für die Unzulässigkeit einer Irrtumsanfechtung zu votieren). Vielmehr muss auch unter der Prämisse, dass die „Geltung“ von Verkehrssitten für die Vertragsergänzung nicht ausschließlich mit dem tatsächlichen Geschäftswillen zumindest eines der Kontrahenten zu begründen ist, das Vorrangproblem zum dispositiven Recht mittels eigenständiger Wertungsgesichtspunkte gelöst werden.581 Und auch die Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung lässt sich nur unter verstärkter Be­ rücksichtigung der normativen Strukturen des Irrtumsrechts des ABGB in einer zufriedenstellenden Art und Weise beantworten.582 Seine Grenzen findet der richterliche Rekurs auf Verkehrssitten zur 193 Vertragsergänzung zunächst schon nach allgemeinen Grundsätzen583 dann, wenn deren Anwendung im Einzelfall entweder dem Geschäftswillen beider Kontrahenten widerspräche584 oder zumindest eine Partei der anderen hinreichend deutlich ihre Ablehnung der fraglichen Verkehrssitte zu erkennen gegeben hat. Zu weit ginge es aber wohl, wollte man schon die der Gegenseite erkennbare Unkenntnis (nicht aber zugleich auch schon: Ablehnung) der fraglichen Verkehrssitte durch einen Vertragsteil zum Anlass nehmen, um dieser 579  Zutreffende Zurückhaltung gegenüber einer Verknüpfung dieser Fragen mit der „Geltungsfrage“ im Zusammenhang mit dem Unternehmerbrauch etwa auch bei Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 26. 580  Vgl Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte (1972) 97 f. 581  Siehe zu diesen ja bereits oben Rz 120 ff. 582  Dazu eingehend die Kommentierung von § 871 in der 3. Auflage des Kommentars. 583  Siehe zu diesen bereits oben 124 ff. 584  Vor diesem Hintergrund ist es dann aber zumindest terminologisch missverständlich, wenn zT (wie etwa von OGH 6 Ob 546/90, JBl 1991, 116 mwN) ausgeführt wird, dass ein einschlägiger Unternehmerbrauch (für allgemeine Verkehrssitten kann dann aber wohl nichts anderes gelten; vgl oben Rz 188) in Ermangelung entsprechender gegenteiliger rechtsgeschäftlicher Abreden auch dann zur Vertragsergänzung heranzuziehen sei, wenn er den Vertragsteilen nicht bekannt und von ihnen deshalb gar nicht gewollt war (sic!). Richtigerweise ist nämlich davon auszugehen, dass zwar mangelnde Kenntnis der Vertragsteile einem Rekurs auf Unternehmerbräuche und Verkehrssitten nicht entgegensteht, sehr wohl aber ein diese tatsächlich ablehnender Geschäftswille (diese also tatsächlich nicht gewollt waren).

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Verkehrssitte die Relevanz für die Ergänzung des konkreten Vertrages abzusprechen, oder zumindest eine Hinweisobliegenheit jener Partei annehmen, der die fragliche Verkehrssitte bekannt war.585 Derartiges würde nämlich zum einen den Rechtsverkehr über Gebühr belasten bzw den transaktionsökonomischen Wert der Zulässigkeit des Rekurses auf bestehende Verkehrssitten zur Komplettierung eines von den Parteien bloß rudimentär gebildeten Geschäftswillens in erheblichem Ausmaß beeinträchtigen586, und liefe zum anderen auch auf eine nicht recht einleuchtende Verschiedenbehandlung gegenüber der Vertragsergänzung durch Anwendung dispositiven Rechts hinaus587 die ja ebenfalls in der – wenngleich offenkundigen – Unkenntnis eines Vertragsteils vom Inhalt der fraglichen Dispositivnorm noch keine allgemeine Zulässigkeitsgrenze findet.588 Äußerst fraglich ist die Legitimation der Heranziehung einer bestimmten 194 Verkehrssitte zur Vertragsergänzung auch dann, wenn nicht beide Vertrags­ teile demselben Verkehrskreis angehören und die fragliche Verkehrssitte nur im Verkehrskreis eines der Kontrahenten gepflogen wird. Richtigerweise wird auch in diesem Fall der Rekurs auf die fragliche Verkehrssitte grundsätzlich zu unterbleiben haben.589 Anderes mag allerdings dann gelten, wenn im Einzelfall deren Relevanz vertrauenstheoretisch begründet werden kann590, eine entsprechende Erkundigungsobliegenheit des verkehrskreisfremden Vertragsteils besteht591 oder die Anwendung der fraglichen Verkehrssitte bloß zu Lasten jenes Vertragsteiles gehen würde, der dem fraglichen Verkehrskreis angehört.592, 593 Weiters kann sich auch aus jenen Erwägungen, die im Zusammenhang mit 195 der Rangordnung der für die Vertragsauslegung iwS, dh für die richterliche Ergänzung des vertraglichen Pflichtenprogramms über den klar konsentierten Bereich hinaus, maßgeblichen Rechtsgewinnungsmethoden anzustellen sind594, eine Nachrangigkeit (und dann zugleich auch Unzulässigkeit) des Rekurses auf allenfalls bestehende Verkehrssitten ergeben. So aber etwa Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag (1970) 189. G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 274. 587  Vgl zur Verwandtschaft von dispositivem Recht und vertragsergänzenden Verkehrssitten auch Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 662 ff (681). 588  Freilich wird unter der geschilderten Voraussetzung immer im Einzelfall sorgsam zu prüfen sein, ob nicht uU die Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung desjenigen erfüllt sind, der in offensichtlicher Unkenntnis des fraglichen Dispositivrechts bzw der einschlägigen Verkehrssitte kontrahiert hat. 589  Dies entspricht der hA in Österreich: vgl bloß Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 15 und – gleichsinnig für den Unternehmerbrauch – Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 31. 590  Ebenso für Unternehmerbrauch Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 31. 591  Vgl Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 67. 592  Ebenso auch Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 24. In diese Richtung auch das Ergebnis von OGH 1 Ob 779/79, SZ 52/189 = JBl 1980, 652: Regeln des österreichischen Hotelreglements sind jedenfalls zu Lasten des Hoteliers auch im Verhältnis zu seinem nicht diesem Verkehrskreis angehörigen Vertragspartner maßgeblich (in concreto fraglich allerdings, ob wirklich Verkehrs-, und nicht etwa bloß Vertragssitte vorgelegen hat). 593  Vgl zum Problem auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 416 ff. 594  Zu diesen eingehend unten Rz 213 ff. 585  586 

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Was schließlich die mögliche Unzulässigkeit des Rekurses auf bestehende Verkehrssitten aufgrund der Existenz von für die Vertragsergänzung vorran­ gig maßgeblichem Dispositivrecht betrifft, so ist auf die einschlägigen Ausführungen an anderer Stelle595 zu verweisen. Bezüglich der intertemporalen Komponente des vertragsergänzenden Re197 kurses auf Verkehrssitten ist richtigerweise zu unterscheiden: Soweit es sich um Dauerschuldverhältnisse handelt und eine bestimmte Verkehrssitte nicht aufgrund spezifisch vertrauenstheoretischer Erwägungen im Einzelfall als inter partes allein verbindlich anzusehen ist, wird im Rahmen der richterlichen Vertragsergänzung durchaus auch auf eine zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und jenem der richterlichen Entscheidungsfindung Platz greifende Änderung der maßgeblichen Verkehrssitte Rücksicht zu nehmen sein. In allen anderen Fällen hat es aber bei einem Rekurs auf die im Vertragsabschlusszeitpunkt zu beobachtenden Verkehrssitten zu bleiben.596 In prozessualer Hinsicht ist schließlich davon auszugehen, dass das Be198 stehen einer einschlägigen Verkehrssitte eine – dem Neuerungsverbot grundsätzlich unterliegende und als solche auch nicht revisible597 – Tatfrage darstellt und nach allgemeinen Grundsätzen denjenigen die diesbezügliche Be­ hauptungs- und Beweislast trifft, der aus der Existenz der fraglichen Verkehrssitte eine ihm günstige Rechtsfolge abzuleiten sucht, sich also auf diese beruft. Ihm stehen dann freilich alle Beweismittel der ZPO zum Nachweis der fraglichen Verkehrssitte offen, dh auch und gerade Sachverständigengutachten.598 9. Berücksichtigung der Parteiinteressen/ Vornahme einer Interessenabwägung 199

Der Berücksichtigung, präziser der Ermittlung und Bewertung der Interessen der jeweiligen Vertragsteile kommt im Rahmen der Vertragsauslegung – die man in diesem Umfang auch als „interessengerechte Auslegung“ bezeichnen kann599 – eine durchaus mehrschichtige Bedeutung zu. So stellt es letztlich schon nichts anderes als einen Rekurs auf die in die 200 Ausgestaltung des vertraglichen Pflichtenprogramms eingeflossenen Interessen der Vertragsteile dar, wenn bei der Auslegung der Zweck des Vertrages bzw einzelner seiner Regelungen berücksichtigt und ihm adäquat Rechnung zu 595 

Rz 120 ff. IdS schon Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften (1966) 415; gleichsinnig etwa auch Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 15. Zum – tw abweichenden – Meinungsstand der dt Dogmatik siehe etwa Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 34 und Busche in MüKoBGB5 § 157 Rz 23, beide mwN. 597  Anders ist dies freilich bei – auf der Existenz einer bestimmten Verkehrssitte als bloßer Tatfrage aufbauenden – Rechtsfragen, wie etwa deren Verhältnis zum dispositiven Recht oder zu anderen Kriterien für die Vertragsauslegung iwS. 598  Vgl zu alledem auch die – mutatis mutandis auch für Verkehrssitten des allgemeinen Rechtsverkehrs maßgeblichen – einschlägigen Ausführungen (und weiteren Nachweise) zum Unternehmerbrauch bei Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB2 § 346 Rz 70 ff. 599  Vgl Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 50, 52, 54. 596 

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tragen versucht wird600; Berücksichtigung der Parteiinteressen im Rahmen der Auslegung und teleologische Vertragsauslegung weisen somit einen hohen Grad an Verwandtschaft auf. Darüber hinaus lässt sich aus dem von § 914 aufgestellten Postulat, den 201 Vertrag gemäß der Maßstäbe des redlichen Verkehrs zu verstehen, ganz zwanglos ableiten, dass bereits im Rahmen der sog „einfachen“ Vertragsauslegung das vertragliche Pflichtenprogramm im Zweifel so zu verstehen ist, dass es zu einem optimalen Interessenausgleich zwischen den Vertragsteilen kommt; dass mithin durch das vom Interpreten erzielte Vertragsverständnis die Interessen des einen Vertragsteils nicht stärker beeinträchtigt werden, als dies zur angemessenen Wahrung der Interessen des anderen Vertragsteils erforderlich ist. Die dem Vertragsinterpreten insoweit abverlangten Anstrengungen dürften jenen, die es im Zusammenhang mit der Ermittlung des Vorliegens einer gröblichen Benachteiligung iSv § 879 Abs 3 zu unternehmen gilt, durchaus ähnlich sein. Der Unterschied besteht bloß darin, dass es im Zusammenhang mit der interessengerechten Auslegung um die Ermittlung eines optimalen Interessenausgleichs zwischen den Vertragsteilen im Rahmen des vertraglichen Vagheitsbereiches geht, wohingegen Kassation einer (standard-)vertraglichen Regelung qua § 879 Abs 3 erst bei Vorliegen eines sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden Missverhältnisses bezüglich der Berücksichtigung der jeweiligen Interessen der Vertragsteile stattzufinden hat. Als praktisch bedeutsamer Anwendungsfall für die Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen und das Bemühen um deren optimalen Ausgleich kann im Bereich der einfachen Vertragsauslegung etwa die Judikatur zur Auslegung von Bankgarantien gelten.601 Auch im Bereich der sog „ergänzenden“ Vertragsauslegung kommt ei- 202 ner Ermittlung und Bewertung der jeweiligen Parteiinteressen erhebliche Bedeutung zu, und zwar zunächst insofern, als sich der Vertragsinterpret auch hier um einen optimalen Interessenausgleich zu bemühen hat602, wenn seit dem vertraglichen Pflichtenprogramm, va auch unter Berücksichtigung der mit diesem offenkundig verfolgten Zwecke, keine Anhaltspunkte für die gebotene Schließung der Vertragslücke603 zu entnehmen sind.604 Die Tätigkeit des Ver600  Allgemein zu diesem Auslegungskriterium Rz 175 ff. Vgl zu dieser Koinzidenz auch Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 52. 601  Zu ihr näher Rz 343 ff. 602  In der Sache – wenngleich zT unter dem Etikett der Ermittlung des „hypothetischen Parteiwillens“ (zu diesem näher Rz 204 ff) vertreten – grundsätzlich unstrittig; vgl etwa H. Böhm, Die „Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (104 ff); Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 12; Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 180; Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 81. Siehe aber auch Kerschner, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage bei unwiderruflichen Sozialleistungen, wbl 1988, 211 ff (216), dessen Bedenken freilich nicht so sehr gegen die hier erörterte Methode der ergänzenden Vertragsauslegung als solche gerichtet sein dürften als vielmehr gegen die nicht hinreichend reflektierte Annahme ihrer Zulässigkeit im Einzelfall. Paradigmatisch für die Art und Weise der Vornahme einer derartigen Interessenabwägung siehe etwa OGH 8 ObA 380/97h, RdW 1998, 472. 603  Zu dieser sowie den Kriterien für die Prüfung ihres Vorliegens im Einzelfall siehe Rz 103 ff. 604  Soweit hinreichend deutliche Anhaltspunkte für eine privatautonome Wertung über die wechselseitigen Interessen durch die Vertragsparteien selbst vorliegen, ist diese – selbstverständ-

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tragsinterpreten ähnelt hier jener, die der Gesetzgeber bei der Kreation von Normen des dispositiven Rechts idealerweise verrichten sollte, und unterscheidet sich von dieser tendenziell nur insofern, als die Tatbestände der Normen des dispositiven Rechts typischerweise stärker objektiv-abstrakt gefasst sind, wohingegen die Suche nach einem optimalen Interessenausgleich im Rahmen der Vertragsergänzung auch der Lösung individuell-konkreter Problemstellungen bei der Abwicklung ganz spezifischer Verträge dient. Schließlich kann – ebenfalls im Rahmen der sog „ergänzenden“ Vertrags203 auslegung – eine Sichtung und Bewertung der jeweiligen vertragsbezogenen Interessen der Vertragsteile ergeben, dass einen Vertragsteil deswegen eine bestimmte (Handlungs-)Pflicht trifft, weil anderenfalls ein grobes Missverhält­ nis zwischen den vertragsbezogenen Interessen der Vertragsteile drohen würde. Als typische Beispiele für die Kreation derartiger Pflichten, anlässlich derer der Vertragsinterpret ähnliche Überlegungen anzustellen hat wie sie im Rahmen der Dogmatik vom (objektiven) Rechtsmissbrauch gebräuchlich sind, können etwa jene Entscheidungen gelten, wonach ein Vertragsteil ausnahmsweise auch zur nachträglichen Abänderung eines Vertrages605 sowie zur Mitwirkung an der Dokumentation dieser Vertragsänderung606 verpflichtet sein kann. Zurückhaltung ist freilich geboten, wenn die in Frage stehende zusätzliche Pflicht mit Kosten für den potentiellen Adressaten dieser Pflicht verbunden wäre. Sich gegen eine nachträgliche unentgeltliche Oktroyierung von zusätzlichen Pflichten in das vertragliche Leistungsprogramm zu verwahren, stellt nämlich im Allgemeinen ein gleichermaßen berechtigtes wie gewichtiges Interesse eines Vertragsteils dar, weshalb es typischerweise den Ausschlag gegen die Annahme eines groben Interessenmissverhältnisses bei Nichtimplementierung der zusätzlichen Pflicht in den vertraglichen Pflichtenkatalog qua „ergänzender“ Vertragsauslegung geben wird.607 Keine Relevanz kommt dem angesprochenen Aspekt allerdings zB in jenen Fällen zu, in denen ein Vertragsteil gegenüber dem anderen qua („ergänzender“) Vertragsauslegung bloß zur Erteilung von Informationen über Umstände verpflichtet wird, von denen er ohnedies Kenntnis hat und die zu kennen auch für den Vertragspartner von emilich im Rahmen der allgemeinen Grenzen privatautonomer Rechtsgestaltung – zu respektieren und nicht etwa qua Vertragsergänzung in Richtung einer davon abweichenden Interessenoptimierung zu korrigieren. Deutlich idS etwa H. Böhm, Die „Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (104 ff) sowie OGH 6 Ob 527/84, HS 16.659. Wenn demgegenüber von Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 12 ausdrücklich der Judikatur Beifall gezollt wird, wonach im Bereich „ergänzender“ Vertragsauslegung die (idR richterliche) Suche nach einem angemessenen Interessenausgleich einer Berücksichtigung der Regelung, auf die sich die Parteien aufgrund der Übermacht eines Vertragsteils mutmaßlich geeinigt hätten, vorgehen muss (idS va OGH 5 Ob 550/76, SZ 49/86), so ist dem nur insoweit zuzustimmen, als damit Konstellationen angesprochen sein sollten, in denen sich aus dem tatsächlichen Vertragskonsens nicht einmal mehr Anhaltspunkte für die Vertragsergänzung fruchtbar machen lassen (so offenkundig ohnedies OGH 5 Ob 550/76, SZ 49/86). 605  OGH 1 Ob 716/86, JBl 1987, 782 (in concreto Abänderungspflicht allerdings verneinend). 606  OGH 1 Ob 508/76, EvBl 1976/224. 607  Diesen Aspekt betonen zu Recht etwa auch Eike Schmidt, Zur Ökonomie ergänzender Vertragsauslegung unter besonderer Berücksichtigung von Konkurrenzschutzgeboten, JA 1978, 597 ff sowie G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 239.

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nentem Interesse sind. Paradigmatisch ist in diesem Zusammenhang auf die Judikatur zur Begründung von Hinweis- und Warnpflichten qua „ergänzender“ Vertragsauslegung zu verweisen.608 10. Der „hypothetische Parteiwille“ Verbreitet wird der Ermittlung des „hypothetischen Parteiwillens“ große Bedeutung im Rahmen der sog „ergänzenden“ Vertragsauslegung zugemessen.609 Demnach soll vom Vertragsinterpreten zu ermitteln sein, was redliche und vernünftige Parteien für den nunmehr – aufgrund des Vorliegens einer Vertragslücke610 – regelungsbedürftigen Fall vereinbart hätten, wenn sie ihn anlässlich des Vertragsabschlusses bedacht hätten. Tatsächlich ist gegenüber einem derartigen Begründungsansatz für die Modifikation bzw uU gar die Erweiterung des vertraglichen Pflichtenprogrammes (die ja stets das Ergebnis „ergänzender“ Vertragsauslegung darstellen) indes Zurückhaltung angebracht. Diese hat ihre Ursache nicht etwa darin, dass bei diesem Begründungsansatz Auslegungsinstrument und Auslegungsziel verwechselt werden611, sondern vor allem darin, dass die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Formel, es werde ermittelt, was die Parteien für den regelungsbedürftigen Fall vereinbart hätten, bloß floskelhaft-ornamentale Bedeutung für die Ent­ scheidungsbegründung zukommt und die tatsächlich relevanten Wertungsaspekte nicht zureichend mobilisiert werden.612 Diese Wertungsaspekte sind vor allem in zweierlei zu erblicken: Soweit vertragliche Pflichten explizit übernommen wurden oder zumindest über bestimmte Vertragszwecke Konsens erzielt wurde, ist jeder Vertragsteil an diesem Konsens auch dann festzuhalten (und das diesbezügliche Vertrauen des Gegenübers zu schützen), wenn eine nachträgliche, zunächst nicht bedachte (und daher nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Risikozuweisung gemachte) Änderung der Umstände eine Modifikation des konkreten Pflichtenprogramms erforderlich macht, bzw würde es gegen das Verbot wi­ dersprüchlichen Verhaltens verstoßen (und wäre sohin mit den von § 914 hoch gehaltenen Maßstäben des redlichen Verkehrs nicht vereinbar), wenn sich ein Vertragsteil der Modifikation des konkreten Pflichtenprogrammes widersetzen wollte. Als praktische Beispiele für Konstellationen, in denen dieser Wertungsaspekt schlagend wird, können die Fälle gelten, in denen vertraglich eine Wertsicherung des Entgelts explizit vereinbart worden war, es aber in weiterer Folge zu einem Wegfall des konkret in Aussicht genommenen Wertsiche608 

Zu ihr im Detail Rz 266, 270. Vgl bloß Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 12 mwN. 610  Zu dieser sowie den Kriterien für die Prüfung ihres Vorliegens im Einzelfall siehe in Rz 103 ff. 611  So aber der Einwand von Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 79. 612  Zum topos des „hypothetischen Parteiwillens“ skeptisch ua auch H. Böhm, Die „Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (104 ff); Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag (1997) 203 ff, 236 und G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) va 189 ff. 609 

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rungsmaßstabes gekommen ist613, sowie die, in denen eine Erweiterung der im Vertrag konkret vorgezeichneten Pflichtenlage unabdingbar erscheint, um den mit einem Konkurrenzverbot offenbar verfolgten Zweck nicht völlig leer laufen zu lassen.614 (Nur615) soweit dieser Wertungsaspekt im Einzelfall nicht schlagend wird 209 bzw – mangels hinreichender Anhaltspunkte im vertraglichen Konsens – nicht schlagend werden kann, ist es regelmäßig das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Vertragsteile616, die sich hinter der Suche nach dem „hypothetischen Parteiwillen“ idR verbirgt bzw diese idealerweise leiten sollte. Ist dem nun aber so, ist nicht einzusehen, warum die entsprechenden Bemühungen des Vertragsinterpreten nicht auch als solche im Detail offen gelegt werden, sondern zT mit der Chiffre, es werde bloß ermittelt, was redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten, verbrämt werden. Nicht bloß die wahren Wertungsaspekte verdeckend, sondern schlicht un­ 210 zutreffend wäre es schließlich, wenn man unter der Chiffre der Ermittlung des „hypothetischen Parteiwillens“ eine Erweiterung des vertraglichen Pflichtenprogrammes bloß mit Blick darauf vornehmen wollte, dass ein Vertragsteil dem anderen diese aufgrund seiner Übermacht aller Voraussicht nach im Rahmen des Vertragsabschlusses abverlangt hätte, wenn die nunmehr in Frage stehende Konstellation bedacht worden wäre.617 Tatsächlich kann ein derartiges Ergebnis im Rahmen der Auslegung nämlich nur erzielt werden, wenn dem vertraglichen Konsens selbst bereits hinreichend deutliche Anhaltspunkte in Richtung der fraglichen Vertragsergänzung entnommen werden können, widrigenfalls die Berücksichtigung einer allfälligen faktischen Übermacht eines Vertragsteils für den Vertragsinterpreten hinter dem Bemühen nach Erzielung eines ausgewogenen Interessenausgleichs zwischen den Vertragsteilen zurückzutreten hat. 11. Die Berücksichtigung von „Treu und Glauben“ 211

Nach überkommener Auffassung618 soll im Rahmen va sog „ergänzender“ Vertragsauslegung, ungeachtet der Skepsis der Verfasser der III. TN ge613 

Dazu etwa OGH 8 Ob 271/65, SZ 38/164. Dazu sowie zu speziellen Auslegungsfragen bei Konkurrenzverboten allgemein Rz 340 ff. 615  Soweit Vertragsergänzung, und sei es auch unter der Floskel der Ermittlung des „hypothetischen Parteiwillens“, von der Extrapolation des vertraglichen Konsenses bzw dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens getragen wird, hat die Frage nach der (objektiven) Ausgewogenheit der solcherart erzielten Auslegungsergebnisse in jenem Umfang in den Hintergrund zu treten, als diese Auslegungsergebnisse einer privatautonomen Regelung grundsätzlich zugänglich sind, dh durch sie nicht gegen allgemeine Wirksamkeitsgrenzen privatautonomer Vereinbarungen verstoßen würde. Diese Vorrangrelation zutreffend betonend etwa auch H. Böhm, Die „Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (105) und G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 31. 616  Zu deren Bedeutung für die Vertragsauslegung ausführlich Rz 199 ff. 617  Derartiges mit Recht ablehnend auch OGH 5 Ob 550/76, SZ 49/86 und – dieser E zustimmend – Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 12. 618  Vgl bloß Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 84 mwN. 614 

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genüber der Übernahme einer § 242 BGB vergleichbaren Norm in das österreichische Recht619, auch einer Berücksichtigung von „Treu und Glauben“ bzw – damit zu­sammenhängend – der „redlichen Verkehrsanschauung“ Bedeutung zukommen. Tatsächlich dürfte der eigenständige Bedeutungsgehalt dieses – schon per 212 se äußerst pauschal gehaltenen – Auslegungskriteriums bzw der ihm zukommende Erkenntniswert indes gering sein620 und sich hinter ihm, soweit es nicht ohnedies bloß als Verweis auf allenfalls einschlägige Verkehrssitten begriffen wird, in Wahrheit ähnliche Wertungsaspekte verbergen wie hinter der Ermittlung des „hypothetischen Parteiwillens“: Soweit sich entsprechende Anhaltspunkte im vertraglichen Konsens ermitteln lassen, sind diese auch auf formal nicht vom vertraglichen Pflichtenprogramm erfasste Konstellationen zu extrapolieren, da insoweit das Vertrauen des einen Vertragsteils auf den vertraglichen Konsens zu schützen ist („Glaube“) bzw es gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen würde, wenn sich der andere Vertragsteil dieser Extrapolation widersetzen würde („Treu“). Soweit dem nicht so ist und in der Tat eine Vertragslücke vorliegt, die durch Auslegung zu schließen ist, muss jedem („redlichen“) Vertragsteil bewusst sein, dass insoweit nicht ausschließlich seine Interessen Berücksichtigung finden können, da ein nachvollziehbarer Grund für die damit verbundene Diskriminierung der Interessen des anderen Vertragsteils nicht ersichtlich ist; dass es sohin um die Erzielung eines optimalen Interessenausgleichs durch den Vertragsinterpreten zu gehen hat.621

X. Rangordnung der Auslegungskriterien Vor allem, wenn im Rahmen eines konkreten Auslegungsprozesses mehre- 213 re Auslegungskriterien mobilisiert werden können und deren Berücksichtigung zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen führen würde, stellt sich die Frage nach einem allfälligen Rangverhältnis der Auslegungskriterien. Die Beantwortung dieser Frage dürfte im Bereich der sog „einfachen“ 214 Vertragsauslegung noch insofern im Wesentlichen einhellig erfolgen, als – aufgrund der diesbezüglich doch recht deutlichen Fassung von § 914 wenig verwunderlich – ein Zurücktreten einer ausschließlich am Wortlaut der Vertragserklärung orientierten Auslegung vor dem tatsächlichen Willen der Vertragsteile einerseits622 und der Berücksichtigung der konkreten Umstände, unter denen die Erklärung gegenüber dem Erklärungsempfänger abgegeben wurde, andererseits angenommen wird.623 619 

Siehe dazu schon oben Rz 3. Ähnlicher Befund auch bei Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 84. 621  Dazu allgemein Rz 201 ff. 622  Unzutreffend, zumindest aber missverständlich, daher die Aussage von Gschnitzer in Klang2 IV/1, 411, wonach die Absicht der Parteien dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks nachrangig sei. Berechtigte Kritik an dieser Aussage schon bei Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 4. 623  Vgl bloß Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 4: „Die geschilderte Rangfolge der Auslegungsbehelfe entspricht jetzt hL u stRsp“. 620 

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Durchaus unterschiedliche Auffassungen bestehen demgegenüber schon darüber, welches Gewicht dem Vertragszweck als Auslegungskriterium zuzumessen ist.624 Im Bereich der sog „ergänzenden“ Vertragsauslegung schließlich diver216 gieren die Einschätzungen nach dem Bestehen eines Rangverhältnisses der Auslegungskriterien völlig: Während manche das Bestehen eines Rangverhältnisses, va zwischen einem Rekurs auf den „hypothetischen Parteiwillen“, der Berücksichtigung des redlichen Verkehrs und der Anwendung des Grundsatzes von „Treu und Glauben“ explizit leugnen625, betonen andere – zumindest in bestimmter Hinsicht – sehr wohl das Bestehen von Vorrangrelationen zwischen einzelnen der im Rahmen der sog „ergänzenden“ Vertragsauslegung gebräuchlichen Auslegungskriterien.626 Dass mit diesem Befund durchaus nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit 217 verbunden ist, vor allem, weil sich nur schwer abschätzen lässt, ob das im Konfliktfall für die autoritative Entscheidung über die Auslegung eines bestimmten Vertrages zuständige Gericht eine bestimmte Vorrangrelation zwischen den in Frage stehenden Auslegungskriterien anerkennen wird, und wenn ja, mit welchem Inhalt, liegt auf der Hand.627 Schon von daher erweist sich eine vertiefte Beschäftigung mit der Frage des Rangverhältnisses der Auslegungskriterien als lohnende Aufgabe auch – aber gewiss nicht nur628 – für die österreichische Rechtswissenschaft. In diesem Zusammenhang ist zunächst der hA uneingeschränkt beizu218 pflichten, dass der Wortlaut des Vertrages – ungeachtet seines Naheliegens als primärer Anknüpfungspunkt für jegliche Interpretationstätigkeit aus erkenntnisökonomischen Gründen629 – hinter dem tatsächlichen rechtsgeschäftlichen Willen der Vertragsteile, aber auch hinter dem speziellen Verständnis, das ein Vertragsteil aufgrund der besonderen Umstände, unter denen die Vertragserklärung abgegeben wurde, vom Inhalt des Vertrages gewinnen durfte, zurückzutreten hat.630 215

624  Die einschlägige Bandbreite reicht von einer generellen Leugnung der Relevanz des Vertragszwecks für die Vertragsauslegung bis hin zum Postulat von dessen überragender Bedeutung; vgl dazu schon oben Rz 175 ff. 625  So etwa Rummel in Rummel3 I § 914 Rz 11 („Eine feste Rangfolge ist auch – wie stets bei Auslegungsmaximen – nicht herstellbar“) und – ihm folgend – OGH 5 Ob 617/88, JBl 1990, 105. 626  So zB für den Vorrang des „Fortdenkens“ des tatsächlichen Parteiwillens vor einer Orientierung an einer objektiv ausgewogen erscheinenden Interessenabwägung H. Böhm, Die „Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (105) und – ihm folgend – Heiss in Kletečka/Schauer, ABGBON § 914 Rz 81. 627  Auf diese Rechtsunsicherheit hinweisend etwa auch Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 1996, 661 ff (687). 628  Zum – ebenfalls kontroversen – Meinungsstand zur Rangfrage in Deutschland vgl etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 70; Roth in Staudinger, BGB13 § 157 Rz 32 f und Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 62. 629  Dies betonend etwa auch OGH 1 Ob 1, 2/86, JBl 1986, 782 sowie 3 Ob 125/05m, JBl 2006, 452. 630  Vgl dazu auch schon oben Rz 131 ff, 150 ff.

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Damit im Zusammenhang stehend, kommt auch dem Verständnis, das ein Vertragsteil aufgrund der besonderen Umstände, unter denen die konkrete Vertragserklärung abgegeben wurde, gewinnen durfte, im Konfliktfall Vor­ rang vor allgemeinen Erklärungssitten zu.631 Die Beachtung der besonderen Umstände, unter denen eine bestimmte Vertragserklärung abgegeben wurde, wird im Konfliktfall auch dem Gebot systematischer Interpretation vorzugehen haben. Sollte sich also etwa nachweisen lassen, dass zu einem relativ späten Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen ein bestimmter (und als solcher unstrittiger) Punkt ganz gezielt in das Vertragswerk aufgenommen werden sollte, wird dessen Geltung als Teil des Vertrages ungeachtet des Umstandes anzuerkennen sein, dass dadurch andere, im Hinblick auf die Chronologie der Vertragsentstehung ältere Punkte des Vertragswerkes widersprüchlich erscheinen oder gar unanwendbar werden. Tunlichste Respektierung der bewussten privatautonomen Rechtsgestaltung durch die konkreten Vertragsteile stellt den entscheidenden Grund dar, warum dem von den Vertragsteilen übereinstimmend verfolgten Zweck des Vertrages bzw zumindest einzelner seiner Regelungen im Rahmen der Vertragsauslegung sowohl gegenüber dem Wortlaut des Vertrages632, als auch – im Bereich der ergänzenden Vertragsauslegung – gegenüber einem Rekurs auf einschlägige Verkehrssitten oder der Vornahme einer umfassenden richterlichen Interessenabwägung der Vorrang zuzukommen hat.633 In diesem Zusammenhang ist – in konsequenter Entsprechung der § 914 zugrunde liegenden Vertrauenstheorie – der tatsächlich übereinstimmenden Zweckverfolgung durch die Kontrahenten gleichzuhalten, wenn ein Vertragsteil mit Recht darauf vertrauen durfte, dass bestimmte Vertragszwecke vom vertraglichen Konsens erfasst sind, etwa, weil auf diese im Rahmen der Vertragsverhandlungen explizit hingewiesen und dem vom anderen Vertragsteil nicht widersprochen wurde. Soweit schließlich im Rahmen der Vertragsauslegung ausschließlich ein Rekurs auf einschlägige Verkehrssitten oder eine Vertragsergänzung durch richterliche Interessenabwägung ad hoc zur Diskussion stehen, ist dem Re­ kurs auf die einschlägigen Verkehrssitten – vor allem aufgrund von deren materieller Richtigkeitsgewähr sowie im Interesse tunlichster Vorhersehbarkeit des Ergebnisses der Vertragsergänzung und tunlichster Gleichbehandlung des Gleichartigen – der Vorzug vor einer richterlichen Interessenabwägung ad hoc zu geben.634

631  Dogmengeschichtlich lässt sich diese Vorrangrelation im österreichischen Recht bis zum Entwurf Horten rückverfolgen: vgl Mayer-Maly, in FS Weinberger 587. 632  Siehe dazu schon Rz 144, 177 ff. 633  Grundsätzlich ebenso H. Böhm, Die „Altlastensanierung“ als Problem der ergänzenden Vertragsauslegung bzw des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ÖZW 1990, 79 ff, 104 ff (105) und – diesem folgend – Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 81. 634  Siehe zu dieser Frage auch schon oben Rz 190.

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XI. Judikaturüberblick zu Auslegungsfragen 1. Auslegung bestimmter Vertragsformulierungen a) Vertragstypenübergreifende Kasuistik Im Hinblick darauf, ob von einer bestimmten Entgeltsvereinbarung im Zweifel auch schon die Umsatzsteuer mit umfasst ist, dh von der Vereinbarung eines Brutto- (statt eines Netto-)Preises auszugehen ist635, entspricht es der ständigen, wohl nicht zuletzt von § 9 Preisauszeichnungsgesetz636 mit beeinflussten Judikatur, im Allgemeinen von einer Erklärungssitte des Inhalts auszugehen, dass die gesetzliche Umsatzsteuer im Zweifel schon im ausgewiesenen Entgelt mit inbegriffen ist637; dies auch im Verhältnis zwischen Unternehmern, wenn der Vertragspartner vorsteuerabzugsberechtigt ist638, und insbesondere dann, wenn eine Pauschalpreisvereinbarung abgeschlossen wird.639 Anders ist dies zum einen dann, wenn im Einzelfall vom Gläubiger der Geldleistung nachgewiesen werden kann, dass im relevanten Verkehrskreis ein auf die Verwendung von Nettopreisen abstellender Unternehmerbrauch (in Gestalt einer entsprechenden Erklärungssitte) besteht.640 Zum anderen wird von der Judikatur angenommen, dass selbst die Vereinbarung eines „Pauschalmietzin­ ses“ nach der einschlägigen Verkehrsübung nur die Mietzinskomponenten gemäß § 15 Abs 1 Z 1–4 MRG abdeckt, sodass es des zusätzlichen Beisatzes „brutto“ bedürfte, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass vom vereinbarten Pauschalmietzins auch schon die Umsatzsteuer mit umfasst ist.641 Sollte im betroffenen Verkehrskreis keine einheitliche Übung bezüglich der Verwendung von Brutto- oder Nettopreisen bestehen, spricht viel dafür, gemäß der „interpretatio contra proferentem“ iSv § 915 den Ausschlag geben zu lassen, welchem der Vertragsteile die (dann undeutliche) Preisangabe zuzurechnen ist.642 Die Vereinbarung eines „Festpreises“ ist verkehrsüblich so zu verstehen, 224 dass Preisbewegungen nicht oder, bei befristetem Festpreis, zumindest für eine 223

635  Siehe zu dieser Problematik auch Thunhart, Brutto- und Nettopreise im Zivilrecht, RdW 2003, 548 ff. 636  „§ 9. (1) Die Preise sind einschließlich der Umsatzsteuer sowie aller sonstigen Abgaben und Zuschläge auszuzeichnen (Bruttopreise). (2) Die Preise sind in österreichischer Währung auszuzeichnen. (3) Werden zusätzlich Teile des Preises oder der Preis in ausländischer Währung angegeben, so ist der gemäß Abs. 1 und 2 auszuzeichnende Preis mindestens in gleicher Schriftgröße und Auffälligkeit zu schreiben. (4) Wird zusätzlich der Nettopreis angegeben, so ist der Bruttopreis in dessen unmittelbarer Nähe auszuzeichnen.“ 637  Vgl etwa OGH 7 Ob 28/75, JBl 1975, 602; 1 Ob 39/75, JBl 1976, 37; 1 Ob 716/86, JBl 1987, 782; 7 Ob 574/92, JBl 1993, 107. 638  OGH 7 Ob 574/92, JBl 1993, 107. 639  OGH 5 Ob 195/75, ImmZ 1976, 138. 640  OGH 7 Ob 28/75, JBl 1975, 602; 1 Ob 39/75, JBl 1976, 37. 641  OGH 5 Ob 503/91, wobl 1991, 139 (zust Würth). 642  Vgl Thunhart, Brutto- und Nettopreise im Zivilrecht, RdW 2003, 548 ff (551).

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bestimmte Zeitspanne unbeachtlich sind643, jene eines „wertgesicherten Fest­ preises“ so, dass sich der nominal vereinbarte Preis ausschließlich wegen des vorgesehenen Wertsicherungsfaktors verändern kann, nicht aber aufgrund irgendwelcher anderer Umstände.644 Die Vereinbarung eines „Skontos“, dh die Gewährung eines bestimmten prozentuellen Preisnachlasses vom Fakturenbetrag, wenn innerhalb einer bestimmten Frist (Bar-)Zahlung erfolgt, ist im Zweifel so zu verstehen, dass das Skonto nur dann zusteht, wenn innerhalb der relevanten Frist tatsächlich das gesamte Entgelt beglichen wird, sodass die bloße Teilzahlung nicht zum Abzug teilweisen Skontos berechtigt.645 Nicht zum Verlust des Rechts auf Abzug des Skontos führt es allerdings, wenn das Entgelt vom Schuldner bloß deshalb innerhalb der ihm vorgegebenen Frist nicht bzw nicht zur Gänze beglichen wird, weil ihm – aufgrund mangelhafter Erfüllung – insoweit ein Zurückbehaltungsrecht zusteht.646 Eine Tilgung durch Aufrechnung berechtigt nur dann zur Vereinnahmung des Skontos, wenn zum einen in der Skontovereinbarung bloß von „Zahlung“ (und nicht etwa: „Barzahlung“) binnen einer bestimmten Frist die Rede ist, und zum anderen die Forderung, mit der aufgerechnet wird, unbestritten ist.647 Unter „Zahlungstag“ wird im Allgemeinen der Tag verstanden, an dem die Fälligkeit der (Geld-)Forderung eintritt.648 Einer als „Anzahlung“ bezeichneten Vorausleistung kommt dann, wenn sie eine im Vergleich zum Gesamtkaufpreis beträchtliche Höhe erreicht, nach der Verkehrsauffassung keine Angeldfunktion zu649; ein „Vorschuss“ stellt eine Vorauszahlung auf die Vertragserfüllung dar und wird von der Forderung abgerechnet.650 Wird vereinbart, dass eine Leistung „bei Bedarf“ nachgefragt wird, so schließt dies nach der Verkehrsauffassung die Möglichkeit aus, den Bezug der Leistung deswegen abzulehnen, weil an ihr schon grundsätzlich kein Interesse besteht.651 Wird im Hinblick auf die Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes einerseits im Vertrag auf die Möglichkeit eines Vertragsteils zur umfassenden Information über diese hingewiesen und andererseits vereinbart, dass „dem­ nach“ der andere Vertragsteil für keine bestimmte Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes hafte, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Haftung nur für jene Eigenschaften des Vertragsgegenstandes ausgeschlossen ist, die durch entsprechende Informationsaufnahme erkennbar gewesen wären.652 Da643 

OGH 6 Ob 662/86, wbl 1987, 38. OGH 3 Ob 531/77, HS 10.667/6; vgl auch RIS-Justiz RS0019274. 645  OGH 5 Ob 630/89, JBl 1990, 248 (Rebhahn). 646  OGH 1 Ob 98/58f, EvBl 1999/144. 647  OGH 1 Ob 98/58f, EvBl 1999/144. 648  OGH 1 Ob 135/67, EvBl 1968/175; vgl auch RIS-Justiz RS0024243. 649  OGH 4 Ob 543/81, JBl 1982, 255; 6 Ob 2317/96w, RdW 1997, 655. Vgl auch § 908 Rz 17 ff. 650  OGH 3 Ob 518/77, SZ 51/38. 651  OGH 1 Ob 604/77, JBl 1979, 94. 652  OGH 9 Ob 50/10h, JBl 2011, 40 (P. Bydlinski). 644 

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mit korrespondierend kann in der Formulierung „Nach Besichtigung in Ord­ nung übernommen“ kein Verzicht auf die Haftung für nicht augenfällige Mängel erblickt werden.653 Wird im Vertrag „jegliche Gewährleistung ausgeschlossen“, so wird zumindest bei juristisch nicht versierten Vertragspartnern davon auszugehen sein, dass mit einer derartigen Formulierung auch die Irrtumsanfechtung bezüglich schlicht, dh nicht mindestens leicht fahrlässig veranlasster Eigenschaftsirrtümer abbedungen wurde.654 Unter der Einräumung einer „Garantie“ wird verkehrsüblicherweise verstanden, dass die Mangelfreiheit des Vertragsgegenstandes nicht bloß zum Zeitpunkt der Übergabe vorliegen muss, sondern während der gesamten Garantiefrist. Damit ist aber keine erweiterte Haftung für Mangelfolgeschäden verbunden.655 Im Falle des Verzuges ist unter „Zurücknahme“ der Sache üblicherweise der Rücktritt vom Vertrag zu verstehen und nicht bloß die Inverwahrnahme der Sache bis zur vollständigen Bezahlung.656 Übernimmt jemand die Haftung für alle Schäden, die „sich ergeben soll­ ten“ bzw die „verursacht werden“, so wurde dies von der Judikatur zT bereits als Vereinbarung einer reinen Kausalhaftung angesehen.657 Richterweise wird man derartige Vertragsformulierungen nach der Verkehrsauffassung aber wohl nicht ohne weiteres so verstehen können bzw müssen, dass durch sie vom zentralen schadenersatzrechtlichen Element des Verschuldens abgewichen werden sollte.658 Anders mag dies dann sein, wenn ihre Vereinbarung vor dem Hintergrund besonders gelagerter Haftungsszenarien erfolgt, bei denen in der Tat eine reine Kausalhaftung sachgerecht erscheint. Die Formulierung „with the knowledge” bzw „in dem Wissen” im Zusammenhang mit der Formulierung einer Haftungsbeschränkung ist so zu verstehen, dass das Wissen des konkreten Schädigers um die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gefordert wird (= bewusste grobe Fahrlässigkeit).659 Unter einem „Einfamilienhaus“ wird verkehrsüblicherweise ein als Einzelhaus, aber auch als Doppel- oder Reihenhaus gebautes Haus für eine Familie verstanden; das schließt nicht aus, dass ein derartiges Haus über einen Stock mit einer ausgebauten Mansarde verfügt.660 Mit „Reihenhaus“ werden im Allgemeinen jene Häuser bezeichnet, die zu einem Gebäudekörper zusammengefasst sind.661 Als „Maisonette“ gilt nach der Verkehrsauffassung ein Objekt, das ein Wohnen auf zwei Ebenen ermöglicht und bei dem sowohl das Unter- als auch das Obergeschoß in Anspruch genommen werden kön653 

OGH 8 Ob 51/62, EvBl 1962/509. OGH 3 Ob 111/09h, JBl 2010, 180 (folgend P. Bydlinski, Beschränkung und Ausschluss der Gewährleistung, JBl 1993, 559 ff, 631 ff [562]). 655  OGH 7 Ob 506/91, JBl 1991, 385. 656  OGH 8 Ob 140/70, SZ 43/101. 657  OGH 4 Ob 511/74; 6 Ob 55/02k, ecolex 2003/42 (Wilhelm). 658  So auch mit Recht OGH 2 Ob 199/09t, wobl 2010, 345 (krit Kerschner). 659  OGH 2 Ob 212/08b, ZVR 2009/170 (Kathrein). 660  OGH 3 Ob 562/76, JBl 1979, 146. 661  OGH 5 Ob 591, 592/89, wbl 1989, 348. 654 

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nen.662 Eine Fremdenpension stellt nach der Verkehrsauffassung kein „Wohn­ gebäude“ dar.663 Unter „generalsaniert“ ist nach der Verkehrsauffassung ein Gebäudezustand zu verstehen, der unmittelbar nicht die Vornahme größerer Erhaltungsarbeiten erfordert.664 Von einer „Zufahrtsstraße“ zu einem Baugrundstück wird nach dem allgemeinen Verkehrsverständnis zu fordern sein, dass sie an das bestehende Niveau des Grundstücks anschließt.665 Zu den „Er­ schließungskosten“ zählen nach der Verkehrsauffassung unter anderem sämtliche Kosten der Be- und Entwässerungsanlagen; dies unabhängig vom Rechtsgrund ihres Entstehens.666 Die Pflicht zur Tragung der „Vertragserrichtungskosten“ erfasst übli- 236 cherweise auch die Kosten der anwaltlichen Prüfung einer vorgeschlagenen Vertragsänderung.667 b) Vertragstypenbezogene Kasuistik aa) Kaufverträge Generelle Relevanz kommt im (nationalen wie internationalen) Kaufhandel Kaufklauseln bzw Trade Terms zu, worunter handelstypische Erklärungssitten bzw entsprechende Unternehmerbräuche zu verstehen sind; die Incoterms stellen den Versuch zu deren internationaler Vereinheitlichung dar.668 So wird beispielsweise die Verwendung der Vertragstermini „franko Waggon“ und „auf den Wagen gelegt“ im Holzhandel so verstanden, dass damit als vereinbart gilt, dass die Gefahr bis zur Verladung im Waggon beim Verkäufer bleibt.669 Bei der Vereinbarung einer „Lieferung frei Baustelle“ trifft den Käufer nach der allgemeinen Verkehrsauffassung keine Mitwirkungspflicht bezüglich des Ausladens des gelieferten Materials; dieses hat vielmehr alleine der Verkäufer zu besorgen.670 Wird in einem Kaufanbot Ware „wie gehabt“ bestellt, so ist dies so zu verstehen, dass die Leistung im Hinblick auf ihre Sollbeschaffenheit einer bereits früher gelieferten gattungsmäßig entsprechen soll, jedoch Abweichungen innerhalb des vom unternehmerischen Verkehr geduldeten Ausmaßes erlaubt sind.671 Einen Auftrag „in Vormerkung nehmen“ bedeutet im Sprachgebrauch des Kaufhandels, das entsprechende Anbot anzunehmen.672 662 

OGH 6 Ob 67/99t, bbl 1999/273. OGH 3 Ob 562/76, JBl 1979, 146. 664  OGH 5 Ob 277/01y, MietSlg LIV/6. Vgl in diesem Zusammenhang auch die Sondergewährleistungsnorm des § 37 Abs 4 WEG 2002. 665  OGH 8 Ob 163/06p, bbl 2007/163. 666  OGH 6 Ob 756/81, MietSlg XXXIV/14. 667  OGH 1 Ob 542/77, JBl 1978, 428. 668  Vgl etwa OGH 6 Ob 518/87, RdW 1988, 41. Für Details der Incoterms 2010 siehe etwa Kramer/Rauter in Straube, UGB4 I § 346 Rz 57. 669  OGH 2 Ob 635/52, SZ 25/261; 1 Ob 278/59, EvBl 1960/5. 670  OGH 7 Ob 534/82, SZ 55/102. 671  OGH 3 Ob 787/53, SZ 26/318. 672  OGH 1 Ob 200/50, SZ 23/89. 663 

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Bei einem Liegenschaftskaufvertrag pauschal vereinbarte „Vertragser­ richtungskosten“ umfassen nach dem allgemeinen Verständnis nicht die Intabulationsgebühr.673 Ist eine „Verrechnung der Mietzinsreserve mit dem Kaufpreis“ eigens 242 vereinbart, so ist dies im Allgemeinen so zu verstehen, dass eine Mietzinsreserve, so sie tatsächlich vorhanden sein sollte, vom vereinbarten Kaufpreis abgezogen werden kann674; eine Zusicherung, wonach die „Mietzinsreserve verbraucht“ sei, führt, wenn dem nicht so sein sollte, zu einem Schadenersatzanspruch des Erwerbers, begründet jedoch keine unmittelbare Pflicht des Veräußerers zur Herausgabe der entsprechenden Beträge.675 Wird im Liegenschaftskaufvertrag einerseits die „Übergabe und Über­ 243 nahme des Kaufgegenstands mit allen Rechten und Pflichten, wie sie der Verkäufer besessen und benutzt hatte bzw zu besitzen und benutzen be­ rechtigt gewesen wäre“ vereinbart, und werden andererseits die vor der tatsächlichen Übergabe eingetretenen „Gefahren und Zufälle“ sowie die vor diesem Zeitpunkt anfallenden „öffentlichen Abgaben und Verbindlichkeiten sowie auch die bereits gezahlten Mietzinse“ ausdrücklich dem Verkäufer zugeordnet, so ist der Vertrag so zu verstehen, dass die Rechtszuständigkeit zur Geltendmachung von Mietzinsforderungen für Perioden vor der Übergabe ebenso beim Veräußerer verbleibt wie das Recht, Schadenersatz wegen Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 12a MRG für diese Perioden geltend zu machen.676 Auch wenn im Liegenschaftskaufvertrag bloß vereinbart worden sein sollte, dass „sämtliche Ansprüche auf Mietzinse“, auch wenn sie vor dem vertraglichen Übergabestichtag entstanden oder fällig geworden sind, auf den Käufer übergehen, soweit sie weder der Verkäuferseite selbst zugeflossen noch zur Abdeckung von Verbindlichkeiten der Verkäuferseite verwendet worden sind, so ist davon das Recht zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 12a MRG durch den Mieter nicht erfasst.677 Ist im Kaufvertrag über (sämtliche) Anteile einer Kapitalgesellschaft vor244 gesehen, dass „Steuernachzahlungen“ für Perioden vor dem Erwerb den Kaufpreis mindern, so sind darunter auch Abschlusszahlungen zu verstehen, die aus zu geringen Vorauszahlungen für diese Perioden resultieren.678 bb) Bestandverträge 245

Die Vereinbarung eines „Pauschalmietzinses“ deckt nach der einschlägigen Verkehrsübung nur die Mietzinskomponenten gemäß § 15 Abs 1 Z 1–4 673 

OGH 2 Ob 685/87, wbl 1988, 205. OGH 3 Ob 271/61, EvBl 1961/524. 675  OGH 3 Ob 233/98f, MietSlg 51.335. Vgl zu diesem Themenkomplex auch Nowotny, Mietzinsreserve und Kaufvertrag, RdW 1990, 103 f. 676  OGH 8 Ob 4/11p, JusGuide 2011/14/8631. 677  OGH 4 Ob 220/08v, wobl 2009, 321 (Vonkilch) = GeS aktuell 2009, 257 (Foerster) = immolex 2009, 275 (Stibi); vgl dazu auch Friedl, Zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers wegen unterlassener Anzeige nach § 12a Abs 3 MRG bei Vermieterwechsel, ecolex 2009, 656 ff. 678  OGH 1 Ob 682, 683/89, ecolex 1990, 216 (Thiery). 674 

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MRG ab, sodass es des zusätzlichen Beisatzes „brutto“ bedürfte, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass vom vereinbarten Pauschalmietzins auch schon die Umsatzsteuer mit umfasst ist.679 Bei der Vereinbarung einer „Um­ satzmiete“ ist nach den Maßstäben des redlichen Verkehrs davon auszugehen, dass sie von jenem Umsatz zu berechnen ist, der durchschnittlich erzielbar ist.680 Unter „Betriebskosten“, die vom Mieter zusätzlich zum Mietzins zu leisten sind, wird – auch außerhalb des Vollanwendungsbereiches des MRG – üblicherweise der Betriebskostenkatalog des § 21 MRG verstanden.681 In der vertraglichen Regelung, wonach Rechte und Pflichten aus einem Mietverhältnis „auf die beiderseitigen Rechtsnachfolger übergehen“, wurde von der Judikatur die Einräumung eines – der Mietzinsanhebung gemäß § 12a MRG grundsätzlich entgegenstehenden – Weitergaberechts erblickt.682 Wird in einem Mietvertrag bezüglich der Objektrückstellung vereinbart, dass diese „in gutem und brauchbarem Zustand, Wände weiß ausgemalt, lediglich durch die natürliche Abnutzung verschlechtertem Zustand“ zu erfolgen habe, so ist dies nicht so zu verstehen, dass der Mieter bei Objektrückstellung jedenfalls verpflichtet wäre, das Objekt neu weiß auszumalen.683 Die Vereinbarung des „Mietquartals“ als Kündigungstermin wird von der Judikatur dahingehend verstanden, dass es auf das nach dem Beginn des Bestandverhältnisses ermittelte Quartalsende ankommen soll.684 Wird in einem Bestandvertrag für den Fall verspäteter Objektrückgabe nach Vertragsende vorgesehen, dass „der Berechnung der Nutzungsentschä­ digung der Hauptmietzins der letzten Verrechnungsperiode zuzüglich der jeweiligen Nebenkosten zugrunde gelegt wird“, so ist darunter eine vertragliche Pauschalierung der Ansprüche gemäß § 1041 der Höhe nach zu verstehen.685 Wird in diesem Zusammenhang zudem vorgesehen, dass „darüber hinaus der Mieter für alle weitergehenden Schäden oder Rechtsfolgen, die aus der Verzögerung der Räumung und Rückgabe erwachsen, haftet“, so begründet dies keine (verschuldensunabhängige) Erfolgshaftung des (ehemaligen) Mieters, sondern verweist bloß auf die Möglichkeit seiner Haftung nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen.686

OGH 5 Ob 503/91, wobl 1991, 139 (zust Würth). OGH 8 Ob 670/88, wobl 1990, 95. 681  Vgl va OGH 2 Ob 60/08z, wobl 2009, 289 und RIS-Justiz RS0123383. Anders noch OGH 5 Ob 631/79, MietSlg 31.106. Vgl zum Ganzen auch Vonkilch, Glosse zu OGH 3 Ob 219/08i, wobl 2009, 348. 682  OGH 5 Ob 11/84, MietSlg XXXVI/12; 7 Ob 617/89, wobl 1990, 100 (Hanel); 5 Ob 279/99m, ÖWR 2001, E 33; 5 Ob 86/00h, wobl 2001, 5. 683  OGH 5 Ob 22/08h, wobl 2008, 300. Zu den Grenzen der Zulässigkeit von vertraglichen Endrenovierungspflichten des Mieters vgl OGH 6 Ob 104/09a, wobl 2010, 20 (Vonkilch) sowie 2 Ob 73/10i, immolex 2011, 81 (Prader/Böhm). 684  OGH 8 Ob 519/94, wobl 1994, 195 (Dirnbacher, krit Würth, nach dem damit verkehrs­ üblicherweise das Kalendervierteljahr gemeint sei). 685  OGH 2 Ob 199/09t, wobl 2010, 345 (krit Kerschner). 686  OGH 2 Ob 199/09t, wobl 2010, 345 (krit Kerschner). 679  680 

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cc) Arbeitsverträge 251

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„Entgelt“ bzw „Bezug“ umfasst nach dem auf dem Gebiet des Arbeitsrechts üblichen Sprachgebrauch jede Leistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber dafür bekommt, dass er ihm seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, also auch gegen jederzeitigen Widerruf gewährte Prämien, Zulagen (sofern sie nicht die Funktion einer [echten] Aufwandsentschädigung haben), der Naturalbezug von Freiflugtickets und Dienstkleidung und der Wert der Privatnutzung des Dienstkraftwagens, nicht aber die Vergütung von Auslagen und Aufwendungen des Arbeitnehmers im Interesse des Arbeitgebers, deren Ersatz er in analoger Anwendung des § 1014 vom Arbeitgeber fordern kann.687 Nach der arbeitsrechtlichen Verkehrsauffassung ist zwischen der „abgelei­ teten (unechten) Nettolohnvereinbarung“, bei der zunächst der Bruttobetrag ermittelt wird, und der „originären (echten) Nettolohnvereinbarung“, bei welcher sich die Parteien überhaupt nicht im Klaren darüber sind, welcher Bruttobetrag dem Nettolohn zuzuordnen ist, zu unterscheiden, wobei im Zweifel vom Vorliegen einer abgeleiteten Nettolohnvereinbarung auszugehen ist.688 Bei Vorliegen einer originären Nettolohnvereinbarung gilt diese allerdings auch für Sonderzahlungen, sodass der Nettolohn immer als konstante Größe geschuldet wird.689 Sollte sich aufgrund der geringen Höhe im Einzelfall nichts Gegenteiliges ergeben, so ist die Vereinbarung eines „Pauschalfixhonorares“ grundsätzlich so zu verstehen, dass es auch Sonderzahlungen und allfällige Überstundenentgelte beinhaltet.690 Unter „Ausbildungskosten“ werden üblicherweise die vom Arbeitgeber tatsächlich aufgewendeten Kosten für jene erfolgreich absolvierte Ausbildung, die dem Arbeitnehmer Spezialkenntnisse theoretischer und praktischer Art vermittelt, die dieser auch bei anderen Arbeitgebern verwerten kann, verstanden.691 Werden sie für den Fall der Pflicht zu ihrer Rückzahlung mit einem bestimmten Betrag beziffert, so ist darin keine Pauschalierung der zu refundierenden Kosten zu erblicken, sondern nur eine Begrenzung nach oben hin.692 Für die Verwendung der Formulierung „stempeln gehen“ gibt es arbeitsrechtlich keinen eindeutig feststehenden Sprachgebrauch, sodass es stets auf die Umstände der Verwendung dieser Formulierung ankommen wird. In Verbindung mit der Aussage, die Arbeit sei nun zu Ende und es mögen die Papiere abgeholt werden, wird darin eine Entlassungserklärung zu erblicken sein.693 Ist es im Betrieb aber üblich, dass bei schlechter Auftragslage einzelne Arbeitnehmer für einige Tage abgemeldet werden, ist die Erklärung des Arbeitgebers, derzeit gebe es wenig Arbeit, die Arbeitnehmer müssten daher „stempeln ge687 

Vgl RIS-Justiz RS0031505. Vgl RIS-Justiz RS0028026. 689  OGH 9 ObA 48 – 53/90, SZ 63/36. 690  OLG Wien 9 Ra 68/00m, ARD 5190/5/2001 und OGH 9 Ob A 237/00v, ARD 5215/43/2001. 691  OGH 8 ObS 8/08x. 692  Vgl RIS-Justiz RS0028886. 693  OGH 4 Ob 132/61, Arb 7462. 688 

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hen“, nicht als Lösungserklärung, sondern als Anbot zur Aussetzung der Arbeitsverhältnisse anzusehen.694 dd) Versicherungsverträge695 Unter „Schadenersatzverpflichtungen“ iSd AHVB sind auch verschuldensunabhängige Haftungstatbestände zu verstehen, wie etwa die nach­ barrechtliche Gefährdungshaftung und die Risikohaftung des Arbeitgebers.696 Schadenersatzforderungen „im Zusammenhang mit dem versicherten Be­ trieb“ erstrecken sich auch auf die Bearbeitung übernommener Sachen.697 Der Begriff der „Verwendung eines Fahrzeuges“ in den AKHB darf nicht enger ausgelegt werden als der Begriff des „Betriebes“ im Sinne des § 1 EKHG.698 Unter „Bargeld für die Haushaltsführung“ iSd ABH sind sämtliche für die finanzielle Regelung des privaten Lebensbereiches erforderlichen Barmittel, soweit diese sich in der Wohnung des Versicherungsnehmers befinden, zu verstehen, nicht bloß jene, die unmittelbar zur Haushaltsführung benötigt werden.699 Ebenfalls iSd ABH ist unter „Keller“ nicht bloß ein individuell zugewiesenes Kellerabteil zu verstehen, sondern auch ein – gegenüber Dritten versperrter – Gemeinschaftskeller700; für das Vorliegen eines „Zweitwohnsitzes“ ist entscheidend, dass die Räume regelmäßig mit einer bestimmten Intensität benutzt werden.701 Die in den AFB verwendeten Begriffe „Ermittlung des Ersatzwertes“, „Wiederbeschaffungskosten unter billiger Berücksichtigung der aus dem Unterschied zwischen alt und neu sich ergebenden Wertminderung“, „Zeit­ wert“702 und „Kosten der Wiederbeschaffung“703 stellen in erster Linie versicherungsrechtliche Begriffe dar. Auf die Schadenersatzbegriffe des bürgerlichen Rechts ist allerdings dann, wenn die AFB ausdrücklich darauf verweisen, oder wenn ihr Wortlaut sonst keine sinnvolle Auslegung erlaubt, zurückzugreifen.704 Soweit in den AWB ein Regressverzicht im Zusammenhang mit „Wohnungs­ mietern“ vorgesehen ist, erfasst dieser nicht auch Geschäftsraummieter.705 In den AVBK ist unter „erstmaliger Behandlung einer Krankheit“ schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf Erkennen einer Krankheit abstellt, zu verstehen.706 694 

Vgl RIS-Justiz RS0018049. Vgl insoweit auch die detailreiche Judikaturübersicht bei Rath, Rechtsfragen bei Verwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (2007) 104 f. 696  OGH 7 Ob 57/87, VersE 1366; 7 Ob 37/89, VersE 1451. 697  OGH 7 Ob 6/92, VersE 1531. 698  Vgl RIS-Justiz RS0088978. 699  OGH 7 Ob 94/97t, VersE 1738. 700  OGH 7 Ob 292/01v, VersE 1949. 701  OGH 7 Ob 95/00x, VersE 1887. 702  Speziell dazu OGH 7 Ob 11/88, VersE 1384. 703  Speziell zum Begriff „Wiederbeschaffung“ OGH 7 Ob 125/08w, RdW 2009/62. 704  Vgl RIS-Justiz RS0112134. 705  OGH 7 Ob 34/99x, VersE 1834. 706  OGH 7 Ob 24/89, VersE 1439. 695 

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ee) Varia Unter „in Vorlage gehen“ wird im unternehmerischen Sprachgebrauch für jemanden anderen bezahlen verstanden.707 Mit „Gutstehen“ und „Einstehen“ kann nach dem Sprachgebrauch sowohl Eingehen einer Bürgschaft als auch Schuldbeitritt gemeint sein; zu entscheiden hat, ob erkennbar ein Eigeninteresse des Erklärenden an der Haftungsübernahme vorliegt.708 Die Aussage eines Grundeigentümers, „zur Hälfte anschreiben zu lassen“, 263 ist als Zusage der Übertragung von Miteigentum zu 50% zu verstehen.709 Schiedsvereinbarungen, die für „alle aus einem Vertrag entstehenden 264 Streitigkeiten“ geschlossen wurden, gelten auch für Schadenersatzansprüche wegen einer behaupteten Vertragsverletzung, für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung oder für deliktische Ansprüche, insoweit das (konkret) schädigende Verhalten und eine bestimmte Vertragsverletzung einen einheitlichen Lebensvorgang bilden.710 262

2. Mittels Auslegung ermittelte Nebenleistungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten a) Allgemeines 265

Vor allem aufgrund einer umfassenden Abwägung der jeweiligen Interessen der Vertragsteile sowie einer Berücksichtigung der in den einschlägigen Verkehrskreisen jeweils anzutreffenden Verkehrsauffassungen und Verkehrssitten hat die Judikatur im Rahmen sog „ergänzender“ Vertragsauslegung bereits eine reiche Kasuistik zu vertraglichen Nebenleistungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten hervorgebracht. Bei deren Darstellung Vollständigkeit anzustreben, erscheint freilich weder möglich noch sinnvoll, vor allem, da einzelnen Verästelungen dieser Kasuistik keine gesteigerte praktische Relevanz zukommen dürfte. Bemerkenswert erscheint jedenfalls, dass im Hinblick auf die Entwicklung 266 von vertraglichen Nebenleistungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten insofern gleichsam ein Dialog zwischen Gesetzgeber und Rechtsanwendung stattfinden dürfte, als einerseits von der Rechtsanwendung bloß punktuelle gesetzliche Ansätze in die Richtung des Bestehens derartiger Pflichten qua sog „ergänzender“ Vertragsauslegung weiter aufgefächert werden, andererseits vom Gesetzgeber zunächst richterrechtlich entwickelte Pflichtenprogramme einer gesetzlichen Verankerung zugeführt werden. Zu denken ist im erstgenannten Kontext etwa an die mit sog „ergänzender“ Vertragsauslegung begründete Annahme von nebenvertraglichen Warnpflichten weit über den Bereich der Warnpflicht des Werkunternehmers gemäß § 1168a hinaus711, im zweitgenannten Kontext etwa an die Positivierung der zunächst qua sog „ergänzender“ Ver707 

OGH 3 Ob 236/54, SZ 27/94. OGH 1 Ob 568/76, SZ 49/53. 709  OGH 8 Ob 146/66, JBl 1966, 618. 710  OGH 4 Ob 80/08f, EvBl 2009/12 (Koller). 711  Dazu unten Rz 270. 708 

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tragsauslegung ermittelten Schutz- und Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem Wertpapierhandel im WAG. b) Vertragstypenübergreifende Pflichten Besteht die Gefahr, dass der Eintritt der im Vertrag vorgesehenen auf­ schiebenden Bedingung scheitert, so kann die Partei, in deren Sphäre der Eintritt der aufschiebenden Bedingung angesiedelt ist, verpflichtet sein, die andere Partei von dieser Gefahr zu informieren, damit auch diese auf einen Eintritt der Bedingung hinwirken kann.712 In Wertungsanalogie zu den für die Prüfung von Rechtsmissbrauch maßgeblichen Gesichtspunkten kann ein Vertragsteil zur Zustimmung zu einer Vertragsänderung verpflichtet sein, wenn diese dem anderen Vertragsteil wirtschaftliche Vorteile bringt und für den einen Vertragsteil mit keinerlei Nachteilen verbunden ist.713 Damit im Zusammenhang stehend kann eine Berücksichtigung von „Treu und Glauben“ bzw – sich hinter dieser Chiffre ja vor allem verbergend – eine Abwägung der Interessen der beiden Vertragsteile ergeben, dass ein Vertragsteil zur Mitwirkung an der Dokumentation einer Änderung des Vertrages verpflichtet ist, wenn der Vertragspartner eine derartige Dokumentation aus triftigen Gründen benötigt.714 Einen Vertragsteil können auch ohne eigenständige vertragliche Regelungen Nebenpflichten zur Erteilung von Auskünften, va zur Erteilung von Gebrauchsanweisungen und Anleitungen715 sowie zu Hinweisen auf Gefahren, die vom Vertragsgegenstand ausgehen716, treffen, wenn eine derartige Verkehrssitte oder ein derartiger Unternehmerbrauch existiert oder der andere Vertragsteil ersichtlich auf die Sachkunde seines Gegenübers vertraut hat und auf diese angewiesen ist. Werden einem Vertragspartner Auskünfte über einen mit dem Vertrag in Zusammenhang stehenden wesentlichen Umstand erteilt und ist erkennbar, 712 

OGH 1 Ob 251/72, JBl 1973, 470. OGH 1 Ob 716/86, JBl 1987, 782 (in concreto Zustimmungspflicht allerdings verneinend); vgl auch OGH 1 Ob 120/98y, wobl 1999, 230 (T. Hausmann) (angesichts der ihm uU drohenden Beeinträchtigungen durch Immissionen ist der Vermieter ohne entsprechende vertragliche Regelung nicht zur Zustimmung zum Antrag auf Erteilung einer Bewilligung für den Betrieb eines „Schanigartens“ verpflichtet). 714  OGH 1 Ob 508/76, EvBl 1976/224. 715  OGH 1 Ob 564/95, SZ 68/105 (in concreto Bestehen dieser Pflichten allerdings verneint); 8 Ob 547/91, SZ 65/144 = ecolex 1993, 85 (Wilhelm) (Software-Lieferung; vgl zu dieser E auch Holzinger, Zur Einschulungspflicht des Softwarelieferanten, EDVuR 1993, 20). 716  OGH 1 Ob 831/82, SZ 56/12 (Warnpflichten des Verleihers); OLG Wien 12 R 93/96a, ZVR 1998, 61 (Warnpflicht im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Nachjustierung bei händischem Anziehen der Radschraubenmuttern im Rahmen eines Reifenwechsels); OGH 1 Ob 253/02s, JBl 2003, 376 (Warnpflichten des Verkäufers). Selbst wenn eine derartige Hinweispflicht bezüglich der eingeschränkten Verwendungsmöglichkeit des Kaufgegenstandes verletzt wurde, entfällt freilich – mangels entsprechendem Rechtswidrigkeitszusammenhang – eine Haftung, wenn der Kaufgegenstand vom Käufer für den Verkäufer nicht erkennbar letztlich auf eine gänzlich andere, gefährlichere Weise verwendet wird (vgl OGH 3 Ob 651/82, JBl 1984, 41). 713 

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dass der Vertragspartner im Vertrauen darauf Dispositionen zu treffen beabsichtigt oder unterlässt, so müssen diese Auskünfte richtig sein, widrigenfalls eine vertragliche Sorgfaltspflicht verletzt wird.717 Eine allgemeine Pflicht, den anderen Vertragsteil auf die Notwendig­ 272 keit der Vornahme von Rechtshandlungen hinzuweisen, die diesen vor einem Nachteil bewahren, die eigene Position aber schwächen, wird von der Judikatur nicht angenommen.718 Anders ist dies allerdings dann, wenn inter partes eine besondere Fürsorge- oder Treuepflicht vorliegt oder wenn im Hinblick auf die Nichterteilung des Hinweises ein krasses Interessenmissverhältnis besteht. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn der aus einer Garantie Begünstigte wegen deren formal nicht korrekten Abrufung seiner Ansprüche verlustig zu gehen droht719, oder wenn ein Versicherungsnehmer gegenüber der Versicherung eine unwirksame Kündigung abgibt.720, 721 Auch ohne sondergesetzliche Normierung kann im Rahmen eines Ver273 tragsverhältnisses einen Vertragsteil eine Verpflichtung zur Rechnungslegung treffen, va dann, wenn es das Wesen des Rechtsverhältnisses mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang eines Anspruches im Ungewissen, sein Vertragspartner aber in der Lage ist, unschwer eine solche Auskunft zu erteilen und ihm die Erteilung dieser Auskunft auch aus sonstigen Gründen nicht unzumutbar ist.722 Besteht eine derartige Rechnungslegungspflicht, so umfasst sie auch die Pflicht zur Erteilung aller Angaben, die eine Nachprüfung der Abrechnung ermöglichen.723 Zu den nach den Maßstäben des redlichen Verkehrs bestehenden vertragli274 chen Schutz- und Sorgfaltspflichten kann auch zählen, die Geschäftsbezie­ hungen des Vertragspartners mit Dritten nicht zu gefährden.724 717  OGH 6 Ob 583/77, JBl 1979, 88 (unzutreffende Auskunft über den Verlauf des Servitutsweges); 1 Ob 520/78, SZ 51/26 (fehlerhafte Auskunft über das Bestehen ausreichenden Versicherungsschutzes bezüglich der eingelagerten Gegenstände); 1 Ob 748/83, SZ 56/185 (unrichtige Auskunft eines Bauführers gegenüber dem von den Nachbarn gerichtlich in Anspruch genommenen Bauherrn, die fraglichen Schäden könnten durch die Bauführung nicht entstanden sein); 6 Ob 622/91, ecolex 1992, 409 (Eintritt der für den Lauf der Verjährungsfrist maßgeblichen Umstände). 718  OGH 3 Ob 632/76, JBl 1978, 426. 719  Siehe dazu noch näher unten auch Rz 343. 720  Vgl etwa OGH 7 Ob 150/98d, VersE 1797; zum Themenkomplex siehe auch Schauer, Warnpflichten bei unwirksamer Kündigung des Versicherungsnehmers, RdW 1988, 316 ff; ders, Nochmals: Warnpflichten bei unwirksamer Kündigung des Versicherungsnehmers, RdW 1995, 92 ff. 721  Vgl auch die Positivierung derartiger Pflichten in § 10 Abs 4a MRG durch die WRN 2006. 722  RIS-Justiz RS0035050. 723  OGH 5 Ob 510/85, JBl 1986, 511. 724  OGH 1 Ob 643, 644/84, JBl 1986, 101 (Entfall von Transportaufträgen, weil bei Transport in ein arabisches Land Alkohol geschmuggelt worden war); 2 Ob 603/89, JBl 1991, 457 (Verlust von Sponsorengeldern wegen unrichtiger Informationsweitergabe bezüglich der erzielten Rennergebnisse); das Bestehen von Schutzpflichten zugunsten der Geschäftsbeziehungen des Vertragspartners in concreto verneinend allerdings OGH 1 Ob 587/84, JBl 1986, 98 (vgl zu dieser E auch Koziol, JBl 1986, 105 und Iro, Zur Ersatzpflicht des vertragsbrüchigen Subunternehmers, RdW 1985, 106). Zur Problematik siehe auch Karner in KBB3 § 1295 Rz 6.

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Ebenfalls eine vertragliche Nebenpflicht stellt es schließlich dar, die Ver­ 275 tragsabwicklung nicht unnötig zu verteuern, dh va, die den anderen Vertragsteil treffenden Kosten möglichst niedrig zu halten.725 c) Einbeziehung Dritter in vertragliche Schutzund Sorgfaltspflichten Ausgehend von einer grundlegenden Untersuchung F. Bydlinskis726 gelangt die Judikatur als Ergebnis einer „objektiven Vertragsauslegung“ auch dazu, dass sich vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten auch auf ande­ re Personen als die eigentlichen Vertragsparteien erstrecken können.727 Konkret soll „im Wege objektiver Vertragsauslegung“ für den regelmäßig nicht vorbesprochenen Fall von Störungen aus Anlass von Erfüllungshandlungen anzunehmen sein, dass die Parteien des Vertrages einander zum Schutz und zur Sorgfalt auch gegenüber jenen dritten Personen und Sachen verpflichten wollten, deren räumlicher Kontakt mit der vertraglich zu erbringenden Hauptleistung beim Vertragsabschluss voraussehbar war, die also der vertraglichen Leistung nahestehen, und an denen der Vertragspartner ein sicht­ bares eigenes Interesse hat oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensicht­ lich eine Fürsorgepflicht zukommt.728 Der Versuch zur Fruchtbarmachung dieses dogmatischen Konzeptes in der judiziellen Praxis hat freilich zutage gefördert, dass dadurch zahlreiche Zwei­ felsfragen aufgeworfen werden, erhebliche Rechtsunsicherheit in diesem Terrain sohin ebenso unausweichlich erscheint wie die richterrechtliche Entwicklung von Distinktionen, deren sachliche Rechtfertigung oftmals nicht leicht nachvollziehbar erscheint. Dies betrifft insbesondere die Fragen, wie genau der vom „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ geschützte Personenkreis zu ermitteln ist, ob in den von ihm verheißenen Schutz auch der Schutz des bloßen Vermögens dieser Dritten fällt, sowie, ob sein Schlagendwerden voraussetzt, dass der Geschädigte ansonsten, dh auch gegenüber anderen Personen, keinerlei Haftungsansprüche geltend machen könnte, die den Grundsätzen der Vertragshaftung folgen.729 Der zentralste Einwand, der von der (mittlerweile wohl herrschenden) Lehre730 gegenüber diesem Zugang erhoben wird, besteht freilich darin, dass es letztlich nicht überzeugen kann, jene Ordnungsfragen, die die Figur des „Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ beantworten sollen, mit den anerkannten topoi der Vertragsauslegung zu bewältigen. Überzeugender erscheint vielmehr, hier mit der dogmatischen Figur der Erstreckung objek­ tiv-rechtlicher Pflichten zu operieren. Dementsprechend erfolgt eine nähere Diskussion dieser Thematik nicht im Rahmen der Kommentierung des – aus725 

Siehe etwa OGH 5 Ob 543/76, NZ 1979, 173. Vertragliche Schutzpflichten zugunsten Dritter, JBl 1960, 359 ff. 727  Vgl etwa RIS-Justiz RS0034594. 728  Vgl etwa RIS-Justiz RS0034594. 729  Vgl zu alldem weiterführend Schmaranzer, Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (2006) passim, mit reichen Nachweisen. 730  Vgl bloß Koziol/Welser13 II 145 f sowie Karner in KBB3 § 1295 Rz 19, beide mwN. 726 

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schließlich von der Vertragsauslegung – handelnden § 914, sondern im Rahmen der Kommentierung der schadenersatzrechtlichen Partien des Gesetzes. d) Vertragstypenbezogene Pflichten aa) Kaufverträge 280

Insbesondere bei einem Kaufvertrag können auch ohne eigenständige vertragliche Regelungen Nebenpflichten zur Erteilung von Auskünften, va zur Erteilung von Gebrauchsanweisungen, Anleitungen731 und Ähnlichem732 sowie zu Hinweisen auf Gefahren, die vom Vertragsgegenstand ausgehen733, bestehen, wenn eine derartige Verkehrssitte oder ein derartiger Unternehmerbrauch existiert oder der Käufer ersichtlich auf die Sachkunde des Verkäufers vertraut hat und auf diese angewiesen ist. Kommt es aus in der Sphäre des Käufers liegenden Umständen zu einer 281 Verzögerung mit der Erfüllung eines Kaufvertrages über die Lieferung eines gattungsmäßig umschriebenen Kfz, so kann „ergänzende“ Vertragsauslegung unter Berücksichtigung des „hypothetischen Parteiwillens“ bzw bei Abwägung der wechselseitigen Interessen ergeben, dass statt dem Modell aus der mittlerweile ausgelaufenen, dh nicht mehr produzierten, Gattung ein Modell aus der Nachfolgegattung zu liefern ist.734 Sind vertragliche Verpflichtungen expressis verbis nur auf den ersten Ein­ 282 zelrechtsnachfolger zu überbinden, so wird der Zweck der Regelung vielfach eine Auslegung dahingehend erfordern, dass diese Pflicht auch den Einzelrechtsnachfolger im Hinblick auf seinen Einzelrechtsnachfolger treffen soll.735 bb) Strombezugsverträge 283

Auch ohne explizite vertragliche Regelung treffen Elektrizitätsversorgungsunternehmen Pflichten im Hinblick auf die Information der Stromabnehmer über bevorstehende Stromabschaltungen.736

731  OGH 1 Ob 564/95, SZ 68/105 (in concreto das Bestehen dieser Pflichten aber verneint); 8 Ob 547/91, SZ 65/144 = ecolex 1993, 85 (Wilhelm) (Software-Lieferung; vgl zu dieser E auch Holzinger, Zur Einschulungspflicht des Softwarelieferanten, EDVuR 1993, 20). 732  Speziell zur (zu verneinenden) Pflicht eines Erzeugers zur Herausgabe von Ursprungsnachweisen an den Zwischenhändler siehe OGH 4 Ob 2/93, wbl 1993, 264 sowie Eilmansberger, Parallelhandel und Ursprungsnachweise, wbl 1993, 237 ff. 733  OGH 1 Ob 253/02s, JBl 2003, 376. Selbst wenn eine derartige Hinweispflicht bezüglich der eingeschränkten Verwendungsmöglichkeit des Kaufgegenstandes verletzt wurde, entfällt freilich – mangels entsprechendem Rechtswidrigkeitszusammenhang – eine Haftung, wenn der Kaufgegenstand vom Käufer für den Verkäufer nicht erkennbar letztlich auf eine gänzlich andere, gefährlichere Weise verwendet wird (vgl OGH 3 Ob 651/82, JBl 1984, 41). 734  OGH 3 Ob 124/91, SZ 65/10. 735  OGH 3 Ob 562/76, JBl 1979, 146. 736  OGH 6 Ob 258/68, SZ 41/131; 4 Ob 547/87, SZ 60/190.

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cc) Bestandverträge Werden dem Bestandgeber obliegende Erhaltungsarbeiten nötig und bringt dies die Gefahr mit sich, dass durch deren Durchführung im Eigentum des Bestandnehmers stehende Gegenstände beschädigt werden, etwa durch Staub- und Schmutzentwicklung, so hat der Bestandgeber den Bestandnehmer vor diesem Umstand zu warnen.737 Soweit der Bestandgeber berechtigt ist, bestimmte Kostenpositionen, va als Betriebskosten, auf den Bestandnehmer zu überwälzen, trifft ihn die Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Kosten möglichst niedrig gehalten werden, also etwa gegen nicht berechtigte Steuervorschreibungen Rechtsmittel ergriffen werden.738 Enthält der Mietvertrag keine Regelung über die Verzinsung der Kaution, so trifft den Vermieter in ergänzender Auslegung des Vertrages die Pflicht, diese mit dem üblichen Zinssatz für solche Spareinlagen zu verzinsen.739 Die Rechtsnachfolger eines verstorbenen Mieters trifft die Pflicht, dem Vermieter den Tod des Mieters und die danach bestehenden, das Mietverhältnis betreffenden Umständen bekannt zu geben (in concreto: Nichtbestehen von Eintrittsrechten).740

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dd) Leasingverträge Unter angemessener Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile 288 besteht eine Sorgfaltspflicht des Leasinggebers, bei der auf Rechnung des Leasingnehmers erfolgenden Verwertung des – wegen Zahlungsverzuges des Leasingnehmers zurückgenommenen – Leasinggegenstandes dessen Interessen im Hinblick auf die Erzielung eines angemessenen Verwertungserlöses zu wahren, der etwa durch den Verkauf um den von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen geschätzten Verkehrswert entsprochen werden kann.741 ee) Bankverträge Eine Bank treffen gegenüber Kunden Schutz- und Sorgfaltspflichten im 289 Zusammenhang mit der Vermeidung von Anschlussdelikten, va nach der Be­ hebung größerer Barbeträge.742

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OGH 7 Ob 662/86, JBl 1987, 250. OGH 1 Ob 49/73, MietSlg 25.081. 739  OGH 5 Ob 88/85, JBl 1987, 248. Vgl auch die dies als zwingendes Recht normierende Sondervorschrift des § 16b Abs 1 MRG (eingeführt durch die WRN 2009). 740  OGH 2 Ob 360/97y, wobl 2000, 158 (Werkusch). Siehe zu einer vergleichbaren Informationspflicht (Vorliegen mietzinsanhebungsrelevanter Umstände) Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 12a MRG Rz 51 sowie OGH 1 Ob 73/10g, wobl 2010, 276 (Schauer). 741  OGH 1 Ob 827/82, SZ 56/3; vgl in diesem Zusammenhang auch die in die – die außergerichtliche Pfandverwertung regelnden – §§ 466a ff eingeflossenen Wertungen. 742  Dazu im Detail OGH 6 Ob 77/05z, ÖBA 2005, 633; 3 Ob 252/07s, ecolex 2008/147 (Friedl) sowie Koziol, Die Haftung der Bank für Überfälle auf ihre Kunden nach dem Besuch der Bank, ÖBA 2005, 526 ff und Schopper, Nachvertragliche Pflichten (2009) 223 ff. 738 

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Insbesondere Kreditverträgen ist als Nebenleistungspflicht der Bank die Pflicht zur Rechnungslegung über den noch aushaftenden Kreditbetrag inhärent.743 Bei fehlerhafter Inanspruchnahme einer Garantie durch den Begünstigten hat die Bank diesen darauf hinzuweisen, um ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, die Garantie formgerecht und noch rechtzeitig in Anspruch zu nehmen.744 Bei Bürgschaftsverträgen können die Bank Aufklärungspflichten gegenüber dem Bürgen treffen, wenn diesem bei Übernahme der Bürgschaft die katastrophale wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners offensichtlich nicht bekannt ist.745 Gleiches gilt dann, wenn während laufenden Bürgschaftsvertrages unerwartete Änderungen bezüglich des Vermögens des Hauptschuldners eintreten.746 Auch bestehen Auskunfts- und Rechnungslegungspflichten der Bank gegenüber Bürgen ebenso wie gegenüber dem Drittpfandbesteller747, sowie im „umgekehrten Fall“ des Vorliegens einer Kontosperre zugunsten Dritter gegenüber den begünstigten Dritten.748 Bei einem Kreditkartengeschäft besteht bei Störungen der Vertragsabwicklung eine Auskunftspflicht der Kreditkartengesellschaft gegenüber dem Vertragsunternehmen im Hinblick auf die Bezeichnung des Schuldners auf eine Weise, die zumindest dessen Identifizierung erlaubt, um Ansprüche aus dem abgeschlossenen Vertrag gegen ihn durchsetzen zu können.749 Beim Ankauf eines Wechsels trifft die Bank jedoch in der Regel keine besondere Aufklärungspflicht über die Bonität des Akzeptanten, muss doch jeder Aussteller oder Indossant eines Wechsels typischerweise damit rechnen, dass dessen spätere Inhaber bei ihm infolge Nichtzahlung der Wechselsumme durch den Akzeptanten als Hauptschuldner nach Art 43 Abs 1 WG Rückgriff nehmen werden.750 Ebenso besteht bei der Entgegennahme eines Schecks zum Inkasso ohne besondere Umstände keine Pflicht der Bank darauf hinzuweisen, dass eine Gutschrift nur unter dem Vorbehalt des Einganges erfolgt.751 ff) Mandatsverträge mit Rechtsanwälten

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Teilt ein Klient einem Rechtsanwalt lediglich mit, er habe eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, gehört es zu dessen vertraglichen Nebenpflichten, die Deckungssumme abzuklären.752 743 

OGH 1 Ob 563/86, SZ 59/143. OGH 1 Ob 620/95, SZ 68/230; 2 Ob 339/99p, SZ 73/24; 4 Ob 149/06z, SZ 2006/168. 745  Vgl RIS-Justiz RS0026488. Vgl idZus auch § 25c KSchG sowie die Kommentierung dieser Bestimmung durch Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3. 746  OGH 8 Ob 3/91, JBl 1992, 40 = ÖBA 1992, 78 (Mader). 747  OGH 5 Ob 510/85, SZ 59/74 = ÖBA 1986, 411 (Jabornegg); 6 Ob 590/91, ÖBA 1992, 654 (Jabornegg); 1 Ob 264/07s, ÖBA 2008, 729 (Perner). 748  OGH 6 Ob 590/91, RdW 1992, 171 = ÖBA 1992, 654 (Jabornegg). 749  OGH 3 Ob 559/86, ÖBA 1988, 1021 (Jabornegg). 750  OGH 1 Ob 791/79, SZ 53/13; 6 Ob 508, 509/86, ÖBA 1988, 828 (Apathy) = wbl 1988, 129 (Wilhelm); 1 Ob 29/00x, RdW 2000/575. 751  OGH 7 Ob 169/07i, RdW 2008/162. 752  OGH 6 Ob 2174/96s, RdW 1997, 451. 744 

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Auch im Fall des Vollmachtswechsels bestehen besondere Sorgfalts- und 297 Warnpflichten eines Rechtsanwaltes, ua bezüglich in casu laufender (Rechtsmittel-)Fristen.753 gg) Ärztliche Behandlungsverträge Dem ärztlichen Behandlungsvertrag sind ua – und ungeachtet allfälliger 298 öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen, die zT auf selbiges gerichtet sind – die Nebenpflichten inhärent, ärztliche Dokumentationen zu führen und dem Patienten Einsicht in diese zu gewähren, sofern dem nicht im Einzelfall triftige Gründe entgegenstehen.754 hh) Beförderungsverträge Werden von einer Liftgesellschaft Saisonkarten vertrieben, die nicht nur 299 zur Benützung der Lifte, sondern auch der dazu gehörigen Abfahrten berechtigen, so treffen die Liftgesellschaft im Bereich der markierten Pisten Siche­ rungspflichten.755 Sieht ein Beförderungsvertrag ausdrücklich vor, dass Fahrzeuge einzuset- 300 zen sind, die mit Gurten an allen Sitzen ausgestattet sind, so ergibt schon die Auslegung des Vertrages, dass eine Nebenpflicht dahingehend besteht, auch für die Verwendung der Gurte durch die Beförderten zu sorgen.756 ii) Bewirtungs- und andere Dienstleistungsverträge Zu den vertraglichen Schutzpflichten eines Gastwirtes gehört es, einen 301 durch Trunkenheit beeinträchtigten Gast so aus dem Lokal zu schaffen, dass dessen körperliche Integrität nicht beeinträchtigt wird.757 Damit im Zusammenhang stehend, bestehen auch auf Gefahrenabwehr gerichtete Schutzpflichten des Gastwirtes, wenn ihm erkennbar ist, dass dem Gast – vor allem aufgrund von dessen Alkoholisierung – auf dem Heimweg massive Gefahren drohen.758 Nimmt ein Friseur oder dessen Gehilfe einem Kunden vor Beginn des 302 Haarschnitts den Mantel ab, so trifft ihn die Pflicht zu dessen sorgsamer Aufbewahrung.759

753  Näher Lenneis, Zur Belehrungs- und Warnpflicht des Rechtsanwaltes beim Vollmachtswechsel, AnwBl 2004, 140 ff. 754  OGH 1 Ob 550/84, SZ 57/98; 1 Ob 341/99z, SZ 73/87 (auch zur Durchsetzung dieses [höchstpersönlichen] Rechtes durch die Rechtsnachfolger des Patienten). Siehe dazu auch Krückl, Der Anspruch des Patienten auf Einsicht in seine Krankengeschichte, ÖJZ 1983, 281 ff. 755  OGH 1 Ob 639/78, JBl 1979, 433 (mwN zum einschlägigen Schrifttum). 756  OGH 2 Ob 172/99d, ZVR 1999, 342. 757  OGH 5 Ob 555/78, SZ 51/55. 758  OGH 7 Ob 524/90, JBl 1991, 387; 2 Ob 193/04b, JBl 2005, 256 (Rummel). Vgl zu diesem Themenbereich auch Schopper, Nachvertragliche Pflichten (2009) 215 ff. 759  OGH 1 Ob 545/76, SZ 49/37.

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XII. Auslegungsfragen bei spezifischen Rechtsgeschäften 1. Erklärungen an einen größeren Adressatenkreis bzw an die Öffentlichkeit 303

Bei einer Erklärung, die gegenüber einem erweiterten Adressatenkreis oder gar gegenüber der breiten Öffentlichkeit abgegeben wird760, führt bereits eine konsequente Anwendung der Auslegungsgrundsätze des § 914 zum Ergebnis, dass ihre Auslegung zumindest in aller Regel nach dem Verständ­ nis des durchschnittlichen Mitgliedes des angesprochenen Adressaten­ kreises zu erfolgen hat. Denn von der Auslegungsfrage betroffen ist eben in diesem Fall in aller Regel ein durchschnittliches Mitglied des angesprochenen Adressatenkreises, dem nähere Hintergründe und Umstände des Entstehens dieser Erklärung nicht bekannt sind (und auch nicht bekannt sein müssen), das sich daher auch im Rahmen der ihm gemäß § 914 obliegenden Deutungsdiligenz761 nur auf den Sinngehalt unmittelbar dieser Erklärung selbst stützen kann und dann in seinem solcherart gewonnenen (eben bis zu einem gewissen Grad objektivierten) Verständnis vom Erklärungsinhalt bereits nach allgemeinen Grundsätzen762 auch zu schützen ist. Unzutreffend wäre es freilich, die bei Erklärungen an einen größeren 304 Adressatenkreis bzw an die Öffentlichkeit idR Platz greifende Auslegung nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Mitgliedes dieses Adressatenkreises mit einem selbständigen Gebot der objektiven Auslegung derartiger Erklärungen rechtfertigen zu wollen.763 Praktisch relevant kann der Unterschied zwischen den eben geschil­ 305 derten Auffassungen vor allem immer dann werden, wenn im Einzelfall das konkret betroffene Mitglied des angesprochenen Adressatenkreises, warum auch immer, besondere Kenntnis über Umstände hat, die es auf einen vom objektiven Sinngehalt der Erklärung abweichenden tatsächlichen Rechtsfolgewillen des Erklärenden schließen lassen (müssen). Richtigerweise muss dann nämlich davon ausgegangen werden, dass dieses Sonderwissen dem konkreten Erklärungsadressaten zuzurechnen ist (und nicht etwa – unter Berufung auf ein [angebliches] selbständiges Gebot der objektiven Auslegung – für unbeachtlich erklärt werden könnte). Ist also beispielsweise dem Benützer einer Fitnessanlage bekannt, dass de306 ren Benutzung deswegen bloß „auf eigene Gefahr“ gestattet wird, weil die Anlage seinerzeit nicht ordnungsgemäß errichtet wurde, wird er sich im Schadensfall nicht darauf berufen können, dass dem durchschnittlichen Verkehrs760  Wie etwa Auslobungen (dazu etwa OGH 5 Ob 638/81, SZ 54/130), Ausschreibungen (dazu etwa BVA in wbl 1996, 413; ZVB 2008/25 [Hackl]; RPA 2008, 153; RPA 2008, 212; RPA 2009, 28; RPA 2009, 194), Haftungsausschlüsse durch Anschlag (dazu zB OGH 1 Ob 508/79, JBl 1980, 590) und Vollmachtsurkunden (siehe dazu etwa OGH 5 Ob 153/10a, JusGuide 2011/06/8423). 761  Dazu allgemein oben Rz 131. 762  Zur Relevanz von bloß dem angesprochenen Erklärungsadressaten bekannten bzw erkennbaren Umständen bei der Auslegung iSd sog „Vertrauenstheorie“ siehe bereits oben Rz 150 ff. 763  Zu derartigen Tendenzen in der dt Lehre und Rsp siehe etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 71.

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teilnehmer bei der Lektüre dieses Hinweises ein derartiges Risiko nicht bewusst sein musste.764 2. Bücherliche Rechte und Registerrechte Ähnliche Gesichtspunkte wie die eben erwähnten erweisen sich auch für 307 die – in der österreichischen Rsp765 und Lehre766, soweit ersichtlich, noch nicht in vollem Umfang analysierte767 – Auslegung von Rechtsgeschäften und Er­ klärungen, die in öffentlichen Büchern und Registern eingetragen sind bzw zumindest ersichtlich gemacht wurden, als maßgeblich: Da auch hier diejenigen, deren Information diese öffentlichen Bücher und Register ihrem Wesen nach dienen sollen, ihr Verständnis vom Inhalt dieser Rechtsgeschäfte und Erklärungen in aller Regel bloß auf der Basis des Buch- bzw Registerstandes gewinnen können und ihnen darüber hinaus gehende Informationen nicht zugänglich sind768, führt schon eine konsequente Anwendung von § 914 dazu, dass diese Rechtsgeschäfte und Erklärungen ihnen gegenüber in aller Regel verstärkt objektiv, dh va unter Ausblendung individueller Umstände ihrer Entstehung, auszulegen sind.769 Sollte freilich im Einzelfall – warum auch immer – zusätzliches Wissen 308 vorhanden sein, das Rückschlüsse auf den tatsächlichen Inhalt der verbücherten bzw registrierten Rechtspositionen zulässt, so wird dieses schon im Lichte der Grundsätze des § 914 auch hier nicht unberücksichtigt bleiben dürfen und muss auch hier zu einer stärkeren Subjektivierung dieses Auslegungsergeb­ 764 

Sachverhalt in Anlehnung an OGH 1 Ob 508/79, JBl 1980, 590. Siehe bloß OGH 4 Ob 321/84, SZ 57/68 (pauschaler Verweis auf § 914 bezüglich der Auslegung einer Patentanmeldung; diese Entscheidung ist freilich – zumindest formal – durch das Inkrafttreten der Sonderauslegungsbestimmung des § 22a PatG überholt, wobei sich in der Sache selbst dadurch allerdings keine gravierende Rechtsänderung ergeben haben dürfte: siehe zum Problem näher OGH 4 Ob 178/03k, ÖBl 2004/26 [Wolner, Nemec]) sowie – folgend Welser (vgl FN 765) – 4 Ob 120/99x, SZ 72/103 und 6 Ob 323/02x, NZ 2005/35 (einem gutgläubigen Rechtsnachfolger kann das Auslegungsergebnis des Servitutsbestellungsvertrages nur entgegengehalten werden, wenn es sich mit dem Servitutsumfang deckt, den er bei vernünftigem Verständnis der Grundbuchseintragung und der entsprechenden Bestimmungen des in der Urkundensammlung befindlichen Servitutsbestellungsvertrags annehmen konnte; ergibt sich daraus ein nach Art und Umfang weiteres Recht als nach Auslegung des Begründungsvertrags anzunehmen wäre, so hat der Erwerber das darüber hinausgehende Recht aufgrund des Vertrauens auf das Grundbuch erworben). 766  Vgl aber immerhin Welser, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4 ff (11 f) und Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 41 ff. Speziell zu Auslegungsproblemen im Zusammenhang mit verbücherten Veräußerungsund Belastungsverboten siehe auch Aschauer, Das rechtsgeschäftliche Veräußerungs- und Belastungsverbot bei Liegenschaften (1998) 88. 767  Vgl aber etwa zu dieser Frage für das deutsche Recht Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 42 und Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 71, beide mwN, sowie für das Schweizer Recht Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 64. 768  Vgl auch Aschauer, Das rechtsgeschäftliche Veräußerungs- und Belastungsverbot bei Liegenschaften (1998) 88. 769  IdS etwa für die Auslegung eines Spaltungsplans auch OGH 4 Ob 241/04a, wbl 2005/ 126. 765 

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nisses selbst gegenüber einem Dritten, der am Entstehen der verbücherten bzw registrierten Rechte nicht unmittelbar beteiligt war770, wie etwa einem Rechtsnachfolger, führen. Dass in diesem Zusammenhang eine weitgehende praktische Kongruenz mit jenen Wertungsgesichtspunkten besteht, die sich für die jeweiligen Gutglaubensschutzmechanismen der diese Bücher und Register organisierenden Normen als maßgeblich erweisen, liegt auf der Hand.771 Nicht zu verwechseln ist die Frage der Auslegung von in öffentlichen 309 Büchern und Registern eingetragenen bzw einzutragenden Rechtsgeschäften und Erklärungen allerdings mit jener, ob bestimmte Eintragungs- bzw Regis­ trierungsbegehren auch angesichts der nach den maßgeblichen Verfahrensvorschriften vielfach eingeschränkten Kongnitionsbefugnisse der jeweiligen buch- bzw registerführenden Gerichte und Behörden772 hinreichend bestimmt gestellt und, wenn nach diesen Verfahrensvorschriften erforderlich, unmittelbar durch Urkunden bzw Unterlagen nachgewiesen wurden.773 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse der Auslegung von 310 Verträgen und Erklärungen, die in öffentliche Bücher und Register eingetragen wurden, durch die erforderliche Berücksichtigung von Formgeboten, die im Zusammenhang mit der Begründung derartiger Verträge und Rechtspositionen vielfach anzutreffen sind, überlagert bzw modifiziert werden können.774 770  Bezüglich derer, die an der Begründung der in weiterer Folge verbücherten bzw regis­ trierten Rechtsposition unmittelbar beteiligt waren, dürfte es unstrittig sein, dass die Auslegung dieses Begründungsaktes (idR ein Rechtsgeschäft) unter Bezugnahme auf alle iSv § 914 relevanten Interpretationsgesichtspunkte zu erfolgen hat, dh auch und gerade unter Bezugnahme auf jene Interpretationsgesichtspunkte, die sich, wie etwa die Entstehungsgeschichte des Rechtsgeschäftes und die sonstigen Umstände, unter denen es abgeschlossen wurde, dem Buchstand nicht entnehmen lassen. 771  Siehe dazu auch Welser, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4 ff (11 f), der das Auslegungsproblem in dem von ihm behandelten Fall (Ermittlung des näheren Umfangs einer Servitut) offenbar ausschließlich durch einen Rückgriff auf die einschlägigen bücherlichen Gutglaubensschutzregeln lösen möchte. Ebenso wohl auch OGH 4 Ob 120/99x, SZ 72/103 und 6 Ob 323/02x, NZ 2005/35. Praktisch relevant dürfte eine – richtigerweise wohl gebotene – dogmatische Unterscheidung der Frage nach der Auslegung bücherlicher Rechte einerseits und der Prüfung eines gutgläubigen Rechtserwerbes andererseits (nur, aber immerhin) etwa dann sein, wenn Letzterer wegen der Unentgeltlichkeit des Rechtserwerbes nach der Rsp ausgeschlossen ist (vgl OGH 6 Ob 737/87, SZ 62/219). Dann könnte nämlich den Interessen des Erwerbers auf Geltung der erworbenen Rechte in dem für ihn ersichtlichen Umfang allein mit dem Gebot einer verstärkt objektivierenden Auslegung dieser Rechte Rechnung getragen werden. Bei Kenntnis des Erwerbers vom wahren Rechtsumfang führen demgegenüber beide dogmatischen Ansätze zum selben Ergebnis: Weder könnte (mangels Gutgläubigkeit) ein Gutglaubenserwerb Platz greifen noch erschiene unter dieser Voraussetzung eine verstärkt objektivierende Auslegung geboten bzw überhaupt zulässig (siehe dazu ja soeben oben im Text). 772  Vgl etwa § 94 Abs 1 Z 3 GBG. 773  Siehe zur (beschränkten) Relevanz der im jeweiligen Verbücherungs- bzw Registrierungsverfahren gebotenen Auslegung für die Auslegung der verbücherten bzw registrierten Rechtsgeschäfte und Rechtsakte inter partes auch Grunewald, Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, ZGR 1995, 68 ff (83 ff) (am Beispiel des Registerzwanges für juristische Personen). 774  Vgl aber zur – dogmatisch strikt gebotenen – Trennung von Auslegungs- und Formfrage bereits oben Rz 76.

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3. Gesellschaftsverträge, Satzungen, Gemeinschaftsvereinbarungen und Beschlüsse Auslegungsfragen, die Gesellschaftsverträge, Satzungen, Vereinbarun­ 311 gen zwischen Gemeinschaftern775 und Beschlüsse betreffen, wurden in der österreichischen Rsp und Lehre776 bereits eingehender diskutiert, wobei diese Diskussion vor allem im gesellschaftsrechtlichen Kontext stark von den im deutschen Schrifttum und in der Rsp des BGH anzutreffenden Argumenten beeinflusst wird777. Dementsprechend erweist sich der gegenwärtige Mei­ nungsstand auch hierzulande778 speziell im Gesellschaftsrecht noch keines­ wegs als einheitlich. Vor allem besteht noch keine hinreichende Klarheit darüber, ob und wenn ja, warum und in welchem Umfang, bei der Auslegung der genannten Rechtsakte eine verstärkt objektive Auslegung geboten ist. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass auch in diesem Zusammenhang 312 den Auslegungsgrundsätzen des § 914 hervorragende Bedeutung zukommt und sich allfällige Besonderheiten, die für die Auslegung speziell von Gesellschaftsverträgen und Satzungen prima vista vielleicht charakteristisch erscheinen mögen, bloß auf die in diesen Fällen typischerweise anzutreffenden (und dann bei konsequenter Anwendung der Auslegungsgrundsätze des § 914 eben auch hinreichend zu berücksichtigenden) faktischen Gegebenheiten zurückführen lassen, jedoch keineswegs auf das normative Eingreifen von besonderen Auslegungsgrundsätzen, die ihre dogmatische Wurzel anderswo denn in § 914 hätten.779 775  Die größte praktische Relevanz dürfte in diesem Zusammenhang vor allem den zahlreichen gemeinschaftsbezogenen Vereinbarungen zukommen, die im Bereich des WE-Rechts verbreitet anzutreffen sind, wie etwa – abgesehen vom WE-Vertrag selbst – Benützungsregelungen, Gemeinschaftsordnungen und Abrechnungsvereinbarungen. 776  Neben den einschlägigen Standardwerken, auf die im Folgenden noch Bezug genommen wird, siehe va auch Ostheim, Zur Auslegung des Gesellschaftsvertrages bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in FS Demelius (1973) 381 ff; ders, Eine Wende in der Rechtsprechung zur Auslegung des Gesellschaftsvertrages und zur Abberufung von Gesellschafter-Geschäftsführern bei der GmbH, GesRZ 1975, 44 ff; Rummel, Privates Vereinsrecht im Konflikt zwischen Autonomie und rechtlicher Kontrolle, in FS Strasser (1983) 813 ff (818 ff); Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (1995) (49 f [zur Auslegung von Beschlüssen] und 170 ff [zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen]) Karollus, Auslegung und Gültigkeit einer Substanzwertklausel – Überlegungen zu einem praktischen Fall, NZ 1995, 193 ff und Niederberger, Der Verein als Geschäftspartner seiner Mitglieder (1999) 93 ff . 777  Deutlich idS etwa OGH 1 Ob 61/97w, SZ 70/242 („Spiegelbild aller Streitfragen und Differenzierungsversuche, die bei der Auslegung des GmbH-Gesellschaftsvertrags in der Bundesrepublik Deutschland Bedeutung erlangten“). 778  Zu den Auffassungsunterschieden, die in der deutschen Gesellschaftsrechtslehre etwa bezüglich der Auslegung von Gesellschaftsverträgen anzutreffen sind, siehe etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4 (2002) 87 ff mwN. 779  Deutlich idS etwa auch Jabornegg in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 17 Rz 9 (speziell zur Satzungsauslegung); Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (1995) 170 ff (speziell zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen) und Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 24. Vorbehaltslose Berufung auf § 914 im Zusammenhang mit Auslegungsfragen bei Personengesellschaften auch bei OGH 3 Ob 2135/96h, ecolex 1998, 407 (Reich-Rohrwig) und 4 Ob 229/07s, wbl 2008/238. Für die Anwendung von § 914 mit dem Vorbehalt, dass das Aus­ legungsproblem interne, Dritte nicht tangierende Belange betreffen müsse, OGH 6 Ob 111/02w,

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Dementsprechend sollten auch alle Fallgruppen, die im hier interessierenden Zusammenhang bezüglich der jeweils anzuwendenden Auslegungsmethoden im Schrifttum diskutiert werden780, allenfalls als der Erkenntnisökono­ mie verpflichtete Schematisierungen begriffen werden, die Rückschlüsse darauf zulassen, welche Auslegungsgesichtspunkte bei welchen Konstellationen typischerweise im Vordergrund stehen. Sollte der Einzelfall freilich aty­ pisch gelagert sein, so wird man dem – ganz im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des § 914 und ungeachtet aller Fallgruppenbildungen auf doktrinärer Ebene – richtigerweise Rechnung tragen müssen.781 Soweit sich nun nach dem Gesagten überhaupt generalisierende Aussagen 314 über die bei Gesellschaftsverträgen, Satzungen, Vereinbarungen zwischen Gemeinschaftern und Beschlüssen Platz greifenden Auslegungsgrundsätze tätigen lassen, müssen diese wohl dahingehend ausfallen, dass es bei diesen Rechtsakten vielfach in der Tat zu einer verstärkt objektiven Auslegung kommen wird, diese also vornehmlich aus sich selbst heraus und ungeachtet von besonderen Umständen ihrer Entstehung zu interpretieren sind. Die erforderliche teleologische Rechtfertigung findet diese Tendenz zur 315 objektiven Auslegung darin, dass die entsprechenden Rechtsakte typischerweise an eine Mehr- bzw Vielzahl von (zumindest potentiellen) Adressaten gerichtet sind782, vielen (oder zumindest einigen) dieser Adressaten die näheren Umstände der Entstehung dieser Rechtsakte nicht bekannt sind bzw nicht bekannt sein müssen, sie daher schon nach allgemeinen Grundsätzen in ihrem objektiven Verständnis des Inhalts dieser Rechtsakte zu schützen sind783 und sich schließlich eine – je nach Erklärungsempfänger unterschiedliche – „gespaltene Auslegung“ im Einzelfall zumindest in aller Regel schon nach der Natur der Sache verbietet.784 313

ecolex 2003/250. Beim letztgenannten Vorbehalt dürfte es sich dogmatisch freilich um ein Missverständnis handeln. Denn auch die Lösung von Auslegungsproblemen, die Belange Dritter tangieren, hat im gegebenen Zusammenhang nach Maßgabe von § 914 zu erfolgen. Freilich wird in diesem Fall schon eine konsequente Anwendung von § 914 in aller Regel zu einer Objektivierung des Auslegungsergebnisses führen – siehe dazu sogleich im Text. 780  Vorgeschlagen werden etwa besondere Auslegungsgrundsätze jeweils für Personengesellschaften und Körperschaften, bei Vorliegen kapitalistischer oder personalistischer Gesellschaftsstrukturen sowie für korporative und nicht-korporative bzw materielle und formelle Satzungsbestimmungen. Dazu näher etwa Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 3 Rz 17. 781  Insoweit zutreffend daher zB noch Gellis/Feil, Kommentar zum GmbH-Gesetz3 (1995) § 3 Rz 18, wenn sie allgemeine Aussagen zu Auslegungsregeln ablehnen und immer je nach dem „Fall“ entscheiden wollen. Nunmehr aber ebenfalls verstärkt einer Fallgruppenbildung zuneigend dies in der 7. Auflage aaO. 782  Ob dies tatsächlich der Fall ist, vor allem, ob das Vertrauen ganz bestimmter Dritter auf einen spezifischen Inhalt dieser Akte tatsächlich schutzwürdig ist und – bejahendenfalls – dieser Vertrauensschutz tatsächlich vornehmlich mit den Mechanismen einer objektivierenden Auslegung zu bewerkstelligen ist (und nicht etwa mit anderen Rechtsinstituten, wie etwa einer Rechtsscheinhaftung), wird freilich häufig einer genauen, den Schutzzweck der relevanten Normen im Detail ermittelnden Prüfung im Einzelfall bedürfen: vgl dazu etwa Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 Rz 1/72 und Grunewald, Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, ZGR 1995, 68 ff. 783  Siehe dazu schon oben Rz 303 ff. 784  Zur aus diesem Grund eingeschränkten praktischen Relevanz des natürlichen Konsenses bei mehrseitigen Rechtsgeschäften bzw Rechtsakten siehe schon treffend Flume, Das Rechtsgeschäft3 (1979) 304 ff.

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Sollten sich freilich im Einzelfall einige (oder gar alle) dieser Gesichts- 316 punkte als irrelevant erweisen785, so relativiert sich damit in Wahrheit zugleich auch die teleologische Rechtfertigung für eine verstärkt objektive Auslegung von Gesellschaftsverträgen, Satzungen, Vereinbarungen zwischen Gemeinschaftern und Beschlüssen. Dementsprechend müsste dann auch – zumindest bei konsequenter Anwendung von § 914 – wieder verstärkt dem tatsächlichen (= subjektiven) Verständnis aller Beteiligten vom Inhalt der genannten Rechtsakte Rechnung getragen werden.786 Vor allem im jüngeren gesellschaftsrechtlichen Schrifttum, aber auch in 317 der jüngeren Rsp sind indes auch gegenteilige, das Postulat der objektiven Auslegung in bestimmtem Umfang absolut setzende Auffassungen anzu­ treffen.787 Diese dürften jedoch einer hinreichenden Begründung erman­ geln. Speziell im Zusammenhang mit der Auslegung von Beschlüssen und ver­ 318 gleichbaren Gesamtakten schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich bei diesen Auslegungsprobleme auf zwei unterschiedlichen Ebenen stellen können. Einerseits gilt es, den Inhalt des Beschlusses als solchen zu ermitteln. Dafür erweisen sich die eben beschriebenen Grundsätze, vor allem die Gründe, aber auch die Grenzen einer verstärkt objektiven Auslegung in uneingeschränktem Ausmaß als relevant. Anderseits können sich Auslegungsfragen aber auch bezüglich der Stimmabgabe, einer (empfangsbedürftigen) Willenserklärung788 stellen, speziell im Hinblick darauf, ob eine bestimmte Stimmabgabe als – 785  Etwa, weil alle vom Auslegungsproblem in casu Betroffenen über die näheren Umstände der Entstehung des fraglichen Rechtsaktes in Kenntnis sind und diese daher auch bei ihrem Verständnis von dessen Inhalt berücksichtigen können bzw – im Lichte der ihnen obliegenden Deutungsdiligenz (dazu allgemein oben Rz 131) – auch müssen. In praxi anzutreffen dürfte Derartiges va dann sein, wenn ein Auslegungsproblem ausschließlich das Verhältnis der Gesellschafter (Gemeinschafter) zueinander betrifft und noch keine Rechtsnachfolge in der Gesellschaft (Gemeinschaft) stattgefunden hat. Es ist allerdings auch keineswegs ausgeschlossen, dass im Einzelfall selbst einem Einzelrechtsnachfolger eines Gesellschafters (Gemeinschafters) die erwähnten Umstände bekannt sind und er sie dann im Rahmen der Auslegung auch gegen sich gelten lassen muss; eine besondere Erkundigungspflicht wird den neu hinzukommenden Gesellschafter (Gemeinschafter) freilich in aller Regel nicht treffen (idS auch OGH 6 Ob 231/05x, GesRZ 2006, 35). 786  Weitgehend ebenso Jabornegg in Jabornegg/Strasser, AktG4 § 17 Rz 9; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 Rz 1/72 (et passim) sowie Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 25. Im Ergebnis ähnlich, wenngleich dieses Ergebnis offenbar mit einem etwas anderen dogmatisch-konstruktiven Ansatz erzielend (treuhandähnliche Konstruktion) Rummel, Privates Vereinsrecht im Konflikt zwischen Autonomie und rechtlicher Kontrolle, in FS Strasser (1983) 813 ff (818 ff). Zumindest zT für verstärkt „objektive“ Auslegung hingegen Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 3 Rz 17. Wie hier aber auch die hA in Dt (vgl Busche in MüKoBGB5 § 133 Rz 37; Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 73 und Grunewald, Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, ZGR 1995, 68 ff, alle mwN) und in der Schweiz (vgl Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 62). 787  Vgl va Karollus, Auslegung und Gültigkeit einer Substanzwertklausel – Überlegungen zu einem praktischen Fall, NZ 1995, 193 ff sowie grundlegend OGH 1 Ob 61/97w, SZ 70/242 und – diese Auffassung nochmals explizit bestätigend – 6 Ob 231/05x, GesRZ 2006, 35. 788  Vgl etwa – im gesellschaftsrechtlichen Kontext – Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (1995) 51 f sowie – im WE-rechtlichen Kontext – Löcker in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 24 WEG 2002 Rz 34, beide mwN.

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allenfalls konkludente – Zustimmung, Ablehnung oder Stimmenthaltung zu werten ist. Auch bei diesen Auslegungsfragen ist nun zwar im Allgemeinen auf die bereits erwähnten Grundsätze zu rekurrieren. Besondere praktische Bedeutung wird bei den letztgenannten Auslegungsfragen allerdings zusätzlich der Frage zukommen, wer den – nach allgemeinen Grundsätzen relevanten – Empfängerhorizont bildet. Richtigerweise wird dabei danach zu unterscheiden sein, ob die Stimmabgabe gegenüber einer Mehrzahl von Personen, va unmittelbar gegenüber den übrigen Stimmberechtigten selbst, abgegeben wird oder aber, wie in der Praxis wohl nicht selten, zumindest konkludent ein Verhandlungsbzw Abstimmungsleiter789 eingesetzt wurde. Im erstgenannten Fall sind nämlich die für mehrseitige Rechtsgeschäfte allgemein maßgeblichen Auslegungsgrundsätze heranzuziehen,790 wohingegen im zweitgenannten Fall der für die Auslegung maßgebliche Empfängerhorizont ausschließlich vom Verhandlungs- bzw Abstimmungsleiter gebildet wird. Endlich dürfte es nicht zutreffend sein, speziell im Zusammenhang mit 319 dem Prozess der sog „ergänzenden“ Auslegung791 von Gesellschaftsverträgen, Satzungen, Vereinbarungen zwischen Gemeinschaftern792 und Beschlüssen die Relevanz normativ eigenständiger Wertungsgesichtspunkte anzu­ erkennen. Vielmehr lassen sich die dabei in den Vordergrund gerückten Aspekte793 ganz zwanglos auf die in diesem Kontext generell für maßgeblich gehaltenen Wertungsgesichtspunkte zurückführen bzw müssen Argumenta­ tionsmuster konsequenterweise in die allgemeine Dogmatik von der „ergänzenden“ Auslegung von Verträgen integriert werden. Dies gilt insbesondere auch für den Umstand, dass gerade im Bereich des (Personen-)Gesellschaftsrechts deswegen vielfach ein Vorrang der „ergänzenden“ Auslegung vor dem Rückgriff auf dispositives Rechts anzuerkennen sei, weil sich die einschlägigen Normen des dispositiven Rechts als nicht mehr „zeitgemäß“ bzw zweckmäßig erweisen.794 4. Stiftungserklärungen 320

Auch im Zusammenhang mit der Auslegung von Stiftungserklärungen sind zunächst der Prozess der Auslegung dieser Rechtsakte einerseits und die 789  Zu diesen Figuren und ihrer dogmatischen Erfassung näher etwa Plasser, Beschlüsse von Personengesellschaften und Willensmängel (2004) 107 ff. 790  Zu diesen bereits oben Rz 315 ff. 791  Zu dieser Rechtsgewinnungsmethode grundlegend oben Rz 94 ff. 792  Die größte praktische Relevanz dürfte in diesem Zusammenhang vor allem den zahlreichen gemeinschaftsbezogenen Vereinbarungen zukommen, die im Bereich des WE-Rechts verbreitet anzutreffen sind, wie etwa – abgesehen vom WE-Vertrag selbst – Benützungsregelungen, Gemeinschaftsordnungen und Abrechnungsvereinbarungen. 793  Genannt werden etwa im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum in diesem Zusammenhang ein „dynamisches Vertragsverständnis“ sowie die Beachtung der „Grundtendenz des Vertrages“ und der einverständlichen Vertragsübung durch die Parteien („Observanz“): vgl etwa Grunewald, Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, ZGR 1995, 68 ff (68 f) mwN. 794  Zu dieser Argumentation näher etwa Grunewald, Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, ZGR 1995, 68 ff (70 f) mwN. Wenngleich ohne diese explizite Begründung, aber im Ergebnis bezüglich der „Vorrangfrage“ gleichsinnig auch Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 Rz 1/74.

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Prüfung der Frage, ob die entsprechenden Formgebote gewahrt wurden, andererseits auseinander zu halten.795 In der Sache selbst kann bezüglich der Auslegung von Stiftungserklärun- 321 gen in Österreich796 wohl eine – offenbar stark von der einschlägigen Gesellschaftsrechtsdogmatik inspirierte – Dichotomie der relevanten Interpreta­ tionsgrundsätze als herrschend angesehen werden. Demnach soll bei der Auslegung des vermögensrechtlichen Teiles der Stiftungserklärung der Erforschung des tatsächlichen Stifterwillens herausragende Bedeutung zukommen, wohingegen die Auslegung des organisationsrechtlichen Teiles der Stiftungserklärung objektiv, dh va aus der Stiftungsurkunde heraus, zu erfolgen hat.797 Eine derartig holzschnittartig anmutende Schematisierung erscheint aller- 322 dings durchaus überprüfungsbedürftig.798 Angesichts des, soweit ersichtlich, unbestrittenen Charakters der Stiftungserklärung als einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung wäre es nämlich durchaus nahe liegend, dem Gebot der Erforschung des tatsächlichen Stifterwillens eine herausragende Bedeutung zuzumessen und eine vertiefte Begründung dafür zu verlangen, warum im Einzelfall ausnahmsweise auch die Erkenntnismöglichkeiten ganz bestimmter Dritter für die Interpretation des Inhalts einer Stiftungserklärung maßgeblich sein sollen. Und ob diese vertiefte Begründung dann tatsächlich in einem pauschalen Hinweis auf die Interessen der Destinatäre mit klagbaren Ansprüchen oder gar in einem pauschalen Hinweis auf die Interessen potentieller Gläubiger erblickt werden könnte799, erscheint zweifelhaft. Immerhin hat ja auch der Legatar einen klagbaren Anspruch auf Erfüllung des Legates, woraus jedoch, soweit ersichtlich, noch niemand die Forderung abgeleitet hat, Vermächtnisse seien nach den Verständnismöglichkeiten der davon begünstigten Personen auszulegen.800 Auch der Verweis auf allfällige Gläubigerinteressen 795  Zur dogmatisch gebotenen Verschiedenbehandlung dieser beiden Themenkomplexe bereits allgemein oben Rz 76. 796  Zum Meinungsstand in Dt siehe etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 133 Rz 15, zu jenem in der Schweiz Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 56. 797  IdS etwa Schauer, Zivilrechtliche Grundfragen der Stiftungserrichtung, in Csoklich/Müller (Hrsg), Die Stiftung als Unternehmer (1990) 27 ff (34); Csoklich, Anwendungsbereich und Gründung einer Privatstiftung, in Csoklich/Müller/Gröhs/Helbich (Hrsg), Handbuch zum Privatstiftungsgesetz (1994) 13 ff (33); Huber in Doralt/Nowotny/Kalss, PrivatstiftungsG § 9 Rz 2 ff; zur objektiven Auslegung der korporativen Teile der Stiftungserklärung siehe auch OGH 6 Ob 116/01d, RdW 2001/560 und 6 Ob 106/03m, RdW 2004/65. 798  Kritisch auch Nowotny, Stifterwille und Auslegung von Stiftungsdokumenten, RdW 2004, 66 f. 799  IdS etwa Csoklich, Anwendungsbereich und Gründung einer Privatstiftung, in Csoklich/ Müller/Gröhs/Helbich (Hrsg), Handbuch zum Privatstiftungsgesetz (1994) 13 ff (33). 800  Anders mag dies speziell bei Destinatären von Privatstiftungen mit klagbaren Ansprüchen uU dann sein, wenn die Einräumung der Begünstigtenstellung im weitesten Sinn synallagmatisch erfolgt sein sollte (zB im Zusammenhang mit der Abgabe eines Erb- und Pflichtteilsverzichts). In einem derartigen Fall könnte es nämlich durchaus geboten erscheinen, auch deren Interessen bei der Auslegung der entsprechenden Partien der Stiftungserklärung mit zu berücksichtigen. Schließlich sind diese dann ja, wenn auch nur im übertragenen Sinn, auch an diese Personen als „Erklärungsempfänger“ gerichtet.

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dürfte sich bei näherer Analyse als zu grobschlächtig erweisen.801 Schließlich bliebe beim geschilderten Grundsatz einer „gespaltenen Auslegung“ von Stiftungserklärungen auch offen, warum – dessen ungeachtet – die Auslegung letztwilliger Stiftungserklärungen sehr wohl ausschließlich nach den für letztwillige Verfügungen relevanten Auslegungsgrundsätzen802 erfolgen sollte.803 Die Interessen von Destinatären mit klagbaren Ansprüchen und potentiellen Gläubigern dürften nämlich bei diesen Stiftungserklärungen nicht anders betroffen sein als bei Stiftungserklärungen iSv § 7 PSG.804 5. Allgemeine Geschäftsbedingungen, Vertragsformblätter, ÖNormen 323

Nach welchen Grundsätzen die Auslegung von standardisierten Vertragserklärungen zu erfolgen hat, die zum gleichförmigen Einsatz in einer Vielzahl von Rechtsgeschäften erstellt wurden, wie vor allem Vertragsschablonen805 und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Allgemeinen sowie All­ gemeine Versicherungsbedingungen (AVB) im Besonderen806, aber etwa auch ÖNORMEN807, bildete in Österreich808 bis in die jüngere Vergangenheit herauf den Gegenstand einer Kontroverse zwischen der Rechtsprechung auf der einen und der Lehre auf der anderen Seite. Denn obwohl auch von der Rsp, soweit ersichtlich, niemals ernstlich be324 stritten wurde, dass die Geltung derart standardisierter Vertragsmuster für ein einzelnes Rechtsgeschäft grundsätzlich809 ausschließlich mit allgemeinen 801  Siehe zur identen Frage im Zusammenhang mit der Auslegung von Gesellschaftsverträgen bereits oben Fn 781. 802  Zu diesen allgemein oben Rz 77. 803  So offenbar Schauer, Erbrechtliche Probleme der Privatstiftung, in Csoklich/Müller/ Gröhs/Helbich (Hrsg), Handbuch zum Privatstiftungsgesetz (1994) 107 ff (115) und Hochedlinger, 10 Jahre Privatstiftungsgesetz: gelöste und ungelöste Fragen, GeS 2003, 472 ff. 804  Anders verhält es sich freilich mit den – schon nach allgemeinen Grundsätzen im Rahmen der Auslegung durchaus zu berücksichtigenden (allgemein zur Auslegung von mehrseitigen Rechtsakten siehe oben Rz 315 ff) – Interessen von Mitstiftern, deren Existenz ja bloß bei einer Stiftungserklärung iSv § 7 PSG denkbar ist. 805  Zu deren Auslegung speziell im Bereich des Arbeitsrechtes eingehend M. Binder, Bedarf es für das Arbeitsrecht einer besonderen Interpretationsmethode? DRdA 1986, 1 ff (10 ff). 806  Vgl dazu insbesondere auch Winter, Festumrissene Rechtsbegriffe in den ARB, r+s 1991, 397 ff; Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS F. Bydlinski (2002) 121 ff; Rath, Rechtsfragen bei Verwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (2007) 59 ff und Schauer, Zur Auslegung von AVB als methodisches Problem, VR 2009, 16 ff. 807  Vgl dazu insbesondere auch P. Bydlinski, Die Auslegung und Anwendung von Ö-Normen, insbesondere in Bezug auf die Schlussrechnung und Schlusszahlung, wbl 2008, 215 ff sowie OGH 6 Ob 98/00f, RdW 2001/433 und 6 Ob 151/05g, ecolex 2006/44 (M. Leitner). 808  Zum Meinungsstand in Deutschland siehe etwa Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz4 § 5 Rz 1 ff und Coester in Staudinger/Eckpfeiler (2011) E. Allgemeine Geschäftsbedingungen Rz 37 ff, zu jenem in der Schweiz etwa Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 1 N 218 ff sowie Wiegand, Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, in FS Kramer (2004) 331 ff, alle mwN. 809  Dh soweit nicht vereinzelt hoheitliche Rechtsakte öffentlich-rechtlicher Provenienz anderes vorsehen.

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rechtsgeschäftlichen Grundsätzen, va der Privatautonomie der Parteien, zu erklären ist810, diesen also keineswegs eine (gesetzesgleiche) heteronome Geltungskraft zukommt, tendierte vor allem die ältere Rsp, und zwar speziell im Fall der AVB, dazu, zu deren Auslegung auf die für Gesetze maßgeblichen Bestimmungen der §§ 6 f zu rekurrieren.811 In jüngerer Zeit ist allerdings eine beträchtliche Verringerung der Kluft 325 zwischen Rsp und Rechtswissenschaft, die – zT vehement – eine Auslegung auch von standardisierten Vertragsmustern nach den dafür richtigerweise als maßgeblich anzusehenden Grundsätzen der §§ 914 f einforderte812, festzustellen.813 Es wurde nämlich im Grundsätzlichen von der jüngeren Rsp zunächst zugestanden, dass sich auch die bei derartigen Vertragsmustern zu berücksichtigenden Auslegungsgrundsätze den Regelungen der §§ 914 f „nähern“814, bis dann in weiterer Folge die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 914 f auch auf AGB und AVB explizit anerkannt wurde.815 Im Detail hat nach der jüngeren Rsp816 die Auslegung von standardisierten 326 Vertragsmustern nach dem Maßstab eines durchschnittlich verständigen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises unter Beschränkung auf den Wortlaut und den daraus hervorleuchtenden Zweck zu erfolgen, aber unter Verzicht auf außerhalb des Textes liegende Umstände, mögen diese auch Rückschlüsse auf den tatsächlichen Geschäftswillen des Verwenders des jeweiligen Vertragsmusters zulassen. Anderes soll bloß dann gelten, wenn die fraglichen Vertragsmuster Gegenstand bzw Ergebnis817 von Vertragsverhandlungen waren.818 Der geschilderten Tendenz der jüngeren Rsp ist zunächst im Grundsätzli­ 327 chen uneingeschränkt zuzustimmen. In der Tat fehlt jegliche methodische Rechtfertigung dafür, bei der Auslegung von Verträgen, die unter Einbeziehung standardisierter Vertragsmuster zustande gekommen sind, von den – für 810  Grundlegend für das österreichische Recht F. Bydlinski, Zur Einordnung der allgemeinen Geschäftsbedingungen im Vertragsrecht, in FS Kastner (1972) 45 ff. 811  Vgl etwa OGH 7 Ob 173/73, VR 1974, 100 (Baumann). 812  Siehe etwa Ertl, Der Versicherer als Gesetzgeber, RZ 1973, 59 ff, 76 ff, 96 ff, 113 ff; Jabornegg, Das Risiko des Versicherers (1979) 16 f; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991) 467 und Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3 (1995) 132 f. 813  Zur Entwicklung der Judikatur näher etwa Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS F. Bydlinski (2002) 121 ff. 814  Vgl etwa OGH 7 Ob 3/89, VersE 1422 und 7 Ob 65/97b, VersE 1736. 815  Vgl etwa OGH 7 Ob 6/92, VersE 1531 und 7 Ob 199/98k, ZVR 1999, 158. Speziell zur Anwendbarkeit von § 915 auch auf Vertragsmuster siehe zB OGH 7 Ob 41/01g, SZ 74/46 (AGB eines Kreditkartenunternehmens), RIS-Justiz RS0112256 (AVB) sowie OGH 3 Ob 2327/96v, ecolex 1997, 87 und 7 Ob 110/01d, RdW 2001/660 (ÖNORMEN; siehe zu deren Auslegung auch Liedermann, ÖNormen und Einzelvertrag, ÖJZ 1970, 64 ff [67]). 816  Statt aller siehe etwa OGH 7 Ob 41/01g, SZ 74/46; speziell zur Auslegung von ÖNORMEN in diesem Sinn siehe auch OGH 6 Ob 151/05g, ecolex 2006/44 (Leitner). 817  Was freilich ohne den Verlust der Qualität der fraglichen lex contractus als „Vertragsmuster“ bzw AGB praktisch kaum denkbar erscheint. 818  Zu deren Relevanz für die Auslegung vgl etwa OGH 7 Ob 107/04t, VR 2005/694; 7 Ob 83/04p, RdW 2004/689; 7 Ob 106/05x, ÖJZ-LSK 2006/31 ua.

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Verträge nun einmal ganz allgemein maßgeblichen – Auslegungsgrundsätzen der §§ 914 f ab- und auf die für Gesetze relevanten Auslegungsbestimmungen, va § 6, auszuweichen. Auch bezüglich der Detailbeurteilung der Auslegung von standardisier­ 328 ten Vertragsmustern ist der jüngeren Rsp insoweit zuzustimmen, als die Umstände des Abschlusses des jeweiligen Einzelvertrages, vor allem die diesem vorausgehenden Vertragsverhandlungen, durchaus anstelle einer objektiven eine subjektive Auslegung des Einzelvertrages gebieten können.819 So wäre etwa dann überhaupt keine Rechtfertigung für eine objektive Auslegung des Einzelvertrages mehr ersichtlich, wenn sich im Rahmen der Vertragsver­ handlungen iS eines natürlichen Konsenses ein übereinstimmendes Verständnis der Parteien vom Inhalt eines bestimmten Teiles des dem Vertrag zugrunde gelegten Vertragsformblattes herausgebildet haben sollte, mag dieses auch vom objektiven Verständnis abweichen.820 Aber auch einem vom objektiven Gehalt abweichenden bloß normativen Konsens über bestimmte Punkte einer Vertragsschablone, von dessen Zustandekommen zB aufgrund des Ablaufes der Vertragsverhandlungen auszugehen ist, muss im Rahmen der Auslegung des Einzelvertrages Vorrang vor einem objektiven Verständnis dieser Punkte eingeräumt werden. Praktisch relevant kann dies dann werden, wenn der Verwender von AGB zwar seinen tatsächlichen Geschäftswillen auf deren objektivem Inhalt aufbaut, dann jedoch „glatt“, dh ohne weitere Vorbehalte, ein Anbot seines Vertragspartners annimmt, dem – im Lichte der vorangegangenen Vertragsverhandlungen durchaus erkennbar – ein völlig anderes Verständnis dieser AGB zugrunde liegt.821 Richtigerweise ist aber nicht bloß davon auszugehen, dass Vertragsab329 schlussumstände im Allgemeinen und die vorangegangenen Vertragsverhandlungen im Besonderen eine Abkehr von der objektiven Auslegung standardisierter Vertragsmuster im Falle ihrer Einbeziehung in einen Einzelvertrag gebieten können, es also – wie die oben referierte Auffassung der Rsp vielleicht suggerieren könnte – im Übrigen immer bei deren Auslegung nach dem Maßstab eines durchschnittlich verständigen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises unter Beschränkung auf den Wortlaut und den daraus her819  Ebenso auch Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 39; aA – speziell für den Bereich der Auslegung von AVE – Rath, Rechtsfragen bei Verwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (2007) 69 f. 820  Zu Recht weist Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 1 N 219 auch darauf hin, dass nur durch die Anerkennung des Vorranges eines einheitlichen Verständnisses von bestimmten Punkten eines Vertragsmusters schon im Rahmen der Auslegung ein – in der Sache völlig unverständlicher – Bruch zum, soweit ersichtlich, unstrittigen Grundsatz des Vorranges einer im Einzelfall abgeschlossenen Individualabrede vermieden werden kann (zu diesem näher Rz 331). 821  IdS etwa auch BGH in NJW 1963, 1978 und in NJW 1983, 2638. Eine vergleichbare Problematik wird virulent, wenn zu beurteilen ist, ob und, wenn ja, in welchem Umfang Werbeaussagen über Kapitalanlageprodukte das normativ gebotene Verständnis von standardisierten Vertragsanträgen von Anlegern durch die Bank als Erklärungsempfänger determinieren; vgl da­zu näher etwa Vonkilch, Von Geschäftsirrtümern und Sollbeschaffenheiten beim Wertpapierkauf, irrtumsrechtlichen Kausalitätsbeweisen und Mitverantwortlichkeiten von Irrrenden, JBl 2011, 2 ff.

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vorleuchtenden Zweck, aber unter Verzicht auf außerhalb des Textes liegende Umstände, zu verbleiben hätte.822 Vielmehr ist unter konsequenter Berücksichtigung der § 914 inhärenten Auslegungsgrundsätze zu konstatieren, dass eine derart objektive Auslegung als Grundprinzip nur in aller Regel das Richtige trifft, und zwar deswegen, weil einerseits der Vertragspartner des Verwenders einer Vertragsschablone in aller Regel keine Kenntnis von außerhalb des Textes liegenden Umständen hat, die Rückschlüsse auf deren genauen Inhalt zulassen, und andererseits der Verwender der Vertragsschablone in aller Regel davon ausgehen kann, dass diese gegenüber einem durchschnittlich verständigen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises zum Einsatz kommt. Sollte freilich der Einzelfall atypisch gelagert sein, müsste jedenfalls dann der von der Rsp favorisierten objektiven Auslegung die Gefolgschaft verweigert werden, wenn man nicht ohne zureichende Gründe von den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung, wie sie in § 914 grundgelegt sind, abweichen möchte.823 Dementsprechend müsste zB die objektive Auslegung von Vertragsformblättern nach dem Maßstab (nur) eines durchschnittlich verständigen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises dann irrelevant bleiben, wenn der konkrete Vertragspartner über einschlägiges Zusatzwis­ sen verfügt, also etwa der Direktor einer Bank als Kunde sehr genau weiß, welchen näheren Inhalt eine für den Laien vielleicht unklar ausgedrückte Vertragsklausel nach dem Verständnis der Bank, dh seines Vertragspartners, haben soll.824 Als nicht minder irrelevant müsste eine objektive Auslegung für den Fall angesehen werden, dass der Vertragspartner des Verwenders von Vertragsschablonen für den Verwender erkennbar nicht jenes Verständnis der Vertragsschablone entwickelt hat, das der durchschnittlich verständige Angehörige des 822  So aber wohl Leitner, ecolex 2006/44 (Entscheidungsanmerkung). Bei einer derartigen Auffassung dürfte jedoch schon sowohl im Lichte allgemeiner Grundsätze der Vertragsauslegung als auch speziell unter Berücksichtigung von § 864a der – per se wohl in der Tat zutreffende – Umstand, dass der Verwender der standardisierten Vertragswerke idR an deren einheitlicher Auslegung in allen Fällen ihres Einsatzes interessiert ist, zu stark gewichtet und demgegenüber im Einzelfall uU schützwürdigen Interessen des anderen Vertragsteils an seinem abweichenden Verständnis vom Inhalt des speziell mit ihm geschlossenen Vertrages zu geringes Gewicht beigemessen werden. Vor allem im (praktisch ja wohl vorwiegend interessanten) Verbrauchergeschäft verfängt das Argument, dem Partner des Verwenders der AGB müsse ja dessen Wille nach einheitlicher Geltung bekannt sein, in jenen Fällen, in denen besondere Umstände des Einzelfalles ihn nach allgemeinen Grundsätzen grundsätzlich sehr wohl zu einer abweichenden, subjektiven Deutung des Inhalts der AGB berechtigen, zudem auch schon wegen der Wertung des § 6 Abs 3 KSchG nicht. Denn bloß aufgrund des einseitigen, einheitlichen Anwendungswillens des AGB-Verwenders auch dann eine ausschließlich objektive Auslegung derselben vornehmen zu wollen, wenn der konkrete Vertragspartner aufgrund der Umstände des speziell mit ihm abgeschlossenen Vertrages auf ein abweichendes Verständnis vertrauen durfte (etwa weil er von einem Verhandlungsgehilfen des AGB-Verwenders fehlerhaft über deren Inhalt belehrt wurde), würde diesem gegenüber eine völlig intransparente Rechtslage schaffen. 823  Grundlegend idS, wenngleich für den Bereich des BGB, Brandner, Die Umstände des einzelnen Falles bei der Auslegung und Beurteilung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, AcP 162 (1963) 237 ff (va 254 ff). Ähnlich wie hier auch Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 39. 824  IdS etwa die vom RG in RGZ 116, 198, 207 und in JW 1928, 618 zu beurteilenden Sachverhalte.

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grundsätzlich angesprochenen Adressatenkreises vielleicht entwickeln würde, sondern – etwa wegen seiner ausländischen Herkunft oder seiner mangelhaften Sprachkenntnisse – ein davon abweichendes.825 Ebenfalls aus der gebotenen konsequenten Berücksichtigung der allgemei330 nen Auslegungskriterien, die § 914 zu entnehmen sind, ergibt sich schließlich auch die zutreffende Beantwortung der – va bei der Auslegung von AVB verstärkt diskutierten – Sonderfrage nach der Berücksichtigung der Entstehungs­ geschichte der jeweiligen Vertragsschablonen, speziell der bewusst vorgenommenen Abweichungen von Vorläuferfassungen826: Da die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Vertragsschablone dem Vertragspartner ihres Verwenders in aller Regel unbekannt ist, kann ihm – selbst unter Berücksichtigung der ihm grundsätzlich obliegenden Deutungsdiligenz827 – schon aus diesem Grund nicht abverlangt werden, sie im Rahmen der Auslegung des von ihm abgeschlossenen Individualvertrages gegen sich gelten zu lassen. Sollte freilich im Einzelfall ein Versicherungsvertrag auszulegen sein, den zB ein Rechtsgelehrter abgeschlossen hat, der in die Erstellung der Neufassung der fraglichen AVB als Experte federführend eingebunden war, so wird es ihm – ebenso wie dem bereits erwähnten Bankdirektor828 – nach allgemeinen Grundsätzen sehr wohl verwehrt sein, sich auf die Irrelevanz seines in concreto ja sehr wohl vorhandenen Son­ derwissens über die Hintergründe der Entstehung dieser AVB zu berufen. Aber auch bei einem Vertragspartner mit bloß durchschnittlichem Verständnishorizont wird die Entstehungsgeschichte eines Klauselwerkes unter Umständen dann zu berücksichtigen sein, wenn diese Berücksichtigung im Vergleich zu einer rein objektiven Auslegung ein für den Vertragspartner günstigeres Auslegungsergebnis mit sich bringt. Dies mag vielleicht auf den ersten Blick dogmatisch nur schwer begründbar erscheinen, lässt sich aber letztlich durch ein verstärkt teleologisches Verständnis der – für die Vertragsauslegung ja fundamentalen – Vertrauenstheorie hinreichend legitimieren. Denn der tatsächliche Geschäftswille der AGB-Verwender wird, va bei branchenweit einheitlich verwendeten Muster-AGB, wie etwa AVB, in aller Regel auf deren Geltung im Sinne ihrer Entstehungsgeschichte, dh gerade auch unter Berücksichtigung der bewusst vorgenommenen Abweichungen von Vorläuferfassungen, gerichtet sein. Und die nach § 914 gebotene Relativierung der Maßgeblichkeit dieses tatsächlichen Geschäftswillens durch jenes Verständnis, auf das ein redlicher Erklärungs825  Ebenso Brandner, Die Umstände des einzelnen Falles bei der Auslegung und Beurteilung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, AcP 162 (1963) 237 ff (va 258); aA aber zB BGH in NJW 1960, 1661 (offensichtliche Ausländereigenschaft des Vertragspartners ändert nichts am Gebot der „objektiven“ Auslegung von AGB). 826  Dazu im Zusammenhang mit AVB eingehend etwa Baumann, Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte für die Auslegung von Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, in FS Kramer (2004) 447 ff (ebenfalls veröffentlicht in r+s 2005, 313 ff). Zur identen Frage im Zusammenhang mit Kollektivverträgen siehe etwa OGH 9 ObA 225-227/89. Speziell zur – grundsätzlich zu verneinenden – Frage nach der Auslegung der Vorläuferfassungen von Vertragsschablonen im Lichte ihrer Nachfolgegenerationen siehe etwa OGH 7 Ob 73/02i, VersE 1974 sowie Ertl, Auslegung der alten Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Lichte der neuen Rsp, ecolex 2004, 165 ff. 827  Dazu allgemein obenRz 131. 828  Siehe oben Rz 329.

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empfänger vertrauen durfte und vertraut hat, dient ausschließlich dem Schutz dieses Erklärungsempfängers vor einem für ihn unerkennbaren und nachteiligen Klauselverständnis. Dementsprechend bleibt dann aber teleologisch kein überzeugender Grund mehr übrig, dem tatsächlichen Geschäftswillen des AGB-Verwenders selbst dann die Anerkennung zu versagen, wenn dessen Berücksichtigung für den Erklärungsempfänger – wenn auch für diesen überraschend – von Vorteil wäre.829 Vielmehr lässt sich für dessen Berücksichtigung das generelle Prinzip der Zulässigkeit des Schutzverzichts durch den vom Schutzzweck Begünstigten im Allgemeinen830 und die in § 864a nachweisbare Wertentscheidung des Gesetzgebers im Besonderen ins Treffen führen.831 Als unstrittig kann schließlich im Zusammenhang mit der Auslegung von 331 Verträgen, die unter Einbeziehung von standardisierten Vertragsmustern abgeschlossen werden, der Vorrang allfälliger abweichender Individualabreden angesehen werden.832 Endlich ist in ganz grundsätzlicher Hinsicht zu unterscheiden, ob die 332 Auslegung von standardisierten Vertragsmustern im Rahmen eines Individu­ alprozesses erfolgt (wofür die eben dargelegten Gesichtspunkte uneingeschränkt gelten) oder aber im Rahmen eines Verbandsprozesses, bei dem die Auslegung schon nach der Natur der Sache ausschließlich objektiv zu erfolgen hat.833 6. Verzichtserklärungen Ungeachtet des zT anzutreffenden programmatischen Bekenntnisses zur 333 Relevanz der §§ 914 f auch in diesem Fall834 findet sich für Verzichtserklärungen in zahlreichen Entscheidungen das Postulat eines besonderen Auslegungsgrundsatzes dahingehend, dass Verzichtserklärungen einschränkend auszule­ gen seien.835 Diese Auffassung steht offenkundig im Zusammenhang mit jener, dass bei der Beurteilung, ob ein stillschweigender Verzicht auf ein Recht vorliegt, besondere Vorsicht geboten sei.836 Während nun letztgenannter Auffassung deshalb grundsätzlich zuzustim- 334 men ist, weil nach den (strengen) Konkludenzmaßstäben des § 863 wohl in der Tat in aller Regel ein Zweifel daran übrig bleiben wird, dass ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten nicht anders verstanden werden darf als in dem 829  Im Ergebnis ebenso, aber mit anderer Begründung (ergänzende Vertragsauslegung) Baumann, Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsund Versicherungsbedingungen, in FS Kramer (2004) 447 ff (ebenfalls veröffentlicht in r+s 2005, 313 ff); aA freilich die hRsp des BGH (Nw bei Baumann aaO). 830  Vgl va die Lehre von der Disponibilität des Rechtsscheins (umfassend zB Altmeppen, Disponibilität des Rechtsscheins [1993]), die von wertungsmäßig völlig verwandten Problemen handelt. 831  Auch nach § 864a werden ja vorteilhafte Klauseln in AGB selbst dann Vertragsbestandteil, wenn diese für den Vertragspartner überraschend waren, er auf deren Geltung daher weder vertrauen konnte noch vertraut hat. 832  Dazu ja bereits oben Rz 166 833  Vgl dazu etwa Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 28 KSchG Rz 9. 834  So etwa OGH 3 Ob 197/08d (insoweit unveröffentlicht), JusGuide 2009/12/6462. 835  Vgl RIS-Justiz RS0038546. 836  Vgl RIS-Justiz RS0014190.

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Sinn, dass sich der Berechtigte (noch dazu unentgeltlich) seines Rechtes begeben möchte837, bestehen gegenüber dem Postulat nach der grundsätzlich ein­ schränkenden Auslegung von Verzichtserklärungen Einwände.838 Diese gehen dahin, dass es keine zureichenden dogmatischen Gründe 335 dafür gibt, einen selbständigen Grundsatz der einschränkenden Auslegung von Verzichtserklärungen anzuerkennen, wenn und insoweit sich das in Frage stehende Auslegungsergebnis im Einzelfall nicht ohnedies mit den allgemeinen Auslegungskriterien, wie sie von den §§ 914 f vorgegeben werden, hinreichend abstützen lässt. Dementsprechend besteht die Gefahr dogmatisch mangelhafter oder gar unzutreffender Entscheidungsbegründung, wenn diese im Einzelfall verstärkt auf dem „Grundsatz“ der einschränkenden Auslegung von Verzichtserklärungen aufbaut und in den Hintergrund tritt, zu welchem Auslegungsergebnis der umfassende Einsatz der §§ 914 f führen würde. Richtigerweise sind daher etwa Entscheidungen, die sich weigern, aus 336 Gehaltsbestätigungen einen Verzicht auf Ansprüche bezüglich bestimmter Sonderzahlungen abzuleiten839, nicht mit dem „Grundsatz“ der einschränkenden Auslegung von Verzichtserklärungen zu begründen sondern damit, dass es sich dabei für den redlichen Erklärungsempfänger ohnedies nur um Wissens-, nicht aber auch um (die tatsächliche Rechtslage modifizierende) Willenserklärungen handeln kann, jene, in denen ein Verzicht nicht auch auf unvorhersehbar erst nachträglich entstandene Ansprüche erstreckt wird840, damit, dass man auf Derartiges als redlicher Erklärungsempfänger im Zweifel nicht vertrauen darf841, sowie Fälle, in denen die einschränkende Auslegung dazu führt, dass sich die fragliche Verzichtserklärung noch als zulässig erweist842, damit, dass im Zweifel, dh vorbehaltlich eindeutig in eine andere Richtung weisender Interpretationsaspekte, den Parteien zu unterstellen ist, nichts Gesetz- oder Sittenwidriges vereinbaren zu wollen.843 Bei der Beurteilung von Fällen schließlich, in denen es um die Auslegung unentgeltlicher Verzichtserklärungen geht, stellt § 915 die taugliche Basis dar, um jene Zweifel, die nach deren Interpretation gemäß § 914 verbleiben sollten, im Sinne einer Restriktion der Verzichtserklärung aufzulösen. Vergleichbares gilt bei als entgeltlich anzusehenden Verzichtserklärungen, wenn die Verzichtserklärung vom Vertragspartner des Verzicht Leistenden formuliert wurde.844 837  Dies betont zu Recht auch Rummel, Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte, in FS F. Bydlinski (2002) 337 ff (348). 838  Skeptisch zu diesem Auslegungsgrundsatz auch Rummel, Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte, in FS F. Bydlinski (2002) 337 (346). Vgl zum Problem auch Binder in Schwimann3 IV § 914 Rz 79 f. 839  IdS etwa LGZ Wien 44 Cg 318/52, Arb 5579. 840  Siehe dazu etwa OGH 5 Ob 141/99t, wobl 2000, 179. 841  Vgl idZus auch die – durchaus verallgemeinerbare – Auslegungsregel des § 1389. Vgl auch zur Begrenzung des Inhalts von Vorausverzichtserklärungen auf Schadenersatzansprüche aus diesem Blickwinkel zB OGH 6 Ob 503/96, ZVR 1997, 86 (Kathrein). 842  Zur Frage der (Un-)Wirksamkeit von Verzichtserklärungen über unübersehbare Rechtsverhältnisse siehe schon Klang in Klang2 VI 528. 843  Zum Gebot der gesetzes- und sittenkonformen Auslegung vgl allgemein Rz 173 ff. 844  Zutr idS speziell zum Gewährleistungsausschluss P. Bydlinski, Beschränkung und Ausschluss der Gewährleistung, JBl 1993, 559, 631 (632 FN 102).

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Kritikwürdig wäre es freilich, wenn zB der eindeutige Wortlaut einer 337 konkreten Verzichtserklärung derart stark hinter dem „Grundsatz“ der einschränkenden Auslegung solcher Erklärungen in den Hintergrund treten würde, dass sich das solcherart erzielte Auslegungsergebnis nicht mehr auf die von § 914 vorgegebene dogmatische Basis rückführen lässt845, oder Derartiges deshalb der Fall ist, weil man dem Zweck, der mit einer bestimmen Verzichtserklärung offenkundig verfolgt wird, zu wenig Rechnung trägt.846 Gänzlich unplausibel wäre es schließlich, jegliche vertragliche Abwei- 338 chung vom dispositiven Recht als insoweit partiellen Verzicht auf dieses qualifizieren und vorrangig dem „Grundsatz“ der einschränkenden Auslegung von Verzichtserklärungen unterwerfen zu wollen. Denn dass dies zu einer weitgehenden Erosion des Anwendungsbereiches von § 914 führen und mit den gesetzlichen Vorgaben gewiss nicht zu vereinbaren wäre, liegt auf der Hand.847 7. Konkurrenzklauseln Ähnlich wie im Zusammenhang mit der Auslegung von Verzichtserklärun- 339 gen wird von der Judikatur auch bei der Auslegung von Konkurrenzklauseln die Anwendung der §§ 914 f zT um einen besonderen Auslegungsgrundsatz dahingehend ergänzt, dass Konkurrenzklauseln grundsätzlich einschränkend auszulegen seien.848 Dogmatisch ermangelt es einem derartigen selbständigen Auslegungs­ 340 grundsatz indes an einer Existenzberechtigung849, sodass auch Konkurrenzklauseln nur dann einschränkend auszulegen sind, wenn sich die fragliche Restriktion aus einer korrekten Anwendung der §§ 914 f ableiten lässt, etwa weil die Umstände, unter denen die Konkurrenzklausel vereinbart wurde, dies nahelegen850, weil eine bestimmte Auslegung einer Konkurrenzklausel ohne Not einen gesetzwidrigen Inhalt zuschreiben würde851, oder weil die Konkurrenz845  Dies dürfte etwa bei der E OGH 9 Ob 3/09w, Zak 2009/210 (P. Bydlinski; vgl zu dieser E auch Schauer, Der relativ absolute Gewährleistungsausschluss, ÖJZ 2009, 733 ff) der Fall gewesen sein, bei der durch die Erzielung eines bestimmten Auslegungsergebnisses wohl primär auch objektiven Gerechtigkeitsaspekten, va der Wahrung von Austauschgerechtigkeit, zum Durchbruch verholfen werden sollte. 846  Dies wäre etwa dann der Fall, wenn man sich wegen des (angeblichen) Erfordernisses nach dessen einschränkender Auslegung schon im Grundsätzlichen weigerte, aus dem Verzicht auf Gewährleistung auch Konsequenzen für die Geltendmachung der Irrtumsanfechtung zu ziehen. Dies zutreffend relativierend aber etwa OGH 8 Ob 98/08g, ecolex 2009/105 sowie 3 Ob 111/09h, JBl 2010, 180 (beide mwN zum Meinungsstand). 847  Treffend Rummel, Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte, in FS F. Bydlinski (2002) 337 (346). 848  Vgl RIS-Justiz RS0016612. 849  Zu ihm kritisch etwa auch Resch, Arbeitsvertrag und Nebenbeschäftigung (1991) 184 ff und Rummel, Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte, in FS F. Bydlinski (2002) 337 ff; vgl auch Reissner, Die arbeitsrechtliche Konkurrenzklausel (1996) 145 ff. Von einer Aufgabe dieses Grundsatzes spricht etwa OGH 2 Ob 336/01b, JBl 2002, 653. 850  So etwa das in der E OGH 9 ObA 209/98w, DRdA 2000, 47 (Egger) mit Recht verwendete Auslegungsargument. 851  Zu denken wäre etwa an Verstöße gegen (uU auch unionsrechtliche) Arbeitnehmerschutzvorschriften oder kartellrechtliche Normen.

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klausel, deren extensive oder restriktive Auslegung auch nach Berücksichtigung der von § 914 vorgegebenen Auslegungskriterien noch immer zweifelhaft erscheint, vom Gegenüber des durch das Konkurrenzverbot Verpflichteten iSv § 915 vorformuliert wurde.852 Sollten aber etwa die Umstände, unter denen eine bestimmte Konkurrenz341 klausel vereinbart wurde, deren Wortlaut853 oder der mit ihr offenkundig verfolgte (wirtschaftliche) Zweck eindeutig gegen deren restriktive Auslegung in bestimmten Zusammenhängen sprechen, hat diese zu unterbleiben854 und kann – gerade umgekehrt – auch eine extensive Auslegung der Konkurrenzklausel zulässig und geboten erscheinen lassen.855 8. Bankgarantien 342

Bezüglich des im Zusammenhang mit der Auslegung von Bankgarantien in der Judikatur immer wieder anzutreffenden Auslegungsgrundsatzes der formellen Garantiestrenge, dürfte mittlerweile geklärt sein856, dass auch diesem nur insoweit dogmatische Berechtigung zukommt, als er sich im Einzelfall auf allgemeine Auslegungsaspekte iSd §§ 914 f rückführen lässt; dass er mithin keinen eigenständigen Beitrag zur Beantwortung von Auslegungsfragen, die sich im Zusammenhang mit Bankgarantien und ähnlichen Sicherungsgeschäften stellen, leistet. Dementsprechend vermag beispielsweise eine Berücksichtigung der be343 sonderen Umstände, unter denen eine bestimmte Haftungserklärung abgegeben wurde, bei deren Auslegung gegenüber dem Wortlaut der Erklärung ebenso zu prävalieren857, wie der mit dieser Haftungserklärung offenkundig verfolgte Zweck auch deren „ergänzende“, dh über den Wortlaut der Erklärung 852  Fragwürdig erscheint es allerdings, eine Konkurrenzklausel als unentgeltliche Vereinbarung iSv § 915 zu qualifizieren und dessen diesbezügliche Zweifelsregel zur Anwendung zu bringen, um zu einer einschränkenden Auslegung der Konkurrenzklausel gelangen zu können (so allerdings Reissner, Anm zu OGH 9 Ob A 120/92, DRdA 1993, 237 und – ihm folgend – OGH 9 ObA 209/98w, DRdA 2000, 47 (Egger); kritisch Rummel, Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte, in FS F. Bydlinski (2002) 337 (344 [FN 42]). 853  Dieser setzte sich etwa – in Verbindung mit dem mit dem Konkurrenzschutz offenbar verfolgten Zweck – in OGH 8 ObA 21/04b, ZAS 2005, 138 (Grießer) gegen eine einschränkende Auslegung der Konkurrenzklausel durch. 854  Zutreffend idS etwa OGH 8 Ob 652/93. 855  Dies konzedierend, wenngleich im konkreten Fall verneinend zB OGH 3 Ob 1503/90 und 2 Ob 336/01b, JBl 2002, 653. 856  Vgl va RIS-Justiz RS0033002. Aus der Literatur vgl zum Thema va Koziol in Apathy/Iro/ Koziol, BVR2 V 3/78 f; Rummel, Auslegung von Bankgarantien, ÖBA 2000, 210 ff; ders, Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte, in FS F. Bydlinski (2002) 337 (348 f); Fössl/Kurat, Auslegung, Verständigungspflichten und Zinslauf bei abweichenden Garantieabruferklärungen, ecolex 2007, 332 ff und Weselik, Zur Auslegung und Beweislast bei Bankgarantien, bbl 2010, 13 f. 857  Vgl dazu etwa OGH 8 Ob 190/98v, ÖBA 2000, 322 (Rummel). Die Berücksichtigung der konkreten Erklärungsumstände kann freilich, ganz im Einklang mit allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, auch dazu führen, dass eine Garantie enger auszulegen ist, als ihr Wortlaut vermuten lassen würde (vgl dazu etwa OGH 8 Ob 557/89, ÖBA 1991, 534).

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hinausreichende Auslegung rechtfertigen kann.858 Ein redlicher, verständiger Erklärungsempfänger wird zudem im Hinblick auf jenes Verständnis, das er sich vom konkreten Inhalt einer Bankgarantie, insbesondere im Hinblick auf die Bedingungen für ihren Abruf, gebildet hat, immer auch jenes Risiko zu berücksichtigen haben, das dem Garanten im Hinblick auf seinen Regressanspruch gegen den Garantieauftraggeber dann droht, wenn er Leistungen erbringt, obwohl der Garantiefall in Wahrheit gar nicht eingetreten ist oder die für dessen Eintritt erforderlichen Nachweise nicht erbracht wurden.859 Aber auch insoweit wird, wiederum ganz im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen, etwa zu beachten sein, dass bestimmten Formgeboten, die im Einzelfall für den Garantieabruf vorgesehen wurden, regelmäßig bestimmte Formzwecke zugrunde liegen und die Prüfung der Formwahrung im Einzelfall nicht ohne Berücksichtigung dieser Formzwecke auskommen kann.860 Was schließlich die Anwendbarkeit von § 915 bei der Auslegung von 344 Bankgarantien betrifft, so wird richtigerweise in aller Regel nur die interpretatio contra proferentem zur Auflösung von Zweifeln, die nach einer Auslegung der Erklärung gemäß § 914 im Einzelfall noch verbleiben mögen, herangezogen werden können. Die Anwendung der zweiten Zweifelsregel des § 915 scheitert nämlich in aller Regel daran, dass Bankgarantien keine unentgeltlichen bzw aus Freigiebigkeit getätigten Rechtsgeschäfte darstellen.861 9. Erklärungen im Rahmen von Vergabeverfahren Auch Erklärungen, die im Rahmen von Vergabeverfahren abgegeben 345 werden, sind gemäß der §§ 914 f auszulegen.862 Die allgemeinen Auslegungsgrundsätze werden sohin nicht durch spezielle vergaberechtliche Sondervorschriften, die der Aufhellung von Unklarheiten einzelner Anbote dienen, verdrängt, sondern kommen vorrangig zum Einsatz.863 Konkrete Folgerungen der uneingeschränkten Maßgeblichkeit der §§ 914 f 346 auch in diesem Zusammenhang sind etwa, dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass ausschreibungskonform angeboten wurde864, dass bei der Auslegung von Ausschreibungsbedingungen der Übung des redlichen Verkehrs Bedeutung zukommt865, sowie, dass Unklarheiten in Ausschreibungsbedingungen gemäß § 915 zu Lasten des Auftraggebers auszulegen sind.866 858 

IdS etwa OGH 7 Ob 2135/96p, ÖBA 1997, 191 (Rummel). Deutlich idS etwa OGH 4 Ob 149/06z, ÖBA 2007, 400 (siehe zu dieser E auch Fössl/ Kurat, Auslegung, Verständigungspflichten und Zinslauf bei abweichenden Garantieabruferklärungen, ecolex 2007, 332). Vgl dazu auch die von OGH 3 Ob 627/89, ÖBA 1990, 636 (Koziol) und 1 Ob 620/95, ecolex 1996, 447 (Wilhelm) = ÖBA 1996, 474 (Koziol) zu beurteilenden Sachver­ halte. 860  Zutreffend etwa OGH 9 Ob 319/99y, ÖBA 2000, 703. 861  Eingehend Koziol in Apathy/Iro/Koziol, BVR2 V 3/79. Vgl auch § 915 Rz 19. 862  BVA in RdW 2002/88; BVKK in wbl 2003, 100; BVA in RPA 2004, 48 (Estermann). 863  Explizit BVA in RdW 2002/88. 864  BVA in RdW 2002/88. 865  BVKK in wbl 2003, 100. 866  BVKK in wbl 2003, 100; BVA in RPA 2004, 48 (Estermann). 859 

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XIII. Prozessuale Aspekte der Auslegung 347

Aus prozessualer Perspektive betrachtet, vereint die Auslegung von Verträgen und anderen Rechtsgeschäften sowohl Sachverhalts- als auch Rechtsfra­ gen in sich, weshalb darin von der hA eine quaestio mixta gesehen wird.867 Vor allem im Hinblick auf das Bestehen einer Behauptungs- und Beweis­ 348 last einer Prozesspartei sowie zur Beurteilung der Revisibilität erweist es sich freilich aus Gründen des Prozessrechts als erforderlich, zwischen den Sachverhalts- und den Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Auslegung von Verträgen und anderen Rechtsgeschäften stellen, genau zu unterscheiden: Nur im Hinblick auf Sachverhaltsfragen kann eine Partei die Behauptungsund Beweislast treffen, wohingegen bei Rechtsfragen gilt: „Iura novit curia“. Nur im Hinblick auf Rechtsfragen ist eine Revision überhaupt grundsätzlich denkbar868, da der OGH keine Tatsacheninstanz ist. Zu den Sachverhaltsfragen, die sich im Rahmen der Auslegung stellen, 349 zählt zum einen die Ermittlung von allem, was Rückschlüsse auf den über­ einstimmenden Willen der Parteien bzw – dem aufgrund der Vertrauens­ theorie insoweit gleichzuhalten – auf ihr jeweiliges Vertrauen auf einen be­ stimmten Inhalt des Rechtsgeschäfts zulässt869, wie etwa, ob eine bestimmte Erklärung tatsächlich abgegeben wurde, welchen Wortlaut sie hatte, von welchen Umständen die Abgabe der Erklärung begleitet wurde und wem diese Umstände bekannt waren, welchen tatsächlichen Willen die Vertragsteile bei Vertragsabschluss hatten870, auf welchen Inhalt des Vertrages ein Vertragsteil vertraute871, ob die Parteien von der vertraglichen Regelung bestimmter Punkte bewusst Abstand genommen haben, sowie, welches Verhalten die Vertragsteile im Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung an den Tag gelegt haben. Zum anderen ist die Feststellung von Verkehrssitten und Unternehmer­ bräuchen eine Sachverhaltsfrage872, zu deren Beantwortung sich vielfach der Sachverständigenbeweis anbietet873 und für die das Neuerungsverbot gilt.874 Die Behauptungs- und Beweislast im Zusammenhang mit den sich bei der Auslegung von Verträgen im Prozess stellenden Sachverhaltsfragen folgt allgemeinen Grundsätzen, sodass sie denjenigen trifft, der die fraglichen Umstände für die Richtigkeit seines Vertragsverständnisses ins Treffen führt, also etwa Vgl bloß jüngst Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 914 Rz 103 mwN. Zu ihrer Zulässigkeit im Detail siehe noch näher unten Rz 351. 869  Kramer, Anmerkung zu OGH 3 Ob 130/67, ZfRV 1970, 53 spricht von der „Sammlung der Indizien, die auf den Willen der Parteien schließen lassen“. 870  Zur Feststellung der tatsächlichen Parteienabsicht als Tatfrage vgl zB OGH 8 Ob 29/03b, MietSlg 55.098; 1 Ob 156/04d, EFSlg 109.129; 6 Ob 61/05x (insoweit unveröffentlicht), MietSlg 57.691 uva. 871  OGH 7 Ob 643/87. 872  Vgl etwa OGH 1 Ob 334/60, EvBl 1961/77; 5 Ob 189/63, EvBl 1964/63; 1 Ob 564/95, SZ 68/105. Speziell zur Feststellung eines Unternehmerbrauchs als Sachverhaltsfrage eingehend Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB I2 § 346 Rz 70 ff. 873  Zum Beweis des Bestehens eines Unternehmerbrauches näher Kerschner in Jabornegg/ Artmann, UGB I2 § 346 Rz 71. 874  So auch im Zusammenhang mit dem Bestehen eines Unternehmerbrauches Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB I2 § 346 Rz 70 mit zahlreichen Nw. 867  868 

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Prozessuale Aspekte der Auslegung

§ 914

behauptet, dass der übereinstimmende tatsächliche Parteiwille vom Wortlaut der Vertragsurkunde abweiche875, oder dass individueller Sprachgebrauch der Vertragsteile und allgemeiner Sprachgebrauch divergierten.876 Als Rechtsfrage ist es demgegenüber anzusehen, welche rechtlichen 350 Schlüsse aus den Indizien, die auf den normativ als relevant anzusehenden Vertragswillen der Parteien schließen lassen, tatsächlich gezogen werden877, also etwa, wie der unmittelbare Inhalt einer Urkunde auszulegen ist878, ob angesichts des festgestellten Sachverhaltes vom Vorliegen einer Vertragslücke auszugehen ist879, was aus einem bestimmten festgestellten Vertragszweck für die Auslegung dieses Vertrages folgt, wie im Rahmen der Vertragsauslegung eine Abwägung zwischen den Interessen der Vertragsteile vorzunehmen ist880, ob zwischen den verschiedenen Auslegungskriterien ein Rangverhältnis besteht, und wenn ja, welches genau881, sowie, welche Grundsätze bei der Auslegung formbedürftiger Geschäfte zu berücksichtigen sind. Selbst Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Auslegung von 351 Verträgen und sonstigen Rechtsgeschäften stellen, sind allerdings nach hA nur eingeschränkt revisibel882: Tauglicher Gegenstand der Revision sind nämlich ausschließlich erhebliche Rechtsfragen, worunter nur solche verstanden werden, denen über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinaus Bedeutung zukommt.883 Derartiges ist freilich bei der Auslegung eines konkreten Vertrages bzw – dem gleichzuhalten – der Beurteilung von dessen Lückenhaftigkeit884 regelmäßig nicht der Fall.885 Ausnahmen gelten nach der Judikatur allerdings dann, wenn es um die Auslegung von Vertragsbestimmungen geht, die – wie vor allem solche im Rahmen branchenweit standardisierter AGB – für 875 

Vgl zB OGH 2 Ob 223/97a, ecolex 1997, 925; 9 Ob 171/98g, MietSlg 50.090. Vgl etwa OGH 7 Ob 2418/96f, RdW 1997, 656; 8 Ob 26/07t, ecolex 2008/146. 877  Kramer, Anmerkung zu OGH 3 Ob 130/67, ZfRV 1970, 53 spricht sinngemäß von der rechtlichen Bewertung, also Feststellung der Bedeutung der Erklärungsmittel. 878  Vgl etwa OGH 4 Ob 202/08x. 879  Vgl zB OGH 9 Ob 54/07t, MietSlg 60.706. 880  Was von der Rsp zT unter der Chiffre der Vertragsauslegung nach der „Übung des redlichen Verkehrs“ bewerkstelligt wird (so etwa OGH 2 Ob 328/53, JBl 1954, 71; 5 Ob 4/68, JBl 1968, 478; 6 Ob 44/69, JBl 1970, 41; 3 Ob 43/72, JBl 1973, 527; 1 Ob 503/80, SZ 53/15). Dass diese Terminologie insofern wenig glücklich ist, als sie uU an die Berücksichtigung von Verkehrssitten im Rahmen der Vertragsauslegung denken lässt, ist zuzugeben. Das ändert freilich nichts daran, dass es sich beim fraglichen Rechtsgewinnungsprozess, nicht zuletzt aufgrund des in seinem Rahmen berücksichtigten normativen Elementes der „Redlichkeit“ (dessen objektiv-rechtlichen Charakter zutreffend betonend etwa auch Bollenberger in KBB3 § 914 Rz 9 [unter Berufung auf F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 162 f]), das von manchen E, zB OGH 6 Ob 44/69, JBl 1970, 41, auch mit der Berücksichtigung von „Treu und Glauben“ gleichgesetzt wird, zweifelsfrei um die Beurteilung einer Rechtsfrage handelt, sodass die Kritik Rummels (in Rummel3 I § 914 Rz 17), die fraglichen Entscheidungen würden entsprechende Tatsachenfeststellungen vermissen lassen, nicht berechtigt erscheint. 881  So auch Kerschner in Jabornegg/Artmann, UGB I2 § 346 Rz 72. Zur Frage des Rangverhältnisses der Auslegungskriterien eingehend Rz 213 ff. 882  Zur grundsätzlichen Irreversibilität von Tatfragen im Zusammenhang mit der Auslegung von Verträgen und anderen Rechtsgeschäften siehe schon oben Rz 348. 883  Statt aller Kodek in Rechberger, ZPO3 § 502 Rz 11 f. 884  Dazu zB OGH 8 Ob 641/92, MietSlg 44.815. 885  StRsp; vgl bloß RIS-Justiz RS0044298 und RS0044358. 876 

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einen größeren Teil des Rechtsverkehrs von Bedeutung sind886, oder es der Korrektur eines groben – und daher von der Rechtsordnung nicht tolerablen – Auslegungsfehlers, der etwa in der Missachtung zentraler Auslegungsgrundsätze oder der völligen Unvereinbarkeit der Auslegung einer Urkunde mit allgemein anerkannten Sprachregeln887 erblickt wird, bedarf.888 Hinzuzufügen ist, dass auch Rechtsfragen, die sich mit dem Phänomen der Auslegung als solchem befassen, also etwa die Frage nach dem Bestehen eines Rangverhältnisses der Auslegungskriterien zum Inhalt haben, als revisibel angesehen werden müssten.

§ 915. Bei einseitig verbindlichen Verträgen wird im Zweifel angenom­ men, dass sich der Verpflichtete eher die geringere als die schwerere Last auflegen wollte; bei zweiseitig verbindlichen wird eine undeutliche Äuße­ rung zum Nachteil desjenigen erklärt, der sich derselben bedient hat (§ 869). Stammfassung JGS 1811/946 Lit: Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910); Kulka, Unentgeltlichkeit und Freigebigkeit, ÖJZ 1969, 477; Ertl, Der Versicherer als Gesetzgeber, RZ 1973, 59, 76, 96, 113; Marschall, Grenzfragen der Anwendung des Verbrechensopfer-HilfeleistungsG, ZAS 1976, 8; Krampe, Die Unklarheitenregel (1983); Welser, Vertragsaus­ legung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4; Binder, Bedarf es für das Arbeitsrecht einer besonderen Interpretationsmethode?, DRdA 1986, 1; Zemen, Im Zweifel Darlehen oder Leihe statt Schenkung?, JBl 1986, 205; Rei­ schauer, Die Haftung für Rat, Auskunft und Vertretung durch Handels- und Arbeiterkammern, ZAS 1988, 73; F. Bydlinski, Witwenpensionszusage, Zweitehe und Vertragsauslegung, in FS Schnorr (1988) 3; Avancini, Anerkennung einer abgetretenen Forderung, ÖBA 1989, 451; Zemen, Zu den Wirkungen des Erbverzichtes auf die Nachkommen, JBl 1990, 500; Hoyer, Aufkündigung von Bestandverhältnissen bei Miteigentum, wobl 1991, 152; Karollus, Praxisfragen der Vertragsauslegung, AnwBl 1996, 818; St. Korinek, Das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG, JBl 1999, 149; Reich-Rohr­ wig, Geschäftsraummiete, Unternehmenspacht und Bestandverhältnisse in Einkaufszentren – Zu § 1091 ABGB und § 1 MRG, in FS Koppensteiner (2001) 648; Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS Bydlinski (2002) 121; Rummel, Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte, in FS Bydlinski (2002) 337; Rauch, Die Unklarheitenregel, ASoK 2004, 393; Wittwer, Vertragsschluss, Vertragsauslegung und Vertragsanfechtung nach europäischem Recht (2004); Leitner, Das Transparenzgebot (2005); Wenusch, Protestatio facto contraria non valet?, ZVR 2005, 112; B. Jud, Bestandverträge in Einkaufszentren, wobl 2005, 121; Karollus/Lukas, Zur Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wbl 2005, 341; Oberhammer, Be886  Siehe dazu etwa OGH 3 Ob 1515/85; 8 Ob 10/94, JBl 1995, 51; 8 Ob 110/99f; 7 Ob 201/05t, RdW 2007/486; 6 Ob 124/10v, ecolex 2011/82 (Friedl). 887  Vgl dazu etwa RIS-Justiz RS0043415. 888  Vgl dazu etwa OGH 4 Ob 1604/95; 1 Ob 2380/96y (insoweit unveröffentlicht), EFSlg 82.291; 4 Ob 275/97p; 1 Ob 46/02z (insoweit unveröffentlicht), MietSlg 54.142; 7 Ob 58/07s.

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Allgemeines und Entwicklungsgeschichte

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standverträge in Einkaufszentren: Miete oder Pacht?, wobl 2005, 293; Kletečka, Der Pachtvertrag im Einkaufszentrum, immolex 2006, 6, 38; Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13; G. Graf, Falschetikettierung im Einkaufszentrum, immolex 2007, 109; Schauer, Zur Auslegung von AVB als methodisches Problem, VR 2009, 16; Koziol, Auslegung und Beurteilung der Sittenwidrigkeit von AGB-Klauseln im Verbandsprozess, RdW 2011, 67; P. Bydlinski, Thesen zur praktischen Handhabung des „Transparenzgebotes“ (§ 6 Abs 3 KSchG), JBl 2011, 141.

Übersicht I. II. III. IV. V.

Allgemeines und Entwicklungsgeschichte Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung, unionsrechtliche Bezüge Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Bestimmungen Grundsätzlicher Anwendungsbereich von § 915 § 915, 1. Fall 1. Allgemeines 2. Anwendungsbereich und Anwendungsvoraussetzungen 3. Rechtsfolge VI. § 915, 2. Fall 1. Allgemeines und Anwendungsbereich 2. „Interpretatio contra proferentem“ und kundenfeindlichste Auslegung im Verbandsprozess 3. Tatbestand des „sich Bedienens“ einer Äußerung 4. Rechtsfolge 5. Kasuistik VII. Verhältnis von § 915 zur Haftung aus culpa in contrahendo wegen Verwendung undeutlicher Begriffe

1–3 4–6 7–10 11–14 15–27 15–16 17–25 26–27 28–50 28–31 32–34 35–39 40–41 42–50 51–54

I. Allgemeines und Entwicklungsgeschichte § 915, der – im Unterschied zu § 914 – durch die III. TN keine Verände- 1 rung erfuhr, beinhaltet seit der Urfassung des ABGB zwei subsidiäre Ausle­ gungsregeln, durch deren Einsatz die ansonsten idR drohende Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäftes, va wegen Unbestimmtheit, vermieden werden kann.1 Von einer Entbehrlichkeit der Aufnahme dieser Auslegungsregeln, die 2 ihre Wurzeln bereits im römischen Recht haben2, in das ABGB kann schon von daher nur schwerlich die Rede sein.3 Besonders gilt dies seit der Pflicht Österreichs zur Umsetzung der Vertragsklausel-RL4 bezüglich der im 2. Hs von 1  Diese Funktion von § 915 zu Recht betonend etwa Kerschner, JBl 1985, 575 f (Buchbesprechung von Krampe, Die Unklarheitenregel [1982]) und Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 7; unzutreffend hingegen OGH 3 Ob 793/30, Rspr 1930/391 (abl Wahle): Undeutliche Erklärungen, die von den Vertragsteilen unterschiedlich aufgefasst wurden, seien nicht auslegungsfähig. 2  Siehe dazu etwa Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910) 178 ff sowie Krampe, Die Unklarheitenregel (1983) 11 ff. 3  So aber Gschnitzer in Klang2 IV/1, 415. 4  RL 93/13/EWG.

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§ 915

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§ 915 enthaltenen Auslegungsregel, der „interpretatio contra proferentem“, da deren Existenz im österreichischen Recht, jedenfalls für den Anwendungsbereich dieser RL, nunmehr sogar unionsrechtlich gefordert wird.5 Stimmen, die der teleologischen Berechtigung von subsidiären Ausle3 gungsregeln wie den in § 915 enthaltenen skeptisch gegenüber stehen6, ist nur insoweit Recht zu geben, als es dann in der Tat zu teleologisch unbefriedigenden Ergebnissen käme, wenn man bei der Vertragsauslegung der Subsidiarität von § 915 nicht hinreichend Rechnung trüge und durch seine vorschnelle Anwendung zu Auslegungsergebnissen gelangte, die im Widerspruch zu den von § 914 dem Vertragsinterpreten gemachten Vorgaben stünden. Ansonsten aber kann der Zweifelsregel des 1. Hs von § 915 aus dem Blickwinkel tunlichster Freiheitssicherung7, jener des 2. Hs, vor allem auch soweit es um seine Anwendung bei einseitig vorformulierten Vertragsformblättern geht, aus Inge­ renz- bzw Gefahrtragungsaspekten8 die teleologische Berechtigung nicht abgesprochen werden.

II. Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung, unionsrechtliche Bezüge 4

Rechtsvergleichende Betrachtung fördert zunächst zutage, dass vor allem die im 2. Hs von § 915 enthaltene „interpretatio contra proferentem“, ausgehend von ihren römisch-rechtlichen Quellen, durchaus Verbreitung erfahren hat9; dies auch und gerade im Zusammenhang mit der Auslegung von einseitig vorformulierten Vertragsformblättern10, bezüglich derer es freilich zT durchaus den Anschein hat, als ob unter Berufung auf diese Auslegungsregel eine camouflierte Inhaltskontrolle der jeweiligen Vertragsformblätter betrieben wird.11 5 

Dazu noch näher unten Rz 6. Zur rechtspolitischen Kritik an den in § 915 eingeflossenen Auslegungsregeln siehe schon Titze, Die Lehre vom Missverständnis (1910) 178 ff. In jüngerer Zeit wieder aufgeflammt ist die rechtspolitische Diskussion um die Berechtigung der „interpretatio contra proferentem“ als gesetzliche Auslegungszweifelsregel aus Anlass ihrer Übernahme in das (ehemalige) dt AGB-Gesetz: vgl Krampe, Die Unklarheitenregel (1983) 26 f. Mit der Übernahme der „interpretatio contra proferentem“ in die Vertragsklausel-RL der EU dürfte die diesbezügliche rechtspolitische Diskussion freilich in großem Umfang bis auf weiteres entschieden sein. 7  Diesen Umstand verdeutlichen schon die Ausführungen von Zeiller, Commentar III/1, 109 treffend: „Durch einen wohltätigen Vertrag wird die Freiheit des Promittenten eingeschränkt, und nicht, so wie bei einem entgeltlichen, mittels einer Gegenforderung andererseits wieder erweitert, und gleichsam wieder hergestellt.“ 8  Vgl zu diesen schon Müller-Erzbach, Gefährdungshaftung und Gefahrtragung, AcP 106 (1910) 309 ff (441 f). 9  Vgl etwa Art 1162 Code Civil. Zur Übernahme von Art 1162 Code Civil in andere Kodifikationen vgl Krampe, Die Unklarheitenregel (1983) 16 f. 10  Vgl etwa schon früh Art 1370 Codice Civile sowie Art 1288 Código Civil und § 5 des ehemaligen dt AGB-Gesetzes (nunmehr § 305c Abs 2 BGB). Aufgrund der Übernahme der „interpretatio contra proferentem“ in die Vertragsklausel-RL der EU (dazu sogleich Rz 6) stellt sie nunmehr insoweit einen vereinheitlichten Rechtsbestand innerhalb der Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten dar. 11  Dies va dann, wenn die jeweilige Rechtsordnung eine „offene“ Inhaltskontrolle (noch) nicht kennt (bzw gekannt hat); vgl dazu etwa auch Wittwer, Vertragsschluss, Vertragsauslegung 6 

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Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Bestimmungen

§ 915

Auch im Rahmen der Europäischen Rechtsvereinheitlichung wird vor 5 allem der „interpretatio contra proferentem“ Beachtung geschenkt.12 Von besonderer praktischer Relevanz erscheint schließlich, dass die „inter- 6 pretatio contra proferentem“ unionsrechtlich Eingang in Art 5 Satz 2 der Vertragsklausel-RL gefunden hat.13 Dieser Umstand verleiht ihr nicht nur für den Anwendungsbereich der RL den Charakter einer unionsweit harmonisierten Auslegungsregel, sondern wird auch auf das Verständnis des 2. Hs von § 915 insofern methodische Rückwirkungen zu entfalten haben, als dieser nunmehr auch dem Postulat zur richtlinienkonformen Interpretation unterliegt. Konkret bedeutet dies vor allem, dass allfälligen Entscheidungen des EuGH zum näheren Gehalt von Art 5 Satz 2 der Vertragsklausel-RL auch im Rahmen der Anwendung des 2. Hs von § 915 Rechnung zu tragen sein wird, und zwar – da eine sog „gespaltene Auslegung“ insoweit nicht zu befürworten sein dürfte – ganz allgemein, dh auch über den unmittelbaren Anwendungsbereich der RL hinaus.14 Mit dem angesprochenen unionsrechtlichen Gehalt, mit dem der 2. Hs von § 915 nunmehr aufgeladen ist, korrespondiert auch das Recht bzw die Pflicht, allfällige Zweifelsfragen bei der Auslegung dem EuGH zur Vorab­ entscheidung vorzulegen.15

III. Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Bestimmungen Gegenüber § 914 kommt den Auslegungsregeln des § 915 nur subsidiärer 7 Charakter zu16. Dies hat va zur Konsequenz, dass der – für den Vertragsinterpreten aus erkenntnisökonomischen Gründen wohl nicht selten verlockend erscheinende – Rückgriff auf § 915 in Wahrheit dann nicht statthaft ist, wenn sich das fragliche Auslegungsproblem bereits durch eine nähere Reflexion des Vertragszweckes17, durch eine Berücksichtigung der Umstände, die die Erkläund Vertragsanfechtung nach europäischem Recht (2004) 176. Eingehend (ua) zum Verhältnis von Auslegung und Inhaltskontrolle Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS Bydlinski (2002) 121 ff. 12  Siehe dazu schon § 914 Rz 11. 13  Dazu schon oben Rz 2 14  Ebenso Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 915 Rz 11. 15  Vgl dazu auch Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 915 Rz 11. 16  Dazu schon ausführlich § 914 Rz 15 f. Dies speziell für den Verbandsprozess betonend Koziol, Auslegung und Beurteilung der Sittenwidrigkeit von AGB-Klauseln im Verbandsprozess, RdW 2011, 67 ff. 17  Vgl dazu etwa OGH in SZ 2/72 (Offenkundiger Vertragszweck, eine Versicherung [nur] gegen Einbruchsdiebstahl abzuschließen, lässt eindeutige Rückschlüsse auf die Grenzen des versicherten Risikos zu und verbietet daher den Rückgriff auf § 915); OGH 1 Ob 326/98t, ÖBA 1999, 822 (F. Bydlinski) (Unter Berücksichtigung des konkreten Sicherungszwecks, der der übernommenen Bürgenhaftung offenkundig zugrunde liegt, lässt sich die Frage nach deren Aufkündbarkeit eindeutig beantworten); ähnlich wohl auch – wenngleich mit nicht eben geglückter, weil der gebotenen Trennung von Auslegung und Inhaltskontrolle nicht hinreichend Rechnung tragender Formulierung („gegen derartige Risikoausschlüsse bestehen im Hinblick auf § 915 k ei n e B ed enken“) – OGH 7 Ob 328/99g, VersE 1868 (Offenkundigkeit des ihnen zugrunde liegenden Zweckes lässt zeitliche Risikoausschlüsse in der Rechtsschutzversicherung nicht zweifelhaft erscheinen).

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§ 915

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rungsabgabe erkennbar begleitet haben und auf die der Erklärungsempfänger vertraut hat18, durch nahe liegende systematische Überlegungen19 oder durch den Rekurs auf einschlägige Verkehrssitten20 zweifelsfrei lösen lässt. Auch resultiert aus der Subsidiarität von § 915 gegenüber § 914 die Unmöglichkeit, die (angebliche) Geltung des Grundsatzes „protestatio facto contraria non valet“ mit dem 2. Hs von § 915 überzeugend begründen zu können.21 Das Verhältnis von § 915 zu anderen Auslegungsregeln wird grundsätz8 lich vom Vorrang der lex specialis bestimmt. So erstreckt sich etwa – entgegen dem, was § 915, 1. Hs vermuten lassen würde – aufgrund von § 767 im Zweifel selbst ein unentgeltlicher Erbverzicht auch auf den Pflichtteil.22 Umstritten ist freilich das Verhältnis von § 915 zu § 1353, wonach Bürgschaftserklärungen im Zweifel restriktiv auszulegen sind.23 Eine drohende Kollision der beiden Normen kann insbesondere dann eintreten, wenn eine Bürgschaftserklärung zwar entgeltlich abgegeben, aber vom Bürgen formuliert wird24: § 1353 spräche dafür, Zweifelsfragen, die bezüglich der Auslegung der Haftungserklärung nicht durch Mobilisierung von § 914 beantwortet werden können, zu Gunsten des Bürgen auszulegen, § 915, 2. Hs dafür, sie zu Gunsten des Gläubigers auszulegen. Richtigerweise wird aufgrund des Grundsatzes des Vorranges der lex specialis auch insoweit von einer grundsätzlichen Nachrangigkeit von § 915 auszugehen sein.25 Von der Judikatur wird allerdings zumindest dann § 915, 2. Hs vorrangig zur Anwendung gebracht, wenn an der Begründung der Sicherung ein „ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse des Sicherungsgebers besteht“.26 18  Vgl dazu etwa OGH 8 Ob 57/67, MietSlg XIX/11 (Vertrauen der Wohnbauförderungsstelle auf die Unteilbarkeit des [Förderungs-]Schuldverhältnisses aufgrund der die Erklärung der Schuldner [=Förderungswerber] begleitenden Umstände eindeutig gerechtfertigt). Insoweit argumentativ unpräzise demgegenüber OGH 10 Ob 509/96, ÖBA 1996, 631 (Rummel), wo auf § 915 zurückgegriffen wird, obwohl (angeblich) bereits aufgrund der Vertrauenstheorie von einem bestimmten Vertragsverständnis auszugehen war. 19  Dazu etwa OGH 4 Ob 66/66, Arb 8308 (eindeutiger Vorrang eines Vertragsverständnisses, das einen Widerspruch zu bestimmten Vertragspunkten vermeidet, sodass insoweit keine Zweifel übrig bleiben, die es durch Mobilisierung von § 915 aufzulösen gilt). 20  Dazu etwa OGH 4 Ob 63/75, JBl 1976, 657 (F. Bydlinski) („Bezug“ hat einen im Bereich des Arbeitsrechts verkehrsüblich gefestigten Begriffsinhalt, sodass auch im Zusammenhang mit der Frage, welchen genauen Umfang ein den Arbeitnehmern zugesagtes „Ehrengeschenk“ aufweist, kein Rückgriff auf § 915 zulässig erscheint). 21  So aber Ostheim, Eine Wende in der Rechtsprechung zur Auslegung des Gesellschaftsvertrages und zur Abberufung von Gesellschafter-Geschäftsführern bei der GmbH, GesRZ 1975, 44 ff 76 ff (46 FN 10) und nunmehr wieder – freilich ohne Bezugnahme auf Ostheim – Wenusch, Protestatio facto contraria non valet? ZVR 2005, 112 ff. Eingehend zur Problematik des Grundsatzes „protestatio facto contraria non valet“ § 914 Rz 137. 22  Vgl Zemen, Zu den Wirkungen des Erbverzichtes auf die Nachkommen, JBl 1990, 500 ff (502). 23  Zum Problem auch Th. Rabl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 1353 Rz 4 ff. 24  Vgl aber auch für einen Fall des Gleichlaufes der Vermutungsregeln gemäß § 1353 einerseits und § 915, 2. Hs andererseits OGH 1 Ob 755/55, SZ 29/5 und 7 Ob 743/77, SZ 51/9. 25  Ebenso wohl auch F. Bydlinski, Anmerkung zu OGH 1 Ob 326/98t, ÖBA 1999, 822 und P. Bydlinski in KBB3 § 1353 Rz 1. 26  Vgl OGH 6 Ob 142/10s, Zak 2011/135.

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Grundsätzlicher Anwendungsbereich von § 915

§ 915

Soweit von der Rechtsprechung27 auf § 915 zT bei der Beurteilung Bezug 9 genommen wird, ob in einem bestimmten Verhalten eine schlüssige rechtsgeschäftliche Erklärung, etwa ein Verzicht zu erblicken ist, wird dabei dem richtigerweise anzunehmenden Verhältnis von § 915 zu § 863 nicht gebührend Rechnung getragen28: Sollten Zweifel übrig bleiben, ob in einem bestimmten Verhalten tatsächlich eine rechtsgeschäftliche Erklärung erblickt werden kann, so beantwortet schon § 863, welcher normative Schluss daraus zu ziehen ist, sodass kein Anwendungsbereich für § 915 bleibt. Sollte demgegenüber ein bestimmtes Verhalten gemäß der (strengen) Konkludenzvorgaben des § 863 in der Tat als Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung zu werten sein, so liegen insoweit schon per definitionem keine Zweifel mehr vor, denen durch die Anwendung von § 915 Rechnung getragen werden könnte. Richtigerweise kann § 915 daher bei schlüssigen Erklärungen nur insofern Bedeutung entfalten, als deren näherer Inhalt zweifelhaft erscheint.29 Eine erhebliche Restriktion ihrer praktischen Anwendbarkeit dürften die 10 Zweifelsregeln des § 915 schließlich durch das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG erfahren haben. Könnte einer im Verbrauchergeschäft zum Einsatz gebrachten Vertragsbestimmung nämlich nur unter Zuhilfenahme von § 915 ein eindeutiger Sinn zugemessen werden, so wird sie – da der Durchschnittskunde mit § 915 nicht vertraut ist – idR nicht dem Transparenzgebot genügen und daher für den Fall, dass sie den Verbraucher gegenüber dem dispositiven Recht nicht ausschließlich begünstigt, unwirksam sein.30

IV. Grundsätzlicher Anwendungsbereich von § 915 Dass § 915 auf hoheitliche Rechtsakte nicht anwendbar ist, dürfte im Hin- 11 blick auf Gesetze, die ausschließlich gemäß der §§ 6 f auszulegen sind, unstrittig sein.31 Bezüglich Verordnungen wurde dies vereinzelt anders gesehen32, was aber – so es sich nicht speziell um die Auslegung von Verordnungen als in einen Vertrag einbezogene allgemeine Geschäftsbedingungen handelt33 – abzulehnen ist. 27  So etwa OGH 6 Ob 199/58, JBl 1959, 131 (Gschnitzer); 4 Ob 501/63, JBl 1964, 88. Zutreffend zum Verhältnis der §§ 863 und 915 aber etwa OGH 2 Ob 2394/96i, JBl 1998, 367 (Mandl); 2 Ob 311/02b, RdW 2003/300 und 7 Ob 220/05m. 28  Berechtigte Kritik daher ua bei Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 6; Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 8 und Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 915 Rz 5. 29  Vgl dazu etwa OGH 7 Ob 37/62, VersR 1963, 591 (Wahle) (konkludenter Regressverzicht des Versicherers). 30  Vgl Leitner, Das Transparenzgebot (2005) 65 (FN 354); Koziol/Welser13 I 110 sowie P. Bydlinski, Thesen zur praktischen Handhabung des „Transparenzgebotes“ (§ 6 Abs 3 KSchG), JBl 2011, 141 ff (142); AA freilich die hL: vgl etwa St. Korinek, Das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG, JBl 1999, 149 ff (162 f); Fenyves, Das Verhältnis von Auslegung, Geltungskontrolle und Inhaltskontrolle von AVB als methodisches und praktisches Problem, in FS Bydlinski (2002) 121 ff (140); Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 7; Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 2; Bollenberger in KBB3 § 915 Rz 4; offenbar ebenfalls der hM zuneigend Heiss in Kletečka/Schauer, ABGBON § 915 Rz 33. Vgl zum Verhältnis von § 915 und § 6 Abs 3 KSchG auch Koziol, Auslegung und Beurteilung der Sittenwidrigkeit von AGB-Klauseln im Verbandsprozess, RdW 2011, 67 ff (68 f). 31  So schon VfSlg 1726. 32  Vgl OGH in GlUNF 5762 (postalische Durchführungsverordnung). 33  So offenbar der in GlUNF 5762 beurteilende Fall

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Sehr wohl grundsätzlich anwendbar ist § 915 demgegenüber, über seinen unmittelbaren Wortlaut hinaus, auch auf einseitige rechtsgeschäftliche Wil­ lenserklärungen34, wie etwa Auslobungen35, Kündigungen36 und Zusagen von Betriebspensionen37, jedoch nicht auf letztwillige Verfügungen, bei denen die Orientierung am tatsächlichen Willen des Verfügenden Priorität hat.38 Ebenfalls anwendbar ist § 915 auf Erklärungen, die im Rahmen der Ver­ 13 tragsanbahnung abgegeben werden, etwa Werbungen39, Kostenvoranschläge40, Bestellscheine41, Kaufanbote42 oder Ausschreibungsunterlagen.43 Schließlich ist § 915, per analogiam, auch anwendbar auf Willensmittei­ 14 lungen und Wissenserklärungen, wie etwa Rechnungen44, Zessionsmitteilungen45 und Erklärungen, mit denen der debitor cessus die Forderung für richtig erkennt.46

V. § 915, 1. Fall 1. Allgemeines 15

Dem 1. Fall von § 915 geht es nicht etwa darum, die Relevanz des „Willens­ prinzips“ für die Auslegung zu begründen47, sein Augenmerk gilt vielmehr – aufgrund der ausschließlich freiheitsbeschränkenden Wirkung unentgeltlicher Verträge – dem Aspekt tunlichster Freiheitssicherung.48 Dementsprechend kommt das vom 1. Fall von § 915 bezüglich der Auslegung normierte Restriktionsgebot auch dann zur Anwendung, wenn die entsprechende Restriktion vom rechtsgeschäftlichen Willen des unentgeltlich Zuwendenden nicht erfasst gewesen sein sollte. Umgekehrt würde es ein krasses Missverständnis bedeuten, unter Berufung auf das vom 1. Fall von § 915 (angeblich) für maßgeblich IdS auch schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 418. Vgl zB OGH 5 Ob 638/81, SZ 54/130. Unzutreffend demgegenüber die Ablehnung der Anwendbarkeit von § 915 auf Auslobungen bei Marschall, Grenzfragen der Anwendung des Verbrechensopfer-HilfeleistungsG, ZAS 1976, 8 ff (12 f). 36  OGH 8 ObA 57/04x, ARD 5531/5/2004; 9 ObA 38/02g, DRdA 2003, 333 (Kerschner); GlU 10.017. 37  OGH 4 Ob 136/84, JBl 1986, 264. Von OGH 9 ObA 177/05b, wbl 2007, 286 wird eine Pensionszusage allerdings als zweiseitig verbindlicher Vertrag angesehen. Folgt man dieser Sicht, ist § 915 bei deren Auslegung schon unmittelbar (und nicht erst per analogiam) anwendbar. 38  Vgl etwa OGH 2 Ob 272/52, SZ 25/85; 6 Ob 66/73, SZ 46/34. 39  Vgl OLG Wien 3 R 508, ÖBl 1960, 69. Besondere Relevanz kommt dem nunmehr vor dem Hintergrund von § 922 Abs 2 zu. 40  OGH in SZ 8/157. 41  LGZ Wien 42 R 2849/49, EvBl 1950/169. 42  OGH 3 Ob 121/53, JBl 1953, 517. 43  BVKK in wbl 2003, 100; BVA in RPA 2004, 48 (Estermann). 44  OGH in GlUNF 6932. 45  OGH 6 Ob 447/60, HS 684. 46  OGH 1 Ob 406/97f, SZ 71/154. 47  So aber prononciert zB OGH 2 Ob 45/67, SZ 40/27 und LGZ Wien 41 R 809/94, MietSlg 47.061 [Auslegung unentgeltlicher Verträge nach dem „Willensprinzip“]; tendenziell in diese Richtung auch Gschnitzer in Klang2 IV/1, 415. 48  Zu den diesbezüglichen Erwägungen, die schon Zeiller angestellt hatte, siehe bereits oben FN 7. 34  35 

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§ 915, 1. Fall

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erklärte „Willensprinzip“ in Zweifel ziehen zu wollen, dass auch bei der Auslegung unentgeltlicher Verträge dem „Vertrauensprinzip“ (verstanden im Sinn von: primäre Maßgeblichkeit der Auslegung nach den Maßstäben des redlichen Erklärungsempfängerhorizontes iSv § 914) vorrangige Bedeutung zukommt.49 Bei einem derartigen Verständnis würde nämlich der Subsidiarität von § 915 gegenüber § 91450 nicht Rechnung getragen. Die von § 915, 1. Hs verfügte Privilegierung des unentgeltlich Zuwenden- 16 den im Rahmen der Auslegung ändert allerdings nichts daran, dass auch einen unentgeltlich Zuwendenden, der sich undeutlicher Äußerungen bedient, eine Haftung auf den Vertrauensschaden des Erklärungsempfängers aus culpa in contrahendo treffen kann.51 2. Anwendungsbereich und Anwendungsvoraussetzungen Entsprechend der ratio, die den 1. Hs von § 915 trägt, wird „einseitig ver- 17 bindlich“ nach insoweit völlig hA52 als unentgeltlich verstanden. Dementsprechend kommt § 915, 1. Hs bei der Auslegung sämtlicher Ver- 18 tragstypen zur Anwendung, die schon per definitionem von Unentgeltlichkeit gekennzeichnet sind, wie der Schenkung und der Leihe, aber auch bei allen anderen Verträgen, wie zB Darlehen und Aufträgen, zur Anwendung, wenn diese – nachweislich53 – unentgeltlich abgeschlossen werden.54 Nichts anderes, dh Anwendbarkeit des 1. Hs von § 915 (nur) bei (nachge- 19 wiesener) Unentgeltlichkeit, gilt grundsätzlich bei Sicherungsgeschäften, wie etwa Bürgschaften, Garantien und Pfandbestellungen.55 Dementsprechend sind die Ansätze von Teilen der Judikatur56, § 915, 1. HS bei diesen Geschäften ganz allgemein zur Anwendung zu bringen, abzulehnen. Dabei wird nämlich dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass auch Sicherungsgeschäfte aus Sicht des Gläubigers vielfach entgeltlich, und zwar mit Blick auf das durch sie zu sichernde Rechtsverhältnis abgeschlossen werden57, sodass 49  Siehe dazu auch schon oben Rz 7. Zutreffende Betonung der vorrangigen Relevanz der Vertrauenstheorie im gegebenen Zusammenhang weiters bei Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 1, 3. 50  Zu ihr schon oben Rz 27. 51  Siehe dazu noch unten 51 ff. 52  Vgl etwa Gschnitzer in Klang2 IV/1, 416; Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 2; Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 5; Bollenberger in KBB3 § 915 Rz 2; Heiss in Kletečka/Schauer, ABGBON § 915 Rz 3. 53  Zur insoweit fehlenden Relevanz von § 915, 1. Hs siehe unten Rz 22. 54  Vgl etwa Gschnitzer in Klang2 IV/1, 415. 55  Dementsprechend war § 915, 1. Hs etwa auf einen von einem Bundesland, konkret dem „Kulturberater des Landeshauptmannes“, unentgeltlich erklärten Schuldbeitritt anzuwenden (so auch OGH 1 Ob 137/03h, JBl 2004, 243), nicht hingegen auf eine von der Republik Österreich entgeltlich übernommene Garantie im Rahmen des AusfuhrförderungsG, bei der Zweifel gemäß des 2. Hs von § 915 aufzulösen sind (dazu etwa OGH 1 Ob 756/76, JBl 1978, 36). 56  Vgl etwa OGH 5 Ob 57/73, EvBl 1973/177; 7 Ob 743/77, SZ 51/9; 1 Ob 326/98t, ÖBA 1999, 822 (F. Bydlinski) und 10 Ob 509/96, SZ 69/51. 57  Dies betonte zu Recht schon Kulka, Unentgeltlichkeit und Freigebigkeit, ÖJZ 1969, 477 ff (481); ebenso zB Rummel, Anmerkung zu OGH 10 Ob 509/96, ÖBA 1996, 631; ders in Rummel3 I § 915 Rz 2 sowie F. Bydlinski, Anmerkung zu OGH 1 Ob 326/98t, ÖBA 1999, 822.

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§ 915

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insoweit nur Raum für die Anwendung des 2. HS von § 915 bleibt.58 Für die Bürgschaft – und wohl per analogiam auch für die Garantie – ist zudem auf die besondere Auslegungsregel des § 1353 zu verweisen.59 Unzutreffend erscheint es freilich, auch in § 1369 insofern eine besondere Auslegungsregel erblicken zu wollen, als Pfandverträge stets als entgeltlich anzusehen sind.60 Dementsprechend wird es richtigerweise nicht a priori als ausgeschlossen angesehen werden dürfen, dass auch für die Auslegung von Pfandverträgen im Einzelfall der 1. Hs von § 915 mobilisiert werden kann. Auch bei der Anwendung von § 915, 1. Hs auf Verzichtserklärungen, 20 Anerkenntnisse und andere Verfügungen über Forderungen wird immer im Einzelfall zu prüfen sein, ob der Abschluss dieser Rechtsgeschäfte unentgeltlich erfolgte.61 Bei Vergleichen iSd §§ 1380 ff dürfte demgegenüber Unentgeltlichkeit schon eo ipso nicht vorliegen, sodass diese – wenn nicht mit den Mitteln des § 914 hinreichend deutlich auszulegen – dem 2. Hs von § 915 unterfallen.62 Anderes wird allerdings bei sog „Prämienvergleichen“ zu gelten haben, da diesen nicht ein wechselseitiges Nachgeben zugrunde liegt, sondern bloß ein einseitiges Entgegenkommen des Gläubigers, sodass bei ihrer Auslegung § 915, 1. Hs heranzuziehen ist.63 Regelmäßig keinen Anwendungsfall für § 915, 1. Hs werden Unklarhei21 ten darstellen, die Nebenabreden aufwerfen, die im Rahmen entgeltlicher Verträge vereinbart werden, wie etwa Konkurrenzklauseln und der Verzicht auf bestimmte Rechtsbehelfe, zB Gewährleistungsansprüche oder das Recht zur Mietzinsanhebung gemäß § 12a MRG. Dies deshalb, da es dem Vorliegen eines umfassenden Synallagmas nicht hinreichend Rechnung tragen würde, wenn man einzelne Bestimmungen aus dem umfassenden Rechtsverhältnis „herausschälen“ und deren Vereinbarung dann als unentgeltlich motiviert qualifizieren wollte.64 Auch zur Klärung der Zweifelsfrage, ob bei einem konkreten Rechtsge22 schäft Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit vereinbart wurde, kann § 915, 58 

Zutr idS etwa OGH 1 Ob 756/76, JBl 1978, 36; 7 Ob 260/99g, ÖBA 2000, 701. Vgl dazu sowie zum Verhältnis von § 1353 zu § 915 bereits oben Rz 8. 60  So aber Kulka, Unentgeltlichkeit und Freigebigkeit, ÖJZ 1969, 477 ff (481). 61  Für Bsp für unentgeltliche Verzichte vgl etwa den von OGH 4 Ob 26/76, ZAS 1977, 148 (Koziol) zu beurteilenden Sachverhalt (unentgeltlicher Verzicht auf Urlaubsentschädigungsansprüche aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses) sowie jenen von OGH 4 Ob 546/92, JBl 1993, 583 (Fristenberechnung bei unentgeltlich abgegebenem Verjährungsverzicht). Demgegenüber sind Verzichte auf bestimmte Rechtsbehelfe, die im Rahmen umfassender entgeltlicher Rechtsgeschäfte abgegeben werden, wie etwa Gewährleistungsverzichte oder Verzichte auf Mietzinsanhebungen gemäß § 12a MRG, als entgeltlich anzusehen (dazu auch sogleich im Text) und daher nach § 915, 2. Hs auszulegen. 62  So auch die hA im Schrifttum: vgl etwa Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 2; Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 915 Rz 4. Die Rsp bringt demgegenüber unzutreffend auf Vergleiche zT auch § 915, 1. Hs zur Anwendung: vgl etwa OGH in ZBl 1932/285 und LGZ Wien 41 R 7/71, MietSlg 23.082. Richtig allerdings nunmehr LGZ Wien 47 R 2106/94, EFSlg 75.380. 63  Dazu etwa OGH 3 Ob 349/61, HS II/60. 64  IdS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 416 f; ebenso Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 2; offenbar aA speziell für Konkurrenzklauseln Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 915 Rz 6. Vgl auch § 914 Rz 338 (zu Verzichten im Rahmen umfassender Rechtsverhältnisse). 59 

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§ 915, 1. Fall

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1. Hs nicht herangezogen werden, da in diesem Fall das zentrale Tatbestandselement dieser Norm als nicht erfüllt anzusehen ist.65 Sollte freilich das Vorliegen von Unentgeltlichkeit zu bejahen, jedoch der 23 konkret vereinbarte Vertragstyp zweifelhaft sein, spricht angesichts des ihr zugrunde liegenden telos nichts gegen die Anwendung der Zweifelsregel des 1. Hs von § 915.66 Dementsprechend wird etwa im Zweifel vom Vorliegen eines unentgeltlichen Darlehens und nicht etwa vom Vorliegen einer Schenkung auszugehen sein67, sowie bei einer unentgeltlichen Haftungsübernahme im Zweifel von einem Schuldbeitritt und nicht von der Übernahme einer Garantie.68 Per analogiam § 915, 1. Hs spricht auch viel dafür, bei unzweifelhaftem 24 Vorliegen von Unentgeltlichkeit im Zweifel davon auszugehen, dass aus blo­ ßer Gefälligkeit gehandelt wurde und ein (wenn auch unentgeltliches) Rechtsgeschäft gar nicht hätte begründet werden sollen.69 Ebenfalls per analogiam § 915, 1. Hs liegt es nahe, bei unentgeltlich ab- 25 gegebenen Erklärungen, bei denen – wie etwa bei Anerkenntnissen – im Einzelfall deren Qualifikation als (deklarative) Wissens- oder aber als (konsti­ tutive) Willenserklärung zweifelhaft sein mag, dann vom Vorliegen einer bloßen Wissenserklärung auszugehen, wenn – wie regelmäßig – dieses Verständnis der Erklärung dem Erklärenden die geringere Last auferlegt.70 3. Rechtsfolge Die von § 915, 1. Hs verfügte Rechtsfolge besteht darin, dass die Ausle- 26 gung im Zweifel solcherart zu erfolgen hat, dass es zur geringeren Belastung des unentgeltlich Versprechenden bzw Erklärenden kommt, er also als Gewährer eines unentgeltlichen Darlehens (und nicht als Geschenkgeber), als Schuldbeitretender (und nicht als Garant) oder als die zedierte Forderung bloß deklarativ (und nicht etwa konstitutiv) Anerkennender anzusehen ist. Es liegt nahe, vom Platzgreifen dieser Rechtsfolge nicht bloß im Rahmen 27 einfacher, sondern auch im Rahmen sog „ergänzender“ Vertragsauslegung 65 

51/92.

IdS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 416 und diesem folgend OGH 7 Ob 556/78, SZ

66  Ebenso auch Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 3; Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 7 und Bollenberger in KBB3 § 915 Rz 2 sowie OGH 7 Ob 556/78, SZ 51/92 und 2 Ob 2394/96i, JBl 1998, 367 (Mandl). AM Zemen, Im Zweifel Darlehen oder Leihe statt Schenkung? JBl 1986, 205 ff. 67  So auch OGH 7 Ob 556/78, SZ 51/92. 68  Vgl dazu OGH 1 Ob 137/03h, JBl 2004, 243. 69  Vgl Reischauer, Die Haftung für Rat, Auskunft und Vertretung durch Handels- und Arbeiterkammern, ZAS 1988, 73 ff (79). 70  Vgl zu einer derartigen Konstellation auch den von OGH 1 Ob 137/03h, JBl 2004, 243 zu beurteilenden Sachverhalt, wo allerdings schon eine Auslegung nach § 914 das Höchstgericht zum Ergebnis führte, dass nicht bloß eine Wissenserklärung vorlag. Speziell zur Möglichkeit der Mobilisierung von § 915, 1. Hs im Zusammenhang mit der Ermittlung, ob die (regelmäßig unentgeltliche) Erklärung des debitor cessus, er erkenne die Forderung als richtig an, als Wissens- oder als Willenserklärung zu qualifizieren ist, Avancini, Anerkennung einer abgetretenen Forderung, ÖBA 1989, 451 ff (457).

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§ 915

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auszugehen, sodass dem unentgeltlich Zuwendenden im Zweifel auch nur geringere (oder gar keine) Nebenpflichten aufzuerlegen sind.71

VI. § 915, 2. Fall 1. Allgemeines und Anwendungsbereich Bezüglich der Abgrenzung des Anwendungsbereiches von § 915, 2. Fall, dem, wie erwähnt, teleologisch Gefahrtragungs- bzw Ingerenzaspekte zugrunde liegen und der mittlerweile auch eine unionsrechtliche Fundierung aufweist, zu jenem des 1. Falles von § 915 ist zunächst auf die sinngemäß maßgeblichen Ausführungen zum Begriff der „einseitigen Verbindlichkeit“ (respektive Unentgeltlichkeit) iSv § 915, 1. Hs zu verweisen: Sämtliche (rechtsgeschäftliche und sonstige) Erklärungen, deren Abgabe nicht unentgeltlich erfolgt, sondern die als Teil eines – wenn auch, wie etwa im Fall der Sicherungsgeschäfte, erst durch die Einbeziehung der Rechtspositionen und Interessen auch Dritter in aller Deutlichkeit zutage tretenden – Synallagmas begriffen werden müssen72, stellen – wenn sich das entsprechende Erklärungsrisiko hinreichend zuordnen lässt73 – grundsätzlich taugliche Kandidaten für den 2. Fall von § 915 dar. Heftig umstritten ist freilich, ob der 2. Fall von § 915 auch dann mobilisiert 29 werden kann, wenn – aufgrund undeutlicher vertraglicher Äußerungen, derer sich ein Vertragsteil bedient – fraglich erscheint, welcher Vertragstyp beim in Frage stehenden Rechtsgeschäft überhaupt vorliegt.74 Richtigerweise wird diese Frage, die bereits im Zusammenhang mit der Qualifikation von Vereinbarungen zwischen Miteigentümern über die Nutzung der gemeinsamen Sache vereinzelt gestellt wurde75 und die unlängst im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Miete und Pacht, va bezüglich Bestandverträgen in Einkaufszentren, eine eingehendere rechtswissenschaftliche Diskussion erfahren hat76, zu beja28

71  Beachte idZus auch den Vorschlag Welsers, Vertragsauslegung, Gutglaubenserwerb und Freiheitsersitzung bei der Wegeservitut, JBl 1983, 4 ff (10), aus § 915 Satz 1 auch abzuleiten, dass die erforderliche Anwendung ergänzenden objektiven Rechts bei nicht vollkommen eindeutiger Lage so zu geschehen hat, dass sie den unentgeltlich Zuwendenden möglichst wenig beschwert. 72  Wie etwa Konkurrenzklauseln und Pensionszusagen, die sinnvoll nur als Teil des umfassenden arbeitsvertraglichen Synallagmas begriffen werden können und daher keineswegs als unentgeltlich vereinbart anzusehen sind (zum va bezüglich letzterer allerdings uneinheitlichen Meinungsstand vgl etwa die Nw bei Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 51). 73  Siehe dazu, va zum Tatbestand des „sich Bedienens“ einer undeutlichen Äußerung, ausführlich unten Rz 35 ff. 74  Zur identen Anwendungsfrage beim 1. Fall von § 915 siehe oben Rz 17 ff. 75  Und zwar von Hoyer, Aufkündigung von Bestandverhältnissen bei Miteigentum, wobl 1991, 152 ff (153 f). 76  Vgl Reich-Rohrwig, Geschäftsraummiete, Unternehmenspacht und Bestandverhältnisse in Einkaufszentren – Zu § 1091 ABGB und § 1 MRG, in FS Koppensteiner (2001) 648 ff; B. Jud, Bestandverträge in Einkaufszentren, wobl 2005, 121 ff; Karollus/Lukas, Zur Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wbl 2005, 341 ff; Oberhammer, Bestandverträge in Einkaufszentren: Miete oder Pacht? wobl 2005, 293 ff; Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13 ff; Kletečka, Der Pachtvertrag im Einkaufszentrum, immolex 2006, 6 ff, 38 ff; G. Graf, Falschetikettierung im Einkaufszentrum, immolex 2007, 109 ff; Gruber, „Mietverträge“ in Einkaufszentren: Anmerkungen zu OGH 3 Ob

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§ 915, 2. Fall

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hen sein.77 Dies vor allem deswegen, weil kein Grund ersichtlich ist, warum die den 2. Fall von § 915 tragenden ratio nicht auch insoweit Beachtung verdienen sollte. Soweit vorgetragen wird, dass § 915 Fall 2 in derartigen Fällen zumindest dann nicht anwendbar erscheint, wenn sich bei den in Frage stehenden Vertragstypen gemäß des für sie charakteristischen Pflichtenprogramms für denjenigen Vertragspartner, dem die Unklarheit der verwendeten Begriffe nicht zuzurechnen ist, keine ausschließliche Vorteilhaftigkeit ausmachen lässt78, so ist dem zu erwidern: Es entspricht in diesen Fällen allemal mehr dem telos von § 915 Fall 2, das – entweder typischerweise oder aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls durchaus auszumachende – Überwiegen der Vorteilhaftigkeit auf Seiten des Erklärungsempfängers den Ausschlag über die trotz Interpretation iSv § 914 immer noch zweifelhafte Vertragstypenqualifikation geben zu lassen, als die „interpretatio contra proferentem“ diesfalls für gänzlich unanwendbar zu halten (und damit nicht zuletzt eine völlige Unwirksamkeit des Vertrages wegen Unbestimmtheit zu riskieren).79 Die Rechtsprechung80 schließlich wendet, wohl per analogiam, § 915 Fall 30 2 auch dann an, wenn es sich im Einzelfall als zweifelhaft erweist, ob sich eine bestimmte Klausel aufgrund der Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern als iSv § 864a überraschend präsentiert und gelangt solcherart zur im Zweifel Platz greifenden Geltungskontrolle iSv § 864a. Wiewohl bis dato, soweit ersichtlich, weder im Schrifttum noch in der Ju- 31 dikatur erwogen, erscheint eine (zumindest analoge) Anwendung von § 915 Fall 2 auch dann geboten, wenn sich der von einem Vertragsteil vorformulierte Vertrag (etwa aufgrund der Aufnahme gesetzwidriger Vertragspunkte) als lückenhaft erweist, deshalb eine Vertragsergänzung stattzufinden hat und in deren Rahmen unterschiedliche Varianten gleichermaßen denkbar erscheinen, um die vorhandene Vertragslücke zu schließen.81 Denn auch hier ist derjenige, dem es zuzurechnen ist, dass überhaupt eine Vertragsergänzung erfor253/05k; wbl 2008, 114 ff; Vonkilch, Bestandverträge in Einkaufszentren: Aktuelle Entwicklungen in Judikatur und Rechtspolitik, wobl 2010, 57 ff. 77  So offenbar auch die Judikatur: vgl va OGH 9 ObA 115/89 (insoweit unveröffentlicht), RdW 1989, 311 (Qualifikation eines bestimmten Rechtsgeschäftes als Karenzierungsvereinbarung oder aber als einvernehmliche Vertragsauflösung). Vgl zum Ganzen auch Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13 ff (30 f) mwN. 78  Dieses Argument wird etwa vorgetragen von B. Jud, Bestandverträge in Einkaufszentren, wobl 2005, 121 ff (126); Karollus/Lukas, Zur Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wbl 2005, 341 ff (352); Oberhammer, Bestandverträge in Einkaufszentren: Miete oder Pacht? wobl 2005, 293 ff (302 f) und Kletečka, Der Pachtvertrag im Einkaufszentrum, immolex 2006, 6 ff, 38 ff (41). 79  Vgl schon Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13 ff (30 f). 80  Siehe OGH 5 Ob 49/93, wobl 1993, 225. 81  Ausdrücklich betonen etwa Fenyves/Krejci, Die Konsequenzen der Intransparenz von „Kostenklauseln“ in den AVB der Lebensversicherung, VR 2009 H 6, 16 ff dass in dem von ihnen behandelten Fall eine gewisse „Bandbreite“ der Möglichkeiten zur Vertragsergänzung gegeben sei. Dieser Befund wird durchaus verallgemeinerbar sein und bei vielen Fällen einer erforderlich gewordenen Vertragsergänzung zutreffen.

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§ 915

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derlich wurde, „näher dran“, die Gefahren von damit verbundenen Zweifelsfragen zu tragen, als sein Gegenüber: Er hätte den Vertrag ja so gestalten können, dass die fragliche Lücke gar nicht aufgetreten wäre. 2. „Interpretatio contra proferentem“ und kundenfeindlichste Auslegung im Verbandsprozess 32

In besonderer, zu ihrer ansonsten zu beobachtenden Wirkungsweise im Ergebnis primavista in diametralem Gegensatz stehender Ausprägung tritt die „interpretatio contra proferentem“ des § 915 Fall 2 im Verbandsprozess zutage82: Da es in diesem speziellen Fall deshalb zu Lasten des Verwenders der All33 gemeinen Geschäftsbedingungen bzw des Vertragsformblattes geht, wenn man dieses möglichst kundenfeindlich auslegt, weil dies ein Verbot der solcherart verstandenen Vertragsbestimmungen naturgemäß eher rechtfertigt, als die – im Individualprozess grundsätzlich Platz greifende – Auslegung zugunsten des Vertragspartners des Verwenders, entspricht es mit Recht hA, dass – eben argumento e § 915 Fall 283 – im Verbandsprozess die kundenfeindlichste Auslegung den fraglichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw Vertragsformblättern zugrunde zu legen ist.84 Die richtigerweise in § 915, 2. Hs zu erblickende dogmatische Fundierung 34 des Grundsatzes der kundenfeindlichsten Auslegung im Verbandsprozess zeigt freilich zugleich auch die Grenzen dessen auf, was sich im Detail mit dem Postulat der kundenfeindlichsten Auslegung dogmatisch legitimieren lässt: Da § 915, 2. Hs nach völlig hA85 Ansicht nur subsidiär zur Auslegung gemäß § 914 zur Anwendung zu gelangen hat, dürfen auch im Verbandsprozess keine kundenfeindlichsten Auslegungen erwogen werden, die sich bei umfassender Ausschöpfung des von § 914 bereit gestellten Auslegungspotentials deswegen verbieten, weil insoweit gar kein Zweifel mehr verbleiben kann und darf, welchen (insoweit dann eindeutigen) normativen Gehalt eine bestimmte Klausel, die in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthalten ist, aufweist.86 3. Tatbestand des „sich Bedienens“ einer Äußerung 35

Gemäß der ihm zugrunde liegenden ratio87 erfordert die Anwendung des 2. Falles von § 915, dass die Verwendung der unklaren Äußerung der aus­ schließlichen Sphäre eines der Vertragsteile zugewiesen werden kann. Denn 82  Speziell dazu OGH 2 Ob 523/94, ecolex 1994, 537 sowie Koziol, Auslegung und Beurteilung der Sittenwidrigkeit von AGB-Klauseln im Verbandsprozess, RdW 2011, 67 ff. 83  Dies mit Recht betonend OGH 2 Ob 523/94, ecolex 1994, 537 und Koziol, Auslegung und Beurteilung der Sittenwidrigkeit von AGB-Klauseln im Verbandsprozess, RdW 2011, 67 ff (68). 84  Für Nachweise der hA vgl Eccher in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 28 KSchG Rz 9. 85  Vgl zu ihr schon oben Rz 7. 86  Ebenso Koziol, Auslegung und Beurteilung der Sittenwidrigkeit von AGB-Klauseln im Verbandsprozess, RdW 2011, 67 ff (68 f). 87  Dazu schon oben Rz 3.

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§ 915, 2. Fall

§ 915

nur dann erscheint es aus Ingerenzgründen gerechtfertigt, ihn die Nachteile jener Gefahren tragen zu lassen, die mit dem Einfließen unbestimmter Formulierungen in das semantische Gefüge eines Vertrages zwangsläufig verbunden sind. Ob dem insoweit identifizierten Vertragsteil indes auch eine Sorgfalts­ widrigkeit bezüglich der Wahl der undeutlichen Formulierung anzulasten ist, ist – da es sich bei § 915 Fall 2 materiell um Gefahrtragung handelt – irrele­ vant.88 Dementsprechend kommt es – wie schon Zeiller89 mit Recht erkannt hat – für die Anwendbarkeit von § 915 Fall 2 im Detail nicht etwa darauf an, wer als Aussteller jener Urkunde fungiert, in der die unklare Formulierung enthalten ist, sondern darauf, wer vorgeschlagen oder gar darauf bestanden hat, dass die fragliche Formulierung in die Urkunde aufzunehmen ist. Verbreitet ist die – durchaus treffende – Formulierung, es komme für die Anwendung von § 915 Fall 2 darauf an, ob ein Vertragsteil „die Erklärung in das vertragliche Ge­ schehen eingeführt hat“.90 Sollte sich also zB ein Unternehmer vorformulierter Anbote bedienen, die er von den Kunden ausfüllen und als Erklärungen der Kunden an sich richten lässt, so gilt der Unternehmer als derjenige, der sich der fraglichen Formulierungen bedient hat.91 Das Gleiche gilt, wenn ausschließlich einem Vertragsteil die Verwendung eines vorformulierten Vertragswerkes zuzurechnen ist92 oder ausschließlich ein Vertragsteil darauf hingewirkt hat, dass bei dem von einem Dritten aufzusetzenden Vertragswerk bestimmte Formulierungen Verwendung finden.93 Umgekehrt kann § 915 Fall 2 nicht zur Anwendung gelangen, wenn die undeutliche Formulierung insofern beiden Vertragsteilen zuzurechnen ist, als – wie im Bereich der Kautelarjurisprudenz bei dilatorischen Formelkompromissen nicht selten – beide Vertragsteile (bzw die ihnen zuzurechnenden Verhandlungsgehilfen) gemeinsam an der sprachlichen Ausgestaltung eines (idR „heiklen“) Vertragspunktes „gefeilt“ haben.94 Und ebenfalls ist § 915 Fall 2 nicht einschlägig, wenn die Initiative zur Einbeziehung von standardisierten Vertragsschablonen, wie etwa ÖNORMEN, von beiden Vertragsteilen gleichermaßen ausgegangen ist. Beauftragen schließlich beide Vertragsteile gemeinsam einen Dritten mit der Vertragserrichtung bzw –formulierung und ist die Wahl der unklaren Formulierung ausschließlich diesem Dritten zuzurechnen, so kann § 915 Fall 2 88  Zutr daher Ertl, Der Versicherer als Gesetzgeber, RZ 1973, 59 ff, 76 ff, 96 ff, 113 ff (127 f) und – ihm folgend – Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 4. 89  Commentar III/1, 110. 90  So im Wesentlichen schon die Formulierung bei Ertl, Der Versicherer als Gesetzgeber, RZ 1973, 59 ff, 76 ff, 96 ff, 113 ff (128). Aus der Judikatur vgl etwa OGH 1 Ob 577/84, SZ 57/150; 7 Ob 705/88, SZ 62/9; 1 Ob 605/89, wobl 1990, 109. 91  Vgl LGZ Wien 42 R 2849/49, EvBl 1950/169. 92  Vgl etwa OGH 9 ObA 2180/96w, ecolex 1997, 280 (vom Dienstgeber verwendete Schablone für den Arbeitsvertrag); vgl zur praktischen Relevanz dieses Phänomens, auch und gerade sub titulo § 915 Satz 2, Binder in Schwimann3 IV § 915 Rz 44 sowie OGH 9 Ob 20/01h, MietSlg 53.104 (vom Vermieter verwendetes Mietvertragsmusterformular). 93  Vgl OGH 8 Ob 226/65, MietSlg 17.101. 94  Vgl dazu etwa OGH 6 Ob 100/05g.

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§ 915

Vonkilch

gemäß der ihm zugrunde liegenden ratio ebenfalls keine Anwendung finden95: Beide Vertragsteile sind in so einem Fall „gleich nahe dran“, jenes Risiko zu tragen, das mit der Auswahl unklarer Formulierungen durch den Dritten verbunden ist. 4. Rechtsfolge 40

Die von § 915 Fall 2 verfügte Rechtsfolge besteht darin, dass der Vertrag, va vom dazu im Konfliktfall berufenen Gericht, so auszulegen ist, dass der vorhandene Vagheitsbereich zu Lasten dessen auszuschlagen hat, dessen Sphäre die fragliche Vagheit des Vertrages zuzurechnen ist. Im Detail bedeutet das vor allem, dass im Individualprozess der Inhalt 41 des Vertrages – innerhalb des bestehenden Vagheitsbereiches – so auszulegen ist, dass dies für den Vertragsteil, der sich der unklaren Formulierung bedient hat, bezüglich seiner Rechte und Pflichten möglichst nachteilig ist, im Ver­ bandsprozess hingegen so, dass es für ihn insoweit (aber dann gerade nicht im Hinblick auf die Möglichkeit, die Verwendung der entsprechenden Vertragsklauseln zu untersagen) möglichst vorteilhaft ist. 5. Kasuistik Vorbemerkung: Nähere Analyse jener (va höchstgerichtlichen) Judikatur, die sich im Zusammenhang mit Fragen der Vertragsauslegung (zumindest auch; häufig erfolgen Eventualbegründungen dahingehend, dass das fragliche Auslegungsergebnis schon nach § 914 zu erzielen gewesen wäre, aber „jedenfalls“ aus § 915 Fall 2 folge) auf § 915 Fall 2 stützt, fördert zutage, dass es sich dabei vielfach um Sachverhalte bzw Auslegungsprobleme handelt, die zumindest aus heutiger Sicht nicht mehr praktisch relevant erscheinen bzw denen keine besondere Bedeutung für breite Kreise des Rechtsverkehrs zukommt. Dementsprechend wird – va auch aus Gründen der Übersichtlichkeit – im Folgenden davon abgesehen, die entsprechende Judikatur mit dem Anspruch auf Vollständigkeit zu referieren, sondern das Augenmerk der Darstellung auf jene (va jüngeren) Entscheidungen gelegt, denen allgemeinere Bedeutung zukommen dürfte. Lässt eine Wertsicherungsklausel die Anwendbarkeit mehrerer Wert43 sicherungsparameter zu, so ist, wenn die Verwendung der entsprechenden Klausel dem Gläubiger zuzurechnen ist, jener Wertsicherungsparameter maßgeblich, dessen Entwicklung sich für den Schuldner als günstiger darstellt.96 Bei der undeutlichen vertraglichen Regelung der Garantiefristen durch 44 den Garantiegeber beim Kauf ist – im Interesse des Gläubigers der Garantie – die längste in Frage kommende Frist als vertraglich vereinbart anzusehen.97 Bleibt bei der Beauftragung von Professionisten durch einen Hausver­ 45 walter unklar, ob er den Vertrag im eigenen Namen oder im Namen des Auf42

95  HA: vgl etwa Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 4 sowie Heiss in Kletečka/Schauer, ABGBON § 915 Rz 21. 96  OGH 7 Ob 206/68, JBl 1970, 89. 97  OGH 1 Ob 800/76, SZ 50/5.

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Verhältnis von § 915 zur Haftung aus culpa in contrahendo

§ 915

traggebers abschließt, ist nach der Judikatur98 gemäß § 915 Fall 2 davon auszugehen, dass ihn eine Eigenhaftung trifft – je nach Bonität des Auftraggebers könnte freilich für den Professionisten auch ein Vertragsverständnis günstiger sein, wonach ein Vertrag unmittelbar mit dem Auftraggeber des Hausverwalters vorliegt; gegenüber Generalisierungen ist vor diesem Hintergrund Vorsicht angebracht. Unterlässt ein Vermieter, der sich einer Vertragsschablone bedient, die auf mehrere mögliche Vertragsgestaltungen Bedacht nimmt, durch Streichun­ gen jene Variante eindeutig festzulegen, die er wünscht, so ist gemäß § 915, 2. Hs davon auszugehen, dass die für den Mieter günstigste Variante als vereinbart gilt.99 Werden bestimmte Befugnisse des Mieters von einer „Genehmigung des Vermieters“ abhängig gemacht, so ist dies nicht zuletzt aufgrund der „interpretatio contra proferentem“ so zu verstehen, dass eine derartige Genehmigung nicht willkürlich, sondern nur aus sachlichen Gründen verweigert werden darf.100 Zu den „Gegenständen des persönlichen Bedarfs“ iSd Pkw-Kaskover­ sicherung zählt, nicht zuletzt argumento e § 915 Fall 2 (Auslegungsergebnis wäre wohl auch schon nach § 914 zu erzielen gewesen), auch ein Laptop.101 Die Pflicht zur Leistung von Taggeld gemäß der AUVB 1994 besteht gemäß § 915 Fall 2 auch bei Arbeitslosigkeit.102 Richtet sich die Bemessung der Konventionalstrafe bei Verletzung einer Konkurrenzklausel in einem Dienstvertrag nach dem „Monatsbruttobezug“, so sind, wenn die fragliche Vertragsbestimmung vom Arbeitgeber formuliert wurde, gemäß § 915 Fall 2 anteilige Sonderzahlungen nicht mit zu berücksichtigen.103

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VII. Verhältnis von § 915 zur Haftung aus culpa in contrahendo wegen Verwendung undeutlicher Begriffe Nicht zuletzt aus dem Verweis auf § 869 am Ende von § 915 wird abgelei- 51 tet, dass das Platzgreifen der Zweifelsregeln des § 915 nicht die einzige Rechtsfolge ist, die die Verwendung unklarer Vertragsformulierungen in contrahendo nach sich ziehen kann, sondern dass dadurch auch eine Schadenersatzpflicht ausgelöst werden kann.104 In der Tat ist nicht ersichtlich, warum grundsätzlich auch insoweit nicht 52 (nur, aber immerhin)105 die allgemeinen Regeln der culpa in contrahendo Beachtung finden sollten. 98 

LGZ Wien 43 R 1400, ImmZ 1951, 11. OGH 1 Ob 605/89, wobl 1990, 109 (maßgeblicher Kündigungstermin). 100  OGH 6 Ob 129/08a, wobl 2009, 170 (krit T. Hausmann) = immolex 2009, 17 (Pfiel, krit Maier-Hülle) (Tierhaltung). Zu den Grenzen der Zulässigkeit von Tierhaltungsverboten vgl OGH 2 Ob 73/10i, wobl 2011, 114. 101  HG Wien 1 R 89/04s, AnwBl 2004/7963. 102  LG Linz 14 R 112/04w, VRInfo 2004 H 11, 4. 103  OGH 9 ObA 120/92, DRdA 1993, 237 (Reissner). 104  IdS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 418. 105  Das Gebot zur dogmatischen Integration der schadenersatzrechtlichen Behandlung jener Sachverhalte, von denen der Tatbestand des § 915 handelt (Verwendung unklarer Vertragsbestim99 

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§ 915

Vonkilch

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Die praktische Bedeutung einer derartigen Haftung dessen, der sich in contrahendo undeutlicher Äußerungen bedient, scheint beim 1. Fall des § 915 prima vista insofern nicht gering zu sein, als es durchaus lebensnahe erscheint, dass sich ein unentgeltlich Zuwendender gegenüber seinem Vertragspartner undeutlicher Äußerungen bedient, die gemäß § 915 zu seinen Gunsten aufzulösen sind, der Vertragspartner allerdings im Vertrauen auf ein davon abweichendes Vertragsverständnis bereits Dispositionen getroffen hat: Der Verleiher nährt beim Entlehner durch undeutliche Äußerungen die Meinung einer längeren Dauer des Leihvertrages, gemäß § 915 ist aber anzunehmen, dass er sich im Zweifel zu weniger verpflichten will, und der Entlehner erleidet aufgrund seines Vertrauens auf die längere Dauer der Leihe einen Schaden.106 Bedenkt man allerdings, dass – nicht zuletzt per analogiam § 945 – diese Haftung wohl nur bei wissentlichem Gebrauch undeutlicher Formulierungen eingreifen kann, dürfte sich ihre praktische Relevanz doch ganz erheblich reduzieren.107 Bezüglich des 2. Falles von § 915 wird die praktische Relevanz einer im 54 Fall der Verwendung undeutlicher Äußerungen in contrahendo zusätzlich Platz greifenden schadenersatzrechtlichen Verantwortlichkeit dadurch erheblich reduziert, dass der Vertrag im Vagheitsbereich ohnedies zugunsten des Vertragspartners interpretiert wird, der Schutz seines Vertrauens auf ein bestimmtes Vertragsverständnis somit bereits auf diesem Weg in größtmöglichem Umfang gewährleistet wird. Sollte man freilich (unzutreffenderweise108) der Auffassung sein, dass § 915 Fall 2 bei unklarer Vertragstypenqualifikation nicht anwendbar ist, wird man dem Vertrauensschutzbedürfnis des Gegenübers desjenigen, der sich in contrahendo undeutlicher Äußerungen bedient hat, zumindest nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo Rechnung tragen müssen.109 Das Gleiche gilt, soweit § 915 Fall 2 durch als leges speciales anzusehende besondere Auslegungsregeln wie etwa § 1353 verdrängt wird. Stets ist schließlich denkbar, dass durch die Undeutlichkeit der verwendeten vertraglichen Regelungen beim Gegenüber Aufklärungs- und Auseinandersetzungskosten entstehen, sowie, dass das Gegenüber deswegen einen Schaden erleidet, weil es – va aufgrund einer Unkenntnis von § 915 Fall 2 – im Bereich der vertraglichen Undeutlichkeit ein anderes Vertragsverständnis entwickelt, als unter Berücksichtigung von § 915 Fall 2 eigentlich geboten wäre.110 In der letztgenannten Haftungskonstellation wird freilich, nicht zuletzt argumento e § 2, vom Verwender der undeutlichen Äußerung nicht selten der Mitverschuldenseinwand iSv § 1304 erhoben werden können.

mungen), in das allgemeine Haftungsregime der culpa in contrahendo ebenfalls betonend Rummel in Rummel3 I § 915 Rz 7. 106  So das Beispiel von Gschnitzer in Klang2 IV/1, 418. 107  Der – freilich ohne Berücksichtigung der Wertung des § 945 konstatierte – Befund von Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 915 Rz 34, dass derartige Haftungskonstellationen „leicht denkbar“ seien, dürfte daher nicht zutreffend sein. 108  Oben Rz 29. 109  Vgl dazu schon Vonkilch, Nochmals: Zur rechtlichen Qualifikation von Bestandverträgen in Einkaufszentren, wobl 2006, 13 ff (31 f). 110  Dazu schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 418.

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Allegmeines

§ 916

§ 916. (1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber mit dessen Einverständnis zum Schein abgegeben wird, ist nichtig. Soll da­ durch ein anderes Geschäft verborgen werden, so ist dieses nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen. (2) Einem Dritten, der im Vertrauen auf die Erklärung Rechte erwor­ ben hat, kann die Einrede des Scheingeschäfts nicht entgegengesetzt wer­ den. IdF RGBl 1916/69 (III. Teilnovelle). Mat: 78 BlgHH, 21. Sess 1912. Lit: Partsch, Die Lehre vom Scheingeschäft im römischen Rechte, SZ 42 (1921) 227; Fickel, Scheingeschäft und verdecktes Geschäft im deutschen, französischen und italienischen Recht (1966); Kallimopoulos, Die Simulation im bürgerlichen Recht (1966); Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971); Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts (1973); Wesener, Das Scheingeschäft in der spätmittelalterlichen Jurisprudenz, im Usus modernus und im Naturrecht, in FS Hübner (1984) 338; Fenyves, „Sanierungshauptmiete“ und §  2 Abs  3 MRG, wobl 1988, 55; Tamussino, Die Umgehung von Gesetzes- und Vertragsnormen (1990); Karner, Rechtsscheinwirkung des Besitzes und Scheinermächtigung, JBl 2004, 486; ders, Gutgläubiger Mobiliarerwerb (2006); Rainer, Schein- und Umgehungsgeschäfte im Liegenschafts- und Bestandrecht, immolex 2006, 65; Wiesinger, Scheinbietergemeinschaft, ZVB 2008, 261; Zellhofer, Scheinbietergemeinschaft und Scheingeschäft, ZVB 2008, 339.

Übersicht I. II. III. IV. V. VI.

Allgemeines Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung Verhältnis zu anderen Bestimmungen Verhältnis von § 916 Abs 2 zur schadenersatzrechtlichen Verantwortlichkeit der Parteien eines Scheingeschäftes Grundsätzlicher Anwendungsbereich Abgrenzungen (Umweg- und Umgehungsgeschäft, Treuhand, Strohmanngeschäft) 1. Allgemeines 2. Umweg- und Umgehungsgeschäfte 3. Treuhand 4. Strohmanngeschäfte VII. Rechtsfolgen des Abschlusses eines Scheingeschäftes inter partes VIII. Rechtsstellung Dritter IX. Prozessuale Dimensionen

1–2 3–7 8–11 12–17 18–19 20–35 20 21–31 32–33 34–35 36–44 45–55 56–59

I. Allgemeines In konsequenter Umsetzung der überragenden normativen Bedeutung 1 des natürlichen Konsenses der Parteien1 im Bereich der Rechtsgeschäfts1  Diese Wertungskoinzidenz betont zu Recht etwa Schauer, Zertifikate statt Aktien: Das Aliud als Ausweg? RdW 2011, 3 ff (4).

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§ 916

Vonkilch

lehre regelt § 916 Abs 1 die Rechtsfolgen eines Scheingeschäftes2, dh eines Geschäftes, das im Einvernehmen beider Parteien nur als Rechtsschein nach außen zutage treten soll, bezüglich dessen aber beide Parteien bereits im Zeitpunkt seiner „Vornahme“3 einvernehmlich keinerlei tatsächlichen Rechtsfolgewillen bilden4, inter partes dahingehend, dass auch insoweit dem natürlichen Konsens der Parteien von der Rechtsordnung Rechnung getragen wird. Dementsprechend entfaltet, was durch die III. TN, auf die der nunmehrige erste Satz von § 916 zurückgeht5, klargestellt wurde, zum einen das Scheingeschäft (bzw das „simulierte Geschäft“) inter partes grundsätzlich6 keinerlei Rechtswirkungen. Zum anderen entfaltet ein Geschäft, bezüglich dessen die Parteien sehr wohl einen natürlichen Konsens erzielt haben und das durch das Scheingeschäft, warum auch immer, nach dem Willen der Parteien vor der Allgemeinheit verborgen gehalten werden soll (das sog „dissimulierte Geschäft“) rechtsgeschäftlich sehr wohl Rechtswirkungen. Letzteres schließt freilich nicht aus, dass dessen umfassende Rechtswirksamkeit daran scheitert, dass nicht sämtliche objektive Grundlagen für ein wirksames Rechtsgeschäft erfüllt sind (was den Parteien durchaus bewusst gewesen sein kann und sie gerade deshalb den Versuch unternahmen, das dissimulierte Geschäft hinter dem simulierten Geschäft zu verbergen). Abs 2 von § 916 normiert demgegenüber seit der III. TN7 jene Rechtsfol­ 2 gen, die ein Scheingeschäft gegenüber gutgläubigen Dritten entfaltet, und zwar dahingehend, dass diesen in großem Umfang positiver Vertrauensschutz gewährt wird, dh sie von der Rechtsordnung so gestellt werden, als wenn das Scheingeschäft tatsächlich vom Rechtsfolgewillen der Parteien getragen gewesen wäre.8

II. Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung 3

Rechtsvergleichend ist zu konstatieren, dass die § 916 innewohnenden Rechtsgedanken durchaus rechtsordnungsübergreifend9 nachweisbar sind, was nicht zuletzt angesichts ihrer tiefen historischen Verwurzelung10 einerseits Dazu einlässlich etwa Kallimopoulos, Die Simulation im bürgerlichen Recht (1966). Sollten die Parteien hingegen erst nachträglich übereinkommen, vom Vertrag bzw den dadurch hervorgerufenen Rechtswirkungen keinen Gebrauch machen zu wollen, wurde ursprünglich kein § 916 unterfallendes Scheingeschäft abgeschlossen: vgl etwa OGH 3 Ob 86/70, EvBl 1971/3. 4  Sollte es nur am Rechtsfolgewillen einer Partei mangeln, würde dies, auch wenn dies von der anderen Partei erkannt wurde, kein Scheingeschäft darstellen, sondern es läge eine Mentalreservation vor; vgl schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 420. 5  Vgl Wesener, Das Scheingeschäft in der spätmittelalterlichen Jurisprudenz, im Usus modernus und im Naturrecht, in FS Hübner (1984) 337 ff (355) mwN. 6  Zu (zumindest scheinbaren) Ausnahmen siehe noch unten Rz 40, 44. 7  Vgl Wesener, Das Scheingeschäft in der spätmittelalterlichen Jurisprudenz, im Usus modernus und im Naturrecht, in FS Hübner (1984) 337 ff (355) mwN. 8  Für die Details siehe unten Rz 45 ff. 9  Dazu näher auch Fickel, Scheingeschäft und verdecktes Geschäft im deutschen, französischen und italienischen Recht (1966). 10  Zu ihr etwa Partsch, Die Lehre vom Scheingeschäfte im römischen Rechte, SZ 42 (1921) 227 ff sowie Wesener, Das Scheingeschäft in der spätmittelalterlichen Jurisprudenz, im Usus modernus und im Naturrecht, in FS Hübner (1984) 337 ff. 2  3 

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Rechtsvergleich, Rechtsvereinheitlichung

§ 916

und ihrer Fundierung in grundlegenden privatrechtlichen Rechtsprinzipien andererseits11 wenig überrascht. So findet sich etwa im BGB der im Abs 1 von § 916 zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke in dessen § 117 (der im Übrigen auch bei der Novellierung von § 916 im Rahmen der III. TN Pate stand). Der Dritten von § 916 Abs 2 zugebilligte positive Vertrauensschutz hat freilich im BGB nur partielle sondergesetzliche Ausgestaltung erfahren, da für einen weitergehenden, allgemeinen Vertrauensschutz Dritter beim Scheingeschäft nach Ansicht des historischen Gesetzgebers kein Bedürfnis bestand. Richterrechtlich wurde diese Wertentscheidung des Gesetzgebers indessen im Lauf der weiteren Rechtsentwicklung korrigiert und der positive Vertrauensschutz Dritter bei Scheingeschäften zu einem allgemeinen Rechtsprinzip ausgebaut.12 In der Schweizer Rechtsordnung hat die normative Beurteilung des Scheingeschäftes in Art 18 I OR ihre positivrechtliche Ausformung erfahren. Positiver Vertrauensschutz Dritter wird – ähnlich wie im deutschen Recht – allerdings auch vom Schweizer Recht nur punktuell, etwa durch Art 18 II OR gewährt. Im Unterschied zum deutschen Recht dürfte von der überwiegenden Ansicht innerhalb der Schweizer Doktrin und Praxis aber daraus kein verallgemeinerungsfähiges Rechtsprinzip abgeleitet werden, sondern bloß behutsam mit Einzelanalogien operiert werden.13 Demgegenüber fühlen sich die französische Dogmatik14 und auch die ita­ lienische Dogmatik15 durchaus einem allgemeineren Vertrauensschutz Dritter bei Scheingeschäften verpflichtet. Im Rahmen der Bemühungen zur Europäischen Vertragsrechtsverein­ heitlichung wurde den dogmatischen Besonderheiten der Simulation zunächst im Hinblick auf die damit verbundenen Rechtswirkungen inter partes explizit Rechnung getragen, die durch ein Scheingeschäft ausgelösten Rechtswirkungen gegenüber Dritten jedoch – aufgrund der insoweit stark divergierenden Zugänge der nationalen Rechtsordnungen – bewusst aus den Vereinheitlichungsbemühungen ausgeklammert.16 Die aktuellen einschlägigen Entwicklungen17 lassen demgegenüber offenbar jegliche regulatorische Rücksichtnahme auf den Fall der Simulation vermissen. Ob damit ein Gewinn an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit verbunden ist, bleibt abzuwarten.

11  Zur Ableitbarkeit der normativen Beurteilung von simuliertem und dissimuliertem Geschäft inter partes aus der überragenden Bedeutung des natürlichen Konsenses im Bereich der Rechtsgeschäftslehre siehe schon oben Rz 1. 12  Vgl etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 117 Rz 21 f (mit Hw ua auf Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht [1971] [passim]). 13  Vgl etwa Kramer, Berner Kommentar VI/1/1 (1986) OR Art 18 N 166 ff. 14  Vgl Art 1321 Code Civil. 15  Vgl Art 1415, 1416 Codice civile. 16  Vgl Art 6.103 der PECL. 17  Feasibility study zum Europäischen Vertragsrecht (http://ec.europa.eu/justice/contract/ files/feasibility-study_en.pdf).

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III. Verhältnis zu anderen Bestimmungen 8

Jene allgemeinen Grundsätze und Wertungen, die von § 916 bezüglich der Rechtsfolgen eines Scheingeschäftes inter partes sowie gegenüber Dritten positiviert werden, finden sich – wenngleich im Detail zT aufgrund der Besonderheiten des vom jeweiligen Normenkomplex erfassten Realitätsausschnittes modifiziert – auch an anderer Stelle der Privatrechtsordnung in sondergesetz­ licher Ausformung, und zwar va im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften, bei denen deren Vornahme bloß zum Schein nach Auffassung des Gesetzgebers ein verbreiteteres Phänomen darstellt. Zu verweisen ist insoweit auf die Regelungen der (als Scheingeschäft zu 9 qualifizierenden) Namens- und Staatsbürgerschaftsehe in §§ 23, 27 ff EheG sowie jene der Scheinadoption in § 184 Abs 1 Z 4, Abs 2 f ABGB. Um die Vornahme Letzterer in dafür besonders anfälligen Konstellationen schon als solche zu erschweren, wurde vom Gesetzgeber zudem im Rahmen des Fam­ ErbRÄG 2004 eine Novellierung von § 180a Abs 1 ABGB sowie von § 26 Abs 1 IPRG vorgenommen. Außerhalb der Privatrechtsordnung finden sich allerdings auch Nor10 men, die – jeweils für ihren Anwendungsbereich – die von § 916 verfügten Grundsätze dahingehend modifizieren, dass Rechtsfolgen auch Dritten gegenüber ausschließlich das dissimulierte Geschäft auslösen soll, hingegen den Dritten eine Berufung auf das Scheingeschäft verwehrt ist. Zu diesen Normen zählen – für den Bereich des Steuer- und Abgabenrechts – § 23 Abs 1 BAO sowie – für den Bereich des Sozialversicherungsrechts – § 539a Abs 4 ASVG.18 Schließlich wird sondergesetzlich, va berufs- und standesrechtlich, zT 11 auch die Mitwirkung Dritter an der Vornahme von Scheingeschäften für un­ zulässig erklärt19 bzw kann sich Derartiges aus allgemeinen standesrechtlichen Regelungen ergeben.20

IV. Verhältnis von § 916 Abs 2 zur schadenersatzrechtlichen Verantwortlichkeit der Parteien eines Scheingeschäftes 12

Vor allem angesichts des von § 869 ausdrücklich angesprochenen21 und auch im Schrifttum zT betonten22 Rechtswidrigkeitsverdikts, dem im Rechtsverkehr unternommene Scheinhandlungen unterfallen23, drängt sich die Frage des Verhältnisses von § 916 Abs 2 zu einer schadenersatzrechtlichen Haf­ 18 

Vgl dazu etwa OGH 10 ObS 207/03v, SZ 2003/108. IdS etwa § 34 Abs 1 NO sowie § 4 Abs 2 Z 7 Börsesensale-G. 20  Vgl etwa für die entsprechende disziplinäre Verantwortlichkeit von Rechtsanwälten OGH 6 Bkd 3/00, AnwBl 2000/7697 (Strigl). 21  „Wer sich, um einen anderen zu bevorteilen, undeutlicher Ausdrücke bedient, od er e i ne Schein h an d l u n g u n t e r n i m m t , leistet Genugtuung.“ 22  Prononciert etwa Binder in Schwimann3 IV § 916 Rz 1: „Scheinhandlungen und Scheingeschäfte sind rechtswidrig und verpönt“. 23  Historisch lässt sich die Betonung dieses Umstandes ua schon bei Zeiller, Commentar III/1, 111 nachweisen. 19 

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Verhältnis von § 916 Abs 2 zur schadenersatzrechtlichen Verantwortlichkeit

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tung der Parteien eines Scheingeschäftes gegenüber Dritten förmlich auf. Gleichwohl liegt eine eingehendere Stellungnahme des österreichischen Schrifttums, va der Kommentarliteratur, zu dieser Frage, soweit ersichtlich, nicht vor.24 Richtigerweise wird dogmatisch von einer vollen Konkurrenz des Gutglaubensschutzes Dritter gemäß § 916 Abs 2 und einer schadenersatzrechtlichen Verantwortlichkeit der Parteien des Scheingeschäftes dem Dritten gegenüber auszugehen sein. Soweit § 916 Abs 2 im Einzelfall eingreift, wird eine schadenersatz­ rechtliche Haftung der Parteien des Scheingeschäftes für den Dritten freilich insofern nur von geringem praktischem Interesse sein, als ihm § 916 Abs 2 sogar positiven Vertrauensschutz gewährt, dh er ohnedies vollumfänglich so steht, wie es seinem Vertrauen entspricht, wohingegen ihm die schadenersatzrechtliche Haftung nach allgemeinen Grundsätzen nur zur Liquidation seiner Vertrauensschäden, dh zu negativem Vertrauensschutz, verhelfen könnte. Anders wird dies allerdings zunächst in jenen Fällen sein, in denen § 916 Abs 2 von der hA nicht für anwendbar gehalten wird, etwa, weil der Rechtserwerb des Dritten nur auf Gesetz gründet.25 Nichts anderes wird gelten, wenn sich der Dritte deswegen nicht auf den ihm von § 916 Abs 2 in Aussicht gestellten positiven Vertrauensschutz berufen kann, weil ihm bezüglich des Nichterkennens des Vorliegens eines Schein­ geschäftes Fahrlässigkeit anzulasten ist, er insoweit also als nicht redlich anzusehen ist.26 Auch hier kann es nämlich für den Dritten eine eminente praktische Bedeutung haben, wenn er zumindest bezüglich der erlittenen Vertrauensschäden grundsätzlich auch eine schadenersatzrechtliche Verantwortlichkeit der Parteien des Scheingeschäfts geltend machen kann und seine eigene Fahrlässigkeit (wenn überhaupt27) nur qua § 1304 zu Buche schlägt. Schließlich erscheint es unter Berücksichtigung der Lehre von der Ver­ zichtbarkeit des Schutzes auf den Rechtsschein28, die im Kern darauf abzielt, dass der positive Vertrauensschutz dem Dritten nicht aufgedrängt werden 24  Gleichermaßen grundlegend wie einlässlich zur angesprochenen Problematik aber etwa Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971) (passim). 25  Zu dieser hA näher unten Rz 50. 26  Dazu noch näher unten Rz 52. 27  Angesichts der Vorsätzlichkeit des Handelns der Parteien des Scheingeschäftes läge es wohl in vielen Fällen durchaus nahe, eine allfällige Fahrlässigkeit des Dritten bezüglich des Nichterkennens des Vorliegens eines Scheingeschäftes überhaupt außer Acht zu lassen. In diese Richtung bei einer wertungsmäßig durchaus verwandt erscheinenden Konstellation OGH 6 Ob 1508/88: Der Vertragspartner hat das volle Risiko seiner vorsätzlichen Abgabe einer Scheinerklärung aus dem Gedanken des § 916 selbst zu tragen; eine etwa bestehende Haftung des Geschäftsherrn nach § 1315 wird ebenso wie eine allfällige Haftung wegen Auswahlverschuldens oder Überwachungsverschuldens völlig verdrängt. 28  Zu ihr siehe etwa – in wertungsmäßig durchaus verwandten Konstellationen – im österreichischen Schrifttum Frießnegger, Schutzverzicht des Zessionsschuldners – Ablehnung der Schuldbefreiung gemäß § 1395 Satz 2 ABGB (1999) und Fellner, Zum Verhältnis von Anscheinsvollmacht und falsus-procurator-Haftung: zwingender Vertrauensschutz oder Wahlrecht? JBl 2003, 621 ff. Umfassend zur Lehre vom Schutzverzicht etwa Altmeppen, Disponibilität des Rechtsscheins (1993).

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darf, keineswegs abwegig, dass der Dritte auf den ihm von § 916 Abs 2 verheißenen positiven Vertrauensschutz verzichten und stattdessen, eben qua Schadenersatzrecht, gegenüber den Parteien des Scheingeschäftes negativen Vertrauensschutz geltend machen kann.

V. Grundsätzlicher Anwendungsbereich Gemäß seinem klaren Wortlaut erfasst § 916 nicht bloß zweiseitige Rechts­ geschäfte, bezüglich derer die Parteien tatsächlich einen negativen natürlichen Konsens gebildet haben, dh beidseitig übereinstimmend gar kein Rechtsfolgewille vorliegt, sondern auch einseitige rechtsgeschäftliche Erklärungen, die einvernehmlich bloß zum Schein abgegeben werden, wie zB Kündigungen.29 Das Simulieren von Wissenserklärungen, wie etwa die unrichtige Bestä19 tigung, bestimmte Beträge zur treuhändigen Verwahrung übernommen zu haben30, unterfällt demgegenüber nicht § 916.31 Teleologisch rechtfertigt sich dies vor allem daraus, dass Wissenserklärungen bereits per se keine konstitutive rechtsgeschäftliche Bedeutung zukommt, es daher jener normativen Konsequenz, die § 916 Abs 1 aus der überragenden Bedeutung des natürlichen Konsenses der Parteien im Bereich der Rechtsgeschäftslehre zieht32, zur Begründung der fehlenden Verbindlichkeit von simulierten Wissenserklärungen gar nicht bedarf. Eine schadenersatzrechtliche Verantwortlichkeit gegenüber Dritten bei der Simulation von Wissenserklärungen, die jener vergleichbar ist, die bei der Vornahme eines Scheingeschäfts Platz greifen kann33, kann freilich dessen ungeachtet bestehen; ebenso können – ähnlich § 916 Abs 2 – unter bestimmten Umständen Dritte auch bei simulierten Wissenserklärungen positiven Vertrauensschutz beanspruchen.34 18

VI. Abgrenzungen (Umweg- und Umgehungsgeschäft, Treuhand, Strohmanngeschäft) 1. Allgemeines 20

Da für das Scheingeschäft der übereinstimmend negative Rechtsfolge­ wille, dh das Einverständnis der „Vertragsteile“, dass ein Rechtsgeschäft bloß dem äußeren Schein nach vorgenommen werden soll, charakteristisch ist, liegt es nahe, in eben diesem Aspekt auch jenen „archimedischen Punkt“ zu erbli29  Vgl etwa OGH 5 Ob 229/58, EvBl 1959/51; 3 Ob 86/70, SZ 43/134. Zum (praktisch freilich nicht wirklich relevanten) Fall einer einvernehmlich (!) bloß zum Schein abgegebenen nicht empfangsbedürftigen (!) Willenserklärung vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1, 419 (Scheindereliktion und Scheinauslobung). 30  So etwa der von OGH 6 Ob 245/59, EvBl 1960/2 zu beurteilende Sachverhalt. 31  Unzutreffend daher die Berufung von OGH 6 Ob 245/59, EvBl 1960/2 auf § 916 im Zusammenhang mit der Begründung der Unwirksamkeit der bloß zum Schein erteilten Empfangsbestätigung. 32  Vgl dazu ja schon oben Rz 1 sowie noch näher unten Rz 36. 33  Zur ihr näher oben 12 ff. 34  Vgl dazu etwa OGH 6 Ob 616/78 sowie RIS-Justiz RS0018155.

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cken, der dogmatisch geeignet ist, das Scheingeschäft von – mehr oder weniger verwandten – anderen Phänomenen, zu denen va das Umweg- und Umgehungsgeschäft, die Treuhand und das Strohmanngeschäft zu zählen sind, abzugrenzen. 2. Umweg- und Umgehungsgeschäfte Davon ausgehend, stellt es zunächst gerade kein Scheingeschäft, sondern ein Umweg- oder Umgehungsgeschäft dar, wenn von den Vertragsteilen eine bestimmte Rechtsgestaltung ganz bewusst, dh gerade mit entsprechendem Rechtsfolgewillen, gewählt wird, weil sie der Ansicht sind, auf diesem Weg einen wirtschaftlichen Erfolg erreichen zu können, den sie bei Vornahme des „direkten“ Rechtsgeschäftes aufgrund diverser rechtlicher Hindernisse, va gesetzlicher Verbote, nicht oder nicht ohne weiteres erreichen können.35 Was das rechtliche Schicksal von Umweg- und Umgehungsgeschäften, va deren Wirksamkeit, anlangt, besteht heute Einigkeit, dass insoweit nicht § 916 einschlägig ist36, sondern darüber andere Aspekte, va Normzweck- und Analogieüberlegungen bezüglich jener Normen, deren Anwendung von den Parteien des Umweg- bzw Umgehungsgeschäftes zu vermeiden getrachtet wird, bestimmen.37 Vor dem skizzierten Hintergrund liegt nahe, im Zweifel dann nicht vom Vorliegen eines Scheingeschäftes, sondern eines – § 916 schon grundsätzlich nicht unterfallenden – Umweg- oder Umgehungsgeschäftes auszugehen, wenn der von den Parteien angestrebte wirtschaftliche Erfolg schon eo ipso nur dann erreichbar ist, wenn dem fraglichen Rechtsgeschäft sehr wohl Rechtswirkungen zukommen, wohingegen der Abschluss eines Scheingeschäftes bezüglich des Erreichens dieses wirtschaftlichen Erfolges als „absolut untauglicher Versuch“ erscheinen würde. Paradigmatisch lässt sich dies etwa an folgenden Konstellationen veranschaulichen: Würde in Fällen, in denen der tatsächliche Benutzer eines Mietobjektes in die (schlechtere) Rechtsposition eines Untermieters gedrängt werden soll, das „vorgeschobene“ Hauptmietverhältnis nur zum Schein abgeschlossen werden, so würde der von den Parteien des Hauptmietverhältnisses angestrebte Zweck schon deswegen nicht erreicht werden können, weil gemäß § 916 von einem 35  Mindestens terminologisch fragwürdig ist daher angesichts dieses zwischen Scheingeschäft auf der einen und Umweg- und Umgehungsgeschäft auf der anderen Seite in Wahrheit bestehenden dogmatischen aut-aut, wenn etwa in LGZ Wien 48 R 230/86, MietSlg 38.273 davon gesprochen wird, dass bestimmte Rechtsgeschäfte „nach der Erfahrung des täglichen Lebens (also im Regelfall) zum Schein u n d in Umgehungsabsicht“ geschlossen werden. Berechtigt vor diesem Hintergrund auch die Kritik von Rummel in Rummel3 I § 916 Rz 1 an der teilweisen Praxis der älteren Judikatur, auch bei der Beurteilung von Umgehungsgeschäften § 916 zu zitieren. 36  Treffend idS etwa OGH 1 Ob 242/52, EvBl 1952/242; 6 Ob 4/64, MietSlg 16.104 und 4 Ob 545/90, JBl 1991, 381; für die insoweit mittlerweile völlig einheitliche Rsp vgl va RIS-Justiz RS0018078; RS0018192. 37  Für nähere Details zu dieser Thematik vgl etwa Tamussino, Die Umgehung von Gesetzesund Vertragsnormen (1990) sowie die Kommentierung von § 879 in der 3. Auflage des Kommentars.

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direkten Vertragsverhältnis zwischen Hauptvermieter und „Untermieter“ auszugehen wäre, das dann allerdings – argumento e § 2 Abs 1 MRG – schon ex lege als Hauptmietverhältnis zu qualifizieren wäre. Es liegt daher in diesem Fall nahe anzunehmen, dass die Parteien des Hauptmietverhältnisses diesem sehr wohl Rechtswirkungen zukommen lassen wollten.38 Dass dem dann freilich, va argumento e § 2 Abs 3 MRG, im Hinblick auf den von den Parteien des Hauptmietverhältnisses angestrebten wirtschaftlichen Zweck uU kein dauerhafter Erfolg beschieden ist, steht dogmatisch auf einem anderem Blatt als jenem, von dem § 916 handelt.39 Vergleichbares würde gelten, wenn man annehmen würde, dass die im Ein26 vernehmen erfolgte Aufkündigung eines Hauptmietverhältnisses nur zum Schein erfolgte, da dann – eben wegen § 916 – der von den Parteien des Hauptmietvertrages insoweit verfolgte Zweck, den Untermieter zur Räumung verhalten zu können, schon eo ipso nicht erreicht werden könnte.40 Es wird daher im Zweifel auch in einem derartigen Fall davon auszugehen sein, dass gerade kein Scheingeschäft vorliegt. Freilich sollte nicht bezweifelt werden, dass die Parteien eines Hauptmietvertrages, die in der eben beschriebenen Art und Weise zusammenwirken, mit ihren Bemühungen letztlich ebenso an § 879 Abs 1 scheitern werden wie die Parteien eines Liegenschaftskaufvertrages, die mit diesem vorrangig den Zweck verfolgen, unter Inanspruchnahme der Erwerberkündigung gemäß § 1120 die Rechte des Mieters der Liegenschaft zu brechen.41 Auch wer durch eine Erbsentschlagung mit anschließendem Schenkungs27 vertrag Ansprüche auf Schenkungspflichtteile aushöhlen möchte42, kann – zumindest prima vista – diesen Zweck nur erreichen, wenn er die entsprechenden Rechtsgeschäfte mit Rechtsfolgewillen vornimmt, also insoweit gerade keine Scheingeschäfte abschließt. Also wird auch er im Allgemeinen keine bloßen Scheingeschäfte abschließen wollen. Dass der solcherart zu umgehen versuchte § 785 auf eine derartige Gestaltungsform indes dennoch zur Anwendung gelangt, wird er allerdings zur Kenntnis nehmen müssen.43 Schließlich wird, wer die Erwerberhaftung gemäß § 1409 umgehen möch28 te, nicht nur zum Schein, sondern durchaus mit entsprechendem Rechtsfolgewillen bloß einzelne Rechtsgeschäfte zum Zwecke des Erwerbes der einzelnen Unternehmensbestandteile (statt eines einheitlichen Unternehmenskaufvertrages) abschließen.44 Die Anwendbarkeit von § 1409 kann daher in einem sol38  IdS wohl LGZ Wien 45 R 217/70, MietSlg 22.076; demgegenüber fragwürdig, weil ungeachtet des Motivs der Parteien des Hauptmietvertrages, dem Objektbenutzer formal ausschließlich die Stellung als Untermieter zukommen zu lassen, beim Hauptmietvertrag ein Scheingeschäft vermutend, LGZ Wien 48 R 713/90, MietSlg 43.036. 39  Eingehend zu diesem Themenkomplex Fenyves in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 2 MRG Rz 39 ff mit reichen Nachweisen. 40  Vgl zu einer derartigen Konstellation etwa OGH 3 Ob 156/65, EvBl 1966/130; 3 Ob 86/70, MietSlg 22.075. 41  Vgl dazu etwa OGH 1 Ob 501/83, MietSlg 35.239. 42  Zu einem derartigen Sachverhalt vgl OGH 2 Ob 354/98t, JBl 2001, 102. 43  So mit Recht OGH 2 Ob 354/98t, JBl 2001, 102. 44  Wohl einen derartigen Sachverhalt betreffend OGH 5 Ob 67/59.

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chen Fall im Allgemeinen nicht mit § 916, sondern nur gemäß der für Umgehungsgeschäfte dogmatisch maßgeblichen topoi begründet werden.45 Und auch wer eine bestimmte Rechtsgestaltung aus steuerlichen Motiven 29 bezweckt, wird idR dann keine Scheingeschäfte abschließen, wenn die steuerlichen Motive unter der Annahme unwirksamer Rechtsgestaltung schon eo ipso, dh noch ungeachtet ihrer steuerlichen Bewertung nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gemäß § 21 Abs 1 BAO, nicht erreicht werden können.46 Definitiv entscheidet allerdings – ungeachtet der eben erörterten Zwei- 30 felsregel – die Frage, ob im Einzelfall ein Schein- oder aber ein Umgehungsbzw Umweggeschäft vorliegt, der (vorhandene oder eben nicht vorhandene) tatsächliche Rechtsfolgewille der konkreten Vertragsteile.47 Dementsprechend ist etwa dann sehr wohl vom Vorliegen eines Scheingeschäftes auszugehen, wenn die Parteien – wohl in der Regel in Unkenntnis des Umstandes, dass der von ihnen angestrebte Zweck schon wegen § 916 unmöglich erreicht werden kann48 – nachweisbar keinen Rechtsfolgewillen hatten, also etwa der Auffassung gewesen sein sollten, den tatsächlichen Nutzer einer Wohnung auch dann in die rechtliche Position eines Untermieters drängen zu können, wenn der Hauptmietvertrag nur zum Schein geschlossen wird, oder den Räumungsanspruch gegen den Untermieter auch dann durchsetzen zu können, wenn der Hauptmietvertrag nur zum Schein aufgekündigt wird.49 Nicht ausgeschlossen erscheint schließlich, dass bezüglich des überein- 31 stimmend fehlenden Rechtsfolgewillens kein natürlicher Konsens der Parteien vorliegt, allerdings die eine Partei davon ausgeht und darauf vertraut, dass auch die andere Partei keinen Rechtsfolgewillen hat, wohingegen diese, den Abschluss eines Umgehungsgeschäftes intendierend, sehr wohl einen Rechtsfolgewillen bezüglich des fraglichen Geschäftes hat.50 In diesen Fällen ist richtigerweise wohl gemäß § 914, va gemessen am Maßstab des redlichen Erklärungsempfängerhorizontes zu ermitteln, ob Schein- oder Umgehungsgeschäft vorliegt. Konkret: Welcher der Vertragsteile durfte berechtigt darauf vertrauen, dass beim anderen Teil sehr wohl ein Rechtsfolgewille vorliegt bzw gerade nicht vorliegt. Zur diesbezüglichen Beweislast siehe noch unten Rz 57. 45  Von der Tendenz unzutreffend daher (weil in Richtung Scheingeschäft argumentierend) die Beurteilung des Sachverhaltes durch OGH 5 Ob 67/59, HS I/8. 46  Für eine derartige Konstellation vgl etwa OGH 4 Ob 545/90, JBl 1991, 381. 47  Die dt Dogmatik spricht insoweit treffend von einem „subjektiven Simulationsbegriff“: vgl etwa Singer in Staudinger, BGB13 § 117 Rz 10 mwN. 48  Speziell vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus nicht unpassend, dass Gschnitzer (in Klang2 IV/1, 427) das Scheingeschäft im Vergleich zum Umgehungsgeschäft als das „naivere“ bezeichnete. 49  So offenkundig der Sachverhalt von OGH 3 Ob 156/65, EvBl 1966/130. 50  In diese Richtung geht etwa der von OGH 4 Ob 545/90, JBl 1991, 381 zu beurteilende Sachverhalt: Die Ehegattin des stillen Gesellschafters geht davon aus, dass die Anmeldung des ihr „geschenkten“ Pkw nur zum Schein auf das Unternehmen erfolgt, wohingegen den anderen beteiligten Personen klar ist, dass zivilrechtlicher Eigentümer tatsächlich die unternehmenstragende Gesellschaft sein muss, um nicht schon von vornherein (und nicht erst, wie zu ergänzen ist, an § 21 Abs 1 BAO) bezüglich der Lukrierung von Steuervorteilen zu scheitern.

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3. Treuhand 32

Aus dem schon bislang Dargelegten folgt ganz zwanglos und entspricht auch völlig hA51, dass die Begründung einer Treuhand kein Scheingeschäft darstellt, da es insoweit den Parteien sehr wohl darauf ankommt, Rechtsfolgen zu erzeugen, va (Voll-)Rechte auch tatsächlich, wenngleich mit obligatorischer Bindung im Innenverhältnis, auf den Treuhänder zu übertragen. Zumindest terminologisch wenig glücklich erscheint vor diesem Hintergrund freilich, wenn von der Judikatur im Zusammenhang mit Scheingeschäften bisweilen52 die Auffassung vertreten wird, der aus einem Scheingeschäft (schein-)berechtigte Vertragsteil sei „praktisch als Treuhänder anzusehen“. Für nähere Details zu jenen Rechtsfragen, die Treuhandverhältnisse auf33 werfen, vergleiche den Kommentarband „Die Treuhand“. 4. Strohmanngeschäfte Die Bildung der dogmatischen Kategorie der „Strohmanngeschäfte“ schließlich erscheint deswegen wenig glücklich bzw gar entbehrlich, weil sie im Vergleich zu den bislang erörterten Kategorien der Schein-, Umgehungs- und Umweg- sowie Treuhandgeschäfte keine differentia specifica aufweisen, die als „Strohmanngeschäfte“ titulierten Rechtsgeschäfte vielmehr ausnahmslos den erwähnten anderen Kategorien zugeordnet werden können.53 Soweit zudem sowohl Schein- als auch Umgehungsgeschäfte bisweilen als „Strohmanngeschäfte“ tituliert werden, scheint ein Verzicht auf diese Kategoriebildung auch aus Gründen terminologischer Klarheit wünschenswert.54 In der Regel werden „Strohmanngeschäfte“ indes keine Scheingeschäfte 35 darstellen, weil zumeist überhaupt nur die Einbindung des „Strohmannes“ mit Rechtsfolgewillen geeignet ist, jenem Zweck Rechnung zu tragen, der mit dem Strohmanngeschäft erreicht werden soll. Ob sich das Strohmanngeschäft dann allerdings in weiterer Folge als Umweggeschäft, als Umgehungsgeschäft oder als bloße Begründung eines Treuhandverhältnisses darstellt, bedarf immer der näheren Prüfung im jeweiligen Einzelfall. 34

VII. Rechtsfolgen des Abschlusses eines Scheingeschäftes inter partes 36

Gemäß § 916 Abs 1, der, wie bereits erwähnt, insoweit konsequent der überragenden Bedeutung des natürlichen Konsenses der Parteien im Bereich 51  Vgl etwa LGZ Wien 4.3.1954, 42 R 243, EvBl 1954/185; OGH 5 Ob 46/67, ZfRV 1969, 143 (Seidl-Hohenveldern); Rummel in Rummel3 I § 916 Rz 1; Binder in Schwimann3 IV § 916 Rz 29; Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 916 Rz 3. 52  So etwa OGH 7 Ob 517/80, NZ 1981, 29. 53  Vgl in diesem Zusammenhang insbesondere auch den Befund von Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts (1973) 91, dass die Versuche, zwischen Strohmann und Treuhänder zu unterscheiden, gescheitert seien, da sie zu keinem klaren Unterscheidungskriterium geführt hätten. 54  Mit Recht auf die mangelnde Präzision des Ausdrucks „Strohmanngeschäft“ hinweisend auch Rummel in Rummel3 I § 916 Rz 1.

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Rechtsfolgen des Abschlusses eines Scheingeschäftes inter partes

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der Rechtsgeschäftslehre Rechnung trägt, bestimmen sich rechtsgeschäftlich sowohl die Rechtsfolgen des simulierten Geschäftes als auch jene eines allfälligen dissimulierten Geschäftes inter partes nach dem natürlichen Konsens der Parteien. Dementsprechend ist dem „negativen“ natürlichen Konsens der Parteien 37 insofern Rechnung zu tragen, als das Scheingeschäft inter partes grundsätzlich55 keine Rechtswirkungen erzeugt, einem allfälligen „positiven“ natürlichen Konsens der Parteien hingegen insofern, als das dissimulierte Geschäft als tatsächlich abgeschlossen anzusehen ist. Kasuistik: Die Schenkung einer Liegenschaft bloß zum Schein, um da- 38 durch Pflichtteilsberechtigte zu schädigen, ist nichtig.56 Beschließen Gesellschafter, eine Haftungserhöhung der Kommanditisten festzusetzen, um eine höhere Verlustzuweisung einkommensteuerlich geltend machen zu können, ohne dass tatsächlich schon eine höhere Haftung gegeben sein sollte, dann liegt insofern ein nichtiger Scheinbeschluss vor.57 Ebenfalls ein nichtiges Scheingeschäft liegt vor, wenn gleichzeitig mit dem Abschluss eines Kreditvertrages vereinbart wird, dass die Kreditvaluta zur Zeichnung von Gesellschaftsanteilen und nachrangigen Kapitaleinlagen der Kreditgeberin verwendet wird und die Kreditnehmer persönlich aus ihrem Vermögen keinerlei Verpflichtung zur Rückzahlung aus dem Kreditvertrag treffen soll.58 Vereinbaren die Parteien eines Unternehmenskaufvertrages aus steuerlichen Gründen nur zum Schein einen Bestandvertrag und sollen die Bestandzinse tatsächlich einen Teil des Kaufpreises darstellen, so gilt inter partes nur der Kaufvertrag, wobei die als Bestandzins deklarierten Zahlungen rechtlich als Kaufpreiszahlungen zu qualifizieren sind.59 Wird ein Kaufvertrag über eine Liegenschaft nur zum Schein zu einem geringeren Kaufpreis geschlossen, um Steuern hinterziehen zu können, so ist zwischen den Vertragsteilen (ausschließlich) der Kaufvertrag mit dem höheren Kaufpreis verbindlich zustande gekommen.60 Gleiches gilt bei einem niedriger beurkundeten Kaufpreis für Gesellschafts­ anteile.61 Soll durch den von einem Ehegatten allein abgeschlossenen Kaufvertrag aus steuerlichen Gründen der gemeinsame Erwerb der Liegenschaft durch beide Ehegatten verschleiert werden, so gilt der von ihnen dissimulierte (gemeinsame) Kaufvertrag.62 Wird ein „Verkaufsvermittlungsauftrag“ zwischen dem Eigentümer eines Pkw und einem Gebrauchtwarenhändler ebenso nur zum Schein abgeschlossen wie der Kaufvertrag zwischen dem Eigentümer des Pkw und dem ihm vom Gebrauchtwarenhändler „vermittelten“ Dritten, so ist davon auszugehen, dass tatsächlich zwei Kaufverträge (Verkäufer – Gebrauchtwarenhändler, Gebrauchtwarenhändler – Käufer) abgeschlossen wur55 

Zu (scheinbaren) Ausnahmen siehe unten Rz 40, 44. OGH 7 Ob 517/80, NZ 1981, 29 (fraglich allerdings, ob tatsächlich nicht Umgehungsgeschäft bzw Treuhand vorlag). 57  OGH 7 Ob 559/90, JBl 1991, 397. 58  OGH 7 Ob 263/03g, ÖBA 2005, 278 (Bollenberger). 59  OGH 1 Ob 253/71, MietSlg 23.084. 60  OGH 1 Ob 483/51, SZ 24/183; 6 Ob 200/74, SZ 48/36; 1 Ob 58/02i, MietSlg 54.107. 61  OGH 2 Ob 158/53, SZ 26/143. 62  OGH 7 Ob 635/77, MietSlg 29.111. 56 

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den.63 Wurde ein „Hauptmietvertrag“ zwischen „Hauptvermieter“ und „Hauptmieter“ nur zum Schein abgeschlossen, um beim Vertragspartner des „Hauptmieters“ den Eindruck zu erwecken, er sei nur Untermieter, so ist der „Hauptmietvertrag“ nichtig.64 Wird ein gerichtlich protokollierter Unterhaltsverzicht nur zum Schein abgegeben und war der Parteiwille tatsächlich auf die Leistung von Unterhalt gerichtet, so entfaltet der Unterhaltsverzicht auch gegenüber der Pensionsversicherung keine Wirkung.65 Umgekehrt kommt der Vereinbarung eines Unterhaltsvergleiches, die bloß zum Schein und zwecks künftiger Verschaffung eines Pensionsanspruches erfolgte, keinerlei Verbindlichkeit zu.66 Zur bloß zum Schein vorgenommenen Kündigung von Verträgen siehe bereits oben Rz 18, 26. Der grundsätzlichen rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeit des dissimulierten Geschäftes steht auch nicht ein allfälliger Schriftformvorbehalt, der im Scheingeschäft enthalten ist, entgegen.67 Dogmatisch lässt sich dies ganz zwanglos damit begründen, dass in einem derartigen Fall davon auszugehen ist, dass der natürliche Konsens der Parteien auch umfasst, dass das dissimulierte Geschäft formfrei zustande kommen kann (und soll). Soweit im simulierten Geschäft Nebenabreden enthalten sind, bezüglich derer nach dem Parteiwillen davon auszugehen ist, dass sie auch für das dissimulierte Geschäft Bedeutung haben sollen, sind sie auch als Teil des dissimulierten Geschäftes anzusehen.68 Regelmäßig geht der „negative“ Parteiwille der Parteien bezüglich des simulierten Geschäfts dahin, dass auch keine Ansprüche bestehen sollen, die sich bloß als Surrogate für den aus dem Scheingeschäft „resultierenden“ Er­ füllungsanspruch qualifizieren lassen.69 Vergleichbares gilt bezüglich der (zu verneinenden) Frage, ob eine ver­ tragliche (Nebenleistungs-)Pflicht besteht, den Inhalt des Scheingeschäfts zu beurkunden.70 Nach der Judikatur ändert es an der Nichtigkeit des Scheingeschäfts auch nichts, wenn über das Scheingeschäft bzw die daraus (angeblich) resultierenden Ansprüche bereits rechtskräftig abgesprochen wurde71 oder dieses den 63 

OGH 7 Ob 171/71, JBl 1972, 473. Vgl statt vieler bloß OGH 5 Ob 109/91, MietSlg 43.035. Vielfach wird in derartigen Fällen allerdings bezüglich des Hauptmietvertrages sehr wohl Rechtsfolgewille vorliegen, sodass sich dann nicht die Frage nach dem Vorliegen eines Schein-, sondern nach dem Vorliegen eines Umgehungsgeschäftes stellt. Vgl dazu schon oben Rz 25. 65  OGH 10 ObS 207/03v, RdW 2004/223; zur – sondergesetzlich normierten – Unzulässigkeit der Pensionsversicherung, sich auf das simulierte Geschäft zu berufen, siehe bereits oben Rz 10. Vgl zum bloß simulierten Unterhaltsverzicht auch OGH 1 Ob 95/10t, EF-Z 2011/14. 66  OGH 3 Ob 7/95, JBl 1996, 578. 67  Zutreffend LGZ Wien 41 R 770/88, MietSlg 40.068. 68  Vgl dazu etwa OGH 4 Ob 216/30, JBl 1930, 433 (Regelungen über die Dauer und die Aufkündigung der bloß zum Schein gegründeten Gesellschaft auch für den dissimulierten Untermietvertrag maßgeblich); 6 Ob 200/74, SZ 48/36 (Wertsicherung gilt auch für jenen Kaufpreisteil, der im simulierten Geschäft nicht, im dissimulierten hingegen sehr wohl enthalten ist). 69  OGH 8 Ob 510/90, SZ 63/72. 70  OGH 7 Ob 617/86, JBl 1986, 786. 71  OGH 6 Ob 51/68, SZ 41/52 = JBl 1970, 430 (Matscher); diesbezüglich kritisch allerdings Matscher (aaO) sowie Fasching/Klicka in Fasching/Konecny2 § 411 ZPO Rz 155. 64 

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Rechtsstellung Dritter

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Gegenstand eines gerichtlichen Vergleiches gebildet hat72; diesfalls kann ua auf § 36 EO zurückgegriffen werden. Allerdings kann der Abschluss von Scheingeschäften sehr wohl auch dazu 44 führen, dass Schutz- und Sorgfaltspflichten zwischen den Parteien des Scheingeschäftes Platz greifen.73 Dogmatisch ergibt sich dies daraus, dass der beim Scheingeschäft vorliegende „negative“ natürliche Konsens typischerweise bloß die rechtsgeschäftlichen Dimensionen des Scheingeschäftes erfasst, wohingegen Schutz- und Sorgfaltspflichten schon aufgrund des Kontaktes in contrahendo, in den ja auch die Parteien eines Scheingeschäftes treten, mithin ex lege, entstehen.74

VIII. Rechtsstellung Dritter Von der III. TN wurde zunächst klargestellt, dass die Berufung auf die 45 (insoweit eben absolute) Nichtigkeit eines Scheingeschäftes auch Dritten zu­ steht75, die diese ua anlässlich einer Löschungsklage gegen mehrere bücherliche Rechtsnachfolger76, im Zuge eines Aufteilungsverfahrens gemäß der §§ 81 ff EheG77, im Meistbotsverteilungsverfahren78 oder anlässlich einer gegen sie auf Basis bloß einer Scheinkündigung geführten Räumungsexekution gemäß § 37 EO relevieren können.79 Darüber hinaus wurde von der III. TN zugunsten Dritter mit dem in ihrem 46 Rahmen neu geschaffenen Abs 2 von § 916 aber auch ein allgemeiner80 Me­ chanismus positiven Vertrauensschutzes geschaffen, der die Parteien des Scheingeschäftes Dritten gegenüber in vollem Umfang zur Vertrauensentsprechung verpflichtet, dh der Dritte kann von den Parteien des Scheingeschäfts verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn das Scheingeschäft tatsächlich vom Rechtsfolgewillen der Kontrahenten getragen gewesen wäre.81 Dieser positive Vertrauensschutz zugunsten Dritter konkurriert richtiger Ansicht nach in vollem Umfang mit deren Möglichkeit, die Parteien des Scheingeschäfts schaden72 

OGH 3 Ob 50/92, EFSlg 69.958/4. Ebenso Rummel in Rummel3 I § 916 Rz 2. 74  Grundlegend Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475 ff. 75  Paradigmatisch insoweit etwa schon OGH 1 Ob 1125/33, SZ 16/3: Der Schuldner kann der Klage des Übernehmers der Forderung die Einwendung entgegensetzen, dass die Abtretung der Forderung zum Schein erfolgt ist. 76  Vgl etwa OGH 7 Ob 198/62, EvBl 1963/3. 77  Vgl etwa OGH 8 Ob 570/84, EFSlg 46.019. 78  Vgl OGH 3 Ob 4/80, SZ 53/42 (in concreto allerdings Vorliegen eines absoluten Scheingeschäftes verneinend). 79  Vgl etwa OGH 3 Ob 86/70, MietSlg 22.075. 80  Dies im Unterschied etwa zu den Wertentscheidungen des deutschen und des schweizerischen Gesetzgebers: vgl dazu schon oben Rz 4 f. 81  Vor diesem Hintergrund durchaus fragwürdig erscheint es, wenn von OGH 1 Ob 58/02i (insoweit unveröffentlicht), die Zulässigkeit der Berufung des Dritten auf die Wirksamkeit des dissimulierten Geschäftes (mithin gerade auf die Unwirksamkeit des Scheingeschäftes) mit § 916 Abs 2 begründet wird. Richtigerweise wäre in diesem Fall wohl mit § 916 Abs 1 zu argumentieren gewesen. 73 

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ersatzrechtlich in Anspruch zu nehmen (und solcherart negativen Vertrauensschutz geltend zu machen).82 Was die maßgeblichen Wertungen betrifft, so korrespondiert die von § 916 Abs 2 verfügte Zubilligung positiven Vertrauensschutzes an den Dritten ua mit jener Rechtsstellung, die dem anderen Vertragsteil im Irrtumsrecht zukommt83, sowie mit jener, auf die sich der Dritte vollmachtsrechtlich dann berufen kann, wenn vom Scheingeschäftsherrn zumindest der Anschein einer vorliegenden Vollmacht in zurechenbarer Art und Weise geschaffen wurde. Erschwerend kommt beim Scheingeschäft freilich hinzu (und lässt die Zubilligung sogar von positivem Vertrauensschutz sachlich überaus gerechtfertigt erscheinen), dass die Parteien des Scheingeschäftes schon per definitionem vorsätzlich handeln (und was die Täuschung Dritter betrifft idR zumindest mit dolus eventualis), wohingegen Irrender und Scheingeschäftsherr auch dann zur Gewährung von positivem Vertrauensschutz verpflichtet sind, wenn ihnen die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes in contrahendo nicht gleichermaßen qualifiziert anzulasten ist. Im Detail ist dafür, dass der Dritte positiven Vertrauensschutz beanspruchen kann, zunächst erforderlich, dass er im Vertrauen auf das Scheinge­ schäft Rechte erworben hat, also eine Vertrauensdisposition tatsächlich vorgenommen hat. Dies ist etwa beim Zessionar der Fall, der die aus einem bloßen Scheingeschäft resultierende Forderung erwerben wollte84, bei jenem, der im Vertrauen auf einen Kauf unter Eigentumsvorbehalt, der tatsächlich ein Scheingeschäft war, den Restkaufpreis bezahlte, um die restliche Forderung einzulösen und das vorbehaltene Eigentum zu erlangen85, oder bei jenem, der unentgeltlich, daher außerhalb des Anwendungsbereiches des § 367, Eigentum von jemandem erwarb, den er auf Basis eines Scheingeschäftes für den Eigentümer halten durfte.86 Den eben dargestellten Fällen des rechtsgeschäftlichen Erwerbes von Rechten durch den auf das Scheingeschäft vertrauenden Dritten wird es von der Judikatur gleichgestellt, wenn der Rechtserwerb des Dritten auf exeku­ tivem Weg stattgefunden hat, er also etwa die Forderung aus dem Scheingeschäft pfänden und sich überweisen ließ.87 Nicht geschützt werden soll nach der Judikatur allerdings derjenige, der jene Rechte, die aus dem Scheingeschäft resultieren würden, kraft Gesetzes erworben hat. Dem wird man dann im Ergebnis zustimmen können, wenn der ex lege Platz greifende Rechtserwerb Dritter nicht mit einer auf das Scheingeschäft gestützten Vertrauensdisposition einher ging, wie dies etwa bei der Be-

82 

Dazu schon eingehen oben 12 ff. Zu Recht hingewiesen wird auf die Wertungsparallele zwischen § 916 Abs 2 und dem Irrtumsrecht des ABGB auch bei Wesener, Das Scheingeschäft in der spätmittelalterlichen Jurisprudenz, im Usus modernus und im Naturrecht, in FS Hübner (1984) 337 ff (355). 84  Vgl etwa OGH 3 Ob 463/55, SZ 28/242. 85  Vgl etwa OGH 2 Ob 337/65, JBl 1966, 312. 86  Vgl dazu etwa Karner, Rechtsscheinwirkung des Besitzes und Scheinermächtigung, JBl 2004, 486 ff (495) sowie ders, Gutgläubiger Mobiliarerwerb (2006) 154, je mwN. 87  Vgl etwa OGH 1 Ob 588/54, JBl 1955, 18; 3 Ob 194/60, EvBl 1960/316. 83 

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Rechtsstellung Dritter

§ 916

rufung auf Anfechtungsrechte typischerweise der Fall ist88 oder es bei der Berufung auf ein Eintrittsrecht gemäß § 14 MRG bei einem Scheinmietvertrag auf Basis des konkreten verfahrensgegenständlichen Sachverhaltes der Fall war.89 In jenen Fällen, in denen Dritte allerdings tatsächlich im Vertrauen auf den ihnen gesetzlich verheißenen Rechtserwerb aus dem Scheingeschäft Dispositionen tätigen, also etwa Nachkommen in gerader Linie ihren Lebensmittelpunkt in die Wohnung des Mieters verlegen, weil sie – in Unkenntnis des Vorliegens eines Scheinmietvertrages – darauf vertrauen, sich auch im Todesfall des Mieters qua § 14 MRG den Lebensmittelpunkt erhalten zu können, erschiene es allerdings im Lichte der in § 916 Abs 2 zum Ausdruck kommenden Wertung als Ausprägung eines zu formal-konstruktiven Rechtsdenkens, dem Dritten den positiven Vertrauensschutz bloß deswegen zu versagen, weil er seine Vertrauensdispositionen nicht unmittelbar rechtsgeschäftlich oder auf exekutivem Weg getätigt hat, sondern insofern gleichsam „mediatisiert“, als er auf die Erfüllung gesetzlicher Rechtserwerbstatbestände vertraut hat.90 Jedenfalls kommt in jenen Fällen, in denen man dem Dritten positiven Vertrauensschutz iSv § 916 Abs 2 versagt, dem (schadenersatzrechtlichen) negativen Vertrauensschutz erhöhte praktische Bedeutung zu. Dementsprechend wird etwa der Masseverwalter, der, von einem Scheingeschäft in die Irre geführt, einen Anfechtungsprozess verliert91, die Nachteile, die mit diesem Prozessverlust für die Masse einhergehen, grundsätzlich schadenersatzrechtlich liquidieren können. Zu beachten ist schließlich, dass es sondergesetzlich zT ausgeschlossen 51 ist, dass Dritte sich auf den positiven Vertrauensschutz iSv § 916 Abs 2 stützen.92 Endlich ist unter Berücksichtigung der relevanten Wertungszusammen- 52 hänge, va jener mit Irrtums- und Vollmachtsrecht93, davon auszugehen, dass den von § 916 Abs 2 verheißenen positiven Vertrauensschutz nur der gutgläu­ bige Dritte in Anspruch nehmen kann94, was dahingehend zu präzisieren ist, dass bereits leichte Fahrlässigkeit bezüglich des Nichterkennens des Vorliegens eines Scheingeschäftes dem Dritten insoweit schadet.95 Sehr wohl ist es ihm freilich auch dann möglich, qua Schadenersatz negativen Vertrauensschutz 88  Vgl dazu etwa OGH 6 Ob 780/82, JBl 1984, 318; 3 Ob 534/91, JBl 1992, 322. Den Bedenken, die von König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung4 (2009) Rz 17/118 gegen diese Judikatur erhoben wurden, ist richtigerweise (nur, aber immerhin) mit den Mitteln des negativen Vertrauensschutzes Rechnung zu tragen; siehe dazu sogleich im Text. 89  Vgl OGH 8 Ob 513/94, JBl 1994, 750. 90  Ansatzweise idS auch schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 422 („Die Täuschungsabsicht der beiden Partner rechtfertigt es wohl, den Schutz über den rechtsgeschäftlichen Erwerb auch auf den aus Richterspruch auszudehnen; ebenso wäre dann der kraft Gesetzes zu behandeln“). 91  So etwa der Fall von OGH 3 Ob 534/91, JBl 1992, 322. 92  Dazu schon oben Rz 10. 93  Siehe dazu schon oben Rz 47. 94  So schon OGH 7 Ob 559/90, JBl 1991, 397. 95  Ebenso, wenngleich nicht vorbehaltlos, Rummel in Rummel3 I § 916 Rz 4; Heiss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 916 Rz 16 sowie OGH 7 Ob 116/05t, wobl 2006, 128 (zust Prader).

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§ 916

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geltend zu machen, wobei der dem Dritten zu machende Nachlässigkeitsvorwurf allenfalls96 gemäß § 1304 zu berücksichtigen ist. Kollidiert der ihnen gemäß § 916 Abs 2 grundsätzlich zugebilligte positi53 ve Vertrauensschutz Dritter, haben also etwa Dritte sowohl rechtsgeschäftlich als auch exekutiv den Versuch zum Erwerb der aus einem Scheingeschäft resultierenden Ansprüche unternommen, so geht die hA davon aus, dass der rechtsgeschäftliche Erwerb dem exekutiven vorgeht.97 Hinreichende Gründe für diese Auffassung werden allerdings nicht vorgetragen, sodass es – unter Zugrundelegung der Prämisse, dass der positive Gutglaubensschutz Dritter iSv § 916 Abs 2 den exekutiven Rechtserwerb grundsätzlich gleichermaßen wie den rechtsgeschäftlichen umfasst – durchaus diskussionswürdig erscheint, die fragliche Kollision gemäß dem Prioritätsprinzip aufzulösen, dh entscheiden zu lassen, welche der kollidierenden Vertrauensdispositionen Dritter zuerst getätigt bzw welche dem Regime des § 916 Abs 2 grundsätzlich unterfallenden Rechtserwerbe Dritter zuerst vollendet wurden. Soweit schließlich der positive Vertrauensschutz eines Dritten iSv § 916 54 Abs 2 mit der Berufung eines anderen Dritten auf die tatsächliche Rechts­ lage, dh das Vorliegen eines nichtigen Scheingeschäfts sowie – uU – dem tatsächlichen Abschluss eines dissimulierten Geschäftes, zu einer Kollision der Rechtsstellung dieser Dritten führt, räumt die hA der Berufung auf die tat­ sächliche Rechtslage den Vorrang vor dem Gutglaubensschutz iSv § 916 Abs 2 ein.98 Stets bleibt freilich dem Dritten, dessen positiver Vertrauensschutz nach 55 dem eben Dargelegten nicht prävaliert, die Möglichkeit, seine Nachteile gegenüber den Parteien des Scheingeschäfts schadenersatzrechtlich zu liquidieren.

IX. Prozessuale Dimensionen 56

Im Prozess ist die Ermittlung des Umstandes, ob der tatsächliche Wille der Parteien auf den Abschluss eines Scheingeschäftes gerichtet war, dh sie übereinstimmend einen negativen Rechtsfolgewillen gebildet und die Vertragserklärungen nur dem äußeren Anschein nach abgegeben haben, eine Tatfrage, die im Revisionsstadium nicht mehr aufgegriffen werden kann.99 Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen im Zusammenhang mit der 57 Auslegung von Willenserklärungen100 trifft die Beweislast dafür, dass ein Rechtsgeschäft tatsächlich bloß zum Schein abgeschlossen wurde, dh der (insoweit „negative“) natürliche Konsens der Parteien vom äußeren Anschein der 96  Vgl dazu, dass vielfach von einem alleinigen Verschulden des sich an der Vornahme eines Scheingeschäfts Beteiligenden auszugehen sein wird, bereits oben FN 27 97  Grundlegend OGH 3 Ob 194/60, EvBl 1960/316; ebenso 2 Ob 337/65, JBl 1966, 312; idS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 423; ebenso auch Rummel in Rummel3 I § 916 Rz 4. 98  IdS schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 423; ebenso auch Rummel in Rummel3 I § 916 Rz 4. 99  StRsp: vgl etwa OGH 4 Ob 167/82, JBl 1983, 444; 1 Ob 608/89, RZ 1991/7; 8 Ob 164/09i, EWr III/916 A/1 sowie RIS-Justiz RS0043610. 100  Zu diesen § 914 Rz 349.

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Prozessuale Dimensionen

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von ihnen abgegebenen Willenserklärungen, insbesondere deren Wortlaut, abweicht, denjenigen, der seinen Prozessstandpunkt auf diesem Umstand aufbaut.101 Gleiches gilt im Hinblick darauf, ob die Parteien zusätzlich zum simulierten Geschäft auch ein dissimuliertes Geschäft abgeschlossen haben. Zu (revisiblen) Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit Scheinge- 58 schäften stellen, zählt aber etwa, ob – bei fehlendem natürlichem Konsens über den Abschluss eines Scheingeschäftes – ein Teil darauf vertrauen durfte, dass auch der andere bloß ein Scheingeschäft abschließen wollte (oder eben nicht)102, ob beim dissimulierten Geschäft die dafür uU erforderliche Formvorschrift eingehalten wurde103, sowie, in welchem Umfang Nebenbestimmungen des simulierten Geschäftes auch das dissimulierte Geschäft erfassen.104 Da die Nichtigkeit eines Scheingeschäftes unmittelbar ex lege eintritt, ist 59 sie mit Feststellungsklage geltend zu machen, die freilich – nach allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts – ein rechtliches Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung voraussetzt.105 Einer Rechtsgestaltungsklage bedarf es demgegenüber zur Geltendmachung des Vorliegens eines Scheingeschäftes nicht.106

101  Ebenfalls stRsp: vgl etwa OGH 4 Ob 167/82, JBl 1983, 444; 1 Ob 608/89, RZ 1991/7; 5 Ob 273/01k, immolex 2002, 105. 102  Zu derartigen Konstellationen, insbesondere jenen, in denen ein Vertragsteil auf den Abschluss eines Schein-, der andere hingegen auf den Abschluss eines Umgehungsgeschäftes vertraut hat, vgl etwa den von OGH 4 Ob 545/90, JBl 1991, 381 zu beurteilenden Sachverhalt. 103  Dazu etwa OGH 2 Ob 158/53, SZ 26/143. 104  Dazu etwa OGH 4 Ob 216/30, JBl 1930, 433; 6 Ob 200/74, SZ 48/36. 105  Vgl etwa OGH 8 Ob 570/84, EFSlg 46.019. 106  OGH 1 Ob 95/10t, EF-Z 2011/14.

521

Stichwortverzeichnis Ablaufshemmung § 903 Rz 11 ff Ablösevereinbarung § 897 Rz 70; § 898 Rz 12; § 901 Rz 88 Abtretung siehe Zession actio Publiciana § 897 Rz 53 f; § 901 Rz 21 Adoption § 897 Rz 75, 92 Aktienverkauf § 901 Rz 86 Analogie § 901 Rz 32 Änderung – der Geschäftsgrundlage § 901 Rz 20 – der Rechts- und Gesetzeslage § 897 Rz 84; § 901 Rz 94 – der Sozialexistenz § 901 Rz 34 Änderungsrisiko § 901 Rz 61 Andeutungstheorie § 914 Rz 77 (FN 222), 80 (FN 246) Anerkenntnis der Vaterschaft § 897 Rz 75 anfängliche Unmöglichkeit § 897 Rz 43; § 898 Rz 1 ff, 5, 7 ff; § 899 Rz 5; § 901 Rz 68 Anfechtbarkeit § 897 Rz 6, 16, 84, 106 ff, 112; § 901 Rz 23 Anfechtung − insolvenzrechtliche § 904 Rz 77 Angebot § 897 Rz 19, 36, 99 f, 115 Angeld § 908 Rz 1 ff; § 910 Rz 1 ff Ankaufskontrolle § 897 Rz 41, 51 Anleger § 901 Rz 75 Annahme – des Angebots § 897 Rz 19, 115 – an Kindes Statt s Adoption Annahmeverzug § 904 Rz 28, 35, 46, 56 Anpassung § 897 Rz 107; § 901 Rz 65 Anpassungsklauseln § 901 Rz 113 Anrechnung von Vordienstzeiten § 901 Rz 98 Anwartschaftsrecht § 897 Rz 32, 48 ff, 52, 61 – auf das Eigentum § 897 Rz 53 ff; § 900 Rz 4 – des Vorbehaltskäufers § 897 Rz 53 ff; § 900 Rz 4 – Vererblichkeit § 897 Rz 52, 55; § 900 Rz 1 ff Anweisung § 905 Rz 88 Anzahlung § 908 Rz 8, 17, 49 Äquivalenz – Störung § 897 Rz 66, 100 f; § 901 Rz 28, 30, 38, 57, 59, 70, 100 ff, 111 – subjektive § 901 Rz 60 Arbeitgeber § 901 Rz 42 Arbeitsentgelt § 904 Rz 40 Arbeitslosenunterstützung § 901 Rz 88 523

Stichwortverzeichnis

Arbeitsvertrag § 897 Rz 70, 77, 86, 92; § 898 Rz 13 – auflösend bedingter § 897 Rz 32, 77 Arglist § 901 Rz 14 Auffangtatbestand § 901 Rz 44 Aufhebung des Vertrages § 901 Rz 104 Aufklärung, rechtzeitige § 901 Rz 54 Auflage § 897 Rz 103 auflösende Bedingung § 897 Rz 22, 30 ff, 34, 58 ff, 66, 77, 79, 96, 102 f, 113 ff; § 898 Rz 1 ff, 8, 12 f; § 900 Rz 3; § 901 Rz 8 Auflösung, einvernehmliche § 901 Rz 86, 88 Auflösungsvereinbarung § 897 Rz 77; § 901 Rz 85 Aufrechnung § 897 Rz 62; § 904 Rz 59, 63 – bedingte § 897 Rz 76 – Fremdwährungsschuld § 905a Rz 32 f Aufsandungserklärung § 897 Rz 50, 85 aufschiebende Bedingung § 897 Rz 22, 30 ff, 34, 48 ff, 66, 72, 83 ff, 99 ff, 104; § 898 Rz 2 f; § 900 Rz 1 ff; § 901 Rz 8 Auslegungskriterien – Auslegung „in favorem negotii“ § 914 Rz 168 ff – Erklärungssitten § 914 Rz 145 ff, 186 – gesetzes- und sittenkonforme Auslegung § 914 Rz 173 ff – hypothetischer Parteiwille § 914 Rz 204 ff – nachträgliche Parteieninterpretation § 914 Rz 159 ff – Parteiinteressen § 914 Rz 199 ff – Rangordnung § 914 Rz 213 ff – Treu und Glauben § 914 Rz 211 f – Umstände der Erklärungsabgabe § 914 Rz 150 ff – Unternehmerbrauch § 914 Rz 188 ff – Verhältnis zu anderen Vertragspunkten § 914 Rz 164 ff – Verkehrssitten § 914 Rz 185 ff – dem Vertragsabschluss nachfolgende Umstände § 914 Rz 157 ff – Vertragsverhandlungen § 914 Rz 154 f – Vertragszweck § 914 Rz 175 ff – siehe auch: „Vertragszweck“ – Wortlaut § 914 Rz 138 ff Aufschließungsarbeiten § 897 Rz 50 Auftrag § 897 Rz 103 (FN 395); § 901 Rz 16 Aufwandsersatzverpflichtungen § 901 Rz 106 Ausbildung § 901 Rz 88 Ausgedinge § 904 Rz 47 Ausgleichszahlungen § 901 Rz 106 Ausländer § 901 Rz 85 Ausländerbeschäftigung § 897 Rz 82, 86 Auslegung von Willenserklärungen § 901 Rz 21 s a Vertragsauslegung – letztwillige Verfügungen § 897 Rz 8, 22, 62 – wörtliche § 897 Rz 62, 105 Auslegungsregel § 897 Rz 22, 32, 39, 42, 62 f, 90, 111; § 898 Rz 7 ff, 11; § 899 Rz 1 ff; § 900 Rz 7 524

Stichwortverzeichnis

Auslobung § 897 Rz 19 f, 32 Außenhandel § 897 Rz 82 Aussetzungsvertrag § 901 Rz 88 Aussonderung § 897 Rz 54 Banküberweisung – Rechtzeitigkeit § 905 Rz 73 ff Barzahlung § 905 Rz 64 Basiswertung § 901 Rz 59 Baugenehmigung § 897 Rz 32, 72, 82 Baugrundrisiko § 901 Rz 42 Bauhoffnungsland § 901 Rz 97 Bebaubarkeit § 901 Rz 75 Bedingung § 897 Rz 1 ff; § 901 Rz 5, 11, 41 – auflösende § 897 Rz 22, 30 ff, 34, 58 ff, 66, 77, 79, 96, 102 f, 113 ff; § 898 Rz 1 ff, 8, 12 f; § 900 Rz 3; § 901 Rz 8 – aufschiebende § 897 Rz 22, 30 ff, 34, 48 ff, 66, 72, 83 ff, 99 ff, 104; § 898 Rz 2 f; § 900 Rz 1 ff; § 901 Rz 8 – bejahende (positive) § 897 Rz 22, 32, 34 – eigentliche § 897 Rz 40 ff; § 899 Rz 2 ff; § 901 Rz 4 f – beim Eigentumsvorbehalt § 897 Rz 13, 18, 23, 53, 62 – Eintrittsfiktion § 897 Rz 22, 63, 70 ff, 87, 91, 115 – gemischte § 897 Rz 35 – mehrfache Bedingtheit § 897 Rz 23 – notwendige § 897 Rz 6, 28, 90 – Parteibedingung § 897 Rz 11, 80, 87 – Potestativbedingung § 897 Rz 9, 26, 32, 34, 35 ff, 51, 53, 65, 76 ff, 98 ff, 107; § 898 Rz 13; § 899 Rz 1, 4 ff, 8; § 900 Rz 4 ff – Rechtsbedingung § 897 Rz 9, 11, 23, 29, 71, 80 ff – stillschweigende § 897 Rz 6, 21, 109 f – teilbedingtes Rechtsgeschäft § 897 Rz 23, 32, 48, 53 – unbestimmte § 897 Rz 4; § 898 Rz 1 ff, 4, 7 ff – uneigentliche § 897 Rz 31, 40 ff, 51, 56, 66, 75 f, 90; § 899 Rz 2 ff; § 901 Rz 5 – unentwickelte § 897 Rz 111; § 901 Rz 7, 13, 27 – unerlaubte § 897 Rz 38, 73 ff; § 898 Rz 1 ff, 6, 12 ff – unmittelbare Wirkung § 897 Rz 2, 6, 16, 21, 62, 89, 93, 104, 107 ff, 113 – unmögliche § 898 Rz 1 ff, 5, 7 ff – unverständliche s unbestimmte – Vereitlung § 897 Rz 22, 36, 51, 58, 63, 70 ff, 84, 87, 96, 115 – verneinende (negative) § 897 Rz 22, 32, 34 – Voraussetzung eines für gewiss gehaltenen Umstands § 897 Rz 6, 21, 32, 89, 109 – Vorwirkungen im Schwebezustand § 897 Rz 6, 9, 23, 30, 40, 48 ff, 58 ff, 61, 80 f, 84 ff, 91, 95 f, 100; § 900 Rz 1 525

Stichwortverzeichnis

– wiederholbare § 897 Rz 39, 63; § 899 Rz 1 ff – Willkürbedingung § 897 Rz 36 f, 51, 70, 98, 104 – Wollensbedingung § 897 Rz 15, 36, 49, 51, 65, 99 ff – Zufallsbedingung § 897 Rz 35 ff; § 899 Rz 7 bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte § 897 Rz 38, 73 ff, 92 Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte § 897 Rz 53 Befristung § 897 Rz 6, 7, 28, 64, 88 ff, 101; § 899 Rz 2; § 900 Rz 5 Bemessungsgrundlage § 901 Rz 98 Benützungsentgelt § 897 Rz 66 Besitzanweisung § 897 Rz 53 Besitzkonstitut, antizipiertes § 897 Rz 67 Besserungsklausel § 904 Rz 19 Betriebspension § 897 Rz 70; § 898 Rz 12; § 901 Rz 35, 75 Betriebsrat § 897 Rz 70 Betriebsstilllegung § 901 Rz 42, 78, 91 Betriebsweiterführung § 901 Rz 92 bewegliches System § 901 Rz 37, 59 Bewegungsgrund § 901 Rz 1, 3 f Beweislast § 897 Rz 4, 25, 69, 105; § 901 Rz 18 Bezugsvertrag § 906 Rz 18 Billigkeitsentscheid § 904 Rz 17, 24 Bonität § 901 Rz 86 Bringschuld § 905 Rz 23 Bürgschaft § 897 Rz 20, 24, 65; § 901 Rz 91 – Erfüllungsort § 905 Rz 57 Bürgschaftserklärung § 901 Rz 86 – Form § 897 Rz 24, 37, 65, 99 cif § 905 Rz 44 clausula rebus sic stantibus § 897 Rz 101; § 901 Rz 27, 74 Clausula-Vorschriften § 901 Rz 39, 80 condictio causa data causa non secuta § 897 Rz 113 ff; § 901 Rz 72, 109 condictio ob causam finitam § 897 Rz 56, 68, 86, 113, 115 condictio sine causa § 897 Rz 85 f culpa in contrahendo § 897 Rz 84; § 901 Rz 21 Darlehen § 901 Rz 16 Dauerschuldverhältnisse § 897 Rz 13, 66; § 901 Rz 61 ff Definition der Geschäftsgrundlage § 901 Rz 73 Deutungsdiligenzobliegenheit § 914 Rz 131, 143f, 149, 151 Devisenbehörde § 897 Rz 23, 82 dingliche Wirkung § 897 Rz 53, 67, 86; § 901 Rz 108 Diskontvertrag § 901 Rz 86 Dispositionsgrundsatz § 904 Rz 26 Dispositives Recht § 897 Rz 95 f; § 900 Rz 7 (FN 18); § 901 Rz 42, 77 ff 526

Stichwortverzeichnis

Dissens § 898 Rz 10 f Doppellücke § 901 Rz 44 f, 59 Doppelverkauf § 897 Rz 53 EG-Fristen-VO § 902 Rz 6, 25; § 903 Rz 5 Ehe § 901 Rz 19, 86 Ehepakt § 901 Rz 19 Eheschließung § 897 Rz 6, 75, 109 Eigenbedarfskündigung § 901 Rz 39 eigentliche Bedingung § 897 Rz 40 ff; § 899 Rz 2 ff; § 901 Rz 4 Eigentumsvorbehalt § 897 Rz 13, 18, 23, 53, 62 Einantwortung § 900 Rz 2 eingetragene Partnerschaft § 901 Rz 19 Einkaufszentrum § 901 Rz 75, 85, 93, 98 f einstweilige Verfügung § 897 Rz 49, 85 Eintrittsfiktion § 897 Rz 22, 63, 70 ff, 87, 91, 115 einvernehmliche Auflösung § 901 Rz 86, 88 Einwendungsdurchgriff § 901 Rz 112 Endemierisiko § 901 Rz 42 Endzweck § 901 Rz 3 f entgeltfremde Geschäfte s Unentgeltliche Rechtsgeschäfte Entlassung § 901 Rz 88 – bedingte § 897 Rz 76 f Entwertung der Gegenleistung § 901 Rz 33, 101, 103 Entwicklung, wirtschaftliche § 901 Rz 93 Erbantrittserklärung § 897 Rz 75 Erbübereinkommen § 901 Rz 85 Erbverzicht § 897 Rz 75; § 901 Rz 16 Erfüllbarkeit § 904 Rz 5, 28 − Darlehen § 904 Rz 6 − sogleich § 904 Rz 52 Erfüllung − zur Unzeit § 904 Rz 11, 14 − vorzeitige § 904 Rz 6 Erfüllung nach Möglichkeit oder Tunlichkeit § 904 Rz 19 ff − Anwendungsbereich § 904 Rz 19, 22 − Behauptungs- und Beweislast § 904 Rz 24 − Erben des Schuldners § 904 Rz 23 − Prozessuales § 904 Rz 25 ff − Verhältnis zum Willkürvorbehalt § 904 Rz 14 − Verjährung § 904 Rz 29 − Verzug § 904 Rz 28 Erfüllungsort § 905 Rz 1 ff Erfüllungserleichterungen § 901 Rz 106 ergänzende Vertragsauslegung § 897 Rz 6 (FN 10), 21, 63, 70, 89, 109; § 898 Rz 7 ff, 12; § 899 Rz 7; § 901 Rz 34, 38, 43, 48, 72, 83 527

Stichwortverzeichnis

Erklärungsirrtum § 901 Rz 22, 24 Erklärungstheorie § 914 Rz 129 ff Erschwerung von Sachleistungen § 901 Rz 102 Ersetzungsbefugnis – allgemein § 906 Rz 33 ff – des Fremdwährungsschuldners § 905a Rz 24 ff EuFrÜb § 902 Rz 17 ff Exekutionsstundung § 904 Rz 70 Existenzverlust § 898 Rz 6, 13; § 901 Rz 37 Existenzverschlechterung, erhebliche § 901 Rz 102, 111 ex-nunc-Wirkung § 897 Rz 66 ff; § 901 Rz 108 ex-tunc-Wirkung § 897 Rz 9, 45, 53, 66 ff, 86, 91; § 901 Rz 108 Ezszindierungsklage § 897 Rz 54 Fälligkeit § 897 Rz 23, 96 − AGB § 904 Rz 12 − Bedingung § 904 Rz 30 f − Befristung § 904 Rz 32 − Begriff § 904 Rz 4 − Behauptungs- und Beweislast § 904 Rz 76 − Bestimmung § 904 Rz 9 ff − Darlehen § 904 Rz 9 − Dauerschuldverhältnis § 904 Rz 53 − dispositives Recht § 904 Rz 10, 49 ff − gesetzliche Schuldverhältnisse § 904 Rz 2 − gesetzliche Sonderregelungen § 904 Rz 40 − Gläubigerbestimmung § 904 Rz 34 − Insolvenzverfahren § 904 Rz 6 − Irrtum § 904 Rz 8 − Kündigung § 904 Rz 38 − Rechnungslegung § 904 Rz 36 − Schadenersatzansprüche § 904 Rz 48 − Schuldnerhandlung § 904 Rz 20 − sogleich § 904 Rz 51 − synallagmatische Verträge § 904 Rz 45 ff − UN-Kaufrecht § 904 Rz 78 − Vereinbarung § 904 Rz 12 ff Fälligstellung § 904 Rz 45, 50 falsa demonstratio § 901 Rz 24; § 914 Rz 87, 131 ff, 125, 140, 144 favor testamenti § 899 Rz 5 Fehlbezeichnung § 901 Rz 24 Fehlen der Geschäftsgrundlage § 901 Rz 67 ff fehlende Vorstellung § 901 Rz 51 Feiertage § 902 Rz 7; § 903 Rz 11 ff Feststellungsklage § 897 Rz 49, 85; § 904 Rz 74 Feuchtgebiet § 901 Rz 94 528

Stichwortverzeichnis

Fiktion – des Bedingungseintritts § 897 Rz 22, 63, 70 ff, 87, 91, 115 – sachenrechtlicher Publizitätsakte § 897 Rz 53, 67 Fixgeschäft § 897 Rz 32, 104 Flächenwidmungsplan § 901 Rz 94 fob § 905 Rz 44 Förderungsmittel § 901 Rz 85, 88 Form § 897 Rz 26, 37, 65 – Bürgschaftserklärung § 897 Rz 24, 37, 65, 99 – letztwillige Verfügung § 897 Rz 24 – Nebenbestimmung § 897 Rz 24 – Schenkungsvertrag § 897 Rz 111 – Übertragung von GmbH-Anteilen § 897 Rz 24 Fremdwährungsschuld § 905a Rz 11 – effektive § 905a Rz 17 ff – nicht effektive § 905a Rz 13 ff – unechte (uneigentliche) § 905a Rz 10 f Fristen – zurückzurechnende § 902 Rz 26 ff; § 903 Rz 20 Fristenberechnung § 902 Rz 1 ff Garantievertrag § 897 Rz 105 Gattungsschuld § 905b Rz 6 ff; § 906 Rz 24 – beschränkte § 905b Rz 9, Rz 16; § 906 Rz 26 Gefahrerhöhung § 901 Rz 39 Gefahrtragungsregeln § 901 Rz 39, 42, 78 Gegenleistung § 897 Rz 96 – Entwertung § 901 Rz 33, 101, 103 Gegenwartsbedingung s Bedingung, uneigentliche Geldschuld § 901 Rz 103; § 905 Rz 46 ff Gemeingefahr § 901 Rz 60 Gemeinsame Geschäftsgrundlage § 901 Rz 87 f, 94, 100 gemeinsamer Irrtum § 897 Rz 109; § 901 Rz 29, 53 f, 69, 87 Genehmigung – behördliche § 897 Rz 29, 32, 49, 72, 82 ff – des gesetzlichen Vertreters § 897 Rz 80 – der Gewerbebehörde § 901 Rz 94 – der Grundverkehrsbehörde § 897 Rz 50, 82 ff Genossenschaftsvertrag § 898 Rz 6 (FN 14); § 900 Rz 4 Gerichtsgebühren § 901 Rz 99 Gesamtnichtigkeit § 898 Rz 2 ff, 7 ff, 12 ff Gesamtschulden – Erfüllungsort § 905 Rz 57 Gesamtrechtsnachfolge § 900 Rz 2 ff Geschäftsfähigkeit § 897 Rz 26, 65, 80, 85 (FN 332), 99

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Stichwortverzeichnis

Geschäftsgrundlage § 901 Rz 4, 26 ff – Änderung § 901 Rz 20 – Definition § 901 Rz 73 – Fehlen § 901 Rz 67 ff – gemeinsame § 901 Rz 87 f, 94, 100 – große § 901 Rz 60 – objektive § 901 Rz 28 f, 38, 50, 60 – Oertmann’sche Formel § 901 Rz 73 – Sphärenfremdheit § 901 Rz 20 f, 32, 34, 40, 55, 62, 70, 79, 90 ff – subjektive § 901 Rz 28 f, 38, 50, 87, 111 – Subsidiarität § 901 Rz 64, 74 ff – Tatbestände § 901 Rz 42 – Unvorhersehbarkeit § 901 Rz 20 f, 32, 34, 40, 55, 62, 70, 79, 96 ff – Vorhersehbarkeit § 901 Rz 20 f, 32, 34, 40, 55, 62, 70, 79, 95 ff – Wegfall § 897 Rz 106, 110; § 901 Rz 19 f Geschäftsirrtum § 897 Rz 84, 106; § 901 Rz 9, 21 f, 46, 53, 68 geschäftstypische Voraussetzung § 897 Rz 6; § 901 Rz 84 ff Gesetzeslücke § 901 Rz 32 Gestaltungsrecht § 897 Rz 4, 15, 26, 37, 53, 65, 76 ff, 95, 97, 98 ff, 107; § 898 Rz 13; § 900 Rz 4 ff Getränkeautomat § 901 Rz 86, 93 Gewährleistung § 901 Rz 21 Gewerbeberechtigung § 901 Rz 85 Gläubigeranfechtung § 897 Rz 57; § 901 Rz 21 Glücksvertrag § 899 Rz 7 große Geschäftsgrundlage § 901 Rz 60 grundbücherliche Eintragung § 897 Rz 55, 59, 83, 85 f Grunderwerbssteuer § 901 Rz 75, 97 Grundlagenirrtum § 901 Rz 51 Grundverkehrsbehörde § 897 Rz 50, 82 ff Grundverkehrskommission § 901 Rz 88 Gutgläubiger Eigentumserwerb § 897 Rz 53; § 901 Rz 21 Gutschein § 906 Rz 16 Haftung des Schenkers § 899 Rz 9; § 901 Rz 21 Haftungsfonds § 897 Rz 54 Hälfteregel § 901 Rz 59 Handelsvertreter § 901 Rz 93 Handlung § 899 Rz 8 heterologe Insemination § 901 Rz 91 höchstpersönliche Rechte § 900 Rz 4 ff Holschuld § 905 Rz 20 Honoraranspruch § 901 Rz 83 hypothetischer Parteiwille § 897 Rz 32, 63, 70, 84, 89, 96; § 898 Rz 7 ff, 12, 14; § 899 Rz 7; § 901 Rz 36, 83; § 914 Rz 33 ff, 66, 204 ff

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Stichwortverzeichnis

Incoterms § 904 Rz 37 individuelle Voraussetzungen § 901 Rz 32, 35, 84 Inhaltskontrolle § 898 Rz 6 Interessewegfall § 897 Rz 104, 108 f; § 901 Rz 39 Interpretatio contra proferentem § 914 Rz 11, 16; § 915 Rz 2, 4ff, 28 ff Insemination, heterologe § 901 Rz 91 Insolvenzverfahren § 897 Rz 54, 57, 60, 79 Investitionsablöse § 897 Rz 70 Irrtum – Anfechtung § 897 Rz 84, 106 ff, 112; § 901 Rz 82 – Arglist § 901 Rz 14 – Erklärungsirrtum § 901 Rz 22, 24 – gemeinsamer § 897 Rz 109; § 901 Rz 29, 53 f, 69, 87 – Geschäftsirrtum § 897 Rz 84, 106; § 901 Rz 9, 14, 21 f, 46, 53, 68 – Grundlagenirrtum § 901 Rz 51 – im Beweggrund § 901 Rz 14, 21 – in der Person § 901 Rz 14 – Kausalität § 901 Rz 17 f, 21 – Motivirrtum § 897 Rz 112; § 901 Rz 1, 14, 19, 21, 46, 53, 58 – über den Bewegungsgrund § 901 Rz 15 – über die Rechtslage § 897 Rz 84; § 901 Rz 70 – über Gegenwärtiges § 901 Rz 46, 68 – über Zukünftiges § 901 Rz 19 f, 46, 51, 68, 82 – Veranlassung § 901 Rz 54, 70 – Vergleichsirrtum § 901 Rz 70, 82 – wesentlicher § 901 Rz 23 Jugenderholungsheim § 901 Rz 99 Kaffeebezugsvertrag § 901 Rz 85, 92 Kategorieanhebung § 901 Rz 86, 91, 97 Kauf – auf Abruf § 904 Rz 35 – auf Probe § 897 Rz 32, 36, 99 Kauf einer erhofften Sache § 897 Rz 32 Kausalität – Bedingungsvereitlung § 897 Rz 70, 72, 87 – des Irrtums § 901 Rz 17 f, 21 – des Verfügungsgeschäfts § 897 Rz 53, 114 – Vertragsabschluss § 901 Rz 56 Kaution § 908 Rz 56 Kinobetreiber § 901 Rz 83, 102 Know-How-Vertrag § 901 Rz 86 Kompensation siehe Aufrechnung Kondiktion bedingt geschuldeter Leistungen § 897 Rz 45, 56, 84 f 531

Stichwortverzeichnis

konkrete Vorstellungen § 901 Rz 53 Konkurrenz § 901 Rz 99 – elektive § 906 Rz 19, 42 f Konkurrenzverbot § 898 Rz 6, 12 f Konsens – natürlicher § 901 Rz 24 – normativer § 901 Rz 24 Konventionalstrafe siehe Vertragsstrafe Konversion § 914 Rz 21 ff Konzession § 901 Rz 85 f, 91 Kostenvoranschlag ohne Garantie § 901 Rz 39 Krankenanstaltenfinanzierung § 901 Rz 92 Kündigung – Anpassung § 901 Rz 65 – bedingte § 897 Rz 76 f – aus wichtigem Grund § 901 Rz 63 ff, 80 – ordentliche § 901 Rz 81 – Verzicht § 901 Rz 83 – Vorrang § 901 Rz 64 Kündigungsschutz § 897 Rz 77 Kurbetrieb § 901 Rz 97 laesio enormis § 897 Rz 100 f; § 901 Rz 37, 47, 59 Lebensgemeinschaft § 897 Rz 109; § 901 Rz 19, 86 Lebensmittelgeschäft § 901 Rz 99 Leihe § 901 Rz 16 Leistung an Zahlungs Statt § 897 Rz 62 Leistungserfolg § 904 Rz 4 Leistungserschwerung § 901 Rz 101 f Leistungshandlung § 904 Rz 4 Leistungsstörungsrecht § 897 Rz 104; § 901 Rz 48 f Leistungsstörungstatbestände § 901 Rz 39, 42 Leistungszeit s auch Fälligkeit und Erfüllbarkeit − ungewisse § 904 Rz 20 − wesentlicher Vertragsbestandteil § 904 Rz 3 − Willkürvorbehalt § 904 Rz 14 List § 901 Rz 22 logische Unmöglichkeit § 901 Rz 48 Machthaber § 905 Rz 69 Mahnung § 904 Rz 45, 50 Mahnverfahren § 904 Rz 27, 73 Maklervertrag § 897 Rz 20 Marktentwicklung § 901 Rz 93

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Stichwortverzeichnis

Mäßigungsrecht – Angeld § 908 Rz 47 f – Reugeld § 909 Rz 24; § 911 Rz 17 ff Mentalreservation § 901 Rz 25 Mietvertrag § 897 Rz 70, 76, 92, 104; § 898 Rz 12 Mietzinsminderung § 901 Rz 75 Mineralölhändler § 901 Rz 94 Motiv § 897 Rz 15, 21, 106, 110 ff; § 901 Rz 4 Motivirrtum § 897 Rz 112; § 901 Rz 1, 14, 19, 21, 46, 53, 58 Müllbeseitigungskosten § 901 Rz 97 Mutterschutzfrist § 902 Rz 22; § 903 Rz 2, 4, 18 Nachlass § 900 Rz 1 ff nachträgliche Unmöglichkeit § 897 Rz 32, 50, 61, 96; § 899 Rz 9; § 900 Rz 5; § 901 Rz 32, 42, 48 Natur der Sache § 904 Rz 9, 44 ff Naturalkomputation § 902 Rz 4 f natürliche Rechtsgrundsätze § 901 Rz 32 natürlicher Konsens § 901 Rz 24 Nebengebühren §§ 912, 913 Rz 1 ff Nebengebührensicherstellung §§ 912, 913 Rz 16 Nebenpflichten – Erfüllungsort § 905 Rz 27 Neuverhandlungspflicht § 901 Rz 106 Nichtigkeit § 897 Rz 84; § 898 Rz 2 ff, 7 ff, 12 ff Nichtverehelichungsklausel § 898 Rz 1, 6, 13 f normativer Konsens § 901 Rz 24 Notariatsakt § 897 Rz 24, 111 NSV-Kindergarten § 901 Rz 97 objektive Geschäftsgrundlage § 901 Rz 28 f, 38, 50, 60 Obliegenheit § 897 Rz 105 f, 108; § 899 Rz 9 Oertmann’sche Formel § 901 Rz 73 Offenbar-Auffallen-Müssen § 901 Rz 54 Ölkonzern § 901 Rz 98 Oppositionsklage § 901 Rz 107 Option § 897 Rz 95, 100; § 908 Rz 55, § 909 Rz 49 f Pachtvertrag § 901 Rz 75 Parteibedingung § 897 Rz 11, 80, 87 Parteiwille, hypothetischer § 897 Rz 32, 63, 70, 84, 89, 96; § 898 Rz 7 ff, 12, 14; § 899 Rz 7; § 901 Rz 36, 83 Patentschutz § 901 Rz 86 Pension § 901 Rz 88 533

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Pensionszusage § 897 Rz 70; § 898 Rz 12; § 901 Rz 86 Pfändung § 897 Rz 52, 54 Potestativbedingung § 897 Rz 9, 26, 32, 34, 35 ff, 51, 53, 65, 76 ff, 98 ff, 107; § 898 Rz 13; § 899 Rz 1, 4 ff, 8; § 900 Rz 4 ff Prioritätsprinzip § 897 Rz 53 Privatklinik § 901 Rz 85, 92 Privatschule § 901 Rz 98 Probezeit § 902 Rz 30; § 903 Rz 19 Protestatio facto contraria § 914 Rz 137 Provision § 897 Rz 20; § 901 Rz 93 Prozesshandlung § 897 Rz 75 Publizitätserfordernisse § 897 Rz 53, 67 Ratenzahlung § 904 Rz 13, 26 Räumungsklage § 897 Rz 85 Räumungsvergleich § 901 Rz 99 reale Vorstellung § 901 Rz 51 Recht – dingliches § 897 Rz 53 – dispositives § 897 Rz 95 f; § 900 Rz 7 (FN 18); § 901 Rz 42, 77 ff – höchstpersönliches § 900 Rz 4 ff – zur Innehabung § 897 Rz 54 – subjektives § 897 Rz 37, 98, 104 Rechtsbedingung § 897 Rz 9, 11, 23, 29, 71, 80 ff Rechtsbesitz § 897 Rz 53 Rechtsgeschäft – bedingungsfeindliches § 897 Rz 38, 73 ff, 92 – einseitiges § 897 Rz 8, 13, 19, 73, 76 ff, 92 – notwendig bedingtes § 897 Rz 20 – teilbedingtes § 897 Rz 23, 32, 48, 53 – unentgeltliches s Unentgeltliche Rechtsgeschäfte Rechtsgrundsätze, natürliche § 901 Rz 32 Rechtskraft § 904 Rz 71 Rechtsmissbrauch § 897 Rz 49, 70 Rechtsmissbrauchsverbot § 904 Rz 14 Rechtsmittel § 897 Rz 51, 84 Rechtssicherheit § 897 Rz 62, 75 ff, 107 rechtzeitige Aufklärung § 901 Rz 54 Redintegration § 897 Rz 112; § 901 Rz 21 Reduktion – geltungserhaltende § 898 Rz 12 – teleologische § 897 Rz 8; § 898 Rz 3, 6 ff, 11, 12 Reiseveranstalter § 901 Rz 42 Reiseveranstaltungsverträge § 901 Rz 112; § 906 Rz 14; § 909 Rz 5; § 911 Rz 21 f Resolutivbedingung s Bedingung, auflösende 534

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Respiro § 904 Rz 67 Reugeld § 909 Rz 1 ff; § 910 Rz 1 ff; § 911 Rz 1 ff Risiko – Baugrund § 901 Rz 42 – Endemie § 901 Rz 42 – Terror § 901 Rz 42 Risikoverteilungsregel § 901 Rz 41 Röntgenarzt § 901 Rz 92 Rückabwicklung § 897 Rz 32, 66, 68, 85 f, 108; § 898 Rz 13; § 900 Rz 8 (FN 21) Rücktrittsrecht § 897 Rz 36, 49, 51, 95, 102, 104 Rückverkaufsrecht § 897 Rz 32; § 900 Rz 8 Rückwirkung – des Bedingungseintritts § 897 Rz 9, 45, 53, 66 ff, 86, 91 – dingliche § 897 Rz 45, 53, 67, 86, 91; § 901 Rz 108 Ruin § 901 Rz 102 Saline § 901 Rz 78 Schadenersatz – Währung § 905a Rz 39 ff Schadensteilung § 901 Rz 60 Scheckeinlösung § 897 Rz 76 Scheidungsfolgenvergleich § 897 Rz 6 Scheingeschäft – Abgrenzungen § 916 Rz 20 ff – prozessuale Aspekte § 916 Rz 56 ff – Rechtsfolgen gegenüber Dritten § 916 Rz 45 ff – Rechtsfolgen inter partes § 916 Rz 36 ff – Verhältnis zur schadenersatzrechtlichen Verantwortlichkeit der Parteien § 916 Rz 12 ff Scheinvater § 901 Rz 91 Schenkung § 901 Rz 16 – auf den Todesfall § 897 Rz 32; § 901 Rz 19 – Form § 897 Rz 111 – Haftung § 899 Rz 9; § 901 Rz 21 – Widerruf § 901 Rz 19, 21 Schichtrechte § 901 Rz 78 Schickschuld § 904 Rz 4, 11; § 905 Rz 21 f, 58 ff Schiedsgutachtenvertrag § 904 Rz 39 Schriftform § 897 Rz 24, 65 Schwierigkeit, überobligationsmäßige § 901 Rz 101 Sittenwidrigkeit § 897 Rz 73 ff, 92; § 898 Rz 6, 12 ff; § 901 Rz 72 Skonto § 904 Rz 68 Softwareüberlassung § 901 Rz 86 Sozialexistenz § 901 Rz 34 Sparguthaben § 905 Rz 54 535

Stichwortverzeichnis

Spezifikationskauf § 906 Rz 15, 28 ff Sphärenfremdheit § 901 Rz 20 f, 32, 34, 40, 55, 62, 70, 79, 90 ff Sphärentheorie § 901 Rz 79 Stadtchronik § 901 Rz 78, 91 Stiftungserklärung § 897 Rz 19 Stilllegung des Betriebs § 901 Rz 42 Stornogebühren § 909 Rz 4 ff, 36 ff Stornovereinbarung § 901 Rz 85 Strohmanngeschäft § 916 Rz 34 Stundenfristen § 902 Rz 36 f Stundung § 901 Rz 106; § 904 Rz 61 ff − ändernde § 904 Rz 62 − Bürge und Zahler § 904 Rz 63 − einfache § 904 Rz 63 − kraft Gesetz § 904 Rz 66 Subjektive Geschäftsgrundlage § 901 Rz 28 f, 38, 50, 87, 111 Subsidiarität § 901 Rz 38, 44, 64, 74 ff – der Haftung § 897 Rz 32, 56 Suspensivbedingung s Bedingung, aufschiebende System, bewegliches § 901 Rz 37, 59 Systemänderung § 901 Rz 99 Tabakmonopolverwaltung § 901 Rz 88 tacita conditio § 897 Rz 6, 109; § 901 Rz 27 Tankstelle § 901 Rz 85, 94, 98 Teilleistungen § 901 Rz 106 Teilnichtigkeit § 897 Rz 74, 86; § 898 Rz 2 ff, 7 ff, 12 ff Teilungsregel § 901 Rz 60 Terminsverlust § 897 Rz 23 Terrorrisiko § 901 Rz 42 Tierarzt § 897 Rz 41 Tradition, kausale § 897 Rz 18, 53, 115 Trafik § 901 Rz 88 Transmission § 900 Rz 7 Transparenzgebot § 914 Rz 48, § 915 Rz 10 Treu und Glauben § 897 Rz 51, 70, 84; § 901 Rz 45 Treuepflichtklausel § 898 Rz 12 Typenzwang – sachenrechtlicher § 897 Rz 53 – schuldrechtlicher § 897 Rz 114 (FN 431) typische Voraussetzung § 901 Rz 32, 35, 85 Typizität § 901 Rz 40, 56 Überbrückungsgeld § 901 Rz 83 Übergabsvertrag, bäuerlicher § 898 Rz 13 536

Stichwortverzeichnis

Überlebensbedingung § 897 Rz 32 Überobligationsmäßige Schwierigkeit § 901 Rz 101 Umgehungsgeschäft § 916 Rz 21 ff Umtauschvorbehalt § 906 Rz 17 Umweggeschäft § 916 Rz 21 ff Umwidmung § 901 Rz 97 Unbestimmtheit der Willenserklärung § 897 Rz 4; § 898 Rz 1, 3 f, 7 ff uneigentliche Bedingung § 897 Rz 31, 40 ff, 51, 56, 66, 75 f, 90; § 899 Rz 2 ff; § 901 Rz 5 unentgeltliche Rechtsgeschäfte § 897 Rz 103, 111 f; § 899 Rz 9; § 901 Rz 7, 15 ff – Beweislast § 901 Rz 18 – Unklarheitenregel § 897 Rz 111 unentgeltliche Verträge § 901 Rz 15 f unentwickelte Bedingung § 897 Rz 111; § 901 Rz 7, 13, 27 Unerschwinglichkeit § 901 Rz 32, 48, 72, 101 Ungültigkeit § 897 Rz 73 ff, 84; § 898 Rz 1 ff; § 901 Rz 23 Universalsukzession s Gesamtrechtsnachfolge Unklarheitenregel – unentgeltliche Rechtsgeschäfte § 897 Rz 111 Unmöglichkeit – anfängliche § 897 Rz 43; § 898 Rz 1 ff, 5, 7 ff; § 899 Rz 5; § 901 Rz 68 – nachträgliche § 897 Rz 32, 50, 61, 96; § 899 Rz 9; § 900 Rz 5; § 901 Rz 32, 42, 48 – logische § 901 Rz 48 Unsicherheitseinrede § 901 Rz 38 Unterhalt § 904 Rz 40, 47 – Währung § 905a Rz 43 ff Unterhaltsvereinbarung § 901 Rz 112 Unterstellung s Bedingung, uneigentliche Unvermögen § 899 Rz 9; § 901 Rz 103 Unvorhersehbarkeit § 901 Rz 20 f, 32, 34, 40, 55, 62, 70, 79, 96 ff Unzeit § 904 Rz 11, 14 Unzumutbarkeit § 901 Rz 48, 101 Veranlagungsgeschäft § 901 Rz 86 Veranlassung § 901 Rz 54, 70 Veräußerungs- und Belastungsverbot § 897 Rz 53; § 901 Rz 86 Verbrauchergeschäft § 901 Rz 54 Verderben, wirtschaftliches § 901 Rz 102 Verfassungsgerichtshof § 897 Rz 86 Verfügung – einstweilige § 897 Rz 49, 85 – letztwillige § 897 Rz 8, 19, 62; § 898 Rz 1 f; § 899 Rz 5 Verfügungsgeschäft § 897 Rz 18, 33, 53, 114 537

Stichwortverzeichnis

Vergleich § 901 Rz 85 f – gerichtlicher § 897 Rz 58, 75; § 904 Rz 27, 70 Vergleichsirrtum § 901 Rz 70, 82 Verjährung § 897 Rz 58, 62; § 901 Rz 82, 110; § 904 Rz 29, 57 Verkehrswert § 901 Rz 75 Verkürzung über die Hälfte § 897 Rz 100 f; § 901 Rz 37, 47, 59 Verlobung § 901 Rz 19 Versicherungsvertrag § 897 Rz 20, 23; § 898 Rz 6 (FN 23), 10 Verspätungsgefahr § 904 Rz 4 Vertragsanpassung § 897 Rz 107; § 901 Rz 104 Vertragsauslegung § 901 Rz 11, 38 – Abgrenzung zur Vertragsanfechtung § 914 Rz 49 ff – Abgrenzung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage § 914 Rz 65 ff – AGB § 914 Rz 166, 174, 324 ff – AVB § 914 Rz 324 ff – Bankgarantien § 897 Rz 62 (FN 205); § 914 Rz 343 ff – Bescheiden § 914 Rz 83 – Beschlüssen § 914 Rz 312 ff – Betriebsvereinbarungen § 914 Rz 79 – bücherlichen Rechten § 914 Rz 308 ff – einfache § 897 Rz 6 (FN 10); § 901 Rz 38; § 914 Rz 94 ff – ergänzende § 897 Rz 6 (FN 10), 21, 63, 70, 89, 109; § 898 Rz 7 ff, 12; § 899 Rz 7; § 901 Rz 34, 38, 43, 48, 72, 83; § 914 Rz 94 ff – Erklärungen an einen größeren Personenkreis § 914 Rz 304 ff – Erklärungen im Rahmen von Vergabeverfahren § 914 Rz 346 f – Gemeinschaftsvereinbarungen § 914 Rz 312 ff – Gesellschaftsverträgen § 914 Rz 312 ff – Grenzen § 914 Rz 124 ff – Kollektivverträgen § 914 Rz 79 – Konkurrenzklauseln § 914 Rz 340 ff – kundenfeindlichste § 898 Rz 12; § 915 Rz 32 ff – ÖNormen § 914 Rz 324 ff – Prozesshandlungen § 914 Rz 80 – Prozessverträgen § 914 Rz 81 – prozessuale Aspekte § 914 Rz 348 ff – Rechtsvereinheitlichung § 914 Rz 11; § 915 Rz 5 ff – Rechtsvergleich § 914 Rz 10ff; § 915 Rz 4 – Registerrechten § 914 Rz 308 ff – Satzungen § 914 Rz 312 ff – Schiedssprüchen § 914 Rz 82 – Stiftungserklärungen § 914 Rz 321 ff – Urteilen § 914 Rz 82 – Verbandsprozess § 914 Rz 332, § 915 Rz 32 ff – Verhältnis zum dispositivem Recht § 914 Rz 113 ff – Verhältnis zur Gesetzesauslegung § 914 Rz 28 ff – Verzichtserklärungen § 914 Rz 334 ff – Wesen § 914 Rz 83 ff 538

Stichwortverzeichnis

– Ziel § 914 Rz 83ff Vertragshilfe § 901 Rz 106 Vertragskorrektur, richterliche § 901 Rz 34 Vertragslücke § 914 Rz 103 ff Vertragsstrafe § 901 Rz 85; § 908 Rz 5, 50 ff; § 909 Rz 37 ff; §§ 912, 913 f Rz 7 – unechte § 909 Rz 47 f Vertragszweck § 897 Rz 62 f, 70, 89; § 914 Rz 108, 110, 119, 144, 148, 154, 175 ff, 208, 215, 221, 350 Vertrauensinteresse § 901 Rz 21 Vertrauensschaden § 897 Rz 84, 112; § 901 Rz 106 Vertrauenstheorie § 897 Rz 8; § 901 Rz 21, 25; § 914 Rz 6, 11, 89, 129 ff, 151, 169, 221, 350 Verwaltungsgerichtshof § 897 Rz 86 Verzicht § 901 Rz 15, 111 Verzögerungsgefahr § 904 Rz 4 Verzug § 897 Rz 103 f; § 901 Rz 42, 47; § 904 Rz 28, 54 – Wahlrecht, siehe Wahlverzug Voraussetzung § 901 Rz 27 – eines für gewiss gehaltenen Umstands als Bedingung § 897 Rz 6, 21, 32, 89, 109 – individuelle § 901 Rz 32, 35, 84 – geschäftstypische § 901 Rz 84 ff – typische § 901 Rz 32, 35, 85 Vorbehalt des besseren Käufers § 897 Rz 32 Vordienstzeiten, Anrechnung § 901 Rz 98 Vorführung von Werbefilmen § 901 Rz 91 Vorhersehbarkeit § 901 Rz 20 f, 32, 34, 40, 55, 62, 70, 79, 95 ff Vorkaufsrecht § 897 Rz 13; § 900 Rz 8 Vorrang § 901 Rz 64 Vorruhestandsmodell § 901 Rz 83 Vorstellung – fehlende § 901 Rz 51 – konkrete § 901 Rz 53 – reale § 901 Rz 51 Vorvertrag § 897 Rz 101; § 901 Rz 39 Währung § 905 Rz 12 ff; § 905a Rz 1 ff Wahlrecht § 906 Rz 48 ff Wahlschuld – bedingte, siehe reine – reine § 907 Rz 6 f – unbedingte § 907 Rz 8 Wahlverzug § 906 Rz 58 ff Wäschereinigung § 901 Rz 97 Waschmaschine § 901 Rz 85 539

Stichwortverzeichnis

Wasserrechtsbehörde § 897 Rz 82 Wegfall der Geschäftsgrundlage § 897 Rz 106, 110; § 901 Rz 19 f Weiterführung des Betriebs § 901 Rz 92 Werbefilme § 901 Rz 91 Werkunternehmer § 901 Rz 42 Werkvertrag – Reugeld § 911 Rz 15 ff wesentlicher Irrtum § 901 Rz 23 Widerruf der Schenkung § 901 Rz 19, 21 Widerrufsvorbehalt § 897 Rz 102 Wiederkaufsrecht § 897 Rz 32, 78; § 900 Rz 8 Willenserklärung – bedingte § 897 Rz 17 ff, 107 ff; § 898 Rz 11, 13 – stillschweigende § 897 Rz 6, 21, 109 f Willenstheorie § 897 Rz 8, 22, 62; § 901 Rz 21, 25; § 914 Rz 129 ff Willkürbedingung § 897 Rz 36 f, 51, 70, 98, 104 Willkürvorbehalt § 904 Rz 14 − zugunsten juristischer Personen § 904 Rz 18 Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsgeschäfts – gesetzliche § 897 Rz 26, 29, 65, 71, 76, 80 ff, 87, 89 – privatautonome § 897 Rz 2, 6, 14, 21, 82, 89, 95 f, 109 Wirkung – aufschiebende § 897 Rz 86 – dingliche § 897 Rz 45, 53, 67, 86, 91; § 901 Rz 108 – ex-nunc § 897 Rz 66 ff; § 901 Rz 108 – ex-tunc § 897 Rz 9, 45, 53, 66 ff, 86, 91; § 901 Rz 108 wirtschaftliche Entwicklung § 901 Rz 93 wirtschaftliches Verderben § 901 Rz 102 Wohnhauswiederaufbaufonds § 897 Rz 82; § 901 Rz 88, 94 Wohnrecht § 901 Rz 86 Wollensbedingung § 897 Rz 15, 36, 49, 51, 65, 99 ff Zahlung einer Nichtschuld § 897 Rz 45, 56, 85 Zahlungsfähigkeit § 901 Rz 86 Zahlungsklauseln § 904 Rz 37 Zahlungsverzug-Richtlinie § 904 Rz 13, 43 Zession § 897 Rz 33; § 905 Rz 88 Zinsen § 897 Rz 66 Zivilkomputation § 902 Rz 2 f, 5 f, 11 Zufahrt § 901 Rz 91 Zufallsbedingung § 897 Rz 35 ff; § 899 Rz 7 Zug um Zug-Einrede § 904 Rz 72 Zug-um-Zug Leistung – Erfüllungsort § 905 Rz 28 Zug-um-Zug-Prinzip § 897 Rz 13, 18, 96 Zulage § 901 Rz 86, 98 540

Stichwortverzeichnis

Zwang § 901 Rz 22 Zweck der Verbotsnorm § 897 Rz 74, 76, 85 f, 92; § 898 Rz 3, 12 ff Zweckabrede § 897 Rz 97, 106, 113 ff; § 901 Rz 41 Zweckstörung § 901 Rz 100 Zweckvereitlung § 897 Rz 115; § 901 Rz 28

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