Kirche, Kunst und Kanzel: Luther und die Folgen der Reformation 9783412504588, 9783412503796

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Kirche, Kunst und Kanzel: Luther und die Folgen der Reformation
 9783412504588, 9783412503796

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Rolf Bothe

Kirche, Kunst und Kanzel Luther und die Folgen der Reformation

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien | 2017

Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, Marburg, sowie der Internationalen Martin Luther Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abruf bar. Umschlagabbildung  : Eisenberg, Schlosskapelle, 1687, Foto TLDA, Erfurt, Aufnahme Werner Streitberger, 2014. © 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat  : Thomas Theise, Regensburg Korrektorat  : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung  : Satz + Layout, Erftstadt Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50379-6

Grußwort

Es soll dieses Haus darin gerichtet sein, dass nichts anderes darin geschehe, denn dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.

Mit diesem Zitat Martin Luthers aus der Weihe-Predigt der Torgauer Schlosskapelle vom 5. Oktober 1544 sind bereits die beiden wesentlichen und folgenreichen liturgischen Innovationen der Reformation angezeigt  : die lutherische Fokussierung auf »das Wort« und »den Lobgesang«, die evangelische Neubelebung des Gemeindegesangs. Dies blieb für die Gestaltung von »Kirche, Kunst und Kanzel« forthin nicht folgenlos, auch wenn die evangelisch-lutherische Erneuerungsbewegung keine eigene Theologie des Kirchenraums hervorgebracht hat. Und so zeigt uns schon ein flüchtiger Blick auf das Inhaltsverzeichnis der vorliegenden Publikation  : Es geht hier nicht um Veränderungen kirchlicher Architektur infolge der Reformation, sondern um die gesamte Ausstattung, um Kanzel und Altar, Emporen und Gestühl, aber auch um die Form des Gottesdienstes, die Einbeziehung der Gemeinde, die Veränderung der Liturgie und die Bedeutung der Predigt des Evangeliums. In zahlreichen Kapiteln und Abschnitten werden Themen wie theologische Streitigkeiten, die Gegenreformation, Schule und Bildung zur Zeit Luthers und die neue Rolle der Kirchenmusik angesprochen. Die berühmtesten Musiker wie Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach oder Georg Friedrich Händel waren Lutheraner und stammen alle aus Mitteldeutschland. Die prachtvolle Ausstattung protestantischer Kirchenräume widerlegt eindringlich, dass nur katholische Kirchen farbenfroh und aufwendig ausgestattet seien, während sich evangelische Gotteshäuser karg und schmucklos präsentieren. Kirchen wie die Celler Schlosskapelle, die Kirchen von Eisenberg oder Saalfeld in Thüringen, die Dresdner Frauenkirche oder die Ordenskirche im fränkischen Bayreuth behaupten sich ohne Weiteres neben den prächtigsten katholischen Gotteshäusern. Angesichts der umfangreichen Literatur über Martin Luther und die Reformation ist es deshalb erstaunlich, dass protestantische Kirchen erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts genauer untersucht wurden. Die Publi­ Grußwort  |  5

kationen von Peter Poscharsky und Hartmut Mai über Kanzel und Altar bilden den Anfang. In den letzten Jahren rückten Untersuchungen über einzelne Regionen und Epochen in den Vordergrund des Interesses, so über Schlosskapellen in Thüringen oder protestantische Kirchen in Osteuropa. Rolf Bothe unternimmt erstmals den Versuch, den Kirchenraum in den wichtigsten Gebieten der Reformation genauer zu untersuchen. Besonderes Augenmerk erhalten die protestantischen Kirchen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, doch der Blick geht auch in die an Mitteldeutschland angrenzenden Gebiete wie Nordhessen und Franken. Erläutert werden ferner die Auswirkungen der Reformation infolge gesellschaftlicher und konfessioneller Veränderungen, die beispielsweise bei Glaubenswechseln auftraten. So wurden von protestantischer Seite Kanzeln errichtet, katholische Hochaltäre aber verändert oder entfernt und umgekehrt. In Grenzgebieten wie im südlichen Thüringen oder dem Gebiet um Coburg errichteten katholische Baumeister protestantische Kirchen. Die Ähnlichkeiten zwischen evangelischem Kanzelaltar und katholischem Hochaltar sind dabei mitunter kaum zu übersehen. Im Zentrum des Buches steht, wie könnte es auch anders sein, der protestantische Kanzelaltar  : die wichtigste Erfindung in der Geschichte des evangelischen Kirchenraums. Der Kanzelaltar mit seinen emblematischen Figuren und Schmuckwerk ordnet Kanzel und Altar zu einer architektonischen Einheit. »Das Wort« wird, im Bilde gesprochen, über »das Sakrament« – das heißt über das Abendmahl, die Eucharistie – als die ursprüngliche theologisch-liturgische Wurzel des christlichen Gottesdienstes gestellt. Diese Publikation gewinnt aber auch eine ganz eigene Spannung durch die Schilderung zahlreicher Begebenheiten, die selbst manchem erfahrenen Kunsthistoriker bislang unbekannt sind. Wer weiß schon, dass der bekannteste Maler und Illustrator der Reformation, Lucas Cranach  d. Ä., keine Scheu hatte, für katholische Auftraggeber zu arbeiten, Bilder mit katholischen Heiligen zu malen oder dass er mehrere Porträts von einem seiner größten Widersacher anfertigte, dem katholischen Herzog Georg von Sachsen. Der reich bebilderte Band untersucht 135 Kirchenbauten in Sachsen und Thüringen, in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg, Hessen, Bayern, Niedersachsen und Mecklenburg. Die Internationale Martin Luther Stiftung mit Sitz in Eisenach und ihrer Geschäftsstelle im Evangelischen Augustinerkloster zu Erfurt freut sich, dass ihr Luther Rosen-Preisträger 2011, der Münchner Zeitungsverleger Dr.  Dirk Ippen, dieses Buchprojekt so kräftig gefördert hat. Wir unterstützen diese Publikation ebenfalls sehr gern, verweist sie doch auf ein Grundanliegen unserer Stiftung, nämlich die Grundimpulse der Reformation in einen Dialog von Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu übersetzen. 6  | Grußwort

In diesem Sinne wünsche ich diesem Buch viele neugierige und dialogfreudige Leserinnen und Leser. Dr. Thomas A. Seidel Geschäftsführender Vorstand der Internationalen Martin Luther Stiftung

Grußwort  |  7

Inhalt

5 Grußwort 13 Danksagung 17

Stand der Forschung

19 Einführung 23 Die Predigt 25 Messe und Predigt in der katholischen Kirche 26 Der evangelische Gottesdienst 26 Ablauf des Gottesdienstes 29

Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg

37

Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

37 37 40 46 58

Gottesdienst und Schule Kirche und Kanzel vor der Reformation Emporen und Gestühl Bildersturm und Bilderflut in Deutschland Die Bilderfeindlichkeit des reformierten Landgrafen Moritz von Hessen (reg. 1592–1627) Schule und Bildung Glaube und Gewalt – in beiderlei Gestalt Kirchenlied und Kirchenmusik Die Orgel Bläsermusik und Turmsonaten Musikpraxis und Herrnhuter Posaunenchöre

58 61 66 68 74 75 79 79 85 85 88 91 91 92 94

Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

Die Schlosskapelle in Celle Die Kapelle von Schloss Augustusburg bei Chemnitz Die Kanzelaltäre in Rotenburg a. d. Fulda und in Schmalkalden Frühe Kanzelaltäre in Querkirchen Die Reformation und die katholische Kirche

Die Confessio Augustana von 1530 Gegenreformation und Jesuiten Jesuitische Kirchen Inhalt  |  9

  97

Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

  97 Der Kanzelaltar   99 Die Schlosskirchen   99 Die Kapelle des Schlosses Friedenstein in Gotha 101 Das Herzogtum Sachsen-Weimar und die Schlosskirche der neuen Residenz 104 Die Schlosskirche zu Weißenfels 105 Die Christiansburg in Eisenberg 105 Schloss Saalfeld und seine Kapelle 108 Die städtischen Kirchen und die Dorfkirchen 108 Bendeleben (Kyffhäuserkreis), Sankt Pankratius 109 Niederroßla (Weimarer Land), Dorfkirche 109 Buttstädt (Landkreis Sömmerda), Sankt Michaelis 112 Mellingen (Weimarer Land), Sankt Georg 113 Magdala (Weimarer Land), Sankt Johannes Baptista 114 Suhl, Sankt Marien 115 Großenhain (Landkreis Meißen), Sankt Marien 116 Zentralbauten 119 Untersuhl (Wartburgkreis), Rundkirche 120 Carlsfeld (Landkreis Aue-Schwarzenberg), Trinitatiskirche 120 Waltershausen (Landkreis Gotha), Gotteshilfkirche 124 Dresden, Frauenkirche 125 Ludwigslust (Landkreis Ludwigslust-Parchim), Schlosskirche 127 Geba (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Dorfkirche 129 132 138 142 144 147

Bildwerke in lutherischen Kirchen

Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen Idstein (Rheingau-Taunus-Kreis), Unionskirche Hof (Saale), Hospitalkirche Bayreuth, ehem. Ordenskirche Sankt Georgen Mechterstädt (Landkreis Gotha), Pfarrkirche Sankt Marien

149

Tabernakel-Hochaltar und Retabel-­Kanzelaltar in Thüringen und Franken

155 155

Evangelische Kirchen in Südthüringen

Römhild (Landkreis Hildburghausen), Sankt Marien und ­Gottesackerkirche 157 Waltershausen (Landkreis Gotha), Gotteshilfkirche 158 Helmershausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche 159 Wohlmuthausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche 161 Bettenhausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche »Zum Heiligen Kreuz«

10  | Inhalt

Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen Nentershausen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche Ronshausen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche Richelsdorf (Gemeinde Wildeck, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche 172 Weiterode (Stadt Bebra, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche 182 Mansbach, Gemeinde Hohenroda (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Dorfkirche 183 Ausbach (Gemeinde Hohenroda, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche 185 Odensachsen (Gemeinde Haunetal, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche 186 Gersfeld/Rhön (Landkreis Fulda), Stadtpfarrkirche 187 Nieder-Moos (Gemeinde Freiensteinau, Vogelsbergkreis), Pfarrkirche

163 165 170 170

189 189 190 190 190

Reformierte Kirchen in Berlin und Brandenburg-­Preußen

Berlin, Dorotheenstädtische Kirche Königsberg (heute Kaliningrad), Burgkirche Potsdam, Garnisonkirche Berlin, Parochialkirche

195

Reformation und architekturtheoretische Schriften

203

Theologische Streitigkeiten oder Der schwierige Weg von der Reformation bis zur Aufklärung

207

Eine neue Frömmigkeit

211 213 213 215

Neugotik als Kirchenstil

Kirchen im Gartenreich Wörlitz Wörlitz, Sankt Petri Riesigk, Dorfkirche

219

Der Berliner Kirchenstreit zwischen Karl Friedrich Schinkel und Louis Catel

227

Klassizistische Kanzelaltäre in Thüringen und Sachsen

231

Eine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817

237 238 239 241

Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

Weimar, Jakobskirche Taubach (Stadt Weimar), Sankt Ursula Berga/Elster (Landkreis Greiz), Pfarrkirche

Inhalt  |  11

244 245

Troistedt (Landkreis Weimarer Land), Pfarrkirche Rastenberg (Landkreis Sömmerda), Liebfrauenkirche

249 249 249

Kirchen im Spätwerk Coudrays

Zickra (Stadt Berga/Elster, Landkreis Greiz), Pfarrkirche Gerthausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Dorfkirche

253

Das Eisenacher Regulativ von 1861

255

Das Wiesbadener Programm von 1891 und das Ende des Eisenacher Regulativs

257 Literatur 273 Bildnachweis 275 Register

12  | Inhalt

Danksagung

Bis vor einigen Jahren war ich das, was man einen durchschnittlichen Kirchgänger nennt. Nach meiner Pensionierung 2004 zogen meine Frau und ich in ein Dorf nach Nordhessen. Dort ergaben sich im kirchlichen Posaunenchor zahlreiche Gespräche, an denen besonders unser Pfarrer einen großen Anteil hatte. Deshalb gilt an erster Stelle mein herzlicher Dank Herrn Pfarrer Bernd Seifert, der mir aus seiner reichhaltigen Luther-Bibliothek viele Bücher zur Verfügung stellte. Einige Diskussionen, auch im Umfeld des Gemeindelebens, haben mir wichtige Anregungen gegeben. Das Ergebnis ist unter anderem die vorliegende Arbeit. Im Übrigen zeigten sich zu meiner Überraschung viele evangelische Pfarrer und auch einige Priester interessierter, als ich je gedacht hätte. Mit einigen Pfarrern stehe ich seither in regem Austausch, und alle rieten mir zu einer Veröffentlichung. Mein ganz besonderer Dank gilt an dieser Stelle Herrn Pfarrer Friedrich Jehnes in Bayreuth, der mir eine Vielzahl von Fotos und andere Unterlagen überließ. Außerdem möchte ich noch jenen Freunden meinen herzlichen Dank aussprechen, die mir bei vielen Recherchen und den zahlreichen Exkursionen zu den Kirchen hilfreich zur Seite standen. Insbesondere gilt dies für Peter Mittmann, den Weimarer Architekten, der zahlreiche Bauten fotografierte und dafür mehrere Reisen unternahm. Dank gilt auch den langjährigen Berliner Freunden Professor Dr. Michael Bollé, dem Architekturhistoriker, dem Denkmalpfleger Dr. Ralph Paschke und dem Kunsthistoriker Dr. Konrad Renger für zahllose Diskussionen und das kritische Lesen der Texte. Natürlich konnten im Rahmen einer fünfjährigen Forschungsarbeit neben unerwarteten Erfolgen auch Enttäuschungen nicht ausbleiben. In dieser langen Zeit hat meine Frau Rosemarie meine Begeisterung ebenso mit mir geteilt, wie sie die unausweichlichen Niederlagen unverzagt mitgetragen hat. Für die liebevolle Unterstützung und die aufgebrachte Geduld bin ich ihr besonders dankbar. Für Rat und Hilfe danke ich  : Herrn Gert Belk, Restaurator in Fulda, Harald Liehr und Julia Roßberg, Böhlau-Verlag, Weimar Prof. Dr. Margot Käßmann, Berlin Dr. Bernd Krebs, ev. Landeskirche Berlin-Brandenburg Pater Joseph Kreitmeir, Vierzehnheiligen Danksagung  |  13

Dr. Thomas A. Seidel, Thüringische Staatskanzlei Prof. Dr. Michael Wolffsohn, München Die vorliegende Publikation wäre wohl kaum zustande gekommen, hätte der Münchner Verleger Herr  Dr.  Dirk Ippen, der Gründer der gleichnamigen Stiftung, die Herstellung des Buches finanziell nicht äußerst großzügig unterstützt. In diesem Zusammenhang danke ich in Hannover der EKD und ihrem Vizepräsidenten des Kirchenamtes, Herrn Dr. Thies Gundlach, sowie Herrn Wolfgang Bönisch für ihre ideelle und finanzielle Unterstützung, ebenso dem EKD-Institut für Kirchenbau in Marburg. Nicht zuletzt gilt mein herzlicher Dank der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck und Frau Prälatin Marita Natt für einen weiteren Zuschuss, um die Herausgabe des Buches sicherzustellen. Gleichfalls danke ich der Internationalen Martin Luther Stiftung. Folgende Institutionen, Gemeinden und Pfarrer sowie Fotografen haben die Herausgabe des Buches gefördert, indem sie Fotografien kostenfrei zur Verfügung stellten. Alsleben, Sankt Kilian, Pfarradministrator Florian Lehnert Aufseß, Pfarrer Martin Völkel und Pfarrer Fr. Jehnes, Bayreuth Augustusburg, Schlossbetriebe GmbH Azmanndorf, Pfarrer Ulrich Hayner Berlin, Stiftung Stadtmuseum Breitenbach a. H. Juri Auel, Journalist und Fotograf Burgwald-Eder, K. H. Völker, Fotograf Celle, Schlossmuseum, Frau Juliane Schmieglitz-Otten Dessau, Evangelische Kirche Anhalts, Johannes Killyen Erfurt, Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Eckhard Baier Freienfels, Pfarrer Fr. Jehnes, Bayreuth Fulda, Stadtarchiv, Dr. Thomas Heiler Gersfeld, Timo Walther, Fulda Großenhain, Marienkirche, Ev. Pfarramt Halberstadt, Martinikirche, Ev. Pfarramt, Aufnahme Andreas Dittmer, Foto DKV München Helsa, Pfarrer Hoffmann Hof, Hospitalkirche, Ev. Pfarramt Kiedrich, Sankt Valentinus und Dionysius, Werner Kremer Landshut, Sankt Martin, Peter Litvai, Fotograf Ludwigslust, Ev. Stadtkirchengemeinde, Pastor Albrecht Lotz Mihla, Pfarrer Hoffmann Mechterstädt, Ev. Pfarramt München, St. Michael, kath. Kirchenstiftung München, Deutscher Kunstverlag, Rudolf Winterstein 14  | Danksagung

Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Dr. Eberhard Paulus Untersuhl, Rundkirche, Pfr. Helrich Vierzehnheiligen, Pater Christoph Kreitmeir Weimar, Klassik Stiftung, Fotoabteilung, Olaf Mokansky Weißenfels, Pfarrer Thomas Junker Zeulenroda, Ev. Pfarramt

Danksagung  |  15

Stand der Forschung

1 Fritsch1893. Poscharsky 1963  ; Mai 1969. 2 Eine erfreuliche Ausnahme bildet die Thüringer Landesausstellung zur Residenzkultur, in der »Die protestantische Bildkunst der ersten reformatorischen Jahrzehnte« und »Die Protestantische Sakralarchitektur« in zwei kurzen Essays gewürdigt werden. Vgl. Kat. Sondershausen 2004, Katalog I, S. 162–172. 3 Großmann 1956, S. 9–14. Meißner 1987. 4 Festschrift Poscharsky 1994  ; Poscharsky 1998.

Die Literatur über Martin Luther und die Reformation – zeitgenössische Quellen wie auch Monografien und Sammelbände – ist an Umfang nur mit der Literatur über Goethe und die Weimarer Klassik zu vergleichen. Angesichts der Fülle an behandelten Themen aus Theologie, Kirchengeschichte, Literaturgeschichte, aber auch Musik und Pädagogik verwundert es einigermaßen, dass die Kirchenbauten in Bezug auf Ausstattung und Form erst in den letzten Jahrzehnten in kunsthistorischen Publikationen stärker berücksichtigt werden. Das Werk K. E. O. Fritschs über den protestantischen Kirchenbau von 1893 ist noch immer gültig. 1963 erschien Peter Poscharskys Werk »Die Kanzel. Erscheinungsform im Protestantismus bis zum Barock« und 1969 Hartmut Mais Publikation über den Kanzelaltar.1 Diese beiden Werke sind bis heute unverzichtbar, auf ihnen beruht die weitere Forschung. Die Ausstellungskataloge und Monografien zu Luther und zur Reformation, die anlässlich des 500.  Geburtstags des Reformators 1983 erschienen sind, oder Katalog und Aufsatzband zur 2.  Sächsischen Landesausstellung »Glaube und Macht – Sachsen im Europa der Reformationszeit« in Torgau 2004 enthalten nur wenige Beiträge zu den Themen Kirchenraum und Gottesdienst. Die genannten Publikationen von Fritsch, Poscharsky und Mai tauchen im Literaturverzeichnis von »Glaube und Macht« nicht auf.2 Gut erforscht sind die hessischen Kirchen durch Dieter Großmann und bayrische Kirchen mit Kanzelaltären durch Helmuth Meißner.3 Wichtige Einzelbeiträge enthält die 1994 erschienene Festschrift für Peter Poscharsky und die 1998 von Poscharsky herausgegebene Publikation über Bilder in lutherischen Kirchen.4 2015 erschien von Niels Fleck »Fürstliche Repräsentation im Sakralraum. Die Schlosskirchen der thüringisch-ernestinischen Residenzen im 17. und beginnenden 18.  Jahrhundert«. Umfassende Untersuchungen bietet das von Jan Harasimowicz 2015 herausgegebene Werk »Protestantischer Kirchenbau der Frühen Neuzeit in Europa. Grundlagen und neue Forschungskonzepte«, in dem 26 deutsch- und englischsprachige Experten sich dem evangelischen Kirchenbau unter besonderer Berücksichtigung der osteuropäischen Kirchen widmen. Auch die Literatur über Luthers Persönlichkeit, Leben, Werk und Wirkung ist nahezu unübersehbar. Deshalb können hier nur wenige Monografien und Handbücher genannt werden, die ich bei meinen Studien verwendete. Zur Einführung in Luthers Werk sei die sechsbändige Ausgabe »Martin Luther. Ausgewählte Schriften«, hrsg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, empfohlen (1. Auflage Frankfurt am Main 1982, mehrere Ausgaben folgten). Unverzichtbar ist das von Al­ Stand der Forschung  |  17

brecht Beutel herausgegebene »Luther Handbuch«, 2. Auflage, Tübingen 2010. Die derzeit beste Biografie über Luther verfasste Heinz Schilling  : »Martin Luther, Rebell in einer Zeit des Umbruchs«, 3. durchgesehene Auflage, München 2014.

18  |  Stand der Forschung

Einführung

Mit der Epoche der Renaissance in den Jahren zwischen 1450 und 1525 und mit der durch Martin Luther ausgelösten Reformation begann in ­Europa die Frühe Neuzeit. Doch wie fing alles an  ? Vorläufer der Renaissance waren italienische Dichter wie Dante (1265–1321), der Verfasser der »Göttlichen Komödie«, und Petrarca (1304–1374). Dessen berühmteste Dichtung ist der »Canzoniere«, worin er in vielen Briefen, Balladen und Sonetten die Liebe zu Laura als Symbol sittlicher Vollkommenheit besingt. Seit Ende des 15. Jahrhunderts breitete sich die Renaissance über ganz Europa aus. Sie führte nicht nur zur vermehrten Wiederentdeckung antiker Schriften, auch in der Kunst berief man sich auf das klassische Altertum. Immer mehr Künstler, Wissenschaftler und Philosophen lösten sich von der mittelalterlich-christlichen Weltauffassung, der Scholastik, die aus dem Unterricht an den Dom- und Klosterschulen, aus der Unterweisung in der christlichen Glaubenslehre hervorgegangen war, wodurch die Künste und Wissenschaften von der Kirche dominiert wurden. Am Beispiel der römischen Geschichte entwickelte der Politiker und Historiograf Niccolò Machiavelli (1469–1527) seine Lehre von der Staatsräson. Sein bedeutendstes Werk, »Il principe« (»Der Fürst«), entstand bereits 1513, erschien aber erst nach seinem Tod. Die Schrift betrifft eine von christlicher Ethik befreite Realpolitik, frei von sämtlichen Moralvorstellungen, und trug trotz aller Kritik viel zur Entstehung der politischen Geschichtsschreibung bei. »Il principe«, das 1532 in der vatikanischen Druckerei publiziert worden war, kam bereits 1559 im Zuge der Gegenreformation auf den Index. In den folgenden Jahrzehnten beschuldigten sich Protestanten und Katholiken gegenseitig, Machiavellis Schriften in politischen Streitigkeiten zu ihren eigenen Zwecken zu missbrauchen. Aus der Renaissance ging der Humanismus hervor, die zweite große geistesgeschichtliche Bewegung der Frühen Neuzeit. Schon Petrarca und Boccaccio hatten auf die antiken Schriftsteller zurückgegriffen, insbesondere auf Cicero, der als Meister der klassischen Sprache und nachzuahmendes Vorbild galt. Durch die Suche nach Handschriften und das Durchforsten alter Bibliotheken wurde die Kenntnis griechischer und römischer Schriftsteller, Politiker und Philosophen erheblich erweitert. Bei Humanisten wie Erasmus von Rotterdam (1466–1536) und dem Erfurter Humanistenkreis, dem Luther nahestand, wurde eine neue, unabhängige Religiosität angestrebt, die den Inhalt der Evangelien mit der Ethik der griechischen Antike verbinden sollte. Gerade in Erfurt fiel die Kritik an der Kirche besonders heftig aus, wenn auch nicht immer so rabiat wie bei Ulrich von Hutten (1488–1523), den Luther in Erfurt Einführung  |  19

persönlich kennenlernte. Die im Humanismus auf brechenden geistigen und kulturellen Gegensätze wurden durch deutschnationale Tendenzen noch verschärft. So schmähte Hutten nicht nur die römische Geistlichkeit, sondern forderte auch ein nationales germanisches Vaterland. Für den Sieg der Reformation ist Hutten von unschätzbarem Wert gewesen. Er unterstützte Luther in Wort und Schrift bis zu seinem frühen Tod. Im Gegensatz zu dem kämpferischen und oft widersprüchlichen Hutten war der brillante Humanist und Kosmopolit Erasmus von Rotterdam ein eher ausgleichender Charakter. Als Textkritiker, Herausgeber und Übersetzer des Neuen Testaments galt er zeitweise als verbindendes Glied zwischen Katholiken und Protestanten. Wie Luther war er zunächst Augustinermönch und stand der Reformation anfangs freundlich gegenüber, wandte sich aber um 1522 von Luther ab, als dieser in unversöhnliche Gegnerschaft zur Kirche geriet. Das Diesseits wurde durch die Renaissance in allen Bereichen des Lebens wirksam, in der Dichtung ebenso wie in den Wissenschaften, die sich von der Bevormundung durch die Theologie emanzipierten. In den Jahrzehnten um 1500 kam es auch zu den großen, weltweiten Entdeckungsreisen, die bekannteste ist jene von Christoph Columbus nach Amerika. 1520 fand Ferdinand Magellan von Südamerika aus den Seeweg über den Stillen Ozean nach Indien, 1531 eroberte Francisco Pizarro das Inkareich in Peru. Es war der Beginn einer weltweiten Kolonialisierung, in dessen Folge es auch zu Glaubenskämpfen und verhängnisvollen Abspaltungen kam. In England verweigerte König Heinrich  VIII. dem Papst die Gefolgschaft, weil dieser die Auflösung seiner Ehe nicht gestattete und gründete die von Rom unabhängige Anglikanische Kirche, blieb aber selbst katholisch. Erst nach seinem Tod 1547 gründete man in England eine calvinistisch-reformierte Kirche. Radikaler als Luther in ihren reformatorischen Bestrebungen waren Ulrich Zwingli (1484–1531) und Johannes Calvin (1509–1564) in der Schweiz und in Frankreich. Sie entwickelten eigene, strengere Lehren, verboten jegliche bildliche Darstellung innerhalb und außerhalb des Kirchenraums. Europa spaltete sich in Katholiken und Protestanten, letztere wiederum in Lutheraner und Reformierte. Kriegerische Auseinandersetzungen waren die Folge, man denke nur an den Schmalkaldischen Krieg. 1531 hatten Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst Johann von Sachsen zusammen mit mehreren deutschen Fürsten und den Städten Bremen und Magdeburg ein Bündnis zur Verteidigung des evangelischen Glaubens geschlossen. 1536 traten dem Bund Anhalt, Pommern, Württemberg und weitere Städte bei. Das Bündnis richtete sich gegen die Politik des streng katholischen Kaisers Karl V. und es kam in den ersten Jahren zu kriegerischen Auseinandersetzungen. In Süddeutschland gewannen die Truppen des Kaisers schnell die Oberhand. In der entscheidenden Schlacht bei Mühlberg an der Elbe unterlagen 1547 20  | Einführung

auch der sächsische Kurfürst Johann Friedrich und Philipp von Hessen den kaiserlichen Heeren. Beide Fürsten gerieten in Gefangenschaft. Der Schmalkaldische Bund löste sich auf. Neuer Kurfürst von Sachsen wurde Herzog Moritz von Sachsen, der evangelische, aber kaisertreue Vetter Johann Friedrichs. Da er sich selbst bald gegen den Kaiser stellte, erstarkten die protestantischen Kräfte wieder. Eine Entspannung gab es durch den Augsburger Religionsfrieden von 1555. Der Frieden von Augsburg brachte den Protestanten die dauerhafte rechtliche Anerkennung im Reich. Gleichzeitig setzte die Gegenreformation der römischen Kirche unter päpstlicher Führung und jener der Jesuiten ein. Die katholischen Fürsten nutzten die Bestimmungen, um ihre Macht zu festigen. Festzuhalten ist, dass Karl V. mit seinem politischen Ziel eines universellen katholischen Kaisertums scheiterte, 1556 dankte er ab. Im Lauf der nächsten Jahrzehnte wuchsen die Spannungen weiter, bis die Auseinandersetzungen im Dreißigjährigen Krieg ihren traurigen Höhepunkt erreichten. In Frankreich wurde die Verfolgung der Hugenotten immer gewalt­ tätiger, in der berüchtigten Bartholomäusnacht wurden 1572 über 20.000 Protestanten calvinistischer Prägung ermordet. In den südlichen Niederlanden hat man calvinistische Protestanten ebenfalls grausam verfolgt, was zur Abspaltung des nördlichen Holland und zu einem achtzig Jahre dauernden Krieg mit Spanien führte. Die Spanier wiederum führten in Mittelamerika die katholische Lehre mit Gewalt ein, während viele Protestanten aus Europa nach Nordamerika auswanderten. Um 1600 war die Reformation ein Ereignis von weltweiter Bedeutung geworden. In diesem Buch geht es um die Auswirkung der Reformation auf das kirchliche Leben vor allem Deutschlands im Spiegel protestantischer Kirchen und ihrer Ausstattung. Erläutert werden an zahlreichen Beispielen die Auswirkungen der Reformation in Gestalt gesellschaftspolitischer und konfessioneller Veränderungen, beispielsweise bei Glaubenswechseln in bestimmten Territorien. So wurden in protestantisch gewordenen Kirchen zum Beispiel Kanzeln errichtet, katholische Hochaltäre jedoch entfernt. Andererseits hat man 1748 nach einem Glaubenswechsel in Weißenfels die protestantische Kanzel wieder entfernt und einen katholischen Hochaltar aufgestellt. Im Zentrum des Buches steht natürlich der Kanzelaltar, die bedeutendste Erfindung in der Entwicklung des protestantischen Kirchenraums. Gemeint ist damit die Anordnung von Altar, Kanzel und darüber liegender Orgel zu einer oft wandfüllenden architektonischen Einheit. Auch jesuitische Kirchenbauten wie Il Gesù in Rom oder Sankt Michael in München wurden als Vergleichsbauten aufgenommen. In Grenz­ gebieten wie im südlichen Thüringen und Coburg bauten katholische Baumeister protestantische Kirchen, so etwa in Suhl, die Ähnlichkeiten zwischen katholischem Hochaltar und protestantischem Kanzelaltar sind oft unübersehbar. Einführung  |  21

Den meisten Menschen ist nicht bekannt, dass Goethe zusammen mit dem Berliner Komponisten Carl Friedrich Zelter 1816 ein Reformationsoratorium plante oder dass Clemens Wenzeslaus Coudray, ein katholischer Architekt französischer Abstammung, in Thüringen zur Goethezeit über zwanzig evangelische Kirchen errichtete, wie in mehreren Kapiteln ausführlich behandelt wird. Luther hat die Menschen über Jahrhunderte herausgefordert, begeistert, aber auch verstört. Angesichts seiner Sprachgewalt, seiner Unnachgiebigkeit und seiner teilweise groben Angriffe gegen Gegner – vor allen Rom – darf es nicht verwundern, dass Person, Werk, Wirkung und Nachwirkung bis heute kontrovers beurteilt werden. Die vorliegende Publikation über die Reformation und ihre Folgen für den Gottesdienst und den Kirchenraum wendet sich insbesondere an Leser, die bislang wenig oder kein Interesse für Kirche und Religion hatten. Ihr Ziel ist es, anhand des Themas deutlich zu machen, dass unsere Geschichte und Kultur auf der griechischen und römischen Antike gründen und von der jüdisch-christlichen Tradition geprägt und geformt wurden. Manchmal sind es einfache Fragen, die beantwortet werden wollen. Es handelt sich im Folgenden auch um die Form des Gottesdienstes, um das Evangelium und damit um Jesus Christus. Was aber bedeutet der Name »Jesus«, und was heißt »Christus«  ? Ich habe zahlreiche Menschen gefragt  : Handwerker, Landwirte, Verwandte und auch Wissenschaftler. Antworten habe ich nicht bekommen, dabei muss man nur in ein Lexikon schauen, wer aber tut das  ? Meyers Lexikon, Bd.  10 von 1905, liefert darüber sechs Seiten, 100 Jahre später heißt es im Zeit-Lexikon von 2005  : »Der Name setzt sich zusammen aus der grch. Form des jüdischen Eigennamens Jehoschua (hebr. Jahwe ist das Heil) und dem Beinamen Christus. – Christus (grch. der »Gesalbte«), die Übersetzung des hebr. Messias  ; im N.T. der Würdename von Jesus von Nazareth, der ihn als den im A.T. verheißenen Messias kennzeichnet.«5 Es ist allgemein bekannt, dass Luther zunächst eine Reform und keine Abspaltung von der römischen Kirche anstrebte. Die Reformatoren bezeichneten sich selbst als evangelisch, während sich der konfessionelle Begriff Protestantismus erst im 17. Jahrhundert durchsetzte. Das Wort leitet sich von der »Protestation« der 19 evangelischen Reichsstände auf dem Reichstag in Speyer 1529 ab, dem Einspruch gegen die katholische Mehrheit, welche die Ausbreitung der Reformation verhindern wollte. Kritik an der römischen Kirche hatte es schon vor Martin Luther gegeben, vor allem durch Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil von 1415, der trotz Zusage freien Geleits gefangen genommen und zum Tod durch Verbrennung verurteilt wurde, weil er die Kirche kritisiert hatte. Die Reformation hat zu Streitigkeiten, Abspaltungen und Hinrichtungen, ja zu Religionskriegen geführt. Auf evangelischer Seite entstanden die Hauptrichtungen der lutherischen und der bilderfeindlichen reformierten Kirche, daneben evange22  | Einführung

5 Meyers Großes Konversations-Lexikon, sechste Auflage, 23 Bände, Leipzig und Wien 1903-1923, Bd. 10, 1905, S. 246– 251  ; Die Zeit – Das Lexikon in 20 Bänden, Hamburg 2005, Bd. 7, S. 276 f.

lische Freikirchen und spezielle Sonderformen wie Baptisten, Puritaner, Calvinisten, Brüdergemeine, Herrnhuter, Pietisten, Quäker und andere. Die katholische Kirche ist bis heute trotz Anfeindungen und Streitigkeiten eine weltweit einheitliche Institution geblieben, was in 2000 Jahren keiner einzigen weltlichen Einrichtung gelungen ist. Sie hat aber Zeiten mit Missständen und gefährlichen Zerfallserscheinungen erlebt. Luther kritisierte in seinem Sendschreiben von 1520 an Papst Leo X. nicht nur den Ablasshandel, sondern den schlechten Zustand der Kirche insgesamt, doch Päpste wie der kriegerische Julius  II. (reg. 1503–1513) oder Leo X. (reg. 1513–1521) waren zu Reformen nicht bereit. Immerhin hatte der greise Papst Hadrian VI. (reg. 1522/23), der Nachfolger Leos, die Situation erkannt und formuliert, »dass Gott diese Verfolgung seiner Kirche geschehen lässt wegen […] der Sünden der Priester und Prälaten. […] Denn wir wissen wohl, dass auch bei diesem Heiligen Stuhl schon seit manchem Jahr viel Verabscheuungswürdiges vorgekommen ist  : Missbräuche in geistlichen Sachen, Übertretungen der Gebote, ja, dass alles sich zum Ärgeren verkehrt hat.«6 Seine Reformbemühungen konnten die Kirchenspaltung jedoch nicht verhindern. Da dem modernen Menschen viele, auch allgemeine Begriffe aus dem kirchlichen Leben nicht geläufig sind, sollen sie im Folgenden kurz erläutert werden. Ohne diese Kenntnis sind die durch die Reformation bedingten Veränderungen im Gottesdienst wie in den Kirchenbauten selbst nicht zu verstehen. Um die Reformation nicht nur zu würdigen, sondern auch zu begreifen, müssen Geschichte, Kultur und Leistung der katholischen Kirche mit einbezogen werden. Unser Wissen und unsere Kultur reichen bis in die Antike zurück. Auf bewahrt in Klosterbibliotheken, wurden antike und mittelalterliche Dokumente  – auch die Bibel – schließlich von Mönchen abgeschrieben. Die Predigt

6 Zit. Schilling 2014, S. 199. 7 Die nachfolgenden Ausführungen sind vor allem folgenden Publikationen entnommen  : Rössler 1986, S. 308–369. RGG 1986, Bd. 5, Stichwort Predigt.

Die Predigt bedeutet Verkündung und Auslegung von Gottes Wort. Die älteste bekannte Predigt ist der sogenannte Zweite Clemensbrief aus dem Jahr 150  n.  Chr., die Ansprache eines Predigers in Korinth.7 Die frühchristliche Predigt verkündet das Heilsgeschehen um Jesus und belehrt über dessen Zusammenhang mit der Heilsgeschichte. Außerdem gibt sie Anweisungen für das Leben in der Gemeinde. In dieser Zeit ist die Predigt Bestandteil des Gottesdienstes. Mit dem Sieg des Christentums unter dem römischen Kaiser Konstantin änderte sich der Charakter der Predigt. Ihre Aufgabe war es nun, die neu gewonnenen Gläubigen mit der Lehre der Kirche bekannt zu machen, die Schrift auszulegen und die Menschen als Christen zu erziehen. Der größte Prediger des 4.  Jahrhunderts war Augustinus (354–430), von dem sich etwa 1000 Predigten, Die Predigt  |  23

Kinder, was ist dis netze

Ja, was bedeutet dieses Netz, das unser Herr sie

Das ist der gedanc und die gehügnisse des menschen

Das Netz, das man auswerfen soll, ist der Gedanke  :

das unser herre hiess werffen  ?

auswerfen hieß und mit dem sie soviel fingen  ?

das sol der mensche zuo dem ersten

seine Erinnerungskraft soll der Mensch zuerst

flisse für sich nemen alle materien, die in zuo

Fleiß all die Gegenstände sich vornehmen, die ihn zu

uswerffen in heiliger betrachtung und sol mit ganzem heiliger andacht reissen oder neigen mügent,

das hochwürdige leben und liden und die heiligen

auswerfen in heiliger Betrachtung und soll mit ganzem heiliger Andacht ziehen und ihn dazu geneigt machen

können  : das ehrwürdige Leben und Leiden, den heiligen

minnenclichen wandelungen und werk unsers herren

liebevollen Wandel und das Werk unseres lieben Herrn.

minne und die liebe durch gange alle sine krefte

Liebe und Freude all seine Kräfte und seine Sinne mit

und sol sich dar in also tieffe erbilden das ime die sine sinne mit also grosser freude und minne, das er die freude nit verbergen müge,

siu breche uz mit eime jubilieren. […]

Liebes kint, enförchte dich nit  ! so echte din schiff faste

gut gemeret ist und geenkert si, so mügent ime di wellen nit geschaden.8

Dahinein soll sich der Mensch so tief versenken, daß ihm durchströme mit so großer Zuneigung und solcher

Freude, daß er diese Freude nicht in sich verbergen kann und sie in Jubel ausbricht. […]

Fürchte dich nicht  ! Ist dein Schiff nur fest und gut

vertäut und verankert, so können ihm die Wellen nichts anhaben.9

Kommentare und Erläuterungen in Nachschriften erhalten haben. Sein bekanntestes Werk ist »De civitate Dei« (»Vom Gottesstaat«). Mit den neuen Aufgaben entfernte sich die Predigt allmählich von der Liturgie, sie wurde zum Aufruf zur Buße. Die mittelalterliche Predigt hat ihre wichtigsten Impulse durch Karl den Großen erhalten. Wieder war es die Christianisierung des heidnischen Brauchtums. Im Jahr 801 wurde jeder Pfarrer gezwungen, an Sonn- und Feiertagen eine Predigt zu halten, und zwar in der jeweiligen Nationalsprache. Die Predigt war Mittel zur Volkserziehung, nicht Bestandteil der Messe. Der Erfolg war allerdings gering, da die Kirche in Rom weiterhin die Bischofspredigt in lateinischer Sprache verlangte. Eine neue Situation entstand durch die Gründung der Bettelorden wie der Franziskaner und Dominikaner im 13.  Jahrhundert. Das einzige Thema der auf Plätzen und Straßen predigenden Mönche war die Buße. Sie zogen von Ort zu Ort, um Leute anzulocken, das Leben der Heiligen zu erklären und die Menschen vor der Sünde zu warnen. Der Schritt von der Bußpredigt zur Ablasspredigt war damit nicht mehr weit, schließlich war der Ablass auch ein Anlass, nämlich zur Bußtheorie. Im 14.  Jahrhundert wurde die Predigt durch die Mystik ergänzt. Ihre bedeutendsten Vertreter waren Meister Eckehart (1260–um 1328), Prior im Kloster Erfurt, und seine Schüler Johannes Tauler (um 1300–1361) und Heinrich Seuse, latinisiert Suso (1295–1366).10 Luther war von Tauler tief beeindruckt und erkannte in ihm eine große Nähe zu seiner eigenen theologischen Auffassung. Deshalb soll an dieser Stelle ein Auszug in mittelhochdeutscher und in neudeutscher Sprache vorgestellt werden. 24  | Einführung

8 Von der Leyen 1964, S. 900–907. 9 Tauler 1987. 10 Vgl. Cruel 1879, S. 370–399.

Es handelt sich um eine Predigt Taulers über den Fischzug des Petrus nach dem Lukas-Evangelium. Jesus bittet den Fischer Simon, auf dem See Genezareth die Netze auszuwerfen, obwohl dieser beteuert, sie hätten die ganze Nacht nichts gefangen  (s. Gegenüberstellung S. 24). Messe und �redigt in der katholischen Kirche

»Messe« ist die Bezeichnung für den Gottesdienst in der katholischen Kirche. Der Begriff kommt von dem lateinischen missa, abgeleitet aus der Entlassungsformel ite, missa est (»geht, die Versammlung ist entlassen«). Die zuvor lateinische Messe besteht seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 aus dem Wortgottesdienst und der Mahlfeier nach dem Vorbild des letzten Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern. Sie gliedert sich in folgende Teile  :11 Einzug und Begrüssung Gemeinsamer Bußakt,

Kyrie

Gloria und Tagesgebet

Wortgottesdienst Lesungen

Halleluja

Eucharistiefeier Gabenbereitung

Sanctus/Benedictus

Evangelium

Hochgebet

Predigt

Vater unser

Credo

Agnus Dei

Fürbitten

Konsekration

Abschluss Segen

Entlassung

Schlussgebet Ankündigung

11 Nach der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1963 findet die Messe größtenteils in der jeweiligen Landessprache statt.

Innerhalb des Wortgottesdienstes, insbesondere der Predigt, die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in deutscher Sprache gehalten wird, kommt es gelegentlich zu bemerkenswerten Neuerungen, die von der evangelischen Predigt grundsätzlich abweichen. So trug beispielsweise im Sommer 2014 ein Pfarrer in der Gladbecker Kirche Sankt Lamberti einen Abschnitt aus Matthäus 15,1–20 vor, den er in der anschließenden Predigt erläuterte und in einer Art szenischer Aufführung mit verteilten Rollen durch Zitate, Chorlieder und Textstellen in Form von Sprechgesängen darstellen ließ. Der gewählte Abschnitt aus Matthäus 15 war durch seinen Bezug auf Fremdenfeindlichkeit besonders aktuell und soll deshalb hier kurz vorgestellt werden. So heißt es, dass sich Jesus einmal in der Nähe von Sidon und Tyrus aufgehalten habe, einem phönizischen Gebiet, das zeitweise von den Griechen beherrscht wurde. Der Evangelist Markus, der das Geschehen ebenfalls beschreibt, spricht von einer griechischen Frau, die den Messias wegen der Krankheit ihrer Tochter um Hilfe angefleht habe. Laut Matthäus verweigerte Jesus jede Hilfe, indem er sagte  : »Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.« Die Frau aber Die Predigt  |  25

überzeugte ihn, dass der Glaube nicht an Grenzen haltmache, und Jesus zeigte sich daraufhin von ihrem Glauben beeindruckt und zur Hilfe bereit. In der Predigt in Gladbeck wurde die fremde Frau von einem farbigen Mädchen aus dem Chor gespielt, was angesichts der heutigen Zeit mit ihrem Fremdenhass und der Verfolgung Andersgläubiger wahrhaftig angemessen und überzeugend war. Besonders beeindruckte die Zuhörer, dass der Chor das Geschehen in einem Lied kommentierte, das sich an Gospelgesänge anlehnte. Die szenischen Darstellungen inmitten einer Messe und als Teil der Predigt zeigen, dass die katholische Kirche sehr wohl ungewöhnliche Neuerungen einführen kann, die dem Empfinden der Gottesdienstbesucher und dem viel gescholtenen Zeitgeist entgegenkommen. Der evangelische Gottesdienst

Über die Erneuerung des gottesdienstlichen Lebens schreibt Luther in der Schrift »Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeinde«, die er 1523 verfasste (vgl. S.  37). Die neue Form des Gottesdienstes sollte einfach sein, aus Lesung und Auslegung der Schrift bestehen, aus Psalmengesang und Fürbitte. Am 5.  Oktober 1544 predigte Luther zur Einweihung der Torgauer Schlosskapelle (vgl. S.  79, Abb.  36). Der Kirchenraum dient dem Reden Gottes durch sein Wort und der Antwort der Gemeinde in Gebet und Lobgesang. Die Gestaltung des Gottesdienstes geschieht nicht ausschließlich durch den Prediger, sondern auch durch die Gemeinde, denn ihr Zuhören, Beten und Singen hat ebenfalls Verkündigungscharakter. Der Gottesdienst findet in deutscher Sprache statt, von der täglich gelesenen Messe ist Abstand zu nehmen. Ablauf des Gottesdienstes

(Der Ablauf kann in den verschiedenen Kirchenkreisen leicht variieren) Begrüßung, Eröffnung und Anrufung Trinitarisches Votum  : »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Unsere Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.« (Aus Psalmenmotiven zusammengesetzte Formel) Eingangslied (Die Gemeinde steht) Psalmgebet, es schließt mit dem Gotteslob  : »Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen.« Das Psalmgebet verbindet uns mit dem Alten Testament, der jüdischen Bibel, also auch mit dem 26  | Einführung

Gottesdienst in der Synagoge. (Gemeinde und Pfarrer beten und singen gemeinsam). Bußgebet »Herre Gott, erbarme dich  ; Christi, erbarme dich […] Kyrie eleison« (Huldigungsruf) Lobpreis »Ehre sei Gott in der Höhe […]« Tagesgebet. Die Gemeinde antwortet mit Halleluja oder (in der Passionszeit) mit »Amen« Die vier Hauptteile des Gottesdienstes Verkündigung und Bekenntnis. Lesung aus dem Alten oder Neuen Testament und Episteln (Textpassagen aus den apostolischen Briefen, Evangelien etc. Gemeinde steht und singt ein dreifaches Halleluja) Glaubensbekenntnis – Lied Predigt Themen aus den sechs Predigttextreihen Lied Abkündigungen Fürbitte – Stilles Gebet – Vaterunser – Schlusslied Bekanntmachungen – Segen Auszug – Kollekte – Musik (meistens Orgel)

Die Predigt  |  27

28  | Einführung

Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg

Luther war sein Leben lang im thüringisch-sächsischen Raum ansässig. Geboren und aufgewachsen in Eisleben, studierte er ab 1501 in Erfurt kurze Zeit Jura, um 1505 ins dortige Augustinerkloster einzutreten. Dort entstand zu Anfang des 16.  Jahrhunderts der Erfurter Humanistenkreis, zu dem Luther während seines Studiums zwischen 1501 und 1505 engen Kontakte pflegte. Der Humanismus ist neben Renaissance und Reformation eine der drei großen geistesgeschichtlichen Bewegungen der Frühen Neuzeit. Er griff auf die antiken Schriftsteller zurück, feierte deren Werke als klassisch und erschloss sie den damaligen Zeitgenossen. Der Humanismus verbreitete sich durch die an zahlreichen Orten gebildeten Vereinigungen, die sogenannten Sodalitates litteraria, über ganz Europa. In Deutschland wurde Heidelberg ihr Zentrum. Der Erfurter Humanistenkreis gehörte zu den bedeutendsten in Deutschland. Hier lernte Luther Ulrich von Hutten (1488–1523) kennen. Auch nach Eintritt ins Erfurter Augustinerkloster hatte Luther Kontakt zu den Erfurter Humanisten, da die Augustinereremiten diesen eng verbunden waren. Nach der Priesterweihe 1507 begann Luther in Erfurt das Studium der Theologie. 1512 wurde er zum Doktor der Theologie promoviert, wegen anhaltender Streitigkeiten in der Erfurter Fakultät aber nach Wittenberg versetzt, wo er eine Professur für Bibelkunde erhielt. In den Jahren 1512 bis 1517 entwickelte er in Vorlesungen seine Rechtfertigungslehre hängte sie in 95  Thesen zur Disputation in der Universität aus. Die neuere Forschung geht überwiegend davon aus, dass der Thesenanschlag nicht an der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg erfolgte. Die Universität und nicht die Straße oder ein Kirchengebäude war wohl die Ursprungszelle der Reformation. Auch waren die Thesen in Latein abgefasst und damit nur Akademikern zugänglich. Sie wurden allerdings sofort ins Deutsche übersetzt und in Einblattdrucken veröffentlicht und verteilt. Erst der sich anschließende Ablassstreit mit Johann Tetzel und Luthers Widersacher Johannes Eck führte 1519 im Leipziger Streitgespräch zum endgültigen Bruch mit dem Papsttum und 1520 zur Verbrennung der Bannandrohungsbulle durch Luther. Nach Luthers Auffassung war das Papsttum eine menschliche Institution und demzufolge nicht unfehlbar. Im gleichen Jahr erschienen die drei reformatorischen Hauptschriften  : »An den christlichen Adel deutscher Nation«, »Von der Freiheit eines Christenmenschen« und »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche«. Am 3. Januar 1521 wurde Luther vom Papst gebannt  ; im Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg  |  29

April verteidigte er sich vor dem Reichstag in Worms, lehnte aber jeden Widerruf ab. Sein Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise, ließ ihn während der Rückreise auf die Wartburg bringen, wo er als Junker Jörg in wenigen Monaten das Neue Testament ins Deutsche übersetzte, das noch 1522 im Druck erschien. Im März 1522 kehrte er trotz Acht und Bann nach Wittenberg zurück, da ihm der Kurfürst Schutz gewährte. Friedrich der Weise und Luther sind einander jedoch persönlich nie begegnet. Im Zentrum von Luthers Theologie steht die Rechtfertigung des Sünders allein aus dem Glauben (sola fide). Alle Christen stehen in der Nachfolge Christi und sind zur persönlichen Priesterschaft berufen. In der staatlichen Gewalt sieht Luther die von Gott gewollte Ordnungsmacht in der Welt. Die Bibel ist oberste Autorität (sola scriptura) und jedem kirchlichen Lehramt übergeordnet, eine priesterliche Vermittlerrolle ist nicht nötig. Ablehnung erfährt auch die Werkgerechtigkeit – allein Gottes Gnade zählt (sola gratia). Der Zölibat entfällt. Von den sieben mittelalterlichen Sakramenten behält er nur Taufe und Abendmahl, mit Einschränkung die Buße bei. Die katholische Messe lehnt er ebenso wie die Verehrung der Heiligen ab, befürwortet aber die Versammlung der Gemeinde um Gottes Wort und Sakrament. Luthers Schriften und Predigten erlebten eine ungeahnte Resonanz und führten zur schnellen Verbreitung der Reformation. Zwischen 1524 und 1527 kam es zum Streit zwischen Luther und dem Humanisten Erasmus von Rotterdam (1465–1536). Luther hatte ab 1516 die von Erasmus herausgegebene erste griechische Edition des Neuen Testaments mit Begeisterung benutzt und pflegte zu dem niederländischen Gelehrten freundschaftliche Beziehungen. Kurze Zeit später kam es jedoch zu Differenzen. Erasmus stand der Reformation anfangs freundlich gegenüber, wandte sich jedoch ab, als Luther in unüberbrückbaren Gegensatz zur Kirche geriet. Weitreichende Differenzen erwuchsen aus der Frage nach der Reichweite des menschlichen Willens. Infolge des Streits um die Freiheit des Willens ging Luther auf unversöhnliche Distanz zu dem berühmten Niederländer. Im Gegensatz zu dessen optimistischem Menschenbild beharrte Luther auf der Unfreiheit des menschlichen Willens, da der Mensch ohne die Gnade Gottes hoffnungslos in der Sünde gefangen sei.12 Die Vorstellung von Luther als heroischem Kämpfer – gleichsam in der Nachfolge des Apostels Petrus als Fels in der Brandung – ist von der Forschung schon lange korrigiert worden. Viel beachtet und bis heute interpretationsleitend sind die von seinen Tischgenossen überlieferten Berichte des Reformators über eine schlagartige Erkenntnis, die ihm kam, als er intensiv über das Paulus-Wort Römer  1,17 über die Gerechtigkeit Gottes nachdachte. Als Ort des Geschehens nennt er in den Tischgesprächen den Turm oder die Kloake, gelegentlich auch beide  : »Diese Kunst hat mir der Heilige Geist auf der Cloaca auf dem thorm 30  |  Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg

Abb. 1  Lucas Cranach d. Ä., Martin Luther als Junker Jörg, 1522.

12 Zum Streit zwischen Erasmus und Luther vgl. Schilling 2014, S. 388–397. Luther-Handbuch 2010, S. 142–152.

13 Weimarer Lutherausgabe, Abt. Tischreden, Bd. 2, Nr. 1681, vgl. auch Oberman 1982, S. 163–166, hier S. 164. 14 Vgl. Schilling 2014, S. 148, mit weiteren Angaben zu dem hier angesprochenen Thema. 15 Vgl. Grisar 1911. Grisar widmet sich an mehreren Stellen Luthers nur als boshaft zu bezeichnender Schmähschrift über das Turmerlebnis und zitiert fleißig die Äußerungen von Zeitgenossen und Weggefährten, die sich hauptsächlich in den sogenannten Tischreden in der Weimarer Lutherausgabe finden. Vgl. Bd. 1, S. 320, 323, Bd. 3, S. 978–988. 16 Schilling 2014, S. 137 f. Die Zitate sind bei Schilling erschöpfend nachgewiesen. In vielen Passagen folge ich der Publikation Schillings, der derzeit besten Luther-Biografie.

eingegeben«.13 Die Kloake ist hier nicht nur Abort, sondern auch Ort der Erniedrigung, ein Sammelbecken des Teufels. Gegner wie Anhänger griffen das begierig auf  – die einen, um die Reformation als Kloakentheologie zu verspotten, die andern in andächtiger Verehrung als »Turmerlebnis«.14 Die Äußerung Luthers kann als verbürgt angesehen werden, ist sie doch von mehreren Freunden Luthers zum Teil noch zu dessen Lebzeiten überliefert worden.15 Wahrscheinlich wurde sie als derber Scherz geäußert, aber doch mit einem Körnchen Wahrheit. In die Vorrede zu seinen gesammelten Schriften 1545 hat Luther sie nicht aufgenommen. Wir wissen, dass seine theologischen Erkenntnisse ihm nicht binnen kurzem zugewachsen sind, sondern dass er während mehrerer Jahre mühsam darum gerungen hat. Auch war er kein weltfremder Gelehrter oder gar isolierter Einzelkämpfer, vielmehr war er in Universität und Stadt Wittenberg vielfältig vernetzt, wie wir heute sagen würden. In den frühen Wittenberger Jahren war es vor allem Johann von Staupitz (um 1465–1524), sein Mentor und väterlicher Freund, der ihn förderte, Generalvikar der deutschen Augustinerkongregation und Luthers Vorgänger auf der Bibelprofessur. Noch wichtiger war der theologisch und juristisch ausgebildete Humanist Georg Spalatin (1484–1545), Hofprediger, Berater und Geheimsekretär Friedrichs des Weisen und als Mittelsmann zwischen Luther und dem Kurfürsten für die Durchsetzung der Reformation von größtem Wert. Engster Mitarbeiter war Zeit seines Lebens der Theologe und Gräzist Philipp Melanchthon (1497–1560), der 1518 aus Süddeutschland nach Wittenberg gekommen war und den Lehrstuhl für Griechisch besetzte. Melanchthon war für Luther unverzichtbar  : »Unser Philipp Melanchthon ist ein wunderbarer Mensch, einer, an dem fast alles übermenschlich ist. Er ist mir dennoch vertraut und befreundet. […] Dieser kleine Grieche übertrifft mich sogar in der Theologie. Ich tue diesem Mann alles Gute.« Melanchthon wiederum schrieb  : Ich will lieber sterben als von diesem Mann getrennt werden, eine erstaunliche Äußerung über einen, der kompromisslos und auch stur, ja rücksichtslos gegenüber seinen Mitstreitern sein konnte. Wie hoch Melanchthons Wertschätzung und Anhänglichkeit gegenüber Luther gewesen waren, geht aus einem Brief von 1548, also nur zwei Jahre nach Luthers Tod, hervor  : »Ich ertrug eine fast entehrende Knechtschaft, da Luther oft mehr seinem Temperament folgte, in welchem eine nicht geringe Streitsucht und Rechthaberei lag«.16 Auch in der städtischen Bürgerschaft hatte Luther einflussreiche Freunde und Mitstreiter. Der Maler Lucas Cranach  d. Ä. (1473–1553) lebte seit 1505 in Wittenberg und betrieb dort eine florierende Malerwerkstatt. Er wurde ein enger Freund Luthers, der 1520 Taufpate von Cranachs Tochter war  ; 1525 wiederum war Cranach Trauzeuge bei Luthers Heirat mit Katharina von Bora. Cranach war Unternehmer und Ratskämmerer, wahrscheinlich der vermögendste Mann in Wittenberg. Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg  |  31

Zudem war er nicht nur ein bekannter Maler, der das gesamte Herrscherhaus und hohe Beamte porträtierte, sondern vor allem ein geschäftstüchtiger Grafiker. Fast alle Bibelillustrationen und Darstellungen in Luthers Schriften stammen von ihm und seiner Werkstatt (vgl. S. 51–53). Im kleinen Wittenberg mit etwa 2000  Einwohnern existierten drei Verlage, deren bedeutendster der des Verlegers und Buchdruckers Melchior Lotter  d. J. (um 1490–um 1542) war. Tausende von Broschüren, Einblattdrucken, Flugblättern und theologischen Schriften gingen von Wittenberg aus und verbreiteten Luthers Denken. Wie Luther selbst entstammten fast alle Freunde, Kollegen und Mitstreiter dem aufstrebenden Bürgertum. Nur durch die engen Verbindungen mit Juristen, Theologen, Hof beamten, Künstlern und Verlegern sind der unglaubliche Erfolg von Luthers Wirken und die Reformation selbst zu begreifen. Oft liest man, Luther habe mit seiner Bibelübersetzung eine einheitliche deutsche Sprache geschaffen. Genauer wäre die Aussage, dass wir Luther eine wesentliche Vereinheitlichung unserer Sprache verdanken. Andere vor und nach Luther haben sich ebenfalls um die deutsche Sprache verdient gemacht. Zur Zeit Luthers gab es keine einheitliche deutsche Sprache, seine Bibelübersetzung fußt auf Elementen des Niederdeutschen sowie mitteldeutschen und oberdeutschen Sprachgewohnheiten. Oberdeutsch war die Sprache des Südens, Niederdeutsch seit dem 13. Jahrhundert die Sprache der Hanse und galt im gesamten norddeutschen Raum bis hin nach Wittenberg. Immer wieder klagt Luther über die Schwierigkeiten bei Übersetzungen. Zu Recht hat er darauf hingewiesen, dass wörtliche Übertragungen fast immer zu unverständlichen Texten führen. Er hat sich dazu mehrfach geäußert. In seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« schreibt er 1530  : Ich habe mich beim Übersetzen eifrig bemüht, dass ich rein und klar Deutsch geben möchte. Es ist uns sehr oft begegnet, dass wir […] vier Wochen ein einziges Wort gesucht und gefragt haben.

Im Weiteren gibt er mehrere, teilweise drastische Beispiele wie etwa das folgende  : […] als der Engel Maria grüßt und sagt  : »Gegrüßest seist du, Maria voll Gnaden, der Herr mit dir« (Luk. 1,28). […] Sage mir aber, ob solches auch gutes Deutsch sei  ? Wo redet der deutsche Mann so  : »Du bist voll Gnaden«  ? Und welcher Deutsche versteht, was damit gemeint sei  : »voll Gnaden«  ? Er muss an ein Fass voll Bier denken oder an einen Beutel voll Geld. Darum habe ich’s verdeutscht. […] Gott grüße dich, du liebe Maria.17

An den Beispielen erkennt man, wie schwierig es ist, korrekt zu übersetzen. Vor allem darf man sich nicht von den originalen Texten entfernen, auch wenn diese in sich widersprüchlich sind. Es genügt nicht, Wort für Wort zu übertragen, sondern man muss den Sinn des fremdsprachigen Textes erfassen und mit Worten der eigenen Sprache wiedergeben. 32  |  Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg

17 Bornkamm/Ebeling 1982, Bd. V, S. 146 f., 149 f.

Wer sich christlicher Wahrheit verpflichtet fühlt, wolt meynes Namens geschweygen und sich

wolle von meinem Namen schweigen und sich

Was ist Luther  ? Ist die lere nit meyn  !

Was ist Luther  ? Ist doch die Lehre nicht mein.

Wie keme den ich armer stinkender maden-

Wie käme denn ich armer stinkender Madensack

nit lutherisch, sondern Christen heißen.

Szo bin ich auch für niemant gecreuzigt. […] sack dazu, das man die kynder christi solt mit meynem heyloszen namen nennen  ?

nicht lutherisch, sondern einen Christen nennen. Ebenso bin ich auch für niemanden gekreuzigt. dazu, daß man die Kinder Christi dürfte nach

meinem nichtswürdigen Namen nennen  ?18

Für die Vereinheitlichung der verschiedenen Regionalsprachen und Dialekte spielte der Ende des 15. Jahrhunderts erfundene Buchdruck eine entscheidende Rolle. In den Territorien des Reiches entstanden fürstliche Kanzleien, die in der Rechtsprechung und für gedruckte amtliche Veröffentlichungen auf eine einheitliche Sprache angewiesen waren. Die großen fürstlichen Kanzleien wurden zu Vorbildern, sodass eine förmliche Kanzleisprache entstand, die allmählich überregionale Geltung erlangte. Luther bediente sich, wie er selbst sagte, überwiegend der sächsischen Kanzleisprache, die aus dem Prager Kanzleideutsch herrührte, dem wiederum die kaiserliche Kanzlei der Habsburger folgte  : Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen Sprache, dass mich beide, Ober- und Niederländer verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Canzeley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland.19

18 Luther, WA, Tischreden, Bd. 4, S. 524 f. Da die umfassende Ausgabe nicht in allen Bibliotheken vorhanden und Luthers Sprache für den ungeübten Leser oft schwer verständlich ist, werden im Folgenden auch Ausgaben in neuhochdeutscher Sprache zitiert. Im vorliegenden Beispiel zit. nach Beutel 2010, S. 251. 19 Luther WA, 8, S. 676–687, zit. nach Schilling 2014, S. 280  ; Bornkamm/ Ebeling 1982, Bd. IV, S. 31 f.

Es wäre ein Irrtum anzunehmen, der Text heutiger Luther-Bibeln sei mit Luthers Sprache identisch – er ist vielmehr das Ergebnis zahlreicher Überarbeitungen. Luthers Schriftsprache enthält viele Begriffe aus Regionalsprachen, aus mitteldeutschen Dialekten und Schreibweisen, die heute kaum noch verständlich sind. Um einen Eindruck von Luthers Deutsch zu gewinnen, wird am obigen Beispiel die originale Fassung aus der Weimarer Ausgabe einer modernen Übertragung gegenübergestellt. Das Zitat stammt aus Luthers Schrift »Eine treue Vermahnung Martin Luthers an alle Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung« von 1522. In einem Abschnitt dieser Schrift wendet er sich gegen die Bezeichnung »lutherisch« (s. o.). Die meisten Luther-Zitate und längere Textpassagen werden in neueren Publikationen zum besseren Verständnis in neuhochdeutscher Fassung wiedergegeben. Wie sich die Sprache im Laufe der Jahrhunderte verändert, lässt sich am Beispiel des bekannten 23. Psalms veranschaulichen  : Der herr der richt mich und mir gebrast nit, und an der stat der weyde do satzt er mich. Er fuortte mich ob dem wasser der widerbringung.20 (Anonymus 15. Jahrhundert)

Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg  |  33

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auff einer gruenen awen, Un führet mich zum frisschen wasser.21 (Lutherbibel 1534) Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.22 (Lutherbibel 1855) Adonaj weidet mich, mir fehlt es an nichts. Auf grüner Wiese lässt Gott mich lagern, zu Wassern der Ruhe leitet Gott mich sanft. Meine Lebendigkeit kehrt zurück.23 (Moderne Fassung)

Die an dritter Stelle genannte Fassung ist die vielen vertraute und findet sich in unzähligen Bibeln nach der Übersetzung Martin Luthers. Die vorliegende Untersuchung wendet sich neben den religionspolitischen Geschehnissen vor allem dem protestantischen Gottesdienst und den mit der sich ausbreitenden Reformation einhergehenden Veränderungen in den Kirchenausstattungen zu, von denen der Kanzelaltar und die Emporen die prominentesten sind. Diese wiederum waren eine Folge der in der Reformation aufgestellten Sitzbänke, die ihrerseits viel Platz im Kirchenraum einnahmen und so zum Einbau von Emporen führten. Neben den mobilen gab es aber auch immobile Einrichtungsstücke wie Kirchenfenster oder Wandmalereien, die nicht ohne Weiteres entfernt werden konnten, es sei denn, man zerstörte sie. Gerade in den frühen Jahren der Reformation mussten sich die Neugläubigen mit den vorhandenen Kirchen begnügen. Die überkommenen Bildprogramme störten hierzulande die Wenigsten. Anders sah es in England aus. Dort ließ Edward VI. 1547 unzählige Bildwerke zerstören, darunter vor allem Glasmalereien. 1562 vernichteten Hugenotten in Le Mans und Lyon die Glasfenster in den dortigen Kirchen.24 In Deutschland begannen die Bilderstürme bereits 1522 in Wittenberg unter Führung von Luthers Weggefährten Andreas von Karlstadt, wurden aber nach Luthers Rückkehr von der Wartburg verboten. Das Bilderverbot stützte sich auf 2.  Mose  20,4, wo es in Luthers Übersetzung heißt  : Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden. In den lutherischen Kirchen übernahm die bildende Kunst, da Luther nicht ausdrücklich gegen Bilder war, bald eine vermittelnde Rolle, um den Gläubigen das Evangelium vor Augen zu führen. Heiligen-Darstellungen entfielen und nur noch die Evangelisten, die Apostel und biblische Szenen wurden ins Bild gesetzt. Die prachtvolle Ausstattung mittelalterlicher Kirchen und Klöster mit Skulpturen, Glasmalereien und anderen bildlichen Darstellungen lässt uns leicht übersehen, dass es in der Geschichte der Christenheit immer wieder radikale Kritik an Bildern gab. Wenn trotz des Bilderverbots eine christliche Kunst entstand, so deshalb, weil die Menschen 34  |  Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg

20 Anonymus, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, zit. nach Schilling 2014, S. 274. 21 Luther 1534. 22 Fassung, wie sie seit Jahrhunderten in zahllosen Bibeln zu lesen ist. Die hier zitierte Fassung entnahm ich folgender Bibel aus meinem Besitz  : Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments nach der deutschen Uebersetzung Dr. Martin Luther’s, Berlin 1855. 23 Zeitgenössische Fassung, zit. nach Schilling 2014, S. 274. 24 Brisac 1985, S. 131. In den reformierten Kirchen gab es grundsätzlich keine Bildwerke.

25 Boblenz 1999, S. 28–38, insbesondere das Kapitel  : Weimar als zweiter Sitz der Fruchtbringenden Gesellschaft, S. 34–38.

begriffen, dass bildende Kunst und auch Musik für die Vermittlung der christlichen Lehre sehr geeignet sind. Eine für die gesamte europäische Kunst bedeutsame Entwicklung nahm die Reformation in den Niederlanden. Hier wurden unter Karl V., dem Kaiser der Reformationszeit, und besonders unter dessen Sohn Philipp II. die Calvinisten grausam verfolgt. Viele Künstler in den spanisch besetzten südlichen Niederlanden flohen deshalb in das etwas tolerantere Holland, das sich gegen die spanische Übermacht behauptet hatte. Die Calvinisten waren besonders konsequent in der Befolgung des Bilderverbots und lehnten auch außerhalb der Kirche jegliche Art bildlicher Darstellung ab. So kam es, dass bis dahin unbedeutende, alltägliche Sujets an Bedeutung gewannen, beispielsweise Stillleben oder Genredarstellungen. Auch der frömmste Mensch wollte sich gelegentlich an den Schönheiten dieser Welt erfreuen. So bemühten sich auch Calvinisten, einzelnen Bereichen der Kunst Geltung zu verschaffen. Die neuere Kunstgeschichtsforschung hat herausgearbeitet, dass fast alle Darstellungen in der niederländischen Malerei von christlicher Symbolik durchdrungen sind. So verweisen in der Malerei beispielsweise Trauben, ein Glas Rotwein und ein Stück Brot auf Leib und Blut Christi, auf das Abendmahl. Ein Maikäfer in einem Blumenstrauß erinnert an die Auferstehung, eine leer gegessene Tafel an die Vergänglichkeit des Lebens und ähnliches. Auf diese Weise umging man das Bilderverbot wenigstens teilweise. Ähnliche Entwicklungen gibt es in der Literatur. Bis heute hat sich die Vorstellung erhalten, Martin Luther habe mit seiner Bibelübersetzung den Deutschen ihre Literatursprache gegeben, doch haben auch andere wie der protestantische Dichter Martin Opitz (1597–1639) die Pflege der deutschen Sprache gegenüber dem Latein der Humanisten betrieben. Mitten im Dreißigjährigen Krieg, im Jahr 1633, verfasste Opitz seine Trostgedichte über die Widerwärtigkeit des Krieges und warb für den Gebrauch der deutschen Sprache. Auch Dichter und Schriftsteller wie der Nürnberger Meistersinger und Lyriker Hans Sachs (1494–1576), Paul Fleming (1609–1640), Andreas Gryphius (1616–1664) oder Daniel Casper von Lohenstein (1635–1683) waren Protestanten, von denen die meisten aus Schlesien stammten. Einen wichtigen Schritt hin zur Volkssprache bedeutete die Entstehung der Sprachgesellschaften, deren erste und zugleich wichtigste die sogenannte Fruchtbringende Gesellschaft war, die 1617 durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen in Weimar gegründet wurde.25 Ihr gehörten Dichter wie Opitz und Gryphius an. Erwähnt werden soll hier noch der bedeutendste Roman des Barockzeitalters  : »Der abenteuerliche Simplicissimus« von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622–1676). Grimmelshausen, in Gelnhausen im Spessart evangelisch erzogen, geriet als Junge in den Strudel des Dreißigjährigen Krieges, der ihn in die verschiedensten Gegenden Martin Luther – vom Priester in Erfurt zum Bibelprofessor in Wittenberg  |  35

Deutschlands führte. Während des Krieges trat er zum Katholizismus über. In seinem Roman schildert er die Gräuel dieses Krieges – neben der Buntheit des sinnlichen Lebens erkennt er auch die Verderbtheit und Scheinheiligkeit der Welt. Sein Held und offenbar auch der Autor selbst verzweifelten an den Evangelischen genauso wie an den Papisten, da sie alle mit Waffengewalt für die friedliche Botschaft des Evangeliums zu kämpfen vorgaben.26 Auch die Musik des Barockzeitalters ist ohne die protestantischen Komponisten aus Mitteldeutschland nicht vorstellbar. Namen wie Hein­r ich Schütz (1585–1672), Johann Hermann Schein (1586–1630), Samuel Scheidt (1587–1654), Gottfried Heinrich Stölzel (1690–1749) und schließlich Johann Sebastian Bach (1685–1750) mögen als Beispiele genügen. Die katholische Kirche reagierte mit der Gegenreformation (vgl. S. 92). So wurde beispielsweise auf dem Tridentiner Konzil von 1559 die Einführung eines Index verbotener Bücher durchgesetzt. Der »Decamerone« des Frühhumanisten Boccaccio (um 1313–1375) wurde wegen seiner Freizügigkeit sofort verboten. In der Sixtinischen Kapelle wurden in Michelangelos Deckenmalerei unzüchtige Stellen mit Schleiern übermalt, antike Skulpturen in der Vatikanischen Sammlung mit »Feigenblättern geschmückt«.

26 Grimmelshausen 2000, 1. Buch, Kap. 9, S. 29 f., Kap. 24–26, S. 69–79  ; 2. Buch, Kap. 19–21, S. 276–282. Vgl. auch die drastische Schilderung einer Schlacht und die Beschreibung der Kriegsgräuel im 2. Buch, Kap. 27, S. 184 f.

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Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Gottesdienst und Schule

1523 hat Luther in seinen Schriften noch die lateinische Messe geduldet. In seiner Predigt »Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeinde« schreibt er, die täglichen Messen sollen auf jeden Fall abgetan sein, weil am Wort und nicht an der Messe gelegen ist. Doch wenn etliche außer Sonntag das Sakrament begehren, so halte man Messe, wie es die Andacht und die Zeit ergibt.27 Kritisch steht er der Verherrlichung und Anbetung der Heiligen gegenüber, ihr Wirken erkennt er aber an  ; nur die Marienverehrung will er teilweise beibehalten. Einmal mehr greift Luther nur zögernd in die Reform des Gottesdienstes ein, unterstreicht aber die Bedeutung des Wortes, das heißt der Predigt von der Kanzel. Allmählich wird aber die Messe vom Protestantismus ganz aufgegeben. 1536 wurde in Württemberg in einer neuen Kirchenordnung die Messe überhaupt abgelehnt.28 Kirche und Kanzel vor der Reformation

27 Bornkamm/Ebeling 1982, Bd. V  : Kirche, Gottesdienst, Schule, S. 28–30. 28 Rössler 1986, S. 370. 29 Poscharsky 1963, S. 33 f.

Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts wurden die von Frankreich geprägten basilikalen Kathedralkirchen in Deutschland größtenteils von Hallenkirchen abgelöst. Bedeutendstes Beispiel ist die Elisabethkirche in Marburg. Indem die bürgerlichen Stadtgemeinden vermehrt als Auftraggeber hervortraten und die Predigt an Bedeutung gewann, wurde der kirchliche Andachtsraum der Bischofs- und Klosterkirchen nicht nur für einzelne Gläubige oder kleinere Gruppen von Mönchen und Nonnen, sondern für die gesamte Gemeinde allmählich zur Versammlungsstätte. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Kanzel für den Gottesdienst immer wichtiger. Die häufig zu hörende Aussage, die Kanzel sei ein Ergebnis der Reformation, trifft nicht zu. In Italien gab es bereits im 13. Jahrhundert große steinerne Kanzeln, die jedoch nördlich der Alpen keine Nachfolge fanden. Die Kanzel geht auf den Ambo zurück, die vor dem Chor errichtete Lesebühne für das Evangelium und die Epistel. Als die Predigt durch das Auftreten der Bettelorden an Bedeutung gewann, wurden in Italien die ersten steinernen Kanzeln errichtet. Richtungweisend wurden hier die Ende des 13. Jahrhunderts auf vier Säulen errichteten hohen Kanzeln von Niccolò und Giovanni Pisano in Siena, Pisa und Pistoia. Ausschließlich der Predigt dienende Kanzeln fanden erst im späten Mittelalter Verbreitung. Die älteste Kanzel Deutschlands entstand 1422 in Sankt Martin zu Landshut.29 Gottesdienst und Schule  |  37

Abb. 2  Landshut, Sankt Martin, Kanzel 1422. Abb. 3 Annaberg, Sankt Anna, Kanzel, 1518.

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Gottesdienst und Schule  |  39

Vor allem kurz vor der Reformation entstanden äußerst aufwendige und prachtvolle Kanzeln wie die um 1512 geschaffene im Wiener Stephansdom, die berühmte Tulpenkanzel von Sankt Marien im sächsischen Freiberg (um 1505) oder die um 1518 entstandene Kanzel in Sankt  Annen zu Annaberg-Buchholz (vgl. Abb.  3–5). Sankt  Annen entstand zwischen 1499 und 1525 als Emporenkirche. 1522 wurde der Altar geweiht, die Emporenreliefs entstanden 1518, und um die gleiche Zeit dürfte auch die Kanzel fertiggestellt worden sein. Die Kirche zeigt damit fast alle Erscheinungsmerkmale eines evangelischen Gotteshauses, nur der prachtvolle Hauptaltar weist sie als katholisch aus. Sie blieb es bis 1539, als im albertinischen Sachsen die Reformation eingeführt wurde. Emporen und Gestühl

Neben der gesteigerten Bedeutung der Kanzel als Ort der Wortverkündigung gab es noch andere Neuerungen oder Neuorientierungen in der Kirchenausstattung. Emporen und Gestühl wurden durch die Reformation mit neuer Bedeutung versehen oder neu errichtet. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass es auch die für die protestantischen Kirchen 40  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Abb. 4  Annaberg, Sankt Anna, Emporen­ relief mit dem Datum der Weihe 1525. Abb. 5  Dom Sankt Marien in Freiberg, links die Tulpenkanzel, um 1505, daneben die Bergmannskanzel von 1638.

Gottesdienst und Schule  |  41

Abb. 6  Kiedrich, Sankt Valentinus und Dionysius, Schöffengestühl, 1510.

so wichtigen Emporen schon vor der Reformation gab, so in der 1508 fertiggestellten Schlosskirche zu Wittenberg, deren Kirchenschiff 1760 durch Beschuss zerstört wurde. Emporen gab es ebenfalls schon im Mittelalter, beispielsweise als Sängerempore oder als architektonisches Gliederungselement des Wandauf baus. Farbig gefasste Reliefdarstellungen an Emporenbrüstungen entstanden bereits 1518 in der erwähnten Kirche Sankt Annen (vgl. Abb. 4). Der Protestantismus hat die Funktion der Emporen verändert und sie in eine neue Raumkonzeption eingefügt. Vor allem die Emporenbrüstungen wurden für bildliche Darstellungen und Textstellen aus der Bibel sowie Porträts von Aposteln und Propheten genutzt. Eine der frühesten Darstellungen an Emporen entstand 1590 in der Schlosskapelle Schmalkalden, sie wurden jedoch bereits 1608 durch den Sohn des Erbauers Wilhelm IV., den reformierten Landgraf Moritz, in einem rigorosen Bildersturm vernichtet. Ausgezeichnete Brüstungsmalereien aus den Jahren um 1570 haben sich in der Celler Schlosskapelle erhalten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden Brüstungsmalereien immer beliebter, selbst in barocken Dorfkirchen finden sich auf den Brüstungsfeldern ganze Porträtreihen von Aposteln und Propheten. Meistens handelt es sich um eher grobe Bauernmalerei, manche Bilder erreichen aber selbst in Dorfkirchen wie in Weiterode bei Bebra oder in Niederroßla bei Weimar erstaunliche Qualität (vgl. Abb. 139 auf S. 178). Bestuhlung gab es in den Kirchen des Mittelalters grundsätzlich nicht, ausgenommen das Chorgestühl für die Geistlichkeit. Sitzgelegenheiten für die Gemeinde tauchen erstmals gegen 1500 in einigen Gemeinden in Rheinhessen auf, so in Bechtolsheim und Weinheim. Das am besten erhaltene Laiengestühl entstand 1510 im Rheingau für die katholische Pfarrkirche Sankt Valentinus und Dionysius in Kiedrich (vgl. Abb. 6, 7). 42  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Abb. 7  Kiedrich, Sankt Valentinus und Dio­ nysius, Blick auf die Orgel, nach 1500.

Das aus dem späten 14.  Jahrhundert stammende Langhaus der Wallfahrtskirche wurde 1493 fast um das Doppelte erhöht, um wegen der stark anwachsenden Pilgerzahl Emporen anlegen zu können. Zu der hervorragend erhaltenen Ausstattung gehört auch eine ab 1500 entstandene Orgel an der Westseite, die damit die älteste noch spielbare Orgel in Deutschland ist (Abb. 7). Die katholische Kirche lehnte das Sitzen in der Kirche zunächst grundsätzlich ab. Erst als das Kirchengestühl um 1600 in protestantischen Kirchen zur Regel wurde, hat sie das Gestühl ähnlich wie Kanzel und Orgel zögernd akzeptiert. Es entwickelte sich ein Bedürfnis bestimmter Gesellschaftsgruppen nach einem Sitzplatz in der Kirche, wie es die herrschaftliche Loge schon Gottesdienst und Schule  |  43

Abb. 8  Helsa, Dorfkirche, 1594.

seit dem frühen Mittelalter war. Dieses Bedürfnis entstand weniger aus Bequemlichkeit als vielmehr aus dem Drang nach Repräsentation, um sich vom niederen Volk abzugrenzen. In Kirchenordnungen wurde verordnet, den Kirchenraum für die Aufstellung von Stühlen oder Bänken zu nutzen, nachdem die Vielzahl an Altären nicht mehr gebraucht wurde. Der Protestantismus entwickelte ein eigenes Kirchenstuhlrecht.30 Da wohlhabende Kirchenbesucher für sich und ihre Familie eigene Kirchenstühle einrichten ließen, kam es zu Klagen, da anderen Besuchern der Blick auf Kanzel und Altar versperrt wurde. Die Folge waren lange andauernde juristische Streitigkeiten. Um dem zu begegnen, führte die kursächsische Kirchenordnung von 1580 eine Genehmigungspflicht für den Stuhleinbau ein. Ohne Wissen und Erlaubnis des Pfarrers durfte kein Stuhl mehr aufgestellt werden. Seit etwa 1600 war es üblich, dass die Obrigkeit ein festes Gestühl anordnete und die einzelnen Sitze anschließend an die Gemeindemitglieder vermietet wurden. Das Gestühl wurde durchnummeriert und konnte so kontrolliert und abgerechnet werden. Verkauf, Vererbung oder Tausch führten jedoch weiterhin zu Streitigkeiten. Die »Preislisten« für bestimmte Plätze wurden nach Stand und Geschlecht differenziert, Frauen zahlten weniger als Männer und Bauern weniger als Bürger.31 Steigende Besucherzahlen infolge der Reformation führten auch in den nun protestantischen Kirchen und in den Kirchenneubauten zu einer ausreichenden Bestuhlung für die Gemeinde. Beispielgebend für die nun obligatorisch gewordene Ausstattung war die von Luther im Oktober 1544 persönlich geweihte Schlosskirche in Torgau (vgl. S. 80). Bei Neubauten waren die Emporen von Anfang an Bestandteil der den Raum formenden Architektur. Bei übernommenen Kirchen dagegen kam es zum Einbau hölzerner Emporen, die häufig wie in den Raum eingeschobene Möbel wirken. Sehr schön zu sehen ist das in der vormals 44  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

30 Zu den nachfolgenden Überlegungen vgl. Wex 1984, passim, insbesondere S. 12–25. 31 Wex 1984, S. 128–132.

Abb. 9  Emporen in einer adaptierten Kirche, Betzenstein, Fränkische Schweiz (historische Aufnahme).

katholischen Kirche von Trumsdorf in Franken und dem ehemaligen Nonnenkloster Himmelskron bei Kulmbach. Aber auch bei Neubauten wurden in der Reformationszeit Emporen wie Möbel in den Kirchenraum eingestellt, so in der Dorfkirche von Helsa bei Kassel mit ihren höchst qualitätvollen Emporen. Nach dem Ende des Ablasshandels fehlte es den Kirchen an Geld. Der an die Stelle der täglichen Messe getretene Sonntagsgottesdienst führte zu Platzmangel, da sich die Gemeinde einmal in der Woche, und zwar gleichzeitig, versammelte und dadurch mehr Raum gebraucht wurde. Außerdem wurden Sitzplätze benötigt, da der Gottesdienst mit Predigt und Kirchenliedern lange dauerte. Die Kirchenbänke wiederum Gottesdienst und Schule  |  45

schränkten den Platz im Kirchenschiff ein, weshalb die Einführung von Emporen folgerichtig war. Üblicherweise saßen die Frauen unten, die Männer auf den Emporen. Da man die Plätze wie gesagt mieten oder kaufen konnte, bedeutete dies eine willkommene Einnahmemöglichkeit für die »Gotteshauskasse«.32 Zusätzlich ergab sich die Gelegenheit einer standesgemäßen Abstufung von der Herrschaftsloge gegenüber dem Altar über die Sitzplätze der Hof bediensteten bis hin zu den Bänken für einfache Bürger. In den ersten Jahrzehnten nach der Reformation wurde der alte Hauptaltar häufig in den Chorraum geschoben oder dort weiter genutzt  ; die zahlreichen Bilder und Heiligenfiguren jedoch wurden reduziert oder entfernt. Anders sah es bei Neubauten aus  : Die neue Gottesdienstform bewirkte, dass die Kirchen nun auf Kanzel und Altar ausgerichtet waren, was nur durch das Gestühl bewirkt werden konnte.33 Bei der mittelalterlichen Dorfkirche im hessischen Mansbach wurde das Schiff 1569 durch einen rechteckigen Saalbau ersetzt, der dreiseitige Chor jedoch beibehalten. Dort fand der Altar Aufstellung. 1682 wurde der Innenraum neu gestaltet und mit dreiseitig umlaufenden Emporen versehen. Die Kanzel steht traditionell am südlichen Teil des Triumphbogens (vgl. Abb.  182). Die Kunstgeschichte sieht die Dorfkirche in der Nachfolge der Schlosskapellen von Schmalkalden und Rotenburg a. d. Fulda, was nur bedingt zutrifft. In Schmalkalden stehen Altar, Kanzel und Orgel in einer vertikalen Achse an der Ostwand. Rotenburg war eine Querkirche, der Altar stand unter der Kanzel, die Orgel befand sich an der westlichen Schmalseite. Die zweigeschossigen Emporen in der Mansbacher Kirche dürften indes von Schmalkalden und Rotenburg beeinflusst sein. Bildersturm und Bilderflut in Deutschland

Die Bilderstürmerei des fanatischen Lutheranhängers Andreas von Karl­stadt ist bekannt, Luther selbst war hier wesentlich toleranter. In den »Sermones zur Fastenzeit« vom März 1522 behandelt er mehrfach Karlstadts Angriffe auf die Bilder in den Kirchen. Der hat die Bilder zerbrochen und verbrannt, darum müssen wir sie alle verbrennen. Gerade nicht, liebe Brüder  ! (…) Mit den Bildern steht es so, dass sie nicht notwendig, sondern frei sind. Wir können sie haben oder nicht haben, obwohl es besser wäre, wir hätten sie gar nicht.

Im Weiteren beruft er sich auf Paulus, der sei auch dagegen gewesen, schlug aber niemanden aufs Maul.34 Ganz offensichtlich wendet er sich gegen Karlstadt, ohne ihn jedoch namentlich zu nennen  : Aber du willst zufahren und einen Auflauf anzetteln, die Altäre zerbrechen, die Bilder weg46  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

32 Meißner 1987, S. 62–65. 33 Vgl. Poscharsky 1963, S. 66–71, Meißner 1987, S. 50–55, 61–66, Poscharsky 1990, S. 51–55. 34 Bornkamm/Ebeling 1982, Bd. I  : Aufbruch zur Reformation, S. 286.

Abb. 10  Christus an der Martersäule, Teil eines Flügelaltars, Öl auf Holz, Thüringen, um 1510, Weimar, Schloss. Abb. 11  Flügelaltar, Ausschnitt, zwei Scher­ gen mit von Bilderstürmern zerkratzten Gesichtern.

reißen  ? Auch in der vierten Predigt zur Fastenzeit geht er auf die Bilderverehrung ein.

35 Ebd., Bd. I, S. 286–288.

Ja, ich helfe den Armen auch  ; kann ich nicht dem Nächsten geben und gleichwohl daneben Bilder stiften  ? Trotzdem ist es anders  : Denn wer wollte nicht lieber dem Nächsten einen Gulden geben als Gott ein goldnes Bild  ? 35

Gottesdienst und Schule  |  47

Abb. 12  Christus und die Ehebrecherin, um 1535, Weimar, Schloss.

In Wittenberg gehörte Karlstadt anfangs zu den engen Weggefährten Luthers. Seit 1511 war der promovierte Jurist Professor für Theologie. Mit zunehmender Radikalisierung forderte er 1520/21 die Entfernung von Bildwerken aus allen Kirchen und Klöstern. In Wittenberg wurden während Luthers Abwesenheit auf der Wartburg Bilder und Skulpturen durch eifernde Studenten zerstört, und es kam zu förmlichem Aufruhr. Als es 1523 weitere Tumulte gab, griff Kurfürst Friedrich der Weise ein. Karlstadt musste Wittenberg verlassen und begab sich ins thüringische Orlamünde, das in den folgenden Jahren zum Zentrum radikaler Reformatoren wurde, was wiederum den Zorn Luthers hervorrief.36 Am 22. August 1524 traf sich Luther in Jena mit Karlstadt, um ihn zum Einlenken zu bewegen – jedoch vergebens. Anschließend predigte Luther in Kahla und Orlamünde. Karlstadt wurde im September des Landes verwiesen. Karlstadts Aktionen vor 1524 zeigten bis in die Gegend um Weimar und Jena Wirkung. In wenigen Fällen haben sich Spuren der Bilderstürme erhalten. So besitzen die Weimarer Kunstsammlungen den Flügel eines thüringischen Altars vom Beginn des 16. Jahrhunderts. Es handelte sich ursprünglich um einen auf Holz gemalten mehrteiligen Flügelaltar zu Ehren der Heiligen Katharina.37 Die Außenseite zeigt die Geißelung Christi an der Martersäule  ; die fratzenhaft verzerrten Gesichter der prügelnden Schergen sind zerkratzt worden. Offenbar hatte der Flügelaltar die Zerstörungswut einiger Fanatiker hervorgerufen. Luther selbst wandte sich zwar gegen die Zerstörung von Bildern, lehnte deren kultische Verehrung jedoch ab. Seine bevorzugten Themen waren die typologische Darstellung von Altem und Neuem Testament als »Gesetz und Gnade«  – auch »Gesetz und Evangelium«  – und Szenen aus dem Leben Jesu wie »Jesus segnet die Kinder« oder »Jesus und die Ehebrecherin«. Leidensdarstellungen wie die Geißelung wurden von allen Reformatoren abgelehnt. Es ist also gut möglich, wenn nicht wahr48  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

36 Schilling 2014, S. 287–289. 37 Vgl. Hoffmann 1982, Kat. Nr. 58.

Abb. 13  Allegorie von Gesetz und Gnade, 1535/40, Weimar, Schloss.

38 Hoffmann 1991, Kat. Nr. 16, 21, 28.

scheinlich, dass der Weimarer Altarflügel ein Opfer der von Karlstadt initiierten Ausschreitungen wurde. Die Darstellung »Gesetz und Gnade« stellt die »konsequente Verbildlichung der Kerngedanken von Luthers Erlösungstheorie dar«38. Diese Bildfindung Cranachs gilt als das bedeutendste und erfolgreichste protestantische Lehrbild. Es zeigt links Szenen des Alten Bundes, rechts die Entsprechungen des Neuen Bundes. Auf der linken Seite sieht man, wie der sündige Mensch von Tod und Teufel in die Flammen der Hölle gestoßen wird. In seiner Unfähigkeit, das Gesetz des Alten Testaments zu erfüllen, wird er von Gott verdammt. Unter dem Bild heißt es  : »Die sünde ist des todes spies  : aber das gesetz ist der sünden krafft. Das gesetz richtet nur zorn an«. Am oberen Bildrand steht der Baum des Lebens, dessen linke Seite abgestorben ist, rechts aber, im Bereich des Neuen Bundes, grünt er. Hier stellt Cranach den einzigen Weg der Erlösung dar, den Glauben an Christus und dessen Kreuzestod, auf den Johannes der Täufer verweist. Der Blutstrahl Christi trifft als Zeichen der erlösenden Gnade den Menschen. Rechts verkörpert der Auferstandene den Sieg über Tod und Teufel. Das Lamm Gottes verkündet die Menschwerdung Christi und deutet zugleich die Himmelfahrt des Gottessohnes an. Die Aussage des Bildes ist neu, der Gedanke antithetischer Gegenüberstellungen – die sogenannte Typologie – jedoch hat eine lange Tradition, wurde aber gerade in der Reformationszeit zu polemischen und aggressiven Darstellungen genutzt, wie beispielsweise Cranachs Bilder des »Passionals Christi und Antichristi« von 1521 auf drastische Weise die Kritik am Papst demonstrieren. Ganz ähnliche Bilder zeigt Luthers Neues Testament von 1522, das ebenfalls von Cranach illustriert wurde und zu heftigen Auseinandersetzungen führte (vgl. S. 52–55). Sehr viel komplexer ist die Situation bildlicher Darstellungen in Kirchenfenstern, da diese stärker auf die Raumgestaltung einwirken. Die Blütezeit der sakralen Glasmalerei ist das Mittelalter, verbreitet sind sie vornehmlich nördlich der Alpen, an erster Stelle sind die gotischen Kathedralen Frankreichs zu nennen. Im 16. Jahrhundert verliert die GlasGottesdienst und Schule  |  49

Abb. 14  Bourges, Glasfenster, 1619.

malerei allmählich an Bedeutung  – es griffe aber zu kurz, den Rückgang ausschließlich mit dem Antikenbezug der Renaissance zu erklären. Auch die Reformation spielte hier eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Glasmalerei verlor nicht schlagartig ihre Bedeutung. In zahlreichen katholischen Kirchen entstanden noch im 16. Jahrhundert farbige Glasgemälde. Hans Baldung Grien, der sich früh zur lutherischen Lehre bekannte, schuf für das Freiburger Münster um 1517 farbige Glasfenster.39 Auch in Köln entstanden noch 1528 Glasmalereien.40 Im Trierer Dom ließ Erzbischof Richard von Greiffenklau als Reaktion auf Luthers Kirchenkritik nach 1525 das sogenannte Weinstockfenster anfertigen, das nur in Fragmenten erhalten ist.41 In ihm wird eine dezidierte Gegenposition zu Luther vor Augen geführt. Zwei Drittel der erhaltenen französischen Glasfenster stammen aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert, beispielsweise jene in Bourges von 161942 (vgl. Abb. 14). In den Niederlanden gab es noch im gesamten 17. Jahrhundert Glasfenster in katholischen und in protestantischen Kirchen. 50  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

39 Brisac 1985, Abb. S. 139. 40 Rüdiger Becksmann, (Hrsg). Deutsche Glasmalerei, 2 Bde., Berlin 1995, Bd. 1, Kat. Nr. 77. 41 Ivo Rauch, »Extra Ecclesam Nulla Salus«. Das Weinstockfenster aus dem Trierer Dom als Reaktion auf Luthers Kirchenkritik, in  : Beckmann 1995, Bd. 2, S. 173–186. 42 Brisac 1985, S. 132–142.

43 Hoffmann 1983. – Tacke 2004, S. 236– 245. 44 Grisar, Luthers Kampf bilder, 4 Hefte, Freiburg 1921–23. Hoffmann 1983, Kat. Nr. 302. – Andreas Tacke 2004, Aufsätze, S. 239 f.

Wenn das Luthertum keine großen Einwände gegen Bilder und Glasmalereien in den Kirchen hatte, wenn ferner Glasfenster in den katholischen Kirchen noch fast ein Jahrhundert lang in hoher Blüte standen, muss es andere Gründe dafür geben, dass sie in evangelischen Kirchenneubauten nicht mehr erwünscht waren. Darüber können jedoch nur Vermutungen angestellt werden. Zum einen ist die Reformation auch ein Ergebnis der Renaissance, die von Italien ausging, und die italienischen Kirchen kennen kaum Glasmalerei. Zum anderen wurden von der Renaissance bis zum Rokoko grundsätzlich helle, lichtdurchflutete Räume bevorzugt. Einer der Gründe könnte auch die Entwicklung der Kirchenmusik und der damit zusammenhängende Gebrauch von Gesangbüchern sein (vgl. S. 68). Begünstigt durch die Erfindung des Buchdrucks wurden unzählige bildliche Darstellungen einerseits zum Lobe der Reformatoren genutzt, andererseits wurden sie zur Verspottung der jeweiligen Gegner förmlich als Kampfmittel eingesetzt. Die Flut der Einblattdrucke, Broschüren, Holz- und Kupferstiche ist in der Literatur vielfach behandelt worden und soll hier nur an einigen besonders typischen Beispielen vorgestellt werden.43 Zu den frühesten und wirkungsvollsten Unterstützern der Reformation gehörten die Künstler, und zwar die besten Vertreter der deutschen Renaissance, allen voran Luthers Freund und Mitstreiter Lucas Cranach  d. Ä. (1472–1553), ferner Albrecht Dürer (1471–1528), Hans Baldung Grien (1484/85–1545) und Hans Holbein  d. J. (1497/98–1543). Die erste reformatorische Bilderkampfschrift erschien in Wittenberg kurz nach dem Wormser Reichstag  – wahrscheinlich im Mai 1521  – unter dem Titel »Passional Christi und Antichristi«. Von Luther beeinflusst schuf Cranach  d. Ä. hier eine Holzschnittfolge mit dreizehn Bildpaaren, in denen jeweils das unchristliche Verhalten der Päpste dem Leben Christi gegenübergestellt wird. Unter jedem Bild stehen kurze Textpassagen aus der Bibel beziehungsweise aus den kanonischen Rechtsbüchern der katholischen Kirche. An der Auswahl der Texte war neben Luther auch Philipp Melanchthon beteiligt. Das »Passional Christi und Antichristi« war die wahrscheinlich erfolgreichste Waffe im reformatorischen Bilderkampf und wurde bis ins 20. Jahrhundert höchst kontrovers diskutiert.44 Die Bildpaare zeigen unter anderem Jesus mit der Dornenkrone und den Papst mit der Tiara, ferner Jesus, der seinen Jüngern die Füße wäscht, gegenüber den Papst, der sich die Füße küssen lässt, oder Jesus, der Steuern bezahlt, während der Papst bei Androhung des Banns Steuerfreiheit für die Geistlichkeit erzwingt. Das letzte Bild (Bildpaar Nr.  13) zeigt Christi Himmelfahrt, der die Höllenfahrt des Papstes gegenübersteht. Der Text zu Christi Himmelfahrt entstammt dem Lukas-Evangelium, jener zum Gegenbild aus Offenbarung 19,20 f. bzw. 2. Thessalonicher 2,8 und lautet  : »Und das Tier wurde ergriffen und mit ihm der falsche ProGottesdienst und Schule  |  51

phet, der vor seinen Augen die Zeichen getan hatte, durch welche er die verführte, die das Zeichen des Tieres angenommen hatten, und das Bild des Tieres angebetet hatten. Lebendig wurden diese beiden in den feurigen Pfuhl geworfen, der mit Schwefel brannte. Und die andern wurden erschlagen mit dem Schwert, das aus dem Munde dessen ging, der auf dem Pferd saß […].« »Und dann wird der Böse offenbart werden, ihn wird der Herr Jesus umbringen mit dem Hauch seines Mundes und wird ihm ein Ende machen, durch seine Erscheinung, wenn er kommt.« Nur ein Jahr später erscheint wiederum in Wittenberg Luthers deutsche Übersetzung des Neuen Testaments. Es enthält 21 ganzseitige Holzschnitte Cranachs zur Offenbarung des Johannes, viele davon in Anlehnung an Dürers berühmte Apokalypse von 1498. Der Text beginnt mit dem Auftrag an Johannes, den Tempel Gottes zu vermessen, und mit den zwei Zeugen, die vor dem Ende aller Dinge 1260  Tage lang weissagen werden, bis das Tier aus dem Abgrund sie verschlingt.45 (Vgl. Abb. 16) Das Titelblatt zeigt diese Vermessung, die beiden Zeugen und das Ungeheuer, das aus dem Abgrund emporsteigt, um die Zeugen der Wahrheit zu verschlingen. Das Tier trägt die päpstliche Tiara. Dieses Motiv kommt in Dürers Apokalypse nicht vor. Als Reaktion auf die Verhöhnung des Papsttums ließ Luthers katholischer Widersacher, Herzog Georg von Sachsen, 1527 ein deutsches Neues Testament für die Altgläubigen erstellen, das nichts weiter als eine leicht überarbeitete Fassung von Luthers Text darstellte, was dieser mit giftigen Bemerkungen kommentierte. Auch die Abbildungen wurden kopiert, und beim Titelblatt 52  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Abb. 15  Lucas Cranach, Passional Christi und Antichristi, Wittenberg 1521.

45 Kat. Nürnberg 1983, S. 276.

Abb. 16  Das Newe Testament Deutsch, 222 Blatt, Illustrationen von Lucas Cranach d. Ä., Wittenberg 1522. Abb. 17  Albrecht Dürer, Apokalypse, Kap. 22, 1498.

46 Ebd., S. 276 f.

mit der Vermessung des Tempels wurde selbstverständlich die dreifache Papstkrone, die Tiara, weggelassen. Im Nachwort rät der katholische Theologe Hieronymus Emser (1478–1527), einer der namhaftesten Gegner der Reformation, vom Bibellesen ab. Er vertritt damit die von Rom wiederholt geäußerten Bedenken gegen die Bibellektüre von Laien.46 Eine der bösartigsten Illustrationen bezieht sich auf die sogenannte babylonische Hure. In Offenbarung 14,8 heißt es  : »Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große Stadt, denn sie hat mit dem Zorneswein ihrer Hurerei getränkt alle Völker.« In Offenbarung 17,3–5 heißt es  : »Ich sah eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das war voll lästerlicher Namen und hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und die Frau war bekleidet mit Purpur und Scharlach und geschmückt mit Gold und Edelsteinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, Gottesdienst und Schule  |  53

Abb. 18  Lucas Cranach, Apokalypse, Kap. 22, 1522.

voll von Gräuel und Unreinheit ihrer Hurerei, und auf ihrer Stirn war geschrieben ein Name, ein Geheimnis  : Das große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden.« Die Frau war mit Purpur bekleidet, einer Farbe, die Papst und Kaiser vorbehalten war, was die Zeitgenossen wussten. Auch diese Darstellung Cranachs geht auf Dürers Apokalypse zurück. In Cranachs Holzschnitt ist das Geschehen im Gegensatz zu Dürer auf wenige Personen beschränkt. Der wesentliche und zugleich wirkungsvollste Unterschied betrifft die babylonische Hure  : Sie trägt auf dem Kopf die päpstliche Tiara, wodurch Rom als Ort der Verworfenheit und Sittenlosigkeit gebrandmarkt wird. Auch bei Dürer hat man in dem siebenköpfigen Tier die sieben Hügel Roms als Sinnbild aller Laster gese54  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

hen.47 Wie bei Dürer stehen bei Cranach am vorderen Bildrand mehrere Männer, vorrangig Geistliche und ein weltlicher Würdenträger, während bei Dürer nur ein einzelner Mönch im Hintergrund zu sehen ist. Um das Geschehen noch eindringlicher zu gestalten, wird bei Cranach auf die himmlischen Heerscharen verzichtet. Ein politisches Bubenstück der besonderen Art betraf Dürers berühmte Apostelbilder von 1526, die der Künstler seiner Heimatstadt Nürnberg zu seinem Gedächtnis vermachte und die sich heute in der Alten Pinakothek in München befinden.48 Am unteren Rand der beiden lebensgroßen Darstellungen mit je zwei Aposteln befinden sich Inschriften, die den Schriften der vier entnommen sind. In der durchlaufenden oberen Zeile heißt es  : Alle weltlichen regenten in diesen [ge]ferlichen zeitten Nemen billig acht, das sie nit für das göttlich wort menschliche verfuerung annemen. Dann Gott wil nit Zu seinem Wort getahn, noch dannen genommen haben. [Apokalypse 22,18.] Darauf horent diese trefflich vier menner Petrum, Johannem, Paulum und Marcum Ire warnung.

Unter Johannes heißt es  : »Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden, falsche Lehrer, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat  ; die werden über sich selbst herbeiführen ein schnelles Verderben.« (2. Petrus 2,1)

Die Texte sind nicht den darüber dargestellten Personen zugeordnet, sondern versetzt angeordnet. Die weiteren Texte stammen aus den Briefen des Johannes und des Paulus sowie aus dem Markus-Evangelium.49 Unter Petrus heißt es  : Abb. 19  Albrecht Dürer, Apostel Johannes und Petrus.

47 Vgl. Doehler 1999, S. 50. 48 Zum genauen Sachverhalt vgl. Anzelewsky 1971, S. 274–279. 49 Die originalen Inschriften finden sich bei Anzelewsky, ebd. S. 274–279.

Johannes in seiner ersten Epistel im vierdten Capittel schreibt also  : Ihr Lieben, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind  ; denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt. Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen  : Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott  ; und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichrist, von dem ihr gehört habt, dass er kommen werde, und er ist jetzt schon in der Welt. (1. Johannes 4,1–3)

Unter Markus steht  : In der anndern Epistel zum Thimotheo in dem dritten Capittel schreibt S. Paulus also  : Dass sollst du aber wissen, dass in den letzten Tagen schlimme Zeiten kommen werden. Denn die Menschen werden viel von sich halten,

Gottesdienst und Schule  |  55

geldgierig sein, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, gottlos, lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, zuchtlos, wild, dem Guten Feind, Verräter, unbedacht, aufgeblasen. Sie lieben die Wollust mehr als Gott  ; sie haben den Schein der Frömmigkeit, aber deren Kraft verleugnen sie  ; solche Menschen meide. Zu ihnen gehören auch die, die sich in die Häuser einschleichen und gewisse Frauen einfangen, die mit Sünden beladen sind und von mancherlei Begierden getrieben werden, die immer auf neue Lehren aus sind und nie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können. (2. Timotheus 3,1–7)

Unter Paulus steht  : Sant Marcus schreibt in seinem Evangelium im 12.  Capittel also  : Und er lehrte sie und sprach zu ihnen  : Seht euch vor vor den Schriftgelehrten, die gern in langen Gewändern gehen und lassen sich auf dem Markt grüßen und sitzen gern obenan in den Synagogen und am Tisch beim Mahl  ; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden ein umso härteres Urteil empfangen. (Markus 12,38–40)

Die Bildtexte stellen ein eindeutiges Bekenntnis zur Reformation dar. Dürer verehrte Luther, und schon in den früheren Werken wie der Apokalypse von 1498 sind antirömische Tendenzen erkennbar. In Zusam56  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Abb. 20  Seger Bombeck, sogenannter Reformations- oder Luther-Teppich, sign. S. B., um 1555. Abb. 21  Teppich, Ausschnitt mit dem auf­ erstehenden Christus.

50 Buch der Reformation. Eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555), hrsg. von D. Plöse und G. Vogler, Berlin 1989, S. 264–266.

menhang mit Luthers vorgetäuschter Entführung auf die Wartburg notiert Dürer  : Darum sehe ein jeglicher, der do Doktor Martin Luthers Bücher liest, wie sein Lehrer so klar durchsichtig ist, so er das heilig Evangelium führt.50 Nürnberg war eine protestantische Stadt, und um 1525 war die Gefahr von Bilderstürmen durch Andreas Karlstadt und seine Anhänger groß. Gottesdienst und Schule  |  57

Zahlreiche Künstler fürchteten daher um ihre Existenz. Die Bedeutung der Bilder und ihre für die katholische Kirche gefährlichen und anklagenden Texte führten 1627 dazu, dass der bayrische Herzog Maximilian unter Gewaltandrohung die Herausgabe der Gemälde erzwang. Obwohl der Rat der Stadt Nürnberg gegenüber dem Herzog auf die kritischen Texte und die Ablehnung durch die Münchener Jesuiten verwies, ließ sich Maximilian nicht beirren, und der Rat musste die Bilder 1627 nach München abgeben. Die anstößigen Texte ließ der Herzog kurzerhand absägen und sandte sie an Nürnberg zurück. Erst 1922 wurden die Bildtafeln mit den zugehörigen Bildunterschriften wieder zusammengeführt. Ein besonders ausgeprägtes Beispiel protestantischer Polemik bildet der um 1555 entstandene sogenannte Reformations- oder Luther-Teppich in den Kunstsammlungen zu Weimar. Der in Vergessenheit geratene Teppich wurde 1904 auf Schloss Eisenberg in Thüringen wiederentdeckt.51 Im Zentrum des fast sechs Meter breiten Gobelins steht Christus mit der Siegesfahne, der dem Grab entsteigt. Er tritt auf einen den Papst karikierenden Raubvogel in menschlicher Gestalt. Auf dem Kopf trägt das Wesen die Papstkrone, unter der zwei Eselsohren herausragen. Neben ihm liegen zwei Mönche und ein Skelett. Zwei Schrifttafeln mit Bibelzitaten kommentieren das Geschehen. Auf der rechten Seite steht Martin Luther, der auf den Auferstandenen deutet und von zwei Gelehrten und einem Kardinal mit Steinen beworfen wird. Die Schrifttafel über Luther verweist auf die oft zitierte Stelle Matthäus 7,15–18  : »Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu Euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln. So bringt jeder gute Baum gute Früchte  ; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen.« Der Text folgt der Bibel in der Luther-Übersetzung, die Originalinschrift ist auf Latein. Die Darstellung der Umgebung mit ihrer üppigen Vegetation und den zahlreichen Früchten und Blumen veranschaulicht, woran man die wahren von den falschen Propheten unterscheiden kann. Am linken Bildrand ist ein abgestorbener Baumstrunk zu erkennen, dem ein neuer Trieb entsprießt – so wie Christus den Tod überwindet, entsteht aus abgestorbener Natur neues Leben. Christus und Martin Luther erscheinen hier als Überwinder der Gegner des Reformators. Die Bilderfeindlichkeit des reformierten Landgrafen Moritz von Hessen (reg. 1592–1627)

In Hessen kam es zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu Auseinandersetzungen um die Bildwürdigkeit biblischer Themen. Nach dem Tod der Land58  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

51 Wegmann 2015, S. 141–156.

Abb. 22  Frankenberg-Eder, Schauwand in der Marienkapelle, um 1380, zerstört 1607.

Gottesdienst und Schule  |  59

grafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel und Georg von Hessen-Darmstadt lebten sich die beiden Hauptlinien immer weiter auseinander. Unter den Söhnen Moritz dem Gelehrten und Ludwig, der Marburg beanspruchte, kam es zum Jahrzehnte währenden Marburger Erbfolgestreit, der auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen führte. Die drei Häuser Kassel, Marburg und Darmstadt waren ursprünglich streng lutherisch. Nur Moritz neigte entgegen dem Willen seines Vaters unter dem Einfluss des benachbarten Nassau-Dillenburg zum Calvinismus. Als er 1603 in zweiter Ehe Juliane von Nassau ehelichte, trat er zum reformierten Glauben über. So war Darmstadt lutherisch, Niederhessen mit Kassel reformiert, wobei einige Gemeinden an der hessisch-thüringischen Grenze lutherisch blieben, während in Marburg lutherische Pfarrer entlassen wurden.52 Hatte Moritz noch als junger Mann 1590 die Texte der Schmalkaldener Brüstungsfelder zum Thema »Christ und Antichrist« formuliert, erließ er 1605 die sogenannten »Verbesserungspunkte«, zu denen ein rigoroses Bilderverbot gehörte. Im Marburgischen, im Amt Schmalkalden und in Nentershausen an der hessisch-thüringischen Grenze wurden Bildwerke entfernt und teilweise vernichtet.53 In Frankenberg an der Eder zeugt noch heute die der Jungfrau Maria gewidmete Wallfahrtskapelle aus dem 14.  Jahrhundert vom Vandalismus des hessischen Landgrafen Moritz, der 1607 eine Schauwand von sechs Metern Höhe zerstören ließ. Die Maria ist verschwunden, den anbetenden Engelsscharen wurden die Köpfe abgeschlagen. Die fragmentierten Figuren wurden nicht entfernt, um die Strafaktion für die Nachwelt zu dokumentieren.54 Schule und Bildung

Wesentlichen Anteil am Erfolg der Reformation haben die Bemühungen Luthers um eine bessere Bildung der breiten Bevölkerung. Kenntnisse in Lesen und Schreiben, das heißt eine allgemeine Schulbildung war bis dahin auf den Adel, die Geistlichkeit und einen kleinen Teil des gehobenen Bürgertums beschränkt. Selbst der niedere Klerus war seinen Aufgaben aus Mangel an Bildung oft nicht gewachsen. Das frühe Schul- und Bildungswesen ist ohne die Katechetenschulen der alten Kirche, die Hofschule Karls des Großen, die Ordensschulen, die Dom- und Pfarrschulen nicht denkbar. Die Anfänge der gesetzlichen Regelung zur Schulpflicht gehen auf Schulordnungen des 13. Jahrhunderts zurück.55 Es entwickelten sich vielerorts sogenannte »Deutsche Schulen«, auch »Schreibschulen« genannt, in denen Lesen, Schreiben und Rechnen geübt wurde. Mit dem Aufkommen städtischer Schulen wurden die Rechte der Stadträte und der Geistlichkeit festgelegt. Deren Existenz war ein erster Schritt zur Emanzipation der Schule von der kirchlichen Autorität. Die Schulordnungen behandeln die Einstellung 60  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

52 Demandt 1972, S. 238–262. 53 Grisar 1921, S. 53 f., 62–65. – Kat. Kassel 2006. 54 Stätten der Reformation in Hessen und Thüringen 2014, S. 49. 55 Ich beziehe mich im Folgenden auf RGG 1986, Bd. 5, Artikel Schulgesetzgebung, Sp. 1566–1570.

56 Bornkamm/Ebeling 1982, Bd. V, S. 40– 70.

der Schulmeister sowie deren Bezahlung und geben Hinweise für die Erziehung der Kinder. Diese Schulordnungen wurden im Zuge der Reformation erweitert. Die wichtigste Schulordnung war die Kursächsische von 1528, die unter Mitwirkung Luthers und Melanchthons entstand. Sie bezog neben der Deutschen Schule die Lateinschule ein. Bereits 1524 hatte Luther eine Schrift veröffentlicht, die auf die Entwicklung des deutschen Schulwesens erheblichen Einfluss ausübte  : »An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen«56. Da Luthers Sendschreiben bis heute bedenkenswert ist, sollen im Folgenden einige Gedanken daraus zitiert werden, die es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen. Anfangs kommt Luther auf den Verfall der Schulen und Universitäten zu sprechen, die tatsächlich kurz vor und zu Beginn der Reformation durch die Aufhebung von Klöstern und durch schwärmerische Prediger in Verruf geraten waren. Die große Menge wolle ihre Kinder nicht mehr lernen und studieren lassen – wozu auch, wenn sie doch »nur Pfaffen, Mönche und Nonnen werden«. Luthers Antwort  : »Man lasse sie lieber lernen, womit sie sich ernähren können.« Er empfiehlt, sie möchten von ihrem Geld »einen Teil an die Schule geben, die armen Kinder zu erziehen«. Anschließend fordert er die Ratsherren auf, für die Erziehung der Kinder Sorge zu tragen. Schließlich bestehe »das Gedeihen einer Stadt nicht allein darin, dass man große Schätze sammelt, schöne Häuser, viele Kanonen und Harnische herstellt […], vielmehr, dass einer Stadt Bestes und allerprächtigstes Gedeihen, ihr Wohl und ihre Kraft [ist], dass sie viel gute, gebildete, vernünftige, ehrbare, wohlerzogene Bürger hat […].« Luther denkt dabei an kirchliche Schulen, da die Schulausbildung seit dem späten Mittelalter in der Verantwortung der Kirche lag und zwar im Auftrag der Obrigkeit. Seine weiteren Gedanken sind für die Zeit pädagogisch fortschrittlich und nehmen Aspekte der bürgerlichen Aufklärung vorweg  : »Die Welt bedarf, um auch nur ihren weltlichen Stand äußerlich gut zu erhalten, guter, fähiger Männer und Frauen, damit die Männer Land und Leute recht regieren und die Frauen Haus, Kinder und Gesinde recht erziehen und bewahren können. […] Darum wird’s, Ihr lieben Ratsherren, allein in Eurer Hand bleiben, und Ihr habt auch die Möglichkeit dazu, eher als Fürsten und Herren.« Zum Schluss polemisiert er gegen Stifte und Klöster mit ihren »törichten, unnützen Mönchsbüchern« und »der gleichen Eselsmist«. Man habe in der Vergangenheit »viele Doktoren, Prediger, Magister, Pfaffen und Mönche  – das sind große, ungebildete, fette Esel […]« hervorgebracht, »geschmückt wie die Sau mit einer goldenen Kette und Perlen«. Luthers Vorstellung von Bildung und Bildungsvermittlung ist erstaunlich weit gefächert. Sein besonderes Interesse gilt in diesem Zusammenhang den Kindern. Kinder wollten spielen, und warum könne man dann nicht »solche Schulen einrichten und solche Wissenschaft vortragen, zuGottesdienst und Schule  |  61

mal jetzt durch Gottes Gnade alles so eingerichtet ist, dass die Kinder mit Vergnügen und Spiel lernen können, seien es Sprachen oder andere Wissenschaften oder Geschichtserzählungen  ? […] Von mir selber sage ich  : Wenn ich Kinder hätte und es könnte, müssten sie mir nicht nur die Sprachen und die Geschichtserzählungen hören, sondern auch Singen und die Musik samt der ganzen Mathematik lernen. Denn was ist dies alles anderes als ein Kinderspiel.« Seine Vorschläge und Ermahnungen gelten dabei für Knaben wie für Mädchen  : »Ebenso kann ein Mädchen so viel Zeit haben, dass es am Tag eine Stunde zur Schule geht und dennoch seine Aufgabe im Hause wohl versieht.« Weil man dies alles seit langer Zeit verpasst habe, sei es schlecht um Deutschland bestellt  : »Darum weiß man auch von uns Deutschen nichts in anderen Ländern und müssen die Deutschen in aller Welt Bestien heißen, die nicht mehr können als Krieg führen, fressen und saufen.« Trotz seiner gelegentlich überzogenen Kritik ist Luthers Eintreten für eine solide Schulbildung sowie die Kenntnis der Geschichte und das Lernen von Fremdsprachen wegweisend geworden. Nicht nur im Zuge von Humanismus und Renaissance besserte sich das Ansehen der höheren Schulen und der Universitäten in den Jahrzehnten nach der Reformation – die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht ist durch Luthers Wirken maßgeblich befördert worden. Glaube und Gewalt – in beiderlei Gestalt

Angesichts der sich schnell ausbreitenden Reformation blieben die Anhänger der katholischen Kirche nicht untätig. Einer der beharrlichsten Gegner Luthers war Herzog Georg (reg. 1500–1539), der albertinische Vetter des ernestinischen Kurfürsten Friedrich des Weisen. Luthers 1522 im Druck erschienene Übersetzung des Neuen Testaments mit den Illustrationen Cranachs rief sofort den Widerstand Georgs hervor (vgl. Abb. 16). Er ließ die in seinem Herrschaftsbereich vorhandenen Exemplare einziehen und verbot den Druck evangelischer Schriften  – angesichts der Kampfschrift »Passional Christi und Antichristi« eine nachvollziehbare Maßnahme. Gerade in den vom Bürgertum geprägten Städten und Gemeinden gewann die Reformation mehr und mehr Anhänger. So führte die Oberlausitz bereits in den Jahren nach 1520 in mehreren Gebieten die Reformation ein. 1521 Wiederum reagierte Herzog Georg schroff – Anhänger des neuen Glaubens wurden verfolgt, lutherische Prediger verhaftet. Die Maßnahmen waren aber nicht sehr wirkungsvoll. Infolge der unglückseligen Leipziger Teilung von 1485 war das Land in ernestinische und albertinische Gebiete geteilt, die sich teilweise durchdrangen. Konnte man als Anhänger der Reformation im albertinischen Sachsen keinen Gottesdienst besuchen, wich man einfach in einen benachbarten Ort aus, der zum ernestinischen Kurfürstentum gehörte. Vor allem die Leip62  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Abb. 23  Lucas Cranach d. Ä., Herzog Georg von Sachsen, 1524, Kunstsammlungen Veste Coburg.

57 Andreas Tacke, Der katholische Cranach, Mainz 1992 und Tacke 2004, S. 236–245.

ziger Bürger profitierten von den nahe gelegenen kurfürstlichen Gebieten, in denen sie am evangelischen Gottesdienst teilnehmen konnten. Nach der Leipziger Disputation von 1519 zwischen Luther und Eck waren viele Persönlichkeiten und einfache Bürger zur Reformation übergetreten. 1533 ordnete Herzog Georg deshalb in seinem Herrschaftsgebiet die Vertreibung aller Anhänger der neuen Lehre an. Ein merkwürdig schillerndes Bild ergibt sich auch in der künstlerischen Darstellung der Geschehnisse und ihrer politischen Kontrahenten. So gilt Lucas Cranach  d. Ä., der Freund Luthers, im allgemeinen Bewusstsein als engagierter Verteidiger und Propagandist der Reformation, obwohl die neuere Kunstgeschichtsschreibung diese einseitige Sicht der Dinge differenziert hat, vor allem seine Tätigkeit für Kardinal Albrecht von Brandenburg, den großen Gegner Luthers, der Zeit seines Lebens sein wichtigster Auftraggeber war.57 Gottesdienst und Schule  |  63

Schwankend und widersprüchlich handelte der albertinische Herzog Moritz (reg. 1541–1553). Ende März 1521 teilt Heinrich der Fromme (reg. als Herzog 1539–1541) seinem Bruder Georg, dem regierenden Herzog von Sachsen, die Geburt seines Sohnes Moritz mit. Moritz wird katholisch getauft und erzogen, obgleich die Mutter, Katharina von Mecklenburg, evangelisch ist und auch Heinrich im Lauf der Jahre zum Protestantismus neigt. 1536 führte er in seinem Herrschaftsbereich um Freiberg schließlich die Reformation ein, wodurch auch Moritz protestantisch wurde. Pate des Jungen war auf Veranlassung des streng katholischen Herzogs Georg allerdings dessen Freund, Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und Mainz. Albrecht war einer der schärfsten Gegner der Reformation, Luther nannte ihn in einer Spottschrift nach seinem Wohnsitz den »Abgott von Halle«. Albrechts massive Unterstützung des Ablasshandels unter Johannes Tetzel (1465–1519) veranlasste Luther neben anderem zur Abfassung seiner 95 Thesen. Die Hinwendung der Eltern des kleinen Moritz zum neuen Glauben bewog Herzog Georg, seinen Neffen zur weiteren Erziehung nach Halle zu Kardinal Albrecht zu schicken, um den gefährlichen protestantischen Einfluss von ihm abzuwenden. Ab Januar 1533 lebte der Zwölfjährige in der Moritzburg in Halle (Saale). In deren Nachbarschaft befand sich das sogenannte »Neue Stift«, das Albrecht 1520 gegründet hatte. Die Einweihung erfolgte 1533, und der Bau war zeitgenössischen Berichten zufolge prächtig mit Reliquien, Heiligenaltären und etwa 180 Gemälden ausgestattet. Es waren Darstellungen der heiligen Messe, Heilige und Märtyrer, beispielsweise Albrecht als Märtyrer Erasmus  ; auf dem Altar der Gregorsmesse ließ sich Albrecht gleich zweimal abbilden.58 Es sind dies Themen, wie sie katholischer nicht sein können. Ein anderer Altarflügel zeigt Kardinal Albrecht in Anbetung des Gekreuzigten.59 Die Gemälde stammen von niemand anderem als Cranach d. Ä. und seiner leistungsstarken Werkstatt unter Leitung seines Meisterschülers Simon Franck. Cranach war Zeit seines Lebens für die Lutheranhänger der ernestinischen Linie wie für die altgläubig gebliebenen Albertiner tätig. Schon 1524 hatte Cranach  – gleichzeitig mit den Illustrationen für Luthers Kampfschriften  – den ärgsten Gegner Luthers, Herzog Georg, porträtiert (vgl. Abb.  23). Georg blieb bis zu seinem Tod 1539 ein überzeugter Anhänger der katholischen Kirche. »Ich habe den Herzog Georg zu Tode gebetet«, äußerte Luther in einem Tischgespräch gegenüber Philipp Melanchthon.60 Friedrich der Weise, Luthers Mentor, war vorsichtiger. Erst 1525, im Jahr seines Todes, empfing er das Abendmahl in beiderlei Gestalt, das heißt mit Brot und Wein, womit er sich zum evangelischen Glauben bekannte. Heinrich der Fromme starb bereits 1541 – Moritz wurde Herzog von Sachsen. Um diese Zeit verließ Kardinal Albrecht wegen der sich ausbreitenden Reformation Halle und flüchtete ins glaubensfeste Mainz. Er 64  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

58 Vgl. Tacke 1992, Farbabb. 2, Abb. 8, 16, 78. Papst Gregor der Große (um 540– 604) wird hier mit der Bischofsmütze gezeigt. Die dreifache Papstkrone, die Tiara, wurde erst im Laufe des Mittelalters entwickelt. 59 München, Alte Pinakothek, Tacke 1992, Farbabb. 6. 60 Tacke 2004, S. 236.

Abb. 24  Lucas Cranach d. Ä. und Simon Franck, Kardinal Albrecht von Brandenburg auf einem Altarflügel mit der Darstel­ lung der Gregorsmesse, um 1525, Aus­ schnitt, Aschaffenburg, Stadtpfarrkirche Sankt ­Peter und Alexander.

ließ fast alle Kunstwerke von Halle nach Aschaffenburg, seiner künftigen Residenzstadt, und nach Mainz, seinem Bischofssitz bringen, darunter die erwähnten Gemälde Cranachs und seiner Werkstatt. Albrecht starb 1545, sein Hallenser Stift wurde 1546 evangelisch. Im gleichen Jahr starb Luther, und kurz darauf begann der Schmalkaldische Krieg. In Wittenberg regierte zu dieser Zeit Kurfürst Johann Friedrich I., der Enkel Friedrichs des Weisen. Wider alles Erwarten schlug sich Moritz, der eine tiefe Abneigung gegenüber seinem Vetter hegte, auf die katholische Seite und besiegelte mit dem kaiserlichen Sieg in der Schlacht von Mühlberg 1547 das Schicksal Johann Friedrichs. Moritz erhielt die Kurfürstenwürde und große Teile Kursachsens einschließlich Wittenbergs, während Johann Friedrich und Cranach d. Ä. bis 1552 in Festungshaft nach Augsburg kamen. Man hat Moritz den »Judas von Meißen« genannt, weil er seinem evangelischen Vetter in den Rücken gefallen war. Doch 1551 wandte er sich gegen Kaiser Karl  V. und wurde der gefeierte Verteidiger der Reformation. Moritz stellte sich an die Spitze der protestantischen Opposition gegen den Kaiser. Karl V. sah sich gezwungen, den Bestand des Protestantismus im Passauer Vertrag von 1552 anzuerkennen, wodurch der Weg zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 geebnet war. Gottesdienst und Schule  |  65

Abb. 25  Lucas Cranach, d. Ä. Kardinal ­Albrecht von Brandenburg, um 1525, ­München, Alte Pinakothek.

1553 waren Cranach und Kurfürst Moritz gestorben, 1554 starb Johann Friedrich, nunmehr Herzog von Sachsen-Weimar, der wegen seiner Standhaftigkeit der Großmütige genannt wurde und auch in der Haft treu zu seiner Überzeugung gestanden hatte. Das Zeitalter Luthers war vorüber und es begann der Streit um sein geistiges Erbe. Kirchenlied und Kirchenmusik

1523 hatte Luther in der Schrift »Vom Ordnungsdienst […]« erklärt, neben der Predigt als Mittelpunkt des Gottesdienstes müsse die Gemeinde durch Lied und Gebet beteiligt werden. So gilt Luther als Schöpfer des 66  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

61 Luther, WA, Bd. 12, S. 259  ; leichter erreichbar  : Herrmann 2004, S. 273. 62 Ebd., S. 274. 63 Brusniak 1991. 64 Adler 1930, S. 448–481, insbesondere S. 451–453. – Herrmann 2004, S. 256 f., 260, 264.

evangelischen Kirchenliedes und komponierte selbst annähernd vierzig Lieder. »Nun freut euch liebe Christen g’mein« oder »Ein feste Burg ist unser Gott« sind weltweit bekannt. Die Zahl der in der Folgezeit entstehenden Kirchenlieder stieg sprunghaft an, und durch den sich entwickelnden Buchdruck erzielten sie eine enorme Breitenwirkung. Luther selbst sah die Musik gleichberechtigt neben der Predigt. Das Evangelium sei nämlich nicht, was ynn Büchern stehet und ynn buchstaben verfasset wirtt, sondern mehr eyn mundliche Predig und lebendig wortt und eyn stym, die da ynn die gantz wellt erschallet.61 In der Bibelübersetzung von 1534 heißt es in der Einleitung, das Evangelium sei die gute Botschaft, davon man singet vnd saget vnd frolich ist. 1524 erschien Luthers sogenanntes Achtliederbuch unter dem Titel »Etlich Cristlich lider / Lobgesang und Psalm«. Einzelne Lieder waren bereits 1523 als Einzelblattdrucke veröffentlicht worden. Welcher Erfolg derartigen Drucken beschieden war, ersieht man schon daraus, dass sich in Magdeburg ein Jahr später eine Gruppe von Bürgern vor dem Rathaus der Stadt versammelte, um ihrer Forderung nach Einführung der Reformation Nachdruck zu verleihen, und dabei lutherische Lieder anstimmte.62 Nach dem Achtliederbuch erschienen im 16. Jahrhundert zahlreiche Gesangbücher mit stetig ansteigender Liederzahl. Von überragender Bedeutung war dabei das Wirken Johann Walters (1496–1570), des musikalischen Beraters Luthers, der in Torgau als Leiter der kurfürstlichen Hofkapelle tätig war.63 Durch seine Kompositionen und die Organisation der Kantoreien wurde er der wichtigste Kantor der lutherischen Kirche. Walter bemühte sich in Verbindung mit dem Gemeindegesang um die Umsetzung der lutherischen Liturgiereform in die kirchliche Praxis. Walters erste Liedersammlung in Einzelblattdrucken entstand 1524 mit dem Titel »Geistliches Gesangbüchlein«. 1529 erschien es in Wittenberg als erstes gedrucktes Kirchengesangbuch. Es enthält fünf Abschnitte, von denen einer die Lieder entsprechend dem Kirchenjahr ordnet. 1551 erschien das »Geystliche Gsangbuchlein« bereits in einer fünften und erheblich erweiterten Auflage. Es war zugleich die erste große Veröffentlichung mit Liedern in mehrstimmiger Bearbeitung. 1544 waren von dem protestantischen Verleger Georg Rhau (1488–1548) »Neue deudsche Gesenge« publiziert worden. Gegenüber dem Wittenberger Gesangbuch waren Rhaus »Gesenge« durchgängig nach dem Kirchenjahr geordnet, das heißt, sie begannen wie bis heute mit dem Ersten Advent.64 Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 nahm die Zahl gedruckter Kirchenlieder weiter zu. Das Evangelische Gesangbuch für Hessen-­Waldeck von 1994 nennt allein für Mitteldeutschland im 16. und 17. Jahrhundert über fünfzig kirchliche Liederschöpfer, darunter so bedeutende Dichter und Komponisten wie Philipp Nicolai (1556–1608), Komponist des berühmten Liedes »Wachet auf, ruft uns die Stimme«, ferner Melchior Franck (1580–1639), Heinrich Schütz (1585–1672) sowie Gottesdienst und Schule  |  67

Samuel Scheidt (1587–1654) und Johann Hermann Schein (1586–1630), letzterer war zeitweise Hofkapellmeister in Weimar. Scheins Werk wurde Vorbild für viele lutherische Gesangbücher. 1627–1629 erschien sein »Cantional« mit insgesamt 286 Liedern. Den Höhepunkt protestantischer Kirchenlieddichtung verkörpert Paul Gerhardt, von dem über 130 Lieder bekannt sind. Seine Texte sind von den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges geprägt. Manche wurden erst Jahrhunderte später vertont, so wurde »Geh aus, mein Herz, und suche Freud«, eines seiner bekanntesten Lieder, in seiner heute gebräuchlichen Form erst Anfang des 19.  Jahrhunderts komponiert. Wegen ihrer Bedeutung und Beliebtheit seien einige hier aufgeführt, die zwar vielfach bekannt sind, von denen aber viele nicht wissen, wer die Verfasser von Wort und Melodie sind  : Nun ruhen alle Wälder, 1647 Oh Haupt voll Blut und Wunden, 1650 Befiehl du deine Wege, 1653 Wie soll ich Dich empfangen, 1653 Die güldne Sonne, 1666 Ich steh an Deiner Krippen hier, 1653 Geh aus mein Herz, 1653

Melodie  : 15. Jahrhundert Leo Hassler, 1601 M. B. Gesius, 1653 Johann Crüger, 1653 Johann Georg Ebeling, 1666 Johann Sebastian Bach, 1736 August Harder, um 1810

Von den zahlreichen Textdichtern seien hier nur Thomas Müntzer (um 1490–1525), Johann Agricola (1494–1566) und Philipp Melanchthon (1497–1560) erwähnt. Selbst in den katholischen Gottesdienst fanden lutherische Lieder Eingang, etwa durch Johann Leisentrit (1527–1586). Dieser war Priester und Domdekan in Bautzen inmitten einer protestantischen Umgebung. Leisentrit bemühte sich, zwischen Alt- und Neugläubigen zu vermitteln. Das Adventslied »Gott, heiliger Schöpfer aller Stern« mit seinem 1523 entstandenen Text von Thomas Müntzer wurde von Leisentrit neben anderen 1567 in sein katholisches Gesangbuch »Geistliche Lieder und Psalmen« aufgenommen. Das durch Luther initiierte evangelische Kirchenlied kann als eine der großartigsten und folgenreichsten Schöpfungen der Reformation gelten. Selbst die Jesuiten mussten dies anerkennen  : »Luthers Gesänge haben mehr Seelen umgebracht als seine Schriften und Reden.«65 Wer aber wollte beispielsweise die 15  Strophen von Luthers »Vom Himmel hoch, da komm ich her« oder die manchmal noch längeren Lieder von Paul Gerhardt auswendig lernen  ? Um im Gottesdienst diese Gesänge vorzutragen, musste man sie in den Gesangbüchern lesen können. Dazu benötigte man aber ausreichend Licht. In den mittelalterlichen Kirchen mit ihren glühend farbigen Glasfenstern war Lesen kaum möglich. Auch aus diesem Grund erhielten die protestantischen Kirchen unter anderem große, helle Fenster ohne farbige Glasscheiben.

68  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

65 Adam Contzen, lateinisch Contzenius (1571–1635), studierte in Köln Theologie und trat 1595 dem Jesuitenorden bei. Er war nicht nur ein streitbarer Gegner der lutherischen Kirche, sondern auch Beichtvater des frommen Maximilian I. Vgl. NDB, Bd. 3, 1957, S. 346, Artikel von Hermann Tüchle.

Abb. 27  Utrechtpsalter, Schule von Reims, um 835.

Die Orgel

Abb. 26  Römisches Mosaik, 2. Jahrhundert n. Chr., Nennig bei Trier.

66 Im Folgenden beziehe ich mich auf das kleine, aber sehr informative Buch Jakob 1976, S. 16–26. Jakob gelingt es, das höchst komplizierte und ständigen Veränderungen ausgesetzte Instrument anschaulich zu erklären. 67 DeWald 1932. Es handelt sich um eine seltene und qualitätvolle Faksimileausgabe mit 144 Tafeln, hier Tafel 130, Folio 83 recto, Psalm 149 f. Das namengebende Original befindet sich in der Utrechter Universitätsbibliothek.

Zur rasanten Entwicklung des Kirchenlieds und des Gemeindegesangs im Zuge der Reformation trug auch die Entwicklung der Orgel bei. Luthers Begeisterung für die Musik, vor allem als Mittel zur Einbindung der Gemeinde in den Gottesdienst, hatte weitreichende Folgen. Die Psalmen, Kirchenlieder, Kantaten und Oratorien förderten auch die instrumentale Begleitung. Wichtigstes Instrument wurde die Orgel, die es seit der Antike gibt. Erfunden wurde die von Pumpen betriebene Wasserorgel in Alexandria um 250 v. Chr. In der römischen Kaiserzeit war das Orgelspiel bereits populär und wurde vor allem bei Gladiatorenkämpfen in den Arenen eingesetzt. Mit dem Untergang des römischen Weltreichs und nach der Völkerwanderungszeit vom 4. bis 6. Jahrhundert verlor auch die Orgel immer mehr an Bedeutung. Von den Kirchenvätern des frühen Christentums wurde sie als heidnisch abgelehnt, während sie in Konstantinopel am Hof der oströmischen Kaiser als weltliches Instrument gefeiert wurde.66 Unter Ludwig dem Frommen (778–840), einem Sohn Karls des Großen, wurde in der Aachener Palastschule eine Orgel gebaut, die inzwischen mit Hilfe eines Balgs betrieben wurde. Mehrfach nennen Chronisten das neue, vielfach bewunderte Instrument, sodass die Orgel allmählich auch im kirchlichen Leben Einzug hielt und in mittelalterlichen Handschriften auftaucht. Im berühmten Utrechtpsalter aus dem 9.  Jahrhundert, einem der groß­a rtigsten Werke der frühen Buchkunst, sehen wir in der Illustration zum 150. Psalter den auferstandenen Christus, dem Engel zujubeln, während Heilige Psalmen singen und auf Musikinstrumenten begleiten. Im Zentrum der Darstellung steht eine Orgel, deren Blasebälge von vier Männern bedient werden.67 Hatten die karolingischen Orgeln in Aachen ausschließlich als weltliche Prunkstücke des Hofs gedient, so zeigt der etwa gleichzeitig Gottesdienst und Schule  |  69

entstandene Utrechtpsalter getreu dem Text, dass Orgeln und andere Musikinstrumente wie Leier, Tromba oder Tuba eingesetzt wurden, um geistliche Choräle oder Psalmen zu begleiten. Als Beispiel soll der hier abgebildete letzte Vers des 150. Psalms in der Übersetzung Martin Luthers vorgestellt werden  : Halleluja  ! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht  ! Lobet ihn für seine Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit  ! Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen  ! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen  ! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln. Alles, was Odem hat, lobe den Herrn  ! Halleluja  !

Vor allem die Orgel war geeignet, in den Dienst Gottes gestellt zu werden, und so mehren sich im 12. Jahrhundert entsprechende Darstellungen und Orgelbaunachrichten. Eine französische Miniatur zeigt noch das Herausziehen und Hineinstoßen der einzelnen Tonschieber, während auf dem späteren Wandteppich »Die Dame mit dem Einhorn« (Musée Cluny, Paris) die heute üblichen Tasten zu sehen sind. 70  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Abb. 28  Zeichnung in einer Bibel des 13. Jahrhunderts, Dijon, Bibliothek, Ms. 14, fol. 13 v. Abb. 29 (links)  Notre-Dame de Valère, sog. Schwalbennestorgel, um 1400.

Abb. 30  Orgel in der Schlosskapelle von Celle, um 1570, Residenzmuseum im Celler Schloss, Foto  : Fotostudio Loeper, Celle.

68 Vgl. Frotscher 1959.

Ab dem 13. Jahrhundert entstanden in vielen großen Kirchen Orgeln, so 1226 in Erfurt, 1230 in Bonn oder 1292 in Straßburg. Im 15.  Jahrhundert, also noch in vorreformatorischer Zeit, setzte im deutschsprachigen Raum eine Orgeltradition ein, die auch in Tabulaturen und Lehrbüchern mit Anwendungsbeispielen ihren Niederschlag findet. Die älteste noch spielbare Orgel entstand um 1400 in Notre-Dame de Valère im schweizerischen Sion (Wallis). Die Kunst der Orgel wurde also lange vor der Reformation geschätzt.68 Allerdings nahm die römische Kirche der Orgel gegenüber immer eine kritische bis ablehnende Haltung ein. 1290 wurde in Ferrara das Orgelspiel während des Gottesdienstes verboten. Die Sixtinische Kapelle hat bis heute keine Orgel. Bilderstürmer wie Andreas Karlstadt lehnten Musik in der Kirche grundsätzlich ab  – Luthers Begeisterung für die Musik ebnete jedoch der Orgel und der Instrumentalmusik in der Kirche den Weg. Gottesdienst und Schule  |  71

Ich liebe die Musik. Auch die Schwärmer gefallen mir nicht, weil sie die Musik verdammen. Denn sie ist 1. ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen  ; 2. sie macht fröhliche Herzen  ; 3. sie verjagt den Teufel  ; 4. sie bereitet unschuldige Freude. Darüber vergehen Zorn, Begierden, Hochmut. Den ersten Platz nach der Theologie gebe ich der Musik.69 Ausgangspunkt für den großen Aufschwung der protestantischen Kirchenmusik waren Mittel- und Norddeutschland, während die Orgel in Süddeutschland wegen ihrer Ablehnung durch Rom kaum zur Geltung kam. In den protestantischen Kirchen gehörte die Orgel neben Kanzel und Altar von Anfang an zu den zentralen Ausstattungsstücken. Häufig wurde sie direkt über der Kanzel aufgestellt, so noch zu Luthers Lebzeiten 1545 in Torgau, 1590 in Schmalkalden oder nach dem Dreißigjährigen Krieg in Weimar. Der bedeutendste Organist seiner Zeit war Paul Hofhaimer (1459–1537), sein Schüler Johann Walter (1496–1670) war mit Luther befreundet und wie erwähnt der erste Kantor. Die Orgel war zur Zeit Luthers jedoch noch nicht das dominierende Kircheninstrument im Barock. Im Gottesdienst war sie eines von vielen 72  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Abb. 31 (links)  Bedheim, Hauptorgel, 1711. Abb. 32 (rechts)  Bedheim, Schwalben­ nestorgel, 1721.

69 Luther, WA, Bd. 30, II, S. 695 f., zit. nach Schilling 2014, S. 536.

Instrumenten. Wurde sie als Soloinstrument eingesetzt, handelte es sich bei den gespielten Stücken fast immer um Liedsätze. Die älteste erhaltene Orgeltabulatur stammt von Hofhaimers Schüler Hans Kotter und ist eine Bearbeitung von Luthers »Aus tiefer Not schrei ich zu Dir«.70 Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Orgel zum beherrschenden Instrument der Kirchenmusik – in der architektonischen Gestaltung wie in der räumlichen Anordnung gab es die unterschiedlichsten Lösungen. 1658 ließ Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar in dem nach einem Brand neu erbauten Schloss durch seinen Baumeister Moritz Richter Engel über dem Pyramidenkanzelaltar auf den Kuppelraum verweisen, in dem eine Empore die Orgel und den Sängerchor aufnahm. In der Kilianskirche von Bedheim in der thüringischen Rhön gab es gleich zwei Orgeln  : die Hauptorgel an der Westwand und am Triumphbogen die kleinere Schwalbennest-Orgel. Beide sind vom Spieltisch der großen Orgel aus zu spielen  ; sie konnten einzeln, aber auch gleichzeitig gespielt werden. Die Verbindung der beiden Orgeln verläuft auf einer Länge von vierzehn Metern über den Kirchenboden bis zur Windlade  – eine einmalige Besonderheit. »Die Windlade ist […] der hölzerne Körper, auf welchem die einzelnen Pfeifen stehen und aus welchem ihnen beim Spielen der Wind zuströmt.«71 Schon im Barock erreichte die Orgel ihr bauliches und klangliches Ideal. Die großen Komponisten, die alle auch das Spiel auf der Orgel beherrschten, sind Vertreter der evangelischen Kirchenmusik aus Mitteldeutschland. Komponisten wie Michael Praetorius aus Creuzburg in Thüringen (1571–1621), Samuel Scheidt aus Halle (1587–1654), der Köstritzer Heinrich Schütz (1585–1672) und Johann Hermann Schein aus Grünhain in Sachsen (1586–1630) gehören ebenso dazu wie Johann Sebastian Bach (1685–1750) aus Eisenach und dessen Sohn Carl Philipp Emanuel (1714–1788) sowie Georg Friedrich Händel (1685–1759) aus Halle. Michael Praetorius schreibt in der Vorrede seiner Publikation über die Kunst des Orgelspiels von 1619, die Orgel enthalte alles, was etwa in der Music erdacht und componiret werden kan […] die Orgel hat und begreifft alle andere Instrumenta musica, groß und klein / wie die Nahmen haben mögen / alleine in sich. Wiltu eine Trummel / Trummet / Posaun / Zincken / Blockflöte […] Geigen / Leyern etc. hören / so kanstu dies alles / und noch viel andere wunderliche liebligkeiten mehr in diesem künstlichen Werck haben.72 70 Vgl. den Artikel  : Luther und die Haus-, Schul- und Kirchenmusik, in  : Kat. Nürnberg 1983, S. 312–322, zu Kotter Kat. Nr. 422. 71 Jakob 1976, S. 75. 72 Praetorius 1619, S. 85.

Heinrich Schütz, der bedeutendste evangelische Kirchenkomponist vor Bach, studierte von 1609 bis 1613 bei Giovanni Gabrieli in Venedig Kompositionslehre, die Mehrchörigkeit und die Kunst des Orgelspiels. Sein Mentor war Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, der selbst Gottesdienst und Schule  |  73

Abb. 33  Evangelische Kirche in Nentershau­ sen, Kreis Rotenburg, Deckenmalerei mit musizierenden Engeln, hier die Heilige Cäci­ lie an der Orgel, 1706.

komponierte.73 Unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges schuf Heinrich Schütz seine »Kleinen Geistlichen Konzerte«, die 1636 im Druck erschienen. Sein Werk umfasst ausschließlich geistliche Musik. Dabei charakterisieren die Instrumente Situationen und Personen, beispielsweise übernehmen vier Posaunen die Klage Davids um Absalom.74 Zu erwähnen ist ein Zeitgenosse von Bach und Händel, der Thüringer Gottfried Heinrich Stölzel (1690–1749), der dreißig Jahre lang als angesehener Hofkapellmeister in Gotha wirkte, dann aber 250  Jahre lang vernachlässigt und beinahe vergessen wurde.75 1999 wurde Stölzels Weihnachtsoratorium in Weimar durch das dortige Barockensemble unter der Leitung von Ludger Rémy aufgeführt.76 Dieses Weihnachtsoratorium mit seinen innigen Chorälen und Arien sowie seiner strahlenden Besetzung mit Orgel und Bläsern lässt sich ohne Bedenken neben jenes von Johann Sebastian Bach stellen. Aufgeführt wurde der Kantatenzyklus erstmals 1736/37 in der Schlosskapelle von Sondershausen. Werk und Aufführung verdienen besonders hervorgehoben zu werden, da wichtige Teile seines Werks 1870 durch Zufall in einem Behältnis unter der Orgel gefunden wurden, während große Teile seines Schaffens schon unter seinem unmittelbaren Nachfolger in Gotha verloren gingen. Stölzel belieferte von Gotha aus auch den Hof in Sondershausen mit seinen Werken. Auf diese Weise sind 339  Kirchenkantaten und drei Passionsmusiken erhalten geblieben. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde die Orgel immer mehr zur Unterstützung des Gesangs herangezogen. Damit löste sie sich allmählich auch von der engen Bindung an Kanzel und Altar. Gegenüber von Altar, Kanzel und Orgel befindet sich in den meisten Kirchen die Herrschafts- oder Patronatsloge – nicht nur in Schloss­ kapellen oder Hofkirchen, sondern auch in Stadtkirchen. Gerade in bescheidenen Dorfkirchen gibt es eine solche Loge, wie beispielsweise 74  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

73 Seine Gelehrsamkeit stand allerdings in tragischem Gegensatz zu seiner politischen Haltung und seinem widersprüchlichen Charakter. Vgl. Demandt 1972, S. 244–254. 74 Zu Schütz vgl. Heinemann 1994. 75 Fechner 2004, S. 280–291, zu Stölzel insbesondere S. 280, 282–284. 76 Georg Heinrich Stölzel, Weihnachts­ oratorium  : Kantaten 1–5 (cpo 999 6682), Kantaten 6– 10 (cpo 999 735-2). 77 Heckmann 1999, S. 144.

Abb. 34  Denis von Alsloot (1570–1626) ­Bläsergruppe, Ausschnitt aus einem ­Gemälde mit der Darstellung einer ­Prozession.

in der Kirche von Niederroßla bei Apolda.77 Im Zuge der Aufklärung und der Erstarkung des Bürgertums verloren die Herrschaftslogen an Bedeutung, was für den Standort der Orgeln zur Folge hatte, dass diese vor allem in kleineren Kirchen im Laufe des 18. Jahrhunderts gegenüber dem Altar angeordnet wurden, wie beispielsweise in Magdala bei Weimar.78 Bläsermusik und Turmsonaten

78 Wimböck 2004, S. 189–204 (dort weitere Literatur). 79 Johann Hermann Schein, Musik für Blechbläser, Sätze zu fünf Stimmen (BA 6688), hrsg. von Karl-Heinz Sarezki, Kassel/Basel o. J.

Während Heinrich Schütz unter dem Eindruck des Krieges fast ausschließlich geistliche Lieder und Chorwerke schrieb, widmete sich Johann Hermann Schein in zunehmendem Maße auch der weltlichen Musik. Schein, der aus dem Erzgebirge stammte, war Sohn eines Pfarrers und Schulmeisters. Nach Stationen als Haus- und Hofkapellmeister in Weißenfels und Weimar übernahm er 1616 die Stelle des Thomaskantors in Leipzig und war dort bis zu seinem Tod als Director musici chori tätig. 1609 erschien die Sammlung weltlicher Lieder und Instrumentalstücke »Venus-Kräntzlein«, 1624 erschienen die »Diletti Pastorali« (»Hirten Lust«), 15 deutsche Madrigale im italienischen Stil. Auch die Texte dieser Lieder stammen von Schein. Schein vertonte auch Psalmen, wie das 1615 veröffentlichte »Cymbalum Sionium« zeigt. Nach Psalm 150 heißt es  : »Lobet den Herrn in seinem Heiligtum […] Lobet ihn mit Posaunen […] Lobet ihn mit Pauken und Reigen. […] Alleluja.«79 Komponisten wie der Leipziger Johannes Pezelius (1639–1694) oder Gottfried Reiche (1667–1734), der Trompeter Bachs, bezeichneten in ihren Notendrucken die Instrumentierung sehr genau. 1685 erschien »Johan­nis Pezelii Fünfstimmigte blasende Music, Bestehend in Intraden, Gottesdienst und Schule  |  75

Allemanden, Balleten, Courenten, Sarabanden und Chiquen [Gigues], als zweyen Cornetten und dreyen Trombonen. Frankfurt  am  Main 1685«80. Zehn Jahre später veröffentlichte Gottfried Reiche seine 24  neuen Quatricinien, vierstimmige Turmsonaten  : »Dem Hoechsten Gott zu Ehren«. Auf dem Titelblatt gibt er die Besetzung genau an  : »Quatri­c inia Mit Einem Cornett und drey Trombonen«.81 Musikpraxis und Herrnhuter Posaunenchöre

Das Musizieren von Kirchen- und Rathaustürmen war in Renaissance und Barock weit verbreitet. Dabei kamen Trompeten, Zinken, Posaunen, Krummhörner, aber auch Pfeifen und Cimbeln zum Einsatz. Gespielt wurde zu verschiedenen Zeiten, meistens jedoch am Samstag, Choräle, Fanfaren und Turmsonaten. Für diese Musiken waren die Stadtpfeifer verantwortlich, seit dem 15.  Jahrhundert in den Städten gildenmäßig zusammengeschlossene, privilegierte Musiker. Diese standen unter der Leitung eines Stadtmusikus und mussten bei offiziellen Anlässen wie Empfängen, Beerdigungen, Hochzeiten und ähnlichem auftreten. Schwieriger war die Situation auf dem Land  : Für die Vokalmusik konnte man zwar Laien und Schüler der Lateinschulen unter der Leitung eines Kantors engagieren, der auch die Orgel spielte, Instrumentalisten standen jedoch kaum zur Verfügung. Ein überraschender und seltener Nachweis in Bezug auf Instrumentalmusik durch Laienspieler ist neuerdings in der Kirchengemeinde von Heubach nahe Masserberg im Thüringer Wald gelungen. Dort belegt ein Eintrag im Rechnungsbuch von 1670 die Gründung einer Bläsergruppe  : Verzeichnis derjenigen gutherzigen Leute, welche aus freiem Willen das Spielwerk in der Kirche, also zwei Posaunen und einen Zinken dazu, verehrt und erkauft haben.82 Das Beispiel zeigt, dass man in Thüringen wie sicher auch in Sachsen schon bald nach Ende des Dreißigjährigen Krieges insbesondere auf dem Land bemüht war, für die Kirchenmusik Laien heranzuziehen. Abhilfe in größerem Umfang schufen erst Mitglieder der aus Böhmen und Mähren geflohenen Brüdergemeinen. Diese im 15. Jahrhundert aus den Hussiten hervorgegangene Glaubensgemeinschaft wurde seit dem Dreißigjährigen Krieg wegen ihres Glaubens verfolgt und vertrieben. Die sächsische Oberlausitz war durch die Nachbarschaft zu Böhmen ein bevorzugtes Einwanderungsgebiet für die Verfolgten geworden.83 Auf dem Rittergut des Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760) in Berthelsdorf fanden die Emigranten eine neue Heimat, auf dessen Gebiet sie 1722 den Ort Herrnhut gründeten, der schließlich namengebend für die bald weltweite Bewegung wurde. Die Brüdergemeine der Herrnhuter stand und steht der lutherischen Kirche nahe. Schon kurz nach ihrer Ankunft bemühte sie sich mit Nachdruck um die Pflege einer von Laien 76  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

80 Johannes Pezelius, Fünfstimmige blasende Musik 1685, hrsg. im Auftrag der Sächsischen Posaunenmission … von Klaus Schlegel, Berlin o. J. [1960]. 81 Gottfried Reiche, Vierundzwanzig neue Quatricinien [Turmsonaten], hrsg. von Gottfried Müller, Berlin 1958.

Abb. 35  Blasinstrumente, 17. Jahrhundert, Städtisches Museum Braunschweig.

ausgeübten Kirchenmusik. 1731 wurde in Herrnhut ein Posaunenchor ins Leben gerufen, der aus einer Diskant- und einer Altposaune, einer Tenorund der Bassposaune bestand.84 In einer Tagebuchaufzeichnung im Archiv der Brüder-Unität Herrnhut heißt es zum 1. Juni 1731  : Einige Mähren kommen an. Den folgenden Tag, den 1. Juni gingen wir nach Herrnhut […]. Da eben an diesem Tage die Gemeine die ersten Posaunen bekommen hatte, so bewillkommeten sie uns mit denselbigen.85

82 Bachteler 1989, S. 26–42, zu »Kirchenmusiken auf dem Thüringer Wald«, S. 27 f. Da Merklingen in Baden-Württemberg liegt, ist man über den Abschnitt zu Thüringen etwas verwundert. Die Eintragung an entlegener Stelle erklärt sich daraus, dass der im Aufsatz ebenfalls behandelte Ort Laichingen eine Patenschaft mit Heubach unterhält. 83 Quoika 1956. 84 Van den Bosch 1989, S. 43–51, ferner Winkler 1989, S. 66–96. – Van den Bosch 1996, S. 13–23, zur Besetzung und Namensgebung vgl. S. 16. 85 Ebd., S. 46, Anm. 11. 86 Van den Bosch nennt mehrere Veranstaltungen der Herrnhuter Bläser, die quellenmäßig belegt sind. Vgl. van den Bosch 1989, S. 46. Er zitiert nach Hahn/Reichel 1977, S. 230–232. 87 Winkler 1989, S. 72–83, mit Partiturbeispielen. 88 Ebd., S. 83, Notenbeispiel Nr. 3 auf S. 82. In den heutigen Posaunenchören der evangelischen Kirche sind Arrangements, die über zwei Oktaven gehen, keine Seltenheit, und auch hier handelt es sich um Laienspieler. 89 Ebd., S. 70 und van den Bosch 1996, S. 24 f.

Für die folgenden Jahre liegen zahlreiche Belege für die Mitwirkung von Posaunenchören vor.86 Es mag erstaunen, dass im Bereich der Laienmusik vor allem die verschiedenen Arten der Posaune bevorzugt wurden. Das liegt darin begründet, dass auf Posaunen durch die Zugeinrichtungen chromatische Tonleitern, das heißt sämtliche Töne gespielt werden konnten, während Trompeten vor Erfindung der Ventile – bis etwa 1790 – nur wenige Naturtöne hervorzubringen vermochten. Im 19. Jahrhundert entstanden Bläserchöre mit variabler Besetzung aus Trompeten, Posaunen, Tenorhörnern und Tuben. Ende 1746 nahmen die Herrnhuter den Komponisten Daniel Johann Grimm (1719–1760) in ihre Gemeine auf. Von Grimm hat sich im Herrnhuter Archiv ein Sammelband mit zwölf Sonaten für zwei Trompeten und drei Posaunen erhalten.87 In diesen Stücken geht der Tonumfang nicht über eine Oktave hinaus, was darauf schließen lässt, dass die einzelnen Stimmen dem bescheidenen Anspruch von Laienspielern zu genügen hatten.88 1750 wurde eine Brüdergemeine in Neuwied gegründet. Hier haben sich Partituren von mehreren Komponisten erhalten, darunter von dem aus Wahrenbrück in Sachsen stammenden Johann Gottlieb Graun (1702/03–1771). 1773 entstand in Neuwied ein Bläserchor, der vierstimmig mit Posaunen besetzt war. So heißt es im Protokoll des Aufseher Collegiums vom 9. April 1773, daß ein Privatus in unserer Gemeine 4 Posaunen angeschaft, u. der Gemeine ein präsent damit gemacht habe.89 Die Beliebtheit der Posaune in den Kreisen der Herrnhuter beruht auf dem Bezug zur Bibel, wo an verschiedenen Stellen von Posaunen die Rede ist  : so von den »Posaunen von Jericho« (Josua 6) im Alten oder den »Posaunen des jüngsten Gerichts« (Offenbarung  8–11) im Neuen Gottesdienst und Schule  |  77

Testament.90 In Psalm  81,4 heißt es  : »Hebt an mit Psalmen und lasst hören die Pauken, liebliche Zithern und Harfen. Blast am Neumond die Posaune.« Der Einfluss der Reformation auf die Musik der Posaunenchöre ist ebenso denkwürdig wie weitreichend. Wegen ihrer tontechnischen Überlegenheit, vor allem aber, weil sie durch die Anbindung an die genannten Bibelstellen für den Gottesdienst besonders geeignet waren, erfreuten sich Posaunen großer Beliebtheit. Erst als für die Trompeten die Pumpventile erfunden wurden, beherrschten diese mit ihrem strahlenden Klang die Bläsergruppen, während die Posaunen bis heute in der Minderheit sind, wegen ihrer historischen Bedeutung aber namengebend blieben. Die Verbreitung von Posaunenchören der Brüdergemeinen während des gesamten 18. Jahrhunderts führte im 19. Jahrhundert allmählich zu Bläserchören mit variabler Besetzung aus Trompeten, Posaunen, Tenorhörnern und Tuben. So gesehen stehen die nach Zehntausenden zählenden Bläser der heutigen Posaunenchöre, die insbesondere auf dem Land weit verbreitet sind, in der Nachfolge der durch die Reformation entstandenen Bläserensembles und der Herrnhuter Posaunenchöre.

90 Der Hinweis auf die Posaunen liegt an der Lutherübersetzung, gemeint ist wohl das Schofar der Israeliten, ein mächtiges Widderhorn.

78  |  Luthers Lehre – Voraussetzungen und Folgen für die Kirchenausstattung

Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

Der protestantische Kirchenbau nahm seinen Ausgang in Schlosskapellen. Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise und seine Nachfolger verstanden sich als Schutzherren der Reformation. Ihre Baumeister hatten den Anspruch, die Neuerungen, die im Gottesdienst stattgefunden hatten, in der Architektur sichtbar werden zu lassen. Die erste nach den neuen Prinzipien errichtete Kirche, eine Inkunabel des Protestantismus, war die Schlosskirche von Torgau  : eine chorlose Querkirche, die im Oktober 1544 von Martin Luther eingeweiht wurde.91 Baumeister war Nickel Grohmann (um 1500–1566). Die Kapelle ist ein durch drei Geschosse reichender Emporensaal. Er verfügt an drei Seiten über zwei Geschosse, an einer Schmalseite ist er eingeschossig. Hier befindet sich auch der Altar. Über diesem befand sich eine Orgel aus der Erbauungszeit, die jedoch 1994 erneuert wurde. Die Emporen erheben sich über ursprünglich ringsum laufenden Arkaden mit breiten Korbbögen, die von tief in den Raum hineinreichenden Wandpfeilern getragen werden. Die Kanzel befindet sich in der Mitte einer Längsseite, es handelt sich also um eine Querkirche. Der Kanzelkorb ist direkt unterhalb der ersten Empore angebracht, der Schalldeckel schließt mit dem oberen Rand des Brüstungsfeldes ab. Damit liegt der Fürstenstand auf der Empore höher als der Standpunkt des Predigers – der gebührende Abstand in der Rangfolge Herrscher/Untertan blieb gewahrt. Den oberen Abschluss der Kapelle bildet ein kräftiges Kreuzrippengewölbe. Der rechteckige, chorlose Raum, die zentral angebrachte Kanzel und das von Anfang an vorhandene Chorgestühl entsprechen gänzlich den Anforderungen der neuen Lehre. Nur der Altar mit dem von Lucas Cranach  d. Ä. geschaffenen, später verschollenen Retabel folgt noch den Regeln der alten Kirche. Gemäß Luthers Forderungen fehlen Heiligenaltäre. Torgau fand trotz vielfacher Bewunderung keine direkte Nachfolge, sieht man von der Hofkirche in Dresden ab, die aber unter katholischer Herrschaft im 18.  Jahrhundert verändert wurde. Torgaus Einfluss zeigt sich jedoch in Niedersachsen und Hessen. Die Schlosskapelle in Celle

91 Krause 2004, S. 175–188.

Die zwischen 1565 und 1576 unter Herzog Wilhelm  d. J. von Braunschweig-Lüneburg (1535–1592) neu ausgestaltete Schlosskapelle in Celle überrascht jeden Besucher gleich in mehrfacher Hinsicht  : Sie ist für eine nur rund zwanzig Jahre nach Luthers Tod entstandene Kapelle ungeDie Schlosskapelle in Celle  |  79

80  |  Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

Abb. 36 (links)  Torgau, Schlosskapelle, 1544. Abb. 37 (rechts)  Schlosskapelle in Celle (erbaut 1565–1576), Foto  : Fotostudio Loeper, Celle.

Die Schlosskapelle in Celle  |  81

mein prächtig ausgestattet – ein Kleinod der deutschen Renaissance. Die Celler Kapelle ist wohl das einzige vollständig erhaltene Beispiel frühprotestantischer Kircheneinrichtungen mit einem überreichen Bildprogramm.92 Schon Wilhelms Vater, Herzog Ernst  I. (1497–1546), der Bekenner, hatte sich sehr früh auf die Seite der Reformation gestellt. 1511/12 hatte er in Wittenberg studiert und auch Martin Luther gehört. Dieser blieb auch später Berater des Herzogs, seit 1526 unterstützte Ernst I. die Reformation. Trotz heftigen Widerstands von katholischer Seite setzte der Herzog ab 1529 in den Pfarreien evangelische Prediger ein. In die spätgotische Schlosskapelle wurden in verschiedenen Ebenen Emporen eingefügt, deren Brüstungsfelder vollständig mit Malereien und Reliefs versehen sind. Vor dem östlichen Chor erhebt sich ein hoher Retabelflügelaltar. An der Nordseite befindet sich die verglaste Herrscherloge, die von einem Ziborium bekrönt und damit noch einmal herausgehoben ist. Gegenüber dem Altar wurde auf der Westseite eine zweigeschossige Empore eingefügt, deren obere Ebene den Herrschaftsstand der Herzogin enthält. Die für den Protestantismus so wichtige Kanzel erhebt sich auf einer kurzen Säule ähnlich wie in Torgau gegenüber dem und mit Blickrichtung auf den höher gelegenen Fürstenstand, sodass der Prediger zum Herrscher aufschauen muss. Die mit neun mal vierzehn Metern Grundfläche recht kleine Kapelle enthält an Wänden, Brüstungen, auf den Altarflügeln und selbst auf den Seitenflügeln des Orgelgehäuses siebzig Gemälde. Allein Jesus Christus kommt in über dreißig Darstellungen vor. Verantwortlich für die sehr qualitätvolle Malerei war der Flame Marten de Vos (1532–1603), der auf einer Italienreise zusammen mit Pieter Bruegel d. Ä. zahlreiche Anregungen durch die italienische Renaissance und den Manierismus empfing. So sind Einflüsse von Raffael und Tintoretto unübersehbar.93 Zu den zahlreichen Gemälden und dekorativen Verzierungen kommen noch Reliefs vorbildlicher Herrscher des Altertums wie der Könige David und Salomon, ferner solche von Aposteln und Evangelisten sowie unzählige Engel und Putten mit Musikinstrumenten. Fast allen Bildern und Reliefs, insbesondere jenen auf den Brüstungsfeldern der Emporen sind biblische Texte beigegeben. Diese Emporen bilden ideale Bildträger, auf denen das erzählerische Element der Bibeltexte hervorragend zur Geltung kommt. Es ist anzunehmen, dass die Celler Schlosskapelle für die weitere Entwicklung der Kirchenemporen Vorbildcharakter hatte. Trotz der Bilderflut hält sich das Programm an Luthers Vorgaben und interpretiert die neue Lehre durch bildliche Darstellungen und Zitate aus dem Alten und Neuen Testament. Im Zentrum der Kapelle steht der Retabelaltar mit der Darstellung der Kreuzigung Jesu. Die Außenflügel zeigen bei geöffnetem Zustand das anbetende Herrscherpaar Herzog Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (1535–1592) und Herzogin Dorothea (1546–1617). Auf dem Giebelfeld der Altartafel steht in der 82  |  Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

92 Schmieglitz-Otten 2012. 93 Ebd., vgl. Abb. S. 101–105.

Abb. 38  Schlosskapelle in Celle, Blick auf die Westemporen, Foto  : Fotostudio Loeper, Celle.

Mitte Christus als Salvator, flankiert von Engeln, welche die Wappen des Herrscherpaares halten. Die geöffneten Flügel der Orgel zeigen die Verkündigung, die Anbetung der Hirten und der Könige sowie die Flucht nach Ägypten. Auf den Brüstungstafeln der Empore sieht man die in Weiß und Gold gehaltenen Reliefs der Apostel und Evangelisten, im Erdgeschoss finden sich Szenen aus der Bibel, aber auch Darstellungen wie »Wilhelm der Jüngere liest seinen Kindern aus der Bibel vor«. Im Blickfeld der Fürstenloge werden an den Brüstungsfeldern im Erdgeschoss Darstellungen der Sieben Werke der Barmherzigkeit gezeigt. Als erstaunliches »Monument landesherrlicher Selbstdarstellung« kennzeichnen die Kapelle »die bildlichen Darstellungen der […] Bauherren im Kirchenraum, aber auch die vielen landesherrlichen Wappen. Die herausragende Stellung des Landesherrn, die auf seinem Status als Die Schlosskapelle in Celle  |  83

Abb. 39  Schlosskapelle in Celle, Blick auf Altar, Kanzel und Orgel, Foto  : Fotostudio Loeper, Celle.

Vertreter Gottes auf Erden beruhte, äußerte sich in einer prachtvollen Ausstattung, die nicht nur auf die Macht des Herzogs, sondern auch auf die Größe Gottes rückschließen ließ. Vor allem aber äußerte sie sich in der Anordnung der Stände im Kirchenraum. […]«94 An herausragendster Stelle befand sich der Herrschaftsstand. Mit der Reformation wechselte er seinen Platz  – war er zuvor gegenüber dem Altar gewesen, so lag er nun gegenüber der Kanzel. Um diesen Stand ordneten sich die anderen Stände an, worin sich das gesellschaftliche Gefüge widerspiegelte. Als Summus Episcopus war der lutherische Landesherr zugleich oberster Kirchenherr. Durch ihn fand die Bevölkerung auf weltlichem und auch auf geistlichem Gebiet Wohlstand und Erlösung. Daher verwundert es nicht, dass der Herrschaftsstand höher als Altar und Kanzel angebracht war. Die Kapelle wurde zu einem »Disziplinierungs- und Sakralisierungsinstrument des Landesherrn«95. 84  |  Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

94 Laß, S. 15–82. 95 Ebd., S. 41.

Abb. 40  Schlosskapelle Augustusburg.

Die Kapelle von Schloss Augustusburg bei Chemnitz

Abb. 41  Augustusburg, Lucas Cranach d. J., Retabelaltar, 1571.

Die quadratisch angelegte Schlossanlage von Augustusburg entstand unter Kurfürst August (1553–1586) zwischen 1567 und 1572 als eines der ersten regelmäßigen Renaissanceschlösser in Deutschland. Baumeister war Hieronymus Lotter, für die Schlosskapelle zeichnete der Niederländer Erhard van der Meer verantwortlich. Obwohl die Kapelle auf dem Torgauer Schema auf baut, weicht sie in der architektonischen Ausgestaltung erheblich von Torgau ab. Im Sinne der Hochrenaissance handelt es sich um einen italianisierenden Bau mit niederländischen Einzelformen. Der vierjochige Raum mit seinen zweigeschossigen Emporen ist im Gegensatz zu Torgau von einer steinernen Tonne überwölbt. Das Beschlagwerk, das an eine Kassettierung erinnert, findet sich ähnlich in niederländischen Bauten. Den Emporen sind in Anlehnung an die römische Antike klassische Säulenordnungen vorgelegt, die im Untergeschoss der toskanischen, im Obergeschoss der ionischen Ordnung folgen. Das Tonnengewölbe geht auf Leon Battista Albertis Kirche Sant’ Andrea in Mantua zurück. Die Kanzel befindet sich wie in Torgau an einer Längsseite. Der prachtvolle Retabelaltar von Lucas Cranach d. J. zeigt eine Darstellung des Gekreuzigten, im Hintergrund die Ölbergszene und die Auferstehung, während im Vordergrund die fürstliche Familie als Garant des neuen Glaubens betend kniet. Die Kanzelaltäre in Rotenburg a. d. Fulda und in Schmalkalden

In Hessen war das evangelische Kirchenwesen bereits 1526 eingeführt worden. Von 1581 bis 1590 wurde unter Landgraf Wilhelm IV. von HesDie Kanzelaltäre in Rotenburg a. d. Fulda und in Schmalkalden  |  85

Abb. 42  Grundriss der Schlosskapelle in Rotenburg (nach Ellwardt).

sen-Kassel das Schloss in Rotenburg an der Fulda erneuert. Die Schlosskapelle ist wie in Torgau eine Querkirche. In der Rotenburger Schlosskapelle sind Kanzel und Altar erstmals übereinander angeordnet. Es ist der Beginn einer rasanten Entwicklung des Kanzelaltars, der bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bezeichnend für evangelische Kirchen bleiben wird.96 Die Kapelle verfügte über eine umlaufende Empore, der sechssäulige Altartisch bestand aus Alabaster. 1605 rühmt Wilhelm Dilich in der »Hessischen Chronica«, dass Wilhelm IV. zwo herrliche Kirchen […] in Rotenburg und Schmalkalden gebawet habe – letztere eine weitere Inkunabel des protestantischen Kirchenbaus, eine rechteckige Emporenkirche mit einem Kanzelaltar an der Schmalseite.97 Der früheste Kanzelaltar entstand somit in Hessen, der älteste erhaltene befindet sich in Thüringen. Schmalkalden gehörte zu Hessen-Kassel, sodass beide Kirchen unter demselben Landgrafen entstanden. Von 1627 bis 1834 war Rotenburg Residenz der katholischen Nebenlinie Hessen-Rotenburg. 1791 wurde die protestantische Kapelle wegen Baufälligkeit abgebrochen.98 Auch im thüringischen Schmalkalden bildet die Kapelle im Grundriss ein schmales Rechteck mit dreiseitig umlaufender, arkadengebundener Pfeilerreihe, abgeschlossen von einem flachen Kreuzgewölbe. Wegen des Fürstenstandes auf der zweiten Empore an der Ostseite steht der schlichte Altartisch mit eingelassenem Tauf becken an der Westseite. Hinter diesem erhebt sich auf vertikaler Achse die Kanzel, deren Brüstung über die Empore hinausragt und über der sich in Höhe der oberen Empore eine Orgel befindet. Der Fürstenstand ist gegenüber angeordnet, da sich dort die herrschaftlichen Wohnräume befanden. Auch hier musste der Prediger auf der Kanzel zum Fürsten aufschauen.99 Ein reich ausgearbeitetes Bildprogramm umzieht in fast vollplastischen Reliefs den Raum, zu dem ursprünglich noch ein Gemäldezyklus 86  |  Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

96 Ellwardt 2004, S. 20, 190, 258–260. 97 Mai 1969, S. 31–33, Kat. Nr. 28. 98 Ellwardt 2004, S. 29, Abb. 13–15  ; S. 190 f., 258–260. 99 Hier irrt Helmut Umbach, wenn er am Beispiel von Schmalkalden die merkwürdige Ansicht vertritt, nehme »man diese Sitzordnung als übergreifend verallgemeinernd und repräsentativ an, ergibt sich für die Höhe von Schlossherr und Prediger auf der Kanzel Bezeichnendes  : beide sitzen bzw. stehen auf gleicher Höhe  !« Umbach 2005, S. 235. Das Gegenteil ist der Fall, wie auch Torgau und Celle gezeigt haben. Vgl. dazu u. a. Großmann, in  : Festschrift Poscharsky 1994, S. 32.

Abb. 43  Schmalkalden, Schlosskapelle, 1590.

Die Kanzelaltäre in Rotenburg a. d. Fulda und in Schmalkalden  |  87

Abb. 44  Schlitz, Sandkirche, 1612.

auf den Emporenbrüstungen gehörte. Nur die Texte zu dieser Bilderreihe haben sich erhalten.100 Die Gemälde wurden 1621 von dem reformierten Landgrafen Moritz von Hessen zerstört (vgl. S. 58–60 und 163, 166). Der Raum in seiner zartweißen Fassung besticht zudem durch die Feinheit der Dekoration. Frühe Kanzelaltäre in Querkirchen

In Zusammenhang mit den beiden Querkirchen in Torgau und Rotenburg sei darauf hingewiesen, dass es bereits 1564 in Lyon die Hugenottenkirche »Temple de Paradis« gab, eine quergelagerte Emporenkirche, in der alle Bänke auf den Altar und die darüber angebrachte Kanzel ausgerichtet waren.101 Querkirchen wurden von Lutheranern wie auch von Reformierten gleichsam als Bekenntnis zum evangelischen Glauben angesehen, da hier in der Regel Bänke und Fürstenstand auf den Altar und die darüber befindliche Kanzel ausgerichtet sind. Querkirchen waren in Hessen anders als in Sachsen und Thüringen weit verbreitet.102 Unter dem Einfluss Rotenburgs entstand in der kleinen Grafschaft Schlitz die erste noch erhaltene Querkirche Hessens, die über einen Kanzelaltar verfügt. Diese ist eine Friedhofskapelle und wurde 1612, nur wenige Jahre vor Ausbruch des großen Konfessionskrieges, errichtet. Die Herren von Schlitz gen. von Görtz waren Lehnsträger des benachbarten Bistums Fulda. Ab 1546 setzte sich im Schlitzer Land allmählich die evangelische Lehre durch, offiziell eingeführt wurde sie aber erst 1563. Die Situation änderte sich, als ab 1606 der fuldische Fürstabt Schenk zu Schweinsberg mit aller Macht die Rekatholisierung betrieb. 1612, als die Sandkirche gerade errichtet wurde, kam es zum endgültigen Bruch mit Fulda. Die Herren von Schlitz legten alle fuldi88  |  Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

100 Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden, Amtlicher Führer, bearb. von D. Eckardt, H.-E. Paulus, W. Stubenvoll und G. Timm, München/Berlin 1999, S. 44 f. 101 Vgl. Mai 1969, Abb. 212 und Mai, in  : Festschrift Poscharsky 1994, S. 15. 102 Ellwardt 2004.

Abb. 45  Schlitz, Sandkirche, Blick auf den Kanzelaltar.

103 Ebd., S. 79–80, 262 f. 104 Vgl. Wörner 1976, S. 53–113.

schen Ämter nieder und setzten die Aufnahme der Herrschaft Schlitz in den Kanton Rhön-Werra des Ritterkreises Franken durch.103 Der Kanton umfasste Gebiete in der Rhön und an der Werra in Unterfranken, Südthüringen, Osthessen und in Oberfranken.104 Die Sandkirche ist ein schlichter querrechteckiger Saalbau. An der südlichen Längsseite führen zwei schlichte Rundbogenportale in die Kirche. Zwischen beiden ragt eine Außenkanzel hervor, die von der inneren Kanzel aus zu betreten ist. Die kleine Kirche besitzt eine an drei Seiten umlaufende Empore, die auf Holzstützen aufliegt und auf das liturgische Zentrum von Altarblock und steinerner Kanzel ausgerichtet ist. Die Kanzelaltäre in Rotenburg a. d. Fulda und in Schmalkalden  |  89

90  |  Die Bedeutung der frühen protestantischen Schlosskapellen

Die Reformation und die katholische Kirche

Die Confessio Augustana von 1530

1530 wurde von Kaiser Karl V. ein Reichstag nach Augsburg einberufen. Von den lutherischen Reichsständen wurde ihm eine umfangreiche Bekenntnisschrift übergeben  : die Confessio Augustana. Das Augsburger Bekenntnis besteht aus 28  Artikeln und behandelt zum einen die protestantische Lehre, zum andern die von den evangelischen Geistlichen verworfenen Missbräuche der katholischen Kirche. So handeln die Artikel 1–21 vom Glauben und von der Lehre der Kirche. Neben anderem ist die Beichte beibehalten worden, obwohl es nicht nötig sei, alle Sünden zu beichten. Die Heiligen werden nicht grundsätzlich abgelehnt, man kann sie verehren, aber aus der Heiligen Schrift sei nicht zu entnehmen, dass man sie anrufen und um Hilfe bitten solle. Kindliche Verrichtungen wie das Beten von Rosenkränzen seien abzulehnen. Die Artikel 22–28 behandeln die dem Evangelium zuwiderlaufenden Missbräuche, insbesondere das Eheverbot für Priester. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass man die Messe nicht abschaffen wolle, abzuschaffen seien nur deren Mängel, beispielsweise die Ansicht, dass man durch eine Messe Sünden vergeben kann. In Artikel 26 und 27 werden die Fastengebote und die Klostergelübde abgelehnt. Der letzte Artikel befasst sich mit der politischen Macht der Bischöfe im weltlichen Bereich, hier hält man an der Trennung von Staat und Kirche fest.105 Im Einzelnen betreffen die Artikel 22–28 folgende Themen  : 105 Die Confessio Augustana wird in evangelischen Gesangbüchern vorgestellt, allerdings mit bemerkenswerten Unterschieden. Vgl. Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die evangelisch-lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen, München o. J. [nach 1991], S. 1564–1576, – Evangelisches Gesangbuch, Kassel 1994, Nr. 808. Während das bayrische Gesangbuch alle 28 Artikel in leicht gekürzter Form wiedergibt, verzichtet das hessische auf den Abdruck der Artikel 22– 28 und liefert stattdessen eine kurze Erklärung, der zweite Teil behandele Regelungen, die von der Reformation als Missbräuche erkannt und neu geordnet worden seien. Anschließend werden die Überschriften der letzten sieben Artikel aufgeführt.

Art. 22  : Von den beiden Gestalten des Sakramentes Art. 23  : Vom Ehestand der Priester Art. 24  : Von der Messe Art. 25  : Von der Beichte Art. 26  : Von der Unterscheidung der Speisen Art. 27  : Von Klostergelübden Art. 28  : Von der Gewalt der Bischöfe. Die Augsburger Konfession, von Melanchthon in Latein und Deutsch verfasst, wurde in den folgenden Jahren mehrfach verändert, insbesondere 1540, als zwischen Lutheranern und Reformierten um eine Kompromissformel gerungen wurde. Seit dem Religionsgespräch in Weimar 1560 griff man auf die ursprüngliche Fassung von 1530 zurück und erklärte die veränderten Fassungen für ungültig.

Die Confessio Augustana von 1530  |  91

Gegenreformation und Jesuiten

Im Laufe von nur dreißig Jahren hatte sich die Reformation, von Mitteldeutschland ausgehend, über weite Teile Deutschlands ausgebreitet. Der größte Teil Norddeutschlands, Brandenburg und Hessen, ferner Württemberg und Teile Badens waren evangelisch geworden. Nur Bayern und das Rheinland blieben katholisch. In Franken waren zahlreiche Gemeinden zum protestantischen Glauben übergetreten. Vor allem in den größeren Städten wie Nürnberg, aber auch in Ansbach, Coburg und Bayreuth lebten viele Protestanten. Nach Luthers Tod 1546 entbrannten Streitigkeiten über sein Erbe  – es ging um innerprotestantische Richtungsentscheidungen  –, und folgenreiche theologische wie politische Entscheidungen wurden gefällt. Die katholische Kirche ging zur Gegenwehr über. Katholische Reformbestrebungen hatte es schon vor Luther gegeben. Sie beinhalteten nicht nur die Bekämpfung von Missständen, sondern unter anderem auch Bemühungen um eine erneuerte Spiritualität. Angesichts des Siegeszuges der Reformation wuchs die Reformbereitschaft in der katholischen Kirche. Der reformwillige, letztlich jedoch gescheiterte Papst Hadrian  VI. wurde schon erwähnt. Erfolgreicher war sein Nachfolger Paul  III. (1468–1549)  : Die Berufung von Reformkardinälen wie Gasparo Contarini (1483–1542) und Giovanni Morone (1509–1580), die Bestätigung des Jesuitenordens 1540 und die Einberufung des Konzils von Trient 1545 kennzeichnen ihn als Reformpapst.106 Contarini, Kardinal seit 1535, entstammte altem venezianischen Adel und ging 1521 als Gesandter auf den Reichstag zu Worms. Obwohl er die katholische Glaubenslehre verteidigte, setzte er sich dennoch 1541 auf dem Reichstag zu Regensburg als päpstlicher Legat für eine Aufhebung der Kirchenspaltung ein. Die Fronten waren aber zu verhärtet – seine Vorschläge wurden vom Papst wie von Luther zurückgewiesen. Morone, Kardinal seit 1542, war von 1536 bis 1538 Nuntius in Deutschland, wo er den Reichstagen zu Worms, Regensburg und Speyer beiwohnte. In seinem Bistum Modena duldete er sogar die evangelische Lehre. Morone bekannte sich auch zur Rechtfertigung durch den Glauben. Als 1537 ein umfassendes Reformdekret der Kardinalskommission herauskam, wurde es von protestantischer Seite abgelehnt. Eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Protestantismus war Ignatius von Loyola (1491–1556), der Begründer des Jesuitenordens (Societas Jesu), der aus einer 1534 in Paris gegründeten religiösen Gemeinschaft hervorging. Von herausragender Bedeutung für den Erfolg des Ignatius waren die von ihm eingeführten Exerzitien, geistliche Übungen, die sich auf die Grundlagen des christlichen Lebens beziehen.107 Ignatius selbst wies darauf hin, dass der Erfolg seines Ordens größtenteils auf den Exerzitien beruhe. 92  |  Die Reformation und die katholische Kirche

106 Zu den Reformkardinälen vgl. Lortz 1982, 2. Bd., S. 124–130. 107 Lortz 1982, 2. Bd., S. 141–145.

108 Zu Faber und Canisius vgl. Lortz 1982, 2. Bd., S. 136–138, 145–149. 109 Vgl. hierzu Oberman 1987, S. 251. 110 Hartmann 2001, S. 35–38, 123.

Es war Kardinal Albrecht, erklärter Gegner Luthers, der 1543 mit Peter Faber (1506–1546) den ersten Jesuitenpater nach Deutschland berief. Faber war Mitbegründer der Gesellschaft Jesu, 1527 gehörte er in Paris zum Freundeskreis um Ignatius. Der wichtigste Ordenspriester der Gesellschaft Jesu in Deutschland war aber Petrus Canisius (1521–1597). Er war der Hauptvertreter des gegenreformatorischen Katholizismus in Deutschland. Canisius hatte von 1536 bis 1546 in Köln studiert, wo er 1543 dem Jesuitenorden beitrat. Er nahm am Konzil von Trient teil, 1549 bis 1552 war er Professor für Theologie und Rektor der Universität Ingolstadt. Sein Werk ist vor allem die Eindämmung des Protestantismus in Bayern und Österreich. In religionspolitischen Auseinandersetzungen war Canisius ein überzeugter Vertreter der römischen Kirche. Gleichzeitig bemühte er sich um eine Reform der katholischen Kirche in Deutschland. Noch 1550 kritisierten Faber und Canisius den »verkommenen Klerus«108. Nur wenige Monate nach Luthers Tod kam es im Juli 1546 zum Schmal­k aldischen Krieg zwischen dem politisch-militärischen Bündnis der protestantischen Reichsstände – dem Schmalkaldischen Bund – und dem Kaiser. In der Schlacht bei Mühlberg errangen die kaiserlichen Truppen gegen den Protektor der Reformation, Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen (1503–1554), einen überwältigenden Sieg. Der Schmal­k aldische Bund zerbrach.109 Im Mai 1547 musste Wittenberg kapitulieren. In Absprache mit dem Kaiser nahm Herzog Moritz seinem Vetter Johann Friedrich nicht nur die Kurfürstenwürde ab, sondern auch große Teile seines Landes. Nach der Entlassung Johann Friedrichs aus der Gefangenschaft 1552 lebte er in Weimar, der Residenz des neuen Staates Sachsen-Weimar. Ein Jahr zuvor hatte Ignatius von Loyola in Rom das Collegium Germanicum gegründet, ein deutsches Priester­ seminar, das als Ausgangspunkt der Rekatholisierung in den protestantischen Gebieten Deutschlands diente.110 Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 schien die Situation zu entspannen. Den Anhängern der Augsburger Konfession wurde der Friede und ihr Besitzstand gewahrt, den weltlichen Reichsständen die Religionsfreiheit zugesichert. Sie bestimmten die Religionszugehörigkeit ihrer Untertanen  : cuius regio, eius religio, »wessen das Land, dessen die Religion«, so lautete der Grundsatz. Die rigiden Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens gaben dadurch den katholischen Fürsten die Handhabe zur Unterdrückung des Protestantismus. Schärfster Gegner des Luthertums wurde Bayern. Kurz vor Luthers Tod hatte Papst Paul III. in Trient 1545 das Konzil einberufen, das der römischen Kirche bis1563 neue Geltung verschaffte. Die katholische Kirche konnte den Erfolgen der Reformation nicht tatenlos zusehen. 1577 veröffentlichte Carlo Borromeo, Erzbischof von Mailand und Neffe von Papst Pius IV., seine »Instructiones« zu Fragen Gegenreformation und Jesuiten  |  93

der Kirche, die in allen katholischen Ländern Verbreitung fanden und eine klare gegenreformatorische Haltung zum Kirchenbau zeigten.111 Die Grundrissform der Kirchen sollte dem lateinischen Kreuz entsprechen, Zentralbauten waren nicht erwünscht, und Rundbauten wurden gar als heidnisch abgelehnt. Außen sollten Dekoration und Skulpturen auf die Fassade konzentriert werden, die Seitenwände sollten betont schlicht bleiben. Die prachtvolle Ausgestaltung des Innern nach einem theologisch ausgefeilten Gesamtprogramm ist kennzeichnend für katholisch-barocke Sakralbauten und wurde nicht nur in den von Jesuiten errichteten Kirchen umgesetzt. Die Jesuiten waren allerdings innerhalb der katholischen Reformbewegung die kraftvollsten Unterstützer Roms. Entscheidend für den Erfolg der Gegenreformation waren die Beschlüsse des langjährigen Konzils in Trient. Diese nahm ihren Anfang 1563 in Bayern, als sich Herzog Albrecht V. sofort nach Ende des Tridentinums mit den seit 1556 in Ingolstadt ansässigen Jesuiten verbündete. 1574 restituierte der Mainzer Kurfürst Daniel Brendel von Homburg das thüringische Eichsfeld, das seit dem 13.  Jahrhundert zum Erzbistum Mainz gehörte und das bis heute überwiegend katholisch geblieben ist. Überall nahmen die Spannungen zu, um schließlich in den Dreißigjährigen Krieg zu münden. Die Gegenreformation bewirkte ein Wiedererstarken der katholischen Kirche. Hauptziel der von den Jesuiten geförderten katholischen Reform war die Verbreitung des Glaubens und seine Vertiefung durch intensive Unterweisung und die Zurückdrängung des Protestantismus. Jesuitische Kirchen

1568 begann in Rom der Bau von Il Gesù, der Mutterkirche der Jesuiten, die in Deutschland Vorbild für zahlreiche Kirchen wurde. Sie wurde von 1568 bis 1584 errichtet, der Innenausbau begann jedoch erst nach der Weihe von 1584 (vgl. Abb.  47). Die erste und qualitätvollste deutsche Jesuitenkirche mit anschließendem Collegium ist Sankt  Michael in München, begonnen 1583. An die Stelle der gewohnten dreischiffigen Basilika trat der Bautypus der Wandpfeilerkirche, einer kompakten Saalkirche mit kurzen Querschiffen. Über der Vierung erhebt sich eine Kuppel auf hohem und lichtdurchflutetem Tambour. Im Langhaus wurden die Strebepfeiler in den Innenraum hineingezogen, wodurch sie die Funktion von Trennwänden erhielten, zwischen denen Kapellen angelegt wurden (vgl. Abb. 48). Typisch für die jesuitischen Kirchenbauten ist ein klarer, fast schlicht zu nennender Außenbau, der in striktem Gegensatz zum prunkvollen Innenraum steht. Trotz des Vorbildcharakters der römischen Mutterkirche ahmten ihre süddeutschen Nachfolger diese nicht einfach nach, vielmehr gibt es viele eigenständige Ausformungen, die von Seiten des Ordens auch gewollt 94  |  Die Reformation und die katholische Kirche

111 Vgl. hierzu Kruft 1991, S. 103–105.

Abb. 46  Rom, Il Gesù, begonnen 1568. Abb. 47  Rom, Il Gesù, Blick zum Chor.

waren. Beispielsweise verfügt die Michaelskirche anders als Il Gesù über eine sehr kleinteilige Fassadengliederung mit einem umfangreichen, kirchenpolitisch grundierten Skulpturenprogramm, wie es auch Carlo Borromeo gefordert hatte. Neben München sind als weitere Jesuitenbauten die Kirchen in Dillingen  a. d.  Donau (begonnen 1610) und Eichstätt (1617) zu nennen. Gegenreformation und Jesuiten  |  95

Abb. 48  München, Sankt Michael, 1583, Innenraum, Aufnahme nach der Kriegszer­ störung.

Beide Kirchen sind nach Münchener Vorbild Wandpfeilerkirchen.112 Ihr Architekt Hans Alberthal (um 1575–1657) verzichtete allerdings auf Kuppeln, während Dillingen ebenso wie München Emporen aufweist, die eher für protestantische Kirchen typisch sind. 1619 folgte die Jesuitenkirche in Aschaffenburg, wo bereits 1612 ein Jesuitenkollegium eingerichtet worden war. Der Einfluss der Gesellschaft Jesu rückte durch die steigende Zahl der Neubauten den protestantischen Kerngebieten immer näher. 112 Norberg-Schulz 1975, S. 103–106, 351 f.

96  |  Die Reformation und die katholische Kirche

Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Der Kanzelaltar

113 Im Weiteren folge ich hier den Ausführungen von Poscharsky 1963, Mai 1969 und Meißner 1987.

Die Bezeichnung Kanzelaltar stammt aus dem späten 19.  Jahrhundert, wird aber von K.  E.  O.  Fritsch in seinem 1893 erschienen Werk »Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart« bereits ganz selbstverständlich und durchgängig verwendet. Der Kanzelaltar ist die eigenständigste und folgenreichste Neuschöpfung innerhalb des protestantischen Kirchenraums. Auf einen einfachen Nenner gebracht, bezeichnet er den Zusammenschluss des Altars mit der senkrecht darüber angebrachten Kanzel und damit die Verbindung von Wort und Sakrament. Neuere Autoren verstehen darunter eine Zuordnung zur Kanzel, auch wenn der Altartisch in einigem Abstand davor aufgestellt ist.113 Die Entwicklung des Kanzelaltars ging von den Schlosskirchen aus, da Neubauten und Neuausstattungen durch die Herrscherhäuser erfolgten, die vor allem in der Frühzeit zumeist wohlhabender waren als die Städte und Gemeinden. Von Bedeutung waren auch die Fürstenlogen, ein charakteristisches Merkmal protestantischer Kirchen in direkter Beziehung zum Kanzelaltar, zumal sich der Herrscher als Vertreter Gottes auf Erden verstand. Die frühesten Kanzelaltäre entstanden ab 1581 in Rotenburg a. d. Fulda und 1590 in Schmalkalden. Der Schmalkaldener Kanzelaltar besteht noch aus drei Prinzipalstücken  : dem freistehenden Altartisch, der darüber angebrachten Kanzel und der Orgelempore im Obergeschoss. Bereits 1612 wurde die Friedhofskapelle in der kleinen osthessischen Stadt Schlitz errichtet und mit einem schlichten Kanzelaltar versehen (vgl. Abb.  88–89). Hessen und Nassau sind die frühesten und größten Verbreitungsgebiete des Kanzelaltars. Allerdings ist in Hessen der Altartisch fast immer in deutlichem Abstand zum Kanzelaltar aufgestellt. Selbst bei dem so qualitätvollen Altar in der Weilburger Schlosskirche steht der Altartisch frei, sodass der Geistliche hinter dem Altar stehen und sich der Gemeinde zuwenden kann. In den Schlosskapellen von Gotha, Weimar und Weißenfels verschmilzt der Kanzelaltar allmählich zu einer Einheit, gefolgt von den aufwendigen Altären in Eisenberg und Saalfeld. In den städtischen Kirchen und in den manchmal erstaunlich großen Dorfkirchen wird die Apsis durch den architektonisch aufgebauten Altar vom Kirchenschiff abgetrennt. Gelegentlich spricht man von der Kanzelwand. Hinter dem Altar befindet sich in der Regel die Sakristei. Wegen der in Thüringen häufig vorkommenden Osttürme kommt es zur Der Kanzelaltar  |  97

geschlossenen Form des Kanzelaltars, mit Durchgängen zu der im Turm liegenden Sakristei. Der Kanzelaltar wird zum gottesdienstlichen Zentrum der Kirche. Der evangelische Theologe und Kunsthistoriker Peter Poscharsky formulierte 1963 resümierend  : »Wir können also nicht umhin, dem Kanzelaltar und dem durch ihn bestimmten Kirchenraum höchstes Lob zu zollen  ; eine derartige Übereinstimmung von zeitgenössischem Wollen und Erfordernissen der gottesdienstlichen Praxis hat es im lutherischen Kirchenbau nie zuvor und nie danach gegeben.«114 Die aufwendigste Ausgestaltung betrifft den Retabelkanzelaltar, der auch die vielfältigsten Gestaltungsmöglichkeiten zulässt. In Thüringen, der bedeutendsten Landschaft für seine Verbreitung, sind es besonders die Kanzelaltäre in Schloss Friedenstein in Gotha, der Christiansburg in Eisenberg und der Schlosskirche von Saalfeld, ferner jener in der Marienkirche in Suhl sowie die erstaunlich prachtvollen Altäre in den Dorfkirchen von Niederroßla und Buttstädt oder im südthüringischen Bettenhausen. Beim Retabelkanzelaltar ist hinter dem Altartisch eine Wand aufgerichtet, in die eine Kanzel eingesetzt wird. Das Retabel kann mehrgeschossig sein, ein großes Altarbild ober- oder unterhalb der Kanzel enthalten und auch mehrere Figuren aufweisen. Befindet sich die Kanzel in Höhe einer Empore und ist von dieser aus zu erreichen, so spricht man von Emporenkanzelaltar, ist das Retabel torartig von zwei oder mehr Säulen flankiert, vom Portikuskanzelaltar. Eine seltene Sonderform bildet der Baldachinkanzelaltar, erstmals so genannt 1658 in Weimar (vgl. S. 101–104). Die Aufstellung des Altars in enger Verbindung mit der oft darüber befindlichen Orgel sowie dem davor aufgestellten Taufstein lenkt den Blick direkt auf die Prinzipalstücke und fördert die von der lutherischen Kirche gewünschte Axialität. Auch in liturgischer Hinsicht wird eine deutliche Unterscheidung zur katholischen Kirche erreicht. »Der Kanzelaltar gilt im Luthertum als Stätte der Wortverkündung (Schriftlesung, Predigt), des Abendmahls und des Gebetes. Diese dreifache Bedeutung […] zu veranschaulichen, ist das besondere Anliegen einer Vielzahl von Kanzelaltären.115 Im Vordergrund steht dabei in Form von Bildern, Skulpturen, Reliefs und Bibelsprüchen die Thematik des Sakraments. Luther selbst hat das Abendmahl als Thema des Altarbildes ausdrücklich empfohlen. Als Thema eines Sakramentsaltars war es schon auf spätgotischen Altären geläufig, durch die Verbindung des Altars mit der Kanzel erhielt es jedoch in lutherischen Kirchen einen neuen theologischen Sinnzusammenhang. Indem Kanzel und Altar verbunden sind, gehört die Bildthematik zusammen mit der Predigt, in der das Wort Gottes verkündet wird, zum Hauptbestandteil des evangelischen Gottesdienstes. Die oft auf dem Schalldeckel der Kanzel über dem Prediger schwebende Taube kennzeichnet die Predigt als Werk des Heiligen Geistes und erhebt sie in den gleichen Rang wie das Sakrament. 98  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

114 Poscharsky 1963, S. 250. 115 Mai 1969, S. 114.

Die Schlosskirchen

Der unglückseligen territorialen Zersplitterung Mitteldeutschlands durch immer neue Erbteilungen verdanken wir immerhin die großartige Ausgestaltung und Entwicklung des protestantischen Kirchenbaus, auch wenn einige Herzogtümer nur wenige Jahre Bestand hatten. Zu diesen Bauten gehören die Kapelle von Schloss Friedenstein in Gotha, jene in Altenburg, die Schlosskirche zu Weimar, die protestantische Schlosskirche in Weißenfels, die 1746 wieder katholisch wurde, da mit dem Aussterben des Herzogshauses Sachsen-Weißenfels dieses als ehemaliges Lehen an das Dresdner Kurhaus zurückgefallen war. Das inzwischen katholische Herrscherhaus der Wettiner veranlasste umgehend eine Trennung von Kanzel und Altar. Weitere wichtige Schlosskirchen waren die von Schloss Christiansburg in Eisenberg, der Residenz des selbstständigen ernestinischen Herzogtums Sachsen-Eisenberg (1675–1707) und der großartige Bau von Saalfeld. Thüringen ist neben Sachsen das Ursprungsland des Protestantismus und hat die meisten Kirchen mit Kanzelaltären. Die oben genannten Schlosskapellen sind trotz ähnlicher Gliederung und ähnlichem Auf bau in ihrer künstlerischen Ausformung höchst individuell. Vor allem in der Ausstattung der Kirchenräume und ihrer Kanzelaltäre zeigen die Kirchen und Kapellen einen erstaunlich eigenständigen Charakter. Die Kapelle des Schlosses Friedenstein in Gotha

Das Gothaer Schloss entstand noch vor Ende des Dreißigjährigen Krieges. 1643 ließ Herzog Ernst der Fromme den Bau anstelle der Burgruine Grimmenstein errichten. Unter Bezug auf die gerade beginnenden Friedensverhandlungen zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges erhielt das Schloss den Namen Friedenstein. An den Planungen und Bauausführungen der vierflügeligen Anlage waren mehrere Baumeister beteiligt, darunter Nikol Teiner und Johann Moritz Richter. 1654 war der Rohbau vollendet, wegen Planänderungen zog sich die Fertigstellung der Schlosskirche im nordöstlichen Flügel jedoch noch bis 1697 hin. Die über zwei Geschosse reichende Emporenkirche wird von einer flachen Decke abgeschlossen. An der Westseite liegt gegenüber dem Kanzelaltar und der Orgel die Fürstenloge. Die kassettierte und reich stuckierte Decke zeigt Szenen aus dem Neuen Testament.

Die Schlosskirchen  |  99

Abb. 49  Schlosskirche Friedenstein, 1697, Foto  : Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Aufnahme Constantin Beyer, 2004.

100  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Das Herzogtum Sachsen-Weimar und die Schlosskirche der neuen Residenz

116 Bothe 2000, S. 15–24, ferner Fleck 2015, S. 22–44.

Das Weimarer Schloss ist in seiner heutigen Gestalt das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung. Sein äußeres Aussehen wird trotz der klassizistischen Umgestaltung nach dem Brand von 1774 und dem Neubau des Südflügels kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs noch immer vom Erscheinungsbild des 17. Jahrhunderts geprägt. Weimar war bis in die Zeit der Reformation nur eine bescheidene Nebenresidenz. Ein Jahr nach Luthers Tod fand 1547 aber ein politisches Ereignis statt, das für Kurfürst Johann Friedrich den Großmütigen eine Katastrophe bedeutete, für die Stadt Weimar aber letzten Endes einen beachtlichen Aufschwung zur Folge hatte. 1485 waren die wettinischen Lande durch Kurfürst Ernst und seinen Bruder Albrecht aufgeteilt worden. Ernst behielt einen großen Teil Thüringens und den Kurkreis mit der Hauptstadt Wittenberg, Albrecht erhielt die alte Markgrafschaft Meißen mit den wichtigen Städten Dresden und Leipzig. Die verhängnisvolle Teilung in eine ernestinische und eine albertinische Linie bedeutete das Auseinanderbrechen der sächsischen Lande und markiert den Beginn der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung Thüringens und Sachsens. Die Rivalität zwischen den protestantischen Ernestinern und den bis dahin katholischen Albertinern erreichte im Schmalkaldischen Krieg ihren Höhepunkt, nachdem der evangelische Herzog Moritz von Sachsen sich aus machtpolitischen Gründen auf die Seite der katholischen Liga geschlagen hatte. Nach der Schlacht bei Mühlberg 1547 und dem Verlust der ernestinischen Residenz Wittenberg wurde Weimar Regierungssitz, und so erfuhr auch das Weimarer Schloss einen Aufschwung, der jedoch 1618 durch einen Brand unterbrochen wurde. Bereits 1619 begannen die Vorbereitungen für einen Neubau. Als Architekt hatte der Herzog den in Bamberg tätigen Italiener Giovanni Bonalino gewonnen.116 Wegen des Dreißigjährigen Krieges blieb der Bau bis zu dessen Ende liegen und wurde 1651 durch den einheimischen Architekten Johann Moritz Richter unter weitgehender Beibehaltung der Pläne Bonalinos fortgesetzt. Die Schlosskirche wurde als dreiachsiger Raum mit zweigeschossigen Emporen ausgeführt. Ein Bonalino zuzuschreibender Aufriss gibt die Gliederung des Wandsystems wieder. Als letzte Baumaßnahme ordnete Herzog Wilhelm IV. einen Umbau der von Bonalino begonnenen Schlosskirche an. Sie wurde 1658 mit einem neuen Altar unter einer schönen Pyramide […] solenniter eingeweyhet. Neben geringfügigen Veränderungen betrafen Richters Erneuerungen die Aufstellung eines sogenannten Pyramiden-Kanzelaltars sowie die Öffnung der Decke, wo unter einer zusätzlich errichteten Kuppel eine Empore zur Aufnahme einer Orgel und eines Sängerchors entstand (vgl. Abb. 51). Anlass für diese Neuerung war auch der Wunsch des Herzogs nach einer eigenen Grablege unterhalb des Altars. Die Schlosskirchen  |  101

Abb. 50  Bonalino, Wandaufriss der Schloss­ kirche zu Weimar, um 1620, Kunstsammlun­ gen zu Weimar.

102  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Abb. 51  Schlosskirche Weimar, Gemälde von Christian Richter, 1658.

Eine bildliche Vorstellung vom Aussehen der neuen Schlosskirche gibt ein Gemälde Christian Richters von 1658. Der Kanzelaltar wird zum beherrschenden Element der gesamten Kirche. Er durchstößt nicht nur sichtbar den Raum vom Fußboden bis zur Decke, sondern er reicht von der unter dem Altar liegenden Gruft über die Decke des Kirchenraums hinaus bis in den »Himmel«, der von der Kuppel vergegenwärtigt wird. In der Überlieferung wird die Wilhelmsburg deshalb oft auch als »Himmelsburg« bezeichnet. Der Altarblock weist auf seiner Frontseite Darstellungen der vier Evangelisten auf. Über dem von Palmsäulen getragenen Baldachin ist die Kanzel angebracht, hinter der die Pyramide aufsteigt. Eigentlich handelt es sich um einen Obelisken, doch bezeichnete ihn der Herzog in seinen Notizen selbst als piramis. Ein ovales Medaillon auf dem Obelisken zeigt den auferstandenen Christus, der sich dem herzoglichen Stifter und seiner Familie präsentiert. Emporschwebende Engel weisen den Weg zum Himmel. Die Schlosskirchen  |  103

Auf dem Gebälk des Baldachins erklärt eine Inschrift  : Wilhelmus Quartus Sic Vel Post Funera Curat Divinam Laudem  ; Dum Beneficit Opus (Wilhelm IV. bemüht sich so selbst nach dem Tod um göttliches Lob, indem er das Werk wohl gemacht hat.) Die auf den Gründer verweisende Inschrift und die Grablege unterstreichen die bewusste Einbeziehung des Herzogs und seiner Frau in die göttliche Gnade. Sie fungieren als Sinnbilder für Herrschaft, Macht und Ewigkeit und werden durch die Darstellung des Auferstandenen mit dem Auferstehungsglauben des Herzogs verbunden. Die Engel, die den Obelisken zur Himmelsleiter bestimmen, verweisen direkt auf den Kuppelraum, in dem durch Orgel und Sängerchor jene Musik erklingt, die im Protestantismus als Ausdruck der Verherrlichung Gottes und der Erwartung ewiger Seligkeit gewertet wurde. Die den Altar umstehenden Säulen – Erinnerung an den Tempel Salomons – bilden das Fundament des Glaubens, auf dem die Kanzel ruht. Die Säulen selbst sind zu Palmen umgebildet worden, die an das Allerheiligste des Jerusalemer Tempels erinnern. Gleichzeitig steht die Palme für die Glaubensgerechtigkeit  : »Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum.« (Psalm 92,13) Der Pyramiden-Kanzelaltar, der erstmals in der Weimarer Schlosskirche Verwendung fand, ist Teil einer Entwicklung, die als liturgische Besonderheit des Luthertums in ernestinischen Landen gelten kann und bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Verbreitung fand. Ähnliche Altäre finden sich vor allem in der Weimarer Umgebung wie in Tiefurt und Niedergrunstedt. Die enge Verbindung von Wort und Sakrament als Hauptelemente des Evangeliums hat auch zur Folge, dass der Geistliche während der Liturgie in der Kapelle hinter dem Altar steht und sich der Gemeinde zuwendet. Die Schlosskirche zu Weißenfels

Unmittelbar nach Fertigstellung des Weimarer Baus übernahm Johann Moritz Richter auch die Bauleitung von Schloss Augustusburg in Weißenfels. Die Ähnlichkeit der beiden Bauten ist nicht zu übersehen, vor allem die gut erhaltene Schlosskapelle vermittelt einen Eindruck, wie die Weimarer Schlosskirche ausgesehen haben muss. Auch in Weißenfels ordnet sich die dreigeschossige Emporenkirche dem Außenbau unter. Der hohe, rechteckige Raum mit Emporen über zwei Geschosse wird durch ein kassettiertes und reich stuckiertes Tonnengewölbe abgeschlossen. Die verglasten Emporen neben dem Altar waren dem Herzogshaus vorbehalten. Die Emporenbrüstungen enthalten Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament. Die Gliederung des Raums durch Pfeiler, Pilaster und Arkaden mildert in Verbindung mit den kräftigen Gebälkzonen den Eindruck seiner Höhe. In der gesamten Ausgestaltung dürfte Richter auf italienische Vorbilder zurückgegriffen haben. 104  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Abb. 52  Schlosskirche zu Weißenfels, 1682.

Der im Chor ursprünglich aufgestellte Kanzelaltar, der von einer Kreuzigungsgruppe bekrönt ist, unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht vom Pyramiden-Kanzelaltar in Weimar. Mit dem Aussterben des Herzoghauses Sachsen-Weißenfels 1746 fiel dieses an das inzwischen katholisch gewordene Dresdner Kurhaus zurück . Bereits 1748 wurde die Kanzel über dem Altar entfernt und stattdessen ein Relief mit Mariä Verkündigung eingesetzt. Die Kanzel erhielt an der westlichen Längswand einen neuen Platz mit Treppe und neuem Schalldeckel. Wie in Weimar befindet sich unter dem Altar eine Grablege. Die Christiansburg in Eisenberg Nächste Seite: Abb. 53  Eisenberg, Schlosskapelle, 1687, Foto TLDA, Erfurt, Aufnahme Werner Streit­ berger, 2014.

Eisenberg, ein unbedeutender Ort mit etwa 14.000  Einwohnern, hat sich vor und nach der Wende eher durch fahrlässige Zerstörung seiner Kulturdenkmäler als durch deren Erhaltung ausgezeichnet, wie das Beispiel des von Goethe geschätzten Hauses der Schützengesellschaft zeigt. Einzig Schloss Christiansburg von 1677, seit 1921 städtisches Verwaltungsgebäude, heute Landratsamt, ragt mit seiner Schlosskapelle heraus. Die Schlosskapelle stellt einen Höhepunkt barocker Raumgestaltung in Thüringen dar – im Gegensatz zum schlichten Außenbau ist der Innenraum aufwendig stuckiert und bemalt. 1687 wurde die Kapelle geweiht. Den querrechteckigen Saal mit eingezogenem Chor umziehen an drei Seiten zweigeschossige Emporen. Die Emporenbrüstungen sind als ein die Horizontale betonendes Gebälk ausgeformt, die geschwungenen Emporen wiederum ruhen auf korinthischen Säulen und laufen auf den im Chor hoch aufragenden Kanzelaltar zu. Der Altarbereich ist wie in Schloss Friedenstein durch Schranken vom Schiff abgetrennt, eine in protestantischen Kirchen seltene Einrichtung. Der Altar wird nicht von der Kanzel beherrscht, stattdessen wird der Blick des Gottesdienstbesuchers auf ein großes Altarretabel mit einer Darstellung der Verkündigung gelenkt. Über der Kanzel befindet sich in Höhe der zweiten Empore eine Orgel.117 Schloss Saalfeld und seine Kapelle

117 Zum umfangreichen ikonografischen Programm vgl. Mai 1969, Kat. Nr. 9, ferner Fleck 2015, S. 135–160.

mit darüber befindlicher Orgel und die Fürstenempore liegen sich an den Schmalseiten gegenüber. Ab 1704 wurde das alte Saalfelder Schloss erweitert  ; die neuen Innenräume baute Christian Richter aus Coburg aus. Die Kapelle ist ein längsrechteckiger Raum. Korinthische Säulen tragen die Emporen. Ein Kanzelaltar. Der von vier kurzen Säulen getragene Marmoraltar ähnelt demjenigen von Eisenberg. Wie dort sind Altarretabel, Kanzel und Orgel übereinander angebracht. Auch in Saalfeld fehlt ein Schalldeckel, sodass die Kanzel gegenüber dem Bild mit Die Schlosskirchen  |  105

106  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Abb. 54  Saalfeld, Schlosskapelle, erbaut 1704–1720.

Die Schlosskirchen  |  107

Abb. 55  Bendeleben, ev. Pfarrkirche Sankt Pankratius.

Christi Himmelfahrt kaum ins Gewicht fällt. Der Kanzelaltar in Saalfeld gehört zu den künstlerisch herausragenden Leistungen in Thüringen. Auch das umfassende ikonografische Programm ist einmalig.118 Die städtischen Kirchen und die Dorfkirchen

Die formale Entwicklung des Kanzelaltars fand in den Schlosskirchen statt, in den bürgerlichen Stadt- und Dorfkirchen fand er seine Verbreitung. In den ersten Jahrzehnten nach der Reformation hatte sich die Verbindung von Kanzel und Altar noch nicht durchgesetzt. Beispielsweise waren die Kanzeln in Celle und in Schloss Augustusburg seitlich angebracht. Auch die im Folgenden vorgestellte Pfarrkirche von Bendeleben zeigt zwar einen engen räumlichen Zusammenhang von Altar und Kanzel, aber noch keinen Kanzelaltar. Bendeleben (Kyffhäuserkreis), Sankt Pankratius

Die 1588–1623 aus rotem Sandstein errichtete Kirche gehört zu den ersten nachreformatorischen Kirchenneubauten in Nordthüringen. Während der Außenbau noch spätmittelalterliche Züge aufweist, ist der Innenraum bereits der Renaissance verpflichtet und stellt in Form und Erhaltungszustand das seltene, jedoch charakteristische Beispiel eines evangelischen Predigtsaals dar. Die liturgischen Hauptstücke sind im Chorraum konzentriert, der Epitaphaltar stammt von 1590. 108  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

118 Mai 1969, S. 256. – Fleck 2015, S. 237–258.

Das Mittelrelief zeigt eine Abendmahlsdarstellung, darüber die Auferstehung. Kanzel und Taufstein entstanden 1611, die Brüstungsmalereien 1674, sie wurden aber wie der Altar 1861 überarbeitet. Das hölzerne Tonnengewölbe gehört zu den frühesten seiner Art. Das 1661 entstandene aufwendige dreigeschossige Epitaph für die Herren von Bendeleben zeigt eine reiche figürliche und ornamentale Ausgestaltung. Der zur Grabkapelle führende Eingang wird von Engelsfiguren flankiert, darüber zeigen Reliefs Kreuzigung und Auferstehung. Niederroßla (Weimarer Land), Dorfkirche

Die erstaunlich große Dorfkirche von Niederroßla bei Apolda im Weimarer Land ist ein Saalbau mit leicht aus der Achse verschobenem Westturm. Die Kirche wurde zwischen 1718 und 1723 von dem Weimarer Landbaumeister Johann Adolf Richter (1682–1768) erbaut. Der reich dekorierte Innenraum enthält auf drei Seiten zweigeschossige Emporen mit ausgemalten Brüstungsfeldern. Hier und an der Decke finden sich die Zwölf Apostel und Gestalten aus dem Alten Testament. Der Ostchor nimmt einen aufwendig gestalteten Kanzelaltar auf. Der dreigeschossige, hoch aufragende Altar sitzt auf einem Sockelgeschoss auf, dessen drei Durchgänge in die Sakristei führen. Das Bildprogramm des Chors und des Altars wird von Themen aus dem Neuen Testament bestimmt. An den äußeren Enden des Untergeschosses stehen sich auf dem abschließenden Gebälk Christus und Moses gegenüber, die gleichsam den Prediger begleiten. Über dem Kanzeldeckel verkündet eine Darstellung des Abendmahls Wort und Sakrament im Sinne Luthers. Diese Mitte wird noch gesteigert durch die darüber befindlichen Darstellungen von Verkündigung, Geburt und Kreuzigung. An den Außenseiten des Obergeschosses symbolisieren zwei Engel die christlichen Tugenden. Der Altar endet dicht unter der Decke in einer Glorie. An der Westwand befindet sich eine Herrschaftsloge – weltliche Tugenden entsprechen den christlichen Tugenden auf der Chorseite. Gemälde in der Rundung des Chors steigern noch einmal die christliche Heilsgeschichte durch die Themen Auferstehung, Himmelfahrt und Jüngstes Gericht. Die reiche Ausstattung und die ansprechende künstlerische Qualität heben diese Dorfkirche heraus. Buttstädt (Landkreis Sömmerda), Sankt Michaelis

Buttstädt war eine Ackerbürgerstadt mit großen Viehmärkten. Der dadurch entstandene Wohlstand führte zu Beginn des 16.  Jahrhunderts zum Bau der stattlichen Pfarrkirche Sankt Michaelis. Nach einem Brand von 1684 wiederhergestellt, stammt die reiche Ausstattung vom Beginn des 18.  Jahrhunderts. Das tonnengewölbte Schiff wird an drei Seiten Die städtischen Kirchen und die Dorf kirchen  |  109

Abb. 56  Dorfkirche Niederroßla, 1723, Foto Peter Mittmann, Weimar, Aufnahme 2016.

Nächste Seite: Abb. 57  Buttstädt, Sankt Michaelis, Kanzelaltar von Friedrich Philipp Puppert, 1726–1728, Foto Peter Mittmann, Weimar, Aufnahme 2016.

von zweigeschossigen Emporen mit monochromen, neutestamentlichen und emblematischen Gemälden an den Brüstungen umzogen. Die Orgel liegt an der Westseite, flankiert von kleinen Sängeremporen. Der mehrfach durchbrochene, figurenreiche Kanzelaltar  – geschaffen 1726–1728 von Friedrich Philipp Puppert, Hof bildhauer in Jena  – erinnert allein durch seine diagonale Säulenstellung, die schrägen Seitenteile und die eingestellten Figuren an katholische Altäre in Bayern und Franken,119 man denke nur an Johann Dientzenhofers Klosterkirche Banz oder den Altar der Gebrüder Asam im Kloster Weltenburg. 110  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

119 Vgl. Dehio Thüringen 1998, S. 180.

Die städtischen Kirchen und die Dorf kirchen  |  111

Abb. 58  Mellingen, Sankt Georg, Innen­ raum 1730, Kanzelaltar 1750, Foto Peter Mittmann, Weimar, Aufnahme 2016.

Im Zentrum des Altarprospekts stützt ein Engel den geschwungenen Kanzelkorb. Die zweigeschossige Anlage der Korbbögen, in deren unterem Teil die Figuren von Moses und Aaron (links) sowie von Johannes dem Täufer und Christus (rechts) stehen, wird von korinthischen Säulen getragen. Über dem Gebälk erhebt sich ein ebenfalls offener Auf bau mit geschwungenem Giebel und mehreren Schnitzfiguren  : Christus in der Gloriole, darüber Gottvater, begleitet von den Apostelfürsten und den vier Erzengeln. Der weiß gefasste Altar mit seinen in zarten Pastelltönen bemalten Figuren sowie die übereinander stehenden Bögen, die in einer deutlichen Gegenbewegung zur Rundung des spätgotischen Chors angeordnet sind, verweisen bereits auf Kirchenbauten des Rokoko. Der Buttstädter Kanzelaltar »präsentiert der Gemeinde in einzigartiger Weise die Ewigkeit und die Gnadenfülle des Evangeliums. Er ist der Prospekt der himmlischen Welt«120. Mellingen (Weimarer Land), Sankt Georg

Die mittelalterliche Pfarrkirche wurde nach Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg ab 1667 wieder aufgebaut und 1730 innen barockisiert. Der verputzte Saal der kleinen Kirche in der Nähe von Weimar mit zweigeschossigen Emporen und marmorierten Brüstungen wird von 112  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

120 Mai 1969, S. 110.

Abb. 59  Magdala, Blick auf den Kanzel­ altar, 1739, Foto Peter Mittmann, Weimar, Aufnahme 2016.

einer schlichten Holzdecke überwölbt, der Ostchor durch einen 1750 errichteten viergeschossigen Kanzelaltar vom Schiff getrennt. Wie im westlichen Thüringen üblich, führen auch hier drei Durchgänge in die Sakristei. Die Kanzel wird von Moses und Johannes dem Täufer flankiert, im dritten Geschoss die Skulptur des Gekreuzigten, darüber der Auferstandene. Magdala (Weimarer Land), Sankt Johannes Baptista

Auch die spätmittelalterliche Dorfkirche in Magdala ist ein Saalbau mit zweigeschossigen Pfeileremporen und weist die häufig anzutreffende tonnengewölbte Decke auf. 1739 wurde die Innenausstattung erneuert. Der einachsige Portikuskanzelaltar wird von gekuppelten Säulen und Pilastern eingefasst und von einem aufgebrochenen Dreiecksgiebel bekrönt  ; über dem Gebälk Moses und Johannes der Täufer. Die dreiachsige Kanzelwand ist ein gutes Beispiel für die weite Verbreitung des Kanzelaltars auch in kleinen Dorfkirchen. Die städtischen Kirchen und die Dorf kirchen  |  113

Suhl, Sankt Marien

Qualitätvolle Rokokoformen, wie wir sie aus Franken, Oberbayern oder dem friderizianischen Preußen kennen, sucht man in Thüringen vergebens. Umso mehr muss Sankt  Marien in Suhl hervorgehoben werden. Nicht nur der prächtige Kanzelaltar, der seine Herkunft aus dem katholischen Franken nicht verleugnen kann, sondern auch die Rocailles und die übrigen Dekorationen sind von erstaunlicher Qualität. Von der kurz vor 1500 erbauten Suhler Kirche ist nach mehreren Bränden nur noch der Chor aus der Erbauungszeit erhalten. Die heutige Saalkirche wurde 1753–1757 von dem hennebergischen »Landbauschreiber« Ludwig August Hoffmann errichtet.121 Für die Innenraumgestaltung zeichnete Georg Kaspar Klemm aus Hildburghausen verantwortlich. Im Innern zeigt das Kirchenschiff eine flache Decke, die von Klemm mit Rocailles dekoriert wurde. Auch die raumbeherrschenden dreigeschossigen Emporen über Pfeilern sind durch Rocailles qualitätvoll ausgeschmückt. Vor allem aber zeigt der durchbrochene dreigeschossige Kanzelaltar unter dem Triumphbogen des Chores einen Reichtum an Rokokoformen, der für Thüringen ohne Beispiel ist. Die Kanzel wird von Engeln schwungvoll nach oben getragen. Zwischen den Pilastern stehen die bewegten Figuren von 114  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Abb. 60  Sankt Marien in Suhl, 1757. Abb. 61  Kanzelaltar in Sankt Marien in Suhl.

121 Heckmann 1999, S. 36 f.

Abb. 62  Großenhain, Marienkirche, 1748, Grundriss.

Moses und Johannes dem Täufer. Hinter dem stark polychromen Altar erhebt sich die ebenfalls überreich dekorierte Orgel. Der Kanzelaltar gehört zu den bedeutendsten seiner Art in Mitteldeutschland. Großenhain (Landkreis Meißen), Sankt Marien

Unter den zahlreichen evangelischen Gotteshäusern in Sachsen verdient eine Kirche aus mehreren Gründen hervorgehoben zu werden  : die Marienkirche in Großenhain, eine über einem T-förmigen Grundriss 1746–1748 errichtete Saalkirche (vgl. Abb.  62). Schon der Grundriss überrascht, erinnert er doch an die frühen sächsischen Querkirchen. Die ungewöhnliche Form geht auf die nach einem Brand zerstörte spätmittelalterliche Vorgängerkirche zurück, deren Umfassungsmauern in den Neubau einbezogen wurden. Der polygonale Ostchor blieb erhalten, wurde aber vom neuen Hauptraum abgetrennt. In seinem Innern fand ein Treppenhaus Platz, von dem aus die mehrgeschossigen Emporen zu erreichen sind. Durch die Veränderung der Raumanordnung wurden Kanzelaltar und Orgel von Johann George Schmidt (1707–1774), einem Schüler von George Bähr, an die Nordwand des alten Langhauses verlegt (vgl. Abb. 63). Betritt man die Kirche über den Eingang an der Südseite des ehemaligen Querschiffes, wird der Blick auf den monumentalen Altar gelenkt, und es entsteht der Eindruck eines Langhauses, was durch die Anordnung der Bankreihen unterstrichen wird. Im Voranschreiten öffnet sich jedoch die Nordseite mit dem dreiachsigen, von Säulen eingefassten Kanzelaltar zu einer gewaltigen Schauwand. Im Innern wird der Raum trotz der unterschiedlichen Sichtachsen durch die umlaufenden Emporen zusammengefasst und wirkt wie ein Zentralbau. Die vor- und zurückschwinDie städtischen Kirchen und die Dorf kirchen  |  115

Abb. 63  Großenhain, Marienkirche, Kanzel­ altar 1753–1756, Orgelprospekt 1776–1778.

genden Brüstungen sowie die unterschiedliche Höhe der Emporen und der verglasten Betstübchen verleihen dem Raum zusätzliche Dynamik. Ein Muldengewölbe wird von breiten Arkaden auf sehr schlanken und hohen Pfeilern getragen, eine Reminiszenz an George Bähr und dessen Dresdener Frauenkirche. Das Bildprogramm des Altars fußt auf Johannes 3,14  : Reliefs der Aufrichtung der ehernen Schlange und der Kreuzigung stehen einander gegenüber. Moses und Johannes der Täufer verkörpern Gesetz und Gnade, Altes und Neues Testament. Die Gemeinde erlebt gleichsam die Freude des Evangeliums im Einklang mit der musikalischen Lobpreisung Gottes durch die Orgel und befindet sich im Zentrum des Geschehens. Anlässlich der Einweihung hielt Superintendent Chladenius eine Eröffnungspredigt, in der das Bildprogramm des Kanzelaltars in Zusammenhang mit der gesamten Kirche ausgelegt wird – auch dies ein höchst eindrucksvolles Zeugnis protestantischer Frömmigkeit im 18.  Jahrhundert.122 Zentralbauten

Zentralbauten waren seit der Antike – vom Pantheon in Rom bis heute – das Ideal vieler Architekten. Trotz berühmter Beispiele sind sie im Kirchenbau jedoch eher selten. Ein Wesenszug des protestantischen Kirchenbaus ist Symmetrie und Axialität. Dem widerspricht bis zu einem gewissen Grad der Zentralbau, da die Axialität hier auf einer allseitigen Ausrichtung beruht. Aus liturgischer Sicht eher ungünstig, wurden sie in der Renaissance aus Verehrung für die Antike und aus formalästhe116  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

122 Mai 1969, S. 162–164.

Abb. 64  Rom, Pantheon, 2. Jahrhundert n. Chr. (historische Aufnahme).

123 Vgl. Kruft 1991, S. 44–54.

tischen Gründen besonders geschätzt. Um 1450 führte der Architekt Leon Battista Alberti (1404–1472) den Zentralbau in seiner Architekturtheorie auf die Vorbilder der Antike zurück. Im Druck erschien der Traktat aber erst 1485. Bevorzugte Formen sind Kreis und Quadrat, Kugel und Würfel, die dem Ideal von Gleichmäßigkeit und Harmonie am nächsten kommen.123 Die Schönheit ist wichtiger als der liturgische Zweck. Erwähnt werden soll hier nur noch der von Bramante ab 1505 in Rom erbaute Tempietto di San Pietro in Montorio, der Überlieferung nach der Ort, an dem der Apostel Petrus gekreuzigt wurde. Prominentestes Beispiel ist Sankt  Peter. Zugleich leitet der über einem griechischen Kreuz errichtete Bau für den katholischen Bereich das Ende des kirchlichen Zentralbaus ein. 1577 erließ Erzbischof Borromeo im Namen der Gegenreformation den Aufruf, Kirchen künftig nur über dem Grundriss des lateinischen Kreuzes zu erbauen. Zentralbauten wurden abgelehnt, Rundbauten galten als heidnisch. Im 17. und 18. Jahrhundert bestimmten basilikale Langhausbauten mit überkuppelter Vierung das Bild der katholischen Kirchen. Sankt Peter erhielt durch Carlo Maderna (1556–1629) zwischen 1612 und 1624 das obligatorische Langhaus. Es gab aber auch ungewöhnliche Ausnahmen. 1747 begann man im protestantischen Berlin mit dem Bau einer katholischen Kirche nach dem Vorbild des römischen Pantheons. Dass die Wahl ausgerechnet auf einen heidnischen Rundtempel fiel, ist keinem Geringeren als Friedrich II. zu verdanken. Bereits 1743 beschloss der junge König, ein Vikariat für die preußischen Katholiken zu errichten. Um den katholischen Adel in der gerade eroberten Provinz Schlesien für sich einzunehmen, wurde die neue Kirche der Heiligen Hedwig unterstellt, der schlesischen Nationalheiligen. In einem Schreiben des Baudirektoriums von 1750 an Zentralbauten  |  117

Abb. 65  Eduard Barth, die St. Hedwigs­ kathedrale, Berlin, 1830  ; Gouache auf Papier, Stiftung Stadtmuseum Berlin.

Abb. 66  Max Nentwich, Berlin, St. Hedwig, Berlin, Fotografie um 1935, Stiftung Stadt­ museum Berlin.

den General des Dominikanerordens in Rom heißt es, der Bau sei »nach dem Modell« der Rotonda in Rom zu errichten, eigentlich ein Affront. Der Vorschlag ist zweifelsfrei von dem antikenbegeisterten König ausgegangen. Im Zentrum der Überlegungen stand weniger eine reale Nachahmung als der Gedanke, das populäre Vorbild als Inbegriff der Antike zu würdigen.124 In Deutschland muss natürlich die um 800 erbaute Pfalzkapelle Karls des Großen an erster Stelle genannt werden. Für das 11. Jahrhundert ist 118  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

124 Preußen. Kunst und Architektur. Hrsg. Gert Streit und Peter Feierabend, Köln 1999, S. 176–179.

Abb. 67  Untersuhl, Außenansicht. Abb. 68  Untersuhl, Blick von der zweiten Empore zum Altar, Malereien an den Brüs­ tungen um 1700.

die Filialkirche Sankt  Michael in Fulda zu nennen. Nach der Reformation gab es eine Reihe von Zentralbauten, vor allem in Sachsen und Thüringen finden sich interessante Beispiele. Der bedeutendste Bau ist ohne Zweifel George Bährs Dresdner Frauenkirche (1726–1743), für die es mitteldeutsche Vorläufer gibt, zum einen von Bähr selbst, der 1713– 1716 im sächsischen Schmiedeberg die Dreieinigkeitskirche über dem Grundriss eines griechischen Kreuzes errichtete.125 Weiterhin sind die Kirche im erzgebirgischen Carlsfeld (1684–1688) und der Zentralbau im thüringischen Waltershausen (1719–1723) zu nennen (vgl. Abb. 70–72). Leonhard Sturm lehnt in seinem Traktat von 1712 über protestantische Kirchen Sakralbauten über kreuzförmigem Grundriss grundsätzlich ab. Rundbauten steht er zwar positiv gegenüber, sieht aber Schwierigkeiten beim Innenraum, vor allem, da man den Fürstenstand nicht sinnvoll unterbringen könne, man ordinire ihn, wie man will (vgl. auch S.  176). Außerdem ist er der Auffassung, dass Rundbauten von außen leicht plump wirkten. Bei der Berliner Hedwigskathedrale ist das tatsächlich der Fall. Untersuhl (Wartburgkreis), Rundkirche

125 Mai 1969, S. 265, Abb. 122.

Ein weiteres sehr frühes Beispiel ist die evangelische Filialkirche von Untersuhl. Es handelt sich um eine mittelalterliche Rundkirche, die im Laufe des 17.  Jahrhunderts mehrfach umgebaut wurde. Über dem steinernen Sockelgeschoss erhebt sich ein Fachwerkbau, darüber ein hoher achtseitiger Turmaufsatz mit einem Ringpultdach. Im Innenraum tragen sechs hölzerne Säulen einen zweigeschossigen Emporenring. Im Osten nimmt eine halbrunde Nische den Altar auf, an Zentralbauten  |  119

der Seite die hölzerne Kanzel. An den Brüstungsfeldern befinden sich gemalte Halbfiguren aus dem Alten und dem Neuen Testament. Laut »Dehio« war möglicherweise der Rundbau der karolingischen Fuldaer Michaelskapelle Vorbild für Untersuhl. Auch die Fuldaer Kapelle verfügt über eine Ostapsis.126 Der Hinweis ist nicht unbegründet, hatte das Bistum Fulda doch ausgedehnte Besitzungen im Werragebiet. Die bekannteste Rundkapelle mit innen umlaufendem Säulenkranz und asymmetrisch angeordneten Fenstern ist Santa Costanza in Rom aus dem 4. Jahrhundert, nördlich der Alpen war diese spätantike Kirche weitgehend bekannt. Auch in Bezug auf die Anordnung der Fenster stimmen Untersuhl und Fulda mit dem antiken Bau überein. Carlsfeld (Landkreis Aue-Schwarzenberg), Trinitatiskirche

Der kleine, aber bedeutende Zentralbau steht im Zentrum des Ortes und wurde 1684–1688 nach einem Wolf Caspar von Klengel zugeschriebenen Entwurf errichtet. Die Kirche gilt als älteste Vorform der ab 1726 von George Bähr erbauten Dresdener Frauenkirche. Der über einem achteckigen Grundriss errichtete Putzbau wird von einer Kuppel überwölbt. Der von dreigeschossigen Emporen umgebene Innenraum ist hell und weiträumig. Der Kanzelaltar von Johann Heinrich Böhme d. J. zählt zu den qualitätvollsten seiner Art in Sachsen. Nach Hartmut Mai wurde die Carlsfelder Kirche zum Leitbild des barocken evangelischen Kirchenbaus in Sachsen.127 Über dem Altartisch steigt ein stufenförmiges Podest bis zur Kanzel auf, über der sich die Orgel erhebt. Der Altarauf bau wird von Maria und Johannes sowie zwei weiteren, männlichen Figuren flankiert, wahrscheinlich Moses und Elias. Zwischen Maria und Johannes hocken direkt unter dem Kruzifix drei Putten, die Glaube, Liebe und Hoffnung symbolisieren. Direkt neben dem Gekreuzigten sitzen die Apostelfürsten Petrus und Paulus. Den Abschluss des figürlichen Programms bildet der Auferstandene mit der Siegesfahne. Waltershausen (Landkreis Gotha), Gotteshilfkirche

Der erste kirchliche Zentralbau der Barockzeit in Mitteldeutschland ist die Gotteshilfkirche in Waltershausen. Von der Grundrissbildung her ist der 1719 begonnene Bau ebenfalls ein Vorläufer von George Bährs Frauenkirche. Hier wie dort handelt es sich um einen quadratischen Baukörper mit abgeschrägten Ecken. Wie in Dresden und sogar ähnlich wie in Untersuhl ruhen mehrgeschossige Emporen auf kräftigen Holzpfeilern. Durch ihre ellipsenförmige Aufstellung verleihen sie dem quadratischen Raum eine gewisse Orientierung hin zum Altar. Geschickt 120  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

126 Dehio Hessen I, 2008, S. 286–288. 127 Mai 1969, S. 42, 92, 132, 140, 208, Kat. Nr. 7.

Abb. 69  Trinitatiskirche in Carlsfeld, Blick auf den Kanzelaltar.

Zentralbauten  |  121

Abb. 70  Waltershausen, Gotteshilfkirche. Nächste Seite: Abb. 71  Waltershausen, Gotteshilfkirche, Blick auf Orgel, Kanzel und Altar.

Abb. 72  Waltershausen, Gotteshilfkirche, Blick in das Gewölbe.

122  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Zentralbauten  |  123

Abb. 73  Dresden, Frauenkirche, 1734, Grundriss.

sind Kanzel und Orgel in den Verlauf der Emporenbrüstungen eingegliedert (vgl. auch Abb. 109) Die raumhohen schlanken Pfeiler, welche die Arkadenbögen tragen, verweisen bereits auf den Bau der nur wenige Jahre später begonnenen Frauenkirche. Im Zentrum der den Kirchenraum abschließenden, vom Oval in den Kreis übergehenden Kuppel bildet ein farbenprächtiges Deckengemälde mit illusionistischer Architekturmalerei den Höhepunkt der Ausstattung. Malereien mit Szenen aus dem Neuen Testament und den christlichen Tugenden unterstreichen die Bedeutung des Baus als evangelische Predigtkirche. Dresden, Frauenkirche

Der bedeutendste Zentralbau des Protestantismus war und ist die Dresdener Frauenkirche, die nach einem Entwurf des Ratsbaumeisters George Bähr zwischen 1726 und 1743 errichtet wurde. Ihre Bedeutung ist umso größer, als der Zentralbau nicht zu den charakteristischen Formen des evangelischen Kirchenbaus zählt und neben Lob auch vielfältige Kritik gefunden hat. Der die Stadt überragende monumentale Kuppelbau steht in der Tradition der wichtigsten Zentralbauten der abendländischen Architektur – vom antiken Pantheon in Rom über die Peterskirche und Venedigs den Canal Grande beherrschende Santa Maria della Salute bis zum Pariser Invalidendom. 124  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Abb. 74  Ludwigslust, Schlosskirche, erbaut 1756–1770.

Der runde Innenraum ist im Grundriss in ein Quadrat eingefügt, dessen abgeschrägte Eckbauten die Treppenhäuser aufnehmen. Die hohe, konkav wie eine Glocke ausschwingende Kuppel liegt auf acht schlanken Pfeilern auf, die nicht nur die Höhe unterstreichen, sondern dem Raum auch eine enorme Weite verleihen. Die Bänke sind dem Raum entsprechend kreisförmig angeordnet. Überraschend wird der runde Innenraum der Emporenkirche von einem Ostchor durchbrochen, wodurch der Blick des Besuchers auf den Hochaltar und die darüber befindliche Orgel gelenkt wird, über der eine Sängerempore angebracht ist. Vor dem Altar führen in unterschiedlichen Rundungen geformte Treppen und Brüstungen zur Kanzel, die in die Brüstung eingebunden ist und eher einem Lesepult ähnelt. Die an einem Pfeiler seitlich angebrachte Kanzel ist eine spätere Zutat. Ludwigslust (Landkreis Ludwigslust-Parchim), Schlosskirche

In Mecklenburg-Vorpommern, dem am dünnsten besiedelten Bundesland, sind architektonisch bedeutende Kirchen eher selten anzutreffen. Eine Stadtkirche aber, die über ein monumentales und farbenprächtiges Wandgemälde von über 350 m² Fläche verfügt, verdient schon aus diesem Grund genannt zu werden. Die evangelisch-lutherische Kirche in Ludwigslust wurde zwischen 1756 und 1770 im Zuge des Ausbaus der Stadt zur Residenz des Herzogtums Mecklenburg-Schwerin als freistehende Schlosskirche erbaut. Das Schloss selbst steht etwa einen halben Kilometer entfernt und ist durch eine Sichtachse mit der Kirche verbunden. Dem aus Backstein über einem quadratischen Grundriss errichteten und verputzten Saalbau ist eine breite Säulenhalle vorgesetzt. Zentralbauten  |  125

Abb. 75  Apsis der Schlosskirche von Lud­ wigslust, Verkündigung an die Hirten, 1772.

Von der Schaufront, die sich nur durch das Christusmonogramm und durch vier Evangelistenstatuen sowie eine Schrifttafel im Giebel als die einer Kirche zu erkennen gibt, beziehen sich lediglich die drei mittleren Achsen auf den eigentlichen Kirchenbau. Das Innere überrascht durch die riesige Altarwand mit einem Gemälde (1770–1772) von Johann Dietrich Findorff. Zwei geschwungene Treppenläufe führen zum Altar, vor dem die Kanzel angebracht ist. Das überwiegend in Goldtönen gehaltene Wandbild zeigt die Verkündigung an die Hirten. Hinter dem auf Karton gemalten Bild sind Orgel und Sängerempore so angebracht, dass sie vom Kirchenraum aus kaum zu sehen sind. Der Saal wird von einer mit Kassetten bemalten Tonne abgeschlossen, die auf toskanischen Säulenreihen aufliegt. Die theatralische Inszenierung der barocken Malerei kontrastiert auf fremdartige Weise mit den bereits klassizistisch weiß gefassten Säulen, die den Zentralbau sehr geschickt auf den Kanzelaltar ausrichten. 126  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Abb. 76  Geba, Dorfkirche, 1793.

Abb. 77  Geba, Dorfkirche, amphitheatrali­ scher Innenraum.

Geba (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Dorfkirche

Das achteckige, turmlose Kirchlein liegt 700 Meter oberhalb des Dorfes und wurde 1791–1793 errichtet. Es ist ein Fachwerkbau, der an den drei dem Dorf zugewandten Seiten verputzt, an den übrigen Außenmauern zum Schutz gegen die raue Witterung verbrettert ist. Seit 1978 wurde die Kirche nicht mehr genutzt und verfiel, alle kirchlichen Geräte wurden gestohlen. Eine grundlegende Renovierung fand 1992–1994 statt. Der Innenraum überrascht in mehrfacher Hinsicht und zeigt trotz ländlicher Abgeschiedenheit ungewöhnliche klassizistische Formen. Die Sitzbänke ziehen sich in Anlehnung an antike Theater stufenförmig aufsteigend um die Seitenwände herum. Altar, Kanzel und ein Lesepult stehen frei im Raum. Die Orgel ist hinter der Kanzel auf einer leicht erhöhten Empore angebracht, deren Brüstung in den Raum vorspringt. Die farbliche Fassung des Innenraums fußt auf der Bemalung von 1893, ursprünglich dürfte sie einfarbig gewesen sein.

Zentralbauten  |  127

128  |  Protestantische Kirchen und die Blütezeit des Kanzelaltars im 17. und 18. Jahrhundert

Bildwerke in lutherischen Kirchen

128 Vgl. hierzu Scharfe 1968, S. 179–196.

Noch immer glauben viele Menschen, evangelische Kirchenräume seien schlicht und ohne Bildschmuck. In der Tat sind zahlreiche Innenräume infolge von Renovierungen und falsch verstandenen Modernisierungen hell und einfarbig gestrichen, Malereien und Inschriften, insbesondere an Emporen, übermalt. Vom 16.  bis 18.  Jahrhundert aber waren die lutherischen Kirchen voller Bilder, Reliefs und Skulpturen – und sind es in großen Teilen noch heute. Evangelische Bildwerke betreffen eine von der Theologie Luthers geprägte Kunst. Die Schlosskirche von Celle wurde bereits vorgestellt. Sie entstand um 1570 und ist mit 70 Gemälden sowie Reliefs und vollplastischen Skulpturen äußerst prächtig ausgestattet. Das großformatige Retabel bildet die Mitteltafel eines Flügelaltars, steht also noch in der Tradition vorreformatorischer Kunst. Allerdings gibt es in den lutherischen Kirchen keine Heiligen, auch keine Kirchenlehrer wie Augustinus oder Hieronymus. Stattdessen bildet man öfter die wahren Lehrer der evangelischen Kirche ab  : Luther und Melanchthon.128 Es trifft auch nicht zu, dass man nach der Reformation kein Interesse oder keinen Bedarf an bildender Kunst hatte, das Gegenteil ist der Fall. Noch im 16. Jahrhundert entstanden neue Retabelaltäre und vor allem Kanzeln, die mit Figuren und Malereien ausgestattet wurden. Alle Bildwerke bezogen sich dabei ausschließlich auf das Geschehen und auf Personen aus dem Alten und Neuen Testament. An Emporenbrüstungen wurde oft die gesamte Heilsgeschichte zur Darstellung gebracht, grundsätzlich nach den dogmatischen Vorstellungen von Gesetz und Sünde im Alten Testament und von Gnade und Erlösung im Evangelium. Die Bilder sollten gerade den Gottesdienstbesuchern, vor allem jenen, die nicht lesen konnten, zur Erinnerung dienen, sie sind Bibelillustrationen, aber keine Predigt in Bildern. War das Retabel in der Celler Schlosskapelle noch als Flügelaltar gestaltet, so zeigt das Retabel von Lucas Cranach  d. J. in Schloss Augustusburg zur gleichen Zeit, also um 1570, ein reines Altarbild. Das Retabel flankierende Personen, die man zu Prozessionen herausnehmen konnte, vor allem Heilige, gibt es nicht mehr. Bildthemen beziehen sich auf Jesus Christus, sein Leben und Leiden, sein Sterben und Auferstehen. Das Bildthema geht dabei vom Ort des Geschehens aus, der Feier des Abendmahls und stellt mit Kreuzigung und Auferstehung das Wirken Christi in den Mittelpunkt. Das Abendmahl selbst kommt oft in der Predella, der Übergangszone zwischen Altartisch und Retabel, zur Darstellung. Unter den vollplastischen Figuren in den lutherischen Kirchen stehen nach Christus die Evangelisten an erster Stelle. Standort ist fast Bildwerke in lutherischen Kirchen  |  129

Abb. 78  Blick auf das Altarretabel des Cranach-Altars und das Marmorepitaph.

immer der Kanzelkorb. »Fast die Hälfte aller lutherischen Kanzeln hat als Bildprogramm die vier Evangelisten zum Thema und führt damit die häufigsten Programme gotischer Kanzeln fort.«129 Oft wird die Kanzel von der Figur des Moses gestützt, der die Tafeln mit den Zehn Geboten in Händen hält. Neben Moses kommen noch sein Bruder Aaron und Johannes der Täufer vor, seltener die Apostelfürsten Petrus und Paulus. Im Laufe des 18. Jahrhunderts werden vor allem in kleineren Kirchen auf den Brüstungsfeldern der Emporen zahlreiche Personen des Alten und des Neuen Testaments vorgestellt, beispielsweise Propheten oder Herrscher des Alten Testaments wie Elias oder der weise König Salomon  ; aus dem Neuen Testament kommen die zwölf Apostel zur Darstellung. 130  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

129 Poscharsky 1998, S. 24.

Abb. 79  Weimar, Cranach-Altar in der Herderkirche.

130 Hecht 2015, S. 55–74.

Eine wichtige Kunstgattung bildet das Epitaph, das Gedächtnismal für einen Verstorbenen, der entweder allein oder mit Familienmitgliedern dargestellt ist. Die Personen sind meistens in anbetender Haltung gezeigt. Das Epitaph ist nicht an einen Begräbnisplatz gebunden, kann aber einem Grabmal oder einem Altar zugeordnet werden. Das Epitaph ist mit dem Altarretabel nahe verwandt, in der Ikonografie unterscheidet es sich deutlich von den katholischen Epitaphien. Verfügt das Retabel über ein Bild oder Relief, so steht dieses inhaltlich und formal in Bezug zum Verstorbenen. In vorreformatorischer Zeit und im Katholizismus ist es in der Regel ein Andachtsbild. Anverwandte und Heilige beten für die Seele des oder der Verstorbenen. Auf einem lutherischen Epitaph kommen Heilige nicht mehr vor, stattdessen ist die Kreuzigung oder die Auferstehung Christi dargestellt, dem sich Stifter oder Lehrer der Kirche beigesellen. Außerdem gibt es Epitaphien mit den üblichen ikonografischen Programmen. Eines der bekanntesten ist das Altarretabel in der Weimarer Kirche Sankt  Peter und Paul, der sogenannten Herderkirche, das auch als Epitaph interpretiert werden kann. Es wurde 1552 von Lucas Cranach d. Ä. begonnen und nach dessen Tod von Lucas Cranach d. J. 1555 beendet.130 Das Hauptbild zeigt den Gekreuzigten, zu dessen Füßen stehen Johannes der Täufer, Lucas Cranach d. Ä. und Martin Luther, links der Bildwerke in lutherischen Kirchen  |  131

Auferstandene. Im Hintergrund sind Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament dargestellt, die sich auf die Passion Christi beziehen. Auf den Innenflügeln sieht man links Herzog Johann Friedrich von Sachsen und seine Frau Sibylle von Cleve, rechts deren drei Söhne. Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen

Wenn Luther sich gegen Bilder in den Kirchen aussprach, Heiligendarstellungen aber nicht gewaltsam entfernen wollte, so meinte er damit in erster Linie Retabel- und Flügelaltäre. Geläufig waren seit dem 12. Jahrhundert die Retabelaltäre – eines der frühesten Beispiele, die sogenannte Stuckmadonna im Erfurter Dom, entstand um 1160. Die jedem heutigen Kirchenbesucher bekannten Flügelaltäre entwickelten sich seit dem 14. Jahrhundert und erreichten ihre Blütezeit zwischen 1480 und 1520.131 Die meisten von ihnen zeichnen sich im Innern durch Reliefs aus, die Außentafeln sind bemalt, es konnten jedoch auch alle Teile des Altars Malereien tragen. Am berühmtesten sind die Schnitzaltäre Tilmann Riemenschneiders (um 1460–1531), eines Zeitgenossen Luthers. Luther selbst stand den Bildern in Kirchen überwiegend ablehnend gegenüber, hat diese Meinung aber später teilweise revidiert. So hat er beispielsweise die Darstellung des Abendmahls als Thema eines Altarbildes empfohlen.132 Zerstören lassen wollte er Bilder, in der Regel Heiligendarstellungen, aber nicht. Grundsätzlich finden sich in lutherischen Kirchen keine Heiligenbilder oder Skulpturen von Heiligen.133 In einigen Fällen sind jedoch aus adaptierten Kirchen Zerstörungen von protestantischer Seite bekannt. So wurde 1711 im oberfränkischen Töpen (Landkreis Hof) nahe der sächsischen Grenze ein Altarbild herausgerissen, um eine Kanzel einzusetzen.134 Die 1492–1502 errichtete Kirche von Bibra im Kirchenkreis Meiningen enthält einige vorzügliche Riemenschneideraltäre, darunter einen Kirchenväteraltar, in dessen Zentrum sich ehemals eine Statue von Papst Leo I., dem Kirchenpatron, befand, die heute an anderer Stelle auf bewahrt wird. Ein besonders merkwürdiger Vorfall in Zusammenhang mit nicht mehr gebrauchten Altären und Heiligenfiguren ereignete sich in der thüringischen Stadt Weißensee im Landkreis Sömmerda. Als 1624 die mittelalterliche Stadtpfarrkirche Sankt  Peter und Paul zu einer evangelischen Predigtkirche umgebaut wurde, stellte man eine neue Bilderwand hinter dem Hauptaltar auf. Dabei wurden zwei gotische Altäre des 15. Jahrhunderts in die Schauwand integriert und im Sinne des reformatorischen Bekenntnisses »korrigiert«.135 So verwandelte man eine Christus-Maria-Gruppe in eine Christus-Gottvater-Gruppe, indem Maria ein schwarzer Bart hinzugefügt wurde. Auch zahlreiche andere Figuren wie Heilige und Märtyrer wurden im Sinne der Reformation »verbessert«, jedoch nicht zerstört. So wurden im 132  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

131 Vgl. Habenicht 2015. 132 Mai 1969, S. 114. – Luther, WA, 31. 1. S. 415. 133 Scharfe 1968, S 139–167. 134 Meißner 1987, S. 37, 42 und Kat. Nr. 228. 135 Stätten der Reformation 2014, S. 329 f.

Abb. 80  Weißensee, Stadtkirche, Christus-­Gottvater-Gruppe, ursprünglich Christus-Maria-Gruppe, 15. Jahrhundert, Umarbeitung 1624.

136 Ziems 2005, S. 52–58.

brandenburgischen Sieversdorf (Landkreis Oder-Spree) zwölf weiblichen Heiligen an einem spätgotischen Altaraufsatz Bärte angemalt, um sie auf diese Weise in Apostel umzuwandeln. In Börnicke (Stadt Nauen, Landkreis Havelland) wurde mittels einer schwarz gefärbten Schnur der Jungfrau Maria ein Schnauzbart aufgeklebt, wodurch sie zum Evangelisten Lukas umgewidmet wurde.136 In Einhausen (Landkreis Meiningen) wurde die aus dem 14. Jahrhundert stammende Kirche 1726 erweitert, Teile der spätgotischen Ausstattung wie die Kanzel blieben dabei aber erhalten. Der Schalldeckel enthält an der Spitze eine segnende Christusfigur, zu deren Füßen fünf Apostel stehen, die alle von einem gotischen Altar der Vorgängerkirche stammen. Ein Heiliger  Andreas Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  133

wurde an einer Emporenstütze befestigt, um ihn wenigstens bestehen zu lassen.137 In Moderwitz (Neustadt/a.d. Orla, Saale-Orla-Kreis) wurden sogar die Gemälde eines spätgotischen Flügelaltars zu Beginn des 18. Jahrhunderts liebevoll in den protestantischen Kanzelaltar integriert, ein seltener Fall von konfessioneller Pietät. Umgekehrt wurden auch von katholischer Seite Veränderungen vorgenommen oder bei mehrfachem Glaubenswechsel rückgängig gemacht. Im protestantischen Weißenfels fiel mit dem Aussterben des Herrscherhauses das Herzogtum 1746 wieder an das Dresdener Kurhaus zurück. Man ließ die Kanzel 1748 aus dem zuvor protestantischen Altar in der Schlosskirche herausnehmen und an eine Seitenwand versetzen. Der Altaraufsatz erhielt stattdessen ein Relief mit der Darstellung von Maria und Johannes zu Füßen des Gekreuzigten. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts hatten sich die lutherischen Gemeinden in Bezug auf eine bildliche Ausstattung im Sinne Martin Luthers weitgehend zurückgehalten. Das änderte sich, als nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges eine Fülle von Kirchenneubauten errichtet wurde. Es entstanden nun bildliche Darstellungen vor allem des Abendmahls, der Kreuzigung und der Auferstehung.138 Um die Kanzel nicht allzu sehr hervorzuheben, wurde das Altarbild wieder etwas stärker betont. In der 1654 erbauten Kirche von Griebenow bei Greifswald, einem Zentralbau, steht ein Hochaltar mit der gemalten Darstellung des Gekreuzigten  ; die Kanzel befindet sich an der Seitenwand.139 In der Schlosskapelle von Eisenberg, geweiht 1687, sind Altarretabel, Kanzel und Orgel als Einheit übereinander angeordnet (vgl. S. 105). Zwischen der Orgel und dem großen Altarbild mit der Verkündigung an Maria fällt die kleine Kanzel kaum auf.140 Das ikonografische Programm mit der Darstellung des Leidens Christi und der Herrlichkeit Gottes konnte aber auch derart ausgeweitet werden, dass manche protestantischen Altäre an Pracht und Farbigkeit katholischen Altären an die Seite gestellt werden können. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der Altar der evangelischen Martinikirche in Halberstadt aus dem Jahr 1696. Der die Apsis füllende dreigeschossige Hochaltar wird in allen Geschossen von gedrehten Weinlaubsäulen, im Obergeschoss von Säulenpaaren flankiert. Das aufwendige Figurenprogramm reicht von einem Abendmahlsrelief im Untergeschoss über eine freistehende Kreuzigungsgruppe, flankiert von Moses und Johannes dem Täufer, bis zur Grablegung im Obergeschoss. Auf den aufgebrochenen Giebeln des Hauptgeschosses kauern die vier Evangelisten. Den Abschluss des prachtvollen Altars bilden der Heilige  Martin und Martin Luther zu Seiten des Auferstandenen. Heilige waren durchaus noch angesehen  – vor allem, wenn es sich um Namenspatrone handelte. Von zentraler Bedeutung waren in zahlreichen Kirchen die Evangelisten  – häufig am Kanzelkorb den segnenden Christus flankierend  –, 134  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

137 Kirchenführer Meiningen 2010, S. 109–111. 138 Mai 1969, S. 107, 114–121. 139 Ebd., S. 61. 140 Ebd., Kat. Nr. 9.

Abb. 81  Halberstadt, ev. Martinikirche, Hochaltar 1696.

Moses und Johannes der Täufer sowie vor allem die Apostel Petrus und Paulus. In Südthüringen gehörten Moses mit den Gesetzestafeln und Johannes der Täufer im 18.  Jahrhundert zum festen Ausstattungsprogramm – sie standen gleichsam dem Prediger in Lebensgröße zur Seite. In Wohlmuthausen sind die Figuren so angebracht, dass sie sich mit dem Prediger auf gleicher Höhe befinden. Sehr gut geeignet zur Ausstattung von Kanzelaltären waren Engel als Verkünder der himmlischen Botschaft, aber auch als Träger von Leidenswerkzeugen. Nicht zuletzt eigneten sie sich zum Verbergen technischer Schwierigkeiten, zum Beispiel als Überleitungsfiguren oder als Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  135

Abb. 82  Wohlmuthausen, um 1750.

Schalldeckelhalter wie in der Schlosskapelle von Weißenfels. In Buttstädt trägt ein Engel die gesamte Kanzel, und Christus preisende Engel bevölkern den zweigeschossigen Kanzelaltar.141 Häufig finden sich in beiden christlichen Kirchen Anspielungen auf den Tempel Salomons in Gestalt spiralförmig gedrehter Säulen. Salomon (965–926  v.  Chr.) war König von Israel und Juda. Er konnte das von seinem Vater, König David, geschaffene Großreich Israel zu wirtschaftlicher und kultureller Blüte bringen. Wichtigstes Ereignis seiner Regierung war der Bau des Jerusalemer Tempels.142 In der christlichen Kirche gilt Salomon wegen seiner Weisheit und Güte als alttestamentli136  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

141 Ebd., S. 110, 114–121. 142 Vgl. Naredi-Rainer 1994.

Abb. 83  Rom, Sankt Peter, Baldachin.

143 Vgl. Mai 1963, Abb. 120  ; Kat. Nr. 17, Abb. 149. 144 Poscharsky 1990, S. 199–207. 145 Pfarrer Friedrich Jehnes hat mir sein in Arbeit befindliches Manuskript »Das Konzept der Bilderdecke in der Ordenskirche zu Bayreuth als Ausdruck des evangelisch-lutherischen Glaubens« freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig überließ er mir sein vielfältiges Bildmaterial, soweit es meinen Bemühungen dienlich war, wofür ich mich herzlich bedanke. 146 Vgl. Koch 1998, S. 9–20.

ches Vorbild für Christus. An den Templum Salomonis erinnert vor allem Berninis 1633 geschaffener Bronze-Baldachin über dem Grab des Apostelfürsten in Sankt Peter, der von gedrehten und von Weinlaub verzierten Säulen getragen wird. In Mitteldeutschland haben zahlreiche Kirchen Altäre und Kanzeln mit gedrehten Säulen als Hinweis auf den Tempel Salomons. Die gedrehten Weinlaubsäulen in der Halberstädter Martinikirche wurden bereits erwähnt. Auffällig ist die mehrfache Verwendung gedrehter Säulen an Altar, Kanzel und Orgel in der Stiftskirche von Römhild im südlichen Thüringen (vgl. Abb. 105). In Sachsen-Weimar sind es die Dorfkirchen von Niederzimmern, Niederroßla, Moderwitz und Klettbach aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In dem kleinen Ort Hötensleben (Kreis Oschersleben) dienen zahlreiche dieser Säulen dem architektonischen Auf bau der Rückwand des Kanzelaltars.143 Um die Mitte des 18. Jahrhunderts tauchen auf thüringischen Altären immer öfter Bilder und Skulpturen der Reformatoren Luther und Melanchthon auf, beispielsweise 1777 über dem Altarabschluss der Kirche von Helmershausen in der Rhön. Größere Zyklen als eine Art bildgewordene Theologie sind in Thüringen und Sachsen vor allem an Decken wie in Mechterstädt eher selten, in evangelischen Kirchen der ehemaligen Markgrafenschaft Bayreuth dagegen häufig anzutreffen. Die aufwendigsten und interessantesten Beispiele bieten die Spitalkirche in Hof und die Georgenkirche in Bayreuth. In Hof wurden neunzig Ölgemälde zu einer großen, hölzernen Kassettendecke zusammengefügt. Eine der ungewöhnlichsten Ausstattungen findet sich im hessischen Idstein, wo 38  großformatige Gemälde flächendeckend an Decke und Wänden angebracht wurden. Selbst eine kleine Kirche wie Sankt  Vitus und Michael im oberfränkischen Heiligenstadt weist allein auf den Brüstungsfeldern der zweigeschossigen Emporen 64 biblische Darstellungen auf.144 Das Betrachten einer Vielzahl von Bildern an einer Decke ist äußerst anstrengend, kleinteilige Darstellungen sind oft gar nicht zu erkennen. Mit Recht weist Friedrich Jehnes, Pfarrer der Bayreuther Georgenkirche, darauf hin, dass die Darstellungen der biblischen Geschichte nicht als eine Art Predigt in Bildern aufzufassen sind, vielmehr sei es ihre Aufgabe, den Gläubigen das Heilsgeschehen »zur ständigen Erinnerung« geistig präsent zu halten.145 Mit den Bildern aus dem Alten und Neuen Testament ist die gesamte Heilsgeschichte im Kirchenraum vereinigt.146 Umfassende biblische Bildzyklen befürwortete Luther ausdrücklich. Im Anschluss an den Streit mit Karlstadt veröffentlichte er die Schrift »Wider die himmlischen Propheten«, in der es unter anderem heißt, es wäre gut, man male an die Wand, wie Gott die Welt schuf, wie Noah die Arche baute und was mehr guter Historien sind. Er wünscht sich sogar, dass man Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  137

die ganze Bibel inwendig und auswendig an den Häusern vor jedermanns Augen malen ließe, das wäre ein christlich Werk.147 Damit ist ausdrücklich gesagt, dass Altes und Neues Testament als Quelle für Bildthemen geeignet sind. Die alttestamentlichen Szenen sind in der Regel typologisch auf das Neue Testament bezogen. Beispielsweise wurde die Himmelfahrt des Propheten Elias mit der Himmelfahrt Christi verglichen. Idstein (Rheingau-Taunus-Kreis), Unionskirche

Eine in Deutschland einmalige Ausstattung eines protestantischen Kirchenraums entstand zwischen 1673 und 1678 in Idstein. Der Bau ist im 14. Jahrhundert als kleine Basilika errichtet worden. Ab 1668 wurde die baufällige Kirche durch Graf Johannes von Nassau-Idstein weitgehend erneuert, wobei man nur den Turm und Teile der Außenmauern beibehielt. Die Kirche war als Grablege des Grafenhauses vorgesehen. Das Langhaus lässt in seinen architektonischen Gestaltungsprinzipien noch immer das Vorbild der evangelischen Schlosskapelle von Torgau erkennen  – besonders vom Chor aus betrachtet. Das hohe, fast fensterlose Mittelschiff ist an drei Seiten von Arkaden und Emporen umschlossen, über der Westempore erhebt sich die Orgel. Der erst 1726 errichtete Chor mit hohem Retabelaltar wird durch den Stufenaufgang und die Gitterschranken vom Mittelschiff abgetrennt und ist für eine protestantische Kirche eher unzeitgemäß. Die prächtige Marmorkanzel steht in traditioneller Weise auf der Südseite am Übergang vom Chor zum Schiff. Während die architektonische Ausgestaltung durchaus konservative Elemente enthält, überrascht die malerische Ausstattung mit einem umfassenden protestantischen Bilderzyklus. Die Ausgestaltung der Hochschiffswände und der Decke ist mehr als ungewöhnlich. Wände und die leicht gebrochene Decke sind in sieben Reihen mit stark farbigen und sehr qualitätvollen Leinwandgemälden förmlich tapeziert. Insgesamt fertigte der in der Rubens-Nachfolge stehende Antwerpener Maler Michael Angelo Immenraedt (1621–1683) 38  gerahmte Bilder. Entwurf und Thematik stammen wahrscheinlich von dem Frankfurter Joachim von Sandrart (1606–1688), dem bedeutendsten deutschen Maler und Kunstschriftsteller seiner Zeit.148 Ähnlich wie in der Schlosskirche von Celle wird in Idstein die viel beschworene Schlichtheit protestantischer Kirchen im wahrsten Sinne des Wortes aufs Prächtigste widerlegt. Die Bilder des komplexen Programmes behandeln vorrangig neutestamentliche Themen wie das Leben und Wirken Jesu. Neben anderen Themen werden gezeigt  : der zwölfjährige Jesus im Tempel, die Speisung der Fünftausend, die Verkündigung und der Einzug Jesu in Jerusalem oder Christus erscheint Maria Magdalena. Auf einem der Deckenbilder werden Moses und Elias dargestellt, wodurch die Verbindung zum Alten Testament hergestellt ist. 138  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

147 Luther, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament, 1525, Luther, WA, Bd. 18, S. 37–214, hier S. 82, vgl. auch Koch 1998, S. 11. 148 Pons 2012.

Abb. 84  Idstein, Unionskirche, Ausstattung 1673–1678.

Abb. 85  Idstein, Unionskirche, Gemälde an der oberen Deckenschräge von Michael Angelo Immenraedt  : Christus erscheint Maria Magdalena, um 1675.

Nächste Seite: Abb. 86  Idstein, Unionskirche, Blick zum Chor.

In den Arkadenzwickeln sind Apostelköpfe zu sehen. Auf den Brüstungs­ feldern des Gestühls und der Emporen befinden sich Spruchbänder mit Bibelsprüchen, welche sich gezielt auf die Rangordnung der verschiedenen Stände beziehen, die hier jeweils ihren Platz hatten. So gibt es den erhöhten Herrschaftsstand, Plätze für Ratsherren und Sekretäre auf den Emporen oder unter der Orgel jene für Gerichtspersonen. Bei den Bürgerstühlen heißt es nach Römer  13,1  : »Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.« Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  139

140  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

Abb. 87  Idstein, Unionskirche, Decken­ gemälde.

Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  141

Der südliche Teil der Kirche ist dem einfachen Volk vorbehalten. Taufstein und Altar bestehen aus heimischem Marmor, ebenso die Kanzel. Der Altarauf bau umrahmt mit seinen gedrehten Säulen die Abendmahlsdarstellung eines unbekannten Künstlers. Nach dem Ende des Alten Reichs in napoleonischer Zeit und im Zuge der damit verbundenen Neuordnung Europas verstärkten sich unter den Protestanten Bestrebungen, zu einer Einheit zu gelangen. Im Reformationsgedenkjahr 1817 vereinigten sich im Herzogtum Nassau Lutheraner und Reformierte zum ersten Male zu einer »unierten« evangelischen Landeskirche. 1917 wurde die ehemalige Kollegiatskirche Sankt Martin in Erinnerung an die Zusammenführung von Reformierten und Lutheranern in Unionskirche umbenannt. Hof (Saale), Hospitalkirche

Die spätmittelalterliche, 1587 veränderte Hospitalkirche erhielt 1688 zweigeschossige Emporen und eine aus neunzig Holztafeln zusammengesetzte Kassettendecke. Maler war ein heimischer Künstler namens Heinrich Andreas Lohe (1648–1713). Von ihm stammen auch die Malereien an den Brüstungsfeldern der oberen Empore, während die Bilder 142  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

Abb. 88  Hof, Hospitalkirche.

Abb. 89  Hof, Hospitalkirche, David spielt die Harfe, Konsolfigur an der Orgelempore, dahinter der Text des 150. Psalms. Abb. 90  Matthäus Merian, Hochzeit zu Kana aus der Luther-Bibel von 1630 (Abb. 62). Abb. 91  Hof, Hospitalkirche, Decken­ gemälde, Die Hochzeit zu Kana (nach Merian, Abb. 62).

149 Die Bibel. Die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers mit den Kupferstichen von Matthaeus Merian, Straßburg 1630. Die Merian-Bibel erschien in zahlreichen Nachdrucken und Faksimiles, hier zitiert nach der Lizenzausgabe Köln 1996. Merian-Bibel 1630. Die Merian-Bibel erschien in zahlreichen Nachdrucken und Faksimiles.

der unteren Empore Anfang des 20.  Jahrhunderts entfernt und durch zeitgenössische Neufassungen ersetzt wurden. Die Gemälde der oberen Empore behandeln die Passionsgeschichte. Die Deckenfelder enthalten 45 Szenen aus dem Alten und ebenso viele aus dem Neuen Testament. An der Orgelempore finden sich musizierende Engel und die Skulptur des Harfe spielenden Königs David. Als Vorlage und Anregung für die meisten Gemälde diente die von Matthäus Merian  (d. Ä.) mit Kupferstichen versehene Luther-Bibel in der Ausgabe von 1630.149 Merians Bibelillustrationen waren sehr beliebt und wurden für viele Kirchenausmalungen genutzt.

Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  143

Bayreuth, ehem. Ordenskirche Sankt Georgen

Die evangelische Sophienkirche zur Heiligen Dreifaltigkeit wurde 1705–1711 nach einem Entwurf von Gottfried von Gedeler als Kirche des »Ordre de la sincérité« (Orden der Aufrichtigkeit, Roter Adlerorden) über dem Grundriss eines griechischen Kreuzes errichtet. Der querrechteckige Gemeindesaal mit dreiseitig umlaufenden Doppelemporen wird von einer Fülle von Gemälden bestimmt, sodass die Außenmauern optisch hinter der prächtigen Bilderwelt zurücktreten. Der stattliche Portikuskanzelaltar und die darüber angeordnete Orgel sind sehr geschickt mit den Emporenbrüstungen in Einklang gebracht. Es ist der erste Kanzelaltar des Bayreuther Hofkünstlers Elias Räntz (1649–1732) und wurde zum Prototyp für die sogenannten Markgrafenkirchen im Bayreuther Raum. 144  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

Abb. 92  Bayreuth, Sophienkirche zur Heili­ gen Dreifaltigkeit, Ausstattung 1713.

Abb. 93  Bayreuth, Sophienkirche, Decken­ ausmalung, 1712/13.

Die Ausmalung übernahmen der Hofmaler Gabriel Schreyer und Johann Jakob Wild. Die Deckengemälde zeigen Szenen aus dem Leben Jesu mit der Taufe als Hauptbild von Johann Jakob Wild. In den Kartuschen befinden sich alttestamentliche Darstellungen. Ein Zyklus von zwölf großen Passionsbildern verläuft unter den unteren Emporen rings um den Kirchenraum. Im Gegensatz zur schwer erfassbaren Bilderfülle in Hof folgen die Gemälde in Bayreuth einem wohldurchdachten theologischen Programm. Die beiden zentralen Deckenbilder repräsentieren mit der Taufe Jesu durch Johannes und dem Abendmahl im Tonnengewölbe »die beiden Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  145

Abb. 94  Bayreuth, Sophienkirche, Auferstehung Jesu. Abb. 95  Bayreuth, Sophienkirche, Taufe Christi (nach Merian). Abb. 96  Bayreuth, Sophienkirche, Jona und der Wal.

Abb. 97  Bayreuth, Sophienkirche, Abendmahl, nach einem Emporenbild in Sankt Anna in Augsburg.

biblisch verankerten Sakramente nach evangelischem Verständnis«. (Pfr. F. Jehnes, Bayreuth) Rings um das große Mittelbild ist die Passionsgeschichte vom Aufenthalt im Garten Gethsemane bis zu Kreuzigung und Auferstehung dargestellt. In den umgebenden Kartuschenfeldern folgen Themen aus dem Alten Testament, die zumeist in engem Bezug zum Evangelium des Neuen Testaments stehen. So wird beispielsweise die Opferung Isaacs durch Abraham und seine Errettung mit Christi Tod und Auferstehung verglichen, ähnlich wird die Errettung Jonas aus dem Bauch des Wals gesehen (Matthäus 12,40).

146  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

Abb. 98  Mechterstädt, Pfarrkirche Sankt Marien, Ausstattung 1744, Blick auf Kanzel und Altar.

Mechterstädt (Landkreis Gotha), Pfarrkirche Sankt Marien

Die Mechterstädter Kirche wurde 1716/17 von Johann Erhard Straßburger (um 1675–1754) errichtet, die Innenraumgestaltung erfolgte 1744. Der helle, in zarten Farbtönen gehaltene Kirchenraum gehört zu den schönsten kirchlichen Barockausstattungen im Landkreis Gotha. Das hölzerne Spiegelgewölbe und die Emporen sind aufwendig mit Malereien ausgestattet. Die Decke ist in vier Felder unterteilt, gezeigt werden Geburt, Auferstehung (vgl. Abb. 99), Himmelfahrt und Pfingstwunder. In den Wölbungen der Decke befinden sich Kartuschen mit Bibelversen und Brustbildern der vier Evangelisten sowie einiger Apostel. Die Brüstungsfelder der Emporen enthalten figürliche Szenen und Texte aus dem Alten und Neuen Testament. Sankt Marien dokumentiert auf eindrucksvolle Weise die Wirkungsgeschichte der Reformation und ihren Umgang mit Zeugnissen der alten Kirche. Erhalten haben sich eine Marienstatue und ein lebensgroßes Kruzifixus über Kanzel und Altar. Die Kanzel ist hinter dem schlichten, Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  147

Abb. 99  Mechterstädt, Pfarrkirche Sankt Marien, Auferstehung Christi, ­Deckengemälde von Georg Conrad Dörff­ ling, 1744.

freistehenden Altartisch angebracht und in die Empore integriert. Es handelt sich also in strengem Sinne nicht um einen Kanzelaltar. Vielmehr folgte man hier den Vorstellungen Luthers, der 1526 in seiner Vorrede zur »Deutschen Messe« anregte, der Pfarrer solle hinter dem Altar stehen, um sich der Gemeinde zuwenden zu können.

148  |  Bildwerke in lutherischen Kirchen

Tabernakel-Hochaltar und Retabel-­ Kanzelaltar in Thüringen und Franken

150 151 152 153 154 155

L’Arronge 1921, S. 32, 81–83, 147. Poscharsky 1963, S. 229–232. Meißner 1987, S. 25. Ebd., S. 38, 42 f. Ebd., S. 26. Michel 1999. – Bothe 2000, S. 1–25.

In der einschlägigen Literatur wird seit langem darüber gestritten, ob der protestantische Kanzelaltar vom katholischen Tabernakelaltar abstammt – diese Auffassung vertritt Gerhart L’Arronge in seiner Dissertation von 1921.150 Dem widersprach Peter Poscharsky 1963 vehement.151 Helmuth Meißner wiederum nimmt 1987 eine eher vermittelnde Position ein. Er ist der Meinung, der Tabernakel-Hochaltar müsse nicht zwingend der Auslöser für die Entwicklung des Retabel-Kanzelaltars gewesen sein, und fährt fort  : »In beiden Fällen geschah eine Kombination von getrennten und an sich inhomogenen Einrichtungsstücken der Kirchen an gleicher Stelle. […] Die Mittelstellung der Kanzel konnte bei den Protestanten als analoges Gegenstück zum Tabernakel empfunden werden. […] Die offensichtliche Ähnlichkeit zwischen der Kanzel und dem Tabernakel im Retabel des Altars mag selbst im ländlichen Bereich protestantische Bildhauer und Schreiner, die sich gerne einer Modeströmung anschlossen, […] zum Kanzeleinbau ermutigt haben.«152 Sieht man einmal von der Kanzel ab, so ähneln sich der barocke evangelische Altar und der katholische Hochaltar in mehrfacher Hinsicht  : das hohe Retabel, das sich über einem geschwungenen Grundriss erhebt, im Zentrum ein Bild, von Figuren und Säulen flankiert und in einem aufwendig gestalteten Gebälk nach oben abschließt. Gelegentlich wurde auch ein ursprünglich katholischer Altar zu einem Kanzelaltar umgebaut.153 Im 18.  Jahrhundert hat man in katholischen Kirchen das Altarbild häufig durch eine Skulptur ersetzt. In der Forschung wurde es sogar für möglich gehalten, dass in der lebensgroßen Figur ein bewusster Gegensatz zur evangelischen Predigergestalt gesehen wurde, die im »Gesamt­ erscheinungsbild dem Eindruck eines von einer Person besetzten Katheders sehr nahe kam«154. Dass es Kontakte und Beeinflussungen zwischen Künstlern, Handwerkern und Bauherrn unabhängig von der Konfession gab, dokumentiert beispielsweise die Tätigkeit des katholischen Baumeisters Giovanni Bonalino, der im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts in Bamberg tätig war und in der dortigen Umgebung mehrere katholische Kirchen erbaute. Gleichzeitig war er ab 1620 für den Wiederauf bau des Weimarer Schlosses verantwortlich und entwarf die dortige Schlosskirche155 (vgl. S. 101–102). Poscharsky bildet in seiner Publikation »Die Kirchen der Fränkischen Schweiz« zwei Retabelaltäre ab, die einander sehr ähneln  : zum einen den um 1700 entstandenen Hochaltar in der katholischen Kirche Sankt Bartholomäus in Freienfels, zum anderen den 1745 errichteten Altar in der evangelischen Kirche der Burg Aufseß. Beide Bauten liegen Tabernakel-Hochaltar und Retabel-­K anzelaltar in Thüringen und Franken  |  149

Abb. 100  Hochaltar der katholischen Kirche in Freienfels.

nur zehn Kilometer auseinander. Beim Hochaltar von Freienfels kann man sich vorstellen, dass das Tabernakel über dem Altar zur Kanzel werden könnte. Poscharsky hat seine ablehnende Haltung gegenüber der These von L’Arronge fast dreißig Jahre später revidiert  : »Der katholische Tabernakelaltar entspricht formal dem evangelisch-lutherischen Kanzelaltar. Bei beiden ist ein plastischer, nahezu quadratischer Körper in den flächigen Hauptaltar eingefügt worden.«156 Inhaltlich zeigt die Kombination der jeweiligen Teile die fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden Konfessionen  : Im katholischen Altar ist Christus in der Hostie anwesend, in der evangelischen Kirche wird Christus durch das Wort inmitten der Gemeinde gegenwärtig. Die leere Kanzel macht deutlich, dass dort das Wort Gottes durch den Pfarrer verkündet wird. In Freienfels gab es mehrfach Konfessionswechsel. Nach der Reformation wurde die Herrschaft evangelisch, 1681 gelangte die Burg in den 150  |  Tabernakel-Hochaltar und Retabel-­K anzelaltar in Thüringen und Franken

156 Poscharsky 1990, S. 64.

Abb. 101  Burg Aufseß, ev. Schlosskirche, 1744.

Besitz der katholischen Linie der Herren von Aufseß. Derartige Glaubenswechsel waren in den Jahren vor und nach dem großen Krieg keine Seltenheit, vor allem in Franken, einem Territorium zwischen dem protestantischen Thüringen und dem katholischen Bayern, sodass gegenseitige Beeinflussungen kaum ausbleiben konnten, zumal es in Franken evangelische und katholische Gebiete gab. Auch der Ort Aufseß blieb von mehrfachem Konfessionswechsel mit unangenehmen Folgen nicht verschont. Caspar von Aufseß lernte Martin Luther bereits 1521 auf dem Reichstag von Worms kennen. Ab 1530 wurde im Ort evangelisch getauft. 1762 traten jedoch mehrere Söhne des Hauses zum katholischen Glauben über, und es fand eine Rekatholisierung statt. Der evangelisch gebliebene Christoph Ludwig von Aufseß bemühte sich ab 1734, die zerfallene Schlosskirche zu erneuern, was der katholische Herr von Unteraufseß durch kaiserlichen Beschluss zu verhindern suchte. Ein dadurch ausgelöster Prozess in Wien wurde erst 1740 durch die kaiserliche Erlaubnis zum Bau einer evangelisch-lutherischen Pfarrkirche beendet. 1742 wurde die neue Kirche eingeweiht, 1744 wurden Tabernakel-Hochaltar und Retabel-­K anzelaltar in Thüringen und Franken  |  151

Abb. 102  Burg Aufseß, ev. Schlosskirche, Engelskopf mit lutherischem Beffchen. Abb. 103  Suhl, ev. Kreuzkirche, 1731–1739.

Altar, Kanzel und Orgel fertiggestellt. Die Nähe des Retabelaltars zu katholischen Hochaltären ist nicht zu übersehen, während ein Engelskopf mit lutherischem Beffchen einen ebenso originellen wie seltenen Hinweis auf eine evangelische Kirche darstellt. Ein anderes interessantes Beispiel ist Bad Königshofen in Unterfranken. Dort baute der Maurermeister Johann Michael Schmidt  – tätig zwischen 1731 und 1784 – sowohl katholische als auch evangelische Kirchen. Schmidt errichtete zusammen mit seinem Bruder Johann Georg in Suhl die evangelische Kreuzkirche157. In Alsleben (Markt Trappstadt, Unterfranken) errichtete Johann Georg Schmidt nach Entwürfen des Ingenieur-Offiziers Johann Müller die katholische Kirche Sankt  Kilian. Auch deren qualitätvoller Hochaltar 152  |  Tabernakel-Hochaltar und Retabel-­K anzelaltar in Thüringen und Franken

157 Heckmann 1999, S. 38–41.

Abb. 104  Alsleben, Sankt Kilian, Hochaltar, 1749.

158 Trenschel 1991. – Faber 2012, S. 180–189. Ich danke dem Pfarr­ administrator der Pfarreiengemeinschaft im östlichen Grabfeld, Pater Florian Lehnert, sehr herzlich für die zur Verfügung gestellten Fotos und die Hinweise auf die neuere Literatur.

von Johann Joseph Kessler lässt die Verwandtschaft zwischen Kanzelaltar und Retabelaltar erkennen.158 Der von Säulen flankierte Portikusaltar enthält über dem Altartisch ein Sakramentshäuschen, das auch eine Kanzel sein könnte, und die Skulptur des Gekreuzigten könnte durch ein gemaltes Retabel ersetzt werden, wie bereits der Vergleich des Retabelaltars in der evangelischen Schlosskapelle von Aufseß mit dem Hochaltar im katholischen Freienfels verdeutlicht hat. Neuere Forschungen haben ergeben, dass es sich ursprünglich um einen Retabelaltar zu Ehren des Heiligen  Kilian handelte. Das Gemälde des Heiligen wurde 1746 zwischen den Säulen platziert. Erst Streitigkeiten mit einem neuen Pfarrer, Skulpturen und Gemäldezyklen in evangelischen Kirchen  |  153

der mit Kesslers Arbeit unzufrieden war, führten zum Austausch des Bildes mit einem Kruzifix und weiteren, nachteiligen Veränderungen wie den Durchgängen zur Sakristei und der Anbringung von mehreren belanglosen Putten. Das Altarbild ist verschollen. Gekuppelte Säulen mit flankierenden Skulpturen finden sich in zahlreichen evangelischen Kanzelaltären – statt Heiligen sind Gestalten aus der Bibel dargestellt, zum Beispiel Moses mit den Gesetzestafeln oder Johannes der Täufer wie in Wohlmuthausen oder die Personifikationen von Glaube und Liebe wie in der Suhler Kreuzkirche (vgl. Abb. 103). Der Kanzelaltar selbst war so erfolgreich, dass er, wenn auch selten, den Weg in katholische Kirchen gefunden hat, so beispielsweise in die Kirche Sankt Pankratius von Groß Förste (Gemeinde Giesen) zwischen Hildesheim und Hannover. Dort war um 1540 die Reformation eingeführt worden, der Ort fiel jedoch in Folge des Westfälischen Friedens zurück an das Bistum Hildesheim. Bereits 1643 hatte der evangelische Prädikant wegen des Konfessionsstreits die Gemeinde verlassen ­müssen.159

159 Wikipedia  : Stichwort »Groß Förste«.

154  |  Tabernakel-Hochaltar und Retabel-­K anzelaltar in Thüringen und Franken

Evangelische Kirchen in Südthüringen

Zwischen Meiningen und Neustadt a. d. Saale, Hildburghausen und Coburg verläuft heute die Grenze zwischen den Freistaaten Thüringen und Bayern. In den Zeiten deutscher Kleinstaaterei lagen beiderseits dieses auf weite Strecken alten Grenzverlaufs die ernestinischen Herzogtümer Thüringens sowie die geistlichen und weltlichen Herrschaften Frankens. Auf dem Gebiet des heutigen Thüringens gibt es einige katholische Enklaven, zum Beispiel frühere Besitzungen des Bistums Fulda im Werragebiet und solche in der Rhön, im Fränkischen hingegen evangelische Gemeinden und Herrschaften wie solche des vormaligen fränkischen Ritterkreises Werra-Rhön. Römhild (Landkreis Hildburghausen), Sankt Marien und Gottesackerkirche

Römhild ist kunsthistorisch vor allem durch das Bronzegrabmal der Grafen von Henneberg aus der Nürnberger Werkstatt von Peter Vischer aus der Zeit um 1500 bekannt. Weniger bekannt sind die ehemalige Stiftskirche Sankt Marien mit ihrem qualitätvollen Retabelaltar und der Orgel sowie die benachbarte Gottesackerkirche. Von 1680 bis 1710 war Römhild nach mehrfachem Besitzerwechsel Residenz des kleinen Herzogtums Sachsen-Römhild. In dieser Zeit erlebte die Landstadt nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen kulturellen Aufschwung. Die nunmehr evangelische Kirche wurde in eine protestantische Predigtkirche umgestaltet  : Im spätgotischen Chorraum wurden ein Retabelaltar (1686) und seitlich eine Kanzel aufgestellt, beides Werke des Bildhauers Johann Adam Lux aus einer katholischen Bildhauerfamilie in Neustadt a. d. Saale und des Malers Johann Gedeler aus Bayreuth. Das Hauptfeld des Altars enthält eine vollplastische Darstellung der Taufe Jesu und wird von zwei gedrehten Weinlaubsäulen flankiert. In der Mitte des Gebälks verweist das Wappen des Stifters auf das junge ernestinische Herrscherhaus. Über dem aufgebrochenen Giebel befindet sich eine plastische Darstellung des Abendmahls. An den Außenseiten des dreigeschossigen Altars stehen Statuen der Evangelisten mit ihren Symbolen, den Abschluss bildet der Auferstandene mit der Siegesfahne, umgeben von jubelnden Engeln. Auch die gegenüber dem Altar auf einer Empore aufgestellte Orgel mit aufwendig gestaltetem Prospekt ist von hoher Qualität. Die Anbringung einer großen Zahl von gedrehten Weinlaubsäulen an Kanzel und Orgel verweist in Verbindung mit den Wappentafeln des Herzogtums Römhild (Landkreis Hildburghausen), Sankt Marien und Gottesackerkirche  |  155

Abb. 105  Römhild, Retabelaltar, 1686, Foto Peter Brachmann, Römhild, Aufnahme 2016.

auf den Tempel Salomons und damit auf Herzog Heinrich (1650–1710) als weisen und gütigen Herrscher. Altar und Kanzel bilden zusammen mit dem Orgelprospekt ein gutes Beispiel Thüringer Barockplastik. Die benachbarte Friedhofskirche wurde von dem Weimarer Baumeis­ ter Christian II. Richter zwischen 1708 und 1712 errichtet. Der Innenraum der zweigeschossigen Emporenkirche wird erstaunlicherweise von rundbogigen Arkaden über schlichten Pfeilern geprägt. Der zweigeschossige Kanzelaltar zeigt im oberen Feld ein Gemälde mit einer Kreuzigungsdarstellung. Zu Füßen des Gekreuzigten knien Herzog Heinrich im fürstlichen Ornat und seine Gemahlin Elisabeth. Die in zarten 156  |  Evangelische Kirchen in Südthüringen

Abb. 106  Römhild, Friedhofskirche, 1712. Foto Peter Brachmann, Römhild, Aufnahme 2016.

Grautönen gehaltenen Farbfassungen der Einbauten und des Gestühls spiegeln in Verbindung mit den schlichten Arkaden Einflüsse der florentinischen Renaissance. Waltershausen (Landkreis Gotha), Gotteshilfkirche

Die höchst qualitätvolle Ausformung eines Retabel-Kanzelaltars zeigt die Gotteshilfkirche im thüringischen Waltershausen. Der relativ schlichte Altar mit Altartisch, Retabel und Kanzel sowie die darüber befindliche reich ausgeschmückte Orgel steigern den vom Zentrum bestimmten Eindruck. Geschickt sind Kanzel und Orgel in den Verlauf der Emporenbrüstungen eingegliedert (vgl. auch S. 120). Eine ganze Gruppe von evangelischen Kirchen entstand um die Mitte des 18.  Jahrhunderts westlich von Meiningen  : Helmers­hausen, Wohlmuthausen und Bettenhausen. In Dekoration, Malerei und Skulpturenschmuck haben sie zweifelsohne bäuerlichen Charakter, in ihrer Gesamterscheinung beeindrucken sie aber durch die bauzeitlichen Ausstattungen. Auch ihre Größe ist teilweise erstaunlich, nicht von ungefähr Waltershausen (Landkreis Gotha), Gotteshilf kirche  |  157

Abb. 107  Waltershausen, Gotteshilfkirche, 1723.

nennt man die Dorfkirche von Helmershausen den »Dom der Rhön«. Dabei hatte das Dorf im 18. Jahrhundert gerade einmal 800 Einwohner, darunter allerdings vier wohlhabende Adelsfamilien. Helmershausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche

Der zwischen 1736 und 1753 errichtete Neubau verdankt seine Größe und Weiträumigkeit sowie seine opulente Ausstattung diesen Adelsfamilien. Das farbenprächtig ausgemalte Kirchenschiff enthält dreigeschossige Emporen und wird von einer hölzernen Tonne abgeschlossen. Beeindruckend ist die Belichtung der oberen Emporen durch Dachgauben, weshalb die Emporen zum Kirchenschiff hin durch weite Arka158  |  Evangelische Kirchen in Südthüringen

Abb. 108  Helmershausen, Pfarrkirche, erbaut 1736–1753.

Abb. 109  Helmershausen, Pfarrkirche, Blick durch das Schiff auf die Orgelempore.

den abgeschlossen werden, die ihrerseits in die Tonne einschneiden. Die Wölbung der Decke enthält drei Gemälde mit christologischen Szenen  : Auferstehung, Trinität und Himmelfahrt. Der Kanzelaltar mit Säulenretabel wird wie in der Gegend üblich von Moses und Johannes dem Täufer flankiert. An der Kanzelbrüstung befinden sich Reliefs mit den vier Evangelisten, und auf dem aufgebrochenen Giebel stehen die Figuren von Christus, Luther und Melanchthon. Eine verhältnismäßig große Orgel ist im Westen auf der oberen Empore angebracht. Dass die Kirche mit 1777 gelegentlich zu spät datiert wird, erklärt sich durch die Datierung des Turmbaus, der nach verschiedenen Umbauten erst in jenem Jahr fertiggestellt wurde.160 Wohlmuthausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche

160 Dehio nennt für den Abschluss der Arbeiten im Innern das Jahr 1752, der Kirchenführer Meiningen das Jahr 1777. Vgl. Dehio Thüringen 1998, S. 596  ; Kirchenführer Meiningen 2010, S. 30–34.

Hinsichtlich der Ausstattung ist auch die Kirche von Wohlmuthausen hervorzuheben. 1729 brannte der gesamte Ort ab, von der Kirche blieben nur die Außenmauern stehen. Der Wiederauf bau als Chorturmkirche mit breitem Schiff und eingezogenem Chor sowie die Erneuerung des Innenraums erfolgte bereits ab 1730. Das Schiff wird von einer KasWohlmuthausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche  |  159

Abb. 110  Helmershausen, Pfarrkirche, Kanzelaltar.

Abb. 111  Wohlmuthausen, ev. Pfarrkirche, um 1750.

160  |  Evangelische Kirchen in Südthüringen

settendecke abgeschlossen, die dreiseitig umlaufenden Doppelemporen zeigen auf den Brüstungsfeldern Darstellungen aus dem Neuen Testament und verschiedene Bibelsprüche. Der um 1760 entstandene dreiachsige Portikus-Kanzelaltar mit darüber liegender Orgelempore betont die für das Luthertum so wichtige Gleichstellung von Wort und Sakrament. Zu beiden Seiten der Kanzel stehen auf gleichem Niveau die Figuren von Moses und Johannes dem Täufer, die den Prediger gleichsam in ihre Mitte nehmen. Direkt über dem Kanzelkorb befindet sich ein schlicht gemaltes Christusbild, dessen Stelle während der Predigt vom Pfarrer eingenommen wird.

Nächste Seite: Abb. 112  Bettenhausen, Pfarrkirche, 1775.

Bettenhausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche »Zum Heiligen Kreuz«

Die Bettenhauser Kirche ist eine Chorturmkirche mit rechteckigem Schiff, laut Bauinschrift von 1617. Der Innenraum enthält zwei dreigeschossige Emporen, die von hölzernen Säulen getragen werden. Das so entstandene Mittelschiff wird wie in Helmershausen von einer hölzernen Tonne überwölbt. Die barocke Innengestaltung erfolgte um 1765. Im blau gestrichenen Gewölbe sind biblische Szenen dargestellt. Der prächtige Kanzelaltar entstand 1775. Er wird von jeweils zwei Säulen eingerahmt, über dem aufgebrochenen Giebel erhebt sich die Orgel. Das Skulpturenprogramm zeigt Moses und Johannes den Täufer, an der fünfseitigen Kanzel die vier Evangelisten mit Christus in der Mitte. »Die farbige Raumfassung und die Bemalung der Ausstattung stammen unverändert aus der Zeit um 1765/1775. Außerordentlich seltenes Beispiel eines seit dieser Zeit weitgehend unberührten, höchst eindrucksvollen Kirchenraums.«161

161 Dehio Thüringen 1998, S. 128.

Bettenhausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Pfarrkirche »Zum Heiligen Kreuz«   |  161

162  |  Evangelische Kirchen in Südthüringen

Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

162 Der Kasseler Fotograf Gerhard Jost hat ein sehr schönes Buch über barocke Ausmalungen herausgegeben  : Jost 2010. Ihm verdanke ich nicht nur eine Reihe von ausgezeichneten Abbildungen, sondern auch interessante Hinweise.

Die an Thüringen angrenzenden Gebiete von Hessen sind auch im Kontext dieses Buches von Interesse, da beide Staaten einmal zusammengehörten. Ab 1130 herrschten hier die Landgrafen von Thüringen, die in langjährigen Auseinandersetzungen die territorialen Ansprüche des Erzbistums Mainz auf Hessen abzuwehren hatten. Die berühmteste Thüringerin, die Heilige Elisabeth, hatte ihren Witwensitz in Marburg. Ab 1247 führte der hessisch-thüringische Erbfolgekrieg zur Abtrennung Thüringens von Hessen. Nicht von ungefähr haben beide Länder fast das gleiche Wappen. 1360 kam ein Teil der Herrschaft Schmalkalden an Hessen. Der Kreis Schmalkalden gehörte bis 1944 zum Regierungsbezirk Kassel. Der hessische Landgraf Philipp der Großmütige (1504– 1567) führte 1526 die Reformation ein, zu der er sich schon seit 1524 bekannte. 1527 eröffnete er in Marburg die erste hessische Universität. Philipps vielleicht bedeutendste Tat war die Umwandlung der aufgehobenen Klöster in Landeshospitäler für Arme, Sieche, Blinde und Irre, die zum Teil noch heute bestehen. Sein Sohn Wilhelm IV. (1532–1592) ließ 1585 die Schlosskirche von Rotenburg a. d. Fulda und 1590 die Schloss­ kapelle von Schmalkalden errichten. Es ist also sinnvoll, einige protestantische Kirchen aus der Region Hersfeld-Rotenburg zu behandeln, die alle nur wenige Kilometer von der Grenze zu Thüringen entfernt sind. Die meisten osthessischen Kirchen mit umlaufenden Emporen stehen in der Nachfolge Schmalkaldens. Frühestes Beispiel ist neben der Schmal­ kaldener Schlosskapelle von 1590 die dortige Stadtkirche Sankt  Georg. Die stark farbigen Darstellungen aus dem Leben Jesu entstanden schon im frühen 16. Jahrhundert, wurden aber 1608 ausgerechnet unter dem Nachfolger Wilhelms  IV., dem reformierten Landgrafen Moritz, übermalt, der auch die Brüstungsmalereien in der Schlosskapelle entfernen ließ. Diese hatten das Thema »Antithesis Christi et Papae«, was an Luthers und Cranachs Bildserien »Christ und Antichrist« erinnert (vgl. S. 51). Einige der Baumeister und auch Maler, die in Osthessen tätig ­waren, stammten direkt aus Schmalkalden. Landbaumeister Adam Johann Erdinger oder Sebastian Bamberger in Mansbach kamen ebenso aus Schmal­k alden wie der Maler Johann Fabarius in Nentershausen.162 Während die Schlosskirchen von Torgau, Rotenburg und Schmalkalden noch ganz traditionell von Kreuzgratgewölben überdeckt sind, zeigen die osthessischen Kirchen überwiegend Tonnengewölbe aus Holz. Es scheint, dass solche im waldreichen Hessen schon sehr früh in Profanbauten errichtet wurden. So ließ der reformierte Landgraf MoEvangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen  |  163

Abb. 113  Altmorschen, ehem. Kloster, Speisesaal, 1619, (Arbeitsfoto des Restau­ rators).

Abb. 114  Altmorschen, ehem. Kloster, Detail der Decke, (Arbeitsfoto des Restau­ rators).

ritz 1616–1619 das ehemalige Kloster in Altmorschen in der Nähe von Rotenburg in ein Schloss umbauen, dessen Speisesaal mit einer Brettertonne abgeschlossen wurde, die ihrerseits einen gemalten Wolkenhimmel aufweist, der die um 1700 entstehenden Deckengemälde der Dorfkirchen vorwegnahm.163 Aber auch im westlichen Thüringen gibt es schon im 17. Jahrhundert Tonnengewölbe, so 1667 in der evangelischen Pfarrkirche Sankt  Hubertus in Marksuhl (Wartburgkreis). Eine halbkreisförmige hölzerne 164  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

163 Vgl. Kloster 2002. Dieter Großmann ist der Meinung, die Decke sei erst sehr viel später ausgemalt worden, da der reformierte Landgraf Moritz ja schließlich selbst in seinem Herrschaftsbereich Bilder zerstört habe. Die Decke in Haydau enthält jedoch keine religiösen Themen, nur eine Reihe von Putten, die massenhaft weltliche, darunter auch amouröse Darstellungen bevölkern. Vgl. Dieter Großmann, Dorf kirchen des hessisch-thüringischen Grenzgebietes um und nach 1700, in  : Poscharsky 1998, S. 137–154, hier S. 139.

Abb. 115  Nentershausen, 1613/1698.

Tonne überwölbt das Mittelschiff, während die zweigeschossigen Emporen von Flachdecken abgeschlossen werden. Die tragenden Säulen mit ihren wulstigen Kapitellen sind ebenfalls aus Holz. Fast alle Flächen sind ausgemalt. Die Kirche mit ihrer hölzernen Ausstattung, dem Tonnengewölbe, den zweigeschossigen Emporen mit ihren schweren Säulen und der ursprünglichen Ausmalung erscheint als Prototyp für alle Dorfkirchen zwischen Rotenburg und Mansbach. Nentershausen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche

Die wohl außergewöhnlichste Kirche im osthessischen Raum steht in Nentershausen nahe der Grenze zu Thüringen. Die Kirche ist ein rechteckiger Bau von 1613 mit einem runden Wehrturm des 15. Jahrhunderts an der Südseite, der so eingebaut ist, dass er noch in das Kircheninnere hineinragt. Der Innenraum wurde 1696–1698 umgebaut. Im Gegensatz zu den meisten osthessischen Kirchen erhielt er statt einer Mitteltonne eine korbbogige Holztonne, die den gesamten Raum überspannt. Sie ähnelt damit sehr der Brettertonne im nicht weit entfernten Altmorschen. Eine Besonderheit sind auch die in die Tonne einschneidenden Dachfenster, wodurch die Emporen belichtet werden. Die Decke wurde 1706 mit einem bewölkten Himmelszelt bemalt. Engel tragen Kartuschen, die Darstellungen der Dreieinigkeit enthalten, auf der Ostseite der Name Gottes in hebräischen Buchstaben, in der Mitte die Opferung Isaaks als Symbol für Christus als Lamm Gottes und im Westen Johannes, der das himmlische Jerusalem erblickt. Maler war Simon Steffen. Die Brüstungsfelder der Emporen sind an allen drei Seiten mit Texten und Illustrationen aus der Bibel versehen. Für die Brüstungsfelder zeichNentershausen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  165

Abb. 116  Nentershausen, Ausmalung 1706.

nete Johann Fabarius aus Schmalkalden verantwortlich. Die Kanzel, errichtet 1697, steht an der Turmwand, davor ein schlichter Altar – es handelt sich also um eine der in Hessen öfter vorkommenden Querkirchen. Auch in Nentershausen hatte der Vorgängerbau 1606 unter der Zerstörungswut des Landgrafen Moritz zu leiden, ebenso viele Dorfkirchen im reformierten Kreis Rotenburg. So war das mittelalterliche Kruzifix in mehrere Teile zerbrochen worden. Die lutherische Grafschaft Hessen-Darmstadt und die reformierte Landgrafschaft Hessen-Kassel waren im sogenannten Erbfolgekrieg dermaßen verfeindet, dass während des Dreißigjährigen Krieges Darmstadt an der Seite der kaiserlich-katholischen Truppen gegen Hessen-Kassel kämpfte. Zeitweise war auch Schmalkalden an Hessen-Darmstadt gefallen. Erst nach dem Einigkeitsvertrag von 1648 beruhigte sich die Lage. 1661 versuchte der reformierte Landgraf Wilhelm VI. (reg. 1650–1663), eine Annäherung zwischen Lutheranern und Reformierten zu erreichen, die aber nur teilweise gelang. Während die politischen Zentren der Grafschaft, Kassel und Marburg, streng reformiert waren, gab es nahe der hessisch-thüringischen Grenze auch lutherische Gemeinden. So war beispielsweise der kleine Ort Süß ganz in der Nähe des reformierten Nentershausen stets lutherisch. Die im Folgenden behandelten reformierten Kirchen zwischen Nentershausen im Norden und Ausbach im Süden, die alle in der ersten Hälfte des 18.  Jahrhunderts entstanden, sind prächtig ausgemalt, was dem reformierten Bilderverbot eigentlich widerspricht. Sie zeigen aber verschiedene Merkmale, die doch auf reformierte Gotteshäuser deuten. So fällt auf, dass es keine Bilder von Gottvater oder Jesus Christus gibt, während beispielsweise der Auferstandene in lutherischen Kir166  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

Abb. 117  Nentershausen, Opferung Isaacs.

Abb. 118  Blick auf die Ostempore mit ­wiederhergestelltem Kruzifix.

Abb. 119  Nentershausen, Illustration und Textstelle aus Psalm 23.

chen ein zentrales Thema war. Alle Dorfkirchen im heutigen Landkreis Hersfeld-­Rotenburg zeigen in bemerkenswerter Übereinstimmung an den tonnenförmigen Himmelsgewölben den alttestamentlichen Namen »Jahwe«, durch den man Abbilder Gottes vermeiden konnte. In Nentershausen wird durch die Darstellung in einer Deckenkartusche indirekt auf Jesus verwiesen, indem dort die Opferung Isaaks typologisch auf Jesu Opfertod hinweist. Die Malereien an den Emporenbrüstungen sind zumeist Porträts von Propheten, Aposteln oder den Evangelisten. Oft sind Personendarstellungen im Wechsel mit erläuternden Bibeltexten an den Brüstungsfeldern angebracht, in Nentershausen wird die Darstellung eines Wanderers beispielsweise auf Psalm  23 bezogen  : »Ob ich gleich wandere im finsteren Tal […]«. Die Bilder sind wie in lutherischen Kirchen meist Bibelillustrationen (vgl. Abb. 118 und 119). Nentershausen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  167

Abb. 120  Nentershausen, Blick auf die Kanzel.

Abb. 121  Nentershausen, Orgel über der Westempore.

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Abb. 122  Ronshausen, Pfarr­ kirche, 1715/16.

Nentershausen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  169

Abb. 123  Ronshausen, Pfarrkirche, Blick auf den gemalten wolkenreichen Himmel, der sich über einer Waldlandschaft erhebt, 1716.

Ronshausen (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche

Nur wenige Jahre jünger und stilistisch der Kirche in Nentershausen nahe verwandt ist die Kirche in Ronshausen. Der Bau geht noch auf romanische Zeit zurück, wurde aber mehrfach verändert. Der wuchtige Chorturm entstand Anfang des 13. Jahrhunderts. Das Schiff wurde 1715 umgestaltet und wie in Nentershausen mit einer die ganze Raumbreite überspannenden Holztonne versehen, in die mehrere Fenster der Dachgauben einschneiden, um die Emporen zu belichten. Auch die Bemalung der Decke mit ihrem Wolkenhimmel und dem hebräischen Schriftzug »Jahwe« entspricht der Kirche in Nentershausen. Die hier zweigeschossig umlaufenden Emporen enthalten im unteren Teil an den Brüstungsfeldern stark farbige Darstellungen der vier Evangelisten und biblische Szenen, die obere Empore wird von einer hölzernen Balustrade abgeschlossen. Die Kanzel stammt von 1658, die Orgel entstand 1716. Die Bemalung der tragenden Bauteile enthält neben gedämpftem Blau und Rot viele Braun- und Ockerabstufungen, wodurch der Innenraum besonders festlich und anheimelnd wirkt. Richelsdorf (Gemeinde Wildeck, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche

Die evangelische Kirche von Richelsdorf unweit der thüringischen Grenze geht auf eine gotische Anlage des späten 13.  Jahrhunderts zurück, die im Dreißigjährigen Krieg verwüstet wurde und dem Verfall preisgegeben war, 1637 jedoch neu aufgebaut wurde. Vom mittelalterli170  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

Abb. 124  Richelsdorf, Pfarrkirche, Blick in den Innenraum der Kirche, 1716.

chen Bau blieb nur der Chorturm erhalten. Ab 1705 fanden umfangreiche Erneuerungen statt. So wurde das Chorgewölbe durch eine Flachdecke ersetzt, das Schiff erhielt im mittleren Teil eine halbrunde hölzerne Tonne und nach Art der osthessischen barocken Dorfkirchen eine umlaufende zweigeschossige Empore auf Holzstützen, über dem Triumphbogen einen Laufgang. Die überreiche farbige Ausmalung von 1716, die mehr der barocken Vorstellung von himmlischer Pracht als lutherischer Gestaltungsfreude entspricht, ist in dieser Fülle ungewöhnlich und betrifft alle Wände, Decken, Säulen, Emporen und Bänke. Dargestellt sind ausschließlich Schrifttafeln und üppige florale Muster. Hinter dem Altar befindet sich ein Epitaph von 1716, über der Altarempore zwei geschnitzte musizierende Knappen, sogenannte Bergsänger, welche die heimische Bergbautradition repräsentieren. Die Kirche bildet mit Richelsdorf (Gemeinde Wildeck, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  171

Abb. 125  Richelsdorf, Pfarrkirche, Empo­ ren.

Abb. 126  Richelsdorf, Pfarrkirche, Innen­ raum.

Nächste Seite: Abb. 127  Weiterode, Dorfkirche, Blick in den Innenraum.

dem Herrenhaus derer von Cornberg ein Ensemble. Früher konnte man aus dem Schloss direkt in den Herrschaftsstand der Kirche gelangen.164 Weiterode (Stadt Bebra, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche

Eine der eindrucksvollsten Kirchen in der Nachfolge der Schmalkaldener Schlosskapelle ist die Dorfkirche von Weiterode. Ab 1719 erhielt die gotische Kirche durch den Schmalkaldener Landbaumeister Adam Johann Erdinger (1685–1738) ein neues Langhaus mit einem die gesamte 172  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

164 Herrn Pfarrer Janosz König, Nentershausen, danke ich herzlich für einige wichtige Angaben.

Weiterode (Stadt Bebra, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  173

Abb. 128  Weiterode, Dorfkirche, Emporen, Bemalung um 1730.

Abb. 129  Weiterode, Dorfkirche, Apostel Petrus.

Breite des Raumes überspannenden hölzernen Tonnengewölbe und dreiseitig umlaufenden Emporen.165 Dieter Großmann, der beste Kenner hessischer Kirchenbauten, nannte die Dorfkirchen im Kreis Rotenburg »farbig gefasste Bauernkirchen«.166 In der Tat zeichnen sich die genannten Bauten im Innern durch farbenprächtige Malerei aus. Sie alle werden von hölzernen Tonnen überwölbt, die als Himmelszelt mit Wolken und Engeln bemalt sind. Emporen umziehen die Innenräume, die Brüstungsfelder enthalten Apostelporträts, derbe Gestalten aus dem Alten Testament oder Schriftstellen aus der Bibel. Die Künstler sind in den wenigsten Fällen bekannt, die künstlerische Qualität ist eher bescheiden zu nennen. Weiterode ist jedoch ein Sonderfall. Auch hier zeigen die Emporenfelder Porträts der Zwölf Apostel und Szenen aus dem Alten Testament. Die etwas groben Darstellungen entsprechen der in den osthessischen Kirchen üblichen Bauernmalerei. Die Deckenmalerei stammt jedoch von einem herausragenden Künstler, wie schon von Großmann bemerkt wurde. Der Maler wurde jedoch erst vor kurzem identifiziert. Die derben Apostelporträts in Weiterode zeigen zunächst Petrus, Johannes, Paulus und Jacobus d. Ä., den Bruder des Johannes. In den Evangelien von Markus, Lukas und Matthäus sowie in der Apostelgeschichte wird in den Kapiteln über die Berufung der Apostel Petrus immer als Erster genannt.167 In der Apostelgeschichte kommt Johannes häufig neben oder gemeinsam mit Petrus vor. Neben Johannes erkennt man den Adler als Symbol des Evangelisten, daneben Kelch und Schlange als Attribute des Apostels Johannes. Der Evangelist erinnert an einer Stelle an Moses und die eherne Schlange  : »Wie Moses die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden.«168 174  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

Abb. 130  Weiterode, Dorfkirche, Der Evan­ gelist und Apostel Johannes.

165 Zu Erdinger vgl. Großmann 1957, S. 10–12. 166 Großmann 1956, Heft 3, S. 9–14. 167 Markus 3 14–19  ; Lukas 6,13–16  ; Matthäus 10,2–4  ; Apostelgeschichte 1,13. 168 Johannes 3,14  ; 4. Mose 21,6–9.

Abb. 133  Weiterode, Dorfkirche, König David, mit Untermalungen.

Abb. 134  Weiterode, Dorfkirche, Moses mit den Gesetzestafeln.

Abb. 131  Weiterode, Dorfkirche, Apostel Judas Thaddäus.

Abb. 132  Unterseibertenrod (Vogelsberg­ kreis) Dorfkirche, Emporenmalerei mit dem Porträt des Judas Ischariot, 1739.

Abb. 135  Weiterode, Dorfkirche, vier unbe­ kannte Propheten. 169 Unverständlich ist daher im Kirchenführer Weiterode, Kassel 2005, S. 18 die Bildunterschrift  : »Wohl irrtümlich ist das Bild bei uns mit Judas überschrieben worden.«

Die weiteren Apostel sind Andreas, Philippus, Thomas, Bartholomäus, Jacobus  d. J., Simon, Judas und Matthäus. Die Darstellung von Judas mag auf den ersten Blick überraschen, es handelt sich hier aber nicht um Judas Ischariot, sondern um Judas Thaddäus, Sohn des Jacobus.169 Die Reihenfolge und Auswahl der Apostel in der Dorfkirche von Weiterode scheint auf die Apostelgeschichte zurückzugehen. Im Gegensatz zu den Evangelien von Markus, Lukas und Matthäus, die alle sowohl Judas Thaddäus als auch Judas Ischariot aufführen, werden in der Apostelgeschichte nur elf Jünger aufgeführt, der »Verräter« Judas fehlt. Der unbekannte Maler fügte stattdessen den Apostel Paulus ein, um auf die Zahl zwölf zu kommen. In den Evangelien kommt Paulus nicht vor. Eine überraschende und wohl einmalige Darstellung in Bezug auf den Namen Judas findet sich in dem kleinen Ort Unterseibertenrod im Vogelsberg, nämlich tatsächlich ein Porträt des Judas Ischariot, der sogar mit seinem Verräterlohn, dem Beutel mit den 30 Silberlingen abgebildet ist. Die Brüstungsfelder der oberen Emporen von Weiterode enthalten vor allem die bedeutendsten und populärsten Personen des Alten Testaments, so König David mit Harfe, Abraham und Isaak, Moses und König Salomon. Die Reihe beginnt mit einem Hohepriester und endet mit einem Priester, eine Tafel zeigt »vier Propheten« ohne Benennung, ferner die Bundeslade und einen Rauchaltar. Auf jeder Seite der oberen Emporen fehlen je zwei Brüstungsfelder. Sie wurden 1912 entfernt, als der Platz vor der Orgel in den Raum hinein verlängert wurde. Es fällt auf, dass bei mehreren Tafeln Textstellen aus der Bibel unter der Malerei sichtbar sind. Textzitate gibt es auch an zwei Stellen der ersten Empore. Es muss also während der Ausführung eine Planänderung gegeben haben. Gegenüber den Porträtdarstellungen ist die großflächige Deckenmalerei sehr viel qualitätvoller, was schon Großmann erwähnt. Auch der Kirchenführer von Weiterode, 2005 herausgegeben vom örtlichen Weiterode (Stadt Bebra, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  175

Abb. 136  Weiterode, Dorfkirche, Signatur »J. G. Wenzel« in der Kartusche über der Orgel, Arbeitsfoto des Restaurators Gerd Belk, Fulda, Ausschnitt aus Abb. 137.

Abb. 137  Weiterode, Dorfkirche, J. G. Wen­ zel, Kartusche über der Orgel, Arbeitsfoto des Restaurators Gerd Belk, Fulda.

Kirchenvorstand, erwähnt die Deckenmalerei als besonders schön. Die Kirche ist in den Jahren 2003–2005 restauriert worden, und der Führer weist dankbar auf die »gelungene Deckenrestaurierung durch die Firma Belk« hin. Leider verschweigt die schmale Broschüre, dass der Fuldaer Restaurator Gerd Belk an versteckten Stellen der Decke zwei Signaturen mit dem Namen »J. G. Wenzel« entdeckte.170 Es handelt sich offensichtlich um den Porträtmaler Johann Georg Wenzel. Thieme-Becker erwähnt ihn unter Berufung auf Füßlis Künstlerlexikon und berichtet von einer Kirchenausmalung im thüringischen Ruhla und einem Aufenthalt in Fulda.171 Ein Maler Johann Georg Wenzel arbeitete tatsächlich in den 1720er-Jahren in Fulda, wo er laut Rechnungen im Marburger Staatsarchiv unter der Leitung des Fuldaer Hofmalers Emanuel Wohlhaupter für Porträts und gemalte Tapeten im Schloss und in Gartengebäuden tätig war.172 Füßli bezeichnet Wenzel als Eisenachischen Hofmaler, der 1721 die Kirche von Ruhla für 450  Thlr. ausgemalt habe. Die 1661 errichtete Stadtkirche Sankt Concordia verfügte über eine Brettertonne und zweigeschossige, bemalte Emporen, die aber 1840 weitgehend erneuert und überarbeitet wurden.173 Bereits 1731 ist Wenzel als Hofmaler in Weimar angestellt, wo er ein Jahr später die Tochter des herzoglichen Kochs heiratet. Er dürfte also ein bis zwei Jahre zuvor nach Weimar gekommen sein.174 1732 wird er entlassen, es werden von Herzog Ernst August aber 176  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

170 Ich danke Herrn Belk sehr herzlich für die Überlassung seines Restaurierungsberichts von 2004. 171 Thieme-Becker, Stichwort Wenzel, Johann Georg, Text von Walther Scheidig, Weimar. – Füßli 1816, S. 5038. 172 Stasch 1989, S. 186 (Anhang I  : Künstler- und Handwerkerverzeichnis). 173 Mertens 1984, S. 176. 174 HStAW, Akten Bauarchiv B. 3876.

Abb. 138  Kirche in Obercunnersdorf, 1662.

175 HStAW, Akten Bauarchiv B. 26475 a, S. 46–47. 176 Die Malereien wurden 1749 übertüncht, wahrscheinlich unter dem Einfluss der in der Nähe tätigen Herrnhuter. Erst 1899 wurden sie wieder entdeckt, und die Malerei an den unteren Emporenbrüstungen wurde freigelegt.

noch größere Zahlungen an Wenzels Ehefrau geleistet. Im Weimarer Schloss hat Wenzel nur Marmorierungen, Vergoldungen und Wandanstriche durchgeführt, jedoch keine bildlichen Darstellungen.175 Von Wenzels Wirken in Ruhla, Fulda und Weimar haben sich keinerlei Spuren erhalten. 1734 bis 1739 war er als Porträtmaler in Göttingen ansässig. Wenzel stammte aus Görlitz in der Oberlausitz. 1660 entstand im benachbarten Obercunnersdorf eine evangelische Pfarrkirche mit an drei Seiten umlaufenden Holzemporen, deren kraftvoll farbige Brüstungsmalereien den gesamten Kirchenraum beherrschen. Die 1662 datierten Darstellungen zeigen wie in Weiterode Apostel und Propheten aus dem Neuen bzw. Alten Testament.176 Da auch die wulstigen Holzsäulen einiger osthessischer Kirchen jenen in Obercunnersdorf ähneln, ist es möglich, dass sich Wenzel an Bauten in seiner Heimat orientiert hat. Erhalten hat sich von Wenzel offenbar nur die vorzügliche Deckenmalerei in Weiterode. Um zwei große Mittelfelder auf hellem Grund sind kleinere Kartuschen und Medaillons angeordnet, die Engel mit Spruchbändern enthalten. Das große Feld im Westen zeigt in einer Strahlen­ gloriole die vier hebräischen Buchstaben des Gottesnamens »Jahwe«, die Schriftbänder verkünden den 150.  Psalm »Halleluja, lobet Gott in seinem Heiligtum«. Im östlichen Feld sieht man Engel in Gestalt modisch gekleideter Jünglinge und Jungfrauen, die in einem wolkenreichen Himmel zum Lob Gottes musizieren. 1719 beginnen die Bauarbeiten in Weiterode, 1739 wird die Orgel aufgestellt. Die Deckenmalereien dürften also um 1725/1728 entstanden sein, da Wenzel bereits 1731 in Weimar nachzuweisen ist. Die Darstellungen musizierender Engel ähneln in Komposition und Qualität sehr dem malerischen Werk Emanuel Wohlhaupters, der um Weiterode (Stadt Bebra, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  177

Abb. 139  Weiterode, Dorfkirche, Deckengemälde mit musizierenden Engeln von Johann Georg Wenzel, um 1728.

1727/28 die Orangerie und den Kaisersaal der Fuldaer Residenz mit allegorischen Darstellungen und Porträts ausstattete (vgl. Abb. 144). Die symmetrisch, aber merkwürdig isoliert an der Decke verteilten Kartuschen auf weißem Grund erinnern an zeitgenössische Deckenstuckaturen, meist flache Reliefs auf hellem Grund, in die bemalte Kartuschen eingesetzt wurden.177 Auch die Decke des Kaisersaals in Fulda könnte als Anregung gedient haben. Zumindest war die weiße Grundfläche in einer früheren Überarbeitung einmal hellblau, was für ein bewölktes Himmelszelt spricht. Vielleicht waren aber auch ursprünglich Reliefs als gemalte Dekorationen geplant.178 Für diese Vermutung spricht der Restaurierungsbericht des Fuldaer Instituts für Konservierung und Restaurierung unter der Leitung von Gerd Belk.179 In diesem Zusammenhang führt Hofmann die Dorfkirche von Mihla im Wartburgkreis an, deren Kirchenschiff 1711 erneuert wurde und wie die osthessischen Kirchen eine hölzerne Mitteltonne und zweigeschossige Emporen erhielt. Die Decke ist weiß ausgemalt und mit Dekorationen in schwarz und rosa ornamentiert. Die im Stil des Rokoko aufgebrachten Ornamente entstanden zwar erst zwanzig Jahre nach Weiterode, zeigen aber, dass es in Mitteldeutschland im 18. Jahrhundert derartige Ausschmückungen gab. 178  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

177 Zu nennen wären beispielsweise die Bibliotheksdecken in Ottobeuren von 1719 oder Waldsassen von 1726. Vgl. dazu Lehmann 1996, Textband, S. 139, 191. 178 Belks sorgfältiger Restaurierungsbericht enthält u. a. die Diplomarbeit seines Mitarbeiters Jens Hofmann  : Bemalte Holzdecken in osthessischen Barockkirchen, Fachhochschule Köln, Fachbereich Restaurierung und Konservierung von Kunst und Kulturgut, Köln 1998. Hofmanns Arbeit enthält u. a. einen durch Fotografien belegten Bericht zur Befunduntersuchung an den Deckenmalereien der Pfarrkirche zu Bebra-Weiterode, auf die sich der vorgestellte Sachverhalt stützt, hier Hofmann Teil III, Abb. 8. 179 Für diese Vermutung spricht der Restaurierungsbericht des Fuldaer Instituts für Konservierung und Restaurierung unter der Leitung von Gerd Belk. Laut Voruntersuchung des Restaurators Jens Hofmann fanden sich als unterste Schicht auf der weiß gestrichenen Brettertonne an einigen Stellen schwarze Farbaufträge, ohne dass klare Formen zu erkennen waren.

Abb. 140  Weiterode, Dorfkirche, J. G. Wen­ zel, Detail aus der Deckenmalerei. Abb. 141  Weiterode, Dorfkirche, Blick auf Kanzel und Altar.

Abb. 142  Mihla (Thüringen), 1667, Malerei um 1750.

Einen weiteren Hinweis auf eine gemalte Ornamentierung und eine Veränderung der Umrahmung liefert auch die Rekonstruktion der Balustradenmalerei dicht unter den Kartuschen. Im Gegensatz zu den meisten osthessischen Dorfkirchen steht in Weiterode die Kanzel nicht an der Seite, sondern dicht hinter dem Altar – eine Vorform des später so beliebten Kanzelaltars. Ein Vergleich zwischen Wenzel und Wohlhaupter zeigt, dass Wenzel durchaus neben dem Fuldaer Hofmaler bestehen kann. Ebenso unterstreicht ein Vergleich mit der Deckenmalerei in Nentershausen oder Ausbach die Überlegenheit Wenzels gegenüber der sogenannten Bauernmalerei, wie dies auch an den Emporenbildern mit den Porträts aus dem Alten und Neuen Testament in Weiterode deutlich wird. Weiterode (Stadt Bebra, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  179

Abb. 144  Fulda, Kaisersaal, Deckenfresko, Malerei von Emanuel Wohlhaupter, um 1728. Abb. 143  Fulda, Kaisersaal im Schloss, um 1728.

Abb. 145  Ausbach, Engel mit Laute, 1734.

Abb. 146  Weiterode, Dorfkirche, J. G. ­Wenzel, Engel am Clavicord, um 1728, Detail aus der Deckenmalerei.

Abb. 147  Fulda, Kaisersaal, Malerei von Emanuel Wohlhaupter, um 1728.

Die musizierenden Engel, die in mehreren Kirchen auftauchen, haben eine lange Tradition. Beispielsweise finden sie sich bereits im 13.  Jahrhundert in der Darstellung einer Marienlegende im Obergeschoss der berühmten Lorscher Torhalle.180 Die Malerei an den Emporen in Weiterode dürfte schon aus technischen Gründen zeitlich vor den Deckenbildern entstanden sein. Da Wenzel 1730 nach Weimar ging, liegt hier möglicherweise auch der Grund, dass ein heimischer Maler die Anfertigung der Porträts übernahm.

180 Ludwig 2006, S. 46–53.

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Abb. 148  Weiterode, Dorfkirche, J. G. Wen­ zel, Deckenmalerei, um 1728.

Gottesdienst und Schule  |  181

Abb. 149  Mansbach, Dorfkirche, um 1569.

Abb. 150  Mansbach, Dorfkirche, Innenaus­ bau um 1730.

Abb. 151  Mansbach, Dorfkirche, Schiff und Ausstattung um 1569, Ausmalungen Anfang 18. Jahrhundert.

Mansbach, Gemeinde Hohenroda (Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Dorfkirche

Die spätmittelalterliche Dorfkirche von Mansbach erhielt um 1730 eine hölzerne Mitteltonne und zweigeschossige Emporen. Zuständig für den Innenausbau war der aus Schmalkalden stammende Zimmermeister Sebastian Bamberger. Wie in Weiterode schmücken musizierende Engel die Tonne, die Mitte ziert wiederum eine Strahlengloriole mit der Inschrift »Jahwe«. Die Emporenbrüstungen enthalten Porträts biblischer Gestalten. Bemerkenswert im Inneren ist die Ausrichtung der neu eingebauten ovalen Fenster auf die beiden Emporen und die Stellung der die Emporen tragenden Säulen, um eine bessere Belichtung zu erreichen.

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Abb. 152  Mansbach, Dorfkirche, Kanzel, um 1682.

Abb. 153  Ausbach, Pfarrkirche, 1730–1734.

Ausbach (Gemeinde Hohenroda, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche

Unweit Mansbach liegt der kleine Ort Ausbach, dessen Kirche 1730 als Neubau errichtet wurde, gleichzeitig mit der Innenausstattung der Mansbacher Kirche. Wie dort und in Weiterode verfügt die Kirche über zweigeschossige Emporen und eine Mitteltonne, zudem über eine sehr ähnliche Ausmalung. Die Bauleitung hatte der Schmalkaldener Adam Georg Erdinger. Auffällig sind in Ausbach die wulstigen Holzsäulen mit ihren grob ausgeformten Kapitellen, die verblüffende Ähnlichkeit mit den Holzsäulen im sächsischen Obercunnersdorf aufweisen (vgl. Abb. 138). Da die Kirchen von Weiterode, Mansbach und Ausbach mit Ausbach (Gemeinde Hohenroda, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  183

Abb. 154  Ausbach, Pfarrkirche, Portrait Johannes Calvin.

Abb. 156  Ausbach, Pfarrkirche.

ihren Brüstungsmalereien einander sehr ähnlich sind und der in Weiterode tätige Johann Georg Wenzel aus der Nähe von Obercunnersdorf stammt, sind die stilistischen Übereinstimmungen durchaus nicht ungewöhnlich. Neuartig und für Osthessen eher selten ist auch hier die Stellung der Kanzel in der Achse des Altars – eine Vorform des Kanzelaltars. Aus mehreren Gründen überraschen den Kirchenbesucher zwei Porträts an der ersten Empore direkt am Eingang  : Martin Luther und Johannes Calvin (1509–1564). Selbst für eine reformierte Kirche ist es ungewöhnlich, den Schweizer Prediger abzubilden, doch war es Calvin, der sich bemühte, den Abendmahlsstreit zwischen Zwingli und Luther nach dem ergebnislosen Marburger Gespräch von 1529 zu schlichten.181 Es mag allerdings für den Maler und seinen theologischen Berater noch einen anderen Grund gegeben haben, Calvin hier darzustellen  : 1605 war Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (1572–1632) zum Calvinismus übergetreten und setzte diesen Konfessionswechsel auch im Lande durch. Im Zuge dieser sogenannten Zweiten Reformation kam es zwischen Hessen-Kassel und dem lutherischen Hessen-Darmstadt zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Das im 17.  Jahrhundert reformierte Schmalkalden gehörte zeitweise zum lutherischen Hessen-Darmstadt. Im Herrschaftsbereich des hessischen Landgrafen wurden zahlreiche Kunstwerke auf dessen Anordnung zerstört (vgl. S. 58–60). Vielleicht wollte man in Ausbach auf diese Weise an die abschreckenden Ereignisse erinnern und vor Spaltungen warnen. Auch wurden im 18.  Jahrhundert die strengen Vorschriften der Calvinisten gelockert. Hessen, 184  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

Abb. 155  Ausbach, Pfarrkirche, Portrait Martin Luther.

181 Zum Streit zwischen Luther und Zwingli in Zusammenhang mit dem Marburger Religionsgespräch vgl. Oberman 1982, S. 245–251  ; zu Calvin und dem Calvinismus in Niederhessen vgl. Demandt 1972, S. 238–62.

Abb. 157  Ausbach, Pfarrkirche, 1730–1734, Deckenmalerei mit musizierenden Engeln.

insbesondere die Universitäten von Gießen und Marburg, waren kurz nach 1700 zu Zentren des Pietismus geworden  ; in der nahen Wetterau breiteten sich die Herrnhuter Gemeinden des Grafen Zinzendorf aus.182 Der Pietismus wurde zur vermittelnden Kraft zwischen der lutherischen und reformierten Konfession, und so kann es nicht verwundern, dass die beiden Ahnherren der Reformation hier dargestellt sind. Bemalte hölzerne Tonnengewölbe haben sich im Laufe der ersten Hälfte des 18.  Jahrhunderts bis in den westhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg und nach Südthüringen verbreitet. So zeigt die 1724 entstandene Dorfkirche von Schwarzbach nahe Wasungen eine Holzdecke mit Strahlengloriole und dem Schriftzug »Jahwe«, umrahmt von Wolkenfeldern und in Kartuschen dargestellten Szenen aus dem Leben Christi.183 Odensachsen (Gemeinde Haunetal, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche

182 Demandt 1972, S. 303. 183 Abbildungen zu Schwarzbach finden sich im Kirchenführer Meiningen 2010, S. 62 f.

Ein besonders aufwendiges Beispiel in der Nachfolge der Schlosskapelle in Schmalkalden ist die Kirche von Odensachsen rund zehn Kilometer südlich von Bad Hersfeld. Der gewölbte Chor stammt noch aus dem frühen 16. Jahrhundert, das Kirchenschiff vom Beginn des 18. Jahrhunderts. Um 1707 wurde der in Hessen seltene Baldachin-Kanzelaltar errichtet. Hölzerne Säulen tragen wie in Mansbach und Ausbach die Mittelraumtonne. Auch die 1740/41 erfolgte Ausmalung aller Holzteile, vor allem der gemalte farbenprächtige Wolkenhimmel mit musizierenden Engeln folgt dem von Ausbach bekannten Typus. Selbst die Strahlengloriole mit Odensachsen (Gemeinde Haunetal, Landkreis Hersfeld-Rotenburg), Pfarrkirche  |  185

Abb. 158  Odensachsen, Pfarrkirche, Aus­ malung des Innenraums 1740/41.

dem Schriftzug »Jahwe« wird in Odensachsen wieder aufgenommen. Die Malereien auf den unteren Emporenbrüstungen zeigen Szenen aus dem Leben Jesu, die oberen Emporen alttestamentliche Figuren. Gersfeld/Rhön (Landkreis Fulda), Stadtpfarrkirche

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wandeln sich die osthessischen Kirchen und gleichen sich stärker an die westthüringische Entwicklung an. Sie werden großzügiger, heller in der farbigen Ausgestaltung und verfügen nun öfter über den in Thüringen so populären Kanzelaltar. Ein typisches Beispiel ist die 1780–1788 errichtete Kirche von Gersfeld in der Rhön. 186  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

Abb. 159  Gersfeld, Stadtpfarrkirche, Entwurf von J. K. Heym, 1778, Ausführung durch Baumeister J. G. Link, 1780–1788.

Die kreuzförmige Anlage war ursprünglich, wie in Hessen häufig zu beobachten, als Querkirche geplant. Ein 1778 entstandenes Modell ist in der Kirche ausgestellt. Die an drei Seiten umlaufenden zweigeschossigen Emporen sind ein später Nachklang der Schlosskapelle in Schmalkalden, während die prächtige Kanzelwand an westthüringische Beispiele wie den Kanzelaltar der Suhler Kreuzkirche erinnert (vgl. Abb. 103). Nieder-Moos (Gemeinde Freiensteinau, Vogelsbergkreis), Pfarrkirche

Vom gleichen Baumeister wie die Kirche in Gersfeld wurde im weiter westlich gelegenen Vogelsberg 1783–1791 die Kirche von Nieder-Moos erbaut. Sie ist hier vor allem als eine der in Hessen häufiger vorkommenden Querkirchen beachtenswert. Der Kanzelaltar steht an der südlichen Längswand, Eingang und Orgel befinden sich im Westen. Die erste hessische Querkirche war wie dargestellt die Schlosskapelle von Rotenburg a. d. Fulda (vgl. Abb. 42). Die Kirche und der erstaunlich breite Orgelprospekt in Nieder-Moos zeigen deutliche Merkmale des Klassizismus, Nieder-Moos (Gemeinde Freiensteinau, Vogelsbergkreis), Pfarrkirche  |  187

Abb. 160  Nieder-Moos, Pfarrkirche, 1783– 1791, Baumeister J. G. Link, Orgel 1790.

die aufgebrochenen Giebel als Abschluss des Prospektes sind allerdings noch an spätbarocken Formen orientiert. Die allgemeine Entwicklung führte gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer schlichten, in der Regel dreiachsigen Altarwand mit einer Kanzel, die über eine Treppe in der Sakristei erreichbar war.

188  |  Evangelische Kirchen in Hessen an der Grenze zu Thüringen

Reformierte Kirchen in Berlin und Brandenburg-­Preußen

Der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund (reg. 1608–1619) trat 1613 zum reformierten Bekenntnis über. In der »Confessio Sigismundi« von 1614 erlaubte er den Bewohnern des Landes, ihr lutherisches Bekenntnis beizubehalten. Durch verwandtschaftliche Verbindungen zwischen dem Haus Brandenburg und dem Haus Oranien sowie zahlreiche Einwanderer entstanden enge Beziehungen zu Holland. So kamen auch holländische Architekten nach Brandenburg und prägten den brandenburgischen Barock in seiner calvinistisch anmutenden Schlichtheit und Strenge. Das gilt auch für den Kirchenbau. Abb. 161  Rudolf Schick, Berlin, Doro­ theenstädtische Kirche, geweiht 1687, Aquarell 1859.

Berlin, Dorotheenstädtische Kirche

Abb. 162  Amsterdam, Oosterkerk, 1671.

1687 wurde in Berlin als erste Kirche seit der Reformation die über einem kreuzförmigen Grundriss von dem Holländer Rutger von Langerfeld (1635–1695) errichtete Dorotheenstädtische Kirche vollendet. Die Ähnlichkeit mit der Amsterdamer Oosterkerk ist nicht zu übersehen. In der Folgezeit wurden die meisten Kirchen in Berlin und Potsdam als Zentralbauten über kreuzförmigem Grundriss oder als querrechteckige Saalkirchen erbaut. Sie alle zeichnen sich durch hohe Türme aus. Berlin, Dorotheenstädtische Kirche  |  189

Abb. 163  Grundriss der Burgkapelle zu Königsberg, 1690–1701.

Abb. 164  Grundriss der Nieuwe Kerk, Den Haag, 1659–1665.

Königsberg (heute Kaliningrad), Burgkirche

Überraschende Übereinstimmung mit holländischen reformierten Kirchen zeigt die unter Kurfürst Friedrich III. von Johann Arnold Nering (1659–1695) errichtete Burgkirche in Königsberg (Ostpreußen). Der Entwurf stammt von 1687, die Einweihung erfolgte 1701, als sich Kurfürst Friedrich aus Anlass seiner Krönung zum König in Preußen in Königsberg aufhielt.184 Unverkennbares Vorbild für die Burgkapelle war die Nieuwe Kerk von 1665 im holländischen Haag. Potsdam, Garnisonkirche

Der erste Entwurf von 1703 für die von König Friedrich Wilhelm I. initiierte Garnisonkirche hat den Grundriss eines griechischen Kreuzes. Da sich der Bau bald als zu klein erwies, wurde 1732 unter Leitung von Philipp Gerlach (1679–1748) ein Neubau errichtet. Der ursprünglich kreuzförmige Grundriss mit einem Turm über der Vierung wurde nun zu einer querrechteckigen Hallenkirche erweitert. Ein Glockenturm schloss sich an der Längsseite gegenüber von Kanzel, Altar und Gruft an. Berlin, Parochialkirche

Der qualitätvollste Kirchenneubau war die nach Entwurf von Johann Arnold Nering im Zentrum Berlins ab 1695 erbaute Parochialkirche. Der von holländischen und italienischen Vorbildern beeinflusste Bau wurde über einem vierpassförmigen Grundriss errichtet und gehört zu den großartigsten Schöpfungen des preußischen Barock. Der Grundriss verrät noch Einflüsse italienischer Renaissancearchitektur, wie ein Blick auf den Grundriss der Kirche Santa Maria della Consolazione in 190  |  Reformierte Kirchen in Berlin und Brandenburg-­Preußen

Abb. 165  Potsdam, Grundriss der zweiten Garnisonkirche, 1732–1735.

Nächste Seite: Abb. 166  Parochialkirche, Berlin, Aufnahme 1904.

184 Nehring 1985, S. 16–18.

Berlin, Parochialkirche  |  191

Abb. 167  Berlin, Grundriss der Parochialkir­ che, 1695–1714.

Todi in der Toskana erkennen lässt. Friedrich Wilhelm I. gewährte seinem Architekten Nering ein dreijähriges Studium in Italien und Holland. Nerings Plan sah einen Vierungsturm über der straßenseitigen Eingangshalle vor, sein früher Tod verhinderte jedoch die Ausführung. Im weiteren Verlauf von Planung und Bauausführung wurde schließlich über der Vorhalle durch Philipp Gerlach ein Turm errichtet. 1944 ist die Kirche nach Bombenangriffen bis auf die Umfassungsmauern ausgebrannt. 1991 begann der Wiederauf bau. Der Innenraum war ursprünglich von Emporen umgeben, wurde jedoch im 19.  Jahrhundert verändert. Der Zentralraum eignete sich für die Liturgie der reformierten Gemeinde besonders gut, da Kanzel und Predigt im Zentrum des Gottesdienstes stehen.

192  |  Reformierte Kirchen in Berlin und Brandenburg-­Preußen

Abb. 168  Berlin, Klosterstraße mit Blick auf die Parochial­ kirche, Kupferstich von J. Rosenberg. Abb. 169  Grundriss von Santa Maria della Consolazione in Todi, um 1520.

Berlin, Parochialkirche  |  193

194  |  Reformierte Kirchen in Berlin und Brandenburg-­Preußen

Reformation und architekturtheoretische Schriften

185 Kruft 1991, S. 109–113. 186 Zur Geschichte des Salomonischen Tempels vgl. Naredi-Rainer 1994. 187 Sturm 1712. Vgl. dazu Kruft 1991, S. 199–201. – Wex 1984, S. 139–146. 188 Mai 1969, S. 73–77.

Die Wiederentdeckung von Vitruvs »De architectura libri decem« (»Zehn Bücher über Architektur«) in der Renaissance löste eine Welle von architekturtheoretischen Schriften aus, deren Verfasser auch eine Art Weltgeschichte der Architektur zu formulieren suchten. Die bekannteste und weitreichende Darstellung ist die 1615 erschienene »L’idea della architettura universale« von Vincenzo Scamozzi (1552–1616), eine reich illustrierte Schrift von etwas aufdringlicher Gelehrsamkeit. Der ebenfalls auf zehn Bücher angelegte Traktat, der unvollständig blieb, steht in der Nachfolge Palladios und zeigt Scamozzi als weitgereisten Kenner der abendländischen Architektur, an deren Spitze er natürlich Italien sieht.185 Er betrachtet die klassischen Säulenordnungen als von Gott geschaffene Regeln, die man nicht verändern darf. In der Architektur lässt er nur einfache Entwürfe gelten, rechte Winkel und Kreisformen werden bevorzugt, gewundene Linien seien ein Verstoß gegen die Natur des Bauens, womit er sich als erklärter Gegner des Frühbarock zu erkennen gibt. Scamozzis Rationalismus, seine Bemühungen, Architektur wissenschaftlich zu definieren, lassen ihn im Klassizismus zu neuem Ansehen gelangen. Für den deutschsprachigen Raum sind neben Fischer von Erlachs (1656–1723) »Entwurff einer historischen Architektur« von 1721 vor allem Nicolaus Goldmann (1611–1665) und sein Verleger und Kommentator Leonhard Christoph Sturm (1669–1719) zu nennen, da sie eine betont christliche Architekturtheorie vertreten. Beide Autoren sind keine Architekten, sondern Mathematiker. Goldmanns »Vollständige Anweisung zur Zivil-Baukunst« war zwar bei seinem Tod schon vollendet, wurde aber erst 1696 von Sturm aus dem Nachlass veröffentlicht und bearbeitet. In Anlehnung an Scamozzi wird die Architektur als wissenschaftliche Disziplin beschrieben, die ihre Grundlagen aus der Bibel ableitet. Die »Heilige Bau-Kunst« wird im einleitenden Kapitel über den Salomonischen Tempel in Jerusalem durch Gott selbst offenbart, wie es bei 1.  Könige  5,15–9,9 überliefert ist.186 Sturm stellt erstmals evangelische und katholische Kirchen vergleichend nebeneinander. 1712 erschien Sturms Schrift »Architectonisches Bedencken von Protestantischer Kleinen Kirchen Figur und Einrichtung«, in der sich die in der Reformation aufgestellten Kriterien für den protestantischen Kirchenbau widerspiegeln.187 Sturm war anfangs ein überzeugter Anhänger der lutherischen Lehre, trat aber später zur reformierten Kirche über und wandelte sich zum radikalen Pietisten.188 In seinen Ausführungen zum protestantischen Kirchenbau erhob er ganz in der Nachfolge ScaReformation und architekturtheoretische Schriften  |  195

mozzis die Forderung nach Zweckmäßigkeit und Schlichtheit, Bezug auf die Predigt und auf die Kirche als Versammlungsraum. Sturm stand seit 1711 im Dienst des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin. Bereits in der Zueignung an seinen neuen Landesherrn wendet er sich polemisch gegen den »Grund-Riss einer vorhabenden neuen Kirche«, deren Kreuzform er ablehnt  : Gemeint ist die Schelfkirche in Schwerin, die sein Vorgänger im Amt gerade erbaut hatte. Die Kreuzform sei zwar wegen ihrer Symbolhaftigkeit bei Katholiken und Protestanten sehr beliebt, ihre Form aber wegen der vielen Ecken unbrauchbar, auch Dächer und Gesimse würden in Mitleidenschaft gezogen. Im Hauptteil behandelt er verschiedene Grundrisse. Im Zentrum seiner Überlegungen steht der Standort von Kanzel und Altar, da beide für die Gottesdienstbesucher gut sichtbar sein sollen. Auf neun Tafeln bildet er vorzugsweise Hallenkirchen und Zentralbauten ab, die dieser Anforderung am besten genügen. In fast allen Entwürfen ist ein Kanzelaltar angegeben und wird auf strenge Axialität geachtet. Lediglich bei der Kirche in Kreuzform liegen Kanzel und Altar einander gegenüber. Der kreuzförmige Grundriss wird aufgeführt, um seinen geringen gottesdienstpraktischen Nutzen herauszustellen. Selbst dreieckige Entwürfe schlägt er vor, da diese die Trinität von Gottvater, Sohn und Heiligem Geist symbolisierten. Rechteckige Bauten, auch Querkirchen lässt Sturm gelten. So kommt er zu dem Urteil, dass quadratische Saalkirchen, die er auf den Tempel Salomons zurückführt, die deutlichsten Vorzüge haben. Fast entschuldigend fügt er hinzu, wenn man an drei Seiten leichte Risalite anbringe, ergäbe sich schließlich auch eine Kreuzform. Rundbauten steht er grundsätzlich positiv gegenüber, da sie den Vorteil hätten, die »Handlungen des Gottesdienstes« von allen Seiten erlebbar zu machen. Außerdem sei der Circul […] allezeit das nachdencklichste Bildniß der Ewigkeit. Einschränkend fügt er hinzu, dass Rundbauten von außen leicht plump wirkten, auch sei die Errichtung von Glockentürmen schwierig. Obwohl Sturm Gleichmäßigkeit und Symmetrie über alles schätzt, zeigt ausgerechnet sein Grundriss eines Rundbaus in der Anordnung der Emporen einen exzentrisch angelegten freien Raum, dessen kühne Konstruktion und Lage etwas überrascht, und es sind auch die Rundbauten, die zu merkwürdigen Widersprüchen führen. Das meiste Kopfzerbrechen bereitet ihm bei Rundbauten der Innenraum  : Zuletzt haben runde Kirchen […] eine sonderliche Unbequemlichkeit, dass sich ein Fürstenchor darinnen so gut nicht anbringen lässet als bey andern Figuren, man ordinire sie wie man immer will. In seinen »Reise-Anmerckungen« von 1719 weist er darauf hin, dass in einer Rundkirche Adel und vornehme Bürger auf den übereinander angebrachten Emporen säßen, während das Erdgeschoss von Stühlen frei bleibe  : Der runde mittlere Platz ist mit keinen Kirchen-Stühlen besetzet, sondern allein vom gemeinen Volck eingenommen.189 196  |  Reformation und architekturtheoretische Schriften

Abb. 170  Trinitätskirche, Sturm 1712, Tafel V.

Abb. 171  Quadratische Saalkirche, Sturm 1712, Tafel II.

Abb. 172  Rundkirche mit exzentrisch ange­ ordneten Raumformen, Sturm 1712, Tafel VI.

189 Sturm 1719, S. 32.

Abb. 173  Kirche über kreuzförmigem Grundriss, Sturm 1712, Tafel IX.

Abb. 175  Sturm  : Imitation [sic  !] des Grundrisses der Kirche de la Visitation […] in  : Sturm, »Reise-Anmerckungen«, Augsburg 1719, Fig. 2.

Abb. 174  Paris, Sainte Marie, nach Marot.

190 Ebd., S. 73. 191 Bartsch 1972, S. 63–79.

In den »Reise-Anmerckungen« bildet er die Pariser Rundkirche »Temple du Marais« (ursprünglich Sainte-Marie-des-Anges de la Visitation) in der Rue Saint-Antoine ab. Die in eine Klosteranlage eingebundene Kirche wird von Sturm als freistehendes Bauwerk dargestellt, das er in seinem Sinne verbessert. Während die frühere Pariser Ordenskirche ringförmig von mehreren Kapellen umgeben ist, löst Sturm diese Kapellen in Treppenhäuser auf, die zu den Emporen führen, und behält nach protestantischem Selbstverständnis den Chorraum bei, in den er einen Kanzelaltar einfügt. Auch das Erdgeschoss erhält jetzt Sitzbänke. Nahezu treuherzig erklärt er, er habe die französische Kirche mit einer gar geringen Veränderung entworfen, wie man sie könte zu einer kleinen Protestirenden Kirche gebrauchen.190 Sturm hat keine einzige Kirche gebaut, dass er jedoch den protestantischen Kirchenbau nachhaltig beeinflusst hat, zeigt neben der Hamburger Michaeliskirche auf besonders prägnante Weise die 1737 vollendete Bethlehemskirche (auch Böhmische Kirche) in der Berliner Friedrichstadt, ein von Friedrich Wilhelm Diterichs (1702–1784) errichteter Rundbau, dessen Grundrissanlage auf Sturms Vorstellungen zurückgeht.191 Diterichs übernimmt aus Sturms »Imitation« des Grundrisses der Pariser Kirche die Form einer Kreuzkuppelkirche einschließlich des Kreuzarms – bei Sturm zu einer halbrunden Apsis ausgeformt –, in dem sich der Kanzelaltar befindet. Bei Diterichs ist an dieser Stelle nur die Reformation und architekturtheoretische Schriften  |  197

Abb. 176  Berlin, Böhmische Kirche, 1737–1739.

Kanzel angebracht, während der Altartisch an den Rand der Rotunde verschoben ist und so die konzentrische Ausrichtung in Sturms Rundkirche aus dessen »Architectonischen Bedencken« auf Tafel  IX übernimmt. Die Böhmische Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg bis auf die Außenmauern zerstört und 1963 abgerissen. Die Publikationen von Goldmann und Sturm werden 1732 in Zedlers Universal-Lexicon ausführlich gewürdigt. In den nachfolgenden Schriften von Johann Christian Friedrich Keferstein (Anfangsgründe der bürgerlichen Baukunst, Leipzig 1776), Christian Ludwig Stieglitz (zahlreiche Schriften), Friedrich Meinert (Landbaukunst, Leipzig 1798, 1804) und anderen, in denen Kirchen, insbesondere kleine Kirchen auf dem Land behandelt werden, wird die Forderung nach Einfachheit und Zweckmäßigkeit als Hauptkriterium für den protestantischen Kirchenbau genannt und die Bedeutung der Predigt unterstrichen. Auch der Kanzelaltar, das Vorhandensein von Sitzbänken und Emporen gehört im 198  |  Reformation und architekturtheoretische Schriften

Abb. 177  Johann August Heine, Evangeli­ sche Landkirche, Grundriss, aus  : Groh­ manns Ideenmagazin, 1796–1806, Heft IV, Nr. 6.

192 Zu Stieglitz vgl. die sehr informativen Abschnitte in  : Philipp 1997, S. 79– 105. 193 Grohmann 1796–1806, Heft IV, Nr. 6.

gesamten 18. Jahrhundert zu den Standardanforderungen für eine evangelische Kirche. Eine Grundregel für den protestantischen Kirchenbau, die seit der Reformation unangefochtene Gültigkeit besaß, bestimmt die Stellung von Altar, Kanzel und Taufstein in der Mittelachse der Kirche. Einige Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Entwicklung führte gegen Ende des 18.  Jahrhunderts zu einer schlichten, in der Regel dreiachsigen Altarwand mit einer Kanzel, die über eine Treppe in der Sakristei erreicht wurde. Ähnlich wie Sturm bietet Christian Ludwig Stieglitz in seiner »Encyklopädie der bürgerlichen Baukunst« von 1792 für den Kirchenbau eine Vielzahl von Grundrissformen an.192 Eine Kirche über einem dreieckigen Grundriss mit abgestumpften Ecken erinnert direkt an Sturm. Johann August Heine publizierte Entwürfe für Landkirchen in Johann Gottfried Grohmanns »Ideenmagazin«.193 Johann Gottfried Klinsky lieferte für Friedrich MeiReformation und architekturtheoretische Schriften  |  199

Abb. 178  Johann August Heine, Evangeli­ sche Landkirche, Schnitt, aus  : Grohmanns Ideenmagazin, 1796–1806, Heft IV, Nr. 6.

nerts »Schöne Landbaukunst« von 1798 Entwürfe für katholische und evangelische Kirchen.194 1808 schrieb Georg Heinrich Borheck in seiner Abhandlung über die Landkirchen  : In protestantischen Kirchen hat man schon lange auf eine sehr zweckmäßige Art mit dem Altar die Kanzel vereinigt. Im Übrigen bereite die Anfertigung eines Kanzelaltars geringere Kosten als die gesonderte Herstellung zweier Einzelteile – wohl eine eher seltene Begründung.195

194 Meinert 1798, Bd. I, Tafel 48 f. 195 Borheck 1808, S. 40, Tafel V.

200  |  Reformation und architekturtheoretische Schriften

Abb. 179  Johann Gottfried Klinsky, Protestantische Landkirche, aus  : Meinert, Schöne Landbaukunst, 1798, Bd. I, Tafel 48, 49.

Reformation und architekturtheoretische Schriften  |  201

Theologische Streitigkeiten oder Der schwierige Weg von der Reformation bis zur Aufklärung Man erzählte mir neulich ein Mährlein. Einstmals kam ein Todter aus Mainz an die Pforte des Himmels, Poltert’ und rief  : Macht auf  ! Da schaute der Heilige Petrus, Leise die Thür aufschließend, hervor und fragte  : Wer bist du  ? Trotzig erwiderte jener, den Ablasszettel erhebend  : Ich  ? ein katholischer Christ, des allein heilbringenden Glaubens  ! Setze dich dort auf die Bank  ! antwortete Petrus verschließend. Hierauf kam ein Todter aus Zürich an die Pforte des Himmels, Poltert’ und rief  : Macht auf  ! Wer bist du  ? fragte der Jünger. Ich  ? ein kalvinischer Christ, des allein heilbringenden Glaubens  ! Dort auf die Bank  ! rief Petrus. Da kam auch ein Todter aus Hamburg, Poltert’ und rief  : Macht auf  ! Wer bist du  ? fragte der Jünger. Ich  ? ein lutherischer Christ, des allein heilbringenden Glaubens  ! Dort auf die Bank  ! rief Petrus und schloss. Nun saßen die Gegner Friedsam neben einander und sahn, voll stiller Bewundrung, Sonne, Mond und Gestirne aus scheinender Irre geordnet. […] Und es erhob sich entzückt ihr heller Gesang  : »Wir glauben All’ an einen Gott  !« Da mit einmal sprangen die Flügel Auf mit Gethön dass weit von goldenem Glanze der Äther leuchtete. Petrus erschien und sprach mit freundlichem Lächeln  : Habt ihr jetzt euch besonnen, ihr thörichten Kinder  ? So kommt denn. Johann Heinrich Voss  : Luise. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen, 1795, 1. Idyll. Johann Heinrich Voss, Werke, 3 Bde., Bd. 1, Berlin 1859.

196 Vgl. zur Mühlen 2010, S. 462–472. 197 Luther WA, Bd. 50, S. 192–254, vgl. dazu zur Mühlen 2010, S. 90, 114, 122, 174 f., 273, 382, insbesondere 405–407. Die Schmalkaldischen Artikel sind in modernen Schriftdeutsch u. a. in einer Taschenbuchausgabe erschienen  : Martin Luther, Glaube und Kirchenreform, bearb. von Helmar Junghans, Berlin 1984, S. 238–271.

Zentrum lutherischen Denkens ist das Evangelium mit seiner in Wort und Sakrament vermittelten Gnadenfülle. Wort und Sakrament sind konstitutiv für die christliche Gemeinde und damit heilsnotwendig, während alle übrigen liturgischen Formen und religiösen Praktiken als nicht heilsnotwendig zu den sogenannten Mitteldingen, den »Adiaphora«, gerechnet werden.196 In den Schmalkaldischen Artikeln von 1536 sind die unverzichtbaren Bestandteile des evangelischen Glaubens und des Gottesdienstes zusammengefasst  : das Evangelium, die Taufe und das Abendmahl mit Brot und Wein, Buße, sowie die Gemeindebildung, Gebet und das Heilthum des Kreuzes.197 Trotz solcher Festlegungen begann nicht erst nach Luthers Tod der Streit um die wahre Lehre. Philipp Melanchthon, Luthers engster Theologische Streitigkeiten  |  203

Mitarbeiter, war an allen wichtigen Lehrdiskussionen beteiligt. Nach Luthers Tod übernahm er die Führungsrolle im deutschen Protestantismus, vor allem als er, der um einen Ausgleich mit der römischen Kirche bemüht war, zwischen den eigenen Anhängern und den Verfechtern der reinen Lehre Luthers zu vermitteln suchte. Der Streit um Luthers theologisches Erbe setzte sich über Melanchthons Tod 1560 hinaus noch Jahrzehnte fort. Streitpunkte wie die Bedeutung der Erbsünde, der freie Wille oder die Frage, ob gute Werke notwendig sind, um das Heil zu erlangen, führten zu heftigen Auseinandersetzungen.198 Weitere Probleme ergaben sich, als nach dem Dreißigjährigen Krieg der Pietismus aufkam, eine Bewegung, die sich unter dem Eindruck der vorangegangenen Glaubenskämpfe einer Vertiefung des frommen Lebens verschrieb und eine Reform der lutherischen Orthodoxie verlangte. Ihr Begründer war Philipp Jacob Spener (1666–1714). Pietistische Zentren waren im 18. Jahrhundert Halle (Saale) mit August Hermann Francke und die Herrnhuter Brüdergemeine des Nikolaus Ludwig Graf Zinzendorf. Zu beiden unterhielt Leonhard Christoph Sturm enge Beziehungen. Anfangs verband den Pietismus manches mit den Zielen der Aufklärung, indem beide die Freiheit und Unabhängigkeit des Menschen von den Dogmen des Staates und der Kirche forderten und dabei in Gegensatz zur lutherischen Orthodoxie gerieten. Zwar blieb die Einheit von Wort und Sakrament innerhalb der evangelischen Kirche bestehen, jedoch wurde der Gottesdienst im strengen Luthertum immer stärker auf die Predigt ausgerichtet, sodass es zu einer Vernachlässigung der übrigen liturgischen Handlungen kam. Der Kirchenraum wurde zum Hörsaal, die Kanzel zum Katheder. Schon 1659 hatte der Prediger Johann Balthasar Schupp, ein Vorläufer Speners, geschrieben, er wolle, daß die Kirche achteckicht oder rund gebaut würde, wie ein Theatrum Anatonicum, und die Cantzel sollte in der Mitte stehen.199 Hatte Sturm noch von der Kreisform als Symbol des Ewigen gesprochen, so wurde der runde Kirchenraum bei Schupp zum stufenförmig ansteigenden, amphitheatralischen Hörsaal. Je mehr sich die Aufklärung einer vernunftbetonenden Lebensauffassung zuwandte, desto mehr wandte sich der Pietismus von deren Idealen ab. In Deutschland fand der sich auf Luther berufende Pietismus im 17. Jahrhundert in Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) einen ersten und gewichtigen Befürworter. Dessen aufklärerische Vorstellungen interpretierten die Frömmigkeit als Liebe und Hinneigung zu Gott, wodurch kleinliche Streitereien über die wahre Lehre, über Sakrament und Bußfertigkeit unnötig würden.200 Ein Jahrhundert später wurden diese Ideen zuerst von Gotthold Ephraim Lessing aufgegriffen, der in seinem Schauspiel »Nathan der Weise« Toleranz und die Gleichheit der Menschen ohne Rücksicht auf ihre Religion forderte. Lessing bemerkte, dass Luther zwar die religiöse Freiheit proklamiert habe, dessen Intoleranz 204  |  Theologische Streitigkeiten

198 Zur Mühlen 2010, S. 462–472. 199 Schupp, Salomo …, zit. nach Mai 1969, S. 153. 200 Zur Mühlen 2010, S. 475.

jedoch seine Bedeutung für die Aufklärung einschränke. An diesem Dilemma sei er selbst schuld, denn er betreibe mit der Bibel Abgötterei.201 Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant führte die Aufklärung zu ihrem Höhepunkt  : »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.« Er verlangte vom Menschen, den Mut zu haben, sich seines Verstandes zu bedienen. Die Gedanken der Aufklärung beeinflussten auch Theologie und Kirchenbau. So führten Rationalismus, Nützlichkeitsdenken und Betonung des Individuums zu einer Haltung gegen jedwede dogmatische Festlegung oder kirchliche Bevormundung. Stattdessen erstrebte man eine vernunftgemäße, »natürliche« Religion. Jesus erscheint als Weisheitslehrer, das Evangelium als Lehre von einer besseren Welt, der Mensch ist aufgrund seiner Vernunft in der Lage, die christliche Lehre zu beurteilen. In den evangelischen Kirchen geriet die Predigt zur Anweisung über die praktischen Dinge des Alltags. Die Aufklärungsliturgik führte so weit, dass man unter Berufung auf Römer 12,1 den Gottesdienst nur als vorläufige, bei fortgeschrittener Erkenntnis sich erübrigende Veranstaltung ansah.202 So verwundert es nicht, dass der Kirchenbesuch gegen Ende des 18. Jahrhunderts rapide zurückging. Diesem Verständnis von Gottesdienst entspricht die häufige Bezeichnung des Pfarrers als »Religionslehrer«, der Gottesdienstbesucher wird zum Zuhörer, manche Gesangbücher sprechen gar vom »Publikum«.203 Der Berliner Schriftsteller und Pädagoge Karl Spazier erklärte 1788, die Kirchen seien leer, der Gottesdienst langweilig und überflüssig.204 Der evangelische Theologe Christian Dassel gibt in seiner Schrift über den »Verfall des Religionscultus« von 1818 den Theologen der Aufklärung die Schuld am Desinteresse der Menschen gegenüber dem Gottesdienst  : Indem sie in ihren Kanzelvorträgen, bei Katechisationen, bei Beichte und heiligem Abendmahle den objectiven Werth des Cultus wegdocierten, […] schwächten sie die Motive zur Feier des heiligen Abendmahles, zur Beichte, zum Beten usw.205

201 202 203 204

Ebd., S. 475 f. Ehrensperger 1971, S.73. Graff 1939, S. 69 f. Alfred Ehrensperger hat in seiner Dissertation über den Gottesdienst im Zeitalter der Auf klärung zahlreiche Aussagen der Theologen, Schriftsteller und Philosophen zusammengestellt, die das zunehmende Desinteresse der Gottesdienstbesucher überzeugend belegen, Ehrensperger 1971, S. 85. 205 Dassel 1818, S. 181, zit. nach Ehrensperger 1971, S. 90.

Theologische Streitigkeiten  |  205

Eine neue Frömmigkeit

206 Vgl. Nowak 2001.

Die geschilderten Zustände konnten nicht ohne Widerspruch bleiben. 1799 verfasste der Berliner Pfarrer, Philosoph und Kirchenpolitiker Friedrich Schleiermacher (1768–1834) seine Schrift »Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern«. Schleiermacher, Sohn eines reformierten Predigers, wurde in herrnhutischer Frömmigkeit erzogen. Ab 1787 studierte er in Halle (Saale) Theologie. 1796 wurde er Prediger an der Charité in Berlin, war 1804–1807 Ordinarius in Halle und ging 1807 wieder nach Berlin, wo er ab 1809 als einflussreicher Prediger an der Dreifaltigkeitskirche und ein Jahr später als Professor an der neu gegründeten Universität wirkte. In seinen Schriften weist er die gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer häufiger vertretene These von der Überflüssigkeit des Gottesdienstes bei ausreichender Aufklärung des gläubigen Menschen entschieden zurück. Für Schleiermacher ist der christliche »Kultus« kein Instrument zur dogmatischen oder moralischen Belehrung. Von der Romantik der Gebrüder Schlegel, Ludwig Tiecks und Henriette Hertz’ angezogen, versteht er den Gottesdienst als gemeinsame festliche Veranstaltung, als religiöse Selbstdarstellung der Gemeinde. Gleichzeitig setzt Schleiermacher eine grundsätzlich vorhandene Religiosität des Menschen voraus. Folgerichtig betont er im Gegensatz zur Aufklärung die Unverzichtbarkeit des Gottesdienstes. Schleiermacher vermittelt zwischen den Zielen der Aufklärung und einer Rückkehr zur Frömmigkeit innerhalb der Romantik, indem er die Auffassung vertritt, der seine Vernunft gebrauchende, mündige Bürger erkenne gerade dadurch die zentrale Bedeutung des Christentums. Angesichts napoleonischer Besetzung und erstarkenden Nationalbewusstseins sieht Schleiermacher im Staat das herrlichste Werk menschlicher Gemeinschaft, und so verbinden sich in seinem Denken universalistisches Gedankengut und Nationalgedanke zu einer gesellschaftspolitischen Einheit unter dem Primat der Religion. In ihr suchte er anstatt der Morallehren der Aufklärer und ihres Deismus die Anschauung des Unendlichen, das heißt des Universums. Die Bejahung des Christentums und der Offenbarung führte zur Verfestigung der Religiosität und mit der gleichzeitigen Hinwendung zum Mittelalter unter einheitlicher Führung der Kirche letztlich auch zu Konversionen vom Luthertum zum Katholizismus, wie das Beispiel Friedrich Schlegels und anderer zeigt.206 Mit dem früh verstorbenen romantischen Dichter Novalis meldete sich ein Vertreter aus dem Kreis der Romantiker um Tieck und Schlegel zu Wort. Er sah in der Reformation wie im Rationalismus der Aufklärung eine Entleerung der mittelalterlichen Religiosität und die ZerstöEine neue Frömmigkeit  |  207

rung der christlichen Einheit. In seiner Schrift »Die Christenheit oder Europa« geht er so weit, die Reformation in Verbindung mit der Aufklärung für den Ausbruch der Französischen Revolution verantwortlich zu machen und nennt diese eine zweite Reformation. Sein Aufsatz beginnt mit den Worten  : Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte  ; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegendsten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. Ohne große weltliche Besitzthümer lenkte und vereinigte Ein Oberhaupt die großen politischen Kräfte. [… ] Mit der Reformation wars um die Christenheit gethan. Von nun an war keine mehr vorhanden. Katholiken und Protestanten [..] standen in sektiererischer Abgeschiedenheit weiter voneinander ab als von Mahomedanern und Heiden.207

Novalis’ Empörung erklärt sich nicht nur aus romantischer Sehnsucht nach der vermeintlich heilen Welt des Mittelalters, sondern auch aus der zeitgeschichtlichen Situation. Napoleon hatte 1798 den Kirchenstaat besetzt, Papst Pius VI. gefangen genommen und in der Zitadelle von Valence eingekerkert, wo er 1799 verstarb. Im gleichen Jahr hatte Novalis seinen Aufsatz »Die Christenheit oder Europa« verfasst. Die römische Kirche war also zu diesem Zeitpunkt ohne Führung. Nach weiterer Polemik gegen die Aufklärung fährt er fort  : »Das gemeine Volk wurde recht mit Vorliebe aufgeklärt und zu jenem gebildeten Enthusiasmus erzogen, und so entstand eine neue europäische Zunft  : die Philantropen und Aufklärer.« An anderer Stelle heißt es  : »[…] die Theophilantropie, dieser Mystizismus der neuern Aufklärung.« 208 Die Theophilantropen waren eine pseudoreligiöse Kultbewegung, die 1796 unter dem Direktorium in Paris gegründet worden war, nachdem die Revolution die katholische Kirche in Frankreich zerschlagen und deren Güter eingezogen hatte. Sie bildeten eine deistische Religionsgemeinschaft, für die Gottes- und Naturverehrung zusammenfielen. Vom Direktorium wurden ihr in Paris zehn Pfarrkirchen eingeräumt. Die Theophilantropie wird hier erwähnt, da sie sich in Übereinstimmung mit der protestantischen Lehre und der Moral der Republik sah. Ihre Mitglieder betrachteten sich als »Urchristen« und sahen Jesus als Begründer eines Glaubens mit gereinigtem Kult, ohne Priester, Bilder oder Heilige. Die Theophilantropen wurden allerdings vom französischen Staat nicht offiziell anerkannt und 1801 verboten. Immerhin hatte der Protestantismus auf diese Weise selbst die katholische Republik Frankreich erreicht. Novalis’ Hinweise auf die Theophilantropen sind in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Seine Abhandlung über Europa wurde im November 1799 in Jena den romantischen Freunden Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck vorgetragen, aber in Zusammenhang mit einer geplanten Veröffentlichung kontrovers diskutiert, weshalb man 208  |  Eine neue Frömmigkeit

207 Novalis 2001, S. 483. 208 Ebd., S. 494, 497.

Goethe als Vermittler anrief, der von einer Veröffentlichung abriet.209 Einige Monate zuvor hatte sich Goethe in einem Brief vom 31. Juli an Friedrich Schiller abfällig über die Theophilantropen geäußert.210 Eine Woche vor seinem Brief an Schiller, am 24. Juli, hatte er Novalis, Schlegel und Tieck als seine Gäste empfangen.211 Man kann mit Fug und Recht davon ausgehen, dass der Aufsatz von Novalis beherrschendes Thema des Gesprächs war. Ein Jahr später befand sich ein aus Koblenz stammender Architekturstudent namens Coudray, Abkomme französischer Vorfahren, in Paris. Coudray, selbst Katholik, schrieb über die Theophilantropen  : Zu Ostern stellte Napoleon den katholischen Cultus wieder her und die Theophilantropen, deren Gottesdienst mich angesprochen hatte, mussten die Kirchen räumen. Gemeint ist hier das Konkordat von 1801, das die Religionsfreiheit garantierte und damit den Frieden mit der katholischen Kirche sicherte und erheblich zur Beruhigung der Bevölkerung beitrug. Die Theophilantropen lösten sich nach 1802 allmählich auf, ihr Gedankengut verbreitete sich aber noch mehrere Jahre in Europa. 1806 erschien eine »Geschichte des Theophilantropismus von seinem Ursprunge bis zu seiner Erlöschung«, aus dem Französischen von Henri Grégoire.212 1813 folgte eine englische Ausgabe. Die Warnungen von Novalis vor den Theophilantropen waren also nicht unberechtigt und beschäftigten noch einige Jahre die Gemüter. Der erwähnte Architekt Clemens Wenzeslaus Coudray, der von 1800 bis 1804 in Paris lebte, war ab 1816 als Oberbaudirektor im Weimar Goethes geschätzter Berater in allen Fragen der Architektur und ihrer Geschichte. In Goethe hatte er einen Befürworter seiner pantheistischen Religionsauffassung gefunden. So konnte er ohne religiöse Bedenken die Anforderungen des evangelischen Kirchenbaus akzeptieren und in Thüringen über 20 Jahre protestantische Kirchen errichten.

209 Alt 2004, Bd. 1. S. 649–654. 210 Brief Goethes an Schiller vom 31.7.1799, in  : Goethe Werke, MA, Bd. 8.1, S. 729. 211 Brief Goethes an Schiller vom 24.7.1799, in  : ebd., S. 726. 212 Gregoire 1797/98.

Eine neue Frömmigkeit  |  209

Neugotik als Kirchenstil

Abb. 180  Spätgotische Nikolai-Kirche in Leipzig, Umbau 1783–1797 durch Johann Carl Friedrich Dauthe.

Obwohl es im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts durch die Romantik und die Freiheitskriege mit ihren Zielen einer nationalen Einigung sowie einer starken Hinwendung auf das Mittelalter auch zu einer vertieften Frömmigkeit kam, blieben neue Kirchenbauten davon weitgehend unberührt. Die Leipziger Nikolaikirche mit ihren Palmenkapitellen gehört eher in den Bereich des am Ende des 18. Jahrhunderts modischen Exotismus als zur Rezeptionsgeschichte gotischer Bauten. Gleichzeitig handelt es sich um ein frühes Beispiel klassizistischer Architekturtheorie, die versucht, im Sinne des französischen Jesuitenpaters und Literaten Marc-Antoine Laugier (1713–1769) die Gotik aus einem Palmenhain abzuleiten. Vor allem aber soll der gotische Charakter der Nikolaikirche überspielt werden, wie es auch die ägyptisierenden Kapitelle zeigen. »Gotischer« zeigt sich der von Carl Gotthard Langhans 1790 geschaffene Turmaufsatz der Berliner Marienkirche. Während es im Profanbau seit der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts »gotische« Bauten gibt, wie etwa das Gotische Haus in Wörlitz oder die Löwenburg in Kassel, sind neugotische Kirchen vor 1850 eher selten. Eine beachtliche und wohl auch folgenreiche Ausnahme bilden die durch Fürst Leopold Friedrich Franz (1740–1817) um 1800 initiierten neugotischen Kirchen im Dessau-Wörlitzer Gebiet. Das Fürstentum Anhalt, an den Ufern von Elbe und Mulde gelegen, war seit dem Mittelalter in zahlreiche kleine Fürstentümer geteilt. Ende des 15. Jahrhunderts entstand die Köthener Linie, die bereits 1522 die Reformation einführte, 1534 folgte die Dessauer Linie. Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau ließ ab 1765 in Wörlitz neben dem frühklassizistischen Schloss den ersten großen Park im englischen Stil anlegen. Der Fürst zeichnete sich vor allem durch seine Begeisterung für England aus, das er als seine zweite Heimat betrachtete. Seine Vorliebe bezog sich in der Architektur auf das englische Mittelalter und den englischen Palladianismus. Dreimal reiste er für längere Zeit nach England  : 1763, 1766/67 und 1775, zweimal begleitete ihn sein Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800). Ursprünglich sollte das Wörlitzer Schloss im gotischen Stil erbaut werden, wovon ihn Erdmannsdorff aber abbrachte. Das nach dem Vorbild von Claremont errichtete Schloss enthält unter anderem einen sogenannten Kirchensaal mit Darstellungen gotischer Kathedralen, darunter Westminster Abbey, die Kathedralen von Lincoln und York sowie die Ruine von Fountain Abbey. Seine Vorliebe für die Gotik erfüllte er sich ab 1773 durch den Bau des Gotischen Hauses im Park von Wörlitz. Friedrich Franz orientierte Neugotik als Kirchenstil  |  211

sich nicht nur an englischen Bauten der Gotik, sondern vereinzelt auch an zeitgenössischen Bauten wie dem neugotischen Landsitz des exzentrischen Schriftstellers Horace Walpole, Strawberry Hill, der sich während seines ersten Englandaufenthalts gerade im Bau befand. Er kannte Walpoles Schauerroman »The Castle of Otranto«. Der Roman war außerordentlich populär, 1765 erschien die deutsche Erstausgabe. Während seiner Englandreise führte er Lawrence Sternes skurrilen Roman »Tristam Shandy« als Reiselektüre mit sich. Er war mit Carl August von Sachsen-Weimar befreundet, der ihn in Begleitung Goethes mehrmals in Wörlitz besuchte. Bei der Anlage des Weimarer Parks nahm Goethe zahlreiche Anregungen aus dem bewunderten Wörlitzer Park auf. In einem Gespräch lobte Friedrich Franz den Weimarer Dichter als Kunstkenner, fügte aber einschränkend hinzu  :

Abb. 181  Wörlitz, Sankt Petri, 1809.

Nur, was die gothische Baukunst betrifft und die schöne Gartenkunst anlangt, da mußte er mir den Preis zugestehen und vor mir die Segel streichen. Er hatte ja England nicht gesehen.213

213 Günther 1996, S. 154.

212  |  Neugotik als Kirchenstil

Abb. 182  Wörlitz, Sankt Petri, Außenansicht von der Chorseite.

Kirchen im Gartenreich Wörlitz

Angesichts der Neigungen des Fürsten war es nur folgerichtig, dass um 1800 in und um Wörlitz mehrere mittelalterliche Kirchen umgebaut oder erweitert wurden und dass neue Kirchen im gotischen Stil entstanden. Wörlitz, Sankt Petri

In Wörlitz selbst war es die 1200 geweihte Kirche Sankt Petri, die Fürst Franz 1805–1809 als Backsteinbau erweitern und im neugotischen Stil ausstatten ließ (vgl. Abb. 189–191). Allein das Material Backstein oder der Turm mit seinen Fialen an den scharf ausgebildeten Ecken verweiKirchen im Gartenreich Wörlitz  |  213

Abb. 183  Wörlitz, Sankt Petri, Blick auf die Orgel.

sen auf die englische Architektur – Merkmale auch anderer Kirchen im »Gartenreich Wörlitz«. Der Innenraum wird von einer weiß gefassten Tonne überwölbt, in die sechs Fenster oberhalb der hölzernen Emporen eingelassen sind. Die Emporen umziehen auch die Querhausarme der Kirche. Die hölzerne Kanzel ruht auf einer Säule an der Nordseite des Chorbogens. Der Ostchor wird von der Fürstenloge ausgefüllt.

214  |  Neugotik als Kirchenstil

Abb. 184  Riesigk, Dorfkirche, 1800.

Riesigk, Dorfkirche

214 Dauer 2000, S. 96–101.

Die von Leopold Friedrich Franz initiierten neugotischen Sakralbauten nahmen bereits 1797 mit der Planung zur Riesigker Kirche ihren Anfang. Architekt war Georg Christoph Hesekiel (1732–1818). Die rechteckige Dorfkirche wurde 1798–1800 als Backsteinbau errichtet und erhielt an der Eingangsseite einen Turm über quadratischem Grundriss mit hoch aufragender Spitze und charakteristischen Fialen. Der Innenraum überrascht durch hölzerne, naturbelassene Emporen und eine flache Holzdecke. Der Ort Riesigk war im 13.  Jahrhundert durch holländische Kolonisten gegründet worden, die aus Rijswijck bei Den Haag kamen. Von daher bestanden schon früh Beziehungen zu den Niederlanden. Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (reg. 1660–1693) heiratete Henriette Katharina aus dem Hause Oranien, was mit dazu beitrug, dass das gesamte anhaltinische Haus reformiert wurde. Die Oranierin hatte 1683 Oranienbaum nahe Wörlitz als ihren Sommersitz gegründet und den Ort durch einen holländischen Architekten ausbauen lassen. 1707–1712 wurde in Oranienbaum die reformierte Stadtkirche als ovaler Zentralbau errichtet. Der Altar ist gegenüber dem Chor, die Kanzel seitlich angeordnet.214 Kirchen im Gartenreich Wörlitz  |  215

Die neugotischen Kirchen in Wörlitz und Umgebung liegen keine zwanzig Kilometer von Wittenberg entfernt und nehmen schon deshalb im protestantischen Gebiet von Sachsen und Anhalt eine Sonderstellung ein. Historisch und religionsgeschichtlich sind diese Kirchen im gotischen Stil jedoch in sich widersprüchlich  : Die Gotik betrifft ein vorreformatorisches Zeitalter, in dem Heilige und Reliquien der katholischen Kirche verehrt wurden. Man mag den neugotischen Stil dadurch rechtfertigen, dass die Romantiker unter Hinweis auf den Kölner Dom und das Straßburger Münster die Gotik als deutschen Nationalstil ansahen. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau aber orientierte sich nicht nur an englischen Bauten der Gotik, sondern eben auch an Horace Walpole und dessen pseudogotischem Landsitz Strawberry Hill.215 Walpoles Gothic Novel »The Castle of Otranto«, Ann Radcliffes »Der Italiäner oder der Beichtstuhl der schwarzen Büßermönche« oder Matthew Lewis’ »The Monk« als Antwort auf Ann Radcliffes Roman waren auch in Deutschland populär und dem Fürsten geläufig. So gesehen ist seine Einstellung noch ganz dem ausgehenden 18. Jahrhundert verhaftet. Die auf seine Initiative errichteten neugotischen Kirchen dürften also eher auf sein romantisches Gemüt und auf seine Anglomanie zurückgehen als auf den Versuch, protestantische Tugenden oder gar liturgische Traditionen im Kirchenbau zu verwirklichen. Dennoch muss festgehalten werden, dass man in den genannten Kirchen durchgängig auf den vorher so geschätzten Kanzelaltar verzichtete, dem Altar den Vorzug vor der Kanzel gab und entsprechend dem reformierten Glauben auf prächtige Ausstattungen verzichtete. Man kann sagen, dass die Kirchen im Wörlitzer Gebiet den bald folgenden Agenden des preußischen Königs den Weg bereiteten und so einen gewichtigen Beitrag zum evangelischen Kirchenbau des 19. Jahrhunderts leisteten. Nach dem Ende der napoleonischen Kriege und unter dem Einfluss der Romantiker, vor allem der Brüder Boisserée, sowie der Entdeckung der Kölner Domrisse und dessen Weiterbau gestaltete sich die Situation für Kirchenbau und Gottesdienst grundsätzlich hoffnungsvoll. Kirche und Gesellschaft waren aber auch bereit, die Form des Gottesdienstes und die Ausgestaltung der Kirchenräume kritisch zu überprüfen. Auch der Kirchenbau und die Kirchenausstattung gehören zu den Adiaphora. Zu den grundlegenden Ausstattungsstücken einer Kirche gehören Altar, Kanzel, Taufstein, Beichtstuhl und Orgel. Mit der Kritik am Gottesdienst, besonders an den Predigten, rückte auch der Kanzelaltar in deren Blickfeld. 1817 nutzte ein aus Breslau stammender Gelehrter bei einem Besuch in Quedlinburg die Gelegenheit, die dortige Kirche Sankt Blasii gründlich zu kritisieren. Er beschreibt kurz die Kirche, insbesondere den Predigtstuhl über dem Altare, eine Bauart, welche […] aufs Baldigste zu verbannen wäre, und fährt dann fort  : da wir evangelischen Christen gerade das heilige Abendmahl in seiner ganzen Würde in seiner frühesten Ein216  |  Neugotik als Kirchenstil

215 Günther 1996, S. 152–154.

setzungsart genießen, sei die Anbringung einer Kanzel über dem Altar nicht hinnehmbar. Ein Predigtstuhl darüber ist immer […] ein widerlicher Anblick, auch in Kunsthinsicht, so wie stets der Predigtstuhl die Kirche mehr verunstaltet als ziert.216 Hier wird die Würde des Altars durch die nahe Anbringung der Kanzel in Frage gestellt. Bezeichnenderweise kam die Kritik von einem aus Preußen kommenden Reisenden. Der 1796 zur Regierung gelangte preußische König Friedrich Wilhelm III. war stets für eine Trennung von Kanzel und Altar eingetreten, was er 1816 und 1822 in entsprechenden Agenden verkünden ließ.217 Mit der Agenda von 1822 begann in den protestantischen deutschen Staaten die allmähliche Rückkehr zu den gottesdienstlichen Regeln der Reformationszeit.

216 Mai 1969, S. 171 f. 217 Zu der 1816 anonym erschienenen Agenda Friedrich Wilhelms III. und den Agenden von 1822 und 1829 vgl. Grethlein 1991, S. 64–68 und Herbst 1968.

Kirchen im Gartenreich Wörlitz  |  217

Der Berliner Kirchenstreit zwischen Karl Friedrich Schinkel und Louis Catel

Abb. 185  Karl Friedrich Schinkel, Entwurf für die Berliner Petrikirche, 1810. Foto SMPK Berlin.

Bereits 1810 hatte Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) anlässlich des geplanten Wiederauf baus der abgebrannten Berliner Petrikirche den Kanzelaltar heftig kritisiert. Die Kirchenbauten Schinkels und der Berliner Bauschule können hier nicht weiter berücksichtigt werden, da sich jedoch an die Wiederauf baupläne für die Petrikirche ein langwieriger und grundlegender Streit zwischen Schinkel und seinem Konkurrenten Louis Catel (1776–1819) anschloss, soll dieser hier erörtert werden. Schinkel war 1810 der Oberbaubehörde als Assessor zugeteilt worden und ergriff die Gelegenheit, den ersten Kirchenentwurf seiner Lauf bahn vorzustellen.218 Unter Berufung auf die Peterskirche in Rom legte er einen Entwurf zu einem Kuppelbau mit durchfenstertem, hohen Tambour vor. Der Grundriss eines griechischen Kreuzes zeigt drei halbrund abgeschlossene Kreuzarme, während der dem Eingang gegenüberliegende Arm stark verkürzt und gerade abgeschlossen ist. In diesem kurzen Chor steht der Kanzelauf bau, der Altar ist frei unter der Kuppel aufgestellt (vgl. Abb. 185). Beiden widmet Schinkel seine besondere Aufmerksamkeit. Der Hochaltar steht im Mittelpunkt und wird mit einem aus höchster Gewölbehöhe herabhängenden Baldachin bedeckt. Mehrere Stufen führen hinauf vor den Tisch. […] Die Kanzel ist abgesondert an demjenigen Ort der Kirche angebracht, wo sie den gewissermaßen in drei Auditorien geteilten Raum der Kirche am besten beherrscht. Kanzel und Altartisch zu vereinigen, scheint aus mehreren Gründen ein Missgriff  : 1. wird gewöhnlich der Tisch des Herrn dadurch zu einem Fußgestell des Kanzelbaus herabgewürdigt.

Der Berliner Kirchenstreit zwischen Karl Friedrich Schinkel und Louis Catel  |  219

Abb. 186  Louis Catel, Über die Theorie des protestantischen Kirchenbaus, Berlin 1815.

2. gibt die Vereinigung zweier ihrem Charakter nach ganz verschiedener Teile einer Kirche ein dürftiges Aussehen[…].

Schinkel fällt hier eine polemisches, ja vernichtendes Urteil über den seit über zwei Jahrhunderten den Kirchenraum beherrschenden Kanzelaltar. Er veröffentlichte seine Entwürfe 1811 und schrieb in seinem Erläuterungstext  : Ob überhaupt die protestantische Kirche eine durchaus eigentümliche Form annehmen könne und etwa, wie man seit einiger Zeit und größtenteils noch jetzt zu glauben geneigt ist, den Charakter eines Hörsaals für moralische Vorlesungen erhalten müsse  ? 219

Catel legte 1814 zur Herbstausstellung der Berliner Akademie einen Gegenentwurf vor und veröffentlichte 1815 seine Schrift »Theorie der Bauart protestantischer Kirchen«. Auch er legte einen Zentralbauentwurf vor, in dem die Kanzel vor einem hoch aufragenden Retabelaltar mit flankierenden Säulen und Giebel angeordnet ist (vgl. Abb. 187). Da die Kanzel dicht vor dem Altar steht, wirken beide als zusammenhängende Einheit, was den Widerspruch Schinkels hervorrief. Catels Plan sei keck und unter aller Kritik. Catel hatte unter anderem erklärt, sein Bau sei zwar kein achtes Weltwunder, aber gut genug, um ein Denkmal der Zeit zu sein, weil dieselbe […] kein besseres wert sei.220 220  |  Der Berliner Kirchenstreit zwischenKarl Friedrich Schinkel und Louis Catel

Abb. 187  Louis Catel, Entwurf zur Petri­ kirche, 1814.

218 Rave 1941, S. 167–186. 219 Ebd., S. 175 f. 220 Ebd., S. 178.

Abb. 188  Karl Friedrich Schinkel, Gotischer Entwurf zur Petrikirche, 1814.

1815 legte Schinkel einen neugotischen Entwurf vor, dessen Innenraum an gotische Hallenkirchen erinnert. Am Ende des Kirchenschiffs wird die abschließende Chorwand von einem die gesamte Wandbreite einnehmenden Chor mit Altar und mehreren gotischen Giebeln, Fialen und Verstrebungen ausgefüllt, zu dem eine breite Treppe hinaufführt. Am Fuß dieser Treppe steht in der Mittelachse die Kanzel. Weder Schinkels noch Catels Entwurf wurde ausgeführt. Die Schrift Catels war jedoch von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Seine Darstellung zielte auf die von Friedrich Wilhelm  III. geplante Vereinigung von Lutheranern und Reformierten zu einer Union  : Der Berliner Kirchenstreit zwischenKarl Friedrich Schinkel und Louis Catel   |  221

Abb. 189  Karl Friedrich Schinkel, Entwurf zu Kanzel und Altar für den Neubau des Berliner Domes, um 1817.

Ohne die Freiheit der Vernunft und den Ahnungen des Gemüths Gewalt anzuthun, soll das Ritual nichts anderes bezwecken, als ein äußeres Band der Religiosität der christlich-protestantischen Gemeinden zu sein, den religiösen Sinn durch gemeinsame Verehrung des göttlichen Wesens zu steigern, wozu, wie bei jeder gesellschaftlichen Verbindung eine äußere Form erfordert wird, die Theile zu einem Ganzen zu vereinigen.221

Offenbar widersprach Catels in der Aufklärung wurzelnder Rationalismus den Vorstellungen Schinkels von einer christlichen Kirche, die er eher in einer romantisch-neugotischen Architektur verwirklicht sah. Catels Verdienst ist es, dass hier erstmals ein Architekt die Disposition des Kirchenraums konsequent vom Ablauf der Liturgie her reflektiert. Eine andere Berliner Kirche muss noch kurz erwähnt werden. In Zusammenhang mit dem Umbau des Berliner Doms am Lustgarten hatte Schinkel zwischen 1817 und 1821 mehrere Entwürfe für eine Kanzel mit erhöht dahinter stehendem Altar vorgelegt, die aber den Widerspruch des Königs hervorriefen. In einer 1822 erlassenen Agenda hieß es unmissverständlich,

222  |  Der Berliner Kirchenstreit zwischenKarl Friedrich Schinkel und Louis Catel

221 Catel 1815, S. 63.

Abb. 190  Karl Friedrich Schinkel, Entwurf zur Friedrichwerderschen Kirche, 1822.

222 Anordnung des Ministeriums der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, »die Errichtung der Altäre und Kanzeln in den Kirchen betreffend«. Zit. nach Mai 1969, S. 172, Anm. 14, S. 239. 223 Goethe an Zelter am 17. April 1815, in  : Goethe Werke MA 20,1, S. 371.

dass die alte Anordnung des Innern der Kirchen, nach welcher der Altar nach dem einen Ende der Kirche, gegen Morgen gestellt ist, unverändert beibehalten, und bei jedem Neubau einer Kirche diese Anordnung stets beachtet werden soll.222

Schinkel hat dem Rechnung getragen und in seinem Entwurf für einen Neubau die Kanzel unterhalb des Altars angeordnet. Schinkel hat bei seinen Entwürfen für die Friedrichwerdersche Kirche, für Berliner Vorortkirchen und für die vom König geforderten »Normalkirchen« stets darauf geachtet, den Altartisch isoliert aufzustellen. Auf Grund seiner Vorliebe für strenge Symmetrie wurde gegenüber der seitlich angebrachten Kanzel häufig ein in ähnlicher Weise gestalteter Taufstein platziert. Bei kleinen Dorfkirchen sah sich Schinkel aber aus Platzmangel gezwungen, die Kanzel oberhalb des Altars anzubringen, doch musste laut Kabinettsordre zwischen beiden ein Durchgang gelassen werden. Im thüringischen Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach stand man der preußischen Agenda eher reserviert gegenüber. Goethe unterhielt ziemlich engen Kontakt zu Schinkel, der ihn zweimal in Weimar besuchte. Schinkels Sammlung architektonischer Entwürfe befindet sich in Goethes Bibliothek. Catel hatte noch im Frühjahr 1815 seine Schrift über den protestantischen Kirchenbau über Goethes Duzfreund, den Komponisten Carl Friedrich Zelter (1758–1832), nach Weimar gesandt. Goethe reagierte mäßig interessiert  : Das Catelsche Heft will ich gelegentlich durchsehen.223 Der Berliner Kirchenstreit zwischenKarl Friedrich Schinkel und Louis Catel   |  223

Abb. 191  Berlin, Friedrichwerdersche ­Kirche, erbaut 1824–1830.

Als Goethe Catels Schrift erhielt, bemühte er sich gerade mit Hilfe Frankfurter und Hanauer Freunde, den fuldischen Hofarchitekten Clemens Wenzeslaus Coudray (1775–1845) für Weimar zu gewinnen. Zur gleichen Zeit unterhielt er Kontakte zum Darmstädter Architekten Georg Moller (1784–1852) und zu den Gebrüdern Boisserée, deren Pläne zum Fortbau des Kölner Domes ihn längere Zeit beschäftigten, und die unterschiedlichen Auffassungen protestantischer und katholischer »Kunstfreunde« waren ihm mehr als geläufig. Zu einer Begeisterung für das Mittelalter und zur Hinwendung zu einem gotischen Nationalstil konnte man ihn aber nicht bewegen. Allerdings finden sich im ersten Drittel des 19.  Jahrhunderts in mittelalterlichen Kirchen neugotische Ausstattungen, so zum Beispiel in der nahe Altenburg gelegenen Pfarrkirche Sankt  Trinitatis in Windischleuba, einer spätgotischen Kirche. Diese erhielt 1820 eine neugotische, zum Stil der Kirche »passende« Ausstattung.224 Weitere wichtige Beispiele für frühe neugotische Kirchen  : die Friedrichwerdersche Kirche in Berlin von Karl Friedrich Schinkel (erb. 1824– 1830), die katholische Mariahilfkirche in München (erb. 1831–1839), beides Backsteinbauten, oder die 1839–1857 erbaute Apollinariskirche des Kölner Dombaumeisters Ernst Friedrich Zwirner (1802–1861) in Remagen. 1840 erschien Friedrich Hoffstadts »Gothisches A-B-C-Buch, das ist  : Grundregeln des gothischen Styls für Künstler und Werkleute«, eine Art Musterbuch als allgemeine Anleitung für die neue Stilrichtung. 224  |  Der Berliner Kirchenstreit zwischenKarl Friedrich Schinkel und Louis Catel

224 Mai 1969, S. 99, Abb. 260 f.

Erst nach der Jahrhundertmitte wurde die Neugotik für den Kirchenbau geradezu obligatorisch und galt als förmlicher Kirchenstil. Mit der Rückwendung auf die Zeit vor der Reformation wuchs der Widerstand gegen die Kanzelaltäre in den evangelischen Kirchen.

Der Berliner Kirchenstreit zwischenKarl Friedrich Schinkel und Louis Catel   |  225

Klassizistische Kanzelaltäre in Thüringen und Sachsen

Abb. 192  Leonhard Sturm, Querschnitt durch eine Emporenkirche mit Kanzelaltar, 1718.

Abb. 193  Zeulenroda, Kanzelaltar, 1820.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird der schlichte dreiachsige Kanzel­ altar mit seitlichen Fenstern oder Durchgängen zur Sakristei fast die Regel. Um 1790 finden sich beispielsweise in Stödten bei Sömmerda, in Udestedt und Azmannsdorf (Stadt Erfurt) nahezu wandfüllende mehrgeschossige Kanzelaltäre. 1818–1820 entsteht in Zeulenroda ein derartiger Kanzelaltar, der, durch Säulen hervorgehoben, fast die gesamte Wand ausfüllt und eindeutig auf Goldmanns und Sturms »Vollständige Anweisung alle Art von Kirchen wohl anzugehen […]« von 1718 zurückgeht. Die Entwicklung ging vom westlichen Thüringen aus, erfasste aber bald ganz Mitteldeutschland. Es sind meistens Portikusaltäre, die von Säulen oder PiKlassizistische Kanzelaltäre in Thüringen und Sachsen  |  227

Abb. 195  Udestedt, Pfarrkirche Sankt ­Kilian, Ende 16. Jahrhundert, Innenraum um 1810, im Innern 1928 stark verändert, historische Aufnahme.

Abb. 194  Azmannsdorf bei Erfurt, Pfarrkir­ che, um 1790, Foto Pfarramt Azmannsdorf.

lastern gerahmt werden und unterschiedliche Giebel tragen. Oft führen zu beiden Seiten des Kanzelaltars Durchgänge zu dahinter liegenden Räumen, meistens einer Sakristei. Gerade in kleineren Kirchen nimmt der architektonisch aufgebaute Kanzelaltar die gesamte Wand ein, sodass man förmlich von einer Altarwand sprechen kann. 1808 veröffentlicht der Göttinger Baumeister Georg Borheck (1751– 1834) in seiner Publikation über Landkirchen den Entwurf eines dreiachsigen Portikus-Kanzelaltars, mit Durchgängen an beiden Seiten. In seiner Abhandlung schreibt Borheck  : In protestantischen Kirchen hat man schon lange auf eine sehr zweckmäßige Art mit dem Altar die Kanzel vereinigt.225 In einer 1821 veröffentlichten Schrift heißt es, eine Kirche müsse geräumig und hell sowie zweckmäßig eingerichtet sein. Einfach und edel sey das Gebäude, in welchem eine Religion gepredigt wird, die sich durch edle 228  |  Klassizistische Kanzelaltäre in Thüringen und Sachsen

225 Borheck 1808, unpaginiert.

Abb. 196  Georg Borheck, Entwurf zu einem Kanzelaltar, 1808.

Abb. 197  Königstein, Stadtkirche.

Simplizität auszeichnet.226 Die berühmten Worte Johann Joachim Winckelmanns werden hier in Hinsicht auf die »Zweckmäßigkeit« eines Gebäudes auf protestantische Kirchen des Klassizismus übertragen. Ein monumentaler, geradezu wuchtiger Kanzelaltar aus Sandstein entstand gegen 1828 in der Stadtkirche im sächsischen Königstein südwestlich von Pirna. Die Kirche selbst wurde nach mehreren Vorgängerbauten 1720–1724 errichtet, brannte jedoch 1810 bis auf die Umfassungsmauern aus. Die Wiederherstellung unter Beibehaltung der Außenmauern und des Turms erfolgte bis 1828. Die Kanzelwand in Form eines römischen Portikus dominiert den Raum derart, dass der Altartisch kaum zur Geltung kommt.

226 Mohn 1821, S. 55.

Klassizistische Kanzelaltäre in Thüringen und Sachsen  |  229

Eine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817

227 Vgl. Büttner 1995, S. 456–467. – Osterkamp 1999, S. 449–458. – Frölich/ Sperlich 1959, S. 51–73  ; Scheurmann 2005, S. 88–93.

Nach dem Wiener Kongress von 1815 und der Erhebung Sachsen-Weimars zum Großherzogtum wurden durch die Weimarer Oberbaubehörde über mehr als zwei Jahrzehnte evangelische Kirchen in Thüringen errichtet. In Weimar selbst hatten sich kurz nach Luthers Thesenanschlag Hofprediger, vereinzelt aber auch Franziskanermönche für die Reformation ausgesprochen. Sie wurden von dem hier residierenden Bruder des Kurfürsten Friedrich des Weisen, Herzog Johann, unterstützt, sodass bereits 1525 die Reformation offiziell eingeführt wurde. Alle geistlichen Güter gingen in die Verwaltung des Stadtrats über, wodurch die materielle Grundlage für das neue Kirchenwesen geschaffen wurde. Weimar wurde zu einer protestantischen Stadt und nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg 1547, der Gefangennahme des Kurfürsten und seiner 1552 erfolgten Freilassung schließlich auch Regierungssitz des neuen Herzogtums Sachsen-Weimar. 1816 wurde auf Betreiben Goethes der katholische Architekt Georg Wenzeslaus Coudray aus Fulda als Oberbaudirektor nach Weimar berufen. Weimar war und blieb eine Bastion des Protestantismus, als sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Brüder Boisserée bemühten, den Übervater der Weimarer Klassik für das katholische Mittelalter und die Ziele der Romantiker zu begeistern. In die Zeit, als Coudray 1816 von Fulda nach Weimar wechselte, fällt auch Goethes wechselvolle Auseinandersetzung mit der altdeutschen Kunst, die sich in der 1816 erschienenen Schrift »Ueber Kunst und Alterthum in den Rhein und Mayn Gegenden« niederschlug und Coudray in diese Auseinandersetzung einbezog. Äußerer Anlass für diese intensive Beschäftigung waren neben anderem die 1814 und 1815 unternommenen Reisen an Rhein, Main und Neckar. Vorausgegangen waren die Begegnungen mit den Brüdern Sulpiz (1783– 1854) und Melchior Boisserée (1786–1851), deren Heidelberger Sammlung altdeutscher Gemälde Goethe tief beeindruckt hatte. Insbesondere Sulpiz Boisserée versuchte mit viel Einfühlungsvermögen, Goethe für die Geschichte der mittelalterlichen deutschen Baukunst zu interessieren, was ihm auch weitgehend gelang. Wichtigstes Bindeglied war der unvollendete Kölner Dom, dessen mittelalterlichen Fassadenriss der Darmstädter Architekt Georg Moller 1814 entdeckt hatte.227 Auf der Reise zu den Brüdern Boisserée nach Heidelberg hatte Goe­ the im Oktober 1814 in Darmstadt Georg Moller besucht. Im Januar 1818 sandte Moller einen nach der mittelalterlichen Zeichnung angefertigten Kupferstich der Domfassade in der Größe des Originals an Goethe. Dieser veranlasste Coudray, nach dem Fac simile einen illumiEine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817  |  231

nirten Riss anzufertigen, um damit für den Dombau zu werben und ein größeres Publikum zu gewinnen. Coudrays aquarellierte Ansicht der gesamten Domfassade hat eine Höhe von 4,25  Meter bei einer Breite von 0,96 Meter. Unter dem Eindruck des neuen Interesses für das deutsche Mittelalter wandte sich Goethe gemeinsam mit seinem Schwager Christian Vulpius (1762–1827) den zahlreichen mittelalterlichen Kirchen in der Umgebung Weimars zu, deren Ausstattungsgegenstände – Bilder, Skulpturen und Flügelaltäre  – zwar größtenteils erhalten waren, aber in den nun schon lange evangelischen Kirchen nicht mehr gebraucht wurden. 1816 brachte Vulpius zwei prächtige Altarflügel des späten 15. Jahrhunderts aus der Dorfkirche von Heilsberg nördlich von Rudolstadt in die Großherzogliche Bibliothek in Weimar und veröffentlichte sie 1817 in seiner Zeitschrift »Curiositäten«.228 Es war der Beginn der heutigen Sammlung mittelalterlicher Kunst im Weimarer Schloss – eine Spätfolge der Reformation sozusagen. 1829 nennt das Inventar der Bibliothek bereits acht Flügelaltäre und Fragmente.229 Das Jahr 1816 brachte aber nicht nur die intensive Beschäftigung mit Ausstattungsgegenständen vorreformatorischer Kirchen, sondern auch die Vorbereitungen auf die 300-Jahr-Feier der Reformation in Weimar. Dass sich Goethes Einstellung zum Christentum und auch zu Luther Zeit seines Lebens schwierig gestaltete, ist kaum verwunderlich. In der Jugend stand der lutherisch erzogene Goethe der Religion skeptisch bis ablehnend gegenüber. Im Rückblick geriet selbst der Religionsunterricht in die Kritik. Der kirchliche Protestantismus sei doch nur eine Art von trockener Moral gewesen.230 Goethes Sicht auf Religion und Christentum war historisch und nicht theologisch begründet. Angeregt durch Gottfried Arnolds »Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie« von 1699  – ein vierbändiges Werk, das er in der Bibliothek seines Vaters fand – beurteilte er das Luthertum seiner Zeit kritisch. Obwohl er Luther als Persönlichkeit schätzte und insbesondere seine Bibelübersetzung bewunderte, distanzierte er sich energisch von dessen Teufelsglauben.231 Im Laufe der Jahre wird seine Einstellung zum Protestantismus allerdings etwas ausgewogener. Goethe sah in der Kirche eine den Menschen durch Liebe und das Evangelium beschützende Einrichtung. »Ein protestantischer Landgeistlicher ist vielleicht der schönste Gegenstand einer modernen Idylle  ; er erscheint, wie Melchisedech, als Priester und König in einer Person.« 232 Hier schimmert der Roman »Der Pfarrer von Wakefield« von Oliver Goldsmith ebenso durch wie »Luise. Ein ländliches Gedicht in drey Idyllen« von Johann Heinrich Voss – beides Werke, die Goethe bewunderte. Ähnlich formuliert er 1797 in »Hermann und Dorothea«  : Heiter sagte darauf der treffliche Pfarrer, und milde  : Haltet am Glauben fest, und fest an dieser Gesinnung  ; […] Möge doch auch, wenn das Fest das lang’ erwünschte, gefeiert

232  |  Eine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817

Abb. 198  C. W. Coudray, Kolorierter Kölner Domriss, 1819.

228 Vulpius 1817. Vgl. auch Hoffmann 1982. 229 Ebd., Kat. Nr. 49–51, 53–57. 230 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Erster Theil, 1. Buch  ; in  : Goethes Werke, WA I, 26, S. 62. Vgl. auch Goethes längere Auslassungen über Religion und die Zersplitterung der protestantischen Gemeinden, in  : Goethes Werke, WA I, 27, S. 118–127, und Goethe Werke, MA 16, S. 47 und 311–318, nebst den Kommentaren. 231 Vgl. Goethe Handbuch 1996 zu den Begriffen Luther, Reformation, Katholizismus und Protestantismus, in den einzelnen Artikeln weiterführende Literatur. 232 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Zweiter Teil, 10. Buch  ; in Goethes Werke, WA I, 27, S. 341.

Wird, in unserer Kirche, die Glocke dann tönt zu der Orgel, Und die Trompete schmettert, das hohe Te Deum begleitend […].233

1807 formuliert er in seinem Tagebuch in einer knappen Notiz »Über die Differenz der katholischen und protestantischen Religion« eine Auffassung, die vom Denken der Aufklärung geprägt ist  : Es kommt darauf an, dass sich der Mensch immerfort an seine drey idealen Forderungen  : Gott, Unsterblichkeit, Tugend erinnert und sie ihm möglichst garantiert werden. Der Protestantismus hält sich an die moralische Ausbildung des Individuums, also ist Tugend sein erstes und letztes, das auch in das irdische bürgerliche Leben eingreift. Gott tritt in den Hintergrund zurück, der Himmel ist leer und von Unsterblichkeit ist bloß problematisch die Rede. Der Katholicismus hat zum Hauptaugenmerk, dem Menschen seine Unsterblichkeit zuzusichern, und zwar dem guten eine glückliche.234

An anderer Stelle heißt es  : Es ist nicht zu leugnen, dass der Geist sich durch die Reformation zu befreien suchte  ; die Aufklärung über griechisches und römisches Altertum brachte den Wunsch […] nach einem freieren anständigen und geschmackvolleren Leben hervor.235

Noch kurz vor seinem Tode sagt Goethe am 11.  März 1832 zu Eckermann  : Wir wissen gar nicht […] was wir Luthern und der Reformation im allgemeinen Alles zu danken haben.236

233 Goethe, Hermann und Dorothea, Goethes Werke, WA I, 59, S. 196. 234 Goethe, Tagebucheintragung vom 7. September 1807, Goethes Werke, WA III, 3, S. 271 f. 235 Goethe, Werke, MA 17 (Maximen und Reflexionen), S. 840. 236 Goethe, Gespräche mit Eckermann, 11. März 1832, Goethe Werke, MA 19, S. 695. 237 Zelter an Goethe, 4. November 1816, Goethe Werke, MA 20,1, S. 466. 238 Brief an Zelter vom 14. November 1816, Goethe Werke, MA 20,1. S. 473–478.

Im Kontext der Vorarbeiten zum Reformationsjubiläum schreibt der Komponist Carl Friedrich Zelter Anfang November 1816 an Goethe, er trage sich mit dem Gedanken, zum »bevorstehenden Reformationsfeste eine Musik zu machen, die sich vielleicht aus lauter Lutherischen dictis zusammensetzen ließe.« 237 Nur wenige Tage später teilt ihm Goethe sein Einverständnis mit, dem Reformations Jubiläum eine Kantate zu widmen, im Sinne des Händelschen Messias. […] Da der Hauptbegriff des Luthertums sehr würdig begründet ist, so gibt er schönen Anlass, sowohl zu dichterischer als musikalischer Behandlung. Dieser Grund nun beruht auf dem entschiedenen Gegensatz von Gesetz und Evangelium, sodann der Vermittlung solcher Extreme.238

Im Weiteren heißt es  :

Eine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817  |  233

Und so erblickt denn Luther in dem alten und neuen Testament das Symbol des großen sich immer wiederholenden Weltwesens. Dort das Gesetz, das nach Liebe strebt, hier die Liebe, die gegen das Gesetz zurückstrebt und es erfüllt […] durch den Glauben  ; und nun hier durch den allverkündigten und alles bewirkenden Messias. Aus diesem wenigen überzeugt man sich, wie das Luthertum mit dem Papsttum nie vereinigt werden kann.

Der letzte Satz über die Unvereinbarkeit von Luthertum und Katholizismus ist typisch für Goethes Auffassung in den Jahren seiner Auseinandersetzung mit den Romantikern, die der katholischen Kirche nahestanden. Seinem Brief an Zelter ist eine kurze Inhaltsangabe der geplanten Kantate beigefügt  : Erster Teil 1.) Die Gesetzgebung auf Sinai 2.) Das kriegerische Hirtenleben, wie uns das Buch der Richter, Ruth, u. s. w. darstellt. 3.) Die Einweihung des Tempel Salomonis 4.) Das Zersplittern des Gottesdienstes, der sich auf Berge und Höhlen wirft. 5.) Die Zerstörung Jerusalem und in Gefolge derselben die Gefangenschaft zu Babel. 6.) Propheten und Sybillen den Messias ankündigend. Zweiter Teil 1.) Johannes in der Wüsten die Verkündigung aufnehmend. 2.) Die Anerkennung durch die drei Könige. 3.) Christus erscheint als Lehrer und zieht die Menge an sich. Einzug in Jerusalem. 4.) Bei drohender Gefahr verliert sich die Menge  ; die Freunde schlafen ein  ; Leiden am Ölberg. 5.) Auferstehung.

In einem erläuternden Text heißt es dann weiter  : Hält man die beiden Teile gegeneinander, so erscheint der erste absichtlich länger und hat eine entschiedene Mitte, woran es jedoch dem zweiten auch nicht fehlt. Im ersten Teile parallelisieren sich Sinai und die Zerstörung, die Zeit der Richter und der Baalsdienst  ; No. 2 idyllisch kriegerisch, No. 4 idyllisch enthusiastisch  ; die Einweihung des Tempels als höchster Gipfel u. s. w. Im zweiten Teile würde sich das morgendliche, der Sonnenaufgang in No. 1 und 5. steigernd ausdrücken. No. 2 und 4. sind ein Gegensatz. No. 3 Einzug in Jerusalem. Möcht die freie fromme Volksfreude, wie die Einweihung des Tempels die fürstlich priesterliche Begrenzung des Gottesdienstes ausdrücken.

234  |  Eine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817

Nach einer weiteren Erläuterung über den Einsatz biblischer Sprüche, »evangelischen Liedern und was sich sonst noch finden würde,« schließt er mit dem Hinweis  : Dieses Fest wäre so zu begehen, dass es jeder wohldenkende Katholik mit feierte.

Zelter war begeistert. Anfang Dezember 1816 sendet Goethe einen zweiten, umfangreicheren Entwurf zur Reformationskantate, der nun musikalisch und szenisch differenzierter strukturiert ist. Genannt werden unter anderem eine Art »Symphonie« als instrumentale Einleitung, Solisten, Chöre und Sprecher. Gegen Ende des zweiten Teils lässt Goethe Christus als Sprecher, also im Rezitativ, auftreten  : Sprecher (Christus.) Tritt auf lehrend. Chor aufmerksam, aber schwankend. Gesteigerte Lehre. Andrang und Beifall des Volks immer im irdischen Sinne. Christus steigert seine Lehre ins geistige. Das Volk mißversteht ihn immer mehr. Einzug in Jerusalem. Sprecher  : (drei Apostel.) Furcht vor Gefahr. Christus  : tröstend, stärkend, ermahnend. Einsames Seelenleiden. Höchste Qual. Sprecher  : (Evangelist.) Kurze Erwähnung des physischen Leidens. Tod Auferstehung. Chor der Engel […] Das Irdische fällt alles ab, das geistige steigert sich bis zur Himmelfahrt und zur Unsterblichkeit.239

239 Brief an Zelter vom 10. Dezember 1816, Goethe Werke, MA 20,1. S. 484–486. 240 Zelter an Goethe, 3. März 1817, Goethe Werke, MA 20,1, S. 501.

Zelter antwortet ihm  : Das Schema zur Kantate ist ganz nach meinem Sinne. Zum Jahreswechsel 1816/17 wurde allerdings den beiden Freunden klar, dass ihr Projekt aus Arbeitsüberlastung, insbesondere wegen Goethes verstärkt wieder aufgenommener Theatertätigkeit nicht zu verwirklichen war, wie er Zelter mitteilt, der ihm resigniert antwortet  : »Da tust Du nun ein großes Werk […]. Schade nur, daß mein Luther dadurch um sein armes Leben kommt«.240 In den zitierten Briefwechsel ist noch Goethes merkwürdiger Entwurf für die Gestaltung eines Reformationsfestes einzuordnen, der die Prominenz eines solchen Jubiläums, aber auch dessen Brisanz aufzeigt.241 Eine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817  |  235

Aus dem Text geht hervor, dass der Entwurf im November 1816 entstanden ist – die Anregung dazu dürfte das Projekt der Reformationskantate gegeben haben. In Goethes Entwurf heißt es, das zu feiernde Reformationsfest setzt die deutschen Geister schon in lebhafte Bewegung. Die Protestanten sehen dieser Epoche mit Freudigkeit entgegen  ; die Katholiken fürchten höhnenden Übermut und eine neue Spaltung und Trennung. Es werden viele Vorschläge geschehen, wie dieses Fest zu feiern sei. Mir ist der Gedanke beigegangen, es auf den 18. Oktober zu verlegen  : Als man diesen Tag zur Feier des Jahres wählte, war es in gewissen Sinne zufällig. Luther hat an diesem Tage gleichsam die unwiderrufliche Kriegserklärung gegen das Papsttum getan  ; allein sowohl vorher, als besonders nachher, finden sich wichtige Tage, die man eben so gut hätte wählen können. Die Schlacht bei Leipzig ist dagegen ein entschiedenes Tagesfest. Genug, das ganze Jahr […] kann als feierlich von den Protestanten angesehen werden.

Die Völkerschlacht bei Leipzig hatte vom 16. bis 18. Oktober 1813 stattgefunden und endete mit der Niederlage der napoleonischen Truppen. Goethe plädiert für eine Zusammenlegung der beiden Jubiläumstage, da bei getrennten Feierlichkeiten das Reformationsfest Gefahr laufe, weniger glänzend zu werden. Der 18. Oktober könne im Übrigen von allen Glaubensgenossen gefeiert werden und werde so zu einem Fest der reinsten Humanität, […] alle ziehen vereiniget zur Kirche und werden von demselben Gottesdienst erbaut – ein ökumenischer Gottesdienst also. Abschließend weist er darauf hin, dass konfessionell getrennte Festtage zu Kränkungen der nicht beteiligten Konfessionen führen könnten. Er zielt mit seinen Überlegungen auf die Überwindung von Glaubens- und Standesgegensätzen und schließt dabei Heiden, Juden und Mohammedaner mit ein. Noch im Juni 1817 beschäftigt Goethe die Reformationsfeier. An Friedrich Rochlitz (1769–1842) schreibt er  : Lassen Sie uns bedenken, dass wir dies Jahr das Reformationsfest feiern und dass wir unsern Luther nicht höher ehren können, als wenn wir dasjenige, was wir für recht, der Nation und dem Zeitalter ersprießlich erhalten, mit Ernst und Kraft und wäre es auch mit einiger Gefahr verknüpft, öffentlich aussprechen.242

Die Vorbereitungen zu den Reformationsfeiern des Jahres 1817 bringen aber auch Gedenkplaketten, Vorschläge zu einem Lutherdenkmal oder Veränderungen in thüringischen Kirchenbauten mit sich.243

236  |  Eine mittelalterliche Kunstsammlung und eine Reformationsfeier in Weimar 1817

241 Vgl. »Zum Reformationsfest«, Goethes Werke, WA I, 42, 2, S. 32–34. 242 Goethe an J. F. Rochlitz 1. Juni 1817, Goethes Werke, WA IV, 28, S. 108– 112, hier S. 110. 243 Vgl. den Kommentar in Goethe Werke, MA 20,1, S. 467.

Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

Abb. 199  C. W. Coudray, Entwurf für die Jakobskirche in Weimar, 1817.

Als der Architekt Clemens Wenzeslaus Coudray 1815 nach Weimar berufen wurde und seinen Dienst im April 1816 antrat, hatten sich die politischen Verhältnisse grundlegend geändert. 1815 war aus dem Wiener Kongress als Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach hervorgegangen  – mit erheblichem Gebietszuwachs. Neue Landesteile waren unDie Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert  |  237

Abb. 200  Weimar, Jakobskirche, historische Aufnahme nach 1883.

ter anderen ehemals fuldische Gebiete in der vorderen Rhön. Der nach dem Ende der napoleonischen Kriege einsetzende wirtschaftliche Aufschwung befruchtete auch den protestantischen Kirchenbau in Thüringen in erheblichem Maße. Weimar, Jakobskirche

1817 legte Coudray erste Musterentwürfe für neue evangelische Kirchen vor.244 Praktisch setzte er seine Vorstellungen erstmals in Zusammenhang mit den Reformationsfeierlichkeiten um, als die Weimarer Jakobs­ 238  |  Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

244 Bothe 2013. Zu Coudrays Kirchenbauten vgl. S. 509, 514–549.

kirche, die Hofkirche des neuen Großherzogtums, neu ausgestaltet wurde. Die dort errichtete Kanzelwand sollte Vorbild für zahlreiche Kirchen werden. Zwar wurde sie 1883 in neubarocken Formen umgestaltet, die halbrunde Nische, die von gekuppelten Säulen flankierte Kanzel und die bekrönende Christusfigur lassen aber das ursprüngliche Erscheinungsbild noch immer deutlich erkennen. In den nächsten 25 Jahren erbaute Coudray als Architekt katholischen Glaubens in Thüringen etwa 25  evangelische Kirchen  – ausnahmslos alle mit wandfüllenden architektonischen Kanzelaltären ausgestattet. Für den deistisch empfindenden Goethe und Coudray, der während seines Parisaufenthalts mit den französischen Theophilanthropen sympathisierte, waren die Ergebnisse der Aufklärung und Kants Schriften im liberalen Weimar wichtiger als die Agenda des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., und ein klassizistischer Bau war besser als ein neugotischer. Im Zuge der Neuordnung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach nach dem Wiener Kongress war Coudray als Mitglied der Landesdirektion auch für das »Konsistorialbauwesen« zuständig. Die von Coudray und der Oberbaubehörde errichteten Kirchen ersetzten meistens baufällig gewordene Vorgängerbauten oder durch Brand zerstörte Kirchen. War der Verfall eines Gebäudes so weit fortgeschritten, dass Gottesdienste aus Sicherheitsgründen nicht mehr stattfinden konnten, wurde in der Regel vom örtlichen Pfarrer über die zuständige Kircheninspektion ein Antrag an das Oberkonsistorium in Weimar oder Eisenach gestellt. Durch ein Mitglied des jeweiligen Konsistoriums wurde der Antrag dann in den regelmäßigen Sitzungen der Oberbaubehörde besprochen und ein Angestellter der Bauverwaltung mit der Untersuchung der Kirche beauftragt. War ein Neubau erforderlich, so legte zumeist der Mitarbeiter der Behörde, der den Baubefund erstellt hatte, auch die Pläne für den Kirchenbau vor. Coudray behielt sich als Oberbaudirektor die endgültige Entscheidung vor oder erstellte eigene Entwürfe, die dann vor Ort zumeist durch einen Angestellten der Bauverwaltung umgesetzt wurden. Taubach (Stadt Weimar), Sankt Ursula

Eine der ersten Kirchen, für die Coudray schon 1820 Entwürfe vorlegte, ist Sankt  Ursula in Taubach, die allerdings erst 1848 errichtet wurde. Bezeichnenderweise erhielt die Kirche nun eine neugotische Ausstattung. Besonders wichtige Kirchenbauten nach Entwürfen Coudrays, die er auch beaufsichtigte, sind Rastenberg, Tannroda und Zickra bei Greiz, alle zwischen 1822 und 1826 entstanden. Diese drei Kirchen lagen ihm offenbar besonders am Herzen, führte er sie doch in einem Aufsatz Taubach (Stadt Weimar), Sankt Ursula  |  239

Abb. 201  C. W. Coudray, Entwurf für die evangelische Kirche in Taubach bei Weimar, 1820.

anlässlich des Regierungsjubiläums von Großherzog Carl August als »gemeinnützige Werke« namentlich auf.245 1835–1842 entstanden unter Coudrays Leitung die Kirchen in Hopfgarten in der Nähe von Weimar, in Mönchpfiffel im Kyff häuserkreis und in Neusiß bei Ilmenau. Die unter Coudrays Leitung entwickelten Kirchen folgen im Grundriss meist der seit dem Mittelalter in Thüringen üblichen Form einer rechteckigen Saalkirche mit Turm. Die in Thüringen häufigen Osttürme werden, auch wenn sie von einem Vorgängerbau übernommen wurden, für den Ausbau einer Sakristei mit vorgestelltem architektonischen Kanzelaltar genutzt. Häufig wandelt Coudray den Turm dahingehend ab, dass der obere Teil in ein oktogonales Turmgeschoss übergeht und von einer ebenfalls oktogonalen Laterne oder einer geschweiften Haube abgeschlossen wird. Im Nachlass Coudrays befindet sich ein unbezeichneter Entwurf zu einem Kirchturm, der wahrscheinlich eine Studie für einen Typenentwurf ist. Dafür spricht, dass in der Zeichnung die Anbindung an ein Kirchenschiff fehlt. Der Entwurf enthält alle Elemente, die Coudray in den Türmen seiner Kirchenbauten anwendet. Für eine typologische Studie zum Thema Kirchturm sprechen auch die sorgfältig ausgearbeiteten Darstellungen der Dachkonstruktion von Turmhelm und Haube über der Laterne sowie die genauen Darstellungen der Glockenstühle. Die Turmfenster beziehungsweise die Schalllöcher werden durch Größe, Anzahl und Anbringung der Glocken bestimmt. So hängt die große 240  |  Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

245 Monatsblatt für Bauwesen, München, 10, 1825, S. 49.

Abb. 202  C. W. Coudray, Typenentwurf, um 1820.

Glocke vor einem großen Fenster, die kleinen Glocken hängen vor runden Schalllöchern. Auch für den Kircheninnenraum suchte Coudray verbindliche Formen zu entwickeln. Eine Grundregel für den protestantischen Kirchenbau, die seit der Reformation und vor allem im 18.  Jahrhundert unbestrittene Gültigkeit besaß, bestimmte die Stellung von Altar, Kanzel und Taufstein in der Mittelachse der Kirche. Die Entwicklung führte um 1800 zu einer schlichten, in der Regel dreiachsigen Altarwand mit einer Kanzel, die über eine Treppe in der Sakristei erreicht wurde. Der Kanzelaltar kam den architektonischen Vorstellungen Coudrays entgegen, hatte er doch in Paris durch seinen Architekturlehrer Jean-Nicolas Durand (1760–1834) jene Parameter von convenance et économie (Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit) kennengelernt, aus denen sich die Schönheit von selbst ergebe. In den dreißig Jahren seines Wirkens in Weimar sind die von der Oberbaubehörde betreuten Sakralbauten nach den oben genannten Maximen weiterentwickelt worden. In allen zwischen 1820 und 1845 errichteten Gotteshäusern wurde der architektonische Kanzelaltar in zahlreichen Varianten verwirklicht. Er ist immer zweigeschossig mit dreiachsiger Pilastergliederung. Die Kanzelwand wird meistens von einem Giebel abgeschlossen, der die Wandbreite oder nur den Mittelrisalit umfasst. Die Altarwand assoziiert im Obergeschoss einen antiken Triumphbogen, der Gesamtauf bau lässt dagegen eher an Kirchenfassaden der oberitalienischen Frührenaissance denken, ohne dass ein bestimmtes Vorbild zu benennen wäre. Auch das in den meisten Fällen mit einem Tonnengewölbe abgeschlossene Kirchenschiff, wie es durch die Oberbaubehörde mehrfach ausgeführt wurde, findet sich schon in Thüringer Kirchen des 18. Jahrhunderts, beispielsweise in der geradezu monumentalen Dorfkirche von Helmershausen in der Rhön oder in der Dorfkirche von Neubrunn.246 In beiden Kirchen werden die Gewölbe zusätzlich über Dachgauben belichtet, eine von Coudray häufig angewandte Bauform, so in Tannroda, Rastenberg, Hopfgarten und Gerthausen. Die Verwendung von Dachgauben zur besseren Ausleuchtung der Emporen, hölzerne Tonnengewölbe und vor allem die Verwendung des Kanzelaltars zeigen, dass Coudray die Charakteristika Thüringer Sakralbauten genau kannte. Berga/Elster (Landkreis Greiz), Pfarrkirche

246 Kirchenführer Meiningen 2010, S. 30–34, 90–91.

Offenbar wurden bei den ländlichen Kirchenbauten junge und noch unerfahrene Mitarbeiter angehalten, eigene Entwürfe anzufertigen. So legte Christian Moeder, der erst 1823 vor der Oberbaubehörde seine Prüfung abgelegt hatte, bereits im Herbst 1822 Entwürfe für den Neubau der Kirche in Berga an der Elster vor. Die Fertigstellung erfolgte Berga/Elster (Landkreis Greiz), Pfarrkirche  |  241

Abb. 203  Christian Moeder, Entwurf zur Kirche in Berga a. d. Elster, 1822.

Abb. 204  Berga a. d. Elster, Pfarrkirche.

242  |  Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

Abb. 205  Berga a. d. Elster, Pfarrkirche, 1827, Foto Steffen Fleischer, Naitschau, Aufnahme 2010.

bis 1827. Der Turm erhielt statt des flachen und sehr schlichten Dachs eine aufwendige und fast barock anmutende Haube mit Laterne – wahrscheinlich, um die Kirche vom Tal aus besser sehen zu können. Sehr elegant wirkt die helle Altarwand mit ihrem syrischen Bogen über der Kanzel und den schmalen Feldern zu beiden Seiten. Die dem Palladiomotiv ähnliche Architekturform findet sich in der römischen Antike am Kanopos der Villa Hadriana genauso wie in der Renaissance an der Gartenfassade der Villa Medici in Rom oder der Loggia im Hof der Villa Giulia. In der Gesamtkomposition erscheint die in den Kirchenraum eingestellte Kanzelwand in der von Coudray entwickelten Form als eigenständige Architektur in Gestalt einer Fassade.

Berga/Elster (Landkreis Greiz), Pfarrkirche  |  243

Abb. 206  Troistedt, Pfarrkirche, 1826.

Troistedt (Landkreis Weimarer Land), Pfarrkirche

Einen interessanten Innenraum weist die Dorfkirche von Troistedt auf. Das Kirchenschiff und der Chor wurden mit Holztonnen überwölbt. Die zweigeschossigen Emporen ruhen auf schlichten Pfeilern und sind flach gedeckt. Eine Besonderheit stellt der Emporen-Kanzelaltar vor dem Ostchor dar. Über der Kanzel öffnet sich ein Rundbogenportal, das von einem Dreiecksgiebel abgeschlossen wird. Im Gegensatz zu den meisten Kirchen Coudrays findet die dreiachsige Gliederung des Erdgeschosses im oberen Teil der Altarwand keine Fortsetzung. Stattdessen wird die Kanzel zu beiden Seiten von kleinen rundbogigen Säulengalerien flankiert, die der Aufnahme von spätgotischen Schnitzfiguren der Zwölf Apostel dienen, die allerdings nicht aus Troistedt stammen. Wie häufig bei 244  |  Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

Abb. 207  Rastenberg, Liebfrauenkirche, 1826, Ansicht von Nordwesten.

Coudray ist der Innenraum in weißen und steingrauen Tönen gehalten. Sparsame Vergoldungen steigern den festlichen Charakter. Rastenberg (Landkreis Sömmerda), Liebfrauenkirche

Der bedeutendste Kirchenneubau Coudrays ist die 1826 geweihte Liebfrauenkirche in Rastenberg. In seinen »Lebens-Ereignissen« erwähnt er unter anderen die neuen Kirchenbauten in Tannroda und Zickra und fährt dann fort  : Den wichtigeren Kirchenbau erhielt ich zu Rastenberg nach dem Brande, welcher dieses Städtchen größtentheils verheerte. Nach dem erwähnten Brand im Jahre 1824 konnte der Bauplatz in Rastenberg frei gewählt werden, sodass der stattliche Bau den baumbestandenen Platz wie den Ort gleichermaßen dominiert. Die dem weiten und offenen Platz zugewandte Westfassade ist durch einen zweigeschossigen, reich gestalteten Mittelrisalit besonders hervorgehoben und neuerdings nach Befund durch die Denkmalpflege verputzt und in einem gebrochenen Weiß gestrichen. Über drei halbrund abgeschlossenen Eingangsportalen ist eine fünfachsige Arkadenreihe angeordnet. Die für den Ort sehr große Kirche weist sieben Fensterachsen auf. Im Kircheninnern markieren die Pfeiler der Emporen die sieben Fensterachsen der Kirche, und über jedem Fenster ist eine Dachgaube angebracht, die in die tonnengewölbte Decke einschneidet und die Saalkirche auch von oben gleichmäßig ausleuchtet. Farbig abgesetzte Gurtbänder über den Emporenpfeilern unterstreichen die tektonische Struktur. Tragende Architekturglieder wie Pfeiler und Pilaster sind weiß gestrichen, Rastenberg (Landkreis Sömmerda), Liebfrauenkirche  |  245

Abb. 208  Rastenberg, Liebfrauenkirche, restaurierte Westfassade, Aufnahme 2016.

Wölbung, Decken und Wandfelder in einem hellen Steingrau gefasst. Die blau gestrichenen Emporenfelder sind eine Erfindung der gestaltenden Denkmalpflege aus dem Jahr 1982. Sie verliehen dem Raum eine sehr störende horizontale Gewichtung und wurden inzwischen im Zuge umfangreicher Restaurierungsmaßnahmen entfernt. Die 1827 fertiggestellte Orgel auf der eingeschossigen Westempore stammt von dem bekannten Thüringer Orgelbauer Johann Friedrich Schulze aus Paulinzella. Mit Recht wird der Orgelprospekt in Dehios »Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler« als einer der schönsten klassizistischen in Thüringen bezeichnet. Abb. 209  Rastenberg, Liebfrauenkirche, Eingangsportal an der Südseite.

246  |  Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

Abb. 210  Rastenberg, Liebfrauenkirche, Blick auf die Orgel von 1827.

Abb. 211  Rastenberg, Liebfrauenkirche, Blick auf den Kanzelaltar während der Re­ staurierung, Musterachse, rekonstruierte Farbfassung, Aufnahme, 2016.

Rastenberg (Landkreis Sömmerda), Liebfrauenkirche  |  247

248  |  Die Errichtung evangelischer Kirchen in Thüringen im 19. Jahrhundert

Kirchen im Spätwerk Coudrays

Trotz des einheitlichen Formenkanons unterscheiden sich die Kirchen der Weimarer Oberbaubehörde teilweise erheblich. Nicht alle sind rechteckige Saalbauten mit einem in den Bau integrierten Turm. Neben den von einem hohen Turm beherrschten Kirchen gibt es auch einige Zentralbauten oder quergelagerte Saalkirchen. Interessante Beispiele bieten die Kirchen von Zickra bei Greiz, Mittelpöllnitz im Saale-Orla-Kreis und die sogenannte »»Chausseekirche« von Mönchpfiffel im Kyff häuserkreis  ; in diesen Kirchen konnte durch die zentral angelegten Räume die Kanzel als Ort der Predigt stärker ins Zentrum der zuhörenden Gemeinde gerückt werden. Zickra (Stadt Berga/Elster, Landkreis Greiz), Pfarrkirche

Die an einem Hang stehende, ausgesprochen schöne Kirche in Zickra verfügt an der geraden Westseite des halbrunden Kirchenraum über einen Turm, an der östlichen Seite befindet sich der Haupteingang in Form eines Portikus, der über eine Freitreppe zu erreichen ist. Der ausgewogene klassizistische Baukörper mit seinen hellen, zurückhaltenden Farbtönen steht in strengem Gegensatz zum Innenraum, der 1894 in historistischer Manier in dunklen Farben ausgemalt wurde. Gerthausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Dorfkirche Abb. 212  C. W. Coudray, evangelische Kirche in Zickra, errichtet 1826.

Die letzte unter der Leitung Coudrays als Oberbaudirektor entstandene Kirche befindet sich in Gerthausen. Der Wiederauf bau der Dorfkirche wurde nach dem verheerenden Dorf brand vom April 1844 noch unter Aufsicht Coudrays im März 1845 vorbereitet. Die evangelische Kirche war Anfang des 18. Jahrhunderts offenbar als Wehrkirche errichtet worden. Erhaltene Mauern und Reste eines Grabens lassen auf eine Befestigungsanlage schließen. Der Brand von 1844 zerstörte die Kirche bis auf die Außenmauern. Zwei Portale an der Südseite blieben erhalten, deren eines die Jahreszahl 1712 trägt. Die Außenmauern des Kirchenschiffs und die unteren Teile des Ostturms konnten beim Wiederauf bau erhalten werden. Auch die Gewände der Fenster stammen noch aus der Bauzeit und wurden wiederverwendet. Das Innere wurde gänzlich neu gestaltet und folgt in Auf bau und Farbgebung den Kirchenbauten, die von der Oberbaubehörde zwischen 1820 und 1845 errichtet wurden. Aus den Akten im Landeskirchenarchiv Gerthausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Dorf kirche  |  249

Abb. 213  Gerthausen/Rhön, Dorfkirche.

Eisenach ist ersichtlich, dass die Gemeinde im Januar 1845 Pläne zum Wiederauf bau beim Oberkonsistorium eingereicht hatte. Im Oktober 1847, zwei Jahre nach Coudrays Tod, war die Kirche laut Bericht der Gemeinde glatt verputzt und geweißt. Im Februar 1848 wurde die neugotische Orgel aufgestellt. Der Innenraum der Gerthäuser Kirche verdient besondere Beachtung. Die Klarheit der Architektur, der zweigeschossige architektonische Kanzelaltar, ferner die Farbigkeit und schlichte Eleganz stellen die Kirche in eine Reihe mit jenen in Rastenberg und Zickra. Von herausragender Bedeutung ist das Tonnengewölbe mit seiner sichtbar gelassenen und weiß gestrichenen Holzverschalung, die sich in dieser Form der Belichtung über die Dachgauben in keiner der von der Oberbaubehörde errichteten Kirchenneubauten findet. Die Dachgauben sind so konstruiert, dass sie sowohl das Kirchenschiff als auch die oberen Emporen belichten – eine bemerkenswerte Neuerung.

250  |  Kirchen im Spätwerk Coudrays

Nächste Seite: Abb. 214  Gerthausen, Dorfkirche, Fertig­ stellung 1847.

Gerthausen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), Dorf kirche  |  251

252  |  Kirchen im Spätwerk Coudrays

Das Eisenacher Regulativ von 1861

Mit dem nach der 1848er Revolution verstärkt einsetzenden Konservativismus wuchs auch die Abneigung gegen die liberalen Tendenzen der Aufklärung  ; im kirchlichen Bereich wurde statt Predigtkirche und Kanzelaltar zunehmend ein altdeutscher, das heißt gotischer Stil bevorzugt. Im Rahmen der evangelischen Kirchengesetzgebung hieß es auf der 1856 in Dresden abgehaltenen Konferenz  : Völlig falsch ist es und geradezu widersinnig, die Kanzel über dem Altar anzubringen  ; sie gehört an eine Seite der Kirche und zwar der Regel nach an diejenige Stelle, wo Chor und Schiff zusammenstoßen.247

In Hannover dienten dem national-konservativ gesinnten Oberbaudirektor Conrad Wilhelm Hase (1818–1902) das Mittelalter und die gotische Architektur als unabdingbares Vorbild für den protestantischen Kirchenbau.248 1861 hieß es dann in den von den Abgeordneten der deutschen Kirchenregierungen in Eisenach unmissverständlich verkündeten Regeln  : Die Kanzel darf weder vor noch hinter oder über dem Altar, noch überhaupt im Chore stehen. Ihre richtige Stellung ist da, wo Chor und Schiff zusammenstoßen, an einem Pfeiler des Chorbogens nach außen (dem Schiffe zu)  ; in mehrschiffigen Kirchen an einem der östlicheren Pfeiler des Mittelschiffes.249

247 Mai 1969, S. 175. 248 Hammer-Schenk 1988, Kapitel Sakralbauten, S. 411–429, hier S. 422– 424. 249 Mai 1969, S. 175.

Das Eisenacher Regulativ von 1861  |  253

254  |  Das Eisenacher Regulativ von 1861

Das Wiesbadener Programm von 1891 und das Ende des Eisenacher Regulativs

Abb. 215  Weihnachtlicher Gottesdienst in der Wehrkirche von Großrückerswalde.

250 Ebd., S. 98, 100, 178–187.

Die Bestimmungen von Eisenach hatten kaum dreißig Jahre Bestand. Durch den 1871 einsetzenden Historismus kamen nicht nur die kirchliche Gotik und eine weltliche Neurenaissance, sondern auch der Neobarock zur Geltung. Mit dem Wiesbadener Programm von 1891, dem 1892–1894 die neuromanische Ringkirche des Berliner Architekten Johannes Otzen (1839–1911) folgte, kam auch der Kanzelaltar kurzfristig zu neuen Ehren.250 1893 erschien das umfassende Werk »Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart« von Das Wiesbadener Programm von 1891 und das Ende des Eisenacher Regulativs  |  255

K. E. O. Fritsch, ein Jahr später fand der von der Berliner Architektenvereinigung veranstaltete Kongress für einen protestantischen Kirchenbau statt. Hier bestand man noch einmal auf der seitlichen Stellung der Kanzel, aber auch diese Einschränkung wurde 1908 aufgehoben. Eine Gruppe von orthodoxen Neulutheranern unter Führung des sächsischen Architekten Oscar Mothes (1828–1903) hatte sich in einem erbitterten Streit noch einmal für Neugotik und seitliche Kanzelstellung eingesetzt. Mit dem Aufkommen des Jugendstils und den liberalen Forderungen verschiedener Reformgruppen hatte sich jedoch die Frage nach einem verbindlichen Kirchenstil erledigt.

256  |  Das Wiesbadener Programm von 1891 und das Ende des Eisenacher Regulativs

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Stasch 1989 Grzegorz Stasch, Die Residenz der Fuldaer Fürstäbte, Studien zur barocken Gartenanlage, Fulda 1989. Sturm 1712 Leonhard Christoph Sturm, Architectonisches Bedencken von Protestantischer Kleinen Kirchen Figur und Einrichtung, […], Mit dazu gehörigen Rissen, Hamburg 1712. Sturm 1718 Leonhard Christoph Sturm, Vollständige Anweisung alle Arten von Kirchen zu bauen […], Augsburg 1718. Sturm 1719 Leonhard Christoph Sturm, Durch Einen grossen Theil von Teutschland und den Niederlanden biß nach Pariß gemachete Architectonische Reise-Anmerckungen, Augsburg 1719. Tacke 1992 Andreas Tacke, Der katholische Cranach, Mainz 1992. Tacke 2004 Andreas Tacke, »hab den hertzog Georgen zcu tode gepett« – Die Wettiner, Cranach und die Konfessionalisierung der Kunst in den Anfangsjahrzehnten der Reformation, in  : Kat. Dresden 2004, Aufsätze, S. 236– 245. Tauler 1987 Johannes Tauler. Predigten, übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann, Bd. 2, Trier3 1987. Trenschel 1991 Hans-Peter Trenschel, Johann Joseph Kessler. Ein Meister der Barockplastik. Bad Königshofen 1991. Umbach 2005 Helmut Umbach, Heilige Räume  – Pforten des Himmels, Göttingen 2005. Vulpius 1817 Christian Vulpius, Curiositäten der physisch-literarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt, Bd. 6, 1817. Wegmann 2015 Susanne Wegmann, Gewirkte Reformationsgeschichte, in  : Bild und 270  | Literatur

Bekenntnis. Die Cranach-Werkstatt in Weimar (Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar 2015), S. 141–156. Wimböck 2004 Gabriele Wimböck, Exempla fidei   : Die Kirchenausstattungen der Wettiner im Reformationszeitalter, in  : Kat. Dresden 2004, Aufsätze, S. 189–204 (dort weitere Literatur). Winkler 1989 Klaus Winkler, Zur Entwicklung der Blasmusik bei den Herrnhutern im 18.  Jahrhundert. Quellenkundliche Studien, in  : Schlemm 1989, S.  66– 96. Wex 1984 Reinhold Wex, Ordnung und Unfriede. Raumprobleme des protestantischen Kirchenbaus im 17. und 18. Jahrhundert in Deutschland, Diss. Marburg 1982, publiziert 1984. Wörner 1976 Hans Wörner, Der Kanton Rhön-Werra der fränkischen Reichsritterschaft, in  : Sauer 1976, S. 53–113. Ziems 2005 Werner Ziems, Vorreformatorische Bildwerke in nachreformatorischen Altaraufsätzen oder  : von der Erhaltung durch Nutzung, in  : Brandenburgische Denkmalpflege, Jg. 14, 2005, Heft 1, S. 52–58.

Literatur  |  271

Bildnachweis Amsterdam, Oosterkerk, Foto Pfr. Friedrich Jehnes, Bayreuth  : 162 Aufseß, Schlosskirche, Foto Pfr. Friedrich Jehnes, Bayreuth  : 101 Aufseß, Schlosskirche, Foto ev. Gemeinde  : 102 Augustusburg, Schloßbetriebe  : 40, 41 Azmannsdorf, ev. Gemeinde  : 194 Bayerische Staatsbibliothek München, Res/Anthr. 38 ma# Beibd. 1, Sturm Hamburg 1712, Taf. II, V, VI, IX: 170–173 Bayreuth, St. Georgen, Reinhardt Denk  : 92–97 Berlin, akg-Images  : 180 Berlin, SMPK  : 185–190 Berlin, Stiftung Stadtmuseum  : 65, 66, 161, 166–168 Braunschweig, Städtisches Museum  : 35 Breitenbach a.H., Juri Auel  : 33, 104, 108, 109, 115, 116, 118–121, 125, 126, 128–135, 143–145, 149–157 Celle, Schlossmuseum, Foto Löber  : 30, 37–39 Chemnitz, Foto Lohse  : 3–5, 36, 69, 197, 215 Coburg, Kunstsammlungen Veste Coburg  : 23 Dessau, Ev. Landeskirche Anhalt  : 181–183, Foto Schukert  : 184 Erfurt, TLDA, Werner Streitberger  : 53–55, 70–72, 80, 107, 200, 208, 211 Frankenberg-Eder, Foto K. H. Völker, Burgwald-Wiesenfeld  : 22 Freienfels, kath. Kirche, Foto Pfr. Friedrich Jehnes, Bayreuth  : 100 Freiensteinau, R. Menger  : 160 Fulda, Stadtarchiv  : 147 Fulda, Restaurierungsbüro Gerd Belk  : 113, 114, 136, 137, 140 Geba, ev. Dorfkirche, Bothe, Breitenbach a. H.: 76–77 Gersfeld, Timo Walther, Fulda  : 159 Gerthausen, Bothe, Breitenbach a. H.: 213, 214 Göttingen  : 196 Großenhain, Innenraum, ev. Gemeinde  : 63 Helsa, ev. Gemeinde  : 8 Hof, Unionskirche, ev. Gemeinde, Frontispiz  : 88–91 Idstein, Goebel-Publikationen, Hünstetten-Görsroth  : 84–87 Kassel, Gerhard Jost  : 82, 110–112, 117, 122–124, 127, 139–141, 146, 148, 158 Kiedrich, Werner Kremer  : 6, 7 Landshut, Peter Litvai  : 2 Ludwigslust, ev. Gemeinde  : 74, 75 Mechterstädt, ev. Gemeinde  : 98, 99 Mihla, ev. Gemeinde  : 142 München, Städtisches Bauamt, St. Michael  : 48 Bildnachweis  |  273

München, Deutscher Kunst Verlag, Altar Halberstadt  : 81 München, Staatsbibliothek, Leonhard Sturm, Hamburg 1712  : 170–173 Naitschau, Steffen Fleischer  : 203–205, 212 Obercunnersdorf  : 138 Reurieth, Eva Henneberger, Bedheim  : 31, 32 Römhild, Peter Brachmann  : 105, 106 Rudolstadt, Stiftung Schlösser und Gärten  : 43, 49 Schlitz, Foto Landgraf  : 44, 45 Trier, Slg. Prof. Dr. Andreas Tacke  : 24, 25 Trier, Landesmuseum  : 26 Untersuhl  : 67, 68 Weimar, Klassik Stiftung Weimar  : 1, 10–13, 15–18, 20, 21, 50, 51, 78, 79, 175, 192, 198–202 Weimar, Peter Mittmann  : 56–61, 103, 206, 207, 209, 210 Weißenstein, ev. Gemeinde  : 52 Wunstorf, LDA Brandenburg  : 165 Zeulenroda, ev. Gemeinde  : 193 Repros

Bartsch 1972, Abb. 3, Berlin, Böhmische Kirche  : 176 Borheck 1808, Taf. V  : 196 Bothe, Breitenbach a. H. Sammlung historischer Aufnahmen  : 19, 28, 34, 46–47, 64, 83, 163, 164, 174, 191 Brisac 1985, Abb. S. 139, Glasfenster Bourges  : 14 Dehio Sachsen I, 1996, S. 418, Grundriss Großenhain  ; S.123, Dresden Frauenkirche  : 62, 73 DeWald 1932, Taf. 130, Utrechtpsalter  : 27 Ellwardt 2004, Abb. 231 Grundriss Rotenburg a. d. Fulda  : 42 Jakob 1976, Abb. 32, Orgel, La Valère, Schweiz  : 29 Mai 1969, Abb. 70, Udestedt  : 195 Murray 1975, Abb. 227, Todi, Santa Maria delle Consolazione  : 169 Philipp 1997, Abb. 171–173, Heine, J. A., ev. Landkirche  : 177, 178 Philipp 1997, Abb. 176, Klinsky, J. G.: 179 Poscharsky 1990, Abb. 10, Betzenheim  : 9

274  | Bildnachweis

Register

Personen Agricola, Johann  68 Alberthal, Hans  96 Alberti, Leon Battista  85, 117 Albrecht von Brandenburg, Kardinal  64, 93, 94 Arnold, Gottfried  232 Augustinus 23 Bach, Carl Philipp Imanuel  73 Bach, Johann Sebastian  5, 36 Bähr, George  115, 119, 120, 124 Bamberger Sebastian  163, 182 Barth, Eduard  118 Boccaccio  19, 36 Boisserée, Gebrüder Sulpiz und Melchior  224, 231 Bonalino, Giovanni  101–104, 149 Bora, Katharina von  31 Borheck, Georg Heinrich  200, 228, 229 Borromeo, Carlo  93, 117 Bramante 117 Brendel, Daniel  94 Bruegel d.Ä., Pieter  82 Calvin, Johannes  20, 184 Canisius, Petrus  93 Carl August von Sachsen-Weimar und Eisenach, (Groß-) Herzog  212 Catel, Louis  219–223 Chranach, Lucas d.Ä.  6, 49, 51, 131 Cleve, Sibylle von  132 Columbus, Christoph  20 Contarini, Gasparo  92 Coudray, Clemens Wenzeslaus  22, 209, 211, 224, 239–250 Cranach d.J., Lucas  85, 129, 131 Dante 19 Dassel, Christian  205 Dilich, Wilhelm  85 Diterichs, Friedrich Wilhelm  197 Dörffling, Georg Conrad  148 Durand, Jean-Nicolas  241 Dürer, Albrecht  51, 52 Eck, Johannes  29 Eckermann, Johann Peter  233 Edward VI., König von England  34 Emser, Hieronymus  53

Erasmus von Rotterdam  19, 20, 30 Erdinger, Adam Johann  163, 172, 183 Erdmannsdorff, Friedrich Wilhelm von 211 Erlach, Fischer von  195 Ernst I., der Bekenner, von Braunschweig-Lüneburg, Herzog  82 Fabarius, Johann  163, 165–168 Faber, Peter  93 Findorff, Johann Dietrich  126 Fleming, Paul  35 Franck, Melchior  67 Francke, August Hermann  204 Friedrich III., der Weise, von Sachsen, Kurfürst  30, 48, 62,0 231 Friedrich III. von Brandenburg, Kurfürst 190 Friedrich Wilhelm I. von Preußen, König 190 Friedrich Wilhelm III. von Preußen, König 217 Gabrieli, Giovanni  73 Gedeler, Gottfried von  144, 155 Georg von Hessen-Darmstadt, Landgraf 60 Georg von Sachsen, Herzog  6, 52, 62, 64 Gerhardt, Paul  68 Geriffenkau, Richard von  50 Gerlach, Philipp  190 Goethe, Johann Wolfgang von  22, 209, 223, 224, 232–236 Goldmann, Nicolaus  195, 227 Goldsmith, Oliver  232 Grégoire, Henri  209 Grien, Hans Baldung  50, 51 Grimmelshausen, Jakob Christoffel von 35 Grohmann, Johann Gottfried  199 Gryphius, Andreas  35 Hadrian VI., Papst  23, 92 Händel, Georg Friedrich  5, 73 Hase, Conrag Wilhelm  253 Heine, Johann August  199 Heinrich, der Fromme, von Sachsen, Herzog 64 Heinrich VIII. von England, König  20

Heinrich von Sachsen-Römhild, Herzog 156 Hertz, Henriette  207 Hoffmann, Ludwig Aauhust  114 Hoffstadt, Friedrich  224 Hof haimer, Paul  72 Holbein, Hans d.J.  51 Hutten, Ulrich von  19, 20, 29 Johann Friedrich von Sachsen, Kurfürst 20 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 189 Johann von Sachsen, Kurfürst  21, 65, 93, 132 Johannes der Täufer  113, 115, 116, 130, 131, 134–136, 160, 161 Julius II., Papst  23 Kant, Immanuel  205 Karl der Große  60, 118 Karl V., Kaiser  20, 35, 91 Karlstadt, Andreas von  34, 46, 48, 57 Keferstein, Johann Christian Friedrich 198 Kessler, Johann Joseph  153 Klemm, Kaspar  114 Klengel, Wolf Caspar von  120 Klinsky, Johann Gottfried  199 Konstantin, Kaiser  23 Kotter, Hans  73 Langerfeld, Rutger von  189 Langhans, Karl Gotthard  211 Laugier, Marc-Antoinne  211 Leibniz, Gottfried Wilhelm  204 Leisentrit, Johann  68 Leo I., Papst  132 Leo X., Papst  23 Leopold Friedrich Franz, Fürst  211, 216 Lessing, Gotthold Ephraim  204 Lewis, Matthew  213 Lohe, Heinrich Andreas  142 Lohensten, Daniel Casper von  35 Lotter, Melchior d.J.  32 Lotter, Hieronymus  85 Ludwig I. von Anhalt-Köthen, Fürst  35 Luther, Martin  passim Lux, Johann Adam  155

Register  |  275

Machiavelli, Niccolò  19 Maderna, Carlo  117 Magellan, Ferdinand  20 Meer, Erhard van der  85 Meinert, Friedrich  198, 199 Melanchthon, Philipp  21, 51, 91, 129, 203, 204 Merian, Matthäus d.Ä.  143 Moeder, Christian,  241–243 Moller, Georg  224, 231 Moritz von Hessen, Landgraf  58, 60, 88 Moritz von Sachsen, Herzog / Kurfürst  21, 101, 166 Morone, Giovanni  92 Moses  113, 115, 116, 130, 134–136, 160, 161, 175 Müller, Johann  152 Müntzer, Thomas  68 Napoleon I. von Frankreich, Kaiser  208, 209 Nering, Johann Arnold  190 Nicolai, Philipp  67 Novalis (Georg Philipp Friedrich von Hardenberg) 207 Opitz, Martin  35 Otzen, Johannes  255 Palladio, Andrea  195 Paul III., Papst  92, 93 Petrarca 19 Pezelius, Johannes  75 Philipp I., der Großmütige, von Hessen, Landgraf der Landgrafschaft  20, 163 Pius IV., Papst  93

Pius VI, Papst  208 Pizarro, Francisco  20 Praetorius, Michael  73

Stölzel, Gottfried, Heinrich  36, 74 Straßburger, Johann Erhard  147 Sturm, Leonhard  119, 195–197, 227

Radcliffe, Anne  213 Raffael 82 Räntz, Elias  144 Reiche, Gottfried  75 Richter, Johann Moritz  99, 101, 104 Riemenschneider, Tilmann  132 Rochlitz, Friedrich  236

Tauler, Johannes  25 Teiner, Nikol  99 Tetzel, Johann  29, 64 Tieck, Ludwig  200, 207 Tintoretto 82

Sachs, Hans  35 Salomon  104, 130, 156, 175 Sandrart, Joachim von  138 Scamozzi, Vincenzo  195 Scheidt, Samuel  36, 68 Schein, Johann Hermann  36, 68, 75 Schick, Rudolf  189 Schiller, Friedrich von  209 Schinkel, Karl Friedrich  219–223 Schlegel, Friedrich  208 Schlegel, Wilhelm  207 Schleiermacher, Friedrich  207 Schmidt, Johann George  115, 152 Schmidt, Johann Michael  152 Schreyer, Gabriel  145 Schulze, Johann Friedrich  246 Schupp, Johann Balthasar  204 Schütz, Heinrich  5, 36, 68, 75 Spalatin, Georg  31 Spazier, Karl  205 Spener, Philipp Jakob  204 Staupitz, Johann von  31 Sterne, Lawrence  212 Stieglitz, Christian Ludwig  198, 199

Vischer, Peter  155 Vitruv 195 Vos, Martin de  82 Voss, Johann Heinrich  232 Vulpius, Christian  232 Walpole, Horace  212, 216 Walter, Johann  67, 72 Wenzel, Johann Georg  176–180, 184 Wild, Johann Jakob  145 Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, Landgraf 60 Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar, Herzog 101 Wilhelm VI., Landgraf von Hessen-­ sKassel 166 Wilhelm der Jüngere von Braunschweig-Lüneburg, Herzog  82 Winckelmann, Johann Joachim  229 Wohlhaupter, Emanuel  176–180 Zelter, Carl Friedrich  22, 223, 233–234 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig, Graf von  185, 204 Zwingli, Huldrych  20, 182 Zwirner, Ernst Friedrich  224

Orte Augustusburg/Cemnitz, Schloss­ kapelle  85, 129 Aachen 69 Alsleben 153 Altenburg 99 Altmorschen 135 Annaberg-Buchholz 40 Aschaffenburg  65, 96 Aufseß 149 Augsburg  21, 91 Ausbach  92, 179, 183, 184, 185 Azmannsdorf 227 Bad Hersfeld  185 Bamberg 149 Bautzen 68 Bayreuth  92, 137, 143–146

276  | Register

Bendeleben  105, 108 Berga/Elster 241 Berlin  117, 189–192, 197, 207, 219–225 Berthelsdorf 76 Bettenhausen  98, 157, 161 Betzenstein 45 Börnicke 133 Bourges 50 Bremen 20 Buttstädt  98, 109

Eichstätt 95 Einhausen 133 Eisenach  239, 253, 255 Eisenberg, Christiansburg  97, 105 Eisleben 29 Frankenberg/Eder 60 Freiberg 40 Freiburg 50 Freienfels  149, 150 Fulda  119, 120, 176

Carlsfeld  119, 120 Celle, Schlosskapelle  79–84 Coburg 92

Geba 127 Gersfeld/Rhön 186 Gerthausen  241, 249 Gießen 185 Görlitz 177

Dillingen 95 Dresden  101, 119, 124

Gotha, Friedenstein, Schloss­ kapelle  74,97, 99 Göttingen 177 Großenhain 115 Halberstadt 134 Halle  65, 207 Hamburg 197 Hannover 253 Heidelberg 29 Helmershausen  157, 158, 241 Herrnhut 76 Hof  137, 142 Hopfgarten  240, 241 Idstein 138–142 Ingolstadt  93, 94 Jena 48 Jerusalem  104, 195 Kahla 48 Kiedrich 42 Köln 50 Königsberg 190 Königstein 229 Konstantinopel 69 Landshut 37 Le Mans  34 Leipzig  101, 211, 236 Lincoln 211 Ludwigslust 125 Lyon  34, 88 Magdala 113 Magdeburg 20 Mainz  61, 163 Mansbach  46, 163, 182 Marburg  37, 163, 185 Marksuhl 165 Mausbach 182 Mechterstädt  137, 147

Meiningen 157 Mellingen 112 Mittelpöllnitz 249 Modena 92 Moderwitz 134 Mönchpfiffel  240, 249 Mühlberg 20,93 München  21, 50, 94 Nentershausen  60, 163, 165–168, 179 Neusis 240 Niedergrunstedt 104 Nieder-Moos 187 Niederroßla 109 Nürnberg 57,92 Obercunnersdorf  177, 183 Odensachsen 185 Orlamünde 48 Paris  124, 197, 241 Pisa 37 Pistoia 37 Potsdam 190 Rastenberg  239, 241, 245 Regensburg 92 Remagen 224 Richelsdorf 170 Riesigk 215 Rom  21, 94, 117, 124 Römhild 155 Ronshausen 170 Rotenburg a. d. Fulda, Schlosskapelle  46, 85, 97, 163 Ruhla 176 Saalfeld, Schlosskapelle  97, 99, 105 Schlitz  88, 97 Schmalkalden, Schlosskapelle  42, 46, 60, 85,97,163 Schmiedeberg 119

Schwerin 196 Siena 37 Sondershausen 74 Speyer 92 Stödten 227 Suhl  21, 98, 114, 152 Tannroda  239, 241 Taubach 239 Tiefurt 104 Torgau, Schlosskapelle  26, 44, 163 Trient  92, 94 Trier 50 Troistedt 244 Udestedt 227 Untersuhl 119 Venedig 124 Waltershausen  119, 120, 157 Wartburg 30 Weilburg 97 Weimar  48, 93, 97, 98, 101–104, 176,,231–239, 241 Weißenfels, Schlosskirche  21, 97, 104, 134 Weißensee 132 Weiterode 172–180 Wien  40, 151, 231 Wiesbaden 255 Wittenberg  29, 30, 48, 93, 101 Wohlmuthausen  135, 157, 159 Wörlitz 213 Worms 30 York 211 Zickra 249

Register  |  277

ROLF BOTHE

CLEMENS WENZESLAUS COUDRAY (1775–1845) EIN DEUTSCHER ARCHITEKT DES KLASSIZISMUS

Das Leben und das Werk von Clemens Wenzeslaus Coudray (1775–1845) sind entgegen der Bedeutung des Architekten nur unzureichend bekannt. Die vorliegende Monographie bietet nun einen umfassenden Blick auf das Gesamtœuvre. Coudray studierte von 1800 bis 1804 an der Pariser École polytechnique und wurde hier zur Anlaufstelle für deutsche Architekten, die Paris besuchten. Außerdem war er einer der maßgeblichen Vermittler des französischen Klassi zismus in der Architektur nach Deutschland. Auf einer Italienreise Coudrays entstanden über 300 Zeichnungen zur Erstellung einer Bautypenlehre, die im vorliegenden Band erstmalig eine grundlegende wissenschaftliche Aufarbeitung erfährt. Von 1805 bis 1815 wirkte Coudray im Fürstentum Fulda, seit 1816 war er Oberbaudirektor in Weimar. Alle seine vorhandenen wie verschwundenen Bauten werden in diesem Band eingehend untersucht und stilistisch eingeordnet. Damit wird ein großer deutscher Architekt des Klassizismus zum ersten Mal umfassend vorgestellt und gewürdigt. 2013. 638 S. 745 S/W- UND FARB. ABB. GB. 220 X 280 MM. ISBN 978-3-412-20871-4

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com wien köln weimar

Die Internationale Martin Luther Stiftung will: -

die Grundimpulse der Reformation in einen themenbezogenen und ergebnisorientierten Dialog von Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik übersetzen, Personen und Gruppen unterstützen, die eigene Talente und Erfolge im Sinne reformatorischer Tradition für das Gemeinwohl einsetzen, Ideen, Projekte und Initiativen fördern, die UnternehmerCourage und Kreativität, ein Wirtschaftsethos auf christlichem Wertefundament und das lutherische Berufsethos pflegen und stärken.

Um diese Ziele zu erreichen, wird die Stiftung darüber hinaus geeignete Maßnahmen ergreifen sowie Kommunikationsformen nutzen und entwickeln, um das Bewusstsein für Leben und Werk Martin Luthers in den „Kernländern der Reformation“ Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, in Deutschland und international zu schärfen. Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.luther-stiftung.org

The Internationale Martin Luther Stiftung shall: -

Translate the basic impulses of the Reformation into a theme-related and outcome-oriented dialogue between church, business, academia and politics, Support people and groups that use their talents and their assets for the public welfare according to the Reforming tradition, Promote ideas, projects and initiatives that enable, nourish and strengthen ethical business practices and EntrepreneurialCourage based on Christian faith as well as Lutheran professional ethics.

Furthermore to accomplish these targets the foundation shall adopt suitable measures as well as use and develop appropriate forms of communication to clarify the image of the unique person, achievement and theology of Martin Luther in its region, in Germany and internationally. For more information please visit: www.luther-stiftung.org