Kirche im freiheitlichen Staat: Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. Hrsg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees [1 ed.] 9783428484553, 9783428084555

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Kirche im freiheitlichen Staat: Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht. Hrsg. von Josef Isensee / Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees [1 ed.]
 9783428484553, 9783428084555

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JOSEPH LISTL

Kirche im freiheitlichen Staat Erster Halbband

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen llerausgegeben von Alexander llollerbach · Josef Isensee · Joseph List) Wolfgang Losehelder · llans Maier · Paul Mikat · Wolfgang Rüfner

Band 25

JOSEPH LISTL

Kirche im freiheitlichen Staat Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht Erster Halbband

llerausgegeben von

Josef lsensee und Wolfgang Rüfner in Verbindung mit

Wilhelm Rees

Duncker & Humblot · Berlin

Schriftleitung der Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen": Prof. Dr. Joseph List!, Lennestraße 15, D-53113 Bonn

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

List!, Joseph: Kirche im freiheitlichen Staat : Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht I Joseph List!. Hrsg. von Josef Isensee und Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees. - Berlin : Duncker und Humblot. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen ; Bd. 25) ISBN 3-428-08455-1 NE: Isensee, Josef [Hrsg.] ; GT Halbbd. 1 (1996)

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-08455-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Vorwort der Herausgeber Das vorliegende Sammelwerk möchte ein repräsentatives Bild vom staatskirchenrechtlichen und kanonistischen Schaffen Joseph Listls bieten, der am 21. Oktober 1994 sein 65. Lebensjahr vollendet hat. Es vereint 46 Schriften, die bisher verstreut, zum Teil entlegen, zum Teil noch gar nicht veröffentlicht wurden. Die Arbeiten sind in drei Jahrzehnten entstanden (1967-1995). Im Vordergrund stehen fachwissenschaftliche Abhandlungen, daneben stehen aber auch gutachtliche Stellungnahmen zu aktuellen Streitfragen. Die Arbeitsfelder des staatlichen wie des kirchlichen Rechts werden berücksichtigt. Auch historische Arbeiten sind vertreten. In der Auswahl ist das ganze CEuvre präsent. Bann, Köln, Augsburg/Bamberg, am 31. Juli 1995 Dr. iur. Josef Isensee

Dr. iur. Wolfgang Rüfner

o. Professor des Öffentlichen Rechts an der Universität Bonn

o. Professor des Öffentlichen Rechts an der Universität Köln

Dr. theol. Wilhelm Rees Privatdozent an der Universität Augsburg Professor des Kirchenrechts an der Universität Harnberg

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes ERSTER HALBBAND Zu Wirkung und wissenschaftlichem Profil von Joseph Listl. Von Josef Isensee und Wolfgang Rüfner ............. : . . . . . . .

XXVII-XXXVI

I. Freiheit der Religion und des Gewissens 1. Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz (1969) ......................................................... .

3-64

2. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland (1980) ................................................. .

65-85

3. Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit (1984) ................................................................. .

86-105

4. Die Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1989) .................... .

106-150

5. Religionsfreiheit (1989) ............................................. .

151-157

6. Das Kruzifix in der Gemeinschaftsschule (1992) ................ .

158-175

7. Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung (1974) ......... .

176-191

8. Gewissen und Gewissensentscheidung im Recht der Kriegsdienstverweigerung (1985) ......................................... .

192-215

9. Verbots- und Auflösungsmöglichkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung (1973) ............................................ .

216-233

ll. Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts 10. Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Bonner Grundgesetz (1967) ............ .

237-294

11. Ein Dokumentarwerk zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Rezension der vierbändigen Quellensammlung von Ernst Rudolf Huber- Wolfgang Huber (Hrsg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente des deutschen Staatskirchenrechts (1973; 1976; 1990) ........................... .

295-308

VIII

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes

m. Grundstrukturen des Staatskirchenrechts 12. Grundfragen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (1985) ................................................. .

311-335

13. Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Wissenschaftlicher Status und gegenwärtige praktische Bedeutung (1990) ...................................................... .

336-354

14. Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklung von 1989 bis 1994 (1995) ................................................................. .

355-391

15. Staat und Kirche bei Ulrich Scheuner (1903-1981) (1982) ..... .

392-466

Iv. Konkordate und Kirchenverträge 16. Konkordate und Kirchenverträge (1987) ......................... .

469-493

17. Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (1989) .... .

494-521

18. Konkordate aus der Sicht des Heiligen Stuhles (1994) ......... .

522-543

19. Die konkordatäre Entwicklung in Bayern von 1817 bis 1988 (1991) ................................................................. .

544-590

ZWEITER HALBBAND V. Kirchenamt und Kirchenloyalität 20. Das Amt in der Kirche (1985) ...................................... .

593-599

21. Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973 (1975) ................................................................. .

600-609

22. Konkordatslehrstühle (1980) ...................................... .

610-614

23. Die staatskirchenrechtlichen Implikationen im "Fall Küng" (1980) ................................................................. .

615-620

24. Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (1986) ........................................................... .

621-647

25. Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts in der staatlichen und kirchlichen Rechtsordnung (1989) ................................ .

648-671

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes

IX

VI. Kirchliches Wirken 26. Der Religionsunterricht (1983) .................................... .

675-693

27. Zur polizeilichen Erlaubnispflichtigkeit von Fronleichnamsprozessionen (1976) ................................................. .

694-702

28. Aktuelle Rechtsfragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. ReligionsfreiheitTheologische Fakultäten - Individuelles kirchliches Dienstund Arbeitsrecht- Kirchliches Besteuerungsrecht (1987) ..... .

703-732

29. Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (1989) ...

733-767

30. Zur Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern (1974) .......................................................... .

768-779

31. Der sozialkritische Imperativ der Kirche. Zu dem Buch "Kirche und Öffentlichkeit" von Wolfgang Huber (1975) ............ .

780-787

32. Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (1989) ............... .

788-812

VII. Kirchenorganisation 33. Plenarkonzil und Bischofskonferenz (1983) ..................... .

815-841

34. Die Bistumsgrenzen in Deutschland. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung (1990) ........................................................... .

842-862

35. Die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription im wiedervereinten Deutschland (1992) ..................................... .

863-885

36. Die Besetzung der Bischofsstühle. Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland (1991) ........................... .

886-917

37. Die Ordensgemeinschaften und ihre Angehörigen in der staatlichen Rechtsordnung (1994) ...................................... .

918-941

Vlll. Staat und Kirche im katholischen Verständnis 38. Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche (1987) ............................................................ .

945-956

39. Der Staat nach katholischem Verständnis (1987) ............... .

957-967

40. Staat und Kirche in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1974) ....................................................... .

968-988

X

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes

41. Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des lus Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

989-1031

42. Die Aussagen des Codex luris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1032-1058

IX. Grundlagen des katholischen Kirchenrechts 43. Codex luris Canonici (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1061-1066

44. Die Quellen des katholischen Kirchenrechts (1987)..............

1067-1069

X. Geschichtliche Exempel 45. Der Wandel vom christenverfolgenden zum ketzerverfolgenden spätantiken römischen Staat. Kirche und Staat bei Bischof Optatus von Mileve (1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1073-1099

46. Leben und Werk des Kirchenrechtslehrers und Zentrumspolitikers Prälat Ludwig Kaas (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1100-1122

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers..............

1123-1136

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1137-1148

Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1149-1173

Inhaltsverzeichnis ERSTER HALBBAND I.

Freiheit der Religion und des Gewissens 1. Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in

der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz

(1969) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3-64

A. Die Gewährleistung des Grundrechts der Religionsfreiheit Ergebnis eines langen historischen Prozesses S. 3. - B. Der "christliche" Staat des 19. Jahrhunderts: I. Die Religionsfreiheit als Individualrecht S. 7. - II. Die Kirchenfreiheit im 19. JahrhundertS. 18.- C. Die Religionsfreiheit unter der Weimarer Reichsverfassung und dem Grundgesetz: I. Die Weimarer Reichsverfassung S. 28. - II. Die Religionsfreiheit unter dem Grundgesetz S. 33.- Leitsätze S. 58

2. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland (1980) .............................................................. .

65-85

I. Die Bedeutung der Rechtsstellung für die Entwicklung des Religionsrechts in der Bundesrepublik DeutschlandS. 65.- II. Die oberste Interpretationsmaxime für das Grundrecht der Religionsfreiheit S. 68.- III. Das Verhältnis von positiver und negativer Religionsfreiheit S. 70.- IV. Das grundgesetzliche Toleranzgebot S. 76.- V. Das Individualgrundrecht der Religionsfreiheit und die Kirchenfreiheit S. 81 3. Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit (1984)

I. Der Bedeutungswandel des Grundrechts der Religions- und Kirchenfreiheit inderneueren Rechtsentwicklung und im religiös-neutralen Staat der Bundesrepublik Deutschland S. 86. - II. Die Einzelelemente des Individualgrundrechts der Religionsfreiheit und die korporative Religionsfreiheit: 1. Die Religionsfreiheit als IndividualrechtS. 90.- 2. Die Religionsfreiheit als korporatives oder Verbandsgrundrecht S. 93.- III. Extensive Interpretation des Begriffs der Religionsausübung S. 95. - IV. Positive und negative Religionsfreiheit S. 96.- V. Die Bedeutung desTo-

86-105

XII

Inhaltsverzeichnis leranzgrundsatzes S. 99. -VI. Einzelbereiche der Rechtsprechung s. 102

4. Die Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106-150

A. Die tragenden Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit: I. Die extensive Auslegung des Begriffs der Religionsausübung S. 107.li. Kein Vorrang der negativen vor der positiven Religionsfreiheit S. 108.- III. Toleranz als oberstes Verfassungsprinzip S. 108.- IV. Der wesensnotwendige Zusammenhang zwischen individueller Religionsfreiheit und institutioneller Kirchenfreiheit S. 108. - B. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Einzelfragen der Religions- und Kirchenfreiheit: I. Die staatskirchenrechtliche Bedeutung der Religionsfreiheit S. 109.- II. Religionsunterricht und Bildungswesen S. 113. - III. Nichtjustiziabilität rein kirchlicher Maßnahmen und Entscheidungen S. 120. -IV. Kirchliches Vermögensrecht S. 128.- V. Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht S. 132. - VI. Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts S. 138. - VII. Kriegsdienstverweigerung S. 142. VIII. Sonstige Entscheidungen S. 144 5. Religionsfreiheit (1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151-157

I. Zeitalter der Glaubensspaltung S. 151.- li. Westfälischer Friede S. 152.- III. Aufklärung, 19. Jahrhundert, Deutsches Reich bis zum Ende der Monarchie S. 153. -IV. Weimarer Republik S. 154. - V. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 s. 155 6. Das Kruzifix in der Gemeinschaftsschule (1992) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158-175

I. Zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde S. 158.- li. Zur Zulässigkeit religiöser Bezüge in öffentlichen Gemeinschafts(Pflicht-)Schulen S. 159.- III. Das Verfassungsgebot der Toleranz S. 165. -IV. Der Ausgleich zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit im Falle der vorliegenden Verfassungsbeschwerde S. 169.- V. Zusammenfassendes Ergebnis S. 175 7. Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung (1974) . . . . . . . . . . . . .

176-191

I. Bedeutung der Inkognito-Adoption S. 177. - li. Die Mitwirkung des Jugendamtes bei der Vermittlung des Adoptivkindes an konfessionsgleiche Adoptiveltern S. 179.- III. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Mitwirkung des Jugendamtes bei der Vermittlung konfessionsgleicher Adoptiveltern S. 186. - IV. Zusammenfassung S. 190 8. Gewissen und Gewissensentscheidung im Recht der Kriegsdienstverweigerung (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Vorgeschichte der Entscheidung S. 192. - li. Effektiver Grundrechtsschutz und funktionsfähige Landesverteidigung S. 195.- III. Die Zulässigkeit der Verlängerung des Wehrersatzdienstes S. 201.- IV. Die Entscheidung des Gewissens zur Kriegs-

192-215

Inhaltsverzeichnis

XIII

dienstverweigerung S. 204. - V. Privilegierung der religiös motivierten Kriegsdienstverweigerung? S. 209 9. Verbots- und Auflösungsmöglichkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung (1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216-233

I. Unzulässigkeit der Unterscheidung zwischen "echten" und "unechten" Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften S. 217. - II. Der Sinngehalt des selbständigen Grundrechts der religiösen Vereinigungsfreiheit S. 227

n. Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts 10. Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Banner Grundgesetz (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Frankfurter Nationalversammlung: 1. Der Reichsdeputationshauptschluß, der Wie-

ner Kongreß und die Neugliederung der kirchlichen Verhältnisse S. 238.- a) Der Reichsdeputationshauptschluß S. 238- b) Die Religionsfreiheit in den deutschen Bundesstaaten S. 242. - 2. Staat und Kirche in Preußen S. 245. - a) Das Preußische Allgemeine Landrecht S. 245. - b) Die Angliederung der Rheinprovinz und der Provinz WestfalenS. 254.- c) Der preußische Mischehenstreit S. 255. - 3. Die Entwicklung in Bayern, Südwestdeutschland und Hannover S. 261. - a) Bayern 263. - b) Im südwestdeutschen Raum 265. - c) Hannover 266. - II. Von der Frankfurter Nationalversammlung bis zur Weimarer Reichsverfassung: 1. Die Frankfurter Nationalversammlung und die preußische Verfassung von 1851 S. 266.- a) Die Frankfurter Nationalversammlung S. 266. b) Die preußische Verfassung von 1851 S. 269.- 2. Die Evangelische Kirche in Deutschland während des 19. Jahrhunderts S. 270. - a) Das landesherrliche KirchenregimentS. 270.- b) Unionen im Protestantismus S. 271.- c) Die Einführung der Synodalverfassung S. 272.-3. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts S. 274.- a) Die von der preußischen Regierung mit dem Kulturkampf verfolgten Ziele. Das Ergebnis des Kulturkampfs S. 274. - b) Vorboten des Kulturkampfs S. 275. - c) Die Kulturkampfgesetzgebung S. 276. - d) Der Toleranzantrag der Deutschen Zentrumspartei vom 23. November 1900 S. 279. - 111. Von der Weimarer Reichsverfassung bis zum Banner Grundgesetz: 1. Die Weimarer Reichsverfassung S. 281. - a) Beseitigung der "Staatskirche" und der Staatskirchenhoheit S. 281.- b) Elemente der Verbindung zwischen Staat und Kirche S. 283. - c) Unzulässigkeit einer besonderen Staatsaufsicht über die Kirchen S. 285. - d) Religionsrechtliche Gesetzgebungskompetenzen des Reichs S. 287.- e) Der Abschluß von Konkordaten und evangelischen Kirchenverträgen S. 288.- 2. Das Staatskirchenrecht in der

237-294

XIV

Inhaltsverzeichnis

Ära des Nationalsozialismus S. 289. - a) Der Abschluß des Reichskonkordats. NS-Kirchenpolitik und katholische Kirche S. 290. - b) Nationalsozialistische Kirchenpolitik und evangelische Kirche S. 291. - c) Planmäßiger Kirchenkampf der NS-Regierung 292. - 3. Die Kirchenartikel des Banner Grundgesetzes S.293 11. Ein Dokumentarwerk zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Rezension der vierbändigen Quellensammlung "Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert" von Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber (1973; 1976; 1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

295-308

I. Besprechung zu Band I. S. 295. - II. Besprechung zu Band II. S. 297. - III. Besprechung zu Band III. und IV. S. 300.- Band III. S. 301. -Band IV. S. 304

m. Grundstrukturen des Staatskirchenrechts 12. Grundfragen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311-335

I. Das System der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland: 1. Das Grundverhältnis zwischen dem Staat und den Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland S. 311.-2. Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts zwischen dem Bund und den einzelnen Bundesländern S. 314.-3. Die Organisationsstruktur der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik DeutschlandS. 316. - 4. Die Bedeutung der Rechtsprechung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 S. 317.- 5. Der Stand der Staatskirchenrechtswissenschaft in der Bundesrepublik DeutschlandS. 319.- II. Einzelne Sachgebiete des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland: 1. Der Religionsunterricht S. 322. - 2. Die Theologischen Fakultäten S. 325. - 3. Das individuelle und kollektive kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht S. 328. - 4. Das kirchliche Besteuerungsrecht S. 332.- 5. Sonstige Einzelgebiete des Staatskirchenrechts S. 335 13. Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Wissenschaftlicher Status und gegenwärtige praktische Bedeutung (1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Staatskirchenrecht als Teilbereich des Verfassungs- und Staatsrechts S. 336. - II. Die gegenständlichen Materien des Staatskirchenrechts: 1. Das Grundproblem des Staatskirchenrechts S. 338.-2. Die besondere Situation des Staat-Kirche-Verhältnisses in der Bundesrepublik Deutschland S. 340. 3. Die hauptsächlichen Bereiche des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland S. 343. - III. Das Staatskirchen-

336-354

lnhal tsverzeichnis

XV

recht in der rechtswissenschaftliehen Literatur und in der Rechtsprechung: 1. Die Literatur zum Staatskirchenrecht S. 350. - 2. Die Bedeutung der Rechtsprechung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland S. 353 14. Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklung von 1989 bis 1994 (1995) . . . . .

355-391

I. Der Wiederaufbau der staatskirchenrechtlichen Ordnung seit 1989- Erfolge und Schwierigkeiten S. 355.- II. Religionssoziologische und religionsstatistische Gegebenheiten S. 361. - III. Unmittelbare staatsrechtliche und mittelbare kirchenrechtliche Auswirkungen des Inkrafttretens des Einigungsvertrags auf den Gebieten des Staatskirchenrechts und der Organisationsstruktur der Kirchen: 1. Unmittelbare staatsrechtliche Auswirkungen des Einigungsvertrags S. 363.-2. Mittelbare innerkirchliche Auswirkungen der staatlichen Wiedervereinigung: Die Wiederherstellung der innerkirchlichen Einheit S. 368. - IV. Die Neuordnung der Diözesanorganisation und -Zirkumskription in den neuen Bundesländern und im Norden Deutschlands S. 370. -V. Die Kirchenartikel der Verfassungen der neuen Bundesländer S. 376. VI. Religionsunterricht S. 381.- VII. Das Staatskirchenvertragsrecht in den neuen Bundesländern: 1. Die evangelischen Kirchenverträge S. 385.-2. Konkordatäre Vereinbarungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern S. 388. - Leitsätze S. 389 15. Staat und Kirche bei illrich Scheuner (1903-1981) (1982) I. Das Grundverhältnis der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Lehre Ulrich Scheuners: 1. Die Wirkungsgeschichte des Einflusses Scheuners auf die Entwicklung des Staats- und Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik DeutschlandS. 392. 2. Publikationen illrich Scheuners zum Gesamtverhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland S. 396. - 3. Einzelfragen des Grundverhältnisses von Staat und Kirche S. 406. - II. Die dauernde Präsenz der Geschichte im staatskirchenrechtlichen Denken Scheuners: 1. Der besondere Bezug des Staatskirchenrechts zur Geschichte S. 415. - 2. Hauptsächliche Publikationen Scheuners zur Geschichte des Staatskirchenrechts S. 417. - 3. Kürzere historische Beiträge S. 418. - 4. Rudolf Smend als Kenner der Geschichte S. 419.- 111. Die Stellung der Kirchen im internationalen Recht und das Staatskirchenrecht ausländischer Staaten: 1. Die Stellung der Kirchen im internationalen Recht S. 420. - 2. Das Staatskirchenrecht ausländischer Staaten S. 422. - IV. Konkordate und evangelische Kirchenverträge: 1. Die KonkordateS. 423.- 2. Die evangelischen Kirchenverträge S. 425.-3. Kirchenverträge und Staatsgesetz S. 427.- V. Religions- und Gewissensfreiheit: 1. Individuelle und korporative Religionsfreiheit S. 428.- 2. Extensive Auslegung des Begriffs der Religionsfreiheit S. 430. - 3. Toleranz und ParitätS. 431.- 4. Gewissensfreiheit S. 432. - 5. Wehr- und Kriegsdienstverweigerung S. 433. - VI. Schule und Religionsunterricht: 1. Die Zulässigkeit der Veranstaltung von Schulgebeten S. 434.-2. Der Reli-

392-466

XVI

Inhaltsverzeichnis

gionsunterricht S. 436. - 3. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit christlicher Gemeinschaftsschulen S. 438. -VII. Theologische Fakultäten: 1. Der Bestand der Theologischen Fakultäten S. 442. - 2. Das konfessionell gebundene Staatsamt des Lehrers der Theologie S. 444. - VIII. Kirchenvermögensrecht und Kirchensteuer: 1. Kirchenvermögensrecht S. 446.- 2. Kirchensteuer S. 449. - IX. Philosophische und theologische Begründung des Rechts S. 450.- X. Evangelisches Kirchenrecht: 1. Rechtstheologische Grundlagen S. 453. - 2. Die Organisationsstruktur der evangelischen Kirche S. 455. - 3. Ordnung und Verwaltung der Kirche S. 455. - XL Rechtsfragen der Ökumene und des Ökumenischen Rates der Kirchen S. 458. XII. Der Auftrag der Kirche und der Christen in der Welt von heute: 1. Die Aufgaben der Kirchen und der Christen in der internationalen Gemeinschaft S. 459.-2. Der Schutz der MenschenrechteS. 461.-3. Die Sicherung des Friedens in der Welt S. 461. - 4. Kirche und Entwicklungspolitik S. 462. - 5. Die Stellung und der Auftrag der Kirche im freiheitlichen Rechtsstaat S. 462. -XIII. Zusammenfassende Würdigung S. 463

Konkordate und Kirchenverträge 16. Konkordate und Kirchenverträge (1987) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

469-493

I. Die Bedeutung der Konkordate und Kirchenverträge im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland S. 469. - II. Die Rechtsnatur der Konkordate und Kirchenverträge: 1. Die Konkordate S. 472. - 2. Die Kirchenverträge S. 474. - III. Die Regelungsmateriender Konkordate und Kirchenverträge S. 476.- :rv. Das Verfahren beim Abschluß der Konkordate und Kirchenverträge: 1. Die KonkordateS. 477.- 2. Die Kirchenverträge S. 482. - V. Der historische Verlauf der Entwicklung des Staatskirchenvertragsrechts im 20. JahrhundertS. 483 17. Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (1989) . . . . . . . . I. Die Fortgeltung des Reichskonkordats nach dem Zweiten WeltkriegS. 494.- II. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts S. 500.- III. Die einzelnen Regelungsmaterien des Reichskonkordats: 1. Religions- und Kirchenfreiheit und staatsunabhängige Geltung der kirchlichen Rechtsordnung S. 502. - 2. Errichtung einer Apostolischen Nuntiatur und einer Deutschen Botschaft beim Heiligen StuhlS. 503.- 3. Rechtsstellung, freie Betätigung und Ausbildung der KlerikerS. 504. - 4. Die Diözesanorganisation und -Zirkumskription S. 505. - 5. Ämtererrichtung, Ämterbesetzung, Bischofswahlrecht, Politische Klausel, Treueid der Bischöfe S. 506. - 6. Gründungs- und Betätigungsfreiheit der Orden und religiösen Genossenschaften S. 509. - 7. Theologische

494-521

Inhaltsverzeichnis

XVII

Fakultäten, Schul- und Bildungswesen, Religionsunterricht S. 511.- 8. Schutz des kirchlichen Eigenturns und Garantie der Staatsleistungen S. 514. - 9. Militär- und Anstaltsseelsorge S. 514.- 10. Eherecht, Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes, völkische Minderheiten S. 515.-11. Katholische Organisationen und Verbände S. 516.- 12. Verbot der parteipolitischen Betätigung von Priestern und Ordensleuten S. 518. - Iv. Abschließende Bemerkungen S. 519 522-543

18. Konkordate aus der Sicht des Heiligen Stuhles (1994) I. Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 im Urteil der Päpste Pius XI. und Pius XII. S. 522.- II. Das erstrangige und letzte Ziel der Kirche beim Abschluß von Konkordaten S. 524. - III. Das Konkordat als das adäquate und daher wünschenswerte Mittel zur rechtlichen Sicherung des Heilsauftrags der Kirche gegenüber der Staatenwelt S. 527.- IV. Auf Dauer angelegte Friedensordnung S. 531.V. Die historische Situation und die unterschiedliche Motivation der Konkordatspartner beim Abschluß von Konkordaten S. 535. -VI. Der Inhalt der KonkordateS. 540 19. Die konkordatäre Entwicklung in Bayern von 1817 bis 1988 (1991) 0

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I. Das Konkordat vom 15. Juni 1817 zwischen Papst Pius VII. und König Maximilian I. Joseph- Vorgeschichte S. 544. - II. Die Konkordatsverhandlungen und der Abschluß des Konkordats vom 5. Juni 1817: a) Der Verlauf der Konkordatsverhandlungen S. 548.b) Der Inhalt des Konkordats vom 5. Juni 1817 S. 553. - c) Der Widerspruch zwischen dem Konkordat und dem Religionsedikt S. 555. - III. Konkordat und Religionsedikt im bayerischen Staatskirchenrecht während des 19. Jahrhunderts und bis zum Ende der Monarchie S. 562.- IV. Das Konkordat vom 29. März 1924 zwischen Papst Pius XI. und dem Staate Bayern- Entstehungsgeschichte: a) Die Frage der Fortgeltung des Bayerischen Konkordats vom 5. Juli 1817 S. 570. - b) Der Gang der Konkordatsverhandlungen S. 571.- c) Der Inhalt des Bayerischen Konkordats S. 577. -V. Die evangelischen bayerischen Kirchenverträge vom 15. November 1924: a) Das Bayerische Konkordat als Modell für den neuen '!YPus des evangelischen Kirchenvertrags S. 581. - b) Der wesentliche Inhalt des Bayerischen Kirchenvertrags S. 583. - VI. Die Entwicklung der Bayerischen Staatskirchenverträge von 1924-1988: a) Ergänzungen und Novellierungen des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 S. 584. - b) Ergänzungen und N ovellierungen des Bayerischen Kirchenvertrags von 1924-1988 S. 588. - c) Gesamtwürdigung der bayerischen Staatskirchenverträge S. 590

544-590

Abkürzungsverzeichnis AAS ABI.

ADB AfkKR, ArchkathKR AG ALR Arun.

AnzkathGeist AöR AP Apk ArbG ArchKathKR Art. ASS Aufl. AVG BadK Bad.-Württ.Verf. BAG BAGE BayEUG BayK BayKiStG BayVBl. BayVerf., BV BayVerfGH BayVerfGHE BayVGH BB Bd(e). BFH

Acta Apostolicae Sedis Amtsblatt Allgemeine Deutsche Biographie Archiv für katholisches Kirchenrecht Amtsgericht Allgemeines Landrecht Anmerkung Anzeiger für die katholische Geistlichkeit Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Apokalypse Arbeitsgericht s.AfkKR Artikel Acta Sanctae Sedis Auflage Angestelltenversicherungsgesetz Badisches Konkordat Verfassung des Landes Baden-Württemberg Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen Bayerisches Konkordat Bayerisches Kirchensteuergesetz Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Der Betriebs-Berater Band, Bände Bundesfinanzhof

Abkürzungsverzeichnis BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BRRG BSGE BV BVerfG BVerfGE BVerfGG BVeiWG BVeiWGE BVG c.,can. cc. CCEO CD, VatiiCD

XIX

Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Beamtenrechtsrahmengesetz Entscheidungen des Bundessozialgerichts Verfassung des Freistaates Bayern (amtliche Abkürzung in Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht BundesveiWaltungsgericht Entscheidungen des BundesveiWaltungsgerichts Betriebsverfassungsgesetz

csu

canon canones Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium Vaticanum II, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" (AAS 58 [1966], s. 673-696) Christlich Demokratische Union Codex Iuris Canonici Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Christlich Soziale Union

DB DDP DDR DNVP DÖV DOK DP DtZ DVBl. DZP

DerBetrieb Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutschnationale Volkspartei Die Öffentliche VeiWaltung Deutsch-schweizerische Ordinarienkonferenz Deutsche Partei Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches VeiWaltungsblatt Deutsche Zentrumspartei

ebd. EFG EGBGB

ebenda Entscheidungen der Finanzgerichte Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

CDU CIC CSEL

XX

EKD EKMR Eph Erl. ESVGH EuGRZ e.V. EvStL 1

Abkürzungsverzeichnis Evangelische Kirche in Deutschland Europäische Kommission für Menschenrechte Brief an die Epheser Erläuterung Entscheidungssammlung des Hessischen und des Württembergisch-Badischen Verwaltungsgerichtshofs Europäische Grundrechte-Zeitschrift eingetragener Verein Evangelisches Staatslexikon. 1. Aufl., hrsg. von Hermann Kunst und Siegfried Grundmann in Verbindung mit Wilhelm Sehneerneicher und Roman Herzog. Stuttgart, Berlin 1966 Evangelisches Staatslexikon. 3. Aufl., hrsg. von Roman Herzog, Hermann Kunst, Klaus Schlaich, Wilhelm Schneemelcher. 2 Bde., Stuttgart 1987

FamRZ FAZ FDP FG Frhr.

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Finanzgericht Freiherr

G

Gesetz Grundbuchordnung gezeichnet Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetzsammlung Gesetz- und Verordnungsblatt

GBO gez. GG GRUR GS GVBl. HdbBayStKirchR HdbDStR HdbKathKR HdbStKirchR 1

Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts. Von Otto J. Voll unter Mitwirkung von Johann Störle, München 1985 Handbuch des Deutschen Staatsrechts. Hrsg. von Gerhard Anschütz und Richard Thoma. 2 Bde., Tübingen 1930-1932 Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz. Regensburg 1983 Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 1. Aufl., hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl. 2 Bde., Berlin 1974/1975

Abkürzungsverzeichnis HdbStKirchR 2 HessStGH Hess.Verf. h.M. HRG

Hrsg. HStR

XXI

Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl., hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pirson. 2 Bde., Berlin 1994/1995 Hessischer Staatsgerichtshof Hessische Verfassung herrschende Meinung Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann. Berlin 1971 ff. Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof. Heidelberg 1987 ff.

i.d.F.d.B. IKZ Communio i.V.m.

in der Fassung der Bekanntmachung Internationale Katholische Zeitschrift "Communio" in Verbindung mit

Jhg.

Jahrgang Justizministerialblatt Jahrbuch des öffentlichen Rechts Johannesevangelium Juristische Dissertation Juristische Schulung Juristenzeitung

JMBL

JöR Joh Jur. Diss. JuS JZ Kanz. Kat.Bl. KDVG KDVNG

KG KGJ KirchE KNA KSchG KSZE LAG LEF

Kirchlicher Anzeiger Katechetische Blätter Kriegsdienstverweigerungsgesetz Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz) vom 28. 2. 1983 Kammergericht Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kosten-, Stempel- und Strafsachen Entscheidungen in Kirchensachen Katholische Nachrichten-Agentur Kündigungsschutzgesetz Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Landesarbeitsgericht Lex Ecclesiae Fundamentalis

XXII LG LG Lk LKV

LS L.S. LThK L ThK2 -Konzilskommentar

Abkürzungsverzeichnis Landgericht Vaticanum li, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" (AAS 57 [1965], S. 5-75) Lukasevangelium Landes- und Kommunalverwaltung. Verwaltungsrechts-Zeitschrift für die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Leitsatz Locus sigilli Lexikon für Theologie und Kirche Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil - Dokumente und Kommentare. 3 Bde. Freiburgi.Br., Basel, Wien 1967/1968

MDR Mk Mosiek Verf.

Monatsschrift für Deutsches Recht Markusevangelium Ulrich Mosiek, Verfassungsrecht der Lateinischen Kirche. 3 Bde., Freiburg i.Br. 1975-1978

MP Ms. Mt m.w.N.

Motuproprio Manuskript Matthäusevangelium mit weiteren Nachweisen

NDB

Neue Deutsche Biographie NeueFolge Niedersächsisches Konkordat Neue Juristische Wochenschrift Nachkonziliare Dokumentation, Bd. 1-39 und 41-58, Trier 1967-1977 Nationalsozialismus, nationalsozialistisch(e, er, es) Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht N ordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen

N.F. NiedersK NJW NKD

NS NSDAP NVwZ NWVBL NWVerf. Ochoa ÖArchKR ÖKI

Xaverius Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris Canonici editae (1917-1985), Bd. I-VI, Roma 1966-1987 Österreichisches Archiv für Kirchenrecht Ökumenische Informationen (Informationsdienst der KNA)

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

OLG OVG OWiG

Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr ohne Jahr Ordenskorrespondenz Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PerRMCL Phil.-hist. Klasse PrALR PStG P.U.C.E.

Periodica de re morali canonica liturgica, Roma 1905 ff. philosophisch-historische Klasse Preußisches Allgemeines Landrecht Personenstandsgesetz Pontificia Universidad Cat6lica del Ecuador

RdA RDHS

Recht der Arbeit Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 Randnummer Reichsgesetzblatt Die Religion in Geschichte und Gegenwart Verfassung für Rheinland-Pfalz Reichskonkordat Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 Römerbrief Rentenreformgesetz Religionsunterrichtsgesetz (Österreich) Reichsversicherungsordnung Randziffer

ÖTV

o.J.

OK

Rdnr. RGBl. RGG Rheinl.-PfalzVerf. RK RKEG Röm RRG RUG RVO Rz.

s. Saarl.Verf. SCCausSS SCFid Schema PopDei SED SGB S.J.

SKZ Sp. SPD

Seite; Sanctus Verfassung des Saarlandes Sacra Congregatio pro Causis Sanetarum Sacra Congregatio pro Doctrina Fidei Schema canonum libri II de Populo Dei, 'IJp. Pol. Vat. 1977 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialgesetzbuch Societas Jesu Schweizerische Kirchenzeitung, Luzern 1832 ff. Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands

XXIV

StAZ StdZ StGB StL StL7 StVO

sz

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für das Standesamtswesen Stimmen der Zeit Strafgesetzbuch Staatslexikon der Görres-Gesellschaft Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7. Aufl., 7 Bde., Freiburg i. Br., Basel, Wien 1985-1993 Straßenverkehrs-Ordnung Süddeutsche Zeitung

Tit. TRE

Titel Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller. Berlin, New York 1977 ff.

UdSSR UNO USA

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organization United States of America

Vatll CD VDO VELKD

s.CD Vereinigung Deutscher Ordensobern Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Verordnung Vereinigung der Ordensobern der Brüderorden und -kongregationen Vereinigung der Ordensoberinnen Deutschlands volume, volumen Volksschulordnung (Bayern) Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsrechtsprechung Allgemeine yerwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung

VG VGH

vo

VOB VOD vol.

vso VSSR VVDStRL VwGO VwRspr. Vwv-StVO WeimRV,WRV WpflÄndG WpflG WRV

Weimarer Reichsverfassung Wehrpflichtänderungsgesetz Wehrpflichtgesetz s. WeimRV

Abkürzungsverzeichnis ZaöRV ZblJugR ZDG ZEE ZevKR ZGB Ziff. ZPO

ZRG Kan. Abt.

XXV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zivildienstgesetz Zeitschrift für evangelische Ethik Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zivilgesetzbuch (Schweiz) Ziffer Zivilprozeßordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung

Zu Wirkung und wissenschaftlichem Profil von Joseph Listl Von Josef Isensee und Wolfgang Rüfner I. Die Polarität von Staat und Kirche prägt Europa, seit das Christentum in die Geschichte eingetreten ist, die politisch-religiöse Einheit des antiken Imperiums von innen her durch die Scheidung von Immanenz und Transzendenz aufgesprengt und den Dualismus heraufgeführt hat zwischen dem Reich von dieser Welt und dem Reich Gottes nach Jacob Burckhardt "der größte Umschlag, der jemals vorgekommen". Die christliche Gewaltenteilung, die hier aufbricht, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, es sei denn durch Sturz in totalitäre Barbarei. Sie hat sich in der Geschichte als schöpferisch erwiesen und immer weitere Gewaltenteilungen ausgelöst. Der historische Prozeß hat über Kampf und Versöhnung, über Auseinandersetzung und Ausgleich zum säkularen Staat der Neuzeit geführt und schließlich zum Verfassungsstaat, ohne daß er hier endgültig zur Ruhe käme. Der Staat kann der Positionsbestimmung zur Kirche nicht ausweichen, er muß sich, sq oder so, auf sie einrichten, weil er sie als Größe der Lebenswelt vorfindet. Wenn er rechtlich allein die Bürger sieht, nicht aber die Christen oder Nichtchristen, so sind es doch dieselben Menschen, für die Staat und Kirche handeln. Was der Staat ist, entscheidet sich wesentlich darin, wie er sein Verhältnis zur Kirche bestimmt. Gleich, ob er Distanz oder Nähe sucht, ob er sich ihr öffnet oder sie ausgrenzt, ob er Über-, Unter- oder Gleichordnung beansprucht, ob er ihr als Freund, als Feind oder als Neutraler begegnet, stets definiert er damit sein eigenes Wesen, rührt er an den Legitimationsgrund seines Seins und Thns, gibt er Rechenschaft über seine Ziele und Mittel, über Reichweite und Grenzen seiner Wirksamkeit. Er deckt seine Fundamente auf. Das Recht, in dem der Staat seine Beziehungen zur Kirche ordnet - das Staatskirchenrecht -, weist denn auch fundamentale Züge auf, wie sie sonstigen Rechtsdisziplinen (vielleicht abgesehen vom Völkerrecht) durchwegs fremd sind. Das Staatskirchenrecht ist Staatsrecht par excellence. Es ist Bestandteil

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Josef lsensee und Wolfgang Hüfner

der rechtlichen Grundordnung des Gemeinwesens: der materiellen Verfassung. Das gilt selbst dann, wenn es nicht ausdrückliches Thema der Verfassungsurkunde ist. In Deutschland aber ist das Staatskirchenrecht in seinen wichtigsten Elementen Regelungsgegenstand des Grundgesetzes und genießt so auch förmlichen Verfassungsrang. Der Verfassungsstaat bietet kein Einheitsmodell des Staatskirchenrechts, das weltweite Geltung beanspruchte wie die Prinzipien der Demokratie oder der Menschenrechte. Vielmehr gibt er unterschiedlichen Möglichkeiten Raum. Auf seinem Boden haben sich verschiedenartige Konzepte entwickelt. In ihnen machen sich die eigentümlichen Gegebenheiten eines Landes geltend, Geschichte und Politik, Religion und Kultur. Das gilt gerade für Deutschland. Das deutsche Staatskirchenrecht, weniger gesetzgeberisch "gemacht" als historisch gewachsen, ist originell, ein Unikat aus autochthonen und gemeineuropäischen Elementen. So erschließen sich die Normen des Grundgesetzes über Kirchenautonomie oder Staatsleistungen denn auch nur über ihre historischen Voraussetzungen und Implikationen. Im deutschen Staatskirchenrecht vollzieht sich die coincidentia oppositorum: Trennung und Freundschaft zwischen Staat und Kirche; prinzipielle Inkongruenz ihres Auftrags und praktische Kooperation; religiöse Neutralität des Staates und staatliche Förderung; Freiheit der Kirche und kirchliche Dienste für das säkulare Gemeinwesen; Gleichheit aller Staatsbürger und paritätischer, öffentlicher Sonderstatus der Kirchen. Deutschland bringt hier ein spezifisches Verfassungserbe in den europäischen Einigungsprozeß ein und muß es in ihm bewahren.

n. Das duale Konzept des Staatskirchenrechts weitet sich zum Beziehungsdreieck über das Grundrecht der Religionsfreiheit. Mit ihm tritt das Individuum als Subjekt der Religionsfreiheit den Institutionen von Staat und Kirche gegenüber. Glaube und Gewissen werden durch das Freiheitsrecht in seiner Abwehrfunktion dem Zugriff des Staates entzogen. Der einzelne Grundrechtsträger entscheidet über sein religiöses Bekenntnis und seine religiöse Betätigung, über Zuwendung oder Distanz zur Kirche. Die Kirche aber partizipiert an der individualen Grundrechtsfreiheit ihrer Mitglieder und erlangt ihrerseits den Schutz der (korporativen) Religionsfreiheit. Damit treffen zwei Schichten der Rechtskultur aufeinander: die ältere, das durch eigentümliche deutsche Traditionen geprägte Recht der Institutionen, und die jüngere, das Grundrecht des Einzelnen, das, in

Zu Wirkung und wissenschaftlichem Profil von Joseph Listl

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Übereinstimmung mit dem heute weltweiten Menschenrechtsstandard, sich in der Konsequenz einer individualistischen Grundrechtsdogmatik entfaltet. Damit stellt sich das Problem, ob die Rechtsschichten einander vertragen, ob und wie sie zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Den Weg aus diesem Dilemma findet im Jahre 1968 ein junger, noch nicht einmal promovierter Gelehrter, der auf dem dritten der "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche" seine Thesen vorträgt, Joseph Listl. Er zeigt, daß die Religionsfreiheit des Grundgesetzes ein Doppelgrundrecht ist: daß sie neben der individualen Freiheit des Einzelnen, sich in religiösen Vereinigungen zusammenzuschließen, das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der religiösen Vereinigungen enthält, "selbst, jeweils unabhängig vom Staat, die durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zu allseitiger Erfüllung wahrzunehmen". Die korporative Religionsfreiheit aus Art. 4 GG konvergiert so mit Garantien kirchlicher Selbstbestimmung in Art. 137 Abs. 1-3 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Sie regeln denselben Gegenstand. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG stellt sich dar als "Deklaration" des Freiheitsrechts aus Art. 4 GG. Listl findet im Grundrecht der Religionsfreiheit die eigentliche verfassungsrechtliche Legitimationsbasis der staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen. Diese bedeuten die "konsequente Verwirklichung" des Individual- und Verbandsgrundrechts. Doch sie sind deshalb nicht rechtlich entbehrlich, weil das Grundrecht, für sich allein genommen, "ambivalent ist zum Aufbau sehr verschiedener Systeme und daher ohne ein komplementäres Organisationsprinzip keine zureichende Gestaltungsgrundlage für eine konkrete staatskirchenrechtliche Ordnung darstellt". Im Lichte dieser Auslegung zeigen sich die Weimarer Kirchenartikel, die, infolge eines unschönen verfassungsredaktionellen Kompromisses, in einer Schlußvorschrift des Grundgesetzes durch Verweisung fortgeschrieben werden, nicht als Fremdkörper, sondern als integrale Bestandteile der Verfassungsordnung. Die geschichtsbeladenen ehrwürdigen Institutionen verjüngen sich aus dem Grundrecht und erhalten frische legitimatorische Blutzufuhr. Die heterogenen Bausteine ergeben ein einheitliches Bauwerk, das den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht wird. Die souveräne verfassungsdogmatische Zusammenschau, die Listl glückt, setzt sich durch. Sie wird Gemeingut, so daß beinahe in Vergessenheit geraten ist, wer eigentlich der Urheber der neuen grundrechtliehen Sichtweise gewesen ist. Aus der Symbiose grundrechtlicher und instutioneller Verfassungselemente ergeben sich in der Lehre wie in der Praxis, vor allem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, grosso modo ausge-

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Josef lsensee und Wolfgang Rüfner

wogene Lösungen der heiklen Grundsatz- und Detailprobleme, ein schonender Ausgleich zwischen den Rechten der Individuen und der Institutionen, zwischen den Positionen der Kirche und des Staates. Der interpretatorische Konsens trägt die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen hochsensiblen Bereich des Gemeinwesens. Doch der Konsens wird immer wieder angefochten. So drängt der Laizismus dahin, die Kirche aus der Öffentlichkeit zu verbannen und abzudrängen ins Private, die kooperative Unabhängigkeit zu überführen in ein Be-. rührungsverbot, die freundschaftliche Trennung abzulösen durch Ausgrenzung und Diskriminierung gegenüber anderen gesellschaftlichen Mächten. Was Interpretation leistet, kann Interpretation auch wieder zerstören. Das geltende Staatskirchenrecht muß seine juristische Konsistenz und seine praktische Brauchbarkeit stets erweisen. Nur so bleibt es stabil unter den Bedingungen einer säkularen Rechtsordnung, einer freiheitlichen Demokratie, einer pluralistischen Gesellschaft, eines launischen Zeitgeistes. Das Staatskirchenrecht hat es heute schwer, seine Akzeptanz zu bewahren, weil die christliche Substanz in der Gesellschaft schrumpft, Kirchenbindung sich lockert, Religionen aus anderen Kulturkreisen auftreten, denen die hergebrachten rechtlichen Formen nicht ohne weiteres gemäß sind, weil allgemein der historische Sinn abnimmt wie das Verständnis für Institutionen. Die epochale Bewährungsprobe bildet der Neuaufbau der staatskirchenrechtlichen Institutionen vom Religionsunterricht bis zur Kirchensteuer auf dem postkommunistischen Terrain der ehemaligen DDR, die Rückgewöhung einer paganisierten Gesellschaft an öffentliches Wirken der Kirchen, die Rückgewöhnung der Kirchen an Eigenverantwortung im Staat.

m. Die wissenschaftliche Erschließung des Konzepts grundrechtlicher und staatskirchenrechtlicher Freiheit ist die Lebensaufgabe, in deren Dienst sich Joseph Listl stellt. Er ist durchdrungen von der Überzeugung, daß unter den heutigen Gegebenheiten das geltende Recht, in der interpretatorischen Gestalt, die es in der Bundesrepublik Deutschland angenommen hat, die richtige Lösung ist, auch wenn er nicht verkennt, daß es auf andere Länder auch anderer Tradition nicht ohne weiteres übertragbar ist. Mit der ihm eigenen Energie arbeitet er daran, dieses Konzept zeitgemäß zu entwickeln, zu erhalten, zu stärken. Das weite Feld des Staatskirchenrechts hat Listl drei Jahrzehnte hindurch nahezu umfassend literarisch beackert. Die Ernte ist reich.

Zu Wirkung und wissenschaftlichem Profil von Joseph Listl

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Sie enthält Grundsatzabhandlungen zur Rechtsdogmatik der Religions-, Gewissens- und Kirchenfreiheit, zu Konkordaten und Kirchenverträgen in ihrem dogmatischen Gehalt, ihren grundrechtliehen Voraussetzungen sowie ihrer Entfaltung in Literatur und Staatspraxis. Neuere Schriften spiegeln die heikle Bewährungsprobe des Staatskirchenrechts, wie es sich auf westdeutschem Boden entwickelt hat, auf die neuen Bundesländer. Nicht mindere Bedeutung als die grundsätzlichen Abhandlungen haben die Arbeiten zu konkreten Rechtsfragen wie religiöse Kindererziehung und Religionsunterricht, Konkordatslehrstühle und kirchliches Arbeitsrecht, Kirchenbücher und Fronleichnamsprozession, Kirchensteuer und Kirchenaustritt. Die praktische Bedeutung des Staatskirchenrechts zeigt sich in der Vielfalt seiner Facetten. Keines der praktischen Rechtsprobleme läßt sich allein im Rahmen des Staatskirchenrechts begreifen und lösen. Alle sind verschränkt mit anderen Rechtsmaterien, so dem bürgerlichen Recht und dem Schulrecht, dem Arbeits- und dem Personenstandsrecht, dem Polizei- und dem Steuerrecht. Die Einheit der Rechtsordnung wird eindrucksvoll sichtbar. Andererseits läßt sich keiner der Fälle angemessen lösen ohne Sinn für dogmatische Zusammenhänge und historische Fundierung der staatskirchenrechtlichen Einrichtungen. Die Staat-Kirchen-Jurisprudenz, die Listl betreibt, ist immer auch praktische Wissenschaft. Wissenschaft und Praxis stehen in Wechselbeziehung. Eine dogmatische These hat sich am konkreten Problem zu bewähren. Sie muß dazu taugen, der Praxis Orientierung zu geben. Andererseits verliert sich auch die Diskussion des konkreten Problems nicht in schieren Pragmatismus. Die dogmatische Perspektive wird gewahrt. Hier erweist sich die Begründung des Staatskirchenrechts aus der Religionsfreiheit als archimedischer Punkt, von dem aus sich die Rechtswelt, wenn nicht bewegen, so doch interpretatorisch fassen läßt.

IV.

Organisatorische Plattform ist für Listl das Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands in Bonn; seit seiner Gründung im Jahre 1971 ist Listl als Direktor tätig. Als solcher leistet er Dienste als Berater und Gutachter in Rechtsfragen. Das Institut dient als Warte zur Beobachtung des Rechtsgeschehens, als Bibliothek und Archiv, als literarische Werkstatt, als Editions- und Redaktionszentrum für Sammelwerke, als Operationsbasis für Beratung und Begutachtung. Im Institut begegnen sich Theorie und Praxis des Staatskirchenrechts, System und Fall, Begriff und Anschauung.

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Josef lsensee und Wolfgang Hüfner

Prominente Leistungen des Instituts in Listls Initiative und Regie sind Editionen von quantitativem und qualitativem Gewicht, vor allem das zweibändige Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, ein Gemeinschaftswerk, zu dem sich in der ersten Auflage (1974175), konfessionsparitätisch ausgewählt, 44 Autoren finden. Listl gelingt es, die Bonner Staatsrechtslehrer Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner als Herausgeber zu gewinnen, indes er selbst "in Verbindung mit" diesen firmiert. Das Handbuch faßt den Stand der Forschung zusammen und gibt ihr kräftige Impulse. Es bildet, wenn nicht die Summa, so doch das Resümee und den Thesaurus des deutschen Staatskirchenrechts und erhebt sich zur Autorität für Lehre wie Praxis. Es erlebt, nunmehr unter der Herausgeberschaft von Joseph Listl und Dietrich Pirson, seine zweite Auflage (1994/95). Daneben steht die von Listl herausgegebene zweibändige Textausgabe der Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland (1987). In diesen wie den anderen Aktivitäten des Instituts bewähren sich Listls Rechts- und Menschenkenntnis, seine Organisationskunst und Integrationsfähigkeit, Kompetenz und Judiz.

V. Die staatskirchenrechtlichen Agenden entsprechen dem akademischen Werdegang Listls: dem juristischen Studium und der Promotion zum Doktor der Rechte an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bann (1970), der staatsrechtlichen Habilitation an der Juristischen Fakultät der Universität Bochum (1977) und der Zugehörigkeit zur Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer. Doch das ist nur ein Teil seines Wirkungsfeldes. Dieses umfaßt nicht nur das Recht des Staates, sondern auch das Recht der Kirche. Diese zweite Aufgabe ergibt sich nicht allein aus zufälliger wissenschaftlicher Neigung. Sie korrespondiert dem kirchlichen und dem akademischen Amt. Listlist Theologe, katholischer Priester und Mitglied des Jesuitenordens. Die Bochumer venia legendi bezieht sich auch auf das Kirchenrecht. Als ordentlicher Professor für Kirchenrecht lehrt er an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Dem kanonischen Recht, seinen Rechtsquellen und der Geschichte seiner Doktrin gelten eine Reihe von Publikationen. Besondere Wirkung in Lehre und Praxis erreichen der "Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts" (1980) und das "Handbuch des katholischen Kirchenrechts" (1983), von Listl initiierte und mitherausgegebene Gemeinschaftswerke der deutschen Kanonistik, in denen ein Pendant zum Handbuch des Staatskirchenrechts entsteht.

Zu Wirkung und wissenschaftlichem·Profil von Joseph Listl XXXIII

Listl ist wie kein zweiter dazu berufen, das Beziehungsgefüge StaatKirche-Individuum auch aus der Sicht der (katholischen) Kirche zu deuten. Gegenüber der staatskirchenrechtlichen Sicht bedeutet sie einen Wechsel der Perspektive um 180 Grad. Hier ist Standort der säkulare Staat, der sich auf diesseitige Aufgaben zurückzieht und die Frage religiöser Wahrheit den Individuen überantwortet, dort die Kirche, die sich als Mittlerin transzendenten Heils versteht, die sich aus religiöser Wahrheit legitimiert und die Pflicht zur Wahrheit einfordert. Die staatliche und die kirchliche Deutung können und dürfen niemals zur Dekkung gelangen. Lange Zeit erschienen die Positionen säkularer Freiheit und religiöser Wahrheit als schlechthin unvereinbar und unverträglich. Die Fronten des 19. Jahrhunderts haben sich jedoch längst erledigt. Der Widerspruch ist abgelöst durch Differenzierung, die dem staatlichen Bereich die negative Freiheit von der Religion, dem kirchlichen aber die positive Ausübung dieser Freiheit, die Verwirklichung der Religion zuerkennt, die gegenseitige Achtung vor der Eigengesetzlichkeit beider Seiten ermöglicht und den Weg öffnet zum sachgerechten Ausgleich kollidierender Belange. Im Zweiten Vatikanischen Konzil, zumal mit der Erklärung zur Religionsfreiheit, besiegelt die Kirche ihren Frieden mit den Prinzipien des Verfassungsstaates. Damit ist die theologische Voraussetzung bestimmt, von der aus Listl Wesen und Anspruch der Kirche deutet, im Innenverhältnis zu ihren Mitgliedern und Amtsträgern wie in ihrem Außenverhältnis zum Staat. Das Arbeitsfeld Listls, das sich hier auftut, ist das Ius Publicum Ecclesiasticum, seit dem 18. Jahrhundert das kanonistische Pendant zur staatlichen Disziplin des Staatskirchenrechts. Listl setzt sich dafür ein, das hergebrachte Ius Publicum Ecclesiasticum im Sinne des Aggiornamento anzupassen und den Lehren des Zweiten Vatikanums wie dem Recht des Codex Iuris Canonici von 1983 gemäß zu erneuern; aber er wehrt Bestrebungen ab, die vorkonziliaren Kategorien und Lehren voreilig zu verabschieden. Der Codex Iuris Canonici enthält, wie es der Tradition entspricht, "den festgefügten und in sich geschlossenen, auf göttliche Anordnung zurückgehenden Strukturplan der Kirche". Listl hält fest an der klassischen Deutung der Kirche - auch - als societas iuridice perfecta. Die Kirche bleibt ihm im Licht der Konzilstheologie beides zugleich: geistgewirkte und rechtlich verfaßte Einheit, sowohl Gemeinschaft des Glaubens und des Heils als auch Gemeinschaft des Rechts. Listl setzt sich ab von einer institutionsblinden Theologie und einer "sich gelegentlich esoterisch gebenden selektiven kanonistischen Mystagogik", die dazu neigen, die rechtliche Dimension der Kirche zu ignorieren. Eben in ihrer rechtlichen Dimension findet sie eine gemeinsame Bezugsebene zum Staat.

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Josef Isensee und Wolfgang Rüfner

Der historische Ausgleich zwischen Staat und Kirche sowie die ökumenische Befriedung der Beziehungen zwischen den Konfessionen sind für Listl kein Grund, katholische Positionen aufzuweichen, zurückzunehmen oder preiszugeben. Im Gegenteil: er weiß, was katholisch ist, und er sagt es auch deutlich. Nicht zufällig haben die Herausgeber des Evangelischen Staatslexikons gerade ihn eingeladen, die Stichworte "Kirche" und "Staat" unter dem Aspekt "Katholisch" zu behandeln (1987). VI.

In seinem zwiefachen Status als Jurist und als Theologe, als Staatsrechtslehrer und als Kanonist, steht Listl einzig d&. Er weiß seine doppelte Kompetenz in beide Richtungen fruchtbar zu machen und zu vermitteln zwischen den heterogenen Rechtsordnungen, in denen er jeweils zu Hause ist. In das Ius Publicum Ecclesiasticum bringt er Fragen und Begriffe des staatlichen Rechts ein, in dieses aber das kirchliche Selbstverständnis, das über die Freiheitsgarantien der Verfassung auch für staatliches Handeln bedeutsam werden kann. Die doppelte fachliche Zuordnung schafft heute keine prinzipiellen Loyalitätskonflikte mehr, weil beide Seiten sich auf ihre Grenzen besonnen haben. Ungeachtet aller Unterschiede, die zwischen Staat und Kirche bestehen, braucht der Interpret beider Rechte keinen unversöhnlichen Widerspruch zu fürchten, wenn er sich bemüht, dem Staat zu geben, was des Staates, und der Kirche, was der Kirche ist. Listl verteidigt energisch kirchliche Rechte, wo er sie gefährdet sieht, aber er interpretiert deshalb das staatliche Recht nicht parteilich nach Maßgabe kirchlicher Interessen. Er akzeptiert den ausgewogenen Kompromiß des Staatskirchenrechts auch in den Grenzen, die es dem kirchlichen Handeln zieht. Der antistaatliche Affekt, der sich zuweilen unter Theologen regt, die den Reiz wohlfeilen nachträglichen Widerstandes entdecken, liegt Listl ebenso fern wie der antirömische Affekt, der neuerlich auch katholische Kreise erlaßt.

vn. Seine wissenschaftliche Sicht des Staatskirchenrechts ist wesentlich vorgeprägt durch seinen ersten akademischen Lehrer Ulrich Scheuner in Bann, der seine Dissertation über "Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland" (1971) betreute. Der Protestant Scheunerist gleichsam der ökumenische Gewährsmann für den sachgerechten Zugang zu ei-

Zu Wirkung und wissenschaftlichem Profil von Joseph Listl

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ner Rechtsmaterie, welche die Folgen der Glaubensspaltung und der Modeme zu verarbeiten hat, die konfessionelle Vielfalt, den gesellschaftlichen Pluralismus, die Säkularität des freiheitlichen Staates. Zum Wegbereiter einer grundgesetzgemäßen Deutung des überkommenen Staatskirchenrechts war Scheuner berufen wie kein anderer aufgrund seines historischen Sinns, seiner Sensibilität für Entwicklungen, der Weite des Bildungshorizonts, der staatstheoretischen Kompetenz und der Offenheit für theologische Fragen. Eigenschaften solcher Art, ungewöhnliche wissenschaftliche Vielseitigkeit und Beweglichkeit, finden sich auch bei Listls zweitem - einem katholischen- Lehrer, Paul Mikat, der die Bochumer Habilitationsschrift (1978 veröffentlicht unter dem Titel "Kirche und Staat in der neuerenkatholischen Kirchenrechtswissenschaft") betreute.

vm. Die Arbeiten Listls, gleich ob sie sich dem staatlichen oder dem kirchlichen Recht widmen, lassen die einheitliche Handschrift des Verfassers erkennen. Er baut auf die Idee des Rechts und damit auf die Macht des Wortes, das sich im Recht verkörpert. Daraus ergibt sich ein strenger Normativismus, der, obwohl er sich der geschichtlichen Voraussetzungen der positiven Rechtsnormen bewußt ist, ihre rechtliche Geltung nicht außerrechtlichen Mächten anheimgibt. Der Normativismus behauptet sich gegen gesellschaftliche Bewegungen. Er paßt sich nicht wechselnden Stimmungen an. Gleichwohl erkennt Listl, daß sich das Recht in der Auslegung entwickelt. Seine Berichte über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liefern eindrucksvolle Belege. Dem Zeitgeist zum Trotz wahrt er Einsicht in die Notwendigkeit von Institutionen und ihre Funktionserfordemisse. Das gilt gleichermaßen für die Institutionen der Kirche wie die des Staates. Wie ihm "kanonistische Mystagogik" und theologische Zeitgeistlichkeit fremd sind, so auch Verfassungspietismus und integrationstheoretische Schwarmgeisterei. Listl verbindet Theorie und Praxis. Die Theorie stützt sich auf Erfahrung und richtet sich auf Anwendung. Praktische Fragen aber werden im Kontext des Systems erörtert. Die Lehre verliert sich nicht in weltferne Abstraktionen und in wolkige Gemeinplätze. Listl nimmt teil am wissenschaftlichen Diskurs zu dem Zweck, ein sachgerechtes Ergebnis zu finden, nicht aber, den Entscheidungen auszuweichen ins Gerede. Eine Aporie ist ihm Herausforderung, sie zu lösen, nicht aber Einladung, sie zu kultivieren und sich in ihr auf Dauer einzurichten. Das freilich versteht sich nicht von selbst in ehrwürdigen, von Traditi-

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Josef lsensee und Wolfgang Rüfner

on und Gelehrsamkeit gesättigten Disziplinen. Wohl aber entspricht es dem Naturell eines Bauernsohnes aus der altbaierischen Oberpfalz. Listl verfügt über eine Gabe, die in Wissenschaft und Praxis, in Staat und Kirche gleichermaßen rar ist: Urteilskraft. Die Urteilskraft aber lebt aus kräftigem katholischem Glauben.

I. Freiheit der Religion und des Gewissens

1 Sbd. Listl

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz A. Die Gewährleistung des Grundrechts der ReligionsfreiheitErgebnis eines langen historischen Prozesses Das II. Vatikanische Konzil begründet bereits in den Anfangsworten der "Erklärung über die Religionsfreiheit" die in diesem Konzilsdokument vollzogene Neuorientierung der lehramtliehen Auffassung der katholischen Kirche über die grundsätzliche Stellung des Staates zur Religion und seiner Verpflichtung zur Gewährleistung staatsbürgerlicher religiöser Freiheitsrechte mit dem glücklich formulierten Argument, daß die Würde der menschlichen Person den Menschen unserer Zeit immer mehr zum Bewußtsein komme. Es wachse die Zahl derer, erklärt das Konzil, die den Anspruch erheben, daß die Menschen bei ihrem Thn ihrem eigenen Urteil folgen und in eigener Verantwortlichkeit von ihrer Freiheit Gebrauch machen sollen, nicht unter Zwang, sondern im Bewußtsein ihrer Pflichtl. Auch das Staatsrecht erblickt im Grundrecht der Religionsfreiheit "eine Konkretisierung der Garantie der Menschenwürde". Die Glaubensfreiheit gewährleistet dem Menschen "einen Lebensraum, in dem der einzelne sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht" 2 • Die Entwicklung des Grundrechts der Religionsfreiheit bildet einen Jahrhunderte dauernden geistesgeschichtlichen Prozeß, in dessen Verlauf der Mensch sich in zunehmendem Maße seines Rechtes bewußt wurde, auf dem Gebiete des Glaubens und der Religion unabhängig vom Einfluß des Staates seine Entscheidungen zu treffen. Im deutschen Rechtsbereich taucht der Ruf nach Toleranz und Erstveröffentlichung in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Hrsg. von Joseph Krautscheidt und Heiner Marre. Heft 3, Münster: Verlag Aschendorff 1969, S. 34-95. -Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Aschendorff, Münster. 1 Vgl. Erklärung über die Religionsfreiheit, lateinischer und deutscher Text, in: Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Aufl., Ergänzungsbände: Das Zweite Vatikanische Konzil, Bd. 2, Freiburg-Basel-Wien 1967, S. 713. 2 Erwin Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Juristen-Jahrbuch, Bd. 8 (1967/68), S. 131. 1*

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Freiheit der Religion und des Gewissens

individueller Glaubensfreiheit im Zeitalter der Aufklärung auf und führt, begünstigt durch das Einströmen demokratischer Ideen und die konstitutionelle Bewegung im Laufe des 19. Jahrhunderts zuerst zur vollen Verwirklichung der individuellen Religionsfreiheit und schließlich in der Weimarer Reichsverfassung auch zur Freiheit und Unabhängigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrem Eigenbereich. Es waren im Zeitalter der Reformation zuerst die Juristen und Politiker, die in der ausweglosen Situation der konfessionellen Bürgerkriege vom Gebot des Gemeinwohls her und aus Gründen der Staatsraison zu der Überzeugung kamen, daßangesichtsder Ausschließlichkeitsansprüche der widerstreitenden Religionsparteien die Religionsfreiheit nur über den Staat und seine politische Entscheidungsgewalt zu erreichen sei. Die Religionsfreiheit wurde, worauf E. W. Böckenförde hingewiesen hat, als staatlich gewährleistetes und geschütztes Recht in Deutschland nach einigen Vorstufen im Laufe des 19. Jahrhunderts verwirklicht, lange bevor die theologische Reflexion über das Verhältnis des Staates zur Religion zu einem befriedigenden Abschluß gelangt war 3 . Auf den bedeutsamen Unterschied zwischen der theologischen und der staatsrechtlichen Beurteilung des Grundrechts der Religionsfreiheit soll deshalb am Anfang dieser Ausführungen besonders hingewiesen werden. Es übersteigt die Grenzen der Zuständigkeit des weltlich zu verstehenden Staates, mit der Gewährleistung der Religionsfreiheit an seine Bürger die Frage nach der Wahrheit der im Staate existierenden religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse zu verbinden. Über die Wahrheit eines religiösen Bekenntnisses zu urteilen, liegt jenseits der Möglichkeiten des Staates. Dem zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichteten und insoweit "ekklesiologisch notwendig farbenblinden" Staat4 , der Heimstatt aller Bürger ohne Ansehen der Person und Religion sein muß 5 , ist es schlechthin verwehrt, bei der Gewährleistung der religiösen Freiheitsrechte seinen Bürgern gegenüber danach einen Unterschied zu machen, ob sie, wie die Declaratio de libertate religiosa es formuliert, ihrer Pflicht, "an der erkannten Wahrheit festzuhalten und ihr ganzes Leben nach den Forderungen der Wahrheit zu ordnen" 6 , nachkommen oder nicht. 3 Ernst Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in: Stimmen der Zeit, Bd. 176 (1964/65), S. 201. 4 Hans Barion, Ortung und Ordnung im kanonischen Recht, in: Festschrift für Carl Schmitt, Berlin 1959, S. 30. s Vgl. BVerfGE 19, 206 (216). 6 Erklärung über die Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 719.

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht

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Eine Darstellung, die den Versuch unternimmt, die allmähliche Entwicklung der Religionsfreiheit zum Individual- und Verbandsgrundrecht inderneueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz aufzuzeigen, muß notwendigerweise ihren Ausgang nehmen von jener geistesgeschichtlichen Epoche, in der erstmals der Ruf nach einer Toleranzgesetzgebung und einer staatlichen Gewährleistung der Religionsfreiheit erhoben wurde, vom Zeitalter der Aufklärung. Von verschiedener Seite, zuletzt besonders nachdrücklich von Martin Heckel, ist in jüngster Zeit darauf hingewiesen worden, daß unser Staatskirchenrecht als staatliches Recht nur aus der Vielfalt seiner historischen Grundgedanken zu begreifen sei, die zur Verschiedenheit der rechtlichen Prägung seiner einzelnen Gebiete geführt haben. Gerade in den kulturstaatlichen und staatskirchenrechtlichen Bereichen sei der Zusammenhang von Tradition und Leben evident1. Das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich ist noch heute weitgehend geprägt von laizistischen Trennungsvorstellungen der Französischen Revolution 8 , auf die die Gesetzgebung des Jahres 1905 wiederum zurückgegriffen hat 9 . Und die aus dem Geiste der Achtung vor jeder religiösen Überzeugung und jedem religiösen Bekenntnis getragene Bestimmung des 1. Amendements zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 17. 9. 1787 ist bis heute für das richtige Verständnis des amerikanischen Staat-Kirche-Verhältnisses bestimmend geblieben. North Carolina und Rhode Island hatten sich geweigert, der Unionsverfassung beizutreten, solange diese nicht die Religionsfreiheit verbürge. Durch das auf die Initiative von James Madison und Thomas Jefferson der Unionsverfassung eingefügte und am 15. 12. 1791 in Kraft getretene 1. Amendement wurde dem Kongreß jede Zuständigkeit entzogen, durch Gesetz in den USA ein Staatskirchenturn zu etablieren, wie das König Jakob I. von England im Staate Virginia in den Jahren 1606 und 1609 getan hatte 10 . 7 Martin Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 12 (1966/67), S. 34f.; Vgl. auch Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: DÖV 1967, S. 810, Leits. 1; Reiner Marre, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, neue Entwicklungen im Staatskirchenrecht, in: Zeitschrift für Politik 1966, S. 389. a Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, 4. Aufl., Köln-Graz 1964, S. 594. 9 Feine, ebd., S. 692 ff., bes. S. 695. IO Hermann Wilfried Bayer, Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche als Problem der neueren Rechtsprechung des United States Supreme Court, in: ZaöRV Bd. 24 (1964), S. 202 und 215 ff. Daß das amerikanische Trennungssystem von Anfang an keinen laizistischen oder kirchenfeindlichen Charakter besaß, vgl. ebd., S. 218.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Auch im deutschen Staatskirchenrecht ist der Zusammenhang mit der Geschichte allenthalben unverkennbar. Die verfassungsrechtlichen Verbürgungen der Gewissens-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und die dem Grundgesetz inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung sind bis in viele Prägungen des Verfassungstextes hinein geformt vom Geiste der Aufklärungszeit, aus der sie unter vielfachen Modifizierungen in unsere Gegenwart tradiert wurden. Zu den Elementen der Aufklärungszeit, die das deutsche Staatskirchenrecht lange Zeit belastet haben, gehört die auch im heutigen Rechtsverständnis noch nicht völlig überwundene Verkennung der wesensmäßigen Andersartigkeit der Kirchen durch den Staat. Sie fand in der Aufklärung prägnanten Ausdruck in dem dem Selbstverständnis der katholischen und evangelischen Kirchen als Stiftung Christi gleichermaßen widersprechenden, dem rationalistischen Naturrechtsdenken entnommenen Begriff der "Kirchengesellschaft". Das Preußische Allgemeine Landrecht, die erste umfassende Kodifikation des Staatskirchenrechts in Deutschland, erklärt in diesem Sinne in§ 10 des 11. Titels des II. Teiles, daß mehrere Einwohner des Staates, allerdings nur mit dessen Genehmigung, sich zu Religionsübungen verbinden können und bestimmt im folgenden Paragraphen, daß Religionsgesellschaften, die sich zur öffentlichen Feier des Gottesdienstes verbunden haben, "Kirchengesellschaften" genannt werden. Ungeachtet dieses Eindringens aufklärerischer rationalistischer Vorstellungen in das deutsche Staatskirchenrecht, darf jedoch nicht übersehen werden, daß nach dem bis in das späte 19. Jahrhundert nachwirkenden ursprünglichen theologischen Verständnis des landesherrlichen Kirchenregiments, wie es in den Schriften Melanchthons Ausdruck gefunden hat, die Kirche als die Grundlage des Staates angesehen wurde. Wie Johannes Heckel gezeigt hat, zählte die conservatio und cura religionis zu den vornehmsten Aufgaben des Herrschers und der Regierung 11 • Aus dem besonderen Verlauf der historischen Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts, das bis in das 20. Jahrhundert herein durch das landesherrliche Kirchenregiment über die protestantischen Landeskirchen und durch die staatliche Kirchenhoheit über die katholische Kirche gekennzeichnet ist, erklärt sich die bis in die Gegenwart festzustellende räumlich-rechtliche Nähe beider Institutionen. Der n Johannes Heckel, Melanchthon und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, in: Um Recht und Gerechtigkeit. Festgabe für Erich Kaufmann, Stuttgart 1950, S. 97 f. Hier zitiert nach: Helmut Quaritsch und Hermann Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik. Statskirchenrechtliche Aufsätze 1950-1967, Bad Hornburg v.d.H.-Berlin-Zürich 1967, S. 30.

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht

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Verlauf der deutschen Geschichte schloß im Staatskirchenrecht das Entstehen laizistischer Grundvorstellungen ebenso aus wie eine in Nordamerika von Anfang an existierende Pluralität freier miteinander konkurrierender Kirchen und Sekten. Die schweren religiös-politischen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche im vergangenen Jahrhundert, deren Hauptlast die katholische Kirche zu tragen hatte, die sich - nicht selten in einem Zweckbündnis mit dem frühen Liberalismus - der Einmischung des Staates in ihre Angelegenheiten widersetzte 12 , haben den Freiheitsraum beider Kirchen in zunehmendem Maße erweitert und schließlich in Art. 137 Abs. 1 WeimRV zum Verbot der Staatskirche geführt. Aber auch die Weimarer Reichsverfassung ließ vielfache Verbindungen zwischen dem Staat und den Kirchen bestehen. Es entstand das bis in die Gegenwart andauernde staatskirchenrechtliche System eigener Art, das von Ulrich Stutz sicher zu Unrecht als "hinkende Trennung" 13 bezeichnet wurde und wohl zutreffender als "lockere Verbindung" 14 des Staates mit denjenigen Religionsgemeinschaften umschrieben wird, die die Stellung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft besitzen.

B. Der "christliche" Staat des 19. Jahrhunderts I. Die Religionsfreiheit als Individualrecht 1. Das Grundrecht der Religonsfreiheit, wie es in Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes enthalten ist, umschließt nach gefestigter Auffassung als Einzelbestandteile

a) die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die nach dem heutigen Sprachgebrauch häufig, wenn auch nicht ganz zutreffend, mit der Freiheit des religiösen Bekenntnisses oder der Bekenntnisfreiheit identifiziert werden; 12

Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts (Anm. 7),

s. 31.

13 Ulrich Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. Nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata. Abh. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Jhg. 1925, Phil.-Hist. Klasse, Nr. 3/4, Berlin 1926, S. 54, Anm.2. 14 Diese Auffassung findet sich bereits bei Johann Viktor Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 2, Berlin 1922, S. 111 ff., bes. S. 119; ebenso bei Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 124f.; sie deckt sich mit dem Urteil der heutigen Zeit über das Staatskirchenrecht der Weimarer Reichsverfassung; vgl. Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR, Bd. 7 (1959/60), s. 245.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

b) die Freiheit der Religionsausübung oder die Kultusfreiheit c) und als drittes Element die aus beiden Gewährleistungen resultierende Freiheit der Vereinigung zu religiösen Verbänden, insbesondere zu Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Vereinigungen, nach dem Sprachgebrauch des neunzehnten Jahrhunderts häufig auch als religiöse Assoziationsfreiheit bezeichnet15 . Es gibt im gesamten Grundgesetz wohl wenige Verfassungsbestimmungen, die so sehr wie die beiden ersten Absätze des Art. 4 GG ["Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." - "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. ''] noch die verschiedenen Phasen ihrer Jahrhunderte währenden leidvollen Entstehungsgeschichte erkennen lassen 16 . Diese Entstehungsgeschichte zeigt den erregenden Ablauf der Emanzipation des Individuums aus der Bevormundung durch den konfessionellen Staat. Sie ist rechtlicher Ausdruck der Tatsache, daß der Staat in der Neuzeit sein Verhältnis zur Religion neu bestimmt hat und ruft die Erinnerung daran wach, daß in der Endphase der Christianisierung des römischhellenistischen Kulturraumes die Ausbreitung des Christentums nicht immer auf innerer Überzeugung und freiwilliger Annahme des Glaubens beruhte, sondern in vielen Fällen darauf zurückzuführen war, daß Kaiser Theodosius das Christentum zur Staatsreligion erklärt hatte 16a. Auch bei den germanischen Stämmen trug die An15 Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, S. 619; ders., Die Religionsfreiheit, in: Anschütz-Thoma, HdbDStR, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 683f.; Hermann v. Mangoldt I Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. I, Berlin und Frankfurt a.M. 1957, S. 216; Reinhold Zippelius, Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Art. 4, Rdnr. 46; Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht, 16. Aufl., München und Berlin 1968, § 14 IV 1 und 2 (= S. 111 f.). 16 Vgl. Hans Peters, Auslegung der Grundrechtsbestimmungen aus der Geschichte, in: Historisches Jahrbuch, Jhg. 72 (1953), S. 469 ff. 16 a Über die Bekämpfung der christlichen Irrlehren und des Heidentums durch die Kaiser Gratian, Valentinian II. und Theodosius den Großen vgl. Karl Voigt, Staat und Kirche vonKonstantindem Großen bis zum Ende der Karolingerzeit, Stuttgart 1936, S. 35 ff. Hier zitiert nach dem Neudruck Aalen 1965. Die theologischen Grundvorstellungen des Staatskirchenturns der antiken christlichen Kaiser untersucht in einer vorbildlichen, umfangreiches Material, insbesondere auch aus der deutschen Byzantinistik, verarbeitenden Studie Raffaele Farina, L'Impero e l'Imperatore cristiano in Eusebio di Cesarea. La prima Teologia politica del Cristianesimo. Zürich und Rom: Libreria Ateneo Salesiano 1966. Eusebius von Kaisareia (263-339), Hoftheologe des Kaisers Konstantin und "kaiserfrommer Staatsbischof" (vgl. Berthold Altaner I Alfred Stuiber, Patrologie. 7. Aufl., Freiburg 1966, S. 217), entwickelte ein christliches Kaiserund Reichsideal, das stark und lange, auch im Westen nachgewirkt hat. Nach der von Eusebius begründeten, auf orientalisch-theokratische Vorstellungen

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht

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nahme des christlichen Glaubens weitgehend kollektiven Charakter. Der antike römische Staat und das Heilige Römische Reich des Mittelalters beruhten gleichermaßen auf der Idee der Einheit von Reich und Religion. 2. Es stand durchaus im Einklang mit der mittelalterlichen Auffassung von der Einheit von Staat, Kirche und Religion, wenn zu Beginn der Reformation in Deutschland die Religionsfreiheit nicht als Recht der Einzelperson und auch nicht als Recht der Kirchen, Konfessionen oder Religionsparteien, sondern als Recht der Fürsten und Reichsstände betrachtet wurde. Das älteste reichsrechtliche Dokument dieses Fürstenrechts der ReHgonsfreiheit bildet der Reichstagsabschied von Speyer vom Jahre 1526. Er stellte es jedem der Reichsstände frei, in den strittigen Fragen der Religion mit seinen Untertanen "für sich also zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder gegen Gott und Kaiserlicher Majestät hofft und vertraut, verantworten zu können" 17 . Dieses 1526 für eine Übergangszeit gewährte Recht wurde im Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 den Fürsten und Reichsständen endgültig zugestanden. Sie konnten sich entweder zur "alten Religion" oder zur "Augsburger Konfession" bekennen 18 . Die Reformation erbrachte somit nach dem bekannten Wort von Gerhard Anschütz "nicht Glaubensfreiheit, sondern Glaubenszweiheit" 19 • Im Westfälischen Frieden wurde auch das reformierte Bekenntnis der katholischen und der Augsburgischen Konfession rechtlich gleichgestellt. Nur die Reichsstände besaßen die Religionshoheit mit dem ius reformandi, das als Einzelberechtigung das ius recipiendi, reprobandi und tolerandi in sich schloß. Der Landesherr hatte damit reichsrechtlich, allerdings beschränkt auf die drei anerkannten Religionsparteien, auch die Möglichkeit, Andersgläubige ausnahmsweise und unter beliebigen Bedingungen und Beschränkungen in seinem Territorium zu dulden. zurückgehenden Identifikation von Kirche und Kaiserreich war der Kaiser zugleich Oberhaupt der Kirche. Die Gegner der Kirche wurden damit zwangsläufig als Staatsfeinde betrachtet und als solche behandelt. Vgl. dazu Farina, ebd., S. 107 ff., bes. S. 236 ff. und 252 ff. 17 Auszugsweise abgedruckt bei Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, Karlsruhe 1966, S. 294. 1a Vgl. die "Artikel des Religionsfriedens aus dem Augsburger Reichstagsabschied vom 25. Sept. 1555" bei Carl Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus. 5. Aufl., Tübingen 1934, S. 286, Ziff. 4; auszugsweise auch bei Hermann Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit nach seiner geschichtlichen Entwicklung und heutigen Geltung in Deutschland, Leipzig 1891, S. 280ff. 19 Anschütz, Die Religionsfreiheit (Anm. 15), S. 676.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Einen kaum hoch genug einzuschätzenden Fortschritt gegenüber dem Zustand des Jahres 1555 brachten die Bestimmungen der §§ 31 und 34 des V. Artikels des Instrumenturn Pacis Osnabrugense, daß die katholischen und protestantischen Stände andersgläubigen Untertanen, die im "Normaljahr" 1624 das Recht der öffentlichen ReHgonsausübung nach katholischer oder Augsburgischer Konfession besessen hatten, dieses auch in Zukunft belassen sollten. Diejenigen andersgläubigen Untertanen dagegen, die das exercitium religionis im Normaljahr 1624 noch nicht besessen hatten oder künftig zu einer anderen Religion übertreten wollten, sollten von ihrem Landesherren in Geduld ertragen werden und nach ihrem freien Gewissen ohne Beaufsichtigung und Störung ihre private Hausandacht ausüben können: "Patienter tolerentur et conscientia libera domi devotioni suae sine inquisitione aut turbatione privatim vacare ... non prohibeantur". Es sollte ihnen außerdem freistehen, in benachbarten Gebieten dem öffentlichen Gottesdienst ihrer Religion beizuwohnen20 • 3. In dieser Bestimmung des Westfälischen Friedens von Osnabrück finden sich bereits fast sämtliche Begriffe, die auch in Art. 4 Abs. 1 und 2 unseres Grundgesetzes enthalten sind.

a) Freiheit des Glaubens bedeutet den Verzicht des Landesherren auf das ius reformandi gegenüber dem einzelnen Untertan. Dieser erhält damit die rechtliche Möglichkeit, sich von seinem bisherigen Glauben loszusagen und sich einem der anderen reichsrechtlich anerkannten Bekenntnisse zuzuwenden21 . b) Die Freiheit des Gewissens gewährt das Recht, die eigene Religion, mindestens in der Form der einfachen Hausandacht, der devotio domestica simplex, auszuüben, d. h. ohne die Berechtigung, einen Priester oder Prediger des eigenen Bekenntnisses herbeirufen zu dürfen. Der Westfälische Friede brachte für alle Bewohner des Reiches im Hinblick auf die Religionsausübung nur die einfache Hausandacht, diese beschränkt auf die drei reichsrechtlichen Bekenntnisse. Ein höheres Maß an religiöser Betätigungsfreiheit gewährte die Kultusfreiheit, das Recht, über den familiären Bereich hinaus gemeinschaftlich mit anderen Glaubensgenossen die Religion ausüben zu dürfen. Die Kultusfreiheit konnte eine öffentliche oder private sein. c) Die öffentliche Religionsausübung, das exercitium religionis publicum, stand nur den öffentlich anerkannten Religionsgemeinschaf-

2o 21

Text bei Mirbt, Quellen (Anm. 18), S. 379 f. Peters, Auslegung der Grundbestimmungen (Anm. 16), S. 470.

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht

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ten, in der Regel nur der Hauptreligion des Landes, günstigstenfalls den drei reichsrechtlich anerkannten Konfessionen zu. d) Die private Religionsausübung, das exercitium religionis privatum, konnte entweder einer der drei reichsrechtlich anerkannten Konfessionen in einem Territorium, in dem sie nicht die Hauptreligion des Landes war, oder später auch einer Sekte gestattet werden. Die Versammlungsräume dieser nur geduldeten Religionsgemeinschaften durften weder Turm noch Glocken besitzen und keinen unmittelbaren Zugang zu einer öffentlichen Straße haben 22 • e) Der Begriff der Bekenntnisfreiheit wurde erst verhältnismäßig spät in das deutsche Staatsrecht eingeführt. Er entstammt, worauf Hamel hinweist, nicht dem Recht des Deutschen Reiches und umfaßt die Religionsausübung in jeder Form23 • Die Bekenntnisfreiheit gewährt das Recht, religiöse und moralische Überzeugungen überall, auch in der Öffentlichkeit, zu bekennen24 • Der Begriff der Bekenntnisfreiheit als Inbegriff der vollen individuellen Religionsfreiheit findet sich seinem Inhalt nach bereits in der belgischen Verfassung vom Jahre 1831 25 und taucht in der französischen Verfassung vom 4. 11. 1848 auf26 . Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses wird erstmals in Art. 11 der oktroyierten preußischen Verfassung vom 5. 12. 1848 als Grundrecht anerkannt und später als Art. 12 in die revidierte preußische Verfassungs-Urkunde vom 31. 1. 1850 übernommen 27 . Auch in den §§ 144-146 der Paulskirchenverfassung vom 28. 3. 1849 war sowohl die Glaubens- und Gewissensfreiheit wie auch die Freiheit des religiösen Bekenntnisses gewährleistet. 4. Weniger weitgehende individuelle religiöse Freiheitsrechte hatten in Preußen bereits erheblich früher das Wöllnersche Religionsedikt vom 9. 7. 1788 und das Preußische Allgemeine Landrecht vom Jahre 1794 gebracht. Das Wöllnersche Religionsedikt2 8 gewährte "völlige Ge22 Joseph Löhr, Das Preußische Allgemeine Landrecht und die Katholischen Kirchengesellschaften, Paderborn 1917, S. 33. 23 Walter Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 62. 24 Hamel, ebd., S. 54. 25 Hamel, ebd., S. 62. 26 Hamel, ebd., S. 46. 27 Gerhard Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, Berlin 1912, S. 183 ff. 28 Religionsedikt vom 9. 7. 1788, sog. "Wöllnersches Religionsedikt", abgedruckt in: Carl Ludwig Heinrich Rabe, Sammlungen Preußischer Gesetze und Verordnungen, I. Band, VII. Abt. (1782-1789), Halle 1823, S. 726-732; vgl. dazu

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Freiheit der Religion und des Gewissens

wissensfreiheit". Entgegen den reichsrechtlichen Bestimmungen des Westfälischen Friedens wurde in diesem Religionsedikt nicht nur die Zugehörigkeit zu den drei Hauptkonfessionen des Landes, sondern auch zu mehreren anderen als "öffentlich geduldete Sekten" bezeichneten kleineren Religionsgemeinschaften, wie den Herrenhutern, Mennoniten, der Böhmischen Brüdergemeinde und der "Jüdischen Nation" als rechtlich zulässig anerkannt. Darüber hinaus erklärte das Edikt, daß auch alle anderen religiösen Überzeugungen zu tolerieren seien und niemand der mindeste Gewissenszwang angetan werden solle, "solange ein jeder ruhig als ein guter Bürger des Staates seine Pflichten erfüllet, seine jedesmalige besondere Meinung aber für sich behält und sich sorgfältig hütet, solche nicht auszubreiten oder andere dazu zu überreden und in ihrem Glauben irre oder wankend zu machen" 29 • Im gleichen Sinne erklärte das sechs Jahre später in Kraft getretene Preußische Allgemeine Landrecht, das bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fast die ausschließliche Quelle des preußischen Staatskirchenrechts bildete, in§ 1 II 11, daß die Begriffe der Einwohner des Staates von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst nicht Gegenstand von Zwangsgesetzen sein könnten. § 2 II 11 ALR gewährte jedem Einwohner im Staate volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. § 7 II 11 erweiterte die Glaubens- und Gewissensfreiheit auf den Bereich der Familie und bestimmte, daß jeder Hausvater seinen häuslichen Gottesdienst nach Gutdünken anordnen könne. Das Preußische Allgemeine Landrecht war, wie Wilhelm Kahl bemerkt, unter Friedrich II. vorbereitet worden und in seinem staatskirchenrechtlichen Teil durchaus im Geiste dieses Königs abgefaßt: Einerseits vollkommen auf dem Prinzip der individuellen Gewissensfreiheit beruhend, unterwarf es andererseits die gesellschaftliche Organisation der Kirchen einer bis ins einzelne gehenden Anordnung und Aufsicht des Staates 30 • 5. Von den süddeutschen Staaten hatte Bayern im Toleranzedikt vom 10. Januar 1803 den drei reichsrechtlich anerkannten christlichen Bekenntnissen volle Parität und allen bayerischen Bürgern gleiche bürgerliche Rechte, Gewissensfreiheit und ungehinderte Religionsausübung gewährt31 • Tit. IV § 9 der Verfassungsurkunde für das ~önigFritz Valjavec, Das Wollnersche Religionsedikt und seine geschichtliche Bedeutung, in: Historisches Jahrbuch, 72. Jhg. (1953), S. 386 ff. 29 Rabe, ebd., S. 727. 30 Wilhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik. Erste Hälfte. Einleitung und allgemeiner Teil. Freiburg und Leipzig 1894, s. 191f. 31 Text des bayerischen Toleranzedikts vom 10. 1. 1803 abgedr. bei Gerhard Pfeif/er, Die Umwandlung Bayerns in einen paritätischen Staat, in: Bayern,

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht

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reich Bayem vom 26. 5. 1818, der ersten deutschen Verfassung, sicherte den "in dem Königreiche bestehenden drei christlichen Kirchengesellschaften" gleiche bürgerliche und politische Rechte zu und garantierte jedem Einwohner Bayems "vollkommene Gewissens-Freyheit". Außerdem bestimmte die Verfassung, daß die einfache Hausandacht niemandem, zu welcher Religion er sich auch bekennen möge, untersagt werden dürfe und erklärte ausdrücklich, daß auch den "nichtchristlichen Glaubensgenossen" eine "vollkommene Religions- und Gewissensfreiheit gestattet" sein solle. Die bürgerliche und politische Rechtsstellung der Nichtchristen - gemeint waren damit vor allem die Juden -wurde durch besondere Gesetze und Verordnungen geregelt32 . Auch die Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden vom

22. August 1818, die Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1818 und die Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen vom 4. September 1831 gewährten allen Bürgem un-

eingeschränkt nur "ungestörte" oder "völlige" Gewissensfreiheit, d. h. das Recht der einfachen Hausandacht33 . Ob den Bewohnem dieser Staaten auch die Kultusfreiheit, das Recht der öffentlichen Religionsausübung, zustand, hing davon ab, ob ihre Kirche oder Religionsgemeinschaft vom Staate öffentlich anerkannt war. Zu den öffentlich anerkannten Glaubensbekenntnissen gehörten, wie noch zu zeigen sein wird, in Preußen seit Friedrich II. und in den süddeutschen Staaten seit Beginn des 19. Jahrhunderts überall die "drei christlichen Confessionen"34 im überlieferten reichsrechtlichen Sinne, während in mehreren kleinen norddeutschen Staaten - als negatives Musterbeispiel pflegt hier immer Mecklenburg genannt zu werden - die öffentliche Religionsausübung bis zum ,Beginn unseres Jahrhunderts nur dem evangelisch-lutherischen Bekenntnis vorbehalten war. Noch im Jahre 1894 schrieb Wilhelm Kahl in seinem Lehrbuch über die Situation in Staat und Kirche, Land und Reich. Gedächtnisschrift für Wilhelm Winkler, München o.J. (1961), S. 106-109. 32 Text der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern, in: Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, Stuttgart 1961, S. 141 ff.; über die Rechtsstellung der nichtchristliehen Einwohner Bayerns vgl. §§ 25 ff. des Edikts über die äußeren Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften, Beilage II zu Tit. IV § 9 der bayerischen Verf.-Urkunde vom 26. 5. 1818, in: Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern, München 1818, S. 79 ff.; abgedr. auch bei Hermann Fürstenau, Das Grundrecht (Anm. 18), S. 306 ff. 33 Die Religionsbestimmungen dieser Verfassungen bei Hans Liermann, Kirchen und Staat, I. Teilband, München 1954, S. 3 ff.; auch bei Huber, Dokumente (Anm. 32), Bd. 1., S. 158; 174; 228. 34 So z. B. § 9 der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden vom 22. 8. 1818, abgedr. bei Huber, ebd., S. 158.

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den beiden mecklenburgischen Staaten: "Das durch mehrere Reverse grundgesetzlich garantierte Landeskirchenturn der evangelisch-lutherischen Landeskirche ist ein dergestalt ausschließliches, daß Kultusübung der Reformierten und Katholiken, welche ,häretische Angehörige der Landeskirche' sind, überall nur auf widerruflicher Konzession beruht ... In Mecklenburg-Strelitz ist, ,um Aufregung zu vermeiden', der ständige Aufenthalt eines katholischen Pfarrers überhaupt nicht gestattet"35. Als erster deutscher Bundesstaat gewährte Kurhessen volle Bekenntnis- und Kultusfreiheit. Im Anschluß an den Wortlaut der belgischenVerfassung verbürgte§ 30 der Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen vom 5. Januar 1831 jedem Einwohner "vollkommene Freiheit des Gewissens und der Religionsübung" 36. 6. Besonderen Einschränkungen unterlag überall in Deutschland bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts die Religionsfreiheit der Juden. Sie lebten nach einem kümmerlichen und kündbaren Fremdenrecht, welches in Preußen auf provinziellen und sonstigen Normen beruhte und vom Preußischen Allgemeinen Landrecht unberührt gelassen war 37 . Das preußische Gesetz vom 23. 7. 1847 stellte die Juden hinsichtlich ihrer bürgerlichen Rechte den Christen weitgehend gleich. Sie sollten fortan auch zu Gemeinde- und Staatsämtern zugelassen werden, allerdings mit der bedeutsamen Einschränkung, daß mit diesen Amtern "die Ausübung einer richterlichen, polizeilichen oder exekutiven Gewalt nicht verbunden" war. Auch der Zugang zum akademischen Lehramt blieb den Juden versperrt 38 . Volle und uneingeschränkte individuelle Religionsfreiheit, somit Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sowie Kultusfreiheit und das Recht der Vereinigung zu Religionsgesellschaften brachte für Preußen erst Art. 11 der oktroyierten Verfassung vom 5. 12. 1848, der als Art. 12 in die revidierte preußische Verfassung vom 31. 1. 1850 übernommen wurde. 7. Einen weiteren Schritt auf dem Wege zur vollen Verwirklichung der individuellen Religionsfreiheit in Deutschland bedeutete das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869, dessen einziger Paragraph bestimmte, daß alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben seien und daß die Kahl, Lehrsystem (Anm. 30), S. 220. Text bei Huber, Dokumente (Anm. 32), Bd. I, S. 204; diese Bestimmung wurde als § 21 in die Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen vom 13. 4. 1852 übernommen; vgl. bei Huber, ebd., S. 496. 37 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 186. 38 Anschütz, ebd. 35 36

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht

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Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein soll. Dieses Gesetz, das ursprünglich den Schutz der Juden in Mecklenburg gegen staatsbürgerliche Diskriminierung bezweckte, wurde am 22. 4. 1871 als Reichsgesetz übernommen 39 • Es stellt eine Ergänzung des§ 16 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 dar, der die Parität der bürgerlichen und politischen Rechte von Bundes wegen auf die Angehörigen der "christlichen Religions-Partheyen", somit auf die drei reichsrechtlich anerkannten Bekenntnisse, begrenzt hatte 40 • Die durch das Gesetz vom 22. 4. 1871 reichsrechtlich gebotene Parität gestattete, wie Anschütz ausführt, keinerlei bürgerliche Unterscheidung mehr, weder zwischen den Konfessionellen unter sich noch zwischen Konfessionellen und Konfessionslosen41 . Doch darf die Tragweite dieses Gesetzes unter der Rücksicht der Gewährleistung religiöser Freiheitsrechte nicht überschätzt werden. Ein "bürgerliches Recht" war die Religionsfreiheit nach der Rechtsauffassung im deutschen Reichsrecht, wie Anschütz ausführt, nur als Freiheitsrecht der Individuen, nicht aber als Freiheitsrecht der Religionsgesellschaften. Die Bekenntnisfreiheit wurde in allen ihren Äußerungen und Konsequenzen ausschließlich als Individualrecht und damit als "bürgerliches Recht" im Sinne des Gesetzes von 1871 betrachtet; die Kultusfreiheit dagegen galt als Individualrecht nur in ihrer bescheidensten Form, als Hausandacht42 , während sie als Befugnis zur gemeinsamen, insbesondere zur öffentlichen Religionsausübung nicht als Individualrecht, sondern als Verbandsrecht, und damit nicht als "bürgerliches Recht" angesehen wurde 43 • Für das Deutsche Reich ergab sich somit nach 1871 auf dem Gebiet der individuellen Religionsfreiheit folgende Rechtslage: das Individualrecht der Bekenntnisfreiheit und die einfache Hausandacht waren allen Bewohnern des Reiches gewährleistet. Kein Bundesstaat war jedoch reichsrechtlich verpflichtet, den Kirchen und Religionsgemeinschaften die Kultusfreiheit, d. h., die gemeinsame private oder öffentliche Religionsausübung, zu gestatten. Wenn Preußen allen Religionsgesellschaften die Kultusfreiheit gewährte, gab es, wie Anschütz hervor39 Vgl. Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. 7. 1869 (BGBl. S. 292), bei Liermann, Kirchen und Staat, Bd. I (Anm. 33), S. 174 f. 40 Huber, Dokumente, Bd. I (Anm. 32), S. 80; abgedr. auch bei Heribert Raab, Kirche und Staat. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, München 1966, S. 231 f. 41 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 222; vgl. auch Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anm. 23), S. 46. 42 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 213 f. 43 Anschütz, ebd., S. 213 und 215.

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hebt, mehr, als es von Reichs wegen nach dem Gesetz von 1869 bzw. 1871 zu geben verpflichtet war44 . 8. Die Versuche der Zentrumspartei, bei der Reichsgründung 1871 und schon vorher bei Gründung des Norddeutschen Bundes, die Aufnahme von Grundrechtsartikeln zum Schutze der religiösen Freiheiten in die Verfassung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches durchzusetzen, wurden in beiden Fällen, bei der Beratung über die Reichsverfassung mit einer Mehrheit von 223:59 Stimmen, abgelehnt45. Der Grund dafür mag einerseits in innerpolitischer Rücksichtnahme Bismarcks auf diejenigen Staaten des Norddeutschen Bundes zu suchen sein, die damals ihren Bewohnern noch nicht einmal das Recht auf Kultusfreiheit gewährten. Bismarck war bemüht, alles zu vermeiden, was die Reichsgründung erschweren konnte.

Auf der anderen Seite war die allgemeine Atmosphäre damals bereits in so starkem Maße vom Geist des späteren Kulturkampfes erfüllt, daß ein Antrag, der von der Zentrumsfraktion gestellt wurde und dessen Annahme vor allem den Katholiken zugute gekommen wäre, keine Aussicht auf Erfolg mehr haben konnte. Auch die führenden Vertreter des Staatskirchenrechts, wie Emil Friedberg, waren entschiedene Gegner der Aufnahme von religiösen Grundrechten in die Reichsverfassung. Unmittelbar vor Ausbruch des Kulturkampfes schrieb Friedberg über den Zentrumsantrag, bei Gründung des Norddeutschen Bundes sei von einigen Seiten die Aufnahme von Grundrechten in die Verfassung erstrebt worden, die auch der kirchlichen Freiheit Rechnung tragen sollten. Dieses Schauspiel habe sich nach Errichtung des Deutschen Reiches 1871 wiederholt. Aber in beiden Fällen habe sich gezeigt, "daß das politische Urteil des deutschen Volkes seit dem Jahre 1848 reifer geworden war". Mit erdrückender Mehrheit seien daher die Anträge der ultramontanen Partei zurückgewiesen worden46 . 9. Am 23. November 1900 unternahm die Zentrumsfraktion im Reichstag mit dem sog. "Toleranzantrag", dem Entwurf eines Reichsgesetzes betr. die Freiheit der Religionsübung, den sie im Reichstag einbrachte, noch einmal den Versuch, eine reichsrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit der Reichsangehörigen und der Religionsgemeinschaften zu erreichen. Das Ziel dieses Antrags, der an die Grundrechtsartikel der Frankfurter Reichsverfassung und der preußiAnschütz, ebd., S. 228. Karl Bachern, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei, Bd. 3, Köln 1927, S. 19ff. und S. 199. 46 Emil Friedberg, Die Gränzen zwischen Staat und Kirche. Historisch-dogmatische Studie mit Berücksichtigung der deutschen und ausserdeutschen Gesetzgebungen, Tübingen 1872, S. 403. 44

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sehen Verfassungen vom Jahre 1848 bzw. 1850 anknüpfte, ging praktisch dahin, allen Reichsangehörigen diejenigen religiösen Freiheiten zu verschaffen, deren sich die Bewohner Preußens erfreuten. § 1 des Toleranzantrags deckte sich inhaltlich mit Art. 12 der preußischen Verfassungsurkunde von 1850 und lautete: "Jedem Reichsangehörigen steht innerhalb des Reichsgebietes volle Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften, sowie der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung zu" 47 . Der erste Teil des Antrags, der die individuelle Religionsfreiheit betraf, wurde zwar am 5. 6. 1902 vom Reichstag mit einer Mehrheit von 163:60 Stimmen angenommen, aber vom Bundesrat so schleppend behandelt, daß er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs immer noch nicht Gesetz geworden war48 . 1

Der Toleranzantrag des Zentrums, der die "Beschwerden der Katholiken" in effektvoller Weise zum Ausdruck brachte49 und große Publizität gewann, hatte immerhin die indirekte Wirkung, daß auch in Mecklenburg durch Verordnung vom 5. Januar 1903 das Recht auf öffentliche Religionsübung gewährt wurde. Das gleiche Recht wurde am 14. März 1904 den Katholiken in Lübeck zugestanden50 . In Braunschweig und im Königreich Sachsen blieb es jedoch dabei, daß "keine Messe zulässig war, wenn sie nicht vorher ausdrücklich von der Regierung genehmigt wurde" 51 . Erst die Weimarer Reichsverfassung, deren Religions- und Kirchenartikel durch einen mühevollen Kompromiß der verschiedenen weltanschaulichen Richtungen in der Deutschen Nationalversammlung vereinbart wurden, gewährleistete allen Bewohnern des Reiches volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und die ungestörte Ausübung ihrer Religion. Art. 135 WeimRV erklärte die individuelle Religionsfreiheit zum Grundrecht, d. h. nach dem Grundrechtsverständnis der Weimarer Zeit, zu einem jener subjektiv-öffentlichen Rechte, die nicht Ausfluß der Staatsangehörigkeit, sondern der menschlichen Persönlichkeit sind, und als objektive Rechtsnormen nicht das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern, sondern zwischen Staat und Individuum schlechthin regeln 52 . Bachem, Zentrumspartei (Anm. 45), Bd. 6, Köln 1929, S. 106. Bachem, ebd., Bd. 6, S. 293 ff. 49 Otto Mayer, Art. "Staat und Kirche", in: Herzog-Hauck, Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3. Aufl., Bd. 18, Leipzig 1906, S. 719, Anm. 20. 50 Emil Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Aufl., Leipzig 1909, S. 114, Anm. 20. 51 Bachem, Zentrumspartei (Anm. 45), Bd. 6, S. 294. 47

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2 Sbd. List!

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II. Die Kirchenfreiheit im 19. Jahrhundert 1. Es lag in der besonderen deutschen Verfassungsstruktur begründet, daß die Entwicklung der Kirchenfreiheit in Deutschland erheblich später einsetzte und sich ungleich langsamer vollzog als die Entwicklung der individuellen Religionsfreiheit. Man wird die staatskirchenrechtliche und kirchenpolitische Situation im Deutschland des 19. Jahrhunderts und den allmählichen Lösungsprozeß beider Kirchen vom Einfluß des Staates nur zutreffend beurteilen, wenn man sich vor Augen hält, daß das Recht des Reiches im Augsburger Religionsfrieden nur zwei und seit dem Westfälischen Frieden nur drei Konfessionen oder Religionsparteien anerkannte. Das Recht des Reiches ging dabei, wie die Bezeichnung "Religionsparteien" erweist, von der Voraussetzung aus, daß die Kirchetrotz der Spaltung in die drei Konfessionen als rechtliche Einheit weiterbestand. Es entsprach vollkommen den alten reichsrechtlichen Vorstellungen, wenn das preußische Allgemeine Landrecht ebenso wie die bayerische Verfassung von 1818 53 und die frühen süddeutschen Verfassungen "den drei christlichen Kirchengesellschaften" eine Sonderstellung gegenüber den ·anderen lediglich geduldeten religiösen Gemeinschaften einräumten54 . So unterschied das Preußische Allgemeine Landrecht in seinen insgesamt 1232 Paragraphen umfassenden kirchenrechtlichen Vorschriften, deren Ausläufer man bis in die Weimarer Reichsverfassung und das Bonner Grundgesetz hinein feststellen kann, zwischen "ausdrücklich" (§ 17 II 11) oder "öffentlich" (§ 20 II 11) aufgenommenen und den übrigen Kirchengesellschaften. Zu diesen öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften gehörten nur die reformierte, lutherische und römisch-katholische Kirche. Alle übrigen Religionsgemeinschaften wurden als lediglich "geduldet" (§ 20 II 11) bezeichnet. Nur die öffentlich aufgenommenen hatten das Recht auf das exercitium religionis publicum, die Befugnis zur öffentlichen Religionsausübung. § 96 II 11 ALR bezeichnet die öffentlich aufgenommenen Religionsgesellschaften ausdrücklich als privilegierte Kirchengesellschaften, deren Geistliche den Beamten des Staates hinsichtlich ihrer Rechte gleichgestellt waren. 52

Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. (Anm. 15),

s. 513f.

53 Vgl. z. B. § 9 Tit. IV der bayerischen Verf. v. 26. 5. 1818, bei Huber, Dokumente, Bd. I (Anm. 32), S. 147. 54 Auch § 63 des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 1803 geht von der Sonderstellung der drei christlichen Konfessionen aus, stellt es jedoch den Landesherren frei, auch "andere Religionsverwandte zu dulden und ihnen den vollen Genuß bürgerlicher Rechte zu gestatten". Vgl. bei Huber, Dokumente, Bd. 1 (Anm. 32), S. 20.

Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht

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Die lediglich geduldeten Kirchengesellschaften, denen die Rechtsfähigkeit auf Antrag verliehen werden konnte, waren dagegen Vereinigungen minderen Rechts. Ein Hinaustreten in die volle Öffentlichkeit war ihnen untersagt, vor allem der Gebrauch von Kirchenglocken und alle öffentlichen Feierlichkeiten außerhalb der Mauern ihres Versammlungshauses. Ihren Geistlichen fehlten die Vorrechte und Vollmachten der Religionsdiener der öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften. Ihre Bethäuser besaßen nicht das Privileg der Steuerfreiheit. Nach § 24 II 11 ALR konnte eine bloß geduldete Kirchengesellschaft das Eigentum an ihren religiösen Gebäuden nicht erwerben. Das Eigentum an diesen Kirchengebäuden mußte vielmehr auf den Namen eines Gesellschaftsmitgliedes eingetragen werden, wenn nicht vom König ein nur in besonderen Fällen gewährtes Privileg erteilt wurde 5 5 . Wie sehr in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Kirchenfreiheit im Gegensatz zur individuellen Bekenntnisfreiheit noch eingeschränkt war, wird erst voll ersichtlich, wenn man bedenkt, daß es eine religiöse VereinigUngsfreiheit überhaupt nicht gab. Was Anschütz über die Rechtslage in Preußen vor dem Inkrafttreten der oktroyierten Verfassung von 1848 schrieb, galt für das gesamte Deutschland: "Glaubensfreiheit als individuelle Bekenntnisfreiheit war gewährt, als Assoziations- und gesellschaftliche Kultusfreiheit dagegen versagt, worin für eine Zeit, die - in Preußen und anderwärts - der Assoziation auch zu anderen als religiösen Zwecken, mithin überhaupt keine Freiheit ließ, nichts Besonderes erblickt werden darf" 56 • Dem Belieben des Landesherrn war es ferner überlassen, jeder der drei reichsrechtlich anerkannten Konfessionen in seinem Territorium die Kultusfreiheit zu gewähren oder diese auf ein einziges Bekenntnis zu begrenzen, wie das z. B. in Mecklenburg geschah, so daß die anderen Konfessionen in diesen Staaten nicht nur keine privatrechtliche oder geduldete, sondern überhaupt keine Existenzberechtigung erlangen konnten 5 7 • 2. Die Entwicklung der Kirchenfreiheit im 19. Jahrhundert ging Hand in Hand mit dem allmählichen Abbau des landesherrlichen Kirchenregiments bzw. der staatlichen Kirchenhoheit. Von großer Bedeutung für die spätere Ablösung des landesherrlichen Kirchenregiments wurde die während des 18. Jahrhunderts im evangelischen Staatskirchenrecht ausgebildete Unterscheidung zwischen den "jura circa sa55 56

Löhr, Das Preußische Allgemeine Landrecht (Anm. 22), S. 33.

Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 184 f.

57 Über die Staatskirchengesetzgebung in den einzelnen deutschen Bundesstaaten gegen Ende des 19. Jahrhunderts vgl. den Überblick bei Wilhelm Kahl, Lehrsystem (Anm. 30), S. 191-236.

2*

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cra", der allgemeinen Kirchenhoheit des Landesherrn über sämtliche Bekenntnisse seines Territoriums, und den "jura in sacra", der inneren Kirchengewalt, die die Zuständigkeit des Landesherrn in Fragen der kirchlichen Lehre und des Bekenntnisses begründeten58 . Es entsprach durchaus der allgemein herrschenden Auffassung, wenn König Max I. von Bayern nach dem Wiener Kongreß ohne weiteres den Summepiskopat über seine Untertanen in den neuerworbenen evangelischen Gebieten Bayerns übernahm und die Rechte "des mit der Staatsgewalt verbundenen Episkopats" 59 , wie es im Protestantenedikt von 1818 hieß, durch das Oberkonsistorium in München und für die Reformierten seit 1849 durch das Konsistorium in Speyer ausübte. 3. Das Revolutionsjahr 1848. Es war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem die katholische Kirche, die sich gegen die territorialistische Behandlung durch den Staat und die vielfache Beschneidung ihrer innerkichlichen Entfaltungsfreiheit zur Wehr setzte 60 . Zum erstea größeren Konflikt zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat kam es im Jahre 1837 bei der Auseinandersetzung über die Mischehenfrage. Es mehrten sich in der folgenden Zeit im Bereich der katholischen Kirche die Stimmen, die in der Trennung von Staat und Kirche das kleinere Übel gegenüber dem bisherigen Zustand erblickten und in überraschender Übereinstimmung mit radikalen und liberalen Politikern 61 die Forderung nach Trennung der beiden Gewalten erhoben. 58 Vgl. dazu Johannes Heckel, Cura religionis, in: Festschrift für Ulrich Stutz. Kirchenrechtliche Abhandlungen, Heft 117/118, Stuttgart 1938, S. 297 f.; hier zitiert nach der Sonderausgabe Darmstadt 1962, S. 74f.; über die Entstehung des Kollegialsystems vgl. bei Friedberg, Lehrbuch 6. Aufl. (Anm. 50), S. 105 f. 59 Wilhelm Kahl, Die Verschiedenheit katholischer und evangelischer Anschauung über das Verhältnis von Staat und Kirche. Leipzig 1886, S. 21; Otto Mayer, Art. "Staat und Kirche", in: Herzog-Hauck, Realenzyklopädie, Bd. 18, 3 Aufl., Leipig 1906, S. 717. § 1 des "Edikts über die inneren kirchlichen Angelegenheiten der Protestantischen Gesamtgemeinde in dem Königreiche" lautet: "Das oberste Episkopat und die daraus hervorgehende Leitung der Protestantischen inneren Kirchen-Angelegenheiten soll künftig durch ein selbständiges Ober-Consistorium ausgeübt werden, welches dem Staats-Ministerium des Innern unmittelbar untergeordnet ist". Dieses Edikt war ebenso wie das bayerische Konkordat vom 5. Juni 1817 als Anhang zur Anlage II der bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818 Bestandteil dieser Verfassung geworden. Vgl. die "Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern", München 1818, S. 3 97 ff. 60 Vgl. dazu Joseph Listl, Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Banner Grundgesetz, in: Civitas. Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung, Bd. 6 (1967), S. 129 ff. 61 Nicht alle liberalen Politiker der Zeit vor 1848 waren Anhänger der Trennungsidee. Bedeutende Vertreter des frühen deutschen Liberalismus wie Karl von Rotteck, Karl Theodor Welcker, Sylvester Jordan und Paul Pfizer traten,

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Die katholische Kirche wurde damit die treibende Kraft für die Verwirklichung der Kirchenfreiheit im 19. Jahrhundert. Dadurch, schreibt Friedberg, daß die katholische Kirche der Trennung von Staat und Kirche zugestrebt habe, habe sie es verstanden, eine territorialistische Schranke nach der anderen abzustreifen. Der Grundsatz der Parität habe schließlich bewirkt, daß die der katholischen Kirche durch die neuere Gesetzgebung eingeräumte Freiheit, wenn auch in geringerem Maße, der evangelischen Kirche ebenfalls zugestanden wurde 62 . Es muß in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden, daß nicht nur in der katholischen Kirche das Verlangen nach Unabhängigkeit der Kirche vom Staate allgemein verbreitet war 63 ; auch maßgebliche Vertreter der evangelischen Kirche verlangten, wie bereits Friedrich Schleiermacher zu Beginn des 19. Jahrhunderts, den Rückzug des Staates von der bisher den Kirchen gegenüber geübten Bevormundung64. Die deutschen Bischöfe, die sich erstmals im Jahre 1848 in freilich unter mancherlei Einschränkungen und Modifizierungen des bisherigen Zustandes, für eine Förderung der Religion und der Kirchen durch den Staat ein. Im Gegensatz dazu forderten die Junghegelianer Bruno und Edgar Bauer, Karl Nauwerck und der Demokrat und Deutschkatholik Robert Blum die konsequente Trennung von Staat und Kirche. Vgl. darüber bei A. Hugenschmidt, Das Verhältnis von Kirche und Staat bei liberalen und radikalen Theoretikern des vormärzliehen Deutschland, Phil. Diss., Basel1930, bes. S. 175 ff. Eine beachtenswerte Darstellung der verschiedenen innerkatholischen Auffassungen und geistigen Strömungen in der Frage der Neuordnung von Kirche und Staat in Deutschland zur Zeit des Wiener Kongresses bietet neuestens die Untersuchung von Engelbert Plassmann, Staatskirchenrechtliche Grundgedanken der deutschen Kanonisten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Freiburg 1968 (= Freiburger Theologische Studien, Heft 88). Plassmann zeigt deutlich die in der deutschen Kanonistik des frühen 19. Jahrhunderts festzustellende Abwendung von der konservativen Staatskirchenhoheit hin zu einem liberalen Streben nach Unabhängigkeit der Kirche, das schließlich bei Clemens August und Franz Otto Droste zu Vischering u.a. zu einem kanonistischen Kampf gegen das Staatskirchenturn führte. Diese letztere Richtung erblickte im Staatskirchenturn "einen ständigen rechtswidrigen Eingriff in die Religionsfreiheit". Vgl. ebd., S. 77 ff., 89 ff., bes. S. 145 ff. und S. 162. 62 Emil Friedberg, Die allgemeine rechtliche Stellung der evangelischen Kirche zum Staate, Leipzig 1887, S. 18. 63 Vgl. darüber Richard Lempp, Die Frage der Trennung von Kirche und Staat im Frankfurter Parlament. Tübingen 1913 (= Beiträge zur Parteigeschichte, Hrsg. von Adalbert Wahl, Bd. 7), S. 6 ff. 64 Vgl. Heinrich Christian Michael Rettig, Die freie protestantische Kirche oder die kirchlichen Verfassungsgrundsätze des Evangeliums, Gießen 1832, mit der Forderung des Verfassers nach Trennung des Staates von der Kirche, Religionsfreiheit, Selbständigkeit der Religionsgemeinschaften, Bildung von Presbyterien und Synoden, einer Synodalregierung und, zum Zwecke der Darstellung der äußeren Einheit der protestantischen christlichen Kirche, einer Generalsynode. Vgl. bes. S. 3 ff., 26 ff., 113 ff., 330 ff.; vgl. ferner die von Ludwig Aemilius

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Würzburg versammelten, traten in Übereinstimmung mit der überwiegenden öffentlichen Meinung im katholischen Raum ebenfalls für die Trennung von Staat und Kirche ein. Der Verfassungsausschuß der Nationalversammlung, in dessen Händen die Vorberatung der Grundrechte und Verfassungsgrundsätze für das zu errichtende neue Reich lag, lehnte jedoch den Antrag der katholischen Vertreter ab, eine Bestimmung über die Unabhängigkeit der Kirche vom Staate in die Verfassung aufzunehmen. Seine ablehnende Haltung begründete der Ausschuß damit, daß a) das deutsche Einigungswerk erschwert würde, wenn die konfessionelle Frage so allgemein mit der politischen in Verbindung gebracht würde 65 • b) Einen zweiten Grund für die Weigerung des Verfassungsausschusses bildete die wohl den Ausschlag gebende Erwägung, daß die evangelische Kirche "in ihrer jetzigen Verfassung so mit dem Staate verwachsen" sei, daß für sie "eine plötzliche Trennung schwierig" sein würde 66 . c) Ein drittes Argument für die Ablehnung des Antrags, eine die Trennung von Staat und Kirche aussprechende Bestimmung in die Verfassung aufzunehmen, bildete der in den Motiven des Ausschusses ausgesprochene Gedanke, daß, wenn die Kirche ganz vom Staate unabhängig werden würde, es notwendig werden könnte, den Staat gegen kirchliche Übergriffe - gedacht war dabei in erster Linie an die katholische Kirche- schützen zu müssen 67 • Die große Petitionsbewegung des Jahres 1848, die als Antwort auf die Ablehnung des Verfassungsausschusses von den katholischen Vertretern ins Leben gerufen wurde, und deren insgesamt 1142 Petitionen Richter 1849 herausgegebenen "Amtlichen Gutachten die Verfassung der evangelischen Kirche in Preußen betreffend" mit Stellungnahmen der theologischen Fakultäten und Konsistorien für eine selbständige Verfassung der Kirche. Die Gutachten wurden erarbeitet im Auftrag des Kultusministers. Hinweis bei Scheuner, Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung (Anm. 14), s. 238, Anm. 31. 65 Vgl. die "Motive" des Verfassungsausschusses zum Entwurf der Grundrechte des deutschen Volkes, in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. Hrsg. auf Beschluß der Nationalversammlung durch die RedactionsCommission und in deren Auftrag von Franz Wigard. Bd. 1, Frankfurt a.M. 1848 (Sitzung vom 3. 7. 1848), S. 685; vgl. auch Lempp, Die Frage der Trennung (Anm. 63), s. 219. 66 Wigard, ebd.; Lempp, ebd., S. 221. 67 Wigard, ebd.; Lempp, ebd., S. 227; übereinstimmend mit Bachern, Zentrumspartei (Anm. 45), Bd. 2, Köln 1927, S. 39 f.

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neun Zehntel aller Eingaben betrugen, die überhaupt an den Verfassungsausschuß gerichtet wurden 68 , erreichte schließlich im Ergebnis dennoch das von den katholischen Abgeordneten angestrebte Ziel. Dem Anliegen der Petitionen, die, inhaltlich weithin übereinstimmend, religiöse Freiheit, Unabhängigkeit der Kirche vom Staate, Abschaffung des Placets und des landesherrlichen Patronats sowie Autonomie und Selbstverwaltung der Kirche gefordert hatten, wurde durch § 147 Abs. 1 der Paulskirchenverfassung Rechnung getragen, der nach langen Diskussionen folgende Fassung erhielt: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber, wie jede andere Gesellschaft im Staate, den Staatsgesetzen unterworfen." Das Eintreten der katholischen Bischöfe für eine Trennung nach belgisch-amerikanischem Vorbild hatte wohl von Anfang an auch auf kirchenpolitisch-taktischen Erwägungen beruht. Noch im Sommer 1848 hatten sich Erzbischof Johannes von Geissel von Köln, Fürstbischof Melchior Frhr. von Diepenbrock von Breslau und Bischof Johann Gearg Müller von Münster für die Trennung von Staat und Kirche ausgesprochen. Im Anschluß an ein Referat, das Ignaz Döllinger in Würzburg vor den Bischöfen über das Thema hielt: "Ist es die Trennung der Kirche vom Staate oder die concordantia sacerdotii cum imperio, welche gegenwärtig erstrebt werden soll?", änderten die Bischöfe ihre Meinung und erklärten sich rückhaltlos für die Konkordanz unter Ablehnung der Trennung69 . Die staatskirchenrechtlichen Regelungen der Paulskirchenverfassung, die in vieler Hinsicht mit den Kirchenartikeln der Weimarer Verfassung übereinstimmen, kamen den Wünschen der katholischen Kirche weit entgegen. Die Staatskirche wurde für abgeschafft erklärt und allen Religionsgesellschaften volle Parität zugestanden. Außerdem sa Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2, Stuttgart 1960, 686f. und S. 687 Anm. 15 und 16; Ludwig Bergsträßer, Studien zur Vorgeschichte der Zentrumspartei, Tübingen 1910 (=Beiträge zur Parteigeschichte, Hrsg. von Adalbert Wahl, Bd. 1). Tübingen 1910, S. 166. Vgl. das "Verzeichnis der Eingänge" der Petitionen der katholischen Vereine und Pfarreien, in: Stenographischer Bericht (Anm. 65), Bd. 3, Frankfurt am Main 1848, S. 159lff., 1621 ff., 1657 ff., 1684 ff., 1709 ff. usw., die an den Verfassungsausschuß gerichtet waren, und einerseits Unabhängigkeit bzw. Trennung der Kirche vom Staate forderten, sich aber andererseits gegen eine Trennung von Schule und Kirche aussprachen. 69 Wortlaut der Erklärung auszugsweise bei Hermann Storz, Staat und katholische Kirche in Deutschland im Lichte der Würzburger Bischofsdenkschrift von 1848, Bonn 1934 (= Kanonistische Studien und Texte, hrsg. von Albert Michael Koeniger, Band 8), S. 21. Hier zitiert nach dem unveränderten Nachdruck Amsterdam 1963.

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war, ebenfalls eine Errungenschaft, die erst in Weimar voll verwirklicht wurde, allen Deutschen unbeschränkt gemeinsame häusliche und öffentliche Religionsübung zuerkannt worden. Der Freiburger Moraltheologe Johann Baptist Hirseher schrieb damals unter dem Eindruck der Errungenschaften der Frankfurter Reichsverfassung: "Die Kirche ist in einer Lage wie seit fünfzehnhundert Jahren noch nie: sie hat das Recht, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten" 70 Wenn die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. 3. 1849 auch niemals Gesetzeskraft erlangt hat, war sie dennoch für die deutsche Verfassungsentwicklung, insbesondere in Preußen, und für das Staatskirchenrecht von weittragender Bedeutung. Unter dem Eindruck der Frankfurter Reichsverfassung hatte bereits Art. 12 der oktroyierten preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche sowie jeder anderen Religionsgesellschaft ohne Einschränkung das Recht zuerkannt, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten71 . Außerdem erfüllte diese Verfassung auch die immer wieder erhobenen Forderungen der katholischen Kirche: Der ungehinderte Verkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Oberen wurde zugestanden, das Placet für abgeschafft und das staatliche Vorschlags-, Wahl- oder Bestätigungsrecht bei der Besetzung kirchlicher Ämter für aufgehoben erklärt 72 . Diese kirchlichen Freiheitsrechte wurden aus der oktroyierten Verfassung weitgehend in die Preußische Verfassungsurkunde vom 31. 1. 1850 übernommen. Mit den Bestimmungen der neuen Verfassung war für die katholische Kirche in Preußen die kirchliche Freiheit in weitem Maße gewonnen. Das System der staatlichen Kirchenhoheit, wie es in den Bestimmungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts Ausdruck gefunden hatte, war damit weitgehend beseitigt. Hatten vor 1848 auf dem Gebiete der politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte die süddeutschen Staaten vor Preußen den Vorrang behauptet, so besaß Preußen jetzt das freiheitlichste Staatskirchenrecht73 • Die preußische Verfassung von 1850 erschien, angesichtsder kirchlichen Unfreiheit in anderen, auch den süddeutschen Staaten, vielen Zeitgenossen, 70 Johann Baptist Hirscher, Die kirchlichen Zustände der Gegenwart, Tübingen 1849, S. 3. 71 Text der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 5. 12. 1848 (oktroyierte Verfassung), bei Huber, Dokumente (Anm. 32), Bd. I, S. 385 ff.; auszugsweise auch bei Raab, Kirche und Staat (Anm. 40), S. 245. 72 Vgl. Art. 13-15 dieser Verfassung bei Huber, ebd., Bd. I, S. 386. 73 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 68), Bd. 3, Stuttgart 1963, S. 114 ff., übereinstimmend mit Bachern, Zentrumspartei (Anm. 45), Bd. 2, S. 52.

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wie z. B. dem späteren Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von KetteZer, als Magna Charta der religiösen Freiheit74 • Die katholische Kirche in Preußen verstand es auch, die verfassungsrechtlichen Freiheiten zu nutzen. Sie setzte sich, wie Anschütz mißbilligend feststellt, "sofort durch ihre Bischöfe einseitig in den Besitz der Freiheit und Macht, welche sie aufgrund der Art. 15, 16 und 18 der preußischen Verfassung beanspruchen zu können glaubte" 75 • Bereits auf der Rechtsgrundlage der oktroyierten Verfassung hat der Kölner Erzbischof Johannes von Geissel Fakten gesetzt, die nur schwer rückgängig zu machen waren. Er hatte ein rein kirchliches Offizialat errichtet, und selbständig den Pfarrkonkurs und die Vermögensverwaltung geregelt. Im Februar 1849 ließ er erstmals eine Kirchenkollekte ohne staatliche Genehmigung abhalten. Seinen Weihbischof Johann Anton Friedrich Baudri ernannte er ohne staatliches Placet. Und als der preußische Kultusminister von Ladenberg im April 1849 dem Kölner Erzbischof den Kandidaten der Regierung für das neu zu besetzende Amt des Kölner Dompropstes, dessen Besetzung dem Papst zustand, mitteilte, antwortete der Erzbischof kühl, die Regierung könne auf die Besetzung dieses Amtes keinen Einfluß nehmen, denn aufgrundder Verfassung müsse der Heilige Stuhl die unbeschränkte Freiheit für die Vergebung dieser Dignität in Anspruch nehmen 76 • 4. Konnte sich die katholische Kirche in Preußen einer weitgehenden Kirchenfreiheit erfreuen, so dauerte in der evangelischen Kirche, wie Anschütz schreibt, wenn nicht der Form, so doch der Sache nach das alte Staatskirchenturn fort. Während die katholische Kirche ihre Angelegenheiten wahrhaft selbständig ordnete und verwaltete, wurde die evangelische Kirche regiert durch ihren gekrönten "summus episcopus", den Oberkirchenrat und die königlichen Konsistorien. Auch die Tätigkeit des Oberkirchenrats und der Konsistorien war keine freie, sondern blieb belastet mit einem weitgehenden Mitwirkungsrecht des Kultusministers 77 • Auch in der evangelischen Kirche war im 19. Jahrhundert das Verlangen nach innerer Kirchenfreiheit weit verbreitet. Bereits im Jahre 1808 hatte Friedrich Schleiermacher in seinem "Vorschlag zu einer neuen Kirchenverfassung der protestantischen Kirche im preußischen Staat" aus theologisch-dogmatischen Gründen das 74 Hubert Jedin, Freiheit und Aufstieg des deutschen Katholizismus zwischen 1848 und 1870, in: Bernhard Hanssler (Hrsg.), Die Kirche in der Gesellschaft. Der deutsche Katholizismus und seine Organisationen im 19. und 20. Jahrhundert. Faderborn 1961, S. 17. 75 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 287. 76 Jedin, Freiheit und Aufstieg (Anm. 74), S. 16 f. 77 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 287.

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Programm eines synodalen Aufbaus von den Gemeinden her entwikkelt78. 1850 wurde die evangelische innere Kirchengewalt, die jura in sacra, aus dem Kultusministerium ausgegliedert und einer neugeschaffenen kollegialen Behörde, dem Oberkirchenrat in Berlin, unterstellt. Im Zuge der dem Konstitutionalismus im staatlichen Bereich parallel verlaufenden presbyterialen und synodalen Bewegung ordnete König Wilhelm I. die Bildung von Kreissynoden an. 1869 traten erstmals Provinzialsynoden zusammen. 1873 wurde eine evangelische Kirchengemeinde- und Synodalordnung erlassen. Doch noch 1906 klagte Otto Mayer, der Verfasser des bekannten Lehrbuchs des Verwaltungsrechts, daß in der evangelischen Kirche der Territorialismus ruhig weiterblühe. Man werde sich mehr und mehr darüber klar, daß die Umarmung des Staates die Kirche zu erdrücken drohe. Die evangelische Kirche werde angesehen als "une partie du gouvernement", gerade wie im 18. Jahrhundert die katholische Kirche in Frankreich, die darüber die Anhänglichkeit des Volkes in so furchtbarer Weise verloren habe 79 . Erst die Weimarer Verfassung brachte für die evangelischen Landeskirchen mit der Beendigung des landesherrlichen Kirchenregiments die volle kirchliche Selbstverwaltung und Unabhängigkeit. 5. Der Kulturkampf, den Hans Maier zutreffend einen "kaum glaubhaften Anachronismus" 80 genannt hat, bedeutete zwar den Höhepunkt der politischen Auseinandersetzung des preußischen Staates mit der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert; er hat aber, abgesehen von wenigen bis in die Gegenwart nachwirkenden Residuen, die Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts nicht mehr entscheidend zu verändern vermocht 81 . Abgesehen von den von der deutschen Publizistik weithin mißdeuteten Ereignissen auf dem I. Vatikanischen Konzil und der persönlichen Abneigung Bismarcks gegen die Zentrumspartei dürfte der Hauptbeweggrund, der den Kanzler zur Aufnahme des Kulturkampfes geführt hat, wohl in dem Dilemma des preußischen Staates zu sehen sein, der der evangelischen Kirche nicht diejenigen Freiheitsrechte gewähren konnte, die sich die katholische Kirche 82 im Revolutionsjahr 1848 erkämpft hatte83 .

78 Richard Bäumlin, Art. "Synode", in: RGG, Bd. 6, 3. Aufl., Tübingen 1962, Sp. 570. 79 Mayer, Art. "Staat und Kirche" (Anrn. 49), S. 721. 80 Zitiert nach Raab, Kirche und Staat (Anrn. 40), S. 110. 81 Scheuner, Kirche und Staat (Anrn. 14), S. 238. 82 Vgl. dazu Martin Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts (Anrn. 7), S. 32. 83 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anrn. 27), S. 287 ff.

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6. Die Zentrumspartei war nach dem Abklingen des Kulturkampfes bemüht, der katholischen Kirche in allen deutschen Bundesstaaten jenes Maß an kirchlicher Freiheit zu verschaffen, dessen sich die Kirche in Preußen erfreute. Im zweiten Abschnitt des Toleranzantrags, der die Überschrift trug: "Religionsfreiheit der Religionsgemeinschaften", waren die Forderungen der Zentrumsfraktion hinsichtlich der Kirchenfreiheit enthalten. Er verlangte für alle Religionsgemeinschaften, die in einem der Bundesstaaten vom Staate anerkannt waren, das Recht, innerhalb des gesamten Reichsgebietes ihre Religion frei und öffentlich ausüben zu können. Ferner forderte er, daß diese Religionsgemeinschaften berechtigt sein sollten, überall im Deutschen Reich ohne staatliche oder kommunale Ermächtigung Gottesdienste abzuhalten, Kirchengebäude mit Türmen zu erbauen und auf denselben Glocken anzubringen. Die weiteren Punkte des Antrags betrafen den freien Verkehr der anerkannten Religionsgemeinschaften mit ihren Obern, die freie Ämterverleihung und die freie Gründung und Betätigung religiöser Genossenschaften und Gesellschaften innerhalb des Reichsgebietes, unabhängig von einer staatlichen und kommunalen Genehmigung83 a. Der zweite Abschnitt des Toleranzantrags, der inhaltlich weitgehend mit den staatskirchenrechtlichen Regelungen der späteren Weimarer Verfassung übereinstimmte, hatte weder im Reichstag noch im Bundesrat Aussicht auf Annahme. Wilhelm Kahl wandte sich in einer Schrift gegen den Antrag mit der Begründung, der zweite Teil des Toleranzantrags qualifiziere sich als revolutionärer Einbruch in das bestehende Landeskirchenrecht der deutschen Einzelstaaten, der in seinen Wirkungen schlechterdings nicht zu übersehen sei und eine unerhörte Auflösung, Verwirrung und Unsicherheit nach sich ziehen und eine unerschöpfliche Quelle von Streitigkeiten eröffnen müßte 84 • Bemerkenswerterweise sprach sich auch Bayern im Bundesrat gegen die Annahme des Toleranzantrags aus, weil es dadurch das Placetum 83 a Der volle Wortlaut des Toleranzantrags findet sich unter dem Titel "Der sog. Toleranzantrag oder Gesetzentwurf über die Freiheit der Religionsübung im Deutschen Reiche, enthaltend die betr. Reichstags- und Kommissionsverhandlungen, nebst einer Zusammenstellung der bestehenden Reichs-, Bundesund Landesgesetzgebungen über die Religionsübung in Deutschland", hrsg. von Franz Heiner, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht, 82. Bd. (1902), 2. Quartalheft, S. 1-515 und 84. Bd. (1904), 3. Quartalheft, S. 517-849. Auch separat erschienen. Eine kürzere Darstellung der Anliegen des Toleranzantrages verfaßte Matthias Erzberger, Der Toleranzantrag der Zentrumsfraktion des Reichstages, Osnabrück 1906. Vgl. auch Bachern, Zentrumspartei (Anm. 45), Bd. 6, Köln 1929, S. 108 ff. 84 Wilhelm Kahl, Die Bedeutung des Toleranzantrags für Staat und evangelische Kirche, Halle 1902, S. 38.

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regium, das Kronjuwel der bayerischen Staatskirchenhoheitsrechte, gefährdet sah85 . Noch im Jahre 1908 sprach Wilhelm Kahl in seiner Berliner Rektoratsrede ein entschiedenes Nein zur Aufhebung der institutionellen Verbindung von Staat und Kirche. Grundsätzliche Schwierigkeiten, die gegen eine solche Trennung sprachen, erblickte er a) in der Einbuße des Staates an Kirchenhoheit; b) in den imparitätischen Wirkungen des Systems und der Verleugnung der an sich schlechthin öffentlichen Natur des deutschen Kirchenwesens. Außerdem schien ihm die Lösung der beiden Gewalten praktisch unmöglich zu sein wegen der damit verbundenen Einwirkungen auf die bundesstaatliehen Verhältnisse, der Undurchführbarkeit der zwangsweisen Aufhebung des landesherrlichen Kirchenregiments und der unüberwindlich schwierigen Frage der Vermögensauseinandersetzung zwischen den deutschen Staaten und Kirchen 86 .

C. Die Religionsfreiheit unter der Weimarer Reichsverfassung und dem Grundgesetz I. Die Weimarer Reichsverfassung War im Kaiserreich die Gewährleistung der religiösen und kirchlichen Freiheitsrechte Sache der einzelnen Bundesstaaten gewesen, so wurde in der Weimarer Reichsverfassung nunmehr die volle individuelle Religionsfreiheit und das kirchliche Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht durch das Reich verbürgt. Die Weimarer Reichsverfassung erbrachte somit eine bedeutsame Kompetenzverlagerung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts von den Ländern auf das Reich. Die in Art. 135 S. 1 WeimRV allen Bewohnern des Reiches gewährte volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Bekenntnisfreiheit im engeren Sinne 87 , die die Berechtigung enthielt, einen beliebigen Glauben Bachern, Zentrumspartei (Anm. 45), Bd. 6, S. 114 f. und 115, Anm. 1. Wilhelm Kahl, Aphorismen zur Trennung von Staat und Kirche. Berliner Rektoratsrede. Berlin 1908, S. 25 u. S. 33 f. mit Anm. 34. Vgl. auch Wilhelm Kahl, Die Verschiedenheit katholischer und evangelischer Anschauung über das Verhältnis von Staat und Kirche, Leipzig 1886, S. 29 f. 87 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs (Anm. 15), S. 619. 85

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zu haben oder auch keinen zu haben, war bereits durch das Reichsgesetz vom 22. 4. 1871 allen Bewohnern des Reiches garantiert worden. Auch wenn die Weltanschauungsfreiheit in Art. 135 WeimRV nicht ausdrücklich genannt war, interpretierte die überwiegend herrschende Meinung der Weimarer Zeit Art. 135 S. 1 dahingehend, daß die Bekenntnisfreiheit nicht nur die Kundgabe theistischer Überzeugungen, sondern auch den Ausdruck religionsloser, insbesondere atheistischer weltanschaulicher Überzeugungen umfasse 88 . Art. 135 WeimRV war eines jener nicht in Art. 48 Abs. 2 und 4 aufgeführten Grundrechte, die vom Reichspräsidenten nicht außer Kraft gesetzt werden konnten. In der Sprache der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit zählte es zu den "diktaturfesten" Grundrechten89 bzw. zu den "reichsverfassungskräftigen Grundrechten ersten Grades" 90 . Art. 135 S. 2 WeimRV garantierte allen Bewohnern des Reiches ungestörte Religionsübung und brachte damit die bereits im Toleranzantrag der Zentrumspartei geforderte reichsrechtliche Gewährleistung der Kultusfreiheit. Alle Kultusprivilegien einzelner Kirchen und Konfessionen waren damit beseitigt. Im Gegensatz zu Art. 4 GG gewährte Art. 135 S. 3 WeimRV die Kultus- und Bekenntnisfreiheit, ebenso wie auch die Kirchenfreiheit in Art. 137 Abs. 3 WeimRV, nur innerhalb der Schranken der allgemeinen Staatsgesetze 91 . Die Gewährleistung der Kultusfreiheit der Weimarer Reichsverfassung bedeutete insofern einen Bruch mit der deutschen geschichtlichen Tradition, als die Kultusfreiheit, die vom Augsburger Religionsfrieden an ausschließlich als Recht der Religionsgemeinschaften, somit als korporatives Recht betrachtet worden war, nunmehr als Individual88 Anschütz, ebd., S. 619. Anderer Auffassung Carl Schmitt, der die Meinung vertrat, daß Art. 135 WeimRV die "Freiheit der Religionsübung- nicht der antireligiösen Überzeugung" gewährleiste; vgl. Carl Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: HdbDStR, Bd. 2, S. 584. B9 Gerhard Anschütz, Die Religionsfreiheit (Anm. 15), S. 683. 90 Richard Thoma, Grundrechte und Polizeigewalt, in: Verwaltungsrechtliche Abhandlungen. Festgabe zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, Berlin 1925, S. 191: "Reichsverfassungskräftige Grundrechte ersten Grades" sind solche, "die nicht anders antastbar sind als durch ein verfassungsänderndes Gesetz". Vgl. dazu auch Richard Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtliehen Sätze, in: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, hrsg. von Hans Carl Nipperdey, Bd. 1, Berlin 1929, 47 ff. 91 Über das Verständnis dieser Bestimmung, die" tiefe Eingriffe des Gesetzgebers in die freie Religionsausübung erlaubte, vgl. bei Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs (Anm. 15), S. 620 f.

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grundrecht angesehen wurde 92 . Die Weimarer Reichsverfassung brachte damit eine effektive Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften. Das auf der Einheit von Staat, Kirche und Religion gegründete Reich war über die reichsrechtlich anerkannten drei christlichen Konfessionen und den noch an einem christlichen Grundcharakter festhaltenden Staat des 19. Jahrhunderts 93 durch die Weimarer Reichsverfassung endgültig zum religiös-neutralen Staat geworden. Die Bestimmung des Art. 135 S. 2 war, nach Scheuner, der verfassungsrechtliche Ausdruck einer dezidierten Lösung der inneren Verbindung des Staates zur Religion, der Aufgabe der Formel "Thron und Altar" und zugleich ein Bekenntnis zur Toleranz 94 • Dennoch schuf die Weimarer Reichsverfassung keinen laizistischen Staat. Der Staat der Weimarer Reichsverfassung war nicht religionsfeindlich. Er hat keineswegs alle Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften, insbesondere zu den großen christlichen Kirchen, abgebrochen. Er berücksichtigte, schützte und förderte sie, wie Ebers schreibt, nach wie vor in mannigfacher Weise 95 . Die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirchen blieb gewahrt. Den anderen Religionsgemeinschaften wurde bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ebenfalls die Möglichkeit geboten, den öffentlich-rechtlichen Status zu erwerben. Der Religionsunterricht blieb ordentliches Lehrfach in den Schulen. Die Bekenntnisschule wurde als gleichberechtigt neben der simultanen und freien Schule anerkannt. Den Religionsgemeinschaften wurde das Recht zur Vornahme seelsorglicher Handlungen im Heer und in bestimmten staatlichen und öffentlichen Einrichtungen zuerkannt. Die theologischen Fakultäten an den Universitäten blieben bestehen96 . Die bedeutsamste Bestimmung für die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche brachte Art. 137 Abs. 1 WeimRV: "Es besteht 92 Anschütz, ebd., S. 621; vgl. dazu auch Heinrich J. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, Berlin 1958, S. 112. 93 Verfassungsrechtlichen Ausdruck fand dieses christliche Staatsbewußtsein in Art. 14 der Preußischen Verfassung vom 31. 1. 1850, der bestimmte, daß die christliche Religion bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche mit der Religionsübung im Zusammenhange stehen, unbeschadet der im Art. 12 gewährleisteten Religionsfreiheit, "zum Grunde gelegt" werde. Über die Entstehungsgeschichte und die Auslegung dieser Bestimmung siehe bei Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 260 ff., bes. S. 269. Nach der Interpretation von Anschütz folgte aus Art. 14 jedoch nicht, daß der Staat das Christentum zu "bekennen" hatte; er hatte es "nur unter gewissen Voraussetzugnen zu berücksichtigen". 94 Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 14), S. 247. 95 Ebers, Staat und Kirche (Anm. 14), S. 124. Vgl. auch Heiner Marre, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 7), S. 397 f. 96 Ebers, ebd., S. 125.

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keine Staatskirche." In dieser Bestimmung wurde vielfach sowohl die Auflösung des landesherrlichen Kirchenregiments als auch die Einführung der Trennung von Staat und Kirche erblickt. Aber bereits in der Deutschen Nationalversammlung hatte der Berichterstatter für die staatskirchenrechtlichen Artikel, der Zentrumsabgeordnete Joseph Mausbach, ausgeführt, daß Art. 137 Abs. 1 WeimRV das Trennungsprinzip in Schärfe nur ausspreche "gegenüber einer bestimmten, engen Verbindung zwischen Staat und Kirche, wie sie bei den evangelischen Landeskirchen bislang vorhanden war" 97 . Wenn auch das landesherrliche Kirchenregiment in den letzten Jahrzehnten vor 1918 kein Staatskirchenturn im strengen Sinne mehr darstellte, da die evangelische Landeskirche keine Staatsanstalt mehr war, sondern, wie Anschütz sagt, eine vom Staate wesensverschiedene Körperschaft mit Rechtsfähigkeit und Selbstbestimmungsrecht, so war dennoch die Bezeichnung der evangelischen Landeskirchen als "Staatskirchen" kirchenpolitisch zutreffend. Denn die Kirchen wurden entweder vom Monarchen oder, in Unterordnung unter diesen, von Staatsbehörden, wie z. B. den Kultusministerien, regiert und verwaltet. Für den Fall, daß die Kirchen eigenen Kirchenbehörden unterstanden, waren diese mit vom Staate ernannten und besoldeten Beamten besetzt98 • Wie Ebers betont, richtete sich Art. 137 Abs. 1 WeimRV nicht nur gegen den Summepiskopat, sondern auch gegen die Landeskirche im Sinne des bisherigen Systems der Staatskirchenhoheit, wonach der Staat eine oder mehrere Kirchen zwar als von ihm verschiedene Körperschaften mit eigener Rechtsfähigkeit und Selbständigkeit anerkannte, sie aber zugleich seinen Zwecken dienstbar machte, indem er sie verpflichtete, ihre Aufgaben zugleich in seinen Dienst und Auftrag zum Wohle des bewußt christlichen Staates zu erfüllen99 . Ebenso wie in den deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts ist auch in der Weimarer Reichsverfassung das Trennungsprinzip, wie Martin Heckel formuliert hat, nicht als Kampfprinzip rezipiert worden, sondern als Baustein einer abgewogenen Ordnung des Ausgleichs100.

97 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1644 C. (59. Sitzung vom 17. 7. 1919). 98 Vgl. die eingehenden Darlegungen über die beamtenrechtliche Stellung der höheren kirchenregimentliehen Behörden der evangelischen Kirche in Preußen, bei Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde (Anm. 27), S. 320 ff.; vgl. auch Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs (Anm. 15), S. 631 f. 99 Ebers, Staat und Kirche (Anm. 14), S. 121. 1oo Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 7), S. 810, Leitsatz 19.

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Auch eine differenzierende Behandlung der Religionsgemeinschaften war dem religiös neutralen und paritätischen Staat der Weimarer Reichsverfassung nicht verboten: er durfte allerdings eine Differenzierung unter den Religionsgemeinschaften nur vornehmen nach deren objektiver Bedeutung für das Leben, wie das in der Bestimmung des Art. 137 Abs. 5 über die Verleihung oder Versagung der öffentlichen Korporationseigenschaften und in Art. 139 in der Anerkennung der Feiertage der christlichen Kirchen zum Ausdruck kommt 101 . Von echter Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften kann nur dann die Rede sein, wenn diese auch das Recht haben, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. "Die Last der geschichtlichen Tradition" 102 brachte es mit sich, daß die herrschende Lehre der Weimarer Zeit, und teilweise auch die staatliche Praxis, vor allem in Preußen, nach wie vor von dem Fortbestand der staatlichen Kirchenhoheit und der mit ihr verbundenen besonderen Staatsaufsicht über die öffentlich-rechtlich korparierten Religionsgesellschaften ausging. Die vor allem von Godehard Josef Ebers und einer Reihe katholischer Autoren vertretene Gegenmeinung konnte sich damals nicht durchsetzen 103 . Weil die Kirchen Körperschaften des öffentlichen Rechtes blieben, mußte nach der von Faul Schoen geprägten Formel auch die besonders geartete Staatsaufsicht über die Kirchen, die Kirchenhoheit, bestehen bleiben. Die über die allgemeine Vereinsaufsicht hinausgehende besondere Staatsaufsicht über die Kirchen galt als "ein notwendiges Korrelat der den Kirchen staatlicherseits gewährten öffentlich-rechtlich gehobenen Stellung" 104 • Trotz des Fortbestandes der staatlichen Kirchenhoheit und der mit ihr verbundenen staatlichen Aufsichtsrechte erfreuten sich die Kirchen gegenüber dem früheren Zustand einer weitgehenden Freiheit. Die den Kirchen eingeräumten Rechte galten jedoch in der Weimarer Zeit allgemein als vom Staate verliehene Rechte. Der Gedanke, daß auch den Kirchen und Religionsgemeinschaften als solchen Grundrechte zustehen könnten, taucht in der Weimarer Zeit, die in den Grundrechten ausschließlich "Rechte des Individuums als Mensch und Bürger" 105 erblickte, noch nicht auf. Wenn sich auch bei Ebers schon Ebers, Staat und Kirche (Anm. 14), S. 125. Konrad Hesse, Art. "Kirche und Staat", in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 1966, Sp. 908. 103 Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 14), S. 246. 104 Paul Schoen, Der Staat und die Religionsgesellschaften der Gegenwart, in: VerwArchiv, Bd. 29 (1922), S. 20; vgl. auch Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs (Anm. 15), S. 637 f. mit weiteren Nachweisen. 105 Anschütz, ebd., S. 503 f. 1o1

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die Aussage findet, daß aus der individuellen Religionsfreiheit, der Bekenntnis- und Kultusfreiheit, konsequenterweise die Vereinigungsfreiheit folge 106 , so war sich doch die Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit des grundrechtliehen Zusammenhangs zwischen der individuellen Bekenntnis- und Kultusfreiheit und der Kirchenfreiheit noch nicht bewußt. ll. Die Religionsfreiheit unter dem Grundgesetz 1. Im Parlamentarischen Rat führte ein heftiges Ringen um die Kirchenartikel zur Trennung der individualrechtliehen Grundrechtsverbürgungen und der institutionellen Regelungen. Den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der DP 107 , der eine Neuregelung des Verhältnisses von Kirche und Staat erstrebte, lehnte der Hauptausschuß am 29. 11. 1948 ab 108 • Der Abg. Ludwig Bergsträßer begründete die Ablehnung u.a. damit, daß vieles aus dem Antrag auch schon durch die Grundrechte gedeckt sei, da sich diese auch auf juristische Personen erstreckten 109 . Auf Vorschlag der beiden Abgeordneten Theodor Heuss und Hermann Höpker-Aschoff wählte man schließlich den Ausweg, die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz zu inkorporieren und damit zum Bestandteil des Grundgesetzes zu machen 110 . 2. Die lange bestehende Unsicherheit über die Stellung des Art. 140 im Gesamtgefüge des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht durch die Entscheidung behoben, daß die inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland geworden seien und mit diesem zusammen ein organisches Ganzes bilden. Sie seien nach dem Sinn und Geist der grundgesetzliehen Werteordnung auszulegen 111 . Das Verhältnis zwischen den inkorporierten Kirchenartikeln und anderen, im Grundgesetz unmittelbar getroffenen Regelungen sei aus dem Zusammenhang der grundgesetzliehen Ordnung selbst zu bestimmen, wobei von Be-

Ebers, Staat und Kirche (Anm. 14), S. 171. Wortlaut des Antrags in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, N.F., Bd. 1 (1951), s. 899 f. 10a Einzelheiten bei Karl Eugen Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche und seine Ausgestaltung im Bonner Grundgesetz. Geschichte, Entstehungsgeschichte und Auslegung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV. Jur. Diss. Münster 1961, S. 78 ff.; vgl. auch BVerfGE 19, 206 (218 ff.). 109 Schlief, ebd., S. 80; JöR, Bd. 1, S. 901. no Schlief, ebd., S. 79 ff. 111 BVerfGE 19, 206 (219); 19, 226 (236). 106

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deutung sei, daß das Grundgesetz nicht alle Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung über die Beziehungen von Kirche und Staat, insbesondere nicht den Art. 135 Weimarer Reichsverfassung, übernommen habe 112 . Das Bundesverfassungsgericht mißt hier offensichtlich der Tatsache besondere Bedeutung bei, daß Art. 135 S. 3 mit der schrankenziehenden Bestimmung "Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben dadurch unberührt" nicht in das Grundgesetz mitübernommen wurde 113 . Das Gericht macht sich dabei die Auffassung des Abg. Heinrich von Brentano zu eigen, daß, soweit das Grundgesetz den rechtlichen Gehalt eines Rechtsgedankens der Art. 136 ff. der Weimarer Reichsverfassung in erkennbarer Weise verstärken wollte, die entsprechenden Vorschriften der früheren Reichsverfassung durch die einschlägige anderweitige Regelung ergänzt und damit erweitert und "überhöht" wurden 114 . Die Aufwertung, die die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch die Inkorporation in das Grundgesetz erfahren haben, kommt, wie Stein schreibt, darin zum Ausdruck, daß der Rechtssatz der Weimarer Verfassung "Staatsgebot geht vor Religionsgebot" 115 im Grundgesetz grundsätzlich nicht gelte. Dem Staatskirchenrecht des Grundgesetzes liegetrotz Anerkennung der Unabhängigkeit der Kirchen vom Staate zwar das Prinzip des Vorranges der staatlichen Souveränität gegenüber den Kirchen und der Verfassung gegenüber den Kirchenverträgen zugrunde; dabei bleibe jedoch die Staatsgewalt durch die freiheitliche demokratische Grundordnung als allgemeine wertgebundene Ordnung begrenzt 116 . 3. Der Inhalt des Individualgrundrechts der Glaubens-, Gewissensund Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) und des Grundrechts der Kultusfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) ist unter der Herrschaft des Grundgesetzes derselbe geblieben und daher ebenso zu interpretieren wie BVerfGE 19, 206 (219). BVerfGE 19, 206 (219). 114 BVerfGE 19, 206 (219). 115 Die Kurzformel "Staatsgebot geht vor Religionsgebot", mit der Erwin Stein in offensichtlicher Anlehnung an Anschütz den Rechtsgedanken des Art. 137 Abs. 3 WeimRV zusamrnenfaßt, lautet bei Anschütz wörtlich: "Die Religionsfreiheit findet, in allen ihren einzelnen Betätigungsmöglichkeiten, ihre Schranke in den Staatsgesetzen .. Staatsgesetz geht vor Religionsgebot": vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., 1933, S. 621; 10. Aufl., 1929, S. 340. Das angeblich wörtliche Zitat "Staatsgebot geht vor Religionsgebot" bei Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, München 1964, S. 42, findet sich in dieser Form nicht bei Anschütz und ist daher fehlerhaft. 116 Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 135 f. 112

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während der Weimarer Zeit, wenn auch gewisse Verfeinerungen im Verständnis dieses Grundrechts, die besonders in den Kirchensteuerurteilen des Bundesverfassungsgerichts Ausdruck gefunden haben, nicht zu verkennen sind 117 • Es verdient Erwähnung, daß sich der Parlamentarische Rat dem Vorschlag des Banner Staatsrechtslehrers Richard Thoma, der in einer für den Parlamentarischen Rat verfaßten "Kritischen Würdigung des vom Ausschuß für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates beschlossenen und veröffentlichten Grundrechtskatalogs" angeregt hatte, in Art. 4 Abs. 1 nur die Freiheit des offenen Bekenntnisses aller Überzeugungen zu schützen, nicht angeschlossen hat. Thoma hatte erklärt, es bestehe kein Grund, die Freiheit des Glaubens und der Überzeugung zu schützen, da diese ohnehin niemand antasten könne. Nach längerer Aussprache beschloß der Parlamentarische Rat, auch die innere Seite des Bekenntnisses und den Gewissensbereich in den Schutz dieses Grundrechts einzubeziehen118 . Die Sorge der evangelischen und katholischen Bischöfe der DDR um die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der neuen DDR-Verfassung zeigt, welche Bedeutung auch in der heutigen Zeit dem verfassungsrechtlichen Schutz der religiösen Privatsphäre und individuellen Entscheidungsfreiheit zukommt. Die Religions- und Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung sind in der DDR-Verfassung, die am 6. April1968 durch Volksabstimmung angenommen wurde, auf einen einzigen Artikel zusammengeschrumpft. Art. 39 der Verfassung der DDR bestimmt: "(1) Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben. (2) Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden." Die Bischöfe der DDR forderten während der Beratungen des Verfassungsentwurfsohne Erfolg die Aufnahme der Garantie der "vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit" in der Verfassung, damit, wie es im Schreiben der evangelischen Bischöfe an den Staatsratsvorsitzenden Walter mbricht heißt, auch "die Christen und diejenigen Mitbürger, 117 Vgl. dazu Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR, Bd. 92 (1967), S. 112 ff. ua Vgl. JöR, Bd. 1, S. 73 und S. 49, Anrn. 11.

3•

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die die Weltanschauung der führenden Partei nicht teilen, an der Verantwortung für unser Staatswesen mit unverletztem Gewissen teilnehmen können" 119 . Die alten Rechtsformeln der Glaubens- und Gewissensfreiheit sind somit, wie die Situation in der DDR zeigt, durchaus geeignet, gegenüber einem totalitären, auf einer Weltanschauung beruhenden modernen Staatswesen, dem Staatsbürger in seiner freien Glaubens- und Gewissensbildung Schutz zu bieten. Möglicherweise wird der Unterscheidung zwischen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit auch in der künftigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch Bedeutung zukommen. Stein deutet in seiner Rechtsprechungsübersicht an, daß eine Abgrenzung der Glaubens- von der Bekenntnisfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht noch ausstehe 120 . 4. Ein weitgehender Konsens herrscht in der deutschen Staatskirchenrechtswissenschaft darüber, daß die beiden staatskirchenrechtlich relevanten Normen des Art. 4 und des Art. 140 GG ungeachtet ihrer räumlichen Trennung so zu lesen sind, als ob sie auch äußerlich, und 119 Vgl. den Brief der evangelischen Bischöfe der DDR vom 15. 2. 1968 an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, abgedr. in: Evangelische Kommentare, Jhg. 1 (1968), S. 218 f. Die evangelischen Bischöfe schlugen in diesem Schreiben eine Neuformulierung des Art. 38 des Verfassungsentwurfs (=Art. 39 der Verfassung) vor, die vom Staatsratsvorsitzenden und von der Volkskammer der DDR jedoch nicht akzeptiert wurde. Die katholischen Bischöfe und Bischöflichen Kommissare der Berliner Ordinarienkonferenz bedauerten in einer "Erklärung", die am Sonntag, dem 3. März 1968, in allen Gottesdiensten in der DDR verlesen wurde, daß im Entwurf der neuen Verfassung nahezu alle bisher verfassungsmäßig garantierten Rechte der Kirche nicht mehr erwähnt werden. Zu diesen Rechten "gehören insbesonders die Garantie der vollen Gewissens- und Glaubensfreiheit und der ungestörten Religionsausübung". Über die Garantie der Gewissensfreiheit erklären die Bischöfe: "Besonders wichtig für jeden Menschen, gleich welcher Weltanschauung, ist die verfassungsmäßige Garantie der Gewissensfreiheit, da es sich hierbei um ein fundamentales menschliches Grundrecht handelt. Die Freiheit der Glaubensausübung kann nur dann als gesichert erscheinen, wenn die Gewissensfreiheit in der Verfassung so verankert ist, wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sie verstanden wissen will." Vgl. den Wortlaut dieser Erklärung, in: Informationsdienst des Katholischen Arbeitskreises für zeitgeschichtliche Fragen e.V., hrsg. von Alexander Stein, Heinrich Köppler, Friedrich Kronenberg, Nr. 37 (Bonn, Mai 1968), S. 32 f.; vgl. auch die eingehende Darstellung der Entstehungsgeschichte und des wesentlichen Inhalts der neuen DDRVerfassung und besonders ihrer staatskirchenrechtlichen Regelungen, in: Herderkorrespondenz, 22. Jhg. (1968), S. 231 ff.; vgl. ferner die Analyse der DDRVerfassung in: Informationsdienst des Katholischen Arbeitskreises für zeitgeschichtliche Fragen e.V., Heft Nr. 37 (Mai 1968), S. 1-31; dort auch (S. 28) der Alternativ-Formulierungsvorschlag der katholischen Bischöfe zum Artikel 38 des Verfassungsentwurfs. 120 Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 131.

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zwar im Rahmen des 1. Abschnittes, ineinandergefügt wären 121 . Andere Sichtweisen sprechen davon, daß die Art. 4 und 140 GG sich überlagern122, sich überschneiden 123 oder, daß Art. 140 GG durch Art. 4 GG eine grundrechtliche Absicherung 124 erfahre. Aus dieser Verklammerung des Art. 140 mit Art. 4 GG folgt, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, daß im Gegensatz zur Auffassung der Weimarer Reichsverfassung und dem früheren Staatskirchenturn der Staat die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstverwaltung anerkennt, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staate sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten, mit der Folge, daß der Staat nicht in ihre inneren Verhältnisse eingreifen darf 125 . Hollerbach hat zu dieser Aussage des Bundesverfassungsgerichtes über den konfessionellen Grundstatus der Religionsgemeinschaften festgestellt, sie bedeute nichts weniger als eine Absage an einen rechtsmonopolistischen Etatismus 126 . Angesichts dieser auch durch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts bestätigten Neuinterpretation der institutionellen Bestimmungen über das Staatskirchenrecht im Grundgesetz dürfte sich die Auffassung, daß die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch die Inkorporation in das Grundgesetz keinen Bedeutungswandel durchgemacht haben, nicht mehr aufrechterhalten lassen 127 . 5. Noch bedeutsamer als die bereits durch den Wortlaut des Art. 137 Abs. 3 WeimRV nahegelegte Klarstellung der Eigenrechtsmacht der Religionsgemeinschaften in ihrem ureigensten inneren Bereich erscheint jedoch für die verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften die Tatsache, daß unter dem Einfluß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das korporative Element des in Art. 4 GG gewährleisteten Grundrechts der Religionsfreiheit in zunehmendem Maße erkannt wird. 121 Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL, Heft 26 (1968), S. 60. 122 Reinhold Zippelius, in: Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Art. 4, Rdnr. 71. 123 v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz (Anm. 15), Bd. I, S. 217 f. 124 Klaus Obermayer, Staatskirchenrecht im Wandel, in: DÖV 1967, S. 13. 12s BVerfGE, 18, 385 (386); 19, 1 (5); 21, 367 (374). 126 Hollerbach Das Staatskirchenrecht (Anm. 117), S. 108. 127 Die Meinung, daß die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch die Inkorporation in das Grundgesetz keinen Bedeutungswandel erfahren haben, vertritt u.a. Hermann Weber, in: Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, Berlin 1966, s. 25 ff.

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In der Weimarer Zeit ist, wie Martin Heckel gezeigt hat, die Neubesinnung und Einordnung des Staatskirchenrechts in den demokratischen Verfassungsstaat ausgeblieben 128 • Der innere Zusammenhang zwischen dem Grundrecht der individuellen Religionsfreiheit und der Freiheit der Religionsgesellschaften wurde damals noch nicht als rechtlich relevant erkannt. Auf diesen inneren Zusammenhang haben die Weltkirchenkonferenzen von Amsterdam und New Delhi 129 und das Zweite Vatikanische Konzil übereinstimmend hingewiesen und die Forderung erhoben, daß die Freiheit, die den einzelnen zukomme, ihnen auch dann zukommen müsse, wenn sie in Gemeinschaft handeln; denn die Sozialnatur des Menschen wie auch die Religion selbst verlange religiöse Gemeinschaften. Deshalb stehe diesen Gemeinschaften, wenn nur die gerechten Erfordernisse der öffentlichen Ordnung nicht verletzt würden, rechtens die Freiheit zu, sich gemäß ihren eigenen Normen zu leiten, der Gottheit in öffentlichem Kult Ehre zu erweisen, ihren Gliedern in der Betätigung ihres religiösen Lebens beizustehen, sie durch Unterricht zu unterstützen und jene Einrichtungen zu fördern, in denen die Glieder zusammenarbeiten, um das eigene Leben nach ihren religiösen Grundsätzen zu ordnen130 . Für die Kirchen und Religionsgemeinschaften ist es deshalb eine entscheidende Frage, ob auch sie, ebenso wie ihre Mitglieder, sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen können, ob somit die Religionsfreiheit auch ein Verbandsgrundrecht ist.

Im Gegensatz zu der während der Weimarer Zeit herrschenden Meinung, die ebenso wie noch die gegenwärtige Österreichische Verfassungsrechtslehre131 in der Glaubens- und Gewissensfreiheit ein aus12s Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 7), Leitsatz 11; vgl. auch ders., Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL, Heft 26 (1968), s. 5-56. 129 Vgl. Ziff. 4 der "Declaration on religious Liberty" der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam 1948: "Every religious organization, formed or maintained by action in accordance with the rights of the individual persons, has the right to determine its policies and practices for the accomplishment of its chosen purposes", abgedruckt bei A. F. Carrillo de Albornoz, The Basis of religious Liberty, New York 1963, S. 158. Die Erklärung der Weltkirchenkonferenz von New Delhi, 1961, ebd., S. 159 ff. 130 Erklärung über die Religionsfreiheit des 2. Vatikanischen Konzils (Anm. 1), s. 7211723. 131 Ludwig Adamovich, Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Lichte der Judikatur des Reichsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs, in: ÖArchKR, 2. Jhg. (1951), S. 5; vgl. auch Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte. Ein Kommentar zu den Österreichischen Grundrechtsbestimmungen, Wien 1963, S. 363 f., der die Auffassung der

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schließliches Individualrecht erblickte, erklärt das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 3, daß die Grundrechte auch von inländischen juristischen Personen in Anspruch genommen werden können, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Einer ähnlichen Problematik wie später bei der Beurteilung der Frage, ob auch Religionsgesellschaften Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG sein können, sah sich das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1954 gegenüber, als es darüber zu entscheiden hatte, ob eine Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG- es handelte sich um einen regionalen Arbeitgeberverband - als solche durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit geschützt sei. Unter der Geltung der Weimarer Verfassung war diese Frage umstritten. Die Praxis verhielt sich ablehnend, während sich in der Rechtslehre eine überwiegende Meinung dahin zu bilden schien, daß nicht nur der einzelne, sondern auch die Vereinigung als solche den Schutz des Grundrechts der Koalitionsfreiheit in Anspruch nehmen könne. Das Bundesverfassungsgericht entschied sich für den Schutz der Koalition und erklärte, daß auch die Vereinigung selber durch das Grundgesetz geschützt sei. Den ausschlaggebenden Grund für diese Auslegung des Art. 9 Abs. 3 sah das Gericht in der Tatsache, daß sich das Grundgesetz in den Artikeln 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S. 1 ausdrücklich zum sozialen Rechtsstaat bekenne 132 . Zutreffend kritisierte damals Friedrich Klein die Begründung dieses Urteils und bemerkte, daß die Bezugnahme des Gerichts auf das ausdrückliche Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat "nicht nötig" gewesen sei 133 . In einer weiteren Entscheidung baute das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zu Art. 9 GG aus und erklärte - es handelte sich um eine Verfassungsbeschwerde des als verfassungswidrig aufgelösten Demokratischen Frauenbundes Deutschlands -, Art. 9 Abs. 1 GG verbürge nicht nur dem einzelnen Staatsbürger das Recht zum ZusamÖsterreichischen Verfassungsrechtsprechung folgendennaßen zusamrnenfaßt: "Die Freiheit des Glaubens, der Religion (Bekenntnis) und des Gewissens setzt eine physische Person voraus. Denn nur ihr sind Glauben, Religion und Gewissen wesensmäßig zumutbar"; vgl. ferner Erwin Melichar, Zur neuen verfassungsrechtlichen Regelung der Religionsfreiheit in Österreich, in: Speculum Iuris et Ecclesiarum. Festschrift für Willibald M. Plöchl, Wien 1967, S. 289 ff., der vor allem den Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit in Österreich untersucht. 132 BVerfGE 4, 96 (101 f.); vgl. auch BVerfGE 17, 319 (333) und 18, 18 (18; 26). ~33 Friedrich Klein, in: v. Mangoldt-Klein, Das Banner Grundgesetz (Anm. 15), Bd. 1, S. 327; vgl. auch Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche (Anm. 108), S. 207.

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menschluß in Vereinen und Gesellschaften, sondern gewährleiste diesen Vereinigungen, unbeschadet der Frage ihrer Rechtsfähigkeit, auch das Recht auf Entstehen und Bestehen. Die Beschwerdeführerirr könne daher eine Verletzung dieses Grundrechts mit der Verfassungsbeschwerde rügen 134 . Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 9 Abs. 1 und 3 GG ergibt sich, daß es sich bei diesen beiden Bestimmungen jeweils um ein

Doppelgrundrecht handelt, um eine gleichermaßen individuelle und korporative Garantie. Sie schützt einerseits die individuellen Freiheitsrechte der Vereins- und Gesellschaftsmitglieder bzw. der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie schützt aber gleichzeitig auch das korporative Existenz- und Betätigungsrecht dieser Vereine, Gesellschaften und Koalitionen selber, ihre Belange zu vertreten bzw., wenn es sich um Koalitionen handelt, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen bei der kollektiven Gestaltung der Arbeitsbedingungen unabhängig vom Staate wahrzunehmen 135 • Konnten die Vereine und Koalitionen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Träger des Grundrechts aus Art. 9 sein, so war damit die Bahn freigegeben, auch die Religionsgemeinschaften als Subjekte des Art. 4 GG anzusehen. Bereits im Jahre 1955 hatte Hans Helfritz in seiner Abhandlung "Die Kultusfreiheit nach dem Bonner Grundgesetz" die Meinung vertreten, wenn jedem einzelnen der Schutz des Artikels 4 zustehe, verliere er ihn auch dann nicht, wenn er in der Gemeinschaft erscheine. Nichts hindere daran, daß das subjektiv-öffentliche Recht jedes einzelnen gemeinschaftlich ausgeübt und geltend gemacht werde 136 . In der Literatur waren die Meinungen darüber geteilt, ob die Religionsgemeinschaften das Grundrecht auch aus Art. 4 Abs. 1137 oder nur aus Art. 4 Abs. 2138 oder aus beiden Verbürgungen in Anspruch nehmen könnten 139 . Diese letzte Meinung, die u.a. von Hamel vertreten BVerfGE 13, 174 (175). Vgl. dazu Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche (Anm. 108), S. 207 ff. 136 Hans Helfritz, Die Kultusfreiheit nach dem Bonner Grundgesetz, in: Monumentum Bambergense. Festgabe für Benedikt Kraft, München 1955, S. 27 f. 137 Ablehnend Heinrich J. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, Berlin 1958, S. 179; Kurt Wernicke, in: Bonner Kommentar, Erl. 4, II, 2, a, mit der Begründung, bei Art. 4 Abs. 1 handele es sich "um ein bloßes Individualrecht". 138 So Wernicke, ebd., Erl. 4, II, 2, a. 139 v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz (Anm. 15), Bd. I, S. 217 und S. 568 (=Art. 19, VI, 3, b). 134 135

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wurde 140 und von Schlief 1961 eine eingehende Darstellung erfuhr 14 \ ging davon aus, daß die drei zum vollen Sinngehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 gehörenden Einzelberechtigungen der Bekenntnis-, Kultus- und religiösen Vereinigungsfreiheit nicht von den sie tragenden Vereinigungen getrennt werden können und daher auch den Religionsgemeinschaften zustehen müssen 142 . Auch Rüfner vertrat die Auffassung, eine juristische Person sei in der Lage, den Glauben ihrer Mitglieder zu verkünden und damit zu bekennen. Das rechtfertige es, den Art. 4 auch auf juristische Personen auszudehnen. Das Recht aus Art. 4 Abs. 2 GG stehe den Religionsgesellschaften ohne jeden Zweifel zu. Rüfner bezeichnet es sogar als fraglich, ob dem Artikel 4 Abs. 2 GG neben Art. 4 Abs. 1 überhaupt eine selbständige Bedeutung zukomme, da mit Hamel anzunehmen sei, daß die Religionsübung eine Aktualisierung der Bekenntnisfreiheit darstelle und folglich in dieser aufgehe 143 . Diese Ansicht scheint jedoch den Unterschied zwischen der theologischen und juristischen Betrachtungsweise dieses Sachverhalts nicht voll zu berücksichtigen. Auch wenn es, theologisch gesehen, zuträfe, daß die öffentliche Religionsübung eine Aktualisierung des individuellen Bekenntnisses darstellt, so besteht, wie die deutsche Verfassungsgeschichte und die gegenwärtige Situation der Kirchen in der DDR übereinstimmend beweisen, rechtlich dennoch ein großer Unterschied, ob die Verfassung nur das individuelle Bekenntnis oder auch die gemeinsame öffentliche Religionsübung als Grundrecht anerkenntl 43 a. Es erweist sich deshalb auch heute als notwendig, an der eigenständigen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 2 GG festzuhalten. Absatz 1 und 2 des Art. 4 GG gewährleisten demnach - analog zu Art. 9 Abs. 1 und 3 GG - ein Doppelgrundrecht: einerseits das individuelle Freiheitsrecht der einzelnen, sich zu religiösen Vereinigungen Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anm. 23), S. 68. Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche (Anm. 108), s. 212 ff. 142 Schlief, ebd., S. 212. 143 Wolfgang Rüfner, Zur Bedeutung und Tragweite des Artikels 19 Abs. 3 des Grundgesetzes, in: AöR, Bd. 89 (1964), S. 290. 143 a Nur diese Sichtweise entspricht dem Selbstverständnis der Kirchen, die sich nicht nur als Summe der durch das gemeinsame Bekenntnis verbundenen Individuen, sondern wesensnotwendig als Gemeinschaft verstehen. Nach Regin Prenter, Art. "Kirche. IV. Dogmatisch", RGG, Bd. 3, 3. Aufl., Tübingen 1959, Sp. 1312, ist die Kirche "die im Laufe der Menschheitsgeschichte sich immer wieder ereignende Versammlung der von Gott zur Gemeinschaft mit sich erwählten und berufenen Menschen, das Bundesvolk Gottes". Im gleichen Sinne Rudolf Schnackenburg und Joseph Ratzinger, Art. "Kirche", LThK, Bd. 6, 2. Aufl., Freiburg 1961, Sp. 167 ff. 140 141

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zusammenzuschließen, andererseits das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der religiösen Vereinigungen selbst, jeweils unabhängig vom Staat die durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zu allseitiger Erfüllung wahrzunehmen 144 . 6. Die Rechtsprechung hatte erst verhältnismäßig spät Gelegenheit, zur Frage der Grundrechtsträgerschaft der Religionsgemeinschaften aus Art. 4 GG Stellung zu beziehen. Erste Anklänge finden sich in einigen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts, das darauf hinwies, daß auch die Religionsgemeinschaften gemäß Art. 19 Abs. 3 GG eine der religiösen Freiheit des einzelnen entsprechende ursprüngliche und unantastbare Gewalt zur Regelung ihrer religiösen Angelegenheiten besitzen145.

Erst im Jahre 1965 sah sich das Bundesverfassungsgericht veranlaßt, sich zu dieser Frage zu äußern. Nachdem es in dem Beschluß vom 28. 4. 1965 der Neuapostolischen Kirche, ungeachtet ihrer Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Berechtigung zugesprochen hatte, Verfassungsbeschwerde aus Art. 3 GG zu erheben 146 , erklärte es in dem Beschluß vom 4. 10. 1965 auf die Verfassungsbeschwerde der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft hin, daß Religionsgesellschaften und andere juristische Personen, deren Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündigung des Glaubens ihrer Mitglieder sei, Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG sein können 147 . Auf die Verletzung des Art. 140 GG kann jedoch eine Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar gestützt werden, wie das Bundesverfassungsgericht in derselben Entscheidung ausführte, da Art. 140 GG keine mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Grundrechte gewähre148. Wie Hollerbach dazu anmerkte, hat das Bundesverfassungsgericht dabei jedoch außer acht gelassen, daß zumindest die inkorporierten Art. 136 Abs. 3 und 4 und Art. 137 Abs. 2 WeimRV echten Grundrechtscharakter besitzen149 . Auch in dem Urteil über die Verfassungswidrigkeit des badischen Ortskirchensteuergesetzes vertrat das Bundesverfassungsgericht die 144 Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche (Anm. 108), s. 213. 145 BVerwG, U. v. 8. 2. 1963 - VII C 92/62 -, VwRspr. 15, 939 (942) = NJW 1963, 1170. Vgl. auch BVerwGE 7, 189 (195) = NJW 1958, 2081. 146 BVerfGE 19, 1 (5). 147 BVerfGE 19, 129 (132). 148 BVerfGE 19, 129 (135). 149 Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Anm. 117), S. 125.

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Auffassung, daß Art. 137 Abs. 6 WeimRV den Kirchen und Religionsgemeinschaften kein Grundrecht i.S. des Grundgesetzes gewähre 150 . Die wohl zu bejahende Frage, ob Art. 4 Abs. 1 GG auch von juristischen Personen in Anspruch genommen werden kann, deren Zweck nicht die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündigung des Glaubens ihrer Mitglieder ist, ließ das Bundesverfassungsgericht, das offensichtlich davon ausging, daß Art. 4 Abs. 1 auch ein Grundrecht auf negative Steuerfreiheit enthalte, deshalb als nicht entscheidungserheblich dahingestellt, weil es aktionenrechtlich nicht aus Art. 4 Abs. 1, sondern aus Art. 2 Abs. 1 GG judizierte 151 . Mit dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kam eine Entwicklung zum Abschluß, deren Tragweite für die Betätigung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der freiheitlichen Demokratie noch gar nicht genügend erkannt ist. Wenn man sich, worauf Rollerbach hingewiesen hat, bei der Deutung des Artikels 4 von der Blickverengung auf das Individuelle und Kultische freimachtl 52 , ist damit für die gesamte dem ureigensten Wesen der Kirchen entsprechende Tätigkeit, insbesondere auch auf dem Gebiete der Caritas, eine bedeutsame grundrechtliche Basis geboten. Wenn man nicht der gedanklich und geschichtlich unzutreffenden Auffassung anhängt, daß es sich in Art. 4 um eine lex specialis zu Art. 5, mithin um einen Unterfall der Meinungsfreiheit handle 153 , sondern in Art. 4 ein eigenständiges Grundrecht erblickt, wird man im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei der Würdigung jenes Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes über das gemeinsame Hirtenwort der nordrhein-westfälischen Bischöfe vor den Kommunalwahlen im Jahre 1961 im Gegensatz zur Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu dem Ergebnis kommen, daß das Recht der Bischöfe, ihre Gläubigen an ihre Wahlpflicht zu erinnern und sie aufzurufen, nur solchen Männern und Frauen ihre Stimme zu geben, die eine christliche Ordnung zu verwirklichen bereit sind, nicht in Art. 5 GG, sondern in Art. 4 GG begründet ist. Unter dieser Voraussetzung hätte das Gericht prüfen müssen, ob die Bischöfe durch ihr Hirtenwort Bundesrecht verletzt haben 154 . BVerfGE 19, 206 f. mit Leitsatz 4 (218). BVerfGE 19, 206 (215); a.A. das Bundesverwaltungsgericht, nach dessen Auffassung Art. 4 nicht von juristischen Personen in Anspruch genommen werden kann, deren Zweck nicht die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses ist, vgl. BVerwGE 7, 189 (195) = NJW 1958, 2081 f. 152 Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Annl. 121), S. 91 mit 150 151

Annl. 158. 153

1965,

Darüber Ulrich Scheuner, Pressefreiheit, in: VVDStRL, Heft 22, Berlin s. 45 ff.

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7. Angesichts der Tatsache, daß das Grundgesetz die Kirchen, wie Stein formuliert hat, "institutionell und grundrechtlich" gewährlei-

stet155, sie also mit einer doppelten Schutzgarantie versieht, erhebt sich die Frage, welche Bedeutung den staatskirchenrechtlichen Bestimmungen des Art. 140 GG in ihrem Verhältnis zu Art. 4 GG zukommt. Das unumstößliche Fundament unserer staatskirchenpolitischen Ordnung ruht, wie Hollerbach ausgeführt hat, auf der Normentrias des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie auf den Bestimmungen des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WeimRV 156 . Im Gegensatz zu den mehr organisationsrechtlichen Bestimmungen des Art. 137 Abs. 4-8 WeimRV, die die Regelung der öffentlich-rechtlichen Stellung der Kirchen zum Gegenstand haben, enthalten Art. 137 Abs. 1 und 137 Abs. 3 WeimRV unverzichtbare Grundsätze unseres Staatsrechts. a) Nach allgemeiner Auffassung statuiert, wie bereits ausgeführt, Art. 137 Abs. 1 WeimRV das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat in der für unser staatskirchenrechtliches System charakteristischen, eine vielfache Kooperation von Staat und Kirche zulassenden Weise. Art. 137 Abs. 1 WeimRVuntersagt die Identifikation des Staates und seiner Institutionen mit einer bestimmten Religion und ebenso mit einer totalitären oder laizistischen auf einer Weltanschauung beruhenden Staatsideologie, gebietet aber keine totale Bereichsscheidung in einen getrennten staatlichen und kirchlichen Bereich157 . Eine notwendige Folge dieses Verbots der Staatskirche ist für den Staat, der Heimstatt aller Bürger ohne Ansehen der Person zu sein hat, die Pflicht zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität. Auch diese Neutralitätspflicht des Staates ergibt sich nach vielfach vertretener Meinung aus Art. 137 Abs. 1 WeimRV 158 . Das Bundesverfassungsge154 BVerwGE 18, 14 ff. = NJW 1964, 1385 = DVBL 1964, 585 = DÖV 1964, 312 = ZevKR 11, 204 mit krit. Anm. Henning Zwirner, der die Schwächen der Argumentation des BVerwG klar herausstellt, jedoch den Zusammenhang zwischen Art. 4 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV nicht deutlich macht. Vgl. auch das Urteil der Vorinstanz (OVG Münster), OVGE 18, 1 = JZ 1962, 767 mit krit. Anm. Helmut K. Ridder =JuS 1963, 78 = DVBL 1963, 112 mit krit., das Recht der Kirchen, zu Wahlen Stellung zu beziehen, negierender Anm. Friedemann Fitzer = ZevKR 9, 428. 155 Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 126. 156 Vgl. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 121), S. 60; ders., Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M. 1965, S. 124f. 157 Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 7), S. 810, Leits. 23. 158 Aus Art. 137 Abs. 1 WeimRV folgt unmittelbar nur die Untersagung einer engen institutionellen Bindung des Staates zu einer oder mehreren bevorzugten Kirchen. Vgl. hierzu Ulrich Scheuner, Erörterungen und Tendenzen im gegen-

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richt erblickt jedoch zutreffend die Pflicht des Staates zu religiöser Neutralität ebenso, und sogar vorrangig in Art. 4 Abs. 1 GG und in den Bestimmungen der Art. 3 Abs. 3 GG, 33 Abs. 3 GG, 136 Abs. 1 und 4 WeimRVi.V.m. Art. 140 GG 159 • Dem Staat, der, wie das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle ausdrücklich betont, "den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen im Interesse der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aller Bürger grundsätzlich neutral" gegenüberstehtl 60 , ist es ferner untersagt, die einzelnen Religionsgemeinschaften einer nach dem Inhalt ihrer Anschauungen differenzierenden Behandlung zu unterwerfen 161 . Der Pflicht zu strikter Gleichbehandlung ist der Staat jedoch nur im Bereich der individuellen Glaubensfreiheit unterworfen, nicht aber dort, wo es sich um die institutionelle Position der Religionsgemeinschaften handelt 162 . Zwar bezieht, wie Stein betont, das Grundgesetz grundsätzlich alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in den Kreis der Paritätssubjekte ein 163 ; es anerkennt jedoch eine zweistufige Parität und erlaubt bei der Berücksichtigung und Förderung religiöser Interessen sachlich gebotene Differenzierungen 164 . Auch diese Verpflichtung des Staates, alle sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierungen zwischen den einzelnen Religionsgemeinschaften zu unterlassen, sieht das Bundesverfassungsgericht nicht in Art. 137 Abs. 1 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG, sondern in Art. 4 Abs. 1 GG begründet. Sie ist somit Ausfluß des Grundrechts der Religionsfreiheit 165 . Auf eine weitere Verpflichtung des Staates auf dem Gebiete der religiösen Neutralität hat unlängst Pirson hingewiesen. Dem religiös neutralen Staat ist es verwehrt, seiner Rechtsordnung eine bekenntnisgewärtigen Staatskirchenrecht der Bundesrepublik, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Heft 1, Münster 1969, S. 128. 159 BVerfGE 19, 206 (216); vgl. auch 18, 385 (386); 12, 1 (4). 160 BVerfGE 19, 1 (8). 161 BVerfGE 19 1 (7 f.); vgl. auch die grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts über die Möglichkeit von Differenzierungen im Rahmen des Gleichheitssatzes, BVerfGE 17, 122 mit Leits. 1 (130 f.). 162 Scheuner, Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung (Anm. 14), S. 270 und S. 257 f. mit Anm. 92. 163 Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 126 unter Verweis auf BVerfGE 19, 206 (216). 164 BVerfGE 19, 129 (134); 17, 122 (130 f.); daß auch die Weimarer Reichsverfassung die Pflicht des Staates zu paritätischer Behandlung der Religionsgemeinschaften nicht als Pflicht zu schematischer Gleichstellung auffaßte, siehe bei Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland (Anm. 14), S. 63 f.; dazu auch Scheuner, Erörterungen und Tendenzen (Anm. 158), S. 127 f. 165 BVerfGE 19, 1 (8).

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prägte Begrifflichkeit zugrunde zu legen, die nur aus dem Geiste eines bestimmten Bekenntnisses zweifelsfrei bestimmt werden kann 166 . Dem Staat wäre es daher aufgrundseiner Verpflichtung zu weltanschaulicher Neutralität untersagt, bei seiner Ehegesetzgebung vom Eheverständnis der katholischen Kirche oder des kanonischen Rechts auszugehen. Wie das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen, z. B. bei Klärung des Gewissensbegriffes i.S. des Art. 4 Abs. 3 GG 167 , bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der familienrechtlichen Bestimmung des § 1628 BGB, der den Stichentscheid des Vaters vorsah 168 , und bei der Erörterung der Frage, welcher Religions- bzw. Glaubensbegriff dem Grundrecht der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 GG zugrunde liege 169 , nachdrücklich betont hat, ist der Gesetzgeber verpflichtet, das Recht so zu normieren, daß es den Bürgern die Freiheit lasse, bei der Gestaltung ihres Ehe- und Familienlebens - und ähnliches gilt für alle übrigen Rechtsbereiche - ihren religiösen und weltanschaulichen Verpflichtungen mit allen Konsequenzen nachzuleben17o. Zwar wird sich, wie Pirson feststellt, die Verwendung kirchlicher Rechtsbegriffe in der staatlichen Rechtsordnung nie völlig vermeiden lassen: z. B. werden in§ 11 des Wehrpflichtgesetzes "ordinierte Geistliche evangelischen Bekenntnisses" bzw. "Geistliche römisch-katholischen Bekenntnisses, die die Subdiakonatsweihe empfangen haben" vom Wehrdienst befreitl 71 • Entscheidend bleibt jedoch, daß trotz der Entlehnung aus einem für den Staat heteronomen Bereich die Rechtsanwendung mit Hilfe der für staatliche Organe allein zulässigen säkularen Betrachtungsweise möglich erscheintl 72 • Auch diese Verpflichtung des Staates ergibt sich aus der in Art. 4 Abs. 1 GG begründeten Neutralitätspflicht des Staates und ist damit Ausfluß des Grundrechts der Religionsfreiheit. Aus der Tatsache, daß die Verpflichtung des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität und damit auch das Verbot der 166 Dietrich Pirson, Kirchliches Recht in der weltlichen Rechtsordnung, in: Festschrift für Erich Ruppel, Hannover, Berlin und Harnburg 1968, S. 277 ff. (285). 167 BVerfGE 12, 45 (54 f.). 168 BVerfGE 12, 59 (84). 169 BVerfGE 12, 1 (4). 170 BVerfGE 10, 59 (85) im Anschluß an Oswald v. Nell-Breuning, Katholische Kirche und heutiger Staat, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft heute, Bd. 2, Freiburg 1957, S. 319. 171 Vgl. § 11 Abs. 1 Wehrpflichtgesetz v. 14. 5. 1965 (BGBl. I, 391). 172 Pirson, Kirchliches Recht in der weltlichen Rechtsordnung (Anm. 166), S. 310.

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Identifikation des Staates mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung primär im Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthalten ist, folgt, daß Art. 137 Abs. 1 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG, der partiell denselben Sachverhalt regelt wie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, im Verhältnis zu diesen Grundrechtsbestimmungen unter der Geltung des Grundgesetzes keine konstitutive, sondern lediglich noch eine historisch begründete deklaratorische Bedeutung besitztl 72 a. b) Gleiches gilt von der Bestimmung des Art. 137 Abs. 2 WeimRV, der die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften gewährleistet. Inhaltlich ist diese Verfassungsnorm völlig in dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthalten. Daraus folgt, daß ihr keine konstitutive, sondern lediglich eine die religiöse Neutralität des Staates dokumentierende deklaratorische Bedeutung zukommtl 73 . c) Von besonderem Gewicht für die inhaltliche Bestimmung des Grundrechts der Kirchen und Religionsgemeinschaften ist die Klärung des Verhältnisses des Art. 4 GG zu dem mit schweren historischen Hypotheken belasteten Art. 137 Abs. 3 S. 1 WeimRV. Wie bereits ausgeführt, hat sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der von Martin Heckel zu Recht als unhaltbar bezeichneten und dem Selbstverständnis der Kirchen widersprechenden Auffassung nicht angeschlossen, daß die kirchlichen Freiheitsgarantien auf staatlicher Verleihung beruhen 174 • Das Bundesverfassungsgericht betrachtet die Kirchen vielmehr als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung, "die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staate sind und ihre 172 a Die hier vertretene Auffassung deckt sich in der Begründung nicht mit der Untersuchung von Christoph Link, Verfassungsrechtliche Fragen zur Aufhebung der "Staatskirche", in: BayVBl., Jhg. 12 (1966), S. 297 ff., die die grundrechtliche Absicherung des Art. 137 Abs. 1 WeimRV im Rahmen des Grundgesetzes außer acht läßt. Bedenklich auch die Auffassung Links, daß die staatskirchenrechtliche Systematik des Art. 137 WeimRV/140 GG als eine "untrennbare Einheit" zu sehen sei, in der Abs. 1, 3 und 5 nur jeweils verschiedene Aspekte einer Gesamtkonzeption zum Ausdruck bringen (vgl. ebd., S. 301). Art. 137 Abs. 5 WeimRV/140 GG steht unbestrittenermaßen zur Disposition des Verfassungsgesetzgebers. Die Art. 137 Abs. 1-3 WeimRV/140 GG könnte der Verfassungsgesetzgeber zwar dem Wortlaut nach streichen, er könnte ihnen aber nicht inhaltlich zuwiderhandeln, ohne damit in massiver Weise den Wesensgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu verletzen, wie das der nationalsozialistische Staat durch seine legislativen Eingriffe in den Bereich der evangelischen Landeskirchen getan hat; vgl. dazu die Gesetzessammlung "Staatskirchenrecht", Textausgabe der neueren staatskirchenrechtlichen Bestimmungen, hrsg. von Werner Weber, München und Berlin 1936, S. 11-71. 173 Übereinstimmend mit Schlief, Die Entwicklung von Staat und Kirche (Anm. 108), S. 219 und 166 ff. 174 Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 100), S. 810, Leitsatz 13.

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Gewalt nicht von ihm herleiten 175 . Das in Art. 137 Abs. 3 WeimRV verbürgte Recht sämtlicher Religionsgesellschaften, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig zu ordnen und zu verwalten, ist damit ebenso ein dem Staate vorgegebenes Recht wie das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und das Freiheitsrecht der Vereinigung zu Religionsgesellschaften in Art. 137 Abs. 2 WeimRV. Es erhebt sich hier die Frage, ob Abs. 1 und 2 des Artikels 4 GG dieselben Freiheitsrechte verbürgen, die auch Art. 137 Abs. 3 WeimRV garantiert. Nach einer von Hesse im Jahre 1954 vertretenen Auffassung enthält Art. 137 Abs. 3 WeimRV gegenüber Art. 4 Abs. 2 GG ein aliud 176 . Hesse schränkt den Inhalt des Art. 4 Abs. 2 auf die Kultusübung im strengen Sinne ein. Daß auch Art. 4 Abs.1 eine korporative Funktion besitzt, kommt bei Hesse nicht zum Ausdruck. Den Bestimmungen des Art. 137 Abs. 3 und 5 WeimRV kommt nach seiner Auffassung, im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 2 GG, die Aufgabe der Grenzziehung zum Staate zu; sie dokumentieren das Recht der Kirchen zu eigener Rechtsetzung, Organisation und Verwaltung und enthalten insoweit allerdings auch die Freiheit zur Regelung des Kultus. Das Grundgesetz bringe diese Abgrenzung zwischen Artikel 4 und Artikel 140 -wohl unbewußt - systematisch zutreffend wohl dadurch zum Ausdruck, daß es diese Bestimmungen aus dem Grundrechtsteil ausklammere 177 .

Hesse geht in seiner damaligen Argumentation offensichtlich davon aus, daß es sich bei den Rechten und Befugnissen des Art. 137 Abs. 3 und 5 WeimRV um gleichrangige und gleichermaßen vom Staate verliehene Berechtigungen handle. Das wird darin besonders deutl.ich, daß nach seiner Auffassung Art. 137 Abs. 3 nur für die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften Geltung besitze und der Staat infolgedessen dann nicht gegen Art. 137 Abs. 3 WeimRV verstoße, wenn er den Religionsgemeinschaften des privaten Rechts bestimmte Mindestforderungen ihrer Organisation und ihres äußeren Aufbaues vorschreibe 178 . 175 BVerfGE 18, 385 (386); übereinstimmend Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 133; Weber, Die Religionsgemeinschaften (Anm. 127), S. 33. 176 Vgl. Konrad Hesse, Schematische Parität der Religionsgesellschaften nach dem GG?, in: ZevKR, Bd. 3 (1953/54), S. 198. 177 Hesse, ebd., S. 197. 178 Hesse, ebd., S. 198; im gleichen Sinne Konrad Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, S. 80 f.; in seinem Beitrag "Freie Kirche im staatlichen Gemeinwesen", in: ZevKR, Bd. 11 (1964/65), S. 357, Anm. 58, hat Hesse seine früheren Auffassungen erheblich modifiziert und der Religionsfreiheit "als Grundlage des Verhältnisses des politischen Gemeinwesens zu Glauben und Bekenntnis" für das demokratische Ge-

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Resses Auffassungen beruhen somit auf Voraussetzungen, die mit dem in Art. 137 Abs. 3 WeimRV garantierten freien Selbstverwaltungsrecht aller Religionsgemeinschaften nicht vereinbar sind und die korporative Relevanz des Art. 4 GG nicht berücksichtigen. Zu prüfen bleibt jedoch noch das Argument, mit dem Stein die inhaltliche Verschiedenheit der Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und des Art. 137 Abs. 3 GG begründet. Stein geht davon aus, daß zwischen dem Individualrecht des Art. 4 Abs. 1 GG, das auch auf juristische Personen anzuwenden sei, und der Kultusfreiheit des Art. 4 Abs. 2 GG unterschieden werden müsse. Die Kultusfreiheit beziehe sich auf jede Religionsausübung, nicht jedoch auf das Selbstbestimmungsrecht im Sinne der innerkirchlichen Ordnung und Organisation. Da diese institutionelle Freiheit der Kirchen nur durch Art. 140 GG gewährleistet sei, könne dabei nur auf diese Vorschrift, nicht jedoch auf Art. 4 Abs. 2 GG zurückgegriffen werden. Deshalb könne, wie Stein unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausführt, eine Verfassungsbeschwerde auch nicht unmittelbar auf die Verletzung des Art. 140 GG gestützt werden. Art. 140 GG sei nur in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG eines Grundrechtsschutzes teilhaftig 179 . Nicht einsichtig in der Argumentation Steins ist jedoch, warum die Kirchen eine Verfassungsbeschwerde nicht auch auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 4 GG stützen können. Den Bestimmungen der Art. 136 Abs. 3 und 4 sowie Art. 137 Abs. 2 WeimRV kommt, worauf Hollerbach hingewiesen hat, "echter Grundrechtscharakter" zu. Auch verfassungsprozessual können sie als besondere Ausprägungen der allgemeinen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG verstanden werden 179 a. Auch die Bestimmungen des Art. 137 Abs. 1 und 3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG besitzen Grundrechtscharakter. Es ist deshalb kein Grund ersichtlich, warum eine Verfassungsbeschwerde nicht auch auf Art. 136 Abs. 3 und 4, 137 Abs. 1, 2 und 3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 meinwesen sogar den "Rang eines konstituierenden - nicht nur eines korrigierenden- Elements" zugesprochen. Vgl. ebd., S. 354. 179 Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 132 f.; es soll in diesem Zusammenhang nicht bestritten werden, daß es in manchen Fällen, in denen das Grundrecht der Religionsfreiheit verletzt ist und daher Art. 4 GG als sedes materiae anzusehen wäre, für das Bundesverfassungsgericht eine "brauchbare judizielle Taktik" darstellen mag, sich mit der Lösung aus Art. 2 oder 5 GG zu begnügen, wenn diese Grundrechte sich im konkreten Fall mit Art. 4 GG überschneiden. Vgl. dazu die Ausführungen bei Ulrich Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, DÖV 1967, S. 590 m. Anm. 57; ferner Hollerbach, Das Staatskirchenrecht (Anm. 117), S. 125 f. 179a Hollerbach, ebd., S. 125. 4 Sbd. List!

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und 2 GG gestützt werden kann. Auch den Kirchen und Religionsgemeinschaften muß deshalb das Recht zustehen, gegen eine Verletzung ihrer in Art. 137 Abs. 1, 2 und 3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG gewährleisteten Rechte Verfassungsbeschwerde zu erheben. Als Rechtsgrundlage für eine solche Verfassungsbeschwerde kommt die im konkreten Falle verletzte Bestimmung des Art. 137 Abs. 1 bis 3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Betracht. Abs. 1 und 2 des Art. 4 GG gewähren, wie bereits ausgeführt, ein Doppelgrundrecht: neben der individuellen Freiheit der einzelnen, sich in religiösen Vereinigungen zusammenzuschließen, enthalten sie das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der religiösen Vereinigungen, selbst, jeweils unabhängig vom Staat, die durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zu allseitiger Erfüllung wahrzunehmen. Daraus ergibt sich das korporative Grundrecht der Religionsgesellschaften, jeweils "in der grundsätzlichen Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung von jeder formellen oder materiellen Bestimmung oder Beeinflussung des Staates ihre Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten" 180 . Dieses Recht erweist sich als Ausfluß der Organisationsgewalt körperschaftlich organisierter religiös zweckgebundener Gemeinschaften von Angehörigen eines gemeinsamen Bekenntnisses. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ist daher nicht nur in Art. 137 Abs. 3 WeimRV, sondern auch grundrechtlich in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gesichert 181 . Denselben Gedanken bringt Hamel zum Ausdruck, wenn er erklärt, die Autonomie, die Artikel 140 GG/137 Abs. 3 WeimRV gewährleiste, bestehe um des Bekenntnisses willen und folge aus der Freiheit des Bekenntnisses 182 • Im selben Sinne hat Hollerbach ausgeführt, die korporativ-institutionelle Religionsfreiheit und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht seien nur zwei Seiten ein- und derselben Sache183 • 180 Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche (Anm. 108), S. 216 f., im Anschluß an Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland (Anm. 14), S. 254. 181 Vgl. zum Ganzen Schlief, ebd., S. 216f.; vgl. ferner Reiner Marre, Zur Koordination von Staat und Kirche, in: DVBL 1966, S. 11. 182 Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anm. 140), S. 68; vgl. auch Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Die Grundrechte, Bd. IV/1, S. 171, Anm. 254, der darauf hinweist, "daß die Freiheit der Glaubensbetätigung die den Kirchen als juristischen Personen zusteht, auch die Frage des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts beriihrt". 183 Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 121), S. 60 f.; auch Otto Dibelius kommt in seiner beachtenswerten Untersuchung, Überstaatliche Verbindungen der Kirchen und Religionsfreiheit, Jur. Diss. Bonn 1967, zu dem Ergebnis, daß staatliche Eingriffe in die Freiheit der Kirchen zur Erfüllung ih-

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Aus diesen Ausführungen folgt, daß im Hinblick auf die freie Organisationsgewalt der Religionsgemeinschaften Art. 4 GG und Art. 137 Abs. 3 WeimRV denselben Gegenstand regeln und Art. 137 Abs. 3 damit als Deklaration des in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Grundrechts der korporativen Religionsfreiheit anzusprechen ist. Ein inhaltlicher Unterschied zwischen Art. 4 GG und Art. 137 Abs. 3 WeimRV könnte allenfalls darin erblickt werden, daß in Art. 137 Abs. 3 das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als durch die Schranken des für alle geltenden Gesetzes begrenzt enthalten ist, während die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 4 GG eine derartige Einschränkung nicht kennt. Dieser Unterschied ist jedoch nur formal und scheinbar. Wie das Bundesverfassungsgericht erklärt hat, darf der Staat nicht in die inneren Verhältnisse der Religionsgemeinschaften eingreifen. Die von der Verfassung anerkannte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt würde geschmälert werden, wenn der Staat seinen Gerichten das Recht einräumen würde, innerkirchliche Maßnahmen, die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Auswirkungen entfalten, auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen. Deshalb seien insoweit die Kirchen im Rahmen ihrer Selbstbestimmung an das für alle geltende Gesetz i.S. des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV nicht gebunden 184 . Dort jedoch, wo Maßnahmen den kirchlichen Bereich überschreiten oder in den staatlichen Bereich hineinreichen, unterliegen auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften, wie Stein betont, den Schranken des für alle geltenden Gesetzes im Sinne des materiellen Rechts 185 . Gerade im Blick auf das dornige Problem der Bestimmung dieser Schranken im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WeimRV hat Martin Heckel darauf hingewiesen, daß ein sachlicher Antagonismus, der sich aus der Konkurrenz verschiedener Grundrechte, institutioneller Gewährleistungen und staatlicher Gestaltungskompetenzen ergebe, weder mit formalen Formeln noch mit einer materiellen Formel in den Griff zu bekommen sei. Statt einer "Zauberformel" bedürfe es der differenzierten Lösung nach den jeweiligen Sachgesetzlichkeiten der spezifischen Sachgebiete 186 . rervom Bekenntnis geforderten Aufgaben sowohl durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WeimRV als auch durch Art. 4 Abs. 1 GG abgewehrt werden können. Vgl. ebd., S. 154f. und 87ff. 184 BVerfGE 18, 385 (386 ff.). 185 Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 134. 186 Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 7), S. 811, Leits. 44-46; vgl. auch VVDStRL, Heft 26 (1968). 4*

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Gleiches gilt von dem Grundrecht der Religionsfreiheit in Artikel 4 GG: trotzdes "absoluten" Charakters der Norm handelt es sich nicht um ein schrankenloses Recht 187 . In vorsichtig tastender Weise sind die Gerichte darangegangen, die Konturen dieses Freiheitsrechtes sichtbar zu machen und die immanenten Grenzen, die der "iustus ordo publicus"188 auch der religiösen Betätigung ziehen muß, aufzuzeigen. Denn das Grundgesetz wollte nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat 189 . Man wird deshalb die These aufstellen dürfen, daß die ungeschriebenen immanenten Schranken des korporativen Grundrechts der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mit den durch die einschränkende Formel des Art. 137 Abs. 3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG gezogenen Grenzen identisch sind 189a. Mit anderen Worten: die Bestimmungen des Art. 137 Abs. 3 WeimRV sind ebenso wie Art. 137 Abs. 1 und 2 WeimRV nur deklaratorische Entfaltungen des in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Doppelgrundrechts der Religionsfreiheit. Aus der konsequenten Verwirklichung des in Art. 4 GG gewährleisteten Individual- und Verbandsgrundrechts der Religionsfreiheit folgt somit, daß dieses Grundrecht bereits im Zuge seiner vollen Aktualisierung die in Art. 137 Abs. 1-3 ausgesprochenen kirchlichen Freiheiten erfordert und gewährt und daß damit Art. 137 Abs. 1-3 WeimRV nur eine deklaratorische Verdeutlichung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG darstellt. Art. 137 Abs. 3 erfüllt im Gesamtgefüge des Grundgesetzes dennoch eine bedeutsame Funktion: er ist Ausdruck der Eigenrechtsmacht der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Eigenständigkeit und Autonomie der Kirchen in ihrem Rechtsbereich wird durch die Gewährleistung des Grundrechts der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht in ausreichendem Maße dokumentiert. Hollerbach, Das Staatskirchenrecht (Anm. 117), S. 105. Vgl. Il. Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 7181719, 7201721, 7221723, 7281729. Die Declaratio de libertate religiosa spricht vom "iustus ordo publicus", bzw. von den "iustae exigentiae ordinis publici", und will damit ausdrücken, daß der Inhalt des Begriffs "öffentliche Ordnung" vom Staat nicht willkürlich festgelegt werden darf, sondern nach objektiven und sachlichen Kriterien zu bestimmen ist. 189 BVerfGE 12, 1 (4). 189 a Im Ergebnis übereinstimmend Udo Bertermann, Zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, in: MDR 1966, S. 885, der allerdings die Schranken der Religionsfreiheit nicht aus Art. 4, sondern aus Art. 2 GG bestimmen will; Otto Dibelius, Überstaatliche Verbindungen der Kirchen und Religionsfreiheit (Anm. 183), S. 154, Anm. 249. 187 188

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Die Bemühungen der katholischen und evangelischen Bischöfe der DDR, die- allerdings erfolglos- in der neuen Verfassung der DDR neben der Gewährleistung des Grundrechts der Religionsfreiheit auch die Aufnahme verfassungsrechtlicher Garantien der institutionellen kirchlichen Freiheitsrechte zu erreichen suchten, beweisen, wie sehr den Kirchen darangelegen ist, auch die staatskirchenrechtlichen Regelungen ausdrücklich in der Verfassung gesichert zu sehen 190 . Die katholischen Bischöfe forderten in ihrer Erklärung zum Entwurf der neuen DDR-Verfassung, daß die "Anerkennung des Rechtsstatus der Kirche, ihre Selbständigkeit in der Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten sowie die Anerkennung ihrer Eigentumsrechte" ausdrücklich in der Verfassung ausgesprochen werden sollten 191 . 8. Ich komme zu den abschließenden Überlegungen meiner Ausführungen. Nachdem feststeht, daß Art. 4 Abs. 1 und 2 die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht gewährleistet, dessen deklaratorische Entfaltungen in Art. 137 Abs. 1-3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG enthalten sind, erhebt sich die Frage, ob die verfassungsrechtliche Verbürgung des Grundrechts der Religionsfreiheit das alleinkonstituierende Prinzip eines freiheitlichen Staat-Kirche-Verhältnisses sein kann. Es drängt sich bei der Prüfung dieser Frage der Vergleich mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung auf, dessen individuelle und institutionelle Verwirklichung das Bundesverfassungsgericht als "für die freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierend" 192 bezeichnet hat. In der literarischen Behandlung staatskirchenrechtlicher Fragen wird gelegentlich die Meinung vertreten, daß sich im Lichte der heutigen Problemlage die Religions- und Kirchenfreiheit als die tragenden Elemente einer modernen Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche erweisen. Auf ihnen beruhe das kirchenpolitische System der Bundesrepublik als ein System der freiheitlichen Zuordnung der bei190 Die evangelischen Bischöfe der DDR schlugen in ihrem Brief an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht v. 15. 2. 1968 vor, daß in Abs. 2 des Art. 38 des Verfassungsentwurfs (= Art. 39 der Verfassung) folgende Bestimmung aufgenommen werden sollte: "Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten selbständig nach Maßgabe der für alle geltenden Gesetze. Ihre Rechtsfähigkeit, ihr Eigentum sowie das Recht, ihre Mitglieder zu geordneten Abgaben und zu Opfern heranzuziehen, werden gewährleistet." Vgl. in: Evangelische Kommnentare, Jhg. 1 (1968), S. 219. 191 Vgl. die "Erklärung" der Bischöfe und Bischöflichen Kommissare derBerliner Ordinarienkonferenz zum Entwurf der neuen Verfassung der DDR (Anm. 119), s. 32. 192 BVerfGE 10, 118 (121 ff. m.w.N.); vgl. dazu Ulrich Scheuner, Pressefreiheit, VVDStRL, Heft 22 (1965), S. 2 ff.

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derseitigen Aufgaben und des beiderseitigen Wirkens 193 . Nicht selten wird an die Kirchen in diesem Zusammenhang auch die wohlmeinende Empfehlung gerichtet, sie sollten nach dem Vorbild der Urkirche unter Verzicht auf institutionell verfestigte privilegierte Positionen ihren Auftrag unabhängig von staatlicher Sicherung in der Welt ausführen. Was die Kirche dabei an äußerem Einfluß im öffentlichen Leben verliere, gewinne sie an Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und innerer Kraft 194 . Unbestreitbar erliegen die Kirchen nach dem Ausweis ihrer Geschichte immer wieder der Versuchung, an überholten Privilegien und Rechtspositionen festhalten zu wollen. Wer jedoch glaubt, die Kirchen in unserer Gegenwart vor einer solchen angeblich vorhandenen Fehlhaltung warnen zu sollen, wird bedenken müssen, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit, für sich allein genommen, ambivalent ist zum Aufbau sehr verschiedener staatskirchenrechtlicher Systeme und daher ohne ein komplementäres Organisationsprinzip keine zureichende Gestaltungsgrundlage für eine konkrete kirchenrechtliche Ordnung darstellt. Zutreffend schreibt in diesem Zusammenhang Hans Maier, welche Bedeutung die Religionsfreiheit in einem Land tatsächlich habe, ergebe sich aus ihrer Stellung innerhalb der Verfassung, vor allem aus dem Zusammenhang mit den Artikeln über die Kirchen und Religionsgemeinschaften und aus der konkreten Verfassungspraxis 195 • Wenn man einmal von den nur den innerstenKernder individuellen Religionsfreiheit in ihren Verfassungen schützenden kommunistischen Staaten und der besonderen Situation in den Ländern des mohammedanischen Kulturkreises absieht, zeigt die sehr verschiedenartige Struktur des Verhältnisses von Staat und Kirche in freien westlichen Demokratien, wie den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich, die beide für sich in Anspruch nehmen, volle Religionsfreiheit zu gewähren, daß sich aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit allein ein bestimmtes staatskirchenrechtliches System nicht deduzieren läßt. Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen (Anm. 178), S. 361. Vgl. bei Hesse, ebd., S. 362 und 354. 195 Hans Maier, Religionsfreiheit in den staatlichen Verfassungen, in: Rahner I Mai er I Mann I Schmaus, Religionsfreiheit. Ein Problem für Staat und Kirche, München 1966, S. 33. Auch Hans Liermann hat am Beispiel des Dritten Reiches anschaulich gezeigt, daß die konkrete Verwirklichung der Religionsfreiheit von "einer unübersehbaren Menge von Spezialgesetzen, spezieller Gesetzesanwendung, Gesetzesauslegung und Verwaltungspraxis abhängig" ist; vgl. ders., Das Recht der Religionsfreiheit, in: Die Ordnung Gottes und die Unordnung der Welt. Deutsche Beiträge zum Amsterdamer ökumenischen Gespräch 1948. Hrsg. von Wilhelm Menn, Bd. 6, Stuttgart-Tübingen 1948, S. 187 ff. 193

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Die staatskirchenrechtliche Ordnung in den Vereinigten Staaten ist, worauf Scheuner hingewiesen hat 196 , neben der "free exercise clause", die aus der Sicht des Einzelnen die Hauptgarantie seines Glaubensrechtes darstellt, ebenso bestimmt von der "establishment clause", die als Ergänzung zur freien Religionsausübung hinzutritt und den einzelnen Gläubigen einen mittelbaren Schutz gewährt, indem sie die Glaubensgemeinschaft als solche vor Diskriminierungen von seiten des Staates schütztl 97 . Auch das französische Staatskirchenrecht beweist, daß das Verhältnis von Staat und Kirche im klassischen Trennungsland Frankreich seine charakteristische Ausprägung nicht von der verfassungsrechtlich gewährten Freiheit des Gewissens und der Kultusübung erfährt, sondern von dem Bekenntnis der französischen Verfassung zum Laizismus198. Die rigorose Trennungsidee, wie sie im Gesetz vom 9. 12. 1905 zum Ausdruck kam, erfuhr allerdings im Laufe der Zeit zahlreiche Lockerungen, die zu einer Entspannung und damit zu einer Annäherung der Positionen von Staat und Kirche führten 199 . Auch das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik erhält seine spezifische Ausprägung nicht nur aus der vollen Aktualisierung der Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht, sondern ebenso aus der kooperativen Förderung, die nach dem Grundgesetz jeder Religion und Religionsgemeinschaft zuteil wird, wenn auch der Intensität nach in sachlich gebotener Differenzierung. Der Staat des Grundgesetzes ist, wie Stein die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Staatskirchenrecht zusammenfassend feststellt, kein laizistischer Staat200 • Die Bestimmungen des Grundgesetzes, die in Art. 7 Abs. 3 196

Ulrich Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: DÖV 1967,

s. 593.

Bayer, Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche (Anm. 10), S. 232. Vgl. dazu Axel v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, Göttingen 1962, S. 3 ff.; 155 ff. 199 Hesse, Staat und Kirche (Anm. 102), Sp. 916 f.; Rene Remond, Art. "Frankreich", V. Die relig. Verhältnisse, in: Staatslexikon, Bd. 3, 6. Aufl., Freiburg 1959, S. 435 ff. 2oo Stein, Zur staatskirchenrechtlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 135. Das verkennt Erwin Fischer in seinem Buch, Trennung von Staat und Kirche. Die Gefährdung der Religionsfreiheit in der Bundesrepublik, München 1964. Fischer deutet die Religionsfreiheit dahin, daß Religion im staatlichen Leben nichts zu suchen habe. Vgl. dazu Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, ZevKR, Bd. 11, S. 360 mit Anm. 60 und S. 340 mit Anm. 12; ebenso Alexander Hollerbach, Trennung von Staat und Kirche?, in: Hochland, Bd. 58 (1965/66), S. 63 ff.; ferner Hanns Engelhardt, Staat und Religion, in: Lutherische Monatshefte, 4. Jhg. (1965), S. 556 ff.; Heiner Marre, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 7), S. 397 f. 197

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GG und Art. 137 Abs. 4-7, 138, 141 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG Ausdruck gefunden haben, sowie die Kirchenverträge und Konkordate liefern dafür anschauliche Beweise. Der Staat des Grundgesetzes wird jedoch dadurch nicht zu einem christlichen Staat. Er bleibt, wie bereits gezeigt, ein religiös neutraler Staat201 . Wie Stein unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter ausführt, stehen Kirchen und Staataufgrund ihrer allgemeinen Kulturfunktion in Beziehungen, die staatliche Leistungen und eine Heranziehung zu kulturellen Aufgaben in mannigfacher Hinsicht zu rechtfertigen vermögen. Durch ihre öffentliche Rechtsstellung und ihre öffentliche Wirksamkeit unterscheiden sich die Kirchen von anderen gesellschaftlichen Gebilden, so daß eine Gleichstellung der Kirchen mit diesen Organisationen unzulässig ist2o2. Die konkrete staatskirchenrechtliche Situation der Bundesrepublik folgt somit nicht allein aus der vollen Aktualisierung des Grundrechts der individuellen und korporativen Religionsfreiheit, sondern beruht auf der Entscheidung des Grundgesetzgebers, der sich erneut zur öffentlichen Stellung und Wirksamkeit der Kirchen im Sinne der deutschen staatskirchenrechtlichen Tradition bekannt hat. 9. Auf die Bedeutung der Religionsfreiheit für den Bereich des Schulwesens soll am Ende dieser Ausführungen wenigstens in Kürze hingewiesen werden. Wie verschiedene Gerichtsentscheidungen in jüngster Zeit gezeigt haben, vermag das Grundrecht der Religionsfreiheit, für sich allein genommen, auch in jenen schwierigen Fällen keine zureichende Lösungsmöglichkeit zu bieten, in denen im Rahmen derselben staatlichen Institution ein rechtlicher Ausgleich zwischen den divergierenden Ansprüchen verschiedener religiöser und weltanschaulicher Gruppen gefunden werden muß. Eine verfassungskonforme Lösung dieser durch den konfessionellen und weltanschaulichen Pluralismus bedingten Problematik kann ebenfalls nicht allein mit Hilfe des Grundrechts der positiven und negativen Religionsfreiheit 203 , sondern, 2o1 Vgl. BVerfGE 19, 206 (216). Mit der Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität läßt sich die Auffassung Walter Hamels, daß der Staat den Bau heidnischer Tempel, die als solche öffentlich erkennbar sind und damit einen militanten Einbruch in die christlichen, humanitären und geistigen Fundamente unserer Ordnung enthalten, verhindern dürfe, nicht vereinbaren: vgl. Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit (Anm. 140), S. 81. 2o2 Stein, Zur staatskirchlichen Rechtsprechung (Anm. 2), S. 131. 203 Auf der verkürzten Sichtweise des Gegensatzes von einschränkbarer positiver und angeblich nicht einschränkbarer negativer Religionsfreiheit beruht die in Begründung und Ergebnis gleichermaßen unbefriedigende Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofes im Schulgebetsurteil v. 27. 10. 1965, in:

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wenn überhaupt, nur unter Zuhilfenahme des Komplementärprinzips der Toleranz gefunden werden 204 , d. h. durch eine sinnvolle Zusammenarbeit und ein Verhalten gegenüber anderen Mitmenschen, das diese trotz ihrer unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in ihrer Würde anerkennt 205 .

ESVGH 16, 1 ff. = NJW 1966, S. 31 = DÖV 1966, S. 51. Vgl. dazu u.a. Walter Hamel, Die Bekenntnisfreiheit in der Schule, in: NJW 1966, S. 20 ff.; Ernst Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, in: DÖV 1966, S. 31 ff.; Ulrich Scheuner, Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht Kirchenverträge und Gesetz, Kirchensteuern, Gemeinschaftsschule, Religionsfreiheit, in: DÖV 1966, S. 151 ff.; Günter Schultz, Blick in die Zeit, in: MDR 1966, S. 473; a.A. Friedrich v. Zezschwitz, Staatliche Neutralitätspflichtund Schulgebet, in: JZ 1966, S. 337 ff. 204 Vgl. dazu die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes v. 20. 3. 1967, in: DÖV 1967, S. 306 ff., über die Einrichtung des Minderheitenlehrers an Bekenntnisschulen in Bayern. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof unterstreicht wiederholt nachdrücklich die Bedeutung des Toleranzgebotes bei der Durchführung dieser Regelung und weist darauf hin, daß durch die Einführung des Minderheitenlehrers die Bekenntnisschule "der christlichen Gemeinschaftsschule angenähert" werde, in: DÖV 1967, S. 309; im gleichen Sinne die ausführliche Untersuchung von Paul Feuchte und Peter Dallinger, Christliche Schule im neutralen Staat. Die Formen der Volksschule im Lichte des Verhältnisses von Staat und Kirche, in: DÖV 1967, S. 366; vgl. ferner Siegfried Grundmann, Die Schule als staatskirchenrechtliches Problem in der Bundesrepublik Deutschland, in: Speculum Iuris et Ecclesiarum. Festschrift für Willibald M. Plöchl. Wien 1967, S. 141 ff. Grundmann weist in seinen Ausführungen wiederholt auf die Bedeutung des dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit korrespondierenden Toleranzprinzips für die Ausgestaltung der Schulgesetzgebung hin; vgl. ebd., bes. S. 153 f. 205 In dem Urteil über das Jugendwohlfahrtsgesetz und das Bundessozialhilfegesetz verlangt das Bundesverfassungsgericht eine "sinnvolle Zusammenarbeit" öffentlicher und privater Einrichtungen, bzw. eine "vernünftige Aufgabenverteilung und eine möglichst wirtschaftliche Verwendung der zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Mittel": vgl. BVerfGE 22, 180 (201 und 206); auch dieses Urteil beruht auf dem Grundsatz der Toleranz, der von jeder Teilgemeinschaft wie von deren Gliedern gewisse Einfügungen und Ermäßigungen ihres Anspruchs fordert. Vgl. dazu Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz (Anm. 196), S. 592.

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Leitsätze Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz I.

Die Gewährleistung des Grundrechts der Religionsfreiheit als Ergebnis eines langen historischen Prozesses 1. Die Entwicklung des Grundrechts der Religionsfreiheit bildet einen Jahrhunderte dauernden geistesgeschichtlichen Prozeß, in dessen Verlauf der Mensch sich in zunehmendem Maße seines Rechtes bewußt wurde, auf dem Gebiete des Glaubens und der Religion unabhängig vom Einfluß des Staates seine Entscheidungen zu treffen.

2. Bereits lange vor einem befriedigenden Abschluß der theologischen Reflexion über das Verhältnis des Staates zur Religion wurde das Grundrecht der Religionsfreiheit als staatlich gewährleistetes und geschütztes Recht nach einigen Vorstufen im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland verwirklicht. 3. Es übersteigt die Grenzen der Zuständigkeit des weltlich zu verstehenden Staates, mit der Gewährleistung der Religionsfreiheit an seine Bürger die Frage nach der Wahrheit der im Staate existierenden religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse zu verbinden. 4. Die konkrete Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit in einem Lande und dessen staatskirchenpolitisches System können nur begriffen werden aus der Vielfalt der historischen Grundgedanken, die zur Verschiedenheit der rechtlichen Prägung seiner einzelnen Gebiete geführt haben (Martin Heckel). 5. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit und ebenso die Kirchenartikel des Grundgesetzes sind bis in viele Ausprägungen des Verfassungstextes hinein geformt vom Geiste der Aufklärung, aus der sie trotz vielfacher Modifizierungen in die Gegenwart tradiert wurden. 6. Aus dem besonderen Verlauf der historischen Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts, das bis in das 20. Jahrhundert herein vom landesherrlichen Kirchenregiment bzw. dem System der staatliDiese für die Teilnehmer am 3. Essener Gespräch zum Thema Staat und Kirche (18./19. März 1968) verfaßten Leitsätze sind bisher nicht veröffentlicht.

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chen Kirchenhoheit bestimmt war, erklärt sich sowohl die das deutsche Staatskirchenrecht lange Zeit belastende Verkennung der wesensmäßigen Andersartigkeit der Kirchen durch den Staat wie auch die räumlich-rechtliche Nähe beider Institutionen. Aus der historischen Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts ergibt sich auch dessen spezifisches "Vorverständnis", das eine laizistische Trennung von Staat und Kirche ausschließt und die Förderung jeder Religion und Religionsgemeinschaft erlaubt. ll. Der "christliche" Staat des 19. Jahrhunderts A. Die Religionsfreiheit als Individualgrundrecht 7. Entsprechend der das mittelalterliche Denken beherrschenden Auffassung von der Einheit von Staat, Kirche und Religion wurde die Religionsfreiheit in den reichsrechtlichen Dokumenten der Reformationszeit nicht als Individual- oder Verbandsgrundrecht, sondern als Recht der Fürsten und Reichsstände betrachtet. 8. Die Reformation erbrachte "nicht Glaubensfreiheit, sondern Glaubenszweiheit" (Gerhard Anschütz), die im Westfälischen Frieden durch die Aufnahme des reformierten Bekenntnisses zur reichsrechtlichen Anerkennung der drei christlichen Konfessionen führte. 9. Die einzelnen Elemente der individuellen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG finden sich bereits in den religionsrechtlichen Bestimmungen des Westfälischen Friedens(§§ 31 und 34 Art. V, IPO); ihre Aktualisierung wurde den Landesfürsten überlassen, jedoch von Reichs wegen auf die drei christlichen Konfessionen beschränkt. 10. Durch das preußische Religionsedikt vom 9. 7. 1788 (Wöllnersches Religionsedikt), das "völlige Gewissensfreiheit" gewährte undentgegen den Bestimmungen des Westfälischen Friedens - neben den drei reichsrechtlich anerkannten "Hauptkonfessionen" auch anderen Religionsgesellschaften als "öffentlich geduldeten Sekten" die Kultusfreiheit gestattete, war der Weg bereitet für die erst im Laufe des 19. Jahrhunderts allgemein zugestandene volle individuelle Religionsfreiheit. 11. Als grundrechtliche Gewährleistungen kannten die frühen süddeutschen Verfassungen nur die "vollkommene Gewissensfreiheit" mit dem Recht auf "einfache Hausandacht". Als erster deutscher Bundesstaat gewährte Kurhessen in der Verfassungsurkunde vom 5. Januar 1831 volle Bekenntnis- und Kultusfreiheit. In Preußen war mit dem Irrkrafttreten der revidierten Verfassung vom 31. 1. 1850 die individuelle

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Religionsfreiheit allen Bewohnern des Landes in vollem Umfang gewährleistet. 12. Das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. 7. 1869 (=Reichsgesetz vom 22. 4. 1871) verlieh allen Bewohnern des Reiches mit Einschluß der Juden gleiche staatsbürgerliche Rechte, brachte aber keine über die Berechtigung zur privaten Hausandacht hinausgehenden religiösen Freiheiten. 13. Die Versuche der Zentrumspartei, die Gewährleistung religiöser Grundrechte in der Verfassung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches durchzusetzen, blieben ohne Erfolg, ebenso die Bemühungen der Zentrumsfraktion im Reichstag, mit Hilfe des Toleranzantrages vom 23. 11. 1900 eine reichsrechtliche Gewährleistung der individuellen und korporativen Religionsfreiheit zu erreichen. B. Die Kirchenfreiheit im 19. Jahrhundert 14. Es lag in der besonderen deutschen Verfassungsstruktur begründet, daß die Entwicklung der Kirchenfreiheit in Deutschland mit einer erheblich später einsetzenden Phasenverschiebung gegenüber der Entwicklung der individuellen Religionsfreiheit erfolgte. 15. Die Sonderstellung der im Westfälischen Frieden anerkannten drei Hauptkonfessionen blieb auch im 19. Jahrhundert bestehen und wurde durch rechtliche Privilegierungen anderen Religionsgemeinschaften gegenüber unterstrichen. Dem Landesherren blieb auch im 19. Jahrhundert in Einzelfällen noch die Möglichkeit, die öffentliche Religionsausübung in seinem Territorium auf eine der drei großen Konfessionen zu beschränken. Einige kleinere Bundesstaaten machten von dieser Möglichkeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Gebrauch. 16. Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Deutschland des 19. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch eine kontinuierlich verlaufende Distanzierung beider Kirchen vom Staat, wobei die katholische Kirche die treibende Kraft für die allmähliche Verwirklichung der Kirchenfreiheit bildete. 17. Während die katholische Kirche in Preußen es nach 1848 verstand, sich durch faktische Inanspruchnahme der ihr durch die Frankfurter Nationalversammlung verheißenen und durch die revidierte preußische Verfassung gewährten Rechte eine weitgehende Unabhängigkeit vom Staate zu sichern, dauerte in der evangelischen Kirche, wenn nicht der Form, so doch der Sache nach das frühere Staatskirchenturn fort.

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18. Der einen "kaum glaubhaften Anachronismus" (Hans Maier) darstellende Kulturkampf bedeutet zwar den machtpolitischen Höhepunkt der Auseinandersetzung des preußischen Staates mit der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, hat aber, abgesehen von wenigen bis in die Gegenwart nachwirkenden Residuen, die Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts nicht mehr entscheidend zu verändern vermocht. 19. Die Anstrengungen der Zentrumsfraktion im Reichstag, durch den Toleranzantrag für die Katholiken in sämtlichen deutschen Bundesstaaten von Reichs wegen jenes Maß an kirchlichen Freiheiten zu erreichen, dessen sich die Katholiken in Preußen seit langer Zeit erfreuten, blieben erfolglos.

m. Die Religionsfreiheit unter der Weimarer Verfassung und dem Grundgesetz

20. Die Weimarer Reichsverfassung brachte erstmals eine reichsrechtliche Verbürgung des Grundrechts der individuellen Religionsfreiheit und zugleich von Reichs wegen eine Garantie des kirchlichen Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechts. 21. Art. 137 Abs. 1 WeimRVrichtete sich nicht nur gegen den Summepiskopat, sondern auch gegen die Landeskirche im Sinne des bisherigen Systems der Staatskirchenhoheit, wonach der Staat eine oder mehrere Kirchen zwar als von ihm verschiedene Körperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit und Selbständigkeit anerkannte, sie aber zugleich seinen Zwecken dienstbar machte, indem er sie verpflichtete, ihre Aufgaben zugleich in seinem Dienst und Auftrag zum Wohle des bewußt christlichen Staates zu erfüllen (Godehard Josef Ebers). 22. Der Staat der Weimarer Reichsverfassung war nicht religionsfeindlich. Er hat keineswegs alle Beziehungen zur Religion und den Religionsgemeinschaften, insbesondere zu den großen Kirchen, abgebrochen. Der strengen verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zu paritätischer Behandlung aller Staatsbürger entsprach auch nach der Weimarer Reichsverfassung nicht die Pflicht zu schematisch-paritätischer Behandlung der Religionsgemeinschaften. 23. Die lange bestehende Unsicherheit über die Stellung des Art. 140 GG im Gesamtgefüge des Grundgesetzes ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beseitigt worden, daß die inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland geworden sind und mit diesem zusammen ein organisches Ganzes bilden. Die inkorporierten

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Artikel der Weimarer Reichsverfassung müssen jedoch im Lichte der grundrechtliehen Wertordnung des Grundgesetzes interpretiert werden. 24. Der Inhalt des Individualgrundrechts der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) und des Grundrechts der Kultusfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) ist unter der Herrschaft des Grundgesetzes im wesentlichen ebenso zu interpretieren wie während der Weimarer Zeit, wenn auch gewisse Verfeinerungen im Verständnis dieses Grundrechts, die besonders in den Kirchensteuerurteilen des Bundesverfassungsgerichts Ausdruck gefunden haben, nicht zu verkennen sind. 25. Einer Neuinterpretation bedarf jedoch der Zusammenhang zwischen dem Individualgrundrecht der Religionsfreiheit und der Kirchenfreiheit. Trotz der räumlichen Trennung des Art. 4 GG von dem Art. 140 GG sind diese beiden staatskirchenrechtlich relevanten Normen so zu lesen, als ob sie auch äußerlich, und zwar im ersten Abschnitt des Grundgesetzes, ineinandergefügt wären (Alexander Hollerbach). 26. In Anbetracht der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die auch den Kirchen und Religionsgemeinschaften das Grundrecht der Religionsfreiheit zuerkennt, kann die Auffassung, daß die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch die Inkorporation in das Grundgesetz einen Bedeutungswandel nicht durchgemacht haben, nicht mehr aufrechterhalten werden. 27. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet ein Doppelgrundrecht: einerseits das individuelle :Freiheitsrecht des Einzelnen, sich zu religiösen Vereinigungen zusammenzuschließen, andererseits das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der religiösen Vereinigungen selbst, jeweils unabhängig vom Staat die durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zu allseitiger Erfüllung wahrzunehmen (Karl Eugen Schlief). 28. Mit der Anerkennung der Religionsgemeinschaften als Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG durch das Bundesverfassungsgericht kam eine Entwicklung zum Abschluß, deren Bedeutung für die Betätigung der Kirchen auf dem Gebiete der Öffentlichkeitsarbeit und Caritas noch nicht genügend erkannt worden ist. 29. Aus der Aktualisierung des korporativen Grundrechts des Art. 4 Abs. 1 GG folgt für den Staat das Verbot der Identifikation mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung. Diese Neutralitätspflicht ergibt sich für den Staat unmittelbar aus seiner ebenfalls in Art. 4 Abs. 1 enthaltenen Verpflichtung, ohne Ansehung der Person und Religion

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Heimstatt aller Bürger zu sein. Demgegenüber stellt die möglicherweise auch in Art. 137 Abs. 1 WeimRV enthaltene Neutralitätspflicht des Staates allenfalls eine deklaratorische Verdeutlichung dar. 30. Das Grundrecht der religiösen Vereinigungsfreiheit ergibt sich unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Art. 137 Abs. 2 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG hat daher keine konstitutive, sondern ebenfalls nur eine deklaratorische Bedeutung. 31. Auch das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ist in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gesichert. Die Autonomie des Art. 137 Abs. 3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG besteht um des Bekenntnisses willen und folgt aus der Freiheit des Bekenntnisses (Walter Hamel). Daraus folgt, daß Art. 137 Abs. 3 WeimRV eine Verdeutlichung des in Art. 4 Abs. 1 und 2 konstituierten freien Selbstbestimmungsrechts der Kirchen in ihren inneren Angelegenheiten ist. 32. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WeimRV, die nicht durch eine "Zauberformel", sondern nur durch eine differenzierte Lösung nach den jeweiligen Sachgesetzlichkeiten der spezifischen Sachgebiete bestimmt werden können (Martin Heckel), sind identisch mit den ungeschriebenen immanenten Grenzen des Grundrechts der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. 33. Aus der konsequenten Verwirklichung des in Art. 4 GG gewährleisteten Individual- und Verbandsgrundrechts der Religionsfreiheit folgt, daß dieses Grundrecht im Zuge seiner vollen Verwirklichung die in Art. 137 Abs. 1-3 verbürgten Garantien enthält, so daß sich Art. 137 Abs. 1-3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG als deklaratorische Entfaltung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erweist. 34. Die gegenwärtigen Bemühungen der evangelischen und katholischen Bischöfe in der DDR zeigen, daß es für die Kirche von großer Bedeutung ist, in der Verfassung neben dem Grundrecht der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit auch die institutionellen Rechte gesichert zu sehen. In diesem Sinne erfüllt Art. 137 Abs. 3 WeimRV i.V.m. Art. 140 GG als Ausdruck der Eigenrechtsmacht der Kirche eine notwendige bedeutsame Funktion. 35. Ein konkretes Staat-Kirche Verhältnis läßt sich auch aus dem in individueller und korporativer Hinsicht voll aktualisierten Grundrecht der Religionsfreiheit nicht deduzieren. Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist für sich allein genommen ambivalent zum Aufbau verschiedener möglicher freiheitlicher staatskirchenrechtlicher Systeme. Das Grundrecht der Religionsfreiheit kann somit nicht als allein konstituierendes Prinzip einer staatskirchenrechtlichen Ordnung bezeichnet werden. Es erfordert ein komplementäres Organisationsprinzip.

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36. Die staatskirchenrechtliche Situation der Vereinigten Staaten von Amerika ist nicht nur bestimmt von free exercise, sondern ebenso von der establishment clause (Ulrich Scheuner). Auch das französische Staatskirchenrecht erhält seine spezifische Prägung von dem laizistischen Vorverständnis der Verfassung. 37. Die Eigenart und Einmaligkeit des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland ist ebenfalls nicht aus der Aktualisierung des Grundrechts der individuellen und korporativen Religionsfreiheit herzuleiten, sondern ergibt sich aus der kooperativen Förderung, die unter der Herrschaft des Grundgesetzes- nach sachlich gebotener Differenzierung in verschiedener Intensität -jeder Religion und Religionsgemeinschaft zuteil wird. 38. Das Grundrecht der Religionsfreiheit scheint, für sich allein genommen, auch in jenen Fällen keine zureichende Lösungsmöglichkeit zu bieten, bei denen im Rahmen derselben staatlichen Institution ein rechtlicher Ausgleich zwischen den divergierenden Ansprüchen verschiedener religiöser und weltanschaulicher Gruppen gefunden werden muß. Eine verfassungskonforme Lösung dieser durch den konfessionellen Pluralismus bedingten Probleme kann nicht allein mit Hilfe des Grundrechts der positiven oder negativen Religionsfreiheit, sondern, wenn überhaupt, nur unter Zuhilfenahme des Komplementärprinzips der Toleranz gefunden werden, d. h. durch sinnvolle Zusammenarbeit und ein Verhalten gegenüber anderen Mitmenschen, das diese trotz ihrer unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in ihrer Würde anerkennt.

Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland I. Die Bedeutung der Rechtsprechung für die Entwicklung des Religionsrechts in der Bundesrepublik Deutschland Für das Religions- und Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland ist es kennzeichnend, daß die Bestimmung und die Fortentwicklung der rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche unter der Herrschaft des Grundgesetzes, abgesehen von einer Reihe von Konkordaten und Staatskirchenverträgen auf Landesebene, nicht in erster Linie durch Akte der Gesetzgebung, sondern ganz überwiegend durch Entscheidungen der obersten Gerichte, und hier vor allem des Bundesverfassungsgerichts, erfolgt ist 1 . Das Ausmaß der dynamisierenden Macht, die den Gerichten in der Bundesrepublik auch auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts übertragen ist, beweist die Fülle der Entscheidungen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Gerichten aller Gerichtszweige und Instanzen in Kirchensachen ergangen ist 2 • Die Grund- und Leitentscheidungen traf daErstveröffentlichung in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky. Dargeboten zum 60. Lebensjahr von Ludwig Adamovich und Peter Pernthaler. Wien: Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung Ges.m.b.H. 1980. Band I, S. 571-590.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung Ges.m.b.H., Wien. 1 Zum Verlauf der Entwicklung der rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland vgl. im einzelnen die Berichte von Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR N.F. 10 (1961), S. 3-121; Karl-Hermann Kästner, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1961, in: JöR N.F. 27 (1978), S. 239-296; ferner die Beiträge in: Anton Rauscher (Hrsg.), Kirche und Staat in der Bundesrepublik 1949-1963, Faderborn-München-Wien-Zürich 1979. 2 Diese Judikatur ist enthalten in der umfangreichen, wenn auch nicht ganz vollständigen Sammlung "Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946". Begründet von Carl Joseph Hering und Hubert Lentz, hrsg. von Hubert Lentz I Dietrich Pirsonl Manfred Baldus; bisher 14 Bände: Bd. 1: Berlin 1963; Bd. 14: Berlin 1980. Vgl. hierzu auch die systematische Darstellung bei Joseph Listl, 5 Sbd. List!

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bei das Bundesverfassungsgericht, das in kontinuierlicher und sorgfältiger Rechtsprechung neben den individualrechtliehen Bezügen des Grundrechts der Religionsfreiheit auch den in der Weimarer Zeit von der Staatsrechtslehre und der Gerichtspraxis noch nicht erkannten korporativen Charakter dieses Grundrechts mit aller Deutlichkeit akzentuiert und damit den wesensmäßigen Zusammenhang zwischen der individuellen Religionsfreiheit und der freien Betätigung der Kirchen und deren Selbstbestimmungs- und Selbstordnungsrecht aufgezeigt hat. Nach dieser in ihren ersten Ansätzen vom Bundesverwaltungsgericht inaugurierten3 und vom Bundesverfassungsgericht übernommenen und in einer Reihe von Entscheidungen fortentwickelten Rechtsprechung können sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und darüber hinaus auch solche Vereinigungen- und zwar unabhängig von ihrer Rechtsform- berufen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen und weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziele gesetzt haben; dazu zählen auch juristi&,che Personen, deren Zweck auf die Erfüllung karitativer Aufgaben in Verwirklichung einer Grundforderung des jeweiligen religiösen Bekenntnisses gerichtet ist4 . Erst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Grundrecht der Religionsfreiheit, das in Deutschland infolge der spezifischen verfassungsgeschichtlichen Entwicklung seit der Aufklärungszeit ausschließlich als individualrechtliche Gewährleistung für Dissidenten gegenüber den großen Bekenntnissen und ganz überwiegend als "negatives" Freiheitsrecht zur Abkehr von kirchlichen und staatskirchlichen Pflichten verstanden wurde, nicht nur für die freie Religionsausübung des Einzelnen, sondern auch für die freie Betätigung der Kirchen im pluralistischen und religiös-neutralen Staat zu seiner vollen Bedeutung entwickelt worden. Diese Entwicklung gelangte erst durch neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu einem, wie es scheint, vorläufigen Abschluß. Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1). 3 BVerwG, Urt. v. 8. 2. 1963 (Az.: VII C 92.62), in: NJW 1963, S. 1170 =KirchE 6, s. 217 (221). 4 BVerfGE 19, S. 1 (5); 19, S. 129 (132); 21, S. 362 (374); 24, S. 236 (LS 1 und S. 243); 30, S. 112 (119 f.); 42, S. 312 (321 f.); 46, S. 73 (83); BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980 (Az.: 2 BvR 208176), in: EuGRZ 1980, S. 298 f. = JZ 1980, S. 398. Vgl. zum Ganzen ffirich Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, S. 44.

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Zu den neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die in diesem Zusammenhang besondere Erwähnung verdienen, gehört der Beschluß des Zweiten Senats vom 11. 10. 1977, in dem das Gericht festgestellt hat, daß sämtliche, den Kirchen in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen, die nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck und ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen, von der Geltung des staatlichen Betriebsverfassungsgesetzes freigestellt sind5 ; ferner die bereits seit langer Zeit erwartete und für die Interpretation des gegenseitigen Verhältnisses von positiver und negativer Religionsfreiheit staatskirchenrechtlich in besonderem Maße bedeutsame Entscheidung des Ersten Senats vom 16. 10. 1979 über die Zulässigkeit der Veranstaltung eines freiwilligen überkonfessionellen Schulgebets außerhalb des Religionsunterrichts in einer nicht bekenntnisfreien Gemeinschaftsschule auch in den Fällen, in denen ein Schüler oder dessen Eltern der Abhaltung eines Schulgebetes widersprechen6 ; schließlich der Beschluß des Zweiten Senats vom 25. 3. 1980, in dem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß eine Reihe von Bestimmungen des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. 2. 1975 (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 210), die ohne ersichtliche schwerwiegende Gründe Festlegungen hinsichtlich der Organisationsstruktur und des Betriebs von Krankenhäusern treffen, mit Artikel140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung unvereinbar und daher nicht anzuwenden sind, soweit sie Krankenhäuser betreffen, die von Religionsgemeinschaften oder diesen gleichgestellten oder ihnen zuzuordnenden Einrichtungen - ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform - betrieben werden 7 • Bisher noch nicht entschieden hat das Bundesverfassungsgericht über eine bei dem Zweiten Senat anhängige Verfassungsbeschwerde einer karitativen Einrichtung der evangelischen Kirche über die Frage eines freien Zutrittsrechts von Gewerkschaftsangehörigen zu kirchlichen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung vom 14. 2. 1978 im Hinblick auf das in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Grundrecht der Koalitionsfreiheit den Gewerkschaften ein diesbezügliches Zutrittsrecht zuerkannt8. s BVerfGE 46, S. 73. s BVerfG, Beschl. des Ersten Senats (Az.: 1 BvR 647170 u. 1 BvR 647170 u. 1 BvR 7174), in: EuGRZ 1980, S. 13 = NJW 1980, S. 575 = DÖV 1980, S. 333. 7 BVerfG, Beschl. des Zweiten Senats vom 25. 3. 1980 (Az.: 2 BvR 208176), in: EuGRZ 1980, S. 295 = JZ 1980, S. 397. a BAG, Urt. vom 14. 2. 1978 (Az.: 1 AZR 280177), in: NJW 1979, S. 1844.

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Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der Religionsfreiheit und zum gesamten Staatskirchenrecht ist für die Interpretation des Grundgesetzes und für den Stellenwert der Religion im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland und deren Selbstverständnis von einer denkbar weittragenden Bedeutung. Diese Rechtsprechung erbrachte nicht nur eine Klärung des Inhalts und des Umfangs der durch dieses Grundrecht geschützten Religionsausübung, sondern auch eine Festlegung des gegenseitigen Verhältnisses von positiver und negativer Religionsausübung, eine Klärung der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Toleranzgebots und schließlich der Frage des inneren Zusammenhangs zwischen dem Individualgrundrecht der Religionsfreiheit und deren korporativen Bezügen, d. h. der Kirchenfreiheit II. Die oberste Interpretationsmaxime für das Grundrecht der Religionsfreiheit 1. Das Grundgesetz stellt jede Form religiöser Betätigung unter seinen grundrechtliehen Schutz. Das Grundrecht der Religionsfreiheit, das als religionsrechtliches "Gesamtgrundrecht" die Teilgrundrechte der Glaubensfreiheit, der Bekenntnisfreiheit, der Freiheit der Religionsausübung und der religiösen Vereinigungsfreiheit in sich enthält9 , umfaßt - gleichgültig, ob es sich hierbei um ein religiöses Bekenntnis oder eine religionsfremde oder religionsfreie Weltanschauung handelt - nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, d. h. einen Glauben zu bekennen, zu verschweigen, sich von dem bisherigen Glauben loszusagen oder einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern ebenso die Freiheit des kultischen Handelns, des Werbensund der Propaganda 10 •

Die hieraus vom Bundesverfassungsgericht entwickelte fundamentale Interpretationsmaxime für das Grundrecht der Religionsfreiheit besagt, daß die Religionsfreiheit - ebenso wie die übrigen Grund- und Freiheitsrechte - in erster Linie zum Schutz der positiven Inanspruchnahme gewährleistet ist und damit der Begriff der Religionsausübung "gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv ausgelegt werden" muß. Dem freiheitlichen Charakter des Grundgesetzes entspricht es, daß sich die Freiheit der Religionsausübung nicht nur auf die christlichen Kirchen, sondern auch auf andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erstreckt. Dies ergibt sich im einzelnen aus dem 9 Vgl. hierzu Joseph Listl, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 380 ff. 1o BVerfGE 12, S. 1 (3); 24, S. 236 (245).

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für den Staat verbindlichen Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität und dem Grundsatz der Parität der Kirchen und Bekenntnisse. Daher darf auch die in Art. 4 Abs. 2 GG ausdrücklich gewährleistete Kultusfreiheit nicht enger ausgelegt werden als die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Deshalb gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religionsausübung nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozession, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens11. 2. Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Prämissen gelangte das Bundesverfassungsgericht in dem ihm zur Entscheidung vorliegenden Fall, dem sog. "Lumpensammlerfall", zu dem Ergebnis, daß eine von der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands, einem nicht rechtsfähigen Verein, aus religiös-karitativen Motiven Anfang 1965 im gesamten Bundesgebiet veranstaltete Altkleidersammlung - die "Aktion Rumpelkammer" - und die von ihr veranlaßten Kanzelabkündigungen zu der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung gehören, die auch das Recht gewährleiste, Sammlungen für kirchliche oder religiöse Zwecke zu veranstalten 12 . 3. In der Entscheidung vom 25. 3. 1980 über die Verfassungsmäßigkeit des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen hat das Bundesverfassungsgericht unter ausdrücklicher Inbezugnahme der Entscheidung im "Lumpensammlerfall" auch die kirchlich getragene Krankenpflege als eine Form der in Art. 4 Abs. 2 GG grundrechtlieh geschützten Religionsausübung anerkannt. Das Gericht hat hierzu im einzelnen ausgeführt, daß nach dem Selbstverständnis der katholischen und evangelischen Kirche die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit in der Welt umfasse, wie es ihrer religiösen und diakonischen Aufgabe entspreche. Hierzu gehöre insbesondere das karitative Wirken. Die tätige Nächstenliebe sei eine wesentliche Aufgabe für den Christen und werde als kirchliche Grundfunktion verstanden. Auch in der Staatspraxis nach dem Zweiten Weltkrieg sei die karitative Tätigkeit in den Kirchenverträgen und u BVerfGE 24, S. 236 (246). BVerfGE 24, S. 236 (LS 1 und S. 247) m.w.N.; vgl. hierzu insbesondere auch das für dieses Verfahren zur Vorlage beim Bundesverfassungsgericht erstattete Rechtsgutachen von Ulrich Scheuner, Zum Schutz der karitativen Tätigkeit nach Art. 4 GG, in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 55 ff. 12

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Konkordaten als legitime Aufgabe der Kirche ausdrücklich anerkannt und die Berechtigung dazu den Kirchen ausdrücklich gewährleistet worden 13 . Zu dieser karitativen Tätigkeit gehört, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß über die Verfassungsmäßigkeit des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen entschieden hat, auch die kirchlich getragene Krankenpflege. Ihr entspreche die Organisation des kirchlichen Krankenhauses und die auf sie gestützte, an christlichen Grundsätzen ausgerichtete umfassende Hilfeleistung für den Patienten. An der Erfüllung dieser Aufgaben haben, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, die Träger der Anstalt, die sich mit der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht gewandt hatten, und die von ihnen getragenen Einrichtungen selbst aufgrund ihrer bekenntnismäßigen und organisatorischen Verbundenheit mit ihren Kirchen Anteil 14 . Mit dieser extensiven Interpretation des Begriffs der Religionsausübung, die sämtliche Formen religiöser Betätigung, und zwar sowohl der Einzelperson und religiöser Vereinigungen als auch der Kirchen und Religionsgemeinschaften- nach deren jeweiligem Selbstverständnis - umfaßt, wird das Bundesverfassungsgericht dem Wesen der Religion, insbesondere der christlichen Religion, die auf Verwirklichung ihrer Lehren im praktischen Leben ausgerichtet ist, in vollem Umfang gerecht. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit in diesem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Umfang bildet eine Grundvoraussetzung für ein freies Geistesleben und damit eine Vorbedingung für die Existenzmöglichkeit eines freiheitlichen Staatswesens und verdient uneingeschränkte Zustimmung.

m. Das Verhältnis von positiver und negativer Religionsfreiheit 1. Weittragende Bedeutung für die Bestimmung des der Religion und ihrer positiven Ausübung in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland zukommenden Stellenwerts erlangte die Rechtspre13 BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980 (Az.: 2 BvR 208176), in: EuGRZ 1980, S. 299 = JZ 1980, S. 398, unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, S. 236 (248); vgl. ferner Theodor Maunz, Krankenhausreform als sozialrechtliche Gestaltung, in: VSSR 1973174, S. 267 (278); Walter Leisner, Karitas- innere Angelegenheit der Kirchen, in: DÖV 1977, S. 475 (478); Ulrich Scheuner, Die karitative Tätigkeit der Kirchen im heutigen Sozialstaat. Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Fragen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 8, Münster 1974, S. 43 (46f., 58). 14 BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980, ebd., unter Hinweis auf die frühere Entscheidung in BVerfGE 46, S. 73 (95 f.).

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chung des Bundesverwaltungsgerichts und des sich diesem Gericht anschließenden Bundesverfassungsgerichts zum gegenseitigen Verhältnis der sog. positiven und negativen Religionsfreiheit. Den Anlaß zu dieser Judikatur und zum Entstehen der sie begleitenden umfangreichen staatskirchenrechtlichen literarischen Auseinandersetzung bildete das Schulgebetsurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 27. 10. 1965 15 . Keine andere gerichtliche Entscheidung hat seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts bisher eine so große Publizität erlangt, so viel Widerspruch herausgefordert und eine so umfangreiche Diskussion ausgelöst wie diese Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs 16 . In diesem Urteil, das von der ganz überwiegenden juristischen Fachwelt sowohl wegen seiner Begründung als auch wegen des vom Gerichtshof gefundenen Ergebnisses auf Ablehnung stieß, hat der Hessische Staatsgerichtshof entschieden, daß ein überkonfessionelles, vor Beginn des Unterrichts in einer öffentlichen hessischen Volksschule verrichtetes Schulgebet für einen Schüler, der dieses ablehne, eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 9 (Glaubens- und Gewissensfreiheit) und Art. 48 Abs. 2 (Verbot der Anwendung jeglichen Zwanges zur Teilnahme an religiösen Handlungen) der Hessischen Verfassung darstelle. Zeitgeschichtlich fällt dieses Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs zusammen mit einem Stimmungsumschwung, der damals in der öffentlichen Meinung und zum Teil auch in der Staatsrechtslehre bezüglich des Verhältnisses von Staat und Kirche einsetzte und zu einer Infragestellung, andererseits aber auch zu einer bedeutsamen Erörterung und theoretischen Vertiefung verschiedener bis dahin unangefochtener Grundlagen der staatskirchenrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland geführt hat 17 . 15 HessStGH, Urt. vom 27. 10. 1965 (Az.: P. St. 388), in: ESVGH 16, S. 1 = NJW 1966, S. 31 = DÖV 1966, S. 51= DVBL 1966, S. 29 =KirchE 7, S. 275. 16 Vgl. hierzu im einzelnen Kästner, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1961 (Anm. 1), S. 276 mit Anm. 290; Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 2), S. 274ff. 17 Ausdruck dieser Strömung ist das von einer militant laizistischen Grundtendenz bestimmte Buch des Ulmer Rechtsanwalts Erwin Fischer, 'Irennung von Staat und Kirche. Die Gefährdung der Religionsfreiheit in der Bundesrepublik, 1. Aufl., München 1964; 2. Aufl., Frankfurt/Main, Berlin 1971, in dem der Verfasser eine Reihe von Bestandteilen und Instituten des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland als verfassungswidrig qualifiziert hat. Auf dem politischen Sektor dürfte diese seither offensichtlich wieder abgeklungene Bewegung in dem FDP-Kirchenpapier ihren Höhepunkt erreicht haben, das am 1. 10. 1974 in Harnburg vom 25. Bundesparteitag der FDP verabschiedet worden ist. Dieses Manifest fordert ebenfalls eine radikale 'lrennung von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. hierzu bei Kästner, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1961 (Anm. 1), S. 279 mit Anm. 306.

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2. Der Hessische Staatsgerichtshof begründete seine Entscheidung mit dem Argument, daß ein Schüler, der der Veranstaltung eines Schulgebets ablehnend gegenüberstehe und sich deshalb am Schulgebet nicht beteilige, gezwungen werde, seine diesbezügliche abweichende religiöse Überzeugung tagtäglich zu offenbaren; darin erblickte der Gerichtshof einen Verstoß gegen das Recht auf Verschweigen der eigenen (a)religiösen Überzeugung, das als "negative Bekenntnisfreiheit" verfassungsrechtlich geschützt sei. Dieses "Recht auf Schweigen", begrifflich ein Bestandteil der Bekenntnisfreiheit, gilt nach der Auffassung des Hessischen Staatsgerichtshofs "unbedingt und ausnahmslos", und zwar nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber den anderen Rechtsgenossen. Da es nicht in fremde Rechtskreise eingreife, sei es weder eingeschränkt noch einschränkbar 18 . Für einen Schüler, der sich an einem Schulgebet nicht beteiligen wolle, gebe es unter diesen Umständen kein zurnutbares Ausweichen. Aus diesem Grunde könnten die anderen Kinder der Klasse, die der Antragsteller besuche, auf dem Beten vor dem Unterricht nicht bestehen 19 . 3. In diesem Urteil hat der Hessische Staatsgerichtshof willkürlich und im Ergebnis zu Unrecht der "Freiheit zum Schweigen", d. h. der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, einen Vorrang gegenüber den Formen der positiven Religionsausübung eingeräumt. Dabei hat das Gericht verkannt, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht nur Minderheiten bei der Ausübung ihrer Glaubens- und Bekenntnisfreiheit durch die "Freiheit zum Schweigen" schützt, sondern daß durch das Grundrecht der Religionsfreiheit auch der Mehrheit die positive Bekenntnisfreiheit und die aktive ungestörte Religionsausübung ermöglicht werden soll, so daß auch sie ihren Glauben und ihr Bekenntnis manifestieren kann. Insbesondere wurde das Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs der Tatsache nicht gerecht, daß die Ausübung der Religion in einem religiös pluralistischen Staatswesen von jedermann ein gewisses Maß an religiöser Toleranz gegenüber den Mitbürgern verlangt. 4. In erklärtem Gegensatz zu der Rechtsauffassung des Hessischen Staatsgerichtshofs hat deshalb das Bundesverwaltungsgericht unter Aufhebung der Urteile der beiden Vorinstanzen, des Verwaltungsgerichts Aachen und des Oberverwaltungsgerichts Münster, die der Rechtsprechung des Hessischen Staatsgerichtshofs gefolgt waren, in einem eingehend und überzeugend begründeten Urteil vom 30. 11. 1973 die Veranstaltung eines Schulgebets an einer Gemeinschaftsschu1a ESVGH 16, S. 1 (8). 19 ESVGH 16, S. 1 (10).

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le des Landes Nordrhein-Westfalen für zulässig erklärt, sofern Schüler, die am Gebet nicht teilnehmen wollten, davon befreit werden 20 • Wie das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt hat, gewährt die negative Bekenntnisfreiheit in diesem Fall dem widersprechenden Schüler bzw. seinen Erziehungsberechtigten kein Recht, das Schulgebet der anderen Schüler zu verhindern. Eine Verletzung des Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit eines betunwilligen Schülers komme dann nicht in Betracht, wenn dieser bzw. seine Erziehungsberechtigten die Möglichkeit haben, sich oder ihr Kind in zumutbarer Weise der Teilnahme am Schulgebet zu entziehen. Im übrigen entspreche die aufgezeigte Lösung des Interessenkonflikts dem in Art. 4 Abs. 1 GG enthaltenen Toleranzgebot Zur Einübung solcher gegenseitiger Toleranz könne auch ein Schulgebet dienen, wenn es sich in dem dargelegten Rahmen halte 21 • Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seiner Entscheidung der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg angeschlossen, das bereits im Jahre 1969 zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Veranstaltung von Schulandachten vor Beginn des Unterrichts die Auffassung vertreten hatte, daß das Recht derjenigen Schüler, die sich an derartigen Andachten nicht beteiligten, ihr Bekenntnis oder ihre Meinung zu verschweigen, ihnen nicht unter allen Umständen gewährleiste, daß ihre Ansichten geheim blieben. Das Grundgesetz habe insoweit nicht die Möglichkeit eröffnen wollen, daß der in der Schule repräsentierten Öffentlichkeit intolerante Minderheitsmaßstäbe über Anlaß und Umfang einer christlichen Glaubensbetätigung aufgenötigt werden 22 . Das Bundesverwaltungsgericht hatte diese Rechtsauffassung des OVG Lüneburg bestätigt und ausgeführt, daß das Recht der negativen Bekenntnisfreiheit und der negativen Meinungsfreiheit durch die Rechte anderer Bürger, ihr Bekenntnis oder ihre Meinung zu äußern, begrenzt werde. Schüler, die sich an Schulandachten nicht beteiligten, könnten

2o BVerwGE 44, S. 196 = JZ 1974, S. 577 f. mit zust. Anm. von Alexander Hollerbach; zustimmend auch Dieter Lorenz, Schulgebet und Toleranz, in: JuS 1974, S. 436 ff.; a.A. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Vorläufige Bilanz im Streit um das Schulgebet, in: DÖV 1974, S. 253 ff.; ablehnend auch Erwin Fischer, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung. Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, München 1978, S. 194 ff. Nach Fischer widerspricht dieses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dem weltanschaulich-religiös neutralen Charakter des Staates der Bundesrepublik Deutschland. 21 BVerwGE 44, S. 196 (199f.). 22 OVG Lüneburg, Urt. vom 18. 2. 1969 (Az.: II A 47/68), in: KirchE 10, S. 314 (321).

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daher nicht verlangen, daß auch den christlichen Schülern Morgenandachten vorenthalten würden 23 . 5. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner erst am 16. 10. 1979 ergangenen Entscheidung eine gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. 11. 1973 erhobene Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen und die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts im Ergebnis in vollem Umfang bestätigt. Wie das Bundesverfassungsgericht im einzelnen ausgeführt hat, ist in den Bundesländern, die in Gemeinschaftsschulen ein freiwilliges überkonfessionelles Schulgebet außerhalb des Religionsunterrichts überhaupt zulassen, das Schulgebet grundsätzlich auch dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn ein Schüler oder dessen Eltern der Abhaltung des Gebets widersprechen; deren Grundrecht auf negative Bekenntnisfreiheit werde nicht verletzt, wenn sie frei und ohne Zwang über die Teilnahme am Gebet entscheiden könnten. Die bei Beachtung des Toleranzgebots regelmäßig vorauszusetzende Freiwilligkeit ist, wie das Gericht ausgeführt hat, ausnahmsweise nicht gesichert, wenn der Schüler nach den Umständen des Einzelfalles der Teilnahme nicht in zurnutbarer Weise ausweichen kann 24 . Unter der Voraussetzung völliger Freiwilligkeit der Teilnahme begegnet, wie das Bundesverfassungsgericht ausführt, die Zulässigkeit des religiösen Elements "Schulgebet" -bei dem der Staat der positiven Bekenntnisfreiheit Raum gebe in einem Bereich, den er ganz in seine Vorsorge genommen habe und in welchem religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant gewesen seien- durch die Länder in einer von ihnen nicht ohne religiöse Bezüge gestalteten Gemeinschafts-(Pflicht-)Schule grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zu dem Argument des Hessischen Staatsgerichtshofs, ein Schulgebet müsse bei Widerspruch eines Schülers deshalb untersagt werden, weil der Schüler nicht in die Lage gebracht werden dürfe, seine religiös oder weltanschaulich motivierte Ablehnung des Schulgebets durch Nichtteilnahme tagtäglich nach außen kundzugeben, erklärt das Bundesverfassungsgericht, daß eine solche Ausdehnung des Rechts auf Schweigen, das nicht erst durch den Zwang, das zu offenbaren, was man selbst glaubt oder denkt, sondern schon durch die Kundgabe einer positiven oder negativen Einstellung zum bekenntnisgeprägten BVerwG, Beschl. vom 27. 2. 1970 (VII B 40.69), in: DVBl. 1970, S. 929 f. BVerfG, Beschl. vom 16. 10. 1979 (1 BvR 647170) und 1 BvR 7174), in: EuGRZ 1980, S. 13 =NJW 1980, S. 575 =DÖV 1980, S. 333; mit krit. Anm. von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Zum Ende des Schulgebetsstreits. Stellungnahme zum Beschluß des BVerfG vom 16. 10. 1979, in: DÖV 1980, S. 323 ff. 23

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Verhalten anderer verletzt würde, "vom Grundrecht der negativen Bekenntnisfreiheit nicht gedeckt" sei25 . Ausdrücklich lehnt das Bundesverfassungsgericht die Rechtsauffassung des Hessischen Staatsgerichtshofs ab, daß die negative Bekenntnisfreiheit unbedingt und ausnahmslos gelte und weder eingeschränkt noch einschränkbar sei, da sie nicht in fremde Rechtskreise eingreife, während die positive Bekenntnisfreiheit den Schranken des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG unterworfen sei. Dies treffe aus dem Grund nicht zu, weil Art. 4 Abs. 1 GG ein Spezialgrundrecht gewähre, das nicht den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG unterliege 26 . In diesem Beschluß, in dem das Bundesverfassungsgericht zugleich über eine Verfassungsbeschwerde von 72 Eltern gegen Anordnungen hessischer Schulbehörden, in bestimmten Klassen das Schulgebet zu unterlassen, zu entscheiden hatte, gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Untersagungsverfügungen einer "tragfähigen Rechtsgrundlage" entbehrten. Die Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs stehe mit Bundesverfassungsrecht nicht im Einklang; aus diesem Grunde sei das Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs "hinsichtlich seiner Bindungswirkung gegenstandslos" 27 • Der notwendige Ausgleich zwischen kollidierenden Ansprüchen positiver und negativer Bekenntnisfreiheit sei "nur unter Beachtung des grundgesetzliehen Toleranzgebots möglich " 28 • 6. In dieser eingehend und überzeugend begründeten Entscheidung zur Zulässigkeit der Veranstaltung eines Schulgebets auch bei Widerspruch eines oder mehrerer Schüler hat das Bundesverfassungsgericht durch seine Interpretation der Verfassung endgültig klargestellt, daß in das Grundgesetz auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts nicht Vorstellungen eines laizistischen Trennungsmodells hineingetragen werden dürfen. Das Grundgesetz gestattet vielmehr auch in Fällen, in denen dies nicht ausdrücklich in der Verfassung vorgesehen ist, wie z. B. im Schulbereich, eine Förderung religiöser Bezüge. 25 Vgl. EuGRZ 1980, S. 16, unter Bezugnahme auf BVerwG, in: DVBL 1970, S. 929 (930); Ulrich Scheuner, Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht. Kirchenverträge und Gesetz, Kirchensteuern, Gemeinschaftsschule, Religionsfreiheit, in: DÖV 1966, S. 145 (152) = ders., Schriften (Anm. 4), S. 211 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet Eine Auseinandersetzung mit dem Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 27. 10. 1965, in: DÖV 1966, S. 30 (32); Walter Hamel, Die Bekenntnisfreiheit in der Schule. Zum Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofes über das Schulgebet, in: NJW 1966, S. 18 (19). 26 EuGRZ 1980, S. 16. 27 EuGRZ 1980, S. 19. 2s EuGRZ 1980, S. 18.

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Unter Berufung auf die negative Religionsfreiheit kann die positive Ausübung dieses Grundrechts nicht unterbunden werden 29 . Der erforderliche Ausgleich zwischen den Aktualisierungsformen der positiven und negativen Religionsfreiheit ist auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Toleranzgebots herbeizuführen. Allein diese Lösung entspricht dem freiheitlichen Geist des Grundgesetzes 30 • Iv. Das grundgesetzliche Toleranzgebot 1. Die neuere Rechtsprechung zum Grundrecht der Religionsfreiheit stimmt darin überein, daß auf dem Gebiete der Religion das dem Grundrecht der Religionsfreiheit immanente Gebot zu religiöser Toleranz zu den - jedenfalls gilt dies im Unterschied zu verschiedenen Landesverfassungen für das Grundgesetz - ungeschriebenen obersten Verfassungsprinzipien zu zählen ist. Erst die Verwirklichung dieses Toleranzgebots ermöglicht in einem Staat mit einer religiös pluralistischen und heterogenen Gesellschaft ein friedliches Zusammenleben aller Bürger und ein Höchstmaß an freier und allgemeiner Religionsausübung. Zwar ist das in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Grundrecht der Religionsfreiheit mehr als bloße "religiöse Toleranz", wie sie in der Aufklärungszeit in den Toleranzedikten und -patenten gewährt worden ist, die in einer bloßen staatlichen Duldung religiöser Bekenntnisse oder irreligiöser Überzeugungen bestand31 . Ein von Verfassungs 29 Die Gegenposition hierzu wird vertreten von Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 2. Aufl. (Anm. 17), S. 207 ff., 215 ff., 246 ff., 289 ff.; ders., Was das Grundgesetz nicht erlaubt, ist verfassungswidrig, in: Recht und Gesellschaft, 3. Jg (1973), S. 142 f. Gegen dieses laizistische Vorverständnis bei der Interpretation des Grundgesetzes Axel Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, München 1973, S. 69 ff. mit Anm. 159 (S. 215); UZTich Scheuner, Anm. zum Urt. des BVerwG vom 6. 7. 1973 (Az.: VII C 36.71- BVerwGE 42, S. 346) über die Zulässigkeit einer versetzungserheblichen Notengebung im Fach Religionsunterricht, in: NJW 1973, S. 2315; Kästner, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1961 (Anm. 1), S. 275 mit Anm. 288; Listl, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit (Anm. 9), S. 382. 30 In diesen Zusammenhang gehört auch der Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. 7. 1975 (Az.: VII B 114.74), in: DÖV 1976, S. 273 mit zust. Anm. von Joseph Listl, in dem dieses Gericht die Befragung von Patienten nach ihrer Religionszugehörigkeit bei der Aufnahme in kommunale Krankenanstalten zum Zweck der Ermöglichung der Anstaltsseelsorge für verfassungsrechtlich zulässig erklärt hat. Eine gegen diesen Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht am 25. 10. 1977 (Az.: 1 BvR 323175 - BVerfGE 46, S. 266) wegen mangelnder Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen. 31 Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der ersten Entscheidung, in der es sich mit dem Grundrecht des Art. 4 zu befassen hatte, im sog. "TabakFall", mit aller Deutlichkeit herausgestellt. Vgl. hierzu BVerfGE 12, S. 1 (3).

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wegen zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtetes Staatswesen wie die Bundesrepublik Deutschland darf bei der Behandlung der verschiedenen Religionsgemeinschaften hinsichtlich ihrer religiösen Lehren und ihrer religiösen Betätigungsrechte keinen Unterschied machen. Die Unterscheidung zwischen "anerkannten" und anderen, lediglich geduldeten ("tolerierten") Religionsgemeinschaften, die in der Ausübung ihrer Religionsrechte beschränkt wären, ist mit dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährt jedem Einzelnen und jeder Religionsgemeinschaft in gleicher Weise das Recht zur Werbung für den eigenen und zur Abwerbung von einem fremden Glauben, die sog. "Missionsfreiheit". Dieses Recht schließt auch die Befugnis zur Glaubensabwerbung unabhängig von einer Glaubenswerbung ein32 • 2. Im heutigen religiös-freiheitlichen Staat verlangt das Toleranzgebot die Achtung vor der abweichenden religiösen Überzeugung anderer. Die gegenseitige Toleranz bildet die Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben der einzelnen Staatsbürger und vor allem für die Koexistenz verschiedener religiöser Überzeugungen und Gruppen in der gemeinsamen staatlichen Ordnung33 • Von den einzelnen Staatsbürgern verlangt das Toleranzgebot Achtung der Würde, der Persönlichkeit und der abweichenden religiösen Auffassung und Gewissensentscheidung des anderen und die Mäßigung exzessiver Forderungen und Ansprüche bei der Verwirklichung der eigenen religiösen Vorstellungen. Ebenso sind die Religionsgemeinschaften und die religiösen und weltanschaulichen Gruppen verpflichtet, anderen konkurrierenden Gemeinschaften und Gruppen auf der Grundlage der für alle gleichermaßen geltenden Ordnung das gleiche Existenzrecht zuzuerkennen. Wie Scheuner hierzu ausgeführt hat, bedeutet Toleranz niemals nur die Verwirklichung des eigenen Standpunktes, sondern stets auch Rücksicht auf den anderen. Wenn der nicht religiös Gesonnene um des Nichtbekennens der eigenen Meinungwillen die Kundgabe jeder religiösen Überzeugung im öffentlichen Bereich hindern könnte, so würde das Intoleranz, nicht Freiheit begründen34 • Es gehört zu den schwierigen und immer wieder neu zu lösenden Aufgaben des Staates, im Rahmen der von ihm zu schaffenden und zu wahrenden Friedensordnung, die auch eine religiöse Friedensordnung sein muß, zwischen den divergierenden Ansprüchen und Interessen religiöser Gruppen und GeBVerfGE 12, S. 1 (3). Vgl. Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 50 f. 34 Scheuner, Wandlungen im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 250 f.; ders., Die verfassungsmäßige Verbürgung der Gewissensfreiheit, in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 74. 32 33

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meinschaften bei der Gewährleistung der individuellen und korporativen Religionsfreiheit einen gerechten Ausgleich herbeizuführen. Der hierbei notwendigerweise zu erzielende Kompromiß darf sich nicht am niedrigsten gemeinsamen Nenner orientieren, sondern muß ein Optimum an positiver Freiheit ermöglichen35 . 3. a) Von diesen Grundsätzen geht auch das Bundesverfassungsgericht aus, in dessen Rechtsprechung zum Religions- und Staatskirchenrecht das Toleranzgebot zwar erst verhältnismäßig spät auftaucht, aber inzwischen in seiner vollen Bedeutung und Tragweite anerkannt ist. Bei der Beurteilung der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Glaubensfreiheit auf die Bestrafung wegen einer aus religiösen Motiven unterlassenen Hilfeleistung des Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau (§ 330 c StGB) hat das Bundesverfassungsgericht das Toleranzgebot in seine Rechtsprechung aufgenommen und dazu ausgeführt, daß ein im Rahmen der Garantie der Glaubensfreiheit zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzliehen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen ist. Als Teil des grundrechtliehen Wertsystems sei die Glaubensfreiheit dem Gebot der Toleranz zugeordnet, insbesondere auf die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche System beherrsche36 . b) Nicht voll erkannt hat das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des Toleranzgrundsatzes, als es auf die Verfassungsbeschwerde eines jüdischen Rechtsanwalts hin entschied, daß der Zwang, entgegen der eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung in einem mit einem Kreuz ausgestatteten Gerichtssaal verhandeln zu müssen, das Grundrecht eines Prozeßbeteiligten aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzen könne und in dem konkreten Falle auch verletze37 . 35 Erwin Stein, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: Begegnung und Vermittlung. Erziehung und Religionsunterricht im gesellschaftlichen Wandel. Gedenkschrift für Ingeborg Röbbelen. Hrsg. von Hermann Horn. Dortmund 1972, s. 237 (260 f.). 36 BVerfGE 32, S. 98 (108 ff.). 37 BVerfG, Beschl. vom 17. 7. 1973 (Az.: 1 BvR 308/69), in: BVerfGE 35, S. 366 = NJW 1973, S. 2198, mit abl. Anm. von Wolfgang Rüfner, in: NJW 1974, S. 491 f.; kritisch dazu auch Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 54 mit Anm. 149. Hätte sich das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt, dem jüdischen Anwalt nahezulegen, sich auch seinerseits eines seinen religiösen Überzeugungen entsprechenden Symbols, z. B. der Heiligen Schrift, als eines "Schwurgegenstandes" zu bedienen, wäre es dem Toleranzgebot und dem Sinngehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit voll gerecht geworden.

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Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung vom 17. 7. 1973 in einem gewissen Umfang dadurch relativiert bzw. "korrigiert", daß es in einem weiteren Beschluß vom 2. 10. 1973 38 eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Zwischenurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth und einen Beschluß des Oberlandesgerichts Nürnberg richtete, in denen der Beschwerdeführer verpflichtet worden war, in einem Gerichtssaal, in dem sich ein Kreuz befand, uneidlich als Zeuge auszusagen, mit der Begründung nicht zur Entscheidung angenommen hat, daß hiervon weder eine weitergehende Klärung verfassungsrechtlicher Fragen zu erwarten sei noch dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstehe. c) Daß es sich bei der Frage der Zulässigkeit der Veranstaltung eines Schulgebets auch bei Widerspruch eines Schülers bzw. seiner Erziehungsberechtigten im Grunde um ein Toleranzproblem handelt, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem bereits erwähnten, später vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Urteil vom 30. 11. 1973 klar erkannt und mit Deutlichkeit ausgesprochen 39 • Unter Hinweis auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 32, S. 98 (108) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, daß der Freiwilligkeitscharakter des Schulgebets und die Möglichkeit, dem Schulgebet sich in zurnutbarer Weise zu entziehen, d. h. die aufgezeigte Lösung des Interessenkonflikts, dem in Art. 4 Abs. 1 GG enthaltenen Toleranzgebot entspreche. Zum friedlichen Zusammenleben in einer Gemeinschaft gehöre es, daß die Schüler lernen, die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren, auch dann, wenn man sie selbst nicht mitvollziehen könne oder wolle. Zur Einübung solcher gegenseitiger Toleranz könne auch ein Schulgebet dienen, wenn es sich in dem dargelegten Rahmen halte 40 . d) Eine zentrale Rolle wies das Bundesverfassungsgericht dem Toleranzgebot zu in den drei am 17. 12. 1975 ergangenen Entscheidungen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der in den Bundesländern Baden-Württemberg ("christliche Gemeinschaftsschule im überlieferten badischen Sinn"), Bayern und Nordrhein-Westfalen bestehenden spezifischen Formen der christlichen Gemeinschaftsschule41 . Die aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit erfließende Problematik dieser auf Verfassungsbeschwerden hin ergangenen Entscheidungen liegt darin, daß diese "christlichen Gemeinschaftsschulen" auch von einer 38 39

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BVerfG, Beschl. vom 2. 10. 1973 (Az.: 1 BvR 513/66), nicht veröffentlicht. BVerwGE 44, S. 196. BVerwGE 44, S. 196 (200). BVerfGE 41, S. 29 ff., 65 ff., 88 ff.

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Minderheit von Schülern besucht werden müssen, die bzw. deren Erziehungsberechtigte keinem christlichen Bekenntnis angehören. Das Bundesverfassungsgericht hat die Schulform der "christlichen Gemeinschaftsschule" dennoch für verfassungsgemäß erklärt und in ihrer Existenz keine Verletzung des Grundrechts der Religionsfreiheit der nichtchristliehen Schüler erblickt. Wie das Gericht ausgeführt hat, schließt Art. 4 GG einerseits das Recht der Eltern ein, "ihrem Kind die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Erziehung zu vermitteln". Andererseits sei es Aufgabe des demokratischen Landesgesetzgebers, das im Schulwesen unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen "negativer" und "positiver" Religionsfreiheit nach dem Prinzip der "Konkordanz" zwischen den verschiedenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern zu lösen42 • Eine Schulform, die weltanschauliche und religiöse Zwänge soweit irgend möglich ausschaltet sowie Raum für eine sachliche Auseinandersetzung mit allen religiösen und weltanschaulichen Auffassungen- wenn auch von einer christlich bestimmten Orientierungsweise her - biete und dabei das Toleranzgebot beachte, führe Eltern und Kinder, die eine religiöse Erziehung ablehnen, nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und Gewissenskonflikt43 • Das Bundesverfassungsgericht verlangt gegenüber den nichtchristliehen Schülern ein Höchstmaß an Toleranz. Dies bedeutet im Ergebnis, daß die christliche Gemeinschaftschule "keine missionarische Schule sein und keine Verbindlichkeit christlicher Glaubensinhalte beanspruchen" kann. Sie muß vielmehr auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. e) Auch in dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 12. 1977 über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Sexualerziehung in der Schule erkannte das Bundesverfassungsgericht dem Toleranzgebot eine maßgebende Bedeutung zu. Wie das Gericht in dieser Entscheidung ausgeführt hat, können die Eltern bei der Durchführung der Sexualerziehung aufgrund der Vorschriften des Grundgesetzes (Art. 4, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG) die gebotene Zurückhaltung und Toleranz :verlangen. Die Schule muß den Versuch einer Indoktrinierung der Schüler mit dem Ziel unterlassen, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen. Sie hat das natürliche Schamgefühl der Kinder zu achten und muß allgemein Rücksicht nehmen auf die religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern, soweit sie sich auf dem Gebiet der Sexualität auswirken44 • 42 43

BVerfGE 41, S. 29 (LS 2 und 3, S. 47 f. und 50 f). BVerfGE 41, S. 29 (LS 4 und S. 52); ebenso 41, S. 65 (78f.) und 41, S. 88

(108f.).

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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f) Auch die bereits mehrmals eiWähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 10. 1979 über die Zulässigkeit eines freiwilligen überkonfessionellen Schulgebets an einer christlichen Gemeinschaftsschule beruht in ihren tragenden Gründen auf dem "grundgesetzlichen Toleranzgebot" 45 • Das Bundesverfassungsgericht geht hierbei davon aus, daß - ebenso wie in der christlichen Gemeinschaftsschule so auch - bei der Veranstaltung des Schulgebets zwischen der positiven und negativen Religionsfreiheit "unter Berücksichtigung des Toleranzgebots" ein Ausgleich gesucht werden muß46 . Gerade auch die Frage, ob eine Nichtteilnahme am Schulgebet Andersdenkender zurnutbar ist, läßt sich nicht ohne einen Blick darauf lösen, daß hier Grundrechtsausübungen aufeinandertreffen, "deren Ausgleich nur unter Beachtung des grundgesetzliehen Toleranzgebots möglich ist". Die Beachtung dieses Toleranzgebots muß von allen Beteiligten verlangt werden, von den Lehrern und Eltern und ebenso von den am Schulgebet teilnehmenden und den sich am Schulgebet nicht beteiligenden Schülern47 . V. Das Individualgrundrecht der Religionsfreiheit

und die Kirchenfreiheit

1. Der innere Zusammenhang zwischen dem in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Grundrecht der Religionsfreiheit und den durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierten Artikeln 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 bildet seit dem Irrkrafttreten des Grundgesetzes im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland ein vieldiskutiertes Problem48 . Diese Diskussion kann hier weder nachvollzogen noch ausgebreitet werden. Sie bewegte sich im wesentlichen insbesondere um zwei Problemkreise, einmal um die Frage der Grundrechtsfähigkeit der Religionsgemeinschaften und der religiösen Vereinigungen und Organisationen, insbesondere auch im Hinblick auf das Recht der Inanspruchnahme des Grundrechts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, und ferner um den inneBVerfGE 47, S. 46 (LS 2 und S. 76 f.). BVerfG, Beschl. vom 16. 10. 1979 (1 BvR 647170 und 1 BvR 7174), in: EuGRZ 1980, S. 13 = NJW 1980, S. 575 = DÖV 1980, S. 333 mit krit. Stellungnahme von Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: DÖV 1980, S. 323. 46 EuGRZ 1980, S. 17. 47 EuGRZ 1980, S. 18. 48 Vgl. hierzu Joseph Listl, Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 3, Münster 1969, s. 34 (71 ff.). 44 45

6 Sbd. List!

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Freiheit der Religion und des Gewissens

ren Zusammenhang zwischen den Gewährleistungen des Art. 4 GG und dem in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV garantierten institutionellen Selbstbestimmungs- und Selbstordnungsrecht der Kirchen. Dieses zweite Problem war zum Teil auch ein verfassungsprozessuales. Bei einer Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV durch die öffentliche Gewalt besteht für die Kirchen nur dann die Möglichkeit, sich mit der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht zu wenden, wenn ein Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zugleich auch als eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 oder 2 GG angesehen werden kann, weil § 90 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eine Befugnis, Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben, nur dann gewährt, wenn jemand behauptet, durch die öffentliche Gewalt "in einem seiner Grundrechte" oder in einigen anderen enumerativ aufgezählten Rechten verletzt zu sein. 2. Die Frage nach der Grundrechtsträgerschaft der Kirchen und Religionsgemeinschaften und aller religiösen Vereinigungen wurde vom Bundesverfassungsgericht in dem bereits eingehend zitierten Beschluß vom 16. 10. 1968 definitiv entschieden. Danach steht das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, sondern auch Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben. Voraussetzung dafür ist aber, daß der Zweck der Vereinigung gerade auf die Erreichung eines solchen Zieles gerichtet ist. Dies gilt ohne weiteres für organisatorisch oder institutionell mit Kirchen verbundene Vereinigungen wie kirchliche Orden, deren Daseinszweck eine Intensivierung der gesamtkirchlichen Aufgaben enthält. In seinem Bemühen, den Begriff der Religionsausübung extensiv auszulegen, erkennt das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ferner auch anderen selbständigen oder unselbständigen Vereinigungen zu, wenn und soweit ihr Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündigung des Glaubens ihrer Mitglieder ist. Als Maßstab für das Vorliegen dieser Voraussetzungen kommt nach der Auffassung des Gerichts das Ausmaß der institutionellen Verbindung mit einer Religionsgemeinschaft oder die Art der mit der Vereinigung verfolgten Ziele in Betracht49 • 49 BVerfGE 24, S. 236 (246 f.). Vgl. hierzu auch Listl, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit (Anm. 9), S. 365 ff. Kritisch gegenüber diesem korporativen Verständnis der Religionsfreiheit Inge Gampl, Rezension des Werkes "Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland", in: AöR 102 (1977), S. 630 f.

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3. a) Bezüglich des gegenseitigen Verhältnisses des Grundrechts der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu der institutionellen Garantie des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV stellt das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß über die Verfassungsbeschwerde der Bremischen Evangelischen Kirche vom 21. 9. 1976 zur Frage der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde bei Eingriffen in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht fest, daß die Kirche in ihrem Status und in einem ihr zukommenden Grundrecht verletzt kein könne 50 . Ein Teilaspekt des in den Kirchenartikeln des Art. 140 GG geregelten "StatusVerhältnisses" werde auch von Art. 4 GG erlaßt, soweit in ihm u.a. die gemeinsame Bekenntnis- und Kultfreiheit, einschließlich ihrer Ausübung im Bekenntnis und Kult innerhalb der organisierten Kirche, als Grundrecht garantiert sei. Auf das Verhältnis zwischen Art. 4 GG und 140 GG im einzelnen geht das Bundesverfassungsgericht nicht ein 51 . Das Gericht fand es genügend, festzuhalten, daß es Tatbestände innerhalb des Bereichs der Kirche gebe- dazu gehöre das kirchliche Amt-, die zugleich als wesentlicher Bestandteil der Kirchenverfassung zur staatskirchenrechtlichen Ordnung (Art. 140 GG) rechnen und in ihrer funktionalen Bedeutung auf Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der kollektiven kirchlichen Bekenntnis- und Kultfreiheit (Art. 4 GG) angelegt sind52 .

b) Auch in dem Beschluß vom 11. 10. 1977 zu der Frage, ob in einem in der Rechtsform einer Stiftung des bürgerlichen Rechts verfaßten kirchlichen Krankenhaus staatliches Mitbestimmungsrecht oder die kirchliche Mitarbeitervertretungsordnung des zuständigen Bistums gelte, argumentiert das Bundesverfassungsgericht in der gleichen Weise53. Das Gericht führte hierzu aus, daß im Falle eines in der Rechtsform einer Stiftung existierenden kirchlichen Krankenhauses auch das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) durch hoheitliche Akte des Staates tangiert sein könne, da die Stiftung nach Statut und Satzung näherhin karitativer Tätigkeit nachgehen solle. Den nächstliegenden Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung der angegriffenen Entscheidungen bilde - ohne daß hier im einzelnen das Verhältnis von Art. 140 GG zu Art. 4 Abs. 2 GG dargestellt werden müßteArt. 140 GG i.V.m. Art. 137 WeimRV, der den Religionsgesellschaften, BVerfGE 42, S. 312 (322 f.). BVerfGE 42, S. 312 (322). Das Gericht begnügte sich hierbei damit, auf Ausführungen von Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen (Anm. 37), S. 52 f. und 79 f. sowie von Konrad Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 409 (412 f.), hinzuweisen. 52 BVerfGE 42, S. 312 (322). 53 BVerfGE 46, S. 73 (83). 5o

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Freiheit der Religion und des Gewissens

also auch den Kirchen, die Freiheit garantiere, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten54 . c) Auf der gleichen Argumentation beruht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. 3. 1980 über die Unvereinbarkeit einer Reihe von Bestimmungen des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen mit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV. Auch hier führt das Gericht aus, daß die Beschwerde führenden Krankenanstalten durch Hoheitsakte des Staates auch im Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) verletzt werden können, da sie sich nach ihrer Ziel- und Zweckbestimmung als Verein bzw. Gesellschaft "der Krankenpflege in religiös-karitativer Form widmen" 55 . Die Beschwerdeführer, die sich als kirchliche Einrichtungen verstünden, rügten in erster Linie die Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Insoweit sei nächstliegender Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV, der den Religionsgesellschaften, also auch den Kirchen, die Freiheit garantiere, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten56. Das Gericht entwickelt in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zum gegenseitigen Verhältnis der institutionellen Kirchenartikel und der grundrechtliehen Gewährleistung der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG weiter. Es geht davon aus, daß die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Verfassung mit dem Grundgesetz "ein organisches Ganzes" 57 bilden. Der Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV entnimmt das Gericht hierbei den Verfassungsgrundsatz "zwingenden Erfordernisses friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen" 58 . Wie das Gericht hierzu ausführt, gewährleistet Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter. Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck sei bei der Bestimmung des Inhalts und der Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, die jeweils nur im Einzelfall BVerfGE 46, S. 73 (85). BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980 (Az.: 2 BvR 208176), in: EuGRZ 1980, s. 298. 56 BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980, in: EuGRZ 1980, S. 298 = JZ 1980, S. 397 f. 57 BVerfGE 19, S. 206 (219); 19, S. 226 (236). 58 BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980, in: EuGRZ 1980, S. 301 = JZ 1980, S. 398. 54 55

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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erfolgen kann, "durch entsprechende Güterahwägung Rechnung zu tragen". Dabei sei jedoch dem Eigenverständnis der Kirchen, soweit es in dem Bereich der durch Art. 4 Abs. 1 GG als unverletzlich gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzele und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung verwirkliche, ein besonderes Gewicht beizumessen. Die Garantie freier Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten (Art. 137 Abs. 3 WeimRV) erweist sich dabei nach den Ausführungen des Gerichts als notwendige, wenngleich rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt 59 . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung Inhalt und Umfang des Grundrechts der Religionsfreiheit in dessen individualrechtlicher und korporativer Gestalt im Kontext der übrigen Grundrechte voll entwickelt und dabei auch den inneren wesensnotwendigen rechtlichen Zusammenhang zwischen der individuellen Religionsfreiheit und dem freien Selbstbestimmungs- und Organisationsrecht der Kirchen aufgezeigt und anerkannt. Das Gericht hat damit den Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften im Sinne einer "freien Kirche im freien Staat" für ihr religiöses Wirken in der Welt einen grundrechtlich gesicherten Freiheitsraum erschlossen, wie er ihnen vor dem Irrkrafttreten des Grundgesetzes noch niemals gewährleistet war. Dies ist unbestritten eine der großen Leistungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 60 . 59 BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980, in: EuGRZ 1980, S. 295 (LS 3 und S. 301) = JZ 1980, S. 397 (LS 3 und S. 398). so Auf den inneren, auf dem Gemeinschaftscharakter jeder Religion beruhenden Zusammenhang zwischen individueller Religionsfreiheit und Kirchenfreiheit hat auch das Zweite Vatikanische Konzil in Art. 4 der "Erklärung über die Religionsfreiheit" nachdrücklich hingewiesen. Nach der Erklärung des Konzils muß die Freiheit als Freisein vom Zwang in religiösen Dingen, die den Einzelnen zukommt, ihnen auch zuerkannt werden, wenn sie in Gemeinschaft handeln. Denn die Sozialnatur des Menschen wie auch der Religion selbst verlange religiöse Gemeinschaften. Deshalb steht nach der Forderung des Konzils diesen Gemeinschaften, wenn nur die gerechten Erfordernisse der öffentlichen Ordnung nicht verletzt werden, rechtens die Freiheit zu, daß sie sich gemäß ihren eigenen Normen leiten, der Gottheit in öffentlichem Kult Ehre erweisen, ihren Gliedern in der Betätigung ihres religiösen Lebens beistehen, sie durch Unterricht unterstützen und jene Einrichtungen fördern, in denen die Glieder zusammenarbeiten, um das eigene Leben nach ihren religiösen Grundsätzen zu ordnen. Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae", in: AAS 58 (1966), S. 929 (932 f.). Deutsche Übersetzung in: LThK2 -Konzilsbände, Bd. 2, Freiburg i.Br., Basel, Wien 1967, S. 721 f.

Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnisund Kirchenfreiheit I. Der Bedeutungswandel des Grundrechts der Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsentwicklung und im religiös-neutralen Staat der Bundesrepublik Deutschland Das Gesamtgrundrecht der individuellen Religionsfreiheit, das aus den Einzelbestandteilen der Glaubensfreiheit, der Gewissensfreiheit, der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit und der freien Religionsausübung besteht, besitzt auf den ersten Blick keine klar erkennbaren und scharfen Konturen. Ähnliches gilt von der korporativen Religionsfreiheit, d. h. der Freiheit der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staat und gesellschaftlichen Mächten. Es bedarf einer vertieften Reflexion über den Gegenstand, die auch die Grundlinien der neueren historischen Entwicklung der Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte und der Beziehungen zwischen Staat und Kirche einschließt, um die rechtliche Struktur und den Inhalt der individuellen und korporativen Religionsfreiheit in den Blick zu bekommen. 1 Vortrag, gehalten am 8. November 1983 vor der Deutschen Richterakademie in Trier. Der Vortragscharakter wurde bei der Veröffentlichung beibehalten. Erstveröffentlichung in: Staat und Kirche. Referate der Tagung der Deutschen Richterakademie in Trier vom 6. bis 12. November 1983. Herausgegeben vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz. Nur zum internen Gebrauch. München 1984, S. 49-74. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz. I Zum Grundrecht der Religionsfreiheit in seinen individualrechtliehen und korporativen Bezügen vgl. im einzelnen Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1); ders., Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 363406; ders., Dieneuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Auf dem Wege zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky, Erster Teilband, Wien 1980, S. 571-590, jeweils mit weiteren literarischen Nachweisen.

Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit

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Seit der Aufklärungszeit und während des gesamten 19. Jahrhunderts und noch bis zum lnkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 wurde in Deutschland die Religionsfreiheit ausschließlich als eine individualrechtliche Gewährleistung für Dissidenten verstanden, die nicht den großen, vom Staat anerkannten Bekenntnissen angehörten. Ihnen wurde die Religionsfreiheit als ein ganz überwiegend "negatives" Freiheitsrecht zum Zwecke der Abwehr und Abwendung von kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Verpflichtungen zugebilligt. Die Religionsfreiheit der großen Mehrheit des Volkes, d. h. der Angehörigen der katholischen, lutherischen und reformierten Konfession, war dadurch ausreichend gewährleistet, daß der Staat die Kirchen als Korporationen des öffentlichen Rechts anerkannte und sich, während des 19. Jahrhunderts und bis zum Ende der Monarchie jedenfalls noch partiell, mit ihnen und ihren hauptsächlichen Grundsätzen identifizierte. In diesem Sinne bestimmte etwa Artikel14 der Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, die bis zum Ende der Monarchie in Kraft blieb, folgendes: "Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche mit der Religionsübung im Zusammenhange stehen, unbeschadet der in Artikel12 gewährleisteten Religionsfreiheit, zum Grunde gelegt." Sowohl die religiösen Individualrechte der Angehörigen der drei großen Bekenntnisse als auch die Tätigkeit und die Rechte der Kirchen selbst wurden in der Regel einvernehmlich, oft auch erst nach langwierigen und schweren Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche im einzelnen festgelegt. So war z. B. der vom Preußischen Staat und insbesondere von Bismarck persönlich vom Zaune gebrochene sog. Kulturkampf, der bereits zur Zeit seiner Durchführung einen Anachronismus darstellte, der im Ergebnis freilich gescheiterte Versuch, die katholische Kirche in Preußen wieder auf den Zustand der staatlichen Kirchenhoheit zurückzuführen, in dem sie sich vor der Revolution des Jahres 1848 befunden hatte. Die preußischen Bischöfe hatten es nämlich 1848 verstanden, unter Ausnutzung der momentanen Schwäche des preußischen Staates, sich weithin von den Fesseln der früheren preußischen Staatskirchenhoheit zu befreien. Für den Bereich der evangelischen Landeskirchen bestand bis zum Jahre 1918 ohnehin aufgrunddes landesherrlichen Kirchenregiments der Summepiskopat des Landesherrn. So übte der König von Preußen bis zum Jahre 1918 sein Amt als oberster Bischof über seine evangelischen Untertanen durch eine Staatsbehörde aus, den Preußischen Oberkirchenrat. Die Beamten des Oberkirchenrats waren nicht Kirchenbeamte, sondern unmittelbare Staatsbeamte. Die religions- und staatskirchenrechtliche Situation in Deutschland änderte sich grundlegend mit dem Ende der Monarchie und mit dem

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Irrkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung. Dieses historische Datum bedeutet nicht nur für die deutsche Geschichte insgesamt, sondern ganz besonders für das Religions- und Staatskirchenrecht eine bedeutsame Zäsur. Artikel 137 Abs. 1 der Weimarer Verfassung bestimmt: "Es besteht keine Staatskirche". Die Staatsrechtslehre hat diese Verfassungsbestimmung von Anfang an dahingehend interpretiert, daß dadurch keineswegs eine vielfache und auch enge Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen verboten werden sollte; diese Bestimmung bringe vielmehr zum Ausdruck, daß eine Identifikation des Staates mit einer oder mehreren Kirchen oder Konfessionen nicht mehr statthaft sei und daß vor allem das landesherrliche Kirchenregiment, der Summepiskopat des Landesherrn bzw. jeder staatliche Summepiskopat, von Verfassungs wegen beseitigt sei. In vielfacher Hinsicht handelten die Kultusverwaltungen auch noch während der Weimarer Zeit auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts nach den unter der Monarchie entwickelten Kategorien. Die Religionsfreiheit wurde ausschließlich als Individualgrundrecht verstanden. Die Beamten in den staatlichen Kultusverwaltungen, die auch nach der Revolution und der Staatsumwälzung des Jahres 1918 in ihrer Stellung verblieben waren, fuhren weiterhin fort, die Kirchen, insbesondere auf dem Gebiete des Vermögensrechts, in gewohnter Weise zu kontrollieren und zu dirigieren. Der innere Zusammenhang zwischen dem Individualgrundrecht der Religionsfreiheit und der korporativen Religionsfreiheit, d. h. der Kirchenfreiheit, wurde während der Weimarer Zeit auch von der Staatsrechtslehre nicht gesehen. Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung, die aufgrund eines sehr tragfähigen Kompromisses in Weimar zwischen den Vertretern der demokratischen Parteien vereinbart bzw. ausgehandelt worden sind, haben sich als außerordentlich langlebig erwiesen. Sie wurden 1949 durch den Parlamentarischen Rat, in dem eine Einigkeit über neue Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche nicht erzielt werden konnte, durch den Artikel140 in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland inkorporiert. Artikel 140 des Grundgesetzes hat bekanntlich folgenden Wortlaut: "Die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes." Dieser Akt der Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz ist verfassungsgeschichtlich ein beispielloser Vorgang. Die bisherige staatskirchenrechtliche Entwicklung hat gezeigt, daß die Entscheidung des Parlamentarischen Rates, die bewährten Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz zu übernehmen, durchaus glücklich war.

Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit

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Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzesam 23. Mai 1949 erfolgte die Entwicklung des individuellen und korporativen Religionsrechts nicht in erster Linie durch Akte der Gesetzgebung, sondern ganz überwiegend durch Entscheidungen der obersten Gerichte, und hier vor allem des Bundesverfassungsgerichts. Das Ausmaß der dynamisierenden Macht, die den Gerichten in der Bundesrepublik zur Rechtsfortbildung übertragen ist und die sie auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts voll ausgeschöpft haben, beweist die Fülle der Entscheidungen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Gerichten aller Gerichtszweige und Instanzen in kirchlichen Angelegenheiten ergangen ist. Die Grund- und Leitentscheidungen traf dabei das Bundesverfassungsgericht, das in kontinuierlicher und behutsamer Rechtsprechung neben den individualrechtliehen Aspekten des Grundrechts der Religionsfreiheit auch den korporativen Charakter dieses Grundrechts mit aller Deutlichkeit in einer allmählichen Entwicklung akzentuiert hat. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei den wesensmäßigen Zusammenhang zwischen der individuellen Religionsfreiheit und der freien Betätigung der Kirchen und deren Selbstbestimmungs- und Selbstordnungsrecht aufgezeigt, d. h. den inneren Zusammenhang zwischen Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 140 GG i.V.m. den Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung. Die Fülle der Entscheidungen der Gerichte der Bundesrepublik zu religionsrechtlichen Fragen ist kaum mehr überschaubar. Das Religions- und Staatskirchenrecht spielt in der Rechtsprechung eine bedeutsame Rolle. Diese Judikatur ist, wenn auch nicht ganz vollständig, enthalten in der Sammlung "Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946", die am Institut für Kirchenrecht und Rheinische Kirchenrechtsgeschichte an der Universität zu Köln herausgegeben wird und im Verlag Walter de Gruyter, Berlin, erscheint. Von dieser Sammlung liegen gegenwärtig inzwischen 16 Bände vor. 2

II. Die Einzelelemente des Individualgrundrechts der Religionsfreiheit und die korporative Religionsfreiheit Die zentrale grundrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit findet sich in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG: 2 Die "Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946" werden gegenwärtig herausgegeben von Hubert Lentz, Dietrich Pirson, Manfred Baldus. Der bisher letzterschienene 16. Band, Berlin: Walter de Gruyter 1982, umfaßt den Zeitraum vom 1. Januar 1977 bis 30. Juni 1978. Die Edition der Reihe "Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946" wird fortgesetzt. Die Zahl der Entscheidungen in kirchlichen Streitsachen zeigt eine steigende Tendenz.

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.Freiheit der Religion und des Gewissens

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. In Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1-4 WeimRV werden einzelne individualrechtliche Gewährleistungen und in den die Kirchenfreiheit betreffenden Bestimmungen des Art. 137 Abs. 1-3 WeimRV einzelne Aspekte der Kirchenfreiheit, d. h. der korporativen Religionsfreiheit, noch in besonderer Weise hervorgehoben. Bei diesen Verfassungsbestimmungen des Art. 140 handelt es sich prozessual um eigenständige spezielle verfassungsrechtliche Anspruchsnormen; inhaltlich sind sie als Determinationen, Konkretisierungen und, rechtssystematisch gesehen, deklaratorische Verdeutlichungendes damit zur vollen Aktualisierung gelangten Grundrechts der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu qualifizieren. Die Religionsfreiheit erweist sich somit als ein komplexes Grundrecht, das gleichermaßen individualrechtlich und korporativ ist. Neben diesen primären religionsrechtlichen Garantien sollen wenigstens noch zwei weitere Grundrechtsgarantien erwähnt werden, die dem Religionsrecht zuzuordnen sind, nämlich das in Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern gewährleistete Erziehungsrecht und das in Art. 7 Abs. 2 GG den Erziehungsberechtigten garantierte Grundrecht, über die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht zu bestimmen. 1. Die Religionsfreiheit als Individualrecht

Zwischen den Einzelbestandteilen des Grundrechts der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, nämlich der Glaubensfreiheit, der Gewissensfreiheit, der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit und der freien Religionsausübung, bestehen inhaltliche Überlagerungen und Überschneidungen. Es ist nicht möglich, diese Einzelelemente ihrem Rechtsgehalt nach mit Schärfe voneinander abzugrenzen. Dennoch verlangen der objektive Wortlaut und die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungen, im Interesse des rechtlichen Schutzes der Religionsfreiheit mit Deutlichkeit verschiedene Bereiche, Stufen und Schichten des Grundrechts der Religionsfreiheit voneinander abzuheben. Die Glaubensfreiheit bildet dabei den uneinschränkbaren Kernbereich des Grundrechts der Religionsfreiheit. Sie ist in weitgehendem Maße ein reines Internum. Einer rechtlichen Regelung ist sie nur unter der Rücksicht zugänglich, daß es dem Staat verwehrt ist, auf die Bildung von Glaubensüberzeugungen Einfluß zu nehmen. Historisch ge-

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sehen, verzichtet der Staat mit der Garantie der Glaubensfreiheit auf das in früherer Zeit von ihm in Anspruch genommene "ius reformandi". Zur Glaubensfreiheit gehört notwendig auch die Glaubenswahlfreiheit in ihren sämtlichen Vorstadien, wie die Befugnis, sich einer Glaubensgemeinschaft suchend zuzuwenden, Informationen über sie einzuholen und sich mit ihrer Lehre vertraut zu machen. Dieses Grundrecht besteht auch gegenüber dem eigenen Ehegatten. Bei der Bestimmung der Religionszugehörigkeit ihrer Kinder handeln die Eltern "kraft ihrer Elternverantwortung für das Kind", das ihrer Hilfe bedarf, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln (BVerfGE 30, S. 415, 424). Während die Glaubensfreiheit eher die "innere" Seite der Religionsfreiheit schützt, umfaßt die Bekenntnisfreiheit das Recht, religiöse sowie religiös motivierte moralische Überzeugungen überall in der Öffentlichkeit zu vertreten. Die Bekenntnisfreiheit gewährleistet die Ausübung der Religion in jeder Form, privat und öffentlich, allein und in Gemeinschaft. Sie umfaßt die Freiheit der Werbung für den eigenen und der Abwerbung von einem anderen Glauben, sie sog. Missionsfreiheit, und auch die Glaubensabwerbung unabhängig von einer eigenen Glaubenswerbung. Mit dieser Problematik hatte sich das Bundesverfassungsgericht im sog. Tabak-Fall zu befassen, seiner ersten Leitentscheidung zum Religionsrecht, in dem ein Strafgefangener in der Strafhaft unter seinen Mitgefangenen für den Kirchenaustritt geworben und ihnen für den Fall der tatsächlichen Erklärung des Kirchenaustritts seine Tabakration versprochen hatte (BVerfGE 12, 1).

Das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG verweist religionsgeschichtlich auf das exercitium religionis publicum, die Kultusfreiheit des Religionsrechts des alten Deutschen Reichs. Inhaltlich deckt sich die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 weithin mit der Freiheit des religiösen Bekenntnisses in Art. 4 Abs. 1. Wegen der massiven Verletzungen der ungestörten Religionsausübung während des Dritten Reichs hat der Parlamentarische Rat, gewissermaßen als Reaktion gegen diese Störungen und Verletzungen der Religionsausübung, in Art. 4 Abs. 2 klargestellt, daß, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, Träger dieses Grundrechts auch eine Gemeinschaft sein kann, deren religiöses Daseins- und Betätigungsrecht hinsichtlich der Form und des Inhalts, der Teilnahme und der Art der Ausübung ihrer Religion nicht nur in Haus und Familie, sondern auch in der Öffentlichkeit geschützt ist.

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Schützt das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung eher das gemeinsame kultische Handeln, so hat die Garantie der Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WeimRV die freie Gründung von Religionsgemeinschaften zum Gegenstand. Hierbei handelt es sich gegenüber dem allgemeinen Assoziationsrecht des Art. 9 Abs. 1 GG um ein eigenständiges Grundrecht der Religionsgemeinschaften. Der Inhalt der Freiheit des Gewissens in Art. 4 Abs. 1 GG war in der Literatur in neuerer Zeit Gegenstand vielfacher, intensiver und kontroverser Erörterungen. Im Reichsrecht des früheren Deutschen Reichs bedeutete die Gewissensfreiheit ursprünglich das Recht der privaten Hausandacht, d. h. die Befugnis, innerhalb der vier Wände seines Hauses einem anderen Glauben anzuhängen und nachzuleben als der Staatsreligion. Die Rechtsprechung versteht die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG als religiös, weltanschaulich oder ethisch motivierte Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. An den Rang einer Gewissensentscheidung stellt die Rechtsprechung mit Recht hohe Anforderungen. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß sich ein Anwalt gegenüber der für Rechtsanwälte kraft Gesetzes oder auch Gewohnheitsrechts bestehenden Standespflicht, vor Gericht in Amtstracht (Robe) aufzutreten, nicht auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen könne mit der Begründung, sein Gewissen hindere ihn, dem ungerechtfertigten Zwang zu einer "Kleiderordnung" nachzukommen (BVerfGE 28, 21, 23). Ebenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt der Weigerung von Eltern, ihre Kinder auf die obligatorische Förderstufe der hessischen Schulen zu schicken, nicht der "Rang einer Gewissensentscheidung" zu (BVerfGE 34, 165, 195). Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen des Art. 4 Abs. 3 GG ist zwar, historisch gesehen, ein von der religiösen Gewissensfreiheit abgeleitetes Grundrecht; dieses hat sich aber gegenüber dem Grundrecht der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG so weit verselbständigt, daß es heute gegenüber diesem Grundrecht eine eigenständige und aus der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG nicht deduzierbare grundrechtliche Garantie darstellt. Lediglich wegen des "Gleichklangs" des Begriffs "Gewissen" in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 3 GG ist die Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 GG geregelt worden. Rechtssystematisch wäre es dringend zu wünschen, daß die Kriegsdienstverweigerung in einem eigenen Artikel geregelt wäre.

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2. Die Religionsfreiheit als korporatives oder Verbandsgrundrecht

Das entscheidende Novum auf dem Gebiete des Religionsrechts unter der Herrschaft des Grundgesetzes stellt die Tatsache dar, daß, nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch die Rechtsprechung die Inanspruchnahme des Grundrechts der Religionsfreiheit nicht nur der Einzelperson, sondern auch den Religionsgemeinschaften als solchen zuerkannt wurde. Es handelt sich hierbei nicht nur um das Recht der gemeinschaftlichen Religionsausübung einzelner, das im herkömmlichen Sinne durch das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung, d. h. durch die Kultusfreiheit, abgedeckt wurde, sondern um ein neues korporatives Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit. Die Religionsfreiheit ist nicht nur Individualgrundrecht, sondern auch Verbandsgrundrecht und steht den Religionsgemeinschaften als solchen zu. Erst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die korporativen Bezüge des Grundrechts der Religionsfreiheit mit letzter Deutlichkeit hervortreten lassen. Damit ist nicht nur den Einzelpersonen, sondern auch den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein grundrechtlich gesicherter Freiheitsraum eröffnet worden. Den Vorreiter dieser Rechtsprechung bildete das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung des VII. Senats vom 8. 2. 1963. Soweit feststellbar, hat erstmals das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 3 GG, "Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind", entschieden, daß sich auch die Religionsgemeinschaften als solche, nicht nur deren einzelne Gläubige, auf das Grundrecht des Artikels 4 berufen können (NJW 1963, 1170). Wie überhaupt das Bundesverwaltungsgericht, und insbesondere dessen VII. Senat, der überwiegend für Kirchensachen zuständig ist, auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts kontinuierlich eine überzeugend begründete, in ihren Aussagen sichere und wissenschaftlich hochstehende Rechtsprechung entwickelt hat, die, soweit feststellbar, durchweg vom Bundesverfassungsgericht anerkannt und bestätigt und zum Teil auch von ihm argumentativ übernommen worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von bedeutsamen Entscheidungen die Rechtsprechung zur Grundrechtsträgerschaft der Religionsgemeinschaften fortentwickelt und entschieden, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht nur den Einzelpersonen, sondern auch den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und darüber hinaus auch solchen Vereinigungen zusteht, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen und weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziele gesetzt haben, wie z. B. Ordensgemeinschaften (BVerfGE 19, 1, 5; 24, 236 LS 1 und S. 243). Damit war durch die Rechtsprechung neben dem individualrechtliehen

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auch der korporative Charakter des Grundrechts der Religionsfreiheit in vollem Umfang anerkannt worden. Ein- jedenfalls bisher- gewissermaßen letztes bedeutsames, in der Literatur kontrovers diskutiertes Grundproblem der Kirchenfreiheit bildete der innere Zusammenhang und das gegenseitige Verhältnis des Grundrechts der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und der institutionellen Garantie des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV. Vordergründig stellte sich dieses Problem als ein verfassungsprozessuales. Es ging dabei um die Frage, ob von den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften eine Verfassungsbeschwerde auch in denjenigen Fällen erhoben werden könne, in denen durch die staatliche Gewalt ein Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 Abs. 3 WeimRV erfolgt war. Bei einer Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts besteht für die Kirchen nur dann die Möglichkeit, sich mit der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht zu wenden, wenn ein Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zugleich auch eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG darstellt; denn § 90 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes gewährt eine Befugnis, eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben nur dann, wenn jemand behauptet, durch die öffentliche Gewalt "in einem seiner Grundrechte" bzw. in einigen anderen enumerativ aufgezählten Rechten verletzt zu sein. In der sog. Bremer Pastorenentscheidung, die aufgrund einer Verfassungsbeschwerde der Bremischen Evangelischen Kirche am 21. September 1976 ergangen ist, hat das Bundesverfassungsgericht zu dieser prozessualen Frage ausgeführt, daß die Kirche in ihrem Status und in einem ihr zukommenden Grundrecht gleichzeitig verletzt sein könne. Ein Teilaspekt des in den Kirchenartikeln des Art. 140 GG geregelten "Status-Verhältnisses" werde auch von Art. 4 GG erfaßt, soweit in ihm u.a. die gemeinsame Bekenntnis- und Kultusfreiheit- einschließlich ihrer Ausübung im Bekenntnis und Kult innerhalb der organisierten Kirche - als Grundrecht garantiert sei. Das Gericht erklärte, daß es Tatbestände innerhalb des Bereichs der Kirche gebe, zu denen z. B. das kirchliche Amt gehöre, die zugleich als wesentlicher Bestandteil der Kirchenverfassung zur staatskirchenrechtlichen Ordnung (Art. 140 GG) rechnen und in ihrer funktionalen Bedeutung auf Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der kollektiven kirchlichen Bekenntnis- und Kultusfreiheit (Art. 4 GG) angelegt sind (BVerfGE 42, 312, 322 f.). Seither hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt Verfassungsbeschwerden der Kirchen angenommen, die in ihrem Schwerpunkt die Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts betrafen und auf

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Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gestützt worden sind.

m. Extensive Interpretation des Begriffs der Religionsausübung Gegenüber dem Begriff der Religionsfreiheit, wie er während des vergangenen Jahrhunderts und bis zum Irrkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung von der Staatsrechtslehre interpretiert und in der Staatspraxis angewandt wurde, zeigt das heutige Verständnis der Religionsfreiheit wesentliche und bedeutsame Unterschiede. Wie bereits dargelegt, wurde im 19. Jahrhundert und im Grunde bis zum Ende der Monarchie die Religionsfreiheit als ausschließlich individualrechtliebes negatives Abwehrrecht von Dissidenten gegenüber den Großkirchen und dem Staat verstanden. Demgegenüber besagt die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte zentrale Interpretationsmaxime für das Grundrecht der Religionsfreiheit, daß diese - ebenso wie die übrigen Grund- und Freiheitsrechte- in erster Linie zum Schutz der positiven Inanspruchnahme gewährleistet ist und daher der Begriff der Religionsausübung "gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv ausgelegt werden" muß. Dem freiheitlichen Charakter des Grundgesetzes entspricht es, daß sich die Freiheit der Religionsausübung nicht nur auf die christlichen Kirchen, sondern auch auf andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erstreckt. Dies folgt im einzelnen aus dem für den Staat verbindlichen Gebot zu weltanschaulich-religiöser Neutralität und aus dem Grundsatz der religionsrechtlichen Parität der Kirchen und einzelnen Bekenntnisse. Daher darf, wie das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben hat, auch die in Art. 4 Abs. 2 GG ausdrücklich gewährleistete Kultusfreiheit, also das Recht auf gemeinsame Religionsausübung, nicht enger ausgelegt werden als die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Deshalb gehören zur Religionsausübung nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung zahlreicher religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens (BVerfGE 24, 236, 246). Insbesondere gehören, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden hat, auch Karitas und Diakonie zu der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung. In dem sog. "Lumpensammlerfall", bei dem es um eine von der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands überregional durchgeführte Altkleidersammlung ging, deren Erlös religiösen Zwecken zugeführt werden sollte, hat das Bun-

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desverfassungsgericht entschieden, daß die verfassungsrechtlich geschützte Religionsausübung auch das Recht gewährleiste, Sammlungen für kirchliche und religiöse Zwecke zu veranstalten und zu diesen durch Kanzelabkündigungen aufzurufen. Auch das karitative Wirken der Kirche als wesentliche kirchliche Grundfunktion, und hierbei in erster Linie die kirchlich getragene Krankenpflege, bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Form der in Art. 4 Abs. 2 GG grundrechtlich geschützten Religionsausübung (BVerfGE 53, 366-420). Mit dieser extensiven Interpretation des Begriffs der Religionsausübung, die sämtliche Formen religiöser Betätigung, und zwar sowohl diejenigen der Einzelperson und der religiösen Vereinigungen als auch der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach deren jeweiligem Selbstverständnis, erlaßt, wird das Bundesverfassungsgericht dem Wesen der Religion, insbesondere nach dem Verständnis des Christentums, die auch auf die gemeinschaftliche Verwirklichung ihrer Lehren im praktischen Leben ausgerichtet ist und sich nicht nur auf das Kultische beschränkt, in vollem Umfang gerecht.

IV. Positive und negative Religionsfreiheit Von weittragender Bedeutung für die Bestimmung des Stellenwerts, der der Religionsfreiheit und ihrer positiven Inanspruchnahme in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland zukommt, ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des sich diesem Gericht anschließenden Bundesverfassungsgerichts zum gegenseitigen Verhältnis der sog. positiven und negativen Religionsfreiheit. Hierbei geht es letztlich um die Frage, inwieweit eine positive Inanspruchnahme des Grundrechts der Religionsfreiheit in den Einrichtungen des Staates, insbesondere im Schulwesen, verfassungsrechtlich zulässig ist. Es geht auch um die Bestimmung des Verständnisses des religiös-neutralen Charakters des Staates. Den Anlaß zu der Judikatur zu dieser Frage und zum Entstehen der sie begleitenden umfangreichen staatskirchenrechtlichen literarischen Auseinandersetzungen bildete das bekannte Schulgebetsurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 27. Oktober 1965. Keine andere gerichtliche Entscheidung hat seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts bisher eine so große Publizität erlangt, auch so viel Widerspruch herausgefordert und eine so intensive Diskussion ausgelöst, wie diese Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs.

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Es ging dabei um die Frage, ob in einer öffentlichen hessischen Volksschule, die schulrechtlich dem TYP der christlichen Gemeinschaftsschule zuzuordnen ist, ein überkonfessionelles, vor Beginn des Unterrichts verrichtetes Schulgebet für einen Schüler, der dieses Gebet ablehnt, eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 9 (Glaubensund Gewissensfreiheit) und Art. 48 Abs. 2 (Verbot der Anwendung jeglichen Zwanges zur Teilnahme an religiösen Handlungen) der hessischen Verfassung darstellt. Der hessische Staatsgerichtshof hat bekanntlich die Verrichtung eines Schulgebets bei Widerspruch auch nur eines Schülers für unzulässig erklärt. Der Gerichtshof hat seine Entscheidung im wesentlichen mit dem Argument begründet, daß ein Schüler, der der Veranstaltung eines Schulgebets ablehnend gegenüberstehe und sich deshalb am Schulgebet nicht beteilige, gezwungen werde, seine diesbezügliche abweichende religiöse Überzeugung tagtäglich zu offenbaren. Darin erblickte der Gerichtshof einen Verstoß gegen das Recht auf Verschweigen der eigenen religiösen bzw. areligiösen Überzeugung, das als "negative Bekenntnisfreiheit" verfassungsrechtlich geschützt sei. Dieses "Recht auf Schweigen" gelte, wie der Gerichtshof erklärte, im Gegensatz zur positiven Religionsausübung "unbedingt und ausnahmslos", es sei "weder eingeschränkt noch einschränkbar". Aus diesem Grunde könnten die übrigen Kinder der Klasse, die der Antragsteller besuche, auf dem Beten vor dem Unterricht nicht bestehen. Die positive Religionsfreiheit könne dagegen eingeschränkt werden (ESVGH 16, 1, 8 = NJW 1966, 31). In erklärtem Gegensatz zu dieser Rechtsauffassung des Hessischen Staatsgerichtshofs hat das Bundesverwaltungsgericht in einem anderen Verfahren unter Aufhebung der Urteile der beiden Vorinstanzen, des Verwaltungsgerichts Aachen und des Oberverwaltungsgerichts Münster, die sich der Rechtsprechung des Hessischen Staatsgerichtshofs angeschlossen hatten, durch Urteil vom 30. November 1973 die Veranstaltung eines Schulgebets an einer Gemeinschaftsschule des Landes Nordrhein-Westfalen für zulässig erklärt, sofern diejenigen Schüler, die am Gebet nicht teilnehmen wollten, davon befreit werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, daß die negative Bekenntnisfreiheit in diesem Fall dem widersprechenden Schüler bzw. seinen Erziehungsberechtigten kein Recht gewähre, das Schulgebet der anderen Schüler zu verhindern. Eine Verletzung des Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit eines betunwilligen Schülers komme dann nicht in Betracht, wenn dieser bzw. seine Erziehungsberechtigten die Möglichkeit haben, sich oder ihr Kind in zurnutbarer Weise der Teilnahme am Schulgebet zu entziehen. Im übrigen entspreche die aufgezeigte Lösung des Interessenkonflikts dem in Art. 4 Abs. 7 Sbd. List!

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1 GG enthaltenen Toleranzgebot Zur Einübung solcher gegenseitiger Toleranz könne, so erklärte das Bundesverwaltungsgericht, auch ein Schulgebet dienen, wenn es sich in dem dargelegten Rahmen halte (BVerwGE 44, 196, 199 ff). Das Bundesverfassungsgericht hat am 16. Oktober 1979, d. h. nach vollen sechs Jahren, eine gegen die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erhobene Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen und die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts im Ergebnis in vollem Umfang bestätigt. 3 In seiner eingehend begründeten Entscheidung zur Zulässigkeit der Veranstaltung eines Schulgebets auch bei Widerspruch eines oder mehrerer Schüler hat das Bundesverfassungsgericht durch seine Interpretation der Verfassung endgültig klargestellt, daß in das Grundgesetz auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts nicht Vorstellungen eines laizistischen Trennungsmodells, wie es z. B. der französischen Verfassung zugrunde liegt, hineingetragen werden dürfen. Die positive Ausübung des Grundrechts der Religionsfreiheit darf somit nicht unter Berufung auf die negative Religionsfreiheit unterbunden werden. Das Problem der negativen Religionsfreiheit ist auch in anderen Zusammenhängen von aktueller Bedeutung: Eine Verpflichtung zur Angabe der Religionszugehörigkeit besteht z. B. gegenüber der Meldebehörde und auf der Lohnsteuerkarte. Patienten dürfen, auch wenn sie in staatliche Krankenanstalten eingeliefert werden, nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt werden, sofern sich bereits aus der Fragestellung ergibt, daß eine Beantwortung dieser Frage auch abgelehnt werden kann. Eine weitere Erscheinungsform der negativen Religionsfreiheit bildet im Kirchensteuerrecht die sog. negative religiöse Finanzierungsfreiheit. Aus ihr leitet sich der das gesamte Kirchensteuerrecht durchziehende Grundsatz her, daß jedes Kirchensteuergesetz des Staates mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, das Personen, die einer steuerberechtigten Religionsgemeinschaft nicht angehören, verpflichtet, an diese Religionsgemeinschaft Kirchensteuern zu entrichten. Eine Ausprägung der negativen Religionsfreiheit ist ferner die Möglichkeit der Abmeldung vom Religionsunterricht und die in den Kirchenaustrittsgesetzen eröffnete Möglichkeit der Erklärung des Kirchenaustritts. 3 BVerfGE 52, S. 223 = DÖV 1980, S. 233 mit ablehnender Anmerkung von Ernst-Wolfgang Böckenförde; dagegen mit zustimmender Anmerkung von Ulrich Scheuner, DÖV 1980, S. 513; abschließendes kritisches Schlußwort von Ernst-Wolfgang Böckenförde, DÖV 1980, S. 515. Vgl. hierzu ferner Christoph Link, Die Schulgebetsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1980, s. 564ff.

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V. Die Bedeutung des Toleranzgrundsatzes Der erforderliche Ausgleich zwischen den verschiedenen Aktualisierungsformen der positiven und negativen Religionsfreiheit muß im konkreten Fall jeweils auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Gebotes zu religiöser Toleranz gefunden werden. Die neuere Rechtsprechung zum Grundrecht der Religionsfreiheit stimmt darin überein, daß auf dem Gebiet der Religion das dem Grundrecht der Religionsfreiheit immanente Gebot zu religiöser Toleranz zu den ungeschriebenen obersten Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes zu zählen ist. Verschiedene Länderverfassungen nennen die Toleranz ausdrücklich unter den obersten Verfassungsprinzipien. Erst die Verwirklichung dieses immanenten Verfassungsgebotes zur Toleranz ermöglicht in einem Staat mit einer religiös pluralistischen und heterogenen Gesellschaft ein friedliches Zusammenleben aller Bürger und ein Höchstmaß an freier und allgemeiner Religionsausübung. Dabei darf nicht übersehen werden, daß der Begriff der Toleranz im Religionsrecht der letzten 200 Jahre ebenfalls einen bedeutsamen inhaltlichen Wandel durchgemacht hat. Die "religiöse Toleranz", wie sie in der Aufklärungszeit in den Toleranzedikten und -patenten gewährt wurde, bestand in einer bloßen staatlichen Duldung religiöser Bekenntnisse, die von der Staatsreligion oder den anerkannten Religionsgemeinschaften abwichen oder auch in der Duldung irreligiöser Überzeugungen. Ein Staat, wie die Bundesrepublik Deutschland, der von Verfassungs wegen zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist, kann in diesem Sinne gegenüber seinen Bürgern nicht mehr "Toleranz" üben; er darf vielmehr bei der Behandlung der verschiedenen Religionsgemeinschaften und ihrer Gläubigen wegen ihrer religiösen Lehren und hinsichtlich ihrer religiösen Betätigungsrechte keinen Unterschied machen. Eine Unterscheidung zwischen "anerkannten" und anderen, lediglich "geduldeten", im Sinne des früheren Religionsrechts lediglich "tolerierten" Religionsgemeinschaften, die in der Ausübung ihrer Religionsrechte beschränkt wären, wäre mit dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährt jedem Einzelnen und jeder Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft in gleicher Weise das Recht zur Werbung für den eigenen und zur Abwerbung von einem fremden Glauben, die sog. "Missionsfreiheit". Wie dargelegt, schließt dieses Recht auch die Befugnis zur Glaubensabwerbung, unabhängig von einer Glaubenswerbung ein. Sofern kann der religiös-neutrale Staat heute nicht mehr Toleranz üben oder gewähren, sondern er muß allgemeine Religionsfreiheit gewährleisten (BVerfGE 12,1, 3). Das Verständnis der Toleranz hat daher im religiös-neutralen Staat gegenüber dem früheren "christlichen" Staat einen wesentlichen Be-

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deutungswandel erfahren. Toleranz ist heute ein Gruppenrecht und eine Gruppenpflicht. Heute verlangt das Toleranzgebot die Achtung vor der abweichenden religiösen Überzeugung anderer. Die gegenseitige Toleranz bildet die Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben der einzelnen Staatsbürger und vor allem für die Koexistenz verschiedener religiöser Überzeugungen und Gruppen unter dem Dach der gemeinsamen staatlichen Ordnung. Von den einzelnen Staatsbürgern verlangt das Toleranzgebot die Achtung der Würde, der Persönlichkeit und der abweichenden religiösen Auffassung und Gewissensentscheidung des anderen und die Mäßigung exzessiver Forderungen und Ansprüche bei der Verwirklichung der eigenen religiösen Vorstellungen, insbesondere im staatlichen und öffentlichen Bereich, wie z. B. im Schul- und Bildungswesen. Ebenso sind auch die Religionsgemeinschaften und die religiösen und weltanschaulichen Gruppen verpflichtet, anderen konkurrierenden Gemeinschaften und Gruppen auf der Grundlage der für alle gleichermaßen geltenden Ordnung das gleiche Existenzrecht zuzuerkennen. Wie Ulrich Scheuner hierzu ausgeführt hat, bedeutet Toleranz niemals nur die Verwirklichung des eigenen Standpunktes, sondern stets auch Rücksicht auf die anderen. Wenn der nicht religiös Gesonnene um des Nichtbekennens der eigenen Meinungwillen die Kundgabe jeder religiösen Überzeugung im öffentlichen Bereich hindem könnte, so würde das Intoleranz, nicht Freiheit begründen. 4 Es gehört gewiß zu den schwierigen und immer wieder neu zu lösenden Aufgaben des Staates, im Rahmen der von ihm zu schaffenden und zu wahrenden Friedensordnung, die auch den religiösen Frieden einschließt, zwischen den divergierenden Ansprüchen und Interessen religiöser Gruppen und Gemeinschaften bei der Gewährleistung der individuellen und korporativen Religionsfreiheit einen gerechten Ausgleich herbeizuführen. Der hierbei notwendigerweise zu erzielende Kompromiß darf sich nicht am niedrigsten gemeinsamen Nenner orientieren, sondern muß, wie der frühere Bundesverfassungsrichter Erich Stein einmal erklärt hat, ein Optimum an positiver Freiheit ermöglichen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Entscheidung der Frage der Zulässigkeit der Veranstaltung eines Schulgebetes auch bei Widerspruch eines Schülers bzw. dessen Erziehungsberechtigten zutreffend 4 Ulrich Scheuner, Wandlungen im Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ulrich Scheuner, Schriften zum Staatskirchenrecht. Hrsg. von Joseph Listl, Berlin 1973, S. 250 f. (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 3); ders., Das System der Beziehungen von Staat und Kirche im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Emst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Band 1, Berlin 1974, S. 53 ff.

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ausgeführt, daß es sich hierbei letztlich um ein Toleranzproblem handle. Das Bundesverfassungsgericht hat sich diese Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts später zu eigen gemacht. Das Bundesverwaltungsgericht hat im einzelnen ausgeführt, daß der Freiwilligkeitscharakter des Schulgebets und die Möglichkeit, dem Schulgebet sich in zurnutbarer Weise zu entziehen, d. h. die aufgezeigte Lösung des Interessenkonflikts, dem in Art. 4 Abs. 1 GG enthaltenen Toleranzgebot entspreche. Zum friedlichen Zusammenleben in einer Gemeinschaft gehöre es, daß die Schüler lernten, die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren, auch dann, wenn man sie selbst nicht mitvollziehen könne oder wolle. Zur Einübung solcher gegenseitiger Toleranz könne daher auch ein Schulgebet dienen, wenn es sich in dem dargelegten Rahmen halte. 5 Eine zentrale Rolle hat das Bundesverfassungsgericht dem Toleranzgebot z. B. in drei Entscheidungen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der in den Bundesländern Baden-Württemberg6 , Bayern 7 und Nordrhein-Westfalen8 bestehenden spezifischen Formen der christlichen Gemeinschaftsschule zugewiesen. Diese drei Entscheidungen sind am selben Tag, dem 17. Dezember 1975, ergangen. Die aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit erfließende Problematik dieser auf Verfassungsbeschwerden hin ergangenen Entscheidungen lag darin, daß diese "christlichen Gemeinschaftsschulen" auch von einer Minderheit von Schülern besucht werden müssen, die bzw. deren Erziehungsberechtigte keinen christlichen Bekenntnissen angehören. Das Bundesverfassungsgericht hat die Schulform der "christlichen Gemeinschaftsschule" dennoch für verfassungsgemäß erklärt und in ihrer Existenz keine Verletzung des Grundrechts der Religionsfreiheit der nichtchristliehen Schüler erblickt. 9 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesen Entscheidungen übereinstimmend ausgeführt, daß Art. 4 GG einerseits das Recht der Eltern einschließe, "ihrem Kind die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Erziehung zu vermitteln"; andererseits sei es Aufgabe des demokratischen Landesgesetzgebers, das im Schulwesen Vgl. BVerwGE 44, S. 196, 199 ff.; BVerfGE 52, S. 223 ff. BVerfGE 41, S. 29 ff. 7 BVerfGE 41, S. 65 ff. a BVerfGE 41, S. 88 f. 9 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in diesen drei Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit der christlichen Gemeinschaftsschulen sowohl im Ergebnis als auch in den Begründungen weithin Vorstellungen angeschlossen, wie sie Ulrich Scheuner in seinem Beitrag" Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschulen", in: Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag am 1. September 1971, München 1971, S. 307-328, vertreten hatte. 5

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unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen "negativer" und "positiver" Religionsfreiheit nach dem Prinzip der "Konkordanz" zwischen den verschiedenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern zu lösen. Eine Schulform, die weltanschauliche und religiöse Zwänge soweit irgend möglich ausschalte sowie Raum für eine sachliche Auseinandersetzung mit allen religiösen und weltanschaulichen Auffassungen- wenn auch von einer christlich bestimmten Orientierungsweise her- biete und dabei das Toleranzgebot beachte, führe Eltern und Kinder, die eine religiöse Erziehung ablehnten, nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und Gewissenskonflikt. Das Bundesverfassungsgericht verlangte von den Bundesländern gegenüber den nichtchristliehen Schülern ein Höchstmaß an Toleranz. Dies bedeutet im Ergebnis, daß die christliche Gemeinschaftsschule, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, "keine missionarische Schule sein und keine Verbindlichkeit christlicher Glaubensinhalte beanspruchen" kann. Sie muß vielmehr auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. Unter Verweisung auf das verfassungsrechtliche Toleranzgebot hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluß vom 21. Dezember 1977 auch die Erteilung einer Sexualerziehung in der Schule für verfassungsrechtlich zulässig erklärt. Das Gericht hat hierbei ausgeführt, daß die Eltern bei der Durchführung der Sexualerziehung aufgrund der Vorschriften des Grundgesetzes (Art. 4, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG) die gebotene Zurückhaltung und Toleranz verlangen können. Die Schule müsse den Versuch einer Indoktrinierung der Schüler mit dem Ziel, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen, unterlassen. Sie habe das natürliche Schamgefühl der Kinder zu achten und müsse allgemein Rücksicht nehmen auf die religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern, soweit sie sich auf dem Gebiet der Sexualerziehung auswirken (BVerfGE 47, S. 46, 76 f. und Leitsatz 2). VI. Einzelbereiche der Rechtsprechung

Im Rahmen dieser Ausführungen ist es bedauerlicherweise nicht möglich, die Rechtsprechung zur individuellen und korporativen Religionsfreiheit auf den verschiedenen Gebieten, auf denen sich Religion aktualisiert, im einzelnen zu analysieren. Erst bei der Betrachtung des konkreten und aus dem Leben gegriffenen Falles zeigen sich die komplexen Fragen und Dimensionen, die sich bei der Lösung religionsrechtlicher Probleme im Grenzgebiet zwischen Staat und Kirche ergeben. Erst die Rechtsprechung hat, wie bereits bemerkt, während der

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vergangenen 35 Jahre unser heutiges freiheitliches Religions- und Staatskirchenrecht entwickelt und ausgebaut. Die Rechtsprechung zum Grundrecht der Religions- und Kirchenfreiheit erlaßt im Grunde sämtliche Rechtsbereiche. Besonders viele Entscheidungen ergingen im Bereich des Schul- und Bildungswesens, des Kirchensteuerrechts und des Kirchenaustrittsrechts, wobei es in vielen Fällen um die Zulässigkeit sog. "modifizierter" Kirchenaustrittserklärungen ging. Bei dieser Form des Kirchenaustritts erklärt der Austretende, daß er aus seiner Kirche lediglich in der Eigenschaft als steuerberechtigte Körperschaft des öffentlichen Rechts austrete, jedoch seiner Kirche als Glaubensgemeinschaft weiterhin in Treue verbunden bleibe. Verkürzt gesprochen, der Kirchenaustritt solle sich lediglich auf die "Steuerkirche", jedoch nicht auf die "Glaubenskirche" beziehen. Die Rechtsprechung neigte anfangs dazu, derartige Erklärungen für zulässig zu erachten, später hat sie sie für unzulässig erklärt. Während der letzten zehn Jahre wurden nahezu in sämtlichen Bundesländern die Kirchenaustrittsgesetze dahingehend novelliert, daß die Erklärung des Kirchenaustritts keinerlei Zusatz oder Einschränkung enthalten dürfe. Auch im Bereich des Privatrechts, insbesondere des Familien- und Erziehungsrechts, sind bedeutsame gerichtliche Entscheidungen ergangen. Während der letzten Jahre spielt das Arbeitsrecht im Bereich des Religions- und Staatskirchenrechts eine besondere Rolle. Hierbei geht es im individuellen Arbeitsrecht um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen kirchlichen Bediensteten und Arbeitnehmern bei Verstößen gegen spezifische kirchliche Loyalitätspflichten seitens der Kirche gekündigt werden darf. Bei der Frage, ob bei schwerwiegenden Verstößen kirchlicher Bediensteter gegen die Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre ihrer Kirche eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist, vertritt das Bundesarbeitsgericht Vorstellungen einer sog. "abgestuften" Loyalität. Nur Personen, die unmittelbar am spezifischen Verkündigungsauftrag der Kirche Anteil haben und deren Tätigkeit durch eine sog. Außenbeziehung mit unmittelbarem Kontakt zu den Gläubigen gekennzeichnet ist, können nach diesen Vorstellungenaufgrund einer Kündigung entlassen werden, nicht jedoch Personen, die lediglich im Innenbereich einer kirchlichen Einrichtung tätig sind oder lediglich technische Dienste verrichten, wie z. B. eine lediglich mit Schreibarbeiten beschäftigte Stenotypistin oder Sekretärin eines evangelischen Landesbischofs oder eines bischöflichen Generalvikars. Die Kirchen dagegen vertreten die Auffassung, daß alle im kirchlichen Dienst Beschäftigten eine Dienstgemeinschaft bilden, der auch diejenigen Dienstnehmer angehören, die nur im Innenbereich kirchlicher Institutionen tätig sind. Die Rechtsprechung auf diesem Gebiet ist gegenwär-

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tig noch im Flusse. Zu dieser Frage, inwieweit die Kirchen aufgrund des ihnen verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts nach ihrem Selbstverständnis darüber bestimmen können, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung kirchlicher Dienstnehmer bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre gerechtfertigt ist, sind seit November 1983 zwei Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht anhängig, die sich gegen zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 1982 wenden. 10 Ein zweiter Problembereich, der auf dem Gebiete des Arbeitsrechts während der letzten Jahre sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch das Bundesverfassungsgericht, das in zwei Fällen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben hat, beschäftigt hat, betrifft das kollektive kirchliche Arbeitsrecht. Die evangelische und katholische Kirche vertreten in ihrer Lehre und Praxis die Auffassung, daß in den kirchlichen und kirchlich-karitativen Einrichtungen, wie dies durch das Betriebsverfassungs- und das Personalvertretungsgesetz ausdrücklich ermöglicht wird, kircheneigene Mitarbeitervertretungen bestehen sollen. Beide Kirchen haben während der letzten Jahre ein eigenes kirchliches Mitarbeitervertretungsrecht entwickelt und dieses in starkem Maße ausgebaut. Auf diesem Gebiet begegnet die Kirche gegensätzlichen Interessen der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Vor etwa zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht unter Aufhebung eines entgegenstehenden Urteils des Bundesarbeitsgerichts 11 entschieden, daß betriebsfremden Gewerkschaftsangehörigen kein Zutrittsrecht zu kirchlich-karitativen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung zusteht. 12 Diese Entscheidung hat bei der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr eine erhebliche Kritik hervorgerufen. 13 1o BAG, Urteil vom 21. 10. 1982 (2 AZR 591/80), KirchE, Bd. 20, 160 (mit umfangreichen weiteren Hinweisen auf die Entscheidungen der früheren Instanzen) = NJW 1984, S. 826; BAG, Urteil vom 23. 3. 1984 (2 AZR 628/80), KirchE 22, S. 53 (mit umfangreichen weiteren Hinweisen auf die Entscheidungen der früheren Instanzen) = NJW 1984, S. 2596. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten wurden die beiden Urteile aufgehoben und die Sachen an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Vgl. BVerfG, Beschluß vom 4. 6. 1985 (2 BvR 1703/83, 1718/83 und 856/84), in: BVerfGE 70, S. 138; ferner KirchE 20, S. 160 und 22, S. 53. 11 BAG, Urteil vom 14. 2. 1978 (1 AZR 280177), NJW 1979, S. 1844. 12 BVerfGE 57, S. 220 =NJW 1981, S. 1829. 13 Zu den Rechtsfragen des kirchlichen Arbeitsrechts vgl. im einzelnen die Untersuchung von Josef Jurina, Das Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1979 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 10); ferner ders., Kirchenfreiheit und Arbeits-

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Ein neuralgischer Punkt auf dem Gebiete des Religions- und teilweise auch des Staatskirchenrechts ist gegenwärtig die Rechtsstellung der kirchlichen Krankenhäuser. Da die Pflegesätze längst nicht mehr kostendeckend sind, werden auch die kirchlichen Krankenhäuser in die Krankenhausbedarfspläne der einzelnen Bundesländer und in deren reglementierende Gesetze miteinbezogen. Hierbei können Gefährdungen der freien Betätigung der Kirchen auf dem Gebiete der Karitas und Diakonie auftreten. Es gehört in diesen Zusammenhang, daß vor drei Jahren das Bundesverfassungsgericht einige Bestimmungen des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen für kirchliche Krankenhäuser für unanwendbar erklärt hat. 14 Auf diesem Gebiet können sich in nächster Zukunft rechtliche Schwierigkeiten ergeben, die möglicherweise auch zu gerichtlichen Entscheidungen führen können.

recht, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann. Hrsg. von Joseph Listl und Herbert Schambeck, Berlin 1982, S. 795825. 14 BVerfGE, Beschluß vom 25. 3. 1980 (2 BvR 208176), BVerfGE 53, S. 366 = KirchE 18, S. 69 (mit zahlreichen Hinweisen auf frühere einschlägige Entscheidungen) = NJW 1980, S. 1895 = EuGRZ 1980, S. 295 = JZ 1980, S. 397.

Die Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in seiner nunmehr bald 40jährigen Geschichte in zahlreichen Fällen mit Fragen des Staatskirchenrechts, und hier insbesondere der Religions- und Kirchenfreiheit, zu befassen 1 . Es besteht heute sowohl bei den Vertretern der Rechtswissenschaft als auch bei den Kirchen ein breiter Konsens darüber, daß das Gericht in dem weiten Bereich des Staatskirchenrechts auf der Grundlage seiner zutreffenden Interpretation der Verfassung eine auf festen, tragenden Grundsätzen beruhende, rational nachvollziehbare, konstante, überzeugende und daher im Ergebnis Zustimmung verdienende Rechtsprechung entwickelt hat 2 Auch während des Zeitraums der vergangeneu zehn Jahre, der in dieser Darstellung behandelt werden soll, war das Bundesverfassungsgericht mit zahlreichen Problemen des Religions- und Staatskirchenrechts der unterschiedlichsten Art konfrontiert. In der Vielzahl seiner Entscheidungen hat das Gericht seine bisherige Rechtsprechung weiter ausgebaut. Die Konstanten dieser Judikatur haben dabei keine Veränderung mehr erfahren. Sie ergeben sich unmittelbar aus der Verfassung 3 . Erstveröffentlichung in: Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmte Ordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag. Herausgegeben von Hans Joachim Faller, Paul Kirchhof, Ernst Träger. Tübingen: Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1989, S. 539-579. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen. 1 Dieser Beitrag bildet die chronologische Fortsetzung des Berichts, den der Verfasser unter dem Titel "Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland" in der Festschrift für Hans R. Klecatsky: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, hrsg. von Ludwig Adamovich und Peter Pernthaler, Wien 1980, Bd. 1, S. 571-590, veröffentlicht hat. Die Rechtsprechung zur Religionsund Kirchenfreiheit im Zeitraum von 1949 bis 1970 ist dargestellt bei Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1). 2 Vgl. hierzu auch die Rechtsprechungsberichte von Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 92 (1967), S. 99-127 und AöR 106 (1981), S. 218-283.

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A. Die tragenden Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit I. Die extensive Auslegung des Begriffs der Religionsausübung Die Gesamtjudikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der individuellen und korporativen Religionsfreiheit bzw. zur Religions- und Kirchenfreiheit beruht auf dem Grundsatz, daß die Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG gegenüber ihrem historischen Verständnis extensiv auszulegen ist4 . Zur Religionsausübung zählt das Bundesverfassungsgericht neben den vielfältigen Formen herkömmlicher individueller und gemeinschaftlicher Religionsausübung auch die Verwirklichung der christlichen Karitas und Diakonie mit Einschluß der Krankenpflege. Nuraufgrund dieser extensiven Interpretation des Begriffs der Religionsausübung, die sämtliche Erscheinungsformen religiöser Betätigung, und zwar sowohl des Einzelnen und der religiösen Vereinigungen als auch der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften nach ihrem jeweiligen Selbstverständnis, umfaßt, wird das Bundesverfassungsgericht dem Wesen der Religion, die nicht nur auf die Verkündigung ihrer Lehren, sondern auch auf deren Verwirkli3 Eine grundsätzliche und radikale Bestreitung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum korporativen Grundrecht der Religionsfreiheit und zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen findet sich in jüngerer Zeit, soweit ersichtlich, nur bei Joachim Wieland, Die Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, in: Der Staat, Bd. 25 (1986), S. 321-350. Wieland verkennt den inneren wesensmäßigen Zusammenhang zwischen der individuellen Religionsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften in ihren Angelegenheiten. Er steht auch der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen extensiven Interpretation des Begriffs der Religionsausübung ablehnend gegenüber. Insoweit beruhen die Ausführungen Wielands auf Vorstellungen einer anachronistischen staatlichen Kirchenhoheit, wie sie in der deutschen Staatsrechtslehre und in der staatlichen Praxis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und fortwirkend weithin noch bis 1945 vertreten worden ist. Daß diese auch unter der Herrschaft der Weimarer Reichsverfassung noch von einigen prominenten Staatsrechtslehrern vertretenen Auffassungen sowohl mit dem ausdrücklichen Wortlaut als auch mit dem freiheitlichen Geist dieser Verfassung in Widerspruch standen, hat Godehard Josef Ebers in seinem bedeutenden Werk "Staat und Kirche im neuen Deutschland", München 1930, S. 26 ff., 119 ff., 253 ff. nachdrücklich und überzeugend dargelegt. Es gehört zu den großen Leistungen des Bundesverfassungsgerichts, durch seine Verfassungsinterpretationdem Grundrecht der Religionsfreiheit nicht nur in seinen individuellen, sondern auch in seinen korporativen Bezügen zur vollen Verwirklichung verholfen zu haben. 4 Hierzu Listl, Dieneuere Rechtsprechung (Anm. 1), S. 574 ff.; vgl. hierzu insbesondere auch BVerfGE 24, 236 (246).

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Freiheit der Religion und des Gewissens

chung im praktischen, gesellschaftlichen Leben ausgerichtet ist, in vollem Umfang gerecht.

ll. Kein Vorrang der negativen vor der positiven Religionsfreiheit Ein zweites Grundprinzip der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Religionsrecht bildet die Feststellung des Gerichts, daß das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keine Prävalenz der negativen Religionsfreiheit gegenüber der positiven Religionsfreiheit zuläßt 5 . Der notwendige Ausgleich zwischen kollidierenden Erscheinungsformen und Ansprüchen der positiven und negativen Religionsfreiheit kann nur unter Beachtung des grundgesetzliehen Toleranzgebotes gefunden werden. Der hierbei notwendigerweise zu erzielende Kompromiß darf sich jedoch nicht am niedrigsten gemeinsamen Nenner orientieren, sondern muß, da die Grundrechte um ihrer Ausübung willengewährleistet sind, ein Optimum an positiver Freiheit ermöglichen.

m. Toleranz als oberstes Verfassungsprinzip Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Religionsrecht beruht ferner auf der Feststellung, daß das dem Grundrecht der Religionsfreiheit immanente Gebot zu religiöser Toleranz zu den ungeschriebenen obersten Verfassungsprinzipien zählt6 . Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems ist die Glaubensfreiheit dem Gebot der Toleranz zugeordnet und insbesondere auf die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Würde des Menschen bezogen, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche System beherrscht. IV. Der wesensnotwendige Zusammenhang zwischen individueller Religionsfreiheit und institutioneller Kirchenfreiheit Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religionsund Kirchenfreiheit beruht ferner auf der grundlegenden Feststellung, daß zwischen dem Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und dem in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV ges Vgl. hierzu Listl, Dieneuere Rechtsprechung (Anm. 1), S. 576 ff.; vgl. hierzu auch BVerfGE 41, S. 29 (49); 52, S. 223 (241). 6 Vgl. Listl, Dieneuere Rechtsprechung (Anm. 1), S. 581 ff.; vgl. hierzu auch BVerfGE 32, S. 98 (109 ff.); 41, S. 29 (51), 47, S. 46 (77); 52, S. 223 (251).

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währleisteten institutionellen Selbstbestitnmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften ein wesensmäßiger innerer Zusammenhang bestehe. Dies bedeutet, daß bei Eingriffen in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die Kirchen in ihrem Status und in ihrem Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt sind. Der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck in Art. 137 Abs. 3 WeimRV ist bei der Bestimmung des Inhalts und der Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, die jeweils nur im Einzelfall erfolgen kann, "durch entsprechende Güterahwägung Rechnung zu tragen 8 . Dabei ist dem Selbstverständnis der Kirchen, soweit es im Bereich der durch Art. 4 Abs. 1 GG als unverletzlich gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung verwirklicht, ein besonderes Gewicht beizumessen. Die Garantie freier Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRVerweist sich dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als eine notwendige, jedoch rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt.

B. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Einzelfragen der Religions- und Kirchenfreiheit I. Die staatskirchenrechtliche Bedeutung der Religionszugehörigkeit

In mehreren Entscheidungen hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Verpflichtung zur Angabe der Konfessionszugehörigkeit und mit deren staatskirchenrechtlicher Tragweite zu befassen.

7 Hierzu Listl, Die neuere Rechtsprechung (Anm. 1), S. 586 ff.; vgl. hierzu auch BVerfGE 41, S. 29 (49); 52, S. 223 (251). Daß den Kirchen ungeachtet ihres Rechtsstatus als Körperschaften des öffentlichen Rechts zur Verteidigung ihrer Grundrechte der Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde zusteht, hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren neueren Entscheidungen ausdrücklich hervorgehoben. Vgl. hierzu BVerfGE 61, S. 82(102 f.); 68, S. 193 (207); 75, S. 192 (196 f.). a BVerfGE 53, S. 366 (401).

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Freiheit der Religion und des Gewissens 1. Volkszählungsgesetz 1983

In mehreren Verfassungsbeschwerden wurden die Bestimmungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Volkszählungsgesetzes (VZG) 1983 i.V.m. § 10 Abs. 3 des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke angefochten, in denen die Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen Angaben über die rechtliche Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft (§ 2 Nr. 1 VZG 1983) enthalten ist. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu festgestellt, daß diese Bestimmungen nicht gegen das Grundrecht der Beschwerdeführer auf Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG verstoßen 9 • Zur Bekenntnisfreiheit gehöre nicht nur das Recht, seine religiöse Überzeugung zu bekennen, sondern auch zu verschweigen, wie dies auch durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WeimRV besonders anerkannt sei. Diese negative Bekenntnisfreiheit werde aber durch den Vorbehalt des Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WeimRV eingeschränkt, der es den Behörden gestatte, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, wenn davon Rechte und Pflichten abhingen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordere. Eine solche zulässige Ausnahme liege hier vor, da es sich um eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung für Bundeszwecke gemäß Art. 73 Nr. 11 GG handele. Da die kirchlichen Angelegenheiten, insbesondere das Meldewesen und auch das K.irchensteuerwesen, bei denen die Angaben der Religionszugehörigkeit relevant sind, in die Kompetenz der Bundesländer gehören, sah sich das Bundesverfassungsgericht genötigt, in diesem Zusammenhang auch zu der Frage Stellung zu beziehen, ob überhaupt eine Bundeskompetenz zur Regelung der Angabe der Religionszugehörigkeit im Rahmen des Volkszählungsgesetzes bestehe. Hierzu führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß für die Beurteilung der Bundeskompetenz entscheidend sei, ob die Erhebung der Erfüllung einer Bundesaufgabe diene. Diese Voraussetzung sei nach der Begründung des Gesetzentwurfs gegeben, weil die Ergebnisse der Erhebung über die Religionszugehörigkeit wichtige Informationen für das Verhalten von Bund und Ländern darstellten. Ferner sei die Staatspraxis zu berücksichtigen, der bei der Ermittlung des Umfangs einer Kompetenznorm wesentliche Bedeutung zukomme. Danach könne in den Programmen für Bundesstatistiken auch statistischen Anforderungen der Länder Rechnung getragen werden, weil sich Gesetzes-, Verwaltungsund Planungszuständigkeiten von Bund und Ländern vielfältig überschnitten. 9 Urteil vom 15. 12. 1983 (1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83), BVerfGE 65, S. 1 (38 ff.); NJW 1984, S. 419 ff.; DVBl. 1984, S. 128 ff.; EuGRZ 1983, S. 577 ff.

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Nach der bisherigen Staatspraxis wurden bei Volkszählungen nicht nur unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung, sondern auch des Grundgesetzes Angaben über die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft verlangt. So seien entsprechende Fragen bereits nach den Bestimmungen des Volkszählungsgesetzes vom 27. Juli 1950 und des Volkszählungsgesetzes vom 13. April 1961 vorgesehen gewesen. Bei dieser Sachlage sei, wie das Bundesverfassungsgericht abschließend feststellte, der Bund befugt gewesen, die Erhebung der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft gesetzlich anzuordnen. 2. Asylrechtliche Relevanz der Religionszugehörigkeit

Auf zwei Verfassungsbeschwerden hin hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluß vom 1. Juli 1987 unter Aufhebung entgegenstehender Urteile mehrerer Verwaltungsgerichte entschieden, daß Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft, die im Falle ihrer Rückkehr nach Pakistan wegen der Zugehörigkeit zu dieser Glaubensgemeinschaft asylrelevante Verfolgungen zu gewärtigen hätten, ein Anspruch auf Asyl gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zustehe 10 . 3. Erwerb der Religionszugehörigkeit im Kindesalter

Daß die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen, die die Kirchenmitgliedschaft von der Taufe abhängig machen, verfassungsgemäß ist, hat das Bundesverfassungsgericht (Vorprüfungsausschuß gem. § 93 a BVerfGG a.F., eingefügt durch das Gesetz vom 3. August 1963, BGBL I S. 589) durch Beschluß vom 30. November 1983 unter Hinweis auf frühere Entscheidungen erneut bekräftigt11. Eine gegen ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 4. Mai 1983 gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Gericht mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. In dem der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Fall hatte der 1961 mit Zustimmung seiner Eltern in der katholischen Kirche getauf1o Beschluß vom 1. 7. 1987 (2 BvR 478, 962/86), BVerfGE 76, S. 143 ff.; NVwZ 1988, S. 237 ff.; DVBl. 1988, S. 45 ff. mit Anm. von Michael Bertrams. 11 Beschluß vom 30. 11. 1983 (1 BvR 1016/83), NJW 1984, S. 969; KirchE 21, S. 303 f.; ArchKathKR 153 (1984), S. 227 f. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich in diesem Beschluß ausdrücklich auf seine frühere Rechtsprechung in BVerfGE 30, S. 415 (421 ff.) = NJW 1971, S. 931 und BVerfGE 44, S. 37 (49) = NJW 1977, S. 1279.

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Freiheit der Religion und dt!s Gewissens

te Beschwerdeführer 1977 vor dem Standesbeamten seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche erklärt. Streitig war, ob er der römisch-katholischen Kirche Kirchensteuer für die Jahre 1962 bis 1964 schuldete. Der Beschwerdeführer hatte in den Jahren 1962 bis 1964 Einkünfte aus Gewerbebetrieb und war deshalb zur Einkommensteuer veranlagt worden. Das katholische Kirchensteueramt hatte die Einsprüche zurückgewiesen. Eine hiergegen gerichtete Klage wurde vom Finanzgericht abgewiesen. Der Bundesfinanzhof hatte die Revision zurückgewiesen 12 . Wie das Bundesverfassungsgericht erneut ausführte, verstößt die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen, die die Kirchenmitgliedschaft von der Taufe abhängig machen, nicht gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, und zwar auch nicht in deren negativer Ausprägungsform, soweit hierbei das Recht gewährleistet werde, einer Kirche fernzubleiben und nicht zu öffentlichen Abgaben herangezogen zu werden, die nur von Kirchenmitgliedern erhoben werden dürfen. Voraussetzung sei, daß der Kirchenangehörige oder im Falle seiner Religionsunmündigkeit dessen Sorgeberechtjgte jederzeit die Möglichkeit haben, seine Mitgliedschaft zu beenden. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspräche die einschlägige Regelung des Art. 2 Abs. 2 des bayerischen K.irchensteuergesetzes. Insbesondere sei durch die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung des Kirchenaustrittsrechts in Abs. 3 dieser Vorschrift sowie durch die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an den auf einem entsprechenden Willensentschluß der sorgeberechtigten Eltern beruhenden Akt der Taufe hinreichend sichergestellt, daß ein Kirchenangehöriger nicht ohne seinen Willen oder gegen den Willen seiner sorgeberechtigten Eltern zur Kirchensteuer herangezogen werde. Es unterliege auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn an die Kirchenmitgliedschaft anknüpfende belastende Rechtsfolgen in Form der Kirchensteuerpflicht bereits zu einer Zeit einträten, in der der Betreffende sich noch nicht in religionsmündigem Alter befinde 13 .

12 BFH, Urt. vom 4. 5. 1983 (II R 180179), JZ 1984, S. 49 f. mit Anm. von Axel Frhr. v. Campenhausen, in: NJW 1983, S. 2604 f.; KirchE 21, S. 107 ff.; ArchKathKR 152 (1983), S. 229 ff.

13 Zur Rechtsprechung über staatliche Regelungen des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts und des Kirchenaustrittsrechts vgl. bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 181 ff.

Religions- und Kirchenfreiheit in der Rechtsprechung

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4. Zeitpunkt des Wirksamwerdens von Kirchenaustrittserklärungen

Ebenfalls unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 7. Oktober 1980 erneut entschieden, daß eine rechtliche Regelung mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, die den Eintritt der Wirksamkeit einer Kirchenaustrittserklärung um einen Monat hinausschiebe 14 . Das Gericht hat aufgrund dieser Verfassungsinterpretation die Bestimmung des § 3 des niedersächsischen Kirchenaustrittsgesetzes in der Fassung vom 4. Juli 1973 für nichtig erklärt. Nach dieser Bestimmung wurde die mündliche Erklärung des Kirchenaustritts einen Monat nach ihrer Abgabe, die schriftliche Erklärung einen Monat nach ihrem Zugang wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte der Erklärende die Erklärung in der vorgeschriebenen Form gegenüber dem Standesbeamten widerrufen. Das Gericht hielt die niedersächsische Regelung für mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 2 GG unvereinbar. Die in dieser Vorschrift getroffene Regelung entspräche inhaltlich genau derjenigen des § 1 Abs. 2 des Preußischen Gesetzes, betreffend den Austritt aus den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts, vom 30. November 1920, dem sie nachgebildet sei. Sie erfülle daher, wie das Gericht bereits in dem Beschluß vom 8. Februar 1977 15 entschieden habe, nicht die Voraussetzung einer verfassungsmäßigen Begrenzung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und sei demzufolge ebenfalls nichtig.

ll. Religionsunterricht und Bildungswesen 1. Der Religionsunterricht als konfessionsgebundenes Lehrlach

Grundsätzliche Fragen der Verfassungsinterpretation der Garantie des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG, wonach der Religionsunterricht unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird, hatte der Beschluß des Ersten Senats vom 25. Februar 1987 zum Gegenstand 16 .

14 Beschluß vom 7. 10. 1980 (1 BvL 88, 126178), BVerfGE 55, S. 32 ff.; KirchE 18, s. 293 ff. 15 BVerfGE 44, S. 37 (49 ff.) = DÖV 1977, S. 442 mit krit. Anmerkung von Joseph Listl, S. 445 ff. 16 Beschluß vom 25. 2. 1987 (1 BvR 47/84), BVerfGE 74, S. 244ff.; NJW 1987, S. 1873 f.; DVBl. 1987, S. 619 ff.; DÖV 1987, S. 687 ff.; ArchKathKR 156 (1987), S. 200 ff.; ZevKR 32 (1987), S. 675 ff.

8 Sbd. List!

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Der Entscheidung lag eine Verfassungsbeschwerde eines in konfessionsverschiedener Ehe lebenden Elternpaares zugrunde, das von der Schulverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz vergeblich die Zulassung seiner beiden katholisch getauften und erzogenen Töchter zur Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht begehrt hatte. Die Klage des Elternpaares gegen die ablehnende Entscheidung der Schulverwaltung war von der Verwaltungsgerichtsbarkeit in sämtlichen drei Instanzen abschlägig beschieden worden. Die Verfassungsbeschwerde des Elternpaares wurde vom Bundesverfassungsgericht verworfen. Das Gericht vertrat die Auffassung, daß die Entscheidung über die Teilnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses am Religionsunterricht der für den Unterricht verantwortlichen Religionsgemeinschaft obliege. Der Staat sei gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG verpflichtet, dieser Entscheidung Rechnung zu tragen. Wie das Gericht im einzelnen ausführte, gehört der Religionsunterricht zu den sogenannten "gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche", "bei denen die Verantwortungsbereiche beider Institutionen eng miteinander verknüpft" seien 17 . Der Religionsunterricht sei Pflichtfach. Die Erklärung des Religionsunterrichts zum ordentlichen Lehrfach in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG stelle klar, daß seine Erteilung staatliche Aufgabe und Angelegenheit sei. Er sei daher dem staatlichen Schulrecht und der staatlichen Schulaufsicht unterworfen. Seine Einrichtung als Pflichtfach sei für den Schulträger obligatorisch; der Staat müsse gewährleisten, daß er ein Unterrichtsfach mit derselben Stellung und Behandlung wie andere ordentliche Lehrfächer sei. Sein Pflichtfachcharakter entfalle nicht dadurch, daß Art. 7 Abs. 2 GG ein Recht zur Abmeldung einräume. Diese Befreiungsmöglichkeit hebe ihn zwar aus den übrigen Pflichtfächern heraus, mache ihn aber nicht zu einem Wahlfach im Sinne der allgemeinen schulrechtlichen Terminologie. Aus dem Übereinstimmungsgebot mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften folge, daß der Religionsunterricht "keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte" sei. Sein Gegenstand sei vielmehr "der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln", sei seine Aufgabe. Dafür, wie dies zu geschehen habe, seien "grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich" 18 . 17 BVerfGE 74, S. 244 (251). 1s BVerfGE 74, S. 244 (252).

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Änderungen im Verständnis des Religionsunterrichts bei den Religionsgemeinschaften habe der religiös neutrale Staat hinzunehmen. Er sei jedoch nicht verpflichtet, jede denkbare Definition der Religionsgemeinschaften als verbindlich anzuerkennen. Die Grenze sei durch den Verfassungsbegriff "Religionsunterricht" gezogen. Der Religionsunterricht sei sowohl auf die Verkündigung und Glaubensunterweisung als auch auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den Grundsätzen der jeweiligen Konfession sei der unveränderliche Rahmen, den die Verfassung vorgebe. Auf der Grundlage dieser Verfassungsinterpretation gelangt das Gericht zu dem einzig richtigen Ergebnis, daß die Zulassung von Schülern fremder Konfessionen zur inneren Gestaltung des Religionsunterrichts gehöre, die den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft folge. Die Entscheidung über die Zulassung von Schülern einer anderen Konfession stehe den Religionsgemeinschaften zu. Ihnen dürfe, wie das Gericht unmißverständlich erklärt, "kein Angehöriger einer anderen Konfession gegen ihren Willen aufgedrängt werden" 19 • Das Gericht gelangt daher abschließend zu dem allein zutreffenden Ergebnis, daß die rheinland-pfälzischen Schulbehörden aufgrund des verfassungsrechtlichen Übereinstimmungsgebots des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG der Tochter der Beschwerdeführer den weiteren Besuch des evangelischen Religionsunterrichts - über die im Lande Rheinland-Pfalz zulässigen zwei Halbjahreskurse hinaus -nicht gestatten durften.

2. Kirchenfreiheit im Bereich der Berufsbildung

Durch einstimmigen Beschluß stellte der Zweite Senat am 14. Mai 1986 fest, daߧ 56 Absätze 1 und 2 des Berufsbildungsgesetzes vom 14. August 1969 20 mit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV unvereinbar und daher nicht anzuwenden sei, soweit Berufsbildung im Bereich der Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts durchgeführt werde 21 •

19 BVerfGE 74, S. 244 (254). Vgl. zur Gesamtproblematik auch Joseph Listl (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach. Sechs Rechtsgutachten von Christoph Link und Armin Pahlke, Joseph Listl, Ulrich Scheuner, Alexander Hollerbach zur Frage der Möglichkeit der Teilnahme von Schülern am Religionsunterricht einer anderen Konfession, Berlin 1983 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 15). 2o BGBl. I S. 1112. 21 Beschluß vom 14. 5. 1986 (2 BvL 19/84), BVerfGE 72, 278 ff.; NJW 1987, S. 427 ff.; DVBl. 1986, S. 1101 ff.; DÖV 1986, S. 837 f.; ZevKR 32 (1987), S. 670 ff.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Bei dieser Entscheidung ging es um die Freiheit der Kirche, ihre Verwaltungslehrlinge ohne staatliche Ingerenz auszubilden. Wie andere Landeskirchen führt auch die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers seit langem eine eigene kirchliche Verwaltungsausbildung durch. Sie hatte dazu bereits 1947 eine kircheneigene Ausbildungsund Prüfungsordnung für Verwaltungslehrlinge erlassen. Es handelt sich hierbei um einen "vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf" im Sinne des § 108 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes, der nach dieser Vorschrift als anerkannter Ausbildungsberuf galt. Er war folglich in dem Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe nach§ 30 des Berufsbildungsgesetzes mit der Bezeichnung "Verwaltungsangestellter im kirchlichen Dienst (Evangelische-lutherische Kirche)" eingetragen. Mit Erlaß vom 29. Dezember 1975 forderte der Niedersächsische Kultusminister die Landeskirchenämter der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig auf, gemäß § 56 des Berufsbildungsgesetzes die Errichtung von Berufsbildungsausschüssen vorzunehmen. Diese Ausschüsse, denen die Entscheidung über alle wesentlichen Fragen der Berufsausbildung unterliegt, bestehen zu zwei Dritteln aus nicht von der Kirche vorgeschlagenen Mitgliedern. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, daß die beanstandeten Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes in das den Kirchen von Verfassungs wegen zustehende Selbstbestimmungsrecht, insbesondere in ihre Organisationsgewalt und Personalhoheit, eingriffen, ohne daß eine solche Regelung im kirchlichen Bereich aus dringenden Gründen geboten wäre 22 • Das Bundesverfassungsgericht gelangte deshalb aufgrund eines Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zu dem Ergebnis, daß die betreffenden Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes mit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV unvereinbar und daher nicht anzuwenden seien, soweit Berufsbildung im Bereich der Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts durchgeführt wird. 3. Schutzpflicht des Staates für private Ersatzschulen

Mit der bedeutsamen Frage, in welchem Umfang der Staat zur finanziellen Förderung von privaten Ersatzschulen verpflichtet ist, sah sich das Bundesverfassungsgericht erstmals in dem aufgrund eines Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Harnburg er22

BVerfGE 72, S. 278 (294).

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gangenen Urteil des Ersten Senats vom 8. April 1987 23 konfrontiert. Da ein großer Teil der privaten Ersatzschulen in kirchlicher Trägerschaft steht, ist diese Entscheidung auch von weittragender staatskirchenrechtlicher Bedeutung. Das Gericht kam in diesem Urteil zu dem Ergebnis, daß die zur Prüfung gestellten Regelungen des Privatschulgesetzes der Freien und Hansestadt Hamburg, nach denen die privaten Ersatzschulen in unterschiedlicher Weise gefördert wurden, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar seien. Das Gericht geht grundsätzlich davon aus, daß Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG dem Staat die Verpflichtung auferlege, das private Ersatzschulwesen zu schützen. Eine aus dieser Schutzpflicht folgende Handlungspflicht des Staates werde jedoch erst ausgelöst, wenn das Ersatzschulwesen in seinem Bestand bedroht sei. In welcher Weise diese Schutzpflicht erfüllt werde, obliege der Entscheidung des Gesetzgebers. Entschließe er sich, im Rahmen seiner Schutzpflicht Ersatzschulen finanziell zu fördern, so unterliege er dabei den Beschränkungen des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die differenzierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts können hier im einzelnen nicht wiedergegeben werden. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, dem bei diesem Verfahren vom Bundesverfassungsgericht Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden war, hinsichtlich der Schutzpflicht des Staates für private Ersatzschulen noch erheblich weiter geht als das Bundesverfassungsgericht. Nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts 24 gewährt Art. 7 Abs. 4 GG grundsätzlich einen Rechtsanspruch darauf, daß der Staat einer notleidend gewordenen Ersatzschule zum Zwecke ihrer Erhaltung finanzielle Hilfe leiste. Der innere Grund hierfür sei in der verfassungsrechtlich gewährleisteten Einrichtung der Privatschulen und ihrer in Gestalt der Ersatzschulen bedeutsamen und den Staat in seiner Bildungsaufgabe unterstützenden und entlastenden Teilnahme am öffentlichen Bildungswesen zu sehen. Damit wäre, wie das Bundesverwaltungsgericht ausführt, eine "Abschnürung der Ersatzschulen, die ohne staatliche Hilfe zu erwarten wäre, schwerlich vereinbar"25. Danach hätten grundsätzlich notleidend gewordene Ersatz23 Urteil vom 8. 4. 1987 (1 BvL 8, 16/84), BVerfGE 75, S. 40 ff.; NJW 1987, S. 2359ff.; DVBl. 1987, S. 621ff.; DÖV 1987, S. 592ff.; EuGRZ 1987, S. 242ff.; ZevKR 33 (1988), S. 230ff. 24 BVerfGE 75, S. 40 (49ff.). Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat diese Stellungnahme vor seiner Entscheidung vom 30. 11. 1984, BVerwGE 70, S. 290, abgegeben, in der er sich in grundsätzlicher Weise zur Frage der Bestandsgarantie für Ersatzschulen geäußert hat. 25 BVerfGE 75, S. 40 (50).

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schulen, die als solche genehmigt seien und am öffentlichen Bildungswesen teilnähmen, Anspruch auf staatliche Finanzhilfe. Daher könnten bestimmte Ersatzschulen, zu denen auch die Abendschulen zählten, nicht von der Förderung ausgeschlossen werden. 4. Bestreitung der Orthodoxie einer Philosophisch-Theologischen Hochschule im Zivilprozeß

Vordergründig und unmittelbar um eine Geldforderung, d. h. um die Rückzahlung eines Darlehens, das ein Bistum einem Theologiestudenten gewährt hatte, der später sein Studium abbrach, mittelbar und in Wirklichkeit aber um die Orthodoxie einer angesehenen KatholischTheologischen Hochschule in Frankfurt am Main ging es bei dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (Vorprüfungsausschuß gern. § 93a BVerfGG a.F.) vom 12. Oktober 1983 26 , durch den das Gericht die Verfassungsbeschwerde des Bistums mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen hat. Der Verfassungsbeschwerde lag folgender Ausgangsfall zugrunde: Ein Student der katholischen Theologie hatte von seinem Bistum ein Darlehen erhalten, das er nach Abschluß seines Studiums zurückzahlen sollte. Als er nach zehn Jahren sein Studium immer noch nicht beendet hatte, forderte das Bistum das Darlehen zurück. Der ganz offensichtlich einer fundamentalistischen Richtung angehörende Student verteidigte sich gegen die Rückforderung mit dem Argument, er habe sein Studium nicht abschließen können, weil an seiner PhilosophischTheologischen Hochschule Häresien gelehrt würden, die von der Lehre der katholischen Kirche abwichen. Das Amtsgericht Gelnhausen gab der Klage des Bistums statt. Vor diesem Amtsgericht hatte der beklagte Student im übrigen erklärt, er habe auch an anderen Hochschulen seine Studien nicht abschließen können, weil an sämtlichen Katholisch-Theologischen Fakultäten in der Bundesrepublik Häresien gelehrt würden. Das Landgericht Hanau 27 wies dagegen die Klage des Bistums nach den im Zivilprozeß geltenden Maximen ab, weil der Pro26 Beschluß vom 12. 10. 1983 (1 BvR 143/80), in: NJW 1984, S. 969; KirchE 21, S. 261 f. Wesentliche Teile der Begründung dieses Beschlusses, die für dessen volles Verständnis notwendig wären, sind weder in der Neuen Juristischen Wochenschrift noch in der Sammlung "Entscheidungen in Kirchensachen" abgedruckt. 27 LG Hanau, Urteil vom 11. 12. 1979 (2 S 231179), in: DÖV 1981, S. 427 mit Anm. von Paul Tiedemann; ArchKathKR 148 (1979), S. 518 ff.; KirchE 17, S. 381ff.; NJW 1983, S. 2577. Vgl. hierzu auch Ludwig Renck, Fragen zur Korporationsqualitätvon Religionsgemeinschaften, in: BayVBl. 1984, S. 708 ff.

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zeßbevollmächtigte des Bistums auf die theologischen Argumente des Studenten im Gerichtstermin nichts zu erwidern wußte. Das Bundesverfassungsgericht erblickte in dem Urteil des Landgerichts Hanau keinen Verstoß gegen Grundrechte des beschwerdeführenden Bistums. Bei der Auslegung und Anwendung des§ 162 Abs. 1 BGB, d. h. bei der Frage, ob der Student den Abschluß der Berufsausbildung und damit den Eintritt der Fälligkeit des Rückerstattungsanspruchs in treuwidriger Weise verhindert habe, sei das Landgericht zu der Überzeugung gekommen, die Verhaltensweise des Studenten sei von einer festen Glaubensüberzeugung getragen, die auch bei Zugrundelegung des Standpunkts der katholischen Kirche jedenfalls vertretbar, mithin nicht treuwidrig sei. Eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung des Art. 4 Abs. 1 GG könne hierin nicht gesehen werden; zumindest könne die angegriffene Entscheidung des Landgerichts hierauf nicht beruhen, da die vom Beschwerdeführer beanstandeten Ausführungen nicht entscheidungserheblich gewesen seien. Auch der Anspruch des beschwerdeführenden Bistums auf rechtliches Gehör gern. Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht verletzt worden. Dem Bistum sei vom Landgericht Gelegenheit gegeben worden, zum Vorbringen des Beklagten in seinem Berufungsbegründungsschriftsatz Stellung zu nehmen. Wenn das Bistum ausdrücklich davon abgesehen habe, dem detaillierten Sachvortrag des beklagten Studenten zur Frage der Ernsthaftigkeit seiner Glaubensüberzeugung und der Ursachen für seinen Studienabbruch mit einer eigenen Sachdarstellung entgegenzutreten, könne es sich nicht auf eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG berufen. Das Landgericht sei von Verfassungs wegen zu weitergehenden Hinweisen an das beschwerdeführende Bistum nicht verpflichtet gewesen. Hinweis-, Aufklärungs- und Erörterungspflichten seien grundsätzlich nicht Gegenstand des Schutzes von Art. 103 Abs. 1 GG; soweit sich derartige Pflichten aus §§ 139 Abs. 1, 278 Abs. 3 ZPO ergäben, handele es sich um die Anwendung einfachen Rechts, die den Fachgerichten obliege. Auch wenn das Urteil des Landgerichts Hanau nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung nicht zu beanstanden ist, erweist es sich unter verfassungsrechtlicher und staatskirchenrechtlicher Rücksicht als höchst problematisch. Wie Hermann Weber zutreffend ausführt28, ergab sich aus dem eigenen Sachvortrag des beklagten Studen2B Vgl. Hermann Weber, Streit über die richtige Theologie im Zivilprozeß, in: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Richard Bartlsperger, Dirk Ehlers, Werner Hofmann, Dietrich Pirson, München 1986, S. 263 (270).

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ten, daß er an einer im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "von der verfaßten Kirche" errichteten und anerkannten kirchlichen Hochschule Theologie studieren konnte und zunächst auch studiert hat. Aus dem eigenen Sachvortrag des beklagten Studenten ergab sich weiter, daß die theologische Lehre an dieser Hochschule von der zuständigen kirchlichen Autorität niemals beanstandet worden war und damit nach dem Urteil der hierfür allein zuständigen verfaßten Kirche im Einklang mit der amtlichen Lehre der katholischen Kirche stand. Dies bedeutet, daß das Landgericht Hanau die Klage des betreffenden Bistums in Übereinstimmung mit der Vorinstanz nicht hätte abweisen dürfen. Dadurch, daß das Landgericht Hanau der evident widersprüchlichen Argumentation des beklagten Studenten gefolgt ist, hat es die Tragweite des Grundrechts der Religionsfreiheit der katholischen Kirche verletzt. Eine Berufung eines einzelnen Gläubigen auf das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG gegen die Lehre seiner eigenen Kirche ist nicht zulässig. Aus denselben Gründen hätte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des betroffenen Bistums annehmen und für begründet erklären müssen. ill. Nichtjustiziabilität rein kirchlicher Maßnahmen

und Entscheidungen

In einer Reihe von Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden aus dem kirchlichen Bereich verdeutlichte das Bundesverfassungsgericht die Grenzlinie zwischen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne des§ 90 Abs. 1 BVerfGG und den gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen unterliegenden rein innerkirchlichen Maßnahmen. Es handelt sich dabei um Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen kirchlicher Gerichte oder gegen Urteile staatlicher Gerichte, in denen Klagen gegen kirchengerichtliche Entscheidungen für unzulässig oder jedenfalls für unbegründet erklärt worden waren. In sämtlichen Fällen wurden diese Verfassungsbeschwerden durch den gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG a.F. gebildeten Vorprüfungsausschuß nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie entweder unzulässig waren oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatten. 1. Entlassung eines Geistlichen aus dem kirchlichen Dienst

Durch Beschluß vom 28. November 1978 29 nahm das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an,

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die sich gegen ein Urteil des Senats für Amtszucht der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sowie ein Urteil der Kammer für Amtszucht der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig wandte. Die Nichtannahme erfolgte teils wegen Unzulässigkeit, teils wegen mangelnder hinreichender Aussicht auf Erfolg. Der Beschwerdeführer wandte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen seine Entfernung aus dem kirchlichen Dienst. Wie das Gericht ausgeführt hat, umfaßt der Begriff "öffentliche Gewalt" im Sinne der Bestimmung des § 90 Abs. 1 BVerfGG "nicht rein kirchliche Maßnahmen". Zu dem Bereich der inneren kirchlichen Angelegenheiten gehöre das kirchliche Amtsrecht sowie die Ämterhoheit der Kirche. Die Entfernung des Beschwerdeführers aus dem Dienst sei aufgrund der Ämterhoheit der Kirche ergangen. Diese stelle eine Maßnahme innerhalb des kirchlichen Aufgabenbereichs dar, die den amts- und dienstrechtlichen Status des Geistlichen bestimme. Die ihr zugrundeliegenden disziplinarrechtlichen Erwägungen fußten unmittelbar auf dem Selbstverständnis der Kirche und ihrem besonderen Auftrag. Der staatliche Zuständigkeitsbereich werde insoweit nicht berührt. Der Regelungsbefugnis der Kirche unterliege es damit auch, daß der Beschwerdeführer infolge der disziplinarrechtliehen Entfernung aus dem Dienst seine vermögensrechtlichen Ansprüche aus dem Dienstverhältnis verliere. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch im staatlichen Rechtsbereich könne ein Beamter, dessen Verhalten die Verhängung der schwersten Disziplinarmaßnahme rechtfertige, sich hiergegen nicht auf den durch Art. 33 Abs. 5 GG garantierten Alimentationsanspruch berufen; Art. 33 Abs. 5 GG sichere verfassungskräftig nur den Alimentationsanspruch des Beamten, der seine Dienstpflichten erfülle. 2. Durchführung eines Lehrbeanstandungsverfahrens

Mit denselben Argumenten hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 6. April 1979 30 die Verfassungsbeschwerde eines Hamburger evangelischen Pastors gegen einen Spruch des Spruchkollegiums der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 29 Beschluß vom 28. 11. 1978 (2 BvR 316178), in: DÖV 1979, S. 516 f.; ZevKR 24 (1979), S. 387 f.; NJW 1980, S. 1041 mit Anm. von Hermann Weber; KirchE 17, s. 120 ff. 30 Beschluß vom 6. 4. 1979 (2 BvR 356179), in: ZevKR 24 (1979), S. 389 f.; KirchE 17, S. 209 f.; ArchKathKR 148 (1979), S. 200; NJW 1980, S. 1041 f. mit Anm. von Hermann Weber.

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über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen. Wie das Gericht ausgeführt hat, zählen zu den innerkirchlichen Angelegenheiten, die von dem Begriff "öffentliche Gewalt" gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht umfaßt werden, insbesondere der eigentliche Aufgabenkreis der Religionsgemeinschaften wie Gottesdienst, Glaubenslehre und Sakramentenlehre. Die angegriffene Entscheidung des Spruchkollegiums der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschland betreffe die für die christlichen Kirchen nach ihrem Selbstverständnis zentralen Fragen des Glaubensbekenntnisses. Der staatliche Zuständigkeitsbereich werde insofern nicht berührt. Die den Bereich der innerkirchlichen Angelegenheiten betreffenden Entscheidungen einschließlich der Ausgestaltung und Durchführung des Verfahrens seien nicht Sache des Staates. Ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz könne deshalb im vorliegenden Fall nicht geprüft werden. 3. Versetzung eines evangelischen Pastors

Auch die Versetzung eines Pfarrers durch seine zuständige kirchliche Behörde ist eine rein innerkirchliche Angelegenheit. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb durch Beschluß vom 3. Februar 198431 die Verfassungsbeschwerde eines evangelischen Pfarrers gegen ein Urteil des Kirchengerichts der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, das die Rechtmäßigkeit der Versetzung bestätigt hatte, wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen. Wie das Gericht ausgeführt hat, handelte es sich bei der Versetzung des beschwerdeführenden Pfarrers durch die Kirchenleitung und bei dem Urteil des Kirchengerichts um innerkirchliche Maßnahmen, die nicht dem Begriff der "öffentlichen Gewalt" im Sinne des§ 90 Abs. 1 BVerfGG unterfallen. Ihrer Natur nach seien diese Akte nicht Sache des Staates; sieberührten seinen Zuständigkeitsbereich nicht, seien vielmehr dem Bereich des Selbstverwaltungs-und Selbstbestimmungsrechts der Kirche zuzurechnen. Dies erhelle ohne weiteres daraus, daß die Versetzung eines Pastors wegen nach Auffassung der Kirchenleitung bestehender Unzuträglichkeiten im Verhältnis zum Kirchenvorstand und Teilen seiner Gemeinde dem Zwecke gedeihlicher Ausübung des geistlichen Amtes diene. Auch die Ausgestaltung und Durchführung des kirchengerichtlichen Verfahrens sei eigene Angelegenheit der Kirche, wie das Gericht unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung feststellt. 31

Beschluß vom 3. 2. 1984 (2 BvR 95/84), bisher nicht veröffentlicht.

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Abschließend erklärt das Gericht, daß sich die Aufrechterhaltung der erkennbar unzulässigen Verfassungsbeschwerde auch nach entsprechendem Hinweis durch .ein Schreiben des Bundesverfassungsgerichts als Mißbrauch des Beschwerderechts darstelle, der die Auferlegung einer Gebühr von DM 200,- nach sich zöge(§ 34 Abs. 4 BVerfGG). 4. Disziplinarrechtliehe Kürzung des Gehalts eines Kirchenbeamten

Auch Entscheidungen kirchlicher Disziplinargerichte sind innerkirchliche Maßnahmen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher durch Beschluß vom 30. März 198432 eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Diözesan-Disziplinargerichts für den Westberliner Teil des Bistums Berlin wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen. Im Falle des Beschwerdeführers handelte es sich um einen als Kirchenbeamten angestellten Rektor einer katholischen Schule in Berlin (West). Das Diözesan-Disziplinargericht hatte ihn wegen eines Dienstvergehens zu einer Gehaltskürzung um ein Fünftel für die Dauer von drei Jahren verurteilt. In seiner ausführlichen Begründung erklärt das Bundesverfassungsgericht, daß das angegriffene Urteil des DiözesanDisziplinargerichts, soweit es ein Dienstvergehen des Beschwerdeführers feststelle und dies disziplinar ahnde, eine innerkirchliche Maßnahme darstelle, die nicht dem Begriff "öffentliche Gewalt" im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG unterfalle. Ihrer Natur nach sei eine kirchliche Disziplinarmaßnahme nicht Sache des Staates; sie berühre seinen Zuständigkeitsbereich nicht, sei vielmehr dem Bereich des Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrechts der Kirche zuzurechnen. Die Religionsausübung umfasse nicht nur den Glauben und den Gottesdienst, sondern auch das Wirken der Kirche in der Welt, wie es ihrer Aufgabe entspreche. Für die katholische Kirche gehöre die Schule als Stätte der Erziehung in den Bereich ihres Heilsauftrags; dieser Auftrag sei für sie unaufgebbar. Das kirchliche Disziplinarrecht wurzele als Teil des kirchlichen Amtsrechts im geistlichen Wesen der Kirche und bilde einen Kernpunkt ihres Selbstbestimmungsrechts; es gehöre zu den eigenen Angelegenheiten, deren Ordnung allein der Kirche zukomme. Danach sei es dem Bundesverfassungsgericht verwehrt, das Urteil des kirchlichen Disziplinargerichts als solches und kirchliche Disziplinarbestimmungen verfassungsrechtlich zu überprüfen. Soweit der Beschwerdeführer 32 Beschluß vom 30. 3. 1984 (2 BvR 1994/83), in: DÖV 1984, S. 974f.; NVwZ 1985, S. 105; EuGRZ 1986, S. 307 f.

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beanstande, daß ihm der Weg zu den staatlichen Gerichten verschlossen sei, um die kirchliche Disziplinarmaßnahme überprüfen zu lassen (Art. 19 Abs. 4 GG), fehle es zudem schon an einem mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Rechtsprechungsakt eines solchen Gerichts (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Soweit allein die vermögensrechtlichen Auswirkungen in Rede stünden, die sich für den Beschwerdeführer aus der Disziplinarmaßnahme ergäben, läßt es das Gericht offen, ob der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet und wieweit dort eine Sachprüfung möglich ist. Der Beschwerdeführer hätte im Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sein Rechtschutzbegehren insoweit zunächst fachgerichtlicher Prüfung zuführen müssen. Dies sei hier objektiv geboten und dem Beschwerdeführer auch zuzumuten gewesen. Das ergebe sich schon daraus, daß die Frage der Rechtswegeröffnung insoweit noch nicht als durch die Fachgerichte grundsätzlich und abschließend geklärt erachtet werden könne und die Vorschriften des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) über den Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten in § 30 des Kirchenschulgesetzes vom 1. April 1969für den Westberliner Teil des Bistums Berlin ausdrücklich für anwendbar erklärt worden seien (vgl. §§ 135, 126, 127 BRRG). 5. Entfernung eines Piarrers aus dem geistlichen Dienst

Zum Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirchen gehört nicht nur das kirchliche Amtsrecht einschließlich der Ämterhoheit, sondern auch das mit dem Amtsrecht untrennbar verbundene Dienstrecht der Geistlichen. Dies ergibt sich daraus, daß die dienstrechtlichen Regelungen, die als rechtliche Grundlage und rechtliche Umhegung die äußeren Voraussetzungen für die ungestörte Ausübung des geistlichen Amtes schaffen, nach Auffassung der Kirchen jeweils vom geistlichen Amt her "gefordert" sind. Aufgrund dieser Rechtsauffassung hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 1. Juni 1983 33 die Verfassungsbeschwerdeneines evangelischen Pfarrers gegen drei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und der verwaltungsgerichtlichen Vorinstanzen mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Der Pfarrer war wegen seiner Amtsführung von seiner Landeskirche aus dem geistlichen Amt entfernt worden 34 • 33 Beschluß vom 1. 6. 1983 (2 BvR 453, 465 und 478/83), in NJW 1983, S. 2569; KirchE 21, S. 132 ff. 34 Zum Ausgangsfall vgl. BVerwG, Urteil vom 25. 11. 1982 (2 C 21.78), in: BVerwGE 66, S. 241ff.; NJW 1983, S. 2580ff.; DÖV 1984, S. 585ff. mit zust. Anm. von Joseph Listl, S. 587 ff.

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Wie das Gericht ausführte, begegne es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Fachgerichte die Anträge und Hilfsanträge des Beschwerdeführers bezüglich der seinen Status als Pfarrer der Evangelischen Kirche in Westfalen betreffenden Maßnahmen des Landeskirchenamtes als unzulässig abgewiesen hätten, und zwar auch, soweit der Beschwerdeführer allein die dienstrechtliche Seite dieser Maßnahme zur Überprüfung gestellt habe. Ausdrücklich äußert sich das Bundesverfassungsgericht auch zum gegenseitigen Zusammenhang zwischen dem geistlichen Amtsrecht und dessen vermögensrechtlichen Auswirkungen. Das Gericht läßt die Frage für die vorliegenden Verfahren dahingestellt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang für Klagen von Geistlichen und sonstigen Kirchenbeamten hinsichtlich der vermögensrechtlichen Auswirkungen, die sich aus dienstrechtlichen Maßnahmen der Kirchen ergäben, der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet sei, insbesondere wenn von den Kirchen eigene kirchliche Gerichte eingerichtet worden seien, zu deren Zuständigkeitsbereich auch vermögensrechtliche Streitigkeiten aus dem Pfarrdienstverhältnis gehörten. Die Frage, ob der Beschwerdeführer, wie er geltend machte, in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten dadurch verletzt worden sei, daß die Kirche das Versetzungsverfahren statt eines Lehrbeanstandungsverfahrens durchgeführt habe, entziehe sich, wie auch das Bundesverwaltungsgericht zutreffend festgestellt habe, einer Nachprüfung durch staatliche Gerichte. Die Wahl der Verfahrensart durch die Kirche sei nämlich dem rein innerkirchlichen Bereich zuzurechnen und ein Ausspruch eines staatlichen Gerichts hierüber müßte zu einem Eingriff in das Recht der Kirche zur selbständigen Verwaltung ihrer Angelegenheiten führen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt das Bundesverfassungsgericht gleichfalls Wert darauf, ob dem Beschwerdeführer seitens seiner Kirche die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs eingeräumt worden sei und ob das Verfahren frei von Willkür gewesen sei. Hierzu stellt das Gericht fest, es sei nicht erkennbar gewesen, daß de~ Beschwerdeführer im übrigen durch die seinen dienstrechtlichen Status berührenden, vermögensrechtlich bedeutsamen Maßnahmen des Landeskirchenamtes in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt worden wäre. Das rechtliche Gehör sei ihm eingeräumt worden und auch für eine willkürliche Verfahrensweise der beklagten Kirche beständen, sofern eine Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 GG unterstellt werde, keine Anhaltspunkte 35 . 35 Dieser Beschluß des Bundesverfassungsgerichts wurde bestätigt durch die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR),

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Freiheit der Religion und des Gewissens 6. Neuregelung des Dienst- und Versorgungsrechts der Geistlichen

Zum Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirchen gehört nicht nur das kirchliche Amtsrecht einschließlich der Arnterhoheit, sondern auch das mit dem Amtsrecht untrennbar verbundene Dienst- und Versorgungsrecht der Geistlichen. Aufgrund dieser Verfassungsinterpretation hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 5. Juli 1983 36 eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und der verwaltungsgerichtlichen Vorinstanzen mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Wie das Gericht unter Bezugnahme auf seine gefestigte Rechtsprechung ausgeführt hat, begegne es nach alledem keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Bundesverwaltungsgericht staatliche Gerichte als nicht berufen angesehen habe, die vom Beschwerdeführer beanstandete Neuregelung des Versorgungsrechts auf ihre Vereinbarkeit mit innerkirchlichem Recht nachzuprüfen. Unbeschadet der Frage, ob und inwieweit Grundrechte oder diesen gleichgestellte Rechte auf das Verhältnis der Kirche zu ihren geistlichen Amtsträgern überhaupt einwirkten, bestünden gegen die vom Beschwerdeführer zur Überprüfung gestellte versorgungsrechtliche Regelung jedenfalls keinerlei verfassungsrechtliche Einwände. Auch ein Verstoß gegen die Bestimmung des Art. 33 Abs. 5 GG scheide aus, und zwar bereits deswegen, weil diese Verfassungsvorschrift im Bereich des kirchlichen Dienstes keine Anwendung finde. 7. Beschränkung geistlicher Amtsträger auf kirchenangehörige Rechtsbeistände

Auch eine kirchengesetzliche Bestimmung, nach der geistliche Amtsträger bei innerkirchlichen Auseinandersetzungen mit ihrer Kirche nur durch Beistände vertreten werden können, die der jeweiligen Kirche angehören, stellt eine Regelung dar, die dem innerkirchlichen Bereich zuzuordnen ist. Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 12. Februar 1981 37 eine gegen einen Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs der Evangelischen Kirche der Union und gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und die Straßburg, vom 8. 5. 1985 (Beschwerde-Nr. 10901/84: Prüßner gegen Bundesrepublik Deutschland), in: EuGRZ 1986, S. 648f.; NJW 1987, S. 1131. 36 Beschluß vom 5. 7. 1983 (2 BvR 514/83), in: ZevKR 28 (1983), S. 426ff.; NJW 1983, S. 2569 f.; KirchE 21, S. 171 ff. 37 Beschluß vom 12. 2. 1981 (1 BvR 567177), in: ZevKR 26 (1981), S. 382 ff.; KirchE 18, S. 390 ff.; NJW 1983, S. 2570.

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vorangegangene Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Entscheidung kirchlicher Gerichte gerichtet hat, als unzulässig, im übrigen, soweit sie sich gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und die vorangegangene Entscheidung gerichtet hat, mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Die Frage, inwieweit der Beschwerdeführer einen Pfarrer der evangelischen Kirche gegenüber kirchlichen Organen vertreten könne, stehe, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, in engem Zusammenhang mit der Eigenart des Rechtsverhältnisses des Pfarrers zu seiner Kirche. Dieses Verhältnis, das spezifisch kirchliches Dienstverhältnis sei, falle unzweifelhaft in den Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche, zu denen namentlich auch kirchliches Amtsrecht und Ämterhoheit zählten. Maßnahmen, die den amts- und dienstrechtlichen Status eines Geistlichen betreffen, seien ausschließlich Sache der Kirchen und berührten insoweit nicht den staatlichen Zuständigkeitsbereich. Dies gelte zumal dann, wenn die dienstrechtliche Maßnahme, die Gegenstand des kirchengerichtlichen Verfahrens sei, Meinungsverschiedenheiten zwischen Pfarrer und Kirche über die Gestaltung des Religionsunterrichts und somit über spezifische Fragen der Heiligen Schrift und des Bekenntnisses beträfe. Der hiermit umschriebene Bereich umfasse jedoch nicht nur das Dienstverhältnis des Pfarrers als solches, sondern auch das Verfahren der Abwicklung von Konflikten zwischen Pfarrer und Kirche, von dem sich die Frage seiner Vertretung vor kirchlichen Behörden und Gerichten und damit auch die Frage eines etwaigen Vertretungsrechts des Beschwerdeführers vor diesen Gerichten nicht trennen lasse. Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeute dies, daß es im Rahmen des Rechts der Kirche zur Ausgestaltung ihrer inneren Angelegenheiten bleibe, wenn sie ihre Pfarrer auf Beistände verweise, die den spezifischen Belangen innerkirchlicher Auseinandersetzungen zumindest insoweit Rechnung trügen, als sie der jeweiligen Kirche angehörten. Soweit derartige Entscheidungen kirchlicher Verwaltungsgerichte Dritte an der Übernahme bestimmter Mandate hinderten, handele es sich lediglich um mittelbare Auswirkungen, die an dem Charakter als innere Angelegenheit der Kirche nichts änderten.

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IV. Kirchliches Vermögensrecht 1. Befreiung der Kirchen von der Pflicht zur Zahlung von Konkursausfallgeld

Von großer praktischer Bedeutung auf dem Gebiete des kirchlichen Vermögensrechts ist der Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1983 38 , durch den das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß die Kirchen und ihre Organisationen, soweit sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt sind, von der Pflicht zur Zahlung der Umlage für das Konkursausfangeld ausgenommen sind. Die Konkursunfähigkeit der Kirche folge unmittelbar aus dem Grundgesetz. In seiner eingehenden Begründung der Entscheidung ging das Gericht davon aus, daß es sich bei der Konkursordnung nicht um ein "für alle geltendes Gesetz" im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV handele. Denn mit Eröffnung des Konkursverfahrens verliere der Gemeinschuldner die Befugnis, sein zur Konkursmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Daraus ergäben sich schwerwiegende Störungen im Wirkungsbereich einer Kirche. Zu den verfassungsrechtlich geschützten Aufgaben der hier angesprochenen kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts gehörten nicht nur die Lehre, Seelsorge, Gottesdienst und Sakramentenspendung; hierzu zählten auch alle Tätigkeiten, zu denen die Kirchen nach ihrem Selbstverständnis berufen seien, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen. Sie erforderten den Einsatz finanzieller Mittel; hierfür sei das Verwaltungs- und Verfügungsrecht der kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts und ihrer Organe über das Kirchenvermögen nur schwer entbehrlich39 . Selbst wenn aber die Konkursordnung von ihrer Zielsetzung und ihrer rechtspolitischen Bedeutung her prinzipiell ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WeimRV wäre, wäre damit noch nicht gesagt, daß diese staatliche Regelung in jedem Fall dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vorginge. Der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck sei durch eine entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen. Dabei sei dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beizumessen. Ihren auch im Schutzbereich des Art. 4 GG wurzelnden Anliegen stünden hier die Interessen des Staates gegenüber, der durch das Konkursverfahren die bei 38 Beschluß vom 13. 12. 1983 (2 BvL 13, 14, 15/82), BVerfGE 66, S. 1 ff.; EuGRZ 1984, S. 241 ff.; NJW 1984, S. 2401 ff.; ZevKR 29 (1984), S. 481 ff.; ArchKathKR 153 (1984), S. 228 ff.; KirchE 21, S. 307 ff. 39 BVerfGE 66, S. 1 (21).

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Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Gemeinschuldners erforderliche sachgerechte Verteilung des noch vorhandenen verwertbaren Vermögens unter den Gläubigern erreichen wolle. Ein Konkursverfahren wäre hierzu jedoch nicht geeignet. Den Kirchen müßten nämlich im Falle des Konkurses von vorneherein weite Teile ihres Vermögens belassen werden, und zwar nicht nur die Gegenstände, die sie zur Erfüllung ihres Auftrags im engeren Sinne (res sacrae) benötigten, sondern auch alle Mittel, die für ihre kirchliche Tätigkeit, für ihre Sendung insgesamt unentbehrlich seien (res circa sacra) 40 . Neben diesem aus dem besonderen Rechtsstatus der Kirchen und ihrem Selbstbestimmungsrecht hergeleiteten Argument gegen eine mögliche Konkursfähigkeit der Kirchen begründet das Gericht seine Auffassung auch noch mit praktischen Erwägungen. Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit sei bei den hier in Rede stehenden kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechtsaufgrund ihres großen Mitgliederbestandes, ihrer Vermögenssubstanz und ihres Steuererhebungsrechts praktisch nicht gegeben. Den Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sei damit ein finanzieller Status gesichert, der ihnen in ausreichendem Umfang die Mittel zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen belasse. Dies zeige sich, wie das Gericht unterstreicht, auch darin, daß bisher noch keine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts in Zahlungsschwierigkeiten im Sinne der Konkursordnung geraten sei. Ihr Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts setze voraus, daß sie nach ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben, von ihrem Mitgliederstand und ihren Vermögensverhältnissen her in der Lage seien, ihren finanziellen Verpflichtungen auf Dauer nachzukommen. Vorsorglich warnend weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, daß bei jeder Entscheidung, die die Anerkennung einer Religionsgesellschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts zum Inhalt habe, besonders sorgfältig zu prüfen sein werde, ob diese Voraussetzungen gegeben seien. Nach alledem ergebe sich, wie das Gericht abschließend feststellt, die Unzulässigkeit des Konkurses bei kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts bereits aus der Verfassung selbst (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3, 5 und 6 WeimRV) 41 . 2. Berechtigung der Kirchen, Kirchgeld zu erheben

Seiner umfangreichen und detaillierten Rechtsprechung zum Kirehensteuerrecht fügte das Bundesverfassungsgericht durch den Be40 41

BVerfGE 66, S. 1 (22 f.). BVerfGE 66, S. 1 (24 f.).

9 Sbd. List!

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schluß des Zweiten Senats vom 23. Oktober 198642 eine neue Variante hinzu. Das Gericht hat in dieser Entscheidung eine Bestimmung des hamburgischen Kirchensteuergesetzes vom 15. Oktober 1973 43 für verfassungsgemäß erklärt, durch die die steuerberechtigten Körperschaften ermächtigt werden, durch Steuervorschriften Art und Höhe des Kirchgeldes nach Maßgabe des hamburgischen Kirchensteuergesetzes zu bestimmen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, könne sich der Gesetzgeber bei der ihm obliegenden Regelung des Kirehensteuerrechts gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 und 8 WeimRV auf die allgemeine Ermächtigung zur Erhebung von Kirchensteuer- unter bestimmten Genehmigungsvorbehalten-beschränken und die Einzelregelung des formellen und materiellen Kirchensteuerrechts den steuerberechtigten Religionsgesellschaften innerhalb der Schranke des für alle geltenden Gesetzes überlassen. Er könne die Kirchensteuererhebung aber auch näher gesetzlich vorformen und regeln. Die Kirchensteuer könne sich hinsichtlich des Steuersatzes an die Staatssteuern in Form von Zuschlägen anschließen oder auch auf einem anderen System, wie z. B. der Festsetzung nach Einheitssätzen oder Einschätzung, beruhen44 • Für die vom hamburgischen Landesgesetzgeber gewählte eingehendere Regelung der Kirchensteuer vom Einkommen spreche die besonders enge Verzahnung dieser Steuerart mit dem staatlichen Einkommensteuerrecht. Das daneben gesetzlich zugelassene Kirchgeld solle den Kirchen demgegenüber eine Besteuerung nach eigenen Kriterien, die nicht oder nicht so stark an das staatliche Steuersystem anknüpfen, ermöglichen45 3. Gemietete Moschee-Räume keine res sacra

Durch Beschluß vom 30. November 1984 46 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde einer Moscheen-Gemeinschaft gegen ein Urteil des Landgerichts Bonn47 und des Amtsgerichts 42 Beschluß vom 23. 10. 1986 (2 BvL 7, 8/84), BVerfGE 73, S. 388ff.; DVBl. 1987, S. 129f.; NJW 1987, S. 943f.; EuGRZ 1987, S. 219f.; ArchKathKR 155 (1986), S. 527 ff.; ZevKR 33 (1988), S. 73 ff. 43 GVBl. S. 431. 44 BVerfGE 73, S. 388 (399). 45 BVerfGE 73, S. 388 (402). Zur früheren Judikatur des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtsnatur und die Grenzen des kirchlichen Besteuerungsrechts vgl. bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 217 ff. 46 Beschluß vom 30. 11. 1984 (2 BvR 1449/84), bisher nicht veröffentlicht. 47 LG Bonn, Urteil vom 15. 10. 1984 (6 S 236/84), bisher nicht veröffentlicht.

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Bonn mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. In dem der Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Ausgangsfall hatte ein Hauseigentümer einer Moscheen-Gemeinschaft, die in ihren Mieträumen eine Moschee eingerichtet hatte, gekündigt. Die Moscheen-Gemeinschaft hielt die Kündigung für rechtsunwirksam, weil es sich bei den von ihr angernieteten Räumen um eine res sacra handele, die nicht beseitigt werden dürfe. Das Bundesverfassungsgericht ließ in seiner Entscheidung die Frage offen, ob der Beschwerdeführer als eine in Formen des Privatrechts gegründete Religionsgesellschaft überhaupt res sacrae, also im umfassenden Sinne Sachen öffentlichen Rechts, hervorbringen könne, die den Schutz der Art. 4 Abs. 1 und 2, 140 GG i.V.m. Art. 137 und 138 WeimRV genössen. Der im Ausgangsverfahren streitbefangenen Mietsache habe eine solche Rechtsqualität schon deshalb gefehlt, weil die Gerichte die dazu erforderliche Mitwirkung des Eigentümers an der Widmung, durch die eine öffentliche Sache erst entstehe, nicht feststellen konnten. Den Urteilsgründen zufolge habe sich der Hauseigentümer weder ausdrücklich noch im Hinblick auf die ohnehin nur vorübergehende Gebrauchsüberlassung stillschweigend mit einer dauernden Nutzung des Grundstücks als religiöse Kultstätte einverstanden erklärt. 4. Eigentums- und Besitzverhältnisse an der "Hl.-Alexandra-Gedächtnis-Kirche" in Bad Ems

Durch Beschluß vom 30. November 1983 48 hat das Bundesverfassungsgericht mehrere Verfassungsbeschwerden verschiedener Beschwerdeführer gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. September 198049 und der beiden Vorinstanzen, durch die das Eigentum an der "Hl.-Alexandra-Gedächtnis-Kirche" in Bad Ems der RussischOrthodoxen Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland, der Klägerin im Ausgangsverfahren, zuerkannt worden war, teils wegen Unzulässigkeit, teils mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Das Gericht hat in dieser Ent48 Beschluß vom 30. 11. 1983 (2 BvR 1411180), in: NJW 1984, S. 968f.; EuGRZ 1984, S. 337 f.; KirchE 21, S. 304 ff. 49 BGH, Urteil vom 19. 9. 1980 (V ZR 132178), JZ 1981, S. 66 f.; KirchE 18, S. 273 ff. Vgl. hierzu Christoph Link, Die Russisch-Orthodoxen Exilkirchen in Deutschland und ihr Kirchengut, in: ZevKR 23 (1978), S. 89 ff. In einem Parallelfall hat der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 28. 10. 1988 (V ZR 74/87), bisher nicht veröffentlicht, entschieden, daß die Russisch-Orthodoxe Diözese des Orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland Eigentümerin und alleinige Nutzungsberechtigte der russisch-orthodoxen Kirche in Baden-Baden ist.

9*

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scheidung die Urteile des Bundesgerichtshofs und der beiden Vorinstanzen bestätigt, daß die nach dem NS-Gesetz über den Grundbesitz der Russisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland vom 25. Februar 1938 50 getroffene Entscheidung des Reichsministers für kirchliche Angelegenheiten über die Eigentums- und Besitzverhältnisse an der "Hl.Alexandra-Gedächtnis-Kirche" in Bad Ems rechtswirksam seien. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner umfangreichen Entscheidungsbegründung ausgeführt hat, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts nationalsozialistischen Vorschriften die Geltung als Recht aberkannt werden, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde. Dies sei hier, wie die Gerichte festgestellt haben, jedoch nicht der Fall. Bei der Neuregelung im Jahre 1938 sei ausdrücklich festgeschrieben worden, daß die religiöse Zweckbestimmung der Grundstücke zu beachten sei. Im übrigen stehe keinesfalls fest, daß die Eintragung der Klägerirr des Ausgangsverfahrens ins Grundbuch für die Beschwerdeführerirr eine nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahme gewesen sei. Die Spaltung der Russisch-Orthodoxen Kirche, die im Grunde die Ursache des Rechtsstreits vor den Zivilgerichten gewesen sei, habe schon Jahre vor der Zeit des Nationalsozialismus stattgefunden. Zur Zeit der Zuweisung durch den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten habe eine bereits 1926 von der Bischofssynode der Russisch-Orthodoxen Auslandskirche geschaffene Diözese mit Bischofssitz in Berlin bestanden. Insoweit habe sich für den Reichsminister durchaus angeboten, ihr das Eigentum an der Kirche in Bad Ems zu übertragen. V. Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht

Auch auf dem Gebiete des Dienst- und Arbeitsrechts der Kirchen sind während der vergangeneu zehn Jahre Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von weittragender Bedeutung ergangen. 1. Besondere Loyalitätspflichten kirchlicher Dienst- und Arbeitnehmer

Durch eine Grundsatzentscheidung vom 4. Juni 1985 51 erfolgte die Klärung der auf dem Gebiete des kirchlichen Dienst- und ArbeitsRGBl. I S. 223. Beschluß vom 4. 6. 1985 (2 BvR 1703, 1718/83 und 856/84), BVerfGE 70, S. 138 ff.; DÖV 1985, S. 975 ff.; EuGRZ 1985, S. 488 ff.; ArchKathKR 154 (1985), 50 51

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rechts und auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit seit langer Zeit kontrovers diskutierten bzw. entschiedenen Frage, ob die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung und Bewertung von Loyalitätsverletzungen kirchlicher Dienst- und Arbeitnehmer, die sich zu tragenden Grundsätzen der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre in schwerwiegender Weise in Widerspruch gesetzt haben, an das theologisch-ekklesiologische Selbstverständnis der Kirchen gebunden sind oder nach kirchenfremden, religiös-indifferenten und säkularen Maßstäben entscheiden können. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfolgte aufgrund von Verfassungsbeschwerden gegen mehrere Urteile des Bundesarbeitsgerichts und der arbeitsgerichtliehen Vorinstanzen. In einem Falle hatte sich ein an einem katholischen Krankenhaus angestellter Assistenzarzt in einer Illustrierten und auch im Westdeutschen Rundfunk in engagierter und provokativer Weise für die völlige strafrechtliche Freigabe der Abtreibung ausgesprochen. Sein Arbeitsverhältnis war daraufhin gekündigt worden. Im zweiten Fall hatte ein an einem Jugendheim eines katholischen Ordens tätiger Buchhalter den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt. Die Ordensgemeinschaft hatte daraufhin sein Arbeitsverhältnis gekündigt. Das Bundesarbeitsgericht und die Vorinstanzen erblickten in dem Verhalten des Assistenzarztes und des Buchhalters zwar eine Verletzung der ihnen gegenüber ihren kirchlichen Arbeitgebern obliegenden besonderen Loyalitätspflichten, hielten diese jedoch nicht für gewichtig genug, daß sie eine ordentliche Kündigung sozial hätte rechtfertigen können. Auf die Verfassungsbeschwerden des katholischen Krankenhauses und der Ordensgemeinschaft hin hob das Bundesverfassungsgericht die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und die entgegenstehenden Entscheidungen der Vorinstanzen wegen Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRVauf. Wie das Gericht im einzelnen ausgeführt hat, ermöglicht das kirchliche Selbstbestimmungsrecht den Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher ArS. 253 ff.; ZevKR 31 (1986), S. 77 ff.; NJW 1986, S. 367 ff. mit Anm. von Hermann Weber, JZ 1986, S. 131 ff. mit Anm.;yon Reinhard Richardi. Zu dieser Entschei-

dung sind zahlreiche Stellungnahmen und Anmerkungen erschienen, die hier nicht verzeichnet werden können. Vgl. z. B. Bernd Rüthers, Wie kirchentreu müssen kirchliche Arbeitnehmer sein?, in: NJW 1986, S. 356ff.; Josef Isensee, Kirchliche Loyalität im Rahmen des staatlichen Arbeitsrechts -Verfassungsrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsverhältnisses, in: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung (Anm. 28), S. 203 ff.

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beitnehmer verbindlich zu machen. Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richte sich nach den von der "verfaßten Kirche" anerkannten Maßstäben. Dagegen komme es, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben hat, weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedensten Motiven beeinflußt sein könne, noch auf diejenige breiter Kreise unter den Kirchengliedern oder etwa gar einzelner bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an 5 2 . Wie das Gericht in seiner ausführlichen Begründung hervorhob, haben die Arbeitsgerichte im Streitfall die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkenne, hierüber selbst zu befinden. Danach bleibt es grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind und was als- gegebenenfalls schwerer- Verstoß gegen diese anzusehen sei 53 . Auch die Entscheidung darüber, ob und auf welche Weise innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätspflichten eingreifen solle, sei grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit. Soweit diese kirchlichen Vorgaben den anerkannten Maßstäben der verfaßten Kirchen Rechnung trügen, was in Zweifelsfällen durch entsprechende gerichtliche Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden aufzuklären sei, seien die Arbeitsgerichte an sie gebunden. Nur in denjenigen Fällen, in denen sich die Gerichte bei Zugrundelegung der kirchlichen Maßstäbe in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung begäben, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in dem Begriff der "guten Sitten" (§ 138 Abs. 1 BGB) und des ordre public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben, seien die Arbeitsgerichte an die kirchlichen Vorgaben nicht gebunden 5 4 • Liege eine Verletzung von Loyalitätspflichten vor, so sei die weitere Frage, ob diese eine Kündigung des kirchlichen Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertige, nach den kündigungsrechtlichen Vorschriften der§§ 1 des Kündigungsschutzgesetzes und 626 BGB zu beantworten. 52

53 54

BVerfGE 70, S. 138 (165 f.). BVerfGE 70, S. 138 (167 f.). BVerfGE 70, S. 138 (168 f.).

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Diese Bestimmungen unterlägen als für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV einer umfassenden arbeitsgerichtliehen Anwendungskompetenz 55 . In seiner Entscheidung über die beiden Verfassungsbeschwerden erklärte das Bundesverfassungsgericht unter Aufhebung der Urteile des Bundesarbeitsgerichts und der entgegenstehenden Entscheidungen der Vorinstanzen, daß in diesen Entscheidungen der Arbeitsgerichte die verfassungsrechtlichen Grundsätze und die darin normierten Wertvorstellungen nicht beobachtet worden seien. Das Bundesarbeitsgericht habe in seinen Entscheidungen "die Bedeutung und Tragweite des Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung verkannt". Es habe bei seiner Abwägung im Rahmen des Kündigungsschutzrechts dem Selbstverständnis der Kirche "nicht das von der Verfassung geforderte Gewicht beigemessen und damit in verfassungswidriger Weise die Freiheit der Kirche, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln, beschränkt" 56 . 2. Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe als Kündigungsgrund

Im Falle einer bei einem Diözesan-Caritasverband angestellten Stenotypistin, die nach Scheidung ihrer Ehe eine erneute, nur standesamtlich geschlossene und von der katholischen Kirche nicht anerkannte Ehe eingegangen war, hatte das Bundesarbeitsgericht die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses für sozial gerechtfertigt erklärt. Der Diözesan-Caritasverband hatte den Dienstvertrag wegen "schweren Verstoßes gegen elementare sittliche Grundnormen der katholischen Kirche" gekündigt. Durch Beschluß vom 5. Juni 1981 57 hat das Bundesverfassungsgericht die gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts und der Vorinstanz erhobene Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen.

Wie das Bundesverfassungsgericht in der Begründung dieses Beschlusses ausführte, seien die Gerichte verfassungsrechtlich unangreifbar davon ausgegangen, daß die Glaubwürdigkeit der Kirche berührt werde, wenn sie ihren karitativen, als kirchliche Grundfunktion zu verstehenden Dienst von Personen ausüben ließe, die offen gegen elementare Glaubens- und Sittengesetze der Kirche verstießen, und mithin die Gefahr bestehe, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt BVerfGE 70, S. 138 (168f.). BVerfGE 70, S. 138 (172 f.). 57 Beschluß vom 5. 6. 1981 (2 BvR 288/81), in: KirchE 18, S. 491 f.; ArchKathKR 150 (1981), S. 226 f.; NJW 1983, S. 2570 f. 55

56

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werde, die Kirche selbst messe ihrer Lehre keine gewichtige Bedeutung zu. Auch unter dem Blickwinkel der Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG begegneten die angegriffenen Entscheidungen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Caritasverband durfte als der Kirche zuzuordnende Einrichtung in Wahrnehmung und Ausübung des ihm durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV gewährleisteten Rechts zur selbständigen Ordnung und Verwaltung seiner Angelegenheiten den Mitgliedern der kirchlichen Dienstgemeinschaft besondere Loyalitätspflichten auferlegen. Weder das Grundrecht der Beschwerdeführerin, eine mit der katholischen Kirche nicht übereinstimmende Glaubensauffassung zu haben, noch der verfassungsverbürgte Schutz der Ehe hinderten unter den gegebenen Umständen die Beendigung des Dienstverhältnisses der Beschwerdeführerin, die die Kirche, ihrem Selbstverständnis entsprechend, um ihrer Glaubwürdigkeit willenund zur Wahrung ihrer Identität für geboten erachten konnte. 3. Keine Zutrittsrechte betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu kirchlichen Einrichtungen

Auf dem Gebiete des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts war die Frage entstanden, ob betriebsfremden Gewerkschaftsbeauftragten ein Zutrittsrecht zu kirchlichen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung zustehe. Die Arbeitsgerichte hatten den Gewerkschaften dieses Recht zugesprochen. Aufgrund einer Verfassungsbeschwerde der Orthopädischen Anstalten Volmarstein, Rehabilitationszentrum, Heil-, Lehr- und Pflegeanstalten für Körperbehinderte, gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts und der Vorinstanz hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 17. Februar 1981 58 entschieden, daß den Gewerkschaften nicht das Recht zustehe, in karitativen Einrichtungen der Kirchen durch Gewerkschaftsbeauftragte, die in den betreffenden Einrichtungen selbst nicht beschäftigt sind, zu informieren, zu werben und Mitglieder zu betreuen. sa Beschluß vom 17. 2. 1981 (2 BvR 384178), in: BVerfGE 57, S. 220ff.; KirchE 18, S. 392 ff.; NJW 1981, S. 1829 ff.; DVBL 1981, S. 761 ff.; DÖV 1981, S. 630 ff.; EuGRZ 1981, S. 338 ff.; ArchKathKR 150 (1981), S. 221 ff.; ZevKR 26 (1981), S. 197ff. Vgl. hierzu die Publikation "Informationen zur Verfassungsbeschwerde der Orthopädischen Anstalten Volmarstein, betreffend das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Februar 1978-1 AZR 280177 - und das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. Januar 1977-3 Sa 941176 -. Hrsg. von Dr. Lothar Schöppe, Justitiar, im Auftrage des Vorstandes des Diakonischen Werkes der Evangelischen ·Kirche von Westfalen - Landesverband der Inneren Mission- e.V., Friesenring 34, 4400 Münster, Münster 1979".

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Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr {ÖTV) hatte die Notwendigkeit des Zutritts betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu kirchlichen Einrichtungen damit begründet, daß eine lediglich von betriebsangehörigen Gewerkschaftsbeauftragten ausgeübte Betreuung, Informations- und Werbetätigkeit nicht ausreichend sei. Nur ein externer Gewerkschaftsbeauftragter besitze nämlich die Schulung, die Erfahrung und das Wissen, um im Betrieb effektive Gewerkschaftsarbeit zu leisten. Nur er habe auch die dazu erforderliche Unabhängigkeit und die hierzu notwendige Zeit. Durch Verweisung der Gewerkschaft auf die Möglichkeit der Beauftragung betriebsinterner Gewerkschaftsangehöriger werde der Kernbereich der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsfreiheit verletzt59 . Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung u.a. auch mit dem Argument begründet, daß die individuelle und kollektive Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit auf verfassungsrechtlicher Ebene Wirkungen im Rechtsraum gegenüber Dritten zu entfalten vermöchten; ebenso sei auch die von der Verfassung gewährleistete Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften und die Gewährleistung der Eigenständigkeit dieser Gesellschaften und ihrer Einrichtungen bei der Beurteilung von Rechtsbeziehungen zu berücksichtigen, die das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berührten. Beide Gewährleistungen entstammten einem vom Verfassungsgeber anerkannten unantastbaren Freiheitsraum, der nicht etwa vom Staat zur Verfügung gestellt oder von ihm abgeleitet sei 60 • Der den Kirchen durch das Grundrecht der Religionsfreiheit und die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gewährleistete Freiraum schränke auch den Aktionsbereich gewerkschaftlicher Interessen und gewerkschaftlicher Macht ein. Wörtlich erklärte das Bundesverfassungsgericht hierzu: "Der durch das verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und der ihnen zugeordneten Einrichtungen gewährleistete Freiraum wirkt sich auch auf die Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen der Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft als kirchliche Einrichtung und der Gewerkschaft ÖTV aus. " 61 Aus Art. 9 Abs. 3 GG, der im Blick auf die dieser Bestimmung unbestritten zukommende Drittwirkung als ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WeimRV in Betracht kommen könnte, sei ein Zutrittsreeht für betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte vom Wortlaut her nicht festgeschrieben. Ein solches Zutrittsrecht lasse sich aus 59 60

61

BVerfGE 57, S. 220 (239). BVerfGE 57, S. 220 (244). BVerfGE 57, S. 220 (244).

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dieser Bestimmung des Grundgesetzes auch nicht durch Auslegung ableiten. Im übrigen könnten sich die Koalitionen, d. h. die Gewerkschaften, bei kirchlichen Einrichtungen nicht nur den Betriebsangehörigen gegenüber außerbetrieblich uneingeschränkt betätigen; sie könnten durch ihre zur Belegschaft zählenden Mitglieder auch innerbetrieblich die ihrem Fortbestand dienenden Rechte w.ahrnehmen. "Daß externe Gewerkschaftsbeauftragte möglicherweise infolge größerer Unabhängigkeit, vermehrt zur Verfügung stehender Zeit und etwa besserer Schulung effektivere Gewerkschaftsarbeit zu leisten vermögen, erfordert nicht von Verfassungs wegen ihren Einsatz im Betrieb selbst. " 62

Mit dieser Entscheidung wird das Bundesverfassungsgericht der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten korporativen Religionsfreiheit und der in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV garantierten Freiheit der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten auf dem Gebiete des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts in dem von der Verfassung gebotenen Umfang gerecht. VI. Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts I. Verfassungsmäßigkeit der Krankenhaus-Buchführungsverordnung

Das Recht zur selbständigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten ist den Kirchen und den übrigen Religionsgemeinschaften in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV nicht unbegrenzt, sondern nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes gewährleistet. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß (Vorprüfungsausschuß gern. § 93 a BVerfGG a.F.) vom 14. Dezember 1983 63 nachdrücklich hingewiesen. Das Gericht hat in dieser Entscheidung die Verfassungsbeschwerden von 25 kirchlichen evangelischen und katholischen Krankenhäusern bzw. Trägern von Krankenhäusern gegen die Verordnung über die Rechnungs- und Buchführungspflichten von Krankenhäusern (Krankenhaus-Buchführungsverordnung KHBV) vom 10. April 1978 64, mittelbar gegen das Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze- KHG- vom 29. Juni 1972 65 , zuletzt geänBVerfGE 57, S. 220 (247). Beschluß vom 14. 12. 1983 (2 BvR 1268/81), in: KirchE 21, S. 316 ff.; NJW 1984, s. 970. 64 BGBl. I S. 473. 65 BGBL I S. 1009. 62

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dert durch Art. 1 des Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetzes vom 22. Dezember 1981 66 , mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Im Gegensatz dazu hatte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluß vom 25. März 1980 67 eine Reihe von Bestimmungen des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. Februar 1975 68 , die ohne ersichtliche schwerwiegende Gründe Festlegungen hinsichtlich der Organisationsstruktur und des Betriebs von Krankenhäusern getroffen hatten, für mit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV unvereinbar und daher für nicht anwendbar erklärt, soweit sie Krankenhäuser betreffen, die von Religionsgemeinschaften oder diesen gleichgestellten oder ihnen zuzuordnenden Einrichtungen- ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform-betrieben werden. Demgegenüber erblickte das Bundesverfassungsgericht in der Krankenhaus-Buchführungsverordnung weder einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot noch gegen Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 GG oder gegen Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV. Wie das Gericht unter Bezugnahme auf seine bisherige gefestigte Rechtsprechung ausführte, ist den Kirchen und ihren Einrichtungen die Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten gemäß Art. 137 Abs. 3 WeimRV nur innerhalb der "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" gewährleistet. Zu den für alle geltenden Gesetzen könnten allerdings nur solche rechnen, die für die Kirche dieselbe Bedeutung haben wie für Jedermann. Dazu komme, daß selbst dann, wenn eine Regelung prinzipiell ein für alle geltendes Gesetz im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WeimRV darstelle, noch nicht gesagt sei, daß diese staatliche Rechtsetzung in jedem Fall dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vorgehe. Der Gesetzgeber sei vielmehr auch dann gehalten, Sinn und Geist der grundgesetzliehen Wertordnung zu beachten. Denn Art. 137 Abs. 3 WeimRV gewährleiste in Rücksicht auf das zwingende Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen sowohl das selbständige Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen als auch den staatlichen Schutz anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter. Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck sei durch entsprechende Güterahwägung Rechnung zu tragen. BGBl. I S. 1568. Beschluß vom 25: 3. 1980 (2 BvR 208176), BVerfGE 53, S. 366ff.; KirchE 18, S. 69 ff.; NJW 1980, S. 1895 ff.; DVBl. 1980, S. 55 ff.; EuGRZ 1980, S. 295 ff.; JZ 1980, S. 397 ff.; ArchKathKR 149 (1980), S. 237 ff.; ZevKR 26 (1981), S. 80 ff. Vgl. zu dieser Entscheidung auch Listl, Dieneuere Rechtsprechung (Anm. 1), S. 588 ff.; ferner Hollerbach (Anm. 2), AöR 106 (1981), S. 244 ff. 68 GVBl. S. 210. 66 67

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Bei der in diesen Grenzen vorzunehmenden Abwägung sei davon auszugehen, daß staatliche Regelungen auf dem Sektor des Gesundheitswesens im Interesse des Gemeinwohls von allgemeiner und hoher Bedeutung seien. Das Ziel einer wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhausversorgung sei ein wichtiges Anliegen des Gesetzgebers. Die Vorschriften der Krankenhaus-Buchführungsverordnung seien in diesem Rahmen zu sehen. Sie dienten dazu, daß das Krankenhausfinanzierungsgesetz mit seinen Förderungsmaßnahmen, das die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser bezwecke, nach einheitlichen Buchführungs- und Bilanzierungsgrundsätzen durchgeführt werden könne. Sie richteten sich an alle Krankenhäuser und griffen nur in einem Randbereich in die Organisationsfreiheit der Beschwerdeführer ein, wobei diese- je nach ihrer Rechtsform-ohnehin an sonstige Rechnungs- und Buchführungsvorschriften des Handels- und Steuerrechts gebunden seien. Daß der Verordnungsgeber bei der hier gegebenen Sach- und Rechtslage die ihm durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV gezogenen Grenzen überschritten hätte, sei nach alledem nicht festzustellen. 2. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Werkstättenverordnung (Schwerbehindertengesetz)

Ebenfalls den kirchlichen sozial-karitativen Bereich betrifft ein Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 1986 69 . In dieser Entscheidung hat das Gericht insgesamt 23 Verfassungsbeschwerden kirchlicher Einrichtungen und einiger Schwerbehinderter gegen eine Reihe von Bestimmungen der Dritten Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (Werkstättenverordnung Schwerbehindertengesetz - SchwbWV) vom 13. August 1980 70 wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen. Der Zulässigkeit dieser Verfassungsbeschwerden stand der Grundsatz der Subsidiarität des Verfassungsrechtsweges entgegen. Nach der Auffassung des Gerichts war es den Beschwerdeführern zuzumuten, gegen die behaupteten Eingriffe in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zunächst Abhilfe auf dem Rechtsweg zu den Fachgerichten zu suchen. Weder erwachse den Beschwerdeführer hierdurch ein schwerer und unabwendbarer Nachteil, noch bleibe auf diese Weise eine Verfassungsfrage von allgemeiner Bedeutung ohne rechtfertigenden Grund 69 Beschluß vom 10. 4. 1986 (2 BvR 930, 931 und 947/81), bisher nicht veröffentlicht. 70 BGBl. I S. 1365.

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einstweilen unentschieden. Auch die Fachgerichte wären im übrigen in der Lage, etwaige grundrechtswidrige Normwirkungen der Werkstättenverordnung von den Beschwerdeführern abzuwenden und diese vor schwerwiegenden Nachteilen zu bewahren. Aus den dargelegten Gründen der Subsidiarität müßte die Abwägung für oder wider die sofortige Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch gegenüber "allgemein bedeutsamen" Sachfragen im Zusammenhang mit Bestimmungen der Werkstättenverordnung zu Lasten der Beschwerdeführer ausfallen. 3. Zulässigkeit steuerstrafrechtlicher Untersuchung gegen eine Religionsgemeinschaft

Weder das Grundrecht der Religionsfreiheit noch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht stehen einer steuerstrafrechtlichen Durchsuchung der Verwaltungsräume einer Religionsgemeinschaft entgegen. Das Bundesverfassungsgericht (Vorprüfungsausschuß gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG a.F.) hat deshalb durch Beschluß vom 8. August 198471 die Verfassungsbeschwerde einer Religionsgemeinschaft, mit der sich diese gegen eine steuerstrafrechtliche Durchsuchung ihrer Verwaltungsräume gewandt hatte, teils wegen Unzulässigkeit, da die Beschwerdeführerin den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht erschöpft hatte, teils mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. In seiner Entscheidungsbegründung erklärte das Gericht, daß sich wegen der genannten Maßnahmen ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und 2, 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV nicht feststellen lasse. Unabhängig von der Frage, ob sich die Beschwerdeführerin, bei der es sich um eine sog. "neue Religion" handelte, überhaupt auf diese Verfassungsnormen berufen könne, fänden jedenfalls die daraus abzuleitenden Rechte dort ihre Grenze, wo sie mit anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Gemeinschaftsinteressen in Widerspruch gerieten. Zu den im System des Grundgesetzes enthaltenen Wertentscheidungen gehöre auch das Interesse der staatlichen Gemeinschaft an einer funktionstüchtigen Rechtspflege. Die von der Beschwerdeführerin beanstandeten gerichtlichen Zwangsmaßnahmen seien ein Teil hiervon. Nach den verfassungsgerichtlicher Prüfung zugrunde zu legenden Feststellungen der Fachgerichte seien die Maßnahmen erforderlich gewesen, um in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Beweisgegenstände aufzufinden und sicherzustellen. Da sie somit dem rechtsstaatlichen Gebot der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen n Beschluß vom 8. 8. 1984 (2 BvR 938/84), bisher nicht veröffentlicht.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Strafrechtspflege entsprächen und hier einem konkreten, gewichtigen Aufklärungsinteresse dienten, komme ein verfassungswidriger Eingriff in etwaige Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte der Beschwerdeführerin nicht in Frage.

vn. Kriegsdienstverweigerung In zwei auch religions- bzw. staatskirchenrechtlich relevanten Entscheidungen hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit Fragen der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gemäß Art. 4 Abs. 3 GG zu befassen. · 1. Unzulässigkeit theologisch begründeter Argumente gegen die Wehrpflicht

Durch Urteil vom 24. April1985 72 hat das Gericht die Vereinbarkeit des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz- KDVNG) vom 28. Februar 1983 73 mit dem Grundgesetz festgestellt. Nach diesem Gesetz bildet der gegenüber dem Grundwehrdienst um ein Drittel auf zwanzig Monate verlängerte Zivildienst nunmehr das "tragende Indiz" für das Vorliegen einer echten Gewissensentscheidung. Wie das Gericht festgestellt hat, trägt die neue Regelung dem Schutz des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG ebenso Rechnung wie der Grundentscheidung der Verfassung für eine effektive militärische Landesverteidigung. Das Gesetz anerkennt dabei nur die prinzipielle und generelle, nicht dagegen auch die situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung. Theologisch begründete Argumente könnten gegen den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Begriff des Gewissens und der Gewissensentscheidung berechtigterweise nicht vorgetragen werden. Ob allerdings, wie das Gericht meint, das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG auch an das Grundrecht der Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG "anknüpft" 74 , dürfte zweifelhaft sein. Die Kriegsdienstverweige72 Urteil vom 24. 4. 1985 (2 BvF 2, 3, 4/83 und 2/84), BVerfGE 69, S. 1 ff.; EuGRZ 1985, S. 193ff.; NJW 1985, S. 1519 ff.; DVBL 1985, S. 671 ff.; DÖV 1985, S. 825ff. Vgl. hierzu Joseph Listl, Gewissen und Gewissensentscheidung im Recht der Kriegsdienstverweigerung, in: DÖV 1985, S. 801 ff. 73 BGBL I S. 203. 74 BVerfGE 69, S. 1 (22).

Religions- und Kirchenfreiheit in der Rechtsprechung

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rung aus Gewissensgründen besitzt zwar, historisch betrachtet, religiöse Wurzeln. Im religiös-neutralen Staat der Bundesrepublik Deutschland hat sich das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung in der Rechtstheorie und in der Praxis inzwischen von seinen geschichtlichen Grundlagen aber längst so weit entfernt und verselbständigt, daß es heute eine gegenüber dem Grundrecht der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG keineswegs mehr deduzierbare eigenständige grundrechtliche Gewährleistung darstellt. In seiner Urteilsbegründung geht das Bundesverfassungsgericht zutreffend davon aus, daß dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG hinsichtlich seines Regelungsgehalts eine konstitutive und eigenständige Bedeutung zukomme. Mit Recht lehnt das Bundesverfassungsgericht eine Privilegierung der religiös motivierten Kriegsdienstverweigerung ab. Wie alle Wehrpflichtigen, die sich auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG berufen und damit die Freistellung von der Verpflichtung, ihren Wehrdienst abzuleisten, beantragen, haben auch die Angehörigen solcher Religionsgemeinschaften, die die Ableistung des Wehrdienstes ablehnen, "die Last der Darlegung der von ihnen getroffenen Gewissensentscheidung"75. Die Berufung auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG befreit sie nicht von dieser Verpflichtung. Aus diesem Grunde erscheinen die in der abweichenden Meinung der beiden Richter Böckenförde und Mahrenholz 76 gegen die Senatsmehrheit vorgetragenen Argumente aus den Lehren der katholischen und der evangelischen Kirche über das Gewissen in diesem Zusammenhang nicht ergiebig. 2. Unzulässigkeit religiös begründeter Verweigerung des Zivildienstes

Im Falle einer Verfassungsbeschwerde eines Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gegen seine Heranziehung zum Zivildienst hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluß vom 12. Januar 1987 77 die Beschwerde mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Wie das Gericht in seiner Begründung ausgeführt hat, verletze die Pflicht, Wehrdienst und im Falle der Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen Zivildienst zu leisten (Art. 12 a BVerfGE 69, S. 1 (34). BVerfGE 69, S. 1 (57 ff.). 77 Beschluß vom 12. 1. 1987 (2 BvR 160/85), DÖV 1987, S. 393 f.; NVwZ 1987, s. 676. 75

76

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Abs. 1 und 2 GG), die Rechte des Pflichtigen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GGnicht. Die mit dem Argument begründete Versagung der Befreiung des Beschwerdeführers vom Zivildienst, er sei als Diakon seiner Religionsgemeinschaft nicht "hauptamtlich" im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Zivildienstgesetzes tätig, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "hauptamtlich" seien die angegriffenen Entscheidungen ersichtlich einer inzwischen gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt. Die gesetzlich vorgesehenen Befreiungen vom Zivildienst kämen zu Recht nur solchen Zivil- und (Wehr-)dienstpflichtigen zu, die in ihren Religionsgemeinschaften ihnen auf Dauer übertragene Dienste wahrnähmen. Der Geistliche eines anderen Bekenntnisses im Sinne des§ 10 Abs. 1 und 3 des Zivildienstgesetzes müsse sich seinem Dienst mit einer den Geistlichen der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche vergleichbaren Intensität und Nachhaltigkeit widmen. Ob dem so sei, folge maßgeblich aus dem zeitlichen Aufwand für eine neben dem geistlichen Amt ausgeübte Erwerbstätigkeit. Nur wenn diese geringfügig sei, bestehe eine hinreichende Gewähr dafür, daß der Geistliche sich seiner geistlichen Tätigkeit auch auf Dauer widmen werde. Diese Auslegung sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie sei nicht an Maßstäben orientiert, die den spezifischen Anschauungen einer Religionsgemeinschaft, etwa einer der beiden großen christlichen Konfessionen, entnommen wären, sondern vielmehr bekenntnisneutraL Sie stelle auf das gesellschaftliche Erscheinungsbild des Geistlichen ab, der seiner Religionsgemeinschaft ganz überwiegend für die Ausübung seiner geistlichen Tätigkeit zur Verfügung stehe, wie dies bei den nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Zivildienstgesetzes vom Zivildienst befreiten Geistlichen evangelischen und römisch-katholischen Bekenntnisses typischerweise der Fall sei. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Parität der Religionsgemeinschaften werde dadurch nicht verletzt. Vlß. Sonstige Entscheidungen 1. Kirchlicher Dienst als "öffentlicher Dienst"

In einer aufgrund mehrerer Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse ergangenen Entscheidung vom 25. November 198078 hatte sich das Bun78 Beschluß vom 25. 11. 1980 (2 BvL 7, 8, 9176), BVerfGE 55, S. 207 ff.; NJW 1981, S. 971 ff.; DVBl. 1981, S. 450 ff.; EuGRZ 1981, S. 152 ff.

Religions- und Kirchenfreiheit in der Rechtsprechung

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desverfassungsgericht mit einer Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ausgestaltung des Nebentätigkeitsrechts der Beamten in Nordrhein-Westfalen zu befassen. Das Gericht erklärte hierbei die Bestimmungen des § 75 Satz 2 Nummern 1 und 2 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. August 1966 79 für mit dem Grundgesetz vereinbar. Dem Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat entspreche es, daß die einzelnen Landesbeamtengesetze auf die Beamten der Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften keine Anwendung fänden. Damit stehe die Bestimmung des § 168 Abs. 5 Satz 1 des Landesbeamtengesetzes von Nordrhein-Westfalen im Einklang, nach der die Beschäftigung bei Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften oder ihren Verbänden nicht unter die Bestimmungen des staatlichen Versorgungsrechts falle. Als "öffentlicher Dienst" lasse sich auch eine entsprechende Tätigkeit für Religionsgemeinschaften verstehen, soweit diese als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert seien. Jedoch erhelle schon aus der den Kirchen durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WeimRV eingeräumten besonderen Stellung, daß der Dienst innerhalb der Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften sowie ihrer Verbände nicht dem Begriff des öffentlichen Dienstes im Sinne des Nebentätigkeitsrechts zuzuordnen sei. Die Religionsgemeinschaften seien nicht Teil der Staatsverwaltung, sondern ungeachtet ihrer Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechts dem Staat in keiner Weise inkorporiert, also auch nicht im weitesten Sinn "staatsmittelbare" Organisationen oder Verwaltungseinrichtungen 80 . Der Landesgesetzgeber habe diese Schranken gesehen und akzeptiert, wenn er in§ 168 des Landesbeamtengesetzes bestimmt habe, daß Versorgungsbezüge nur bis zu einer gewissen Höchstgrenze gewährt würden, wenn ein Versorgungsberechtigter aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst ein Einkommen beziehe, und dabei ausdrücklich festgelegt habe, daß der Begriff "Verwendung im öffentlichen Dienst" nicht eine Beschäftigung bei Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften oder ihren Verbänden umfasse. Für den insoweit vergleichbaren Regelungsbereich im Nebentätigkeitsrecht der Beamten und Richter könne nichts anderes gelten.

79

GVBL S. 427.

so BVerfGE 55, S. 207 (230). 10 Sbd. List!

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Freiheit der Religion und des Gewissens

2. Strafrechtlicher Schutz der Bezeichnung "Pastor"

Durch Beschluß vom 4. Mai 1984 81 (Vorprüfungsauschuß gemäߧ 93 a BVerfGG a.F.) hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf und der Vorinstanz, durch die der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Führens einer inländischen Amtsbezeichnung (§ 132 a Abs. 1 und 3 des Strafgesetzbuches - StGB), nämlich wegen unerlaubten Führens der kirchlichen Amtsbezeichnung "Pastor", verurteilt worden war, mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Wie das Gericht feststellte, ist die Bestimmung des § 132 a Abs. 3 StGB von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. In seiner Entscheidungsbegründung führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß die genannte Strafbestimmung nicht dem Schutz der berechtigten Inhaber von Amtsbezeichnungen, sondern dem der Allgemeinheit vor dem Auftreten von Personen diene, die sich durch den unbefugten Gebrauch solcher Bezeichnungen den Schein besonderer Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit gäben. Mit dieser Zielsetzung verletze der strafrechtliche Schutz von Amtsbezeichnungen der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ·die privatrechtliehen Religionsgemeinschaften weder in ihrer Vereinigungsfreiheit noch in ihrer Selbstbestimmung (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 und 3 WeimRV) oder in ihrer Kultusfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG). Den Religionsgemeinschaften des Privatrechts sei es nicht verwehrt, ihren Mitgliedern mit herausgehobenen Funktionen entsprechende Funktionsbezeichnungen oder jede andere eigenständige Bezeichnung zu geben. Daß sie darüber hinaus auch Zugriff auf die auf kirchengesetzlichen Vorschriften beruhenden, an bestimmte Qualifikationen geknüpften und mit vielfältigen Rechten und Pflichten ausgestatteten Amtsbezeichnungen der öffentlich-rechtlichen Kirchen haben müßten, fordere die Verfassung nicht. 3. Religiös motivierte Eidesverweigerung bei Übernahme eines Kommunalmandats

Bei Übernahme eines Kommunalmandats kann der gesetzlich vorgeschriebene Eid aus religiösen Gründen verweigert werden. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 25. Oktober 1988 82 • Vom Landkreis Fürstenfeldbruck war einem in den Kreistag 81 Beschluß vom 4. 5. 1984 (2 BvR 1837/83), ZevKR 31 (1986), S. 90 f. mit Anm. von Matthias Quarch. 82 BVerfG, Beschluß vom 25. 10. 1988 (2 BvR 745/88), bisher nicht veröffentlicht.

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gewählten Bewerber die Übernahme seines Mandats als Kreisrat verwehrt worden, weil er den in Art. 24 der Bayerischen Landkreisordnung vorgeschriebenen Eid verweigert hatte. Nach bayerischem Kommunalrecht gilt die Wahl als abgelehnt, wenn der Gewählte nicht zum Eid bereit ist. Der Bewerber, der sich unter Berufung auf die Bergpredigt durch seinen christlichen Glauben und sein Gewissen am Schwören gehindert sah, erklärte sich bereit, in der Form einer feierlichen Beteuerung eine Verpflichtungserklärung gleichen Inhalts abzugeben in der Annahme, hierdurch ebenso gebunden zu werden wie andere durch den Eid. Der Klage des Beschwerdeführers auf Zulassung zum Kreistag war vom Verwaltungsgericht München stattgegeben worden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte dagegen die Klage abgewiesen83 • Über die Klage hat noch das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich zu entscheiden. Den zusätzlichen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Bewerber erreichen wollte, daß er bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage nach einer entsprechenden feierlichen Beteuerung sein Amt ausüben dürfe, hatten das Verwaltungsgericht München und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof übereinstimmend abgelehnt. Die hiergegen, d. h. gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Wie der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts erklärte, verletze die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes den Anspruch des Beschwerdeführers auf einen effektiven Rechtsschutz gern. Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit der Gewährleistung des vom religiösen Bekenntnis unabhängigen Genusses staatsbürgerlicher Rechte aus Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GG und seines Grundrechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG. Im einzelnen begründete das Gericht seine Entscheidung damit, daß die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte die Befugnis einschließe, Kommunalmandate, die aufgrund des passiven Wahlrechts errungen worden seien, auch antreten zu dürfen. Diese sollten nicht nur von der Zugehörigkeit zu einer organisierten Religionsgemeinschaft unabhängig sein, sondern, wie im Falle des Beschwerdeführers, von jedem auch individuell besonderen - Bekenntnis. Dem Beschwerdeführer dürfe deshalb die Ausübung des von ihm errungenen Kommunalmandats nicht aus Gründen verweigert werden, die auch unter Berücksichtigung von aus dem Amt sich ergebenden zwingenden Erfordernissen

aa BayVGH, Urteil vom 25. 11. 1987 (Nr. 4 B 87.00454), in: BayVBl. 1988,

s. 400ff. 10*

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Freiheit der Religion und des Gewissens

mit der in Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Glaubens- und Gewissensfreiheit unvereinbar seien. Der Senat bezog sich in seinem Beschluß auf seine frühere Entscheidung vom 11. April1972, wonach eine Glaubensüberzeugung, die auch den ohne Anrufung Gottes geleisteten Zeugeneid aus religiösen Gründen ablehne, durch die Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG geschützt sei 84 • Der Senat führt diese Rechtsprechung nunmehr fort, indem er erklärt, daß in solchen Fällen bereits durch die Rechtspflicht zur Eidesleistung in die Glaubens- und Gewissensfreiheit eingegriffen werde, auch wenn diese Verpflichtung im Falle eines Mandatsträgers im Unterschied zum Zeugeneid - nicht erzwingbar sei. Eine feierliche Beteuerung mit im übrigen gleichem Inhalt, durch die sich der Beschwerdeführer hier ebenso gebunden sehe wie andere durch den Eid, wahre auch das öffentliche Interesse an der persönlichen Verantwortung der Kreistagsmitglieder für die Beachtung ihrer Amtspflichten. Angesichts dieses Ergebnisses der vorläufigen Prüfung hätten, wie das Gericht abschließend feststellte, die VeiWaltungsgerichte die einstweilige Anordnung erlassen müssen. Die Wahlperiode laufe nämlich 1990 ab. Damit würde das Recht des Beschwerdeführers, sein Mandat auch auszuüben, fortschreitend endgültig vereitelt. Dieser Rechtsverlust könnte später nicht wieder rückgängig gemacht werden. Dieses vom Bundesverfassungsgericht gefundene Ergebnis eiWeckt Bedenken. Der Senat entwickelt hier seine frühere Rechtsprechung im Anschluß an seine Entscheidung vom 11. April 1972 weiter. In dieser Entscheidung hatte das Gericht einerseits ausdrücklich festgestellt, daß der ohne Anrufung Gottes geleistete Eid nach der Vorstellung des Verfassunggebers keinen religiösen oder in anderer Weise transzendenten Bezug habe, andererseits aber die Auffassung vertreten, daß eine Glaubensüberzeugung, die auch den ohne Anrufung Gottes geleisteten Zeugeneid aus religiösen Gründen ablehne, durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt werde85 . Zu dieser Entscheidung hatte Karl Peters damals angemerkt, daß es von dem Verfassungsverständnis des Bundesverfassungsgerichts aus nahegelegen hätte, die Verpflichtung zur Eidesleistung zu bejahen. Daß in dem vom Bundesverfassungsgericht damals entschiedenen Fall die EidesveiWeigerung ausschließlich auf Kosten der Rechtsordnung stattgefunden habe, habe weder der rechtlichen noch der sittlichen 84 BVerfG, Beschluß vom 11. 4. 1972 (2 BvR 75/71), BVerfGE 33, S. 23 ff.; JZ 1972, S. 515 f. mit abl. Anm. von Karl Peters, S. 520 f.; NJW 1972, S. 1183 ff. Vgl. hierzu auch Horst Woesner, Der Gerichtseid als Fremdkörper in der verfassungsmäßigen Ordnung, in: NJW 1973, S. 169 ff. 85 BVerfGE 33, S. 23 und 28.

Religions- und Kirchenfreiheit in der Rechtsprechung

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Notwendigkeit entsprochen86 . Auch bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Oktober 1988 erhebt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung dem Erfordernis der Bestimmung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WeimRV, wonach die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden, in der durch Art. 4 Abs. 1 GG gebotenen Weise gerecht geworden oder ob es, wie es scheint, in einer durch Art. 4 Abs. 1 GG nicht mehr gebotenen Weise zu Lasten der Rechtsordnung vor einer exzessiven subjektivistischen Forderung zurückgewichen ist87 • 4. Beschränkungen der Religionsausübung im Strafvollzug

Die Ausübung des Grundrechts der Religionsfreiheit in der Strafhaft unterliegt Beschränkungen, die im Interesse eines geordneten Strafvollzugs geboten sind88 . In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß gemäß § 93 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BVerfGG vom 12. November 1987 die Verfassungsbeschwerde eines im gelockerten Vollzug befindlichen Strafgefangenen mangels Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen, der sich dadurch in seiner Religionsfreiheit verletzt glaubte, daß ihm der Besuch einer bestimmten, nur im geschlossenen Vollzug angebotenen Veranstaltung, eines Gesprächskreises des katholischen Strafanstaltpfarrers, verwehrt wurdesg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Gefangene, der eine lebenslängliche Freiheitsstrafe verbüßt und jahrelang an einem vom Anstaltspfarrer im räumlichen Bereich des geschlossenen Vollzugs veranstalteten Gesprächskreis teilgenommen hatte, gegen einen Beschluß des Oberlandesgerichts Koblenz 90 . Der zuständige Strafvollzugssenat hatte den Beschluß der Strafvollstreckungskammer bestätigt, die den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet verworfen hatte, weil eine Trennung der auswärts arbei86 Peters, (Anm. 84), S. 520f. Vgl. hierzu auch Hollerbach, (Anm. 2), AöR 106 (1981), s. 231 ff. 87 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Joseph Listl, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 396 ff.; ferner ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 81 ff. 88 Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 54 ff. (67 ff.). 89 BVerfG, Beschluß vom 12. 11. 1987 (2 BvR 1388/87), in: ZevKR 33 (1988), s. 469. 90 ZevKR 33 (1988), S. 464 ff.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

tenden Gefangenen von den Gefangenen des geschlossenen Vollzugs aus Gründen der Sicherheit der Anstalt unerläßlich und der Ausschluß des Gefangenen von der Teilnahme am Gesprächskreis des Anstaltspfarrers somit gerechtfertigt sei. Darüber hinaus hatten sowohl die Strafvollstreckungskammer als auch der Strafvollzugssenat mit eingehender und umfassender und im Ergebnis durchaus zutreffender und überzeugender Begründung festgestellt, daß der Gesprächskreis wegen der weithin nicht religionsbezogenen Themen keine religiöse Veranstaltung im Sinne des § 54 des Strafvollzugsgesetzes sei und der Gefangene daher auch unter dem Gesichtspunkt der Inanspruchnahme des Grundrechts der Religionsausübung keinen Anspruch auf Teilnahme an diesem Gesprächskreis habe 91 . Diese Begründung hatte bei vielen Strafanstaltspfarrern eine beträchtliche, sachlich jedoch nicht berechtigte Empörung ausgelöst. Das Bundesverfassungsgericht ging in seiner Entscheidungsbegründung auf die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer und des Strafvollzugssenats, daß es sich bei dem in Frage stehenden Gesprächskreis nicht um eine religiöse Veranstaltung handele, mit keinem Wort ein. Das Gericht begründete seine Entscheidung vielmehr ausschließlich damit, daß das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht gewährleiste, daß der im gelockerten Vollzug befindliche Beschwerdeführer eine bestimmte, nur im geschlossenen Vollzug angebotene Veranstaltung besuchen könne, zumal er im Rahmen des gelockerten Vollzugs innerhalb und außerhalb der Anstalt umfassend von seinem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Gebrauch machen könne 92 •

91 Anderer Auffassung Albert Stein, Glaubensfreiheit im Strafvollzug, in: ZevKR 33 (1988), S. 446 ff. 92 ZevKR 33 (1988), S. 469.

Religionsfreiheit I. Zeitalter der Glaubensspaltung

Die Religionsfreiheit, die immer im Kontext des jeweiligen Verhältnisses von Staat und Kirche gesehen werden muß, hat in ihrem Verständnis und ihrer Verwirklichung im Laufe der geschichtlichen Entwicklung tiefgreifende Veränderungen erfahren. Das Reich Karls des Großen und ebenso das Heilige Römische Reich des hohen und späten Mittelalters beruhten auf der Einheit von Staat, Gesellschaft und katholischer Religion. Die Religionshoheit lag bei Kaiser und Reich. Die Reformation hat diese Glaubenseinheit zerstört. In dem Prozeß der zunehmenden und sich immer deutlicher offenbarenden Schwäche der kaiserlichen Macht und der parallel dazu erfolgenden fortschreitenden Erstarkung der Landeshoheit und der partikularen Gewalten war nach dem Grundsatz cuius regio, eius religio die Religionshoheit, das ius reformandi, auf die weltlichen Reichsstände, d. h. die Fürsten und Reichsstädte, übergegangen. Erstmals im Reichstagsabschied von Speyer von 1526, später erneut im Passauer Vertrag von 1552 und endgültig im Augsburger Religionsfrieden vom 25. 9. 1555 wurde den weltlichen Reichsständen das Recht zuerkannt, sich entweder zur "alten Religion" oder zur "Augsburger Konfession" zu bekennen. Für die Einwohner der einzelnen Territorien bedeutete dies jedoch kein Wahlrecht zwischen dem katholischen und dem neuen Glauben. Die Religionsfreiheit war im Zeitalter der Glaubensspaltung kein Menschen- oder Bürgerrecht im heutigen Sinn, sondern ausschließlich ein "Fürstenrecht". Das ius reformandi gewährte dem Landesherrn das Recht, die von ihm gewählte Konfession seinem Lande aufzuzwingen. Als Einzelbestandteile enthielt das ius reformandi die Befugnis, für die Landesangehörigen eine der beiden Reichskonfessionen zur Landesreligion zu erheben (ius recipiendi), die andere Konfession zu mißbilligen, zu verbieten und ihre Anhänger aus dem Lande zu vertreiben (ius reprobandi) oder diese ausnahmsweise unter bestimmten, auch beliebiErstveröffentlichung in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Bd. 4, Berlin: Erich Schmidt Verlag 1990 (in 28. Lieferung 1987), Sp. 862-869. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Erich Schmidt Verlags, Berlin.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

gen, Bedingungen und Beschränkungen zu dulden (ius tolerandi). Die Reformation brachte somit "nicht Glaubensfreiheit, sondern Glaubenszweiheit" (Anschütz). Auch Luther betrachtete die cura religionis als die vornehmste Aufgabe des Fürsten. Dessen Pflicht, für die Wahrung der Einheitlichkeit der Religionsübung einzutreten, wurde von Luther niemals in Frage gestellt. Luther hat den Einsatz staatlicher Machtmittel für die Unterdrückung der katholischen Religion ebenso gefordert wie für die Bekämpfung der Wiedertäufer (Lecler, S. 241 ff., 247 ff.). Zu keiner Zeit in der Geschichte des christlichen Abendlandes wurde die Religionsfreiheit in einem für das heutige Verständnis so unvorstellbaren Maße vergewaltigt wie durch ihre Inanspruchnahme als "Fürstenrecht" in den mit den Begriffen "Reformation" und- in Übernahme der hierbei zuerst entwickelten und praktizierten Grundsätze- "Gegenreformation" umschriebenen historischen Ereignissen. II. Westfälischer Friede

Im Westfälischen Frieden wurde das reformierte Bekenntnis der katholischen und Augsburgischen Konfession als dritte reichsrechtlich anerkannte Konfession gleichgestellt. Im Reich herrschte nunmehr "Glaubensdreiheit". Die Religionshoheit der Reichsstände bestand grundsätzlich unverändert weiter. Nach §§ 31 und 32 Art. V des Friedensvertrages von Osnabrück waren die Reichsstände jedoch verpflichtet, denjenigen andersgläubigen Untertanen, die im "Normaljahr" 1624 das Recht der öffentlichen oder privaten Religionsübung nach katholischer oder Augsburgischer KonfeS1Sion besessen hatten, dieses Recht auch in Zukunft zu gewähren. Es bedeutete einen ersten Anfang religiöser Toleranz, daß Landesherren, insoweit unter partiellem Verzicht auf das ius reformandi, nach § 34 Art. V dieses Friedensvertrages verpflichtet wurden, andersgläubigen Untertanen, die das Recht der öffentlichen oder privaten Religionsübung im Jahre 1624 nicht besessen hatten, oder Untertanen, die künftig zu einer anderen reichsrechtlich anerkannten Konfession konvertieren wollten, ohne Beaufsichtigung und Störung nach ihrem freien Gewissen "ihre private Hausandacht" (devotio domestica simplex), d. h. ohne Möglichkeit der Beiziehung eines Priesters oder Geistlichen, zu gestatten. Außerdem sollte es ihnen freistehen, in Nachbargemeinden am öffentlichen Gottesdienst ihrer Konfession teilzunehmen. Im Ergebnis hat der Westfälische Frieden die Lage wenig verändert. Die öffentliche und (gemeinsame) private Religionsausübung (Kultusfreiheit) blieb, abgesehen von einigen Reichsstädten, in denen die "gemischte Religions-

Religionsfreiheit

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übung" zulässig war, der einzigen öffentlich anerkannten Religion bzw. Konfession vorbehalten.

m. Aufklärung, 19. Jahrhundert, Deutsches Reich bis zum Ende der Monarchie

In Preußen, das nach der Eroberung Schlesiens und dem Erwerb rein katholischer Gebiete in Westpreußen (Posen) einen starken katholischen Bevölkerungsanteil erhalten hatte, gestattete Friedrich II., keineswegs aus Wohlwollen gegenüber der katholischen Kirche, "sondern lediglich aus politischen Gründen" (Löhr}, für das Gebiet der gesamten Monarchie, d. h. auch in den sog. altpreußischen Stammlanden, die Ausübung der katholischen Religion. Vorher war in Preußen die Ausübung des katholischen Kultus durch verschiedene Verträge, insbesondere den Religionsrezeß zwischen Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg und dem katholischen Kurfürsten Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg für Jülich, Kleve, Berg, Mark und Ravensberg vom 26. 4. 1672, auf einzelne überwiegend katholische Territorien Preußens beschränkt. Im Edikt vom 9. 7. 1788, die Religionsverfassung in den Preußischen Staaten betreffend (sog. "Wöllnersches" Religionsedikt), wurden alle drei Haupt-Confessionen der Christlichen Religion, nämlich die Reformierte, Lutherische und Römisch-Katholische, ausdrücklich als solche anerkannt. Unter Verletzung der Bestimmungen des Westfälischen Friedens wurden "außer der jüdischen Nation die Herrenhuter, Mennoniten und die Böhmische Brüdergemeine" als "öffentlich geduldete Sekten" anerkannt (vgl. Fürstenau, S. 298 f.). Darüber hinaus wurde jedem Einwohner Preußens persönliche Gewissensfreiheit, d. h. die private Hausandacht, zugesichert, jedoch mit der Einschränkung, "so lange ein jeder ruhig als ein ruhiger Bürger des Staates seine Pflichten erfüllet, seine jedesmalige besondere Meynung aber für sich behält und sich sorgfältig hütet, solche nicht auszubreiten oder andere dazu zu überreden, und in ihrem Glauben irre oder wankend zu machen" (vgl. Fürstenau, ebd.). Auch das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 sicherte in§§ 2 und 7 II 11 jedem Einwohner volle Glaubens- und Gewissensfreiheit zu und bestimmte, daß jeder Hausvater seinen häuslichen Gottesdienst nach Gutdünken anordnen könne. Die als "Religionsgesellschaften" bezeichneten Kirchen unterlagen jedoch weiterhin strengster Kontrolle und Reglementierung. Im Toleranzedikt vom 10. 1. 1803 und erneut in der Verfassungsurkunde vom 26. 5. 1818 (Tit. 4 § 9} gewährte auch Bayern den drei reichsrechtlich anerkannten christlichen Bekenntnissen volle Parität,

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Freiheit der Religion und des Gewissens

d. h. die öffentliche Religionsausübung, und jedem Einwohner die vollkommene Gewissens-Freyheit, d. h. die einfache Hausandacht. Auch

im Großherzogtum Baden (Verfassungsurkunde vom 22. 8. 1818) wurde den drei christlichen Konfessionen die "freie öffentliche Religionsausübung" und allen Einwohnern des Landes "ungestörte Gewissensfreiheit" zugesichert. Als erster deutscher Bundesstaat garantierte das konfessionell besonders stark gemischte Kurfürstentum Hessen jedem Einwohner "vollkommene Freiheit des Gewissens und der Religionsübung" (Verfassungsurkunde vom 5. 1. 1831). Eine Reihe mittel- und norddeutscher Einzelstaaten versagte während des gesamten 19. Jahrhunderts in einer heute kaum mehr verständlichen Intoleranz den Katholiken das Recht der öffentlichen und privaten Religionsausübung (Kultusfreiheit). Auch nach der Gründung des Deutschen Reichs im Jahre 1871 war von Reichs wegen nur das Individualrecht der Bekenntnisfreiheit und die einfache Hausandacht gewährleistet. Kein Bundesstaat war verpflichtet, den Bürgern bzw. den Kirchen die gemeinsame private oder öffentliche Religionsausübung, d. h. die Kultusfreiheit zu gestatten. Anträge der Zentrumspartei, die Aufnahme religiöser Grundrechte in die Verfassung des Norddeutschen Bundes und in die Reichsverfassung zu erreichen, blieben erfolglos. Auch der erstmals am 23. 11. 1900 und später noch zweimal im Reichstag eingebrachte spektakuläre "Toleranzantrag" ("Entwurf eines Reichsgesetzes betr. die Freiheit der Religionsübung") der Reichstagsfraktion der Zentrumspartei wurde nicht Gesetz. Die große Publizität dieses Antrags hatte jedoch zur Folge, daß z. B. auch in Mecklenburg am 5. 3. 1903 die öffentliche Religionsausübung gestattet wurde. In Braunschweig und im Königreich Sachsen blieb es jedoch bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 dabei, daß "keine Messe zulässig war, wenn sie nicht vorher ausdrücklich von der Regierung genehmigt wurde" (vgl. Listl, Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht, S. 50). Wahrend des gesamten 19. Jahrhunderts und bis zum Ende der Monarchie blieb die Religionsfreiheit ein reines Individualrecht, und zwar ein "negatives" Abwehrrecht von Dissidenten, die den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfaßten und mit dem. Staat - im Falle der evangelischen Landeskirchen sogar als "Staatskirchen" -eng kooperierenden "Hauptkonfessionen" des Staates nicht angehörten oder nicht mehr angehören wollten. Ihnen gegenüber übte der Staat Toleranz. IV. Weimarer Republik

Erst die Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 brachte durch ihren Art. 135 (Alle Bewohner des Reiches genießen volle Glaubens-

Religionsfreiheit

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und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.) allgemeine Religionsfreiheit mit den Einzelelementen der Bekenntnisfreiheit (mit Einschluß der Gewissens- und Glaubensfreiheit), der Kultusfreiheit

(Recht der gemeinschaftlichen privaten und öffentlichen Religionsausübung) und der religiösen Vereinigungsfreiheit. Durch die Abschaffung der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WVR), wie sie bis zum Ende der Monarchie insbesondere in der Form des protestantischen landesherrlichen Summepiskopats bestanden hatte, und die Gewähr allgemeiner Religionsfreiheit wurde die Weimarer Republik zum religiös neutralen Staat. Alle Kultusprivilegien einzelner Kirchen und Konfessionen waren damit beseitigt. Für die Gewähr von Toleranz für kleine Religionsgemeinschaften, Sekten und Dissidenten war nunmehr kein Raum. Das durch die Weimarer Reichsverfassung konstituierte Staatswesen war zwar ein religiös neutraler, aber kein laizistischer Staat. Die Weimarer Republik kannte keine radikale oder gar kirchenfeindliche Trennung von Staat und Kirche, es bestanden in ihr vielmehr zahlreiche Formen der Kooperation zwischen Staat und Kirche fort.

V. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 Das Grundgesetz der Religionsfreiheit wird durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und in den durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierten Weimarer Kirchenartikeln (Art. 136-139 und 141 WRV) in vollem Umfang und in seinen sämtlichen individualrechtliehen und korporativen Bezügen als Menschenrecht gewährleistet. In einer Fülle von Entscheidungen hat die Rechtsprechung dem Grundrecht der Religionsfreiheit in sämtlichen Lebensbereichen zu seiner vollen Verwirklichung verholfen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der Religionsausübung "gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv" interpretiert. Zur Religionsausübung gehören damit auch Caritas und Diakonie. Die Judikatur hat ferner auch die korporativen Erscheinungsformen der Religionsfreiheit anerkannt. Damit wurde nicht nur dem einzelnen, sondern auch den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und ihren Untergliederungen und Einrichtungen und ferner auch solchen Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen und weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziele gesetzt haben, ein grundrechtlich gesicherter Freiheits- und Betätigungsraum garantiert. Rechtssystematisch bildet die Religionsfreiheit ein "Gesamtgrundrecht", das die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sowie das Recht auf freie und unge-

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Freiheit der Religion und des Gewissens

störte Religionsausübung in seinen sämtlichen individualrechtliehen und verbandsmäßigen Erscheinungsformen mit Einschluß des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen in ihren eigenen Angelegenheiten als Einzelgrundrechte und integrierende Bestandteile in sich enthält.

Literatur Gerhard Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. und Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts (Das öffentliche Recht der Gegenwart, 29), Bd. 2, Tübingen 1932, S. 675-689; Godehard Josef Ebers, Religionsgesellschaften, in: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, hrsg. von Hans Carl Nipperdey, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Bd. 2, Berlin 1930, S. 361-427; ders., Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930; Entwurf eines Reichsgesetzes vom 23. 11. 1900, betr. die Freiheit der Religionsübung (sog. "Toleranzantrag"), abgedruckt mit den Berichten über die Reichstags- und Kommissionsverhandlungen und einer Zusammenstellung der bestehenden Reichs-, Bundes- und Landesgesetzgebungen über die Religionsübung in Deutschland, ArchKathKR 82 (1902), Heft 2, S. 1-515, 84 (1904), S. 517-849 (auch separat erschienen); Hermann Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit nach seiner geschichtlichen Entwicklung und heutigen Geltung in Deutschland, 1891 (Neudruck 1975); Martin Heckel, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (=Jus Ecclesiasticum, Bd. 6), Tübingen 1968; Ernst Rudolf Huber- Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Berlin, Bd. 1: 1973; II: 1976; III: 1983; Joseph Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, 2 Bde., Stuttgart 1965 (= Histoire de la tolerance au siecle de la Reforme, Paris 1955, deutsch); Joseph Listl, Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Bonner Grundgesetz, in: Civitas, Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung, Bd. 6, Mannheim 1967, S. 117-165; ders., Die Religionsfreiheit als Individualund Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, hrsg. von Joseph Krautscheidt und Reiner Marre, Bd. 3 (1969), S. 34-95; ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1), Berlin 1971; ders., Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner i.V.m. Joseph Listl, Bd. I, Berlin 1974, S. 363-406; ders., Dieneuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, FS für Hans R. Klecatsky, Bd. I, Wien 1980, S. 571-590; Joseph Löhr, Das Preußische Allgemeine Landrecht und die kath. Kirchengesellschaften (= Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland, Heft 31), Paderborn 1917; Hermann Mirbt, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Die

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Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. 2, Berlin 1930, S. 319-360; Ulrich Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 3), Berlin 1973, S. 33-54.

Das Kruzifix in der Gemeinschaftsschule Stellungnahme zu einer Verfassungsbeschwerde I. Zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer 1. gegen den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 1. März 1991- RO 1 E 91.0167 -. 1

2. gegen den Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juni 1991- 7 CE 91.1014 -. 2 Beide Gerichte vertreten in den genannten Entscheidungen übereinstimmend die Auffassung, das Anbringen eines Kruzifixes, d. h. eines Kreuzes mit Korpus, oder einer sonstigen Kreuzesdarstellung in Unterrichtsräumen öffentlicher Schulen in Bayern verletze nicht das Grundrecht der negativen Religionsfreiheit von Schülern und Eltern, die aus religiös-weltanschaulichen Gründen eine solche Darstellung ablehnten. Demgegenüber erblicken die Beschwerdeführer in den beiden genannten Entscheidungen eine Verletzung des Grundrechts der negativen Religionsfreiheit ihrer Kinder aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie ihres religiösen Erziehungsrechts als Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG sowie ferner "in besonderem Maße" eine Verletzung der dem Staat obliegenden Verpflichtung zu religiöser Neutralität.

Der vorliegende Beitrag gibt eine Stellungnahme wieder, die vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz am 21. Juli 1992 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte in dem Verfahren einer Verfassungsbeschwerde, in der sich die Beschwerdeführer gegen das Anbringen von Wandkreuzen in bayerischen Gemeinschaftsschulen wandten, u.a. auch der Deutschen Bischofskonferenz Gelegenheit zur Äußerung gemäß §§ 94, 77 BVerfGG gegeben. Die Stellungnahme ist bisher nicht veröffentlicht. 1 Veröffentlicht in: BayVBl. 1991, S. 345 mit abl. Anm. von Ludwig Renck. 2 Veröffentlicht in: BayVBl. 1991, S. 751.

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ll. Zur Zulässigkeit religiöser Bezüge in öffentlichen Gemeinschafts-(Pflicht-)Schulen Wie das VeiWaltungsgericht Regensburg in seinem Beschluß vom 1. 3. 1991 und in dem am 4. 9. 1991 ergangenen Urteil im Hauptsacheverfahren (RO 1 K 91.0168) 3 und ebenso der Bayerische VeiWaltungsgerichtshof übereinstimmend ausführen, ist die Ausstattung der Klassenzimmer und anderen Unterrichtsräume der öffentlichen Grundund Hauptschulen in Bayern mit Wandkreuzen rechtmäßig. Sie beruht auf der Bestimmung des § 13 Abs. 1 der Volksschulordnung (VSO) vom 21. 6. 1983, wonach in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen ist. Art. 13 Abs. 1 VSO besitzt, wie das VeiWaltungsgericht Regensburg im einzelnen darlegt, eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Regelung der inneren Schulverhältnisse. Nach Art. 66 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungsund Unterrichtswesen (BayEUG) regelt das zuständige Staatsministerium durch Rechtsverordnung den Schulbetrieb und die inneren Schulverhältnisse an öffentlichen Schulen nach dem in der Verfassung des Freistaates Bayern und in den Schulgesetzen festgelegten Bildungs- und Erziehungsauftrag. Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Ermächtigung zum Erlaß des § 13 Abs. 1 VSO ergeben sich danach aus der VeiWeisung auf die Bestimmungen der Art. 131 Abs. 2, 135, 136 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung und der Art. 1, 2 und 6 BayEUG. 4 Die Beschwerdeführer betrachten sich durch das Anbringen der Wandkreuze in den Schulräumen in ihrem Grundrecht der Glaubensund Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt. Dieses Grundrecht schließe auch das Recht der Eltern ein, ihren Kindem die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln. In besonderem Maße verletze der Staat ihrer Auffassung nach seine Neutralitätspflicht, wenner-wie im vorliegenden Fall- Schulräume mit Kruzifixen bzw. Kreuzen ausstatte. 5 Dadurch, daß sich der Staat, wie die Beschwerdeführer erklären, "aus einer Vielzahl von Weltanschauungen und Religionen in einer geradezu demonstrativen Art und Weise mit den Glaubensinhalten einer einzigen Religion, nämlich der christlichen", identifiziere und diese fördere, verstoße er gravierend gegen die ihm von der Verfassung auferlegte Neutralitätspflicht 6

3 4 5

Bisher nicht veröffentlicht. VG Regensburg, in: BayVBL 1991, S. 345. Beschwerdeschrift, S. 9.

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Im Gegensatz zu der Auffassung der Beschwerdeführer, der Freistaat Bayern "identifiziere" sich durch das Anbringen von Wandkreuzen inhaltlich mit der christlichen Religion, ist das in einem Klassenzimmer anzubringende Kreuz nach der Bestimmung des § 13 Abs. 1 VSO kein "Unterrichtsmittel". Es wird in dieser Vorschrift auch nicht gefordert, daß eine inhaltliche Verbindung jedes Unterrichts mit dem Kreuz herzustellen sei. Die Verpflichtung zum Aufhängen eines Kreuzes steht vielmehr im Kontext mit der Vorschrift, daß die Schule die Eltern u.a. durch das Schulgebet bei der religiösen Erziehung der Kinder unterstütze. Eine derartige, lediglich die religiöse Erziehung fördernde Tätigkeit der Schule ist rechtlich unbedenklich, unabhängig davon, ob sie in der Zulassung eines freiwilligen Schulgebetes außerhalb des Unterrichts oder im Anbringen eines Kreuzes im Unterrichtsraum besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat die Übereinstimmung der christlichen Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung und der christlichen Gemeinschaftsschule bayerischer Prägung mit dem Grundgesetz ausdrücklich festgestellt. 7 Das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung verbieten nämlich die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Volksschule nicht schlechthin. Sie fordern jedoch, daß bei einer Einflußnahme auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Schüler darauf geachtet werde, daß weltanschaulich-religiöse Zwänge soweit wie irgend möglich ausgeschaltet werden, die Schule das Toleranzgebot befolge und auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sei. Aus der Neutralitätspflicht des Staates folge nur, daß die Schule keine missionarische Schule sein und keine Verbindlichkeit christlicher Glaubensinhalte beanspruchen dürfe. 8 6 Beschwerdeschrift, S. 10. Die religionssoziologische Tatsache, daß die ganz überWiegende Mehrheit der Einwohner des Freistaates Bayern den beiden großen christlichen Konfessionen angehört, wird in der Beschwerdeschrift durchgehend ignoriert. 7 BVerfGE 41, 29 (51); 41, 65 ff. s Hierauf weist das VG Regensburg, in: BayVBL 1991, S. 345 f., überzeugend und nachdrücklich hin. Wie Jörg-Detlef Kühne zutreffend ausführt, kann der erforderliche Ausgleich zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit im Falle einer Forderung nach der Entfernung von Wandkreuzen in Schulen durch einzelne Schüler nicht dadurch erfolgen, daß die Wandkreuze entfernt werden, sondern allenfalls nur dadurch, daß den religiösen Anschauungen dieses Schülers dadurch Rechnung getragen wird, daß zusätzlich auch ein Symbol seiner religiösen Vorstellungen angebracht wird. Wörtlich schreibt Kühne: "Das Kruzifix als Grundsymbol sämtlicher christlicher Konfessionen kann als Bekenntnis verstanden werden und verlangt deshalb bei abweichendem Bekenntnis oder Nichtbekenntnis einzelner Schüler besondere Rücksichtnahme. Diese

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Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausführt, fördert der Staat mit dem Anbringen eines Kruzifixes oder einer anderen Kreuzesdarstellung die Anschauungen des Christentums und bringt damit ein religiöses Element in die Schule. Dadurch kann die Schule in Konflikt mit der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung Andersdenkender geraten. Im Zusammenhang mit dem für den Staat geltenden Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität kommt dem Grundrecht der negativen Religionsfreiheit besondere Bedeutung zu. Dieses Gebot verbietet dem Staat im Bereich der Schule, andersdenkende Schüler nach einem bestimmten Bekenntnis zu erziehen, bestimmte religiös-weltanschauliche Glaubensinhalte verbindlich zu machen, sich mit bestimmten religiösen Auffassungen oder Gemeinschaften zu identifizieren oder auch die Schüler in einem bestimmten religiös-weltanschaulichen Sinne zu beeinflussen oder gar zu indoktrinieren.9 Nach der Auffassung der Beschwerdeführer regelt das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG "ausschließlich das Verhältnis zwischen dem einzelnen Bürger und dem Staat" mit der Folge, daß dieses Grundrecht nur "ein Abwehrrecht gegen den Staat" darstelle. 10 Praktisch und im Ergebnis erschöpft sich nach der Meinung der Beschwerdeführer die Bedeutung des Grundrechts der Religionsfreiheit im Rahmen einer öffentlichen Pflichtschule darin, daß diejenigen Schüler, die keiner Religion angehören oder sich an einer religiösen Übung, wie dem Schulgebet, nicht beteiligen oder ein religiöses Symbol, wie ein Wandkreuz, nicht dulden wollen, berechtigt sein sollen, die anderen Schüler an der Vornahme einer derartigen religiösen Übung zu hindern bzw. die Entfernung eines von ihnen abgelehnten religiösen Symbols zu verlangen. Die Beschwerdeschrift geht von diesem ausschließlich negativen Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit aus und erweist sich in ihrer Tendenz und im Ergebnis als ein verfassungsrechtliches Plädoyer für eine "laizistische" oder relikann freilich ohne den Willen der christlichen Schüler I Eltern nicht so weit gehen, daß das Kreuz zu beseitigen ist, sondern nur so weit, daß dabei zusätzlich auch gleich- oder mindergroße Zeichen sonstiger Bekenntnisse Berücksichtigung finden". Vgl. Jörg-Detlef Kühne, Ehrfurchtsgebot und säkularer Staatverfassungswidriges Landesverfassungsrecht?, in: NWVBL 1991, S. 253 (259). Auf der Ebene dieser Argunientation von Kühne auch bereits die krit. Anmerkung von Wolfgang Rüfner zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Zulässigkeit der Ausstattung eines Gerichtssaals mit einem Stehkreuz (BVerfGE 35, S. 366 ff.), in: NJW 1974, S. 491 f. 9 BayVGH, in: BayVBl. 1991, S. 752 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, insbesondere auf BVerfGE 41, 29 (49); 52, 223 (240 f.). 1o Beschwerdeschrift, S. 11. 11 Sbd. List!

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gionslose Schule, aus der sämtliche religiösen Bezüge auszuschalten seien. 11 Auf der Grundlage dieses ihres "Vorverständnisses" verkennen die Beschwerdeführer wesentliche inhaltliche Zusammenhänge des Grundrechts der Religionsfreiheit, das ebenso auch um seiner positiven Ausübung willen gewährleistet ist wie als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. In diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht zur Interpretation des Art. 4 überzeugend ausgeführt, dieses Grundrecht schütze "die negative wie die positive Äußerungsform der Religionsfreiheit gleichermaßen gegen Beeinträchtigung durch den Staat". Das wirkt sich, wie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der christlichen Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung erklärt hat, besonders für die Gestaltung solcher Lebensbereiche aus, die aufgrund sozialer Notwendigkeit oder politischer Zielsetzungen nicht dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte allein überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind. Für den Besuch der Pflichtschule komme hinzu, daß es hier um die Erziehung Jugendlicher und damit um einen Bereich gehe, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant gewesen seien. Hier müsse das auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gegründete Begehren der Beschwerdeführer, die Erziehung ihrer Kinder von allen religiösen Einflüssen freizuhalten, zwangsläufig kollidieren mit dem ebenfalls aus Art. 4 GG hergeleiteten Verlangen anderer Staatsbürger, ihren Kindern eine religiöse Erziehung angedeihen zu lassen. "Negative" und "positive" Religionsfreiheit stünden hier in einem Spannungsverhältnis. Die Ausschaltung aller weltanschaulich-religiösen Bezüge würde die bestehenden weltanschaulichen Spannungen und Gegensätze nicht neutralisieren, sondern diejenigen Eltern in ihrer Glaubensfreiheit benachteiligen, die eine christliche Erziehung ihrer Kinder wünschen und von Staats wegen gezwungen würden, diese in eine laizistische Schule zu schicken, wie sie etwa den Vorstellungen der Beschwerdeführer in dem vom Bundesverfassungsgericht im Schulgebetsurteil entschiedenen Fall entsprochen hätte. 12 11 Die Beschwerdeschrift folgt im Hinblick auf das ihr zugrundeliegende Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit der Interpretation dieses Grundrechts bei Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche. Die Gefährdung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der Bundesrepublik, 3. Auflage unter Mitarbeit von Gerhard Härdle, 1984, S. 49 f., 60, 158, 162 ff. Durchgehend auf der Linie der Beschwerdeschrift liegt auch die Anmerkung von Ludwig Renck zu dem Beschluß des VG Regensburg (Anm. 1), in: BayVBl. 1991, s. 346 f. 12 Vgl. hierzu BVerfGE 41, 29 (49f.).

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Gegenüber der Auffassung der Beschwerdeführer, die allein die negative Religionsfreiheit im Bereich der Schule gelten lassen möchten, ist im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festzuhalten, daß sich der einzelne im Bereich der öffentlichen Pflichtschule nicht uneingeschränkt auf sein eigenes Freiheitsrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG bzw. Art. 107 Abs. 1 BayVerf. berufen kann. Das Grundrecht der Religionsfreiheit enthält keinen Gesetzesvorbehalt. Deshalb können sich seine Schranken nur aus der Verfassung selbst, insbesondere aus den Grundrechten anderer und aus der Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Institutionen und Wertentscheidungen ergeben, die durch eine uneingeschränkte Ausübung des Grundrechts beeinträchtigt würden. Diese Schranken folgen hier aus dem staatlichen Schulorganisationsrecht in Verbindung mit dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG bzw. Art. 107 Abs. 1 BayVerf. anderer Schüler und Eltern, die eine den Beschwerdeführern entgegengesetzte Auffassung vertreten.13 Art. 7 Abs. 1 GG bzw. Art. 130 Abs. 1 BayVerf. erteilen dem Staat hinsichtlich der Schulerziehung einen selbständigen Bildungsauftrag, der nicht nur den organisatorischen Bereich, sondern auch die Erziehungsziele umfaßt und damit das Grundrecht der negativen Religionsfreiheit begrenzen kann. 14

Dies folgt bereits aus der Erwägung, daß es faktisch unmöglich ist, allen religiös-weltanschaulichen Vorstellungen und Erziehungswünschen in der Schule Rechnung zu tragen. Die Schule muß sich aus dieser Erkenntnis heraus nicht darauf beschränken, in völlig wertneutraler Weise zu unterrichten oder auf Erziehungsziele oder eine Gestaltung des Unterrichts zu verzichten, über die zwischen den Eltern unterschiedliche Auffassungen bestehen. Die Erziehung erstreckt sich auch auf die Vermittlung immaterieller Werte. Immaterielle Werte können nicht allein durch Abstraktion vermittelt werden, sondern nur in appellativer Form. Es ist unvermeidlich, in exemplarischer Weise auf historisch greifbare und geläufige Symbole und Ausdrucksformen zurückzugreifen. Für die Vermittlung von Wertneutralität stehen jedoch appellativeSymbolenicht zur Verfügung. Der Rückgriff auf das Kruzifix weist selbstverständlich Bezüge zum christlichen Bekenntnis auf. Jedoch ist der Rückgriff auf das Kruzifix, wenn er unter dem Aspekt steht, die Verpflichtung immaterieller Werte zu berücksichtigen, nicht gleichbedeutend mit einer Verpflichtung auf spezifisch christliche Be13 In diesem Sinne zutreffend BayVGH, in: BayVBl. 1991, S. 752 unter Verweis auf BVerfGE 41, 29 (50); 41, 88 (107). 14 BayVGH, in: BayVBl. 1991, S. 752 unter Hinweis auf BVerfGE 52, 223 (236).

n•

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kenntnisinhalte. Daher ist die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schulen nicht schlechthin verboten, auch wenn eine Minderheit von Erziehungsberechtigten, die sich dieser Gestaltung nicht entziehen kann, keine religiöse Erziehung wünscht und insbesondere die Begegnung ihrer Kinder mit bestimmten religiösen Symbolen ablehnt. 15 Das Grundrecht der negativen Religionsfreiheit gewährleistet daher keinen Anspruch darauf, daß die Schule von vornherein auf das Anbringen religiöser Symbole verzichtet, um den diese Zeichen ablehnenden Eltern und Schülern eine Auseinandersetzung damit zu ersparen. Das Grundgesetz überläßt es dem Landesgesetzgeber, den religiösweltanschaulichen Charakter der öffentlichen Schulen unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG zu bestimmen. 16 Gemäß Art. 131 Abs. 1 BayVerf. sollen die Schulen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden. Zu den obersten Bildungszielen gehören nach der Bayerischen Verfassung u. a. die Ehrfurcht vor Gott, die Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne. 17 Gemäß Art. 135 BayVerf. sind die öffentlichen Volksschulen gemeinsame Schulen für alle volksschulpflichtigen Kinder. In ihnen werden die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen. 18 In diesem Sinne überzeugend BVerfGE 52, 223 (236 f. m.w.N.). BVerfGE 41, 65 (78); 52, 223 (236). 17 Art. 131 Abs. 2 BayVerf.; BayVerfGH 41, 44 =BayVBL 1988, S. 397. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Name Gottes auch in der Präambel des Grundgesetzes, und zwar auch in der Neufassung durch Art. 4 Nr. 1 des Einigungsvertrags vom 31. 8. 1990 (BGBL II S. 889, 890), begegnet, in der erklärt wird, das Deutsche Volk habe sich dieses Grundgesetz kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt "im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" gegeben. Dies muß auch von denjenigen Deutschen hingenommen werden, die sich nicht zum Glauben an Gott bekennen. Zur Bedeutung des Namens Gottes in der Präambel des Grundgesetzes siehe Joseph Listl, Der Name Gottes im Grundgesetz. Der Staat der Bundesrepublik Deutschland und die Religion, in: Dieter Haack, Hans-Günter Hoppe, Eduard Lintner, Wolfgang Seifiert (Hrsg.), Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, Köln 1989, s. 53ff. 1a BayVGH, in: BayVBL 1991, S. 752. Zum näheren Verständnis des Art. 135 BayVerf. siehe im einzelnen Theodor Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern. Handkommentar, 3. Aufl., StuttgartiMüncheniHannover 1985, S. 444 ff. Vgl. hierzu ferner Valentin Doering I Hans Zehetmair I Helmut Lecheler, Ehrfurcht vor Gott. Die obersten Bildungsziele der Bayerischen Verfassung als fort15

1s

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m. Das Verfassungsgebot der Toleranz Die Verfassungsbeschwerde beruht auf einem verkürzten und spätestens seit dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung überholten und damit anachronistischen Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit, wenn sie dieses Grundrecht "ausschließlich" als negatives "Abwehrrecht gegen den Staat" interpretiert. 19 Bezogen auf den Bereich der öffentlichen Schule wird dabei die Religionsfreiheit verstanden als Recht der Minderheit oder eines einzelnen Schülers, die Ausübung des Grundrechts der Bekenntnisfreiheit bzw. die Vornahme religiöser Handlungen der Mehrheit der Schüler oder auch die Ausstattung der Schulräume mit religiösen Symbolen schlechthin zu verhindern. Im Zeitalter der konstitutionellen Monarchie des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts wurde das Grundrecht der Religionsfreiheit weithin als Abwehrrecht von Dissidenten verstanden, nicht für die religiösen Ziele des Staates in Anspruch genommen zu werden, der sich, wie z. B. der Preußische Staat in Art. 14 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850, im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit ausdrücklich als "christlicher" Staat verstanden hat. Im religiös-neutralen Staat der Weimarer Reichsverfassung und des Grundgesetzes hat das Grundrecht der Religionsfreiheit im Zusammenleben verschiedener religiöser Gruppen und Anschauungen gegenüber der Verfassungslage während des 19. Jahrhunderts und der Monarchie eine neue und zusätzliche Dimension gewonnen.

Wie Hollerbach hierzu feststellt, kommt beim Grundrecht der Religionsfreiheit in besonderer Weise zum Tragen, daß Grundrechte objektive Sinnprinzipien für die Gesamtrechtsordnung darstellen. Demgemäß haben die Prinzipien der Säkularität, der Neutralität und der Parität einen Wurzelgrund, wenn auch nicht den alleinigen, im Grundrecht der Religionsfreiheit. Der Staat des Grundgesetzes, der Religionsfreiheit gewährleistet, versteht sich als säkularer Staat, dem nicht die "cura religionis" zukommt. Er versteht sich als neutraler Staat, der sich im Hinblick auf Religion, Konfession und Weltanschauung dem Gebot der Nichtidentifikation unterwirft, der andererseits gerade im dauernder Auftrag, München 1988 (= Zeitansagen, Heft 4, hrsg. vom Landeskomitee der Katholiken in Bayern, Schäfflerstraße 9, 8000 München 2). Im übrigen ist die Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott Gemeingut zahlreicher deutscher Landesverfassungen. Sie findet sich als Erziehungsziel neben Art. 131 BayVerf. in Art. 12 BadWürttVerf., Art. 7 NWVerf., Art. 30 Saarl.Verf., Art. 33 Rheinl.PfalzVerf. (Gottesfurcht), Art. 56 HessVerf. (Ehrfurcht). 19 Vgl. Beschwerdeschrift, S. 11.

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Hinblick auf die Effektuierung von Religionsfreiheit sich einer positiven und offenen Neutralität befleißigt. Wenn der Staat des Grundgesetzes Religionsfreiheit gewährleistet, so muß er des weiteren auch alle religiösen Bekenntnisse grundsätzlich gleich behandeln, also dem Prinzip der Parität genügen. Insgesamt muß die auf Religionsfreiheit gegründete Ordnung durch Toleranz geprägt sein. 20 Zum Verhältnis des Grundrechts der Religionsfreiheit und des einen objektiven Verfassungsgrundsatz darstellenden Toleranzgebotes hat Scheuner festgestellt, daß das Toleranzgebot als "weitere objektive Inhaltsbestimmung des Art. 4 GG" in engem Zusammenhang mit der auf eine pluralistische Wirklichkeit bezogenen religiösen Neutralität stehe. Es stelle im Rahmen einer vollen Verbürgung der Religionsfreiheit ein unentbehrliches Element ihrer Verwirklichung im staatlichen und gesellschaftlichen Leben dar. Es beinhalte "ein echtes an den Staat wie auch an die einzelnen gerichtetes Rechts gebot". Für den Staat ergebe sich hier die Pflicht zur Bewahrung der pluralistischen Struktur des gesellschaftlichen Lebens und zur Sorge dafür, daß es nicht zu einer Unterdrückung des Gewissens komme. Toleranz sei in einer pluralen Gesellschaft ein grundlegender Bestandteil des friedlichen und einvernehmlichen Zusammenlebens. Sie zeige sich vor allem in unserem Bereich in der Sorge des Staates, auf einen Ausgleich der Gegensätze hinzuwirken und den verschiedenen Richtungen zu verdeutlichen, daß eine aktive Zusammenarbeit der Teile auch dazu führen könne, daß nicht jeder die volle Realisierung seiner Forderungen durchsetzen könne, sondern um der Rücksicht auf andere willen zurückstecken müsse. In der Gegenwart werde die Toleranz vor allem als Ziel der Erziehung in der Schule von den Landesverfassungen herausgestellt und damit zur Pflicht der hier tätigen staatlichen Organe erhoben. Die Toleranz statuiere also ein der Religionsfreiheit entsprechendes objektives Prinzip der grundrechtliehen Ordnung, das auch für den einzelnen Bürger eine Pflicht zu freundlichem und duldsamem Zusammenleben und einem entsprechenden Verhalten begründe. Nachdrücklich wendet sich Scheuner gegen die von ihm als "unhaltbar" bezeichnete Meinung, Toleranz greife dort erst ein, wo nicht mehr ein Ausgleich von Rechten zur Debatte stehe, und erklärt, gerade im Falle des Widerstreits von Rechten auf beiden Seiten entfalte bei der Abwägung das Toleranzgebot seine rechtliche Funktion. 21 2o Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. VI, Heidelberg 1989, S. 532, Rz. 110, mit Anm. 242. 21 Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesen-

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Das Grundrecht der Religionsfreiheit vermag deshalb, für sich allein genommen, in alljenen Fällen keine zureichende Lösungsmöglichkeit zu bieten, in denen im Rahmen derselben öffentlichen Institution ein rechtlicher Ausgleich zwischen einander entgegengesetzten oder gar sich ausschließenden Ansprüchen verschiedener religiöser und weltanschaulicher Gruppen gefunden werden muß. Eine verfassungskonforme Lösung dieser durch den konfessionellen und weltanschaulichen Pluralismus bedingten Problematik kann nur auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Komplementärprinzips der Toleranz gefunden werden, d. h. durch ein Verhalten, das alle Mitbürger im Staat ungeachtet ihrer verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in ihrer personalen Würde anerkennt, ihre Gewissensentscheidungen achtet und bereit ist, im Interesse einer sinnvollen und friedlichen Zusammenarbeit gewisse notwendige Beschränkungen der eigenen religiösen Betätigungsfreiheit auf sich zu nehmen. 22 Der notwendige Ausgleich zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach dem Prinzip der Konkordanz zwischen den verschiedenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern und unter Berücksichtigung des Gebots der Toleranz vorzunehmen. 23 Die Beschwerdeführer können zwar verlangen, daß auch an einer unter der Geltung des Art. 135 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung betriebenen staatlichen Schule andere Religionen als die christlichen und Weltanschauungen nicht aus dem Schulleben verdrängt werden und daß ihrer Weltanschauung in der Schule Toleranz, im Sinne von Respekt und Achtung, entgegengebracht werde. Sie können jedoch nicht beanspruchen, daß ihrer negativen Bekenntnisfreiheit zum Nachteil der Schüler, die in einem religiösen Bekenntnis erzogen werden und sich dazu bekennen wollen, "der absolute Vorrang eingeräumt und deshalb kein Raum für die Ausübung der positiven Bekenntnisfreiheit gelassen" werde. Vielmehr kann insoweit auch von ihnen Tolehahnund Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 64 f. mit Anm. 184 und m. w. N. Zutreffend erklärt hierzu auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Schulgebetsentscheidung, die von ihm im Hinblick auf die Zulässigkeit der Veranstaltung eines Schulgebets aufgezeigte Lösung des Interessenkonfliktes entspreche "dem in Art. 4 Abs. 1 GG enthaltenen Toleranzgebot". Vgl. hierzuBVerwGE 44,196 (200). 22 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 11 f., 251 mit Anm. 6 m. w. N. Zustimmend Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts (Anm. 20), S. 532 mit Anm. 242. 23 BVerfGE 41, 29 (51). Auf diese Rechtsprechung nehmen das VG Regensburg und der BayVGH übereinstimmend Bezug.

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ranz und Achtung der religiösen Überzeugungen anderer erwartet werden, wenn sie deren Religionsausübung in der Schule begegneten.24 Die Verfassungsbeschwerde verkennt, daß dem Anspruch der Beschwerdeführer, welche die Darstellung des Kruzifixes oder auch anderer Formen des Kreuzes ablehnen, die Vorstellungen der Eltern und Schüler gegenüberstehen, die eine Erziehung im Sinne der überkommenen gemeinsamen christlichen Anschauungen wünschen und eine solche Darstellung befürworten. Das bestehende Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit ist vielmehr, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt erklärt hat, nach dem Prinzip der Konkordanz zwischen den verschiedenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern unter Berücksichtigung des Gebots der Toleranz und der sich daraus ergebenden Zumutbarkeit der Einschränkung einer unbegrenzten Grundrechtsausübung zu lösen. 25 Bemerkenswerterweise wird demgegenüber in der gesamten Argumentation der Beschwerdeführer das in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schulgebet und zur Zulässigkeit christlicher Gemeinschaftsschulen zentrale verfassungsrechtliche Toleranzgebot an keiner Stelle erwähnt. Ganz offensichtlich lehnen sie dieses objektive Verfassungsprinzip ab, das im Bereich öffentlicher Institutionen, und insbesondere in der Schule, allein eine friedliche Koexistenz der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und ihrer Anhänger zu ermöglichen in der Lage ist. Die Beschwerdeführer lehnen deshalb auch die auf der Anerkennung des verfassungsrechtlichen Toleranzgebots beruhende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Schulgebetsurteil26 ausdrücklich mit der BegrünIn diesem Sinne überzeugend VG Regensburg, in: BayVBl. 1991, S. 346. BayVGH, in: BayVBl. 1991, S. 752 f. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Schulgebetsurteil, BVerfGE 52, 223 (240 f., 251 ff.). 26 BVerfGE 52, 223 ff. Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführer erklärt hierzu das Bundesverwaltungsgericht in seinem Schulgebetsurteil, es gehöre zum friedlichen Zusammenleben in einer Gemeinschaftsschule, daß die Schüler lemten, die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren, und zwar auch dann, wenn man sie selbst nicht mitvollziehen könne oder wolle. Zur Einübung solcher gegenseitiger Toleranz könne auch ein Schulgebet dienen, wenn es sich in dem dargelegten Rahmen halte. Vgl. hierzu BVerwGE 44, 196 (200). Im selben Sinne erklärt das Bundesverfassungsgericht, daß ein Schüler, der am Gebet nicht teilnehmen wolle oder auf Geheiß seiner Eltem nicht teilnehmen solle, Duldsamkeit gegenüber dem Interesse der Mitschüler und deren Eltem an der Vomahme des Schulgebets, an ihrer ungestörten Religionsausübung "zu lemen" habe. Er dürfe sich nicht deswegen zurückgesetzt fühlen, weil die Mitschüler eine Bekenntnishandlung vomähmen, von der er sich ausschließen wolle oder müsse. Vgl. BVerfGE 52, 223 (250). 24 25

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dung ab, das Schulgebet verstoße eindeutig gegen die dem Staat auferlegte Neutralitätspflicht und ebenso gegen die in Art. 4 Abs. 1 GG verankerte Bekenntnisfreiheit. 27 Entgegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entspricht es nach der Meinung der Beschwerdeführer nicht den Tatsachen, daß die Schule von jeher der Ort für die Vermittlung religiöser Inhalte gewesen sei. Die weiteren Ausführungen auf dieser Seite der Beschwerdeschrift, denen ein polemischer und antikirchlicher Charakter nicht abgesprochen werden kann, tragen in der Sache nichts zur Begründung der Ablehnung des Schulgebetsurteils des Bundesverfassungsgerichts und ebenfalls nichts zur Begründung der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer bei. Es bleibt unklar, was für das Anliegen der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht werden soll, wenn sie gegen die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, die Schule sei von jeher der Ort für die Vermittlung religiöser Inhalte gewesen, erklären, die Schule zeichne sich durch das Gegenteil aus, nämlich durch ihren Bildungsauftrag, d. h. durch die Vermittlung von Wissen, und wörtlich fortfahren: "Wissen und Glauben schließen sich aber aus, sind naturgemäß Antipoden. Es ist kein Zufall, daß sich gerade das Mittelalter als das unter dem Einfluß der Kirche stehende Zeitalter durch seine Wissenschaftsfeindlichkeit auszeichnet. Warum wurde wohl ein Giordano Bruno verbrannt, das kopernikanische Weltbild als gotteslästerlich verboten und ein Galileo Galilei in brutalster Weise verfolgt und unter Androhung von Folter und Tod zum Abschwören gezwungen? Diese Kette ließe sich unendlich fortführen. Die Kirche hat selbst unter Beweis gestellt, daß die Vermittlung von Bildung nicht nur nicht ihre Sache ist, sondern sie ihr als Todfeind gegenübersteht. " 28

rv. Der Ausgleich zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit im Falle der vorliegenden Verfassungsbeschwerde

1. Die Ausstattung der Schulräume mit Kreuzesdarstellungen hält sich im Rahmen der Gestaltungsfreiheit, die dem Freistaat Bayern nach Art. 7 Abs. 1 GG und Art. 130 Abs. 1 BayVerf. eingeräumt und hier durch die positive Religionsfreiheit von Schülern und Eltern gerechtfertigt ist, die eine solche Darstellung befürworten oder anerken27 Beschwerdeschrift, S. 13. Auf der Linie dieser Argumentation auch die Bedenken von Renck, Anmerkung zum Beschluß des VG Regensburg (Anm. 1), in: BayVBL 1991, S. 347. 28 Beschwerdeschrift, S. 13.

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nen. Durch die Darstellung des Kreuzes als Symbol des konfessionsübergreifenden christlichen Glaubens werden die Beschwerdeführer, die eine solche Darstellung ablehnen, zwar mit einem religiösen Weltbild konfrontiert, in dem die prägende Kraft christlicher Glaubensvorstellung bejaht wird. Dadurch werden sie aber nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren religiös-weltanschaulichen Konflikt gebracht. Kreuzesdarstellungen dieser Art sind, ebenso wie das überkonfessionelle Schulgebet, nicht Ausdruck des Bekenntnisses zu einem konfessionell gebundenen Glauben. 29 Sie sind vielmehr "ein wesentlicher Gegenstand der allgemeinen christlich-abendländischen Tradition und Gemeingut des christlichabendländischen Kulturkreises". 30 Auch einem Nichtchristen oder sonst weltanschaulich anders Gesinnten ist es unter dem Gebot der auch für ihn geltenden Toleranz zumutbar, sie unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Achtung vor der Weltanschauung anderer hinzunehmen, auch wenn sie eine solche Darstellung ablehnen. 31 Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG gebietet dem Staat in einem positiven Sinne über ein reines Abwehrrecht hinaus, Raum für die aktive Betätigung der Glaubens- und Gewissensüberzeugung zu sichern.32 Daraus kann jedoch kein Recht gefolgert werden, bei der Inanspruchnahme einer öffentlichen staatlichen Anstalt, wie sie die Schule darstellt, die eigene Weltanschauung in unbegrenzter Weise durchsetzen zu können. 33 Auch aus dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG folgt kein weitergehender Anspruch. Wie Scheuner zur Frage des Ausgleichs zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit im Schulbereich ausgeführt hat, wird, soweit religiöse Handlungen und Zeichen im staatlichen Raum im Rahmen des Rechts vorkommen können, was im einzelnen von der Rechtslage der Einrichtungen, z. B. der weltanschaulichen Ausrichtung einer Schule gemäß Art. 7 GG und Landesrecht, abhänge, "grundsätzlich die FreiBVerfGE 52, 223 (238). In diesem Sinne zutreffend BayVGH, in: BayVBl. 1991, S. 753. 31 BayVGH, in: BayVBl. 1991, S. 753. 32 BVerfGE 41, 29 (49). 33 BayVGH, in: BayVBL 1991, 753 unter Bezugnahme auf Roman Herzog, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Grundgesetz, Rz. 84 ff. zu Art. 4; Axel Frhr. von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: Isensee I Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI (Anm. 20), S. 430 f., Rz. 98 m.w.N. 29

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stellung des Fernbleibens oder der Nichtbeachtung des Zeichens ausreichen". 34 2. Das bloße Vorhandensein einer Kreuzesdarstellung verlangt weder eine Identifikation mit den durch dieses Symbol verkörperten Ideen oder Glaubensvorstellungen der christlichen Religion noch ein irgendwie sonst auf diese gerichtetes aktives Verhalten. Die Schüler werden durch die Ausstattung eines Klassenzimmers mit einem Kreuz nicht etwa verpflichtet, ein bestimmtes religiöses Bekenntnis als verbindlich anzuerkennen, einem bestimmten Kultus beizuwohnen oder eine religiöse Handlung vorzunehmen. Die Schule wird dadurch auch nicht "missionarisch" tätig. Es wird weder ein Absolutheitsanspruch bezüglich bestimmter konfessioneller Glaubensinhalte erhoben, noch findet sonst irgendeine Diskriminierung der Antragsteller statt, noch kann hierin eine Werbung für eine bestimmte christliche Konfession gesehen werden. Ebensowenig wie das überkonfessionelle Schulgebet verletzt das Vorhandensein eines Kruzifixes oder einer anderen Kreuzesdarstellung im Schulzimmer die Glaubens- und Gewissensfreiheit von Schülern und Eltern, die derartige Darstellungen ablehnen. 35 Scheuner, Das System der Beziehungen, (Anm. 21), S. 54 mit Anm. 149. Zu Unrecht bestreitet Renck, Anmerkung zum Beschluß des VG Regensburg (Anm. 1), in: BayVBl. 1991, S. 346, die "Analogiefähigkeit" des Schulgebetsurteils des Bundesverfassungsgerichts mit den Entscheidungen über die Ausstattung von Schulräumen mit Wandkreuzen. Analogie bedeutet Gleichartigkeit bei gleichzeitiger Verschiedenheit. Die Gleichartigkeit der beiden Tatbestände besteht darin, daß ein sich am Schulgebet nicht beteiligender Schüler die Veranstaltung des Schulgebets nicht verhindern kann, sondern dieses hinnehmen muß, und daß ebenso die Ausstattung eines Klassenzimmers mit einem Wandkreuz von einem Schüler bzw. von dessen Eltern, die dieses Symbol ablehnen, hingenommen werden muß. Die bedeutsame Verschiedenheit besteht darin, daß ein sich am Schulgebet nicht beteiligender Schüler tagtäglich seine ablehnende Haltung zu äußern gezwungen ist, während dem Schüler bei den Wandkreuzen eine rein passive Nichtbeachtung möglich ist. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf die Veranstaltung von Schulgebeten zutreffend festgestellt, daß diese nicht Teil des verbindlich geregelten Unterrichtsbetriebs seien und sein könnten, aber dennoch "eine dem Staat zuzurechnende schulische Veranstaltung" blieben, und zwar jedenfalls dann, wenn sie auf Anregung eines Lehrers innerhalb der Unterrichtszeit stattfänden. Die Rolle des Staates beschränke sich allerdings darauf, daß er für das Schulgebet den organisatorischen Rahmen schaffe und das Gebet auf Wunsch der Eltern oder Schüler zulasse oder auch selbst anrege. Der Staat ordne hier nicht an, er gebe ein Angebot, von dem die Schulklasse Gebrauch machen könne. Vgl. zum Ganzen BVerfGE 52, 223 (240). Diese Ausführungen gelten mutatis mutandis auch für die Ausstattung von Klassenräumen mit Wandkreuzen. Die "Analogiefähigkeit" des Schulgebetsurteils des Bundesverfassungsgerichts ist also entgegen der Auffassung von Renck durchaus gegeben. Über die Situation eines sich am Schulgebet nicht beteiligenden Schülers siehe die detaillierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, in: BVerfGE 52, 223 (248 ff.). 34

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Das bloße Dasein eines Kreuzes in Unterrichtsräumen bedeutet kein "missionarisches" Einwirken auf die in einer anderen Weltanschauung erzogenen Schüler, dem diese sich nicht entziehen könnten. Für die in einer pluralistischen Gesellschaft lebenden Schüler dürfte das Vorhandensein eines Kreuzes nicht einmal als Bekenntnis der Schule zum christlichen Glauben erkennbar sein, das werben, wirken und Vorbildfunktion haben soll. Die Schüler begegnen nämlich den Kreuzesdarstellungen in den verschiedensten Formen in der Öffentlichkeit häufig auch als einem Gegenstand der allgemeinen christlichen und kulturellen Tradition, als bloßem Schmuck oder auch als einer nicht als Identifikation empfundenen und gewollten Ausstattung von Gebäuden (z. B. von Hotels, Krankenhäusern oder Altenheimen), die lediglich dazu bestimmt ist, Christen Gelegenheit zum Gebet zu geben. 36 3. Einem extrem übersteigerten Subjektivismus muß die Schule im Rahmen der in diesem Falle vorzunehmenden Abwägung der negativen Religionsfreiheit mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern nicht Rechnung tragen. Daß die drei Kinder durch den Anblick einer Kreuzesdarstellung im Schulzimmer seelische Schäden erlitten haben, wie dies ihre Eltern in der Beschwerdeschrift geltend gemacht haben, muß, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof überzeugend darlegt, "als reine Behauptung bewertet werden, die in keiner Weise glaubhaft gemacht" worden ist. 37 Im gleichen Sinne hat das Verwaltungsgericht Regensburg in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß sich die Beschwerdeführer nicht darauf berufen könnten, die Ausstattung der Unterrichtsräume mit Kreuzen habe zu einer existentiellen und unerträglichen Belastung der ganzen Familie geführt. Dabei bedürfe es auch keiner Vertiefung, daß die Kläger "diese ihre Behauptung weder substantiiert noch unter Beweis gestellt" hätten und daß aus früheren Verfahren gerichtsbekannt sei, daß die Eltern den Schulbesuch der Kinder nicht nur wegen der Frage der Schulkreuze, sondern wegen der Ablehnung staatlicher Pflichtschulen überhaupt verhindert und sich deshalb den Belastungen durch die Androhung und Durchführung des Schulzwangs ausgesetzt hätten. 38 In der Beschwerdeschrift wird an keiner Stelle substantiiert dargelegt oder ein Beweis dafür erbracht, daß die Schüler durch den An36 In diesem Sinne zutreffend VG Regensburg, Urteil im Hauptsacheverfahren vom 4. September 1991, bisher nicht veröffentlicht, Ausfertigung S. 7; ähnlich bereits VG Regensburg (Anm. 1), in: BayVBl. 1991, S. 346. 37 BayVGH, in: BayVBl. 1991, S. 753. 38 VG Regensburg, Urteil vom 4. September 1991, bisher nicht veröffentlicht, Ausfertigung S. 10.

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blick von Wandkreuzen in ihren Klassenzimmern seelische Schäden erlitten hätten. 4. Wenn sich die Beschwerdeführer am Ende der Beschwerdeschrift auf das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 26. 9. 1990 beziehen, in dem dieses Gericht die Ausstattung eines Klassenraumes mit einem Wandkreuz im Kanton Tessin für unzulässig erklärt hat, 39

und dessen Ergebnis und dessen Urteilsgründe auch für die öffentlichen Volksschulen in Bayern als richtungweisend, maßgebend und möglicherweise auch verbindlich betrachten wollen, 40 so verkennen sie die grundlegenden verfassungsrechtlichen Unterschiede zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland sowie zwischen den nach bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben gestalteten Schulrecht der schweizerischen Kantone und der deutschen Länder, insbesondere des Freistaates Bayern. Nach der vom Schweizerischen Bundesgericht bestätigten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts des Kantons Tessin gewährleistet und gebietet Art. 27 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung den "konfessionell neutralen Unterricht" bzw. den "konfessionell neutralen Charakter der öffentlichen Schule" ,41 und zwar auf der Grundlage der "Laizität des Staates" .42 Im Gegensatz dazu werden in den öffentlichen Volksschulen Bayerns die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen. 43 Die verfassungsrechtliche Situation in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland bzw. im Freistaat Bayern ist somit insoweit nicht vergleichbar. Das Schweizerische Bundesgericht bezieht sich in seiner Entscheidung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Zulässigkeit der Ausstattung eines Gerichtssaals mit einem Stehkreuz.44 Hierbei ging es aber gerade nicht um ein religiöses Symbol im Schulbereich, in dem, wie das Bundesverfassungsgericht selbst festgestellt hat, religiöse Bezüge traditionell immer eine bedeutsame Rolle gespielt haben. Es ging bei dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 39 Wortlaut dieses Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts in deutscher Übersetzung in: EuGRZ 1991, S. 89 ff. 40 Vgl. Beschwerdeschrift S. 11 f. 41 Vgl. EuGRZ 1991, S. 90. 42 EuGRZ 1991, S. 94. 43 Siehe hierzu in dieser Stellungnahme, oben, II mit Anm. 17. 44 Vgl. BVerfGE 35, S. 366ff.

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auch nicht um den nur auf der Grundlage des Toleranzgebotes möglichen Ausgleich zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit. Ferner bezieht sich das Schweizerische Bundesgericht auf die Rechtsprechung des Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika, nach dessen Rechtsprechung das Anbringen der Zehn Gebote in den Schulzimmern als Widerspruch zur Glaubensfreiheit anzusehen sei. 45 Auch hierbei ist die verfassungsrechtliche Situation auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Bundesrepublik Deutschland grundverschieden. Die Rechtsprechung des Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika ist deshalb im Hinblick auf die Zulässigkeit religiöser Bezüge in öffentlichen Gemeinschafts-(Pflicht-) Schulen in der Bundesrepublik Deutschland nicht übertragbar. 46 Die Bezugnahme der Beschwerdeschrift auf die grundlegend verschiedene Verfassungslage in der Schweiz und auf die Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts ist somit sachlich nicht begründet und fehl am Platze. 5. Auf dem Hintergrund der deutschen kirchlichen Zeitgeschichte ist die Forderung nach Entfernung der Kreuze aus Schulräumen mit schweren historischen Hypotheken aus der Ära des Nationalsozialismus und des Kirchenkampfes während des Dritten Reiches belastet. Es muß nicht nur die Kirchen und die Christen, sondern jeden freiheitlich denkenden Bürger nachdenklich stimmen, wenn im Zeichen des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates dieselben Maßnahmen gefordert werden, wie sie der Nationalsozialismus als Instrument des Kirchenkampfes durchzusetzen versucht hat. 47 Vgl. hierzu im einzelnen EuGRZ 1991, S. 95. Über die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika und die fehlsamen Versuche, sich bei der Stellungnahme zu Rechtsfragen im Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland auf die amerikanische Rechtsprechung zu berufen, siehe Ulrich Scheuner, Vorwort zu Michael Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Beitrag zur historischen Entwicklung und Gegenwartsproblematik des Verhältnisses von Staat und Kirche in den USA (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 6), Berlin 1977, S. 7 ff. 47 Der Kampf gegen die Schulkreuze in der NS-Zeit begann mit einer Verordnung des Ministers des Innern und der Kirchen und Schulen im Lande 01denburg vom 4. 11. 1936. Unter Bezugnahme darauf, daß sämtliche öffentlichen Gebäude des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände und damit auch die Schulgebäude "dem ganzen deutschen Volke ohne Rücksicht auf das religiöse Glaubensbekenntnis der einzelnen Volksgenossen" gehörten, ordnete der Minister an, "daß künftig in Gebäuden des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände kirchliche und andere religiöse Zeichen", wie z. B. Kruzifixe 45 46

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In einem Hirtenbrief vom 12. August 1941 wandten sich die bayerischen Bischöfe gegen die damals angeordnete Entfernung des Kreuzes aus den Schulen, die zum Teil bereits durchgeführt war, zum Teil während der Schulferien durchgeführt werden sollte. Darin steht der Satz: "Ohne Übertreibung können wir sagen: Überall dort, wo die Maßnahme bekannt oder gar durchgeführt wurde, ging ein Schrei des Entsetzens durch unser Volk, Eltern und Kinder, jung und alt. Es haben sich Szenen abgespielt, die an die Zeiten der ersten Christenverfolgungen erinnern. " 48 In den bayerischen Volksschulen wurde daraufhin die Entfernung der Schulkreuze wieder rückgängig gemacht. V. Zusammenfassendes Ergebnis

Ebenso wie im Schulgebetsurteil des Bundesverfassungsgerichts kann auch im vorliegenden Fall eine zutreffende Lösung nur auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Gebots zu tolerantem und duldsamem Verhalten und nur in der Weise gefunden werden, daß die Ausübung des Grundrechts der negativen Religionsfreiheit der Beschwerdeführer in der von ihnen geforderten Weise vor der Ausübung der positiven Religionsfreiheit der großen Mehrheit der übrigen Schüler zurücktreten muß. Die Beschwerdeführer haben keinen Anspruch auf Entfernung des Kruzifixes oder anderer Kreuzesdarstellungen aus den Unterrichtsräumen der öffentlichen Schulen in Bayern. Daraus folgt, daß die Verfassungsbeschwerde nicht begründet ist.

oder Lutherbilder, nicht mehr angebracht werden dürfen. "Die bereits vorhandenen sind zu entfernen." Vgl. hierzu im einzelnen bei Johann Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand. I. Teil, München 1946, S. 116 ff. Zum kirchlichen Widerstand und zu den Massenprotesten gegen diese Maßnahme vgl. die umfangreiche Dokumentation von Joachim Kuropka (Hrsg.), Zur Sache- Das Kreuz!- Untersuchungen zur Geschichte des Konflikts um Kreuz und Lutherbild in den Schulen Oldenburgs, zur Wirkungsgeschichte eines Massenprotests und zum Problem nationalsozialistischer Herrschaft in einer agrarisch-katholischen Region, Vechta 1987. 48 Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945. Bd.II: 1935-1945. Bearbeitet von Ludwig Volk, Mainz 1978, S. 783 f.

Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung Im Rahmen des Adoptionsrechts entsteht bei der sog. Inkognito-Adoption- bei der die Adoption durch Einschaltung und Vermittlung des Jugendamtes in der Weise erfolgt, daß den Kindeseltern Name und Person der Adoptiveltern nicht bekanntgegeben werden - das Problem, wie die Eltern des Kindes oder dessen nichteheliche Mutter rechtlich sicherstellen können, daß ihr Kind nur an Adoptiveltern vermittelt wird, die bestimmte, von den Eltern des Kindes gewünschte persönliche Eigenschaften aufweisen. Besondere Bedeutung gewinnt diese Frage im Hinblick auf die religiöse Erziehung des Adoptivkindes. Für viele Eltern ist es eine Gewissensfrage ersten Ranges, daß ihr Kind, das sie zur Adoption geben wollen, nur an Adoptiveltern vermittelt wird, die Mitglieder derselben Religionsgemeinschaft sind, der die Kindeseltern angehören. Dazu kommt, daß auch das Kind in der Mehrzahl der Fälle durch den Empfang der Taufe bereits Mitglied der Religionsgemeinschaft seiner Eltern (oder der nichtehelichen Mutter) ist. Damit ist die Bestimmung seines religiösen Bekenntnisses erfolgt. Viele Eltern sind deshalb daran interessiert, ihr Kind nur solchen konfessionsgleichen Adoptiveltern anzuvertrauen, die sich ausdrücklich bereit erklärt haben, das Kind in seiner bisherigen Religion zu erziehen, und sind nur gegen eine entsprechende ausdrückliche Zusicherung willens, ihre Einwilligung in den Abschluß des Adoptionsvertrags zu erteilen. Der Rechtsanspruch der Kindeseltern gegenüber dem Jugendamt, ihre Einwilligung in die Adoption von der Zusicherung der Vermittlung ihres Kindes an religions- oder konfessionsgleiche und entsprechend erziehungswillige Adoptiveltern abhängig zu machen, folgt aus dem religiösen Erziehungsrecht der Eltern, das eine unmittelbare Konkretisierung des Grundrechts der Religionsfreiheit des Art. 4 Absatz 1 und 2 GG darstellt 1 . Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 21. Jhg.

(1974),

s. 74-79.

So bereits für die Weimarer Zeit Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., Berlin 1933, Art. 135, Erl. 4 (S. 620); Theodor Maunz, in: Theodor Maunz I Günter Dürig I Roman Herzog, Grundgesetz, Art. 7, Rz. 28 ff.; Hermann v. Mangoldt I Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4, Erl. III, 2 (S. 219); BVerfGE 24, 236 (246); 30, 415 (424) = FamRZ 1971, S. 305 Nr. 131 a-LS.-. 1

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Es ist deshalb im folgenden zu prüfen, auf welche Weise die Kindeseltern in Fällen der Inkognito-Adoption die Vermittlung ihres Kindes durch das Jugendamt an konfessionsgleiche und zur religiösen Erziehung in diesem Bekenntnis bereite Adoptiveltern sicherstellen können. Die hier angesprochenen Fragen bleiben in ihrer Problematik auch dann bestehen, wenn im Zuge der Reform des Adoptionsrechts das bisher geltende Vertragssystem durch das Rechtsinstitut der Adoption durch Staatsakt abgelöst werden sollte 2 • I. Bedeutung der Inkognito-Adoption In der Bundesrepublik Deutschland wurden während der letzten Jahre unter Mitwirkung der Jugendämter im Jahresdurchschnitt jeweils mehr als 7 000 Adoptionen abgeschlossen 3 . Die Adoption dient heute überwiegend der Jugendwohlfahrt und insbesondere dem Zweck, verwaiste Kinder sowie Kinder von Eltern, die zur Erziehung selbst nicht in der Lage sind, der dauernden Obhut einer zur Pflege und Erziehung bereiten und fähigen Familie anzuvertrauen. Die Annahme an Kindes Statt verschafft zugleich kinderlosen Ehepaaren die Möglichkeit, ein fremdes Kind als ihr eigenes aufzuziehen. Erfahrungsgemäß kommt die Adoption in der Gegenwart besonders häufig nichtehelichen Kindern zugute. Sie erfüllt damit auch eine bedeutsame soziale Funktion. Neben der Legitimation durch nachfolgende Ehe bildet deshalb die Adoption für nichteheliche Kinder ein "besonders geeignetes Mittel zu einer der Wertentscheidung des Art. 6 Absatz 5 GG entsprechenden Eingliederung in eine vollständige Familie" 4 . 2 Vgl. dazu Erik Jayme, Auf dem Weg zu einem neuen Adoptionsrecht, FamRZ 1973, S. 15, m.w.N. Ein bedeutsamer Unterschied zwischen der auf privatrechtlichem Vertrag beruhenden Adoption und der Adoption durch Staatsakt besteht allerdings: Bei dem privatrechtliehen Adoptionsvertrag kommt die Adoption nicht zustande, bis sich die Vertragspartner über sämtliche ausdrücklich als wesentlich bezeichneten Umstände des Adoptionsvertrages geeinigt haben. Dagegen ist bei der Adoption durch Staatsakt, auch wenn es sich um einen rechtswidrigen und daher anfechtbaren Staatsakt handelt, so lange von der Wirksamkeit der Adoption auszugehen, bis der die Adoption begründende Staatsakt aufgehoben worden ist. Vgl. dazu im einzelnen: Walter Jakob Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 5. Aufl. 1971, § 25 I, III (S. 144ff.); Johannes Bärmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Notarrecht, 1968, § 24 IV (S. 168 ff.); ferner§ 1760 BGB in der Fassung des Referentenentwurfs eines Adoptionsgesetzes (1973). 3 Nach dem Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1973, S. 404, belief sich die Zahl der Adoptionen in den Jahren 1968 auf 7 092, 1969 auf 7 366, 1970 auf 7 165 und 1971 auf 7 337. 4 Vgl. dazu BVerfGE 24, 119 (122 f.) = FamRZ 1968, S. 578 (579); ferner BVerfGE 22, 163 (173) = FamRZ 1967, S. 559 (562).

12 Sbd. List!

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Ein beträchtlicher Teil der alljährlich in der Bundesrepublik vorgenommenen Adoptionen erfolgt durch Vermittlung der Jugendämter in der Form der Inkognito-Adoption, bei der den Kindeseltern bzw. der nichtehelichen Mutter Name, Person und Wohnort der Adoptiveltern nicht bekanntgegeben werden. Die Wirksamkeit der elterlichen Einwilligung zu einer Adoption ihres Kindes durch einen bestimmten, den Eltern des Kindes aber unbekannten Annehmenden gehört "zum festen, kaum mehr bezweifelten Bestand des deutschen Adoptionsrechts"5. Von der Inkognito-Adoption, die in jedem Falle die vorherige Einwilligung der leiblichen Eltern in die Adoption ihres Kindes durch einen bestimmten, den Eltern aber unbekannten Annehmenden voraussetzt, ist die nach deutschem Recht mindestens bisher - als unzulässig - angesehene "Blankoeinwilligung" zu einer Adoption zu unterscheiden, in der die Kindeseltern ihr Einverständnis zur Adoption ihres Kindes durch einen erst später von der Adoptionsvermittlungsstelle zu bestimmenden Annehmenden erklären. Eine Blankoeinwilligung ist nach deutschem Recht gemäß herrschender Meinung deshalb unzulässig, weil sie das Adoptivkind und sein Lebensschicksal zur Disposition staatlicher Verwaltungsbehörden stellen würde. Die Rechtsprechung hat daher die Blankoeinwilligung, in der sie eine Verletzung der Grundvorstellungen unseres Familienrechts über das richtige Verhältnis von Staat und Familie erblickt, bisher stets abgelehnt 6 . 5 Joachim Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 2. Aufl., 1971, § 62, Erl. V, 4 (S. 737 f.). Wenn im folgenden der Ausdruck "elterliche Einwilligung" verwendet wird, wird darunter bei Kindern ehelicher Herkunft die Zustimmung beider ehelicher Eltern und bei nichtehelichen Kindern die Zustimmung der nichtehelichen Mutter verstanden, denn nur deren Einwilligung ist gemäߧ 1747 I BGB erforderlich. s Gernhuber, ebd., S. 738, m.w.N.; Arnold Kränzlein, Zu den Einwilligungen bei der Annahme an Kindes Statt, in: Festschrift Hermann Nottarp, 1961, S. 116 ff., m.w.N.- Zum Unterschied zwischen Inkognito- und Blanko-Adoption s. auch LG Aurich, Beschl. v. 25. 6. 1962, FamRZ 1962, S. 476 ff.; ferner Helmut Engler, FamRZ 1969, 68f. Anders wird die Blankoeinwilligung im amerikanischen Adoptionsrecht beurteilt. Vgl. dazu Erik Jayme, Blankoeinwilligung und Verwandtentrennungsverlabren im amerikanischen Adoptionsrecht-Ein Vorbild für die deutsche Reform?, in: FamRZ 1973, S. 568 f. Ein bemerkenswertes Beispiel einer rechtlich unzulässigen Blankoeinwilligung zu einer Adoption enthält folgender, vom OLG Hamm für nichtig erklärter, notariell beurkundeter Adoptionsvertrag: "Die Tochter U. soll an Kindes Statt angenommen werden. Der oder die Persönlichkeiten der Annehmenden sind mir nicht bekannt. Ich gebe zu der Annahme meines Kindes U. an Kindes Statt meine Einwilligung und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Annahmevertrag durch eine Einzelperson oder durch ein Ehepaar als Annehmende abge-

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Das Bedürfnis, den Kindeseltern, insbesondere den Müttern nichtehelicher Kinder, den Namen und die Anschrift der Adoptiveltern zu verheimlichen, hat sich aus den Erfahrungen der Adoptionspraxis ergeben. Diese hat gezeigt, daß vor allem nichteheliche Mütter, die zunächst mit der Adoption ihres Kindes einverstanden waren, später oft dennoch versucht haben, mit ihrem Kind in Verbindung zu treten. Dadurch wird das Einleben des Kindes in der neuen Familie erschwert. Es entspricht dem Interesse der Kinder, derartige Störungen zu verhindern. Der BGH hat deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts die Inkognito-Adoption ausdrücklich für zulässig erklärt und festgestellt, daß er keinen Anlaß sehe, "von der in der Rechtsprechung seit Jahrzehnten bewährten Praxis" abzugehen 7 .

ll. Die Mitwirkung des Jugendamtes bei der Vermittlung des Adoptivkindes an konfessionsgleiche Adoptiveltern 1. Die Annahme an Kindes Statt, wie sie im BGB eingehend geregelt ist, stellt einen notwendig unbedingten und unbefristeten Vertrag familienrechtlicher Art dar, durch den das Kind neben dem Familiennamen schlossen wird, und ohne Rücksicht darauf, wer der Annehmende oder die Annehmenden sind, und ohne Rücksicht darauf, wie der Inhalt des Annahmevertrages im einzelnen lautet. Diese meine Einwilligungserklärung gebe ich gegenüber dem zuständigen Vormundschaftsgericht ab." Vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 22. 6. 1951 (Az.: 7 W 288/51), in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt (ZbUugR), 38. Jhg. (1951), S. 196 (197). Im Gegensatz zu der "von der überwiegenden Meinung der Literatur geteilten ständigen Rechtsprechung des RG und des BGH" hält das OLG Frankfurt/ M. in einem Vorlagebeschluß an den BGH vom 1. 6. 1973 (Az.: 20 W 218/71), in: FamRZ 1973, S. 481, eine blanko erteilte Einwilligung der Mutter zur Adoption ihres nichtehelichen Kindes für ausreichend. Zustimmend: Palandt I Diederichsen, BGB, 33. Aufl., 1974, § 1747 Erl. 2. Nach Friedrich Wilhelm Bosch, in: FamRZ 1973, S. 483, verdient dieser Beschluß des OLG Frankfurt/M. "sorgfältigste Beachtung, wahrscheinlich volle Zustimmung". Von Bedeutung für die hier zu behandelnde Problematik ist die Tatsache, daß das OLG Frankfurt IM. offensichtlich keine völlig undeterminierte Blankoeinwilligung im Auge hat, wie sie dem vorstehenden, vom OLG Hamm für nichtig erklärten Adoptionsvertrag zugrunde lag. Wie nämlich der Senat in seiner ausführlichen Begründung ausdrücklich erklärt, kann der einwilligende Elternteil auch bei der Blankoeinwilligung Einfluß auf die Auswahl der Adoptiveltern (z. B. 'bezüglich bestimmter Eigenschaften, Konfession, eigener Kinder usw.) nehmen. Die Einwilligungserklärung kann auch auf bestimmte Kategorien von Adeptanten beschränkt werden. Mit dieser Einschränkung überzeugen die Ausführungen des OLG Frankfurt IM., wenn dieses im Interesse des Adoptivkindes und im Interesse der Gültigkeit eines schon vor langer Zeit abgeschlossenen Adoptionsvertrages eine Blankoeinwilligung für ausreichend ansieht. 7 BGHZ 2. 287 (292); vgl. RGZ 121, 30; vgl. ferner Palandtl Diederichsen, BGB (Anm. 6). § 1747, Erl. 2. m.w.N. 12*

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Freiheit der Religion und des Gewissens

auch die sonstige rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden mit auch vermögensrechtlichen und teilweise erbrechtliehen Wirkungen erhält. Der Vertrag bedarf zur Gültigkeit der Bestätigung durch das für den Wohnsitz des Annehmenden zuständige Amtsgericht8. 2. Der Adoptionsvertrag kommt nur zustande, wenn die Eltern, deren Einwilligung gemäß § 1747 Absatz 1 S. 1 BGB erforderlich ist, diese in völliger Freiheit erteilen. Voraussetzung für den gültigen Abschluß des Adoptionsvertrags ist, daß die Einwilligung der Kindeseltern und die Vertragserklärung der Adoptiveltern sich auf sämtliche Umstände erstrecken, die von einem der Beteiligten für den Abschluß des Vertrages ausdrücklich als wesentlich bezeichnet wurden. Die Tatsache, daß der Abschluß des Adoptionsvertrages durch Einschaltung des Jugendamtes in der Form der Inkognito-Adoption erfolgt, ändert daran nichts. Im Rahmen des Adoptionsvertrages können die Kindeseltern gegenüber dem Jugendamt die Erteilung ihrer Einwilligung und damit das Zustandekommen des Vertrages auch davon abhängig machen, daß die künftigen Adoptiveltern genau bestimmte persönliche Merkmale aufweisen. Ebenso können auch die Adoptiveltern ihre Bereitschaft zum Abschluß des Vertrages dem Jugendamt gegenüber von der Voraussetzung abhängig machen, daß in der Person des von ihnen zu adoptierenden Kindes genau bestimmte persönliche Merkmale vorliegen9. Der Adoptionsvertrag wird gemäߧ 1751 Absatz 1 BGB für ein eheliches Kind, das noch nicht vierzehn Jahre alt ist, von dessen Eltern in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter des Kindes geschlossen. Nichteheliche Kinder haben gemäß § 1706 Nr. 1 BGB für Angelegenheiten, die die Feststellung oder Änderung des Eltern-Kindes-Verhältnisses oder des Familiennamens betreffen, und damit auch für den Abschluß des Adoptionsvertrages, einen Pfleger. Pfleger ist, sofern nicht die besonderen Voraussetzungen des § 1709 S. 2 vorliegen, gemäß § 1709 S. 1 BGB mit der Geburt des Kindes das Jugendamt. Gemäß § 1751 Absatz 1 bedarf der Adoptionsvertrag der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Er kommt in den Fällen, in denen die Eltern die Erteilung ihrer Einwilligung an die Voraussetzung geknüpft haben, daß in der Person der Adoptiveltern bestimmte persönliche Merkmale a Vgl. §§ 1741, 1742, 1754, 1757 ff. BGB i.V.m. §§ 65 ff. FGG. 9 Hans Dölle, Familienrecht, Bd. 2, 1965, § 112, III e (S. 586); Gernhuber, Lehrbuch (Anm. 5), § 62, V 4, der darauf hinweist, daß die Kenntnis des Namens und der Adresse des Annehmenden für die Eltern des Kindes nicht wesentlich ist: Von entscheidender Bedeutung seien nur die Lebensumstände, die das Kind vorfinde. Diese ließen sich aber den Eltern vor ihrer Einwilligung in einer für ihre Willensbildung ausreichenden Form mitteilen.

Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung

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gegeben sein müssen, nur zustande, wenn das Jugendamt den Eltern bzw. der nichtehelichen Mutter vor ihrer Einwilligung in den Abschluß des Adoptionsvertrages mitgeteilt hat, daß bei den Adoptiveltern, deren Personalien unter einer bestimmten Nummer in der Adoptionsliste des betreffenden Jugendamtes eingetragen sind, diese von den Eltern des Kindes geforderten persönlichen Merkmale gegeben sind. Die Eltern des Kindes, das zur Adoption gegeben werden soll, können die Erteilung ihrer Einwilligung z. B. davon abhängig machen, daß ihr Kind nur von einem Ehepaar, nicht dagegen von einem Ehegatten allein oder von einem alleinstehenden Adoptionspartner an Kindes Statt angenommen wird. Ebenso können die Eltern die Erteilung ihrer Einwilligung davon abhängig machen, daß bei den Adoptiveltern hinsichtlich ihrer sozialen Stellung, ihres Lebensalters, der deutschen Staatsangehörigkeit und zahlreicher anderer Umstände bestimmte persönliche Merkmale gegeben sind. Dem Jugendamt obliegt es in diesen Fällen, geeignete adoptionswillige Eltern ausfindig zu machen, die diese Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Auch die Adoptiveltern können im Hinblick auf das von ihnen zu adoptierende Kind bestimmte Forderungen stellen und z. B. erklären, daß sie nur ein Mädchen zu adoptieren bereit sind, das nicht älter als zwölf Monate ist. 3. Ebenso wie von anderen Voraussetzungen können die Eltern bzw. die nichteheliche Mutter des Kindes die Erteilung ihrer gemäߧ 1747 Absatz 1 BGB erforderlichen Einwilligung auch von der Voraussetzung abhängig machen, daß die künftigen Adoptiveltern derselben Religion oder Konfession angehören wie das Kind und außerdem gegenüber dem Jugendamt in schriftlicher Form ihre Bereitschaft erklärt haben, das Kind entsprechend den Grundsätzen seiner Religion oder Konfession zu erziehen. Solange das Jugendamt Adoptiveltern, die das Merkmal der gleichen Konfessionszugehörigkeit aufweisen und eine entsprechende religiöse Erziehungsbereitschaft erklärt haben, nicht gefunden hat, kommt daher, da die Einwilligung gemäߧ 1747 Absatz 1 BGB fehlt, ein gültiger Adoptionsvertrag nicht zustande. 4. Einer besonderen Erörterung bedarf in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, ob das Verlangen der gleichen Konfessionszugehörigkeit und der Bereitschaft zur religiösen Erziehung des Kindes in seiner bisherigen Religion seitens der leiblichen Eltern des Kindes nicht eine unzulässige Bedingung darstellt und deshalb zur Nichtigkeit des Adoptionsvertrages führt. Im Interesse der Klarheit und Sicherheit familienrechtlicher Statusverhältnisse verbietet das Familienrecht, personenstandsbegründende und personenstandsverändernde rechtsgeschäftliche Handlungen, zu denen auch die Adoption gehört, von einer Bedingung oder Zeitbestimmung abhängig zu machen. § 1742 BGB

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Freiheit der Religion und des Gewissens

sieht deshalb ausdrücklich vor, daß die Annahme an Kindes Statt nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen kann. a) Unter einer Bedingung i. S. der §§ 158ff. BGB ist nur die sog.

"echte" Bedingung zu verstehen, d. h. eine rechtsgeschäftliche Bestim-

mung, durch die der Eintritt der Wirkung eines Rechtsgeschäfts von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht wird. Eine solche Bedingung i. S. der §§ 158ff. BGB liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um eine auf einen bereits vergangeneo oder gegenwärtigen Tatbestand abgestellte Abhängigkeit handelt. In diesen beiden Fällen ist der Rechtszustand objektiv gewiß und nicht von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig 10 • b) Eine Bestimmung in einem Adoptions-Vertrag, derzufolge die leiblichen Eltern des Kindes ihre Einwilligung zur Adoption davon abhängig machen würden, daß ihr Kind von den Adoptiveltern in der Zukunft auch tatsächlich nach den Lehren seiner Kirche erzogen wird, wäre deshalb wegen Verstoßes gegen § 1742 BGB und zugleich auch wegen Verstoßes gegen die §§ 1 und 4 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung (RKEG) v. 15. 7. 1921 (RGBl I 939; 1263) nichtig. In einem solchen Falle wäre die Wirksamkeit des Vertrages von einem zukünftigen ungewissen Ereignis, nämlich der tatsächlichen religiösen Erziehung des Kindes durch seine Adoptiveltern, abhängig. Hier würde es sich um eine echte Bedingung handeln, die gemäß § 17 42 i. V. m. § 134 BGB zur Nichtigkeit des ganzen Adoptionsvertrages führen müßte. Zugleich würde eine solche Bedingung auch eine Verletzung des § 1 RKEG bedeuten, wonach über die religiöse Erziehung eines Kindes die freie Einigung der Eltern bestimmt, soweit ihnen das Recht und die Pflicht zusteht, für die Person des Kindes zu sorgen 11 . Außerdem entzieht § 4 RKEG Verträgen über die religiöse Erziehung eines Kindes die bürgerliche Wirkung. Damit ist jede vertragliche Vereinbarung zwischen den Eltern des Kindes und den Adoptiveltern über die religiöse Erziehung des Kindes rechtlich unwirksam 12 . 2.

10

Vgl. z. B. Palandtl Heinrichs, BGB, 33. Aufl., München 1974, Einf. v. § 158,

u Die gemäߧ 1626 Absatz 2 BGB den Eltern eines Kindes obliegende Sorge

für die Person des Kindes steht gemäß § 1757 BGB nach Bestätigung des An-

nahmevertrages den Adoptiveltern zu. Damit finden die Vorschriften des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung auch auf die Adoptiveltern Anwendung. Vgl. Palandt I Diederichsen (Anm. 6), Erl. 1 zu§ 1757 BGB; ebenso Staudinger I Donau, Anm. 18 zu§ 1 RKEG, in: J. v. Staudinger, Komm. z. BGB, 10./11. Aufl., Bd. IV, Familienrecht, Teil3 a, Berlin 1967, S. 345. 12 Vgl. Staudinger I Donau, Anm. 2 zu § 1 RKEG, ebd., S. 342. Nach Staudinger I Donau, Anm. 1 zu § 4 RKEG, ebd., S. 358, führt daher eine Abmachung über die religiöse Erziehung eines Kindes in einem Vertrag über die Annahme an Kindes Statt entgegen § 139 BGB nicht zur Nichtigkeit des Adoptionsvertra-

Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung

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Das Kammergericht Berlin hat in einer Entscheidung vom 11. 6. 1909 die Auffassung vertreten, daß in einem Kindesannahmevertrag Bestimmungen über die von der gesetzlichen Vorschrift abweichende religiöse Erziehung des Wahlkindes nicht getroffen werden können. Das Gericht erklärte deshalb einen Adoptionsvertrag, der die Bestimmung enthielt, daß das Kind in einer anderen Religion als der des Annehmenden erzogen werden solle, für unwirksam. In dem konkreten dem Gericht zur Entscheidung vorliegenden Fall handelte es sich um ein adoptionswilliges Ehepaar evangelischer Konfession, das sich für den Fall, daß auf andere Weise der Adoptionsvertrag nicht zustandezubringen sei, bereit erklärt hatte, die Verpflichtung zu übernehmen, das Kind im katholischen Glauben erziehen zu lassen 13 . Bei der Beurteilung dieser Entscheidung muß allerdings bedacht werden, daß sie vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung v. 15. 7. 1921 ergangen ist und den damals in Preußen geltenden Rechtszustand voraussetzte. Gemäߧ 77 II 2 PrALR und der Deklaration vom 21. 11. 1803 14 bestand damals für Preußen die Regelung, "daß eheliche Kinder jedesmal in der Religion des Vaters unterrichtet werden sollen, und daß zu Abweichungen von dieser gesetzlichen Vorschrift kein Ehegatte den anderen durch Verträge verpflichten" dürfe. Angesichts dieser Rechtslage mußte das Kammergericht zu dem einzig richtigen Ergebnis gelangen, daß "eine vertragliche Pflicht", das Adoptivkind im katholischen Glauben zu erziehen, wirksam nicht begründet werden könne, da nach damaligem preußischem Recht bei der Kindesannahme das Wahlkind im Glauben des Annehmenden erzogen werden mußte. Im übrigen offenbart diese Entscheidung des Kammergerichts eine hohe Auffassung des Gerichts von der Bedeutung der Religion und der religiösen Erziehung im Adoptionswesen. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der beiden Vorinstanzen, des Amtsgerichts und des Landgerichts Breslau, entschied nämlich das Kammergericht, daß die Erzieges als solchen; ebenso Günther Beitzke, in: Achilles/Greiff/Beitzke, BGB, 21. Aufl., Berlin 1958, Anrn. 1 zu§ 4 RKEG (=Anhang zu§ 1631 BGB), S. 843. A.A. dagegen Manfred Heinisch, Beendigung und Nichtigkeit der Adoption, :Frankfurt a.M. und Berlin 1960, S. 46, der ohne nähere Begründung die Auffassung vertritt, daß die Nichtigkeit einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den leiblichen Eltern und den Adoptiveltern über die religiöse Erziehung des Kindes gemäß § 139 BGB "im Zweifel die Nichtigkeit des gesamten Adoptionsvertrages" herbeiführe. 13 KG, Beschl. v. 11. 6. 1909 (Az.: 1 a X 489/09), in: KGJ (=Jahrbuch der Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der :Freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kosten-, Stempel- und Strafsachen), Bd. 38, Berlin 1910, S. A 91 ff. 14 Abgedr. u.a. in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1825, S. 222.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

hung eines Kindes in der Konfession, in der es getauft worden sei, als eine so bedeutsame Angelegenheit betrachtet werden müsse, daß nicht angenommen werden könne, ein Vormund handele pflichtwidrig, wenn er der Sicherstellung der Erziehung des Kindes in seiner angestammten Religion den Vorzug gebe vor einer sich bietenden Adoptionsmöglichkeit. Das Gericht ordnete deshalb in dem konkreten Fall an, daß das Adoptivkind dem Vormund, der sich aus religiösen Motiven geweigert hatte, seine Einwilligung in eine Adoption des Kindes durch Adoptiveltern zu erteilen, die einer anderen Konfession angehörten, wegen Nichtigkeit des Adoptionsvertrags zurückzugeben sei. Aufgrund der damals in Preußen herrschenden Rechtslage, nach der das Adoptivkind im Glauben des Adaptivvaters zu erziehen war, konnte das Gericht in dem von ihm zu entscheidenden Fall nur die totale Nichtigkeit des Adoptionsvertrags feststellen. Anders dagegen ist die Rechtslage seit dem Irrkrafttreten des Gesetzes über die religiöse Erziehung der Kinder vom 15. 7. 1921 zu beurteilen. Die Bestimmung des§ 4 RKEG, "Verträge über die religiöse Erziehung eines Kindes sind ohne bürgerliche Wirkung", kann ohne weiteres dahingehend interpretiert werden, daß im Rahmen eines Adoptionsvertrages nur die besondere Abmachung über die religiöse Kindererziehung unwirksam ist und daher entgegen § 139 BGB nur eine Teilnichtigkeit des Adoptionsvertrages vorliegt 15 . c) Zusammenfassend ist somit zunächst festzustellen, daß eine Bedingung i. S. des§ 1742 BGB nicht vorliegt, wenn die leiblichen Eltern des Kindes erklären, ihr Kind nur solchen Adoptiveltern zur Annahme an Kindes Statt anzuvertrauen, die unter einer bestimmten Nummer in die Adoptionsliste des betreffenden Stadt- oder Kreisjugendamtes eingetragen sind und von denen bereits feststeht, daß sie derselben Konfession angehören, der auch das zur Adoption anstehende Kind angehört, und die ferner bereits vor dem Zeitpunkt der Abgabe der Einwilligungserklärung der Eltern in die Adoption dem Jugendamt gegenüber schriftlich ihre Bereitschaft bekundet haben, das Kind in seiner bisherigen Konfession und nach deren Grundsätzen zu erziehen. In diesen Fällen handelt es sich nicht um eine unzulässige Bedingung i. S. 15 Für Teilnichtigkeit auch Gernhuber, Lehrbuch (Anm. 5), § 62, VII 3, S. 745, Anm. 3. Unzutreffend allerdings bei Gernhuber der Hinweis S. 745 Anm. 3, daß das KG, KGJ 38, A 91, nur Teilnichtigkeit angenommen habe, wenn Adoptiveltern eine Verpflichtung zur Erziehung des Kindes in einem bestimmten religiösen Bekenntnis eingingen. Das KG nahm, wie gezeigt, in dem angeführten Fall Vollnichtigkeit des Adoptionsvertrages an. Über die landesrechtliehen Bestimmungen in Preußen betr. die religiöse Erziehung der Kinder vor dem Inkrafttreten des RKEG vgl. u.a. Karl Schmidt, Die Confession der Kinder nach den Landesrechten im deutschen Reiche. Freiburg/Br. 1890, S. 1 ff., 92 ff.

Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung

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der§§ 158ff., 1742 BGB, da hier die Erteilung der Einwilligung und die Wirkungen des Adoptionsvertrages nicht vom Eintritt eines zukünftigen und ungewissen Ereignisses abhängig gemacht werden. Die Eltern des Kindes schränken vielmehr den Kreis der für die Annahme ihres Kindes in Frage kommenden Adoptiveltern auf konfessionsgleiche Personen ein, die bereits vor Erteilung der Einwilligung der leiblichen Eltern in die Adoption ihres Kindes erklärt haben, daß sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Adoptionsvertrages zur religiösen Erziehung des Kindes in seiner bisherigen Religion bereit sind. Die Wirksamkeit der Einwilligungserklärung wird hier nicht davon abhängig gemacht, daß die Adoptiveltern das Kind in der Zukunft auch tatsächlich entsprechend ihrer im Zeitpunkt des Abschlusses des Adoptionsvertrages erklärten Bereitschaft religiös erziehen werden 16 • Wie Dölle hierzu schreibt, können Einwilligungsberechtigte bei einer Inkognito-Adoption die Berücksichtigung bestimmter Wünsche, z. B. daß ihr Kind nur durch Annehmende gleicher Konfession oder nur durch Deutsche adoptiert werden soll, in der Weise sicherstellen, daß sie abwarten, bis die Vermittlungsstelle bestimmte Adoptanten ausgesucht hat, und sich dann vergewissern, ob die Annehmenden ihren Wünschen entsprechen 17 • Dieselbe Auffassung liegt der Entscheidung des Oberlandesgericht Ramm vom 22. 6. 1951 zugrunde, in der dieses Gericht ausführt, daß die in eine Inkognito-Adoption einwilligenden leiblichen Eltern des Kindes, auch wenn sie die Annehmenden nicht kennen, dennoch die Möglichkeit haben, sich von der die Kindesannahme vermittelnden Stelle über Alter, Religionszugehörigkeit und sonstige Lebensverhältnisse der Annehmenden unterrichten zu lassen und "die Erteilung der Einwilligung davon abhängig zu machen" 18 . 16 Zustimmend Dölle, Familienrecht (Anm. 9), § 112 III (S. 582), der in diesem Zusammenhang von einer "begrenzten Einwilligung" spricht; ebenso v. Staudinger I Engler, 10./11. Aufl., Rz. 3 zu § 1748 BGB. Zutreffend weist v. Staudinger I EngZer darauf hin, daß die Einwilligung in die Annahme in solchen Fällen nur dann wirksam ist, wenn sie sich auf bestimmte, der Person nach schon feststehende und durch objektive Merkmale bezeichnete Annehmende bezieht. Eine nach h. M. unzulässige und nichtige Blanko-Einwilligung würde dagegen vorliegen, wenn noch mehrere Adoptiveltern in Betracht kommen und der Einwilligende lediglich verlangen würde, daß das Kind nur von Personen gleicher Konfession angenommen wird; Palandt I Diederichsen, BGB (Anm. 6), § 17 4 7, Erl. 2. 17 Dölle, Familienrecht (Anm. 9), § 112 III 2 c am Ende (S. 586). 18 OLG Hamm, Beschl. v. 22. 6. 1951 (Anm. 6), ZblJugR 1951, 196. Diese Entscheidung ist bei Dölle (Anm. 9), S. 586, inhaltlich mißverständlich wiedergegeben. Das OLG Hamm vertritt in diesem Beschluß nicht die ihm von Dölle zugeschriebene Auffassung, daß die Beschränkung der Einwilligung auf bestimmte

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Freiheit der Religion und des Gewissens

ID. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Mitwirkung des Jugendamtes bei der Vermittlung an konfessionsgleiche Adoptiveltern 1. Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Mitwirkung des Jugendamtes bei der Vermittlung von Adoptivkindern an konfessionsgleiche Eltern könnten möglicherweise daraus hergeleitet werden, daß es dem zu religiöser Neutralität verpflichteten Staat und den staatlichen und kommunalen Behörden verwehrt sein könnte, solche Dienste in religiösen Angelegenheiten zu leisten. Insbesondere ist zu prüfen, ob es den Beamten des Jugendamtes gestattet sein kann, potentielle konfessionsgleiche Adoptiveltern darüber zu befragen, ob sie auch tatsächlich bereit seien, das Kind nach den Grundsätzen seiner Religion zu erziehen, und von ihnen eine diesbezügliche schriftliche Erklärung zu verlangen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine derartige Mitwirkung der Beamten des Jugendamtes könnten in der Tat erhoben werden, wenn der Staat oder kommunale Behörden sich in diesen Fällen durch eine derartige Vermittlungstätigkeit mit der betreffenden Religion oder Konfession, um die es sich im Einzelfall handelt, inhaltlich "identifizieren" oder sich zu deren Lehren "bekennen" würden. In diesem Falle würde der Staat den Boden der religiösen Neutralität verlassen. Bei der Adoptionsvermittlung liegt jedoch eine solche Identifikation nicht vor. Bei der Annahme an Kindes Statt handelt es sich, unabhängig davon, ob sie durch privatrechtliehen Vertrag oder durch Staatsakt begründet wird, um ein Rechtsinstitut, das der freien Zustimmung der Kindeseltern und der Adoptiveltern bedarf. Im Gegensatz zum Staat, der als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet istl 9 , Kategorien von Adoptanten, z. B. auf solche gleicher Religionszugehörigkeit, eine unzulässige Bedingung darstelle, welche "die Einwilligung unwirksam" mache. Das OLG Hamm stimmt im Gegenteil in dieser Frage mit Dölle völlig überein. Das Gericht erklärt in dieser Entscheidung lediglich eine Blankoeinwilligung (vgl. den Wortlaut des notariellen Vertrages oben, Anm. 6), die die Bestimmung der noch ungewissen Adoptiveltern und des gesamten Adoptionsvertrages seinem Inhalt nach völlig dem Ermessen der Vermittlungsstelle überlassen würde, für unzulässig. Der Leitsatz der Entscheidung des OLG Hamm lautet: "Es wäre ein unzulässiger Verzicht auf das Elternrecht, wenn die Mutter von vornherein zu jedem noch ungewissen Annahmevertrag zustimmen würde. Sie muß die Möglichkeit haben, sich über den wesentlichen Vertragsinhalt zu unterrichten". In dieser Entscheidung ging es gerade darum, daß der Mutter, sofern sie darauf Wert legt, die Möglichkeit geboten werden muß, sich darüber zu vergewissern, welcher Konfession die Adoptiveltern angehören und ob sie

das Kind auch in seiner bisherigen Konfession erziehen werden. 19

BVerfGE 19, 206 (216); 19, 1 (8).

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sind die Eltern des Kindes bei der Erteilung der Einwilligung in die Adoption ihres Kindes gerade nicht zu religiöser Neutralität verpflichtet. Ihnen garantiert vielmehr das Grundgesetz durch das Grundrecht der Religionsfreiheit und der religiösen Erziehungsfreiheit einen Rechtsraum, in dem sie sich und ihren Kindern die Lebensform geben können, die ihrer Überzeugung entspricht20 . Die Mitwirkung des Jugendamtes bei der Vermittlung eines Kindes an konfessionsgleiche und zur religiösen Erziehung des Kindes bereite Adoptiveltern bedeutet keine Verletzung des verfassungsrechtlichen Prinzips der religiösen Neutralität des Staates. Das Jugendamt bringt hier lediglich den potentiellen Adoptiveltern den Willen der leiblichen Eltern des Kindes bezüglich dessen religiöser Erziehung zur Kenntnis. Eine eigene Willensentschließung im Hinblick auf die religiöse Erziehung des Kindes, die als "Identifikation" des Staates oder der Behörde "Jugendamt" mit einer bestimmten Religion oder Konfession angesehen werden könnte, liegt in solchen Fällen nicht vor21 . Das Jugendamt ermöglicht durch seine Mithilfe bei der Vermittlung konfessionsgleicher und zur religiösen Erziehung des Kindes bereiter Adoptiveltern erst die Adoption. Es wird dabei ausschließlich im Interesse der Eltern des Kindes und auch des Kindes selbst tätig. Es verschafft dabei denjenigen Eltern, die genötigt sind, ihr Kind in der Form der Inkognito-Adoption ihnen völlig unbekannten Adoptiveltern anzuvertrauen, dieselbe Rechtsposition und dieselben Chancen hinsichtlich der Auswahl konfessionsgleicher und erziehungsbereiter Adoptiveltern, die solchen Eltern zur Verfügung stehen, die ihr Kind Adoptiveltern übergeben, welche sie dem Namen und der Person nach kennen. Durch die Vermittlung des Jugendamtes wird für die Eltern des Kindes somit ein Nachteil in der Ausübung ihres Grundrechts der religiösen Erziehungsfreiheit ausgeglichen, der mit dem Institut der Inkognito-Adoption gegeben und durch dieses verursacht ist. Die Eltern eines Kindes, die den Weg der Inkognito-Adoption wählen, dürfen im Hinblick auf die Ausübung ihrer religiösen Erziehungsfreiheit nicht schlechter gestellt werden als andere Eltern, die die Adoptiveltern ihres Kindes persönlich kennen.

BVerfGE 12, 1 (3). Zur zentralen Bedeutung des Prinzips der "Nicht-Identifikation" des Staates mit einer bestimmten Religion oder Konfession als einem Wesenselement der religiösen Neutralität, das andererseits aber des Korrektivs der Pluralität und Parität bedarf, um die Möglichkeit einer Kulturverfassung eines pluralistischen Gemeinwesens zu gewährleisten, vgl. Klaus Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip - vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, Tübingen 1972, S. 236 ff. 2o 21

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Würde sich ein Beamter des Jugendamtes weigern, dem Verlangen der Eltern eines zur Adoption anstehenden Kindes zu entsprechen und nicht bereit sein mitzuwirken, daß das Kind nur an konfessionsgleiche und in entsprechender Weise erziehungsbereite Eltern vermittelt wird, würde er das Grundrecht der Religionsfreiheit der Eltern dieses Kindes verletzen und rechts- und pflichtwidrig handeln. Der Staat, verkörpert in der Behörde "Jugendamt", würde nämlich dann eine antireligiöse Haltung einnehmen und unter Verletzung des Rechts der Eltern den Boden der religiösen Neutralität verlassen. Die Religionsfreiheit stellt ein tragendes Element der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes dar und gewährleistet- zusammen mit anderen Freiheitsgarantien- erst einen freien und offenen Lebensprozeß, der die Gleichwertigkeit aller diesen Prozeß bejahenden Kräfte voraussetzt und daher jede Präponderanz nur einer dieser Kräfte ausschließt22. Das Jugendamt ist somit nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, dem Verlangen der Eltern zu entsprechen, die ihr Kind nur solchen konfessionsgleichen Adoptiveltern übergeben wollen, die ausdrücklich ihre Bereitschaft erklärt haben, das Kind in entsprechender Weise religiös zu erziehen und in diesem Sinne vermittelnd tätig zu werden. Einem solchen Verlangen der Eltern des Kindes steht auch die Bestimmung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Absatz 3 WeimRV nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist niemand verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Den Behörden steht danach nur soweit das Recht zu, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen. Eine Mitteilung des Jugendamtes an potentielle Adoptiveltern, daß ein bestimmtes zur Adoption anstehendes Kind bereits Mitglied einer Kirche oder anderen Religionsgemeinschaft ist und die Eltern dieses Kindes entscheidenden Wert darauf legen, ihr Kind nur konfessions- oder religionsgleichen Adoptiveltern zu übergeben, die ausdrücklich ihre Bereitschaft erklären, das Kind in dem betreffenden Bekenntnis oder derbetreffenden Religion zu erziehen, verpflichtet die Adoptiveltern in keiner Weise, gegenüber dem Jugendamt ihre religiöse Überzeugung zu offenbaren. Es steht ihnen vielmehr frei, entweder eine entsprechende Erklärung über ihre diesbezügliche Bereitschaft abzugeben oder auf die Adoption dieses Kindes zu verzichten. Die Bestimmung des Art. 140 i.V.m. Art. 136 Absatz 3 WeimRV ist hier ferner auch deshalb nicht einschlägig, weil das Jugendamt bei der Erkundung der religiösen Er22 Vgl. Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen. Zur Gegenwartslage des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Bundesrepublik, in: ZevKR 11 (1964/1965), S. 354f.

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Ziehungsbereitschaft der potentiellen Adoptiveltern nicht in eigener Entschließung tätig wird, sondern, wie dargelegt, ausschließlich im Auftrag und im Interesse der leiblichen Eltern des Kindes, die ihrerseits bei der Erziehung ihres Kindes nicht zu religiöser Neutralität verpflichtet sind. 2. Einer besonderen Erörterung bedarf in diesem Zusammenhang noch die Frage, ob das Jugendamt auch dann verpflichtet ist, ein für eine Adoption vorgesehenes Kind bei einer "Inkognito-Adoption" nur an konfessions- oder religionsgleiche Adoptiveltern zu vermitteln, wenn die leiblichen Eltern eine Vermittlung an konfessionsgleiche Adoptiveltern nicht ausdrücklich verlangt haben. In dieser Hinsicht bestimmt § 3 Absatz 2 RKEG, daß weder der Vormund noch der Pfleger eines Kindes eine schon getroffene Bestimmung über die religiöse Erziehung eines Kindes ändern können 23 • Diese Bestimmung des § 3 Absatz 2 RKEG ergibt sich als zwingende Folgerung aus der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität. § 3 Absatz 2 RKEG ist eine Konkretisierung des in Art. 6 Absatz 2 GG grundrechtlich gewährleisteten Erziehungsrechts der Eltern. Diese Vorschrift ist insbesondere auch bei der Adoption von Vollwaisen zu beachten. Auch in diesen Fällen ist es dem Jugendamt untersagt, von der durch die Eltern eines Kindes einmal getroffenen Religionsbestimmung abzugehen. Nach§ 1779 Absatz 2 BGB ist bereits bei der Bestellung eines Vormundes, der gemäß § 3 Absatz 2 S. 6 RKEG eine schon erfolgte Bestimmung über die religiöse Erziehung eines Kindes nicht ändern kann, "auf das religiöse Bekenntnis des Mündels Rücksicht zu nehmen". In aller Regel soll das Vormundschaftsgericht als Vormund eine Persönlichkeit auswählen, die zur Führung der Vormundschaft geeignet und mit dem Mündel konfessionsgleich ist 24 . Umso mehr erfordert die Respektierung des religiösen Erziehungsrechts der leiblichen Eltern eines Kindes, daß als Adoptiveltern, die

nach Abschluß des Adoptionsvertrages auch eine Neubestimmung des religiösen Bekenntnisses und der religiösen Erziehung des Adoptivkindes treffen könnten, nur Personen ausgewählt werden, die derselben Konfession oder Religion angehören wie das Adoptivkind.

23 Vgl. im einzelnen bei: Helmut Donau, Erl. zu§ 3 RKEG, Rz. 8 ff., in: Julius Schwoerer und Helmut Donau, Sonderfragen der elterlichen Gewalt. Regelung bei Scheidung und Trennung, Verkehrsrecht, religiöse Kindererziehung, Berlin 1967 (=Durch Nachträge ergänzte Sonderausgabe aus J. v. Staudingers Komm. z. BGB. 10./11. Aufl., Bd. 4, Familienrecht, Teil3 a), S. 357. 24 Vgl. dazu OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 13. 4. 1962 (Az.: 6 W 13/62), in: Entscheidungen in Kirchensachen (KirchE), Bd. 6, S. 69 ff.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Der I. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Beschluß vom 29. 7. 196825 den Eltern eines Kindes selbst in jenen Fällen einer Inkognito-Adoption, in denen die elterliche Einwilligungzur Adoption wegen schwerwiegenden und dauernden Versagens der Eltern nach § 1747 Absatz 3 BGB durch das Vormundschaftsgericht ersetzt wird, einen Rechtsanspruch auf Unterrichtung über die allgemeinen Verhältnisse der Adoptiveltern und insbesondere über deren Staatsangehörigkeit, Konfession und ihre wirtschaftliche und soziale Lage als in der Regel geboten zuerkannt. Selbst in jenen Fällen schwerwiegenden elterlichen Versagens ist den Eltern Gelegenheit zu bieten, in vollem Umfang ihre Einwände gegen die Adoption überhaupt wie auch etwa gegen die beabsichtigte Form der "Inkognito-Adoption" geltend zu machen. Diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist zu entnehmen, daß das Jugendamt erst recht in allen übrigen Fällen einer Vermittlung eines Kindes durch Inkognito-Adoption verpflichtet ist, die von den Eltern des Kindes in Ausübung ihres religiösen Erziehungsrechtes getroffene religiöse Erstbestimmung des Kindes zu respektieren. Das Jugendamt muß deshalb auch in jenen Fällen, in denen die Eltern nicht ausdrücklich verlangen, daß ihr Kind nur an religions- oder konfessionsgleiche Adoptiveltern gegeben werden darf, als verpflichtet angesehen werden, auf die Religions- oder Konfessionszugehörigkeit des Kindes Rücksicht zu nehmen und dieses nur an Adoptiveltern gleicher Religions- oder Konfessionszugehörigkeit zu vermitteln, sofern sich nicht die Eltern des Kindes ausdrücklich damit einverstanden erklärt haben, daß ihr Kind auch an Adoptiveltern anderer Religionsoder Konfessionszugehörigkeit übergeben und in deren Glauben erzogen werden darf. Diese Grundsätze gelten auch für jene Fälle einer Inkognito-Adoption, in denen eine religiöse Erstbestimmung des Kindes durch die Eltern noch nicht erfolgt ist. Auch hier ist das Jugendamt verpflichtet, die Eltern des Kindes danach zu befragen, in welcher Religion das Kind erzogen werden soll und entsprechend dieser Entscheidung der Eltern bei der Auswahl der Adoptiveltern zu verfahren. IV. Zusammenfassung

Die Untersuchung ergibt, daß die Eltern eines Kindes, das im Wege der Inkognito-Adoption durch Vermittlung des Jugendamtes zur Adoption gegeben werden soll, dem Jugendamt gegenüber ein in ihrem 25

BVerfGE 24, 119 ff. = FamRZ 1968, S. 578 ff.

Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung

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Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG und der religiösen Erziehungsfreiheit aus Art. 6 Absatz 2 GG begründetes Recht geltend machen können dahin, daß der Kreis der potentiellen Adoptiveltern ihres Kindes auf Personen eingeschränkt wird, die der gleichen Religion bzw. Konfession angehören, der auch das Kind angehört, und sich dem Jugendamt gegenüber schriftlich bereit erklärt haben, das Kind nach den Grundsätzen des betreffenden Glaubens zu erziehen. Eine Möglichkeit, die Einhaltung dieser Zusage sicherzustellen und die Wirksamkeit ihrer Einwilligung zur Adoption von der Erfüllung dieser Zusage abhängig zu machen, besteht dagegen für die Kindeseltern nicht. Das Jugendamt ist verpflichtet, dem Verlangen der Eltern nach Vermittlung ihres Kindes an konfessionsgleiche und zur religiösen Erziehung bereite Adoptiveltern zu entsprechen.

Gewissen und Gewissensentscheidung im Recht der Kriegsdienstverweigerung Im Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz vom 28. 2. 1983 geht der Gesetzgeber neue Wege. Die Entscheidung für den gegenüber dem Grundwehrdienst um ein Drittel auf 20 Monate verlängerten Zivildienst bildet nunmehr das "tragende Indiz" für das Vorliegen einer echten Gewissensentscheidung. Die neue Regelung trägt dem Schutz des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG ebenso Rechnung wie der Grundentscheidung der Verfassung für eine effektive militärische Landesverteidigung. Das Gesetz anerkennt nur die prinzipielle und generelle, nicht dagegen auch die situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung. Theologisch begründete Argumente können gegen den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Begriff des Gewissens und der Gewissensentscheidung berechtigterweise nicht vorgetragen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 24. 4. 1985 - 2 BvF 2/83 u.a. - die Vereinbarkeit des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz - KDVNG) vom 28. 2. 1983 (BGBL I S. 203) mit dem Grundgesetz festgestellt.

I. Zur Vorgeschichte der Entscheidung Diese Entscheidung ist von weittragender Bedeutung. Durch sie wurde für den Bereich der Bundeswehr und damit für die militärische Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland eine längere Periode einer dem Wohle des Staates durchaus abträglichen Unsicherheit beendet. Das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz vom 28. 2. 1983 löste das Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes (Wehrpflichtänderungsgesetz - WpflÄndG -) vom 13. 7. 1977 (BGBL I S. 1229) ab, das vom Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 13. 4. 1978 - 2 BvF 1, 2, 4, 5177 - wegen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 3, 12 a Abs. 1 und 2 und der Art. 18, 87 b Abs. 2 Satz 1 GG für nichtig erklärt worden war. 1 Erstveröffentlichung in: Die Öffentliche Verwaltung, 38. Jhg. (1985), S. 801811.

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Das Wehrpflichtänderungsgesetz vom 13. 7. 1977 enthielt in seinem Art. 1 für ungediente Wehrpflichtige, die weder einberufen noch schriftlich benachrichtigt waren, daß sie als Ersatz für Ausfälle kurzfristig einberufen werden konnten, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Regelung, daß diese Wehrpflichtigen gemäß § 25 a Abs. 1 WpflG n.F. Zivildienst anstelle des Wehrdienstes zu leisten hatten, wenn sie schriftlich oder zur Niederschrift beim Kreiswehrersatzamt erklärt hatten, daß sie sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzten und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigerten. Ihre Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, galt mit der Begründung eines Zivildienstverhältnisses oder eines nach dem Zivildienstgesetz als gleichwertig anerkannten Dienst- oder Tätigkeitsverhältnisses, ferner mit Annahme für den Zivildienst durch schriftlichen Bescheid des Bundesamtes für den Zivildienst oder spätestens zwei Jahre nach Abgabe der Erklärung als festgestellt. Für die übrigen Wehrpflichtigen und für Soldaten sah § 25 b Abs. 1 WpflG n.F. ein in den Anforderungen an den Nachweis der Gewissensentscheidung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand vereinfachtes Prüfungs- und Feststellungsverfahren vor, das im einzelnen in§ 26 WpflG n.F. geregelt war. 2 Durch diese Bestimmung des Wehrpflichtänderungsgesetzes war für den Wehrpflichtigen faktisch eine Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst und Zivildienst geschaffen worden. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerungen stieg aufgrundder neuen Rechtslage sprunghaft an. 3 215 Abgeordnete der Bundestagsfraktion der CDU/CSU sowie die Bayerische Staatsregierung und die Regierungen der Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg riefen daraufhin das Bundesverfassungsgericht an und beantragten im Wege der Normenkontrolle, die 1 BVerfGE 48, S. 127-206. Das Urteil des BVerfG vom 24. 4. 1985-2 BvF 2/83 u.a. - wurde zwischenzeitlich veröffentlicht in: BVerfGE 69, S. 1-92 = DÖV 1985, S. 825-830 = DVBL 1985, S. 671-682 = NJW 1985, S. 1519-1535. 2 BVerfGE 48, S. 127 (131 ff.). Vgl. hierzu Wilfried Berg, Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 107 (1982), S. 585. Eine umfassende Apologie der Grundvorstellungen des vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 13. 40. 1978für verfassungswidrig erklärten Wehrpflichtänderungsgesetzes und zugleich eine Art "Frontalangriff" gegen diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bildet die Schrift von Harald Dörig, Gewissensfreiheit und Diskriminierungsverhot als Grenzen einer Neugestaltung des Zivildienstes nach Art. 12 a Abs. 2 GG. Eine verfassungsrechtliche und rechtsvergleichende Untersuchung, Baden-Baden 1981. Vgl. hierzu die krit. Rezension dieses Buches von Dörig durch den Verfasser, in: DVBL 1983, S. 1120 ff. 3 Nähere statistische Angaben in: BVerfGE 48, S. 127 (171).

13 Sbd. List!

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Unvereinbarkeit des Wehrpflichtänderungsgesetzes mit dem Grundgesetz festzustellen und dieses Gesetz für nichtig zu erklären. Nach ihrer Auffassung verstieß dieses Gesetz gegen die im Grundgesetz niedergelegten Verfassungsentscheidungen für die militärische Landesverteidigung durch eine funktionsfähige Bundeswehr und für die allgemeine Wehrpflicht sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und den Grundsatz der Wehrgerechtigkeit. Die Antragsteller vertraten ferner die Auffassung, daß das Wehrpflichtänderungsgesetz nicht verfassungsgemäß zustande gekommen sei, da es der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte. 4 In allen genannten Punkten gab das Bundesverfassungsgericht den Antragstellern im wesentlichen recht. Das Gericht beließ es jedoch nicht dabei, das Wehrpflichtänderungsgesetz vom 13. 7. 1977 für nichtig zu erklären. Es gab dem Gesetzgeber auch deutliche Fingerzeige und sehr konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung einerneuen gesetzlichen Regelung des Ersatzdienstwesens an die Hand. Den Kernpunkt dieser "Anregungen" des Bundesverfassungsgerichts bildete im Sinne einer conditio sine qua non die nachdrücklich hervorgehobene Feststellung, daß im Interesse der Wehrgerechtigkeit von jeder gesetzlichen Regelung nach Art. 12 a Abs. 2 GG i.V.m. Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG gefordert werden müsse, daß nur solche Wehrpflichtige als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden könne, daß in ihrer Person die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG erfüllt sind. Daraus folge, daß es durch die neu zu schaffenden gesetzlichen Regelungen ausgeschlossen werden müsse, daß der wehrpflichtige Bürger den Wehrdienst nach Belieben verweigern könne. Das Grundgesetz lasse nicht zu, daß schon "die bloße Erklärung, man sei aus Gründen des Gewissens gegen den Kriegsdienst mit der Waffe, die Freistellung von dem an sich gesetzlich von jedermann geforderten Wehrdienst" bewirke. Mit einer solchen Regelung würde der Gesetzgeber der "mißbräuchlichen Berufung auf das Gewissen Tür und Tor öffnen und Verletzungen einer Gemeinschaftspflicht in gleichheitswidriger Weise hinnehmen". 5 Im übrigen, so stellte das Bundesverfassungsgericht fest, stehe es dem "einfachen Gesetzgeber" aber frei, zu bestimmen, auf welche Weise er den Tatbestand einer Gewissensentscheidung feststellen lassen wolle. Anstelle eines besonderen Prüfungs- und Anerkennungsverfahrens stünden ihm auch andere geeignete Wege und Mittel zu Gebote. 6 4 5

6

Vgl. BVerfGE 48, S. 127 (138). Vgl. BVerfGE 48, S. 127 (168 f.). BVerfGE 48, S. 127 (169).

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In diesem Zusammenhang ist es von besonderem Interesse, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch auf die Möglichkeit hingewiesen hat, daß der Wehrersatzdienst auch so ausgestaltet werden könne, daß seine Ableistung die "einzige Probe auf die Gewissensentscheidung" darstelle. Wie eine solche gesetzliche Regelung, wenn sie der Verfassung entsprechen solle, beschaffen sein müsse, hänge von zahlreichen Faktoren ab. Hierzu gehörten neben der an erster Stelle zu nennenden, vom quantitativen Ausbau des Zivildienstes abhängigen Gewißheit, Ersatzdienst ableisten zu müssen, die Dauer des Dienstes, die Art der zu erfüllenden Aufgaben und die tatsächliche und rechtliche Ausgestaltung der Dienstverhältnisse. Der Gesetzgeber habe,insoweit innerhalb des von Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 und 3 GG gezogenen Rahmens volle Gestaltungsfreiheit. Außer der Pflicht, Waffendienst zu leisten, könne er alle Pflichten und Belastungen, welche den Wehrdienstleistenden treffen, in gleichem Maße auch den Zivildienstleistenden auferlegen. Gewissermaßen zur Ermutigung des eingeschüchterten Gesetzgebers wurde das Bundesverfassungsgericht ganz konkret mit dem autoritativen Hinweis, daß etwa auch in Betracht käme, "den Zivildienst bis auf 24 Monate zu verlängern, so daß er der Dauer des Wehrdienstes einschließlich der in § 6 WpflG vorgesehenen Wehrübungen voll entspricht. Eine solche Regelung würde Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG nicht verletzen" ,7 wonach die Dauer des Wehrersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteige darf. Von dieser Vorschrift verwehrt seien dem Gesetzgeber nur solche Regelungen, die geeignet seien, die Freiheit der Gewissensentscheidung zu beeinträchtigen. 8 Nur auf dem Hintergrund und bei Kenntnis dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. 4. 1978 zum Wehrpflichtänderungsgesetz kann das Urteil des Gerichts vom 24. 4. 1985 zum Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz in vollem Umfang verstanden und zutreffend gewürdigt werden.

ll. Effektiver Grundrechtsschutz und funktionsfähige Landesverteidigung Der Gesetzgeber hat sich im Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz vom 28. 2. 1983 (BGBL I S. 203) die Anregungen des Bundesverfassungsgerichts in Art. I § 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 5 b KDVNG = § 24 Abs. 2 Satz 1 des Zivildienstgesetzes- ZDG- i.d.F.d.B. vom 29. 9. 1983 (BGBL I S. 1221) zu eigen gemacht und sich für eine Lösung entschie7 BVerfGE 48, S. 127 (171). a Ebd. (Anm. 7).

13*

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den, nach der der Zivildienst nunmehr um ein Drittel länger als der Grundwehrdienst dauert. Da die Wehrpflichtigen gern. § 5 Abs. 1 Satz 2 des Wehrpflichtgesetzes- WpflG- i.d.F.d.B. vom 6. 5. 1983 (BGBl. I S. 529) einen fünfzehnmonatigen Grundwehrdienst zu leisten haben, beträgt die Dauer des Zivildienstes damit gegenwärtig 20 Monate. Der Gesetzgeber hat also davon Abstand genommen, die Länge des Zivildienstes auf die vom Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärte Höchstdauer von 24 Monaten auszudehnen. Es steht dem Gesetzgeber aber jederzeit frei, erforderlichenfalls eine derartige Verlängerung des Zivildienstes vorzunehmen. Kumulativ zu dem "Test", den diese Verlängerung des Zivildienstes für die Echtheit der Gewissensentscheidung des Kriegsdienstverweigerers nach den Erwartungen des Gesetzgebers darstellen soll, sieht das Gesetz ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren vor. Dies bedeutet, daß über die Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, nach wie vor nur auf Antrag entschieden wird(§ 2 Abs. 1 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes - KDVG). Dem Antrag sind ein ausführlicher Lebenslauf und eine persönliche, ausführliche Darlegung der Beweggründe für die Gewissensentscheidung sowie ein Führungszeugnis beizufügen(§ 2 Abs. 2 Satz 3 KDVG). In Friedenszeiten entscheidet das Bundesamt für den Zivildienst (Bundesamt) über die Anträge ungedienter Wehrpflichtiger, die weder einberufen noch schriftlich benachrichtigt sind, daß sie als Ersatz für Ausfälle kurzfristig einberufen werden können (§ 4 Abs. 1 KDVG). Das Bundesamt erkennt den Antragsteller ohne besondere Anhörung an, wenn der Antrag vollständig ist, die dargelegten Beweggründe das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen geeignet sind und das tatsächliche Gesamtvorbringen des Antragstellers sowie die dem Bundesamt bekannten sonstigen äußeren Tatsachen keine Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers begründen. Unbehebbare Zweifel an der Wahrheit der vorgetragenen Gründe gehen zu Lasten des Antragstellers. Das Bundesamt lehnt daher den Antrag ab, wenn die dargelegten Gründe nicht geeignet sind, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen oder wenn der Antrag nicht (i.S. des § 2 Abs. 2 KDVG) vollständig ist und der Antragsteller ihn nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist vervollständigt. Bei begründeten Zweifeln des Bundesamtes entscheidet der Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung nach Lage der Akten, wenn nach seiner Auffassung die Zweifel unbegründet sind (§ 7 Satz 3 KDVG). Andernfalls entscheidet der Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung in einem besonderen Verfahren (§§ 9-15 KDVG). Der Ausschuß erkennt den Antragsteller als Kriegsdienstverweigerer an, wenn zu seiner Überzeugung mit hinreichender Sicherheit angenommen werden

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kann, daß die VeiWeigerung auf einer durch Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Gewissensentscheidung beruht. Für den Fall, daß der Ausschuß diese Überzeugung nicht gewinnen kann, entscheidet er, daß der Antragsteller nicht berechtigt ist, den Kriegsdienst mit der Waffe zu veiWeigern. Gegen Entscheidungen der Ausschüsse kann innerhalb von zwei Wochen Widerspruch erhoben werden(§ 18 Abs. 1 Satz 1 KDVG), über den Kammern für KriegsdienstveiWeigerung in entsprechender Anwendung der§§ 10 bis 15 KDVG (§ 18 Abs. 2 Satz 2 KDVG) entscheiden (zusammenfassende Wiedergabe des Gesetzes unter AI 2 a). Diese kumulative Anordnung eines Anerkennungsverfahrens zusätzlich zur Verlängerung des Zivildienstes erscheint nicht nur angemessen, sondern ist auch verfassungsrechtlich unverzichtbar. 9 Sollte nämlich die künftige Entwicklung zeigen, daß nach Auffassung des Gesetzgebers typischeiWeise Anlaß zu der Annahme besteht, daß der Zivildienst, für sich allein genommen, auch in seiner jetzigen Ausgestaltung seine Funktion als tragendes Indiz für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung nicht zu erfüllen vermag, kann der Gesetzgeber das Verfahren vor den Ausschüssen und Kammern für KriegsdienstveiWeigerung nach den Vorschriften der §§ 9 ff., 18 Abs. 1 Satz 2 KDVG zur Anwendung bringen. Zur Sicherstellung einer funktionsfähigen Landesverteidigung kann der Gesetzgeber damit elastisch reagieren und je nach Bedarf sowohl den Zivildienst bis zur zulässigen Höchstgrenze noch weiter verlängern als auch zusätzlich das Anerkennungsverfahren intensivieren. Das Hauptproblem, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung konfrontiert sah, bestand in der Notwendigkeit, die Verfassung in der Weise zu interpretieren, daß auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht gleichermaßen sowohl der effektive Schutz des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung gern. Art. 4 Abs. 3 GG ("Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.") als auch die funktionsfähige militärische Landesverteidigung gewährleistet bleiben. Nach der Lehre jeder verantwortlichen Staatsethik gehört es zu den ungeschriebenen und 9 Die beiden Möglichkeiten zur Feststellung der Ernsthaftigkeit der einer Entscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe zugrundeliegenden Gewissensbedenken, nämlich das materielle Prüfungsverfahren und die Einführung eines adäquat ausgestalteten Wehrersatzdienstes, hat Ulrich Scheuner bereits 1954 erörtert. Vgl. Ulrich Scheuner, Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, in: Der deutsche Soldat in der Armee von morgen. Wehrverfassung, Wehrsystem, Inneres Gefüge, München 1954, S. 268; vgl. hierzu ferner die Angaben bei Berg, Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung (Anm. 2), S. 610 f. mit Anm. 71.

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unverzichtbaren Aufgaben eines jeden Staatswesens, seinen Bestand erforderlichenfalls gegen jede äußere Bedrohung zu schützen. 10 Auch die Bundesrepublik Deutschland ist verpflichtet, die durch das Grundgesetz geschaffene freiheitlich-demokratische und rechtsstaatliche Ordnung gegen alle Feinde und Bedrohungen von innen und außen zu verteidigen. Wäre dieser Verfassungsauftrag nicht im Grundgesetz ausdrücklich enthalten, müßte er als ungeschriebene Verfassungsnorm dem Gesamtzusammenhang der Verfassung entnommen werden, wie z. B. das Bundesverfassungsgericht in schöpferischer Rechtsprechung entschieden hat, daß zu den dem Grundgesetz immanenten Verfassungsnormen, die das Verhältnis von Bund und Ländern regeln, der Verfassungsgrundsatz der Bundestreue gehört, der nur aus der Zusammenschau mit allen anderen Verfassungsnormen, die dieses Verhältnis regeln, richtig verstanden werden kann. 11 Einer derartigen schöpferischen Verfassungsinterpretation bedurfte es bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz nicht, da die dem Staatswesen der Bundesrepublik obliegende militärische Verteidigungspflicht auch positivrechtlich im Grundgesetz verankert ist. In streng normbezogener Verfassungsinterpretation entnimmt das Bundesverfassungsgericht nämlich den nachträglich in das Grundgesetz eingefügten wehrverfassungsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere den heute geltenden Vorschriften der Art. 12 a, 73 Nr. 1, 87 a und 115 b GG zu Recht eine vom Verfassungsgeber getroffene Grundentscheidung der Verfassung für eine wirksame militärische Landesverteidigung. Damit kommt der Errichtung und der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ein verfassungsrechtlicher Rang zu. 12 Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung der allgemeinen Wehrpflicht folgt, daß ein Bundesgesetz, welches die Pflicht in dem in Art. 12 a Abs. 1 GG bestimmten Umfang einführt, der Verfassung nicht nur nicht widerspricht, sondern die in ihr enthaltene Grundentscheidung aktualisiert (unter BI 1). Die Richter Böckenförde und Mahrenholz fordern demgegenüber eine zusätzliche "eigene normative Grundentscheidung" des Verlas1o In diesem Sinne erklärt z. B. der Sozialphilosoph Johannes Messner, der "Selbstschutz gegen den äußeren Angreifer" bilde "für den Staat die Voraussetzung der Erfüllung der gesellschaftlichen Grundfunktionen, die seine Natur ausmachen". Vgl. Johannes Messner, Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik. 7., unveränderte Aufl., Berlin 1984, s. 880. u Vgl. hierzu die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in: BVerfGE 12, s. 205 (254 f.); 32, s. 199 (218). 12 Unter Bezugnahme auf die früheren Entscheidungen BVerfGE 48, S. 117 (161) und 332, S. 40 (46).

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sungsgesetzgebers für die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht.13 Sie sehen sich ohne diese postulierte zusätzliche Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers im Unterschied zur Senatsmehrheit nicht in der Lage, eine Lösung des Grundproblems der Entscheidung anzubieten. Die abweichend Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz wird im Falle der Entscheidung über das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz der vom Bundesverfassungsgericht selbst entwickelten und in ständiger Rechtsprechung vertretenen Interpretationsmaxime nicht gerecht, der zufolge eine Norm nur dann für nichtig erklärt werden darf, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. 14 Die abweichende Meinung erweist sich nicht nur als rechtlich unzutreffend, sie ist auch verfassungs- und rechtspolitisch zutiefst unbefriedigend, weil sie in der für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland zentralen Frage der Regelung der Kriegsdienstverweigerung ohne zusätzliche Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers eine praktikable und überzeugende Lösung nicht aufzuzeigen vermag. Das Bundesverfassungsgericht sah sich in dieser Entscheidung erneut vor die Aufgabe gestellt, den "Kerngehalt" des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG zu bestimmen. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf seine gesamte bisherige kontinuierliche Rechtsprechung erklärt das Gericht, daß das in Art. 4 Abs. 3 GG unmittelbar als Grundrecht gewährleistete Recht darin besteht, den "Kriegsdienst mit der Waffe" aus Gewissensgründen zu verweigern.15 Dies bedeutet im Ergebnis, daß auch bei Regelungen nach Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG ("Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.") der Gesetzgeber dieses Grundrecht nicht in seinem sachlichen Gehalt einschränken, sondern nur die Grenzen offenlegen darf, die in den Begriffen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG selbst schon enthalten sind. 16 Der Kerngehalt des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG besteht dabei nach der zutreffenden Interpretation des Bundesverfassungsgerichts darin, den Kriegsdienstverweigerer vor dem Zwang zu bewahren, in einer Kriegshandlung einen anderen töten zu müssen, wenn ihm sein Unter I der genannten abweichenden Meinung. Vgl. hierzu die Ausführungen des BVerfG in: BVerfGE 49, S. 148 (157); das Gericht nimmt auf diesen Interpretationsgrundsatz in anderem Zusammenhang auch in dem vorliegenden Urteil vom 24. 4. 1985 unter B III 11 b Bezug. 15 Unter BI 2 mit Bezugnahme auf die Entscheidungen der BVerfGE 12, S. 45 (53); 28, s. 243 (259); 32, s. 40 (45); 48, s. 127 (163). 16 Unter B I 2 mit Hinweis auf BVerfGE 12, S. 45 (53); 28, S. 243 (259 ff.); 32, s. 40 (46 f.); 48, s. 127 (163). 13

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Gewissen eine Tötung grundsätzlich und ausnahmslos zwingend verbietet.17 Auf der Grundlage dieses Verständnisses des Kerngehalts des Grundrechts des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG erklärt das Gericht die einschränkend interpretierte Bestimmung des § 8 Satz 2 KDVG für mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach dieser Bestimmung können auch ungediente, aber nicht einberufene oder vorbenachrichtigte Wehrpflichtige, die ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragt haben, im Spannungs- und Verteidigungsfall während ihres Anerkennungsverfahrens zum Wehrdienst einberufen werden. Diese Bestimmung wäre, wie das Gericht hierzu ausführt, mit Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, wenn man sie in Anlehnung an ihren Wortlaut dahingehend interpretieren würde, daß sie eine Heranziehung zum uneingeschränkten Wehrdienst ermöglichte. Eine am Wortlaut der Bestimmung haftende Interpretation würde verkennen, daß das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung dem Schutz des Gewissens selbst in ernsten Konfliktlagen, in denen der Bestand des Staates auf dem Spiele steht und daher der Staat seine Bürger besonders fordert, den Vorrang gegenüber der verfassungsrechtlich verankerten Pflicht zur Beteiligung an der bewaffneten Landesverteidigung und damit an der Sicherung der staatlichen Existenz einräumt.18 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die vom Gericht in ständiger Rechtsprechung praktizierte Verfassungsinterpretation, wonach eine Norm nur dann für nichtig zu erklären ist, wenn keine nach anerkannten Grundsätzen zu vereinbarende Auslegung möglich ist, 19 legt das Gericht die Bestimmung des § 8 Satz 2 KDVG dahingehend aus, daß der Wehrpflichtige, der seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragt hat, im Spannungs- und Verteidigungsfall zum waffenlosen Dienst in der Bundeswehr, also z. B. in der Militärverwaltung oder im Sanitätsdienst, einberufen werden kann. Der Schutz- oder Kernbereich des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG wird auf der Grundlage dieser Interpretation nicht berührt, da diese Vorschrift nur vor solchen Tätigkeiten schützt, die in einem nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik un17 Der Begriff "Kerngehalt" begegnet im BVerfGE 48, S. 127 (128 = LS 4 und 163 f.). Das Gericht beruft sich hierbei auf die Entscheidungen BVerfGE 12, s. 45 (56 f.); 23, s. 191 (205); 28, s. 243 (262); 32, s. 40 (46 f.). 18 Unter B III 11 a mit Berufung auf BVerfGE 12, S. 45 (54); 28, S. 243 (260); 48, s. 127 (163). 19 Vgl. Unter Bezugnahme auf BVerfGE 49, S. 148 (157); vgl. oben, Anm. 14.

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mittelbaren Zusammenhang mit dem Einsatz von Kriegswaffen stehen.20 Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG berechtigt nämlich, wie das Gericht ausdrücklich feststellt, nicht zur Verweigerung des Kriegsdienstes schlechthin, sondern "nur zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe" (unter B III 11 c). 21 Diese Interpretation des Kerngehalts des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG deckt sich, wie das Gericht ausführt, auch mit dem Willen des Gesetzgebers, dem daran gelegen sei, zu verhindern, daß eine Vielzahl ungedienter Wehrpflichtiger unter dem Eindruck der gesteigerten Gefahren des Wehrdienstes rechtsmißbräuchlich Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellt, um einer Einberufung zum Wehrdienst zumindest vorläufig zu entgehen. Diesen Zielen werde auch durch eine Einberufung zum lediglich waffenlosen Dienst in erheblichem Umfang Rechnung getragen (unter B III 11 b).

m. Die Zulässigkeit der Verlängerung des Wehrersatzdienstes Die grundlegende Neuerung im Rahmen der Änderung des Kriegsdienstverweigerungsrechts bildet die Verlängerung des Zivildienstes auf 20 Monate. Wie das Bundesverfassungsgericht hierzu entschieden hat, ist Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG nicht dadurch verletzt, daß der Zivildienst gern. § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG um ein Drittellänger dauert als der Grundwehrdienst (unter B III 1 a). Der Gesetzgeber blieb bei der Festsetzung der Dauer des Zivildienstes auf 20 Monate sogar noch beträchtlich unter der vom Gericht ausdrücklich als rechtlich noch zulässig bezeichneten Höchstdauer von 24 Monaten. Nach der Bestimmung des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG, nach der die Dauer des Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen darf, bildet die Dauer des Wehrdienstes die zeitliche Höchstgrenze für die Dauer des Ersatzdienstes. Der aufgrund der Wehrpflicht in Friedenszeiten zu leistende Wehrdienst umfaßt neben dem Grundwehrdienst von gegenwärtig 15 Monaten Dauer den Wehrdienst in der Verfügungsbereitschaft und Wehrübungen(§ 5 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 WPflG). Die Gesamtdauer der Wehrübungen beträgt bei Mannschaften höchstens neun Monate. Damit kann der Wehrdienst bei Mannschaften bis zu 24 Monaten dauern. Aufgrund der damaligen Gesetzeslage hat daher der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes in seinem Urteil vom 23. April 1978 festgestellt, daß eine Verlängerung des Zivildien2o In diesem Sinne Roman Herzog, in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, München, Stand Oktober 1984, Art. 4, Rdnrn. 171 f. 21 Vgl. BVerfGE 12, S. 45 (56); 32, S. 40 (45).

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stes auf 24 Monate im Hinblick auf die Bestimmungen des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG durchaus in Betracht kommen könnte. 22 Im Gegensatz zu der von den Richtern Böckenförde und Mahrenholz in ihrer abweichenden Meinung vertretenen Rechtsauffassung, die die Dauer des Zivildienstes auf die tatsächlich geleistete durchschnittliche Dauer der Wehrpflicht begrenzt wissen wollen, vertrat die Senatsmehrheit die Auffassung, daß die Vorschrift des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG den Gesetzgeber nicht verpflichte, innerhalb der rechtlich zulässigen Höchstdauer des Wehrdienstes eine Zivildienstzeit vorzusehen, "die genau der tatsächlichen Dauer des Wehrdienstes entspricht". Der Gesetzgeber dürfe vielmehr die Dauer des Zivildienstes anhand eines Zeitrahmens festlegen, den er abstrakt berechne, d. h. auf der Grundlage der rechtlich zulässigen Dauer des Wehrdienstes und damit losgelöst vom tatsächlich geleisteten Wehrdienst. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine zutreffende Rechtsauffassung auch mit der materiellrechtlichen Erwägung, daß das "normative Ziel" des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG darin bestehe, ein "Gleichgewicht der Belastung von Wehr- und Ersatzdienstleistenden sicherzustellen". Danach sei es ausgeschlossen, die tatsächliche Dauer von Wehr- und Ersatzdienst völlig gleich und schematisch zu bemessen. Der Zivildienst könne nur dann als eine im Verhältnis zum Wehrdienst gleich belastende Pflicht ausgestaltet werden, wenn dem Gesetzgeber bei der Festlegung der Dauer des Ersatzdienstes ein gewisser Spielraum zur Verfügung stehe. Ferner weist das Gericht darauf hin, daß sich bei Eintritt der Wehrpflicht die Dauer des vom einzelnen Wehrpflichtigen abzuleistenden Wehrdienstes nicht genau bestimmen lasse. Der Wehrpflichtige müsse nämlich jederzeit damit rechnen, zu weiteren Dienstleistungen herangezogen zu werden. Dies gelte insbesondere für Krisenzeiten. Demgegenüber brauche der Zivildienstleistende nach Beendigung seines Zivildienstes nicht mit einer weiteren Inanspruchnahme zu rechnen. All dies darf, wie das Gericht zu Recht ausführt, bei der Bemessung der Dauer des Zivildienstes im Rahmen der durch Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG gezogenen Grenze in Rechnung gestellt werden. Dazu kommt, daß nach der Gesamtkonzeption des Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes die Dauer des auf 20 Monate verlängerten Wehrersatzdienstes das tragende Indiz für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung darstellen soll. Würde der Gesetzgeber gezwungen, die Dauer des Ersatzdienstes genau an die durchschnittliche Dauer des gegenwärtig tatsächlich geleisteten Wehrdienstes anzuglei22

BVerfGE 48, S. 127 (170 f.).

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chen, so wäre er, wie das Gericht erklärt, "ohne - verfassungsrechtlich bedenkliche - künstliche Erschwerungen des Ersatzdienstes" daran gehindert, den Ersatzdienst in einer Weise auszugestalten, daß er eine echte und die eigentliche Probe auf das Gewissen bilde. Wie das Gericht hierzu feststellt, hat der Gesetzgeber durch die Bestimmung des § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG, wonach der Zivildienst 20 Monate dauert und die rechtlich zulässige Höchstdauer des Wehrdienstes von gegenwärtig 24 Monaten nicht erreicht, die Bestimmung des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG nicht verletzt. Die Verfassungsnorm untersagt nur gesetzliche Regelungen, die geeignet sind, den Kriegsdienstverweigerer abzuschrekken, sein Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG wahrzunehmen, und die damit auf seine Gewissensentscheidung einen "unzulässigen Druck" ausüben. Ein derartiger Druck wurde durch das Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz nach Auffassung der Senatsmehrheit nicht bewirkt. Wer den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigere, werde in der Freiheit seiner Gewissensentscheidung nicht dadurch beeinträchtigt, daß er neben der Darlegung seiner Gründe für diese Entscheidung in einem Anerkennungsverfahren zusätzlich einen Zivildienst von 20 Monaten leisten müsse. Überzeugend weist das Bundesverfassungsgericht darauf in, daß bei diesen Überlegungen die vorgegebenen Unterschiede zwischen Wehrdienst und Zivildienst nicht außer Betracht gelassen werden dürften. Der Zivildienstleistende erbringe seinen Dienst zusammenhängend und gewissermaßen in einem Stück; er sei zudem einem weniger strengen Dienstverhältnis unterworfen und befinde sich in aller Regel auch in einer weniger belastenden Lebenssituation (unter B III 1 c). Im Gegensatz zur Auffassung der Senatsmehrheit setzt die abweichende Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz ausschließlich die quantitative Dauer des Zivildienstes und des tatsächlich geleisteten Wehrdienstes zueinander in Beziehung und gelangt damit zu dem Ergebnis, daß die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 1 ZDG die Bestimmung des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG verletze. 23 Ihrer Meinung 23 Es überrascht außerordentlich, daß der Richter Böckenförde die von ihm am 2. 10. 1969 auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer vertretene und mit der Auffassung der Senatsmehrheit übereinstimmende Meinung, daß die Dauer des Zivildienstes aufgrund einer abstrakten Berechnung der Dauer des Wehrdienstes festgelegt werden könne, in dem von ihm mitverfaßten Sondervotum ausdrücklich widerruft. In seinem Referat vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer hatte er wörtlich und eindeutig erklärt: "Es begegnet indessen keinerlei rechtlichen Bedenken, sondern erscheint zur (indirekten) Sicherung des KriegsdienstveiWeigerungsrechts eher rechtlich geboten, die Kapazitäten des Ersatzdienstes so auszubauen, daß jeder Ersatzdienstpflichtige auch zum Ersatzdienst herangezogen wird, und die Ersatzdienstzeit im Rahmen der nach Art. 12 a GG zulässigen Höchstzeit (Grund-

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nach wäre, worauf die Verfasser selbst hinweisen, im übrigen auch die in dem- nicht Gesetz gewordenen- Entwurf der SPD-Fraktion vorgesehene Dauer des Zivildienstes von 19 Monaten ebenso verfassungswidrig wie die im - Gesetz gewordenen - Entwurf enthaltene Zivildienstdauerder Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. von 20 Monaten. Nach der Verfassungsinterpretation der Autoren der abweichenden Meinung ist es mit Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG unvereinbar, im Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz ein "Gleichgewicht der Belastung von Wehr- und Ersatzdienstleistenden" sicherzustellen. Wenn der Bundestag eine motivationsprüfende Alternative zum Wehrdienst für besser halte als ein Verfahren zur materiellen Erforschung des Gewissens, so habe er dieser Lösung "durch eine unzweideutige Fassung des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG Rechnung zu tragen" (Abweichende Meinung, unter II 5). Die abweichende Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz führt auch bei der Frage der Beurteilung der Zulässigkeit der Verlängerung des Zivildienstes zu keinem konkreten Ergebnis und mündet in die Forderung an den Verfassungsgesetzgeber nach einer Änderung des Grundgesetzes. Auch hierbei wird offensichtlich verkannt, daß nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Interpretationsmaximen des Grundgesetz eine Norm nur dann für nichtig erklärt werden darf, wenn keine nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Wie die Senatsmehrheit in überzeugender Argumentation aufgezeigt hat, ist im Falle des Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes eine verfassungsgemäße Interpretation möglich. Iv. Die Entscheidung des Gewissens zur Kriegsdienstverweigerung

Das Urteil zum Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz bot dem Senat, insbesondere in der Abgrenzung zu der gegensätzlichen Auffassung der abweichenden Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz, erneut Gelegenheit, den Inhalt der seiner Rechtsprechung zugrunde liegenden Begriffe des Gewissens gern. Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG und der zur Kriegsdienstverweigerung motivierenden Gewissensgründe gern. Art. 12 a Abs. 2 Satz 1 GG genauer zu definieren. Als Grundrecht gewährt Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG unmittelbar das Recht, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG steht mit den Grundrechten des Art. 1 Abs. 1 und des Art. 2 Abs. 1 GG, die die Würde der freiwehrdienst +Wehrübungen) zu erhöhen. Nicht nur der Teufel, auch die sinnvollen Lösungen stecken zuweilen im Detail." Vgl. VVDStRL 28 (1970), S. 77.

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en, sich selbst bestimmenden Person als höchsten Rechtswert bestimmen, in einem engen Zusammenhang. Ob Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG auch an das Grundrecht der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG "anknüpft", wie das Gericht ausführt, erscheint zweifelhaft. Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen besitzt zwar, historisch gesehen, religiöse Wurzeln. Im religiös-neutralen Staat der Bundesrepublik Deutschland hat sich das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung von seinen geschichtlichen Grundlagen aber längst so weit verselbständigt, daß es heute gegenüber dem Grundrecht der Gewissensfreiheit eine aus Art. 4 Abs. 1 GG keineswegs mehr deduzierbare eigenständige grundrechtliche Gewährleistung bildet. 24 Zutreffend geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG hinsichtlich seines Regelungsgehalts eine konstitutive und eigenständige Bedeutung zukommt. Bei der Bestimmung des Kerngehalts des Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen darf, wie das Gericht hervorhebt, der Gesetzgeber auch bei Regelungen nach Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG dieses Grundrecht nicht in seinem "sachlichen Gehalt" einschränken. Er darf lediglich die "Grenzen offenlegen", die in den Begriffen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG selbst schon enthalten sind. 25 Eine bedeutsame Begrenzung des Grundrechts erblickt das Bundesverfassungsgericht darin, daß der sich auf Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG Berufende sich "jeder Waffenanwendung" zwischen den Staaten widersetzen muß. Diese Verständnis des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG liegt der zentralen Bestimmung des § 1 des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes (KDVG) zugrunde: "Wer sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und deshalb unter Berufung auf Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG den Kriegsdienst mit der Waffe ver24 Hierzu Joseph Listl, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 397, m. weit. Nachw. Friedrich Klein hat mit Recht die Auffassung vertreten, daß eine systemgerechte Regelung der Kriegsdienstverweigerung im Rahmen des Grundgesetzes im Zusammenhang mit Art. 26 GG hätte erfolgen müssen. Vgl. hierzu Friedrich Klein, in: v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. neubearbeitete und vermehrte Aufl., Bd. 1, Berlin und Frankfurt/M. 1957, Art. 4 Erl. II 1 (S. 215). Vgl. zum ganzen Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 115 f. 25 Unter B I 2 spricht das Gericht vom "sachlichen Gehalt" des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG; unter B 111 11 zweimal vom "Kernbereich" des Grundrechts und in BVerfGE 48, S. 127 (LS 4 und S. 163 f.) von seinem "Kerngehalt".

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weigert, hat statt des Wehrdienstes Zivildienst außerhalb der Bundeswehr als Ersatzdienst gern. Art. 12 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu leisten." Das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG schützt, wie der Senat unter Berufung auf die Leitentscheidung des Ersten Senats vom 20. 12. 1960 und die ständige Rechtsprechung des Gerichts betont, nicht die "situationsbedingte" bzw. die auf eine "aktuelle" oder "konkrete" Situation bezogene Kriegsdienstverweigerung, sondern nur die "prinzipielle Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aufgrund einer Gewissensentscheidung des einzelnen, der für sich den Dienst mit der Waffe in Frieden und Krieg schlechthin und allgemein ablehnt". 26 Hierzu gehören nach der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die grundsätzlichen (sog. dogmatischen) Pazifisten, sondern auch die übrigen, den den Kriegsdienst allgemein ablehnen, die die "Gewissensgründe" bzw. die "Motive" für ihre Entscheidung aber der historischen Situation entnehmen. Dies bedeutet im Ergebnis, daß die inhaltlich allein auf eine konkrete Situation bezogene Gewissensentscheidung vom Begriff des Gewissens i. S. des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG und der Gewissensgründe des Art. 12 a Abs. 2 Satz 1 GG nicht umfaßt wird und daher nicht zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe berechtigt. 27 Im Gegensatz zu dieser Rechtsauffassung der Senatsmehrheit wird in der abweichenden Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz die Auffassung vertreten, daß Gewissensentscheidungen "immer konkrete sittliche Entscheidungen der Person in undangesichtseiner bestimmten Situation" seien und sich "auf ein Verhalten hier und heute" bezögen, "nicht hingegen abstrakte Entscheidungen für alle Zeiten und jenseits der Bedingungen des konkreten Handelns" (Abweichende Meinung, unter 111 2 b 3).

Die Anwendung dieses Verständnisses des Gewissens und der Gewissensentscheidung auf die gegenwärtige Praxis der Wehrerfassung und der Kriegsdienstverweigerung sowie des Zivildienstes hätte revolutionierende Folgen. Zutreffend erklärt nämlich die Senatsmehrheit, daß eine Verfassungsinterpretation, die den Begriff des Gewissens in Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG und der Gewissensgründe in Art. 12 a Abs. 2 Satz 1 GG nicht auf die prinzipielle und generelle Kriegsdienstverweigerung erstrecken, sondern auf die erst in einer konkreten Situation getroffene Gewissensentscheidung der Verweigerung des KriegsdienBVerfGE 12, S. 45 (58). BVerfGE 12, S. 45 (60); vgl. hierzu z. B. Theodor Maunz und Reinhold Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 26. Aufl., München 1985, § 43 II (S. 411 ff.), m. weit. Nachw. 26 27

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stes mit der Waffe beschränken wollte, notwendig zur Folge haben müßte, daß die Ableistung von Wehrdienst in Friedenszeiten nicht unter Berufung auf Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 12 a Abs. 2 Satz 1 GG verweigert werden dürfte. In Friedenszeiten ist nämlich eine konkrete Situation, in der nach der in der abweichenden Meinung vertretenen Auffassung die zur Kriegsdienstverweigerung führende Gewissensentscheidung überhaupt erst getroffen werden kann, noch nicht gegeben (unter B I 2). Dies würde unweigerlich zu dem Ergebnis führen, daß in Friedenszeiten sämtliche Wehrpflichtigen ohne Möglichkeit einer Berufung auf Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG ihren Wehrdienst ableisten müßten. Im übrigen erscheint die Auffassung, daß Gewissensentscheidungen "immer konkret", d. h. situationsbezogene sittliche Entscheidungen, seien, weder unter psychologischer noch unter rechtlicher Rücksicht haltbar. Die Lebenswirklichkeit kennt zahlreiche Fälle von Gewissensentscheidungen, die ein für allemal getroffen werden und dazu führen, daß bei Eintritt einer zukünftigen konkreten Situation das subjektiv beschlossene und auch von Dritten erwartete Handeln einer Person aufgrund einer längst vorher getroffenen Gewissensentscheidung erfolgt. Den Beweis hierfür liefert das Bundesverfassungsgericht selbst. Das Gericht hatte sich in seiner Entscheidung vom 7. März 1968 mit der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Mehrfachbestrafung von Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die als anerkannte Kriegsdienstverweigerer auch die Ableistung des zivilen Ersatzdienstes verweigerten, zu befassen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung eine Mehrfachbestrafung von Zeugen Jehovas, die aus Gewissensgründen nicht nur den Kriegs- und den Friedensdienst mit der Waffe, sondern auch jeden zivilen Ersatzdienst ablehnen, mit dem zutreffenden Argument für verfassungsrechtlich unzulässig erklärt, daß dieselbe Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG auch vorliege, wenn die wiederholte Nichtbefolgung einer Einberufung zum zivilen Ersatzdienst auf der ein für allemal getroffenen und einheitlichen Gewissensentscheidung gegen den Wehrdienst und den zivilen Ersatzdienst beruhe. Die in der Vergangenheit getroffene und in die Zukunft fortwirkende Gewissensentscheidung lege das gesamte äußere Verhalten der Beschwerdeführer fest. 28 Im Gegensatz zu der abweichenden Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz, nach deren Auffassung eine Entscheidung für oder gegen den Kriegsdienst mit der Waffe erst in der konkreten Situation möglich sei, ist somit, z. B. aufgrund religiöser Motive, auch bereits in Friedenszeiten eine 28

BVerfGE 23, S. 191 (204 f.); vgl. auch BVerfGE 28, S. 243 (279).

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prinzipielle und generelle Entscheidung sowohl gegen als selbstverständlich auf für den Kriegsdienst mit der Waffe sowohl psychologisch als auch in rechtsrelevanter Weise möglich. Im übrigen macht es gerade das sittliche Wesen der menschlichen Persönlichkeit aus und ist Bestandteil ihrer Würde, daß der in Freiheit sich selbst determinierende Mensch in seinem Gewissen sich zu einem bestimmten künftigen Handeln verpflichten und sogar auch lebenslange Verpflichtungen und Bindungen eingehen kann. In diesem Sinne bestimmt z. B. § 4 Abs. 1 Nr. 2 BRRG, daß in das Beamtenverhältnis nur berufen werden darf, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Ist ein Bewerber nicht bereit, in allen zukünftigen und denkbaren Situationen für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, darf er in das Beamtenverhältnis nicht übernommen werden. Der Staat darf und kann es im Interesse seines Bestandes nicht dem Beamten überlassen, ob er sich in einer künftigen konkreten Situation, in der von ihm ein Handeln im Sinne der Verfassungstreue gefordert ist, für oder auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entscheidet. Der Beamte muß sich bereits bei seiner Übernahme in das Beamtenverhältnis ein für allemal für die Treue zur Verfassung entschieden haben. Die generelle und prinzipiell gemeinte Aussage in der abweichenden Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz, daß aufgrund "der Eigenart des Gewissens und von Gewissensentscheidungen" Entscheidungen des Gewissens "immer konkrete sittliche Entscheidungen der Person in und angesichts einer bestimmten Situation" seien und sich auf ein Verhalten hier und heute bezögen, nicht hingegen abstrakte Entscheidungen für alle Zeiten und jenseits der Bedingungen des konkreten Handelns, ist daher in dieser Allgemeinheit und Absolutheit unrichtig und unhaltbar. Die von der Senatsmehrheit vertretene Interpretation des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG, daß sich auf dieses Grundrecht nur derjenige berufen kann, der sich prinzipiell und generell aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und der deshalb davor bewahrt werden soll, "in einer Kriegshandlung entgegen seinem Gewissen, das ihm eine Tötung grundsätzlich und ausnahmslos zwingend verbietet, einen Menschen töten zu müssen", 29 beruht daher keineswegs auf einer "Verkennung der Eigenart des Gewissens und von Gewissensentscheidungen". Diese Interpretation des 29 Unter B III 11 a, mit Bezugnahme auf die gesamte bisherige Rechtsprechung des Gerichts in BVerfGE 12, S. 45 (56 f.); 23, S. 191 (205); 28, S. 243 (262); 32, S. 40 (46 f.); 48, S, 127 (163).

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Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG ist vielmehr angesichts der Grundentscheidung der Verfassung für eine effektive und funktionsfähige militärische Landesverteidigung verfassungsrechtlich zulässig und sogar geboten. V. Privilegierung der religiös motivierten

Kriegsdienstverweigerung?

Das Bundesverfassungsgericht verdient Zustimmung, wenn es in der Leitentscheidung vom 20. 12. 1960 den Begriff des "Gewissens" in Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG und ebenso auch den Begriff der "Gewissensgründe" in § 25 WPflG a. F. unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte dieses Grundrechts im Sinne des "allgemeinen Sprachgebrauchs" verstanden und ausdrücklich erklärt hat, daß es bei der Auslegung der Bestimmungen daher keiner Auseinandersetzungen mit theologischen und philosophischen Lehren über Begriff, Wesen und Ursprung des Gewissens bedürfe. Eine derartige Auseinandersetzung überschritte, wie das Gericht zutreffend angemerkt hat, "die Kompetenz des Richters" und wäre zudem auch rechtlich unergiebig, weil über viele der hier auftretenden Probleme in den zuständigen Disziplinen tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten herrschten. 30 Es liegt in der Konsequenz dieser Interpretation des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG, wenn das Bundesverfassungsgericht in inhaltlicher Übereinstimmung mit einer bereits am 8. 2. 1963 ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 31 auch diejenigen Kriegsdienstverweigerer, die einer Glaubensgemeinschaft angehören, deren Glaubensgrundsätze die Verweigerung des Kriegsdienstes mitumfassen und deren Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe daher offenkundig in der Glaubensdoktrin der betreffenden Religionsgemeinschaft begründet ist, für verpflichtet erklärt, ein Prüfungsverfahren zu durchlaufen und den verlängerten Zivildienst zu leisten. Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Glaubenshaltung fließen, dürfen, und hierin verdient das Bundesverfassungsgericht volle Zustimmung, nicht ohne weiteres den Sanktionen unterworfen werden, die der Staat für ein solches Verhalten - unab30 BVerfGE 12, S. 45 (54 f.); dazu Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 24), S. 121 ff. 31 Urteil des BVerwG vom 8. 2. 1963 (Az.: VII C 92.62), in: NJW 1963, S. 1169 f. Hierzu Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 24), S. 121 f. Das BVerwG weist in diesem Urteil mit Recht darauf hin, daß die legitime Aufgabe des Staates, den staatlichen Bereich rechtlich zu ordnen, gefährdet wäre, wenn einzelne Religionsgemeinschaften bestimmen Könnten, ob und auf welche ihrer Angehörigen der Staat die Wehrpflicht zu beschränken habe.

14 Sbd. List!

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hängig von seiner glaubensmäßigen Motivierung- vorsieht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in Zusammenhang mit der Frage der strafrechtlichen Behandlung der auch die Ableistung des Zivildienstes ablehnenden Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas ausdrücklich entschieden. 32 Wie alle Wehrpflichtigen, die sich auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG berufen und damit die Freistellung von der Verpflichtung, ihren Wehrdienst abzuleisten, beantragen, haben auch die Angehörigen solcher Religionsgemeinschaften "die Last der Darlegung der von ihnen getroffenen Gewissensentscheidung". Die Berufung auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG befreit sie nicht von dieser Verpflichtung (unter B III 2). In Anbetracht der Tatsache, daß es das Bundesverfassungsgericht bisher in ständiger Rechtsprechung zu Recht abgelehnt hat, sich bei der Erörterung der Begriffe des Gewissens und der Gewissensentscheidung, die zur Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe legitimiert, mit bestimmten theologischen und philosophischen Lehren auseinanderzusetzen, überrascht es, daß sich die abweichende Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz in ausführlicher Weise mit den Lehren der katholischen und der evangelischen Kirche über das Gewissen befaßt (Abweichende Meinung, unter III 2 b 2). Die Verfasser erhoffen sich bei ihren theologischen Überlegungen über die Struktur des Gewissens offensichtlich eine Bekräftigung ihres Standpunkts in bezug auf den Nachweis, daß auch nach der "Auffassung beider Kirchen" Bezugspunkt und Gegenstand der Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst gerade und nur "bestimmte Kriege und ein darauf bezogener Kriegsdienst, nicht hingegen der Krieg oder Kriegsdienst schlechthin" seien. Die diesbezüglichen Ausführungen in der genannten abweichenden Meinung erscheinen jedoch ergänzungs- und zum Teil auch korrekturbedürftig. Die Kirchen betrachten aufgrundihres besonderen Auftrags die Frage der Zulässigkeit einer Verweigerung des Kriegsdienstes unter einem wesentlich anderen Gesichtspunkt als der Staat, dem die Aufgabe der militärischen Landesverteidigung obliegt. Weder in den amtlichen kirchlichen Stellungnahmen noch in den Ausführungen der Moraltheologen und der Vertreter der theologischen Ethik wird die Möglichkeit einer Wehrdienstverweigerung aufgrund einer- wie immer in einzelnen motivierten - Gewissensentscheidung bestritten, die prinzipiell und generell für die Zukunft und ein für allemal jeden Kriegsdienst mit der Waffe ablehnt. Die für die Kirche allein entscheidende Rücksicht besteht in der Frage, ob die Ablehnung des Kriegsdienstes mit 32

BVerfGE 32, S. 98 (108).

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der Waffe, sei sie prinzipiell und generell oder situationsbezogenen, vor einem religiös motivierten Gewissen und damit letztlich vor Gott moraltheologisch bzw. religiös-ethisch erlaubt und damit gerechtfertigt ist. Insbesondere sind die Kirchen in keiner Weise kompetent, darüber ein Urteil abzugeben, ob die Verfassungsgarantie des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG in der Weise zu interpretieren ist, wie dies durch das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung bisher geschehen ist, oder in anderer Weise. Das Anliegen, das die Kirchen und die Vertreter der wissenschaftlichen Theologie in ihren Stellungnahmen und Äußerungen bewegt, besteht in der Klärung bzw. der Beantwortung der grundsätzlichen Fragen nach der religiös-sittlichen Erlaubtheit bzw. Zulässigkeit eines modernen Krieges überhaupt und in diesem Zusammenhang auch in der Klärung der Frage, ob ihre Gläubigen aufgrund theologischer Prämissen zur Teilnahme an einer kriegerischen Auseinandersetzung verpflichtet sind. Erst in diesem Zusammenhang stellt sich für die Kirchen auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Christ unter Umständen auch berechtigt sein kann, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Zu der Frage einer grundsätzlichen sittlichen Erlaubtheit eines Krieges in der heutigen modernen Welt wird in der katholischen und in bedeutend differenzierterer Weise auch in der evangelischen Kirche die Auffassung vertreten, daß ein Verteidigungskrieg zulässig ist. Mit dieser Frag hat sich das Zweite Vatikanische Konzil in Art. 79 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, "Gaudium et Spes", befaßt und bei aller Verurteilung des Rüstungswettlaufs, des Angriffskriegs und des totalen Kriegs grundsätzlich und ohne Restriktionen wörtlich erklärt: "Solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen. " 33 Diese Auffassung hat auch in das Hirtenschreiben der Deutschen Bischofskonferenz "Gerechtigkeit schafft Frieden" vom 18. April 1983 Eingang gefunden. Sie wird auch von den Moraltheologen und Ethikern geteilt und vertreten. 34 33 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von he1.1-te, "Gaudium et Spes", Art. 79, u.a. in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Ergänzungsbände "Das Zweite Vatikanische Konzil". Dokumente und Kommentare. Lateinisch und deutsch, Teil3, Freiburg i.Br., Basel, Wien 1968, S. 553.

14*

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Zur Frage der religiös-sittlichen Zulässigkeit der Ableistung des Militär- bzw. des Kriegsdienstes erklärt das Zweite Vatikanische Konzil im selben Kontext: "Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei. " 35 Ebenfalls im selben Abschnitt erklärt das Zweite Vatikanische Konzil zur Wehrdienstverweigerung im Falle eines Krieges: "Ferner erscheint es angebracht, daß Gesetze für diejenigen in humaner Weise Vorsorge treffen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern, vorausgesetzt, daß sie zu einer anderen Form dies Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft bereit sind. " 36 Nach der seit jeher vertretenen Lehre der katholischen Moraltheologie hat der Staat "das Recht, seine Bürger zum Wehrdienst mit der Waffe sowie zu einer entsprechenden Ausbildung zu verpflichten". Diesem Recht des Staates entspricht auf seiten der Bürger die Pflicht, diesen Gesetzen zu gehorchen, weil sie der sittlichen Ordnung entsprechen. Der Bürger ist nach katholischer Auffassung und bei einer in richtiger Weise erfolgten Gewissensbildung im Falle eines gerechten Verteidigungskrieges zum Kriegsdienst mit der Waffe verpflichtet und zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe nicht berechtigt. Lediglich für den Fall, daß ein Wehrpflichtiger "zu der nach katholischer Auffassung unverschuldet irrigen Überzeugung" kommt, er sei "grundsätzlich zur Kriegsdienstverweigerung verpflichtet", erscheint nach der Lehre der katholischen Kirche eine derartige Gewissensentscheidung subjektiv gerechtfertigt und schutzwürdig. 37

34 Gerechtigkeit schafft Frieden. Wort der Deutschen Bischofskonferenz zum Frieden vom 18. 4. 1983. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Die Deutschen Bischöfe, Heft 34}, Bonn 1983, S. 35 f., 41. 35 Pastoralkonstitution (Anm. 33}, ebd. 36 Pastoralkonstitution (Anm. 33), ebd. 37 Diese Auffassung vertrat der katholische Moraltheologe Johannes Hirschmann bei der Anhörung bei der 94. Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 1. 6. 1956 (vgl. Sten. Prot. S. 11-18). Ebenso z. B. der Moraltheologe Gustav Ermecke, in: Joseph Mausbach, Katholische Moraltheologie, 3. Bd.: Die spezielle Moral, 2. Teil: Der irdische Pflichtenkreis. Die Lehre von den sittlichen Pflichten des Apostolates zur Auferbauung des Reiches Gottes in Kirche und Welt, 10. neubearbeitete Aufl. von Gustav Ermecke, Münster 1961, S. 312, der die Auffassung der katholischen Kirche zu dieser Frage folgendermaßen zutreffend zusammenfaßt: "Die absolute Kriegsdienstverweigerung, die jeden, auch den gerechten Verteidigungskrieg ablehnt, ist also sittlich unerlaubt."

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Es bleibt also festzuhalten, daß nach der Lehre der katholischen Kirche eine Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe im Falle eines objektiv gerechten bzw. gerechtfertigten Verteidigungskrieges nur in dem Fall moraltheologisch bzw. religiös-ethisch verantwortet werden kann, in dem ein Soldat den gerechten Verteidigungskrieg irrtümlich und unverschuldet für ungerecht hält. Eine derartige auf einer unverschuldet irrigen Überzeugung beruhende Gewissensentscheidung kann verständlicherweise nur angesichts einer "konkreten" Kriegssituation getroffen werden. Jedoch ist hierbei noch folgendes zu bedenken: Nach der Lehre der katholischen Autoren muß der Soldat, für den in aller Regel die Zusammenhänge im Hinblick auf die ethische Zulässigkeit bzw. Rechtfertigung einer Kriegshandlung nicht durchschaubar sind, jedenfalls in einem freiheitlich-demokratischen Staat, dessen Parlament aus freien Wahlen hervorgegangen ist und dessen Regierung in verfassungsgemäßer Weise gebildet wurde, bis zum Erweis des Gegenteils davon ausgehen, daß es sich bei einem Verteidigungskrieg, zu dem er einberufen worden ist, im Sinne der Staatsethik um einen "gerechten" bzw. "gerechtfertigten" Krieg handelt, bei dem ihm ein Recht zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe nicht zusteht. 38 Für den Bereich der evangelischen Kirche ist dem vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland am 16. 12. 1955 verabschiedeten "Ratschlag zur gesetzlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer" zu entnehmen, daß in der evangelischen Kirche die Stellungnahmen zur Frage der sittlichen Erlaubtheit des Krieges und damit der Beteiligung am Kriege erheblich differenzierter sind als im Bereich der katholischen Kirche. Wie in der ausführlichen "Begründung" zu dem genannten "Ratschlag" im einzelnen ausgeführt wird, bejahen die einen im Gehorsam gegen Gottes Gebot grundsätzlich die Möglichkeit einer christlich zu verantwortenden Beteiligung an einem Krieg, jedoch unter der Bedingung, daß es sich um einen "Verteidigungskrieg" oder einen "völkerrechtlich erlaubten Krieg" handele; andere verwerfen grundsätzlich jede Beteiligung am Krieg; eine dritte Gruppe verwirft nicht grundsätzlich die Möglichkeit der Beteiligung an einem "gerechten Krieg"; sie ist aber der Auffassung, daß ein moderner Krieg wegen des möglichen Einsatzes von Massenvernichtungswaffen als "gerechter Krieg" nicht mehr in Betracht kommen könne. 39 In diesem Sinne zutreffend Messner, Das Naturrecht (Anm. 10), S. 882. Der "Ratschlag zur gesetzlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer" vom 16. 12. 1955 ist zusammen mit der umfangreichen Begründung abgedruckt in: Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 1955, S. 72 ff. 38 39

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Einerseits erinnert der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland daran, "daß für den evangelischen Christen die Stimme des Gewissens in einer konkreten Lage vernehmbar wird und nicht an allgemeinen Maßstäben zu messen ist"; andererseits erklärt er, daß der Schutz des Kriegsdienstverweigerers "nicht auf den Fall des eigentlichen Krieges beschränkt", sondern auch "auf die Teilnahme an der militärischen Ausbildung im Frieden" erstreckt werden sollte. Daraus ergibt sich, daß der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland grundsätzlich auch eine prinzipielle und generelle Kriegsdienstverweigerung bereits in Friedenszeiten für möglich hält, die nicht erst die konkrete Situation des kriegerischen Einsatzes mit der Waffe zur Voraussetzung hat. 40 In der Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Fragen der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und des Zivildienstes vom 21. Juli 1978 wurden die in dem "Ratschlag zur gesetzlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer" vom 16. Dezember 1955 enthaltenen Auffassungen und Grundsätze erneut bekräftigt. 41 Im übrigen läßt der "Ratschlag des Rates der Evangelischen Kirche zur gesetzlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer" erkennen, daß es für den staatlichen Gesetzgeber nicht möglich ist, allen Gewissensbedenken, die gegen den Kriegsdienst auftreten können, in dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz Rechnung zu tragen. In dieser Hinsicht wird in dem "Ratschlag" wörtlich erklärt: "Angesichts des in manchen Fällen auftretenden Widerstreites zwischen der evangelischen Anschauung vom Gewissen und den Forderungen einer praktisch zu handhabenden Gesetzesregelung werden Fälle vorkommen können, in denen echte Gewissensbedenken vor den staatlichen Stellen keine Anerkennung finden. Die Möglichkeit einer geordneten Seelsorge gerade in diesen Fällen muß gewährleistet sein". 42

Zweifellos kann weder die katholische Moraltheologie noch die evangelische theologische Ethik eine Aussage darüber treffen, ob der Gesetzgeber im Interesse der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung einer effektiven und funktionsfähigen militärischen Landesverteidigung berechtigt oder sogar verpflichtet ist, die Inanspruchnahme des Grundrechts der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe auf die prinzipiellen und generellen Kriegsdienstverweigerer zu beschränVgl. Nr. 3 und 4 des "Ratschlags", ebd., S. 73. Die Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu Fragen der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und des Zivildienstes vom 21. 7. 1978 ist abgedruckt in: Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 1978, S. 109 f. 42 Vgl. Nr. 4 des "Ratschlags" (Anm. 39), S. 73. 40

41

Das Gewissen im Recht der Kriegsdienstverweigerung

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ken oder ob er, was offensichtlich in keinem Staat der Welt rechtlich zulässig ist, dieses Grundrecht auch auf diejenigen Wehrpflichtigen bzw. Soldaten ausdehnt, die lediglich eine Beteiligung an einzelnen, von ihnen im konkreten Fall selbst zu bestimmenden kriegerischen Auseinandersetzungen unter Berufung auf ihr Gewissen ablehnen. Diese gesetzlichen Regelungen zu treffen, ist ausschließlich Aufgabe des Verfassungs- bzw. des einfachen Gesetzgebers, dem für das Wohl und den Bestand des Staates die letzte Verantwortung übertragen ist. Die Kirchen besitzen zur Entscheidung dieser Frage keine Kompetenz. Im übrigen scheint der Exkurs der beiden Verfasser der abweichenden Meinung auf das Gebiet der Auffassungen der katholischen und evangelischen Kirche zur Kriegsdienstverweigerung nicht ergiebig und letztlich auch entbehrlich, weil der Kerngehalt der gemeinchristlichen Lehre über das Gewissen und die Gewissensentscheidung bereits in dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Gewissensbegriff enthalten ist. Das Grundgesetz geht in Übereinstimmung mit dem christlichen Menschenbild von der freien, verantwortlichen und sich selbst bestimmenden Person als dem Höchstwert der Verfassung aus. Es räumt, und zwar, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt erklärt hat, im Vergleich mit anderen angesehenen demokratischen Staaten "in bemerkenswert weitgehender Weise", d. h. selbst in ernsten Konfliktlagen, in denen der Staat seine Bürger besonders fordert und sein Bestand auf dem Spiele steht, dem Schutze des freien Gewissens des einzelnen vor der Pflicht, die Freiheit mit der Waffe zu verteidigen, den Vorrang ein. 43 Daß das Grundgesetz hierbei in Art. 4 Abs. 3 nur denjenigen Bürger schützt, der grundsätzlich jeden Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigert, nicht jedoch auch andere, die in bestimmten Fällen zum Kriegsdienst mit der Waffe bereit sind, in anderen Fällen dagegen den Kriegsdienst unter Berufung auf ihre Gewissensentscheidung verweigern möchten, muß im Interesse einer effektiven und funktionsfähigen militärischen Landesverteidigung von allen Bürgern akzeptiert und hingenommen werden.

43 Unter B I 2; diese Aussage bereits in der Leitentscheidung zum Kriegsdienstverweigerungsrecht in BVerfGE 12, S. 45 (54).

Verbots- und Auflösungsmöglichkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung Zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. 3. 1971, BVerwGE 37, 344ff. Das "Ludendorff"-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 1971 ist für die Grundrechtsinterpretation und das Staatskirchenrecht und damit auch für die Verfassungsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland von erheblicher Bedeutung. Der Erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in diesem Urteil im Falle des "Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V." entschieden, daß auch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sind und erforderlichenfalls dem Verbot und der Auflösung nach Art. 9 Abs. 2 GG unterliegen 1 . Diese eingehend begründete Entscheidung verdient- jedenfalls in ihrem Ergebnis -volle Zustimmung. Das Bundesverwaltungsgericht befindet sich hinsichtlich des von ihm gefundenen Ergebnisses in völliger Übereinstimmung mit der Rechtsprechung, die das Bundesverfassungsgericht und die übrigen Gerichte zum Grundrecht der Religionsfreiheit in dessen individual- und korporationsrechtlicher Gestalt und zum Staatskirchenrecht entwickelt haben 2 • Nur an einer Stelle, der im Rahmen der Erstveröffentlichung in: Die Öffentliche Verwaltung, 26. Jhg. (1973), S. 181187. Zugleich Erwiderung auf: Sieghart Ott, Zur politischen Betätigung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften. Bemerkungen zum Urteil des BVerwG vom 23. 3. 1971, in: DÖV 1971, 763 f. 1 BVerwG, Urt. vom 23. 3. 1971 (Az.: I C 54.66), BVerwGE 37, 344ff. = DÖV 1971, 777 ff. 2 Bei Kenntnis dieser Rechtsprechung erweist sich deshalb die Auffassung Otts, das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Urteil "mit überkommenen, nicht mehr in das Staatskirchenrechtssystem des Grundgesetzes passenden Vorstellungen" aufgeräumt, als unrichtig und geradezu tendenziös. Vgl. Ott (oben, vor Anm. 1), DÖV 1971, S. 763; noch ausgeprägter in diesem Sinne ders., Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. 3. 1971, in: Vorgänge, 10. Jhg. (1971), s. 393.

Verbotsmöglichkeit von Religionsgemeinschaften

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Urteilsbegründung aber keine tragende Bedeutung zukommt, fordert das Gericht Widerspruch heraus 3 . I. Unzulässigkeit der Unterscheidung zwischen "echten" und "unechten" Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften 1. Die Kernfrage, mit der sich das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung konfrontiert sah, bestand darin, zu klären, ob der "Bund für Gotterkenntnis" eine Vereinigung i.S. des Art. 9 Abs. 2 GG darstellt, d. h. eine Vereinigung, deren Zweck oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Nur wenn zumindest eine dieser Voraussetzungen gegeben war, konnte das vom Bayerischen Staatsministerium des Innern verfügte Verbot der Weltanschauungsgemeinschaft "Bund für Gotterkenntnis (L) e.V." und das diese Verfügung bestätigende Urteil der Vorinstanz, des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, Bestand haben.

Der entscheidende und allein zu einem überzeugend begründbaren Ergebnis führende methodische Durchbruch gelang dem Bundesverwaltungsgericht dadurch, daß es -im Gegensatz zur Vorinstanz und zu der dem Vereinsgesetz zugrundeliegenden Auffassung, die teilweise auch von der rechtswissenschaftliehen Literatur geteilt wird4 -, die Unterscheidung in "echte" und andere, "unechte", Weltanschauungsgemeinschaften ablehnte 5 . Das maßgebliche Kriterium für die Grenzziehung zwischen "echten" und "unechten" Weltanschauungsgemeinschaften sehen die Vertreter dieser Unterscheidung darin, daß die "echten" Weltanschauungsgemeinschaften sich "darauf beschränken, das Weltganze und die Stellung des Menschen in ihm geistig zu erkennen und zu bewerten", während nach dieser Auffassung das wesentliche Merkmal der "unechten" Weltanschauungsvereinigungen darin besteht, daß zu deren "Grundsätzen" eine aktive Einflußnahme in Richtung auf eine Gestaltung oder Veränderung der gesellschaftlichen oder staatlichen Ordnung gehört 6 . 3 BVerwGE 37, 344 (365 f.). Das Gericht qualifiziert an dieser Stelle die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften kumulativ zu ihrer grundrechtliehen Bestandsgewährleistung in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2, 3 und 7 WeimRV offensichtlich auch als Vereine i.S. des Art. 9 Abs. 1 GG. Damit wird es der eigenständigen Bedeutung des Grundrechts der religiösen Vereinigungsfreiheit nicht gerecht. 4 Gerhard Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, Köln 1965, § 2 Rdnr. 36. s BVerwGE 37, 344 (362). 6 BVerwGE 37, 344 (362).

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Eine solche, auch politisch orientierte oder engagierte Weltanschauungsgemeinschaft überschreitet nach der Meinung des Berufungsgerichts den ihr durch Art. 137 WeimRV "begrifflich gezogenen Rahmen" und verliert damit den den Weltanschauungsgemeinschaften gewährten verfassungsrechtlichen Schutz. Nach dieser, u.a. auch von Schnorr vertretenen Unterscheidung7 steht die- im übrigen dann vorbehaltlos gewährleistete - Schutzwirkung der Garantien des Art. 4 Abs. 1 und 2 und des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WeimRV nur den "echten" Weltanschauungsgemeinschaften zu. Die "echten" Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sollen nach dieser Vorstellung von der Verbotsmöglichkeit des Art. 9 Abs. 2 GG deshalb nicht erfaßt werden können, weil Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WeimRV ebenso wie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keine dem Art. 9 Abs. 2 GG entsprechende Verbotsvorschrift enthält. Nach dieser Auffassung können "echte" Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften selbst dann nicht verboten und aufgelöst werden, wenn sich ihre Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Sie können hieran allenfalls auf andere Weise gehindert werden8 . Das dieser Unterscheidung zugrundeliegende formalistische Grundrechts- und Verfassungsverständnis, das inzwischen durch die Rechtsprechung, insbesondere diejenige des Bundesverfassungsgerichts, überwunden wurde, geht davon aus, daß Grundrechte, wie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, und Verfassungsgarantien, wie z. B. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 und 3 WeimRV, die keine Einschränkungsmöglichkeiten durch formelles Gesetz auf der Grundlage eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts kennen, aus diesem Grunde schlechthin unbeschränkt und sogar unbeschränkbar gewährleistet seien. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Verfassungsinterpretation zu Recht entgegengetreten. Im methodischen Ansatz sowohl wie in der ratio argumentandi gleicht das "Ludendorff-Urteil" des Bundesverwaltungsgerichts, in dessen Mittelpunkt das Grundrecht der Religions- und Weltanschaungsfreiheit in seiner korporativen Ausprägung stand, weithin der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sog. "Tabak-Fall". Im "Tabak-Fall", dem eine Verfassungsbeschwerde zugrunde lag, die auffallenderweise ebenfalls von einem früheren Anhänger der Ludendorff-Bewegung erhoben worden war, hatte sich das Bundesverfassungsgericht erstmalig eingehend mit dem Grundrecht der individuellen Religionsfreiheit zu befassen. Das Bundesverfassungsgericht hat damals in diesem für die künftige Rechtsprechung zum Grundrecht der Religionsfreiheit richtungweisenden Beschluß er7 Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht (Anm. 4), § 2 Rdnr. 39 f. a BVerwGE 37, 344 (364).

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klärt, daß die konkrete Abgrenzung bei der einzigartigen Stellung dieses "klassischen, auch durch die kategorische Formulierung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ausgezeichneten Grundrechts" schwierig sei. Den Hauptgrund für diese Schwierigkeit sah das Bundesverfassungsgericht zu Recht darin, daß der weltanschaulich neutrale Staat den Inhalt der Religionsfreiheit nicht näher bestimmen könne und dürfe, weil es ihm verboten sei, den Glauben oder Unglauben seiner Bürger zu bewerten. Das Bundesverfassungsgericht gelangte im "Tabak-Fall" zu dem Ergebnis, daß aber jedenfalls der Mißbrauch dieser Freiheit verhindert werden müsse 9 • Ahnlieh behutsam wie das Bundesverfassungsgericht im "Tabak-Fall" geht das Bundesverwaltungsgericht im "Ludendorff-Urteil" vor. Sein Spruch beruht auf der verfassungsrechtlichen Voraussetzung, daß die korporative Religions- und Weltanschauungsfreiheit ebensowenig wie das Individualgrundrecht unter Berufung auf eine angeblich schrankenlose, weil keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt kennende verfassungsrechtliche Gewährleistung mißbraucht werden dürfe. Mit Recht unterstellt deshalb das Bundesverwaltungsgericht ausnahmslos jede Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft, "die sich bei ihrer politischen Tätigkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung" richtet, dem Verbot des Art. 9 Abs. 2 GG, insofern diese Bestimmung einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck bringt. Jedoch fällt auf, daß das Gericht die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften dem Art. 9 Abs. 2 GG nicht unmittelbar unterwirft, sondern mit Recht die verfassungsmäßige Ordnung i.S. des Art. 9 Abs. 2 GG und das in dieser Vorschrift ausgesprochene Verbot zu den "für alle" geltenden Gesetzen rechnet, denen nach Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unterworfen sind 9 a. Verfassungsrechtlich geschützt sind die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nur gegen "Sondergesetze", die nicht "für alle" gelten, sondern sich speziell gegen die Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften richten 10 . Die Tatsache, daß Art. 9 Abs. 2 GG nur im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV Anwendung findet, besagt, daß die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften solange nicht unter das Verbot von Art. 9 Abs. 2 GG fallen können, als sie sich bei ihrer Tätigkeit an die "für alle" geltenden Gesetze halten. Da Art. 137 Abs. 3 WeimRV vom Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mitumfaßt wird, BVerfGE 12, 1 (4) =DÖV 1961, 28. BVerwGE 37, 344 (363 f.). 1o Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., Berlin 1933, Art. 137, Erl. 5, S. 636 f. 9

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besagt das ferner, daß alle Formen der Ausübung dessen, was bei den Kulturvölkern in einem gemeinsamen Konsens unter dem Begriff "Religion" verstanden wird, nicht von dem Verbot des Art. 9 Abs. 2 GG erfaßt werden können. Wenn jedoch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, können auch sie dem Verbot des Art. 9 Abs. 2 GG unterfallen 11 . Diese Auffassung ist, wie zu zeigen sein wird, keineswegs neu. Sie wird auch von den Kirchen geteilt. Man mag allerdings hier die Frage stellen und wird sie wohl im Ergebnis zu verneinen haben, ob das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung auch dann auf die Grundlage des Art. 9 Abs. 2 GG gestützt hätte, wenn es über eine partiell für verfassungswidrig angesehene Betätigung einer größeren oder gar öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft oder einer Kirche zu judizieren gehabt hätte. Es wäre hier in der Tat die Anwendung weniger spektakulärer und adäquaterer Rechtsnormen vorstellbar und am Platze. Die Anwendung des Art. 9 Abs. 2 GG im Falle des "Bundes für Gotterkenntnis (L) e.V." erklärt sich wohl nur daher, daß bei dieser Vereinigung die Grenze zwischen einer im weitesten Sinne dieses Wortes gerade noch als "Weltanschauung" verstehbaren Organisation und einer rein politischen Vereinigung im Sinne des Allgemeinen Vereinsrechts i.S. des Art. 9 Abs. 1 GG eben eine fließende und keineswegs eindeutig zu ziehende ist. Das Gericht befindet sich in seiner Entscheidung in voller Übereinstimmung mit Hollerbach, der zur Frage der Stellung der Kirchen unter dem Grundgesetz ausgeführt hat, daß sich das Leben der freiheitlichen Gemeinschaft in der Staatlichkeit des Grundgesetzes nur im Rahmen und nach Maßgabe der Verfassung verwirklichen könne. Deshalb stünden, s.oweit die Verfassung Bestimmungen darüber treffe, grundsätzlich auch die religiösen Gemeinschaften als Lebensverbände im Gemeinwesen und unter der Autorität der Verfassung, deren Aufgabe es sei, die rechtlichen Voraussetzungen für eine funktionierende und dauerhafte öffentliche Gesamtordnung zu schaffen 12 . Dieses Verfassungsverständnis, daß sowohl die individuelle Religionsfreiheit wie die verbandsmäßige Freiheit der Kirchen und Religionsverbände keineswegs unbeschränkt gewährleistet werden können, 11 Im Anschluß an Hermann v. Mangoldt I Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. I, Berlin-Frankfurt 1957, Art. 4, Erl. V, 3 (= S. 224); Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Die Grundrechte, Bd. IV/1, Berlin 1960, S. 150 f. 12 Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL, Heft 26 (1968), S. 59 f.

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steht im übrigen auch in völliger Übereinstimmung mit den Erklärungen der großen christlichen Kirchen. In diesem Sinne hat z. B. die Erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam 1948 betont, daß die religiösen Freiheitsrechte nur in dem durch die öffentliche Ordnung gezogenen Rahmen gewährleistet sein können. Als Schranken der Religionsfreiheit nennt die Kirchenversammlung "alle nicht diskriminierenden Gesetze des Staates", die im Interesse der öffentlichen Ordnung und Wohlfahrt ergangen seien 13 . Im gleichen Sinne geht das II. Vatikanische Konzil in seiner "Erklärung über die Religionsfreiheit" davon aus, daß das korporative Grundrecht der Religionsfreiheit vielfältige immanente Schranken kennt, die der "iustus ordo publicus" und die "iustae exigentiae ordinis publici" der Ausübung der Religionsfreiheit ziehen 14 • Daraus folgt, daß sich auch nach der Auffassung der Kirchen selbst ihre Tätigkeit im Rahmen einer rechtsstaatliehen verfassungsmäßigen Ordnung halten muß. Religiöse Handlungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, etwa i.S. des Art. 9 Abs. 2 GG richten, sind daher auch nach der Meinung der Kirchen unzulässig. Ihre Vornahme kann oder muß durch den Staat verhindert werden. Dabei setzen die Kirchen freilich einen freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat voraus, der zwar nur diejenigen, aber auch sämtliche Formen der Betätigung des Glaubens und der Religion unter seinen Schutz stellt, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet haben 15 . Damit sind Behinderungen der individuellen oder kirchlichen Religionsausübung bereits begrifflich ausgeschlossen, wie sie in totalitären Staaten unter Berufung auf den formalen Wortlaut der Verfassung, der Strafgesetze und anderer Rechtsvorschriften vorgenommen werden. In Wirklichkeit handelt es sich dabei häufig um "legalisierte" Akte der Religionsbehinderung, Religionsunterdrückung und Kirchenverfolgung 16 . 13 Vgl. dazu bei Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 44ff. 14 Zweites Vatikanisches Konzil, "Declaratio de libertate religiosa", lat. Originaltext in: Acta Apostolicae Sedis, Jhg. 58 (1966), S. 929 f., Nr. 2, 3, 7; deutsche Übersetzung der "Erklärung über die Religionsfreiheit" u.a. in: Karl Rahner und Herbert Vorgrimler (Hrsg.), Kleines Konzilskompendium, Freiburg 1966 (= Herder-Bücherei Bd. 270-273), S. 662 ff. 15 Vgl. BVerfGE 12, 1 (4). 16 Instruktive Beispiele konkreter moderner Formen "legaler" Religionsunterdrückung und Kirchenverfolgung z. B. bei Nadeshda Theodorowitsch, Religion und Atheismus in der UdSSR. Dokumente und Berichte. München 1970; Andre Martin, Die Gläubigen in Rußland. Die offizielle orthodoxe Kirche in Frage

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Freiheit der Religion und des Gewissens

2. Indem das Bundesverwaltungsgericht die Unterscheidung in "echte" und "unechte" Weltanschauungsgemeinschaften von vornherein als unzulässig und daher unpraktikabel verworfen hat, war es auch der Aufgabe enthoben, in philosophisch-theologisch-religionswissenschaftliche Erörterungen über Begriff und Wesen der Weltanschauungen und Weltanschauungsgemeinschaften als solche eintreten und den "Bund für Gotterkenntnis" unter der Rücksicht seiner Lehre und seines Gedankengutes "bewerten" zu müssen, was, wie das Bundesverfassungsgericht im "Tabak-Fall" zutreffend ausgeführt hat, eine Verletzung des Prinzips der religiösen Neutralität des Staates und seiner Organe bedeutet hätte 17 . Das Gericht eröffnete sich damit zugleich methodisch-judiziell die Möglichkeit, von den Grenzen einer zulässigen Aktualisierung des Grundrechts der Religions- und Weltanschauungsfreiheit her festzustellen, welche Betätigungen einer Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsvereinigung jedenfalls nicht mehr von dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2, 3 und 7 WeimRV umfaßt sein können und daher im Falle einer kämpferisch-aggressiven Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland einen Mißbrauch dieses Grundrechts darstellen und darum zur Anwendung des Art. 9 Abs. 2 GG führen würden. Im Ergebnis stimmt das Bundesverwaltungsgericht allerdings weitgehend mit der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs überein, der nur diejenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als "echte" Gemeinschaften im Sinne dieser Unterscheidung betrachtet hat, die sich im Rahmen der Formen der Religionsausübung halten, wie sie sich nach einem bekannten Wort des Bundesverfassungsgerichts "bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet haben" 18 . Bei dieser Gruppe ist es in der Tat schwer vorstellbar, daß sie kämpferisch-aggressiv gegen die verfassungsmäßige Ordnung i.S. des Art. 9 Abs. 2 GG verstoßen könnte.

Problematisch sind in diesem Zusammenhang jedoch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, zu deren "Grundsätzen" eine politische Betätigung in Richtung auf eine Änderung der gesellschaftlichen und politischen Zustände gehört oder deren Schwerpunkt auf dem politisch-gesellschaftlichen Bereich liegt. Können sich auch Religionsgestellt. Dokumentation der Christenverfolgung in der UdSSR. Luzern-München 1971. 17 BVerfGE 12, 1(4). 1a Vgl. BVerfGE 12, 1(4).

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und Weltanschauungsgemeinschaften auf den besonderen Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2, 3 und 7 WeimRV berufen, wenn ihre überwiegende Aktivität auf dem politischen Sektor liegt? Das Bundesverfassungsgericht ist stets davon ausgegangen, daß die Begriffe "Religion" und "Religionsgemeinschaft" weit auszulegen sind. Gleiches muß auch von den Begriffen "Weltanschauung" und "Weltanschauungsvereinigung" gelten. Es würde einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit bedeuten, wenn ein staatliches Gericht die Grenzlinie zwischen "echten" und "unechten" Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften danach ziehen würde, ob sich diese im Rahmen ihres Auftrags und ihrer Zielsetzung auch politisch betätigen oder nicht. Es muß vielmehr den Kirchen und Religionsgemeinschaften durchaus selbst überlassen bleiben und ist ihnen auch auf Grund ihres in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WeimRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts freigestellt, ob und in welcher Weise sie durch ihre Lehre und ihre Tätigkeit auch einen Beitrag zur Gestaltung des politischen Lebens leisten wollen. In diesem Sinne haben sich, wie das Bundesverwaltungsgericht mit Recht bemerkt, die christlichen Kirchen keineswegs immer auf die Pflege reiner religiöser Innerlichkeit beschränkt, sondern sich rechtmäßigerweise aktiv am öffentlichen politischen Leben und an der Gestaltung von Staat, Gesellschaft und Rechtsordnung beteiligt und darauf erheblichen Einfluß genommen. Auch das II. Vatikanische Konzil hat z. B. mehrfach erklärt, daß die katholische Kirche, ebenso wie sie das Recht in Anspruch nehme, in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden, auch den Anspruch erhebe, "ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterziehen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen"19. In der Erklärung über die Religionsfreiheit rechnet das II. Vatikanische Konzil die Berechtigung der Kirche, "die besondere Fähigkeit ihrer Lehre zur Ordnung der Gesellschaft und zur Beseelung des ganzen menschlichen Thns zu zeigen", sogar zu den Elementen der "religiösen Freiheit" 20 • Im gleichen Sinne hat die Erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam erklärt, daß es ein Bestandteil der Religionsfreiheit sei, daß die Kirchen ihren religiösen Überzeugungen im Gottesdienst, im Unterricht und im praktischen Leben Ausdruck geben und die Folgerungen aus ihnen für die Beziehungen in der sozialen oder politischen Gemeinschaft offen aus19 Vgl. Il. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution, Die Kirche in der Welt von heute, in: Rahner I Vorgrimler (Anm. 14), S. 535. 20 S. bei Rahner I Vorgrimler (Anm. 14), S. 665.

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sprechen können 21 • Angesichts der in beiden großen Kirchen festzustellenden, allerdings keineswegs als unproblematisch empfundenen theologischen Richtungen, die mit dem Begriff "Politische Theologie" umschrieben werden, gewinnen diese kirchlichen Erklärungen heute sogar noch besonderes aktuelles Gewicht 22 • Der Erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf das bedeutsame Urteil des Siebenten Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. 1. 1964 zur Frage der Zulässigkeit von Wahlhirtenbriefen und auf den in dieser Entscheidung den Kirchen ausdrücklich zuerkannten "Öffentlichkeitsanspruch" 23 . Für die Weltanschauungsgemeinschaften könne, wie das Bundesverwaltungsgericht feststellt, nichts anderes gelten. Ihnen sei ebenfalls ein vergleichbarer "Öffentlichkeitsanspruch" zuzubilligen mit der Folge, daß sie nicht schon wegen einer politischen Tätigkeit außerhalb des rein geistig-weltanschaulichen Raumes die Eigenschaft einer Weltanschauungsvereinigung i.S. des Art. 137 Abs. 7 WeimRV verlören 24 . 3. Obwohl staatliche Gerichte zwischen "echten" und "unechten" Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht danach einen Unterschied machen dürfen, ob diese zu ihren "Grundsätzen" eine aktive Einflußnahme auf die Gestaltung oder Veränderung der gesellschaftlichen oder staatlich-politischen Ordnung zählen oder nicht, so war das Bundesverwaltungsgericht in dem konkreten, ihm zur Entscheidung vorgelegten Fall dennoch nicht der Aufgabe enthoben, eine Feststellung darüber zu treffen, ob der "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V." überhaupt als Weltanschauungsgemeinschaft i.S. des 21 S. dazu die "Erklärung über die religiöse Freiheit" dieser Vollversammlung, in: Wilhelm A. Visser't Hooft (Hrsg.), Die Erste Vollversammlung des Oekumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam vom 22.8. -4. 9. 1948. Genf 1948, s. 129. 22 Vgl. dazu die Sammlungen einschlägiger Beiträge von Helmut Peukert (Hrsg.), Diskussion zur "politischen Theologie", Mainz-Stuttgart 1969, und Ernst Feil und Rudolf Weth (Hrsg.), Diskussion zur "Theologie der Revolution", Stuttgart-Mainz 1969; ferner Hans Maier, Kritik der politischen Theologie, Einsiedeln 1970; Gustav Heinemann, Neue Fakten und Formen des politischen Engagements der evangelischen Kirche, in: Kirche und Staat. Festschrift für Hermann Kunst. Berlin 1967, S. 232 ff. 23 BVerwG, Urt. v. 17. 1. 1964 (Az.: VII C 50.62), BVerwGE 18, 14 =DÖV 1964, 312; vgl. dazu Listl, Das Grundrecht (Anm 13), S. 436 ff. Zur Frage des Öffentlichkeitsanspruchs vgl. die Präambel des Niedersächsischen Kirchenvertrags (Loccumer Vertrags) vom 19. 3. 1955 (Nds. GVBL S. 159), abgedr. u.a. bei Werner Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. I, Göttingen 1962, S. 212 ff. Die Vertragsparteien erklären darin, daß sie den Vertrag "in übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und ihre Eigenständigkeit" abgeschlossen haben. 24 BVerwGE 37, 344 (363).

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Art. 137 Abs. 7 WeimRV gelten könne. In Anbetracht des geistigen Fundus des "Bundes für Gotterkenntnis" und seines im Grunde nur auf das Biologische beschränkten und damit für eine Weltanschauung im religionswissenschaftliehen Sinne eigentlich viel zu fragmentarischen Weltbildes könnte religionsphilosophisch durchaus die Auffassung vertreten werden, daß hier ein systematisches Bemühen, das Weltganze und die Stellung des Menschen in ihm geistig zu erkennen und zu bewerten, nicht festzustellen sei und dem "Bund für Gotterkenntnis" der Charakter einer Weltanschauungsgemeinschaft daher nicht zukomme. Das Bundesverwaltungsgericht verdient jedoch Zustimmung, wenn es entsprechend dem freiheitlichen Geist des Grundgesetzes und der grundrechtliehen Gewährleistung der Weltanschauungsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG den Begriff "weltanschauliche Vereinigung" in einem weiten Sinne interpretiert 25 • Unter ausdrücklicher Berufung auf die staatskirchenrechtliche Literatur und Praxis des NS-Staates sah das Bundesverwaltungsgericht den weltanschaulichen Charakter des "Bundes für Gotterkenntnis" darin, daß er "die Pflege des religionsphilosophischen Gedankenguts der Frau Dr. Mathilde Ludendorff" in Wort und Schrift betreibt26 • 4. Zustimmung verdient das Bundesverwaltungsgericht ferner, wenn es das angefochtene Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch deshalb als rechtsfehlerhaft ansah, weil dieses Gericht unter Nichtbeachtung des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hergeleiteten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit27 die von ihm festgestellten verfassungsfeindlichen Äußerungen und Bestrebungen des "Bundes für Gotterkenntnis" für die Rechtfertigung der Verbots- und Auflösungsverfügung genügen ließ. Art. 9 Abs. 2 GG ist, wie Maunz darlegt, eine durchaus lückenhafte Rechtsnorm, die nur die schwerste Maßnahme, nämlich das Verbot, vorsieht. Erst die Anwendung der das Übermaßverbot konkretisierenden "Stufentheorie" ermöglicht ein Verwaltungshandeln, das den grundrechtlich gesicherten Freiheitsraum der Bürger im geringstmöglichen Maße einschränkt. Die Skala möglicher Maßnahmen reicht dabei von Aufsichtsmaßregeln im Hinblick auf die Gestaltung des Vereinslebens der betreffenden Organisation bis zu deren Verbot 28 . Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hätte daher nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil Überlegungen darüber anstellen müssen, in welchem 25 Zum Begriff "Weltanschauung" in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte vgl. Listl, Das Grundrecht (Anm. 13), S. 362 mit Anm. 35. 26 BVeiWGE 37, 344 (366). 27 Vgl. dazu die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsstaatsprinzip, in: BVerfGE 19, 342 (348 f.); 27, 344 (352). 28 Theodor Maunz, in: Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Art. 9, Rdnr. 59.

15 Sbd. List!

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Umfang der "Bund für Gotterkenntnis" eine nicht verfassungsfeindliche Weltanschauung in rechtlich unbedenklicher Weise pflegt und wie in seinem Gedankengut und seiner Betätigung die Gewichte einerseits einer solchen unbedenklichen Weltanschauung und andererseits der verfassungsfeindlichen Betätigung verteilt sind. Insbesondere hätte er, wie das Bundesverwaltungsgericht hervorhebt, der Frage nachgehen müssen, ob nicht eine wirksame Abwehr der verfassungsfeindlichen Tätigkeit mit milderen Mitteln möglich gewesen wäre und ob das Verbot und die Auflösung der Vereinigung bei Abwägung dieser Gewichte und bei Berücksichtigung der Möglichkeit milderer Mittel gerechtfertigt waren und nicht unangemessen in das Grundrecht der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses eingreifen, die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 7 WeimRV gewährleistet sei 29 • Weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof diese Frage nicht untersucht hatte, hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil zu Recht aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hielt es aber nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens durchaus für möglich, daß sich die Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern gegen den "Bund für Gotterkenntnis" als "im Ergebnis rechtmäßig" erweist30 . 5. Eine besonders interessante Note erhält das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dadurch, daߧ 2 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (VereinsG) vom 5. 8. 1964 (BGBL I S. 593), das für die Entscheidung des vorliegenden Falles allerdings noch nicht anwendbar war, ausdrücklich erklärt, daß Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, im Rahmen des Artikels 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919, "nicht als Vereine im Sinne dieses Gesetzes" gelten, woraus folgt, daß sie nicht unter den 2. Abschnitt des Vereinsgesetzes ("Verbot von Vereinen") fallen würden. Das Bundesverwaltungsgericht unterwirft sie trotzdem der mit Verfassungsrang ausgestatteten Verbotsnorm des Art. 9 Abs. 2 GG. Das Vorgehen des Bundesverwaltungsgerichts verdient vor allem deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil die Ausführungen des Gerichts zu dem Schluß führen könnten, daߧ 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG materiell verfassungswidrig sei. Das Bundesverwaltungsgericht erweist zwar dem Bundesgesetzgeber ein gewisses Maß an Reverenz, wenn es erklärt, daß dieser die ihm 29

30

BVerwGE 37, 344 (360 f.). BVerwGE 31, 344 (368).

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durch Art. 9 Abs. 2 GG eröffnete Regelungsbefugnis nicht voll ausgeschöpft habe. Die vom Gesetzgeber getroffene Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG schränke, wie das Bundesverwaltungsgericht sich ausdrückt, nämlich "bei richtiger Betrachtung der verfassungsrechtlichen Lage" den Anwendungsbereich des neuen Vereinsgesetzes in zwar zulässiger, aber nicht notwendiger Weise ein31 . Auf der anderen Seite stellt das Gericht aber fest, daß im Konflikt zwischen weltanschaulicher Betätigung, insbesondere einer solchen im politischen Raum, und der verfassungsmäßigen Ordnung i.S. des Art. 9 Abs. 2 GG "die verfassungsmäßige Ordnung letztlich den Vorrang" haben müsse 32 . Damit bringt das Bundesverwaltungsgericht zum Ausdruck, daß entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG auch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter das Vereinsgesetz fallen, weil die verfassungsmäßige Ordnung i.S: des Art. 9 Abs. 2 GG auch gegenüber einer weltanschaulichen Betätigung den Vorrang haben müsse. Damit könnte ausgesagt sein, daß die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 VereinsG den Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht, wie das Bundesverwaltungsgericht feststellt, "in zulässiger, aber nicht notwendiger"33 , sondern in unzulässiger und verfassungswidriger Weise einschränke, wenn man nicht die Ausführungen des Gerichts dahin umdeuten könnte, daß Art. 9 Abs. 2 GG ohne Rücksicht darauf Anwendung findet, ob Religionsgemeinschaften unter Art. 9 Abs. 1 GG und das Vereinsgesetz fallen. Dieser Auffassung wird man um so leichter folgen können, wenn man im Sinne der hier vertretenen und im weiteren noch näher darzulegenden These davon ausgeht, daß Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften keine "Vereine und Gesellschaften" gern. Art. 9 Abs. 1 GG und des Vereinsgesetzes sind und daher für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erforderlichenfalls allerdings nur im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und des "für alle" geltenden Gesetzes des Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV -Art. 9 Abs. 2 GG unmittelbare Anwendung findet. D. Der Sinngehalt des selbständigen Grundrechts der religiösen Vereinigungsfreiheit

Problematisch und nicht überzeugend bleiben dagegen die allerdings in einem obiter dieturn enthaltenen Ausführungen des Gerichts über das Verhältnis der Verbotsnorm des Art. 9 Abs. 2 GG zu dem 31 32

33

15•

BVerwGE 37, 344 (365). BVerwGE 37, 344 (366). BVerwGE 37, 344 (365).

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Freiheit der Religion und des Gewissens

Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 und über das Verhältnis dieser beiden Verfassungsnormen zum Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, und hier insbesondere der religiösen Vereinigungsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. An der fraglichen Stelle seiner Urteilsbegründung weist das Gericht darauf hin, daß dem rechtsstaatliehen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft besondere Bedeutung zukomme, und fährt dann fort: "Denn das Verbot und die Auflösung einer Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft greifen nicht nur in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), sondern zugleich auch in das Grundrecht der Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und in die Bestands-Gewährleistung des Art. 137 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG ein" 34 . Damit wird das Bundesverwaltungsgericht der Tatsache nicht gerecht, daß die religiöse Vereinigungsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und in der von Art. 4 GG mitumfaßten und in Art. 140 GG i. V.m. Art. 137 Abs. 2 WeimRV besonders hervorgehobenen religiösen Vereinigungsfreiheit eine spezielle Normierung erfahren hat. Art. 9 Abs. 2 GG enthält im Gegensatz zu den Bestimmungen der Abs. 1 und 3 dieses Artikels keine Grundrechtsverbürgung. Er ist vielmehr der verfassungsrechtliche Ausdruck des wehrhaften Charakters des durch das Grundgesetz konstituierenden Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland. Danach kann bzw. muß jede Vereinigung verboten werden, deren Tätigkeit in kämpferisch-aggressiver Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Staates gerichtet ist. Der Begriff "Vereinigung" in Art. 9 Abs. 2 GG ist, wie die Ausführungen bei Maunz zeigen, seinem Umfang nach keineswegs identisch mit dem Begriff "Vereine und Gesellschaften" in Art. 9 Abs. 1 GG, sondern umfassender und weiter. Zu den "Vereinigungen", die gern. Art. 9 Abs. 2 GG verboten sind, gehören, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, nämlich auch die Koalitionen des Art. 9 Abs. 3 GG 35 • Unter die Verbotsvorschrift des Art. 9 Abs. 2 GG fallen, wie das Bundesverwaltungsgericht jetzt im "Ludendorff-Urteil" entschieden hat, auch die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, deren Daseins- und Betätigungsrecht und damit auch deren Freiheit des Zusammenschlusses - in der Sprache des Religions- und Staatskirchenrechts die "religiöse Vereinigungsfreiheit" - durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WeimRV in spezieller Weise grundrechtlich gewährleistet ist. Um zu diesem vom Bundesverwal34 35

BVerwGE 37, 344 (365 ff.). Maunz, Grundgesetz (Anm. 28), Art. 9, Rdnr. 4, S. 14, Anm. 1 m.w.N. und

Rdnr. 90f.

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tungsgericht gefundenen Ergebnis zu gelangen, ist es jedoch keineswegs erforderlich, die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auch als Vereinigungen i.S. des allgemeinen Assoziationsrechts des Art. 9 Abs. 1 GG zu betrachten. Die Beschränkung des Grundrechts der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die in dem Verbot und der Auflösung einer Weltanschauungsgemeinschaft liegt, ist nämlich, wie das Bundesverwaltungsgericht durch sein Zustimmung verdienendes methodisches Vorgehen selbst gezeigt hat, wegen der Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 und 3 WeimRV unmittelbar zwischen diesen Verfassungsnormen und dem Art. 9 Abs. 2 GG vorzunehmen36 . Es ist kein Grund einzusehen, inwiefern es hier des Rückgriffs auf das allgemeinere Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 bedürfte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Grundrecht des Art. 4 Abs. 2 GG heute vor allem den Sinn einer Klarstellung dahin, daß Träger des Grundrechts auch eine Gemeinschaft sein kann, deren religiöses Daseins- und Betätigungsrecht hinsichtlich der Form und des Inhalts, der Teilnahme und der Art der Ausübung geschützt ist, soweit sie sich im Rahmen der sittlichen Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker hält 37 . Neuere, stark indivi36 Das Problem ist eingehend behandelt in BVerfGE 28, 243 (260 f.); im Hinblick auf die gleichfalls vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vgl. die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 30, 173 (193). And. Auffassung ohne nähere Begründung Ott, Zur politischen Betätigung (s. oben, vor Anm. 1), DÖV 1971, 763; ders., Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Anm. 3), S. 392. Nach Ott hängt die Beantwortung der Frage, ob ein Verbot und eine Auflösung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf Grund des Art. 9 Abs. 2 GG zulässig ist, von der Entscheidung der Vorfrage ab, ob die Vereinigungsfreiheit der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften durch Art. 9 Abs. 1 GG oder durch andere Verfassungsvorschriften gewährleistet wird. Diese Voraussetzung Otts trifft gerade nicht zu. Ott verkennt die überragende Funktion des Art. 9 Abs. 2 GG als universale und generelle Verbotsnorm für sämtliche verfassungswidrigen Vereinigungen im Rahmen des Grundgesetzes. Ebenso wie die Koalitionen des Art. 9 Abs. 3 GG unter die Bestimmungen des Art. 9 Abs. 2 GG fallen, obwohl sie keine Vereinigungen i.S. des Art. 9 Abs. 1 GG sind, würden auch die politischen Parteien von der Verbotsbestimmung des Art. 9 Abs. 2 GG erfaßt, wenn für sie in Art. 21 Abs. 2 und 3 GG und das Gesetz über die politischen Parteien (ParteienG) vom 24. 7. 1967 (BGBL I S. 773) nicht besondere Vorsorge getroffen worden wäre. Dem Verfassungsgesetzgeber stünde jederzeit die Möglichkeit offen, auch für das Verbot und die Auflösung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften analoge besondere Regelungen zu treffen. Die Frage, ob die Vereinigungsfreiheit der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften durch Art. 9 Abs. 1 GG oder durch andere Verfassungsnormen gewährleistet wird, ist dafür, ob diese Gemeinschaften unter die Verbotsnorm des Art. 9 Abs. 2 GG fallen, entgegen der Auffassung Otts völlig belanglos.

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dualistische Auffassungen tendieren, worauf Scheuner hinweist, dahin, das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG seinem Gehalt nach zu einem Unterfall eines übergreifend gedachten und rein säkular verstandenen Grundrechts der Gewissensfreiheit umzudeuten, unter der dann "nur eine individuelle weltliche Selbstbezeugung" verstanden werden soll. Die "Gewährleistung religiöser Gemeinsamkeit" möchten diese Bestrebungen dagegen zurückdrängen. Ihnen gegenüber gewinnt das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in seiner korporativen Gestalt eine wichtige aktuelle Bedeutung38 .

Ott vermag nicht zu überzeugen, wenn er im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 39 und zur nahezu einhelligen Meinung der rechtswissenschaftliehen Literatur40 die Eigenständigkeit des Grundrechts der religiösen Vereinigungsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WeimRV mit der von ihm nicht begründeten Bemerkung beiseite schieben will, es handele sich dabei um eine nur noch geschichtlich zu rechtfertigende Auffassung41 . Ernsthafter verfassungsrechtlicher Prüfung hält diese Betrachtungsweise nicht stand. 37 Zur Bedeutung des Art. 4 Abs. 2 GG für die Gegenwart vgl. BVerfGE 24, 236 (245); 30, 112 (120). 3B Ulrich Scheuner, Die verfassungsmäßige Verbürgung der Gewissensfreiheit, in: ZevKR, Bd. 15 (1970), S. 245m. Anm. 9. 39 Vgl. BVerfGE 24, 236 (245): Dadurch, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG das Daseins- und Betätigungsrecht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet ist, ist durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mit logischer Notwendigkeit auch die religiöse Vereinigungsfreiheit grundrechtlich garantiert. Für die Weimarer Zeit betont Godehard Josef Ebers ausdrücklich, daß aus der individuellen Religionsfreiheit "konsequent die Vereinigungsfreiheit" folgt, d. h. die Freiheit, sich auch "zu einem eigentlichen Religionsverband zusammenzuschließen (Art. 137 Abs. 2)". Vgl. Ebers, Religionsgesellschaften, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung. Bd. 2, Berlin 1930, S. 373. 40 Vgl. v. Mangoldtl Klein, Grundgesetz (Anm. 11), S. 223 f.; Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften (Anm. 11), S. 150 f.; über die Erörterungen zur Frage der religiösen Vereinigungsfreiheit im Parlamentarischen Rat vgl. die instruktiven Ausführungen bei Karl Eugen Schlief, Die Entwicklung von Staat und Kirche und ihre Ausgestaltung im Bonner Grundgesetz. Jur. Diss., Münster 1961, S. 166ff.; Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR, Bd. 92 (1967), S. 125; Maunz, Grundgesetz (Anm. 28), Art. 9 Rdnr. 58 und 44; Reinhard Zippelius, in: Bonner Kommentar, Art. 4 (Zweitbearbeitung) Rdnr. 85; Ingo v. Münch, in: Bonner Kommentar, Art. 9 GG (Zweitbearbeitung), Rdnr. 22 und 41. 41 Ott, Zur politischen Betätigung (s. oben, vor Anm. 1), DÖV 1971, S. 763; ders., Verbot von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Anm. 3), S. 393.

Verbotsmöglichkeit von Religionsgemeinschaften

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Daß der Begriff "Vereine und Gesellschaften" in Art. 9 Abs. 1 GG ein anderer ist als der Begriff der "Religionsgesellschaften" in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WeimRV, bzw. der "Vereinigungen" i.S. des Art. 137 Abs. 7 WeimRV, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen, folgt bereits aus der grundrechtssystematischen Überlegung, daß Art. 4 GG in Abs. 1 und 2 ein Menschenrecht gewährleistet, während Art. 9 Abs. 1 GG das Recht, "Vereine und Gesellschaften zu bilden", nur den Deutschen zuerkennt. Art. 9 Abs. 1 ist ein geradezu klassischer Fall eines sog. "Deutschenrechts" 42 . Auch hinsichtlich der Verwirkbarkeit der beiden grundrechtliehen Gewährleistungen besteht ein bedeutsamer Unterschied: Das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit in Art. 9 kann der Verwirkung unterliegen. Für Art. 4 GG und damit auch für die religiöse Vereinigungsfreiheit ist in Art. 18 GG eine solche Möglichkeit nicht vorgesehen. Neben diesem grundrechtssystematischen Befund sprechen vor allem sachlich-objektive Gründe dafür, die religiöse Vereinigungsfreiheit gegenüber dem allgemeineren Assoziationsrecht des Art. 9 Abs. 1 GG als eigenständige grundrechtliche Gewährleistung zu betrachten, woraus z. B. auch folgt, daß die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 2 GG auf Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts mit ganz besonderer Vorsicht geprüft werden müssen. Schon Anschütz hat in seinem Kommentar zur Preußischen Verfassungs-Urkunde vom 31. 1. 1850 (G.-S. 17), bei der Kommentierung des Art. 12 dieser Verfassung, der neben der Freiheit des religiösen Bekenntnisses ausdrücklich auch die Freiheit "der Vereinigung zu Religionsgesellschaften" gewährleistet hat, die Besonderheit der Religionsgesellschaften gegenüber sämtlichen anderen Formen von Vereinen und Gesellschaften zutreffend im religiösen Bekenntnis erblickt43 . Neben dem Erfordernis eines" ultrafamiliären Personenkreises" verlangte Anschütz als Hauptmerkmal für eine Religionsgesellschaft "ein nicht sowohl ,bestimmtes' (formuliertes) als besonderes, ein differenziertes Bekenntnis, wodurch sich die Religionsgesellschaft, die es hat, von anderen unterscheidet". Als weiteres Merkmal einer Religionsgesellschaft fordert Anschütz schließlich noch die Absicht, eine umfassende und ausschließliche gesellschaftliche Organisation der Anhänger 42 Maunz, Grundgesetz (Anm. 28), Art. 9, Rdnr. 22; ebenso v. Mangoldtl Klein, Grundgesetz (Anm. 11), S. 224; so bereits für die Weimarer Zeit Hans Delius, Versammlungs- und Vereinsrecht, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grund-

rechte und Grundpflichten in der Reichsverfassung. Bd. 2, Berlin 1930, S. 143. 43 Gerhard Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. 1. 1850. Berlin 1912, S. 202.

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Freiheit der Religion und des Gewissens

des betreffenden Bekenntnisses darzustellen44 • Nur Personenvereinigungen, bei denen diese Voraussetzungen gegeben waren, konnten sich "hinsichtlich der Freiheit ihrer Entstehung und Tätigkeit" auf den dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG entsprechenden Art. 12 der Preußischen Verfassungs-Urkunde vom 31. 1. 1850 berufen45 . Die Weimarer Reichsverfassung hat diese religiöse Vereinigungsfreiheit wiederum ausdrücklich unter den qualifizierten Schutz des Art. 137 Abs. 2 WeimRV gestellt. Durch Art. 140 GG wurde diese Bestimmung, die eine unmittelbare deklaratorische Ausprägung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG darstellt46 , Bestandteil des Grundgesetzes. Art. 137 Abs. 2 WeimRV steht in engstem sachlichem Zusammenhang mit Art. 137 Abs. 3 WeimRV, der zentralen Freiheitsgarantie des institutionellen Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund für diesen qualifizierten Schutz der religiösen Vereinigungsfreiheit liegt darin, daß der Verfassungsgeber des Grundgesetzes neben der individuellen Religionsausübung auch das Bestandsrecht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und damit notwendig auch bereits das Recht zur Bildung solcher Gemeinschaften der besonderen, durch keinen Gesetzesvorbehalt eingeschränkten grundrechtliehen Gewährleistung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WeimRV unterstellen wollte. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften des Art 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV wird durch Art. 137 Abs. 2 WeimRV im weitestgehenden Maße bereits auf das Stadium der Bildung und des Zusammenschlusses dieser Gemeinschaften vorverlegt. Unbeschadet des Grundrechts der allgemeinen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 und der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG können diese Freiheiten auf Grund der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Nr. 3 GG vielfachen normativen Beschränkungen unterworfen werden. Für die Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften wird man dies, auch wenn sie privaten Rechts sind, im Hinblick auf die besondere grundrechtliche Gewährleistung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und des Art. 140 GG i.Vm. Art. 137 Abs. 2 WeimRV nur in sehr eingeschränktem Maße annehmen können. Diese Konsequenz ist bei Ott nicht gesehen. Gegenüber dieser speziellen Regelung kommt deshalb Art. 9 Abs. 1 GG, wie Hollerbach 44 45

Anschütz, ebd. Anschütz, ebd.; für die Situation in der Weimarer Zeit vgl. Anschütz, Die

Verfassung (Anm. 10), S. 632 ff.; diese Ausführungen besitzen auch für die Gegenwart ungeminderte Aktualität. 46 Darüber, daß es sich bei der Vorschrift des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WeimRV um eine deklaratorische Verdeutlichung des Grundrechts der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG handelt, vgl. Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 13), 371.

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zutreffend betont, für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften überhaupt nicht mehr zum Zuge 47 • Die Grundrechte des Grundgesetzes bilden kein abstraktes System mit gewissermaßen more geometrico konstruierten oder konstruierbaren Überlagerungsschematismen und Konkurrenzen. Die Grundrechte sind vielmehr, wie Friedrich Müller48 unter Berufung auf Scheuner49 überzeugend darlegt, besondere Verstärkungen der Sicherung bestimmter, von der Sache her gegenständlich begrenzter sozialer Lebensbereiche und deren geschichtlich wie systematisch jeweils auf einen sachgeprägten Geltungsraum begrenzten Schutzes 50 • In der Tatsache, daß der Verfassungsgeber des Grundgesetzes die Ausübung des Grundrechts der Religionsfreiheit in deren sämtlichen individual- und verbandsrechtlichen Bezügen in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG einem besonderen grund-und verfassungsrechtlichen Schutz unterstellt hat, liegt der Grund dafür, daß das allgemeinere Grundrecht der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG für die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften keine Anwendung mehr findet 51 .

47 Alexander Hollerbach, Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 1, Münster 1969, S. 57. Die gleichen Gründe, die es als unzulässig erscheinen lassen, das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als einen Fall des allgemeineren Grundrechts der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG aufzufassen, sprechen gegen den Versuch, die religiöse Vereinigungsfreiheit als eine Erscheinungsform der allgemeinen Assoziationsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG anzusehen. Vgl. zum Ganzen BVerfGE 32, 99 (107 f.). 48 Friedrich Müller, Normstruktur und Normativität, Berlin 1966, S. 204. 49 Vgl. Ulrich Scheuner, Pressefreiheit, in: VVDStRL, Heft 22 (1965), S. 33ff., bes. 44ff., 94ff. 50 Friedrich Müller, Die Positivität der Grundrechte. Fragen einer praktischen Grundrechtsdogmatik, Berlin 1969, S. 94ff.; vgl. dazu auch Wolfgang Rüfner, Überschneidungen und gegenseitige Ergänzungen der Grundrechte, in: Der Staat, Bd. 7 (1968), S. 60f. 51 Daß das Grundrecht der allgemeinen Vereinsfreiheit völlig andere geistesgeschichtliche Wurzeln und Voraussetzungen als das bedeutend ältere Grundrecht der religiösen Vereinigungsfreiheit besitzt, zeigen die lesenswerten Darlegungen von Friedrich Müller, Korporation und Assoziation. Eine Problemgeschichte der Vereinigungsfreiheit im deutschen Vormärz, Berlin 1965.

II. Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts

Staat und Kirche in Deutschland Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Bonner Grundgesetz Das gegenwärtige Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland bildet das Ergebnis einer langen Entwicklung und ist nur zu begreifen aus der Vielfalt seiner historischen Grundgedanken, die zur Verschiedenheit der rechtlichen Prägung seiner einzelnen Gebiete geführt haben 1 . Es verbindet "die tiefe Scheidung zwischen Staat und Kirche im Geist und in den Institutionen mit der Garantie kirchlicher Freiheit und Eigenständigkeit", es gewährt den Kirchen und Religionsgesellschaften einen öffentlich-rechtlichen Status, es verbindet prinzipielle Neutralität gegenüber allen Religionsgesellschaften mit großer "über den pluralistischen Rahmen hinausweisender Hilfe und Förderung der Kirchen". Auf dem Boden der Koordination schließt der Staat mit den Kirchen Konkordate und Kirchenverträge. 2 Anders als das benachbarte Frankreich, dessen staatskirchenrechtliche Entwicklung durch die Französische Revolution und die Trennungsgesetzgebung des Jahres 1905 zwei Zäsuren erfahren hat, die einen Bruch mit der Vergangenheit bedeuten, 3 kennt die deutsche Geschichte auf diesem Gebiet zwar auch tiefe Einschnitte, verläuft aber dennoch in den Bahnen einer in vieler Hinsicht ungebrochenen historischen Kontinuität. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland in den verschiedenen Erstveröffentlichung in: Civitas. Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung. 6. Jhg. (1967), Mannheim, Peseh-Haus Verlag, S. 117-165. I Die vorliegende Darstellung beruht auf einem Referat, das der Verfasser am 2. und 9. 12. 1966 im öffentlich-rechtlichen Seminar von Bundesverfassungsrichter a. D. Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst Friesenhahn an der Universität Bonn gehalten hat. 2 Martin Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts, in: ZevKR, Bd. 12 (1966), S. 34f.; vgl. auch Heiner Marre, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Neue Entwicklungen im Staatskirchenrecht, in: Zeitschrift für Politik, 13. Jhg. (1966), S. 389. 3 Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Köln 1964, S. 592 ff., 694 ff.; Axel Freiherr v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, Göttingen 1962, S. 3 ff.

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Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts

Phasen seiner Entwicklung eine unverkennbare Tendenz in Richtung auf eine stetig sich ausweitende religiöse Freiheit des Individuums, die spätestens mit der Weimarer Reichsverfassung in allen deutschen Ländern in vollem Umfang erreicht wird, und eine gleichfalls in ständiger Zunahme begriffene Freiheit und Unabhängigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die erst unter dem Banner Grundgesetz voll erlangt wird. Hand in Hand damit geht eine fortschreitende Distanzierung von Staat und Kirche, die den Kirchen ein höheres Maß an religiöser Freiheit und Eigenständigkeit sichert, andererseits aber dennoch eine vielfältige Begünstigung durch den Staat nicht ausschließt. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die staatskirchenrechtliche Entwicklung in Deutschland von der Zeit des Inkrafttretens des Preußischen Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (1794) bis zur Schaffung des Banner Grundgesetzes aufzuzeigen. Auf die Erwähnung verschiedener historischer Vorgänge und Ereignisse, die zu Veränderungen des jeweiligen staatsrechtlichen Zustandes geführt haben, kann dabei nicht verzichtet werden. Die Untersuchung sieht die drei wesentlichen Einschnitte, durch die die Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche in Deutschland während der letzten 150 Jahre gekennzeichnet ist, einmal im Reichsdeputationshauptschluß des Jahres 1803 und dem sich daran anschließenden Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation; ferner in der Revolution des Jahres 1848 mit der in der Verfassung der Faulskirehe erfolgten Proklamation der Grundrechte und der Garantie der kirchlichen Selbstverwaltung; schließlich in der Schaffung der Weimarer Reichsverfassung vom 31. August 1919, deren Kirchenartikel das landesherrliche Kirchenregiment beseitigten und noch heute das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend bestimmen. -

I. Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Frankfurter Nationalversammlung 1. Der Reichsdeputationshauptschluß, der Wiener Kongreß und die Neugliederung der kirchlichen Verhältnisse

a) Der Reichsdeputationshauptschluß Das seit langem brüchige Gefüge zahlreicher großer und kleiner weltlicher und geistlicher Territorien und freier Reichsstädte, aus denen das Heilige Römische Reich Deutscher Nation um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bestand, fiel infolge des Separatfriedens, den

Staat und Kirche in Deutschland

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Preußen in Basel am 5. April 1795 mit Frankreich schloß, der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich im Frieden von Luneville vom 16. März 1801 und des Reichsdeputationshauptschlusses (RDHS) vom 25. Februar 1803 endgültig auseinander. Kaiser Franz 11., derbereits am 10. August 1804 den erblichen Titel eines Kaisers von Österreich angenommen hatte, dokumentierte den Untergang des Reiches dadurch, daß er am 6. August 1806 die kaiserliche Krone niederlegte. 4 Für das deutsche Staatskirchenrecht bedeuteten diese Ereignisse die einschneidendsten Veränderungen seit der Zeit der Reformation. Der RDHS bildete die reichsrechtliche Grundlage für die Säkularisation, d. h. die Überlassung der geistlichen Territorien an weltliche Fürsten zum Zwecke der Entschädigung der durch die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich erlittenen Verluste. 5 Außerdem bot § 35 RDHS die Rechtsgrundlage für die "landesrechtliche" Säkularisation. 6 "Alle Güter der fundierten Stifter, Abteyen und Klöster, in den alten sowohl als den neuen Besitzungen, Katholischer sowohl als A. C. Verwandten, mittelbarer sowohl als unmittelbarer, deren Verwendung in den vorhandenen Anordnungen nicht förmlich festgesetzt worden ist, werden der freien und vollen Disposition der respektiven Landesherren, sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten als auch zur Erleichterung ihrer Finanzen erlassen". 7 Von der Möglichkeit dieser landesrechtlichen Säkularisation wurde in Deutschland allgemein Gebrauch gemacht. Dem Beispiel Bayerns, das zu den durch den RDHS meistbegünstigten Ländern gehörte und die Säkularisation rücksichtslos durchführte, folgte im Jahre 1810 Preußen: Alle alten Stifte, Abteien und Klöster in Schlesien wurden der Kirche weggenommen. 8 Diese Säkularisationen bilden den juristischen Anknüpfungspunkt für die Staatsleistungen an die katholische Kirche; Art. 138 WeimRV sieht dazu vor, daß sie durch di_e Landesgesetzgebung abgelöst werden sollen. Die Säkularisationen hatten weitgehend den Zusammenbruch der bisherigen Verwaltungsorganisation der katholischen Kirche zur Folge. 4 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart 1957, S. 63 und S. 71. s Vgl. § 34 RDHS bei Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1961, S. 15 ff.; Hans Liermann, Kirchen und Staat, Bd. 1, München 1954, S. 1 ff.; Heribert Raab, Kirche und Staat, München 1966, S. 225 f. 6 Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, Karlsruhe 1966, S. 189. 7 RDHS § 36. a Über die Säkularisationen in Preußen vgl. Karl Bachern, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei, Bd. 1, Köln 1927, S. 39f.; Wortlaut der Verordnung vom 27. 10. 1810 ebd., S. 88.

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Die Reichskirche war in ihren führenden Positionen hauptsächlich eine Adelskirche gewesen: Die Bischofsstühle und Domherrenstellen waren dem Adel vorbehalten. Der Verlust von 720 dem Adel vorbehaltenen Domherren- und Prälatenstellen in den der Säkularisation in Deutschland anheimgefallenen Gebieten führte zu einer "Entfeudalisierung" der Kirche, die sich für ihr inneres Leben förderlich erwiesen hat. Ba Erst die Beseitigung der territorialen Zersplitterung in zahlreiche kleine Herrschaften ermöglichte die spätere Neugliederung in große, aus Gründen der Staatsraison durchweg mit den Landesgrenzen zusammenfallende Diözesen. Wenn man von Preußen absieht, wo sich bereits vorher durch den Religionsrezeß zwischen Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg für Kleve, Berg, Mark und Ravensberg vom 26. April1672 9 und besonders durch den Erwerb Schlesiens undPosenseine andere Lage ergeben hatte, waren die deutschen Territorien bis zur Säkularisation fast ausschließlich konfessionelle Staaten. Durch die Aufnahme der geistlichen Fürstentümer und Gebiete erhielten Preußen, Württemberg, Hessen-Nassau und Kurhessen zahlreiche katholische Einwohner, und Baden, das bereits seit 1771 durch die Vereinigung der Markgrafschaften Baden-Durlach und Baden-Baden ein gemischtkonfessioneller Staat geworden war, sogar eine katholische Mehrheit, während Bayern durch die Angliederung der bisher hohenzollerischen Gebiete Ansbach-Bayreuth und mehrerer Reichsstädte einen starken evangelischen Bevölkerungsanteil gewann. § 63 RDHS bestimmte daher: "Die bisherige Religionsübung eines jeden Landes soll gegen Aufhebung und Kränkung aller Art geschützt sein." Darüber hinaus sprach § 63 RDHS den Landesherren das Recht zu, entgegen den Vorschriften des Westfälischen Friedens, wonach im Reich außer den drei großen Konfessionen (Katholizismus, Augsburgische Konfession, Reformiertes Bekenntnis) kein anderes Bekenntnis geduldet werden sollte, auch "andere Religionsverwandte zu dulden und ihnen den vollen Genuß bürgerlicher Rechte zu gestatten." Preußen hatte sich bereits im WoHnersehen Religionsedikt vom 25. Juli 1788 über die reichsrechtlichen Bestimmungen hinweggesetzt und "außer der jüdischen Nation die Herrenhuter, Mennoniten und die sa Über die Sozialstruktur des deutschen Katholizismus im 19. Jahrhundert vgl. den instruktiven Beitrag von Clemens Bauer, Der deutsche Katholizismus und die bürgerliche Gesellschaft, in: ders., Deutscher Katholizismus. Entwicklungslinien und Profile, Frankfurt IM. 1964, S. 28 ff. 9 Text des Religionsrezesses auszugsweise bei Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 187. Vgl. dazu auch Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart, Köln und Opladen 1966, s. 21.

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Böhmische Brüdergemeinde" als "öffentlich geduldete Sekten" anerkannt.10 In der Bestimmung des § 63 RDHS, daß die bisherige Religionsübung eines jeden Landes gegen Aufhebung und Kränkung aller Art geschützt sein soll, ist eines der Grundprobleme enthalten, das in der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche im 19. Jahrhundert immer wieder eine Rolle gespielt hat: das Problem des paritätischen Staates. Die Parität hat als staatsrechtliches Problem, als Kulturfrage, stets als große Klage der einen oder anderen der Konfessionen die deutsche Geschichte der Neuzeit entscheidend bestimmt. 11 Von Reichs wegen bestand jedoch, abgesehen von § 63 RDHS, keine Verpflichtung für einen Landesherren, in seinem Gebiet die öffentliche oder private Religionsausübung einer anderen als der hergebrachten Landesreligion zu gestatten. Es sollte noch bis zur Weimarer Reichsverfassung (WeimRV) dauern, bis in allen Ländern des Deutschen Reiches die volle individuelle Religionsfreiheit gewährt wurde. Einen Schritt in Richtung auf die allgemeine Anerkennung der Religionsfreiheit in Deutschland bedeutete die Gründung des Rheinbundes durch Napoleon im Pariser Vertrag vom 12. Juli 1806. Als sich auch das Königreich Sachsen im PosenerVertrag vom 11. Dezember 1806 dem Rheinbund anschloß, mußte es sich vertraglich verpflichten, die Ausübung des katholischen Kultus im ganzen Umfang des Königreichs Sachsen der Ausübung des lutherischen Kultus völlig gleichzustellen.12 Die gleiche Verpflichtung gingen die norddeutschen Staaten ein, die sich nach 1806 dem Rheinbund anschlossen: Ebenso wie im Königreich Sachsen sollte auch dort gelten, daß die Angehörigen der beiden Religionen ohne Einschränkung die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte genössen. 13 Diesen vertraglichen Verpflichtungen kam allerdings kaum praktische Bedeutung zu, da in diesen Ländern damals nur sehr wenige Katholiken ansässig waren. Nach Auflösung des Rheinbundes zeigten auch diese Verpflichtungen keine Wirkungen mehr.

1o Religionsedikt vom 25. 7. 1788, in: Carl Ludwig Heinrich Rabe, Sammlung Preußischer Gesetze und Verordnungen, 1. Bd., VII. Abt. (1782-1789), Halle 1823, s. 726-732 (727). u Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 47. Vgl. auch Martin Heckel, Parität, in: ZRG Kan Abt., Bd. 80 (1963), S. 261-420, bes. S. 273 ff. 12 Art. V des PosenerVertrages bei Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, s. 94f. 1a Bachern, ebd., S. 95 f. 16 Sbd. List!

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b) Die Religionsfreiheit in den deutschen Bundesstaaten Von größerer Bedeutung für die Gleichberechtigung der Konfessionen wurde dagegen Art. 16 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815: "Die Verschiedenheit der christlichen Religionsparteien kann in den Ländern und Gebieten des Deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen" .14 Mit dieser Bestimmung war eine feste rechtliche Grundlage erreicht für die bürgerliche und politische Gleichberechtigung der Anhänger der drei im Westfälischen Frieden als gleichberechtigt anerkannten christlichen Hauptkonfessionen im gesamten Gebiet des Deutschen Bundes. 15 Die praktische Durchführung dieser Gleichberechtigung erfolgte in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes in sehr unterschiedlicher Weise. Hart umstritten war lange Zeit die Frage, ob auch das Recht auf freie Religionsausübung zu den bürgerlichen und politischen Rechten im Sinne des Art. 16 der Deutschen Bundesakte zu zählen sei. In der Lehre wurde weithin die Meinung vertreten, der bereits im Jahre 1816 der Göttinger Konsistorialrat und Professor der Theologie Gottlieb Jakob Planck 16 Ausdruck verliehen hatte, daß zu den bürgerlichen und politischen Rechten auch die freie und öffentliche Ausübung der Religion und des Gottesdienstes gehöre. "Man kann wenigstens leicht herausbringen, daß dies zu den Rechten gehört, die der Staat seinen Bürgern in Beziehung auf die Religion zugestehen muß, also in die Kategorie der bürgerlichen Rechte." Man könne daher nicht bezweifeln, "daß es den Katholiken wirklich auch in allen protestantischen Staaten zugestanden werden soll". 17 Die Meinung Plancks setzte sich aber in der Staatspraxis nicht überall durch. Man interpretierte Art. 16 dahin, daß von Bundes wegen nichts im Wege stehe, daß den einen oder anderen durch Beschränkung der Kultusfreiheit die Existenz im Lande nicht nur sehr verkümmert, ja so gut als unmöglich gemacht werden dürfe. 18 Art. 16 der Bundesakte enthielt somit bundesrechtlich weder eine Garantie für die private und noch viel weniger für die öffentliche Religi14 Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (Anm. 5), S. 80; Heribert Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 231 f. 15 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (Anm. 4), S. 414. 16 Gottlieb Jakob Planck, Über die gegenwärtige Lage und Verhältnisse der katholischen und protestantischen Partei in Deutschland und einige besondere zum Teil von dem Deutschen Bundestage darüber zu erwartende Bestimmungen, Hannover 1816. 17 Planck, ebd., S. 65. 18 Wilhelm Eduard Wilda, Erörterungen und Betrachtungen über Gewissensfreiheit, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd.ll, Tübingen 1847, S. 161-253 (217).

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onsausübung. Er sagte weder, "daß in jedem Land alle christlichen Glaubensrichtungen zuzulassen, noch daß in jedem Land die drei christlichen Hauptkonfessionen des Westfälischen Friedens als gleichberechtigte Religionsparteien anzuerkennen, noch daß in jedem Land den Anhängern der drei Hauptbekenntnisse die Gewissens- und die Kultusfreiheit in gleichem Maße einzuräumen seien. 19 Diese Auffassung vertrat auch der Deutsche Bundestag. Auf die Beschwerde des Rittergutsbesitzers und Kammerherrn von der Kettenburg gegen die Regierung von Mecklenburg-Schwerin, die diesem untersagt hatte, auf seinem Rittergut Messe lesen zu lassen, und die seinen Hauskaplan mit Polizeigewalt wieder über die Grenze hatte bringen lassen, erklärte sich der um Schutz angerufene Deutsche Bundestag unter dem Vorsitz Osterreichs durch Bundesbeschluß vom 9. Juni 1853 für inkompetent, weil man sich für das Recht auf Religionsübung nicht auf Art. 16 berufen könne. Die Ausübung des katholischen Kultus gehöre nicht zu den bürgerlichen und politischen Rechten, die Art. 16 der Bundesakte gewährleiste. 20 19 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (Anm. 4), S. 414. - Am 21. 10. 1837 forderte Kaiser Franz I. die Bewohner einiger Dörfer des 1816 unter Österreichische Herrschaft gelangten Zillertales, die sich zum Protestantismus bekannten ("Reste eines Geheimprotestantismus im Zillertal", die sich von der Reformationszeit her erhalten hatten), auf, entweder in eine andere Österreichische Provinz mit akatholischen Gemeinden umzusiedeln oder auszuwandern. Im September 1837 wanderten danach 385 Zillertaler Einwohner nach Schlesien aus. Die Zahl erhöhte sich später auf 437. Vgl. Erich Beyreuther, Zillertaler Emigranten, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 6, Tübingen 1962, Sp. 1910; Zillerthaler, in: Herzog I Hauck, Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 21, Leipzig 1908, S. 675-678 (Arnold). 2o Hermann Josef Wurm, Mecklenburg, in: Wetzer und Welte's Kirchenlexikon, 2. Aufl., Bd. 8, Freiburg 1893, Sp. 1154. - Ausführlich behandelt den Fall Justin Timotheus Balthasar Linde, Gleichberechtigung der Augsburgischen Confession mit der Katholischen Religion in Deutschland nach den Grundsätzen des Reichs, des Rheinbundes und des Deutschen Bundes, Mainz 1853, S. 4 ff. und S. 219ff.- Vgl. auch bei Bachern, Zentrumspartei, Bd. 1 (Anm. 8), S. 97. Aufgrund der Publizität, die der Vorfall hervorrief, gestattete der Großherzog von Mecklenburg dem Kammerherrn von der Kettenburg am 1. 2. 1856 widerruflich in Gnaden, auf seinem Schlosse einen Hauskaplan zu beherbergen. Vgl. bei Wurm, ebd. - Über die staatskirchenrechtliche Lage in MecklenburgSchwerin und Mecklenburg-Strelitz noch zu Ausgang des 19. Jahrhundert vgl. bei Wilhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, Bd. 1, Freiburg und Leipzig 1894, S. 220: "Das durch mehrere Reverse grundgesetzlich garantierte Landeskirchenturn der ev.-lutherischen Kirche ist ein dergestalt ausschließliches, daß die Kultusübung der Reformierten und Katholiken, welche "häretische Angehörige der Landeskirche" sind, überall nur auf widerruflicher Konzession beruht ... In Mecklenburg-Strelitz ist, "um Aufregung zu vermeiden", der ständige Aufenthalt eines katholischen Priesters überhaupt nicht gestattet."

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Von weittragender Bedeutung für die künftige Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts wurde die Tatsache, daß auf dem Wiener Kongreß in der Frage der Neuregelung der katholischen Bistumsgrenzen eine Einigung nicht erzielt werden konnte. § 62 RDHS sah vor, daß die Erz- und Bischöflichen Diözesen in ihrem bisherigen Zustand verblieben, bis eine andere Diözesaneinrichtung auf reichsgesetzliche Art getroffen sein würde, wovon dann auch die Einrichtung der künftigen Domkapitel abhinge. 21 Dieses von der römischen Kurie und vom Österreichischen Kaiser, der oberster Schutzherr der katholischen Religion bleiben sollte, gleichermaßen gewünschte Reichskonkordat scheiterte am Widerstand der Landesfürsten, vor allem Bayerns und Preußens, die im Interesse ihrer Souveränität stärker an einer landesrechtliehen Regelung interessiert waren und die Diözesen zu ausschließlichen Landesbistümern machen wollten. Sie setzten sich mit ihren Forderungen durch. Es kam zu einer Anpassung der Diözesangrenzen an die Landesgrenzen, die koordinationsrechtlich durch Konkordate oder Zirkumskriptionsbullen mit dem Heiligen Stuhl vereinbart wurden.22 Der Wiener Kongreß erbrachte somit auf dem Gebiet der Religion und des Staatskirchenrechts weder eine bundesrechtliche Garantie der privaten oder öffentlichen Religionsausübung noch eine bundeseinheitliche Regelung der Organisation für die katholische Kirche. Es lag im Zuge der Entwicklung der einzelnen auf Selbständigkeit bedachten Territorien, die Kirchen- und Kulturpolitik als Angelegenheit der Einzelstaaten zu betrachten. Damit bahnte sich eine Entwicklung an die, lediglich unterbrochen durch die Ära des nationalsozialistischen Staates, bis in die Gegenwart andauert. Durch die Säkularisation und den Wiener Kongreß waren in Deutschland konfessionell gemischte Staatswesen entstanden. Lediglich in Norddeutschland, in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg, Braunschweig und den Hansestädten waren noch geschlossen protestantische Staaten erhalten geblieben. Abgesehen von Bayern, das ein Drittel evangelischer Bewohner gewonnen hatte, bestand der Deutsche Bund entweder aus geschlossen evangelischen Territorien oder aus Staaten, die ihrem geschichtlichen Gepräge nach evangelisch waren und nun einen beträchtlichen katholischen Bevölkerungsanteil erhalten hatten. Für die katholische Kirche in Deutschland stellte sich die Situation in der nachnapoleonischen Zeit daher viel ungünstiger dar 21 Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, (Anm. 5),

s. 15ff.

22 Über den Unterschied von Konkordaten und Zirkumskriptionsbullen vgl. bei Kahl, Lehrsystem (Anm. 20), Bd. 1, S. 236 f.; ebenso Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, (Anm. 4), S. 419.

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als im früheren Reich. Der deutsche Katholizismus war zerteilt in einzelne Splitter, von denen allenfalls der bayerische die Möglichkeit gehabt hätte, ein reicheres Eigenleben zu führen. Die in Bayern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts unter dem aufgeklärten Minister Maximilian Graf von Montgelas ausgebildete Staatskirchenhoheit bot dafür, wenigstens in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, keine günstigen Voraussetzungen. Die katholische Kirche im Deutschland des 19. Jahrhunderts war sich weitgehend selbst überlassen und entbehrte des Schutzes, den der Deutsche Protestantismus beim Staat und den Landesherren fand. 2. Staat und Kirche in Preußen

Preußen, der größte deutsche Staat, der in Deutschland nach dem Wiener Kongreß die Führung übernahm und nach dem Ausscheiden Österreichs schließlich den Zusammenschluß der Deutschen Bundesstaaten zum Deutschen Reich durchsetzte, wurde in seinem Innern auch der Schauplatz der hauptsächlichen Auseinandersetzungen zwischen der katholischen Kirche und dem anfangs noch absoluten und später konstitutionellen Staat.

a) Das Preußische Allgemeine Landrecht Seit 1794 galt in Preußen das "Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten" (ALR). Das Preußische Allgemeine Landrecht unternahm in Deutschland erstmals den Versuch, in umfassender Kodifikation die Stellung der Kirche zum Staat zu regeln. Nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht ist "der König Quelle aller äußeren Gewalt im Staate". 23 Nach der Konzeption des Preußischen Allgemeinen Landrechts besaß auch keine Religionsgesellschaft äußere Rechte im Staat, die ihr nicht von diesem verliehen worden wären, und hatte sie demgemäß auch nach seinem Rechte und Gesetze auszuüben. 24 Der König von Preußen besaß nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht Episkopalrechte nicht nur über die evangelische und reformierte, sondern ebenso über die katholische Kirche. Friedrich II. hatte in diesem Sinne nach der Eroberung Schlesiens in einem Kabinetts-Befehl vom 26. Mai 1742 an den Etat-Minister Podewils verlangt, daß auch die Katholiken einen vom königlichen Oberamte ausgeschriebenen 23 Emil Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Aufl., Leipzig 1909, S. 76. 24 Friedberg, ebd.

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Buß- und Bettag hielten, und dem Kardinal Philipp Ludwig Reichsgraf von Sinzendorf, Fürstbischof von Breslau, der diese Anordnung als Eingriff in seine bischöflichen Rechte betrachtete und ihr deshalb nicht nachkommen wollte, erklären lassen: "In Sachen, so keine Glaubens-Artikul angehen, bin ich summus episcopus im Lande und erkenne keine päpstliche noch andere Autorite: wessen sich der Kardinal wohl zu bescheiden und wissen muß, daß er unter einem Souverän stehet, der die Mittel hat, seine Autorität zu soutenieren". 25 Die bekannte Randverfügung Friedrichs II., daß in seinen Staaten "jeder nach seiner Facon selig werden" müßte, 26 galt nur für die persönliche Religionsübung und den Bereich der Familie, für die sog. "Gewissensfreiheit", nicht aber für die Kirche und ihre Beziehungen zum Staate. 27 Ganz im Sinne dieser Vorstellungen sind auch die kirchenrechtlichen Regelungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts getroffen. Der elfte Titel des II. Teiles des Preußischen Allgemeinen Landrechts, der die Überschrift trägt "Von den Rechten und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften", umfaßt nicht weniger als 1232 Paragraphen. Das Preußische Allgemeine Landrecht erklärte in§ 1 II 11, 28 die Begriffe der Einwohner des Staates von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst könnten nicht Gegenstand von Zwangsgesetzen sein, und gewährte in§ 2 II 11 jedem Einwohner im Staate vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit.§ 7 II 11 erweiterte die Glaubens- und Gewissensfreiheit auf den Bereich der Familie, 25 Vgl. Max Lehmann, Preußen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Akten des Geheimen Staatsarchivs, li. Teil (1740-1748), Leipzig 1881, Nr. 140, S. 114f.; vgl. auch das berühmte Schreiben Friedrichs II. an das Breslauer Domkapitel vom 17. 12. 1743 mit der Mitteilung der vom König vollzogenen Ernennung des Prälaten Philipp Gotthard Graf von Schaffgotsch zum Koadjutor des Bischofs von Breslau: auszugsweise bei Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1 (Anm. 4), S. 393, Anm. 2. - Über die Anordnung eines Buß- und Bettages durch die landgräfliche Darmstädter Regierung vom 7. 3. 1803, die auch an die katholischen Pfarrer des bis dahin kurmainzischen Gebietes erging und vom erzbischöflichen Generalvikariat in Aschaffenburg als "gesetzwidriger und unerhörter Eingriff in die erzbischöfliche Diözesangewalt über die Katholischen" betrachtet und deshalb nicht durchgeführt wurde, vgl. Johann Richard von Roth, Privatgedanken über das Recht deutscher Landesherren gegen Religion und Kirche nach der heutigen Deutschen Staats- und Kirchenverfassung mit Hinsicht auf das zukünftige neue deutsche Konkordat durch wirkliche Fällebey Regierungen und Vikariaten erläutert, Würzburg und Bamberg 1805, S. 93 ff., mit einer Reihe interessanter Einzelfälle. 26 Vgl. Lehmann, ebd., Nr. 2, S. 4; auch bei Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 194; desgl. bei Ernst Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in Stimmen der Zeit, Bd. 176 (1964/65), S. 211. 27 Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 146. 2a D.h. in § 1 des 11. Titels des li. Teils des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten.

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auf die Hausandacht: "Jeder Hausvater kann seinen häuslichen Gottesdienst nach Gutbefinden anordnen." Sehr detaillierte Vorschriften, die bis in die Kirchenartikel der Weimarer Verfassung nachwirkten, enthielten die Regelungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts über die Kirchengesellschaften: §§ 13ff. li 11. Das Gesetz unterschied zwischen ausdrücklich (§ 17) oder öffentlich (§ 20) aufgenommenen Kirchengesellschaften, zu denen nur die drei reichsrechtlich anerkannten christlichen Konfessionen gehörten, die reformierte, lutherische und römisch-katholische auf der einen, 29 und lediglich geduldeten Kirchengesellschaften (§ 20) auf der anderen Seite. 30 Nur die öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften hatten das Recht auf das exercitium religionis publicum, die Befugnis der öffentlichen Religionsübung. § 96 li 11 bezeichnete die öffentlich aufgenommenen Religionsgesellschaften ausdrücklich als privilegierte Kirchengesellschaften, deren Geistliche den Beamten des Staates mit ihren Rechten gleichgestellt waren. Die lediglich geduldeten Kirchengesellschaften, denen die Rechtsfähigkeit auf Antrag verliehen werden konnte(§ 21), waren dagegen Vereinigungen minderen Rechts. Ein Hinaustreten in die volle Öffentlichkeit war ihnen untersagt, vor allem der Gebrauch von Kirchenglocken und alle öffentlichen Feierlichkeiten außerhalb der Mauern ihres Versammlungshauses. Ihren Geistlichen fehlten die Vorrechte und Vollmachten der Religionsdiener der öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften, ihre Bethäuser genossen nicht das Privileg der Steuerfreiheit. Nach § 24 li 11 ALR konnte eine bloß geduldete Kirchengesellschaft das Eigentum ihrer religiösen Gebäude nicht erwerben; diese mußten vielmehr "auf den Namen eines Gesellschaftsmitgliedes als Eigentümers amtlich eingetragen werden", wenn nicht ein nur in Ausnahmefällen gewährtes Privileg erteilt wurde. 31 Von großer Bedeutung im Rahmen des Preußischen Allgemeinen Landrechts war die Vorschrift des § 27 li 11, der bestimmte, daß sich die öffentlich aufgenommenen und die bloß geduldeten Religions- und Kirchengesellschaften "in allen Angelegenheiten, die sie mit anderen bürgerlichen Gesellschaften gemein haben, nach den Gesetzen des Staates richten" müssen. In dieser Bestimmung, die in§ 147 Abs. 1 der Faulskirehen-Verfassung vom 28. März 1849, in Art. 15 der Preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 und in Art. 137 Abs. 3 S. 1 der Weimarer Verfassung wiederkehrt und für die richtige Interpretation dieser letzten Stelle unentbehrlich ist, findet sich, soweit 29 Religionsedikt vom 25. 7. 1788, abgedruckt bei Rabe, Sammlung (Anm. 10), S. 727 (sog. "Wöllnersches Religionsedikt"). 30 Joseph Löhr, Das Preußische Allgemeine Landrecht und die Katholischen Kirchengesellschaften, Faderborn 1917, S. 31. 31 Ebd., S. 33.

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ersichtlich, zum ersten Mal die Formel von den Schranken der für alle geltenden Gesetze, denen auch die Religionsgesellschaften unterliegen. In einer Art Generalklausel unterwarf § 32 II 11 ALR die "private und öffentliche Religionsübung" einer jeden Kirchengesellschaft der Oberaufsicht des Staates. §§ 117 und 118 II 11 statuierten das Placetum regium, das alle bischöflichen und päpstlichen Verordnungen der vorherigen staatlichen Billigung unterwarf: Kein Bischof durfte in Preußen in Religions- und Kirchenangelegenheiten ohne Erlaubnis des Staates neue Verordnungen erlassen. Sämtliche päpstlichen Erlasse, Bullen, Breven und alle Verordnungen auswärtiger Obern der Geistlichkeit mußten vor ihrer Publikation und Vollstreckung dem Staat zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden. § 133 II 11 bestimmte, daß die Ernennung eines bischöflichen Generalvicarius ohne landesherrliche Genehmigung nicht geschehen könne. Die Verwaltung und Kontrolle des gesamten kirchlichen Vermögens (§§ 161ff. II 11), die Verhältnisse der Domkapitel und Domstifte (§§ 1022ff.) waren auf das genaueste durch das geregelt. § 1161 II 11 ALR bestimmte, daß kein königlicher Untertan, männlichen oder weiblichen Geschlechts, ohne Vorwissen und Erlaubnis des Staates in ein Kloster aufgenommen werden dürfe; ein ohne diese Erlaubnis abgelegtes Ordensgelübde erklärte § 1163 II 11 ALR als "von Anfang an nichtig". Diese tief in das Leben der Kirchen eingreifenden Befugnisse des Staates, die mit dem Begriff des "landesherrlichen Kirchenregiments" bzw. für die geschlossen katholischen Staaten der "landesherrlichen Kirchenhoheit" umschrieben werden, sind in ihrer Begründung nur aus dem Verlauf und auf dem Hintergrund der deutschen reichs- und kirchenrechtlichen Entwicklung verständlich. Gerade gegenüber neuerenStimmen im deutschen Staatskirchenrecht, die wieder eine stärkere Betonung der Subordination der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften unter die Hoheit des souveränen Staates fordern, 32 scheint es angebracht, auf die juristischen und theologischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments und der landesherrlichen Kirchenhoheit hinzuweisen. Reichsrechtlich beruht das landesherrliche Kirchenregiment auf dem Reichstagsabschied von Speyer vom Jahre 1526: Der Reichstag 32 Vgl. Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat, in: Der Staat, Bd. 1 (1962), S. 175 und S. 289 ff.; Klaus Obermayer, Staatskirchenrecht im Wandel, in: DÖV 1967, S. 9 ff.; Helmut Quaritsch, Zurück zur juristischen Methode im Staatskirchenrecht, in: NJW 1967, S. 764ff., und die bei Hermann Weber, Die Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, Berlin 1966, S. 23 f. zitierte weitere Literatur.

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stellte jedem Reichsstand frei, in den strittigen Fragen der Religion mit seinen Untertanen "für sich also zu leben, zu regieren und zu halten wie ein jeder gegen Gott und Kaiserlicher Majestät hofft und vertraut, verantworten zu können". 33 Auf dieser Grundlage begann der Ausbau des reformatorischen Landeskirchenturns mit dem Erlaß von Visitations- und Kirchenordnungen sowie der Errichtung einer Konsistorialverfassung. Der Landesherr wurde zum summus episcopus der Landeskirche. Aus der Stellung des Landesherrn als summus episcopus leitete das evangelische Kirchenrecht sowohl das ius reformandi des Landesherrn (cuius regio, eius religio) als auch dessen Verfügungsgewalt über das äußere Regiment der Kirche ab. Nach dieser älteren, als Episkopalismus bezeichneten Kirchenrechtstheorie, die noch das 17. Jahrhundert weitgehend beherrschte, vereint der Landesherr gleichsam in Personalunion die jurisdictio saecularis und in seiner Eigenschaft als praecipuum membrum Ecclesiae, als das alle anderen an Bedeutung überragende Mitglied der Kirche, auch die jurisdictio ecclesiastica. 34 Eine· gewisse Säkularisierung im Verständnis und der Begründung des landesherrlichen Kirchenregiments bedeutete die jüngere Theorie des Territorialismus: 35 Die Stellung des Fürsten wird meist nicht mehr theologisch verstanden, sondern im Sinne Samuel Pufendorfs und Hugo Grotius' bereits weitgehend aus dem vertraglichen Naturrecht begründet: Die Einheit und grundsätzliche Unbeschränktheit der auf einem Vertrage der Bürger beruhenden Staatsgewalt erfordere, daß auch die Kirche dem Staate unterworfen sei. Die Gewalt über die Kirche wird damit aus der Staatsgewalt abgeleitet. 36 Die Theorie des Territorialismus bietet staatsrechtlich den Vorteil, daß sie eine Unterscheidung in innere und äußere Angelegenheiten der Kirche (Interna und Externa) ermöglicht. Die Staatsgewalt erstreckt sich danach grundsätzlich nur auf das Äußere, nicht auf das Innere der Kirche; die Grenzziehung steht jedoch dem Staate zu, der bei Gefährdung der öffentlichen Ordnung, über deren Vorliegen er allein souverän entscheidet, auch in die Interna der Kirche eingreifen kann. Die Theorie des Territorialismus bietet von ihrem theologischen Ansatz her- im Gegensatz zur Auffassung des Episkopalismus - bereits Raum für die Möglichkeit einer Toleranzgesetzgebung und einer paritätischen Stellung mehrerer Konfessionen im Staate. 33 Insoweit abgedruckt bei Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte (Anm. 6), Bd. 2, S. 294. 34 Ulrich Scheuner, Episkopalismus, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 2 (1958), Sp. 532 f. 35 Ders., Territorialismus, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 6 (1962), Sp. 692. 36 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte (Anm. 6), Bd. 2, S. 295.

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Das Preußische Allgemeine Landrecht steht auf dem Boden eines fortentwickelten episkopalistisch-territorialistischen Systems, das allgemein als Kollegialsystem oder Kollegialismus bezeichnet wird. Entsprechend der Auffassung des rationalistischen Naturrechts sind auch die Kirchen, ebenso wie der Staat, nichts anderes als das Ergebnis eines auf Vertrag beruhenden Zusammenschlusses ihrer Mitglieder. Diese Konzeption findet ihren Ausdruck in § 11 II 11 ALR: "Religionsgesellschaften, welche sich zur öffentlichen Feier des Gottesdienstes verbunden haben, werden Kirchengesellschaften genannt". Die Kirchengesellschaften werden vom Preußischen Allgemeinen Landrecht verstanden als staatsinterne gesellschaftliche Verbände, die dem absolutistischen Staat, der die Quelle allen Rechts ist, hinsichtlich ihrer gesamten Betätigung nach außen unterworfen sind. Die für die spätere Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts und die Freiheit der Kirche im 19. und bis herein in das 20. Jahrhundert so bedeutsame Unterscheidung zwischen der allgemeinen Kirchenhoheit des Monarchen, die man als "iura circa sacra" bezeichnete, und den eigentlichen kirchenregimentliehen Befugnissen des Landesherrn, die mit dem Begriff der "iura in sacra" umschrieben wurden, gelangte erst im 18. Jahrhundert zur vollen Ausbildung. 37 Der Vorteil dieser Unterscheidung für die evangelische Kirche im 19. Jahrhundert bestand darin, daß sie eine Trennung der staatlichen Zuständigkeiten für die rein innerkirchlichen Fragen der Lehre und des Bekenntnisses (iura in sacra) auf der einen und den Bereich der Verwaltung und Organisation (iura circa sacra) auf der anderen Seite möglich machte. Die katholische Kirche erreichte im 19. Jahrhundert eine weitgehende Einschränkung der staatlichen Kirchenhoheit, indem sie mit Erfolg geltend machte, daß die lange Zeit hindurch umstrittenen Fragen, wie der unmittelbare und freie Verkehr der Bischöfe mit der römischen Kurie, die Veröffentlichung päpstlicher und bischöflicher Erlasse ohne staatliches Placet, die Ernennung und Bestellung der Bischöfe sowie die Auswahl, Anstellung und Ausbildung der Geistlichen zum innerkirchlichen Bereich und somit zu den iura in sacra gehörten. Bedenklich an dieser Unterscheidung war jedoch, daß der Staat im Konfliktsfall sich die Kompetenz zuschrieb, ausschließlich und allein darüber zu befinden, ob eine bestimmte Angelegenheit zum innerkirchlichen Bereich oder zu den iura circa sacra gehöre. Damit hatte der Staat in der Theorie jed~rzeit die Möglichkeit, nahezu alle innerkirchlichen Vorgänge seiner Kontrolle und Herrschaft zu unterwerfen. 37 Johannes Heckel, Cura religionis, in: Festschrift für Ulrich Stutz. Kirchenrechtliche Abhandlungen, Heft 117/118, Stuttgart 1938, S. 297 f.; hier zitiert nach der Sonderausgabe Darmstadt 1962, S. 74 f.

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Der Staat übte nach der Vorstellung des Preußischen Allgemeinen Landrechts über alle Konfessionen, die katholische ebenso wie über die lutherische und reformierte, hinsichtlich des äußeren Kirchenregiments die gleichen Majestätsrechte aus wie über andere Gesellschaften.38 Die betreffende Kirche konnte aber auch die Regelungen der inneren Angelegenheiten dem Landesherrn übertragen, der sie dann als Delegat der Kirche ausübte. Nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht standen dem König von Preußen über die katholische Kirche nur die staatliche Kirchenhoheit, über die lutherische und reformierte Kirche jedoch auch die kirchenregimentliehen Rechte zu. Es liegt auf der Hand, daß der Kirchenbegriff des Preußischen Allgemeinen Landrechts mit dem Selbstverständnis der katholischen Kirche und ihrem in Jahrhunderten entwickelten kanonischen Recht in unlösbarem Widerspruch stand und in der Praxis zu Konflikten führen mußte. Es meldete sich denn auch in Preußen schon sehr bald nach der Angliederung der westlichen Provinzen Rheinland und Westfalen gegen die staatskirchenrechtliche Konzeption des Preußischen Allgemeinen Landrechts von prominenter katholischer Seite entschiedener Protest. In seiner 1817 in Münster erschienenen Abhandlung Über Kirche und Staat39 lehnte Franz von Droste zu Vzschering, Domkapitular zu Münster und Hildesheim, der Bruder des späteren Kölner Erzbischofs Clemens August von Droste zu Vzschering, in sachlichem Ton, aber mit großer Bestimmtheit die Systeme des Territorialismus und des Kollegialismus, somit das geltende preußische Staatskirchenrecht, als mit dem Wesen der katholischen Kirche unvereinbar ab. Er wandte sich gegen die Vertreter der sog. "reinen Staatsrechtslehre", die die katholische Kirche begrifflich abstrahierend in zwei gleichsam getrennte Vereine scheiden möchte: in einen unsichtbaren Bund derjenigen Menschen, die in den Dogmen der katholischen Kirche innerlich übereinstimmen, und in eine Rechtsgesellschaft von staatlich anerkannter Existenz, die mit dem Staate in vielfältiger Berührung stehe. Nach dieser Auffassung müsse es konsequenterweise "so viele Kirchen in Deutschland geben, als es unabhängige deutsche Staaten gebe; jede derselben hänge nun, wie jede andere im Staat existierende Partialgesellschaft, vom Staate als der Totalität ab; sie trete als solche in das Subjektionsverhältnis gegen den Staat, sei als Gesellschaft dem Staate nicht koordiniert, sondern subordiniert, und hiermit allen rechtlichen Folgen einer solchen Subordination unterworfen; woraus denn notwendig folge, daß die kirchlich gesellschaftlichen Angelegenheiten 38

39

Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2 (Anm. 6), S. 295. 2. unveränderte Auflage, Münster 1838.

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zum Ressort des Innern des Staates gehören" .40 Droste verwarf die "Scheidungsoperation" der "reinen Staatslehre", die die Einheit der katholischen Kirche in einzelne Territorialkirchen aufsplittern und diese zu bloßen von der Staatsgewalt abhängigen Staatsanstalten herabwürdigen wolle. 41 Er trat ein für ein freundschaftliches Zusammenwirken von Staat und Kirche auf der Basis "freiwilliger Konzession und Übereinkunft". 42 In der ausgesprochen modern anmutenden Sicht Drostes stellt sich das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, das auf der Anerkennung und Beachtung des jeweiligen Wesens und der je besonderen Aufgaben des Staates und der Kirche beruhen müsse, folgendermaßen dar: "Beide, Kirche und Staat, sind wesentlich selbständig und voneinander unabhängig; zugleich aber innigst befreundet" _43 Ein unbedingtes Placet oder Veto 44 und überhaupt eine aus der Landeshoheit abgeleitete Staatskirchenhoheit sei mit dem Wesen der katholischen Kirche unvereinbar. Sie führe zur totalen Lähmung und Fesselung der Kirche. Man wird die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Preußen und den anderen deutschen Ländern im Laufe des 19. Jahrhunderts nur dann richtig deuten, wenn man sie betrachtet als eine unausweichliche, langsam sich vollziehende geistige Auseinandersetzung der Kirchen, und hier vor allem der katholischen Kirche, mit dem auf seine unbeschränkte und angeblich unbeschränkbare Souveränität pochenden anfangs absolutistischen und später - in Preußen erst seit 1848 - konstitutionell-liberalen Staat. Die Hauptlast des Kampfes hatte dabei die katholische Kirche zu tragen, die "in dieser Lockerungsbewegung führt, während die durch den landesherrlichen Summepiskopat noch eng mit dem Staat verbundene evangelische Kirche mindestens äußerlich noch in dem alten Geleise bleibt" .45 Auch von der im frühen 19. Jahrhundert- vor allem unter dem Einfluß Friedrich E. D. Schleiermachers- sich erneuernden protestantischen Theologie, die im Einklang mit der früheren Lehre die Kirche wieder mehr als göttliche Stiftung und göttliche Institution betrachtete, wurde der Kirchenbegriff des Preußischen Allgemeinen Landrechts in steigendem Maße abgelehnt. 46 40 Vgl. ebd., S. 14 ff.: "§ 4. Die Kirche ist ein sichtbarer, durch göttliche Stiftung für uns Menschen angeordneter Verein, und als solcher mit allen erforderlichen Mitteln vom Staate unabhängig." Die zitierte Stelle S. 16. 41 Ebd. S. 17. 42 Ebd. S. 23. 43 Ebd. S. 53. 44 Ebd. S. 63. 45 Rudolf Smend, Staat und Kirche nach dem Banner Grundgesetz, in: ZevKR, Bd. 1 (1951) S. 6.

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In den Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche während des 19. Jahrhunderts trat immer wieder die gleiche gegensätzliche Betrachtungsweise in Erscheinung: einmal die des Absolutismus und eines weithin antikirchlichen Liberalismus. Dem deutschen Liberalismus, der gegen die Omnipotenz des absoluten Staates die bürgerlichen Freiheitsrechte erkämpft hat, lag zwar an der vollen Freiheit des einzelnen auch in religiösen Dingen, nicht aber an der vollen Freiheit der Kirche, die er als eine die Freiheit des einzelnen wie die Kompetenzen des Staates in gleicher Weise gefährdende Kollektivmacht betrachtete. Absolutismus und Liberalismus sahen in der Haltung der katholischen Kirche einen "großangelegten Angriff gegen den modernen Staatsgedanken"Y Die konsequenten Anhänger der unteilbaren Souveränität des Staates gingen von der Voraussetzung aus, daß es im Staate eine Kirche, die von diesem unabhängig und sui iuris sei, nicht geben könne. Die andere Sicht des Verhältnisses von Staat und Kirche brachte der Leipziger Kirchenrechtslehrer Emil Friedberg, der bekanntlich selbst zu den geistigen Vatern des Kulturkampfes gehörte, nach dem Abbau der Kulturkampfgesetzgebung zum Ausdruck, als er erklärte, auch der Staat sei im 19. Jahrhundert "immer mehr zur Erkenntnis seiner eigenartigen Natur gekommen". 48 Er habe begonnen, sein Arbeitsfeld von dem der Kirche zu scheiden und seine Interessen von den kirchlichen auseinanderzuhalten. In vieler Beziehung sei er religionslos geworden. In der Pflichterfüllung der Kirche habe er eine dieser dem Staat gegenüber auferlegte Pflicht nicht mehr anzuerkennen vermocht. Dadurch, daß die katholische Kirche gegen ihre territorialistische Behandlung stets Widerspruch erhoben und der Trennung von Staat und Kirche zugestrebt habe, habe sie es verstanden, eine territorialistische Schranke nach der anderen abzustreifen. Der Grundsatz der Parität habe schließlich bewirkt, daß die der katholischen Kirche durch dieneuere Gesetzgebung eingeräumte Freiheit, wenn auch in geringerem Maße, der evangelischen Kirche gleichfalls zugestanden wurde. 49

46 Vgl. Ulrich Scheuner, Kollegialismus, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 3 (1959), Sp. 1720 f.; Adalbert Erler, Kirchenrecht, 3. Aufl., München-Berlin 1965, S. 60. 47 So z. B. H. Tiedemann, Staat und Kirche vom Untergang des alten bis zur Gründung des neuen Reiches (1806-1871), in: Historische Studien, Heft 297, Berlin 1936, S. 36. 48 Emil Friedberg, Die allgemeine rechtliche Stellung der evangelischen Kirche zum Staate, Leipzig 1887, S. 18. 49 Friedberg, ebd.

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b) Die Angliederung der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen Die Angliederung der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen stellte die preußische Staatsverwaltung vor zweifellos schwierige Aufgaben. Das Problem der Verschmelzung der kulturell und religiös anders strukturierten und von den freiheitlichen Ideen des Westens stark beeinflußten Rheinprovinz mit dem konservativ-agrarischen und in seiner Führungsschicht und seiner monarchischen Spitze protestantisch empfindenden Preußen ist denn auch bis zum Ersten Weltkrieg nicht befriedigend gelöst worden. Preußen zählte im Jahre 1817 nach der staatlichen Neuordnung 6 264 000 evangelische, d. i. 60% der Gesamtbevölkerung, und 3 945 000 katholische Einwohner, d. i. 38% der Gesamtbevölkerung. Wie schwer es für die preußische Staatsverwaltung in der Zeit unmittelbar nach dem Wiener Kongreß war, in der Praxis der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Preußen nunmehr ein paritätischer Staat geworden war, zeigt die Denkschrift "Über den Zusammenhang des Kultusministeriums mit der gesamten Staatsverwaltung", datiert "Ende April bis Anfang Mai 1819", die der erste preußische Kultusminister Karl Freiherr zum Stein von Altenstein (1817-1840) über die künftig einzuschlagende Kulturpolitik ausarbeiten ließ. Sie gibt die damals herrschende Auffassung wieder und basiert auf dem allgemeinen Grundsatz: "Der preußische Staat ist ein evangelischer Staat und hat über ein Drittel katholischer Untertanen. Das Verhältnis ist schwierig. Es stellt sich richtig dar, wenn die Regierung für die evangelische Kirche sorgt mit Liebe, für die katholische Kirche sorgt nach Pflicht. Die evangelische Kirche muß begünstigt werden. Die katholische Kirche soll nicht zurückgesetzt werden- es wird für ihr Bestes pflichtgemäß gesorgt". 50 Das dringendste Anliegen der katholischen Kirche, für das der preußische Staat zu sorgen hatte, war die Neugliederung der kirchlichen Verwaltungsorganisation, die nach dem Untergang der Kurfürstentümer Köln, Mainz und Trier weitgehend zusammengebrochen war. Das Gebiet der einzelnen Diözesen mußte nach dem Grundsatz, daß die neuen Diözesangrenzen mit den preußischen Landesgrenzen zusammenfallen sollten, neu umschrieben werden. Dazu bedurfte es der Mitwirkung des Heiligen Stuhles. Ein Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Preußen kam in dieser Frage ebensowenig zustande wie mit den übrigen deutschen Ländern, Bayern ausgenommen. Die zwischen den betreffenden Ländern und der katholischen Kirche erforderliche Einigung erfolgte vielmehr durch sog. "Zirkumskriptionsbullen", de50 Abgedruckt bei Ernst Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium vor hundert Jahren, Stuttgart und Berlin 1918, S. 279-293 (281).

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ren Inhalt vertraglich vereinbart wurde. Der Sache nach sind sie den Landeskonkordaten zuzurechnen, wenn ihnen auch ein geringerer Grad an Feierlichkeit beim Abschluß eignet. 51 Sechs Jahre lang schleppten sich die Verhandlungen hin, die durch den preußischen Gesandten am päpstlichen Hof, den Historiker und Philologen Barthold Georg Niebuhr, geführt und durch den preußischen Staatskanzler Fürst Carl August von Hardenberg zum Abschluß gebracht wurden, bis schließlich am 16. Juli 1821 von Papst Pius VII. die Bulle "De salute animarum" veröffentlicht werden konnte. 52 Von König Friedrich Wilhelm III. wurde die Bulle durch Kabinettsordre vom 23. August 1821 mit der königlichen "Billigung und Sanktion" 53 versehen und anschließend in der Gesetzessammlung publiziert. Hauptinhalt der Zirkumskriptionsbulle war die Errichtung der beiden Kirchenprovinzen Köln mit den Bistümern 'I'rier, Münster und Paderborn für den Westen und Gnesen-Posen mit Kulm im Osten. Die Bistümer Breslau und Ermland blieben exemt. Die Bistumsgrenzen wurden neu umschrieben, die Zusammensetzung der Domkapitel bestimmt und das Bischofswahlrecht den Domkapiteln zugestanden. Durch das gleichfalls vereinbarte Breve vom 16. Juli 1821 wurde den Domkapiteln eingeschärft, niemanden zum Bischof zu wählen, von dem sie wüßten, daß er dem König minder genehm sei. Der König hatte das Recht, minder genehme Personen von der Wahl zum Bischof auszuschließen. Die Zirkumskriptionsbulle von 1821 wurde erst in der Weimarer Zeit durch das preußische Konkordat vom 14. Juni 1929 ersetzt, das jedoch die früheren Regelungen weitgehend bestehen ließ. 54

c) Der preußische Mischehenstreit Zum ersten großen Konflikt zwischen der katholischen Kirche und der preußischen Regierung kam es im Jahre 1837. In der kirchengeschichtlichen und kirchenrechtlichen Literatur wird diese Auseinandersetzung als Kölner Wirren 55 oder als Kölner Ereignis 56 oder als Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1 (Anm. 4), S. 399. Josef Grisar, Die preußische Konvention mit dem Heiligen Stuhle vom Jahre 1821, in: Stimmen der Zeit, Bd. 101 (1921), S. 351 ff. (354). 53 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789,.ßd. 1 (Anm. 4), S. 444. 54 Klaus Mörsdorf, De salute animarum, in: LThK, 2. Aufl., Bd. 3 (1959), Sp. 243f. 55 So der Titel des Buches von Heinrich Schrörs, Berlin und Bonn 1927. Vgl. auch Rudolf Lill, Die Beilegung der Kölner Wirren 1840-1842, Düsseldorf 1962. 56 Vgl. Eduard Hegel, Kölner Ereignis, in: LThK, 2. Aufl., Bd. 6 (1961), Sp. 394f. 51 52

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Kölner Kirchenstreit 57 bezeichnet. Im Hintergrund und Ursprung dieses Konflikts stehen die Schwierigkeiten der Einfügung RheinlandWestfalens in den preußischen Staatsverband. 58 Wenn Ulrich Scheuner von dem späteren Kulturkampf sagt, daß "mangelnde Kenntnis des katholischen Glaubens" 59 die preußische Regierung in jene Auseinandersetzung geführt habe, so gilt das in gleicher Weise von dem Kölner Kirchenstreit. Eines der Mittel, die Rheinprovinz und Westfalen enger an den Staat zu binden, sah die preußische Regierung in einer konsequenten Personalpolitik. Statt äußerste Rücksicht auf die Gefühle der Betroffenen walten zu lassen, wie es in Situationen, in denen sich politische Gesichtspunkte mit konfessionellen überlagern, ganz besonders erforderlich ist, nahm die preußische Regierung, der psychologisches Geschick in diesem Fall nicht nachgerühmt werden kann, eine massenhafte Versetzung von Beamten aus den östlichen Provinzen in das Rheinland und nach Westfalen vor. Nicht nur alle hohen Regierungsstellen wurden auf diese Weise mit evangelischen Beamten besetzt. Wie Karl Bachern schreibt, wurde auch bei allen nachgeordneten Behörden ohne Ausnahme nach Möglichkeit dasselbe System befolgt. 60 Diese Tatsache, die im Rheinland als permanente Kundgabe des Mißtrauens seitens der preußischen Regierung und gleichzeitig als Versuch der Protestantisierung empfunden wurde, stieß in der Rheinprovinz in steigendem Maße auf Ablehnung. Aus der massenhaften Versetzung evangelischer Beamter in katholische Gegenden, die sich hier mit katholischen Mädchen verheirateten, erwuchs das Problem der gemischten Ehen, das schließlich zum Konflikt zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat führte. 61 Das Preußische Allgemeine Landrecht hatte in § 76 II 2 bestimmt, daß von Kindern, deren Eltern verschiedenen Glaubensbekenntnissen zugetan seien, bis nach zurückgelegtem vierzehnten Jahre die Söhne in der Religion des Vaters, die Töchter aber in dem Glaubensbekenntnisse der Mutter unterrichtet werden sollten. Entgegenstehende vertragliche Verpflichtungen der Brautleute waren für nichtig erklärt. Waren je57 Vgl. Karl Gerhard Steck, Kölner Kirchenstreit, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 3 (1959), Sp. 1698 f. 58 Ebd. 59 Ulrich Scheuner, Der Staatsgedanke Preußens, Köln-Graz 1965, S. 41. so Bachern, Vorgeschichte Bd. 1 (Anm. 6), S. 149. 61 Zur juristischen Problematik des Mischehenstreits vgl. Friedrich Hermann Fonk, Das staatliche Mischehenrecht in Preußen vom Allgemeinen Landrecht an, Bielefeld 1961.

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doch die Eltern sich einig, alle Kinder im gleichen Bekenntnis zu erziehen, so hatte "ein Dritter kein Recht, ihnen darin zu widersprechen"(§ 781I 2 ALR). Im größten Teil der Rheinprovinz galt jedoch nicht das Allgemeine Landrecht, sondern der Code civil, der in Sachen der religiösen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen dem Vater als dem Inhaber der elterlichen Gewalt freie Hand ließ. Weder gegen die Regelung des Preußischen Allgemeinen Landrechts noch gegen die Vorschriften des Code civil erhob sich von seiten der katholischen Kirche ein nennenswerter Widerstand. Eine Verschärfung der Situation trat aber bald aus einem anderen Grunde ein. König Friedrich Wilhelm III. hatte in einer Deklaration vom 21. November 1803 in Abänderung der Regelung des Preußischen Allgemeinen Landrechts verordnet, daß bei konfessionell gemischten Ehen fortan alle ehelichen Kinder stets in der Religion des Vaters zu erziehen seien. In den Motiven, mit denen diese Verordnung vom Ministerium vorgelegt wurde, wurde erklärt, sie solle "eine wirksame Maßregel gegen das Proselytensystem der Katholischen" und "zur Beschützung des evangelischen Glaubens" sein; "denn in einem Staat, wo die Mehrzahl der Einwohner evangelisch ist, muß der Fall, daß ein evangelischer Mann eine katholische Frau heiratet, häufiger sein als der umgekehrte, weil gemischte Ehen meist durch Ortsveränderungen herbeigeführt werden". 62 In den östlichen Provinzen Preußens fügte sich die katholische Kirche dieser staatlichen, dem kanonischen Recht widersprechenden Verordnung. Konfessionell gemischte Ehen wurden dort vom katholischen Pfarrer, dem damals zugleich auch die Funktion des heutigen Standesbeamten zukam, auch dann geschlossen, wenn der evangelische Bräutigam das Versprechen, die Erziehung der Kinder im katholischen Glauben zuzulassen, nicht abgab oder sogar ausdrücklich verweigerte. 1815, beim Anschluß des Rheinlands und Westfalens an Preußen, nahm die preußische Regierung davon Abstand, die Verordnung von 1803 auch in den beiden westlichen Provinzen einzuführen. Hier galt vorerst in Westfalen und auf dem rechten Rheinufer die Regelung des Preußischen Allgemeinen Landrechts, auf dem linken Rheinufer der Code civil. Durch Kabinettsordre König Friedrich Wilhelms III. vom 17. August 1825 wurde die Deklaration vom 21. November 1803 auch auf die Rheinprovinz und Westfalen ausgedehnt. Die Katholiken des Westens denen in den Besitzergreifungspatenten des Jahres 1815 der Schutz ih62

Bachern, Zentrumspartei, Bd. 1 (Anm. 8), S. 175.

17 Sbd. List!

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rer Religion ausdrücklich zugesichert worden war, sahen in jener Kabinettsordre eine Verletzung des königlichen Versprechens. Die katholischen Pfarrer fuhren daher fort, katholisch-kirchliche Trauungen konfessionell gemischter Paare nur dann vorzunehmen, wenn das Versprechen der Erziehung sämtlicher Kinder im katholischen Bekenntnis gegeben wurde. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die betreffenden Brautpaare, sofern sie die Vorschriften des kanonischen Eherechts nicht erfüllen wollten, die Möglichkeit hatten, ihre Ehe vom zuständigen evangelischen Pfarrer einsegnen zu lassen. Auch der Erzbischof von Köln, Ferdinand August Graf Spiegel, beugte sich anfangs nicht den Wünschen der preußischen Regierung. Diese knüpfte daraufhin Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhle an, die durch den preußischen Gesandten Ritter Christian Karl Josias von Bunsen geführt wurden. Es kann nun nicht behauptet werden, Rom habe den Kampf mit dem preußischen Staat von sich aus gesucht. Papst Pius VIII. kam vielmehr den preußischen Forderungen weit entgegen und schuf für Preußen ein eigenes Mischehenrecht, das Zugeständnisse in einem Umfang enthielt, wie sie bis dahin noch niemals einem anderen Lande eingeräumt worden waren. 63 In dem Breve "Literis altero abhinc" vom 25. März 1830 wurde der Abschluß einer Mischehe vor dem katholischen Pfarrer auch dann gestattet, wenn der evangelische Partner das Versprechen, die Kinder im katholischen Glauben erziehen zu lassen, ausdrücklich verweigerte. Die Vorbehalte der katholischen Kirche gegen solche Ehen sollten dadurch zum Ausdruck kommen, daß den Pfarrern die "aktive Assistenz" beim Abschluß der Ehe, d. h. die Entfaltung der vollen Feierlichkeit der Liturgie mit kirchlicher Proklamation, Brautmesse, Benediktion und rituellen Zeremonien, untersagt war. Die Pfarrer durften in diesen Fällen nur "passive Assistenz" leisten, d. h., sie hatten "außerhalb der Kirche, an ehrbarem Ort, ohne jede liturgische Gewandung und ohne liturgische Betätigung, in Gegenwart der Zeugen den Ehekonsens entgegenzunehmen und den Abschluß in das Eheregister einzutragen". 64 Mit dem in Rom Erreichten war die preußische Regierung jedoch noch nicht zufrieden. Sie wollte, und darum ging im letzten der Streit, die volle Anerkennung des staatlichen preußischen, mit dem kanonischen in Widerspruch stehenden Eherechts durch die katholische Kirche. 65 Schrörs, Die Kölner Wirren (Anm. 55), S. 243. Fonk, Das staatliche Mischehenrecht (Anm. 61), S. 107; Heinrich Schrörs, ebd., S. 124. 65 Fonk, ebd., S. 107; Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 108 ff. 63

64

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Von seiten der Kirche wurde das Vorgehen des Staates als Eingriff in das innere Leben der Kirche und in eine rein religiöse Angelegenheit betrachtet, für den schon deshalb keinerlei Notwendigkeit bestand, weil diejenigen Ehepaare, die ihre Kinder nicht im Glauben der katholischen Kirche erziehen wollten, ja die Möglichkeit hatten, eine evangelisch-kirchliche Ehe einzugehen. Wie sehr die Bischöfe jedoch auch jetzt noch vor einer Kraftprobe mit der preußischen Regierung zurückschreckten, beweist die Tatsache, daß der Kölner Erzbischof Ferdinand August Graf Spiegel dem Drängen der preußischen Regierung nachgab und am 19. Juni 1834 mit dieser eine Konvention abschloß, zu deren Annahme er auch die Bischöfe von Trier, Münster und Faderborn bewog. In dieser Konvention, die vor dem Papst und der Öffentlichkeit geheimgehalten wurde, unterwarfen sich die Bischöfe im Ergebnis völlig den Wünschen der Regierung. 66 Als Rom von der Geheimkonvention dennoch erfuhr, erhielt der Nachfolger des Erzbischofs Ferdinand August Graf Spiegel, der auf Betreiben der preußischen Regierung 67 und gegen den Widerstand des Kölner Domkapitels 1836 von Münster nach Köln berufene Erzbischof Clemens August von Droste zu Vischering, im Frühjahr 1837 Weisung, sich an das Breve von 1830 zu halten. Bereits vorher war es zwischen dem Erzbischof und der preußischen Regierung zu Schwierigkeiten gekommen, als von Droste zu Vzschering, dessen feste Haltung die Regierung sehr überraschte, den Theologiestudenten seines Bonner Seminars untersagte, die Vorlesungen mehrerer Professoren der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Bonn zu besuchen, die als Anhänger des Philosophen Georg Hermes galten, gegen dessen Lehre von seiten der katholischen Kirche Einwände erhoben wurden. Der Kölner Erzbischof führte die Anweisung Roms aus und befahl seinen Pfarrern, sich streng an das Breve von 1830 zu halten. Verhandlungsversuche der preußischen Regierung ließ er scheitern. König Friedrich Wilhelm III. verfügte daraufhin durch eine Kabinettsordre vom 15. November 1837, Droste habe sich aller Amtshandlungen zu enthalten und sich nach Münster zu begeben. Als dieser erklärte, nur der Gewalt weichen zu wollen, wurde er am 20. November 1837 auf königlichen Befehl gefangengenommen und auf die Festung Minden gebracht. Daraufhin erklärten auch die Bischöfe von Münster und Faderborn ihren Rücktritt von der Geheimkonvention vom 16. Juni 1834. Im darauffolgenden Jahr stellte sich auch der Erzbischof von 66 Fonk, ebd., S. 108ff.; Hegel, Kölner Ereignis (Anm. 56), Sp. 394; Steck, Kölner Kirchenstreit (Anm. 57), Sp. 1698. 67 Schrörs, KörnerWirren (Anm. 55), S. 243.

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Gnesen-Posen, Martin von Dunin, ebenfalls gegen die preußische Mischehendeklaration. Während gegen den Erzbischof von Köln nie ein gerichtliches Verfahren stattfand, wurde gegen den Erzbischof von Gnesen durch Kabinettsordre vom 21. Juli 1838 eine Kriminaluntersuchung eingeleitet und dieser durch Urteil des Oberlandesgerichts Posen vom 23. Februar 1839 des Rechtes verlustig erklärt, sein kirchliches Amt weiterhin auszuüben, und mit einer sechsmonatigen Festungshaft belegt, die dann auf dem Gnadenweg in einen zwangsweisen Aufenthalt in Berlin umgewandelt wurde. Als Dunin nach Ablauf der sechs Monate nach Gnesen zurückkehrte, wurde er verhaftet und neun Monate auf der Festung Kolberg in Haft gehalten. 68 Vor allem die Verhaftung des Kölner Erzbischofs erregte in Deutschland gewaltiges Aufsehen. Der Papst stellte sich in einer Allocutio hinter von Droste zu Vischering, und die öffentliche Meinung nahm sich des Falles in einer bis dahin noch nie dagewesenen Weise an. Unter den mehr als 300 Schriften, die damals im Zusammenhang mit dem Kölner Ereignis erschienen und trotz der strengen Zensur zahlreich nach Preußen eingeführt wurden, gewann das Buch Athanasius 69 von Joseph von Görres besondere Publizität, während die von der preußischen Regierung ins Leben gerufene literarische Gegenaktion wenig Eindruck machte. 70 Der Regierung blieb schließlich nichts anderes übrig, als einzulenken. Der Konflikt wurde beigelegt durch den Nachfolger Friedrich Wilhelms III., König Friedrich Wilhelm IV., der im Juni 1840 den Thron bestieg. Erzbischof von Dunin kehrte nach Posen zurück. Erzbischof von Droste zu Vischering wurde durch eine öffentliche Ehrenerklärung des Königs persönlich rehabilitiert und verzichtete auf die weitere Ausübung seines Amtes. Er erhielt in der Person des von Speyer nach Köln berufenen Bischofs Johannes von Geissel einen Coadiutor cum iure successionis. Die staatlichen Eingriffe in die Behandlung der gemischten Ehen wurden aufgehoben. Eine Kabinettsordre vom 11. Januar 1841 griff eine alte Anregung des Reichsfreiherrn Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, der schon dreißig Jahre vorher empfohlen hatte, die katholischen Angelegenheiten aus dem Geschäftsbereich des Kultusministeriums auszu-

Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 178 f. 1. Auflage Regensburg 1837; 4. Auflage Regensburg 1838. 70 Darüber sehr eingehend Schrörs, Kölner Wirren (Anm. 55), S. 585 ff.; vgl. auch Steck, Kölner Kirchenstreit (Anm. 57), Sp. 1699. 68

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gliedern und einem katholischen Kultusminister zu unterstellen, 71 insofern auf, als im Kultusministerium eine mit drei katholischen Beamten besetzte "Katholische Abteilung" eingerichtet wurde. Gleichzeitig wurde dort auch eine Abteilung für evangelische Angelegenheiten geschaffen. Der Briefverkehr der Bischöfe und Domkapitel mit der römischen Kurie, der bisher nur durch Vermittlung des Ministeriums hatte stattfinden dürfen, wurde völlig freigegeben. Das staatliche Placet für alle bischöflichen Akte rein kirchlicher Natur wurde fallengelassen, 72 die staatliche Zensur der theologischen Schriften gemildert und erträglicher gestaltet, der Einfluß der Regierung auf die Bischofswahlen neu geregelt und eingeschränkt. Gegenüber den Regelungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts bedeutete die jetzt gewonnene Freiheit für die katholische Kirche einen großen Fortschritt. Zwar blieb das System der strengen staatlichen Kirchenhoheit grundsätzlich bestehen. Die Kirche besaß aber die Möglichkeit einer freieren Entfaltung und in beschränktem Maße einer selbständigen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. Der Grundsatz des Preußischen Allgemeinen Landrechts, den noch im Jahre 1837 der preußische Kultusminister Freiherr von Altenstein in einer Instruktion an den Kurator der Universität Bonn betont hatte, daß es neben der landesherrlichen allerhöchsten Macht keine unabhängige geistliche Gewalt geben könne und daß allein der König die oberste Quelle auch des geistlichen, d. h. des Kirchenrechtes sei, so daß der geistliche Obere nur mit seinem Vorwissen und seiner Zulassung das kirchliche Leben durch Gebote und Satzungen bestimmen könne, 73 war damit in der Praxis aufgegeben. Aufseiten der katholischen Kirche war man sich aber darüber im klaren, daß die Beilegung des Konflikts weitgehend der Person König Friedrich Wilhelms TV. zu verdanken war. 3. Die Entwicklung in Bayern, Südwestdeutschland und Hannover

In Bayern, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt hatten nach dem Wiener Kongreß die kurz vorher noch absolutistisch eingestellten Landesherren aus Gründen der dynastischen Selbstbehauptung und Bachem, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 149 und S. 193 ff. Zirkularrundschreiben des Preußischen Ministers der geistlichen Angelegenheiten vom 1. 1. 1841, auszugsweise bei Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts (Anm. 23), S. 76 mit Anm. 26. 73 Vgl. ebd., S. 76 mit Anm. 25. 71

72

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der Staatsraison ihren Ländern Verfassungsurkunden nach dem Vorbild der französischen Chartre von 1814 gegeben, die mit der fortdauernden monarchischen Souveränität die Mitwirkungsrechte von Volksvertretungen verbanden. Unter diesen geschriebenen Verfassungen, die erstmals in Deutschland Grundrechte gewährten und die Gewaltenteilung, das Zweikammersystem und die Ministerverantwortlichkeit, das bürgerliche Wahlrecht und das freie Abgeordnetenmandat einführten, 74 entwickelte sich das politische Leben im deutschen Süden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutend freiheitlicher und liberaler als etwa im damaligen Preußen. Diese Verfassungen gewährten allen Staatsbürgern, auch denjenigen, die keiner christlichen Konfession angehörten, ungestörte und vollkommene Gewissensfreiheit. 75 Ein gewisser Vorzug für die Angehörigen der christlichen Konfessionen blieb zwar aufrechterhalten, aber die Freiheit des Glaubens der Andersdenkenden wurde nicht länger angetastet. 76 In vollem Umfang wahrten die konstitutionellen Verfassungen jedoch das in der Zeit des Territorialismus ausgebildete "Obersthoheitliche Schutz- und Aufsichtsrecht" 77 des Staates über die Kirchen, die staatliche Kirchenhoheit. 78 Die staatskirchenrechtliche Entwicklung in Bayern, dem neben Hohenzollern-Sigmaringen und dem Fürstentum Liechtenstein einzigen deutschen Bundesstaat mit einem katholischen Monarchen und einer überwiegend katholischen Bevölkerung, vollzog sich im 19. Jahrhundert zwar ohne die Härten des preußischen Systems, aber in den gleichen Bahnen der allmählichen Beseitigung der auf der Idee der Staatssouveränität beruhenden, die Kirche als untergeordneten Teil des Staates betrachtenden Staatskirchenhoheit.

74

Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 1, S. 317.

Vgl. Tit. IV, § 9 Bay. Verf. vom 26. 5. 1818; § 18 Bad. Verf. vom 22. 8. 1818; § 27 Württ. Verf. vom 25. 9. 1819. 76 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 1, S. 357; weiter ging die Verfassung für das Kurfürstentum Kurhessen vom 5. 1. 1831, die jedem Einwohner vollkommene Freiheit des Gewissens und der Religions-Übung garantierte; vgl. § 30 dieser Verfassung; Text bei Liermann, Kirchen und Staat (Anm. 5), Bd. 1, S. 6 ff. 77 Tit. IV, § 9 Abs. 5 Bay. Verf. 78 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 1, S. 396 mit Anm. 5; vgl. unter dieser Rücksicht auch§ 133 der Kurhessischen Verfassung bei Liermann, Kirchen und Staat (Anm. 5), Bd. 1. 75

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a) Bayern Zur Regelung der Diözesaneinteilung schloß Bayern am 5. Juni 1817 als einziger deutscher Staat nach dem Wiener Kongreß mit dem Heiligen Stuhl ein fönnliches Konkordat, in dem sog. "Landesbistümer" vereinbart wurden, deren Grenzen mit den Landesgrenzen zusammenfielen. Es wurden die beiden noch heute bestehenden Kirchenprovinzen gegründet, das Erzbistum München-Freising mit den Diözesen Augsburg, Regensburg und Passau und das Erzbistum Bamberg mit den Diözesen Eichstätt, Würzburg und Speyer. Dem König von Bayern wurde dabei als einzigem deutschen Landesherrn das Ernennungsrecht der Bischöfe zugestanden, dem Papst verblieb nur die Möglichkeit der kanonischen Einsetzung der vom König ernannten Bischöfe79 . Der König besaß nach dem Konkordat ein ausgedehntes Ernennungsund Präsentationsrecht bei der Besetzung der Kirchenämter und Pfarreien. Dafür sollten die uneingeschränkte Verwaltung der Diözesen und die Schulaufsicht über den öffentlichen Religionsunterricht ausschließlich den Bischöfen zustehen. Der Staat übernahm die Verpflichtung einer angemessenen Dotation der bischöflichen Stühle, Domkapitel und Seminarien und garantierte ungestörten Besitz des Kirchengutes. Als das Konkordat noch vor seiner Publikation bei den bayerischen Protestanten, die wegen des weitgehenden Entgegenkommens ihrer Regierung den Wünschen Roms gegenüber für ihre paritätische Stellung im Staat fürchteten, und bei großen Teilen des staatskirchenhoheitlich gesinnten liberalen Bürgertums auf heftige Kritik stieß, 80 änderte es die Regierung, die nach französischem Vorbild vorgab, das Konkordat nur unter dem Vorbehalt der Staatshoheit abgeschlossen zu haben, kurzerhand in staatskirchlichem Sinne durch die Publikation des Religionsedikts ab, das als Beilage II zur Verfassung vom 26. Mai 1818 zeitlich vor dem Konkordat veröffentlicht wurde. Das Religionsedikt stellte in aller Schärfe die frühere bayerische Staatskirchenhoheit wieder her: Es hielt fest am staatlichen Placet für päpstliche Erlasse, am recursus ab abusu, d. h. an der Möglichkeit der Appellation an die Regierung gegen Erlasse kirchlicher Behörden, und regelte die Aufsichtsgewalt des Staates über die Kirche im einzelnen. 81

79

Art. 9 des Bayerischen Konkordats, abgedruckt bei Raab, Kirche und Staat

(Anm. 5), S. 233 f.; zum Ganzen vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 1, S. 423 ff. 80 Auch Metternich war ein entschiedener Gegner des Konkordats; vgl., Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 206, mit Anm. 1. 81 Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 94.

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Bereits im Toleranzedikt vom 10. Januar 1803 hatte Bayern den drei reichsrechtlich anerkannten christlichen Bekenntnissen volle Parität und allen bayerischen Bürgern gleiche bürgerliche Rechte, Gewissensfreiheit und ungehinderte Religionsausübung gewährt. 82 Die Verfassung vom 26. Mai 1818 garantierte erneut den "drei christlichen Kirchengesellschaften" "gleiche bürgerliche und politische Rechte". 83 Die Eingliederung der neuerworbenen evangelischen Gebiete in den bayerischen Staatsverband vollzog sich reibungslos und ohne besondere Schwierigkeiten. Der bayerische Staat vermied den Bewohnern der neuerworbenen Gebiete gegenüber weitgehend die Fehler, die Preußen im Rheinland und in Westfalen machte. Der Anteil hoher evangelischer Beamter in der bayerischen Staatsverwaltung war von Anfang an größer, als es dem Zahlenverhältnis der evangelischen Bevölkerung Bayerns entsprach, 84 was sich vor allem aus der Übernahme des Verwaltungsapparats der vormals fränkisch-hohenzollerischen Gebiete in die bayerische Verwaltungsorganisation erklärt. Einen Exzeß des bayerischen Staatskirchenturns bedeuteten im 19. Jahrhundert die Vorgänge im Zusammenhang mit der "Kniebeugungsaffäre". Eine Order König Ludwigs I. vom Jahre 1838 verfügte, daß bei den zu katholischen Militärgottesdiensten abgeordneten militärischen Einheiten keine Rücksicht darauf zu nehmen sei, ob sich darunter auch Angehörige des evangelischen Bekenntnisses befänden. Auch von den evangelischen Soldaten wurde dabei verlangt, während der Militärgottesdienste bei der Wandlung und beim Segen sowie bei der Fronleichnamsprozession niederzuknien. Trotz mehrfacher Vorstellungen des Evangelischen Oberkonsistoriums in München hielt der König seine Anordnung, die in Deutschland viel von sich reden machte, aufrecht. Erst um die Mitte der vierziger Jahre wurde die Order zurückgenommen. 85 Ungeklärt ist, ob diese Maßnahme Ludwigs I. nicht eine Reaktion auf ähnliche Vorgänge gegenüber katholischen Soldaten in Preußen 82 Text des Edikts bei Gerhard Pfeiffer, Die Umwandlung Bayerns in einen paritätischen Staat, in: Bayern, Staat und Kirche, Land und Reich. Gedächtnisschrift für Wilhelm Winkler, München o. J. (1961), S. 106-109. Über die Gewährung der religiösen Gleichberechtigung vgl. ebd. S. 85, bes. S. 91 ff. Über das bayerische Staatskirchenturn im 19. Jahrhundert vgl. das anonym erschienene Buch, Das Recht der Kirche und die Staatsgewalt in Bayern seit dem Abschluß des Concordates. Eine kirchlich politische Denkschrift, Schaffhausen 1852. Verfasser ist der zum Görres-Kreis gehörende katholische Priester Michael von Strodl. 83 Raab, Kirche und Staat (Anm. 5),. S. 235. 84 Vgl. dazu Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 212. 85 Georg Schwaiger, Katholische Kirche und evangelisches Christentum in Bayern, in: Stimmen der Zeit, Bd. 167 (1960/61), S. 380.

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darstellte. Dort hatte König Friedrich Wilhelm III. in der Order vom 2. Februar 1810 auch den katholischen Soldaten die Teilnahme am evangelischen Militärgottesdienst befohlen. 86 Die revidierte Militärkirchenordnung von 1832 brachte eine wohlausgestattete protestantische Militärseelsorge mit einem Feldpropst an der Spitze; katholische Militärgeistliche waren dagegen für Friedenszeiten nicht vorgesehen. 87 Die Militärkirchenordnung von 1832 befahl wiederum auch den katholischen und jüdischen Soldaten die Teilnahme am evangelischen Militärgottesdienst an jedem vierten Sonntag, "um sie an die nötige Achtung für die Hauptreligion des Landes zu gewöhnen". Allerdings hatte der König zu diesem Zweck eine "ganz unanstößige Liturgie" angeordnet und den Predigern befohlen, "nicht über Streitpunkte und kurz zu predigen". 1837 wurde diese Verpflichtung für die katholischen und jüdischen Soldaten schließlich zurückgezogen. 88 b) Im südwestdeutschen Raum Am schwierigsten gestaltete sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im südwestdeutschen Raum. Die Staaten Baden, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Nassau, die Freie Stadt Frankfurt und Kurhessen schlossen sich zu einem kirchenpolitischen Aktionsprogramm zusammen und trafen nach langwierigen Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl eine Vereinbarung, die in der Zirkumskriptionsbulle "Provida solersque" vom 16. August 1821 ihren Niederschlag fand. Danach wurde eine Oberrheinische Kirchenprovinz gegründet mit dem Erzbistum Freiburg für Baden und Hohenzollern und vier Bistümern: Mainz für Hessen-Darmstadt, Rottenburg für Württemberg, Fulda für Kurhessen, und Limburg für Nassau und Frankfurt am Main. Die Staaten hielten an den überkommenen staatskirchenhoheitlichen Grundsätzen fest und erreichten zwar nicht das Ernennungsrecht für die Bischöfe, aber ein negatives Ausschlußrecht, ein faktisch unbeschränktes Veto. Bezeichnend für das staatskirchenrechtliche Regiment in den Staaten der Oberrheinischen Kirchenprovinz ist die Tatsache, daß Erzbischof Ignaz Anton Demeter von Freiburg (1836 bis 1842) auch nicht eine Zeile nach Rom schreiben konnte, die nicht vorher die Billigung des reaktionären Staatsministers von Blittersdorf gefunden hatte. 89 86 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 4: Die religiösen Kräfte, 3. Aufl., Freiburg 1955; S. 132; vgl. auch Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 190. 87 Schnabel, Deutsche Geschichte (Anm. 86), Bd. 4. 88 Ebd., S. 133.

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Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts

c) Hannover

Mit dem Königreich Hannover, das bis zum Jahre 1837 mit der Krone Englands in Personalunion verbunden war, kam am 26. März 1824 ebenfalls eine Abmachung mit der katholischen Kirche zustande, die in der Zirkumskriptionsbulle "Impensa Rarnanorum Pontificum sollicitudo" verkündet wurde. Darin wurde vereinbart, daß die beiden Diözesen Hildesheim und Osnabrück wiederhergestellt und exemt bleiben sollen. Die bisherigen Kirchenhoheitsrechte des Königs von Hannover blieben erhalten. Mit dem Königreich Sachsen, mit Mecklenburg, Braunschweig und Holstein kam eine Übereinkunft mit der katholischen Kirche nicht zustande. Die sächsische Verfassung vom 4. September 1831 verfestigte die Hoheit des Staates über die Kirche. 90 Noch um die Mitte des Jahrhunderts war in diesen Staaten eine drückende religiöse Intoleranz festzustellen. ll. Von der Frankfurter Nationalversammlung bis zur Weimarer Verfassung 1. Die Frankfurter Nationalversammlung und

die preußische Verfassung von 1851

a) Die Frankfurter Nationalversammlung

Das Revolutionsjahr 1848 bedeutete auch für das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland den Beginn eines neuen Abschnittes. Mit großem Nachdruck forderten die katholische, aber auch maßgebliche Vertreter der evangelischen Kirche 91 den Rückzug des Staates von 89 Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 95 ff.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 1, S. 438; über das drückende Staatskirchenturn in Württemberg siehe Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 1, S. 235 ff. 90 E. Klein, Sachsen, in: Wetzerund Welte's K.irchenlexikon, 3. Aufl., Bd. 10, Freiburg 1897, Sp. 1457 ff.; Raab, ebd., S. 99. 91 Vgl. die von Ludwig Aemilius Richter 1849 herausgegebenen "Amtlichen Gutachten die Verfassung der evangelischen Kirche in Preußen betreffend" mit Äußerungen der theologischen Fakultäten und Konsistorien für eine selbständige Verfassung der Kirche. Sie wurden erarbeitet im Auftrag des Kultusministers. Hinweis bei Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959/60), S. 238 mit Anm. 31. Vgl. auch Wilhelm Eduard Wilda, Erörterungen und Betrachtungen über Gewissensfreiheit, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 11, Tübingen 1847, S. 161-253: "Es ist daher eine der Hauptaufgaben der Zeit, der evangelischen Kirche eine Organisation zu erringen, durch welche ihr eine sol-

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der bisher den Kirchen gegenüber geübten Bevormundung. Als es in Frankfurt zum Entwurf von Grundrechten für die Verfassung des zu gründenden Deutschen Reiches kam, bildete sich am 14. Juni 1848 als lockere interfraktionelle Verbindung der "Katholische Klub", um die kirchenpolitischen Ziele der nur eine Minderheit darstellenden Katholiken wirkungsvoller vertreten zu können. 92 Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, daß die katholischen Vertreter in der Frankfurter Nationalversammlung anfangs nahezu geschlossen für eine Trennung von Kirche und Staat nach belgischem oder amerikanischem Vorbild eintraten, weil sie nur so die Freiheit der Kirche gesichert sahen. Der Verfassungsausschuß, in dessen Händen die Vorberatung der Grundrechte und der verfassungsmäßigen Errichtung des geplanten neuen Reiches lag, lehnte es jedoch ab, die von den Katholiken verlangte Unabhängigkeit der Kirche vom Staat auszusprechen. Die Ablehnung des Antrags wurde damit begründet, a) daß konfessionelle Fragen nicht mit den politischen in Verbindung gebracht werden sollten; b) daß, wenn der Grundsatz der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat anerkannt würde, der Staat gegen die Übergriffe der unabhängig gewordenen Kirche durch besondere Bestimmungen geschützt werden müßte; c) daß Rücksicht genommen werden müsse auf die evangelischen Landeskirchen, die so eng mit dem Staat verwachsen seien, daß sie eine plötzliche Trennung nicht wohl vertragen könnten. 93 Als Reaktion auf die abweisende Antwort des Verfassungsausschusses wurde von den katholischen Kirchengemeinden und den in ganz ehe freie Stellung, zu deren Besitze sie durch den Gang, welchen die Reformation genommen hat, nicht hat gelangen können, gesichert werde" (ebd., S. 243). Schon viele Jahre vorher hatte dieses Anliegen Ausdruck gefunden in dem damals Aufsehen erregenden Buch des evangelischen Theologen Heinrich Christian Michael Rettig (t 1836), Die freie protestantische Kirche oder die kirchlichen Verfassungsgrundsätze des Evangeliums, Gießen 1832, in dem der Verfasser Trennung des Staates und der Kirche, Religionsfreiheit, Selbständigkeit der Religionsgesellschaften, Bildung von Presbyterien und Synoden, eine Synodalregierung und zum Zwecke der Darstellung auch der äußeren Einheit der protestantischen christlichen Kirche die Schaffung einer Generalsynode forderte. Vgl. bes. S. 3 ff., S. 26 ff., S. 113 ff., S. 330 f. 92 Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 2, Köln 1927, S. 36 ff.; vgl. auch Karl Buchheim, Ultramontanismus und Demokratie. Der Weg der deutschen Katholiken im 19. Jahrhundert, München 1961, S. 35 ff. und S. 61 ff.; ferner Hermann Storz, Staat und Katholische Kirche in Deutschland im Lichte der Würzburger Bischofsdenkschrift von 1848, Bonn 1934, S. 10 ff. 93 Bachern, ebd., Bd. 2, S. 39.

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Deutschland ad hoc gegründeten Piusvereinen daraufhin eine Petitionsbewegung großen Ausmaßes an den Verfassungsausschuß der Nationalversammlung organisiert, die dort ihre Wirkung nicht verfehlte. Bis zur ersten Lesung der Grundrechte in der Nationalversammlung liefen von den Piusvereinen insgesamt 1142 Petitionen mit 273 135 Unterschriften ein. Die Zahl dieser Petitionen machte neun Zehntel aller Petitionen aus, die überhaupt an den Verfassungsausschuß gerichtet wurden. 94 Der Inhalt dieser Petitionen war weithin der gleiche: Sie enthielten die Forderung nach religiöser Freiheit, nach Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, nach Abschaffung des Placets, des landesherrlichen Patronats und verlangten die Autonomie und Selbstverwaltung der Kirche.95 In der Nationalversammlung wurde das vom Katholischen Klub unterstützte Minoritätsvotum über die Unabhängigkeit der Kirche vom Staate: "Die bestehenden und neu sich bildenden Religionsgesellschaften sind als solche unabhängig von der Staatsgewalt; sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig", in namentlicher Abstimmung mit 357 gegen 99 Stimmen abgelehnt, 96 dagegen der Antrag des staatskirchlich gesinnten Pfarrers Dominikus K. Kuenzer aus Konstanz: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber, wie jede andere Gesellschaft im Staate, den Staatsgesetzen unterworfen", mit Mehrheit angenommen. 97 Eine Trennung von Staat und Kirche nach dem Vorbild der USA oder Belgiens wurde in der Paulskirchenverfassung nicht erreicht. Die Staatskirche wurde jedoch für abgeschafft erklärt und den Religionsgesellschaften volle Parität zugestanden.

94 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 2, Stuttgart 1960, S. 686 f., bes. S. 687 mit Anm. 15 und 16; Bachern, ebd. Bd. 2, S. 19. Vgl. das "Verzeichnis der Eingänge" in den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen der deutschen konstituierenden Nationalversammlung, hrsg. von Franz Wigard, Bd. 3, Frankfurt IM. 1848, S. 1591 ff., S. 1621 ff., S. 1657 ff. usw. 95 Als repräsentativ können gelten die Petition des Mainzer Piusvereins, abgedruckt bei Ludwig Bergsträßer, Studien zur Vorgeschichte der Zentrumspartei, Tübingen 1910, S. 166 f.; oder das Programm des Wahlkomitees der Katholiken in Köln vom 15. April 1848, abgedruckt bei Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), s. 243f. 96 Wigard, Stenographische Berichte (Anm. 94), S. 1990 ff. 97 Ebd., S. 1995.

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b) Die preußische Verfassung von 1851 Obwohl die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 nie Gesetzeskraft erlangt hat, war sie dennoch, insbesondere für die Verfassungsentwicklung Preußens, von weittragender Bedeutung. Bereits in Art. 12 der oktroyierten preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 wurde der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche sowie jeder anderen Religionsgesellschaft das Recht der selbständigen Ordnung ihrer Angelegenheiten zuerkannt. 98 Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften und die gemeinsame öffentliche Religionsausübung wurden gewährleistet und der ungehinderte Verkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Oberen zugestanden. Das staatliche Vorschlags-, Wahl- oder Bestätigungsrecht bei der Besetzung kirchlicher Ämter wurde für aufgehoben erklärt. Der Artikel12 der oktroyierten Verfassung von 1848 ging als Art. 15 unverändert in die revidierte preußische Verfassung vom 31. Januar 1850 über. In bewußter Abweichung von§ 147 der Frankfurter Reichsverfassung wurden in Art. 15 der revidierten preußischen Verfassung die evangelische und die römisch-katholische Kirche den anderen Religionsgesellschaften in formeller Scheidung gegenübergestellt und jenen ein Vorrang zuerkannt. Nach herrschender Meinung war jedoch Art. 15 der revidierten Verfassung dahin auszulegen, daß die in den§§ 161-163 II 11 ALR verfügte, aus demjuscirca sacra fließende Oberaufsicht und Direktion des Staates über Vermögen und Vermögensverwaltung der Kirchen nicht beseitigt seien. 99 Mit den Bestimmungen der neuen Verfassung war für die katholische Kirche in Preußen die kirchliche Freiheit in weitem Umfang gewonnen: Das staatskirchliche System des Preußischen Allgemeinen Landrechts war damit beseitigt. Bisher hatte Süddeutschland vor Preußen auf dem Gebiet der bürgerlichen und politischen Freiheitsrechte den Vorrang behauptet, jetzt hatte Preußen das fortschrittlichste Staatskirchenrecht. 100 Art. 16 der Verfassung erklärte, daß die Bekanntmachungen kirchlicher Anordnungen nur denjenigen Beschränkungen unterworfen seien, welchen alle übrigen Veröffentlichungen unterlägen, und beseitigte damit das staatliche Placet. Art. 18 bestimmte die Aufhebung des staatlichen Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl- und Bestätigungsrechts bei der Besetzung kirchlicher Stellen. Abgedruckt bei Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 245. Ebd., S. 106. 1oo Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 3, Stuttgart 1963, S. 114ff.; ebenso Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 2, S. 52. 98

99

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Die Einführung der Zivilehe nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes, das auch die Führung der Zivilstandsregister regeln sollte, wurde in Art. 19 in Aussicht gestellt; dieses Gesetz wurde erst während des Kulturkampfesam 9. März 1874 in einem kirchenfeindlichen Sinne erlassen. Wie Gerhard Anschütz, stets ein Gegner "allzu weitgehender Preisgabe der staatlichen Kirchenhoheit", bemerkt, setzte sich die katholische Kirche in Preußen "sofort durch ihre Bischöfe einseitig in den Besitz der Freiheit und Macht, welche sie auf Grund der Art. 15, 16 und 18 beanspruchen zu dürfen glaubte" .101 Sie hatte den "Erfolg für sich, als sie sich jede aufsichtliche Einmischung des Staates auch nur in ihre äußeren Angelegenheiten verbat" .102 Dagegen dauerte in der evangelischen Kirche, wenn nicht der Form, so jedenfalls der Sache nach das landesherrliche Kirchenregiment fort. 2. Die evangelische Kirche in Deutschland während des 19. Jahrhunderts

a) Das landesherrliche Kirchenregiment Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Bereich der evangelischen Kirche, die noch viel enger mit dem Staat verbunden war als die katholische, zeigt im 19. Jahrhundert gleichfalls einewenn auch sehr langsam verlaufende - Distanzierung der Kirche vom Staat, aus dessen Umarmung sie sich allerdings bis zum Ende der Monarchie nicht zu lösen vermochte. Für die evangelische Kirche galt zu Beginn des 19. Jahrhunderts überall der Grundsatz des landesherrlichen Kirchenregiments: Der Landesherr war als solcher gleichzeitig auch Träger der Kirchengewalt für seine Landeskirche, ohne daß für die Zuständigkeit dieser Kirchengewalt besondere Bedingungen und Rechte aufgestellt waren. 103 Es entsprach durchaus der allgemein herrschenden Auffassung, wenn König Max I. Joseph von Bayern nach dem Wiener Kongreß ohne weiteres den Summepiskopat über seine Untertanen in den neuerworbenen evangelischen Gebieten Bayerns übernahm 104 und seine Rechte durch das Oberkonsistorium in München und seit 1849 für die Refor101 Gerhard Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, Berlin 1912, S. 287. 102 Ebd. 103 Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts (Anm. 23), s. 228. 104 Otto Mayer, Staat und Kirche, in: Herzog-Hauck (Anm. 19), 3. Aufl., Bd. 18, Leipzig 1906, S. 717.

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mierten durch das Konsistorium in Speyer ausübte. Diese Konsistorien waren nicht befugt, allgemeine Anordnungen für die evangelische Kirche in Bayern zu erlassen, neue Einrichtungen für die Kirchenorganisation zu treffen, Ämter zu verleihen und zu entziehen, die Neueinteilung von Pfarrsprengeln vorzunehmen oder Beschlüsse der allgemeinen Synode zu sanktionieren. Sie konnten nur gutachtlich an das Ministerium berichten, das die Entschließung des Königs einzuholen hatte. 105

b) Unionen im Protestantismus In Preußen gewann das Jahr 1817 für die evangelische Kirche große Bedeutung. Aus Anlaß der 300-Jahr-Feier des Thesenanschlags Martin Luthers wurde auf den Unionsaufruf König Friedrich Wilhelms III. vom 28. September 1817 hin die Vereinigung zwischen Lutheranern und Reformierten der damaligen Provinzen Preußens verwirklicht. 106 Ähnliche Unionen nach preußischem Vorbild kamen zustande in Nassau, der bayerischen Pfalz, Anhalt-Bernburg, Dessau, Köthen, Birkenfeld, Baden, Hanau, Fulda, Waldeck, Rheinhessen und Homburg. 107 Durch die Union von 1817 bewahrten die lutherischen und reformierten Gemeinden ihren Bekenntnisstand unverändert; sie erhielten jedoch eine gemeinsame Verwaltung, gemeinsame Synoden und Pfarrkonvente, eine gemeinsame Kirchenordnung und Leitung. Es handelte sich um eine "föderative Union", nicht um eine "Konsensus-Union", 108 da die hierzu notwendige volle Übereinstimmung in der Lehre fehlte. Das galt vor allem im Hinblick auf das Abendmahlsverständnis: Die Union erreichte zwar gegenseitige Zulassung der Glieder des lutherischen und reformierten Bekenntnisses zum Abendmahl, aber nicht die gemeinsame Verwaltung des Abendmahls, die "Interzelebration". In steigendem Maße entstanden jedoch durch faktische Aufgabe des Konfessionsstandes und durch Neugründungen in Großstädten und Industriegebieten "evangelische" Gemeinden. 109 Die Union Friedrich Wilhelms III. ging nicht ohne Widerspruch vor sich. Die "Altlutheraner" schlossen sich aus, und die Herrnhuter Brüdergemeine blieb ihr fern. Die 1866 an Preußen gelangten Gebiete sind in die Union nicht einbezogen worden. In Hannover bestehen daher 105

Friedberg, Lehrbuch (Anm. 23), S. 231 f.

1os Vgl. Alfred Adam, Unionen im Protestantismus, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 6

(1962), Sp. 1141; Aufruf auszugsweise bei Friedberg, ebd., S. 122 mit Anm. 11. 107 Friedberg, ebd., S. 123 mit Anm. 12-22. 1oa Joachim Beckmann, Unionen im Protestantismus, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 6 (1962), Sp. 1145. 1o9 Ebd.

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Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts

noch heute die lutherische und die reformierte Landeskirche nebeneinander.110

c) Einführung der Synodalverfassung Die geschichtliche Entwicklung zu einem paritätischen Staat, der Widerstand der katholischen Kirche gegen die staatliche Kirchenhoheit und die sich erneuernde evangelische Theologie brachten auch für die evangelische Kirche Preußens den Beginn einer allmählich sich vollziehenden staatsrechtlichen Scheidung der Kirchenhoheitsrechte (iura circa sacra), die dem König gegenüber jeder Religionsgesellschaft zustanden, und der kirchenregimentliehen Rechte (iura in sacra), die der König als membrum praecipuum Ecclesiae seines Landes beanspruchen konnte. 1817 schuf Preußen sein "Ministerium für Geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten", das die Kirchenhoheitsrechte gegenüber beiden Kirchen wahrnahm, während die evangelische innere Kirchengewalt (iura in sacra) zur Ausübung im Namen des Königs Provinzialkonsistorien übertragen wurde, die anfangs auch dem Kultusminister und erst seit 1850 einer kollegialen Behörde, dem neugeschaffenen Oberkirchenrat in Berlin unterstanden. 111 Die Provinzialkonsistoriender erst 1866 mit Preußen vereinigten Gebiete wurden nicht dem Oberkirchenrat, sondern dem Kultusminister unterstellt.112 Dem Verlangen nach kirchlicher Selbstverwaltung hatte Friedrich Schleiermacher bereits im Jahre 1808 Ausdruck verliehen in seinem Vorschlag zu einer neuen Kirchenverfassung der protestantischen Kirche im preußischen Staat, der das Programm eines synodalen Aufbaus von den Gemeinden her enthielt. 113 Erstmals wurde der Gedanke der dem Konstitutionalismus im staatlichen Bereich parallel verlaufenden presbyterialen und synodalen Bewegung in der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung vom 5. März 1835 verwirklicht.U4 Nach dem Vorbild der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung wurde dann auch in den übrigen Provinzen die Konsistorialverfassung mit dem synodalen Element verbunden. Nach bereits von König Friedrich Wilhelm TV. entwickelten Vorstellungen, wonach der König auch nach Einführung der SynodalverfasErler, Kirchenrecht (Anm. 46), S. 61 f. Friedberg, Lehrbuch (Anm. 23), S. 105 mit Anm. 7, mit weiteren Nachweisen; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 3, S. 174ff.; Erler, ebd., S. 60. 112 Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen, 16. Aufl., Berlin 1904, S. 415. 113 Richard Bäumlin, Synode, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 6 (1962), Sp. 570. 114 Walter Göbell, Rheinland, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 5 (1961), Sp. 1085 f. 11o 111

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sung "oberster Ordner und Schirmherr der Kirche von Rechts wegen" bleiben 115 und die Konsistorien die vollstreckende, die Provinzialsynoden und die Generalsynode die beratenden und beschließenden Organe des Königs bei der Regierung der Kirche bilden sollten, 116 wurde 1861 unter König Wilhelm I. die Bildung von Kreissynoden angeordnet. 1869 traten erstmals Provinzialsynoden zusammen. 1873 wurde eine evangelische Kirchengemeinde- und Synodalordnung, 1876 eine Generalsynodalordnung erlassen. Für das Zustandekommen von Kirchengesetzen waren fortan die Zustimmung der General- oder, wenn ihr Geltungsbereich über eine Provinz nicht hinausging, der zuständigen Provinzialsynode und die Genehmigung des Landesherrn erforderlich. Die Veröffentlichung der Gesetze erfolgte durch das seit 1876 erscheinende kirchliche Gesetz- und Verordnungsblatt. 117 Dem im Bereich der evangelischen Kirche weitverbreiteten Verlangen nach Selbstverwaltung118 entsprach jedoch auch die kunstvolle Verbindung von Konsistorial- und Synodalprinzip, die die stärkere Macht bei den landesherrlichen Behörden ließ und ein Fortbestehen der Staatskirchenhoheit bedeutete, 119 nicht. Otto Mayer, der Verfasser des bekannten Lehrbuchs des Verwaltungsrechts, klagt noch 1906 darüber, daß in der evangelischen Kirche der Territorialismus ruhig weiter blühe. Man habe zwar planmäßig das Presbyterialsynodalsystem eingeführt. "Worauf es aber ankäme, das wäre, daß die Kirche selbst, die Kirche als Ganzes dem Staat gegenüber frei würde, Selbstverwaltung erhielte. Das ist aber nicht der Fall. Die Kirchenverwaltung ist nach wie vor Staatsverwaltung, der weltlichen Staatsverwaltung parallel organisiert. Wie der Landesherr in weltlichen Dingen nicht aufhört, der wahre Regierer zu sein trotz Volksvertretung, Ehrenamt und örtlicher Selbstverwaltung, geradeso in kirchlichen Dingen". 120 Mehr und mehr werde man sich darüber klar, daß die Umarmung des Staates die Kirche zu erdrücken drohe. Die evangelische Kirche werde angese115 Aemilius Ludwig Richter, König Friedrich Wilhelm IV. und die Verfassung der evangelischen Kirche, Berlin 1861, S. 94. 116 Ebd., S. 95. 117 Über die Zusammensetzung und Befugnisse der Provinzialsynoden und der Generalsynode vgl. Hue de Grais, Handbuch (Anm. 112), § 288, Kirchengemeinde und Synodalverfassung, S. 417 ff., bes. S. 419. 118 So bereits im Jahre 1847 Wilda, Erörterungen und Betrachtungen (Anm. 91); Richard Wilhelm Dove, Richter, Aemilius Ludwig, in: Herzog I Hauck, Realenzyklopädie (Anm. 19), 3, Aufl., Bd. 16, Leipzig 1905, S. 760: "Kraftvoll wollte er die Synoden organisiert haben"; ebenso Hans Liermann, Richter, Aemilius Ludwig, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 5 (1961), Sp. 1093 f. 119 Karl Kupisch, Preußen, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 5 (1961), Sp. 565. 120 Otto Mayer, Staat und Kirche (Anm. 104), S. 717.

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hen als "une partie du gouvernement", gerade wie im 18. Jahrhundert die katholische Kirche in Frankreich, die darüber die Anhänglichkeit des Volkes in furchtbarer Weise verloren habe. 121 Erst mit der Weimarer Verfassung wurde im Bereich der evangelischen Kirche die landesherrliche Kirchenhoheit gebrochen und die kirchliche Selbstverwaltung und Unabhängigkeit erreicht. 3. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

a) Die von der preußischen Regierung mit dem Kulturkampf verfolgten Ziele. Das Ergebnis des Kulturkampfs Die schwere Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der katholischen Kirche nach dem Krieg von 1870/71, die im Anschluß an einen von Rudolf Virchow in der Rede vom 17. Januar 1873 im Preußischen Landtag gebrauchten Ausdruck als Kulturkampf in die Geschichte eingegangen ist, bildet zwar politisch den Höhepunkt des Kampfes des preußischen Staates mit der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, sie hat aber die Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts nicht entscheidend verändert. 122 Juristisch gesehen bedeutet der Kulturkampf, an dem sich neben Preußen, dem Hauptschauplatz des Kirchenkampfes, von den deutschen Bundesstaaten nur Baden, Hessen-Darmstadt und Sachsen nach preußischem Vorbild beteiligt haben, 123 nichts anderes als den Versuch des Staates, die katholische Kirche, die in vollem Umfang die Freiheit und Unabhängigkeit nutzte, die ihr die Revolution von 1848 und die Frankfurter Reichsverfassung verheißen und die preußische Verfassung in den Artikeln 15 bis 18 verbürgt hatten, 124 wieder unter die Ebd., S. 721. Ulrich Scheuner, Kirche und Staat (Arun. 90), S. 238. 123 Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Arun. 3), S. 680. 124 Hubert Jedin, Freiheit und Aufstieg des deutschen Katholizismus zwischen 1848 und 1870, in: Bernhard Hanssler (Hrsg.), Die Kirche in der Gesellschaft. Der deutsche Katholizismus und seine Organisationen im 19. und 20. Jahrhundert, Faderborn 1961, S. 9ff.; Ludwig Aemilius Richter, Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Staate und der katholischen Kirche in Preußen seit der Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848, in: Doves Zeitschrift für Kirchenrecht, Bd. 1, Berlin 1861, S. 100ff.; Emil Friedberg, Grenzen zwischen Staat und Kirche. Historisch-dogmatische Studie mit Berücksichtigung der deutschen und außerdeutschen Gesetzgebung, Tübingen 1872, S. 397 ff., für Preußen S. 426 ff.; Anschütz, Verfassungsurkunde (Anm. 101), s. 287ff. 121

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Staatskirchenhoheit zu bringen, aus der die evangelischen Landeskirchen infolge des weiterbestehenden landesherrlichen Kirchenregiments sich nicht hatten befreien können. Wahrend vor 1848 die Kirche in Preußen dem absolut regierten Staat und dessen Bürokratie gegenüberstand, war ihr in der Ära des Kulturkampfes in radikal-liberalen parlamentarischen Kräften ein zusätzlicher Gegner erwachsen. Der Kulturkampf hat im Ergebnis auch der evangelischen Kirche in Deutschland geschadet. Zutreffend betont Karl Kupisch, Bismarck habe den Kulturkampf mit der vollen parlamentarischen Unterstützung des Liberalismus geführt, der auch publizistisch zum eigentlichen Träger des Kampfes in der deutschen Öffentlichkeit wurde, wobei der freisinnige Flügel in der Polemik auch seinen atheistischen und materialistischen Fortschrittsglauben und einen naiven Wissenschaftsoptimismus allem kirchlichen Wesen gegenüber aufgeboten habe. 125

b) Vorboten des Kulturkampfes Vorboten der späteren Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche in Preußen waren die im Jahre 1852 von dem Kultusminister Otto von Raumer und dem Minister des Innern Ferdinand Otto Wilhelm von Westphalen unterzeichneten sog. "Raumerschen Erlasse", die eine besondere Beaufsichtigung "ausländischer Geistlicher" anordneten und eine "fortwährend genaue Beaufsichtigung" der Predigten und Prediger bei den sog. "Volksmissionen" verlangten. Solche Volksmissionen wurden nur für rein katholische Gegenden zugelassen und für gemischt-konfessionelle Gebiete verboten. Der Besuch des Collegium Germanicum, des deutschen Priesterseminars in Rom, wurde als grundsätzlich verboten hingestellt. 126 Diese Erlasse waren unverkennbar gegen die Tätigkeit des 1814 wiedererstandenen Jesuitenordens gerichtet, dessen wenige damals in Deutschland tätigen Mitglieder sich hauptsächlich mit der Veranstaltung von Volksmissionen befaßten und in dessen Händen sich auch die Leitung des Collegium Germanicum in Rom befand. Der Jesuitenorden wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in enormer Überschätzung seiner Wirksamkeit und seines Einflusses als einer der Hauptfaktoren für das wiedergewonnene Selbstbewußtsein der katholischen Kirche angesehen und deshalb von Karl Kupisch, Kulturkampf, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 4 (1960), Sp. 111. Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 2, S. 99; vgl. dazu auch Julius Bachern, Preußen und die katholische Kirche, 5. Auflage, Köln 1887, S. 72 ff.; über die preußische Kirchenpolitik in der Ära Manteuffel vgl. auch Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 4), Bd. 3, S. 174 ff. 12s

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manchen Regierungen und einer weithin irregeleiteten Öffentlichkeit in besonderer Weise angefeindet. Unverkennbare Beweise dafür, daß die preußische Regierung die Gewährung der großen Freiheiten in der Verfassung von 1850 bereute, erbrachten spätestens die Verhandlungen über die Verfassung des Norddeutschen Bundes und die Reichsverfassung von 1870. Die Anträge der Zentrumspartei auf Aufnahme von Grundrechtsartikeln zum Schutz der religiösen Freiheiten in die Verfassung des Norddeutschen Bundes127 und im Jahre 1871 in die Verfassung des Deutschen Reiches 128 wurden in beiden Fällen, bei der Beratung über die Reichsverfassung mit einer Mehrheit von 223:59 Stimmen, abgelehnt. Der Grund dafür mag einerseits in innerpolitischer Rücksichtnahme Bismarcks auf diejenigen Staaten des Norddeutschen Bundes zu suchen sein, die ihren Einwohnern damals noch nicht einmal die volle individuelle Religionsfreiheit gewährten. Wie sehr aber die Atmosphäre bereits auf den Kulturkampf eingestellt war, zeigt eine Bemerkung Friedbergs aus dem Jahre 1872. Er schreibt, daß bei Gründung des Norddeutschen Bundes von einigen Seiten eine Aufnahme von Grundrechten in die Verfassung erstrebt worden sei, die auch der kirchlichen Freiheit Rechnung tragen sollten. Dieses Schauspiel habe sich nach Errichtung des Deutschen Reiches 1871 wiederholt. Aber in beiden Fällen habe sich gezeigt, "daß das politische Urteil des deutschen Volkes seit dem Jahre 1848 reifer geworden war" .129 Mit erdrückender Majorität seien die Anträge der ultramontanen Partei zurückgewiesen worden.

c) Die Kulturkampfgesetzgebung Die Durchführung des Kulturkampfes, dessen Ursachen mehr auf rein politischem als auf religiös-kirchlichem Gebiet zu suchen sind, war weitgehend das persönliche Werk Bismarcks. Auch Vorgänge innerhalb der katholischen Kirche, wie die im Jahre 1864 erfolgte Veröffentlichung des "Syllabus errorum", in dem die Kirche in einer wenig glücklichen Form gegen manche Zeitströmungen, vor allem gegen den Bachern, ebd., Bd. 3, Köln 1927, S. 19 f. Bachern, ebd. 129 Friedberg, Grenzen zwischen Staat und Kirche, (Anm. 124), S. 403. Über die seitens des preußischen Staates bereits 1870 einsetzende Vorbereitung zum Kulturkampf s. auch die sehr instruktive Aktenpublikation "Die Vorgeschichte des Kulturkampfes. Quellenveröffentlichung aus dem Deutschen Zentralarchiv". Bearbeitet von Adelheid Constabel mit einer Einleitung von Fritz Hartung. Hrsg. von der Staatlichen Archivverwaltung im Ministerium des Innern. Berlin (Ost): Rütten und Loening 1956. 127

12s

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Liberalismus und verschiedene Ausprägungen des philosophischen Materialismus, Stellung bezogen hatte, sowie das I. Vatikanische Konzil und die Verkündung des Glaubenssatzes der päpstlichen Unfehlbarkeit bei Kathedralentscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen wurden trotz aller gegenteiligen Erklärungen von seiten der katholischen Kirche politisch gedeutet und zu Zwecken der Propaganda verwendet. Sogar das Recht, "gesetzestreue deutsche Staatsbürger sein zu können", 130 wurde den Katholiken abgesprochen. Die gesetzlichen Maßnahmen des Kulturkampfes vollzogen sich auf zwei Ebenen, der reichsgesetzlichen und der preußischen. Die Einleitung erfolgte am 8. Juli 1871 durch die Aufhebung der katholischen und aus Paritätsgründen auch der evangelischen- Abteilung im preußischen Kultusministerium. Württemberg war vom Kulturkampf nicht betroffen, Bayern begnügte sich damit, die überkommene Staatskirchenhoheit zu verstärken und einen "stillen Kulturkampf" 131 zu führen. Am 10. Dezember 1871 nahm der Reichstag das Gesetz über den Mißbrauch der Kanzel an (sog. "Kanzelparagraph", § 130 a StGB, aufgehoben durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953). Am 4. Juli 1872 erging das Reichsgesetz betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu/ 32 durch das der Jesuitenorden "und die ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen" ohne Angabe einer Begründung vom Gebiete des Deutschen Reiches ausgeschlossen wurden. Der preußische Landtag erließ eine Reihe von Gesetzen, die im folgenden nur aufgezählt werden können: Nach Abänderung der Art 15 und 18 der preußischen Verfassung 133 ergingen die vier preußischen Maigesetze, 134 die tief in das Eigenleben der katholischen Kirche eingriffen. Sie befaßten sich (1) mit der Vorbildung und Anstellung der Geistlichen und brachten das sog. "Kulturexamen" zum Zwecke des Nachweises der erforderlichen allgemeinwissenschaftlichen Bildung sowie die Anzeigepflicht bei kirchlicher Amtsübertragung mit dem Recht des Einspruchs für die Staatsbehörde; 130 So Eduard von Hartmann, Der Kampf zwischen Kirche und Staat, Berlin 1876; auszugsweise bei Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), Nr. 74, S. 260 f. 131 Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 3), S. 680 f. 132 RGBl. 1872, S. 253; vgl. bei Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), Nr. 73, s. 260. 133 Friedberg, Lehrbuch (Anm. 23), S. 83 mit Anm. 7. 134 Darüber im einzelnen ebd., S. 84 mit Anm. 8; ebenso Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 3), S. 678 ff.

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(2) mit der Organisation der kirchlichen Disziplinargewalt und der Errichtung eines Sondergerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten; (3) mit den Grenzen des Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel; (4) mit dem Austritt aus der Kirche. Die Erzbischöfe von Köln und Gnesen-Posen sowie die Bischöfe von Breslau, Paderborn, Münster und Limburg wurden wegen Nichtbefolgung der Maigesetze vom staatlichen Gerichtshof für abgesetzt erklärt und zahlreiche Priester mit Geld- und Gefängnisstrafen belegt. Am 4. Mai 1874 erging ein weiteres preußisches Gesetz zur Verhinderung der gesetzwidrigen Ausübung kirchlicher Funktionen, am 20. Mai 1874 das Gesetz über die Verwaltung verwaister Bistümer, beide mit rücksichtslos angewandten Strafbestimmungen. Am 22. April1875 folgte das "Sperr- und Brotkorbgesetz": Sämtliche Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und Geistlichen wurden eingestellt, soweit diese sich nicht zur Befolgung der staatlichen Gesetze verpflichteten. Am 31. Mai 1875 erfolgte die Aufhebung aller religiösen Orden außer den staatlich unentbehrlichen krankenpflegenden. Am 20. Juni 1875 erging ein Gesetz über die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden, das die Beteiligung der Laien vorsah. Den Abschluß bildete das Gesetz vom 7. Juni 1876 über die Aufsichtsrechte des Staates bei der Vermögensverwaltung in den katholischen Diözesen. Bereits am 9. März 1874 war das preußische Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung mit der Einführung der obligatorischen Zivilehe erlassen worden, das durch das Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 wieder aufgehoben wurde. Am 18. Juni 1875 waren durch Gesetz die kirchlichen Grundrechte der preußischen Verfassung (Art. 15, 16, 18) aufgehoben worden, um - nach einem Wort Bismarcks - dadurch den "landrechtlichen Zustand", gemeint war das Preußische Allgemeine Landrecht, wiederherzustellen. 135

Friedberg, der zusammen mit Paul Hinschius während der Kulturkampfgesetzgebung zu den Beratern des preußischen Kultusministers Adalbert Falk gehörte, führt die mit diesen Gesetzen verfolgten Ziele auf zwei Prinzipien zurück: (1) Unter Verwerfung des Grundsatzes der "Trennung von Kirche und Staat" sollte der Kirche ihre historische Stellung als öffentlichrechtliche Korporation im Staate belassen werden; der Staat 135

Ebd., S. 680; Friedberg, Lehrbuch (Anm. 23), S. 84 mit Anm. 8.

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"nahm aber auch dementsprechend für sich die Hoheitsrechte in Anspruch, die sich in der Beaufsichtigung des äußeren Rechtslebens der Kirche zu betätigen haben". 136 (2) Das zweite Prinzip kann, nach Friedberg, kurz dahin formuliert werden, daß nicht die Kirche als Organisation, sondern das einzelne Individuum kirchlich "frei" sein solle. Am Widerstand der katholischen Kirche und an der Tatsache, daß der Staat auch seitens der evangelischen Kirche, auf die schon der Parität wegen die Gesetze sich mitbezogen, nicht die Unterstützung gefunden habe, die er bei richtiger Würdigung seiner Absichten hätte erwarten dürfen, sei schließlich die Durchführung der Gesetze gescheitert. 137 In den Jahren 1880 bis 1887 erfolgte in fünf kirchenpolitischen Novellen die Revision der Kulturkampfgesetzgebung. Ein Rest blieb, darunter die vom Reichstag erlassenen Gesetze: das Jesuitengesetz, das erst 1917 beseitigt wurde, der Kanzelparagraph und das Personenstandsgesetz mit der obligatorischen Zivilehe. Weder das Angebot Bismarcks an Papst Leo XIII., im Karolinenstreit zu vermitteln, noch die Verleihung des Christusordens mit Brillanten an Bismarck durch den Papst und des Schwarzen Adlerordens durch König Wilhelm I. an Kardinalstaatssekretär Jacobini konnten jedoch die Tatsache aus der Welt schaffen, daß der Kulturkampf, in den, wie Scheuner es formuliert hat, mangelnde Kenntnis des katholischen Glaubens, innerpolitische Abneigung gegen das Zentrum als Massenbewegung und außerpolitische Besorgnisse die Regierung hineingeführt haben, Wunden geschlagen hat, die für Jahrzehnte empfindlich blieben und die in einer bis 1918 bemerkbaren Form die Grundlagen des preußischen Staates bei einem Teil seiner Bevölkerung schwächten.13B

d) Der Toleranzantrag der Deutschen Zentrumspartei vom 23. November 1900 Noch einmal, am 23. November 1900, unternahm die Zentrumspartei durch den "Entwurf eines Reichsgesetzes betreffend die Freiheit der Religionsübung", den sie beim Reichstag einbrachte, 139 den Versuch, 136 137 138 139

Ebd., S. 84. Ebd. Ulrich Scheuner, Der Staatsgedanke Preußens, Köln-Graz 1965, S. 41 f. Wortlaut des Antrags und Darstellung des Standpunktes der Zentrumspartei bei Bachern, Zentrumspartei (Anrn. 8), Bd. 6, Köln 1929, S. 106-108; Matthias Erzberger, Der Toleranzantrag der Zentrumsfraktion des Reichstages,

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eine reichsrechtliche Regelung der Religionsfreiheit der Reichsangehörigen und der Religionsgemeinschaften zu erreichen. Der Antrag, der als "Toleranzantrag" in die Geschichte einging, verlangte volle Freiheit im ganzen Reich für die seelsorgliche Tätigkeit, für die Abhaltung von Gottesdiensten und die Errichtung von Kirchengebäuden, Freiheit der Volksmissionen, Freiheit für die Verwendung auswärtiger Geistlicher, für die Ämtererrichtung und Sprengelbildung, Beseitigung des Placets und des Genehmigungsvorbehalts für religiöse Genossenschaften und Vereine. § 8, der auf die besondere Lage in Mecklenburg und einigen anderen kleineren norddeutschen Staaten abzielte, lautete: "Die Aufnahme in eine anerkannte Religionsgemeinschaft, die Zulassung zu deren Religionshandlungen, sowie die Vornahme einer Taufe, einer kirchlichen Trauung oder eines kirchlichen Begräbnisses ist von der Mitwirkung der Behörden des Staates oder einer anderen Religionsgemeinschaft oder von einer Anzeige bei einer solchen Behörde unabhängig" .140 Der Gesetzentwurf des Zentrums, der in effektvoller Weise die Beschwerden der Katholiken zum Ausdruck brachte 141 und große Publizität gewann, wurde jedoch vom Reichstag, dessen Mehrheit seine Verabschiedung nicht wünschte, so schleppend behandelt, daß er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges immer noch nicht Gesetz geworden war. Er hatte aber immerhin die indirekte Wirkung, daß in Mecklenburg, wo den Katholiken und Reformierten bis dahin nur das Recht auf die einfache Hausandacht (devotio domestica simplex, d. h. ohne Beiziehung eines Priesters oder Predigers) zustand, durch Verordnung vom 5. Januar 1903 das Recht auf öffentliche Religionsausübung gewährt wurde. Das gleiche Recht wurde den Katholiken am 14. März 1904 in Lübeck zugestanden. 142 Eine reichsrechtliche Garantie des Grundrechts der Religionsfreiheit und eine größere Unabhängigkeit für die Kirchen und Religionsgesellschaften brachte jedoch erst die Weimarer Reichsverfassung.

Osnabrück 1906, S. 71 ff., mit ausführlicher Begründung der einzelnen Paragraphen des Antrags. Darstellung des gegenteiligen Standpunkts bei Wilhelm Kahl, Die Bedeutung des Toleranzantrags für Staat und evangelische Kirche, Halle a. S. 1902. 140 Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 6, S. 108. 141 Mayer, Staat und Kirche (Anm. 104), S. 719. 142 Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts (Anm. 23), S. 114, mit Anm. 20.

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m. Von der Weimarer Reichsverfassung bis zum Bonner Grundgesetz

1. Die Weimarer Reichsverfassung

Die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung schuf in Weimar in den Grundrechts- und Kirchenartikeln eine neue Ordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Wie Konrad Hesse 143 und Rudolf Smend 144 hervorheben, gehen sowohl die Trennungsgesetzgebung der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 wie die kirchenpolitischen Artikel der Weimarer Reichsverfassung weitgehend auf die Initiative und den Einfluß katholischer Abgeordneter zurück Die katholische Kirche habe in ihrem Ringen mit dem Staat den neuen Freiheitsrechten der geistigen und politischen Bewegung größere Bedeutung beigemessen als den alten Rechten und Privilegien gegenüber dem Staat. Bereits in dem die staatskirchenpolitischen Forderungen des Katholizismus immer wieder von neuem zum Ausdruck bringenden Toleranzantrag der Zentrumspartei im Reichstag sei es der katholischen Kirche um einen umfassenden Ausbau des Freiheits- und Gleichheitsgrundrechts in den Verfassungen gegangen. 145 Als Fortsetzung dieser Linie ist die Weimarer Verfassung zu verstehen: Sie sollte den Kirchen vor allem anderen die Freiheit der Bewegung und des Wirkens sichern.

a) Beseitigung der "Staatskirche" und der Staatskirchenhoheit Die wichtigste Veränderung, die die Weimarer Reichsverfassung in Art. 137 Abs. 1, "Es besteht keine Staatskirche", gegenüber dem bisherigen Zustand brachte, war die Auflösung des landesherrlichen Kirchenregiments, die von der evangelischen Kirche eine grundlegende Neuorientierung ihres Verhältnisses zum Staat verlangte. Wie der Berichterstatter in der Deutschen Nationalversammlung, der Abgeordnete Joseph Mausbach, ausführte, spricht Art. 137 Abs. 1 WeimRV das Trennungsprinzip in Schärfe nur aus "gegenüber einer bestimmten, engen Verbindung zwischen Staat und Kirche, wie sie bei den evange143 Konrad Hesse, Kirche und Staat, in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 1966, Sp. 909. 144 Smend, Staat und Kirche (Anm. 45), S. 6 f. 145 Smend, ebd.; im gleichen Sinne Hans Maier, Staat und Kirche in Deutschland- Von der Fremdheit zur neuen Nähe?, in: Karl Forster (Hrsg.), Das Verhältnis von Kirche und Staat. Studien und Berichte der katholischen Akademie in Bayern, Heft 30, Würzburg 1965, S. 108; ders., Gegenwartsaspekte des Verhältnisses von Kirche und Staat, in: Civitas, Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung, Bd. 5 (1966), S. 25.

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lischen Landeskirchen bislang vorhanden war" .146 Diese "bestimmte enge Verbindung" bestand, darauf weist Anschütz hin, im Summepiskopat, demzufolge der Landesherr, in den Hansestädten der Senat, Träger der Regierungsgewalt in der evangelischen Landeskirche war. Gegen die Institution des landesherrlichen Kirchenregiments ist Abs. 1 in erster Linie gerichtet; und außerdem gegen jegliche Verwaltung innerkirchlicher Angelegenheiten durch Staatsorgane oder staatlich bestellte oder besetzte K.irchenorgane. 147 Für den deutschen Protestantismus bedeutet das Jahr 1919 eine ähnliche Erschütterung wie die Jahre 1803 bis 1806 für die deutschen Katholiken. In beiden Fällen zerbrachen die traditionellen Strukturen der Kirche, die bis dahin in der Geborgenheit der Reichs- oder der Landeskirche gelebt hatte. Die Gläubigen wurden gezwungen, sich auf das Wesen und die Sendung der Kirche neu zu besinnen gegenüber bisher "in Geltung stehenden politischen, dynastischen und landschaftlichen Loyalitäten", die nicht selten den Blick für die eigentlichen religiösen Aufgaben verstellt hatten.14B Die Weimarer Reichsverfassung brachte die "Freiheit der Kirche vom Staate" .149 Ihr Artikel137 richtete sich nicht nur gegen den Summepiskopat, sondern auch gegen die Landeskirche des bisherigen Systems der Staatskirchenhoheit, wonach der Staat eine oder mehrere Kirchen zwar als von ihm verschiedene Körperschaften mit eigener Rechtsfähigkeit und Selbständigkeit anerkannte, sie aber zugleich seinen Zwecken dienstbar machte, indem er sie verpflichtete, ihre Aufgaben zugleich in seinem Dienst und Auftrag zum Wohle des bewußt christlichen Staates zu erfüllen. Erstattete sie deshalb einerseits mit dem Privileg der öffentlich-rechtlichen Stellung und bestimmten Vorrechten aus, unterwarf sie aber auf der anderen Seite einer besonderen Kirchenhoheit und gesteigerten Staatsauf~icht, um so die Erfüllung ihrer zugleich als staatlich angesehenen Aufgaben sicherzustellen. Die Religionsgesellschaften wurden nunmehr völlig frei von jeder staatlichen Mitwirkung, Einmischung und Bevormundung in der Ordnung H6 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 1644 C (59. Sitzung v. 17. 7. 1919). 147 Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, Erl. 1 zu Art. 137, S. 631.- Die Beamten "der höheren kirchenregimentliehen Behörden der evangelischen Kirche, des Oberkirchenrats und der Konsistorien" waren in Preußen bis zum Ende der Monarchie nicht Kirchenbeamte, sondern unmittelbare Staatsbeamte; darüber eingehend ders., Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (Anm. 101), S. 320 ff. 148 Maier, Staat und Kirche in Deutschland (Anm. 145), S. 114. 149 Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 129.

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und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten (Art. 137 Abs. 3 WeimRV). Sie unterlagen nur noch den "Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Auch die Vereinigung zu Religionsgesellschaften und der Zusammenschluß zu höheren Verbänden sollten ohne jede Beschränkung freistehen (Art. 137 Abs. 2). Mit dieser letzten Bestimmung sollte der Zusammenschluß der bis dahin völlig getrennt nebeneinander gestandenen evangelischen Landeskirchen erreicht und so der Weg zu einer Evangelischen Kirche Deutschlands frei gemacht werden. 150 Die Weimarer Reichsverfassung brachte jedoch auch die "Freiheit des Staates von der Kirche". Unter Preisgabe des in Art. 14 der Preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 zum Ausdruck gelangenden Grundsatzes, daß die christliche Religion bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche mit der christlichen Religionsübung im Zusammenhang stehen, "zum Grunde gelegt" werde, bekannte sich die Weimarer Reichsverfassung zu religiöser Neutralität und Parität. Der Staat will nicht mehr christlich-paritätisch, sondern religiös neutral und allen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgruppen gegenüber paritätisch sein. 151 Die Möglichkeit, den Rechtsstatus einer Korporation des öffentlichen Rechts zu erwerben, ist in Art. 137 Abs. 5 Satz 2 allen Religionsgesellschaften, ja sogar den Weltanschauungsgemeinschaften eingeräumt, sofern sie durch ihre Verfassung und Mitgliederzahl die Gewähr der Dauer bieten.

b) Elemente der Verbindung zwischen Staat und Kirche Mit dem Grundsatz der Auflösung jeder institutionellen Verbindung von Staat und Kirche vereinigte die Weimarer Reichsverfassung den weiteren Grundsatz, "die auf der geschichtlichen Entwicklung und dem Willen des gläubigen Volksteils beruhende Stellung der Kirchen in Deutschland anzuerkennen". 152 Die neue Verfassung vermied einen völligen Bruch mit der früheren deutschen staatskirchenrechtlichen Entwicklung. Nach dem neuen Verhältnis von Staat und Kirche wurde der Trennungsgedanke nur in dem Sinn verwirklicht, daß eine Kirche, die ihre Aufgaben in staatlichem Dienst und Auftrag erfüllt oder gar von staatlichen Organen geleitet und bevormundet wird, künftig unmöglich wurde; diese Befreiung der Kirche vom Staat bedeutet aber keine "radikale Trennung" in dem Sinn, daß nunmehr alle gegenseitige Rücksichtnahme, jede Förderung der Kirche durch den Staat ausge150 151 152

Ebd., S. 121. Ebd., S. 123 f. Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 125.

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schlossen sein oder keinerlei Zusammenhang und Zusammenarbeit mehr bestehen soll. 153 Als wesentliches Merkmal einer absoluten Trennung von Kirche und Staat gilt, wenn auch nicht ganz unbestritten, die Verweisung der Kirchen auf den Rechtsstatus eines privaten Vereins. Die Weimarer Verfassung wollte die Kirchen aber gerade nicht auf die Ebene des Privatrechts herabdrücken. 154 Besonders die Zentrumspartei hatte in Weimar dafür gekämpft, die "altüberkommene geschichtliche Privilegierung der großen Religionsgesellschaften" aufrechtzuerhalten. 155 Den Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, räumte die Verfassung die Befugnis ein, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtliehen Bestimmungen Steuern zu erheben (Art. 137 Abs. 6). Der Staat verpflichtete sich, die bisherigen, auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften weiterhin zu erbringen. Art. 146 Abs. 2 sicherte den Fortbestand der Bekenntnisschule; der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen blieb ordentliches Lehrfach, die theologischen Fakultäten an den Universitäten blieben erhalten (Art. 149 Abs. 2 und 3). Bei der Berücksichtigung und Förderung religiöser und kirchlicher Interessen war dem religiös neutralen und paritätischen Staat eine differenzierende Behandlung der Religionsgesellschaften aber nur nach deren objektiver Bedeutung für das öffentliche Leben gestattet, z. B. in der Versagung oder Verleihung der öffentlich-rechtlichen Korporationseigenschaft oder der Anerkennung der Feiertage der christlichen Kirchen. Eine unterschiedliche Behandlung aus subjektiven Motiven nach Vorliebe oder Mißtrauen für die eine oder andere Religionsgemeinschaft ist mit der durch die Verfassung gebotenen Parität und Neutralität unvereinbar. 156

153 So übereinstimmend Ebers, Staat und Kirche (Anm. 149), S. 121 f. und 132 ff.; Smend, Staat und Kirche (Anm. 45), S. 7; Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neuerendeutschen Entwicklung (Anm. 91), S. 245; Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik, Berlin 1964, S. 4. 154 Ebers, ebd., S. 122. 155 Bachern, Zentrumspartei (Anm. 8), Bd. 8, Köln 1931, S. 296. Vgl. Ludwig Kaas, Staat und Kirche im neuen Deutschland. Rede auf dem Trierer Katholikentag am 12. Oktober 1919, Trier 1919, S. 13: "Eine erfreuliche Durchbrechung des Trennungsgedankens stellt es dar, daß der Charakter der Kirchen als öffentlich-rechtlicher Körperschaften aufrechterhalten bleibt - eine Errungenschaft, die allerdings nur in hartem Kampf gegen Freisinn und Sozialdemokratie durchgesetzt werden konnte". 156 Ebers, Staat und Kirche (Anm. 149), S. 125.

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Die Weimarer Reichsverfassung schuf damit ein staatskirchenrechtliches System eigener Art, das nach dem bekannten Wort von Ulrich Stutz vielfach als "hinkende Trennung" von Staat und Kirche bezeichnet wurde. 157 Aber bereits in der Weimarer Zeit beurteilten andere Vertreter des Staatskirchenrechts das Zueinander der beiden Gewalten, im Ergebnis wohl zutreffender, als "lockere Verbindung" des Staates mit denjenigen Religionsgesellschaften, welche wegen ihrer sozialen Bedeutung die öffentlich-rechtliche Stellung behalten haben oder erlangen konnten. 158 Das Urteil der heutigen Zeit bestätigt diese letztere Auffassung. 159

c) Unzulässigkeit einer besonderen Staatsaufsicht über die Kirchen Obgleich Art. 137 Abs. 3 WeimRV den Kirchen in ihren Angelegenheiten das Recht der Selbstverwaltung garantierte, gelang es ihnen in den Jahren nach 1919 dennoch nicht in vollem Maße, die "Last der geschichtlichen Tradition" 160 abzuschütteln und sich der staatlichen Bevormundung zu entziehen. Die herrschende Lehre und die staatliche Praxis, besonders in Preußen, gingen nach wie vor vom Fortbestand der staatlichen Kirchenhoheit und der mit ihr verbundenen besonderen Staatsaufsicht über die öffentlich-rechtlich korparierten Religionsgesellschaften aus. Weil die Kirchen Körperschaften des öffentlichen Rechts waren und blieben, mußte nach dieser Ansicht auch die besonders geartete Staatsaufsicht über die Kirchen, die Kirchenhoheit, bestehen bleiben. Die über die allgemeine Vereinsaufsicht hinausgehende Kirchenhoheit galt als ein "notwendiges Korrelat der den Kirchen staatlicherseits gewährten öffentlich-rechtlich gehobenen Stellung" .161 Diese Auffassung, die noch weitgehend von den Vorstellun157 Vgl. Ulrich Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. Nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata. Abh. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Jhg. 1925, Phil.-Hist. Klasse, Nr. 3/4, Berlin 1926, S 54 mit Anm. 2. 158 So bereits Johann Viktor Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen, Bd. 2, Berlin 1922, S. 111 ff., bes. S. 119. 159 Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 91), S. 245. 160 Hesse, Kirche und Staat (Anm. 143), Sp. 908. 161 Paul Schoen, Der Staat und die Religionsgesellschaften der Gegenwart, in: VerwArchiv 29 (1922), S. 20; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches (Anm. 147), Erl. 5 zu 137, S. 637, mit weiteren Nachweisen S. 637 mit Anm. 3, und S. 638; ebenso A. Lilienthal, Die Staatsaufsicht über die Religionsgesellschaften, Berlin 1925, S. 10: "Es ist also festzustellen: die Reichsverfassung verläßt den Boden der Staatskirchenhoheit nicht". Über die Entwicklung dieser Frage in der Weimarer Zeit vgl. neuestens Hermann Weber, Die Religionsgesellschaften (Anm. 32), S. 54 f.

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gen des früheren staatskirchenregimentliehen Denkens beeinflußt war, beruhte auf der Voraussetzung, daß es sich bei der Kirchengewalt der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften um echte delegierte Staatsgewalt handle. Demgegenüber ging die vor allem von katholischen Autoren mit ihrem Wortführer Godehard Josef Ebers vertretene Gegenmeinung davon aus, daß das in der Verfassung garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften die Staatskirchenhoheit im früheren Sinne ausschließe und das Staatskirchenrecht aufgerufen sei, "sich von den überlieferten Vorstellungen frei zu machen" .162 Eine besondere Staatsaufsicht über die Kirchen als Korrelat der öffentlichen Korporationsrechte läßt sich nach dieser Meinung auch nicht auf dem Umweg über die Eigenschaft der Kirchen als öffentlichrechtliche Körperschaften begründen. Der Begriff der öffentlichen Körperschaften, bezogen auf die Religionsgesellschaften, sei rechtlich keineswegs eindeutig, sondern ein nach Inhalt und Umfang stark umstrittener politischer Begriff, mit dem dieneuere Gesetzgebung schon seit langem nur ganz allgemein die öffentlich-rechtliche Vorzugsstellung und Privilegierung der betreffenden Religionsgesellschaften gegenüber anderen kennzeichnen wollte. Deshalb, so argumentierte Ebers zutreffend, konnte auch schon bisher die gesteigerte Aufsicht nicht, wie vielfach behauptet werde, das Korrelat der öffentlichen Körperschaften gewesen sein. 163 Die Kirchen standen dem Staat nach der Weimarer Verfassung nicht anders gegenüber als alle übrigen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Religionsgesellschaften, über die der Staat nur die allgemeine Religionshoheit ausübte. Die frühere umfassende Staatsaufsicht hatte sich "zur Religionsaufsicht verflüchtigt", 164 die ihrem Sinn nach nichts anderes war als die Vereinsaufsicht bezogen auf die Religionsgesellschaften. Gewisse, eng begrenzte, über die allgemeine Staatsaufsicht hinausgehende Aufsichtsrechte über die Kirchen standen dem Staat nach der Weimarer Verfassung nur insoweit zu, als die Kirchen tatsächlich öffentlich-rechtliche Befugnisse ausübten, wie beim Besteuerungsrecht, dem Friedhofsrecht und bei der Gewährung von Vollstreckungshilfe.165 Es wäre jedoch, wie Ebers betont, mißverständlich, diesen RestEbers, Staat und Kirche (Anm. 149), S. 134. Ebers, ebd., S. 129 f., S. 299 ff., S. 311 ff.; ebenso im Anschluß an Ebers Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 153), S. 5. 164 Ebers, ebd., S. 133; Mikat, ebd., S. 5. 165 Zum Ganzen sehr eingehend Ebers, ebd., S. 131 mit Anm. 1 und bes. s. 333ff. 162 163

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bestand an zulässiger Staatsaufsicht als Staatshoheit zu bezeichnen, da es eine allgemeine und umfassende staatliche Kirchenhoheit ebensowenig mehr gebe wie über die sonstigen Religionsgesellschaften. 166 Die einzelnen Länder des Deutschen Reiches bauten in der Weimarer Zeit die Staatsaufsicht über die Kirchen in unterschiedlich intensiver Weise aus. Insbesondere Preußen behielt sich in dem Staatsgesetz betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen vom 8. April1924 167 und dem Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. Juli 1924 168 weitgehende Aufsichtsbefugnisse über die Verwaltung der Kirchen vor, die allerdings, worauf Paul Mikat hinweist, in der Theorie offensichtlich eingreifender erschienen, als es der Praxis entsprach. 169 Anders gestaltete sich das Verhältnis von Staat und Kirche in den Ländern Bayern, Baden und Württemberg, die "den Kirchen weitestgehende Freiheit" gewährten. 170

d) Religionsrechtliche Gesetzgebungskompetenzen des Reiches Auf dem geschichtlichen Hintergrund der staatskirchenrechtlichen Entwicklung in Deutschland verdient es Beachtung, daß in der Weimarer Reichsverfassung erstmals wieder seit der Zeit der Reformation das Reich in weitem Umfang kirchenpolitische Zuständigkeiten an sich gezogen hat. 171 Nach Art. 10 Ziff. 1 und 2 der Verfassung besaß das Reich die Befugnis, im Wege der Gesetzgebung Grundsätze für die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften und das Schulwesen aufzustellen. Nach Art. 138 Abs. 1 S. 2 war es gleichfalls Aufgabe des Reiches, die Grundsätze für die durch Landesgesetze zu regelnde Ablösung der auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften festzulegen. Das Reich konnte jedoch die ihm von der Verfassung gebotenen Möglichkeiten in der Weimarer Zeit wegen der parteipolitischen Gegensätze im Reichstag nicht wahrnehmen. Als einziges Gesetz auf dem Gebiet der Religion erging am 15. Juli 1921 das Gesetz über die religiöse KindererzieMikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 153), S. 6. Text bei Liermann, Kirchen und Staat (Anm. 5), Bd. 1, S. 234 ff. 168 Text bei Liermann, ebd., S. 239 ff.; vgl. die kritischen Ausführungen zu diesem Gesetz bei Ebers, Staat und Kirche (Anm. 149), S. 326 ff., S. 360 ff. 169 Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 153), S. 6. 170 Ebers, Staat und Kirche (Anm. 149), S. 303, S. 325 f., S. 329. 171 Vgl. den historischen Überblick bei Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 91), s. 249. 166 167

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hung. Das Schwergewicht der staatskirchenrechtlichen Entwicklung lag daher tatsächlich nach wie vor bei den Ländern, von denen Bayern, Baden und Preußen ihre Beziehungen zu den Kirchen koordinationsrechtlich ausgestalteten.

e) Der Abschluß von Konkordaten und evangelischen Kirchenverträgen Im Zuge der in der katholischen Kirche von Papst Benedikt XV. 172 eingeleiteten und von Papst Pius XI. fortgesetzten Konkordatsära, die durch den Abschluß neuer Verträge die Zweifel an der Fortgeltung der nach der Säkularisation getroffenen Vereinbarungen beseitigen und die Rechtslage den grundlegend veränderten politischen Verhältnissen der Nachkriegszeit anpassen sollte, schloß Bayern am 29. März 1924 als erstes deutsches Land mit dem Heiligen Stuhl ein Konkordat, das den Wünschen Roms weit entgegenkam und das System der Staatskirchenhoheit endgültig beseitigte. 173 Nach fast zehnjährigen Verhandlungen kam am 14. Juni 1929 auch mit Preußen ein ähnliches Konkordat zustande. 174 Am 12. Oktober 1932 folgte der Abschluß des dritten Landeskonkordates mit Baden. 175 Diese Länderkonkordate treffen grundsätzliche Regelungen über das Verhältnis des Staates zur katholischen Kirche und gewährleisten deren öffentlich-rechtlichen Status. Inhaltlich regeln sie weitgehend die gleichen Materien: Zirkumskription und Dotation der Bistümer, Besetzung der Ämter und kirchlichen Stellen, die theologischen Fakultäten und den Religionsunterricht an den Schulen. Dem Staat wird ein beschränktes Veto bei Bischofsernennungen gegenüber solchen Kandidaten eingeräumt, gegen die "Erinnerungen politischer Natur" 176 bestehen. Den Konkordaten mit der katholischen ~irche entsprachen Verträge, die die einzelnen Länder mit den evangelischen Landeskirchen schlossen: Der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staat und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. November 1924 und ein entsprechender Vertrag mit der pfälzischen Landeskirche vom gleichen Tage; der Vertrag des Freistaates Preußen mit den evangelischen Landeskirchen 172 Vgl. die konkordatsgeschichtlich bedeutsame Ansprache Benedikts XV. im Geheimen Konsistorium vom 21. 11. 1921. Wortlaut in: AAS, 13. Jhg. (1921), s. 521-524. 173 Wortlaut in: AAS, 17 Jhg. (1925), S. 41 ff.; auch bei Liermann, Kirchen und Staat (Anm. 5), Bd. 1, S. 90 ff. 174 Wortlaut ebd., Bd. 1, S. 119 ff. 175 Wortlaut ebd., Bd. 1, S. 147 ff. 176 Vgl. ebd., Bd. 1., S. 103 f.

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vom 11. Mai 1931 und der badische Staatskirchenvertrag vom 14. November 1932. 177 Im preußischen Kirchenvertrag wurde analog zu den konkordatären Abmachungen mit der katholischen Kirche dem Staat die "politische Klausel" hinsichtlich der Besetzung leitender Ämter der evangelischen Landeskirchen zugestanden. 178 Durch die Konkordate und Kirchenverträge wurde in Anerkennung der gegenseitigen Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Staat und Kirche eine engere Bindung zu vertrauensvoller Zusammenarbeit im Interesse sowohl der Kirche als auch des Staates angebahnt. 179 Durch den Abschluß der Konkordate und Kirchenverträge wurde den Kirchen die durch den Wortlaut der Weimarer Reichsverfassung beseitigte Vorrangstellung in gewisser Weise wieder eingeräumt und so die Gefahr einer allmählichen Gleichstellung mit den verschiedensten Weltanschauungsvereinen, die öffentliche Körperschaftsrechte erhielten, gebannt. 180 Als Gegenleistung räumten die Kirchen dem Staat in freiwilliger Selbstbeschränkung ihres verfassungsrechtlich anerkannten Selbstbestimmungsrechts wieder eine Reihe von Mitwirkungsrechten ein. 2. Das Staatskirchenrecht in der Ära des Nationalsozialismus

Von einem ganz anderen Geist getragen war die Kirchenpolitik des nationalsozialistischen Staates, die im folgenden, ohne daß dabei die rechtliche und politische Problematik des Abschlusses, des Inkrafttretens und der Weitergeltung des Reichskonkordates erörtert oder die umfangreiche zu diesem Thema erschienene Literatur angeführt werden könnte, in aller Kürze dargestellt werden soll. Mit unterschiedlichen Methoden verfolgte der NS-Staat gegenüber der evangelischen und der katholischen Kirche dasselbe Ziel: die Vernichtung jeder eigenständigen, vom totalitären Staat und seinen Organen unabhängigen Kirche.

177 Wortlaut der einzelnen Verträge ebd., Bd. 1, S. 106 ff., S. 112 ff., S. 139 ff., S. 161 ff. Zu diesen Verträgen vgl. den Überblick bei Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche, Frankfurt IM. 1965, S. 17 ff. 178 Vgl. Art. 7 und 11 Abs. 2 und 3 des Vertrages bei Liermann, Kirchen und Staat (Anm. 5), Bd. 1, S. 140ff. 179 Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 127. 180 Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 153), S. 8.

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a) Der Abschluß des Reichskonkordats. NS-Kirchenpolitik und katholische Kirche Mit der katholischen Kirche schloß das Deutsche Reich auf Betreiben der Reichsregierung, die sich davon im In- und Ausland einen Prestigegewinn erhoffte, das Konkordat vom 20. Juli 1933 (RGBL II S. 679; RGBL I S. 625), das der Kirche weit entgegenkam. 181 Es beruhte zu einem großen Teil auf Entwürfen, die bereits in der Weimarer Zeit ausgearbeitet worden waren. Das Reichskonkordat ließ die Länderkonkordate mit Bayern, Preußen und Baden unangetastet. Es garantierte die Freiheit des Bekenntnisses, das Recht zur öffentlichen Ausübung der katholischen Religion und die Selbstverwaltung der Kirche. Seine insgesamt 34 Artikel trafen ferner Regelungen über die Errichtung einer Apostolischen Nuntiatur in Berlin, das staatliche Mitwirkungsrecht bei der Besetzung kirchlicher Ämter, die theologischen Fakultäten, den Religionsunterricht an den Volks-, Berufs-, Mittel- und Höheren Schulen, über Beibehaltung und Neugründung katholischer Konfessionsschulen und schließlich die Militärseelsorge sowie die Seelsorge in Krankenhäusern und Strafanstalten. Wie Papst Pius XII. unmittelbar n.ach Beendigung des Krieges in einer Stellungnahme zum Abschluß des Reichskonkordates im Jahre 1933 und zu den zahlreichen Verletzungen dieses Konkordates durch das Deutsche Reich in den darauffolgenden Jahren erklärte, hat die Kirche sich beim Abschluß des Konkordates keineswegs von übertriebenen Hoffnungen täuschen lassen. Sie habe damals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß mit dem Abschluß des Konkordates die Lehre und die Ziele des Nationalsozialismus in keiner Weise gutgeheißen seien.182 Das Ersuchen zum Abschluß des Konkordates sei von der deutschen Reichsregierung ausgegangen; im Falle einer Ablehnung wäre deshalb die Verantwortung für alle üblen Folgen auf den Heiligen 181 Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 3. 1957, in: BVerfGE 6, S. 309-367; ferner die umfassende Sammlung des Prozeßmaterials "Der Konkordatsprozeß", hrsg. von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. von der Heydte, München 1957 ff. (=Veröffentlichung des Instituts für Staatslehre und Politik e. V., Mainz, Bd. 7; insgesamt 12 Lieferungen in 4 Teilbänden); Hans-Joachim Becker, Zur Rechtsproblematik des Reichskonkordates, 2. Aufl., München 1956; Herbert Groppe, Das Reichskonkordat vom 20. 7. 1933, Köln 1956; Ernst Deuerlein, Das Reichskonkordat. Beiträge zu Vorgeschichte, Abschluß und Vollzug des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. 7. 1933, Düsseldorf 1956. Neuestens Hermann Mosler, Wer ist aus dem Reichskonkordat verpflichtet?, in: Gedächtnisschrift für Hans Peters, Berlin-Heidelberg-NewYork 1967, S. 350-374. 182 L'Osservatore Romano, Nr. 174 vom 2. 7. 1933, zitiert nach AAS; vgl. die folgende Anmerkung.

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Stuhl zurückgefallen. Trotz aller Verletzungen ließ das Konkordat tatsächlich den Katholiken doch eine rechtliche Verteidigungsgrundlage, eine Stellung, in der sie sich verschanzen konnten, um von da aus, solange es ihnen möglich war, der ständig steigenden Flut der religiösen Verfolgung sich zu erwehren. 183 Das Reichskonkordat, dessen Abschluß auch den deutschen Katholizismus weithin völlig überraschte und seine Bereitschaft zum politischen Widerstand gegen den in seiner Gefährlichkeit auch von den führenden Repräsentanten der Kirche nicht voll erkannten Nationalsozialismus im Jahre 1933 lähmte, bildete während der zwölf Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft die "unveränderte Rechtsgrundlage der Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche" .184 In den Gebieten, die nach 1938 dem Deutschen Reich angegliedert wurden, in Österreich, im Sudetenland, in Elsaß-Lothringen und dem Warthegau, besaß das Reichskonkordat keine Geltung. Es ist bemerkenswert, daß der Kirchenkampf dort bedeutend radikalere Formen annahm als im Altreich. 185

b) Nationalsozialistische Kirchenpolitik und evangelische Kirche Ungleich härter als die durch ihr Kirchenrecht und das Reichskonkordat rechtlich abgesicherte katholische Kirche traf die nationalsozialistische Kirchenpolitik die evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Die evangelische Kirche mußte sich gegen die 1933 einsetzenden Versuche der nationalsozialistischen Kirchenpolitik, "eine brauchbare Staatskirche zu schaffen", und die Bestrebungen der "Deutschen Christen", die eine "nationalsozialistisch-christliche Reichskirche" sein wollten, 186 auf ihr letztes Wesen dem Staat gegenüber besinnen. 187 Eine Reihe von Gesetzen, besonders das Gesetz über die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 14. Juli 1933 (RGBL I S. 471), das Neuwahlen in den Landeskirchen anordnete, fer183 Pius XII., Ansprache an das Kardinalskollegium vom 2. 6. 1945, in: AAS, 37. Jhg. (1945), S. 161. Deutsche Übersetzung in: Arthur-Fridolin Utzl Joseph-Fulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius' XII., Bd. 2, Freiburg/Schweiz 1954, Nr. 3534, s. 1803. 184 Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N. F., Bd. 10 (1961), S. 7. 185 Über die "Sonder-Kirchenpolitik im Warthegau" vgl. die ausführliche Darstellung bei Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 2, Stuttgart 1961, S. 163 ff.; ebenso Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 133 f. 186 Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts (Anm. 184), S. 7. 187 Smend, Staat und Kirche (Anm. 45), S. 8.

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ner das Gesetz über das Beschlußverfahren in Rechtsangelegenheiten der Evangelischen Kirche vom 26. Juni 1935 (RGBL I S. 774), das Streitsachen der evangelischen Kirche den ordentlichen Gerichten entzog, und das Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 24. September 1935 (RGBl. I S. 1178), das den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den evangelischen Landeskirchen ermächtigte, "Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen", 188 lieferte die evangelische Kirche dem Staat weitgehend aus. Das Vorgehen der Deutschen Christen, das Eingreifen des Staates, die Polemik der Deutschen Glaubensbewegung und der Partei nötigten die evangelische Kirche zu einer grundlegenden Überprüfung ihres Verständnisses von Kirche, Recht und Staat. 189 In der Barmer Bekenntnissynode vom 29. bis 31. Mai 1934 und im Handeln der Bekennenden Kirche überwand sie den verhängnisvollen Gegensatz von rechtsfreier Glaubenskirche und bekenntnisneutraler Rechtskirche und suchte ihre geistliche Existenz auch in kircheneigener Rechtsgestalt auszudrücken. 190

c) Planmäßiger Kirchenkampf der NS-Regierung Unter den Schlagworten der "Entkonfessionalisierung" und der "Entpolitisierung" des öffentlichen Lebens betrieb die nationalsozialistische Regierung von 1935 an planmäßig einen Kirchenkampf, der im Ergebnis beide Kirchen gleich schwer traf und auf eine völlige Entkirchlichung und Entchristlichung des gesamten öffentlichen Lebens hinzielte. Nach dem Endsieg sollten die Kirchen, die allein dem totalen Staat widerstehen konnten, völlig vernichtet werden. 191 Erst der totale Zusammenbruch des Reiches setzte dem bis in die letzte Phase des Krieges andauernden Kirchenkampf ein Ende.

188 Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts (Anm. 184), S. 7; Erler, Kirchenrecht (Anm. 46), S. 69-ff.; Wortlaut der Gesetze auch bei Liermann, Kirchen und Staat (Anm. 5), Bd. 1, S. 17 ff.; S 22 f. 189 Kurt Dietrich Schmidt I Klaus Till, Kirchenkampf, in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 1966, Sp. 948. 190 Ebd. 191 Raab, Kirche und Staat (Anm. 5), S. 134.

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3. Die Kirchenartikel des Bonner Grundgesetzes

Nach der Beseitigung der "Schicht des nationalsozialistischen Kirchenrechts"192 ging die Mehrzahl der deutschen Länder daran, in ihren Verfassungen das Verhältnis von Staat und Kirche neu festzulegen. Je nach der besonderen politisch-weltanschaulichen Gruppierung entschieden sich die einzelnen Länder in ihrer Verfassung für eine größere Nähe oder eine betontere Zurückhaltung gegenüber den Kirchen und deren Anliegen. Am 4. Dezember 1948 befaßte sich der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates in Bonn erstmals mit den Bestimmungen über das Verhältnis von Kirche und Staat. Die Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der DP stellten den Antrag, auch das Verhältnis von Staat und Kirche im Grundgesetz zu regeln. 193 Das in Art. 135 WeimRV enthaltene Recht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit und das Recht der ungestörten Religionsausübung wurden in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG an zentraler Stelle im Grundrechtsteil verankert. Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung hat das Bonner Grundgesetz in Art. 140 unverändert übernommen. Diese Maßnahme, die gelegentlich auf Kritik gestoßen ist, findet ihre Rechtfertigung nicht nur in dem Zeitdruck, unter dem der Parlamentarische Rat zu arbeiten gezwungen war, und in der Spaltung Deutschlands, die eine Neuordnung des Staatskirchenrechts in nur einem Teile Deutschlands inopportun erscheinen ließ, sondern vor allem auch in der Tatsache, daß eine praktikable Alternative zur bisherigen Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche damals nicht in Sicht war. Bereits im Parlamentarischen Rat hatte der Abgeordnete Seebohm darauf hingewiesen, daß die "iura circa sacra ", d. h. die aus der Hoheit des Staates über die Kirche fließenden Aufsichtsrechte als Ergebnis des Kirchenkampfes der Hand des Staates endgültig wieder entwunden worden seien. Die kirchliche Autonomie sei nicht in der staatlichen Rechtsordnung begründet. 194 Im gleichen Sinne hat Rudolf Smend festgestellt, auch die Verlegenheitslösung des Art 140 GG ändere nichts daran, daß angesichts der veränderten Lage der Dinge die wörtlich übernommenen Sätze der Weimarer Verfassung in der Welt der wirklichen Geltung unbeabsichtigt, aber unvermeidlich etwas anderes besagen als früher im Zusammenhang der Weimarer Verfassung.195 192 193 194 195

Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts (Anm. 184), S. 8. Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Bd. 1 (1951), S. 899 f. Ebd., S. 905. Smend, Staat und Kirche (Anm. 145), S. 11.

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Die Kirchen und Religionsgemeinschaften standen nach den Erfahrungen der Verfolgungszeit dem Staat mit einem vertieften und geläuterten Verständnis ihrer Eigenständigkeit und inneren Wesensverschiedenheit gegenüber. Diese Erkenntnis der wesenhaften inneren Distanz zum Staat hinderte die Kirchen jedoch nicht, im Interesse ihres Wirkens in dieser Welt eine neue Nähe zum Staat zu suchen, die in Kirchenverträgen und Konkordaten ihren rechtlichen Ausdruck fand. Der Verlauf der Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche unter dem Grundgesetz, der einer späteren Darstellung in diesem Jahrbuch vorbehalten bleibt, zeigt - unter dem Einfluß der Rechtsprechung eine stärkere Betonung des Individual- und Verbandsgrundrechts der Religionsfreiheit und zugleich eine stärkere Einordnung der Kirchen in die gesellschaftlichen Kräfte, mit denen sie sich in steigendem Maß konfrontiert sehen. Eine grundsätzliche Änderung des in der Weimarer Verfassung konzipierten und in das Grundgesetz übernommenen kirchenpolitischen Systems, das gekennzeichnet ist durch weltanschauliche Neutralität des Staates, Anerkennung der Freiheit der Kirchen von staatlicher Einflußnahme und Aufrechterhaltung der geschichtlich gewordenen Verbindungen der Kirche mit dem Staat und ihrer Stellung im öffentlichen Leben, ist jedoch nicht erfolgt und für die nächste Zukunft in Anbetracht der bisherigen Entwicklung wohl auch nicht zu erwarten.

Ein Dokumentarwerk zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts Rezension der vierbändigen Quellensammlung "Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert" von Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber I. Besprechung zu Band 11

Das hier in seinem ersten Band vorliegende, auf insgesamt drei Bände angelegte monumentale Quellenwerk stellt sich nach dem Vorwort der Herausgeber die Aufgabe, die Hauptmaterialien zur Geschichte der kirchlich-staatlichen Beziehungen in Deutschland für die Epoche des modernen Verfassungsstaats in ausgewogenem, gegliedertem und überschaubarem Zusammenhang zu vereinen. Ihrer gesamten Aufmachung und Struktur nach bildet diese staatskirchenrechtliche Dokumentation ein Pendant zu der mit dem Namen von Ernst-Rudolf Huber verbundenen renommierten dreibändigen Quellensammlung "Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte" (Stuttgart 1961-1966). Beide Sammlungen verweisen ihrerseits wiederum auf die von ErnstRudoll Huber verfaßte, inzwischen auf vier wuchtige Bände angewachsene "Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789" (Stuttgart 1957-1969; Bd. 1, 2. Aufl., 1967; Bd. 2, 2. Aufl., 1968; Bd. 3, 2. Aufl., 1970). Bereits diese Tatsache allein besagt dem Kenner der genannten Werke, daß es sich bei dem projektierten Gesamtwerk "Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert" um eine Edition handelt, die ihrem Anspruch und ihrem Rang nach alle wissenschaftlichen Erwartungen erfüllt, die man an ein solches Vorhaben berechtigterweise überhaupt stellen kann. Der erste Band enthält aus der Fülle der den Herausgebern vorliegenden Dokumente eine Auswahl von 300 staats- und kirchenrechtlichen Texten von Konkordaten, Staats- und Kirchengesetzen, staatli1 Huber, Ernst Rudolf - Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Band 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution. Berlin: Duncker & Humblot 1973. XXXI, 705 S. Erstveröffentlichung in: Stimmen der Zeit, 191. Band (1973), S. 862 f.

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chen und kirchlichen Verordnungen, theologischen Verlautbarungen, regierungsseitigen Erklärungen, staatlich-kirchlichen Noten- und Briefwechseln, parlamentarischen Reden und Anträgen und ähnlichen Dokumenten. Innerhalb des chronologisch geordneten Gesamtaufbaus des Bandes sind die sachlich zusammengehörigen Einzelstücke in Gruppen und Untergruppen zusammengefaßt. Diese Anordnung der Dokumente entspricht bewährten praktischen Bedürfnissen. Inhaltlich gliedern sich die insgesamt 20 Kapitel in folgende fünf Hauptabschnitte: Säkularisation und kirchliche Neuordnung, Das deutsche Konkordatssystem, Konflikt und Versöhnung im preußischen Vormärz, Konflikte zwischen Staat und katholischer Kirche in Süddeutschland 1830 bis 1848, Evangelisches Staatskirchenrecht 1801 bis 1848. Zum gewissermaßen "klassischen" staatskirchenrechtlichen Dokumentenbestand des frühen 19. Jahrhunderts gehören in diesem Band u.a. das "Edikt über die äußeren Rechts-Verhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern, in Bestimmung auf Religion und kirchliche Gesellschaften" vom 26. 5. 1818 (S. 128-139) und die Zirkumskriptionsbullen, durch die die kirchlichen Verhältnisse in Preußen (1821), in der oberrheinischen Kirchenprovinz (1821) und im Königreich Hannover (1824) im Einvernehmen zwischen Staat und Kirche dauerhaft geordnet wurden. Diesen nach langen Verhandlungen getroffenen Regelungen sind die jeweils zugehörigen zahlreichen vorbereitenden und begleitenden Dokumente, Protokolle und Schriftwechsel beigegeben. Viele der abgedruckten Aktenstücke spiegeln die Auseinandersetzungen zwischen der in Preußen, Baden, Bayern und Württemberg um ihre Selbständigkeit mit dem Staat ringenden katholischen Kirche wider. Die Dokumente Nr. 257-300 (S. 564-705) am Ende des Bandes befassen sich ausschließlich mit dem evangelischen Staatskirchenrecht. Sie bringen insbesondere die Edikte, Entscheidungen, Entschließungen und Erlasse über die Unionen zwischen den protestantischen Konfessionen und bedeutsame Quellen über die Ordnung und Entwicklung der protestantischen Kirchenverfassungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Staatskirchenrecht liegt im Schnittpunkt verschiedener Wissenschaften. Die Theologie, die Staatstheorie, das Kirchenrecht und die Verfassungsrechtslehre haben daran ihren Anteil. Das Staatskirchenrecht bildet deshalb auch einen gemeinsamen Gegenstand der Kirchen- und Rechtsgeschichte, insbesondere der Verfassungsgeschichte, und darüber hinaus auch der gesamtgeschichtlichen Forschung. In steigendem Maß wenden in neuerer Zeit auch die Soziologie und die Lehre von der Politik dem Staatskirchenrecht ihr Interesse zu. Keine wissenschaftliche Bibliothek wird deshalb auf den Erwerb dieses Quellenwerks verzichten können.

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II. Besprechung zu Band 112

Zum Verhältnis von Staat und Kirche ist in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 eine unübersehbare Fülle von Zeitschriftenartikeln und - vor allem während der letzten Jahre - eine große Anzahl von Buchveröffentlichungen erschienen. Dennoch fehlte bislang eine großangelegte, zusammenfassende und wissenschaftlich-repräsentative Dokumentation des wichtigsten Gesamtquellenbestands des deutschen Staatskirchenrechts. Es existieren zwar, insbesondere aus der Kulturkampfära, einige Teilsammlungen staatskirchenrechtlicher Aktenstücke; doch sind diese von begrenzter thematischer Zielsetzung und Reichweite, wie z. B. die von dem evangelischen Kirchenrechtslehrer Emil Friedberg, dem Berater des preußischen Kultusministers Adalbert Falk während der Kulturkampfzeit, herausgegebenen einseitigen Dokumentarwerke "Sammlung der Aktenstücke zum ersten vaticanischen Concil mit einem Grundrisse der Geschichte desselben" (Tübingen 1872) und "Aktenstücke, die altkatholische Bewegung betreffend, mit einem Grundriß der Geschichte derselben" (Tübingen 1876), denen der Ethiker Viktor Cathrein SJunter dem Pseudonym Nikolaus Siegfried eine die Interessen der katholischen Kirche stärker akzentuierende, 198 Dokumente umfassende Sammlung der "Actenstücke betreffend den preußischen Culturkampf nebst einer geschichtlichen Einleitung" (Freiburg 1892) folgen ließ. Die seit langer Zeit fühlbare Lücke schließt nunmehr das gegenwärtig im Erscheinen begriffene monumentale Quellenwerk "Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert", das weit mehr als tausend Dokumente enthalten wird. Es beginnt mit dem Untergang des alten Reichs in den Jahren 1803 bis 1806 und reicht in seinem dritten Band, mit dessen Erscheinen in einigen Jahren gerechnet werden kann, bis zum Ende der Weimarer Republik und zum Beginn der Herrschaft des Nationalsozialismus. Dem 1973 erschienenen ersten Band mit 300 Dokumenten aus dem Zeitraum vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution 1803-1848 (vgl. Stimmen der Zeit, Band 191 [1973], S. 862 f.) folgt nunmehr der noch beträchtlich umfangreichere zweite Band mit 477 staatlichen und kirchlichen Dokumenten und Aktenstükken über die Beziehungen zwischen Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs. Unter "Hochkonsti2 Ernst Rudolf Huber- Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. II: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890. Berlin: Duncker & Humblot 1976. XLVII, 1036 S. Erstveröffentlichung in: Stimmen der Zeit, 194. Band (1976), S. 856-858.

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tutionalismus" verstehen die Herausgeber jene Epoche des modernen Verfassungsstaats des vergangenen Jahrhunderts, "deren Signum die konstruktive Verbindung zweier Elemente ist: des Systems der Gewaltenteilung, das auf dem spannungsreichen und doch ausgewogenen Dualismus von monarchischer Regierungsgewalt und parlamentarischer Repräsentativgewalt beruht, und des Systems der Grundrechte, zu dessen festem Kanon in Deutschland von Anfang an neben den individuellen Freiheitsrechten die ,institutionellen Garantien' zugunsten der großen öffentlichen Einrichtungen und Körperschaften, an ihrer Spitze der christlichen Kirchen, gehören" (VorwortS. V). Auch in diesem zweiten Band ist das bewährte Gliederungsschema in Hauptabschnitte (Teile A-E), Kapitel (1-30) und Unterabschnitte (205), innerhalb derer die einzelnen Dokumente chronologisch aufgeführt sind, beibehalten worden. Von den fünf Teilen behandelt Teil A die Geschichte der katholischen Kirche von der Revolution des Jahres 1848 bis zur Reichseinigung 1870 (Dok. 1-128) und Teil B die Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Staat und den evangelischen Kirchen während des gleichen Zeitraums (Dok. 129-181). Der unverkennbare Schwerpunkt dieses Bands liegt auf dem Teil C, in dem der Kulturkampf von seiner Vorgeschichte an in allen seinen Phasen dokumentarisch geschildert wird. Neben sämtlichen Kulturkampfgesetzen des Reichs und Preußens finden sich hier zahlreiche, zum Teil erstmals publizierte Aktenstücke, Schriftwechsel, Berichte, Depeschen und Zirkularverfügungen staatlicher Behörden über den Kulturkampf im Reich und in Preußen, aber auch in Bayern, Baden und Hessen (Dok. 182-354). Spannender und erregender, als jeder einzelne Historiker es vermöchte, werden hier unmittelbar aus den Dokumenten die überwiegend von Bismarck höchstpersönlich zu verantwortenden, bereits zu ihrer Zeit völlig anachronistischen Eingriffe des Staates in die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der katholischen Kirche dargestellt. Wie Dokument Nr. 318 zeigt, trug sich Bismarck zeitweilig sogar mit dem Plan der Enthebung des Papstes aus seinen Machtbefugnissen in Preußen. Teil D enthält die Dokumente über die Beilegung des Kulturkampfs (Dok. 355-422), während der abschließende Teil E ausschließlich der Entwicklung der evangelischen Landeskirchen im Bismarckschen Reich gewidmet ist, wobei die Bewegung der Kirchenverfassungsreform eine besonders eingehende Berücksichtigung erfährt (Dok. 443-477). In wie hohem Maß die katholische Kirche in dem behandelten Zeitraum von 1848-1890 im Vergleich zu den in der damaligen Zeit noch in den Fesseln des Kirchenregiments ihrer Landesherren gefangenen evangelischen Kirchen die Hauptlast des Kampfes gegen die Exzesse des preußisch-deutschen Nationalismus, eines kirchenfeindlichen Li-

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beralismus und der bereits damals obsoleten Staatskirchenhoheit zu tragen hatte, beweist anschaulich die Tatsache, daß von den insgesamt 477 Dokumenten dieses mit Umsicht und höchster Sachkenntnis ausgewählten und vorzüglich redigierten Bandes sich 389 auf die katholische und nur 88 auf die evangelischen Kirchen beziehen. Das Werk ist eine große editorische Leistung. Wiederum sind nach der Grundentscheidung der Herausgeber sämtliche fremdsprachlichen Dokumente notgedrungen nur in deutscher Übersetzung abgedruckt. Eine begründete Ausnahme bilden in diesem Band das hier erstmals publizierte Schreiben Papst Pius' IX. an König Wilhelm I. von Preußen vom 10. 10. 1870, in dem der Papst Wilhelm I. um eine Intervention bei der Regierung von Florenz gegen den Mazzirnsmus und den Garibaldismus gebeten hat, und das Antwortschreiben König Wilhelms I. an den Papst vom 28. 10. 1870; diese beiden Schreiben sind auch im italienischen bzw. französischen Originaltext abgedruckt (Nr. 202a/B; 203 alb). Von großem Wert für das Verständnis des jeweiligen historischen Hintergrunds und Kontextes der einzelnen Dokumente sind die insgesamt 205 Einführungstexte zu den Dokumentengruppen, die von dem Mitherausgeber Wolfgang Huber entworfen wurden. Die Auswahl aus der Fülle des vorliegenden Materials läßt kaum Wünsche offen. Unter den das Erste Vatikanische Konzil betreffenden Dokumenten befinden sich unter anderem die Einladungsbulle Pius' IX. "Aeterni Patris unigenitus Filius" (S. XXV und 408 steht fälschlicherweise "unogenitus") und die Konstitution "Pastor aeternus" mit dem Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit (Nr. 184 bzw. 190). Unter den vatikanischen Dokumenten hätten in diesem Band auch noch die Kapitel 3, 10 und 13-15 der auf dem Ersten Vatikanischen Konzil nicht mehr zur Verabschiedung gelangten Konzilsvorlage über die Kirche Christi, das sogenannte "Schema über die Kirche Christi" mit den vorgesehenen Verwerfungskanones abgedruckt werden sollen. Dieses Dokument enthält die von den maßgeblichen Konzilstheologen formulierte damalige offiziöse katholische Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat (vgl. J. D. Mansi, Sacrorum Conciliorum nova et amplissima collectio, Bd. 51, S. 539A- 553A; Collectio Lacensis, Bd. 7, s. 567 ff.). Bei der Angabe der lateinischen Originalfundstellen der nach 1865 publizierten vatikanischen Dokumente hätte von den Herausgebern an erster Stelle auf die seit 1865 erschienene, hochangesehene und weitverbreitete römische Sammlung "Acta Sanctae Sedis" (ASS) verwiesen werden sollen, die von Papst Pius X. am 23. 5. 1904 zum amtlichen Publikationsorgan des Heiligen Stuhls erklärt (ASS 37 [1904], S. 4) und am 1. 1. 1909 durch die "Acta Apostolicae Sedis" (AAS) abgelöst

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wurde. Mit wenigen Ausnahmen sind sämtliche bedeutsamen vatikanischen Dokumente, wie z. B. die Enzyklika "Quanta cura" und der "Syllabus" vom 8. 12. 1864 (Dok. Nr. 182 und 183 =ASS 3 [1867-1968], S. 160 ff.; 167 ff.) und die Ankündigungsbulle zum Ersten Vatikanischen Konzil "Aetemi Patris unigenitus Filius" vom 29. 6. 1868 (Dok. Nr. 184 =ASS 4 [1868-1869], S. 2) in den ASS enthalten. Bei dem Breve Papst Pius' IX. vom 28. 10. 1870 an die 17 deutschen Bischöfe, die nach dem Ersten Vatikanum den gemeinsamen Hirtenbrief unterschrieben haben, in dem die Gläubigen zur Annahme des neuen Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes aufgerufen wurden (Dok. Nr. 196), ist die Fundstelle des lateinischen Originalwortlauts nicht angegeben. Der lateinische Text dieses Breves ist abgedruckt in der Sammlung "Collectio Lacensis", Bd. 7 (Freiburg 1890), S. 1736 ff. Auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Staat und Kirche kommt diesem Dokumentarwerk für das Studium der Kirchen- und Profangeschichte, der deutschen Verfassungsgeschichte sowie der historischen Grundlagen des Kirchen- und Staatskirchenrechts mit Einschluß des geltenden Religionsrechts der Bundesrepublik Deutschland für die Zukunft unbestritten der erste Rang zu.

m. Besprechung zu Bandmund IV 3 Mit dem Erscheinen der Bände III und IV liegt das monumentale Quellenwerk zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts von der Säkularisation des Jahres 1803 bis zur Machtübernahme Adolf HitZers im Jahr 1933 abgeschlossen vor. Nahezu zwei Jahrzehnte haben die beiden Herausgeber auf die Edition dieses mit großer Umsicht und Sachkenntnis redigierten Werks verwandt. Die Bände I und II der Edition sind in der Zeitschrift "Stimmen der Zeit" eingehend gewürdigt worden (Band 191 [1973], S. 862 f.; Band 194 [1976], S. 856 ff.). Die hier vorzustellenden Bände III und IV weisen die gleichen Vorzüge auf, die bei der Besprechung der Bände I und II hervorgehoben worden sind. Die Edition wird höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht. In transparenter und übersichtlicher Gliederung sind die Bände in übergeordnete "Teile" und innerhalb dieser in fortlaufend 3 Huber, Ernst Rudolf- Huber, Wolfgang: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. III: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Berlin: Duncker & Humblot 1983. XXXVI, 873 S.; Bd. IV: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik. Berlin: Duncker & Humblot 1988. XLIII, 884 S. Erstveröffentlichung in: Stimmen der Zeit, 208. Band (1990), S. 209-213.

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durchgezählte "Kapitel" eingeteilt. Von unschätzbarem Wert für das Verständnis der in diesem Werk abgedruckten Hunderten von Dokumenten sind die den einzelnen Kapiteln jeweils zu Anfang beigegebenen allgemeinen erklärenden Einführungen in die betreffende geschichtliche Materie und den jeweiligen Kontext und ferner die biographischen Angaben zu den Verfassern der Dokumente und zu den in diesen Dokumenten genannten Persönlichkeiten aus dem staatlichen und kirchlichen Bereich. Dankbar registriert der Leser auch die zahlreichen Hinweise auf die einschlägige historische und staatskirchenrechtliche Literatur. Band III enthält insgesamt 390 und Band IV insgesamt 418 einzelne, jeweils wiederum in sachlich zusammengehörende Gruppen zusammengefaßte Dokumente. Infolge der chronologischen Anordnung dieser nach Sachgebieten geordneten Dokumente gewinnen die einzelnen Kapitel für den historisch und staatskirchenrechtlich interessierten Benutzer den Charakter eines fesselnden "Lesebuchs". So kann der Leser in Kapitel 10 des Bandes III (S. 471-491) in zwölf Dokumenten den Fortgang der Auseinandersetzungen über die Aufhebung des Jesuitengesetzes, des letzten Kulturkampfgesetzes, während des Zeitraums von 1904 bis 1913 in allen wichtigen Etappen mitverfolgen.

Bandiii Band III enthält im Teil A in den Kapiteln 1-4 das die katholische und die evangelische Kirche gleichermaßen betreffende "allgemeine Staatskirchenrecht" (S. 1-242; Dokumente Nr. 1-106), im TeilBin den Kapiteln 5-11 die Dokumentation zum Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in der Zeit Wilhelms II. (S. 243-539, Dokumente Nr. 107-218) und in Teil C in den Kapiteln 12-18 das Quellenmaterial zum Verhältnis von Staat und evangelischer Kirche in der Zeit Wilhelms II. (S. 540-856; Dokumente Nr. 219-390). In einem abschließenden Anhang findet der Benutzer die wertvollen und im einzelnen anderswo oft schwer auffindbaren Angaben über die Besetzung der obersten Kirchenämter in Deutschland im Zeitraum von 1891 bis 1914, und zwar bei der päpstlichen Nuntiatur in München, in den deutschen Erzbistümern und Bistümern und in sämtlichen evangelischen Landeskirchen (S. 857-873). Teil A läßt vor dem Auge des Lesers die bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs andauernden Auseinandersetzungen im Deutschen Reichstag über den sog. "Toleranzantrag" der Deutschen Zentrumspartei wieder erstehen, in dem das Zentrum das Zustandekommen eines Reichsgesetzes über die Religionsfreiheit, vor allem zum Schutz der

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Katholiken in verschiedenen norddeutschen Kleinstaaten, immer wieder von neuem mit großem publizistischem Effekt gefordert hat. Eine Fülle von Dokumenten befaßt sich mit dem Finanzwesen und der Vermögensverwaltung der Kirchen, von der Auszahlung der in der Kulturkampfzeit gesperrten Staatsleistungen des preußischen Staates an die katholische Kirche (sog. "Brotkorbgesetz"), der Aufhebung der Stolgebühren in Preußen, der Entwicklung des damals allgemein, sowohl innerhalb der evangelischen als auch der katholischen Kirche, in den einzelnen deutschen Bundesstaaten ausgebildeten Kirchensteuerrechts bis zur Pfarrerbesoldung in Preußen und im Reichsland ElsaßLothringen. Ein weiteres Kapitel hat den Bereich von Staat und Kirche im Schul- und Hochschulwesen zum Gegenstand. Ferner spiegeln sich in diesen Dokumenten die Kämpfe um die Konfessionsschule und den Religionsunterricht in Preußen und in den übrigen Bundesstaaten wider. Ein eigener Abschnitt ist der Errichtung der Katholisch-Theologischen Fakultät in Straßburg gewidmet. Er enthält auch den Wortlaut der Konvention zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 5. Dezember 1902 über die Errichtung der heute noch bestehenden und in Frankreich ein Unikum bildenden Katholisch-Theologischen Fakultät in Straßburg (S. 188 f.). Weitere Schriftstücke betreffen den Bereich "Kirche und Wehrverfassung", d. h. die Befreiung der katholischen Geistlichen von der Wehrpflicht und die Bestimmungen über die katholische Militärseelsorge in Preußen und Sachsen. In Teil B, "Staat und katholische Kirche in der Zeit Wilhelms Il.", finden sich Kapitel mit Dokumenten, die das Verhältnis von Staat und Kirche nicht im eigentlichen Sinn, sondern nur indirekt betreffen. Sie sind eher dem innerkirchlichen Bereich zuzuordnen, haben aber andererseits auch bedeutsame Auswirkungen auf die rechtlichen Beziehungen von Staat und Kirche. So befaßt sich z. B. das 5. Kapitel "Die katholische Hierarchie und die katholische Laienbewegung" mit der Konstitution Pius' X. vom 20. Januar 1904 gegen die Einmischung des Staates in die Papstwahl, mit der Stellung der deutschen Kardinäle, mit den Stellungnahmen der deutschen Katholikentage zur römischen Frage sowie mit dem Volksverein für das katholische Deutschland. Ein eigenes Kapitel ist der Thematik "Der deutsche Katholizismus und die soziale Frage" gewidmet, d. h. dem Inhalt und der Entwicklung der sozialen Frage.

Die Kämpfe um die Aufhebung des Jesuitengesetzes, der Streit um die Canisius-Enzyklika vom 1. August 1897, das kirchliche Eherecht unter Papst Pius X. und dessen Enzyklika "Pascendi dominici gregis" vom 8. September 1907 über die Lehre des Modernismus werden einge-

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hend dokumentiert. In diesem Zusammenhang ist auch eine Fülle von Dokumenten zum Antimodernisteneid abgedruckt. Zwei weitere Kapitel behandeln im Rahmen des Teils B den Fortgang der Auseinandersetzungen über das Jesuitengesetz und dessen schließliehe Aufhebung. Dieses Gesetz wurde vom katholischen Volksteil zu Recht als eine Brüskierung seitens der protestantischen Mehrheit empfunden. Es wurde erst durch das unter dem Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg ergangene Gesetz vom 19. April 1917 aufgehoben (S. 503). Das 11. Kapitel "Staat und katholische Kirche in der Zeit des Ersten Weltkriegs" befaßt sich mit der Stellungnahme Papst Pius' X. zum Kriegsausbruch und mit den im Ergebnis erfolglos gebliebenen Friedensbemühungen Papst Benedikts XV. Teil C, "Staat und evangelische Kirche in der Zeit Wilhelms II.", gewährt tiefe Einblicke in die Organisation, die Willensbildung und die inneren Spannungen und vielfältigen Krisen der deutschen protestantischen Staatskirchen während der letzten drei Jahrzehnte der Monarchien und damit der Endphase des landesherrlichen Kirchenregiments. Am Anfang des 12. Kapitels "Organisationen und Programme des deutschen Protestantismus" steht der Aufruf des Evangelischen Bundes vom Januar 1887, der "durch den sogenannten Kulturkampf und die Art seiner Beilegung" die "Macht des Romanismus aufs höchste gesteigert" sah (S. 541). Verschiedene Dokumente zeigen den innerkirchlichen Widerstand gegen das vielfach als überholt empfundene landesherrliche Kirchenregiment. Das 13. Kapitel enthält Staatsgesetze zur Fortbildung der kirchlichen Gesetzgebung, z. B. über die Kirchengemeinde-, Synodal- und Generalsynodalordnungen. Besonders eingehend dokumentiert sind im 14. Kapitel der Fall des Berliner Hof- und Dompredigers Adolf Stoecker und die verschiedenen religiös-politischen "Krisen" dieses "Falles", die schließlich am 6. November 1890 zu Stoeckers Entlassung durch Wilhelm II. geführt haben. Stoecker, einer der Wortführer der gegen Ende der siebziger Jahre aufflammenden antisemitischen Agitation, erblickte im "modernen Judentum" einen Schrittmacher der beiden von ihm bekämpften Bewegungen der Sozialdemokratie und des Liberalismus (S. 592).

Im 15. Kapitel "Der Fall Harnack und der Apostolikumsstreit" erfahren die innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten im Zusammenhang mit der von Wilhelm II. am 17. September 1888 verfügten Berufung des liberalen Theologen Adolf Harnack von Marburg nach Berlin ("Fall Harnack") und mit der Absetzung der beiden württembergi-

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Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts

sehen Pfarrer Christoph Schrempf und Friedrich Steudel wegen Verweigerung des Gebrauchs des Apostolischen Glaubensbekenntnisses bzw. wegen Abweichens vom "evangelischen Lehrbegriff" eine eingehende Darstellung. Wegen der engen Verflechtung, die in der evangelischen Kirche infolge des landesherrlichen Kirchenregiments zwischen Thron und Altar herrschte, war die Haltung der evangelischen Kirche zur sozialen Frage mit der Entwicklung der staatlichen Sozialpolitik auf das engste verbunden. Dies illustrieren die Dokumente "Die evangelische Kirche und die soziale Frage". Eine eingehende Darstellung erfahren schließlich auch die evangelischen Lehrkonflikte am Vorabend des Ersten Weltkriegs, die in der umstrittenen Einführung eines Lehrbeanstandungsrechts in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union und in der aufsehenerregenden Amtsenthebung des Kölner Pfarrers Carl Jatho ("Fall Jatho") und des Dortmunder Pfarrers Gottfried Traub ("Fall Traub") ihren Ausdruck fanden. Die Haltung der evangelischen Kirche im Ersten Weltkrieg bildet den Gegenstand des den Band III abschließenden 18. Kapitels. Neben dem Allerhöchsten Erlaß König Wilhelms II. vom 2. August 1914, betreffend die Abhaltung eines außerordentlichen allgemeinen Bettags, sind hier zahlreiche Schriftstücke über den Kriegsdienst der evangelischen Geistlichen, die evangelische Militärseelsorge, die Friedensinitiative des Jahres 1914, die Aufgaben der Kirche im Krieg, die Haltung der evangelischen Kirche zur Verfassungsreform des Jahres 1917 und schließlich auch zum Kriegsende wiedergegeben.

Band IV Die für die Herausbildung des gegenwärtigen deutschen Staatskirchenrechts in besonderem Maß ereignisreichen Jahre der Weimarer Zeit sind in dem das Gesamtwerk abschließenden Band IV umfassend dargestellt. Mit dem Ende der konstitutionellen Monarchien im Reich und in den Ländern hörte auch das protestantische landesherrliche Kirchenregiment zu bestehen auf. In den Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (Art. 136-141) wurden die staatskirchenrechtlichen Grundentscheidungen getroffen, die auch die Zeit des Nationalsozialismus überdauert haben und infolge ihrer Rezeption in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Art. 140 GG) weithin auch noch in der Gegenwart die rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche bestimmen.

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Ebenso wie Band III ist auch Band IV übersichtlich in drei Teile gegliedert. Teil A enthält das allgemeine Staatskirchenrecht der Weimarer Zeit (S. 1-274; Dokumente Nr. 1-165), Teil B behandelt das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in der Weimarer Zeit (S. 275516; Dokumente Nr. 166-266), Teil C bringt die Dokumente über das Verhältnis von Staat und evangelischer Kirche in der Weimarer Zeit (S. 517-871; Dokumente Nr. 267-418). Am Schluß des Bandes befindet sich wiederum ein wichtiger biographischer Anhang über die Besetzung der obersten Kirchenämter in Deutschland in der Zeit von 1918 bis 1933, nämlich bei den päpstlichen Nuntiaturen in München und Berlin, in den deutschen Erzdiözesen und Diözesen und in den größeren evangelischen Landeskirchen. In den neun Kapiteln des Teils A "Allgemeines Staatskirchenrecht in der Weimarer Zeit" wird der Leser mit den grundlegenden Veränderungen bekanntgemacht, die durch das Ende der Monarchien in den deutschen Ländern ausgelöst wurden. Im Zug der Betonung der Gewährleistung einer ausschließlich individualistisch verstandenen Religionsfreiheit intendierten die Linksparteien und die aus ihren Anhängern gebildeten Arbeiter- und Soldatenräte eine radikale Trennung von Kirche und Staat. Gegen diese Bestrebungen und Maßnahmen wandten sich mit Vehemenz die katholischen Bischöfe und ebenso die evangelischen K.irchenleitungen. Der im einzelnen geschilderte Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments in Preußen und in den übrigen deutschen Staaten forderte von den evangelischen Kirchenleitungen die Schaffung neuer Kirchenverfassungen. Bereits mit Datum vom 13. Dezember 1918 erließ die preußische Regierung ein in seiner Tendenz kirchenfeindliches Gesetz "betreffend die Erleichterung des Austritts aus der Kirche und aus den jüdischen Synagogengemeinden", das allerdings bereits zwei Jahre später wieder beseitigt wurde (S. 57). Der in den Jahren 1919/1920 geführte Kampf um die Schule in Preußen und in den Mittel- und Kleinstaaten, konkret um den Religionsunterricht und den christlichen Charakter der Schule, wird mit zahlreichen Dokumenten und Schriftstücken illustriert. Das 4. und 5. Kapitel bringen die Entstehungsgeschichte und die kirchlichen Stellungnahmen zur Entwicklung des Staatskirchenrechts der Weimarer Reichsverfassung und der deutschen Länder. Weitere Kapitel behandeln die endgültige Regelung des Kirchenaustritts in den einzelnen Ländern, die reichs-und landesrechtliehen Bestimmungen über das Finanzwesen und die Vermögensverwaltung der Kirchen mit Einschluß der Staatsleistungen und der Neuregelungen der Kirchensteuergesetze in den deutschen Staaten, ferner über die Kindererziehung und die Schule und schließlich über die Militärseelsorge in der Weimarer Zeit, allerdings begrenzt auf die evangelische Militärseelsorge. 20 Sbd. List!

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Der die Kapitel 10-13 umfassende Teil B hat das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in der Weimarer Zeit zum Gegenstand. Die katholische Kirche war von dem Staatsumsturz ungleich weniger betroffen als die evangelischen Landeskirchen. Die innere Organisation und die Verfassungsstruktur der katholischen Kirche erfuhr, abgesehen davon, daß Diözesen und Teile von Diözesen vom Deutschen Reich abgetrennt wurden, so gut wie keine Veränderung. 1920 wurde in Berlin eine päpstliche Nuntiatur errichtet. Am 30. Juni 1920 überreichte der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1939-1958}, dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert das Beglaubigungsschreiben. Bereits in den Jahren 1920-1922 gab es seitens der Reichsregierung Bestrebungen zum Abschluß eines Reichskonkordats, die allerdings sehr zum Leidwesen des Apostolischen Nuntius Pacelli - wegen des konzertierten und hinhaltenden Widerstands der bayerischen und preußischen Regierung nicht zum Ziel führten. Statt dessen kamen nach langwierigen Verhandlungen am 29. März 1924 das Bayerische Konkordat, am 14. Juni 1929 das Preußische Konkordat und am 12. Oktober 1932 das Badische Konkordat zustande, die gegenwärtig noch in Geltung sind. Sehr heterogene Materien behandelt das 12. Kapitel. Es befaßt sich mit der Programmatik der katholischen Parteien, der Stellung der katholischen Kirche zum Friedensvertrag von Versailles, der Stellung der katholischen Kirche zum Staat von Weimar, ferner mit der Stellung der katholischen Kirche zur Sozialdemokratie, zur Ruhrbesetzung, zu verschiedenen nationalen Organisationen, mit der katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, mit Stellungnahmen des deutschen Episkopats zu den wirtschaftlichen Auseinandersetzungen, mit der Enzyklika Papst Pius' XI. "Quadragesima anno" über die soziale Frage vom 15. Mai 1931 und schließlich mit den bis zum Ende des Jahres 1932 ergangenen Stellungnahmen der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus. Eingehend dokumentiert ist der Abschluß des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, angefangen von den Vorverhandlungen, den katholischen Stellungnahmen zur Reichstagswahl, den Stellungnahmen des katholischen Episkopats nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933, der staatlichen Garantieerklärung für die Kirche und der kirchlichen Anerkennung der nationalsozialistischen Regierung, den ersten Auseinandersetzungen um die Politik der Gleichschaltung und der Stellungnahme des deutschen Episkopats zur "nationalen Revolution" über die eigentlichen Konkordatsverhandlungen bis zur Unterzeichnung und zum Irrkrafttreten des Reichskonkordats.

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Der abschließende Teil C behandelt in den Kapiteln 14-19 das Verhältnis von Staat und evangelischer Kirche in der Weimarer Zeit. Er beginnt mit den kirchlichen Auseinandersetzungen, die schließlich zur Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchenbunds führten. Eingehend dargestellt ist auch die Schaffung des neuen Kirchenverfassungsrechts der evangelischen Landeskirchen in Preußen, d. h. der Übergang der Rechte des Königs als des Trägers des landesherrlichen Kirchenregiments auf die einzelnen Landeskirchen Preußens, sowie in den Ländern Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Oldenburg und den übrigen kleineren deutschen Landeskirchen. In dem historisch außerordentlich interessanten Kapitel 17 werden die evangelischen Kirchenverträge mit den Ländern Braunschweig (1923), Bayern {1924), Sachsen (nicht-ratifizierter Vertrag 1929), Thüringen (1929), Anhalt {1930), Hessen {1930), Mecklenburg-Schwerin {1930), Preußen (1931), Baden (1932) im Wortlaut wiedergegeben. Mit sehr unterschiedlichen und vielfältigen, aber für das Leben der evangelischen Kirche bedeutsamen Gegenständen befaßt sich das mit "Politische Ereignisse und Kräfte im Blickfeld der evangelischen Kirche" überschriebene 18. Kapitel des Teils C, nämlich mit der evangelischen Kirche und den Folgen des Ersten Weltkriegs, der parteipolitischen Neutralität der Kirche und der parteipolitischen Betätigung der Pfarrer, der evangelischen Kirche und der Ruhrbesetzung, den Bemühungen um die Gründung einer evangelischen Partei, der evangelischen Kirche und der sozialen Frage, der Kriegsschuldfrage, dem Protestantismus und der Reichspräsidentenwahl 1925, den Auseinandersetzungen um die Fürstenabfindung, der evangelischen Kirche und der vaterländischen Bewegung, dem "Fall" des im März 1933 wegen seiner Äußerungen über den Krieg, den Kriegsdienst und den Tod für das Vaterland von den Nationalsozialisten seines Amtes enthobenen ehemaligen Pfarrers Günther Dehn (1882-1970), der parteipolitischen Neutralität der Kirche in der Endphase der Weimarer Republik und schließlich der Stellung der evangelischen Kirche zum Nationalsozialismus. Das abschließende Kapitel "Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche von 1933" behandelt die kirchenpolitischen Absichten Hitlers, die Stellung der evangelischen Kirche zur "Judenfrage", die Gleichschaltung der evangelischen Kirchenverfassungen, den Weg zur Deutschen Evangelischen Kirche und die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933. Der Band endet mit der Runclfunkansprache des Reichskanzlers Adolf Hitler vom 22. Juli 1933 zu den Kirchenwahlen. 20•

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Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts

Die bewährte Quellensammlung "Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert" genießt mit Recht allseitiges höchstes Ansehen. Die Herausgeber sind gegenwärtig mit der Erstellung des Registerbands befaßt, der ein Sach-, Personen- und Ortsregister und auch ein chronologisches Verzeichnis sämtlicher in den vier Textbänden wiedergegebenen Dokumente enthalten und das Werk vervollständigen wird. Sie sind zu ihrer editorischen Leistung aufrichtig zu beglückwünschen. Die Dokumentensammlung von Ernst Rudolf Huber und Wolfgang Huber ist in der Zwischenzeit selbst zu einem geschichtlichen Dokument geworden. Sie ist ein Arbeitsinstrument von klassischem Rang. Die Wissenschaften der Theologie, des Staats- und des Kirchenrechts, der Profan-, Kirchen- und Rechtsgeschichte und auch der Politologie sind auf dieses Werk angewiesen. Es ist von bleibendem Wert.

111. Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

Grundfragen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland I. Das System der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland 1. Das Grundverhältnis zwischen dem Staat und den Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland

Die Kirchen, d. h. die katholische und die evangelische Kirche, und die übrigen Religionsgemeinschaften erfreuen sich in der Bundesrepublik Deutschland in der Gegenwart einer rechtlich stark gesicherten Stellung. Diese Rechtsstellung beruht vor allem auf den Bestimmungen der Bundesverfassung, d. h. des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949; aber auch die meisten Landesverfassungen weisen, wie z. B. die Bayerische Verfassung vom Jahre 1946, umfangreiche und detaillierte Regelungen über die Beziehungen von Staat und Kirche auf 1 . Ferner ist das Verhältnis von Staat und Kirche für den Bereich der katholischen Kirche durch Konkordate, nämlich durch das fortgeltende Reichskonkordat vom 20 .. Juli 1933 und zahlreiche Länderkonkordate, die zwischen dem Heiligen Stuhl und einzelnen Bundesländern abgeschlossen worden sind, geregelt; für den Bereich der evangelischen Kirche bestehen zahlreiche den Konkordaten nachgebildete sog. "evangelische Kirchenverträge", die zwischen Erstveröffentlichung in: Anuario de Derecho Eclesiastico del Estado, Editoriales de Derecho Reunidas. Editorial de la Universidad Complutense de Madrid, Vol. I (1985), S. 93-117. 1 Über die Grundlagen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland vgl. den instruktiven Beitrag von Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Band 1 (Berlin 1974, pags. 5-86; vgl. ferner ders., La aportaci6n de las Iglesias al establecimiento de las disposiciones de la Constituci6n alemana delll de agosto de 1919 (Constituci6n del Reich de Weimar) y de la Ley Fundamental de Bonn de 23 de mayo de 1949 reguladores del Derecho eclesiastico del Estado, in: Constituci6n y relaciones Iglesia-Estado en la actualidad. Actas del Simposio hispano-aleman organizado por las Universidades Pontificias de Cornilias y Salamanca (Madrid, 13-15 de marzo de 1978) (Universidad Pontificia de Salamanca 1978), paginas 23-37.

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den einzelnen Bundesländern und den evangelischen Landeskirchen in den jeweiligen Bundesländern vereinbart und durch die Parlamente dieser Bundesländer als Landesgesetze beschlossen worden sind2 • Wiewohl diese evangelischen Kirchenverträge nicht den Charakter völkerrechtlicher Verträge besitzen, haben sie als sog. "Staatskirchenverträge" innerstaatlich dieselbe Geltungskraft, die den Konkordaten zukommt. Das Verhältnis der rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland bildet heute ein nur auf dem Hintergrund der religionsgeschichtlichen Entwicklung der letzten 500 Jahre verständliches komplexes System. Dieses ist entstanden in den Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen in der Reformations- und Nachreformationszeit und vor allem auch in den Kämpfen zwischen Staat und Kirche während des 19. Jahrhunderts. Heute stellt das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland einen ausgewogenen Ausgleich zwischen dem staatlichen und dem kirchlichen Freiheitsanspruch dar und ermöglicht den Schutz der religiösen Freiheit der Einzelperson und der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften in einer Weise, die auch nach den Maßstäben der freiheitlichen und rechtsstaatliehen Demokratie sowohl von seiten der Kirche als auch vonseitendes Staates als weithin optimal bezeichnet werden kann. Zwischen dem Staat und der Kirche herrscht in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Kirchenkampfes des nationalsozialistischen Staates nicht nur Friede; es besteht, wenn auch mit gewissen Abstufungen hinsichtlich der einzelnen Bundesländer, zwischen dem Staat und den Kirchen ein Klima des gegenseitigen Vertrauens und eine weitgehend freundschaftliche Kooperation. In der Tat genießen die Kirchen in der rechtsstaatliehen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unter der Herrschaft des Grundgesetzes einen Freiheitsraum, wie er ihnen in diesem Umfang effektiv in früherer Zeit niemals geboten war. Die staatskirchenrechtliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland beruht dabei auf den folgenden wesentlichen Elementen: a) Auf einer strikten institutionellen organisatorischen Trennung der Bereiche von Staat und Kirche; b) auf dem Grundsatz der religiösen Neutralität des Staates, die jedoch nicht als staatliche religiöse Indifferenz verstanden werden darf, 2 Hierzu um einzelnen Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1 (Anm. 1), paginas 267-296.

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sondern als positive Neutralität mit der Bereitschaft zu einer engen Kooperation zwischen Staat und Kirche auf vielen Gebieten; c) auf der Gewähr einer umfassenden individuellen Religionsfreiheit und der freien Betätigung der Kirchen und sämtlicher übrigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften3 ; d) auf der Anerkennung einer Stellung der Kirchen im Bereich des Öffentlichen, die in der Verleihung eines öffentlich-rechtlichen Status durch die Verfassung selbst ihren Ausdruck findet\ e) auf vielfältigen Formen einer staatlich-kirchlichen Kooperation, insbesondere f) in der Förderung der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften durch den Staat, vor allem in der Form der Einrichtung des Religionsunterrichts als ordentliches und obligatorisches Lehrfach an allen öffentlichen Schulen; g) in der Einrichtung Katholischer und Evangelischer Theologischer Fakultäten an zahlreichen staatlichen Universitäten; h) in der Organisation einer in die Streitkräfte integrierten Militärseelsorge; i) in der effektiven Gewährleistung der Seelsorge in Krankenhäusern und Strafanstalten; j) in der Mitwirkung des Staates bei der Einziehung der kirchlichen Steuern,

k) in der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche auf dem Gebiete der gesamten Wohlfahrtspflege, insbesondere mit den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes bei der katholischen Kirche und dem Diakonischen Werk der evangelischen Kirche; 3 Über die Bedeutung des Grundrechts der Religionsfreiheit im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland vgl. Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (Berlin 1971) (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 1); ferner ders., Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1 (Anm. 1), paginas 363-406; zum Grundrecht der Religionsfreiheit im einzelnen vgl. ders., La garantia constitucional y la aplicaci6n practica del derecho individual de libertad religiosa asi como de la libertad de las Iglesias, al amparo de la Ley fundamental, en la R. F. de Alemania, in: Constituci6n y relaciones Iglesia-Estado en la actualidad (Anm. 1), paginas 39-51. 4 Grundlegend über den öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland der Beitrag von Ernst Friesenhahn, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1 (Anm. 1), pags. 545-585.

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1) in einer effektiven und von den Kirchen als ausreichend empfundenen Berücksichtigung der kirchlichen Interessen im Bereich des Rundfunks und des Fernsehens. Will man das Staat-Kirche-Verhältnis im Sinne einer Kurzformel zusammenfassend umschreiben, so könnte die staatskirchenrechtliche Grundordnung im Sinne eines Versuchs einer abgekürzten Definition als verfassungs- und vertragsrechtlich begründetes freiheitliches Kooperationssystem bezeichnet werden. 2. Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts zwischen dem Bund und den einzelnen Bundesländern

Aus der Tatsache, daß das Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat ist, in dem neben dem Bund auch die elf Bundesländer im Rahmen ihrer Zuständigkeit originäre Staatsgewalt ausüben, kommt der Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den einzelnen Ländern auch für den Bereich des Staatskirchenrechts eine große Bedeutung zu. In der Bundesrepublik Deutschland ist der gesamte Bereich der Schul- und Religionsangelegenheiten grundsätzlich Ländersache. Nur soweit die Bundesverfassung, d. h. das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, Bestimmungen über die Religionsfreiheit und den Status und die Betätigung der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften enthält, geht Bundesrecht dem Recht der Länder vor. Die Verwaltung im Bereich des Schul- und Kirchenwesens liegt ausschließlich bei den Ländern. Allerdings wird die rechtliche Grundordnung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche durch das Grundgesetz, also von Bundes wegen, geregelt. Bereits durch den Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück vom Jahre 1648 wurde den Territorien, d. h. den einzelnen Landesfürsten und den freien Reichsstädten, die Regelung der Religionsangelegenheiten überlassen, jedoch auf der Grundlage der religionsrechtlichen Parität der drei großen reichsrechtlich anerkannten Konfessionen, nämlich der römisch-katholischen, der lutherischen und der reformierten Konfession, und mit begrenzten Duldungsverpflichtungen. Auch während des Kaiserreiches (1871-1918) lag bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 die Kompetenz in Religionsangelegenheiten ausschließlich bei den einzelnen Bundesstaaten, zwischen denen im Religions- und Kirchenrecht noch erhebliche Unterschiede bestanden. Lediglich das Eherecht und das Personenstandswesen wurden im Zuge der Kulturkampfgesetzgebung unter Einführung der von Frank-

Grundfragen des Staatskirchenrechts

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reich übernommenen obligatorischen Zivilehe durch Reichsgesetze geregelt. Erst mit der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 trat auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts eine bedeutsame Kompetenzverschiebung ein. In die Reichsverfassung wurde eine Regelung der wichtigsten Grundsätze der individuellen Religionsausübung und des Staat-Kirche-Verhältnisses aufgenommen. Das Grundgesetz vom 23. Mai 1949 hat die durch die Weimarer Reichsverfassung vorgenommene Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im wesentlichen übernommen, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied. Nach der Weimarer Reichsverfassung besaß das Reich eine Grundsatzkompetenz zur Regelung des Verhältnisses von Kirche und Schule, insbesondere im Hinblick auf die Einführung und Beibehaltung staatlicher Konfessionsschulen (Art. 10 Abs. 1 und 2 der Weimarer Reichsverfassung). Das Grundgesetz überläßt auch diesen Bereich völlig den einzelnen Bundesländern. Bestimmte Grundlagen des Religionsrechts und der Beziehungen von Staat und Kirche sind durch das Grundgesetz (GG) bundesverfassungsrechtlich und damit für sämtliche Länder verbindlich festgelegt. Hierzu gehören vor allem die folgenden Bestimmungen5 : a) Art. 3 Abs. 3: Gleichheit vor dem Gesetz ohne Rücksicht auf den Glauben und die religiösen Anschauungen; Verbot jedweder Benachteiligung oder Bevorzugung wegen der Religion. b) Art. 4: Die zentrale grundrechtliche Gewährleistung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und der ungestörten individuellen und gemeinschaftlichen Religionsausübung. c) Art. 6 Abs. 2: Garantie des Elternrechts mit Einschluß des religiösen elterlichen Erziehungsrechts. d) Art. 7 Abs. 3: Garantie des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs in den öffentlichen Schulen mit Einschluß der freien, d. h. der privaten Schulen. e) Art. 7 Abs. 4: Recht der Errichtung von privaten Schulen als Ersatzschulen für öffentliche Schulen. Dieses Recht steht auch den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu. f) Art. 33 Abs. 3: Zugang zu allen öffentlichen Ämtern, unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. s Der Wortlaut der Verfassungsbestimmungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949, die einen Bezug zur Religion und zum Verhältnis von Staat und Kirche aufweisen, findet sich in den genannten Artikeln.

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g) Art. 140: Inkorporation der sog. "Kirchenartikel" der Weimarer Reichsverfassung (Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung) in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Diese Verfassungsnormen haben, wie Ulrich Scheuner (1903-1981), einer der führenden Vertreter der deutschen Staatskirchenrechtswissenschaft, es einmal formuliert hat, "den Charakter bundesrechtlicher Richtnormen auf dem Gebiete der Landeszuständigkeit, die dem Landesgesetzgeber für Materien, die an sich seiner vollen Gestaltungsfreiheit überlassen sind, Schranken ziehen" 6 • Für den Rechtsschutz der Kirchen durch die staatlichen Gerichte ist die Tatsache, daß die genannten Materien durch das Grundgesetz, d. h. durch die Bundesverfassung, geregelt und damit Bundesrecht sind, von einer weittragenden Bedeutung. Wird nämlich das den Kirchen durch das Grundgesetz gewährleistete Recht, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, durch eine staatliche Verwaltungsbehörde oder durch ein staatliches Gericht verletzt, steht wegen des damit gegebenen Verstoßes gegen das Grundrecht der den Kirchen zustehenden korporativen Religionsfreiheit auch den Kirchen die Möglichkeit offen, im Wege der sog. "Verfassungsbeschwerde" das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anzurufen. In der Praxis haben sich während der vergangenen 30 Jahre die Kirchen und religiösen Gemeinschaften in zahlreichen Fällen im Wege der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht gewandt und meistens mit Erfolg. 3. Die Organisationsstruktur der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland

Soziologisch und statistisch ist die Situation der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland dadurch gekennzeichnet, daß in der katholischen und evangelischen Kirche zwei annähernd gleich große christliche Konfessionen bestehen, zu denen sich etwa 90 % der annähernd 62 Millionen der Einwohner bekennen7. Diese numerische Parität hat im Laufe der geschichtlichen s Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen (Anm. 1), pag. 46. 7 Zur Organisationsstruktur der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die Beiträge von Karl Eugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1 (Anm. 1), paginas 299-325; Walter Hammer, Die Organisationsstruktur der evangelischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1 (Anm. 1), pags. 327-340; Ernst-Lüder Solte, Die Organisationsstruktur der übrigen als öffentliche Körperschaften organisierten Religionsgemeinschaf-

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Entwicklung auch zu einer strengen religionsrechtlichen Parität zwischen den beiden Kirchen geführt. Neben der katholischen und der evangelischen Kirche bestehen zahlreiche kleinere Religionsgemeinschaften. Den größeren unter diesen kleinen Religionsgemeinschaften wurde vielfach auf Antrag der Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt. Alle übrigen kleinen religiösen Gruppierungen bestehen in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Jede der insgesamt 22 Diözesen (Bistümer) der katholischen Kirche und jede der 17 evangelischen Landeskirchen besitzt kraft Verfassungsrechts den Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WeimRV). Die strenge religionsrechtliche Parität zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche ist einer der tragenden Pfeiler der staatskirchenrechtlichen Ordnung und eine Grundvoraussetzung für den in der Bundesrepublik Deutschland seit langer Zeit erfreulicherweise zu konstatierenden religiösen Frieden 6 . Soweit dies im Bereich der Kultusverwaltung technisch und organisatorisch möglich ist, haben auch die kleineren Religionsgemeinschaften einen Rechtsanspruch an den Staat auf paritätische Behandlung mit den beiden Kirchen. 4. Die Bedeutung der Rechtsprechung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949

Das in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Staat-KircheVerhältnis ist in seiner gegenwärtigen konkreten Ausprägung weithin durch die Entscheidungen und die Verfassungsinterpretation der Gerichte geschaffen worden. Die Judikatur zum Grundrecht der individuellen Religionsfreiheit und zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht der Kirchen auf Ordnung und Regelung ihrer Angelegenheiten ist in der Bundesrepublik außerordentlich umfangreich 9 . Sie umten und ihre Stellung im Staatskirchenrecht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1 (Anm. 1), pags. 341-357; Josef Jurina, Die Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Rechtsstatus, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 1 (Anm. 1), pags. 587-605. a Zum Grundsatz der Parität vgl. Joseph Listl, La paridad juridico-confesional entre las Iglesias Cat6lica y Evangelica y las comunidades religiosas menores en los campos de la enseftanza y del derecho patrimonial ante el Derecho Eclesiastico estatal de la Republica Federal de Alemania, en: Revista de Administraci6n PUblica, num. 94 (Madrid 1981), paginas 345-365. 9 Die Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland zum Religions- und Staatskirchenrecht ist enthalten in der privaten Sammlung Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946, gegenwärtig herausgegeben von Hubert Lentz, Dietrich Pirson, Manfred Baldus. Der bisher letzterschienene 18.

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faßt sämtliche Gerichtszweige und Instanzen 10 . Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, das zu dem von diesem Gericht extensiv interpretierten Grundrecht der individuellen und gemeinschaftlichen Religionsausübung und zu Kirchenangelegenheiten zahlreiche wichtige Entscheidungen getroffen hat, ist hierbei letztlich maßgebend. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war bisher der Motor für eine zeitgemäße Fortentwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche und für die Interpretation des Grundrechts der Religionsfreiheit 11 . Die grundlegende Neuerung auf dem Gebiete des Religionsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, die während der vergangenen 30 Jahre zu verzeichnen ist, besteht darin, daß im Wege der Verfassungsinterpretation die Inanspruchnahme des Grundrechts der Religionsfreiheit nicht nur den Einzelpersonen, sondern auch den Religionsgemeinschaften als solchen zuerkannt wurde. Dabei handelt es sich nicht um das Recht der gemeinschaftlichen religiösen Betätigung einzelner, d. h. um die ungestörte gemeinsame Religionsausübungsfreiheit im Sinne der früheren "Kultusfreiheit", sondern um ein neues korporatives Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit. Dies bedeutet: Die Religionsfreiheit ist nicht nur Individualrecht, sondern auch Verbandsgrundrecht und steht auch den Religionsgemeinschaften selbst zu. Damit wurde auch den Religionsgemeinschaften und ihren Untergliederungen, z. B. auch Ordensgemeinschaften, das Recht eingeräumt, bei Verletzung ihrer religiösen Freiheitsrechte und ihrer freien Betätigung Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben. Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland wurde ferner die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht in einer bedeutsamen EntBand, Berlin: Verlag Walter de Gruyter 1985, umfaßt den Zeitraum vom 1. Januar 1980 bis 30. Juni 1981. Die Edition der Reihe Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946 wird fortgesetzt. Die Zahl der Gerichtsentscheidungen in kirchlichen Streitsachen zeigte während der vergangenen 20 Jahre eine steigende Tendenz. 1o Die Rechtsprechung zum Religions- und Staatskirchenrecht von 1946 bis 1971 ist systematisch dargestellt bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 3).

u Joseph Listl, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky, Band 1 (Wien 1980), paginas 571 y sigs.; Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in·der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bericht I, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Band 92 (1967), pags. 99 y sigs., und Bericht II, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Band 106 (1981), pags. 218 y sigs.

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scheidung das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Weise interpretiert hat, daß der Begriff der Religionsausübung "gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv ausgelegt werden" muß. Insbesondere darf die in Art. 4 Abs. 2 GG ausdrücklich gewährleistete Kultusfreiheit, also das Recht auf gemeinsame Religionsausübung, nicht enger ausgelegt werden, als die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Zur Religionsausübung gehören deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur kultische Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung zahlreicher religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch die religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Auch Karitas und Diakonie und alle Formen der tätigen christlichen Nächstenliebe, wie sie in kirchlichen Krankenhäusern geübt wird, gehören zu der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung 12 • Diese vom Bundesverfassungsgericht entwickelte extensive Interpretation des Begriffs der Religionsausübung erfaßt sämtliche Formen religiöser Betätigung, und zwar sowohl diejenigen der Einzelperson und der religiösen Vereinigungen als auch die der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach deren jeweiligem Selbstverständnis. 5. Der Stand der Staatskirchenrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland

Aus der Tatsache, daß das Staatskirchenrecht in den Entscheidungen der Gerichte und nicht zuletzt auch in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts einen bedeutsamen Stellenwert einnimmt, ergibt sich zwangsläufig, daß die Vertreter des öffentlichen Rechts, d. h. des Staats- und Verfassungsrechts, genötigt sind, sich intensiv mit Fragen des Staatskirchenrechts zu befassen. Deshalb ist die Staatskirchenrechtswissenschaft in der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland hoch entwickelt. Die Zahl der Publikationen zum Staatskirchenrecht, die insbesondere in der Form von Artikeln und Abhandlungen in zahlreichen juristischen Zeitschriften erschienen sind, ist außerordentlich groß und nur noch für Spezialisten überschaubar 13 . 12 Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 10. 1968 (1 BvR 241/66), in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 24, pags. 236-252. 13 Eine weithin vollständige Gesamtbibliographie des deutschen Staatskirchenrechts für den Zeitraum von 1945 bis 1967 ist abgedruckt am Ende des Sammelbandes von Helmut Quaritsch und Hermann Weber (Herausgeber), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik. Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950-1967 (Bad Hornburg v.d.H.-Berlin-Zürich 1967), paginas 444-524. Die

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An den juristischen Fakultäten der Universitäten spielt das Fach "Staatskirchenrecht" eine bescheidene Rolle. Es ist vor allem kein Prüfungsfach mehr für die juristischen Staatsprüfungen. Grundfragen des Staatskirchenrechts werden jedoch in den Vorlesungen des Staatsrechts behandelt, und zwar das Grundrecht der Religionsfreiheit im Zusammenhang mit den anderen Grundrechten und das institutionelle Verhältnis von Staat und Kirchen im Zusammenhang mit der Staatsorganisation.

Im Rahmen der allgemeinen Juristenausbildung wird das Fach "Kirchenrecht" bzw. "Staatskirchenrecht" an einigen juristischen Fakultäten als ein sog. "Wahlpflichtfach" angeboten, d. h. als eines unter verschiedenen wählbaren Fächern zum Erwerb der für die Erste Juristische Staatsprüfung erforderlichen Qualifikationsscheine. Außerdem findet das Fach "Kirchenrecht" bzw. "Staatskirchenrecht" an zahlreichen juristischen Fakultäten in Seminarübungen Berücksichtigung. Ungeachtet der verhältnismäßig bescheidenen Stellung, die dem Staatskirchenrecht im Lehrbetrieb der juristischen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig zukommt, haben sich während der vergangenen 30 Jahre viele Lehrer des Staats- und Verfassungsrechts an den deutschen Universitäten, und zwar aus beiden Konfessionen, wegen der großen Bedeutung, die der Religion und den kirchlichen Angelegenheiten in der Rechtsprechung zukommt, intensiv mit den Problemstellungen des Staatskirchenrechts befaßt. Ferner besitzt jede der evangelischen Landeskirchen und auch jede katholische Diözese eine Rechtsabteilung, in der Juristen aus dem Laienstande, die die Zusammenhänge des Staatskirchenrechts beherrschen, tätig sind. Die Bedeutung des Staatskirchenrechts für die Staatstheorie, die Verfassungsinterpretation, das Grundrechtsverständnis und das gesamte Staatsrecht, ferner für die Kirchenrechtslehre und die Verfassungsgeschichte und darüber hinaus für das gesamte politische Leben der Nation wurde in der staatsrechtlichen Grundlagendiskussion in der Bundesrepublik Deutschland während der vergangenen 30 Jahre in verstärktem Maße erkannt. Ausdruck dieses Interesses für das Staatskirchenrecht ist auch die Tatsache, daß es gelungen ist, unter der Federführung der beiden bedeutenden Staatsrechtslehrer Ernst Friesenhahn (1901-1984) und Ulrich Scheuner (1903-1981) und unter Mitarbeit von insgesamt 46 Vertretern der Staatskirchenrechtswissenstaatskirchenrechtliche Literatur für den Zeitraum von 1968-1977 ist enthalten in der Bibliographie von Charlotte Möck, Staat und Kirchen. Bibliographie zu ihrem rechtlichen Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtszeit 1968-1977. Mit einem Anhang über das Verhältnis von Staat und Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik (Hamburg 1979).

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schaft, von denen bemerkenswerterweise 23 katholisch und 23 evangelisch sind, also auch hier unter strenger Wahrung der religiösen Parität, in den Jahren 1974 und 1975 das zweibändige "Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland" herauszubringen14. In diesem Handbuch, das nach wie vor das Standardwerk des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland darstellt, hat das deutsche Staatskirchenrecht erstmals eine umfassende und repräsentative systematische Gesamtdarstellung erfahren. Dieses Werk behandelt im ersten Band in einer auch heute noch unverändert gültigen Weise die staats- und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Verhältnisses von Staat und Kirche, im zweiten Band die einzelnen Teilbereiche der Tätigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften im politischen Gemeinwesen 15 . Der Pflege des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland dienen auch zwei von den Kirchen selbst gegründete und unterhaltene Institute. Die Evangelische Kirche in Deutschland besitzt bereits seit 1947 in Göttingen das von dem bekannten evangelischen Staats- und Staatskirchenrechtslehrer Rudolf Smend gegründete und gegenwärtig von Prof. Axel von Campenhausen geleitete "Kirchenrechtliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland". Die 22 katholischen Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland gründeten im Jahre 1970 das von Prof. Joseph Listl geleitete "Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands" mit Sitz in Bonn. Diese beiden Institute, zwischen denen eine vertrauensvolle Kooperation besteht, stehen ihrer Kirche in allen staatskirchenrechtlichen Grundsatzfragen mit Auskünften und ihrem wissenschaftlich fundierten Rat zur Verfügung. Der Pflege der Wissenschaft des Staatskirchenrechts dienen die von evangelischen Kirchenrechtslehrern herausgegebene wissenschaftliche Reihe "Jus Ecclesiasticum" 16 und die vom Institut für Staatskirchen14 Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Herausgegeben von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl (Berlin, Verlag Duncker & Humblot, Band 1: 1974; Band 2: 1975). 15 Eine vorzügliche knappe Darstellung des gegenwärtigen Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland enthält das Lehrbuch von Axel Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, 2. Auflage (München 1983, 274 paginas). Die Grundzüge des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland sind dargestelJt bei Joseph Listl, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Herausgegeben von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz (Regensburg 1983), pags. 1050-1071. 16 Die Reihe Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht erscheint im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, Band 1: 1965; Band 30: 1983.

21 Sbd. List!

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recht der Diözesen Deutschlands betreute Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen" 17 . Großes Ansehen auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts hat sich auch die Reihe "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche" 18 erworben, in der die Referate und die umfangreichen Diskussionen veröffentlicht werden, die bei den alljährlich im Monat März vom Bistum Essen veranstalteten gleichnamigen interdisziplinären und interkonfessionellen "Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche" gehalten worden sind. Das 20. "Essener Gespräch zum Thema Staat und Kirche", das am 11. und 12. März 1985 stattfand, befaßte sich unter verschiedenen Aspekten mit den staatskirchenrechtlichen Problemen, die sich aus der Koexistenz von eineinhalb Millionen Muslimen, die infolge einer verfehlten Einwanderungspolitik der Bundesregierung wohl auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben werden, mit einer völlig anders geprägten christlichen Umwelt ergeben und für die Zukunft voraussichtlich ergeben werden. In der gesamten juristischen Literatur, insbesondere auch in den juristischen Zeitschriften, spielen Themen aus dem Bereich des Staatskirchenrechts eine bedeutsame Rolle. Alle wichtigen Gerichtsentscheidungen über Kirchensachen, vor allem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, werden in den führenden juristischen Zeitschriften abgedruckt.

ll. Einzelne Sachgebiete des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland 1. Der Religionsunterricht

Die für die Kirchen wohl bedeutsamste Einrichtung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland ist der Religionsunterricht, der an allen öffentlichen Schulen als staatliches und ordentliches Lehrfach erteilt wird. Auch an allen Freien Schulen, d. h. den Privatschulen, muß, sofern es sich nicht um Schulen handelt, die ausdrücklich als "bekenntnisfreie" Schulen deklariert sind, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, d. h. in der Regel mit zwei Wochenstunden, erteilt werden. Der Religionsunterricht ist konfessionelles Lehrfach. Dies bedeutet, daß er, obwohl er eine Lehrveranstaltung des Staates darstellt, in Übereinstimmung mit den dogmatischen 17 Die Reihe Staatskirchenrechtliche Abhandlungen erscheint im Verlag Duncker & Humblot, Berlin, Band 1: 1971; Band 15: 1983. IB Die Reihe Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche erscheint im Verlag Aschendorff in Münster/Westfalen, Band 1: 1969; Band 19: 1985.

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Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt werden muß 19 . Es sind die Kirchen, die über den Inhalt, den Lehrstoff, die anzuwendenden Lehrmethoden und auch über die Lehrbücher zu entscheiden haben. Die Kirchen sind auch berechtigt, die Erteilung des Religionsunterrichts durch kirchliche Beauftragte daraufhin überprüfen zu lassen, ob die Durchführung des Religionsunterrichts tatsächlich in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Kirche und ihren Lehren erfolgt. In der Rechtsprechung spielte die Frage eine bedeutsame Rolle, ob der Religionsunterricht wegen seiner Bindung an die glaubensmäßigen Lehren der Kirchen einer echten Leistungsbewertung zugänglich sein kann. Das Problem bestand nicht in erster Linie darin, ob der Religionsnote versetzungserhebliches Gewicht zukommt, mit anderen Worten, ob ein Schüler oder eine Schülerin unter Umständen auch wegen einer schlechten Religionsnote das Klassenziel nicht erreicht, sondem vor allem darin, ob die Leistungsbewertung im Fach Religion positive Auswirkungen haben kann, ob also die Religionsnote bei der Ermittlung des gesamten Notendurchschnitts gleichwertig mitgezählt werden kann. Dies ist vor allem auch für die Zulassung zum Studium von sog. numerus-clausus-Fachem von Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin hat zu dieser bedeutsamen Frage entschieden, daß durch den Religionsunterricht zulässigerweise die Kenntnis von Glaubenssätzen der Kirche vermittelt wird; dies stehe jedoch einer echten Leistungsbewertung im Fach Religion und einer versetzungserheblichen Ausgestaltung der Religionsnote nicht entgegen. Wie jedes wissenschaftliche oder wissenschaftsorientierte Fach sei auch der Religionsunterricht auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Nicht die glaubensmäßige Einstellung der Schüler, sondem ausschließlich deren Wissen unterliege der Leistungsbewertung und der Benotung20 . Seiner Rechtsnatur nach ist der Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland konfessionelles Pflichtfach, allerdings mit der 19 Zum Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die Beiträge von Ernst Friesenhahn, Religionsunterricht und Verfassung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 5 (Münster 1971), pags. 67 y sigs.; Christoph Link, Religionsunterricht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1), Band 2 (Berlin 1975), pags. 503-546; Joseph Listl, Der Religionsunterricht, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 15), paginas 590-605. 2o Diese Problematik ist behandelt in der Studie von Friedrich Müller und Bodo Pieroth, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Eine Fallstudie zu den Verfassungsfragen seiner Versetzungserheblichkeit (Berlin 1974) (=Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 4).

21°

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Möglichkeit der Abmeldung. Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres hat die Abmeldung durch die Eltern oder Erziehungsberechtigten der Schüler zu erfolgen. Nach Vollendung des 14. Lebensjahres bestimmt der Schüler selbst über seine Teilnahme am Religionsunterricht. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre waren die Zahlen der Abmeldungen vom Religionsunterricht an den höheren Schulen, d. h. an den Gymnasien und Oberschulen, relativ hoch und erreichten an manchen Schulen bis zu 30 %. Daraufhin wurde in den meisten Bundesländern für diejenigen Schüler, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet hatten, ein ersatzweiser Ethikunterricht eingeführt. Die Abmeldungszahlen gingen daraufhin schlagartig zurück; sie sind gegenwärtig außerordentlich niedrig und betragen nur wenige Prozent der Schüler. Zu der Frage, ob der Religionsunterricht konfessionelles Pflichtfach oder konfessionelles Wahlpflichtfach ist, liegt gegenwärtig dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung vor. Es geht dabei um die Frage, ob die Eltern bei der Einschulung von Kindern bestimmen können, daß ihre Kinder den Religionsunterricht nicht im eigenen Bekenntnis, sondern in einem anderen Bekenntnis besuchen, und ferner, ob sich religionsmündige Schüler, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, dafür entscheiden können, am Religionsunterricht nicht in der eigenen, sondern in einer anderen Konfession teilzunehmen. Die katholische und die evangelische Kirche stehen hierbei übereinstimmend auf dem Standpunkt, daß der Religionsunterricht nur iin eigenen Bekenntnis besucht werden kann, es sei denn, daß beide betroffenen Kirchen sich darüber geeinigt haben, daß der Religionsunterricht auch im anderen Bekenntnis besucht werden kann. In den Ländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind die Kirchen übereingekommen, auf der Oberstufe der höheren Schulen, der sog. Kollegstufe, den Schülern von den fünf Halbjahren der Kollegstufe den Besuch des jeweils anderen Religionsunterrichts für die Dauer von zwei Halbjahren zu gestatten, damit die Schüler Gelegenheit haben, auch die Lehren und Vorstellungen der anderen Konfession kennenzulernen. Von dieser Möglichkeit wird nach den bisherigen Erfahrungen nur ein relativ geringer Gebrauch gemacht. Bei den Vertretern der Staatskirchenrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland wird erwartet, daß das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerden dahingehend entscheiden wird, daß der Religionsunterricht konfessionelles Pflichtfach ist, daß also jeder Schüler nur den Religionsunterricht in der eigenen Religion besuchen kann, sofern nicht beide betroffenen Kirchen in gegenseitigem Einvernehmen und mit der erforderlichen Zustimmung der staatlichen Schulverwaltung eine Ausnahme getroffen haben 21 •

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Ferner kann die Erteilung des Religionsunterrichts nur aufgrund einer besonderen Beauftragung durch die Kirche erfolgen. Jeder katholische Religionslehrer bedarf daher einer ausdrücklichen missio canonica, die auf Antrag vom zuständigen Diözesanbischof erteilt wird. Wird ihm die missio canonica entzogen, verliert er damit automatisch die Qualifikation zur Erteilung des Religionsunterrichts. Ebenso verhält es sich mit der Lehrbeauftragung im evangelischen Bereich, der sog. vocatio. In verschiedenen Fallen haben die Gerichte übereinstimmend entschieden, daß nach Entzug der missio canonica ein Lehrer nicht mehr zur Erteilung des Religionsunterrichts befugt ist und daß gegen den Entzug der missio canonica, der eine im strengen Sinne innerkirchliche Angelegenheit darstellt, eine Klage vor staatlichen Gerichten nicht zulässig ist. Das Hauptproblem auf dem Gebiete des Religionsunterrichts liegt in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig nicht im Bereich des Staatskirchenrechts, sondern im innerkirchlichen Bereich und auf dem Gebiete der Religionspädagogik, d. h. in der persönlichen religiösen und theologischen Unsicherheit vieler Religionslehrer. Wie es scheint, haben sich auch auf diesem Gebiet während der letzten fünf bis zehn Jahre die Verhältnisse in erfreulicher Weise konsolidiert und sind im Begriffe, sich weiter zu stabilisieren. 2. Die Theologischen Fakultäten

In einer inneren Nähe zum Religionsunterricht, in dem die Grundlagen des Glaubens vermittelt werden, steht die Funktion der Theologischen Fakultäten, die der Pflege der wissenschaftlichen Theologie und der Ausbildung der Priester und Religionslehrer dienen. Ebenso wie der Religionsunterricht gehören auch die Theologischen Fakultäten staatskirchenrechtlich zu den "gemeinsamen" Angelegenheiten von Staat und Kirche22 . In der Bundesrepublik Deutschland bestehen an 21 Vgl. hierzu Joseph Listl (Herausgeber), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach. Sechs Rechtsgutachten von Christoph Link, Armin Pahlke, Joseph Listl, Ulrich Scheuner, Alexander Hollerbach zur Frage der Möglichkeit der Teilnahme von Schülern am Religionsunterricht einer anderen Konfession (Berlin 1983) (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 15). 22 Die zahlreichen Rechtsfragen der Theologischen Fakultäten werden eingehend behandelt bei Ernst-Lüder Solte, Theologie an der Universität. Staatsund kirchenrechtliche Probleme der theologischen Fakultäten (München 1971) (=Jus Ecclesiasticum, Band 13); ferner bei Heinz Mussinghoff, Theologische Fakultäten im Spannungsfeld von Staat und Kirche. Entstehung und Auslegung der Hochschulbestimmungen des Konkordats mit Preußen von 1929, dargelegt unter Berücksichtigung des Preußischen Statutenrechts und der Bestimmungen des Reichskonkordats (Mainz 1979); Alexander Hollerbach, Die Theologischen

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den Universitäten Augsburg, Bamberg, Bonn, Freiburg/Breisgau, Mainz, München, Münster, Passau, Regensburg, Tübingen und Würzburg staatliche Katholisch-Theologische Fakultäten, deren Rechtsstatus aufgrund des traditionellen deutschen Hochschulrechts weithin einheitlich ist. Daneben bestehen in Eichstätt, Fulda, Faderborn und Trier sowie an mehreren Ordenshochschulen staatlich anerkannte Katholisch-Theologische Fakultäten mit einem rein kirchlichen Rechtsstatus. Auf evangelischer Seite besteht eine ähnlich große Zahl Evangelisch-Theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten. Eine Bestandsgarantie für die Theologischen Fakultäten enthält das Grundgesetz nicht, wohl aber, jedenfalls im Grundsatz, das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 und die einzelnen Landesverfassungen, Länderkonkordate und evangelischen Kirchenverträge. Ihrer Rechtsnatur nach sind die Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten staatliche Einrichtungen, die vom Heiligen Stuhl als Theologische Fakultäten anerkannt sind und deshalb gleichzeitig sowohl staatlicher als auch kirchlicher Normierung unterliegen. Insofern besteht eine deutliche Parallele zum Religionsunterricht. Rechtsprobleme ergeben sich bei den Theologischen Fakultäten insbesondere bei der Berufung von Hochschullehrern für Theologie und ganz besonders im Falle einer sog. konkordatsrechtlichen Beanstandung, die zur Folge hat, daß ein Lehrer der Theologie wegen seiner Lehre oder wegen seines sittlichen Verhaltens seine Lehrtätigkeit innerhalb der Theologischen Fakultät einstellen muß. Es ist unbestritten, daß eine Lehrtätigkeit an einer staatlichen Theologischen Fakultät nur ausgeübt werden kann, wenn seitens des zuständigen Diözesanbischofs das erforderliche Nihil obstat, das eine besondere Form der missio canonica darstellt, erteilt worden ist. Ebenso ist unbestritten, daß eine Lehrtätigkeit nicht mehr weitergeführt werden kann, wenn der zuständige Diözesanbischof dieses Nihil obstat, d. h. die missio canonica, einem Theologieprofessor entzogen hat. Der Entzug des Nihil obstat bedarf seitens des Diözesanbischofs gegenüber der zuständigen Staatsregierung des betreffenden Bundeslandes einer Begründung. Der Entzug des Nihil obstat darf nur erfolgen, wenn der betreffende Lehrer der Theologie in seiner Lebensführung, d. h. in seinem sittlichen Verhalten, oder in seiner Lehre gegen Grundsätze der Kirche verstoßen hat. Fälle des Entzugs des Nihil obstat finden in aller Regel in der Publizistik eine beträchtliche Aufmerksamkeit. Dies ist in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt in spektakulärer Weise im Fakultäten und ihr Lehrpersonal im Beziehungsgefüge von Staat und Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 16 (Münster 1982), pags. 69-102.

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Falle des Tübinger Theologen Hans Küng geschehen. In der Praxis wird in einem derartigen Fall der konkordatsrechtlich beanstandete Universitätstheologe mit seinem Lehrstuhl, d. h. mit seinem wissenschaftlichen und nichtwissenschaftliehen Personal, in eine andere Fakultät, in der Regel in die Philosophische Fakultät, versetzt oder bis zur Beendigung seiner aktiven Dienstzeit unmittelbar dem Rektor oder Präsidenten der betreffenden Universität unterstellt; letzteres ist im Falle von Prof. Hans Küng geschehen 23 • Zwei Streitsachen sind auf dem Gebiete der Theologischen Fakultäten gegenwärtig vor Gerichten anhängig. Nach bisheriger allgemeiner Praxis und Überzeugung können Katholisch-Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten nur im gegenseitigen Einvernehmen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem betreffenden Bundesland errichtet werden. Vor zwei Jahren hat das Land Hessen an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt ohne Zustimmung der Kirche, ja gegen ausdrückliche Erklärungen des zuständigen Diözesanbischofs von Limburg und des Apostolischen Nuntius, einen Diplom-Studiengang in Katholischer Theologie eingerichtet. Sämtliche Bischöfe der Bundesrepublik Deutschland haben in ihren Amtsblättern öffentlich erklärt, daß der Grad eines Diplom-Theologen in katholischer Theologie, den die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt verleihen wird, von der katholischen Kirche nicht anerkannt wird. Gleichzeitig haben das Bistum und der Bischof von Limburg vor dem zuständigen Verwaltungsgericht in Wiesbaden Klage erhoben auf Feststellung, daß das Land Hessen durch die Errichtung dieses Diplom-Studienganges das Selbstbestimmungsrecht und damit die Religionsfreiheit der katholischen Kirche verletzt hat. Die erste Instanz, das Verwaltungsgericht Wiesbaden, hat Anfang Mai 1985 dem Lande Hessen das Recht zuerkannt, ohne kirchliche Zustimmung einen Diplom-Studiengang in katholischer Theologie einzurichten, da sämtliche Lehrer der Theologie an diesem Studiengang über eine kirchliche missio canonica verfügen. Die Kirche wird diesen Prozeß durch alle Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit führen. Man nimmt an, daß diese Frage in letzter Instanz auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. Nach der hier vertretenen Auffassung ist es unzulässig, daß ein Bundesland gegen den erklärten Willen der katholischen Kirche einen Diplom-Studiengang in katholischer Theologie einrichtet, ebenso wie es unzulässig wäre, daß ein Bundesland gegen den erklärten Willen der katholischen Kirche eine Katholisch-Theologische Fakultät errichtet. 23 Aus Anlaß der konkordatsrechtlichen Beanstandung des Tübinger Theologen Prof. Hans Küng entstand die bedeutsame Studie von Ulrich Scheuner, Rechtsfolgen der konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen (Berlin 1980) (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 13).

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Ein zweites Problem aus dem Bereiche der Theologischen Fakultäten betrifft die Bekenntnisbindung einer Promotion an einer staatlichen Theologischen Fakultät. An der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen war eine katholische Studentin, die an einer Doktor-Dissertation zum Thema "Die Theologische Anthropologie der Frau bei Karl Barth" arbeitet, von dem Betreuer ihrer Dissertation und auch vom Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät bereits vorläufig zur Promotion zugelassen worden. Der rechtlich für die Zulassung zur Promotion zuständige "Promotions- und Habilitationsausschuß" der Fakultät lehnte jedoch die Zulassung einer katholischen Doktorandin ab. Auf die Klage der Doktorandin verpflichtete die erste Instanz, das Verwaltungsgericht Sigmaringen, die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen zur Zulassung der Doktorandin zur Promotion, die zweite Instanz, der Verwaltungsgerichtshof BadenWürttemberg, hob die Entscheidung der ersten Instanz auf und wies die Klage der Doktorandin ab mit der Begründung, daß eine Promotion in evangelischer Theologie an das evangelische Bekenntnis gebunden sei 24 . Das Verfahren ist gegenwärtig vor der dritten Instanz, dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin, anhängig. Richtiger Ansicht nach ist davon auszugehen, daß eine Promotion in katholischer oder evangelischer Theologie an das katholische oder evangelische Bekenntnis des jeweiligen Doktoranden gebunden ist. 3. Das individuelle und kollektive kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht

Eine besondere Bedeutung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts erlangte während der letzten zehn Jahre der Bereich des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts 25 • Dies gilt sowohl für das kollektive als auch für das Individualarbeitsrecht. In Anbetracht der Tatsache, daß die evangelische und die katholische Kirche zusammen, insbesondere 24 Das umfangreiche und mit überaus reichen Literaturhinweisen versehene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. 7. 1984 (9 S 2239/82) ist abgedruckt in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1985,pags. 126-130. 25 Probleme des Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich sind während der vergangenen 10 Jahre in den Vordergrund der staatskirchenrechtlichen Diskussion getreten. Die Problematik des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts wird behandelt in der hervorragenden Darstellung von Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht (München 1984); ferner in den Untersuchungen von Josef Jurina, Das Dienstund Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland (Berlin 1979) (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 10); ders., Kirchenfreiheit und Arbeitsrecht, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Jobarmes Broermann (Berlin 1982), pags. 797-825.

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in ihren karitativen und diakonischen Einrichtungen, 660 000 Mitarbeiter beschäftigen, überrascht es nicht, daß die Gewerkschaften versuchen, auch innerhalb der kirchlichen Einrichtungen Einfluß zu gewinnen.

a) Das kollektive kirchliche Arbeitsrecht Die Kirchen haben in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Verfassungsbestimmung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 der WeimRV und aufgrund ausdrücklicher Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes, das für den Bereich der Wirtschaft gilt, und des Personalvertretungsgesetzes des öffentlichen Dienstes das Recht, die kollektiven Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Mitarbeiter durch eigenständige kirchliche Bestimmungen zu regeln 26 . Von dieser Möglichkeit haben die Kirchen Gebrauch gemacht. Dies bedeutet, daß die zwischen den Tarifparteien, d. h. den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, geschlossenen Tarifverträge für die kirchlichen Einrichtungen keine Geltung besitzen. In den kirchlichen Einrichtungen, zu denen auch sämtliche karitativen Werke gehören, die den Auftrag der Kirche in dieser Welt verwirklichen, gilt nicht das staatliche Betriebsverfassungsgesetz, sondern die von den einzelnen Diözesen bzw. den einzelnen evangelischen Landeskirchen erlassene kirchliche Mi tarbeitervertretungsordnung. Es besteht in den kirchlichen Einrichtungen deshalb auch kein nach dem Betriebsverfassungsgesetz gebildeter "Betriebsrat" wie in den Wirtschaftsunternehmen, sondern eine gewählte kirchliche "Mitarbeitervertretung" 27 . 26 Zum kollektiven Arbeitsrecht vgl. die Abhandlungen von Reinhard Richardi, Das kollektive Arbeitsrecht der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bernd Rüthers/Jean Savatier/Nicole Fontaine/Reinhard Richardi, Die Kirchen und das Arbeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich (= Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft Straßburger Kolloquien- Band 6) (Kehl am Rhein 1984), pags. 95-120, und Wilhelm Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 18 (Münster 1984), paginas 67-115. 27 Die konkrete Form der Regelung des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts, für die sich die katholische und auch die evangelische Kirche - mit Ausnahme einer evangelischen Landeskirche - in der Bundesrepublik Deutschland entschieden haben, wird in der arbeitsrechtlichen Sprechweise abgekürzt Dritter Weg genannt. Als Erster Weg käme dabei für den Bereich der katholischen Kirche eine Regelung in Frage, nach der die Festlegung der Arbeitsbedingungen durch den Diözesanbischof kraft des ihm für den Bereich seiner Diözese zustehenden Gesetzgebungsrechts erfolgt; der Zweite Weg wäre dieübernahmeder von den Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen Tarifverträge in die kirchlichen Einrichtungen oder der Abschluß von Tarifverträgen

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

Ein Problem, das sich auf diesem Gebiete stellt, besteht darin, ob auch die Gewerkschaften und ihre Funktionäre in den kirchlichen Einrichtungen tätig werden und bei den Wahlen zu den kirchlichen Mitarbeitervertretungen durch Gewerkschaftskandidaten kandidieren können. Es ist unbestritten, daß in den kirchlichen Einrichtungen, z. B. in einem katholischen Krankenhaus, bei der Wahl zur Mitarbeitervertretung auch eine gewerkschaftliche Liste der in der betreffenden kirchlichen Einrichtung tätigen Mitarbeiter gebildet werden kann. Die Kirchen haben sich aber dagegen gewehrt, daß betriebsfremde Gewerkschaftsfunktionäre zum Zwecke der Mitgliederwerbung und Mitgliederschulung zu kirchlichen Einrichtungen Zutritt haben sollen. Das Bundesarbeitsgericht in Kassel hat zu dieser Frage im Sinne der Gewerkschaften entschieden, daß auch betriebsfremden Gewerkschaftsfunktionären der Zutritt zu kirchlichen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung und Mitgliederschulung offenstehen müsse. Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Recht aus dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit hergeleitet. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben und entschieden, daß betriebsfremde Gewerkschaftsfunktionäre nicht berechtigt sind, gegen den Widerspruch der Kirchen in kirchlichen Einrichtungen Mitgliederwerbungen durchzuführen. Dies stehe im Widerspruch zum Recht der Kirchen, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln und zu ordnen28.

b) Das individuelle kirchliche Arbeitsrecht Ein weiteres Problem aus dem Bereich des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen kirchlichen Dienst- und Arbeitnehmern bei Verstößen gegen fundamentale Glaubens- und Sittenlehren der katholischen Kirche gekündigt werzwischen den Kirchen und den Gewerkschaften. In der Form des Dritten Weges werden die kollektiven Arbeitsbedingungen für die Dienstnehmer der kirchlichen Einrichtungen vereinbart zwischen gewählten Delegierten der kirchlichen Dienstnehmer und leitenden kirchlichen Dienstnehmern, die von den Diözesanbischöfen für die Verhandlungen mit den gewählten Delegierten beauftragt sind. Kommt eine Einigung zwischen den gewählten Vertretern der Dienstnehmer und den von den Diözesanbischöfen beauftragten Dienstnehmern nicht zustande, ist eine Entscheidung einer kirchlichen Schiedsstelle vorgesehen. Kann auch mittels des Vorschlags der Schiedsstelle eine Einigung nicht erreicht werden, entscheidet in letzter Instanz der Diözesanbischof kraft des ihm zustehenden Gesetzgebungsrechts. Diese Regelungen haben sich bisher in der Praxis durchaus bewährt. 28 Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1981 (2 BvR 384/ 78) in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 57, pags. 220-249.

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den kann 29 . Während der vergangenen zehn Jahre hatten sich in weit mehr als 100 Fällen staatliche Arbeitsgerichte mit Einschluß des Bundesarbeitsgerichts mit dieser Frage zu befassen. Das Bundesarbeitsgericht vertritt hierzu die Rechtsauffassung, daß bei sämtlichen Dienstnehmern, die mit einer Lehrtätigkeit betraut sind oder im Dienste der Glaubensverkündigung stehen oder in karitativen Einrichtungen eine selbstverantwortliche und mit Entscheidungsbefugnis ausgestattete Tätigkeit ausüben, bei Verstößen gegen fundamentale Pflichten der katholischen Glaubens- oder Sittenlehre eine Kündigung des Dienstbzw. Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt und daher zulässig ist. Bei den anderen Dienstnehmern, die nur sog. "technische" Arbeiten verrichten, wie z. B. bei einem Heizer, einem Hausmeister, einem Mechaniker, einer Sekretärin oder einem Chauffeur ist nach der Rechtsauffassung und nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Kündigung auch dann sozial nicht gerechtfertigt, wenn dieser Personenkreis gegen fundamentale kirchliche Pflichten verstößt, z. B. durch Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe oder auch sogar durch die Erklärung des Kirchenaustritts. Die Kirchen vertreten in dieser Frage einen entgegengesetzten Standpunkt. Bei Verstößen gegen fundamentale Loyalitätsobliegenheiten, insbesondere beim Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe oder im Falle der Erklärung des Kirchenaustritts, muß nach der Meinung der katholischen Kirche eine Kündigung auch dann sozial gerechtfertigt und zulässig sein, wenn es sich um Dienstnehmer in untergeordneten Tätigkeiten oder im reinen Innenbereich einer kirchlichen Einrichtung handelt. In dieser Frage hat das Bundesverfassungsgericht am 4. Juni 1985festgestellt, daß von den Arbeitsgerichten bei Kündigungen kirchlicher Bediensteter wegen Verletzung ihrer religiösen Loyalitätspflichten (z. B. bei Kirchenaustritt) die anerkannten Maßstäbe der betreffenden Kirche zugrunde zu legen sind. Das Gericht hat in diesem Beschluß, der von weittragender Bedeutung ist, drei Urteile des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben.

29 Zum individuellen Arbeitsrecht im kirchlichen Bereich vgl. Bernd Rüthers, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bernd Rüthers/Jean Savatier/Nicole Fontaine/Reinhard Richardi, Die Kirchen und das Arbeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich (Anm. 26), paginas 3-22; Axel Frhr. v. Campenhausen, Die Verantwortung der Kirche und des Staates für die Regelung von Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Bereich, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 18 (Münster 1984), pägs. 9-41.

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts 4. Das kirchliche Besteuerungsrecht

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gewährt denjenigen Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, und hierzu gehören vor allem die katholische und die evangelische Kirche, das Recht, aufgrundder staatlichen Steuerlisten von ihren Gläubigen nach Maßgabe der von den einzelnen Bundesländern hierzu zu erlassenden Gesetze Steuern, sog. Kirchensteuern, zu erheben (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WeimRV) 30 • Die Kirchensteuer und das Recht der Kirchen von ihren Gläubigen Steuern zu erheben, standen in der Bundesrepublik während der vergangenen 40 Jahre gelegentlich immer wieder im Mittelpunkt kirchenfeindlicher Agitationen. Diese Angriffe gingen zum Teil von politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen aus, wie z. B. der Freien Demokratischen Partei (FDP), aber auch von Presseorganen, wie dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", und verschiedenen illustrierten Massenblättern, wie z. B. der Wochenzeitschrift "Stern". Auch innerkirchliche spiritualistische Gruppierungen und Kräfte haben gelegentlich - im Ergebnis stets vergebliche - Versuche unternommen, die theologische Legitimität des kirchlichen Besteuerungsrechts in Frage zu stellen. Auf dem Gebiete des kirchlichen Besteuerungsrechts sind während der vergangenen 30 Jahre zahlreiche Prozesse vor Verwaltungsund Finanzgerichten geführt worden. Auch das Bundesverfassungsgericht wurde in mindestens zehn Fällen mit Fragen der Legitimität des kirchlichen Besteuerungsrechts konfrontiert. Die Gerichte haben sich dabei ganz eindeutig zugunsten der Verfassungsmäßigkeit des kirchlichen Besteuerungsrechts ausgesprochen. Ein Problem bildete lange Zeit die rechtliche Zulässigkeit des gesetzlich angeordneten Kirchensteuereinzugs durch die Arbeitgeber bei den Arbeitnehmern und durch die staatlichen und sonstigen öffentlichen Dienstherren bei den öffentlichen Bediensteten und Beamten31 • Auch diese Fragen sind zugunsten der Kirchen entschieden worden. 30 Zum Recht der Kirchensteuer in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die Beiträge von Reiner Marre, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1), Band 2 (Berlin 1975), pags. 5-50; ders., Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart. Die Kirchensteuer im internationalen Umfeld kirchlicher Abgabensysteme und im heutigen Sozial- und Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland (Essen 1982) (=Christliche Strukturen in der modernen Welt. Herausgegeben von Wilhelm Plöger, Band 28); Alexander Hollerbach, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 15), paginas 889-900. Die Kirchensteuergesetze der einzelnen Bundesländer sind abgedruckt bei Jörg Giloy, Kirchensteuerrecht und Kirchensteuerpraxis in den Bundesländern (Stuttgart-Wiesbaden 1978).

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Nach dem deutschen Kirchensteuerrecht ist die Kirchensteuer keine Ortskirchensteuer, sondern eine Diözesan- bzw. - bei den evangelischen Landeskirchen - eine Landeskirchensteuer. Die Kirchensteuern der Angehörigen der sog. "freien Berufe" (z. B. der Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, Unternehmer, Bauern) werden durch die Finanzämter erhoben. Die Kirchensteuern der Arbeitnehmer und Beamten werden von ihren Arbeitgebern bzw. ihren Dienstherren berechnet, einbehalten und an die zuständigen Finanzämter abgeführt. Von den Finanzämtern werden die Kirchensteuern den Oberfinanzdirektionen überwiesen und von den Oberfinanzdirektionen an die jeweils zuständige Diözese oder die zuständige evangelische Landeskirche weitergeleitet. Die Diözese bzw. die evangelische Landeskirche bestreitet aus den Kirchensteuern den Lebensunterhalt der geistlichen Amtsträger sowie der zahlreichen in kirchlichem Dienst stehenden Laien und weist den einzelnen Gemeinden den ihnen je nach ihrem Bedarf zukommenden Finanzanteil zu. Die Kirchensteuer ist eine sog. "Maßstabsteuer", d. h. sie wird nach dem Maßstab der effektiv entrichteten Lohnsteuer (d. h. der von den Arbeitnehmern und Beamten gezahlten Steuern) bzw. Einkommensteuer (d. h. der unmittelbar an das Finanzamt zu zahlenden Steuer der sog. "freien Berufe") erhoben. In den süddeutschen Ländern beträgt der Kirchensteuerhebesatz 8 % der Lohn- und Einkommensteuer, in den norddeutschen Diözesen und Landeskirchen 9% der Lohnund Einkommensteuer. Die Kirchensteuer bildet in der Bundesrepublik Deutschland die mit großem Abstand bedeutsamste Quelle für die Finanzierung der kirchlichen Aufgaben. Insgesamt erhalten und benötigen die beiden Kirchen zusammen gegenwärtig jährlich etwa 10 Milliarden DM an Kirchensteuern. Nach der für das Jahr 1986 geplanten Steuerreform die eine erhebliche Senkung der Lohn- und Einkommensteuer bringen soll, werden beide Kirchen zusammen etwa 9 Milliarden DM an Kirchensteuern erhalten32 . 31 Zu dieser Frage, die in der Bundesrepublik Deutschland durch die Rechtsprechung endgültig zugunsten der Kirche entschieden worden ist, vgl. Axel Frhr. v. Campenhausen!Theodor Maunz/Ulrich Scheuner/Herbert Scholtissek, Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuer. Vier Rechtsgutachten zur Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit (Berlin 1971) (=Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Band 2). 32 Einen zusammenfassenden Überblick über das Kirchensteuerwesen in der Bundesrepublik Deutschland gibt Josef Isensee, La financiaci6n de la misi6n de las Iglesias en la Republica Federal de Alemania, in: Constituci6n y relaciones Iglesia-Estado (Anm. 1), pagsc 89-102; ders., Las fuentes financieras de las iglesias en el derecho eclesiastico del Estado en la Republica Federal Alemana, in: Simposio Sudamericano Aleman sobre Iglesia y Estado. Estudios presentados en las Quintas Jornadas Teol6gicas de la P.U.C.E., organizadas en colaboraci6n

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

Nur aufgrund der von den Gläubigen in dieser Höhe entrichteten Kirchensteuer ist es der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland möglich, neben der Befriedigung ihres Finanzbedarfs für die Besoldung der Geistlichen und die Entlohnung der im kirchlichen Dienst stehenden Laien und die unmittelbar pastoralen Aufgaben der Kirche, ihre zahlreichen sozial-karitativen Einrichtungen, Kindergärten und Schulen zu unterhalten und die vielen Dienste, z. B. in der Ehe- und Lebensberatung und in der EIWachsenenbildung, anzubieten, wie dies in der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Nach einer in der Bundesrepublik verbreiteten Meinung ist an der theologischen Legitimität und an der prinzipiellen Richtigkeit des modernen K.irchensteueiWesens festzuhalten. Dieses System entspricht der in der Bundesrepublik Deutschland geübten und bewährten Kooperation zwischen den Kirchen und dem freiheitlich-demokratischen Staat. Das deutsche KirchensteueiWesen ist effizient und dient im letzten sowohl der Kirche als auch dem Staate selbst, der durch die kirchlichen Einrichtungen von vielen Tätigkeiten entlastet wird, die er bei Wegfall der Kirchensteuer selbst übernehmen müßte. Im Interesse der Gewährung effektiver Religionsfreiheit muß jedem Kirchenangehörigen, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden hat, jederzeit die Möglichkeit geboten sein, seine Zugehörigkeit zur Kirche durch eine vor einer staatlichen Behörde abzugebende Erklärung des Kirchenaustritts zu beenden. Gerade bei der Kirchensteuer ist die Kirche aufgerufen, ihren Gläubigen die Sinnhaftigkeit und die Notwendigkeit der Erhebung und der VeiWendung der Kirchensteuer immer wieder erneut vor Augen zu führen. Dies geschieht einmal dadurch, daß sämtliche Diözesen zu Beginn eines jeden Jahres eine detaillierte Haushaltsaufstellung veröffentlichen und auf diese Weise allen interessierten Gläubigen die Möglichkeit geben, sich eingehend sowohl über den Umfang als auch über die genaue VeiWendung der Kirchensteuermittel zu informieren; ferner dadurch, daß über die VeiWendung der Kirchensteuermittel nicht der Diözesanbischof und die Kleriker allein bestimmen, sondern der in jeder Diözese gebildete Diözesankirchensteuerrat, d. h. ein Gremium, dessen Mehrheit aus gewählten, sachkundigen Laien besteht.

con el Instituto de Derecho Eclesiastico del Estado en Bonn (Quito, 4-8 de junio de 1979), Editado por Julio Teran Dutari, Ediciones de la Universidad Cat6lica (Quito 1980), pags. 181-197.

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5. Sonstige Einzelgebiete des Staatskirchenrechts

Auf weitere Einzelbereiche des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland kann im Rahmen dieses Beitrags nur verwiesen werden. Dies gilt einmal von der Militär- 33 und Anstaltsseelsorge 34 ; ferner von dem weiten Gebiet der sozial-karitativen Betätigung der Kirchen 35 , in dem sich infolge der Koexistenz und Konkurrenz der freien Träger der Wohlfahrtspflege, d. h. vor allem der Kirchen, mit den kommunalen und staatlichen Einrichtungen viele Probleme, insbesondere auch finanzieller Art, ergeben, und schließlich von der Beteiligung der Kirchen am Rundfunk und am Fernsehen36 sowie an den Einrichtungen der Erwachsenenbildung37 , in der die Kirchen durch zahlreiche kirchliche Akademien in starkem Maße engagiert sind.

33 Zur Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Rudolf Seiler, Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1), Band 2 (Berlin 1975), pags. 685-700; Alfred E. Hierold, Militärseelsorge, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 15), pags. 447-453. 34 Zur Anstaltsseelsorge vgl. Karl Albrecht, Anstaltsseelsorge, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1), Band 2 (Berlin 1975), paginas 701-709; Alfred E. Hierold, Anstaltsseelsorge, in. Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 15), pags. 443-447. 35 Hierzu Walter Leisner, Das kirchliche Krankenhaus im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 17 (Münster 1983), pags. 9-29; Hermann J. Pottmeyer, Das kirchliche Krankenhaus - Zeugnis kirchlicher Diakonie und ihres Auftrags, ebd., pags. 62-84; Ernst Friesenhahn, La previsi6n social eclesiastica bajo la Ley Fundamental de la Republica Federal de Alemania, in: Constituci6n y relaciones Iglesia-Estado (Anm. 1), pags. 125-142. 35 Hierzu Karl Forster, Kirchliche Präsenz in Hörfunk und Fernsehen. Orientierende Gesichtspunkte aus dem Selbstverständnis der Kirche, aus der Aufgabe gesellschaftlicher Kommunikation und aus den Verantwortungsstrukturen der Anstalten, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Band 13 (Münster 1978), pags. 9-31; Karl Holzamer, Positionen, Erfahrungen und Erwartungen im Verhältnis der Kirchen zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Nachkriegsentwicklung, ebd., pags. 55-67; Wilhelm Kewenig, El derecho de la Iglesia al acceso a los medios de comunicaci6n colectiva, in: Simposio Sudamericano Aleman (Anm. 32), pags. 161-180; Wolfgang Rüfner, El derecho, por parte de las Iglesias, al uso de los medios publicos de difusi6n en el ambito de la radio y la televisi6n alemana, in: Constituci6n y relaciones IglesiaEstado (Anm. 1), pags. 167-178. 37 Peter Weides, Erwachsenenbildung und Akademien, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1), Band 2 (Berlin 1975), paginas 623-681.

Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland Wissenschaftlicher Status und gegenwärtige praktische Bedeutung I. Das Staatskirchenrecht als Teilbereich des Verfassungs- und Staatsrechts Nach der Feststellung des evangelischen Bonner Staats- und Staatskirchenrechtslehrers Klaus Schlaich befindet sich die wissenschaftliche und didaktische Behandlung des deutschen Staatskirchenrechts 1 in einer so glücklichen Lage wie wohl keine zweite Sonderdisziplin des Staatsrechts 2 • Das Staatskirchenrecht ist angesiedelt im Grenzbereich zwischen dem Staats- und Verfassungsrecht und überhaupt dem staatlichen öffentlichen Recht einerseits und dem eigenen Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf der anderen Seite. In der Rechtspraxis spielen infolge der engen Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen, wie sie durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Länderverfassungen konstituiert ist, staatskirchenrechtliche Fragen eine bedeutsame Rolle. Paraus erklärt es sich, daß das Staatskirchenrecht auch in der Rechtsprechung des Erstveröffentlichung in: Zeugnis des Glaubens - Dienst an der Welt. Festschrift für Franz Kardinal Hengsbach zur Vollendung des 80. Lebensjahres. Im Auftrage des Bischöflichen Generalvikariates und des Domkapitels zu Essen herausgegeben von Baldur Hermans. Mülheim an der Ruhr, Edition Werry 1990, s. 763-782. 1 Der Begriff "Staatskirchenrecht" wurde im 19. Jahrhundert vom dem liberalen Tübinger Staatsrechtslehrer Robert von Mohl (1799-1872) geprägt. Er findet sich erstmals in seinem Werk "Staatsrecht, Völkerrecht und Politik", Tübingen 1860-1869 (Neudruck Graz 1962), Zweiter Band: Politik. Bd. I, Tübingen 1862, S. 185. Diesbezüglicher Hinweis bei Inge Gampl, Staatskirchenrecht. Leitfaden, Wien 1989, S. 1. Über Robert von Mohl vgl. Ernst von Hippel, Art. v. Mohl, in: Staatslexikon. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Bd. 5, Freiburg/Er. 1960, Sp. 804 f.; Erich Angermann, Art. Mohl, in: Staatslexikon. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 3, Freiburg/Basel/Wien 1987, Sp. 1204f. . 2 Klaus Schlaich, Rezension des Werkes von Otto Voll, unter Mitwirkung von Johann Störle, Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts (HdbBayStKirchR), München 1985, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1989, S. 1212.

Das Staatskirchenrecht in Deutschland

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Bundesverfassungsgerichts und aller übrigen deutschen Gerichte aller Gerichtszweige und Instanzen einen bedeutsamen Platz einnimmt. Hieraus ergibt sich, daß sich die Rechtswissenschaft, insbesondere die Vertreter des Faches "Öffentliches Recht" an den Juristischen Fakultäten der deutschen Universitäten, immer wieder intensiv mit Fragen des Staatskirchenrechts zu befassen hat. Diese Tatsache steht in einem auffälligen Kontrast dazu, daß das Fach "Kirchenrecht", in aller Regel verstanden und betrieben als "Staatskirchenrecht", heute im gewöhnlichen Studienbetrieb der Rechtswissenschaftlichen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland, im Gegensatz etwa zu der Situation noch während des 19. Jahrhunderts, keine zentrale Rolle mehr spielt, sondern eher zu einem Aschenbrödeldasein verurteilt ist. An verschiedenen Juristischen Fakultäten kann in diesem Fach von denjenigen Studenten, die dafür ein besonderes Interesse zeigen, im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft oder einer Seminarübung allenfalls noch einer der erforderlichen Wahlpflicht- oder Zulassungsscheine für die Erste Juristische Staatsprüfung erworben werden. Auch werden relativ häufig Themen aus dem Bereich des Staatskirchenrechts für Doktordissertationen vergeben3. Ungeachtet dieser bemerkenswerten thematischen Vernachlässigung des Staatskirchenrechts im Fächerkanon des juristischen Lehrbetriebs ist gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland der Stand der Staatskirchenrechtswissenschaft dennoch ein relativ sehr hoher. Er kann sich ohne weiteres mit dem Stand dieser Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts messen. Dies beweist vor allem auch die umfangreiche und überhaupt nur von Experten überschaubare Literatur, die zu staatskirchenrechtlichen Fragen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in nahezu sämtlichen rechtswissenschaftliehen Zeitschriften und zahlreichen selbständigen Publikationen erschienen ist4 • 3 Vgl. hierzu im einzelnen Joseph Listl, Aktuelle Rechtsfragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Religionsfreiheit - Theologische Fakultäten - Individuelles kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht - Kirchliches Besteuerungsrecht, in: Helmut Schnizer I Kurt Woisetschläger (Hrsg.), Kirche und Staat. Symbol und Kunst, Würzburg 1987, S. 73 ff.; ferner Martin Heckel, Die Situation des Kirchenrechts an den deutschen Universitäten, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 18 (1973), S. 330-354; abgedruckt auch in: ders., Gesammelte Schriften. Staat, Kirche, Recht, Geschichte. Hrsg. von Klaus Schiaich (=Jus Ecclesiasticum, Bd. 38), Bd. 1, Tübingen 1989, S. 539-562. 4 Für den Zeitraum von 1945-1967 ist eine weithin vollständige Gesamtbibliographie zum deutschen Staatskirchenrecht abgedruckt in dem Sammelband von Helmut Quaritsch und Hermann Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der

22 Sbd. List!

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

II. Die gegenständlichen Materien des Staatskirchenrechts 1. Das Grundproblem des Staatskirchenrechts

Nach einem bekannten und sachlich zutreffenden Wort des früher an der Universität Heidelberg lehrenden Staats- und Verwaltungsrechtslehrers Ernst Forsthoff wird der Staat seinem Wesen nach durch seine Stellung zur Kirche determiniert 5 . Dies zeigt init großer Anschaulichkeit gerade der gegenwärtige Prozeß der Ablösung der kommunistischen Ostblockstaaten von der auf dem weltanschaulichen Prinzip des Materialismus beruhenden marxistisch-leninistischen Staatsideologie. Mit der Ablösung vom marxistisch-kommunistischen System geht notwendig die Gewährleistung individueller Religionsfreiheit und korporativer Kirchenfreiheit einher. Auch die wesentlichen Unterschiede im Staatsverständnis und im kulturellen Leben zwischen der Bundesrepublik Deutschland und z. B. der Französischen Republik, der Republik Italien, dem Königreich Spanien und den Vereinigten Staaten von Amerika sind weithin in dem jeweiligen spezifischen Stellenwert begründet, den die Verfassungs- und Rechtsordnung des jeweiligen Staates der öffentlichen Bedeutung der Religion und der Kooperation mit den Kirchen und den übrigen Religionsgemeinschaften einräumt. Eine zutreffende Beurteilung des Verhältnisses von Staat und Kirche kann in der Staatenwelt der Gegenwart im Unterschied zum vergangenen Jahrhundert nicht mehr von dem traditionellen Einteilungsschema ausgehen, das zwischen sog. Trennungsländern auf der einen und Staaten, in denen eine enge oder gelockerte Verbindung zwischen Bundesrepublik. Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950-1967, Bad Hornburg v. d. H.- Berlin- Zürich 1967, S. 446-524. Für den Zeitraum von 1968-1977 ist die staatskirchenrechtliche Literatur verzeichnet in der vorzüglichen Bibliographie von Charlotte Möck, Staat und Kirchen. Bibliographie zu ihrem rechtlichen Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtszeit 1968-1977. Mit einem Anhang über das Verhältnis von Staat und Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik, Harnburg 1979. Ferner informieren die monatlich erscheinenden Hefte der Karlsruher Juristischen Bibliographie in umfassender Weise auch über das in selbständigen Veröffentlichungen und in den juristischen und kanonistischen Zeitschriften erscheinende kirchen- und staatskirchenrechtliche Schrifttum. 5 Vgl. hierzu Rudolf Smend, Diskussionsbeitrag in der Aussprache zu den beiden Referaten von Martin Heckel und Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, bei der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Frankfurt am Main im Oktober 1967, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, H. 26, Berlin 1968, S. 108. Die Originalstelle findet sich bei Ernst Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat. Eine Untersuchung über die Bedeutung der institutionellen Garantie in den Artikeln 127 und 137 der Weimarer Verfassung (=Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart, Bd. 3), Tübingen 1931, S. 111.

Das Staatskirchenrecht in Deutschland

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Staat und Kirche besteht, auf der anderen Seite unterscheidet. Entscheidend ist heute vielmehr allein die Frage, ob sich ein Staat mit einer Religion, einer Weltanschauung oder einer religionsfeindlichen oder auch religiös indifferenten Ideologie in so starkem Maße "identifiziert", daß dadurch das Bekenntnis zu einer anderen Religion oder deren Ausübung und die freie Tätigkeit der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften behindert oder gar unterdrückt und verfolgt werden6. Besteht in einem Staat keine derartige "Identifikation" mit einer bestimmten Religion, Konfession, Weltanschauung oder Ideologie, sondern läßt der Staat Raum für jede Art religiöser Betätigung seiner Bürger und vor allem auch für das uneingeschränkte Wirken der auf seinem Territorium bestehenden Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften, handelt es sich um einen religiös und weltanschaulich "neutralen" Staat. Nicht aus Feindschaft oder Ablehnung des religiösen Phänomens, sondern im Interesse des Schutzes der religiösen Freiheit seiner Bürger und der freien Betätigung der Religionsgemeinschaften bekennt sich hier der Staat zu einer offenen religiösen Neutralität. Nur ein religiös neutraler Staat kann allgemeine, volle und uneingeschränkte Religionsfreiheit gewähren7 • Ist diese Grundvoraussetzung erfüllt, d. h. gewährt ein Staat volle Religionsfreiheit, erhebt sich an zweiter Stelle die Frage, welche konkrete Stellung der Staat der Kirche oder den Kirchen einräumt und ob er gegenüber den auf seinem Territorium bestehenden Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften Kooperationsbereitschaft zeigt. Dies bedeutet in der Praxis, ob der Staat durch seine Gesetzgebung z. B. in den öffentlichen Schulen die Erteilung von Religionsunterricht durch von den Kirchen autorisierte und bevollmächtigte Lehrer ermöglicht, die religiöse Betätigung und die Einrichtungen der Kirchen grundsätzlich fördert und die verschiedenen Formen des Zusammenwirkens zwischen Staat und Kirche, im Interesse einer dauerhaften Friedensordnung zwischen Staat und Kirche vielleicht sogar durch Konkordate und Kirchenverträge, ordnet oder ob er jegliche staatliche Berücksichtigung, Förderung und Unterstützung der Kirchen ausschließt. Im ersten Falle bekennt sich der Staat zu einer positiven religiösen Neutralität, im zweiten Fall zu religiöser Indifferenz oder, in der Sprache des 6 Übereinstimmend mit dieser hier vertretenen Auffassung auch Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, 2. Aufl., München 1983, s. 221 ff. 7 Vgl. hierzu im einzelnen Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1), Berlin 1971, S. 5 ff.; ferner Klaus Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, Tübingen 1972, S. 129 ff.

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französischen Staatskirchenrechts ausgedrückt, zum "Laizismus". Sowohl die positive religiöse Neutralität als auch die religiöse Indifferenz begegnen uns im internationalen Rechtsvergleich in verschiedenen Nuancierungen, Abstufungen und Schattierungen. Dies bedeutet, daß auch in durchaus freiheitlichen und demokratischen Staatswesen das tatsächlich gewährte Grundrecht der Religionsfreiheit, für sich allein genommen, durchaus ambivalent ist für den Aufbau sehr verschiedener staatskirchenrechtlicher Systeme. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Französische Republik sind freiheitliche demokratische Staaten. Dennoch ist ihre staatskirchenrechtliche Ordnung und die Stellung der Kirchen in den beiden Staaten eine grundlegend verschiedene. Die französische Verfassung bekennt sich prinzipiell zum Laizismus, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu einer vielfältigen Kooperation zwischen Staat und Kirche 8 . Nicht zum Prinzip religiöser Neutralität bekennen sich diejenigen islamischen Staaten, die sich ausdrücklich als islamisch bezeichnen. In ihnen besteht, wenn auch in durchaus verschiedenen Ausprägungen, eine Totalität von Staat, Gesellschaft und Religion. Diese Staaten gewähren weder eine volle individuelle Religionsfreiheit und noch viel weniger eine freie Betätigungsmöglichkeit für andere Religionsgemeinschaften. 2. Die besondere Situation (les Staat-Kirche-Verhältnisses in der Bundesrepublik Deutschland

Jede konkrete staatskirchenrechtliche Ordnung eines Staates kann nur verstanden werden auf dem Hintergrund seiner jeweiligen unwiederholbaren und einmaligen geschichtlichen Entwicklung. Wie der ehemals an der Universität Bann tätige Rechtslehrer Ulrich Scheuner ausgeführt hat, sind die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland durch drei grundlegende rechtliche Festlegungen ausgestaltet: 1. Die Regelung des Staat-Kirche-Verhältnisses auf der Grundlage eines dem Öffentlichen Recht, sogar weithin dem Verfassungsrecht des Bundes und der Länder, zugehörigen Staatskirchenrechts; 2. die Verbfugung und Verwirklichung einer vollen Religionsfreiheit; 3. die Anerkennung einer Stellung der Religionsgesellschaften im Bereich des Öffentlichen, aus der sich auch eine entspreB Zum Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich vgl. Rene Metz, Das Verhältnis von Kirche und Staat in Frankreich, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 1112 ff.

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chende Position der Religionsgemeinschaften im staatlichen Recht und Verbindungen von Staat und Kirche auf gewissen Gebieten ergeben9 • Durch die effektive Gewähr voller religiöser Freiheit für alle religiösen und weltanschaulichen Richtungen erweist sich das Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland als säkularer und zugleich religiös neutraler Staat. Seine religiöse Neutralität läßt aber Raum für die Berücksichtigung der Bedeutung der Religionsgemeinschaften und der weltanschaulichen Gruppen im öffentlichen Leben. Das Verfassungsrecht der Bundesrepublik weist den Religionsgesellschaften eine ihrer Mitwirkung im öffentlichen Bereich entsprechende Stellung zu, die auch ihre Tätigkeit innerhalb des staatlichen Lebens, insbesondere im Bildungs- und Wohlfahrtswesen, berücksichtigt. Dadurch hebt sich die Religionsverfassung der Bundesrepublik Deutschland deutlich ab von einem "System der laizistischen Trennung von Staat und Kirche, die den Religionsgesellschaften den Raum des öffentlichen Rechts verschließt und sie, unter Hinweggehen über ihre Bedeutung im öffentlichen Leben, auf das Feld der individuellen Entfaltung religiöser Freiheit zu beschränken sucht" 10 . Die Anerkennung der Wirksamkeit und Bedeutung der Kirchen im öffentlichen Raum ist die Voraussetzung für die Möglichkeit des Bestandes eines Staatskirchenrechts als eines besonderen Rechtsgebietes, in dem die Beziehungen zwischen Staat und Kirche durch staatliche Normen im Rahmen des öffentlichen Rechts geregelt werden. Beschränkt sich in einem Staat die staatliche Ordnung im Verhältnis zu den Kirchen auf die bloße Gewährleistung der Religionsfreiheit und 9 Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 5. Zum gegenwärtigen inhaltlichen Verständnis des Staatskirchenrechts vgl. auch Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Josef lsensee und Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, Heidelberg 1989, S. 472 ff. Die geschichtliche Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik ist in hervorragender Weise dokumentiert in der klassischen vierbändigen Edition von Ernst Rudolf Huber I Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Berlin: Verlag Duncker & Humblot. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, 1973; Bd. II: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890, 1976; Bd. III: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, 1983; Bd. IV: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, 1988. Der Registerband dieser monumentalen Edition befindet sich gegenwärtig im Druck. 1o Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 9), S. 5 f.

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

auf die Festlegung einer Trennung des staatlichen und des religiösen Bereichs, kann von einem Staatskirchenrecht im eigentlichen und vollen Sinne nicht mehr die Rede sein. Die Beziehung zwischen Staat und Kirchen reduziert sich dann "auf diesen Punkt der Abgrenzung durch Trennung und verweist die Position der Religionsgesellschaften in den Bereich des allgemeinen Privatrechts". Jedoch zeigt die Erfahrung, daß durch die bloße Gewährleistung der Religionsfreiheit und die Proklamierung der Trennung von Staat und Kirche die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in keinem Staat der Welt endgültig geregelt werden können. Auch in den Staaten der Trennung, wie in Frankreich und in den Vereinigten Staaten von Amerika, gibt es eine besondere Gesetzgebung über das jeweilige Religionsrecht und das Verhältnis des Staates zu den religiösen Gemeinschaften 11 . Das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland verbindet auf der Grundlage einer institutionellen und organisatorischen Trennung von Staat und Kirche und einer strikten religiösen Neutralität des Staates die effektive Gewährleistung einer umfassend verstandenen individuellen Religionsfreiheit und zugleich einer freien Betätigung der Kirchen und sämtlicher übrigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit der Anerkennung einer Stellung der Kirchen im Bereich des Öffentlichen, die in der Verleihung eines öffentlich-rechtlichen Status durch die Verfassung selbst (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WeimRV) und in vielfältigen Formen einer staatlich-kirchlichen Kooperation sowie in der Förderung der Religion und der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften durch den Staat ihren Ausdruck findet. Im einzelnen besteht das rechtliche Gefüge der Beziehungen zwischen Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland aus einer Vielzahl verschiedener Komponenten, die ein nur auf dem Hintergrund des Verlaufs der deutschen Verfassungs- und Rechtsgeschichte verständliches und in seinen Grundelementen während der vergangenen vier Jahrhunderte entstandenes komplexes System bilden. Das in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Staatskirchenrecht stellt heute einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den staatlichen und kirchlichen Freiheitsansprüchen dar und ermöglicht den Schutz der Religionsfreiheit des Einzelnen und der Religionsgemeinschaften in einer den Maßstäben der freiheitlichen Demokratie in vollem Umfang entsprechenden Weise 12 . Dieses System u Vgl. zum Ganzen, insbesondere auch über die besondere staatskirchenrechtliche Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Frankreich, die Ausführungen bei Scheuner, ebd., S. 6, m. w. N. 12 Vgl. hierzu im einzelnen Joseph Listl, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 8), S. 1052 ff., m. w. N.

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beruht einerseits auf einseitig vom Staat gesetztem Recht (Verfassung, Gesetze, Verordnungen), andererseits auf Staatskirchenverträgen, d. h. auf Konkordaten und evangelischen Kirchenverträgen 13 . 3. Die hauptsächlichen Bereiche des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland

a) Der Religionsunterricht Das für die Kirchen und ihren pastoralen Auftrag bedeutsamste Institut des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland ist der Religionsunterricht 14 . Er wird als staatliches Unterrichtsfach erteilt und ist gemäß Art. 7 Abs. 3 GG in den öffentlichen Schulen, mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen, ordentliches Lehrfach 15 . Der Religionsunterricht gehört staatskirchenrechtlich zu den "gemeinsamen Angelegenheiten" von Staat und Kirche. Obwohl Lehrveranstaltung des Staates, ist er in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften zu erteilen. Dies bedeutet, daß über den Inhalt, den Lehrstoff, die anzuwendenden Lehrmethoden und auch über die Lehrbücher die Kirchen zu entscheiden haben. Der Religionsunterricht ist als wissenschaftliche oder wissenschaftsorientierte Lehrveranstaltung auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Der Leistungsbewertung und der Benotung unterliegt daher nicht das glaubensmäßige Engagement der Schüler, sondern ausschließlich deren Wissen 16 • Zur Erteilung von Religionsunterricht ist seitens der Kirchen eine besondere 13 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts (Arun. 9), S. 481 ff., m. w. N. Zum Recht der Staatskirchenverträge vgl. im einzelnen die Edition von Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, 2 Bände, Berlin 1987. 14 Die neueste und umfassendste Darstellung sämtlicher Rechtsfragen des Religionsunterrichts bildet die Untersuchung von Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986, mit umfassenden Literaturangaben. 15 Ausnahmen bilden Bremen (Art. 141 GG, sog. "Bremer Klausel") sowie einige andere Bundesländer, in denen nicht für alle Schularten die Erteilung von Religionsunterricht vorgesehen ist. Vgl. hierzu im einzelnen Christoph Link, Religionsunterricht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Arun. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 503. 16 Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 6. 7. 1973 (VII C 36.71), abgedruckt in: Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Bd. 42, S. 346 ff. Abgedruckt auch bei Friedrich Müller I Bodo Pieroth, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Eine Fallstudie zu den Verfassungsfragen seiner Versetzungserheblichkeit (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 4), Berlin 1974, s. 105 ff.

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Beauftragung erforderlich, die für den Bereich der katholischen Kirche als Missio canonica und für den Bereich der evangelischen Kirche als Vocatio bezeichnet wird. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. Über die Teilnahme am Religionsunterricht, der seiner Rechtsnatur nach kein Wahlfach, sondern konfessionelles Pflichtfach ist 17 , bestimmen die Erziehungsberechtigten, nach Erlangung der Religionsmündigkeit die Schüler selbst 18 .

b) Die Theologischen Fakultäten In der Bundesrepublik Deutschland bestehen, abgesehen von einigen kirchlichen katholischen und evangelischen Theologischen Fakultäten, an staatlichen Universitäten zwölf katholische und zwölf evangelische Theologische Fakultäten, deren Rechtsstatus aufgrunddes traditionellen deutschen Hochschulrechts weithin einheitlich ise 9 • Die Theologischen Fakultäten sind- insofern besteht bei ihnen eine Analogie zum schulischen Religionsunterricht- ihrer rechtlichen Natur nach staatliche Einrichtungen. Hinsichtlich der Bindung der Lehrer der Theologie an die theologischen Grundsätze ihrer Kirche bestehen zwischen den katholischen und evangelischen Theologischen Fakultäten Unterschiede, die sich aus dem jeweiligen theologischen Selbstverständnis der katholischen und der evangelischen Kirche ergeben. Die KatholischTheologischen Fakultäten bedürfen zu ihrer Errichtung einer Anerkennung durch den Heiligen Stuhl, die in den Konkordaten ausdrücklich erklärt wird. Sie unterliegen deshalb einer sowohl staatlichen als 17 Vgl. hierzu Joseph Listl (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach. Sechs Rechtsgutachten von Christoph Link und Armin Pahlke, Joseph Listl, Ulrich Scheuner, Alexander Hollerbach zur Frage der Möglichkeit der Teilnahme von Schülern am Religionsunterricht einer anderen Konfession(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 15), Berlin 1983. 18 In Bayern ist eine Abmeldung vom Religionsunterricht ohne Zustimmung der Eltern erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres zulässig. Zur Sonderrechtslage in Bayern vgl. im einzelnen die den gegenwärtigen Diskussionsstand zusammenfassende Darstellung von Christo! Münch, Religionsmündigkeit in Bayern, in: Bayerische Verwaltungsblätter 1989, S. 745-749, m. w. N. 19 Vgl. im einzelnen Martin Heckel, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat (= Jus Ecclesiasticum, Bd. 31), Tübingen 1986; Werner Weber, Theologische Fakultäten, staatliche Pädagogische und PhilosophischTheologische Hochschulen, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 569 ff.; Alexander Hollerbach, Die Theologischen Fakultäten und ihr Lehrpersonal im Beziehungsgefüge von Staat und Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, hrsg. von Heiner Marre und Johannes Stüting, Bd. 16, Münster 1982, S. 69 ff.; Georg May, Die Hochschulen, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 8), S. 605 ff.

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auch kirchlichen Normierung. Bei der Berufung von evangelischen Lehrern der Theologie wird den zuständigen evangelischen Landeskirchen Gelegenheit zur Äußerung über den Berufungsvorschlag in bezug auf Lehre und Bekenntnis des in Aussicht genommenen Bewerbers gegeben20. Lehrer der Theologie an Katholisch-Theologischen Fakultäten bedürfen einer Missio canonica durch den zuständigen Diözesanbischof, die in der Form des "Nihil obstat" erteilt wird und aus schwerwiegenden Gründen, die sowohl in der Lehre als auch in der sittlichen Lebensführung des betreffenden Theologen liegen können, durch eine "konkordatsrechtliche Beanstandung" wieder entzogen werden kann. Die zuständige staatliche Kultusverwaltung ist in diesem Falle verpflichtet, für einen entsprechenden Ersatz des beanstandeten Lehrers zu sorgen 21 .

c) Militär- und Anstaltsseelsorge Gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 141 WeimRV sind die Religionsgesellschaften, soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist. Diese Verfassungsbestimmung bildet in Verbindung mit dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 2 GG, der die ungestörte Religionsausübung gewährleistet, die verfassungsrechtliche Grundlage für die Errichtung einer in die Bundeswehr integrierten evangelischen und katholischen Militärseelsorge22 und ei2o Vgl. hierzu Martin Heckel, Zum Status der Ev.-theol. Fakultäten in der Bundesrepublik, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 31 (1986), S. 27-71; abgedruckt auch in: ders., Gesammelte Schriften (Anm. 3), Bd. 2, S. 1033-1074; Martin Heckel, Organisationsstrukturen der Theologie in der Universität (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 18), Berlin 1987; ferner Ernst-Lüder Solte, Theologie an der Universität. Staats- und kirchenrechtliche Probleme der theologischen Fakultäten (= Jus Ecclesiasticum, Bd. 13), München 1971; ferner Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 13), Bd. I, S. 509, 567, 605, 807 f.; Bd. II, S. 648, 650, 667, 677, 764, 767 f., 778 f. 21 Vgl. hierzu Ulrich Scheuner, Rechtsfolgen der konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 13), Berlin 1980, bes. S. 18 ff., 45 ff., m. w. N. Siehe hierzu ferner Paul Feuchte, Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg, Exkurs: Der Fall des Professors für Dogmatische und Ökumenische Theologie an der katholischtheologischen Fakultät der Universität Tübingen, Hans Küng, Stuttgart 1983, s. 501-507. 22 Vgl. im einzelnen Rudolf Seiler, Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 685 ff.; Ernst Niermann, Zur Lage der katholischen Militärseelsorge, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 23, Münster 1989, S. HOff.

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

ner institutionalisierten Seelsorge in Krankenhäusern und Strafanstalten23.

d) Das kirchliche Besteuerungsrecht Das Grundgesetz verleiht in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WeimRV denjenigen Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, die Berechtigung, aufgrund der bürgerlichen, d. h. der staatlichen Steuerlisten von ihren Gläubigen nach Maßgabe der landesrechtliehen Bestimmungen Steuern zu erheben. Die Erhebung der Kirchensteuern, die neben den Spenden der Gläubigen die mit großem Abstand bedeutsamste Quelle für die Finanzierung der kirchlichen Aufgaben darstellen, gehört ebenfalls zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche 24 . Im Interesse des Schutzes der Religionsfreiheit darf durch die Organe des Staates niemand gegen seinen Willen zur Zahlung von Kirchensteuern herangezogen werden. Deshalb muß jedem Kirchenangehörigen die Möglichkeit geboten sein, seine Zugehörigkeit zur Kirche durch die vor einer staatlichen Behörde abzugebende Erklärung des Kirchenaustritts zu beenden25.

e) Karitas und Diakonie Ein wichtiges Gebiet, auf dem die christlichen Kirchen seit jeher im gesellschaftlichen und öffentlichen Bereich wirken, bildet der breitgefächerte Bereich von Karitas und Diakonie. Der Staat ist verpflichtet, den Kirchen, deren Freiheit zu religiöser Betätigung auch die Liebestätigkeit mitumfaßt, einen angemessenen Raum für diese Arbeit zu belassen26. Im Hinblick auf die Abgrenzungsprobleme, die sich auf dem 23 Vgl. hierzu im einzelnen Dietrich Pirson, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 23, Münster 1989, S. 4 ff. 24 Zum kirchlichen Besteuerungsrecht vgl. im einzelnen Reiner Marre, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 5 ff.; ferner Joseph Listl, Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat, Berlin 1989, S. 579-610. 25 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 30, S. 415 (421 ff.) = Neue Juristische Wochenschrift 1971, S. 931; ferner Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 44, S. 37 (49) = Neue Juristische Wochenschrift 1977, S. 1279 und ständige Rechtsprechung. 26 Ulrich Scheuner, Die karitative Tätigkeit der Kirchen im heutigen Sozialstaat. Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Fragen, in: Essener

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Gebiet von Karitas und Diakonie zwischen den Interessen des Staates und der Tätigkeit der Kirchen ergeben, bildet, wie Ernst Friesenhahn ausgeführt hat, die grundsätzlich beste und letztlich allein befriedigende Lösung der aus dem Wesen des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats abgeleitete Subsidiaritätsgedanke, der einen "Grundsatz des objektiven Verfassungsrechts" darstellt. Danach hat der Staat freie Einrichtungen finanziell zu fördern, die ihn unter Einsatz eigener Mittel von Aufgaben entlasten, die er andernfalls allein erfüllen und finanzieren müßte, und zwar bis zu dem Grad, daß die Träger der freien Wohlfahrtseinrichtungen den Standard erreichen können, den der Staat nach den jeweiligen Umständen für notwendig erachtet und erforderlichenfalls auch bei von ihm selbst getragenen Einrichtungen verwirklicht 27 • f) Die Beteiligung der Kirchen an den Einrichtungen des Rundfunks

und Fernsehens und an der Erwachsenenbildung

An den Einrichtungen des Rundfunks und Fernsehens sind die Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland auf eine doppelte Weise beteiligt. Als "gesellschaftsrelevanten Gruppen" steht ihnen nach den Rundfunkgesetzen nahezu sämtlicher Bundesländer das Recht zu, einen oder mehrere Vertreter ihres Vertrauens in den Rundfunkrat bzw. das jeweils korrespondierende Aufsichtsgremium zu entsenden, die dort die Auffassung der Kirche zu Gehör bringen können 28 . Darüber Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 8, Münster 1974, S. 59. Vgl. hierzu ferner Alfred Rinken, Die karitativen Werke und Einrichtungen im Bereich der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 383 ff.; Peter von Tiling, Die karitativen Werke und Einrichtungen im Bereich der evangelischen Kirche, ebd., S. 401 ff.; vgl. hierzu ferner Axel Frhr. von Campenhausenf Hans-Jochen Erhardt, Kirche, Staat, Diakonie. Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im diakonischen Bereich (= Sachbücher der Diakonie, Bd. 1), Hannover: Verlag des Amtsblattes der Evangelischen Kirche in Deutschland 1982; Alfred E. Hierold, Organisation der Karitas, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 8), S. 851-856. 27 Ernst Friesenhahn, Kirchliche Wohlfahrtspflege unter dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky, I. Teilband, Wien 1980, S. 253 f. Vgl. hierzu ferner die sehr gründliche Untersuchung von Otto Depenheuer, Staatliche Finanzierung und Planung im Krankenhauswesen. Eine verfassungsrechtliche Studie über die Grenzen sozialstaatlicher Ingerenz gegenüber freigemeinnützigen Krankenhäusern (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 17), Berlin 1986. 28 Vgl. hierzu die Zusammenstellung der einschlägigen Rechtsvorschriften durch Karl Holzamer, Rechtsgrundlagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die sich auf die Religionsgemeinschaften beziehen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 13, Münster 1978, S. 141 ff.

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

hinaus nehmen die Kirchen aufgrund ihres Heils- und Verkündigungsauftrags als religiöse Institutionen durch eigene Rundfunkbeauftragte unmittelbar Einfluß auf die Programmgestaltung bei kirchlichen Sendungen29 . Auf dem Gebiete der Erwachsenenbildung unterhalten die evangelische und die katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl von Einrichtungen30 .

g) Weitere Bereiche des Staatskirchenrechts Neben den aufgeführten hauptsächlichen Bereichen hat noch eine Reihe anderer Rechtsgebiete einen engeren Bezug zum Staatskirchenrecht. Im Bereich des Vermögensrechts steht das Kirchengut unter einem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz31 . Als Wiedergutmachung und Entschädigung für die in der Säkularisation der napoleonischen Zeit durch den Staat in großem Umfang vorgenommenen Enteignungen von Kirchengut obliegen dem Staat bestimmte finanzielle Leistungen an die Kirchen 32 . Die Sakralbauten gehören zu den wertvollsten Kulturdenkmälern und bilden deshalb einen wichtigen Gegenstand der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes des Staates 33 . Aufgrund ihres in der Verfassung gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts steht den Kirchen die Möglichkeit offen, ihre kollektiven Arbeitsverhältnisse eigenständig zu regeln. Von dieser rechtlichen Mög29 Vgl. hierzu im einzelnen Karl Holzamer, Positionen, Erfahrungen und Erwartungen im Verhältnis der Kirchen zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Nachkriegsentwicklung, ebd., S. 55 ff. 30 Vgl. hierzu im einzelnen die umfassende Darstellung von Peter Weides, Erwachsenenbildung und Akademien, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 623 ff. 31 Hierzu Christian Meyer, Staatskirchenrechtliche Bestimmungen zum Kirchenvermögens- und Stiftungsrecht im Bereich der evangelischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 91 ff.; Siegfried Marx, Staatskirchenrechtliche Bestimmungen zum Kirchenvermögensund Stiftungsrecht im Bereich der katholischen Kirche, ebd., S. 117 ff. 32 Hierzu Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, s. 51 ff. 33 Vgl. hierzu die Ausführungen von Hartwig Beseler, Die Denkmalpflege an den Sakralbauten in der Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht des Konservators, in: Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft (Straßburger Kolloquien), hrsg. von Joseph Listl und Jean Schlick, Bd. 7, Kehl am Rhein 1987, S. 33ff.; ferner den grundlegenden Beitrag von Martin Heckel, Der Denkmalschutz an den Sakralbauten in der Bundesrepublik Deutschland. Kulturschutz und Kirchenfreiheit im säkularen Verfassungssystem, ebd., s. 85ff.

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lichkeit haben sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche Gebrauch gemacht. In den kirchlichen Einrichtungen, zu denen auch sämtliche karitativen Werke gehören, durch die die Kirchen ihren Auftrag in der Welt verwirklichen, gilt daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht das staatliche Betriebsverfassungsgesetz, sondern kirchliches Mitarbeitervertretungsrecht34 • Der Sonntag und die gesetzlichen Feiertage stehen als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung unter dem besonderen Schutz der Verfassung 35 . Kirchliche Einrichtungen sind in großem Umfang Träger von Privatschulen36 und auch Träger von kirchlichen Hoch- und Fachhochschulen 37 • Im Personenstands- und Meldewesen haben die Kirchen Informationsrechte in bezug auf die Religionszugehörigkeit ihrer Gläubigen38 . Im Bereich des Eherechts ergeben sich aus der Konkurrenz zwischen der kirchlichen und weltlichen Ehegesetzgebung und ihren Auswirkungen bedeutsame Probleme39 . Dem Bestattungswesen und dem Friedhofsrecht kommt schließlich seit jeher eine bedeutsame staatskirchenrechtliche Relevanz zu40 •

34 Vgl. hierzu die hervorragende Darstellung von Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, München 1984; ferner Wilhelm Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 18, Münster 1984, S. 67 ff.; vgl. ferner Joseph Listl, Aktuelle Rechtsfragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche (Anm. 3), S. 86 ff. 35 Hierzu Armin Pahlke, Sonn- und Feiertagsschutz im Verfassungsstaat, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 24, Münster 1990, S. 53 ff., m.w.N. 36 Hierzu Joachim Dikow, Das Schulwesen in freier Trägerschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Bedeutung und Auftrag, Koexistenz und Konkurrenz, in: Deutsch-Französische Kolloquien (Anm. 33), Bd. 4, Kehl am Rhein 1982, s. 95 ff. 37 Manfred Baldus, Kirchliche Hoch- und Fachhochschulen, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 597 ff. 3B Hierzu Dieter Lorenz, Personenstands- und Meldewesen, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 723 ff. 39 Hierzu Dietrich Pirson, Eherecht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 741 ff.; ferner Friedrich Wilhelm Bosch, Staatliches und kirchliches Eherecht - in Harmonie oder im Konflikt? Insbesondere zur Entwicklung und zur gegenwärtigen Situation im Eheschließungsrecht (=Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht, Bd. 122), Bielefeld 1988. 40 Hierzu Hanns Engelhardt, Bestattungswesen - Friedhofsrecht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 9), Bd. 2, Berlin 1975, S. 779 ff.

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m. Das Staatskirchenrecht in der rechtswissenschaftliehen Literatur und in der Rechtsprechung

1. Die Literatur zum Staatskirchenrecht

Der Bedeutung, die den Beziehungen zwischen Staat und Kirche im politischen Leben und in der Rechtspraxis zukommt, entspricht die umfangreiche Literatur, die zu staatskirchenrechtlichen Fragen kontinuierlich in sämtlichen rechtswissenschaftliehen Zeitschriften veröffentlicht wird41 .

a) Selbständige Veröffentlichungen Unter den selbständigen Veröffentlichungen zum Staatskirchenrecht ist an erster Stelle zu nennen das von den beiden Banner Staatsrechtslehrern Ernst Friesenhahn (1901-1984) und Ulrich Scheuner (19031981) in Verbindung mit Joseph Listl unter Mitarbeit von insgesamt 44 Vertretern des Staats- und Staatskirchenrechts aus Wissenschaft und Praxis in den Jahren 1974 und 1975 herausgegebene zweibändige Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland42. Daß auf den verschiedenen Gebieten des Staatskirchenrechts der konfessionellen Parität eine große Bedeutung zukommt, zeigt auch die Tatsache, daß von den insgesamt 44 Mitarbeitern des Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland jeweils 22 der evangelischen und der katholischen Kirche angehören. Die erste Auflage des Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland ist seit längerer Zeit vergriffen. Gegenwärtig befindet sich eine grundlegend neu bearbeitete zweite Auflage in Vorbereitung, für die Joseph Listl, Augsburg/Bonn, und Dietrich Pirson, München, als Herausgeber zeichnen werden. Eine vorzügliche umfassende und ausgereifte Darstellung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland hat Axel Frhr. von Campenhausen zum Verfasser43 . Die erste und lange Zeit einzige Darstellung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland 41 Über die zum Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland erschienenen Bibliographien vgl. die Angaben oben, Anm. 4 42 Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl. 2 Bände. Berlin: Verlag Duncker & Humblot, Bd. 1: 1974; Bd. 2: 1975. 43 Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Leitfaden durch die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, München 1973; ders., Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage, München 1983.

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stammt aus der Feder von Paul Mikat. Sie erschien unter dem Titel "Kirchen und Religionsgemeinschaften " 44 . Das Recht der Staatskirchenverträge, das für das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland neben dem Verfassungsrecht die zweite zentrale Rechtsquelle bildet, ist nach dem Stand vom 1. Juli 1987 enthalten in der von Joseph Listl herausgegebenen zweibändigen Edition der Konkordate und Kirchenverträge 45 . b) Zeitschriften und wissenschaftliche Reihen

Für die Pflege der Wissenschaft des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland von großer Bedeutung sind neben der von Rudolf Smend begründeten und im Kirchenrechtlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland in Göttingen redigierten "Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht" die von evangelischen Kirchenrechtslehrern herausgegebene angesehene wissenschaftliche Reihe "Jus Ecclesiasticum" 46 und die vom Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Bonn, betreute Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen " 47 • Ein bedeutsames Forum für die gleichermaßen wissenschaftliche und praxisbezogene Erörterung staatskirchenrechtlicher Fragestellungen und Angelegenheiten bilden die alljährlich im März in Mülheim/ Ruhr in der Akademie des Bistums Essen stattfindenden und vom Bistum Essen getragenen "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche". An ihnen nehmen Fachleute aus Wissenschaft und Praxis aus beiden Kirchen sowie aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen teil. Die hierbei gehaltenen Referate und geleisteten Diskussionsbeiträge werden in der gleichnamigen Reihe "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche" veröffentlicht48 . 44 Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey, Ulrich Scheuner. Bd. IV/1, Berlin: Duncker & Humblot 1960, S. 111-243; abgedr. auch in: Paul Mikat, Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht. Hrsg. von Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 29-161. 45 Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, 2 Bände, Berlin: Verlag Duncker & Humblot 1987. 46 Die Reihe "Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht" erscheint im Verlag J. C. B. Mohr (Faul Siebeck), Tübingen. Band 1: 1965; Band 38: 1989. 47 Die Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen" erscheint im Verlag Duncker & Humblot, Berlin. Band 1: 1971; Band 19: 1990.

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In der Reihe "Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft" (Straßburger Kolloquien) werden in ihrem jeweiligen vollen deutschen oder französischen Wortlaut mit beigefügten ausführlichen Zusammenfassungen in der jeweils anderen Sprache die Referate veröffentlicht, die bei den seit 1978 in der Universität Straßburg veranstalteten gleichnamigen "Deutsch-Französischen Kolloquien zum Verhältnis Kirche-Staat-Gesellschaft" gehalten werden49 •

c) Lehrbücher des Staatsrechts und Kommentare zum Grundgesetz Da die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz, nämlich in den Artikeln 4 (Grundrecht der Religionsfreiheit), 7 (Garantie des Religionsunterrichts) und 140 GG (institutionelle Bestimmungen zum Verhältnis von Staat und Kirche) enthalten sind, finden sich in sämtlichen Lehrbüchern des Staatsrecht~ der Bundesrepublik Deutschland und in den Kommentierungen des Grundgesetzes jeweils auch kürzere oder längere und zum Teil sehr bedeutende Abhandlungen und Beiträge zum Staatskirchenrecht In dieser Hinsicht sind z. B. zu erwähnen im Banner Kommentar die Kommentierungen zu Art. 4 GG von Reinhold Zippelius (1966/1968) und zu Art. 140 GG von Klaus Obermayer (1971) 50 , in dem von Theodor Maunz und Günter Dürig herausgegebenen Grundgesetzkommentar die Kommentierung zu Art. 4 GG von Roman Herzog (1971/1988) und zu Art. 140 GG von Theodor Maunz (1973) 5 \ ferner in der dritten Auflage des von Hermann von Mangoldt begründeten Kommentars zum Grundgesetz die Kommentierung von Christian Starck zu Art. 4 GG 52 und von Axel Frhr. von Campenhausen zu Art. 140 GG 53 . 48 Die Reihe "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche", begründet von Joseph Krautscheidt und Heiner Marre, herausgegeben von Heiner Marre und Johannes Stüting, erscheint im Verlag Aschendorff in Münster/Westfalen. Band 1: 1969; Band 25: 1991 (im Druck). 49 "Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft" (Straßburger Kolloquien) - Colloques franco-allemands Eglise-Etat-Socü~te (Colloques de Strasbourg). Hrsg. von I Publiespar Joseph Listl und Jean Schlick, Verlag Engel, Kehl am Rhein und Straßburg. Bd. 1: 1982; Bd. 7: 1987. 50 Banner Kommentar zum Grundgesetz. Früher Hamburg, nunmehr Heidelberg. Stand 1989. 51 Grundgesetz. Kommentar von Theodor Maunz!Günter Dürig I Roman Herzog/ Rupert Scholz u. a., 4 Bände, München, Stand 1989. 52 Hermann von Mangoldt I Friedrich Klein I Christian Starck, Das Banner Grundgesetz, 3. Aufl., Bd. 1, München 1985, S. 418-488. 53 Hermann von Mangoldt I Friedrich Klein I Axel Frhr. v. Campenhausen, Das Banner Grundgesetz, 3. Aufl., Bd. 14, München 1990 (im Druck).

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In dem 1989 erschienenen Band VI des von Josef Isensee und Paul Kirchhof herausgegebenen Handbuchs des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland nimmt das Staatskirchenrecht einen breiten Raum ein. Auf den Seiten 369 bis 633findet sich hier ein abgeschlossenes Kompendium des Staatskirchenrechts. Darin behandeln Axel Frhr. von Campenhausen die Religionsfreiheit, Herbert Bethge die Gewissensfreiheit und Alexander Hollerbach in drei Beiträgen die Grundlagen des Staatskirchenrechts, den verfassungsrechtlichen Schutz der kirchlichen Organisation und die Freiheit kirchlichen Wirkens 54 . Auch in zahlreichen Festschriften erscheinen häufig wichtige Beiträge zu staatskirchenrechtlichen Fragen. Festschriften, die Lehrern des Staatskirchenrechts gewidmet sind, enthalten in der Regel zahlreiche Abhandlungen aus dem Bereich des Staatskirchenrechts 55 . 2. Die Bedeutung der Rechtsprechung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland

Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland ist in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in vieler Hinsicht nicht so sehr durch die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, sondern weit mehr durch die Entscheidungen und durch die Verfassungsinterpretation der Gerichte zu seiner heutigen Ausprägung entwickelt worden. Die Judikatur in Kirchensachen ist in der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich vielgestaltig und umfangreich. Dies hängt auch mit dem in der Bundesrepublik Deutschland in bewußter Abkehr von dem Unrechtssystem des Nationalsozialismus aufgebauten extensiven Rechtsschutzsystem zusammen. Insbesondere gilt dies für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. In sämtlichen Gerichtszweigen und Instanzen ergehen immer wieder Entscheidungen, die kirchliche Angelegenheiten betreffen. Die Sammlung "Entscheidungen in Kirchensachen", die im Verlag Walter de Gruyter in Berlin erscheint, umfaßt bisher den Zeitraum von 1946 bis zum Ende des Jahres 1985 und beläuft sich inzwischen bereits auf 23 Bände5 6 • Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Isensee I Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts (Anm. 9), S. 369 ff. Vgl. hierzu z. B. die beiden Festschriften: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Richard Bartlsperger, Dirk Ehlers, Wemer Hofmann, Dietrich Pirson, München 1986; Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Faul Mikat. Hrsg. von Dieter Schwab, Dieter Giesen, Joseph Listl, Hans-Wolfgang Strätz, Berlin 1989. 56 Die umfangreiche Rechtsprechung der Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland zu sämtlichen Gebieten des Religions- und Staatskirchenrechts ist 54 55

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das zum Religions- und Staatskirchenrecht eine große Fülle richtungweisender Entscheidungen gefällt hat, ist hierbei letztlich maßgebend57. Die Judikatur, und hier insbesondere die Rechtsprechung der Bundesgerichte und vor allem des Bundesverfassungsgerichts, war bisher der Motor für eine zeitgemäße Fortentwicklung des Rechtsverhältnisses von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und für die Interpretation des Grundrechts der individuellen Religionsfreiheit und auch der institutionellen Freiheit der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften5 8 •

in weithin kompletter Weise enthalten in der privaten Sammlung "Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946", begründet von Carl Joseph Hering und Hubert Lentz, gegenwärtig herausgegeben von Hubert Lentz, Wolfgang Hüfner, Manfred Baldus. Bd. 1: 1963; Bd. 23: 1990. Der bisher letzterschienene Band 23 enthält die Entscheidungen vom 1.1. - 31. 12. 1985. Die Zahl der Gerichtsentscheidungen in kirchlichen Streitsachen weist während der vergangenen dreißig Jahre kontinuierlich eine steigende Tendenz auf. 57 Vgl. hierzu Joseph Listl, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky, I. Teilband, Wien 1980, S. 571-590; ferner ders., Die Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmte Ordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag, hrsg. von Hans Joachim Faller, Paul Kirchhof, Ernst Träger, Tübingen 1989, S. 539579; Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bericht I, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 92 (1967), S. 99 ff., und Bericht II, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 106 (1981), s. 218 ff. 58 Die Rechtsprechung der staatlichen Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland zum Religions- und Staatskirchenrecht von 1946 bis zur Mitte des Jahres 1971 ist systematisch dargestellt bei Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1), Berlin 1971; ferner bei dems., Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 9), S. 363-406. Ungeachtet der großen Fülle gerichtlicher Entscheidungen, die seit 1971 zu zahlreichen Fragen des Religions- und Staatskirchenrechts ergangen sind, sind seither wesentliche Änderungen in den Grundlagen der Rechtsprechung bzw. in der Interpretation der Verfassung zum Religions- und Staatskirchenrecht nicht festzustellen.

Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland Die Entwicklung von 1989 bis 1994 I. Der Wiederaufbau der staatskirchenrechtlichen Ordnung seit 1989- Erfolge und Schwierigkeiten Der Wiederaufbau der staatskirchenrechtlichen Ordnung in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland schreitet, wenn man den Blick auf das Ganze und auf das bisher Erreichte richtet, planmäßig und in erfreulicher Weise rasch voran. Jedoch vollzieht er sich, ebenso wie die Wiedererrichtung einer voll funktionierenden freiheitlichen Rechtsordnung und einer auf dieser aufbauenden Verwaltung im staatlichen Bereich, nicht ohne Geburtswehen und erhebliche Schwierigkeiten. Betrachtet man im Rückblick die bisherige Entwicklung seit dem 9. November 1989, dem unvergeßlichen Tag der Öffnung der Berliner Mauer am Brandenburger Tor, und seit dem 3. Oktober 1990, dem Tag des Vollzugs der Wiedervereinigung Deutschlands durch den Beitritt der neuen Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie von Ost-Berlin zur Bundesrepublik Deutschland, so ist nicht nur im Bereich der staatlichen Rechtsordnung, sondern auch auf dem in die Entwicklung des Gesamtprozesses der staatlichen Verfassungsgebung, der allgemeinen Gesetzgebung und der Verwaltung eingebetteten und eingebundenen Gebiet des Staatskirchenrechts Bedeutendes, ja Großes geleistet worden. Dies muß im Blick auf die vergangenen fünf Jahre mit Anerkennung und Dank festgestellt und ausgesprochen werden. Jedoch ist, wie wir alle wissen, mit der äußeren Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit, mit der Erstreckung der Geltung des Grundgesetzes und damit auch des darin enthaltenen Religions- und Staatskirchenrechts auf die neuen Bundesländer die innere, Erstveröffentlichung in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Begründet von Joseph Krautscheidt und Reiner Marre. Hrsg. von Reiner Marre und Dieter Schünunelfeder, Heft 29, Münster: Verlag Aschendorff 1995, S. 160191. -Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages Aschendorff, Münster. 23"

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die geistige, psychologische und auf einem breiten allgemeinen Konsens beruhende Wiedervereinigung noch lange nicht vollzogen. Dies gilt gleichermaßen für den Staat wie für die Kirche. Der Vollzug der inneren Wiedervereinigung ist ein langwieriges Werk. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt und zugegeben, den Umfang der Kosten der Wiedervereinigung unterschätzt und deshalb auch nicht zutreffend vorausgesehen zu haben. Es war von außen auch für die Fachwelt vor der Wiedervereinigung nicht erkennbar, in wie starkem Maße das Staatswesen der früheren DDR wirtschaftlich und in vieler anderer Hinsicht konkursreif und bankrott war. Auch die Kirchen stehen vor großen und schwierigen Herausforderungen. Die tiefgreifenden Folgen und Nachwirkungen von zwölf Jahren Nationalsozialismus und von 45 Jahren Kommunismus bedeuten in den neuen Bundesländern für die Kirchen und ihren primären Verkündigungs- und Heilsauftrag eine schwere Hypothek. Groß und für die Gegenwart und die nächste Zukunft unüberbrückbar sind die Unterschiede in der Mentalität und die daraus resultierenden Verständnisschwierigkeiten zwischen den Menschen und auch zwischen Christen in den neuen und in den alten Bundesländern. Weithin ist bei den Menschen im Osten Deutschlands eine für uns im Westen mangels vergleichbarer Erfahrungen nicht ohne weiteres nachvollziehbare Ablehnung, ja Negationall dessen, was man als "Staat" bezeichnet, festzustellen. Das Erbe von zwölf Jahren Nationalsozialismus und 45 Jahren kommunistischem Regime hat hier tiefe Spuren hinterlassen. Der Staat war omnipräsent, omnipotent, freiheitsbeschränkend, freiheitsberaubend, alles kontrollierend, über den Arbeitsplatz, den beruflichen Aufstieg, die Bildungschancen der Kinder und letztlich über alle Formen der eigenen Existenzbewältigung entscheidend. Dissidenten wurden isoliert, verfolgt, bestraft, bleibend gebrandmarkt, zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, für immer ausgegrenzt. Das sich selbst als friedliebender Arbeiter- und Bauernstaat bezeichnende Staatswesen der DDR, von einer atheistischen, straff und hierarchisch organisierten Funktionärsclique geführt und regiert, war, um mit Augustinus zu sprechen, zu einem über alle Macht- und Informationsmittel verfügenden magnum latrocinium, zu einer großen Räuberbande, verkommen. 1 Dazu kam die permanente Angst vor Bespitzelung durch 1 Aurelius Augustinus, De civitate Dei, Buch 4, Kapitel4. Die berühmte Stelle lautet im lateinischen Originaltext und im Zusammenhang: "Remota itaque iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia? Quia et latrocinia quid sunt nisi parva regna? Manus et ipsa hominum est, imperio principis regitur, pacto societatis astringitur, placiti lege praeda dividitur. Hoc malum si in tantum perditorum hominum accessibus crescit, ut et loca teneat sedes constituat, civitates oc-

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die Staatssicherheit und ihr Heer von Helfern. All das hat Bedeutung und Gewicht auch für die Entwicklung und den Aufbau einer neuen staatskirchenrechtlichen Ordnung, in der es ja gerade um die Rechtsnormen des Staates über die Religion, den Religionsunterricht, die Religionsausübung, die Militärseelsorge und die harmonische und freundschaftliche Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen geht. In einem Vortrag vor dem Jahreskonvent des Brüderlichen Kreises in der Evangelischen Akademie Loccum am 22. Mai 1993 hat der Bonner Ministerialdirigent a.D. Dr. Axel Vulpius, seit mehreren Jahren Berater der Landesregierung von Sachsen-Anhalt in Fragen des Verfassungsund Staatskirchenrechts, zu der Thematik "Verständigungsschwierigkeiten in Ost und West" im Hinblick auf die gegenwärtige Situation der Kirchen festgestellt, die Kirchen befänden sich in einer besonders mißlichen Lage. Vor der Wende seien sie nahezu der einzige Ort für Oppositionelle gewesen, wenngleich ebenfalls unter ständiger Kontrolle. Bei ihnen konnte man unter dem Mäntelchen der Religionsausübung noch Meinungen austauschen. Der DDR-Staat habe die absolute Konfrontation vermieden, denn einerseits verdiente er an den Kirchen die so dringend benötigten Devisen, andererseits fürchtete er um sein internationales Ansehen. Mit der Vereinigung sei vieles zusammengebrochen. Der "Feind", die Anti-Bezugsgruppe, sei entfallen; die Sympathisanten seien weggeblieben; es stellten sich wie in allen Bereichen frühere staatliche Unterwanderungen heraus, vor allem aber kritisierten die ehemals unter dem Mantel der Kirche tätig gewesenen Basisgruppen die Kirchenleitungen, die ihrer Ansicht nach zu eng mit dem Staat paktiert hatten. Und auf die eigene Rechtfertigung sei man absolut nicht vorbereitet gewesen. 2 cupet populos subiuget, evidentius regni nomen adsumit, quod ei iam in manifesto confert non dempta cupiditas, sed addita inpunitas", in: Sancti Aurelii Augustini De Civitate Dei libri I-X, 'furnholti, '!YPographi Brepols Editores Pontificii 1955 (=Corpus Christianorum, Series Latina, XLVII: Aurelii Augustini Opera, Pars XIV, 1), S. 101. Die Stelle lautet in deutscher Übersetzung: "Was sind schließlich Reiche ohne Gerechtigkeit anderes als große Räuberbanden, da doch Räuberbanden auch nichts anderes sind als kleine Reiche? Sie sind eben eine Schar von Menschen, geleitet vom Willen eines Führers, die durch einen Gesellschaftsvertrag zusammengehalten werden und die Beute nach einem Gesetz der Übereinkunft teilen. Wächst solch eine üble Bande durch den Beitritt verworfener Menschen derart an, daß sie Gebiete besetzt, Niederlassungen gründet, Staaten erobert und Völker unterwirft, dann legt sie sich ganz unverhüllt den Namen ,Reich' bei, den ihr die Öffentlichkeit deshalb um so lieber zugesteht, weil ihr auf solche Weise ihre Habgier nicht verwehrt wird, sondern sich nur die Straflosigkeit erhöht", in: Aurelius Augustinus, Der Gottesstaat. In deutscher Sprache von Carl Johann Perl. 2. Aufl., Bd. I (Buch I-VII), Salzburg 1966, S. 214.

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Vulpius warnt davor, mit unserer westdeutschen Mentalität die früheren Staat-Kirche-Beziehungen und die Stasi-Problematik zu bewerten. Zu wenig verstünde der Westdeutsche von der damaligen Situation und müsse sich deshalb vor vorschnellen Urteilen hüten; er dürfe höchstens auf bekanntwerdende Vertrauensverletzungen und StasiZusammenarbeit bezüglich westdeutscher Instanzen reagieren. Festzustellen bleibe jedenfalls eine grundsätzliche Abwehrhaltung der Kirchen gegenüber dem Staat bei gleichzeitigen Sympathien mancher Kirchenleute für gewisse sozialistische Ideen. Ein hoher Kirchenbeamter habe kürzlich erklärt: "Die Kirchen haben die Wende nicht gewollt, aber begleitet und gefördert." Die Nachwirkungen seien nach der Wende noch deutlich zu spüren. Kürzlich habe ein Mitglied einer ostdeutschen Kirchenleitung mitgeteilt, er komme gerade von einer dreitägigen Klausurtagung der Kirchenleitung zur Frage der "Kriegssteuer"-Verweigerung. Der erstaunte westdeutsche Beobachter habe sich gefragt, ob die Kirchen in Ostdeutschlandangesichts drängender Fragen der Gestaltung des neuen Religionsunterrichts, der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, des Umgangs mit rechtsextremen Jugendlichen oder der eigenen Neuorganisation keine anderen Sorgen hätten. Aber das Verhältnis Kirche-Staat, ein tiefsitzendes Trauma, beschäftige die Kirchen nach wie vor intensiv. 3 Überhaupt, berichtet Vulpius, seien pazifistische Forderungen weit verbreitet. Die Westdeutschen hätten sich jahrzehntelang mit diesen Fragen auseinandergesetzt und sich zu einem mittleren Weg der Bejahung einer starken Bundeswehr als Verteidigungspotential durchgerungen; sie wollten sich von den Ostdeutschen, deren Staat zu einer militärischen Gefährdung der Welt wesentlich beigetragen habe, nicht als Militaristen beschimpfen lassen. 4 In diesen Zusammenhang gehört es auch, daß der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Alfred Biehle, sich im März 1994 besorgt darüber geäußert hat, daß die ostdeutschen evangelischen Landeskir2 Axel Vulpius, Verständigungsschwierigkeiten in Ost und West. Vortrag vor dem Jahreskonvent des Brüderlichen Kreises 1993 in Loccum, in: Der Anruf. Ausspracheforum des Brüderlichen Kreises, 24226 Heikendorf, 41. Jhg., Heft 177, September 1993, S. 25-40 (38). Als Manuskript gedruckt. Zu der langwierigen und mühsam verlaufenden, aber unverzichtbaren Aufgabe der Verwirklichung der "inneren Wiedervereinigung" in der Sphäre des Rechts s. die informativen Ausführungen von Steifen Heitmann, Rechtsstaat West und Rechtsgefühl Ost, in: NJW 1994, S. 2131-2133; zum Gesamtkomplex der Rechtsfragen, die sich im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands stellen, s. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bewältigung der rechtlichen Probleme der Wiedervereinigung, in: Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift (DtZ) 1994, S. 290-297. a Vulpius, ebd., S. 38. 4 Vulpius, ebd., S. 29.

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chen den Militärseelsorgevertrag weiter ablehnen. Auf diese Weise könnten evangelische Soldaten in den alten und in den neuen Bundesländern ihren Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung nicht mehr einheitlich wahrnehmen. Die evangelische Militärseelsorge werde, wie Biehle bei der Vorstellung seines Jahresberichts in Bonn erklärt hat, in Ostdeutschland derzeit ausschließlich nebenamtlich von Gemeindepfarrern wahrgenommen. Sie sei damit nur sehr eingeschränkt "Kirche unter Soldaten". Dagegen habe die katholische Kirche mit diesen Aufgaben haupt- und nebenamtliche Militärgeistliche betraut. Besonders negativ wirkt sich die Vorgehensweise der evangelischen Landeskirchen in Ostdeutschland nach Ansicht Biehles bei Manövern und Ausbildungsfahrten im In- und Ausland aus. Hier sei die Seelsorge nur durch hauptamtliche Militärgeistliche möglich. Gleiches gelte für Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die Soldaten in Somalia und Kambodscha hätten die Tätigkeit der dort eingesetzten Militärgeistlichen positiv bewertet. 5 Einen breiten Raum in der politischen Diskussion in den neuen Ländern nehme z. B. die Frage der Nutzung militärischer Übungsplätze ein. Nach bestehenden Informationen existierten im Zeitpunkt der Wende 14 größere Übungsplätze; die Hälfte möchte die Bundeswehr nutzen, schon um die dichter besiedelten westdeutschen Länder nicht noch mehr zu belasten. Ostdeutsche Meinungsführer plädieren statt dessen für "Entmilitarisierung". Hunderte von Bürgerinitiativen entstehen und beklagen, wenn sie keinen Erfolg haben, den Mangel an "demokratischem Bewußtsein". Ihr Engagement erscheint verständlich und legitim, ihre Schlußfolgerungen lassen aber demokratisches Verständnis eher vermissen. 6 s Bericht des Wehrbeauftragten Alfred Biehle, in: Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, BT-Drucks. 12/6950 v. 8. 3. 1994, Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten. Jahresbericht 1993 (35. Jahresbericht), Nr. 6, S. 14. -Am 10. November 1994 hat sich die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Halle an der Saale in der strittigen Frage der Militärseelsorge ohne Gegenstimme auf eine "differenzierte Lösung", d. h. auf einen Kompromiß, geeinigt. Die evangelische Militärseelsorge in Deutschland soll danach künftig in einheitlicher Praxis, aber mit unterschiedlichen Rechtsformen geschehen. Gemäß der in Halle gefundenen Formel sollen die einzelnen evangelischen Landeskirchen künftig selbst darüber entscheiden, ob ihre Militärpfarrer den Dienst als Staats- oder als Kirchenbeamte leisten. Der Rat der EKD erhielt das Mandat, mit der Bundesregierung eine Zusatzvereinbarung zum Militärseelsorgevertrag von 1957 auszuhandeln, "um die gegenwärtig guten Arbeitsbedingungen der Seelsorge an Soldaten einschließlich der Finanzierung dieses Dienstes für das Gebiet aller Gliedkirchen der EKD zu erreichen". Es soll damit sichergestellt werden, "daß die für den Dienst unter Soldaten im staatlichen Hoheitsbereich erforderlichen Regelungen insoweit für alle zu diesem Dienst berufenen Pfarrer und Pfarrerinnen angewendet werden".

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Ganz ähnlich beschreibt Axel Frhr. v. Campenhausen die gegenwärtige Situation. Wie er feststellt, werde der mißverständlichen und oft mißverstandenen Formel von der "Kirche im Sozialismus" nachträglich möglicherweise ein größeres Gewicht zugemessen, als sie es seinerzeit hatte. Niemals sei diese Formel das von der SED erhoffte Votum im Sinne einer "Kirche für den real existierenden Sozialismus" gewesen, d. h. für die Übernahme der Sozialismusinterpretation der SED und für die Anerkennung der Politik der SED und ihrer ideologischen Grundlage. 7 Der Kirchenbund habe sich in Wirklichkeit darauf beschränkt, systemimmanent für die Erweiterung der Spielräume offener und öffentlicher Diskussion, für Toleranz im Bildungswesen und für das Recht gesellschaftskritischer Gruppen einzutreten. Die Kirchen seien Fremdkörper gewesen und geblieben. Ihr "Erfolg" habe darin bestanden, daß es unbeschadet staatlicher Verfolgungs- und "Marginalisierungs"politik nicht gelungen sei, sie "auszueitern" oder "einzukapseln". Das habe, wie v. Campenhausen bemerkt, die evangelische Kirche von der katholischen Kirche mit deren "Wagenburg-Strategie" unterschieden: Wörtlich schreibt v. Campenhausen: "Die evangelische Kirche stellte durch das beanspruchte Mitspracherecht das Monopol des Staates in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen in Frage und durchbrach damit das politische Orientierungs- und Interpretationsmonopol des Staates. Natürlich konnte die Kirche Hilfe zur Humanisierung einer unmenschlichen Staatlichkeit nur im Einzelfall leisten. Aber sie hat nicht nur stabilisierend, sondern eben auch verändernd gewirkt." In diesem Zusammenhang macht sich von Campenhausen das Urteil von Richard Sehröder zu eigen, der zu der Devise "Kirche im Sozialismus" wörtlich erklärt hat: "Die Formel kam der SED entgegen, aber längst nicht weit genug. Die Frage ist heute, ob sie nicht dennoch zu weit entgegengekommen ist." Abschließend stellt er die Frage, warum es für die Menschen in den neuen Bundesländern einen so großen Unterschied bedeute, für das Grundgesetz zu stimmen und dann von den im Grundgesetz gewährleisteten Möglichkeiten staatskirchenrechtlicher Art Gebrauch zu machen. Er erklärt diese Schwierigkeit einmal mit dem Erlebnis der an der Machterhaltung orientierten Staatlichkeit und mit der generatios Vulpius, Verständigungsschwierigkeiten (Anm. 2), S. 29 f. 7 Axel Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. 8, Heidelberg 1995, Manuskript, S. 19 (im Erscheinen).

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nenlangen staatlichen Willkür einerseits und mit dem Fehlen jeder Erfahrung mit einem religiös-neutralen freiheitlich orientierten Staat andererseits. Diese Lebenswirklichkeit mache die theoretisch so einfache Umsetzung in der Praxis zu einer Herausforderung und gebe zu grundsätzlichen Erörterungen Anlaß. 8

II. Religionssoziologische und religionsstatistische Gegebenheiten Die Konfessionsstatistik in der Bundesrepublik Deutschland hat durch die am 3. Oktober 1990 erfolgte Wiedervereinigung gegenüber der früheren Situation eine bedeutsame Veränderung erfahren. Nach dem Stand der Volkszählung vom 25. 5. 1987 betrug die Gesamtwohnbevölkerung in der früheren Bundesrepublik Deutschland 61,1 Millionen. Davon waren 26,2 Millionen (d. h. 42,9 %) katholisch, 25,4 Millionen (d. h. 41,6 %) evangelisch, 1,65 Millionen (d. h. 2,7 %) muslimisch und 32 319 (d. h. 0,05 %) Angehörige jüdischer Gemeinden. Damit gehörten 1987 in der alten Bundesrepublik Deutschland ca. 85 % der Bevölkerung entweder der katholischen oder der evangelischen Kirche an. 9 Nach 40 Jahren beständiger Bekämpfung des Christentums und ständiger Benachteiligung christlicher Staatsbürger weist die Religionsstatistik der neuen Bundesländer große Verluste, insbesondere der evangelischen Kirchenangehörigen, auf. Nach Angaben der offiziellen Auslandspresse-Agentur "Panorama DDR" lebten am 1. März 1983 in der früheren DDR bei einer Gesamtbevölkerung von 16,7 Millionen rund 7,7 Millionen evangelische und rund 1,2 Millionen katholische Christen. Jedenfalls sind Christen heute in allen Bereichen der früheren DDR eine Minderheit. Dies ist eine Tatsache, die man sich in Anbetracht der begrenzten Bereitschaft, die staatskirchenrechtlichen Möglichkeiten des Grundgesetzes wahrzunehmen, immer vor Augen halten sollte. 10

a v. Campenhausen, ebd., S. 20. 9 Angaben nach dem Statistischen Jahrbuch 1994 für die Bundesrepublik Deutschland. Hrsg.: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 1994, S. 68. 1o Im Statistischen Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik wurde seit 1964 eine Religionsstatistik nicht mehr veröffentlicht. Vgl. hierzu Alexander Hollerbach, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Deutschen Demokratischen Republik, in: HdbKathKR, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 1072 f.; vgl. hierzu ferner v. Campenhausen, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern (Anm. 7), S. 5 mit Anm. 15.

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Nach dem Stand vom Jahre 1992 beträgt die Zahl der Gesamtbevölkerung in Deutschland ca. 81 Millionen, die der evangelischen Christen 28,9 Millionen (35,68 %), die der Katholiken 27,7 Millionen (34,20 %), die Zahl der Mitglieder jüdischer Gemeinden 37 498 (0,05 %). Der prozentuale Gesamtanteil der Angehörigen der katholischen und der evangelischen Kirche ist somit von ca. 85 % im Jahre 1987 auf ca. 70 % im Jahre 1992 geschrumpft. 11 Die Gesamtzahl der anderen Religionsgemeinschaften angehörenden Bewohner der Bundesrepublik beträgt ca. 4 Millionen. Dies bedeutet im Ergebnis, daß jeder vierte Bewohner der Bundesrepublik Deutschland keiner Religionsgemeinschaft angehört. Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik Deutschland, die ihrem verfassungsrechtlichen Selbstverständnis nach ein religiös neutraler Staat ist, ist nach der Wiedervereinigung in bedeutend stärkerem Maße als vorher auch zu einem religiös pluralistischen Staat geworden. Dies hat für die Zukunft zweifellos auch Auswirkungen auf die allgemeine Konsensfähigkeit und auf die allgemeine Akzeptanz der staatskirchenrechtlichen Verfassungsnormen und Gesetze. Juristen, die sich für die Beseitigung der gegenwärtigen staatskirchenrechtlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland und, etwa nach französischem Modell, für die Umwandlung der Bundesrepublik Deutschland in ein konsequent laizistisches Staatswesen einsetzen, wie der ehemalige Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Ludwig Renck, werden deshalb auch nicht müde, darauf hinzuweisen, daß die Eingliederung der neuen Bundesländer staatskirchenrechtliche Veränderungen und Irritationen mit sich bringen werde. Die kirchliche Abständigkeit liege dort erheblich über dem Durchschnitt der Altländer der Bundesrepublik. Vor allem sei aber auch die Haltung der noch gläubigen Bürger gegenüber dem Staat eine andere. Die Bewohner der ehemaligen DDR, die sich noch zu einem Glauben bekennen, hätten jahrzehntelang ihre religiösen Überzeugungen gegen den Staat behaupten und durchsetzen müssen und seien deshalb von ganz anderen staatskirchenrechtlichen Vorstellungen beherrscht, als sie sich in den Altländern der Bundesrepublik hätten erhalten können. Es falle ihnen daher schwer, bestimmte Annäherungen zu goutieren, die sich Staat und Kirchen in den Altländern der Bundesrepublik Deutschland vielfach wie selbstverständlich erlaubten. Dies zeige sich vor allem bei den Fragen gerade des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, aber auch der Kirchensteuer und der Militärseelsorge.12 n Angaben nach dem Statistischen Jahrbuch 1994 für die Bundesrepublik Deutschland (Anm. 9), S. 51 und 104-106.

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m. Unmittelbare staatsrechtliche und mittelbare kirchenrechtliche Auswirkungen des Inkrafttretens des Einigungsvertrags auf den Gebieten des Staatskirchenrechts und der Organisationsstruktur der Kirchen 1. Unmittelbare staatsrechtliche Auswirkungen des Einigungsvertrages

a) Wiedereinführung des kirchlichen Besteuerungsrechts und der Kirchensteuererhebung Im Interesse der Vollständigkeit der Darstellung der bestehenden staatskirchenrechtlichen Situation in den neuen Bundesländern sind in gebotener Kürze die Rechtsgrundlagen für die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands und ihre unmittelbaren staatlichen und mittelbaren kirchlichen Auswirkungen auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts und der Kirchenverfassungen selbst darzulegen. Die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands erfolgte durch den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (BGBL II S. 889). Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 dieses Einigungsvertrags wurden mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 GG am 3. Oktober 1990 die neugeschaffenen Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland. Nach Art. 1 Abs. 2 dieses Vertrags bilden die 23 Bezirke von Berlin das Land Berlin. Mit dem Wirksamwerden des Einigungsvertrags trat in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin das Grundgesetz in Kraft und damit auch dessen staatskirchenrechtlich und religionsrechtlich relevante Bestimmungen, d. h. insbesondere die Art. 3, 4, 7, 33 Abs. 3, 140 (mit den Weimarer Kirchenartikeln) und 141 GG. 13

Der Einigungsvertrag berücksichtigte auch das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WeimRV denjenigen Religionsgesellschaften, die Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, gewährleistete Recht, aufgrund der bürgerlichen (d. h. staatlichen) Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtliehen Bestimmungen Steuern zu erheben. In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bestand ein derartiges Besteue12 In diesem Sinne Ludwig Renck, Rechtsfragen des Religionsunterrichts im bekenntnisneutralen Staat, in: DÖV 1994, S. 29. 13 Joseph Listl, Der Wiederaufbau der staatskirchenrechtlichen Ordnung in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in: Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher. Hrsg. von Norbert Glatzel und Eugen Kleindienst, Berlin 1993, S. 413-436 (419) mit Anm. 11.

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rungsrecht nicht mehr. Der Einigungsvertrag mußte deshalb für das Beitrittsgebiet konkrete Bestimmungen über das kirchliche Besteuerungsrecht treffen. Aus diesem Grunde enthält er in der Anlage II Kapitel IV Abschnitt 1 Nr. 5 ein Kirchensteuergesetz der DDR, das zugleich mit dem Irrkrafttreten des Vertrags in Kraft getreten ist (BGBl. 1990 II S. 1194). Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß in § 2 dieses Kirchensteuergesetzes ausdrücklich festgestellt wird, daß die dort genannten evangelischen Landeskirchen, die katholischen Diözesen und kirchlichen Verwaltungsbezirke, die jüdischen Kultusgemeinden und andere Religionsgesellschaften, die gleiche Rechte haben, "Körperschaften des öffentlichen Rechts sind". Damit wurde die bis dahin mitunter kontrovers diskutierte Frage, ob die Kirchen diesen Rechtsstatus in der früheren DDR noch besessen oder stillschweigend verloren hatten, gegenstandslos. 14 Renck vertritt die singuläre Auffassung, den Kirchen im Beitrittsgebiet sei die Rechtsqualität der Körperschaften des öffentlichen Rechts durch die DDR-Verfassung von 1968 entzogen worden und hieran habe sich durch den Einigungsvertrag nichts geändert mit der Folge, daß es in den neuen Bundesländern keine Bekenntnisgemeinschaften mit öffentlich-rechtlichem Körperschaftsstatus gebe. Diese Rechtsqualität müsse vielmehr den Religionsgemeinschaften auf Antrag von jedem neuen Bundesland auf der Rechtsgrundlage von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WeimRV neu verliehen werden. Diese Interpretation steht im übrigen zu der in den neuen Bundesländern allgemein geübten Rechtspraxis und damit zur Rechtswirklichkeit in Widerspruch. Trotz vielfacher erheblicher psychologischer Hemmnisse und Schwierigkeiten, die in den neuen Bundesländern bei der Wiedereinführung der Kirchensteuererhebung in beiden Kirchen auftraten, haben die Kirchen von der ihnen nunmehr wiederum gebotenen Möglichkeit der Besteuerung ihrer Gläubigen von Anfang an Gebrauch gemacht. 15 Zwischenzeitlich hat sich die Kirchensteuererhebung eingespielt und bereitet keine rechtlichen Probleme mehr. Die Kirchensteuererträge decken zwar bei den Kirchen in den neuen Bundesländern keineswegs den gesamten Finanz bedarf, zeigen aber bisher kontinuierlich eine steigende Tendenz. 14 Listl, ebd., S. 420 m.w.N. Unzutreffend insoweit Ludwig Renck, Probleme der Rechtsangleichung im Staatskirchenrecht, in: Thüringische Verwaltungsblätter 1992, S. 179. 15 Zum innerkirchlichen Widerstand gegen die Einführung des kirchlichen Besteuerungsrechts in den neuen Bundesländern vgl. die instruktiven Ausführungen von Rupert Scholz, Der Auftrag der Kirchen im Prozeß der deutschen Einheit, in: Essener Gespräche, Bd. 26, S. 22 f.; ferner Listl, Wiederaufbau (Anm. 13), S. 420 mit Anm. 13.

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b) Die Geltung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 In der früheren DDR wurde das Reichskonkordat, dessen Fortgeltung das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 26. März 1957festgestellt hatte, nicht angewendet. Seine Geltung befand sich vielmehr in einer Art "Schwebezustand" mit der Möglichkeit jederzeitiger Wiederanwendung. 16 Infolge der Erstreckung der Geltung des Grundgesetzes auf das Territorium der früheren DDR stand nunmehr der Wiederanwendung des Reichskonkordats in den neuen Bundesländern nichts mehr im Wege. Das tatsächlich niemals außer Kraft getretene Reichskonkordat gilt deshalb nunmehr auch auf dem Gehiete der ehemaligen DDR und in Ost-Berlin. Die Fortgeltung bzw. die Wiederinkraftsetzung des Reichskonkordats im Beitrittsgebiet ergibt sich nach weithin herrschender Auffassung auch aus Art. 11 des Einigungsvertrags. Darin werden alle völkerrechtlichen Verträge der Bundesrepublik Deutschland als für Gesamtdeutschland verbindlich erklärt und die sich aus ihnen ergebenden Rechte und Pflichten auf das Beitrittsgebiet erstreckt, sofern nicht ausdrücklich Ausnahmen gemacht werden. Im Hinblick auf das Reichskonkordat ist im Einigungsvertrag eine derartige Ausnahme nicht enthalten. Daraus folgt, daß die Bundesrepublik Deutschland und die DDR die Geltung des Reichskonkordats auf das Territorium der ehemaligen DDR erstrecken wollten. Auch der Heilige Stuhl hat nicht zu erkennen gegeben, daß er dagegen Einwände irgendwelcher Art erhebt. Aus diesem Grunde ist, wie Rüfner überzeugend festgestellt hat, das Reichskonkordat auch für das Gebiet der ehemaligen DDR verbindlich. 17

16 Zur Frage der Fortgeltung des Reichskonkordats vor der Wiedervereinigung Deutschlands vgl. im einzelnen Joseph Listl, Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag, Zürich 1989, s. 309-334 (333 f.). 17 Wolfgang Rüfner, Geltung des Reichskonkordats, des Preußischen Konkordats und des Preußischen Kirchenvertrags im Beitrittsgebiet, in: Festschrift für Werner Thieme zum 70. Geburtstag, Köln-Berlin-Bonn-München 1993, S. 343352 (343-350); ders., Deutsche Einheit im Staatskirchenrecht, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 26, S. 62 f. Rüfner setzt sich mit den verschiedenen Argumenten auseinander, die gegen die Fortgeltung des Reichskonkordats vorgebracht wurden. Im Ergebnis mit Rüfner übereinstimmend Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, 2. Aufl., hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pirson, Bd. I, Berlin 1994, S. 264; in diesem Sinne ferner auch Dieter Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, Teil I: Völkerrechtliche Verträge, Berlin 1992, S. 101 f.

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

c) Geltung des Preußischen Konkordats vom 14. Juni 1929 und des Preußischen Kirchenvertrags vom 11. Mai 1931 Von großer Wichtigkeit für das Staatskirchenvertragsrecht ist die Frage der Fortgeltung oder der Geltung des Preußischen Konkordats und des Preußischen Kirchenvertrags in den ehemals preußischen Teilen des Beitrittsgebiets. Beträchtliche Gebietsteile der früheren DDR gehörten bis 1945 zum Freistaat Preußen, nämlich neben Ost-Berlin der Gebietsteil Vorpommern des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, die Provinz Sachsen im Land Sachsen-Anhalt sowie Teile von Thüringen, insbesondere dessen Hauptstadt Erfurt, und kleinere Gebietsteile des heutigen Freistaates Sachsen. Hollerbach und Rüfner vertreten zur Frage der Fortgeltung des Preußischen Konkordats zutreffend die Auffassung, die Übung bei Grenzveränderungen innerhalb eines Bundesstaates gehe dahin, Konkordate für den jeweiligen örtlichen Geltungsbereich als fortgeltend anzusehen. Dieser Auffassung entspreche auch die ständige Rechtspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Gehe man von der Rechtsauffassung der Bundesrepublik Deutschland aus, daß das Deutsche Reich fortbestanden habe, stelle sich die Rechtslage folgendermaßen dar: Das Preußische Konkordat ist von der faktischen Abtrennung der DDR unberührt geblieben. Die DDR wurde nicht wie die ehemaligen deutschen Ostgebiete einem anderen Staat eingefügt, sondern für sich allein als neuer Staat begründet. Aus diesem Grunde ist von der Fortgeltung des Preußischen Konkordats auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob man die DDR als Einheit betrachte, oder ob man deren einzelne Länder in den Blick nehme. 18 In diesem Zusammenhang ist ferner von Bedeutung, daß das Reichskonkordat in Art. 2 die Länderkonkordate mit Bayern, Preußen und Baden bestätigt. Das Reichskonkordat ist diesen Länderkonkordaten gegenüber subsidiär. Es hat die Länderkonkordate nicht nur reichsrechtlich garantiert, sondern sogar die Regelungen des Badischen Konkordats auf die bis dahin "konkordatsfreien" Bistümer Rottenburg (heute Rottenburg-Stuttgart), Mainz und Meißen (heute Dresden-Meißen) ausgedehnt. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats finden die Bestimmungen des Badischen Konkordats auf die drei genannten Diözesen entsprechende Anwendung. Das Reichskonkordat wäre, wie Rüfner überzeugend darlegt, ohne Fortgeltung der Länderkonkordate unvollständig. Dies entspräche weder dem Willen der damaligen Vertragspartner noch dem Willen der Partner des Einigungsvertrags. Damit sind sowohl das Reichskonkordat als auch das Preußische Kon18

Rüfner, Geltung des Reichskonkordats (Anm. 17), S. 348-350.

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kordat im Einigungsvertrag von der ehemaligen DDR als fortgeltend anerkannt worden. Ihre Verbindlichkeit kann deshalb nicht mehr in Frage gestellt werden. 19 Kontrovers diskutiert wird in den neuen Ländern die Frage, ob das Preußische Konkordat in den ehemals preußischen Gebieten der früheren DDR bzw. des Beitrittsgebiets ununterbrochen fortgegolten habe, oder ob es, ebenso wie möglicherweise das Reichskonkordat, seine Geltung erst wieder mit dem Beitritt der Länder der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland erlangt habe. Während Depenbrock mit guten Gründen für die kontinuierliche Fortgeltung des Reichskonkordats und des Preußischen Konkordats sowie des Preußischen Kirchenvertrags eintritt, 20 ist Vulpius der Auffassung, das Preußische Konkordat und ebenso der Preußische Kirchenvertrag hätten mit der Gründung der DDR ihre Gültigkeit verloren und diese allenfalls mit dem Reichskonkordat wiedererlangt, das nach dieser Meinung im Gebiet der neuen Bundesländer erst über Art. 11 des Einigungsvertrags wieder in Kraft getreten sei. Dabei habe das Reichskonkordat das Preußische Konkordat als integrierenden Bestandteil "transportiert". 21 Auch einige Juristen in den Staatskanzleien der neuen Bundesländer bestanden darauf, in den Verträgen über die Errichtung der Bistümer Erfurt, Görlitz, Magdeburg und des Erzbistums Harnburg nicht von der kontinuierlichen "Fortgeltung" des Reichskonkordats, des Preußischen Konkordats und des Preußischen Kirchenvertrags auszugehen, sondern von deren Geltung im Sinne ihres Wiederinkrafttretens am 3. Oktober 1990. Dabei gab es vereinzelt auch Tendenzen, die Geltung des Preußischen Konkordats und des Preußischen Kirchenvertrags überhaupt in Frage zu stellen bzw. zu bestreiten. Die gegen die kontinuierliche "Fortgeltung" des Reichskonkordats und des Preußischen Konkordats vorgetragenen Argumente vermögen jedoch nicht zu überzeugen, so daß mit Rüfner von deren Fortgeltung auszugehen ist. 22 Schon aus Gründen der religionsrechtlichen Parität, die zu den tragenden Grundprinzipien des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland gehört, kann die Fortgeltung des Preußischen Kirchenvertrags vom 11. Mai 1931 nicht anders behandelt werden als die des Preußischen Konkordats. Ebenso wie das Preußische Konkordat wurde 19 Rüfner, Geltung des Reichskonkordats (Anm. 17), S. 349 f.; ders., Deutsche Einheit (Anm. 17), S. 63 f. 2o Johannes Depenbrock, Fortgeltung des Reichskonkordats und des Preußenkonkordats in den neuen Bundesländern, in: NVwZ 1992, S. 736-740. 21 Axel Vulpius, Zur Fortgeltung des Preußenkonkordats in den neuen Bundesländern, in: NVwZ 1994, S. 40. 22 Rüfner, Geltung des Reichskonkordats (Anm. 17), S. 348-350 m.w.N.

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

der Preußische Kirchenvertrag im übrigen in den westlichen Nachfolgestaaten Preußens immer als fortgeltend angesehen, jedoch zwischenzeitlich weithin durch neue kirchenvertragliche Vereinbarungen fortentwickelt.23 2. Mittelbare innerkirchliche Auswirkungen der staatlichen Wiedervereinigung: Die Wiederherstellung der innerkirchlichen Einheit

Die Wiedervereinigung Deutschlands führte sowohl bei der katholischen als auch bei der evangelischen Kirche binnen kurzer Zeit zur Beendigung der durch das SED-Regime erzwungenen unnatürlichen organisatorischen Trennung zwischen den Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und den Kirchen im Beitrittsgebiet und damit zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit bzw. zur kirchlichen Wiedervereinigung. a) Katholische Kirche Im Bereich der katholischen Kirche wurde bereits mit Wirkung vom

24. November 1990 die frühere Berliner Bischofskonferenz durch

Papst Johannes Paul II. aufgelöst. Die Berliner Bischofskonferenz war von Papst Paul VI. durch Dekret vom 10. April1976 für die Diözesen und Jurisdiktionsbezirke der DDR und für den Ostteil des Bistums Berlin als auctoritas territorialis, d. h. als selbständige Bischofskonferenz, gemäß den Bestimmungen des Art. 38 Abs. 1 des Dekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils "Christus Dominus" über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche errichtet worden. Sie bildete die Fortsetzung der früheren Berliner Ordinarienkonferenz, die bis dahin den rechtlichen Status einer Regionalkonferenz innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz besessen hatte. Seit dem 24. November 1990 gehören die Mitglieder der früheren Berliner Bischofskonferenz als Vollmitglieder der Deutschen Bischofskonferenz an. Damit war die Wiedervereinigung der katholischen Kirche auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz in überraschend kurzer Zeit vollzogen. Für die seitherige gemeinsame Willensbildung innerhalb der katholischen Kirche Deutschlands auf der überdiözesanen Ebene ist dieses Faktum von weittragender Bedeutung. 24 23 Vgl. Rüfner, Geltung des Reichskonkordats (Anm. 17), S. 350 f.; ders., Deutsche Einheit (Anm. 17), S. 63 f. Ferner Johannes Depenbrock, Fortgeltung der Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern unter besonderer Berücksichtigung der Verträge mit den evangelischen Landeskirchen, in: ZevKR 38

(1993),

s. 413-429.

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b) Evangelische Kirche Auch im Bereich der evangelischen Kirche bildete die staatliche Wiedervereinigung die Voraussetzung für die Wiederherstellung der im Jahre 1969 infolge des politischen Drucks des SED-Regimes zerbrochenen kirchlichen Einheit. Die innerkirchliche Wiedervereinigung auf der Ebene der EKD wurde dadurch hergestellt, daß die seit 1969 ruhende Zugehörigkeit der acht östlichen Landeskirchen zur EKD wieder auflebte. Hierbei handelt es sich um die Landeskirchen Anhalt, Berlin-Erandenburg (Region Ost), Mecklenburg, Pommern (damalige Kurzbezeichnung Greifswald), Sachsen, Kirchenprovinz Sachsen, Schlesische Oberlausitz (damalige Kurzbezeichnung Görlitz) und Thüringen. Wie Martin Heckel, der hierbei als einer der maßgeblichen juristischen Ratgeber fungiert hat, anmerkt, haben die Synoden der EKD und des Bundes der Evangelischen Kirchen aus der früheren DDR nach "monatelangen Verhandlungen" am 24. Februar 1991 in gemeinsamer Beratung und getrennter Beschlußfassung ihre beiden Vereinigungsgesetze in Berlin beschlossen. Die Wiederherstellung der organisatorischen Einheit der evangelischen Landeskirchen in der EKD erfolgte am 27. Juni 1991. Zu diesem Zeitpunkt wurde gemäß § 6 des Vereinigungsgesetzes "die Evangelische Kirche in Deutschland Rechtsnachfolgerin des Bundes der Evangelischen Kirchen". Die EKD übernahm damit auch die "Verantwortung des Bundes der Evangelischen Kirchen für seine Werke, Einrichtungen und Arbeitsgemeinschaften". Martin Heckel hat diese Vorgänge in mehreren Publikationen eingehend dokumentiert und juristisch kommentiert. 24 Der Beitritt der Mitglieder der Berliner Bischofskonferenz zur Deutschen Bischofskonferenz wurde amtlich bekanntgegeben durch die Mitteilung "Auflösung der Berliner Bischofskonferenz" im Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin, 63. Jhg. (1991), S. 31. Vgl. hierzu ferner die detaillierte chronologisch-kanonistische Darstellung von Heribert Schmitz, Die Einheit der katholischen Kirche in Deutschland. Chronik kirchenrechtlich relevanter Daten, in: ArchKathKR, Bd. 159 (1990), S. 623-634. Vgl. hierzu ferner Konrad Hartelt, Die Entwicklung der kirchlichen Jurisdiktionsverhältnisse in den auf dem Territorium der DDR gelegenen Anteilen "westdeutscher" Diözesen, in: Fides et Ius. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag, Regensburg 1991, S. 119-135. Über die Entstehung und die rechtliche Lage der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke in der früheren Sowjetischen Besatzungszone bzw. in der früheren DDR bzw. in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland siehe im einzelnen Joseph Listl, Die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription im wiedervereinten Deutschland, in: Louis Carlen (Hrsg.), Neue Bistumsgrenzenneue Bistümer. Nouvelles circonscriptions des dioceses - nouveaux eveches. Freiburg/Schweiz 1992 (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 37), S. 13-35 (21 ff., m.w.N.).

24 Sbd. List!

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

Dabei gingen beide Gesetze übereinstimmend von der jederzeitigen Reaktivierbarkeit der nie erloschenen, sondern seit 1969 lediglich ruhenden Mitgliedschaft der östlichen Gliedkirchen in der 1948 gemeinsam gegründeten Evangelischen Kirche in Deutschland aus. Diese Rechtsauffassung beruhte auf der Erwägung, daß die EKD-Grundordnung nach der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen 1969 durch keinerlei diesbezügliche Verfassungsänderung (i.S. einer Aufteilung, Ausschließung, Anerkennung usw.) geändert worden war und deshalb als verfassungsrechtliche Grundlage für die Wiederherstellung der organisatorischen Einheit zur Verfügung stand. Aus diesem Grunde erübrigten sich langwierige und riskante "Verfassungsgebungsprozesse", Fusionsverträge oder Beitrittsakte. Die äußere rechtstechnische Einkleidung des Vereinigungsvorgangs in parallele Verfassungsänderungen der beiden Kirchenbünde verdeckt und verunklart freilich nach Martin Heckel "nicht unerheblich den eigentlichen, rechtlich entscheidenden Charakter des Geschehens". 25 Iv. Die Neuordnung der Diözesanorganisation und -Zirkumskription in den neuen Bundesländern und im Norden Deutschlands

Ein nur die katholische Kirche betreffendes Problem bildet die Neuordnung der Diözesanorganisation und die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription in den neuen Bundesländern und im Norden Deutschlands. Irrfolge der sich ständig verstärkenden Abschnürung der auf dem Territorium der früheren DDR gelegenen Gebietsteile der Mutterdiözesen Osnabrück, Hildesheim, Paderborn, Fulda und Würzburg sah sich der Heilige Stuhl gezwungen, im Interesse der Aufrechterhaltung und Durchführung der Seelsorge in der früheren DDR neue kirchliche Jurisdiktionsbezirke zu schaffen. Es wurden deshalb neben dem Bistum Berlin und dem Bistum Meißen (später Dresden-Meißen) 25 Die einzelnen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland sind dargestellt bei Otto Frhr. v. Campenhausen, Die Organisationsstruktur der evangelischen Kirche, in: HdbStKirchR, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, S. 383-386. Zur Wiedervereinigung im Bereich der evangelischen Kirche vgl. Martin Hekkel, Rechtsprobleme der kirchlichen Wiedervereinigung, in: ZevKR, 36 (1991), S. 113-198 (114 mit Anm. 1), ders., Die Vereinigung der evangelischen Kirchen in Deutschland(= Jus Ecclesiasticum, Bd. 40), Tübingen 1990; ders., Zur kirchlichen Wiedervereinigung im Rahmen der EKD, in: NJW 1992, S. 1001-1007; ders., Die Wiedervereinigung der deutschen evangelischen Kirchen, in: ZRG Kan.Abt. Bd. 78 (1992), S. 401-516; ferner Felix Hammer, Die Vereinigung der evangelischen Kirchen in Deutschland, in: Richard Puza und Abraham Peter Kustermann (Hrsg.), Die Kirchen und die deutsche Einheit. Rechts- und Verfassungsfragen zwischen Kirche und Staat im geeinten Deutschland(= Hohenheimer Protokolle, Bd. 37), Stuttgart 1991, S. 159-174.

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vorläufige kirchliche Jurisdiktionsbezirke errichtet, nämlich die Apostolische Administratur Görlitz für den westlich der Neiße gelegenen Restteil des früheren Erzbistums Breslau sowie ferner die kirchlichen Ämter Erfurt-Meiningen, Magdeburg und Schwerin. Sie wurden bis zu der am 8. Juli 1994 erfolgten Errichtung der Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg und der am 4. November 1994 erfolgten Errichtung des Erzbistums Harnburg von Apostolischen Administratoren im Bischofsrang geleitet. Nach der staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands sahen der Heilige Stuhl und die Deutsche Bischofskonferenz den Zeitpunkt gekommen, nunmehr auch im innerkirchlichen Bereich zur Errichtung einer endgültigen Diözesanorganisation zu schreiten. Nach längeren internen Erörterungen und Beratungen beschloß die Deutsche Bischofskonferenz 1992 auf ihrer Frühjahrs- und Herbstvollversammlung dem Heiligen Stuhl folgende Empfehlungen zur Neuordnung der Jurisdiktionsbezirke und der Kirchenprovinzen in den neuen Bundesländern und im Norden Hamburgs vorzuschlagen: Die bisherige Apostolische Administratur Görlitz und die beiden bischöflichen Ämter Erfurt-Meiningen und Magdeburg sollen als selbständige Diözesen errichtet werden, wobei eine Reihe kleinerer gebietlieher Zuordnungen aus pastoralen Gründen geändert werden. Die beiden neu zu errichtenden Diözesen Erfurt und Magdeburg sollen der Kirchenprovinz Faderborn zugewiesen werden. Das Bistum Berlin soll zum Erzbistum erhoben werden. Aus zwingenden pastoralen Gründen soll ferner im Norden Deutschlands ein neues Erzbistum mit Sitz in Harnburg errichtet werden. Das bisherige Amt Schwerin soll im Erzbistum Harnburg aufgehen. Die neu zu errichtende Erzdiözese Harnburg soll das Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg, das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein und den Landesteil Mecklenburg des Landes Mecklenburg-Vorpommern umfassen. Ferner sollen zwei neue Kirchenprovinzen errichtet werden: Die neu zu errichtende Kirchenprovinz Berlin soll aus dem Erzbistum Berlin und den beiden Diözesen Dresden-Meißen und Görlitz bestehen. Die im Norden Deutschlands neu zu errichtende Kirchenprovinz Harnburg soll aus dem Erzbistum Harnburg und den Bistümern Hildesheim und Osnabrück gebildet werden. 26 26 Quelle: Pressedienst der Deutschen Bischofskonferenz. Dokumentation vom 12. März 1992, S. 8-10, und vom 25. September 1992, S. 8. Über die grundsätzlichen Überlegungen zur Neuordnung der Diözesanorganisation nach der "Wende" siehe Listl, Die Neufestlegung (Anm. 24), S. 26 ff. Zur Neuordnung der Kirchenorganisation der katholischen Kirche in der Bundesrepublik

24*

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Hierbei ergaben sich delikate Fragen der Interpretation des Art. 11 des Reichskonkordats. Im Zuge der anschließend notwendigen Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den zuständigen staatlichen Instanzen mußte nämlich vorab auf seiten der staatlichen Verhandlungspartner für die Bistumserrichtungsverträge die Frage der Abschlußkompetenz im Hinblick auf die Bestimmungen des Art. 11 Abs. 1 Satz 3 und 4 des Reichskonkordats geklärt werden. Diese Bestimmungen haben folgenden Wortlaut: "Bei Neubildungen oder Änderungen, die über die Grenzen eines deutschen Landes hinausgreifen, erfolgt die Verständigung mit der Reichsregierung, der es überlassen bleibt, die Zustimmung der in Frage kommenden Länderregierungen herbeizuführen. Dasselbe gilt entsprechend für die Neuerrichtung oder Änderung von Kirchenprovinzen, falls mehrere deutsche Länder daran beteiligt sind." In diesem Zusammenhang bedurfte die Frage der Klärung, ob der Bund berechtigt sei, die Verhandlungen für den Abschluß der vier Errichtungsverträge über die Diözesen Erfurt, Görlitz, Magdeburg und das Erzbistum Harnburg zu führen und dabei die Länder zu beteiligen, was der Wortlaut des Art. '11 des Reichskonkordats an sich nahelegt und wohl auch den anfänglichen Vorstellungen und Intentionen der Bundesregierung entsprach, oder ob die Länder wegen ihrer Kulturhoheit allein berechtigt seien, ihrerseits die Verhandlungen zu führen und die Verträge abzuschließen. Die Klärung dieser Frage nahm den Zeitraum von Januar bis November 1993 in Anspruch und verzögerte den Abschluß der Verträge erheblich. Verständlicher- und zugleich erfreulicherweise waren alle Beteiligten bestrebt, einen zweiten Konkordatsprozeß vor dem Bundesverfassungsgericht zu vermeiden. Mit Verbalnote vom 11. November 1993 an die Apostolische Nuntiatur erklärte sich schließlich die Bundesregierung auf der Grundlage des Art. 11 Abs. 1 Satz 3 und 4 des Reichskonkordats damit einverstanden, daß die Länder die Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl führten und die jeweiligen Verträge abschlossen. Die Bundesregierung kam damit zugleich dem Wunsch des Heiligen Stuhls nach einer zügigen Abwicklung der angestrebten Neuorganisation nach. Die Bundesregierung sprach gegenüber der Apostolischen Nuntiatur die Erwartung aus, daß ihr die mit den Ländern endgültig ausgehandelten Vertragstexte im Hinblick auf Art. 11 Abs. 1 Satz 3 und 4 des Reichskonkordats zugeleitet werden würden. Im Frühsommer 1993 wandte sich der Heilige Stuhl, vertreten durch die Apostolische Nuntiatur in Bann, an den Bund und die MinisterpräDeutschland siehe Karl Eugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: HdbStKirchR, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, S. 347 ff., 354ff.

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sidenten bzw. Regierenden Bürgermeister bzw. Ersten Bürgermeister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und teilte diesen das Vorhaben des Heiligen Stuhles mit, "nach der Vollendung der deutschen Einheit zu der aus seelsorglichen Gründen seit langer Zeit dringend erforderlichen Neuordnung der Diözesanorganisation und der Diözesanzirkumskription in den neuen Bundesländern und im Norden der Bundesrepublik Deutschland zu schreiten". Die Apostolische Nuntiatur informierte in diesem Schreiben die Bundesländer von dem Vorhaben des Heiligen Stuhles, die drei Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg sowie im Norden Deutschlands ein Erzbistum Harnburg und ferner die beiden neuen Kirchenprovinzen Berlin und Harnburg zu errichten. Es sei der dringende Wunsch der Deutschen Bischofskonferenz und des Heiligen Stuhles, daß die Neuordnung möglichst in einem Verfahrensgang erfolge. Der Heilige Stuhl sehe sich zur Aufnahme diesbezüglicher Verhandlungen jederzeit in der Lage. Nach längeren Verhandlungen zwischen Vertretern der Bundesregierung und den Bundesländern richteten sämtliche Bundesländer mit Datum vom 16./17. Dezember 1993 eine gemeinsame Note an die Apostolische Nuntiatur, in der sie im Hinblick auf den Wunsch der katholischen Kirche, nach der staatlichen Vereinigung Deutschlands die Diözesanorganisation und -Zirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland den veränderten Verhältnissen anzupassen und aus dringenden seelsorgerischen Erfordernissen neu zu ordnen, die vom Heiligen Stuhl beschlossene Errichtung der vier genannten Bistümer und der beiden Kirchenprovinzen Berlin und Harnburg zustimmend zur Kenntnis nehmen. Die gemeinsame Note der Länder vom 16./17. Dezember 1993 hat folgenden Wortlaut: Das Land Baden-Württemberg, der Freistaat Bayern, das Land Berlin, das Land Brandenburg, die Freie Hansestadt Bremen, die Freie und Hansestadt Hamburg, das Land Hessen, das Land Mecklenburg-Vorpommern, das Land Niedersachsen, das Land Nordrhein-Westfalen, das Land Rheinland-Pfalz, das Saarland, der Freistaat Sachsen,

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das Land Sachsen-Anhalt, das Land Schleswig-Holstein, der Freistaat Thüringen nehmen im Hinblick auf den Wunsch der katholischen Kirche, nach der staatlichen Vereinigung Deutschlands die Diözesanorganisation und -Zirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland den veränderten Verhältnissen anzupassen und aus dringenden seelsorgerischen Erfordernissen neu zu ordnen, die folgenden Änderungen der bisherigen Diözesanorganisation und -Zirkumskription, unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen der Länder über die Verbindlichkeit des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 und des Vertrags zwischen dem Freistaat Preußen und dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929 sowie vorbehaltlich des Abschlusses der erforderlichen Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den betroffenen Ländern, zustimmend zur Kenntnis: 1. In Harnburg wird ein neues Erzbistum mit einem Erzbischöflichen Stuhl und einem Metropolitankapitel errichtet. Ferner wird in Erfurt, Görlitz und Magdeburg ein neues Bistum mit je einem Bischöflichen Stuhl und je einem Kathedralkapitel errichtet.

2. Das Bistum Berlin wird zum Erzbistum erhoben. Ebenso wird der Bischöfliche Stuhl von Berlin zum Sitz eines Metropoliten und das Berliner Kathedralkapitel zum Metropolitankapitel erhoben. Der Kirchenprovinz Berlin werden neben dem Erzbistum Berlin das bisher exemte Bistum Dresden-Meißen und das Bistum Görlitz als Suffraganbistümer angehören. 3. Das Bistum Hildesheim, das aus der Kirchenprovinz Paderborn gelöst wird, und das Bistum Osnabrück, das aus der Kirchenprovinz Köln ausgegliedert wird, werden zusammen mit dem Erzbistum Harnburg die Kirchenprovinz Harnburg bilden. 4. Die beiden neuen Bistümer Magdeburg und Erfurt werden der Kirchenprovinz Paderborn zugewiesen. Bonn, den 16. Dezember 1993, und Magdeburg, den 17. Dezember 1993 Für das Land Baden-Württemberg: Erwin Teufel Für den Freistaat Bayern: Dr. Edmund Stoiber Für das Land Berlin: Eberhard Diepgen Für das Land Brandenburg: Manfred Stolpe Für die Freie Hansestadt Bremen: Klaus Wedemeier Für die Freie und Hansestadt Hamburg: Henning Voscherau Für das Land Hessen: Hans Eichel

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Für das Land Mecklenburg-Vorpommern: Berndt Seite Für das Land Niedersachsen: Gerhard Sehröder Für das Land Nordrhein-Westfalen: Johannes Rau Für das Land Rheinland-Pfalz: Rudolf Scharping Für das Saarland: Hans Kasper Für den Freistaat Sachsen: Kurt Eiedenkopf Für das Land Sachsen-Anhalt: Christoph Bergner Für das Land Schleswig-Holstein: Heide Simonis Für den Freistaat Thürignen: Bernhard Vogel. 27 Von irgendeiner Kompetenz der Bundesregierung, beim Abschluß der Verträge über die Errichtung des Erzbistums Harnburg und der Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg mitzuwirken, ist in der Gemeinsamen Note der Länder nicht die Rede. Der Bundesregierung sollen lediglich die endgültig ausgehandelten Vertragstexte durch die Apostolische Nuntiatur zugeleitet werden. In der Begründung des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu dem Gesetz zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Mecklenburg7 Vorpommern und dem Land Schleswig-Holstein über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Harnburg zur Interpretation des Art. 11 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 wird zur Frage der Kompetenz der Länder zum Abschluß von Bistumserrichtungsverträgen lapidar erklärt: "Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes ist die Zuständigkeit der ,Reichsregierung' auf die Länder übergegangen. Deshalb werden auch Bistumserrichtungen wie die des Erzbistums Harnburg durch Vertrag zwischen der Katholischen Kirche (als Völkerrechtssubjekt ,Heiliger Stuhl') und den Ländern geregelt. Die Errichtung des neuen Bistums in Harnburg wird deshalb von den betroffenen Ländern Harnburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein durch förmlichen Staatsvertrag gebilligt. " 28 Die Hoffnung, daß die Verträge über die Errichtung der vier Bistümer nach ihrem Abschluß noch im Jahr 1994 die Zustimmung der zuständigen Landtage erhalten und daß die Ratifikationsurkunden noch in diesem Jahre ausgetauscht würden, ist in Erfüllung gegangen. Wie bereits angemerkt, sind die Verträge über die Errichtung der Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg nach dem am 7. Juli 1994 erfolgten Austausch der Ratifikationsurkunden mit Wirkung vom 8. Juli 1994 in Kraft getreten. 29 Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und den 27 Der Wortlaut der Note wurde zwischenzeitlich veröffentlicht in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück, 110. Jhg. (1994), S. 120. 2a Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück, 110. Jhg. (1994), S. 114.

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Bundesländern Freie und Hansestadt Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein über die Errichtung des Erzbistums Harnburg trat am Tage des Austauschs der Ratifikationsurkunden, nämlich am 4. November 1994, in Kraft. 30 Ihrem Inhalt nach sind die Bistumserrichtungsverträge mutatis mutandis weithin identisch. In sämtlichen Verträgen wird ausdrücklich oder in äquivalenter Weise ausgegangen von der Fortgeltung bzw. Geltung des Reichskonkordats. Die Anerkennung der Fortgeltung oder der Geltung des Reichskonkordats hat der Heilige Stuhl zur conditio sine qua non für den Abschluß der Verträge erklärt. Ferner findet sich in sämtlichen Verträgen die Formel, daß sie "in Würdigung des Vertrages zwischen dem Freistaat Preußen und dem Heiligen Stuhl vom 14. Juni 1929" geschlossen werden. Es wird die Gründung eines Bistums mit einem Bischöflichen Stuhl und einem Kathedral- bzw. Metropolitankapitel vereinbart. Das Gebiet des jeweiligen Bistums bzw. dessen Zirkumskription wird neu und genau umschrieben. In sämtlichen Verträgen wird die Besetzung des Bischofstuhls nach den Vorschriften des Art. 6 des Preußischen Konkordats vereinbart, d. h. das Bischofswahlrecht der Domkapitel aus einer vom Heiligen Stuhl vorgelegten Dreierliste. Die Zusammensetzung des Domkapitels und die Zahl der Kapitulare werden festgelegt, ferner die Zugehörigkeit des betreffenden Bistums zu einer bestimmten Kirchenprovinz. Das Recht des Diözesanbischofs, in seinem Bistum ein "Seminar zur wissenschaftlichen Vorbildung der Geistlichen", d. h. eine kirchliche theologische Hochschule, zu errichten, wird anerkannt. Ferner wird eine Freundschaftsklausei zur Interpretation und zur Anwendung der Verträge vereinbart. Staatsleistungen werden in den Bistumserrichtungsverträgen nicht geregelt, sondern besonderen Vereinbarungen, d. h. neuen Länderkonkordaten, vorbehalten. V. Die Kirchenartikel der Verfassungen der neuen Bundesländer

Die nach dem Inkrafttreten des Einigungsvertrags gewählten Landtage der neuen Bundesländer waren zugleich verfassunggebende Landesversammlungen. Damit oblag ihnen auch die Aufgabe, in den neuen 29 Bistum Erfurt: GVBl. für den Freistaat Thüringen 1994, S. 790 ff. (Bekanntmachung über das Inkrafttreten aufS. 1051)- Bistum Görlitz: GVBL für das Land Brandenburg 1994, Teil I, S. 214 ff.; Sächsisches GVBl. 1994, S. 1058 ff. (Inkrafttreten S. 1355) - Bistum Magdeburg: GVBl. Brandenburg 1994 I, S. 202 ff.; Sächs. GVBl. 1994, S. 1045 ff. (Inkrafttreten S. 1355); GVBl. für das Land Sachsen-Anhalt 1994, S. 770 ff. (Inkrafttreten S. 888). 30 GVBl. für Schleswig-Holstein 1994, S. 486; Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück, 110. Jhg. (1994), S. 106 ff.

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Landesverfassungen Bestimmungen über das Verhäitnis von Staat und Kirche zu treffen. Die ersten Verfassungsentwürfe der einzelnen Gruppen und Richtungen zeichneten sich dabei, inspiriert von der Aufbruchstimmung der runden Tische, wie Peter Häberle feststellt, durch ideen-und formenreiche Verfassungstexte aus. So hieß es z. B. in Art. 15 Abs. 1 des Verfassungsentwurfs von Mecklenburg-Vorpommern vom Juli 1990: "Das Land fördert und unterstützt die Kirchen und Religionsgemeinschaften, insbesondere in ihren sozialen Tätigkeiten und bei der Wahrung ihres kulturellen Erbes. Es sichert zu, daß die theologischen Fakultäten der Universität Rostock und Greifswald in ihrem Bekenntnisstand erhalten bleiben." Wenige Monate später hat diese Bestimmung, nunmehr Art. 37 neuer Fassung des Entwurfs von Mecklenburg-Vorpommern, bereits schärfere juristische Konturen angenommen. Sie lautet nunmehr: "(1) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht, zu politischen und sozialen Lebensfragen des Volkes Stellung zu nehmen. {2) Das Land fördert Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihren sozialen Tätigkeiten und als Wahrer des kulturellen Erbes. (3) Es können Staat-Kirchen-Verträge abgeschlossen werden. (4) Die Bestimmungen des Art. 140 des Grundgesetzes sind Bestandteil dieser Verfassung." Zur Gesamtentwicklung der Ausformulierung der Kirchenartikel in den neuen Verfassungen stellt Peter Häberle mit einem Unterton leichten Bedauerns fest: "Ist in den Verfassungsberatungen erst einmal ein bestimmter Trend in Gang gekommen, so werden die Alternativen blasser. Die politischen Parteien unterscheiden sich in "ihren" Themen zwar noch, aber sie gleichen sich "nach unten" an. Die frühe Textvielfalt in Sachen "Religionsverfassungsrecht" entwickelt sich in Ostdeutschland jedenfalls auffällig zurück. 31 Mit anderen Worten: Die anfangs gelegentlich etwas programmatisch, verfassungslyrisch und rechtlich unpräzis formulierten Texte haben sich später nach dem Vorbild der westdeutschen Länderverfassungen, soweit sie Kirchenartikel enthalten, zu klaren Rechtsnormen gemausert. 1. Besonder~ umfangreich und kirchenfreundlich sind die Kirchenartikel der Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992. Die Verfassung des Freistaates Sachsen weist einen umfangreichen Verfassungsabschnitt mit der Überschrift "Die Kirchen und Religionsge31 Peter Häberle, Die Verfassungsbewegung in den fünf neuen Bundesländern, in: JöR 1993, S. 84-87 (87).

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meinschaften" auf. Die Einfügung dieses Abschnitts erfolgte nicht zuletzt in Anerkennung der besonderen Verantwortung, welche die Kirchen in der friedlichen Revolution wahrgenommen haben. 32 Die Art. 109 ff. der Verfassung des Freistaates Sachsen übernehmen das unter dem Grundgesetz entwickelte und bewährte System von grundsätzlicher Trennung zwischen Staat und Kirche einerseits und enger Kooperation zwischen den beiden Institutionen andererseits. Der einleitende Art. 109 enthält grundsätzliche Ausführungen über die Kirchen und Religionsgemeinschaften im Staatswesen. Die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt. Kirchen und Religionsgemeinschaften sind vom Staat getrennt. Sie entfalten sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes frei von staatlichen Eingriffen. Die Beziehungen des Landes zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften sollen im übrigen durch Vertrag geregelt werden. Die diakonischeund karitative Arbeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften wird gewährleistet. Nach dem Vorbild des Art. 140 des Grundgesetzes werden die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 zum Bestandteil der Verfassung des Freistaates Sachsen erklärt. Dies geschieht im übrigen auch in den Verfassungen der Länder Mecklenburg-Vorpommern, SachsenAnhalt und Thüringen. Lediglich Brandenburg macht in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Es inkorporiert die Kirchenartikel des Grundgesetzes nicht ausdrücklich, rezipiert aber weithin ihren Wortlaut. Die karitative und diakonische Tätigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften wird ausdrücklich anerkannt. In dieser Hinsicht bestimmt die Verfassung des Freistaates Sachsen, daß ein Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch das Land nach Maßgabe der Gesetze besteht, sofern durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften im öffentlichen Interesse liegende gemeinnützige Einrichtungen oder Anstalten unterhalten werden. Freie Träger mit vergleichbarer Tätigkeit und gleichwertigen Leistungen haben den gleichen Anspruch. Den Kirchen und Religionsgemeinschaften wird das Recht eingeräumt, zur Ausbildung von Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern eigene Lehreinrichtungen zu unterhalten. Diese sind staatlichen Lehreinrichtungen gleichgestellt, wenn sie den schul- und hochschulrechtlichen Bestimmungen entsprechen. 32 Hans v. Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer. Einführung und synoptische Darstellung. Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Verfassungskommission für Mecklenburg-Vorpommern, Berlin 1993, S. 55 und 198.

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Gemäß Art. 111 Abs. 2 Satz 1 werden die Lehrstühle an theologischen Fakultäten und die Lehrstühle für Religionspädagogik "im Benehmen" mit der Kirche besetzt. Diese Regelung ist für die katholische Kirche, die aus Gründen ihres dogmatischen Selbstverständnisses stets die Erteilung des Nihil obstat des zuständigen Diözesanbischofs als unverzichtbare Voraussetzung für die Berufung eines Theologen betrachtet, nicht akzeptabel. Wohl in Anbetracht dieser Tatsache wurde in Satz 2 dieses Absatzes ausdrücklich festgelegt, daß davon abweichende Vereinbarungen unberührt bleiben. Hinsichtlich der Staatsverpflichtungen gegenüber der Kirche wird in Art. 112 Abs. 1 erklärt, daß die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Leistungen des Landes an die Kirchen gewährleistet werden. In Art. 112 Abs. 2 wird ausdrücklich auch der kostspielige Denkmalschutz in der Verfassung erwähnt. Die Baudenkmale der Kirchen und Religionsgemeinschaften werden, unbeschadet des Eigentumsrechtes, zum Kulturgut der Allgemeinheit erklärt. Für ihre bauliche Unterhaltung haben die Kirchen und Religionsgemeinschaften daher Anspruch auf angemessene Kostenerstattung durch das Land nach Maßgabe der Gesetze. Mit diesen Regelungen geht der Freistaat Sachsen auf die Kirchen zu, um nach den Verirrungen des atheistischen Staates wieder Gerechtigkeit herzustellen und der bedeutenden Rolle Rechnung zu tragen, welche die Kirchen in der friedlichen Revolution durch den Willen des Volkes gewinnen konnten. 33 2. Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 ist in ihren staatskirchenrechtlichen Bestimmungen zwar weniger wortreich und enthält auch keinen eigenen Unterabschnitt über die Kirchen und Religionsgemeinschaften, sie bringt aber in den beiden Artikeln 32 "Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften" und 33 "Freie Wohlfahrtspflege" im zweiten Abschnitt "Einrichtungsgarantien" inhaltlich dieselben Regelungen wie die Verfassung des Freistaates Sachsen. 3. Die Verfassung des Freistaates Thüringen vom 25. Oktober 1993 enthält ebenso wie die Verfassung des Freistaates Sachsen im sechsten Abschnitt des Ersten Teils "Grundrechte, Staatsziele und Ordnung des Gemeinschaftslebens" detaillierte Bestimmungen über Religion und Weltanschauung.

33

v. Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer (Anm. 32), S. 55;

ders., Die Kirchen und die deutsche Einheit, in: Puza/Kustermann (Hrsg.), Die

Kirchen und die deutsche Einheit (Anm. 25), S. 55 ff.

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Art. 39 enthält eine Garantie des Grundrechts der Religionsfreiheit. Art. 40 hat folgenden Wortlaut: "Für das Verhältnis des Freistaats zu den Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften gilt Artikel 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949; er ist Bestandteil dieser Verfassung." Im Anschluß daran werden die Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung in ihrem vollen Wortlaut im Verfassungstext aufgeführt. Gemäß Art. 41 werden die von den Kirchen, anderen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften unterhaltenen sozialen und karitativen Einrichtungen als gemeinnützig anerkannt und gefördert. Dies gilt auch für die Einrichtungen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. 4. Die durch Volksabstimmung vom 16. Oktober 1994 angenommene Verfassung des Landes Mecklenburg- Vorpommern vom 23. Mai 1993 enthält im Rahmen der Grundrechte den Art. 9 mit der Überschrift "Kirchen und Religionsgesellschaften". Darin werden ebenfalls die Bestimmungen der Art. 136 bis 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung zum Bestandteil der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern erklärt. Abs. 2 dieser Bestimmung sieht vor, daß das Land und die Kirchen sowie die ihnen gleichgestellten Religions- und Weltanschauungsgesellschaften Fragen von gemeinsamen Belangen durch Vertrag regeln können. Ferner wird den Kirchen die Einrichtung theologischer Fakultäten an den Landesuniversitäten nach Maßgabe eines Staatskirchenvertrages zugesichert. 5. Die Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 enthält neben der Garantie des Grundrechts der Gewissens-, Glaubensund Bekenntnisfreiheit in Art. 13 im 2. Hauptteil "Grundrechte und Staatsziele" einen 7. Abschnitt "Kirchen und Religionsgemeinschaften". Darin regelt Art. 36 in weithin wörtlicher Übernahme der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung bzw. des Art. 140 des Grundgesetzes die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, Art. 37 das Eigentum der Kirchen und die Staatsleistungen und schließlich Art. 38 die Seelsorge in Heimen, Krankenhäusern, Strafanstalten und ähnlichen öffentlichen Einrichtungen sowie bei der Polizei. In Art. 36 Abs. 3 Satz 1 anerkennt das Land Brandenburg den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Zusammenfassend kann im Hinblick auf die Bestimmungen über die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Verfassungen der neuen Bundesländer mit Peter Badura festgestellt werden, daß diese Regelungen auf der Linie verbleiben, die durch das Grundgesetz und die anderen Landesverfassungen vorgezeichnet ist. 34

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VI. Religionsunterricht

Ausdrücklich gewährleisten die Länder Sachsen (Art. 105), SachsenAnhalt (Art. 27) und Thüringen (Art. 25) die Erteilung des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG. Mecklenburg-Vorpommern übernimmt in Art. 5 Abs. 3 die Grundrechte des Grundgesetzes und damit auch den Religionsunterricht. Eine Ausnahme macht unter Berufung auf die sog. "Bremer Klausel" des Art. 141 GG lediglich das Land Brandenburg. Es ist, wie Hans v. Mangoldt hierzu ausführt, zwischenzeitlich ganz herrschende Meinung geworden, daß eine solche Interpretation sowohl dem Zweck der Vorschrift als auch der nach der Entstehungsgeschichte klar erkennbaren Absicht der Vater des Grundgesetzes zuwiderläuft, die Schule mit Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach zur Regelschule zu machen. Etwas anderes käme nur dann in Betracht, wenn eben jene Ausnahmeregelungdes Art. 141 GG für die neuen Bundesländer anwendbar wäre. Dies trifft jedoch nicht zu. Die Situation bei Inkrafttreten des Grundgesetzes in den neuen Bundesländern am 3. Oktober 1990 war von derjenigen des 23. Mai 1949 grundlegend verschieden. Deshalb war Art. 141 GG, der bezweckt, eine in vorgefundenen Ländern bestehende Lage entgegen Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG anzuerkennen, 1990 nicht anwendbar. Die herrschende Lehre begründet di~se Rechtsauffassung damit, daß die neuen Bundesländer nicht schon vor dem lnkrafttreten des Grundgesetzesam 23. Mai 1949 entstanden waren, sondern erst in der gleichen logischen Sekunde entstanden sind, in der auch das Grundgesetz in den neuen Bundesländern in Kraft trat. Es gab deshalb vor lnkrafttreten des Grundgesetzes in den neuen Bundesländern keine gewachsene Rechtslage, die auf der Grundlage des Art. 141 GG perpetuiert werden könnte. Die Regelung des Art. 141 GG ist auch deshalb nicht anwendbar, weil sie zur Voraussetzung hat, daß in dem betreffenden Bundesland bereits am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Die neuen Bundesländer sind aber erst am 3. Oktober 1990 entstanden. Aus diesem Grunde konnte es nicht schon am 1. Januar 1949 ein Landesrecht dieser Länder geben. 35 34 Peter Badura, Das Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, S. 248 f., mit zahlr. w.N. 35 Vgl. zum Ganzen die zutreffenden Ausführungen bei v. Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer (Anm. 32), S. 56 f. m.w.N.; ferner v. Campenhausen, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern (Anm. 7), B IV 1 mit zahlr. w.N.; Christoph Link, Religionsunterricht, in: HdbStKirchR, 2. Aufl., Bd. II, Berlin 1995 (im Erscheinen); Scholz, Der Auftrag der Kirchen (Anm. 15), S. 14 +ff.; Rüfner, Deutsche Einheit (Anm. 17), S. 60 (62 ff.); Jörg Winter, Zur Anwendung des Art. 7 Abs. 3 GG in den neuen Ländern der Bundesrepublik

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Auf die gegensätzliche Auffassung, die Bernhard Schlink in einem für den Brandenburgischen Landtag erstatteten Rechtsgutachten vertritt, und auf das sich die Mehrheit des Landtags des Landes Brandenburg offenbar stützt, kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. 36 Das Hauptargument in dem Gutachten von Schlink lautet, im Parlamentarischen Rat habe die Debatte um den Anwendungsbereich des Art. 141 GG auch Berlin und die Ostzone einbezogen. Ferner qualifiziert Schlink die "Bremer Klausel" nicht als Ausnahmeregelung, sondern als generelle Verfassungsbestimmung. Diese Interpretation verkennt den Charakter und die mangelnde Tragweite der "Bremer Klausel" als einer lex specialis. Sie hat auch die gesamte Rechtspraxis gegen sich. Das Land Brandenburg hat als einziges der neuen Bundesländer anstelle des Religionsunterrichts im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach ist, einen sog. Modellversuch "Lebensgestaltung/Ethik/Religion" eingeführt. Die katholische Kirche beteiligt sich an diesem Modellversuch im Land Brandenburg nicht. Der Bischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, hat durch die Pressestelle des Bistums Berlin am 3. September 1992 die katholischen Eltern in einem Aufruf aufgefordert, ihre Kinder von der Teilnahme am Modellversuch "Lebensgestaltung/ Ethik/Religion" abzumelden. Der Aufruf hat folgenden Wortlaut: "Ohne eine akzeptable Übereinkunft endeten die Verhandlungen zwischen Vertretern der katholischen Kirche und dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg über die Beteiligung der katholischen Kirche am Modellversuch ,Lebensgestaltung/ Ethik/Religion'. Deutschland, in: NVwZ 1991, S. 753 ff.; Ernst-Lüder Solte, Religionsunterricht und Theologenausbildung in den Ländern der ehemaligen DDR, in: Puza/Kustermann (Hrsg.), Die Kirchen und die deutsche Einheit (Anm. 25), S. 135 f.; Listl, Wiederaufbau (Anm. 13), S. 424-428 (425f.). Zum Verständnis des Religionsunterrichts allgemein s. Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986. Zum Verhältnis von Staat und Kirche in der ehemaligen DDR, insbesondere auch auf dem Gebiete des Religionsunterrichts, vgl. die vorzüglich informierende Darstellung von Thomas Boese, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR von 1945 bis 1989. Unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Staat, Schule und Kirche, Baden-Baden 1994, bes. S. 130 ff. 36 Vgl. hierzu Bernhard Schlink, Religionsunterricht in den neuen Ländern, in: NJW 1992, S. 1008 ff.; für die Geltung der "Bremer Klausel" in den neuen Bundesländern auch Hermann Weber, Die rechtliche Stellung der christlichen Kirchen im modernen Staat, in: ZevKR 36 (1991), S. 253 (268ff.); ferner Renck, Rechtsfragen des Religionsunterrichts (Anm. 12), S. 27 ff.

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Nachdem die Vertreter des Ministeriums ein für Mittwoch, 2. 9. 1992, vereinbartes Gespräch einseitig abgesagt haben ,weil kein weiterer Verhandlungsspielraum mehr besteht', müssen die Vertreter der katholischen Kirche die offensichtliche Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen um einen tragfähigen Kompromiß feststellen. Die katholische Kirche sieht sich außerstande, sich am Modellversuch zu beteiligen, der seit Beginn des Schuljahres 1992/1993 in den Schulen des Landes Brandenburg läuft. Die katholische Kirche war durchaus bereit, auf der Basis des Kabinettsbeschlusses der Landesregierung in Brandenburg vom 2. Juni 1992 über die Einführung des Modellversuchs in der sogenannten Differenzierungsphase finanziell und auch personell mitzuarbeiten, wenn das Land Brandenburg nicht in der Lage wäre, ausgebildete Lehrkräfte in genügender Zahl zu stellen. Ebenso war die Kirche bereit, ausgebildetes, mit der kirchlichen Lehrbefugnis ausgestattetes Lehrpersonal für den Religionsunterricht zu benennen. Leider hat sich bei den Gesprächen mit Frau Birthler und den von ihr beauftragten Vertretern des Ministeriums herausgestellt, daß jedes Entgegenkommen der Kirche mit einer größeren Entfernung vom Beschluß der Landesregierung von Brandenburg durch Frau Birthler beantwortet wurde. Frau Birthler ist in wichtigen Positionen vom Beschluß ihrer Landesregierung abgerückt und hat darüber hinaus versucht, durch stets neue Interpretationen des Kabinettsbeschlusses neue Fakten zu schaffen. Der Versuch der katholischen Kirche, mit dem Land Brandenburg einen dem Verhandlungsergebnis mit der evangelischen Kirche gleichwertigen Vertrag abzuschließen, ist daran gescheitert, daß Frau Birthler zwar einen gleichartigen, nicht aber einen gleichwertigen Vertrag zu schließen bereit war. Dabei hat die katholische Kirche der Landesregierung gegenüber äußerste Kompromißbereitschaft gezeigt. Die katholische Kirche bedauert sehr, daß die Verhandlungen auf diese Weise beendet wurden, und weist jede Schuld an deren Scheitern zurück. Als Konsequenz bleibt, daß zumindest im Schuljahr 199211993 der Religionsunterricht wie bisher in der pfarrlichen Katechese in den katholischen Kirchengemeinden weitergeführt wird. Die katholischen Eltern bzw. die religionsmündigen Schülerinnen und Schüler werden aufgerufen, sich von der Teilnahme am Unterricht innerhalb des Modellversuchs ,Lebensgestaltung/Ethik/Religion' abzumelden.

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Es muß aber auch festgestellt werden, daß das Land Brandenburg das einzige Bundesland ist, das sich in der Frage des Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen nicht an die Grundrechte gemäß Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gebunden sieht. " 37 Vß. Das Staatskirchenvertragsrecht in den neuen Bundesländern

Eine weitere mittelbare Auswirkung des Inkrafttretens des Einigungsvertrags und damit der Kirchenartikel des Grundgesetzes und der Bestimmungen zum Verhältnis von Staat und Kirche in den neuen Landesverfassungen ist die Ausbildung eines am Modell der bisherigen Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland orientierten Staatskirchenvertragsrechts. Die enge Kooperation zwischen Staat und Kirche, wie sie durch die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes grundgelegt ist, ist auf eine vielfältige Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen Staat und Kirche angelegt. Sie verlangt geradezu auf der Grundlage der verfassungsrechtlich gewährleisteten und gebotenen gegenseitigen Unabhängigkeit von Staat und Kirche in ihrem jeweiligen Eigenbereich ein vielfältiges, enges und freundschaftliches Zusammenwirken zwischen dem Staat und den beiden Kirchen sowie den übrigen Religionsgemeinschaften. Es ist deshalb kein Zufall, sondern eine im deutschen Verfassungsrecht begründete Notwendigkeit, daß sich die Vertragspartner zu einer koordinationsrechtlichen Ordnung zusammenfinden, die auch im freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat eine besonders angemessene und gerechte Form der Lösung der staatskirchenrechtlichen Probleme darstellt und sich als "förderliches Instrument zur Realisierung freiheitlich-demokratischer Staatlichkeit" zum beiderseitigen Wohl von Staat und Kirche und letztlich der Menschen, die gleichzeitig Bürger des Staates und Glieder der Kirche sind, durchaus bewährt hat. 38 Die Staatskirchenverträge sind mit Vorrang dazu geeignet, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche im Interesse der Wahrung des für das Wohl des Staates unverzichtbaren konfessionellen Friedens auf eine dauerhafte rechtliche Grundlage zu stellen. 39 37 Bisher nicht veröffentlicht. Quelle: Pressestelle des Bistums Berlin. 3. September 1992. Zu den Einzelfragen der Normierung von Religionsunterricht und Ethikunterricht sowie zur Ausgestaltung des Religionsunterrichts in den neuen Bundesländern s. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern (Anm. 7), B IV. 3B Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen (Anm. 17), S. 269 f.; unter Bezugnahme auf Alfred Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie, Freiburg i.Br. 1965, S. 157.

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Hieraus erklärt es sich, daß sämtliche fünf neuen Bundesländer durchaus ein großes Interesse zeigen, Verträge mit den evangelischen Landeskirchen und Konkordate mit dem Heiligen Stuhl abzuschließen. Dabei kommt sicherlich auch der Wille der neuen Bundesländer zum Ausdruck, durch den Abschluß von Konkordaten und evangelischen Kirchenverträgen ihre neuerrungene Souveränität auf dem Gebiete der Kultur und des Bildungswesens nach dem Vorbild der alten Bundesländer zu dokumentieren. Wie Hollerbach hierzu feststellt, ist in den neuen Ländern "fast zwangsläufig eine Bewegung in Gang gekommen, die auf Verträge des Staates mit den Kirchen abzielt" .40 1. Die evangelischen Kirchenverträge

Die bereits abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträge und gleiches gilt von den sich gegenwärtig im Stadium der Beratungen befindlichen Konkordaten mit dem Heiligen Stuhl regeln die Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche in denkbar umfassender Weise. In zeitlicher Reihenfolge wurde als erster Kirchenvertrag der Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt am 15. September 1993 in Wittenberg unterzeichnet. Er ist bereits am 15. Februar 1994 in Kraft getreten. Der Vertrag wurde abgeschlossen zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und insgesamt sechs evangelischen Landeskirchen, nämlich mit der Evangelischen Landeskirche Anhalts, der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen sowie der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. 41 Dem Evangelischen Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt kommt als erstem deutschen Staatskirchenvertrag mit einem neuen Bundesland für die übrigen neuen Länder ein gewisser Modellcharakter zu. Von Wichtigkeit für die staatlichen Verwaltungen sind hierbei insbesondere die Vertragsbestimmungen über die Formen des Zusammenwirkens zwischen Staat und Kirchen, Bildungsfragen, Schutz des Kirchenvermögens, Denkmalpflege und Friedhofswesen. In einigen Punkten trägt der Vertrag dem gewandelten Selbstverständnis der evangelischen Kirchen Rechnung.42 39 Joseph Listl, Konkordate und Kirchenverträge (Einleitungsbeitrag), in: ders. (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd. I, Berlin 1987, S. 5. 40 Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen (Anm. 17), S. 265. 41 Wortlaut in: GVBL für das Land Sachsen-Anhalt 1994, S. 173 ff. (Bekanntmachung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens auf S. 434).

25 Sbd. List!

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Am 20. Januar 1994 wurde der evangelische Kirchenvertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommersehen Evangelischen Kirche geschlossen. Er trat am 22. April1994 in KraftY

Der Vertrag des Landes Thüringen mit den zuständigen evangelischen Landeskirchen wurde am 15. März 1994 unterzeichnet. Er trat am 22. September 1994 in Kraft. 44 Die Unterzeichnung des Vertrags des Freistaates Sachsen mit den beteiligten evangelischen Landeskirchen erfolgte am 24. März 1994. Der Vertrag ist am 1. September 1994 in Kraft getreten. 45 Es kann hier der Inhalt dieser Verträge nicht im Detail ausgebreitet werden. Sowohl der evangelische Kirchenvertrag für Sachsen-Anhalt als auch der mecklenburgisch-vorpommersche Vertrag enthalten eingangs nach dem Modell des Loccumer Vertrages programmatische Aussagen. In der Präambel des Evangelischen Kirchenvertrags Sachsen-Anhalt bringen die Vertragspartner ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck, unter Beachtung des Grundrechts der Religionsfreiheit und des Grundsatzes der gegenseitigen Unabhängigkeit von Staat und Kirche die Eigenständigkeit und den Öffentlichkeitsauftrag der Kirche zu wahren; sie bekunden ihre Absicht, in einer freien Gesellschaft und in einem religiös und weltanschaulich neutralen Staat die bildungs-und kulturpolitische sowie die diakonische Tätigkeit der Kirchen im Lande Sachsen-Anhalt zu fördern; sie erklären, daß dieser Vertrag geschlossen werde "unter Berücksichtigung und inhaltlicher Fortbildung der historisch gewachsenen Rechte und Pflichten, wie sie insbesondere ihren Niederschlag im Vertrag des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931 und in dem zwischen dem Anhaltischen Staatsministerium und dem Evangelischen Landeskirchen42 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Axel Vulpius, Der Evangelische Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt aus der Sicht der Verwaltung, in: LKV (=Landes- und Kommunalverwaltung. Verwaltungsrechts-Zeitschrift für die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), 4. Jhg. (1994), S. 277-280; ferner Hermann Weber, Der Wittenberger Vertrag- Ein Loccum für die neuen Bundesländer?, in: NVwZ 1994, S. 759. 43 Wortlaut in: Kirchliches Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs 1994, S. 26 ff. (Bekanntmachung über das Inkrafttreten aufS. 30) =Amtsblatt der EKD 1994, S. 265 ff. (269). 44 GVBL für den Freistaat Thüringen 1994, S. 509 ff. (Bekanntmachung über das Inkrafttreten aufS. 1194). 45 Sächs. GVBL 1994, S. 1252 (Bekanntmachung über das Inkrafttreten auf S. 1558). Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 1994, S. A 94 ff. = ABL der EKD 1994, S. 271 ff.

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rat für Anhalt abgeschlossenen Vertrag vom 4. Oktober 1924 in der Fassung des am 3. Februar 1930 vor dem Oberlandesgericht Naumburg geschlossenen Vergleichs und des im Anschluß daran vereinbarten Abkommens vom 18./20. März 1930 sowie in dem Vertrag zwischen dem Freistaat Braunschweig und der braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche vom 8. August 1923 gefunden haben". Die Vertragspartner betrachten es als ihr Ziel, unter veränderten politischen Bedingungen die Grundlagen für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in einer freiheitlichen Gesamtordnung "umfassend und dauerhaft zu gestalten". 46 Ähnlich programmatisch äußern sich die Vertragspartner im mecklenburgisch-vorpommerschen Vertrag, an dem Axel Frhr. v. Campenhausen als Berater mitgewirkt hat. Der Vertrag werde geschlossen "auf der Grundlage der vom Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und von der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern gewährleisteten Stellung der Kirchen im freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat"; ferner in Anknüpfung und Fortentwicklung der rechtlichen Regelungen, die insbesondere in dem Vertrag zwischen dem Freistaat Mecklenburg-Schwerin und der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Mecklenburg-Schwerin vom 2. Mai 1930 und in dem Vertrag zwischen dem Freistaat Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931 ihren Niederschlag gefunden haben. Hier ist einschlußweise die Fortgeltung der genannten Verträge in Bezug genommen. Ferner werde der Vertrag geschlossen "im Respekt vor der Religionsund Glaubensfreiheit des einzelnen und in Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen" sowie "im Bewußtsein der Unterschiedlichkeit des geistlichen Auftrages der Kirchen und der weltlichen Aufgaben des Staates" und "in der Überzeugung, daß die Trennung von Staat und Kirche gleichermaßen Distanz und Kooperation gebietet". Sowie schließlich "in Würdigung der Bedeutung, die christlicher Glaube, kirchliches Leben und diakonischer Dienst auch im religiös-neutralen Staat für das Gemeinwohl und den Gemeinsinn der Bürgerhaben". 47 Die Regelungsmaterien sind inhaltlich in allen Verträgen- ungeachtet verschiedenartiger Formulierungen- weithin dieselben. Sie betreffen z. B. im Evangelischen Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt die Glaubensfreiheit und die Eigenständigkeit der Kirche, das Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche, die staatliche Theologenausbildung, die Kirchlichen Hochschulen, den Religionsunterricht, der ausdrück46 47

25*

GVBL Sachsen-Anhalt 1994, S. 173. ABI. der EKD 1994, S. 265 f.

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lieh als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen gewährleistet wird, wie übrigens auch in den Verträgen mit den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen. Geregelt werden ferner die Rechtsstellung der kirchlichen Schulen, der Schutz des Kirchenvermögens, die Anerkennung der kirchlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, die Widmungsgarantie der kirchlichen Gebäude, die Denkmalpflege, das Patronatswesen, die Anstaltsseelsorge, die Staatsleistungen in ihrem vereinbarten Umfang, die Einzelheiten der Erhebung und Verwaltung der Kirchensteuern, Spenden und Sammlungen, Gebührenbefreiungen, Diakonie und Bildungseinrichtungen, Feiertagsschutz, Seelsorgsgeheimnis, kirchliche Friedhöfe, Rundfunk, Meldewesen, staatliche Amtshilfe für kirchliche Gerichte, die Garantie der religiösen Parität, in Art. 27 die sprachliche Gleichstellung von Frau und Mann durch die Formulierung "Personen- und Funktionsbezeichnungen in diesem Vertrag gelten jeweils in männlicher und weiblicher Form", schließlich die Formalien des Inkrafttretens. Der evangelische Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt ist außerordentlich schlußprotokollfreudig. Der mecklenburg-vorpommersche Kirchenvertrag kommt dagegen ohne jedes Schlußprotokoll aus. Von den beiden Kirchenverträgen, aber auch von den anderen evangelischen Kirchenverträgen kann man mit Axel Frhr. v. Campenhausen feststellen: "Alles in allem also ein Vertrag, der bewährte alte mit erfreulich neuen Ansätzen verbindet und, wie man hoffen darf, die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit legt. Der Vertrag wäre nicht ohne das nachdrückliche Engagement des Ministerpräsidenten von MecklenburgVorpommern, Berndt Seite, zustande gekommen". 48 Zwischen dem Land Brandenburg und der Evangelischen Kirche in Berlin-Erandenburg werden gegenwärtig Verhandlungen geführt mit dem Ziel, zum Abschluß eines evangelischen Kirchenvertrags zu gelangen. 2. Konkordatäre Vereinbarungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den neuen Bundesländern

Parallel zu den Verhandlungen zwischen den Bundesländern und den evangelischen Landeskirchen wurden während des Jahres 1994 auch Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Freistaat Sachsen, Sachsen-Anhalt und 48 Axel v. Campenhausen, Freiraum für den Dienst am Gemeinwohl. Mecklenburg-Vorpommern regelt als zweites ostdeutsches Bundesland im Rahmen eines Staatskirchenvertrages die Beziehungen zur evangelischen Kirche, in: Rheinischer Merkur I Christ und Welt, Nr. 4 vom 28. Januar 1994.

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Freistaat Thüringen über den Abschluß konkordatärer Vereinbarungen geführt. Die Regelungsmaterien dieser Vereinbarungen sind mutatis mutandis inhaltlich weithin dieselben wie in den evangelischen Kirchenverträgen. Der Neufestlegung der katholischen Kirchenorganisation, d. h. dem Abschluß der Verträge über die Errichtung der drei neuen Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg sowie des Erzbistums Hamburg, kam jedoch gegenüber dem Abschluß neuer konkordatärer Vereinbarungen Priorität zu. Auch ließ die katholische Kirche in Anbetracht der Minderheitensituation, in der sie sich in den neuen Bundesländern gegenüber den evangelischen Landeskirchen befindet, der evangelischen Kirche mit dem Abschluß der evangelischen Kirchenverträge gerne den Vortritt. Hinsichtlich des Zeitpunktes des Abschlusses der neuen Länderkonkordate lassen sich gegenwärtig noch keine verbindlichen Aussagen treffen. Zusammenfassend und abschließend kann erfreulicherweise mit Hollerbach festgestellt werden, daß die deutsche Wiedervereinigung für die Fortentwicklung des Vertragsrechts "einen kräftigen Impuls" bedeutet. Das Vertragsstaatskirchenrecht werde ein ebenso notwendiges wie lebendiges Element des deutschen Staatskirchenrechts bleiben. Ganz offensichtlich seien Versuche zu einem "Ausstieg" oder einer "Kurskorrektur" zum Scheitern verurteilt. Dies gelte freilich nur, "solange die Kirchen als Kirchen öffentliche Potenzen bleiben und spürbar geistliche Kraft entfalten. " 49 Leitsätze zum Vortrag von Professor Dr. iur. Joseph Listl, Augsburg/Bonn: "Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland" 1. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands ist in den neuen Bundes-

ländern im Hinblick auf den Aufbau einer neuen staatskirchenrechtlichen Ordnung Bedeutendes, ja Großes geleistet worden.

2. Mit der "äußeren" Wiedervereinigung Deutschlands ist jedoch in Staat und Gesellschaft und ebenso in den Kirchen die "innere" Wiedervereinigung noch nicht vollzogen. Sie wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Die Kirchen stehen hier vor großen Herausforderungen. 3. Die bestehende Mentalität und ein verbreiteter Pazifismus verhindern in den neuen Bundesländern, insbesondere auch auf dem Gebiete der Militärseelsorge, die Übernahme der im Westen bestehenden Regelungen. 49

Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen (Anm. 17), S. 266.

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4. Diese Lebenswirklichkeit macht die Umsetzung der durch das Grundgesetz gewährten staatskirchenrechtlichen Möglichkeiten für die Kirchen in der Praxis zu einer schwierigen Aufgabe. 5. Die Konfessionsstatistik der Bundesrepublik Deutschland hat durch die am 3. Oktober 1990 erfolgte Wiedervereinigung bedeutsame Veränderungen erfahren. 1987 gehörten ca. 85 % der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik entweder der katholischen oder der evangelischen Kirche an. Infolge der Wiedervereinigung ist der prozentuale Gesamtanteil der Angehörigen der katholischen und evangelischen Kirche an der Gesamtbevölkerung auf ca. 70 %im Jahre 1992 geschrumpft. Ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik gehört keiner Religionsgemeinschaft an. 6. Zu den unmittelbaren Auswirkungen des Inkrafttretens des Grundgesetzes im staatlichen Bereich der neuen Bundesländer gehören die a) Wiedereinführung des kirchlichen Besteuerungsrechts und der Kirchensteuererhebung; b) Erstreckung der (Fort-)Geltung des Reichskonkordats auf das Beitrittsgebiet; c) Erstreckung der (Fort)Geltung des Preußischen Konkordats und des Preußischen Kirchenvertrags auf die ehemals preußischen Gebiete. 7. Zu den mittelbaren, innerkirchlichen Auswirkungen der staatlichen Wiedervereinigung gehören a) der Beitritt der Mitglieder der früheren Berliner Bischofskonferenz zur Deutschen Bischofskonferenz; b) die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit auf der Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland durch Reaktivierung der Zugehörigkeit der acht östlichen evangelischen Landeskirchen zur EKD. 8. Für den Bereich der katholischen Kirche hat die Wiedervereinigung Deutschlands die Neuordnung der Diözesanorganisation und -Zirkumskription in den neuen Bundesländern und im Norden Deutschlands im Gefolge: Errichtung der vier neuen Bistümer (Erzbistum Hamburg; Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg) und der beiden Kirchenprovinzen Berlin (Erzbistum Berlin, Bistümer Dresden-Meißen und Görlitz) und Harnburg (Erzbistum Harnburg, Bistümer Hildesheim und Osnabrück). 9. Im Hinblick auf die Interpretation des Art. 11 Abs. 1 Satz 3 und 4 des Reichskonkordats wurde zwischen dem Bund und sämtlichen

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Bundesländern eine einvernehmliche Regelung gefunden. Danach liegt die Kompetenz zum Abschluß der Verträge über die Bistumserrichtungen bei den Ländern allein. Der Heilige Stuhl als Vertragspartner des Reichskonkordats wird der Bundesregierung vor dem Abschluß der Verträge deren Wortlaut zuleiten. 10. Die Verfassungen der neuen Bundesländer enthalten auf der Grundlage der Kirchenartikel des Art. 140 GG im Hinblick auf die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie auf ihre Tätigkeit zum Teil sehr eingehende Regelungen, die auf der Linie verbleiben, die durch das Grundgesetz und die anderen Länderverfassungen vorgezeichnet sind. 11. Mit Ausnahme des Landes Brandenburg gewährleisten die übrigen neuen Bundesländer in ihren Verfassungen ausdrücklich den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach i.S. des Art. 7 Abs. 3 GG. Die Berufung des Landes Brandenburg auf die sog. "Bremer Klausel" des Art. 141 GG und seine Weigerung, Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes zu veranstalten, steht mit der institutionellen Gewährleistung des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 GG im Widerspruch und ist deshalb verfassungswidrig. 12. In den neuen Bundesländern ist eine Bewegung in Gang gekommen, die mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auf den Abschluß von Staatskirchenverträgen abzielt. 13. Die Verträge der neuen Bundesländer mit den jeweiligen evangelischen Landeskirchen und die Konkordate zwischen dem Heiligen Stuhl und diesen Ländern enthalten umfassende Regelungen der Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Die Präambeln der evangelischen Verträge bringen bei gleichzeitiger Anerkennung des Öffentlichkeitsauftrags der Kirche in programmatischer Weise die Bedeutung der Kirche für Staat und Gesellschaft zum Ausdruck und betonen in variierenden Formulierungen, daß die verfassungsrechtliche "Trennung von Staat und Kirche gleichermaßen Distanz und Kooperation" gebietet. 14. Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in den neuen Bundesländern zeigt, daß das Staatskirchenvertragsrecht "ein ebenso notwendiges wie lebendiges Element des deutschen Staatskirchenrechts bleiben wird" (Hollerbach).

Staat und Kirche bei Ulrich Scheuner (1903-1981) I. Das Grundverhältnis der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Lehre Ulrich Scheuners 1. Die Wirkungsgeschichte des Einflusses Scheuners auf die Entwicklung des Staats- und Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland

Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gehörte Ulrich Scheuner zu jenen herausragenden Lehrern des öffentlichen Rechts, die durch ihr wissenschaftliches Ansehen und durch ihr vielfältiges Engagement in der Rechtspraxis und im öffentlichen Leben auf die sich allmählich festigende staats- und verfassungsrechtliche Ordnung des jungen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland während der ersten beiden Jahrzehnte ihres Bestehens besonders intensiv und nachhaltig prägend eingewirkt haben. Bei Scheuner lag der Grund für den von ihm ausgeübten Einfluß darin, daß ihm in ungewöhnlichem Maße die Gabe eignete, zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen und Lagern einheits- und konsensbildend zu wirken. Dies bringt zutreffend auch der Kölner Historiker Hans-Peter Schwarz zum Ausdruck, wenn er in der ersten repräsentativen Darstellung der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Blick auf die Rechtsentwicklung des ersten Jahrzehnts nach dem Irrkrafttreten des Grundgesetzes feststellt, daß in dieser Periode des Übergangs jene theoretischen Bemühungen, die zwischen konservativem und liberalem, zwischen christlich-konservativem und säkularem Staatsdenken zu vermitteln suchten, vorherrschend waren. "'!YPisch für diese vermittelnde Richtung", schreibt Schwarz, "und daher besonders einflußreich war ein Staatslehrer wie Ulrich Scheuner". Bei ihm und anderen ähnlich orientierten Theoretikern sei man einer für die Vorstellungen Erstveröffentlichung in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann. Hrsg. von Joseph Listl und Herbert Schamheck. Berlin: Duncker & Humblot 1982, S. 827-899. Der Verfasser widmet diese Abhandlung dem Jubilar dieser Festschrift auch im Gedenken an Ulrich Scheuner (t 25. 2. 1981), der sich Professor Johannes Broermann, dem Verleger seiner hauptsächlichen Schriften, aufgrund einer langjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit in Verehrung und Freundschaft verbunden wußte und dem zu dieser Festschrift beizutragen nicht mehr beschieden war.

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im Verlauf der fünfzigerJahremehr und mehr kennzeichnenden Neigung zur Harmonisierung der Gegensätze begegnet. Statt einer konsequenten Scheidung von Staat und Gesellschaft habe sich nun eine zunehmende Bereitschaft gezeigt, deren ungeschiedenes, wenn auch nicht völlig identisches Miteinander herauszuarbeiten und dementsprechend staatliche Funktionen relativ autonomen gesellschaftlichen Trägern zu überantworten, aber auch umgekehrt Gruppen und Parteien in den öffentlich-rechtlichen Bereich zu integrieren. 1 Dieses Urteil des Historikers über die Breitenwirkung Scheuners auf die Ausbildung des staats- und verfassungsrechtlichen Gesamtbewußtseins im ersten Jahrzehnt des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland wird von den Vertretern der Staatsrechtslehre bestätigt. In diesem Sinne führt Klaus Schlaich die "breite Rezeption", die Scheuner auf dem gesamten Gebiete des öffentlichen Rechts allenthalben gefunden hat, auf sein Bestreben zurück, vermittelnd zu wirken, "Maß zu halten" und "Überanstrengungen" in den von ihm vertretenen Auffassungen und gefundenen Ergebnissen zu vermeiden. 2 1 Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 19491957. Stuttgart-Wiesbaden 1981, S. 442 (= Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2). 2 Klaus Schlaich, Von der Notwendigkeit des Staates- Das wissenschaftliche Werk Ulrich Scheuners, in: Der Staat 21 (1982), S. 23. Über die geistige und wissenschaftliche Bedeutung Ulrich Scheuners und seinen Einfluß auf das öffentliche Leben vgl. auch die Würdigung von Ernst Friesenhahn, Gedenkrede im Namen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn und der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer bei der Beisetzung von Ulrich Scheuner am 4. März 1981, in: Ulrich Scheuner zum Gedächtnis 24. 12. 1903-25. 2. 1981. Hrsg. von Joseph Listl. Bonn 1981, S. 22ff. Vgl. ferner den instruktiven und überreich dokumentierten Beitrag von Peter Häberle, Staatsrechtslehre als universale Jurisprudenz. Zum Tode von Ulrich Scheuner am 25. Februar 1981, in: ZevKR 26 (1981), S. 105-129. Die besondere Fähigkeit Scheuners zum Ausgleich und zur Harmonisierung von Gegensätzen rühmt auch Rudolf Smend, der seinen Beitrag "Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit" in der Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag (Berlin 1973, S. 575-589) auf S. 588 f. mit der folgenden Würdigung für Ulrich Scheuner beschließt: "Eine besondere Rolle in diesen Auseinandersetzungen, innerhalb und außerhalb der Vereinigung, ist Ulrich Scheuner zugefallen. Selbst ein entschiedener Anhänger der ,modernen' Richtung und als solcher ein kräftiger Mitstreiter in der Fortentwicklung der grundgesetzliehen Ordnung, vor allem in der sozialstaatlichen Linie, ist er zugleich auch wissenschaftlich Andersdenkenden gegenüber aufgeschlossen (mit Zurückhaltung allenfalls gegenüber der Wiener Schule), aufgeschlossen den pluralistischen Elementen unserer Verfassung, ein sorgfältiger Beobachter auch des laufenden Verfassungswandels. In seltener Souveränität der gleichmäßigen Beherrschung aller Disziplinen des öffentlichen Rechts, in Geschichte und System, deutscher und ausländischer Literatur und Praxis, übt er eine weise Kunst der Auslegung, deren Maxime die Harmonisierung ist, die Zusammenfügung der ,einzelnen Güter der Verfassung zu einer

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Noch ungleich intensiver und tiefgreifender als das Staats- und Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland im allgemeinen hat Scheuner von 1949 bis zu seinem Tode die Entwicklung des Staatskirchenrechts und damit auch die konkrete Ausgestaltung des Staat-Kirche-Verhältnisses in der freiheitlichen und rechtsstaatliehen Demokratie unter der Herrschaft des Grundgesetzes maßgeblich beeinflußt. Die starke Betonung der Notwendigkeit und der Autorität des Staates und seiner institutionellen Strukturen bedeutete für das stets auf Ausgleich gegensätzlicher Ansprüche und Interessen ausgerichtete rechtliche Denken Scheuners kein Hindernis, den Kirchen den ihnen aufgrundihrer Eigenständigkeit und ihres von der Verfassung des Staates anerkannten Selbstordnungs- und Selbstbestimmungsrechts zustehenden Freiheitsraum zuzuerkennen. Gerade das Staatskirchenrecht, d. h. jener vielgestaltige Bereich der staatlichen Rechtsordnung, der sich auf die Kirchen und die übrigen Religionsgemeinschaften und auf die Ausübung der Religion in ihren sämtlichen individuellen und korporativen Erscheinungsformen bezieht, stellt traditionell ein Grenzgebiet dar, in dem immer wieder von neuem ein gerechter, zeitgemäßer und abgewogener Ausgleich zwischen der Interessensphäre des Staates und der Kirche gefunden werden muß. Das Staatskirchenrecht bildete für den Rechtslehrer Ulrich Scheuner während der letzten zwanzig Jahre seines Lebens jenes Betätigungsfeld, dem er seine besondere Liebe zuwandte und auf dem sich seine genialen juristischen Fähigkeiten in Verbindung mit seiner umfassenden historischen Bildung, seiner Kenntnis der kirchlichen Verhältnisse und der Entwicklung der theologischen Wissenschaft und seinem politischen Realitätssinn zu höchster Virtuosität entfalten konnten. Der ungewöhnliche Einfluß, den Ulrich Scheuner auf die Ausbildung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland in den ersten dreißig Jahren ihres Bestehens ausgeübt hat, beruhte, abgesehen von seinem hohen wissenschaftlichen Ansehen, das in allen Lagern unbestritten war, jedoch auch auf dem großen persönlichen Vertrauen, dessen er sich gleichermaßen sowohl bei zahlreichen Repräsentanten des staatlichen und politischen Lebens der verschiedensten Richtungen als auch ganz besonders bei den führenden Vertretern der evangelischen und der katholischen Kirche erfreut hat. Bischof Hermann Kunst hat dieser hohen Wertschätzung bei der Trauerfeier für Ulrich Scheuner in der Banner LutherkirOrdnung, d. h. zu einem harmonischen Ganzen, aber nicht zu einem System, aus dem man deduktiv ableitet' - mit einer Beherrschung des Gegenstandes, die ihm die Fülle seines Sinnes entlockt und ihm doch keine Gewalt antut. So weiß er auch im wissenschaftlichen Gespräch mit den Fachgenossen umzugehen, in einem Miteinander, das in seiner Fruchtbarkeit auch zu den Ergebnissen des Richtungsstreits gehört, und in dessen stiller und weiser Anregung, Beeinflussung und Leitung er ein Meister ist."

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ehe am 4. 3. 1981 Ausdruck verliehen, als er ausführte, daß kein Zweifel daran bestehe, daß die Geschichte des in den letzten dreißig Jahren gewachsenen Verhältnisses der Kirchen zum Staat in unserem Lande in einer Fülle von grundlegenden und praktischen Regelungen ohne die Denkleistung, den Rat und das gelegentlich entschiedene Zufassen von Ulrich Scheuner nicht geschrieben werden könne. 3 Ebenso wie auf dem Gebiete des gesamten öffentlichen Rechts, insbesondere des Staats- und Verfassungsrechts, gibt es erst recht in dem spezielleren Bereich des Staatskirchenrechts wohl kaum eine Frage oder eine Problemstellung von größerem Gewicht, die Scheuner nicht in der einen oder anderen Weise in einem Rechtsgutachten oder in einem der zahlreichen staatskirchenrechtlichen Artikel, die von ihm in den verschiedensten Zeit- oder Festschriften erschienen sind, oder auch in einem Vortrag behandelt hätte. In nicht wenigen Fällen hat Scheuner auch Dissertationen aus dem Gebiet des Staatskirchenrechts vergeben und in ihnen durch Doktoranden staatskirchenrechtliche Fragen untersuchen lassen. Materiell sind in den etwa 110 Publikationen Scheuners zum Staatskirchen- und Kirchenrecht alle Probleme, Fragestellungen und Gebiete erörtert, deren Behandlung von einem anspruchsvollen Lehrbuch des Staatskirchenrechts erwartet werden muß. Neben seinen staatskirchenrechtlichen Untersuchungen hat er auch bedeutsame kirchenrechtliche Abhandlungen, insbesondere aus dem Bereich des evangelischen Kirchenrechts, hinterlassen. Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, das Schrifttum Ulrich Scheuners zum Staatskirchen- und Kirchenrecht in einer systematisch-sachlichen Ordnung darzustellen. Der Verfasser ist sich dessen bewußt, daß es sich hierbei angesichts der Fülle des Stoffes und des überquellenden Gedankenreichtums, der die Publikationen Scheuners auszeichnet, nur um einen Versuch im Sinne einer Skizze handeln kann. Es können jeweils nur die wesentlichsten Aussagen Scheuners zu den behandelten Gegenständen wiedergegeben werden. Dieses Bemühen begegnet ferner auch deshalb großen Schwierigkeiten, weil die staatskirchenrechtlichen Publikationen Scheuners nicht unter der s Hermann Kunst, Predigt im Trauergottesdienst für Ulrich Scheuner in der Lutherkirche in Bonn am 4. 3. 1981; abgedr. in: Ulrich Scheuner zum Gedächtnis (Anm. 2), S. 11. Über den Einfluß Scheuners auf die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Joseph Listl, Das Schrifttum Ulrich Scheuners zum Staatskirchenrecht, in: Ulrich Scheuner, Schriften zum Staatskirchenrecht. Hrsg. von Joseph Listl. Berlin 1973, S. 11-16; Martin Heckel, Staatskirchenrechtliche Dimensionen. Ulrich Scheuners Schriften zum Staatskirchenrecht, in: DÖV 1975, S. 39-44; Häberle, Staatsrechtslehre als universale Jurisprudenz (Anm. 2), S. 126-129; ferner ders., Teilbibliographie Ulrich Scheuner- Rezensionen (ohne Völker- und Europarecht), in: ZevKR 26 (1981), s. 130-139.

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Rücksicht einer späteren systematischen Zusammenfügung verfaßt wurden. Bekanntlich hat Scheuner die Verfasser systematischer Lehrbücher immer ebenso bewundert, wie er die Unzulänglichkeiten und Schwächen ihrer Werke erkannt und kritisch erörtert hat. Er selbst hat die von vielen Seiten auf ihn gesetzten Hoffnungen und Erwartungen auf Veröffentlichung eines Lehrbuchs des deutschen Staatsrechts und ebenso auch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland zeitseines Lebens bitter enttäuscht. Eine weitere Schwierigkeit, die in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist, besteht schließlich darin, daß die hier behandelten Publikationen Scheuners zum Staat-Kirche-Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland während eines langen Zeitraums von dreißig Jahren erschienen sind. Während dieser Zeit haben sich in mancher Hinsicht mit den sich wandelnden Fragestellungen und Problemen auch die staatskirchenrechtlichen Anschauungen Scheuners zu einzelnen Fragen geändert und weisen damit selbst eine geschichtliche Entwicklung auf, wiewohl sich Scheuner in seinen grundlegenden Auffassungen zum Staatskirchenrecht stets treu geblieben ist. 2. Publikationen Ulrich Scheuners zum Gesamtverhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland

Im Zeitraum von 1950 bis 1974 hat Scheuner zum Gesamtkomplex des Staat-Kirche-Verhältnisses in der Bundesrepublik Deutschland in immer wieder neuen Variationen Stellung bezogen. Diese Publikationen bilden in ihrer Entstehungsgeschichte häufig den späteren schriftlichen Niederschlag von Vorträgen, um deren Übernahme Scheuner als stets begehrter und geschätzter Referent von verschiedenen Akademien und anderen kirchlichen Einrichtungen und Gremien gebeten worden war. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich in diesen Gesamtdarstellungen des Staat-Kirche-Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche inhaltliche Wiederholungen finden; andererseits nahm Scheuner in jedem dieser Vorträge bzw. Beiträge zu den jeweils gerade aktuellen Problemen und Ereignissen Stellung. Gerade diese Publikationen sind deshalb für die Entwicklungsgeschichte des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland von hohem dokumentarischem Interesse und daher auch von bleibender Bedeutung. a) Bereits mit seiner ersten Veröffentlichung zum Grundverhältnis von Staat und Kirche, die im Jahr 1953 im 2. Band der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht unter dem Titel "Auflösung des Staatskirchenrechts?" erschienen ist, griff Scheuner in engagierter Weise in die damaligen Auseinandersetzungen über die Bedeutung der Staatskirchenartikel des Grundgesetzes und die Standortbestimmung der Kir-

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chen in der durch das Grundgesetz konstituierten neuen Verfassungsordnung ein. Gegen Werner Weber, der aus Sorge um die Autorität des Staates für eine Fortgeltung der staatlichen Kirchenhoheit eintrat, wie sie unter der Weimarer Verfassung noch bestanden hatte, begrüßte Scheuner, ungeachtet der Tatsache der Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz durch Art. 140 GG, aufgrundseines Staatsverständnisses und wegen der gewandelten historischen und politischen Situation in Übereinstimmung mit Rudolf Smend4 den Fortfall jeder Staatskirchenhoheit im früheren Sinne und setzte sich für eine partnerschaftliehe Kooperation zwischen Staat und Kirche ein. 5 Schon bei der Aussprache im Anschluß an die Referate, die bei der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Marburg im Oktober 1952 von Werner Weber und Hans Peters zu der Thematik "Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts" gehalten worden waren, hatte sich Scheuner gegen die etatistischen Vorstellungen Werner Webers gewandt und zu dessen Grundauffassungen in aller Deutlichkeit festgestellt, daß Weber "im wesentlichen auf der Seite des Staates verblieben" sei und "von dem im 19. Jahrhundert durchgeformten Staatskirchenrecht her gedacht" habe. 6 Es ist für die vermittelnde und auf Milderung der gegensätzlichen Auffassungen bedachte Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung Scheuners kennzeichnend, wenn er seinen Bericht über die Marburger Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer mit dem Satz beschließt: "Es ist aber gewiß, daß die aufhellenden und anregenden Gedanken, die die beiden Referate der Marburger Tagung entwickelt haben, den Ansatz zu fruchtbaren weiteren Überlegungen und Klärungen bieten werden. " 7 b) Die zweite Veröffentlichung, in der Scheuner zum Staat-KircheVerhältnis der Bundesrepublik Deutschland in seiner Gesamtheit Stellung bezog und die - auch hinsichtlich ihrer Wirkung auf die allgemeine Bewußtseinsbildung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland - eine seiner bedeutsamsten Ab4 Rudolf Smend hatte in seinem Beitrag "Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz", in: ZevKR 1 (1951), S. 4 den 1945 eingetretenen Fortfall der staatlichen Kirchenhoheit mit dem Argument "Aber wenn zwei Grundgesetze dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe" für gerechtfertigt und notwendig erklärt und sich statt dieser gesteigerten Aufsicht des Staates über die Kirchen für eine "loyale Partnerschaft" der Kirchen mit dem Staat ausgesprochen. 5 Ulrich Scheuner, Auflösung des Staatskirchenrechts? Zu den Erörterungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Marburg am 17. Oktober 1952 (= VVDStRL 11 [1954], in: ZevKR 2 (1952/1953), S. 382-393; abgedr. auch in: Scheuner, Schriften (Anm. 3), S. 85-98. s Vgl. Ulrich Scheuner, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 11 (1954), S. 227. 7 Scheuner (Anm. 5), in: ZevKR 2 (1952/1953), S. 393; Schriften (Anm. 3), s. 98.

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handlungen zu diesem Rechtsgebiete darstellt, war sein später im Druck erschienenes langes Referat "Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung", das er am 30. 4. 1959 in Heidelberg auf der Tagung der Mitarbeiter der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht gehalten hat. 8 In diesem für die gesamte Denkstruktur Scheuners kennzeichnenden profunden und gelehrten Vortrag stellte Scheuner das gewandelte Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Hintergrund der komplexen historischen Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts dar und brachte damit unter Einbeziehung auch der theologischen Doktrin der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat und der verschiedenen Richtungen und Auffassungen, die hierüber im Schoße der evangelischen Kirche bestanden bzw. bestehen, das neue Verständnis der Kirchen über die Kirchenfreiheit im Gegensatz zur früheren staatlichen Kirchenhoheit und gesteigerten Aufsicht des Staates über die Kirchen in aller Deutlichkeit zum Ausdruck. Innerhalb der evangelischen Kirche unterscheidet Scheuner für die damalige Zeit zwei Richtungen, von denen die eine, als deren Repräsentanten er Werner Weber bezeichnet, "vorwiegend von staatlicher Sicht aus" den Niedergang des bisherigen, im 19. Jahrhundert ausgebildeten Staatskirchenrechts mit seiner staatlichen überwachenden Tätigkeit konstatierte, dem "auf der anderen Seite ein Emporsteigen der Kirchen zu politischem Einfluß innerhalb der öffentlichen Ordnung und eine Verflechtung in sie gegenüberstehe". Eine andere Richtung, "wohl die herrschende", betone dagegen "die Eigenständigkeit und das Anderssein der Kirche und ihrer Ordnung"; sie strebe nach Abstand vom Staate und suche den Raum kirchlicher Selbständigkeit tunliehst auszudehnen. Sie füge sich in eine neue Grundlegung von Recht und Ordnung der Kirche nicht aus weltlicher Autonomie, sondern aus der geistlichen Wurzel christlicher Vollkommenheit ein. Sie zeige aber auch Berührungen mit den ausgedehnten Strömungen, die im politischen Bereich nach 1945 gegenüber der vorangehenden Ausuferung des Staates die gegenstaatliche These der Entfernung vom Staate und des Eintretens für die von ihm unabhängigen Bereiche vertreten. In einem Teil dieser evangelischen Richtung werde dabei die "Erscheinung des Staates stärker unter das Zeichen der Apokalypse als des Römerbriefes gerückt". 9 In dieser Abhandlung "Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung" skizziert Scheunereinleitend diese gesamte von ihm behandelte Epoche als ein Zeitalter der Spannungen und Wandlungen und behandelt in den anschließenden Abschnitten die geschichtlichen Grundlagen a Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959/1960), S. 225-273; Schriften (Anm. 3), S. 121-168. 9 Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 8), in: Schriften (Anm. 3), S. 124 f.

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des neuzeitlichen Staatskirchenrechts, das Staatskirchenrecht der Weimarer Periode und die Grundzüge der staatskirchenrechtlichen Entwicklung seit 1945. Hier betont er den "Wandel" im Verhältnis Staat-Kirche sowie die neue Selbständigkeit der Kirchen im Sinne einer Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung. Unter dieser Eigenständigkeit, die in den nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträgen ausdrücklich anerkannt worden sei, sei "die staatliche Anerkennung der grundlegenden Andersartigkeit und Unabhängigkeit der Kirche noch über die autonome Selbständigkeit des Art. 137 Abs. 3 WeimRV hinaus" zu verstehen. 10 Die grundsätzliche Stellung der Kirche im Staat, wie sie auch in den nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträgen umschrieben wurde, definiert Scheuner in einer bei ihm sonst selten anzutreffenden, da stets vereinfachenden und daher häufig mißverständlichen abkürzenden Umschreibung als den "Status einer öffentlich-rechtlich anerkannten Eigenständigkeit und freundschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Staate". Zu den bedeutsamsten kirchenrechtlichen Vorgängen seit 1945 rechnet er neben der Herausbildung des neuen Verständnisses der Eigenständigkeit der Kirche und der kirchlichen Rechtsordnung die evangelischen Kirchenverträge und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 3. 1957 im Konkordatsstreit, das er hinsichtlich seiner Tragweite eingehend analysiert; ferner erwähnt er in diesem Zusammenhang das neue Verständnis der religionsrechtlichen Parität zwischen den Kirchen und den übrigen Religionsgemeinschaften. Das Verfassungsrecht kennt, wie er nachdrücklich feststellt, keinen Grundsatz einer Pflicht des Staates zu "schematischer Gleichbehandlung aller Vereinigungen weltanschaulicher Art". Die Verfassung verpflichte jedoch den Staat zu strenger religionsrechtlicher Gleichbehandlung gegenüber jedem einzelnen Bürger. Diese Pflicht wurzelt in dem individuellen Grundrecht der Glaubensfreiheit und in der allgemeinen bürgerlichen Gleichheit ohne Rücksicht auf die Konfession oder Weltanschauung (Art. 4 Abs. 1, 3 Abs. 3, 33 Abs. 3 GG, 136 Abs. 1 und 2 WeimRV). 11 Zusammenfassend konstatiert Scheuner in dieser seiner ersten umfassenden Darstellung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland deutlich "die Elemente einer Fortführung traditioneller Zusammenhänge", zu denen er in erster Linie die erhaltene Verbindung von Staat und Kirche in freundschaftlicher Zusammenarbeit, die öffentlich-rechtliche Position der Kirche und die verfassungsrechtliche Neutralität des Staates rechnet; andererseits sind aber "auch die Ebd., S. 162. n Ebd., S. 164 ff.

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Merkmale einer neuen Gestaltung" festzustellen, in der fortschreitend die Restbestände der staatlichen Kirchenhoheit überwunden, die volle Eigenständigkeit der Kirchen und des Kirchenrechts hergestellt und neue Wege einer Partnerschaft zwischen Staat und Kirche gefunden werden. 12 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 17. 2. 1965 im sog. hessischen Gemeindeteilungsfall ausdrücklich auf die Auffassung Scheuners über den Fortfall der gesteigerten Aufsicht des Staates über die Kirchen und zur Eigenständigkeit der Kirchen gegenüber der staatlichen Gewalt bezogen. 13 In dieser Entscheidung, der für die gesamte weitere Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland grundlegende Bedeutung zukommt, hat dieses Gericht die Bestimmung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV dahingehend interpretiert, daß damit der Staat die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstverwaltung anerkennt, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten. Die Folge sei, daß der Staat in ihre inneren Verhältnisse nicht eingreifen dürfe. Infolge der öffentlichen Rechtsstellung und der öffentlichen Wirksamkeit der Kirchen, die sie aus ihrem besonderen Auftrag herleiteten und durch die sie sich von anderen gesellschaftlichen Gebilden grundsätzlich unterschieden, sei die kirchliche Gewalt zwar öffentliche, aber nicht staatliche Gewalt.14 c) Als Meister prägnanter Darstellungskunst, der es versteht, geschichtliche Entwicklungslinien und die gegenwärtige Rechtslage mit großer inhaltlicher Dichte auf engem Raum zur Darstellung zu bringen, erweist sich Scheuner in dem Beitrag "Kirche und Staat", der im Jahr 1959 in der 3. Auflage des Handbuchs "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" erschienen ist. 15 Auch in diesem Artikel betont Scheuner den Fortfall der früheren Staatsaufsicht über die Kirchen und die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung gegenüber der Rechtsordnung des Staates. Hierin erblickt er das neue Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik. Ebd., S. 166. Vgl. BVerfGE 18, S. 385 (387) unter Bezugnahme auf Ulrich Scheuner, Kirche und Staat inderneueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (195911960), S. 258 =Schriften (Anm. 3), S. 153 f., und Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Bettermann I Nipperdey I Scheuner, Die Grundrechte. Bd. IVI 1, Berlin 1960, S. 163 ff. 14 BVerfGE 18, S. 385 (386 f.). 15 Ulrich Scheuner, Art. "Kirche und Staat", in: RGG, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1327-1336; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 109-119. 12 13

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d) Bei dem von der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau in Arnoldshain am 14. und 15. Oktober 1961 veranstalteten Gespräch zum Verhältnis von Staat und Kirche referierte Scheuner zur Thematik "Rechtsgrundlagen der Beziehungen von Kirche und Staat" .16 Die neue Entwicklung, die sich nach seiner Auffassung während der fünfzigerJahreangebahnt hatte, sah er in ihrem Schwerpunkt in den zwischen den evangelischen Kirchen und dem Staat getroffenen vertraglichen Vereinbarungen, konkret in den Verträgen von Kloster Loccum (1955), Kiel (1957) und Wiesbaden (1960) sowie in den sich damals bereits abzeichnenden weiteren evangelischen Kirchenverträgen. Den Abschluß von Länderkonkordaten zwischen dem Heiligen Stuhl und einzelnen Bundesländern hielt er dagegen nach dem Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 3. 1957 17 damals "für wenig wahrscheinlich", da nach dem Konkordatsurteil der Zustand, den das Konkordat begründen wolle, in einem gewissen Umfang erschüttert worden sei. 18 Diese Auffassung Scheuners, der den damals vorherrschenden Strömungen eine zu große Bedeutung beigemessen hat, wurde durch die weitere Entwicklung bald widerlegt. Scheuner konstatiert in diesem Referat für den Bereich der evangelischen Kirche eine Erneuerung der Diskussion um das Wesen der Kirche und des Kirchenrechts und ferner ein neues Bewußtsein in ihrer Standortbestimmung gegenüber dem Staat. Für den Staat sei die Periode der Kirchenverfolgung in der Ära des Nationalsozialismus zum Anlaß geworden, den Kirchen weit entgegenzukommen und sich mit ihnen in einer erneuerten Haltung auf der Linie einer Partnerschaft und einer Zusammenarbeit zu einigen. 19 Wörtlich erklärte Seheliner damals: "Tatsächlich bekennt sich heute der Staat zu einem Verhältnis der Koordination. " 20 Diese Auffassung hat er im Zuge späterer staatskirchenrechtlicher Kontroversen über den Bestand eines Koordinationsverhältnisses zwischen Staat und Kirche nur noch in abgeschwächter Form vertreten. Eingehend behandelt er die Tragweite des neuen Verständnisses der Eigenständigkeit der Kirche und deren Folgen für den Staat im einzelnen. In einer Frage blieb Scheuner jedoch dem früheren staatskirchenhoheitlichen Denken verhaftet. Das den Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzlich eingeräumte Recht, vermögensrechtliche Ansprüche geistlicher Amtsträger gegen ihre kirchli16 Ulrich Scheuner, Rechtsgrundlagen der Beziehungen von Kirche und Staat, in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 169-187. 17 BVerfGE 6, S. 309 ff. =KirchE 4, S. 46. 18 Scheuner, Rechtsgrundlagen (Anm. 16), S. 170. 19 Ebd., S. 170. 2o Ebd., S. 175.

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chen Anstellungsbehörden kirchlichen Verwaltungsgerichten zur Entscheidung zuzuweisen, das der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 16. 3. 1961 ausdrücklich als verfassungsgemäß anerkannt hat, 21 hat Scheuner, der in dieser Frage an der älteren Anschauung festhielt, abgelehnt. Dieses durch das Beamtenrechtsrahmengesetz den Kirchen zuerkannte Recht war nach seiner Meinung von der neuen Eigenständigkeit der Kirchen nicht gedeckt; es verstieß gegen seine Vorstellungen von der Justizgewährleistungspflicht des Staates. 22 Ausführlich thematisiert Scheuner in seinem Arnoldshainer Vortrag auch das neue Verständnis der religiösen Neutralität des Staates, die eine beschränkte Partnerschaft und eine unter Achtung der Selbständigkeit der Kirchen sich vollziehende Zusammenarbeit nicht ausschließe, sowie ferner das Grundrecht der Religionsfreiheit, das seiner früheren Herkunft nach als Individualgrundrecht verstanden wurde, auf das sich aber nunmehr auch die Kirchen selbst dem Staat gegenüber berufen könnten. 23 e) Gegen dieses Grundverständnis der Zuordnung von Staat und Kirche im Sinne einer weithin partnerschaftliehen und partiell sogar koordinativen Rechtsgestaltung erhob sich während der sechziger Jahre in der staatsrechtlichen Literatur starker Widerspruch. Als bedeutsamster Exponent dieser Richtung, die wieder stärker das Gebot der staatlichen Souveränität und der Herrschaft der staatlichen Gesetzgebung über alle Vorgänge auf dem staatlichen Territorium forderte, trat Helmut Quaritsch hervor. 24 Eine andere Strömung, die von gesellschaftlichen und politischen Kräften, die bestimmten Erscheinungsformen des Liberalismus zuzuordnen sind, und insbesondere auch von der Humanistischen Union getragen wurde, als deren juristischer Wortführer der Ulmer Rechtsanwalt Erwin Fischer auftrat, versuchte das Grundrecht der Religionsfreiheit dahingehend zu interpretieren, daß dieses Recht nicht in erster Linie die positive religiöse Betätigung garantiere, sondern im Sinne einer ins Negative gewendeten Bekenntnisfreiheit als Verbot einer reliBGHZ 34, S. 342 = JZ 1961, S. 449. Scheuner, Rechtsgrundlagen (Anm. 16), S. 177 ff. 23 Ebd., S. 179 ff. 24 Vgl. Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat. Verfassungs- und staatstheoretische Probleme der staatskirchenrechtlichen Lehre der Gegenwart, in: Der Staat 1 (1962), S. 175-197 u. 289-320; abgedr. in: Helmut Quaritsch und Hermann Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland. Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950-1967. Bad Hornburg v. d. H./Berlin/ Zürich 1967, S. 265-310; ders., Neues und Altes über das Verhältnis von Kirchen und Staat, in: Der Staat 5 (1966), S. 451-474; abgedr. in: Quaritsch!Weber, Staat und Kirchen, S. 358-381. 21 22

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giösen Betätigung in den Schulen und sämtlichen öffentlichen Einrichtungen und damit als Verfassungsgebot einer radikalen Trennung von Staat und Kirche zu interpretieren sei. Diese Richtung versuchte auch das Verbot der Staatskirche in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WeimRV im Sinne einer religiös-laizistischen Trennungsideologie und damit der Unzulässigkeit jeder institutionellen Verbindung und Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen zu interpretieren. 25 Auf der Basis des Verständnisses des Grundrechts der Religionsfreiheit, wie es von Erwin Fischer vertreten wurde, entschied der Hessische Staatsgerichtshof in seinem aufsehenerregenden Schulgebetsurteil vom 27. 10. 1965, daß ein überkonfessionelles Schulgebet für einen Schüler, der dieses ablehne, eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 9 (Glaubens- und Gewissensfreiheit) und Art. 48 Abs. 2 (Verbot jeglichen Zwangs zur Teilnahme an religiösen Handlungen) der Hessischen Verfassung darstelle. 26 Auch durch eine Reihe weiterer gerichtlicher Entscheidungen und andere Ereignisse, insbesondere den sich damals in rascher Folge vollziehenden Abbau des konfessionellen Schulwesens, schienen auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts verschiedene bis dahin unangefochten bestehende rechtliche Positionen in Frage gestellt. Es überrascht daher nicht, daß Ulrich Scheuner allein in den beiden Jahren 1966 und 1967 in insgesamt sechs Publikationen zum Gesamtverhältnis von Staat und Kirche Stellung bezog. 27 Er anerkannte in 25

Literarischer Ausdruck dieser Bestrebungen ist das Buch von Erwin Fi-

scher, Trennung von Staat und Kirche. Die Gefährdung der Religionsfreiheit in der Bundesrepublik. 1. Aufl. München 1964; 2. Aufl. Frankfurt a. M. /Berlin 1971.

26 HessStGH, Urt. v. 27. 10. 1965 (Az.: P.St. 388), in: ESVGH 16, S. 1 = NJW 1966, S. 31 = DÖV 1966, S. 51= DVBL 1966, S. 29. Vgl. zum Ganzen Joseph Listl,

Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1971, S. 274 ff. 27 Ulrich Scheuner, Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht. Kirchenverträge und Gesetz, Kirchensteuern, Gemeinschaftsschule, Religionsfreiheit, in: DÖV 1966, S. 145-153; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 193-214; ders., Erörterungen und Tendenzen im gegenwärtigen Staatskirchenrecht der Bundesrepublik, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Bd. 1. Als Ms. gedr., Essen 1967, S. 108-138; veröffentlicht später in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. H. 1, Münster 1969, S. 108-138; ders., Die Kirche im säkularen Staat, in: Evangelische Welt 20 (1966), S. 642-646; ders., Die Kirche im säkularen Staat, in: Im Lichte der Reformation. Fragen und Antworten. Jahrbuch des Evangelischen Bundes. Bd. 10, Göttingen 1967, S. 5-31; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 215-236; ders., Thesen zum Verhältnis von Kirche und Staat. Neun Thesen über das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik. Vorgetragen und entfaltet auf dem zwölften Evangelisch-Katholischen Publizistentreffen in Königstein (Taunus) vom 28. 4. -1. 5. 1967, in: Kirche in der Zeit. Evangelische 26•

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seinen Beiträgen durchaus das Bedürfnis nach einer Neuorientierung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts und einer vertieften Interpretation der rechtlichen Grundlagen dieses Bereichs. Er gab auch den Kirchen den Rat, Positionen, insbesondere auf dem Gebiete des konfessionellen Schulwesens und der konfessionellen Lehrerbildung, die mit der gewandelten pädagogischen Entwicklung nicht mehr vereinbar erschienen, nicht um jeden Preis zu erhalten oder zu verteidigen. Andererseits war für ihn aber die nach dem Kirchenkampf und der Gewaltherrschaft des Dritten Reichs gewonnene Kirchenfreiheit und partnerschaftliehe Kooperation zwischen den beiden Institutionen Staat und Kirche unverzichtbar. Für ihn gab es weder ein Zurück zu der früheren Kirchenhoheit des Staates noch eine Hinneigung zu Vorstellungen im Sinne eines laizistischen Trennungsmodells zwischen Staat und Kirche mit der Folge der Beseitigung der Konkordate und Kirchenverträge, der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Religionsunterrichts, des öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen, des kirchlichen Besteuerungsrechts und der übrigen Formen der den Interessen des Staates und der Kirche in gleicher Weise dienenden partnerschaftlichen Kooperation zwischen den beiden Institutionen. Für diese partnerschaftliehe Kooperation ist Scheuner unermüdlich und im Ergebnis mit vollem Erfolg eingetreten. Durchaus auf der Linie der von Scheuner vertretenen staatskirchenrechtlichen Grundauffassungen lagen auch die beiden für die weitere Entwicklung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik bedeutsamen Referate, die Martin Heckel und Alexander Hollerbach im Oktober 1967 in Frankfurt am Main vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu der Thematik "Die Kirchen unter dem Grundgesetz" gehalten haben. 28 f) Auch in den späteren Jahren, d. h. nach 1967, behandelte Scheuner noch wiederholt den Gesamtkomplex der Beziehungen zwischen Staat und Kirchen in der Bundesrepublik. 29 Seine letzte und zugleich umKirchenzeitung, 22. Jg., Düsseldorf 1967, S. 282 f.; ders., Neuorientierung im Verhältnis von Kirche und Staat, in: Lutherische Monatshefte, 6. Jg. (1967), S. 272-278; ders., Die Kirche im säkularen Staat, in: Universitas, Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, 23. Jg. (1968), S. 1279-1289 (=erheblich erweiterte Fassung des 1966 in der Zeitschrift "Evangelische Welt" veröffentlichten gleichnamigen Beitrags). 28 Vgl. Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), S. 5-56; Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, ebd., S. 57-101. 29 mrich Scheuner, Wandlungen im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a.M. 1968, S. 27-59 (= Schriften der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau. Hrsg. von Hans Kallenbach und Willi Schemel. H. 77); abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 237-262; ders., Aufgabe und Erscheinungsbild der Kirche in der modernen Gesellschaft, in: Die Finanzierung kirchlicher

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fangreichste zusammenfassende Darstellung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland von bereits monographischem Zuschnitt bildet die mit souveräner Sachkenntnis verfaßte Abhandlung "Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts", die er als einleitenden Beitrag in Band 1 des Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland publiziert hat. 30 An dieser Abhandlung hat Scheuner viele Wochen, wenn auch mit Unterbrechungen, gearbeitet. Alle Fragen, die das Grundverständnis der Beziehungen zwischen Staat und Kirchen betreffen, werden in diesem Beitrag, der bezeichnenderweise am Anfang wiederum einen prägnanten geschichtlichen Aufriß der staatskirchenrechtlichen Entwicklung enthält, unter Verwertung der gesamten einschlägigen, auch älteren, staatskirchenrechtlichen Literatur knapp und in abgewogener Weise behandelt. An dieser langen Abhandlung fällt auf, daß Scheuner hier mit besonderem Nachdruck die Stellung der Religionsgemeinschaften in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Recht herausstellt. Mit Entschiedenheit weist er die von ihm als anachronistisch angesehenen Forderungen zurück, wie sie auch im F.D.P.-Kirchenpapier von 1973 erhoben worden waren, die darauf zielten, die Kirchen aus dem Bereich des Öffentlichen zu verdrängen und ihnen nur eine Rechtsform des privaten Rechts zuzugestehen. 31 Die Anerkennung einer Stellung der Religionsgesellschaften im Bereich des Öffentlichen, aus der sich auch eine entsprechende Position der religiösen Gemeinschaften im staatlichen Recht und Verbindungen von Staat und Kirche auf gewissen Gebieten ergeben, gehört für Scheuner, neben der Regelung des Staat-KircheVerhältnisses auf der Grundlage eines dem öffentlichen Recht, sogar weithin dem Verfassungsrecht des Bundes und der Länder, zugehörigen Staatskirchenrechts und der Verbürgung und Verwirklichung einer vollen Religionsfreiheit, zu den drei grundlegenden rechtlichen Aufgaben. Tagung der Evangelischen Akademie Loccum vom 27.-30. April 1970. Loccum 1970, S. 1-19 (= Loccumer Protokolle 10/1970 - maschinenschriftl. vervielfältigt); ders., Die rechtliche Stellung der Kirchen in der Entwicklung von Staat und Gesellschaft, in: Militärseelsorge. Zeitschrift des Katholischen Militärbischofsamts, 14. Jg. (1972), S. 228-254; ders., Kirchen im demokratischen Staat. Was folgt aus dem weltanschaulichen Pluralismus?, in: Lutherische Monatshefte, 12. Jg. (1973), S. 76-81; ders., Die Rechtsstellung der Kirchen in der pluralistischen Gesellschaft, in: Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts? Hrsg. von der Evangelischen Akademie Loccum. Loccum 1974, S. 82-95 (= Loccumer Protokolle 8/1974). 30 Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 5-86. 31 Vgl. ebd., S. 69 ff. mit Anm. 202; ferner Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 8), in: Schriften (Anm. 3), S. 153 f.

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Gegebenheiten der staatskirchenrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. 32 3. Einzelfragen des Grundverhältnisses von Staat und Kirche

a) Das Staat-Kirche- Verhältnis als rechtliche Ordnung des Ausgleichs und der Kooperation. Keine Aussage zum Grundverhältnis von Staat und Kirche kehrt in den staatskirchenrechtlichen Abhandlungen Scheuners so oft wieder wie der Hinweis darauf, daß ein geordnetes und befriedigendes Verhältnis zwischen Staat und Kirche eine Ordnung des Ausgleichs sei und notwendigerweise sein müsse. In diesem Sinn bezeichnet er das Verhältnis von Staat und Kirche in der Ordnung des Grundgesetzes als einen "komplexen Bereich von Beziehungen", der nicht von einem formalen Grundprinzip allein beherrscht werde. Versuche, wie der von Ulrich Stutz für die Weimarer Zeit, die staatskirchenrechtliche Ordnung als System einer "hinkenden Trennung", oder der von Konrad Hesse, die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Ordnung "als freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen" zu umschreiben, können nach der Meinung Scheuners heute nicht mehr als geglückt angesehen werden. Formeln dieser Art sind als "Abkürzungen für ein zusammenfassendes Verständnis" zu undifferenziert. Scheuner weist hierbei darauf hin, daß diese Wortprägungen bereits in ihrer mehrgliedrigen Zusammensetzung "auch die Mehrschichtigkeit der Lage" anzeigen. Und als entscheidenden Grund für die Untauglichkeit derartiger Kurzformeln führt er schließlich an, daß ein einzelner Grundsatz keineswegs zureichend wäre, "um das Ordnungsgefüge mit seinem Ausgleich zu erfassen" .33 Wolle man die heutige Gestaltung der Relation Staat-Kirche mit einigen Grundsätzen kennzeichnen, so wären wohl die Begriffe Freiheit, Distanz und Ausgleich angebracht. Unter "Ausgleich" ist dabei nach Scheuner eine Grundhaltung des Gemeinwesens zu verstehen, das heute als offenes demokratisches Gebilde in der Auseinandersetzung mit zahlreichen, auch mächtigen Gruppen und Organisationen steht, und daher ein Zusammenleben mit ihnen sucht, aber andererseits auch das einvernehmliche Zusammenleben verschiedener Richtungen untereinander im Auge hat und für das die religiöse Freiheit sich notwendig mit einem über den Gehalt bloßer Duldung hinausgehenden verfassungsrechtlichen Gebot der Toleranz, der Fähigkeit des sozialen Miteinander verbindet.34 Das Staat-Kirche-Verhältnis, wie es das Grundgesetz konsti32 33 34

Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 5. Ebd., S. 50. Ebd., S. 50 f.

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tuiert, bildet demgemäß kein geschlossenes System, sondern beruht auf einem Ausgleich mehrerer Gedanken, nämlich der Glaubensfreiheit, der Unterscheidung des staatlichen und kirchlichen Bereichs, der Toleranz und der Erhaltung gewisser gemeinsamer Bereiche. Aus diesem Grunde ist es - eine Aussage, die Scheuner wiederholt in dezidierter Weise vorgetragen hat - ein unzulässiges Unterfangen, unter der Ordnung des Grundgesetzes das Verhältnis von Staat und Kirchen allein aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) zu entwikkeln; es gehören hierzu vielmehr notwendig auch die komplementären institutionellen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Religionsunterrichts und der aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz inkorporierten KirchenartikeL 35 Das kirchenpolitische System der Bundesrepublik Deutschland ist einerseits eine Ordnung des Ausgleichs, andererseits ist der Staat aufgrund seiner religiösen Neutralität offen für die Bedeutung und die Rolle der religiösen und weltanschaulichen Kräfte, die einen Teil der pluralistischen Gesellschaft bilden. Neutralität bedeutet zwar Zurückhaltung des Staates, aber nicht Ausschließung der Religion aus dem Bereich der staatlichen Wirksamkeit; aus diesem Grunde ergibt sich die Möglichkeit, daß der Staat und die religiösen Gemeinschaften auf begrenzten Gebieten, insbesondere dort, wo sich ihre Wirksamkeit und ihre Interessen berühren und überschneiden, auch Formen einer funktionellen Zusammenarbeit entwickeln. Die Formen dieser Zusammenarbeit beruhen in der Gegenwart auf der Verfassung, auf Vertrag, Gesetz oder auch Übung. Wiederholt weist Scheuner in diesem Zusammenhang darauf hin, daß diese Formen der Zusammenarbeit zwar historisch gewachsen und aus der Geschichte zu verstehen sind, daß sie aber für die Gegenwart nicht nur mit historischen Argumenten gerechtfertigt werden dürfen, sondern vielmehr immer "neu aus dem Bedürfnis der Gegenwart heraus zu begreifen und zu rechtfertigen" sind. 36 Gegen die Versuche Erwin Fischers, die staatskirchenrechtliche Ordnung des Grundgesetzes im Sinne einer radikalen Trennung von Staat und Kirche zu interpretieren, weistScheunerauf den für eine zutreffende Verfassungsinterpretation im Bereich des Staatskirchenrechts fundamentalen Grundsatz hin, daß Fälle einer solchen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche, soweit sie bereits im Grundgesetz selbst festgelegt sind, selbst konstituierende Bestandteile des gesamten Status der religiösen und weltanschaulichen Kräfte darstellen. Es würde daher dem Prinzip der Einheit der Verfassung und dem Gebot ihrer zusammenstimmenden Auslegung durchaus widersprechen, 35 36

Ebd., S. 41. Ebd., S. 65 f.

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wollte man diese Bestimmungen gegenüber der Norm der Religionsfreiheit in Art. 4 GG in das Verhältnis der Ausnahme zur Regel versetzen. Diese Vorschriften, die eine Zusammenarbeit vorsehen, bilden vielmehr im Gegenteil ihrerseits Bestandteile des gesamten religionsrechtlichen Systems des Grundgesetzes. Sie sind daher in Beziehung auf Art. 4 GG zu interpretieren; andererseits erfährt aber auch Art. 4 GG durch sie eine verfassungsrechtliche Konkretisierung. 37

b) Die Schranken der kirchlichen Eigenrechtsmacht im Rahmen der Verfassung des Staates. Die traditionelle Kernfrage des Staatskirchenrechts der Neuzeit nach der Kompetenz zur Festlegung der Grenzen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und ihrer Eigenrechtsmacht auf der einen und der Rechtsordnung des Staates auf der anderen Seite hat Scheuner in seinem staatskirchenrechtlichen Schrifttum an zahlreichen Stellen behandelt. Für das- insbesondere auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen Staat und Kirchen - jedes etatistisch-dezisionistische Imponiergehabe ablehnende, sondern im Gegenteil stets den Ausgleich der gegenseitigen Ansprüche und Interessen und damit den Frieden zwischen Staat und Kirche anstrebende Denken Scheuners bildete diese Frage aber weder ein akutes und noch viel weniger gar ein unlösbares Problem. Für ihn stand immer fest, daß die Stellung der Religionsgesellschaften seit der Herausbildung des neuzeitlichen Staatskirchenrechts von einer Anerkennung ihrer inneren Freiheit unter gleichzeitiger Achtung eines Rahmens der staatlichen Ordnung, d. h. konkret von einer Spannungslage zwischen kirchlicher Freiheit und gleichzeitiger Einfügung der Kirchen in die staatliche Gesamtordnung, geprägt ist. 38 Scheuner weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß bereits das Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, obwohl es mangels eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts keine Einschränkungsmöglichkeit durch einfaches Gesetz kennt, "in die Gesamtordnung der Verfassung eingebunden" ist und sich daher in seinen mehr an den Rand des Schutzes gerückten Manifestationen in die allgemeine staatliche Ordnung einfügt. Dort, wo die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die nicht nur das innere Denken schützt, in den Raum der gesellschaftlichen Auswirkung eingreift, begegnet sie anderen von der Verfassungsordnung gesicherten Grundlagen der rechtlichen und staatlichen Ordnung, so daß auch hier eine Spannung zwischen Freiheit und Begrenzung entstehen kann, wenn auch in dem eigentlichen Kernbereich nur in den äußersten Grenzen religiösen Handelns. 39 37

38 39

Ebd., S. 66. Ebd., S. 77. Ebd., S. 78 f.

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Die immanenten Schranken der Ausübung des Individualgrundrechts der Religionsfreiheit gelten auch für die Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften, die nach einer Formulierung Scheuners "die organisierte Form der Verwirklichung der Religionsfreiheit" darstellen.40 Ihnen gewährleistet das Grundgesetz die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Für Scheuner ist es keine Frage, daß die grundsätzliche Zuständigkeit zur Abgrenzung des Raumes kirchlicher Selbstbestimmung - in moderner Sprechweise die "Kompetenz-Kompetenz" oder in der Sprache des älteren Staatskirchenrechts das "iudicium finium regundorum"- dem Staat zusteht, jedoch, wie er im selben Satz sofort hinzufügt, gebunden an die in Art. 4 GG auch gesicherte korporative Religionsfreiheit und an das allgemeine Gleichheitsgebot, das ihm eine diskriminierende Verengung der kirchlichen Betätigung ebenso untersagen würde wie eine Zurücksetzung der Religionsgesellschaften gegenüber dem an sich auf sie nicht zur Anwendung gelangenden allgemeinen Recht der Vereine und Verbände. 41 Diese Auffassung Scheuners deckt sich übrigens auch mit den Aussagen der Erklärung über die Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanischen Konzils, das wiederholt festgestellt hat, daß die Ausübung des individuellen Grundrechts der Religionsfreiheit und auch die Ausübung der korporativen Religionsfreiheit, d. h. der Kirchenfreiheit, jeweils nur im Rahmen des "iustus ordo publicus" bzw. der "iustae exigentiae ordinis publici" erfolgen könnten. Damit hat das Konzil die Schranken der jeweiligen verfassungsmäßigen Ordnung des betreffenden Staates als auch für die Rechtsordnung der Kirche in ihrem äußeren Handeln verbindlich anerkannt. 42 Mit dem Begriff "iustus ordo puEbd., S. 77 f. Ebd., S. 80; ebenso ders., Kirche und Staat (Anm. 8), in: Schriften (Anm. 3), S. 152 f., wo Scheuner mit Nachdruck darauf hinweist, daß die Eigenständigkeit der Kirche die Souveränität des Staates nicht ausschließt; ders., Rechtsgrundlagen (Anm. 16), S. 175; ders., Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/ 58), S. 19; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 318. - Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 28), S. 59 f. m. w. N., hat diesen Sachverhalt dahingehend für die freiheitliche Demokratie näher verdeutlicht, daß durch die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung die Höchstzuständigkeit des Staates nicht tangiert werde, da Höchstzuständigkeit nicht Allzuständigkeit bedeute. Die Verfassungshoheit sei, als ihrerseits verfaßte, von vornherein begrenzt und nur in bestimmten Richtungen konstituiert; sie sei nicht "allumfassend" im Sinne von virtuell omnipotent und omnikompetent, wohl aber grundsätzlich allbezüglich, insofern die integrative Zusammenordnung aller Wirkkräfte und Sachbereiche in einem raumzeitlichen Gemeinwesen zur Gemeinwohlverantwortung gehöre. Insoweit die Verfassung Bestimmungen darüber treffe, stünden deshalb grundsätzlich auch die Religionsgemeinschaf40

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blicus" bzw. "iustae exigentiae ordinis publici" bringt das Konzil zum Ausdruck, daß der Inhalt des Begriffs "Rechtsordnung" bzw. "verfassungsmäßige Ordnung" durch den Staat nicht willkürlich oder rein positivistisch, sondern nur nach objektiven Kriterien und in Orientierung am Maßstab der Gerechtigkeit festgelegt werden darf. Zu der Frage, wie das "für alle geltende Gesetz" im Sinne des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV konkret zu bestimmen ist, erklärt Scheuner, daß es sich hierbei ebenfalls um ein Problem der Einordnung der kirchlichen Selbstbestimmung in die allgemeine Rechtsordnung und in das staatliche Ganze handelt; dabei müsse der Begriff der für alle geltenden Gesetze jedoch "in Berücksichtigung der kirchlichen Freiheit ausgelegt werden". 43 "Starre Formeln", wie die in der Weimarer Zeit von Johannes Heckel geprägte Formulierung, daß unter dem für alle geltenden Gesetz "nur die für die Gesamtnation unentbehrlichen Gesetze" zu verstehen seien, helfen bei der Klärung dieser Frage, wie Scheuner hervorhebt, nicht weiter. Der vielzitierten Heckelschen Formel werde heute weitgehend mit Zweifel begegnet. Sie ziehe das Problem zu eng, indem sie nur eine oberste Schicht staatlicher Wertsetzungen die Selbstbestimmung begrenzen lasse. Man müsse vielmehr davon ausgehen, daß es sich hier nicht um eine eigentliche Schrankenziehung für eine grundsätzlich weite Freiheit handle, sondern um die Einfügung der kirchlichen Betätigungsfreiheit in die allgemeine Rechtsordnung. 44 Bei der Bestimmung, in welchem Falle ein staatliches Gesetz dem kirchlichen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht eine Schranke ziehen kann, wird es, wie Scheuner betont, jeweils auf den Gegenstand ankommen, der von beiden Seiten im Spiel ist. Die notwendige Abwägung werde zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung den Bereich sichern, in dem in der kirchlichen Wirksamkeit das religiöse Moment ausgeprägt hervortritt, dagegen in Punkten, in denen es nur in einem geringen Maße beteiligt ist, der staatlichen Rechtsordnung eher die begrenzende Ordnung zugestehen. ten als Lebensverbände im Gemeinwesen unter der Autorität der Verfassung, deren Aufgabe es gerade sei, die rechtlichen Voraussetzungen für eine gute öffentliche Gesamtordnung zu schaffen. 42 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil. Declaratio de libertate religiosa, in: AAS 53 (1966), S. 929 ff.; vgl. hierzu "Erklärung über die Reli:fionsfreiheit", Lateinisch-deutsche Textausgabe (mit Kommentar), in: LThK -Konzilskommentar, Bd. 2, 1967, S. 718/719,7201721,7221723,7281729. 43 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 82. 44 Ulrich Scheuner, Begründung, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie, in: Autonomie der Kirche. Symposion für Armin Füllkrug. Hrsg. von Hans-Gernot Jung, Hans Hartmann Frhr. v. Schlotheim, Walter Weißpfennig. Neuwied u. Darmstadt 1979, S. 21.

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Scheuner räumt ein, daß es nicht leicht erscheint, für diese Abwägung eine allgemeine Formel zu geben, und weist darauf hin, daß bei jedem diesbezüglichen Versuch "stets auch der Blick auf den religiösen Bereich kirchlicher Wirksamkeit" gerichtet sein müsse, dessen Selbstgestaltung die Bestimmung des Art. 137 Abs. 3 WeimRV zu sichern unternehme.45 In einem Teilbereich des Staatskirchenrechts ist die Entwicklung allerdings, wie bereits erwähnt, entgegen den Vorstellungen und auch gegen den anfänglich energischen, im Laufe der Zeit allerdings merklich erlahmenden Widerstand Scheuners verlaufen. Den Rückzug der staatlichen Gerichtsbarkeit von der Entscheidung vermögensrechtlicher Streitigkeiten geistlicher Amtsträger und kirchlicher Beamter mit ihren Kirchen und die nahezu vollständige Abstinenz der staatlichen Gerichte auf diesem Gebiet empfand Scheuner, der- im Gegensatz zur traditionellen Rechtsauffassung des kanonischen Rechts für den Bereich der katholischen Kirche - ganz offensichtlich die Entscheidung über Streitigkeiten evangelischer Geistlicher und Amtsträger bei den Gerichten des Staates besser aufgehoben sah als bei entsprechenden evangelischen Kirchengerichten, mit einer Reihe evangelischer Vertreter der Staatskirchenrechtswissenschaft als einen verfassungswidrigen Verzicht des Staates auf die ihm gegenüber seinen sämtlichen Bürgern obliegende "Justizgewährleistungspflicht". 46 Die erste Stellungnahme Scheuners, über die man aus heutiger Sicht allerdings verwundert sein kann, zu dieser Problematik betraf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. 2. 1954 über das Dienstverhältnis eines der evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg angehörenden 45 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 82; ders., Begründung, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie (Anm. 44), S. 21 ff., mit eingehender Darstellung der einzelnen Problembereiche des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen. Wie an dieser Stelle Scheuner erklärt auch das BVerfG in der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des nordrheinwestfälischen Krankenhausgesetzes (BVerfGE 53, S. 366 [404]), daß jedes dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehende Gesetz seinerseits auf eine ebensolche Schranke, nämlich auf die materielle Wertentscheidung der Verfassung, treffe, die über einen für die Staatsgewalt unantastbaren Freiheitsbereich hinaus die besondere Eigenständigkeit der Kirchen und ihrer Einrichtungen gegenüber dem Staat anerkenne (unter Bezugnahme auf BVerfGE 42, S. 312 [332, 334]). Die Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundsatzes führe im Sinne einer Wechselwirkung dazu, daß über die formalen Maßstäbe des "für alle Geltens" hinaus sich je nach der Gewichtung der Berührungspunkte staatlicher und kirchlicher Ordnung für die staatliche Rechtsetzungsbefugnis bestimmte materielle Grenzen ergeben. 46 Hierzu gehören nicht arbeits- und sozialrechtliche Streitigkeiten kirchlicher Dienstnehmer mit ihrer Kirche, die uneingeschränkt der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen.

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PfarrersY In dieser Entscheidung hatte sich der Bundesgerichtshof im Hinblick auf das in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Kirchen für unzuständig erklärt, im Rahmen des von dem Pfarrer, der von seiner Kirche in den Ruhestand versetzt worden war, angestrengten Verfahrens inzidenter die Verfassung der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Oldenburg auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Der Gerichtshof hatte hierzu ausgeführt, daß ein staatliches Gericht, soweit es bei seiner Entscheidung auf das innerkirchliche Verfassungsrecht ankomme, dieses nicht auf seine Gültigkeit nachprüfen, sondern nur deklaratorisch so feststellen könne, wie es die Kirche als vorhanden anerkenne. Ausdrücklich verwarf der Bundesgerichtshof die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das sich für berechtigt gehalten hatte, alle Fragen des kirchlichen Verfassungsrechts, die sich in diesem Rechtsstreit über den Gehaltsanspruch des Klägers als Vorfragen stellten, "im selben Umfange nachzuprüfen und inzidenter zu entscheiden", wie es in einem entsprechenden Prozeß eines Staatsbeamten die Vorfragen des staatlichen Verfassungsrechts nachzuprüfen und mitzuentscheiden habe. Der Bundesgerichtshof vertrat hierzu den Standpunkt, daß hier die Kirche für den Staat "verbindlich bestimme", was "kraft ihres kirchlichen Verfassungsrechts rechtens ist". 48 Gegen diese Selbstbeschränkung des Bundesgerichtshofs, der an seiner Auffassung in der Folgezeit in konstanter Rechtsprechung festhielt und in diese später sogar alle vermögensrechtlichen Ansprüche kirchlicher Amtsträger mit einbezog, wandte sich Scheuner, der darin einen Verstoß des Gerichts gegen das "für alle geltende Gesetz" erblickte, in seinem Beitrag "Die Nachprüfung kirchlicher Rechtshandlungen durch staatliche Gerichte". 49 Besonders kritisch beurteilte Scheuner die spätere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. 3. 1961, in der der Gerichtshof eine Gehaltsklage eines evangelischen Pfarrers, in der der Kläger die Ungültigkeit einer kirchlichen Bestimmung behauptet hatte, als unzulässig abgewiesen hatte. 50 Der Bundesgerichtshof hatte in dieser Entscheidung ausgeführt, daß die Kirche - wie dies durch eine Verordnung zur Erweiterung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der evangelischen Kirche im Jahre 1960 geschehen war- solche Streitigkeiten ihren Verwaltungsgerichten zuweisen könne und daß damit im Hinblick 47 BGH, Urt. v. 18. 2. 1954 (Az.: III ZR 311/52), in: BGHZ 12, S. 323 = ZevKR 3 (1953/1954), S. 407 =KirchE 2, S. 189 = NJW 1954, S. 1284. 48 ZevKR 3 (1953/1954), S. 409 f. 49 ZevKR 3 (1953/1954), S. 352-359; abgedr. auch in. ders., Schriften (Anm. 3), s. 99-107. so BGHZ 34, S. 372 ff. =KirchE 5, S. 291 = NJW 1961, S. 1116.

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auf die kirchliche Autonomie die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte entfalle. Hart kritisierte Scheuner diese Entscheidung, indem er erklärte, daß das Urteil des Bundesgerichtshofs darauf hinauslaufe, "die Pfarrer und möglicherweise sonstige Diener der Kirche des Schutzes staatlicher Gerichtsbarkeit in vermögensrechtlichen Fragen zu berauben und sie an ihre Kirche dafür zu verweisen". 51 Diese konstante Rechtsprechung führte im Ergebnis dazu, daß auch die evangelische Kirche für den Bereich ihres Dienstrechts der Geistlichen und der Kirchenbeamten eine eigene staatsunabhängige Gerichtsbarkeit entwickelt hat. 52 Zu Unzuträglichkeiten irgendwelcher Art für den davon betroffenen Personenkreis hat diese aus der Sicht des kanonischen Rechts im Interesse der vollständigen Verwirklichung der Kirchenfreiheit auf diesem Gebiet notwendige und daher begrüßenswerte Rechtsentwicklung, soweit feststellbar, bisher in keinem einzigen Fall geführt. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint diese vom Bundesgerichtshof eingeschlagene und später auch vom Bundesverwaltungsgericht übernommene Rechtsprechung" 53 im Interesse der Freiheit der Kirchen weiterzuverfolgen. Dies zeigen zwei Entscheidungen, in denen Verfassungsbeschwerden vom Vorprüfungsausschuß gemäß § 93 a Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden sind. Durch Beschluß vom 28. 11. 1978 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die Entfernung eines Pfarrers aus dem Dienst durch eine Entscheidung im Amtszuchtverfahren nicht mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden kann. 54 Desgleichen hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 6. 4. 1979 entschieden, daß Entscheidungen in kirchlichen Lehrbeanstandungsverfahren nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt i. S. des § 90 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ergehen und daher gegen sie eine Verfassungsbeschwerde nicht gegeben ist. 55 51 Scheuner, Rechtsgrundlagen (Anm. 16), S. 177; ebenso Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: DÖV 1967, S. 585-593; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 33-54, hier S. 48; Scheuner, Begründung, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie (Anm. 44), S. 25 mit Anm. 117. 52 Vgl. hierzu Joseph Listl, Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963, in: Anton Rauscher (Hrsg.), Kirche und Staat in der Bundesrepublik 1949-1963. Faderborn/München/Wien/Zürich 1979, S. 73 m.w.N. 53 Vgl. hierzu im einzelnen Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz (Anm. 28), S. 70 ff.; Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 26), s. 405ff. 54 BVerfG, Beschl. v. 28. 11. 1978 (Az.: 2 BvR 316178), in: DÖV 1979, S. 516 f. = NJW 1980, S. 1041 (mit abl. Anm. v. Hermann Weber).

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

In einer weiteren Entscheidung vom 12. Februar 1981 hat das Bundesverfassungsgericht - ebenfalls durch den gemäß § 93 a Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht berufenen Vorprüfungsausschuß - eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, 56 mit der sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs der Evangelischen Kirche der Union vom 6. 7. 1977 und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. 11. 1980 gewandt hatte, die übereinstimmend die Auffassung vertreten hatten, daß die Beschränkung der anwaltschaftliehen Vertretung vor kirchlichen Verwaltungsgerichten auf kirchenangehörige Anwälte eine inner.kirchliche Angelegenheit darstelle. 5 7 Diese Rechtsprechung verdient im Ergebnis volle Zustimmung. Disziplinarrechtliche und in der Regel auch vermögensrechtliche Streitigkeiten geistlicher Amtsträger mit ihrer Kirche haben letztlich immer theologisch-dogmatische Fragen zum Gegenstand. Würden sich die staatlichen Gerichte für die Entscheidung derartiger Streitigkeiten für zuständig erklären, wären sie unweigerlich genötigt, über Grundfragen des ekklesiologischen Selbstverständnisses der einzelnen Kirchen und ihres Dogmas zu judizieren. Damit würden sie in den ihnen durch die Verfassung ausdrücklich verschlossenen Kernbereich des Selbstbestimmungs- und Selbstordnungsrechts der betreffenden Kirche eingreifen. Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung vom 12. 2. 1981 zu dieser Frage ausgeführt, daß das spezifisch kirchliche Dienstverhältnis eines Pfarrers der Evangelischen Kirche gegenüber kirchlichen Organen unzweifelhaft in den Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche falle, zu denen namentlich auch kirchliches Amtsrecht und die Ämterhoheit zählen. Daher seien Maßnahmen, die den amts- und dienstrechtlichen Status eines Geistlichen betreffen, ausschließlich Sache der Kirchen und berührten insoweit nicht den staatlichen Zuständigkeitsbereich; dies gelte zumal dann, wenn die dienstrechtliche Maßnahme, die Gegenstand des kirchengerichtlichen Verfahrens sei, die Meinungsverschiedenheiten zwischen Pfarrer und Kirche über die Gestaltung des Religionsunterrichts und somit über spezifische Fragen der Heiligen Schrift und des Be55 BVerfG, Beschl. v. 6. 4. 1979 (Az.: 2 BvR 356179), in: NJW 1980, S. 1041 f. (mit abl. Anm. v. Hermann Weber). Vgl. hierzu auch Udo Steiner, Offene Rechtsschutzproblerne im Verhältnis von Staat und Kirche. Passau 1981, S. 9 ff. (=Passauer Universitätsreden. H. 4). 56 BVerfG, Beschl. v. 12. 2. 1981 (Az.: 1 BvR 567177), in: ZevKR 26 (1981), s. 382. 57 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21. 11. 1980 (Az.: 7 C 49178), in: NJW 1981, S. 1972; ferner Achim Krämer, Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Probleme kirchlicher Gerichtsbarkeit, in: DVBL 1981, S. 1-4.

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kenntnisses betreffe. Der hiermit umschriebene Bereich erfasse jedoch nicht nur das Dienstverhältnis des Pfarrers als solches, sondern auch das Verfahren der Abwicklung von Konflikten zwischen Pfarrer und Kirche, von dem sich die Frage seiner Vertretung vor kirchlichen Behörden und Gerichten und damit auch die Frage eines etwaigen Vertretungsrechts des Beschwerdeführers vor diesen Gerichten nicht trennen lasse. 5 8 D. Die dauernde Präsenz der Geschichte im staatskirchenrechtlichen Denken Scheuners 1. Der besondere Bezug des Staatskirchenrechts zur Geschichte

Für das gesamte rechtliche Denken Scheuners ist es kennzeichnend, daß sich ihm die staatliche ebenso wie die kirchliche Rechtsordnung und damit auch das Verhältnis von Staat und Kirche nicht als starres und statisches Gefüge dargestellt hat, sondern- ungeachtet ihrer unveränderlichen institutionellen Grundlagen - als ein in dauerndem Wandel begriffener und auf die unterschiedlichsten geistigen und gesellschaftlich-politischen Strömungen und Bewegungen oft rasch und sehr empfindsam reagierender historischer Prozeß. Diese Wandlungen und die sie verursachenden geistigen Kräfte und Bewegungen zu erkennen, sie unter Umständen auch vorauszusehen, sie zu fördern oder ihnen auch erforderlichenfalls nachdrücklich Widerstand zu leisten, auf sie jedenfalls im Dienste und zum Wohle von Staat und Kirche auf den verschiedenen Ebenen seines Wirkens Einfluß zu nehmen, war für Scheuner auf dem Gebiete des staatlichen Rechts und ganz besonders des Staatskirchenrechts ein dauerndes Bestreben. Sein Informationsbedürfnis über neue Vorgänge, Entwicklungen und literarische wissenschaftliche Erscheinungen war nahezu unersättlich, sein Informationsvorsprung vor seinen Kollegen oft überraschend und staunenerregend. Die selbstverständliche Voraussetzung für das Verständnis der Gegenwart war für ihn die Kenntnis der Geschichte auf allen einschlägigen Gebieten, d. h. des Staates und der Entwicklung seiner Verfassung, der Kirchen, insbesondere der Kirchengeschichte der Neuzeit mit Einschluß der jeweiligen theologischen Strömungen, der Philosophie, der Literatur und nicht zuletzt und vor allem auch der Kunst. Wissenschaftlich-historische Biographien, die er an langen Abenden mit Vorliebe las, verschafften ihm eine lebendige Anschauung und verliehen ihm eine ungewöhnliche Vertrautheit mit den politisch-gesellschaftlich-kirchlichen Zuständen der verschiedenen historischen Epo58

BVerfG, Beschl. v. 12. 2. 1981 (Anm. 56), S. 383 f.

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chen. Scheuner trug in sich ein einmaliges umfassendes und stets präsentes bewundernswürdiges Geschichtsbild. Den besonderen Bezug des Staatskirchenrechts zur Geschichte hat Scheuner oftmals hervorgehoben. Viele seiner staatskirchenrechtlichen Beiträge enthalten längere historische Exkurse, mit deren Hilfe er seine Leser oder auch Zuhörer an die jeweiligen aktuellen rechtlichen Problemstellungen herangeführt hat. Scheuner rechnet es zu den besonderen Charakterzügen des Staatskirchenrechts, daß diese Disziplin in starkem Maße von der geschichtlichen Entwicklung geprägt ist. Dies hängt damit zusammen, daß seine grundlegenden Normen in der Regel für längere Perioden, in der deutschen Entwicklung meist im Verfassungsrecht, festgelegt zu werden pflegen und häufig Begriffe und Vorstellungen enthalten, die erst auf der Grundlage ihrer historischen Entwicklung verständlich sind. Es handelt sich beim Staatskirchenrecht, wie Scheuner betont, um ein Gebiet, das zwar auf der anderen Seite durchaus der Entwicklung offensteht und sogar sehr sensibel auf geistige und soziale Wandlungen reagiert, dessen Grundbegriffe und Leitgedanken aber über längere Zeiträume wirksam bleiben. Aus dem geltenden Verfassungsrecht nennt er als Beispiele solcher durch die Geschichte geformter Begriffe die Religionsausübung (Art. 4 GG), die Vorstellung der Selbständigkeit der Religionsgesellschaften (Art. 137 Abs. 3 WeimRV) und den in Art. 137 Abs. 5 WeimRV verwendeten Körperschaftsbegriff Ein wirkliches Verständnis für diese verfassungsrechtlichen Aussagen lasse sich, wie er unter Bezugnahme auf Ausführungen von Paul Mikat feststellt, "ohne einen geschichtlichen Ausblick nicht gewinnen". 59 Scheuner wies in diesem Zusammenhang auch auf die unleugbare Schwierigkeit hin, daß wir in einer Epoche leben, deren Denken den geschichtlichen Grundlagen weitgehend abgewendet und stärker "auf gedanklich abstrakte Modelle und Zukunftsbilder fixiert" ist. Dies habe selbst Auswirkungen auf die Rechtsprechung. Diese sei zwar, namentlich in den fünfziger Jahren, dieser historischen Verwurzelung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse oft mit Verständnis nachgegangen; es hätten sich in ihr aber auch Neigungen gezeigt, alte überlieferte Rechtsverhältnisse als durch die Veränderungen der heutigen Zeit weggefallen zu betrachten. Es zeugt vom Realitätssinn Scheuners, daß er immer wieder auch darauf hinweist, daß das Staatskirchenrecht 59 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 10, unter Bezugnahme auf Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften (Anm. 13), S. 113 ff.; abgedr. auch in: Paul Mikat, Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht. Hrsg. von Joseph Listl, Berlin 1974, S. 29ff.; und ferner auf Paul Mikat, Zur rechtlichen Bedeutung religiöser Interessen. Düsseldorf 1972, S. 8.

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zwar nur aus seinen historischen Grundlagen heraus zu verstehen ist, daß aber die staatskirchenrechtlichen Rechtspositionen für die Gegenwart mit ausschließlich historischen Argumenten nicht überzeugend begründet und gerechtfertigt werden können. Damit verbindet er zugleich den Rat an die Kirchen, bei älteren, in ihren Grundlagen nicht mehr leicht verständlichen Rechtseinrichtungen, vor allem auf dem vermögensrechtlichen Gebiet, durch Umstellung und Ablösung auf eine Rechtsveränderung hinzuwirken. " 60 2. Hauptsächliche Publikationen Scheuners zur Geschichte des Staatskirchenrechts

Zu den staatskirchenrechtlichen Abhandlungen Scheuners, die einen besonders intensiven historischen Bezug aufweisen oder in denen sich längere Abschnitte über die geschichtliche Entwicklung des Staatskirchenrechts finden, zählt der bereits öfter erwähnte grundlegende Einleitungsbeitrag Scheuners zu Band 1 des Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, in dem er die "Entwicklungsstufen des Staatskirchenrechts" eingehend darlegt, 61 ferner die ebenfalls bereits angeführte umfassende Darlegung "Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung", 62 der Artikel "Kirche und Staat", 63 das Referat "Der Beitrag der Kirchen zur Entstehung der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 und des Banner Grundgesetzes vom 23. Mai 1949", das Scheuner bei dem Spanisch-Deutschen Symposium über das Verhältnis von Kirche und Staat in der Gegenwart gehalten hat, das die beiden Päpstlichen Universitäten Cornilias de Madrid und Salamanca vom 13.-15. März 1978 in Madrid veranstaltet haben" 64 und ferner der Beitrag "Staatsräson und religiöse Einheit des Staates. Zur Religions60 Vgl. zum Ganzen Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 11 m.w.N.; zum Zusammenhang von Historie und Leben im wissenschaftlichen Denken Scheuners vgl. auch M. Heckel, Staatskirchenrechtliche Dimensionen (Anm. 3), S. 39. 61 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 18-38. 62 Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 8), in: Schriften (Anm. 3), S. 121-168. 63 RGG, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1327-1336; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 109-119. 64 Ulrich Scheuner, La aportaci6n de las Iglesias al establecimiento de las disposiciones de la Constituci6n alemana del 11 de agosto de 1919 (Constituci6n del Reich de Weimar) y de la Ley Fundamental de Bann de 23 de mayo de 1949 reguladoras del Derecho eclesüistico del Estado, in: Constituci6n y relaciones Iglesia-Estado en la actualidad. Actas del Simposio hispano-aleman organizado por las Universidades Pontificias de Comillas y Salamanca (Madrid, 13-15 marzo 1978). Salamanca 1978, S. 23-37 (nur in Spanisch veröffentlicht).

27 Sbd. List!

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

politik in Deutschland im Zeitalter der Glaubensspaltung" 65 sowie schließlich das Referat "Die Stellung der evangelischen Kirche und ihr Verhältnis zum Staat in der Bundesrepublik Deutschland 19491963".66 3. Kürzere historische Beiträge

In diesem Kontext sind ferner zu erwähnen insgesamt 15 in der Regel kürzere Beiträge zum Staatskirchenrecht und teilweise auch zum evangelischen und katholischen Kirchenrecht, die Scheuner für die 3. Auflage des Handbuchs "Religion in Geschichte und Gegenwart" im Zeitraum von 1957 bis 1962 verfaßt hat. Es handelt sich im einzelnen um die durchweg außerordentlich informativen Artikel: Cäsaropapismus,67 Cura Religionis, 68 Episkopalismus, 69 Itio in partes, 70 Ius in sacra, 71 Kirchenhoheit, 72 Kirchenregiment, 73 Kollegialismus, 74 Landeskirche,75 Recursus ab abusu, 76 Reservatrechte, 77 Staatskirche, 78 Summepiskopat, 79 Territorialismus, 80 Zirkumskriptionsbulle. " 81

65 Ulrich Scheuner, Staatsräson und religiöse Einheit des Staates. Zur Religionspolitik in Deutschland im Zeitalter der Glaubensspaltung, in: Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs. Hrsg. von Roman Schnur. Berlin 1975, S. 363-405. 66 Veröffentlicht in: Rauscher (Hrsg.), Kirche und Staat (Anm. 52), S. 121150. 67 RGG, 3. Aufl., Bd. 1, Tübingen 1957, Sp. 1582. 68 Ebd., Sp. 1889 f. 69 RGG, 3. Aufl., Bd. 2, Tübingen 1958, Sp. 532 f. 70 RGG, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 959. n Ebd., Sp. 1076. 72 Ebd., Sp. 1439f. 73 Ebd., Sp. 1520-1522. 74 Ebd., Sp. 1720 f. 75 RGG, 3. Aufl., Bd. 4, Tübingen 1960, Sp. 222 f. 76 RGG, 3. Aufl., Bd. 5, Tübingen 1961, Sp. 885f. 11 Ebd., Sp. 1069. 78 RGG, 3. Aufl., Bd. 6, Tübingen 1962, Sp. 314-316; abgedr. auch in: Scheuner, Schriften (Anm. 3), S. 189-191. 79 RGG, 3. Aufl., Bd. 6, Tübingen 1962, Sp. 525 f. 80 Ebd., Sp. 692. 81 Ebd., Sp. 1918.

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4. Rudolf Smend als Kenner der Geschichte

Wie sehr Scheuner auch bei anderen Rechtslehrern deren Geschichtskenntnisse zu schätzen und zu würdigen wußte, zeigt z. B. die Würdigung, die aus seiner Feder unter der Überschrift "Rudolf Smend, Leben und Werk" in der Festschrift "Rechtsprobleme in Staat und Kirche" erschienen ist, die Rudolf Smend zum 70. Geburtstag am 15. Januar 1952 von Freunden, Schülern und Kollegen gewidmet wurde. Scheuner rühmt darin an Smend, wer die Werke Smends zur Hand nehme, werde in ihnen auf jeder Seite auf die erstaunliche Weite eines noch universal verstehenden Blickfeldes und auf eine durchdringende Kenntnis der wissenschaftlichen und geistigen Geschichte, auch des noch so wenig erhellten 19. Jahrhunderts, treffen. 82

m. Die Stellung der Kirchen im internationalen Recht und das Staatskirchenrecht ausländischer Staaten

Im staatskirchenrechtlichen Denken Scheuners tritt nicht nur die historische Dimension der Beziehungen von Staat und Kirche allenthalben hervor, er hat als Kenner und angesehener Lehrer des Völkerrechts stets auch die Stellung der Kirchen in der internationalen Rechtsordnung im Blick. Dazu kommt, daß er mit den Problemen des Weltkirchenrates in Genfaufgrund seiner langjährigen Mitarbeit in der Kommission für Internationale Angelegenheiten- Commission of the Churches on International Affairs (CCIA) -auch aus eigener Anschauung vertraut war. Von 1968-1971führte er den Vorsitz dieser Kommission.

Ohne Parallele im deutschen staatskirchenrechtlichen Schrifttum ist der umfassende meisterhafte Beitrag "Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr", den Scheuner 1975 für den Band 2 des Handbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland verfaßt hat. 83 Auf die Abfassung dieses Artikels, von dem Scheuner bekannte, daß er ihm sehr viel Mühe bereitet hat, und in dem er die gesamte einschlägige Literatur verwertet hat, hat Scheuner viele Wochen intensiver Arbeit verwendet. 84 82 Ulrich Scheuner, Rudolf Smend. Leben und Werk, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. FS für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag am 15. Januar 1952. Göttingen 1952, S. 433. 83 Ulrich Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auffreien Verkehr, in: HdbStKirchR, Bd. 2, Berlin 1975, S. 299-344. 84 Vgl. zu dieser Thematik auch die von Scheuner betreute Dissertation von Otto Dibelius, Überstaatliche Verbindungen der Kirchen und Religionsfreiheit. Jur. Diss., Bonn 1967.

27°

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts 1. Die Stellung der Kirchen im internationalen Recht

a) Die katholische Kirche. Auch in diesem Beitrag über die internationalen Beziehungen der Kirchen geht Scheuner die Problematik von ihrer historischen Genese her an. Er geht davon aus, daß die Beziehungen zwischen der Leitung der universalen Kirche, der römischen Kurie, und den Herrschaftsbereichen der einzelnen Fürsten schon für das Mittelalter ein wichtiges Problem dargestellt haben. In dem Maße, in dem die Landesfürsten danach strebten, von ihnen abhängige Bistümer zu gründen, zeigten sich Neigungen zur Beschränkung der Appellationen nach Rom, und nicht selten wurden auch die finanziellen Leistungen der regionalen Kirchen an die Kurie Behinderungen unterworfen. Im Zuge des vollen Ausbaus des staatskirchenhoheitlichen Systems in der Zeit des Absolutismus und der Aufklärung gewann der Landesherr weitgehenden Einfluß auf die Besetzung höherer kirchlicher Stellen und beanspruchte das Recht, päpstliche Erlasse vor ihrer Veröffentlichung seiner Zustimmung zu unterwerfen (Placetum regium).85 Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts fallen in den deutschen Territorien diese Beschränkungen allmählich weg. Zu den Problemfeldern, die in der Gegenwart besondere rechtliche Ausprägungen im Verhältnis des Staates zu den übernationalen Beziehungen der Kirchen erhalten haben, gehören für die katholische Kirche jene verfassungs- und vertragsrechtliehen Bestimmungen, die über die allgemeine Gewährleistung der Religionsfreiheit und des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften hinaus das Recht des freien Verkehrs innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft und der ungehinderten Bekanntgabe von religiösen Anordnungen, Hirtenbriefen etc. sichern; ferner gehört in diesen Bereich das Interesse des Staates an der einvernehmlichen kirchlichen Einteilung (Zirkumskription) des Staatsgebietes in Diözesen (bzw. Landeskirchen); einer Regelung bedarf ferner der unmittelbare Verkehr des Staates (Bund und Länder) mit dem Oberhaupt der universalen katholischen Kirche durch diplomatische Beziehungen; ferner der Bereich der vertraglichen Beziehungen des Staates (Bund und Länder) mit dem Heiligen Stuhl; schließlich die Ausbildung der Geistlichen der großen Religionsgemeinschaften an ausländischen Bildungsanstalten und die Festlegung der erforderlichen Qualifikationen der Geistlichen. 86 Die Freiheit der internationalen Verbindung der Religionsgesellschaften ist, wie Scheuner hervorhebt, ein Bestandteil der Religionsfreiheit und zugleich der kirchlichen Selbstbestimmung. Einen Bestandteil der Religionsfreiheit bildet auch 85 86

Scheuner, Die internationalen Beziehungen (Anm. 83), S. 300. Ebd., S. 303 ff.

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die Missionsfreiheit 87 Das Verfassungsrecht gestattet heute dem Staat im Unterschied zur älteren Zeit keine Einflußnahme mehr auf die Organisationsstruktur der Kirchen und auf die Besetzung ihrer leitenden Stellen. Der Staat ist insofern auf vertragliche Einigung mit der Kirche angewiesen. Nach Möglichkeit soll aber auch für die Gegenwart im gemeinsamen übergeordneten Interesse eine Übereinstimmung der politischen und kirchlichen Verwaltungsgrenzen erreicht werden. 88 Dies ist auf seiten der katholischen Kirche durch den Abschluß von Konkordaten geschehen. 89 Eingehend behandelt Scheuner in diesem Zusammenhang die internationale Stellung des Heiligen Stuhls und die diplomatischen Beziehungen der einzelnen Staaten zum Heiligen Stuhl. 90 Die katholische Kirche nimmt nach seiner Formulierung "in begrenzter Form einer geistigen, nichtstaatlichen Macht eine Position internationalen Rechts" ein. 91 Für den Fortbestand dieser Position wurde entscheidend, daß auch nach dem Verlust des Kirchenstaates im Jahre 1870 eine Reihe von Mächten fortfuhr, die Stellung des Heiligen Stuhls in der Staatengemeinschaft anzuerkennen, und ihre diplomatischen Beziehungen zu ihm fortsetzte. 92 Seit den Lateranverträgen von 1929 verfügt der Heilige Stuhl über eine doppelte internationale Rechtspersönlichkeit. Einmal besteht seine Stellung als Leitung der katholischen Kirche fort, zum anderen und unabhängig davon ist nun auch eine internationale Persönlichkeit des Vatikanstaates (Stato della Citta del Vaticano) gegeben.93 Nach eingehender Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur erklärt Scheuner zur Frage der Zugehörigkeit der Konkordate zu den völkerrechtlichen Verträgen mit Entschiedenheit: "An der Zurechnung der Konkordate zum Völkerrecht ist in Übereinstimmung mit der Staatspraxis festzuhalten. " 94

b) Die protestantischen Kirchen. Bezüglich der Verbindung zu übernationalen Erscheinungen innerhalb des Bereichs der protestantischen Kirchen und der kleineren Religionsgemeinschaften erklärt Scheuner, Ebd., S. 308 ff. Ebd., S. 317 f. 89 Ebd., S. 320. 90 Ebd., S. 323-336. 91 Ebd., S. 325. 92 Ebd., S. 327. 93 Ebd., S. 328 f., 331 ff., mit genauerer Darlegung derjenigen Tätigkeiten, die der Heilige Stuhl auf dieser Grundlage ausübt. 94 Ebd., S. 333; über die Aufgaben der päpstlichen Nuntien vgl. ebd., S. 334336. 87 88

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daß diese Relationen nicht in die Sphäre des internationalen Rechts hineinreichen. 95 Ihnen öffnen sich im Rahmen des Völkerrechts nur begrenzte Möglichkeiten, als nichtstaatliche Organisationen eine aktive Teilnahme am internationalen Leben zu entfalten. Auch diese Möglichkeiten werden nur von einigen von ihnen wahrgenommen. 96 Dieser Unterschied wirke sich jedoch im Bereich des Verfassungsund Verwaltungsrechts innerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht stärker aus, weil hier der Staat nach den Grundsätzen der Parität mit den evangelischen Landeskirchen Verträge schließt, die zwar nicht der völkerrechtlichen Ordnung angehören, sondern der Ebene der staatsrechtlichen Vertragsgestaltung; sie stellen aber in gleicher Weise rechtlich verbindliche Abmachungen dar; ihre Stellung werde im Bau der staatlichen Rechtsordnung genauso durch ihre gesetzliche Annahme in Bund und Ländern bestimmt wie die der Konkordate. 97 Abschließend behandelt Scheuner die wichtigsten zwischenkirchlichen Zusammenschlüsse der protestantischen Kirchen, den Ökumenischen Rat der Kirchen, den Lutherischen Weltbund und den Reformierten Weltbund. Diese Vereinigungen bilden für die Kirchen der Bundesrepublik, wie Scheuner hervorhebt, eine wichtige Ergänzung ihrer Wirksamkeit auf dem Gebiet der ökumenischen Zusammenarbeit.98 2. Das Staatskirchenrecht ausländischer Staaten

Seine intensive Beschäftigung mit dem deutschen Staatskirchenrecht verband Scheuner mit einer andauernden Beobachtung der parallelen Entwicklungen in den ausländischen Staaten. Zwar liegen von ihm hierzu keine größeren Publikationen vor, er hat jedoch in seinen Arbeiten und Abhandlungen zum deutschen Staatskirchenrecht zum Vergleich und zur Erläuterung immer wieder auf ausländische staatskirchenrechtliche Modelle verwiesen und deren Unterschiede zum deutschen Staatskirchenrecht aufgezeigt. Dies gilt besonders für das Verhältnis von Staat und Kirche in den Vereinigten Staaten von Amerika, dessen Entwicklung er genau verfolgte. 99 Insbesondere registrierEbd., S. 336 f. Ebd., S. 339 f. 97 Ebd., S. 337. 98 Vgl. im einzelnen ebd., S. 340-343. 99 Vgl. hierzu mrich Scheuner, Vorwort zu: Michael Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Beitrag zur historischen Entwicklung und Gegenwartsproblematik des Verhältnisses von Staat und Kirche in den USA. Berlin 1977, S. 7-9 (=Staats95 96

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te er mit großer Aufmerksamkeit die Rechtsprechung des Supreme Court in Kirchensachen. Bei den europäischen Staaten galt sein Interesse vor allem der Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Frankreich, 100 ferner in Spanien/ 01 Italien 102 und schließlich dem viele Gemeinsamkeiten zum deutschen Staatskirchenrecht aufweisenden System der Beziehungen von Kirche und Staat in der Schweiz 103 und in Österreich. 104 Iv. Konkordate und evangelische Kirchenverträge 1. Die Konkordate

Im staatskirchenrechtlichen Denken und Schrifttum Scheuners nehmen die Konkordate und evangelischen Kirchenverträge als Mittel zur Sicherung eines dauerhaften Friedens zwischen Staat und Kirche einen hohen Rang ein. Für Scheuner bedeutet die Regelung bestimmter Materien durch Kirchenverträge für den Staat keine unangemessene kirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 6); vgl. femer die Hinweise Scheuners auf die Unterschiede zwischen dem deutschen Staatskirchenrecht und der völlig anders gearteten staatskirchenrechtlichen Situation in den Vereinigten Staaten, in: Scheuner, Schriften (Anm. 3), S. 231 f., 260, 294. 1oo Ulrich Scheuner, Schlußwort zum 1. Deutsch-Französischen Kolloquium Kirche-Staat-Gesellschaft über das Thema "Parteien und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich" am 17. Oktober 1978, in: DeutschFranzösische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft ("Straßburger Kolloquien"). Hrsg. von Joseph Listl und Jean Schlick. Bd. 1, Kehl am Rhein u. Straßburg 1982, S. 59-64; femer die Diskussionsbeiträge Scheuners zu dem Referat von Rene Metz, Staat und Kirche in Frankreich. Auswirkungen des Trennungssystems- Neuere Entwicklungstendenzen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Hrsg. von Joseph Krautscheidt und Reiner Marre. H. 6, Münster 1972, S. 146-162. 101 Scheuner war einer der Referenten bei dem Spanisch-Deutschen Symposium über das Verhältnis von Kirche und Staat in der Gegenwart, das in Madrid vom 13.-15. März 1978 stattgefunden hat. Vgl. über sein dort gehaltenes Referat oben, Anm. 64. 1o2 Vgl. die Diskussionsbeiträge Scheuners zu dem Referat von Luciano Musselli, Kirche und Staat in Italien. Grundlinien ihres bisherigen Verhältnisses und neuere Entwicklungstendenzen, in: Essener Gespräche (Anm. 100), H. 15, Münster 1981, S. 173-184. 1oa Vgl. die Diskussionsbeiträge Scheuners zu dem Referat von Johannes Georg Fuchs, Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, in: Essener Gespräche (Anm. 100), H. 5, Münster 1971, S. 167-193. 104 Vgl. die Diskussionsbeiträge Scheuners zu dem Referat von Hans R. Klecatsky, Lage und Problematik des Österreichischen Kirchenbeitragssystems, in: Essener Gespräche (Anm. 100), H. 6, Münster 1972, S. 70-102.

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und schon gar nicht eine unzulässige Beschränkung seiner Souveränität, aber auch keine "gebotene Notwendigkeit" aus einer Koordination der Kirche mit dem weltlichen Gemeinwesen, sondern "ein von beiden Seiten verwendetes Mittel des Ausgleichs und der Verständigung", das dem Staat und der Kirche frei zur Disposition steht. 105 Gerade mit dem Selbstverständnis der freiheitlichen und gewaltenteilenden Demokratie, wie sie durch das Grundgesetz im Bund und in den Ländern konstituiert wurde, steht der Abschluß von Kirchenverträgen in keiner Weise in Widerspruch, sondern liegt vielmehr nahe. Scheuner weist darauf hin, daß der Staat durch diese Verträge eine Bindung eingehe, wie überhaupt auch sonst in der heutigen Zeit, "von der Lehre noch unzureichend beachtet", die Neigung zu vertraglichen Abmachungen mit sozialen Kräften, Gewerkschaften oder Verbänden, zunehme. 106 Die Fortbildung des Staatskirchenrechts nach 1949 ist, wie Scheuner hervorhebt, in erheblichem Maße durch die von den Ländern im Rahmen ihrer Gesetzgebungszuständigkeit, die auch für die Reichweite ihrer Befugnis zum Abschluß von Staatskirchenverträgen bestimmend ist, abgeschlossenen Kirchenverträge erfolgt. 107 Den ersten Anlaß zu einer intensiven Befassung mit dem Recht der Konkordate bot Scheuner sein langes und mit einem reichhaltigen Anmerkungsapparat versehenes Rechtsgutachten über den "Abschluß und Rechtsbestand des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933", das er mit Datum vom 12. September 1955 der Bundesregierung zur Vorlage beim Bundesverfassungsgericht erstattet hat. 108 Er gelangt darin, ebenso wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, zu dem Ergebnis, daß das Reichskonkordat in der Gegenwart als völkerrechtlich bindende Vertragsverpflichtung der mit dem Reiche identischen Bundesrepublik fortgilt. Im Gegensatz zum Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts vertritt Scheuner in seinem Gutachten jedoch die Rechtsauffassung, daß die Bundesrepublik "als Bundesstaat nach Völkerrecht die Gesamtverantwortung für die Einhaltung der von ihr und den Ländern übernom105 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 48 f.; zu der Bedeutung der Konkordate und evangelischen Kirchenverträge im staatskirchenrechtlichen Denken Scheuners vgl. auch M. Heckel, Staatskirchenrechtliche Dimensionen (Anm. 3), S. 43 f. 1os Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 48. 1o1 Ebd., S. 47. 1os Veröffentlicht in: Der Konkordatsprozeß. In Zusammenarbeit mit Hans Müller hrsg. von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. von der Heydte. II. Teilband, München 1957, S. 670-714. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung im Konkordatsprozeß hielt Scheuner vor dem Bundesverfassungsgericht zwölf Plädoyers; abgedr. in: Der Konkordatsprozeß, Teilbände III und IV, München 1958 u. 1959 (S. 1137-1582).

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menen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen" trage. Den Ländern obliege nach einem dem deutschen Staatsrecht zugehörenden Grundsatz eine Treueverpflichtung gegenüber dem Bund zur Erfüllung der von diesem eingegangenen völkerrechtlichen Verbindlichkeiten. 109 Scheuner hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Konkordatsprozeß vom 26. 3. 1957 einer harten Kritik unterzogen und in der Begründung des Urteils einen "Bruch" konstatiert, der darin liege, daß bei Annahme einer fortbestehenden Bindung des Bundes die verfassungsrechtliche Ordnung eines Bundesstaates keinen Grund abgeben könne, nachträglich bei Veränderung von Zuständigkeiten die Vertragsbindungtatsächlich für die zuständigen Teile der Gesamtorganisation in Fortfall zu bringen. 110 Die rechtliche Gesamtproblematik der Konkordate hat Scheuner in dem von ihm für das Evangelische Staatslexikon verfaßten Artikel "Konkordat" behandelt. 111 2. Die evangelischen Kirchenverträge

Mit lebhaftem Interesse und großem Engagement verfolgte und begrüßte Scheuner nach 1949 den Abschluß der den Konkordaten nachgebildeten evangelischen Kirchenverträge. Während die Konkordate, soweit sie mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen werden, ihrer Rechtsnatur nach internationale Verträge sind, haben die Vereinbarungen zwischen dem Staat und den evangelischen Kirchen "den gemeinsamen Boden des Verfassungsrechts zur Grundlage". Dies bedeutet, daß die erzielte Vereinbarung den Rang des Gesetzes besitzt, mit dem sie auch vom Staate bestätigt wird. 112 Die grundlegende Bedeutung der evangelischen Kirchenverträge erblickt Scheuner darin, daß in ihnen das neue Verständnis der Beziehungen zwischen Staat und Kirche und die neuen Grundauffassungen und Lösungen, denen der Parlamentarische Rat durch den restaurierenden Ausweg der Wiederaufnahme der Weimarer Formeln ausgewichen sei, zum Ausdruck gelangen. Wenn sie aus mancherlei Gründen Scheuner, Rechtsgutachten (Anm. 108), S. 713 f. no Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 8), in: Schriften (Anm. 3), S. 159. m Ulrich Scheuner, Art. "Konkordat", in: EvStL, 1. Aufl., Stuttgart, Berlin 1966, Sp. 1124-1130; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 347-354; EvStL, 2. Aufl., Stuttgart, Berlin 1975, Sp. 1365-1370. n2 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 49; weniger eindeutig sind seine Äußerungen zur Rechtsnatur der evangelischen Kirchenverträge, in: ders., Die staatskirchenrechtliche Tragweite (Anm. 41), in: ZevKR 6, S. 18 f. und Schriften (Anm. 3), S. 318f. 109

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historischer Rücksicht auch noch an alte Verhältnisse gebunden seien und keine durchgreifende Neugestaltung bilden, so stellen doch ihre Ansätze "eine neue Stufe staatskirchenrechtlicher Formung jenseits der Festlegung von 1919 dar". Das gelte sowohl für den Fortfall überalterter Formen und eine Neuredigierung des Zusammenwirkens von Kirche und Staat wie vor allem für die grundsätzlichen Formeln, in denen die Verträge die neue Lage zu erfassen und zu formulieren sucbenY3 Zu dem ersten nach 1949 im Kloster Loccum abgeschlossenen evangelischen Kirchenvertrag, dem Vertrag des Landes Niedersachsen mit den evangelischen Landeskirchen des niedersächsischen Raumes vom 19. 3. 1955, hatScheunerunter eingehender Berücksichtigung der historischen Entwicklung des evangelischen Vertragskirchenrechts in grundlegender Weise Stellung genommen in dem Beitrag "Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum". 114 Nach einer einleitenden Darstellung der staatskirchenrechtlichen Lage der evangelischen Kirche im Zeitraum von 1918 bis 1945 behandelt Scheuner die Wandlungen der staatskirchenrechtlichen Lage nach 1945, den historischen Verlauf des Zustandekommens und die rechtliche Natur des Vertrags, die besonders bedeutsamen und neuen Aussagen über das partnerschaftliehe Verhältnis von Kirche und Staat, den Verzicht des Staates auf die Kirchenhoheit, die staatliche Anerkennung der Eigenrechtsmacht und der Organisationsgewalt der Kirchen, die Vermögensverwaltung und das Eigentumsrecht der Kirchen und schließlich die Zusammenarbeit von Staat und Kirche auf dem Gebiete der Erziehung und Bildung. Scheuner erblickt im Loccumer Vertrag, dem für die später abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträge Modellcharakter zukommen sollte, ein "wichtiges Ereignis in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts". Dieser Vertrag habe mit "gutem Erfolg" versucht, die neuen Züge der gegenwärtigen Phase im Verhältnis von Staat und Kirche festzuhalten. Abschließend verleiht Scheuner der durch die spätere Entwicklung bestätigten Auffassung Ausdruck, daß der Loccumer Vertrag nicht nur einem freundschaftlichen Einvernehmen im Lande Niedersachsen selbst einen Dienst geleistet, sondern auch "die allgemeine Linie der staatskirchenrechtlichen Rechtsgestaltung fruchtbar beeinflußt" habe. 115 Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 8), in: Schriften (Anm. 3), S. 161. Veröffentlicht in: ZevKR 6 (1957/58), S. 1-37; abgedr. auch in: Scheuner, Schriften (Anm. 3), S. 301-336. 115 Scheuner, Die staatskirchenrechtliche Tragweite (Anm. 41), in: Schriften (Anm. 3), s. 136. 113

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In systematischer Weise hat Scheuner die Rechtsfragen der evangelischen Kirchenverträge dargestellt in dem Artikel "Evangelische Kirchenverträge 1" 116 und in dem zehn Jahre später verfaßten Ergänzungsartikel "Evangelische Kirchenverträge II" 117 , die er beide für das Staatslexikon der Görres-Gesellschaft geschrieben hat. 3. Kirchenverträge und Staatsgesetz

Mehrmals hat Scheuner zu der in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre im Bereich des Staats- und Staatskirchenrechts bestehenden Kontroverse Stellung bezogen, ob der Staat Konkordate und evangelische Kirchenverträge von sich aus einseitig durch späteres Staatsgesetz wieder aufheben könne. Scheuner hat diese Frage thematisch untersucht in dem Beitrag "Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung" .118 Er unterscheidet dabei zwischen Vertragsbindung und Gesetzesbindung und gelangt zu dem unbestreitbar richtigen Ergebnis, daß der Staat den Vertrag verletzen kann, auch wenn er es als Vertragsteil nicht darf. Durch den Vertrag übernehme der Staat eine echte Bindung, den Vertrag nicht einseitig aufzuheben. Der Staat binde sich jedoch nicht als Gesetzgeber oder Verfassungsgeber. Er kann den Vertrag verletzen, und, wie Scheuner abschließend hervorhebt, "die Geschichte lehrt, daß dies auch die Form ist, in der nicht weiterentwickelte einschränkend wirkende Verträge tatsächlich aufgehoben werden, sofern nicht eine Lossagung von ihnen erfolgt". 119 Noch deutlicher formuliert Scheuner diesen Sachverhalt an anderer Stelle, wo er ausführt, daß mit den Staatskirchenverträgen dem Staate keine Bindungen auferlegt seien, die er nicht durchbrechen könnte. Zusammenfassend stellt Scheuner zu den dem Staat zu Gebote stehenden Möglichkeiten fest: "Er kann, freilich unter Rechtsbruch seiner Vertragspflicht, abweichende Regelungen durch Verfassungsnorm oder Gesetz treffen." 120 116 Ulrich Scheuner, Art. "Evangelische Kirchenverträge I", in: StL, 6. Aufl., Bd. 3, Freiburg/Br. 1959, Sp. 171-176; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), s. 337-342. 117 Ulrich Scheuner, Art. "Evangelische Kirchenverträge II", in: StL, 6. Aufl., Bd. 9 (= 1. Ergänzungsband), Freiburg/Br. 1969, Sp. 919-922; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 343-346. 118 Erschienen in der FS für Erich Ruppel zum 60. Geburtstag am 25. 1. 1968. Hannover, Berlin u. Harnburg 1968, S. 312-328; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), s. 355-372. 119 Scheuner, Kirchenverträge (Anm. 118), in: Schriften (Anm. 3), S. 370. 12o Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 49, mit Hinweisen auf die unterschiedlichen zu dieser Frage vertretenen Auffassungen; ebenso

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V. Religions- und Gewissensfreiheit Im Gefüge der staatskirchenrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik, die nach Scheuner auf den tragenden Pfeilern der Freiheit, der Distanz und des Ausgleichs beruht, kommt der Religionsfreiheit eine grundlegende Bedeutung zu. 121 1. Individuelle und korporative Religionsfreiheit

Durch seine zahlreichen Äußerungen und Stellungnahmen zum Grundrecht der Religionsfreiheit hat Scheuner ein maßgebliches Verdienst an der allmählichen Entwicklung und Herausbildung des heutigen umfassenden Verständnisses dieses Grundrechts, das in seiner vollen Entfaltung als "Doppelgrundrecht" sowohl die individuelle als auch die korporative Religionsfreiheit, d. h. die freie Betätigung der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften, schützt. 122 Scheuner geht bei der Darstellung des Grundrechts der Religionsfreiheit aus von der Bedeutung der Religion für das gesamte kulturelle und geistige Leben des im Staate geeinten Volkes. Das Grundgesetz, erklärt er, "folgt nicht dem Mißverständnis des religiösen Interesses als einer lediglich privaten individuellen Haltung". In der eingehenden Sachregelung der Stellung der Religionsgesellschaften im Staate, in der sie in ihrer Position in der Öffentlichkeit anerkannt werden, komme zum Ausdruck, "daß in der Religionsfreiheit mehr an Konsequenzen steckt als nur die Sicherung individueller Freiheit. Sie ist auch ein Grundstein eines freiheitlichen geistigen Lebens" .123 So sehr Art. 4 GG die individuelle Religionsfreiheit hervorhebe, wenn es sich um die innere Freiheit des Glaubens oder Nichtglaubens, um den Wechsel der Überzeugung und die Sicherung dieses inneren Vorgangs gegen Eingriffe des Staates handle, so sehr sei andererseits zu bedenken, daß Art. 4 GG die Religion nicht zur "Privatsache" herabdrücke. Das Leben einer religiösen Gemeinschaft - und dies gelte ders., Evangelische Kirchenverträge II (Anm. 117), in: Schriften (Anm. 3), S. 344; ders., Auseinandersetzungen und Tendenzen (Anm. 27), in: Schriften (Anm. 3), s. 195. 121 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 50 f. 122 Ulrich Scheuner, Art. "Glaubens- und Gewissensfreiheit", in: Ev. Soziallexikon. 1. Aufl., Stuttgart 1954, Sp. 446 f.; 7. Aufl., Stuttgart, Berlin 1980, Sp. 544 f.; ders., Art. "Menschenrechte", in: Ev. Soziallexikon, 1. Aufl., Sp. 717 f.; 7. Aufl., Sp. 892-895; ders., Die Religionsfreiheit (Anm. 51); ders., Zum Schutz der karitativen Tätigkeit nach Art. 4 GG, in: ders., Schriften (Anm. 3), s. 55-64. 123 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 51 f.

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auch für weltanschauliche Richtungen - erfülle sich erst in der kollektiven Gestalt, in ihrem Heraustreten an die Öffentlichkeit, der Werbung, der Auseinandersetzung, der geistigen Einwirkung auf das gesellschaftliche Leben und die Lebensführung. Darum steht Art. 4 GG mit anderen grundrechtliehen Verbürgungen des geistigen Lebens und seiner äußeren Ausstrahlung in Kommunikation und Aktion, mit den Art. 5, 7 und 9 GG in einer Reihe. Daher sei es folgerichtig, daß die Rechtsprechung auch den religiösen und weltanschaulichen Vereinigungen und den Religionsgesellschaften den Schutz des Art. 4 GG nicht versage. 124 Auch das Recht der Kirchen, über die nationalen Grenzen hinweg mit den Angehörigen ihres Glaubens und ihren Kirchenleitungen in Verkehr zu treten, ist mit Einschluß der Missionsfreiheit Bestandteil des korporativen Grundrechts der Religionsfreiheit. 125 Neben diesem dem einzelnen und den Religionsgemeinschaften zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht enthalte Art. 4 GG, "wie die meisten Grundrechte", auch Normen objektiven Gehalts, "deren Auswirkung freilich noch erst in den Anfängen ihrer Erfassung steht". Es sollte jedoch nicht übersehen werden, daß dieser objektive Gehalt hinter verschiedenen Lösungen - etwa der Anerkennung der Selbstbestimmung- erkennbar werde und daß die Religionsfreiheit, wie andere Grundrechte auch, "ein wesentliches Element der offenen und freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes" darstelle. 126 Auf den inneren systematischen Zusammenhang zwischen dem Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 GG und der Anerkennung des kirchlichen Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechts in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV hat Scheuner mit Deutlichkeit aufmerksam gemacht, ohne diese kontroverse Problematik in einer thematischen Arbeit ausführlicher zu behandeln. 127 Er faßte seine Auffassung zu dieser Frage in einer seiner letzten staatskirchenrechtlichen Publikationen in dem Satz zusammen: "In ihrem Kern ist die kirchliche Selbstbestimmung auch durch Art. 4 GG gedeckt, weil Religionsübung eine gemeinschaftliche Organisation voraussetzt. " 128 Mit Entschiedenheit hat Scheuner gegen das Schulgebetsurteil des Hessischen Staatsgerichtshofes vom 27. 10. 1965 Stellung bezogen. In dieser Entscheidung hatte dieses Gericht die Veranstaltung eines über124 Ebd., S. 52; ebenso ders., Die Religionsfreiheit (Anm. 51), in: Schriften (Anm. 3), S. 42 f. 12s Scheuner, Die internationalen Beziehungen (Anm. 83), S. 308 ff. 126 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 52 f. m. w. N. 127 Ebd., S. 78f. m. w. N. 12s Scheuner, Begründung, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie (Anm. 44), S. 28 mit Anm. 9. Diese Aussage entfaltet Scheuner näher im Text, ebd., S. 14.

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konfessionellen Schulgebetes untersagt und einem einzelnen Schüler ein absolutes Recht, nämlich das Recht zum Nichtbekennen seiner abweichenden religiösen Auffassung (sog. "negative Religionsfreiheit"), gegenüber den anderen Schülern, die sich am Gebet beteiligen wollten (sog. "positive Religionsfreiheit"), zur Verhinderung gemeinsamer Religionsausübung zuerkannt. Die einzig mögliche Lösung dieser Problematik kann, wie Scheuner wiederholt betont hat - und hierin hat ihm das Bundesverfassungsgericht später recht gegeben -, nur in einer Betrachtung liegen, die nicht nur Individualrechte gegeneinander ausspielt, sondern Majoritäten und Minoritäten, Staat und religiös-geistige Gruppen in eine Ordnung der Rücksicht und der Toleranz setzt. Nur auf dieser Grundlage kann in derartigen Fällen "eine Wahrung des Art. 4 GG in gerechtem Ausgleich" gewährleistet werden. 129 2. Extensive Auslegung des Begriffs der Religionsfreiheit

Von weittragender Bedeutung für die Interpretation und das neue Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit, insbesondere in seiner korporativen Erscheinungsform, wurde die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sog. "Lumpensammlerfall" 130 Dabei ging es um die Frage, ob es, wie dies das Landgericht Düsseldorf getan hatte, der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands aus wettbewerbsrechtlichen Gründen untersagt werden könne, für eine von ihr zu kirchlich-karitativen Zwecken veranstaltete überregionale Altkleidersammlung durch Kanzelaufrufe werben zu lassen. Scheuner hatte in diesem Verfahren für das Katholische Büro Bonn, Kommissariat der deutschen Bischöfe, und die Evangelische Kirche in Deutschland, denen vom Bundesverfassungsgericht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, zum Zwecke der Vorlage beim Bundesverfassungsgericht ein Rechtsgutachten erstattet, in dem er die Verfassungsbeschwerde der Katholischen Landjugendbewegung gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf für zulässig und begründet erklärte. 131 In dieser Stellungnahme hat Scheuner die Auffassung vertreten, daß "zu der von Art. 4 GG gesicherten Religionsfreiheit", diese verstanden in einem weiteren Sinne, der auch die Religionsausübung einschließe, "auch die karitative Betätigung" gehöre. 132 Das Bundesverfassungsge129 Scheuner, Die Religionsfreiheit (Anm. 51), in: Schriften (Anm. 3), S. 52 f.; ebenso ders., Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 53 ff. 130 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968 (Az.: 1 BvR 241/66), in: BVerfGE 24, S. 236252. 131 Scheuner, Zum Schutz der karitativen Tätigkeit (Anm. 122). 132 Ebd., S. 62.

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richt entschied den Fall in dem von Scheuner vertretenen Sinne und bezog sich in der Begründung seiner Entscheidung auch ausdrücklich auf die gutachtliche Stellungnahme Scheuners. 133 Wie das Gericht hierbei ausführte, steht das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht nur den Kirchen und Religionsgemeinschaften zu, sondern auch Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziele gesetzt haben. 134 Ferner entschied das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang, daß der Begriff der "Religionsausübung" gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv auszulegen sei und daß daher zur Religionsausübung nicht nur kultische Handlungen, Gebete und Prozessionen gehören, sondern auch die religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern und auch aus religiös-karitativen Motiven veranstaltete Sammlungen und die Vorbereitung derartiger Sammlungen durch Kanzelverkündigungen. 135 Mit Fragen der von Art. 4 GG geschützten karitativen Diakonie der Kirchen befaßt sich auch, insbesondere unter der Rücksicht der erforderlichen Kooperation zwischen Staat und Kirche, das Referat "Die karitative Tätigkeit der Kirchen im Sozialstaat. Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Fragen", das Scheuner bei dem 8. Essener Gespräch zum Thema Staat und Kirche am 12. März 1973 gehalten hat.136 3. Toleranz und Parität

Immer wieder hat Scheuner bei der Behandlung von Fragen des Grundrechts der Religionsfreiheit die Bedeutung der Toleranz als eines der Religionsfreiheit komplementären objektiven und notwendigen Verfassungsgebots betont. Das Toleranzgebot, das mit dem Prinzip der religiösen Neutralität des Staates 137 als einer weiteren objektiven Inhaltsbestimmung des Art. 4 GG in engem Zusammenhang steht, stellt im Rahmen einer vollen Verbürgung der Religionsfreiheit ein unentbehrliches Element ihrer Verwirklichung im staatlichen und gesellschaftlichen Leben dar. Es enthält "ein echtes an den Staat wie auch BVerfGE 24, S. 241. BVerfGE 24, S. 236 (LS 1) und 245 f. 135 BVerfGE 24, S. 246 ff. 136 Ulrich Scheuner, Die karitative Tätigkeit der Kirchen im heutigen Sozialstaat. Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Fragen, in: Essener Gespräche (Anm. 100), H. 8, Münster 1974, S. 43-71. 137 Zum Verständnis der religiösen Neutralität nach dem Grundgesetz vgl. Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 61-64. 133 134

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an die einzelnen gerichtetes Rechtsgebot" . 138 Toleranz ist, wie Scheuner hervorhebt, in einer pluralen Gesellschaft ein grundlegender Bestandteil des friedlichen und einvernehmlichen Zusammenlebens. In der Gegenwart werde die Toleranz vor allem als Ziel der Erziehung in der Schule von den Landesverfassungen herausgestellt und damit zur Pflicht der hier tätigen Organe erhoben. Die Toleranz statuiert, wie Scheuner feststellt, ein der Religionsfreiheit entsprechendes objektives Prinzip der grundrechtliehen Ordnung, das auch für den einzelnen Bürger eine Pflicht zu freundlichem und duldsamem Zusammenleben und einem entsprechenden Verhalten begründet. 139 In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit steht auch der Grundsatz der religionsrechtlichen Parität, der dem Staat eine unterschiedliche Behandlung seiner Bürger wegen deren Religionszugehörigkeit verbietet und eine rechtliche Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften gebietet. Das Prinzip der Parität oder der Gleichstellung bedeutet, ebenso wie das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes, die Herstellung einer Gleichbehandlung, "soweit nicht durch sachlich begründete Verschiedenheiten eine differenzierte Regelung zulässig oder sogar geboten erscheint". Eine derartige differenzierte Behandlung ist dort statthaft, wo Struktur und Größe der Religionsgesellschaften tatsächlich erkennbare Unterschiede begründen. 140 Dies bedeutet im Ergebnis, daß der Grundsatz der Parität in der Behandlung der Religionsgesellschaften im Verfassungsrecht keine Grundlage "im Sinne schematischer Gleichbehandlung aller Vereinigungen weltanschaulicher Art" findet. 141 Diese Auffassung fand auch die Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts. 142

4. Gewissensfreiheit

Auch mit dem neueren Verständnis des Grundrechts der Gewissensfreiheit hat sich Scheuner verschiedentlich intensiv auseinanderge138 Ebd., S. 64 mit Anm. 181, gegen Ernst-Wolfgang Böckenförde, Vorläufige Bilanz um das Schulgebet, in: DÖV 1974, S. 257. 139 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 65; ferner ebd., S. 54f.; ders., Die Religionsfreiheit (Anm. 51), in: Schriften (Anm. 3), S. 51; ders., Toleranz, in: Evangelische Welt. Informationsblatt für die Evangelische Kirche in Deutschland, 8. Jg. (1954), S. 561-563. 140 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 59 f.; ders., Rechtsgrundlagen (Anm. 16), S. 180 ff. 141 Scheuner, Kirche und Staat (Anm. 8), in: Schriften (Anm. 3), S. 165 f. 142 Scheuner, Auseinandersetzungen und Tendenzen (Anm. 27), in: Schriften (Anm. 3), S. 204.

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setzt. Zum Grundrecht der Gewissensfreiheit stellt er fest, daß sich in Lehre und Rechtsprechung in der Interpretation des Grundgesetzes ein besonderes Recht der Gewissensfreiheit aus der Wurzel der Glaubens- und Gewissensfreiheit verselbständigt hat, die in der geschichtlichen Entwicklung ein in sich geschlossenes Feld gebildet habe. Unter Gewissensfreiheit werde heute das Recht verstanden, der eigenen individuellen Gewissensentscheidung als einer zwingenden inneren Stimme auch in der Beanspruchung einer Freiheit von bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten folgen zu dürfen. 143 Scheuner weist jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, daß sich die Gewissensfreiheit aus ihrer Beziehung zur Glaubensfreiheit schon deshalb nicht lösen lasse, "weil die religiöse oder weltanschauliche Haltung dem Gewissen den Weg weisen kann" und erklärt abschließend, daß "in jedem Fall" die "säkulare Gewissensfreiheit nicht stärker durch Art. 4 GG geschützt" sei als "die religiös begründete Freiheit des Glaubens und Gewissens" . 144 In einem eigenen Beitrag mit dem Titel "Die verfassungsmäßige Verbürgung der Gewissensfreiheit" wendet sich Scheuner besorgt gegen Tendenzen in der Literatur, aus Art. 4 GG ein von dem Grundrecht der Religionsfreiheit losgelöstes und nicht mehr an die Schranken dieses Grundrechts gebundenes, der Religionsfreiheit vielleicht sogar voroder übergeordnetes Grundrecht der Gewissensfreiheit anzuerkennen mit der Folge, daß die Religionsfreiheit ein Unterfall der Gewissensfreiheit wäre. 145 5. Wehr- und Kriegsdienstverweigerung

Zum Grundrecht der Wehr- und Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 GG hat Scheuner mehrere Publikationen verfaßt und bereits in den ersten Jahren des Bestehens der Bundesrepublik auf die Gefahren des Mißbrauchs dieser nicht aus dem Grundrecht der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG ableitbaren grundrechtliehen Gewährleistung aufmerksam gemacht. 146 Die spätere Entwicklung hat in dieser Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 30), S. 55 f. Ebd., S. 56. 145 Ulrich Scheuner, Die verfassungsmäßige Verbfugung der Gewissensfreiheit. Ein Bericht von der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Bern 1969 (= VVDStRL 28 [1970]), in: ZevKR 15 (1970), S. 242 bis 257; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 65-81. 146 Ulrich Scheuner, Zur Ausführung des Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes. Gesetzgebung über die Kriegsdienstverweigerung im Ausland, in: DÖV 1951, S. 57-60; ders., Kriegsdienstverweigerung, in: Die Kirche in der Welt. Wegwei143

144

28 Sbd. List!

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Hinsicht wohl seine schlimmsten Befürchtungen sogar noch übertroffen. Scheuner fordert von jedermann, der sich auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG beruft, die "Offenlegung seiner Gründe". Da ganz bestimmte Gewissensbedenken die Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Art. 4 Abs. 3 GG bildeten, könne der Antragsteller nicht erwarten, ohne Offenbarung seiner Gewissensbedenken Gehör zu finden. Ganz unabhängig von der allgemeinen Problematik der Beweislast im Verwaltungsverfahren sei hier eine Erklärungspflicht für denjenigen gegeben, der sich auf seine eigene innere Einstellung berufe, da es ein anderes zuverlässiges Mittel der Feststellung nicht gebe.147 VI. Schule und Religionsunterricht 1. Die Zulässigkeit der Veranstaltung von Schulgebeten

Persönlich stark engagiert hat sich Scheuner auf dem Gebiet des Schulwesens in der Frage der Zulässigkeit der Veranstaltung von Schulgebeten. In einem Aachener Fall hat er die Stadt Aachen gegen ein klagendes Elternpaar, das die Teilnahme ihres Kindes an einem Schulgebet nach dem Vorbild des vom Hessischen Staatsgerichtshof entschiedenen Falles abgelehnt hatte/ 48 vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolgreich vertreten. Das Verwaltungsgericht Aachen hatte durch Urteil vom 13. 5. 1969 der Stadt Aachen in einer bestimmten Klasse die Anordnung oder die Durchführung von Schulgebeten untersagt.149 Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte die Entscheidung sung für die katholische Arbeit am Menschen der Gegenwart. 4. Jg. (Münster 1951), S. 277-282; ders., Anmerkung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. 10. 1958 (Az.: VII C 235/57)- BVerwGE 7, S. 242 = DÖV 1959, S. 261: Zur Frage des Vorliegens einer emsthaften, zur Verweigerung des Wehrdienstes mit der Waffe berechtigenden Gewissensentscheidung, in: DÖV 1959, S. 264-266. 147 Ulrich Scheuner, Der Schutz der Gewissensfreiheit im Recht der Kriegsdienstverweigerer, in: DÖV 1961, S. 201-205; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 19-31; die hier zitierte Stelle ebd., S. 29; vgl. femer ders., Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, in: Der Deutsche Soldat in der Armee von morgen. Wehrverfassung, Wehrsystem, Inneres Gefüge. München 1964, S. 251-285 (= Veröffentlichungen des Instituts für Staatslehre und Politik e. V., Mainz, Bd. 4). 148 Zu der Kritik Scheuners am Schulgebetsurteil des HessStGH vgl. in dieser Arbeit, oben V., 1. mit Anm. 129. 149 VG Aachen, Urt. v. 13. 5. 1969 (Az.: 2 K 596/67), in: KirchE 10, S. 392; vgl. hierzu auch Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 26), S. 280 mit Anm.123.

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des Verwaltungsgerichts Aachen durch Urteil vom 28. 4. 1972 bestätigt.150 Das Bundesverwaltungsgericht entschied in einem richtungweisenden Urteil vom 30. 11. 1973 unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidungen der beiden Vorinstanzen und auch in erklärtem Gegensatz zu der Rechtsauffassung des Staatsgerichtshofes für das Land Hessen, daß die Veranstaltung eines Schulgebetes in einer staatlichen Grundschule auch dann zulässig ist, wenn ein Schüler oder dessen Eltern oder Erziehungsberechtigte gegen die Veranstaltung des Schulgebetes Widerspruch erheben, vorausgesetzt allerdings, daß dem Schüler eine Möglichkeit geboten wird, sich in zurnutbarer Weise am Schulgebet nicht zu beteiligen. Diese Nichtbeteiligung könne entweder dadurch geschehen, daß der Schüler erst nach dem Gebet den Klassenraum betrete, oder dadurch, daß er in bloßer passiver Nichtbeteiligung während des Gebetes im Klassenraum verbleibe. Wie das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil ausgeführt hat, kann eine Lösung der Interessenkonflikte in diesen Fällen nur auf der Grundlage des Toleranzgebotes gefunden werden, das im Grundrecht der Religionsfreiheit enthalten sei und zu den obersten Verfassungsprinzipien zähle. Das Toleranzgebot verlange, daß die Schüler lernten die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren, und dies gerade dann, wenn man die Ansicht anderer selbst nicht mitvollziehen könne oder wolle. Zur Einübung solcher gegenseitiger Toleranz könne auch ein Schulgebet dienen, wenn es einen ausgewogenen Ausgleich zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit schaffe. 151 Scheuner hatte für die Stadt Aachen zum Zwecke der Vorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein umfangreiches Rechtsgutachten erstattet und war als Rechtsbeistand der Stadt Aachen persönlich vor dem Bundesverwaltungsgericht aufgetreten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil am 16. 10. 1979 zurückgewiesen und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in vollem Umfang bestätigt. 152 4

Zu der Kritik, die Ernst-Wolfgang Böckenförde in einer diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Ergebnis ablehnenden Stellungnahme vorgetragen hat, stellt Scheuner fest, daß die "ent150 OVG Münster, Urt. v. 28. 4. 1972 (Az.: VA 921/69), in: KirchE 12, S. 480 = DÖV 1973, S. 65 f. (nur LS). 151 BVerwG, Urt. v. 30. 11. 1973 (Az.: VII 59.72), in: BVerwGE 44, S. 196 = NJW 1974, S. 574 = JZ 1974, S. 577 f. mit zust. Arun. von Alexander Hollerbach, s. 578ff. 152 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1979 (Az.: 1 BvR 7174), in: BVerfGE 52, S. 223 = NJW 1980, S. 575 = DÖV 1980, S. 333; vgl. hierzu die kritische und im Ergebnis ablehnende Stellungnahme "Zum Ende des Schulgebetsstreits" von Ernst-Wolfgang Böckenförde, ebd., S. 323. 28*

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scheidende Grundlage" dieses Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 10. 1979 der "Gedanke der weltanschaulichen Toleranz als Rechtsgebot" sei, die, wie der Beschluß in enger Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ausführe, "das Erziehungsziel der Schule durchdringen solle". Daraus folge, daß diejenigen Schüler, die nicht am Gebet teilnehmen wollen, keine Diskriminierung erfahren dürfen, aber auch, daß alle Schüler lernen sollen, im Geiste der Verträglichkeit die religiöse Übung anzuerkennen und nicht zu behindern. Im Einklang mit den zeitlich früheren Urteilen zur Verfassungsmäßigkeit der Schulform der christlichen Gemeinschaftsschule lege die Entscheidung Gewicht auf die bestehenden landesrechtliehen Rechtsgebote zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung anderer. In der Kritik Böckenfördes würden diese entscheidenden Aussagen überhaupt nicht angesprochen. Aus ihnen folge die Ablehnung der Überbetonung der negativen Bekenntnisfreiheit, die der Stellungnahme des Hessischen Staatsgerichtshofes von 1965 und der von Bökkenförde herangezogenen Auffassung von Podlech zugrunde liege. 153 Die Darlegungen Böckenfördes, dessen früher geäußerte Ansichten teilweise durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nicht bestätigt worden seien, erschienen daher, wie Scheuner abschließend feststellt, "in ihrer Kritik nicht begründet". Sie ließen vor allem die Zustimmung zu dem entscheidenden Gesichtspunkt des Rechtsgebots der gegenseitigen Toleranz und Verträglichkeit vermissen, in dem das große Verdienst dieser Entscheidung gerade in einem Bereich wie der Schule liege, in dem auch nach anderen Richtungen heute der Gedanke der Toleranz als ein dringliches Gebot erscheinen sollte. 154 2. Der Religionsunterricht

Zum verfassungsrechtlichen Verständnis des Religionsunterrichts hat Scheuner keine thematischen Veröffentlichungen hinterlassen. Es liegen von ihm zwar mehrere für kirchliche Auftraggeber verfaßte gutachtliche Stellungnahmen zur Frage der Konfessionalität des Religionsunterrichts vor. In ihnen hat er sich für die Beibehaltung des konfessionellen und gegen die Einführung eines inter- oder überkonfessionellen Religionsunterrichts gewandt, weil er damit ein Abgleiten des Religionsunterrichts in die Richtung einer bloßen unverbindlichen Re153 Ulrich Scheuner, Nochmals: Zum Ende des Schulgebetsstreits. Bemerkungen zur Abhandlung von Ernst-Wolfgang Böckenförde, DÖV 1980, S. 323, in: DÖV 1980, S. 514. 154 Scheuner, ebd., S. 515. Vgl. hierzu auch das "Schlußwort" von Ernst-Wolfgang Böckenförde, ebd., S. 515.

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ligionskunde und eine Verflüchtigung und Eliminierung der verbindlichen kirchlich-dogmatischen Lehre befürchtete, deren Vermittlung an die einzelnen Schüler auch zu den Aufgaben des Religionsunterrichts gehöre. Diese Rechtsgutachten fanden zwar im innerkirchlichen Raum Verbreitung, sie sind aber nicht veröffentlicht worden. Lediglich zu einem einzigen, für den gleichberechtigten Rang des Faches Religionsunterricht gegenüber den übrigen Lehrfächern und zugleich für die rechtliche und faktische Stellung der Religionslehrer gegenüber der gesamten übrigen Lehrerschaft sehr bedeutsamen rechtlichen Problem des Religionsunterrichts hatScheunereine ebenso kurze wie engagierte Stellungnahme publiziert, nämlich zu der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Benotung der Leistungen im Religionsunterricht und zu deren Berücksichtigung bei Versetzungsentscheidungen. Den Anlaß zu dieser Problematik gab ein Verwaltungsrechtsstreit. An einer Kölner, von Ordensschwestern geleiteten privaten Mädchenschule war streitig geworden, ob der Religionsnote versetzungserhebliches Gewicht zukommen könne. Im wesentlichen mit der Begründung, daß es sich beim Religionsunterricht um ein bekenntnisgebundenes Fach handle, das Glaubenswissen vermittle, vertraten das Verwaltungsgericht Köln und ihm folgend das Oberverwaltungsgericht Münster übereinstimmend die Auffassung, daß der Religionsnote eine versetzungserhebliche Bedeutung nicht zukommen dürfe. 155 Demgegenüber entschied das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 6. 7. 1973 unter Aufhebung der beiden entgegenstehenden Entscheidungen der Vorinstanzen, daß der nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG zulässige bekenntnisgebundene Inhalt des Religionsunterrichts nicht ausschließe, daß die Leistungen in diesem Fach bewertet und bei der Versetzungsentscheidung berücksichtigt werden. Als ordentliches Lehrfach (Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG) sei der Religionsunterricht in der Frage, ob er versetzungserhebliches Fach sein könne, den Pflichtfächern der Schule, nicht den Wahlfächern, gleichzustellen; die Befreiungsmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 2 GG stehe der Zulässigkeit der versetzungserheblichen Benotung des Religionsunterrichts nicht entgegen. 156 Zu dieser Entscheidung veröffentlichte Klaus Obermayer in der Neuen Juristischen Wochenschrift eine Anmerkung, in der er gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts "schwere Bedenken" erhob, "weil es obso155 Diese beiden Entscheidungen, das Urt. des VG Köln vom 1. 10. 1970 (Az.: 1 K 247170) und das Urt. des OVG Münster vom 15. 6. 1971 (Az.: VA 219170), sind abgedruckt bei Friedrich Müller und Bodo Pieroth, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, Berlin 1974, S. 13-21 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 4). 156 BVerwG, Urt. v. 6. 7. 1973 (Az.: VII C 36.71), in: BVerwGE 42, S. 346.

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let gewordene Verfassungsvorstellungen unkritisch" konserviere und "die erforderliche Auseinandersetzung mit den religiösen Freiheitsverbürgungen des Grundgesetzes vermissen" lasse. 157 Hiergegen wandte sich Scheuner in einer von ihm ebenfalls in der Neuen Juristischen Wochenschrift veröffentlichten Anmerkung zu dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Er widersprach entschieden der Verfassungsinterpretation Obermayers und erklärte, daß Art. 7 Abs. 3 GG keine Ausnahmeregelung darstelle, die "restriktiv" auszulegen wäre. Der Religionsunterricht sei vielmehrangesichtsdes weitgehenden faktischen Schulmonopols des Staates als ein echter Ausgleich im Sinne toleranter Haltung des pluralistischen Staates anzusehen. Es sei unrichtig, daß der Religionsunterricht irgendwie zu dem Grundgedanken des Art. 4 GG, der gerade auf Toleranz und Achtung der Überzeugung gerichtet sei, im Gegensatz stehe. Von einer "Durchbrechung" zu sprechen, sei nur möglich, wenn man in Art. 4 GG ein Trennungsdenken hineindeute, das er nicht enthalte. Obermayers Verfassungsinterpretation gehe "nicht vom objektiven Gehalt des Grundgesetzes aus, sondern von vorgefaßten Thesen". Insgesamt verdiene das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts volle Zustimmung. Es weise mit eingehender Begründung Versuche zurück, in die Verfassungsordnung Widersprüche hineinzudeuten, die in ihr nicht enthalten seien. 158 3. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit christlicher Gemeinschaftsschulen

Einen bedeutsamen Beitrag zu den religionsrechtlichen Fragen im Bereich des Schulwesens leistete Scheuner mit seiner Abhandlung "Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschule". 159 Anlaß für diese Untersuchung war die Tatsache, daß fünf Bundesländer, nämlich Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, NordrheinWestfalen, Bayern und das Saarland in den Jahren 1967 und 1968 anstelle der Konfessionsschule die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule eingeführt hatten. Gegen die Schulform der christlichen Gemeinschaftsschule wurden von verschiedenen Seiten aus gegensätzlichen Gründen verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Einerseits wurden dieselben Argumente, die vor dieser Umstellung gegen die 157 Klaus Obermayer, Anm. zum Urt. des BVerwG v. 6. 7. 1973 (Anm. 156), in: NJW 1973, S. 1817. 158 Ulrich Scheuner, Anm. zum Urt. des BVerwG v. 6. 7. 1973 (Anm. 156), in: NJW 1973, S. 2315. 159 Erstveröffentlichung in: Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag am 1. 9. 1971. München 1971, S. 307-328; abgedr. auch in: Scheuner, Schriften (Anm. 3), s. 279-298.

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Verfassungsmäßigkeit der Konfessionsschule als Regelschule vorgebracht worden waren, nunmehr auch gegen die Verfassungsmäßigkeit der christlichen Gemeinschaftsschule als Regelschule vorgetragen. Diese Bedenken gründeten insbesondere darin, daß es Kindern nichtchristlicher Bekenntnisse oder Kindern ohne religiöses Bekenntnis nicht zugemutet werden dürfe, eine christliche Gemeinschaftsschule zu besuchen. Eine radikalere Ausprägung dieser Richtung interpretierte das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 GG dahingehend, daß der Schutz der Glaubensfreiheit es untersage, einen Zwang zum Besuch einer konfessionellen Schule oder auch einer christlichen Gemeinschaftsschule auszuüben. Eine gemäßigtere Form dieser Auffassung hielt die Verpflichtung zum Besuch einer Gemeinschaftsschule mit Art. 4 GG vereinbar, wenn in ihr der christliche Charakter sich auf die Pflege des überlieferten Anteils christlichen Gutes an der heutigen Kultur beschränke (christliches Bildungserbe), nicht dagegen, wenn der Unterricht von einem Element christlicher Denkweise durchdrungen werde (bekenntnismäßige christliche Gemeinschaftsschule). 160 Aber auch aus einer entgegengesetzten Richtung wurden Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Einführung der christlichen Gemeinschaftsschule als Regelschule geltend gemacht. Sie beruhten im umgekehrten Sinne auf der Auffassung, daß eine Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit darin liege, daß Kinder christlicher Eltern nicht die von ihren Erziehungsberechtigten gewünschte konfessionelle Erziehung erhalten könnten, sondern von Staats wegen gezwungen würden, eine Gemeinschaftsschule zu besuchen. Diese Richtung berief sich einmal auf das Elternrecht und ferner auf die den Kindern und ihren Erziehungsberechtigten entstehende Gewissensbelastung, die darin liege, daß das katholische Kirchenrecht den Eltern in can. 1372 und 1374 CIC/1917 die Pflicht auferlege, ihre Kinder in ihrem Glauben zu erziehen und von Schulen gemeinsamer Erziehung fernzuhalten, sofern nicht besondere Umstände die bischöfliche Duldung eines anderen Verhaltens nahelegten. 161 Nach eingehender Erörterung des Grundverhältnisses der Beziehungen zwischen Staat und Kirche nach dem Grundgesetz und des spezifischen Sinnes des Grundsatzes der religiösen Neutralität, wie sie dem Staat durch das Grundgesetz auferlegt ist, gelangt Scheuner in diesem Beitrag zu dem Ergebnis, daß das Prinzip staatlicher Neutralität in einer differenzierten Gesellschaft nicht den Weg an der Ausrichtung am 160 Ebd., in: Schriften (Anm. 3), S. 285 mit Hinweisen auf die gegensätzlichen Stellungnahmen der jeweiligen Vertreter dieser Auffassungen in den Anm. 24 und 25. 161 Scheuner, ebd., S. 286 f.

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"geringsten Nenner", d. h. "der Entfernung aller weltanschaulichen Momente aus der Schule", gehen müsse. In Wirklichkeit könne eine solche Reduzierung auf eine "neutrale Ebene" auch zu einem weltanschaulichen Gesinnungsdruck führen. Sie könne, wie er unter Bezugnahme auf eine Formulierung von Martin Heckel feststellt, die "Intoleranz der Negation" oder, nach einem Ausdruck des amerikanischen Autors William A. Marnell, das "establishment of the religious rule of the minority" bedeuten. Deshalb lasse sich aus Art. 4 GG "auch nicht die Forderung einer weltanschaulich neutralen Schule als Regelschule herauslesen". 162 Den Ländern stehe vielmehr die Wahl eines Schulsystems offen, das in seiner Gestaltung für alle ohne Gewissenszwang zugänglich sei. Dies könne sowohl durch Gliederung der Schularten geschehen, soweit namentlich in größeren Orten damit Wahlmöglichkeiten eröffnet werden. Als ein "offener Grundtyp" könne aber auch eine christliche Gemeinschaftsschule gewählt werden, ebensowohl wie eine säkulare Ausprägung der Gemeinschaftsschule. Die christliche Gemeinschaftsschule entspreche diesen Gesichtspunkten, da sie "keine besondere konfessionelle Ausrichtung" verkörpere, sondern entweder in ihrem "bildungsmäßigen TYP" nur eine Betonung des christlichen Erbes enthalte oder "in dem TYP der Aufnahme christlicher Anschauungen" auch diese Elemente nur in der Abschwächung der gemeinsamen Grundlage zur Geltung bringe. Diese Schulart sei mit Art. 4 GG vereinbar. Voraussetzung zu ihrer Verwirklichung sei gegenseitige Toleranz und Rücksichtnahme. Nur auf diese Weise könne ein zurnutbarer Ausgleich gefunden werden. In einem idealen Sinne ließen sich die weltanschaulichen Probleme auf dem Gebiete des Schulwesens allerdings niemals lösen. 163 Wie Scheuner abschließend feststellt, enthält der hier in den Vordergrund gerückte Schultyp der christlichen Gemeinschaftsschule in den beiden gekennzeichneten Ausgestaltungen bei richtigem Verständnis der Glaubensfreiheit in deren positiver wie negativer Seite und bei erforderlicher Würdigung des korporativen Elements der Religionsfreiheit im Miteinander der Weltanschauungen, die damit die Einfügung und das Zusammenleben verschiedener Haltungen notwendig mache, keine Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit der Schüler, die gegen Art. 4 GG verstoßen würde. Diese Gestaltung der Schule kann vielmehr, wie Scheuner hervorhebt, geeignet sein, "in den Auseinandersetzungen um die weltanschaulichen Momente in der Schule durch die Vorkehr des Gemeinsamen, durch das Zurücktreten prägender zugun162 163

Ebd., S. 296m. w. N. Ebd., S. 297.

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sten informativer Elemente des christlichen Erbes, der Ausbildung einer Gesinnung der Toleranz und einem weltanschaulichen Ausgleich zu dienen". 164 Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in drei am selben Tag, dem 17. 12. 1975, ergangenen Entscheidungen mit der von Scheuner in diesem Beitrag eingehend behandelten Thematik der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der christlichen Gemeinschaftsschule zu befassen, nämlich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der christlichen Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung im Lande Baden-Württemberg, 165 ferner mit der Verfassungsmäßigkeit der bayerischen Form der gemeinsamen Schule als einheitliche Schulform für die öffentliche Volksschule in Bayern 166 und schließlich mit der Frage der Vereinbarkeit der Gemeinschaftsschule nordrhein-westfälischer Prägung mit dem Grundgesetz. 167 Das Bundesverfassungsgericht wies in allen drei Fällen die Verfassungsbeschwerden zurück und vertrat in Übereinstimmung mit den Ausführungen Scheuners, auf dessen Beitrag es an zwei Stellen auch ausdrücklich Bezug nahm, 168 die Auffassung, daß der demokratische Landesgesetzgeber berechtigt sei, die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule einzuführen. Eine Schulform, die weltanschaulich religiöse Zwänge soweit wie irgend möglich ausschalte sowie Raum für sachliche Auseinandersetzung mit allen religiösen und weltanschaulichen Auffassungen - wenn auch von einer christlich bestimmten Orientierungsbasis her- biete und dabei das Toleranzgebot achte, führe Eltern und Kinder, die eine religiöse Erziehung ablehnten, nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und Gewissenskonflikt. 169 Andererseits führe die Schulform der Gemeinschaftsschule auch diejenigen Eltern und Kinder, die eine bekenntnisgebundene religiöse Erziehung wünschten, nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und GewissensEbd., S. 298. BVerfG, Beschl. v. 17. 12. 1975 (Az.: 1 BvR 63/68), in: BVerfGE 41, S. 29 bis 64; in diesem Verfahren wandten sich Beschwerdeführer, die der Humanistischen Union nahestanden, gegen den christlichen Charakter dieser Schulform. 166 BVerfG, Beschl. v. 17. 12. 1975 (Az.: 1 BvR 428/69), in: BVerfGE 41, S. 65 bis 88; in diesem Verfahren wandten sich die Beschwerdeführer ebenfalls gegen die christlichen Gehalte, die in dieser Schulform verwirklicht bzw. vermittelt werden sollen. 167 BVerfG, Beschl. v. 17. 12. 1975 (Az.: 1 BvR 548/68), in: BVerfGE 41, S. 88121. In diesem Verfahren wandten sich christliche Eltern und deren Kinder gegen die Beseitigung der Konfessionsschule in der bisherigen Form und deren Ersetzung durch die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule in Nordrhein-Westfalen. 168 BVerfGE 41, S. 54 und 56. 169 BVerfGE 41, S. 29 mit LS 4. 164 165

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konflikt. Die bevorzugte Einrichtung solcher Gemeinschaftsschulen neben oder anstelle von Bekenntnisschulen sei mit Art. 6 Abs. 2 GG (Elternrecht) und Art. 4 Abs. 1 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit) vereinbar. 170 Vll. Theologische Fakultäten Zu den Rechtsfragen des Bestandes der Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten und des konfessionell gebundenen Staatsamtes der Lehrer der Theologie an staatlichen Einrichtungen existieren von Scheuner nur wenige veröffentlichte Arbeiten und Stellungnahmen. Dennoch hat ihn diese Materie zu wiederholten Malen intensiv beschäftigt, da er mehrmals von kirchlichen Stellen um gutachtliche Äußerungen zu konkreten staatlichen gesetzgeberischen Vorhaben, zu anstehenden kirchenvertraglichen Verhandlungen oder auch zu konkreten Personalfällen gebeten wurde. Diese Gutachten dienten jedoch nur zur innerkirchlichen Urteilsbildung und waren nicht zur Veröffentlichung bestimmt. 1. Der Bestand der Theologischen Fakultäten

Die erste Veröffentlichung Scheuners, in der er sich thematisch mit der Einrichtung der Theologischen Fakultäten an den Universitäten des Staates befaßt hat, stammt erst aus dem Jahr 1977. 171 Scheuner untersucht in dieser Abhandlung zuerst die Stellung der Theologie im Kreis der Wissenschaften und gelangt in entschiedener Ablehnung des zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierenden "positivistischen Wissenschaftsverständnisses" mit seinem längst als irrig erkannten "Wissenschaftsbegriff der Voraussetzungslosigkeit" zu dem Ergebnis, daß "im Kreise der Wissenschaften" die Theologie "mit bestimmten besonderen Zügen ihren Platz" finde. 172 Für die kirchliche Lehre ergebe sich in der Gegenwart auf dem Felde der Wissenschaft die Möglichkeit eines weitreichenden Gesprächs mit anderen Disziplinen. Die moderne Theologie ziehe in der kritischen Aufbereitung des ihr zugrundeliegenden Zeugnisses, das sich in geschichtlicher Form und Sprachgestalt darbiete, philosophische und hermeneutische Methoden heran; sie stelle die menschliche Erscheinung Christi in das Gewebe der geBVerfGE 41, S. 88f. mit LS 1 und 2. mrich Scheuner, Die Kirchen und die Einrichtungen der Wissenschaft, in: Georg Denzler (Hrsg.), Kirche und Staat auf Distanz. Historische und aktuelle Perspektiven. München 1977, S. 207-214. m Ebd.,S.209ff. 170

m

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schichtliehen Daten bereits vom Alten Testament her, sie bediene sich für ihre seelsorgerliehe Arbeit psychologischer Hilfen wie für ihre politische Diakonie der Verbindung zu den Sozialwissenschaften. Das letzte gelte um so mehr, als die kirchliche Tätigkeit sich in besonderem Maße sozialethischen Fragen und Aufgaben zuwende. Das Verhältnis von Kirche und Wissenschaft sei also, zusammengefaßt, trotz der Weltlichkeit der modernen Forschung kein negatives, sondern eines der steten Berührung und Anregung, das durchaus Züge der Gegenseitigkeit trage. Mit Entschiedenheit setzt sich Scheuner für den Fortbestand der Theologischen Fakultäten bzw. Fachbereiche an den staatlichen Universitäten (Gesamthochschulen) ein, deren Existenz zwar ein Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung darstelle, die aber aus dem Zusammenwirken der Theologie mit anderen Wissenschaften auch für die Gegenwart eine Berechtigung erhalte. Die Kritik, die manche Kreise sowie der erste Entwurf des FDP-Papiers zum Verhältnis Staat-Kirche amBestand der Theologischen Fakultäten äußerten, stütze sich nicht allein "auf den theoretisch schon überholten Wissenschaftsbegriff des Positivismus", sondern berufe sich auch auf die Trennung von Staat und Kirche. Diese Auffassungen hielten näherer Betrachtung aber nicht stand. Die vom Grundgesetz geforderte Neutralität des Staates bedeute "nicht laizistische Trennung von Staat und Kirche" und schließe, wie die Anerkennung einer Verbindung im Grundgesetz bei Religionsunterricht und Anstaltsseelsorge zeige, begrenzte Formen institutionellen Zusammenwirkens nicht aus. Außerdem hätten mehrere Länder, denen die Gestaltung der Relation Staat-Kirche zustehe, den Bestand der Theologischen Fakultäten ausdrücklich anerkannt. 173 Aus der besonderen Gebundenheit der theologischen Wissenschaft an die theologisch-dogmatische Lehre der Kirche ergibt sich, wie Scheuner im einzelnen darlegt, das Recht der Kirchen, bei der personellen Besetzung der Stellen der theologischen Lehre mitzuwirken, das bei der evangelischen und der katholischen Kirche verschiedene Formen der Ausgestaltung zeige. Der Grund für diese Berechtigung der Kirchen liege darin, daß der religiös-neutrale Staat über den Inhalt der Lehre der Kirchen keine Bestimmung treffen könne; er überlasse vielmehr deren Festlegung den Kirchen und nehme diese zur Grundlage des Wirkens der Theologischen Fakultäten. 174 Scheuner unterstreicht das besondere Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme, zu dem die beiden Partner Staat und Kirche auf dem Ge173 174

Ebd., S. 211. Ebd., S. 211.

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biete der Theologischen Fakultäten verpflichtet sind, wenn er darauf hinweist, daß man der Erscheinung und Bedeutung der Theologischen Fakultäten nur gerecht werde, wenn man sich das "feine Gewebe der Ideen und Interessen" vor Augen halte, in dem sie stehen. Der Staat bekundet, wie Scheuner ausführt, mit ihrer Einfügung in seinen universitären Bildungsbereich nicht nur seine Offenheit gegenüber den großen geistigen Kräften im Volke, er hat auch ein besonderes Interesse daran, daß die Ausbildung der Amtsträger der Religionsgesellschaften, von denen noch immer ein erheblicher geistiger Einfluß ausgehe, sich im Kontext der allgemeinen Bildungseinrichtungen vollzieht, nicht in kirchlicher Absonderung, und daß die staatliche Gewähr kirchlicher Lehre ihr eine größere Breite und Unabhängigkeit sichere, die der deutschen Theologie in der Welt ein hohes Ansehen verschafft habe. 175 2. Das konfessionell gebundene Staatsamt des Lehrers der Theologie

Einen konkreten Anwendungsfall zu den knappen allgemeinen Ausführungen Scheuners in dem vorgenannten Beitrag "Die Kirchen und die Einrichtungen der Wissenschaft" bildet das von ihm aus Anlaß der konkordatsrechtlichen Beanstandung des Tübinger Theologen Prof. Hans Küng mit Datum vom 30. Januar 1980 dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg erstattete umfangreiche Rechtsgutachten "Die Rechtslage bei konkordatsrechtlicher Beanstandung eines Hochschullehrers der Katholisch-Theologischen Fakultät."176 . Scheuneruntersucht in dieser mit außerordentlicher Sorgfalt abgefaßten Arbeit die Rechtsgrundlagen einer konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen der Universität Tübingen, ferner das Vorliegen einer konkordatsgemäßen Beanstandung, ihre Rechtsfolgen im allgemeinen und einzelnen und schließlich die Frage der rechtlichen Wirkungen der Beanstandung unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes der Amtsstellung und der Lehrfreiheit des Theologen. Scheuner gelangt zu dem Ergebnis, daß ein katholischer Theologe, der von dem zuständigen Diözesanbischof unter Entzug der Missio canonica rechtskräftig beanstandet worden ist, unter Wahrung seiner Beamtenrechte aus der betreffenden Theologischen Ebd., S. 212. Ulrich Scheuner, Rechtsfolgen der konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen. Berlin 1980 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 13). Das Rechtsgutachten ist hier in seinem Text und seinem Anmerkungsteil inhaltlich unverändert veröffentlicht. 11s 176

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Fakultät ausscheiden muß. In der geistigen Durchdringung der gesamten Materie, in der Verwertung der umfangreichen einschlägigen, auch älteren Literatur und nicht zuletzt auch in der vollendeten Form der methodischen und sprachlichen Darstellung ist dieses Rechtsgutachten von Scheuner ein Meisterwerk. Im Sinne der von Scheuner in diesem Gutachten vertretenen Rechtsauffassung wurde später zwischen den Beteiligten eine einvernehmliche Lösung erreicht, nach der Prof. Küng bis zu einer eventuellen Wiedererlangung der kirchlichen Lehrbefugnis aus der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen ausscheidet und sein Lehrstuhl und das damit verbundene Institut für ökumenische Forschung direkt dem Senat der Universität Tübingen unterstellt wurden.177 In einer längeren Leserzuschrift, die in der Ausgabe vom 28. Mai 1980 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Überschrift "Die Lösung im Fall Küng" erschienen ist, nahm Scheuner nochmals zu einigen Fragen der konkordatsrechtlichen Beanstandung im Falle Küng Stellung, da ihm gegenüber verschiedenen Kommentaren, die zu der Regelung des Falles Küng abgegeben worden waren, "berichtigende Klarstellungen" angezeigt erschienen. 178 In dieser Zuschrift wies Scheuner insbesondere darauf hin, daß bei der Lösung des Falles Küng "im ganzen eine den überlieferten rechtlichen Prinzipien entsprechende Lösung erreicht" worden sei. Ferner wandte er sich mit Entschiedenheit gegen Versuche, die Rechtsgrundlage des Reichskonkordats "wenigstens politisch in Frage zu stellen". Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß die Rechtsgeltung dieses Konkordats vom Bundesverfassungsgericht nicht nur in seiner Grundsatzentscheidung von 1957, sondern auch in zahlreichen späteren Entscheidungen, die Bestimmungen des Reichskonkordats anwenden, nicht in Frage gestellt worden sei. Da das Reichskonkordat für die Beanstandungsfälle wie denjenigen von Prof. Küng für diejenigen Länder, die nicht einem Länderkonkordat unterliegen, auf die übereinstimmenden Regelungen der Länderkonkordate verweise, hätten diese Regelungen als Vorbild selbst ohne diese ausdrückliche Bestimmung des Reichskonkordats als Beispiel herangezogen werden müssen. Damit ist, wie Scheuner feststellt, die Rechtsgrundlage für die im Fall Küng erreichte Lösung gesichert.179

Vgl. ebd., Vorwort, S. 5. Ulrich Scheuner, Die Lösung im Fall Küng. Leserzuschrift, in: FAZ, Ausgabe vom Mittwoch, 28. Mai 1980, Nr. 122, S. 9. 179 Ebd. 177 178

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vm. Kirchenvermögensrecht und Kirchensteuer 1. Kirchenvermögensrecht

a) Zu der Frage des Bestandes staatlicher und kommunaler Kirchenbaulasten hat Scheuner im Abstand von vier Jahren in zwei Beiträgen gegen die diesbezügliche Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster und des Bundesverwaltungsgerichts Stellung bezogen. Beide Artikel behandeln inhaltlich den gleichen Gegenstand; der spätere greift die Fragestellung in vertiefender Weise neu auf und berücksichtigt die zwischenzeitlich ergangene weitere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. 180 In dem Beitrag "Fortfall gemeindlicher Kirchenbaulasten durch völlige Änderung der Verhältnisse?" wandte sich Scheuner gegen zwei im Wortlaut der Begründung völlig übereinstimmende Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. 11. 1967. In ihnen hatte dieses Gericht in Übereinstimmung mit der Vorinstanz, dem Oberverwaltungsgericht Münster, in Fällen, die kommunale Kirchenbaulastverpflichtungen betrafen, in seiner Rechtsprechung den Gedanken des "Wegfalls der Verhältnisse als Grund für die Unwirksamkeit von Normen" eingeführt. Scheuner hielt die auf diesem Grundsatz beruhende Rechtsprechung nicht zuletzt auch deshalb für verhängnisvoll, weil die Gerichte begannen, diesen Grundsatz auch bei Streitigkeiten über andere kirchliche Rechtstitel heranzuziehen. So hatte das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung vom 26. 4. 1968 festgestellt, daß das Kirchensteuergesetz im Land Rheinland-Pfalzvom 19. 1. 1950 einen älteren speziellen Rechtstitel für ein gemeindliches Pfarrzusatzgehalt entbehrlich gemacht habe. 181 In einer weiteren Entscheidung vom 23. 4. 1971 hatte das Bundesverwaltungsgericht erneut den Fortbestand einer kommunalen Baulastverpflichtung an einem Kirchengebäude unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls wegen völliger veränderter Umstände verneint.182 180 Ulrich Scheuner, Fortfall gemeindlicher Kirchenbaulasten durch völlige Änderung der Verhältnisse?, in: ZevKR 14 (1968/69), S. 353-361; abgedr. in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 262-271; Ulrich Scheuner, Der Bestand staatlicher und kommunaler Leistungspflichten an die Kirchen (Art. 138 Abs. 2 WRV), in: DIACONIA ET IUS. Festgabe für Heinrich Flatten. München, Paderborn, Wien 1973, S. 381-396; abgedr. auch in: Kirche und Staat in der neueren Entwicklung. Hrsg. von Paul Mikat, Darmstadt 1980 (=Wege der Forschung, Bd. 566), S. 265-286. I 181 Scheuner, Fortfall (Anm. 180), in: Schriften (Anm. 3), S. 263. 182 BVerwGE 38, S. 76 ff.; Scheuner, Der Bestand (Anm. 180), in: Festgabe Flatten (Anm. 180), S. 382.

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Unter Heranziehung der Lehren der deutschen Pandektenwissenschaft weist Scheuner nach, daß "diese neu aufgetretene Lehre" vom Wegfall einer Norm wegen völliger Veränderung der Verhältnisse "auf wenig gesicherten Grundlagen beruht". Hier hätte zunächst zwischen Fällen genauer unterschieden werden müssen, in denen der Wegfall einer Norm, einer Vertragsverpflichtung oder eines Herkommens angenommen werden soll. Auf Gesetze sei die clausula rebus sie stantibus, was kaum eines Nachweises bedürfe, unanwendbar. Sie sei ein Rechtsinstitut des Vertragsrechts, das mit dem Gedanken der vereinbarten Geschäftsgrundlage zusammenhänge. Für Gesetze sei dieser Gedanke nicht anwendbar. Soweit vertraglich begründete Leistungen in Betracht kämen, lasse sich der Gedanke des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und der verwandte der clausula anwenden. Bei einem Herkommen oder einer Observanz hingegen könne es allein auf die desuetudo, die beseitigende Rechtsbildung, ankommen, die ihrerseits wiederum eine engere, in rechtlicher Überzeugung vorgenommene faktische Handhabung voraussetze. 183 In souveräner Kritik am deutschen Staats- und Verwaltungsrecht erklärt Scheuner, daß die in diesem Zusammenhang neuerlich entstandenen Probleme ohne Zweifel darauf zurückzuführen seien, daß es in der deutschen Rechtslehre heute "an einer zureichenden Theorie der Rechtsbildung und des Untergangs von Rechtsakten" fehle, wie sie noch die Pandektenlehre des 19. Jahrhunderts aufgewiesen habe. Es gehöre zu der auffallenden Vernachlässigung der Lehre vom Gesetz und von der Rechtsbildung - nur die richterliche Rechtsfortbildung habe neuerdings eine größere Literatur hervorgerufen -, daß eine Theorie der Veränderung der Gesetzesgeltung und der Entstehung und Beendigung von Gewohnheitsrecht und örtlichen Observanzen im Staats- und Verwaltungsrecht fehle. Unter Hinweis auf die Verwaltungsrechtslehrbücher von Hans Julius Wolf! und Ernst Forsthoff erklärt Scheuner, daß deren Ausführungen, die den Wegfall der Verhältnisse als Beendigungsgrund inderneueren Verwaltungsrechtslehre anerkennten, lediglich die erwähnten Urteile der Verwaltungsgerichtsbarkeit wiedergäben und "sich jeder eigenen Begründung" enthielten. Sie spiegelten "nur das Ungenügen der Doktrin wieder". "Unter diesen Umständen", bemerkt Scheuner abschließend im Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, "wird man es auch de:f Rechtsprechung nachsehen können, daß sie sich in der Auseinandersetzung mit diesen Problemen nicht sicher bewegt hat" .184 183

Scheuner, Der Bestand (Anm. 180), in: Festgabe Flatten (Anm. 180),

184

Ebd., S. 394.

s. 393f.

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Er kritisiert sodann im einzelnen das bereits erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. 4. 1971, in dem dieses Gericht unter Heranziehung des Grundsatzes vom Erlöschen einer gesetzlichen Verpflichtung wegen völliger Veränderung der Verhältnisse erneut die Auffassung vertreten hatte, daß eine kommunale Baulastverpflichtung wegen einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung der konfessionellen Zusammensetzung einer politischen Gemeinde in Fortfall gekommen sei.1B5 Es hat Scheuner mit Genugtuung erfüllt, daß sich das Bundesverwaltungsgericht in einer späteren Entscheidung, jedenfalls grundsätzlich, der von ihm in seiner Kritik vertretenen Auffassung angeschlossen hat. In einer Zusatzanmerkung zu dem Wiederabdruck seines Beitrags "Der Bestand staatlicher und kommunaler Leistungspflichten an die Kirchen (Art. 138 Abs. 2 WRV)" 186 in dem von Paul Mikat 1980 herausgegebenen Sammelband "Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung" weist er "in Ergänzung zu dieser Abhandlung auf die neuere Rechtsprechung" hin und bemerkt, daß die zeitweise vom Oberverwaltungsgericht Münster vertretene Auffassung von der "völligen Veränderung der Verhältnisse" durch die Ausgestaltung der Kirchensteuer zur Deckung kirchlicher Bedürfnisse unter Hinweis auf seinen "kritischen Aufsatz ZevKR 14 (1968/69), S. 366ff. in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. 4. 1973 abgelehnt" worden sei. Lediglich insoweit habe das Gericht an seiner früheren Auffassung festgehalten, als es annehme, daß eine völlige Veränderung der Verhältnisse dann vorliege, wenn sich die konfessionelle Zusammensetzung der baulastpflichtigen Gemeinde "wesentlich geändert" habe. Der Linie des Bundesverwaltungsgerichts sei die Rechtsprechung seither gefolgt. 187 b) Den Beiträgen Scheuners zum Kirchenvermögensrecht im weiteren Sinne ist auch der kurze Artikel zuzurechnen, den er 1956 zu der Thematik "Verfassungsrechtliche Fragen zur Friedhofsgestaltung" veröffentlicht hat. 188 Scheuner behandelt hier den Unterschied zwischen Eigentumsbeschränkung und Begrenzung einer Anstaltsnutzung, ferner das Recht der Friedhofsordnung und schließlich die Rechtsstellung des Grabstelleninhabers. Bei seinen Ausführungen Ebd., S. 395 f. Ebd., S. 381 ff. 187 Scheuner, Der Bestand (Anm. 180), in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat (Anm. 180), S. 286. 188 Ulrich Scheuner, Verfassungsrechtliche Fragen zur Friedhofsgestaltung, in: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e. V. (Hrsg.), Jahrestagung in Erlangen und Nürnberg vom 20.-22. Juni 1956. Kassel, Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmale. V. 1956, S. 76-80. 185 186

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über das Recht der Friedhofsordnung weist er bereits in der Einleitung darauf hin, daß für die Befugnisse des Trägers eines Friedhofs, sei dies die Kirche oder die Gemeinde, heute nicht mehr die ältere Ableitung aus dem Eigentum der Anlage maßgebend ist, sondern die Natur des Friedhofs als öffentlicher Anstalt. 189 2. Kirchensteuer

Zu der Thematik des kirchlichen Besteuerungsrechts, das gegen Ende der sechzigerund zu Anfang der siebziger Jahre wiederholt mit verschiedenen Begründungen in Frage gestellt worden ist, hat sich Scheuner im Rahmen seiner zahlreichen kirchenrechtlichen Veröffentlichungen oft mit kürzeren Bemerkungen geäußert und die Legitimität, die Zeitgemäßheit und die sachliche Allgemessenheit dieses für das deutsche Staatskirchenrecht charakteristischen Systems der Finanzierung der kirchlichen Aufgaben hervorgehoben. 190 Grundsätzlich und thematisch hat sich Scheuner in zwei Beiträgen mit Fragen des Kirchensteuerrechts befaßt. Als Replik auf einen Artikel des Frankfurter Rechtsanwalts Gerhard B. Heinze, der sich in der Zeitschrift für Rechtspolitik für die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Status der Religionsgemeinschaften und die Umwandlung der Kirchensteuer in einen Kirchen- oder Pfarrbeitrag privater Natur ausgesprochen hatte/ 91 vertrat Scheuner mit Entschiedenheit die Notwendigkeit der Beibehaltung des geltenden Kirchensteuersystems und entwickelte im einzelnen dessen Vorzüge für die Kirche und den Staat gegenüber den von Heinze vorgeschlagenen Änderungen. 192 Von Gegnern des bestehenden Kirchensteuerwesens wurde zu Beginn der siebziger Jahre nachhaltig die Verfassungswidrigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs behauptet. Das Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. hatte im November 1969 beschlossen, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob die Vorschrift des § 9 Abs. 2 des Hessischen Kirchensteuergesetzes in der Fassung vom 25. 9. 1968 (GVBL S. 268), die den Kirchenlohnsteuerabzug regelte, gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstoße und deshalb nichtig sei. Im Auftrage der BisEbd., S. 78. Vgl. hierzu im einzelnen die zahlreichen Hinweise im Sachwortregister des Werkes von Ulrich Scheuner, Schriften zum Staatskirchenrecht (Anm. 3), S. 599 unter "Kirchensteuer(recht)", "Kirchensteuersystem". 191 Gerhard B. Heinze, Plädoyer für ein zeit- und verfassungsgemäßes Kirchensteuersystem, in: ZRP 2 (1969), S. 97-99. 192 Ulrich Scheuner, Kirchensteuer und Verfassung, in: ZRP 2 (1969), S. 195 bis 197; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 273-278. 189 190

2 9 Sbd. List!

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tümer und Landeskirchen im Lande Hessen erstatteten die Verfassungsrechtier Axel Frhr. v. Campenhausen, Theodor Maunz, Ulrich Scheuner und Herbert Scholtissek zum Zwecke der Vorlage beim Bundesverfassungsgericht Rechtsgutachten über die Verfassungsmäßigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs. Das umfangreiche Rechtsgutachten, das Scheuner erstattet hat, trägt den Titel "Die Vereinbarkeit des Kirchenlohnsteuerabzugsverfahrens mit dem Grundgesetz" .193 Diese vier Rechtsgutachten haben in der staatskirchenrechtlichen Diskussion klärend gewirkt; sie hatten zur Folge, daß die Piskussion über die Verfassungswidrigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs alsbald abgeebbt ist. IX. Philosophische und theologische Begründung des Rechts

Eine Darstellung des literarischen Oeuvres Scheuners über Staat und Kirche wäre unvollständig, wenn nicht auch seine rechtsphilosophischen und rechtstheologischen Veröffentlichungen erwähnt würden, in denen er sich in den fünfziger Jahren an der intensiven Naturrechtsdiskussion beteiligt hat, die nach der Beendigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der Bundesrepublik einsetzte. Es ging Scheuner hierbei um die Überwindung des Rechtspositivismus und um eine neue Begründung des Rechts im Naturrecht. In dem Beitrag "Zum Problem des Naturrechts nach evangelischer Auffassung" 194 gibt er eine zeitgeschichtlich außerordentlich wertvolle Darstellung der damals im evangelisch geprägten Rechtsdenken zur Frage des Naturrechts vertretenen und vorherrschenden Auffassungen. Er setzt sich mit den Grundtagen der positivistischen Rechtslehre aus193 Veröffentlicht in: Axel Frhr. v. Campenhausen I Theodor Maunz I Ulrich Scheuner I Herbert Scholtissek, Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuer. Vier Rechtsgutachten zur Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit. Berlin 1971 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 2), S. 41-88. Zum Anlaß dieses Rechtsstreits vgl. ebd., Vorwort, S. 5; vgl. zu diesem Verfahren ferner die interessanten Ausführungen bei Axel Frhr. v. Campenhausen, Normenkontrollverfahren und öffentliches Interesse, in: Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag. München 1971, S. 27 ff., 31 ff. -Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs wurde vom Bundesverfassungsgericht entschieden durch Beschluß vom 17. 2. 1977 (Az.: 1 BvR 33176), in: BVerfGE 44, S. 103, und zwar in dem Verfahren gemäß § 93 a Abs. 3 BVerfGG. Hierbei handelte es sich um eine Verfassungsbeschwerde einer GmbH, die vom Vorprüfungsausschuß mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen wurde. 194 Ulrich Scheuner, Zum Problem des Naturrechts nach evangelischer Auffassung, in: Kirche und Recht. Ein vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland veranlaßtes Gespräch über die christliche Begründung des Rechts. Göttingen 1950, S. 27-44; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 375-393.

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einander, zeigt deren Konsequenzen auf und gelangt zu dem Ergebnis: "Dem Recht geht mit dem Verlust des Naturrechts der inhaltliche Maßstab verloren. Der Staat beansprucht nun, das oberste Kriterium über gerecht und ungerecht in seinen Händen zu halten, wiewohl seine Gesetze manchmal nur Ausdruck von Mehrheiten und Parteirichtungen oder von herrschenden Gruppen sein können." 195 Im Unterschied zum katholischen Naturrechtsdenken gelangt Scheuner, der hier weitgehend Jacques Ellul folgt, hinsichtlich der inhaltlichen Aussagen und der Geltung des Naturrechts nicht zur Erkenntnis oberster Gebote und Verbote von absoluter Geltung; die Erkenntnis der naturrechtliehen Gehalte beruht bei ihm vielmehr letztlich auf historischer Erfahrung. Naturrecht ist für ihn ein "historisches Phänomen", der "Ausdruck des menschlichen Strebens nach der Gerechtigkeit". Auch auf diese Weise aber gewinne es gegenüber dem positiven Recht eine unabhängige, tiefere Begründung. Nach diesem Verständnis ist das Naturrecht "als eine jeder Epoche gegebene geschichtliche Möglichkeit der Aufstellung allgemeiner Sätze aufzufassen, die keine absolute Geltung beanspruchen können, in denen aber nach menschlichem Streben, soweit wie möglich, eine - im theologischen Sinne unvollkommene- Vorstellung von der Gerechtigkeit zur Geltung" komme. Naturrecht weist danach zurück "auf eine transzendente Ordnung", ist aber "nur ein relativer Ansatz jeder Zeitepoche, ihr gerecht zu werden". 196 Vom katholischen Naturrechtsdenken unterscheidet sich die hier wiedergegebene Auffassung Scheuners zwar im philosophischen Denkansatz, wohl kaum aber in den in der konkreten Situation gefundenen Ergebnissen, da auch nach katholischem Verständnis das Naturrecht keineswegs der Mühe enthoben ist, die absolut geltenden obersten Rechtssätze auf die jeweilige geschichtliche Epoche anzuwenden, und auch nach katholischer Auffassung das Naturrecht insoweit zutiefst geschichtlich ist. Für das von Heinz Brunotte und Otto Weber herausgegebene Evangelische Kirchenlexikon hat Scheuner zwei einander ergänzende Beiträge über die Frage der Möglichkeit einer theologischen Fundierung des Rechts 197 und über Rechtsphilosophie 198 verfaßt. Ebd., in: Schriften (Anm. 3), S. 386. Ebd., S. 392. 197 Ulrich Scheuner, Artikel: Recht. II. Theologische Begründung des Rechts, in: Evangelisches Kirchenlexikon. Kirchlich-Theologisches Handwörterbuch. Hrsg. von Heinz Brunotte u. Otto Weber. Bd. 3, Göttingen 1959, Sp. 460-464. 198 Ulrich Scheuner, Artikel: Recht III. Rechtsphilosophie, ebd., Sp. 465 bis 195 196

471.

29*

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Das evangelische Staatsverständnis und den grundlegenden Wandel, der im evangelischen Denken bezüglich der früheren, in starkem Maße von Obrigkeitsdenken geprägten Staatsvorstellungen seit dem Kirchenkampf des Dritten Reiches zu verzeichnen ist, hat Scheuner in dem Beitrag "Begriff und Entwicklung des Rechtsstaats" behandelt. 199 Ein Eintreten dafür, schreibt er, daß staatliches Zusammenleben eine rechte Form gewinnt und eine der Zeit entsprechende, für alle gerechte Ordnung aufrichtet, kann sehr wohl Beruf und Amt des Christenmenschen in dieser Welt sein. Ein Staat, der nicht im eigentlichen Sinne ein Rechtsstaat sei, höre nicht auf, eine Obrigkeit nach Römer 13 zu sein. Auf der anderen Seite könne es einen Dienst im Rahmen der von Gott für dieses Zeitalter gesetzten Institutionen bedeuten, "sie nicht nur passiv hinzunehmen, sondern in ihnen zu seinem .Teile für die Erfüllung der Gebote der Gerechtigkeit und des Rechts einzutreten". 200 Mit der Thematik dieses Beitrags berühren sich auch die Abhandlungen Scheuners aus den fünfziger Jahren "Recht und Gerechtigkeit in der deutschen Rechtslehre der Gegenwart" 201 und "Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Familienrechtsreform". 202 X. Evangelisches Kirchenrecht In einer Reihe von Publikationen hat Scheuner Einzelfragen des evangelischen Kirchenrechts behandelt, die ihn als Kenner sowohl der rechtstheologischen Grundlagen als auch ganz besonders der praktischen Probleme der Kirchenordnungen und der kirchlichen Verwaltung ausweisen.

199 Ulrich Scheuner, Begriff und Entwicklung des Rechtsstaats, in: Macht und Recht. Beiträge zur lutherischen Staatslehre der Gegenwart. Hrsg. von Hans Dombois u. Erwin Wilkens. Berlin 1956, S. 76-88; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 395-410. 200 Ebd., in: Schriften (Anm. 3), S. 408 f. 2o1 Ulrich Scheuner, Recht und Gerechtigkeit in der deutschen Rechtslehre der Gegenwart, in: Hans Dombois (Hrsg.), Recht und Institution. Eine Fortsetzung des Göttinger Gesprächs von 1949 über die christliche Begründung des Rechts. Witten 1956, S. 34-54. 2o2 Ulrich Scheuner, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Familienrechtsreform, in: Hans Dombois u. Friedrich Karl Schumann, Familienrechtsreform. Dokumente und Abhandlungen. Witten/Ruhr 1955, S. 42-56 (= Glaube und Forschung. Veröffentlichung des Christopherusstiftes in Hemer, Bd. 8).

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1. Rechtstheologische Grundlagen

Fragen der Grundlagenproblematik des evangelischen Kirchenrechts behandelt Scheuner in den beiden einander korrespondierenden und ergänzenden umfangreichen Besprechungsaufsätzen zu den Kirchenrechtslehrbüchern von Erik Wolf 03 und Hans Dombois. 204 Bei der Rezension des Buches von Erik Wolf weist er einleitend auf die tiefe Zäsur des Kirchenkampfes hin, die im Gegensatz zu einem Rechtsverständnis, wie es von Rudolph Sohm und zum Teil auch noch von Günther Holstein während der Weimarer Zeit vertreten worden ist, die Wendung zu einer Auffassung vom Kirchenrecht gebracht habe, die es entscheidend unter die Forderung einer rechtstheologischen Grundlegung, d. h. "einer Einordnung der kirchenrechtlichen Begriffsbildung und Aussage auf das Ganze des Lebens der Kirche und ihre Lehre und ihr Bekenntnis", stelle. 205 Scheuner konstatiert, daß Erik Wolf in seiner in starkem Maße dem reformierten Bekenntnis zuneigenden Darstellung des evangelischen Kirchenrechts die von ihm erhobene Forderung rechtstheologischer Fundierung "in hohem Maße gelungen" ist. Im einzelnen setzt er hinter viele Aussagen dieses Lehrbuchs von Erik Wolf, insbesondere bei den Ausführungen über das Verhältnis von Lehre und Kirchenleitung, ein Fragezeichen und beschließt seine lange Rezension mit dem Bemerken, daß ein Werk, das so stark von einer bestimmten rechtstheologischen Haltung geprägt sei, Diskussionen hervorrufen und auch kritischen Einwänden begegnen werde; davon lege nicht nur seine eigene Besprechung Zeugnis ab, dies werde auch die Zukunft erweisen. 206 Auch das ebenso bedeutende wie umfangreiche Kirchenrechtsbuch von Dombois erfährt durch Scheuner eine teils zustimmende, teils aber auch sehr kritische Würdigung. Es handelt sich bei diesem Werk, wie Scheuner anmerkt, um keine Darstellung des evangelischen Kirchenrechtsanhand des geltenden Rechts. Vielmehr bildeten seinen Gegenstand die Grundprobleme des Kirchenrechts, erarbeitet in ihren theologischen Bezügen aufgrund eines die historische Entwicklung über203 Ulrich Scheuner, Erik Wolf, Ordnung der Kirche, in: ZevKR 10 (1963/64), S. 46-60 (= Rezension des Buches: Erik Wolf, Ordnung der Kirche. Lehr- und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis. Frankfurt/Main: Vittorio Klostermann 1961, XVIII, 832 S.). 204 Ulrich Scheuner, Hans Dombois, Das Recht der Gnade, in: ZevKR 10 (1963/64), S. 61-74 (=Rezension des Buches: Hans Dombois, Das Recht der Gnade. Ökumenisches Kirchenrecht I. Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft. Hrsg. von G. Bowe. Bd. 20, Witten: Luther-Verlag 1961, 1061 S.). 205 Scheuner, Erik Wolf (Anm. 203), S. 48. 2os Ebd., S. 60.

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schauenden Ausblicks. Auch Dombois nehme die Forderung der neuen Lehre nach einer rechtstheologischen Begründung des Kirchenrechts in vollem Umfang in nahem Anschluß an die Auffassung von Karl Barth an. 207 Der Rechtsbegriff von Dombois setze das Kirchenrecht zum existentiellen Sein der Kirche in engste Beziehung. Dombois verstehe daher das Kirchenrecht im Unterschied zu einem rational geformten Gerechtigkeitsrecht "als ein personales Recht der Gnade", das als Rechtstypus in persönlichen Bezügen und institutionellen Vorgängen wurzele. Die Gegenüberstellung der beiden Rechtsstrukturen des Gnadenrechts und des Gerechtigkeitsrechts bildeten einen zentralen Ansatz des Buches, mit denen der Verfasser die besondere Natur des Kirchenrechts zu veranschaulichen unternehme. Dombois behandle in diesem Band nur die gottesdienstlichen Vorgänge und die sakramentalen Bezüge, die er zusammenfassend als "liturgisches Recht" bezeichne. Liturgisches Recht besage demnach, weit über die Feststellung einer Entsprechung gottesdienstlicher Ordnung und rechtlicher Gestaltung hinaus, eine rechtliche Deutung auch der wesentlichen Glaubensvorgänge in der Kirche und den Aufbau des rechtlichen Denkens von ihnen aus. Ausführlich erörtert Dombois den Rechtsbegriff des Kirchenrechts, die Natur dieses Rechts als liturgisches und bekennendes Recht und sein Verhältnis zum Recht der Welt. Darüber hinaus greift er eine Reihe grundlegender institutioneller Themen auf: das Priestertum der Gläubigen, Verkündigung und Sakrament, Bekenntnis, Taufe, Ordination, Ehe. In ihnen erblickt Dombois die Mitte kirchlicher Existenz. Daher stehen die in ihnen sich ausprägenden Rechtsvorstellungen im Mittelpunkt des Kirchenrechts. Die Verfassungsfragen und die Behandlung der äußeren Leitung der Kirche bleiben dem (1974 erschienenen und erheblich weniger umfangreichen) zweiten Band des Werkes über die Grundlagen und Grundfragen der Kirchenverfassung vorbehalten. 208 Scheuner kritisiert die von Dombois vorgenommene Beschränkung des Kirchenrechts auf die personalen Bezüge und verweist auf den von Dombois ausgeklammerten bzw. nicht zur Kenntnis genommenen historischen Entwicklungsgang kirchlicher Rechtsbildung, den die Aufweisung "fundamentaler personhafter Bezüge bei Dornhais" nicht aufheben könne. Das Kirchenrecht habe in seiner historischen Entwicklung "in weitem Umfang auch Elemente eines rationalen Rechtsdenkens" in sich aufgenommen. Scheuner wendet sich dagegen, daß Dombois "ganz allgemein" gegen eine "antik-scholastische Tradition" Stellung bezieht. Wenn in dem Werk von Dombois "vor allem immer 207

Scheuner, Hans Dombois (Anrn. 204), S. 61.

2oa Ebd., S. 63 f.

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wieder rationale Elemente der Rechtsgestaltung" zurückgewiesen würden, so werde übersehen, daß sich "auch das kirchliche Recht in langer Zeit und im Zusammenhang mit einem sich wandelnden Rechtsbewußtsein ausgeformt" habe. Es habe "etwa über die stiftungsmäßigen Elemente hinaus korporative Züge angenommen, ohne die die Mitgliedschaft gesonderter Kirchenkörper kaum zu handhaben wäre"; es habe selbst in die sakramentalen Vorgänge die "Rationalität der Nichtigkeitslehre" eingeführt. 209 Dieser Prozeß der Weiterentwicklung könne doch wohl nicht so allgemein, wie dies bei Dombois geschehe, "unter ein negatives Vorzeichen" gesetzt werden. Die "verneinende Haltung gegenüber Antike und Scholastik" (womit dann im weiteren auch die auf ihr aufbauende Rationalität der neuen Naturrechtsepoche umschlossen sei) entspreche Überlieferungen, die im deutschen Denken immer wieder aufträten und "zu jenem weiten Bereich des antirömischen Affekts" gehörten, "demgegenüber auch rechtstheologisch größte Zurückhaltung" geboten erscheine. 210 In einem späteren Beitrag hat Scheuner die rechtstheologischen Untersuchungen von Hans Dombois aus Anlaß von dessen 70. Geburtstag im Zusammenhang und mit hoher Anerkennung gewürdigt. 211 2. Die Organisationsstruktur der evangelischen Kirche

Für das im Jahr 1975 erschienene Handbuch der deutschen Außenpolitik hat Scheuner, der selten eine Bitte um einen Beitrag abgelehnt hat, eine kurzgefaßte Darstellung der Organisationsstruktur der Evangelischen Kirche in Deutschland verlaßt. 212 3. Ordnung und Verwaltung der Kirche

Aufgrund seiner langjährigen Mitgliedschaft in der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland, an deren Sitzungen er regelmäßig teilnahm, und seiner Mitgliedschaft in verschiedenen Kommissionen und Gremien der evangelischen Kirche hatteScheunereine unEbd., S. 66. Ebd., S. 67. 2n Ulrich Scheuner, Zur Rechtstheologie von Hans Dombois, in: ZevKR 23 (1978), s. 1-7. 212 Ulrich Scheuner, Die Evangelische Kirche, in: Handbuch der deutschen Außenpolitik. Hrsg. von Hans-Peter Schwarz. München, Zürich 1975, S. 224 bis 229. 209 21o

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mittelbare Anschauung und Erfahrung der Ordnungen und auch der Verwaltung verschiedener evangelischer Landeskirchen. Auch die Entstehungsgeschichte und die historische Entwicklung der Kirchenordnungen, insbesondere derjenigen im ehemaligen Preußen, war ihm vertraut. Dies zeigt der auf intensiven historischen Studien beruhende und auch ein reiches theologisches Material verarbeitende Beitrag, den Scheuner 1968 aus Anlaß des vierhundertjährigen Jubiläums des Weseler Konvents veröffentlicht hat. 213 Scheuner zeigt darin im einzelnen, daß die Besonderheiten der Rheinischen Kirchenordnung und die der westfälischen Regelung, die sie etwas schwächer zur Geltung bringe, ihren Grund in der Geschichte der protestantischen Gemeinden im Nordwesten· des alten Reiches haben, einer Geschichte, an deren Anfängen der Konvent zu Wesel von 1568 und die Synode zu Emden von 1571 stehen. 214 Nur in einem einzigen Beitrag hat Scheuner die in den letzten Jahren auch im Bereich des katholischen Kirchenrechts lebhaft erörterte Frage der Geltung von Grundrechten im innerkirchlichen Bereich behandelt, und zwar in dem nur in französischer Sprache erschienenen Artikel "Les droits de l'homme a l'interieur des Eglises protestantes". Dieser Artikel gibt einen Vortrag wieder, den Scheuner im Frühjahr 1976 in Straßburg gehalten hat. 215 Scheuner weist in diesem Beitrag einleitend darauf hin, daß das Zeitalter der Reformation Grundrechte nicht gekannt habe. Hinsichtlich der Geltung innerkirchlicher Grundrechte bekennt er sich zu der Auffassung, daß die staatlichen Grundrechte nicht ohne weiteres von den Kirchen in ihren Bereich übernommen werden können. Die Kirchen seien vielmehr aufgerufen, einen eigenen Katalog der Rechte der Gläubigen zu entwickeln, die auf der Liebe zum Nächsten beruhen und die Pflichten des Christen gegenüber seiner Kirche zum Gegenstand haben. 216 Als feinsinniger Kenner der gegenwärtigen Situation der deutschen evangelischen Landeskirchen erweist sich Scheuner in seinem detaillierten Beitrag zu der Frage, wie heute eine Landeskirche geordnet werden soll. 217 213 Ulrich Scheuner, Die Beschlüsse des Weseler Konvents in ihrer Auswirkung auf die Entwicklung der Kirchenordnung in Rheinland-Westfalen, in: Weseler Konvent 1568-1968. Eine Jubiläumsschrift. Düsseldorf 1968, S. 163-191 (= Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Nr. 29); abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 521-550. 214 Ebd., in: Schriften (Anm. 3), S. 522. 215 Ulrich Scheuner, Les droits de l'homme a l'interieur des Eglises protestantes, in: Revue d'Histoire et de Philosophie religieuses (Paris, Presses Universitaires de France) 1978, S. 379-397. 21s Ebd., S. 387 ff.

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Gleiches gilt von seinem Festvortrag "Der Dienst in der kirchlichen Verwaltung", den er 1968 zur Hundertjahrfeier des Landeskirchenamts in Kiel gehalten hat. 218 Er betont in diesem Vortrag die Einheit des kirchlichen Geschehens in der engen Verbundenheit aller Dienste der Kirche untereinander, den starken geistlichen Bezug, der auch der Arbeit der kirchlichen Verwaltung innewohne, und die Unmöglichkeit, zwischen Leitung und Verwaltung im kirchlichen Ordnungsbereich eine scharfe Grenze zu ziehen. 219 Ein Zeugnis und ein Beweis für das persönliche Engagement und die intensive Mitarbeit Scheuners in den Gremien der Evangelischen Kirche im Rheinland ist sein Beitrag über "Grundfragen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit". 220 In einer einleitenden Anmerkung zu dieser Abhandlung erklärt er, daß es sich bei der nachfolgenden kurzen Untersuchung um eine Stellungnahme im Rahmen der Überlegungen handle, zu denen in der Evangelischen Kirche im Rheinland der Beschluß der Landessynode in Rengsdorf vom 9. 1. 1958 Anlaß gegeben habe, der Synode möge durch den ständigen Kirchenordnungsausschuß ein Entwurf vorgelegt werden, der die Nachprüfung kirchlicher Verwaltungshandlungen in bestimmten Fällen betrifft. 221 An zahlreichen Stellen seiner kirchenrechtlichen Schriften hat sich Scheuner in kürzeren Äußerungen mit Fragen des kirchlichen und geistlichen Amts befaßt. Dieser Thematik gelten auch die beiden Veröffentlichungen "Amt und Demokratie" 222 und die aus aktuellem Anlaß erstattete kurze gutachterliehe Stellungnahme "Sinn und Auslegung des § 34 des Pfarrerdienstgesetzes der Evangelischen Kirche im Rheinland. Zur Problematik der politischen Betätigung der Pfarrer"223.

217 Ulrich Scheuner, Wie soll eine Landeskirche geordnet werden? Überlegungen zur landeskirchlichen Situation, in: Zeitwende. Die Neue Furche, 38. Jg. (1967), S. 366-390; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 469-495. 21s Ulrich Scheuner, Der Dienst in der kirchlichen Verwaltung. Festvortrag zur Hundertjahrfeier des Landeskirchenamtes in Kiel am 28. Mai 1968. Kiel 1968, S. 7-27; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 497-520. 219 Ebd., in: Schriften (Anm. 3), S. 441. 220 Ulrich Scheuner, Grundfragen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: ZevKR 6 (1957/58), S. 337-364; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), s. 441-467. 221 Ebd., in: Schriften (Anm. 3), S. 441. 222 Ulrich Scheuner, Amt und Demokratie, in: Georg Lanzenstiel (Hrsg.), Amt und Demokratie. Vorträge, gehalten auf der Tagung evangelischer Juristen 1970. München 1971, S. 9-42. Über das Amt im kirchlichen Bereich handelt Scheuner hier aufS. 36-42.

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XI. Rechtsfragen der Ökumene und des Ökumenischen Rates der Kirchen Mit den Aufgaben und der Arbeitsweil;e, aber auch mit den Schwierigkeiten des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf war Scheuner aufgrundseiner Tätigkeit im Ausschuß für Internationale Angelegenheiten- Commission of the Churches on International Affairs (CCIA)dieser Organisation auch durch eine längerjährige praktische Erfahrung vertraut. Von 1968-1971 war er Vorsitzender des Ausschusses für Internationale Angelegenheiten. Die Erkenntnisse und Erfahrungen, die Scheuner in der Zeit seiner Tätigkeit in Genf gewonnen hat, boten ihm Anlaß zu verschiedentliehen Veröffentlichungen. Dies gilt von den beiden einander ergänzenden und sich inhaltlich zum Teil überschneidenden Beiträgen über die rechtliche Stellung des Ökumenischen Rates 224 und die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen. 225 Der Ökumenische Rat ist, wie Scheuner darlegt, nicht ein organisatorischer Ausdruck der universalen Kirche, sondern seinem Wesen nach vielmehr "eine geistliche Gemeinschaft der Kirchen, die vom Streben nach der Herstellung universaler Einheit getragen wird". 226 Eine der Aufgaben, die dem Ökumenischen Rat gestellt sind, besteht in dem Eintreten für den Schutz und die weltweite Anerkennung der Menschenrechte. Zu dieser Thematik hat Scheuner die beiden Beiträge "Die Menschenrechte in der ökumenischen Diskussion" 227 und "Konsultation des Ökumenischen Rates der Kirchen über Menschenrechte"228 verfaßt. 223 Diese gutachtliche Stellungnahme ist abgedruckt in: Handreichung für die Mitglieder der Landessynode und der Kreissynoden in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Nr. 26, Düsseldorf 1972, S. 9-19. 224 Ulrich Scheuner, Die Stellung des Ökumenischen Rats im internationalen Leben, in: Zeugnis und Dienst im Spannungsfeld der Zeit. Beiträge aus der Evangelischen Kirche der Union zum 60. Geburtstag von Franz-Reinhold Hildebrandt. Hrsg. von Oskar Söhngen und Günter Heidtmann. Beihefte der Evangelischen Kirchenzeitung "Kirche in der Zeit", Düsseldorf 1966, S. 44-51; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 553-562. 22s Ulrich Scheuner, Die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen, in: ZevKR 21 (1976), s. 351-379. 22s Ebd., S. 362 f. 227 Ulrich Scheuner, Die Menschenrechte in der ökumenischen Diskussion, in: Ökumenische Rundschau, 24. Jg. (1975), S. 162-164. 22s Ulrich Scheuner, Konsultation des Ökumenischen Rats über Menschenrechte, in: ZevKR 20 (1975), S. 113-116. Hierbei handelt es sich um einen Tagungsbericht über die Konsultation, die die Kommission für Internationale Angelegenheiten des Ökumenischen Rats der Kirchen vom 21.-26. Oktober 1974 in

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Zwei weitere Beiträge über ökumenische Fragen, die Scheuner noch in seinem letzten Lebensjahr veröffentlicht hat, behandeln die ökumenische Zusammenarbeit der Kirchen auf dem Gebiete der Sozialethik229 und das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem Weltrat der Kirchen. 230 XD. Der Auftrag der Kirche und der Christen in der Welt von heute Ein reichhaltiges Schrifttum hatScheunerauch zu dem Bereich verfaßt, der mit dem Begriff "Christliche Soziallehre", verstanden im weitesten Sinne dieses Begriffs, oder mit der Formel "Der Auftrag der Kirche und der Christen in der Welt von heute" umschrieben werden kann. 1. Die Aufgaben der Kirchen und der Christen in der internationalen Gemeinschaft

Da sich die Interessen Scheuners und sein geistiger Gesichtskreis keineswegs auf die Verfolgung der Rechtsentwicklung und die Beobachtung der Vorgänge in der Bundesrepublik beschränkten, sondern stets- in Staat und Kirche- auch dem internationalen Bereich und der völkerrechtlichen Entwicklung zugewandt waren, wurde er recht häufig gebeten, zu Rechtsfragen und Problemen der internationalen Ordnung Stellung zu nehmen. Beiträge hierzu hat er in den verschiedensten Publikationsorganen veröffentlicht. In diesen Zusammenhang gehören die Abhandlungen über die christliche Kirche und die internationale Ordnung231 , die Verantwortung der Kirche in internationalen Angelegenheiten232 , die Ursachen von Konflikten und Kriegen 233 , die St. Pölten zum Thema "Menschenrechte und christliche Verantwortung" veranstaltet hat. 229 Ulrich Scheuner, Ökumenische Zusammenarbeit in Fragen der christlichen Sozialethik. Probleme ihrer Struktur und Methode, in: Ökumenische Rundschau, 30. Jg. (1981), S. 234-259. 230 Ulrich Scheuner, Die katholische Kirche und der Weltrat der Kirchen, in: Katholische Nachrichten-Agentur. Ökumenische Information, Nr. 34 vom 20. August 1980, S. 5-9. 231 Ulrich Scheuner, Christliche Kirche und internationale Ordnung, in: Einheit der Kirche -Einheit der Menschheit. Perspektiven aus Theologie, Ethik und Völkerrecht. Mit Beiträgen von Franz Böckle, Otto Hermann Pesch, Karl Rahner, Ulrich Scheuner. Hrsg. von Otto Hermann Pesch. Freiburg i. Br. 1978, s. 100-132. 232 Ulrich Scheuner, Die Verantwortung der Kirche in internationalen Angelegenheiten, in: Kirche im Spannungsfeld der Politik. FS für Bischof D. Her-

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

Verantwortung der Christen für die internationale Ordnung der Gegenwart23\ den Öffentlichkeitsauftrag der Kirche in ökumenischer Sicht235 , die grundlegenden völkerrechtlichen und sozialethischen Probleme in der sich' wandelnden völkerrechtlichen Ordnung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 236 und die christliche Verantwortung gegenüber den im Gefolge der Entkolonialisierung in der Dritten Welt neu entstandenen Staaten. 237 Am Ende dieses letztgenannten Beitrags zieht Scheuner aus seinen Ausführungen folgende zwei Folgerungen:

a) Er bezeichnet es als sehr wünschenswert, daß sich in den deutschen Landeskirchen und Gemeinden der Blick immer wieder auch hinaus auf die weiteren Fragen richtet, vor die sich die Christenheit insgesamt gestellt sieht, d. h. auf die Fragen, die geeignet sein sollten, über manches partikulare Beharren hinweg zu helfen und den Willen zu missionarischer Verkündigung zu stärken, "der hierzulande in einer nur mehr dem Äußeren nach umfassenden Volkskirche auch unter uns selbst vonnöten sein möchte". b) Den deutschen Menschen aber, betont Scheuner, vor allem den jüngeren unter ihnen, könnte aus diesen Zusammenhängen deutlich werden, welche außerordentlich weiten und großen Aufgaben sich hier für diejenigen Angehörigen der westlichen Völker eröffnen, die bereit sind, Aufgaben der Ausbildung, der technischen Anleitung oder der sozialen Hilfe in denjenigen Staaten und Gebieten zu übernehmen, in denen den europäischen Völkernkraft ihrer technischen und sozialen Lage derartige Aufgaben zufallen. 238 mann Kunst D.D. zum 70. Geburtstag am 21. Januar 1977. Hrsg. von Paul Collmer, Hermann Kalinna, Lotbar Wiedemann. Göttingen 1977, S. 249 bis 260. 233 Ulrich Scheuner, Ursachen von Konflikten und Kriegen aus der Sicht des Völkerrechts, in: Alternativen zum Konflikt. Genf 1970, S. 75-88 (=Studien des Ökumenischen Rates, Nr. 8). 234 Ulrich Scheuner, Sozialethische Fragen zur internationalen Ordnung der Gegenwart. Referat, gehalten bei der Tagung "Die Rechtsprobleme der Zeit und die Botschaft der Kirche" vom 23.-26. Oktober 1973 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar, in: ANSTÖSSE. Berichte aus der Arbeit der Evangelischen Akademie Hofgeismar. Nr. 2/3 (Mai) 1964, S. 100-107. 235 Ulrich Scheuner, Internationale Angelegenheiten, in: Ökumenische Rundschau, 11. Jg. (1962), S. 65-74. 236 Ulrich Scheuner, Grundfragen der internationalen Gemeinschaft in einer Zeit des Übergangs, in: ZEE 2 (1958), S. 257-270. 237 Ulrich Scheuner, Christliche Verantwortung gegenüber den neuen Mitgliedern der Staatengemeinschaft, in: Ökumenische Rundschau, 13. Jg. (1964), S. 312-323. 238 Ebd., S. 322.

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2. Der Schutz der Menschenrechte

Zur Frage des Schutzes der Menschenrechte im allgemeinen, insbesondere durch internationale Konventionen, hat Scheuner in seinen völkerrechtlichen Veröffentlichungen zahlreiche Abhandlungen verfaßt. Im Kontext dieser Darstellung sind davon nur diejenigen zu nennen, in denen er dieses Anliegen als eine in besonderem Maße den Christen obliegende Aufgabe bezeichnet. Hierzu zählt der bedeutsame ideengeschichtliche Beitrag "Menschenrechte und christliche Existenz"239, ferner sein Aufsatz zum Jahr der Menschenrechte 1968240 und die informative Darstellung der rechtlichen Bedeutung der Schlußakte von Helsinki vom 1. 8. 1975für den Schutz der Menschenrechte.241 3. Die Sicherung des Friedens in der Welt

Auch Fragen der Notwendigkeit der Kriegsverhütung hat Scheuner in seinen völkerrechtlichen Abhandlungen wiederholt behandelt. Als besondere Pflicht der Christen bezeichnet er die Sicherung des Friedens in seinem Bericht über die Tätigkeit der Sektion IV der Vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen Uppsala 4.-20. Juli 1968, der die Thematik "Auf dem Wege iu Gerechtigkeit und Frieden in internationalen Angelegenheiten" zugewiesen war, 242 ferner in dem Beitrag über die Aufgabe der Christen bei der Sicherung des Frieden243 und in dem nur in englischer Sprache erschienenen Artikel über die Christen und das Problem des Friedens in der Welt. 244 239 Ulrich Scheuner, Menschenrechte und christliche Existenz, in: Verantwortung für den Menschen. Beiträge zur gesellschaftlichen Problematik der Gegenwart. Hrsg. von Friedrich Karrenberg u. Joachim Beckmann. Stuttgart 1967, S. 112-124; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 424-437. 240 Ulrich Scheuner, Zum Jahr der Menschenrechte, in: Lutherische Monatshefte, 7. Jg. (1968), S. 616-619. 241 Ulrich Scheuner, Die Schlußakte von Helsinki vom 1. 8. 1975 und der Schutz der Menschenrechte, in: Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Internationale FS für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Peter Fischer, Heribert Franz Köck, Alfred Verdross. Berlin 1980, S. 163-185. 242 Ulrich Scheuner, Christliche Verantwortung in einer Welt des Unfriedens und der Spannung. Bemerkungen zu Sektion IV, in: Ökumenische Rundschau, 18. Jg. (1969), s. 95-109. 243 Ulrich Scheuner, Die Aufgabe der Christen bei der Friedenssicherung in der Welt, in: Die Christenheit und der Weltfriede. Hrsg. vom Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr. Bonn-Bad Godesberg 1976, S. 27-51 (=Beiträge aus der evangelischen Militärseelsorge. H. 20- Dezember 1976). 244 Ulrich Scheuner, Christians and the Problems of Peace in the World, in: Universitas. A German Review of the Arts and Sciences. Quarterly English Language Edition, 22. Jg. (1980), S. 279-285.

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts 4. Kirche und Entwicklungspolitik

In mehreren Veröffentlichungen hat Scheuner die besondere Verpflichtung der Christen zur Mitwirkung bei der Bewältigung der sozialen Spannungen in den einzelnen Staaten und im zwischenstaatlichen Bereich hervorgehoben. Dies gilt von seinen Ausführungen über die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit durch eine aktive Entwicklungspolitik245, ferner von dem auf seinen Genfer Erfahrungen beruhenden wohlabgewogenen Artikel über das Problem der Zulässigkeit der Anwendung von Gewalt zum Zwecke der Herbeiführung sozialer Veränderungen, in dem er ausführt, daß die Ausübung eines aktiven Widerstandsrechts gegen bedrängende politische Macht "nur das äußerste Mittel sein" könne, nachdem die Aussicht, "auf legalem Wege Abhilfe zu erlangen, geschwunden ist oder an der Natur des oppressiven Regiments scheitert" 246 , und schließlich von dem Beitrag über die Zukunftsfragen der Menschheit als internationale Aufgaben. 247 5. Die Stellung und der Auftrag der Kirche im freiheitlichen Rechtsstaat

In mehreren Beiträgen hat Scheuner von der Stellung und den Aufgaben der Kirche im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat gehandelt. Den Artikel "Staat" hat er bezeichnenderweise sowohl für das Evangelische Soziallexikon248 als auch für die 2. Auflage des Katholischen Soziallexikons verlaßt; er hat darin jeweils auf die Komplexität des modernen Staates und auf die ethischen Grundlagen der freiheitlichen rechtsstaatliehen Demokratie hingewiesen. 249 Daß die Kirchen als "die Gemeinde ihres Herrn" mit den wirtschaftlich-sozialen Interessen dienenden Gruppierungen im Staat "nicht in einem genannt worden können", hat Scheuner in seinem bedeutsamen 245 Ulrich Scheuner, Aktive Entwicklungspolitik und soziale Gerechtigkeit, in: Lutherische Monatshefte, 7. Jg. (1968), S. 446-470. 246 Ulrich Scheuner, Das Problem der Gewalt und der gewaltsamen sozialen Veränderung der ökumenischen Diskussion, in: Ökumenische Rundschau, 20. Jg. (1971), S. 126-139; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 563 bis 577. 247 Ulrich Scheuner, Die Zukunftsfragen des menschlichen Daseins als internationale Aufgaben, in: Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, 34. Jg. (1979), S. 785-794. 248 Ulrich Scheuner, Artikel: Staat (1. rechtlich und politisch), in: Ev. Soziallexikon (Anm. 122). 7. Aufl. 1980, Sp. 1248-1255. 249 Ulrich Scheuner, Artikel: Staat, in: Katholisches Soziallexikon. Hrsg. von Alfred Klose, Wolfgang Mantl, Valentin Zsifkovits. 2. Aufl., lnnsbruck, Wien, München u. Graz, Wien, Köln 1980, Sp. 2874-2894. Zum Staatsverständnis Scheuners vgl. auch Schlaich, Von der Notwendigkeit des Staates (Anm. 2), s. 5ff.

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Beitrag über den Staat und die intermediären Kräfte und Gruppierungen, ebenso wie übrigens auch an zahlreichen anderen Stellen seiner staatskirchenrechtlichen Schriften, nachdrücklich hervorgehoben. 250 Es ging ihm dabei darum, den wesensmäßigen Unterschied zwischen der Kirche und allen übrigen Verbänden, Vereinigungen und Organisationen innerhalb der freiheitlichen Demokratie, deren Gesellschaft er frühzeitig als "Gruppengesellschaft" diagnostiziert hat, herauszustellen. Die Aufgaben der Kirchen und der Christen in der freiheitlichen Demokratie bilden auch den Gegenstand seiner beiden Abhandlungen über die Verantwortung der Kirche in der Demokratie251 und über den Rechtsstaat als Angebot und Aufgabe. 252 Zu den Aufgaben, denen sich die Kirchen und die Christen im freiheitlichen Staat gegenübersehen, gehört auch das Bemühen um ein ausgewogenes Rundfunk- und Fernsehprogramm und um die Verbreitung christlicher Wertvorstellungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramm. Diese Problematik hat Scheuner in Vorträgen und in Rechtsgutachten wiederholt aufgegriffen und behandelt. 253 Xlll. Zusammenfassende Würdigung

Das literarische Werk Ulrich Scheuners zum Staatskirchenrecht beeindruckt gleichermaßen durch die breite und umfassende Erörterung aller einschlägigen Fragestellungen und Probleme wie durch den 250 Ulrich Scheuner, Der Staat und die intermediären Kräfte, in: ZEE 1 (1957), S. 30-39; abgedr. auch in: ders., Schriften (Anm. 3), S. 411-421; die zitierte Stelle ebd., S. 419. 251 Ulrich Scheuner, Die Verantwortung der Kirche in der Demokratie, in: Die Mitarbeit. Evangelische Monatshefte zur Gesellschaftspolitik, 13. Jg. (1964), s. 241-247. 252 Ulrich Scheuner, Die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Der Rechtsstaat als Angebot und Aufgabe. Eine Anfrage an Theologie und Christentum heute. In Verbindung mit Theo Immer und Karl Linke hrsg. von Ernst Wolf. München 1964, S. 11-27 (= Theologische Existenz heute. Eine Schriftenreihe. Hrsg. von K. G. Steck und G. Eichholz. N.F., Nr. 119). 253 Ulrich Scheuner, Zur Medienpolitik der Parteien, in: Materialien zu den medienpolitischen Konzeptionen der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Hrsg. von der Kirchlichen Zentralstelle für Medien im Auftrag der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 1976 (=Materialien zur Medienpolitik, H. 1), S. 11-55; ders., Christliche Wertvorstellungen als Beitrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramm, in: Was sollen was können religiöse Sendungen im Rundfunk? Referate der Jahrestagung 1976 der Katholischen Rundfunk- und Fernseharbeit. Hrsg. von der Kirchlichen Zentralstelle für Medien im Auftrag der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 1977 (= Materialien zur Medienpolitik, H. 2), s. 25-43.

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Reichtum der Gedanken. Wie kein anderer Kenner und Vertreter des Staatskirchenrechts hat Ulrich Scheuner die Komplexität dieser Teildisziplin der Rechtswissenschaft in der modernen freiheitlichen Demokratie aufgezeigt und den Zusammenhang des Staatskirchenrechts mit der Theologie, der Staats- und Geistesgeschichte, seine Verflechtung mit dem gesamten gesellschaftlichen und geistigen Leben der Nation und seine Einbettung in die gesamte Rechtswelt, insbesondere in das Staats-, Verfassungs- und Verwaltungsrecht, aber auch in das Völker- und Privatrecht, mithin in alle Rechtsbereiche, sichtbar gemacht. Gerade die Universalität seines Geistes und seines rechtswissenschaftliehen Denkens und Schaffens hat Ulrich Scheuner, den Ernst Friesenhahn als den "letzten Universalisten" auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts bezeichnet hat, 254 zu dieser Wirksamkeit befähigt. Materiell enthalten die insgesamt 110 an weit verstreuten Stellen publizierten staatskirchenrechtlichen Beiträge Scheuners, die in dieser Darstellung verwertet worden sind, alle Elemente eines breit angelegten Lehrbuchs des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Scheuner greift alle Fragen und Problemstellungen auf, die dem modernen Staatskirchenrecht gestellt sind. Er begnügt sich bei seinen Abhandlungen nicht mit einer nur positivistischen Darstellung des geltenden Rechtszustands, sondern erörtert stets eingehend auch die geschichtliche Entwicklung, den Zusammenhang der jeweiligen Frage mit der Staatstheorie und erforderlichenfalls auch ihre kirchenrechtlichen und theologischen Implikationen. Wie das gesamte wissenschaftliche Werk Scheuners ist auch seine staatskirchenrechtliche Grundkonzeption nicht mit einer kurzen und griffigen Formel zu umschreiben. Die starke Betonung der Souveränität und der Autorität sowie der Lebensbedeutung des Staates, die im Schrifttum Scheuners durchgängig anzutreffen ist, bedeutete für ihn kein Hindernis, auch die Eigenrechtsmacht der Kirche, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit der Kirche in ihrem Eigenbereich mit gleichem Nachdruck zu vertreten. Die seit jeher bestehende Spannungslage zwischen den beiden Institutionen Staat und Kirche, dem kirchlichen Freiheitsanspruch und der erforderlichen Einfügung der Kirchen in die staatliche Gesamtordnung, die einer Regelung durch Konkordate und Kirchenverträge zum Zwecke der Herstellung und der Bewahrung einer friedlichen und freundschaftlichen Kooperation zwischen Staat und Kirche fähig und bedürftig ist, hat Scheuner nicht nur als notwendig anerkannt und hingenommen, sondern auch innerlich bejaht. Staat und Kirche sind für Scheuner zu ihrem beiderseitigen Wohl auf eine enge und freundschaftliche Kooperation ange254

Friesenhahn, Gedenkrede auf illrich Scheuner (Anm. 2), S. 23.

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wiesen, ja zu dieser Zusammenarbeit verpflichtet. Dieses der Verfassung zugrundeliegende Gebot hat Scheuner an zahlreichen Stellen seines staatskirchenrechtlichen Schrifttums nachdrücklich betont. Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des nordrhein-westfälischen Krankenhausgesetzes von dem "zwingenden Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirche" 255 und in der Entscheidung im Bremer Mandatsfall von der verfassungsrechtlich gebotenen "Konkordanz zwischen staatlicher und kirchlicher Ordnung" spricht, die es gestatte, auf beiden Seiten davon auszugehen, daß staatliche Gesetze nicht die den Kirchen wesentliche eigene Ordnung beeinträchtigen und daß kirchliche Gesetze nicht die für den Staat unabdingbare Ordnung kränken werden, 256 so bekennt sich das höchste Gericht der Bundesrepublik Deutschland hier zu einer Verfassungsinterpretation, wie sie Ulrich Scheuner mit ganz ähnlichen Formulierungen an zahlreichen Stellen seines Schrifttums in vielfachen Variationen vertreten und formuliert hat. Die Frage, welcher Rang Scheuner auf dem Gebiet der deutschen Staatskirchenrechtswissenschaft zukommt, ist zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich schwierig zu beantworten. Nachdem nunmehr aber sein literarisches Werk abgeschlossen vorliegt, läßt sich schon jetzt sagen, daß er sowohl durch sein Schrifttum als auch durch seine breite und intensive Einwirkung auf die Gestaltung und Entwicklung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland während der ersten drei Jahrzehnte ihres Bestehens zu dem ganz kleinen Kreis der herausragenden Gestalten unter den Vertretern des deutschen Staatskirchenrechts des 19. und 20. Jahrhunderts gehört. Über die beiden großen preußischen Kirchenrechtslehrer Paul Hinschius (1835-1898) 257 und Emil Friedberg (1837-1910) 258 hat Scheuner einmal mit Bedauern geäußert, daß sie als typische Vertreter des Liberalismus des 19. Jahrhunderts und als Berater der preußischen Regierung während des Kulturkampfs, den sie mit Leidenschaft gefördert haben, gegen die Kirche gekämpft haben, und zwar nicht nur gegen die katholische, sondern im Ergebnis auch gegen die protestantische BVerfGE 53, S. 366 (LS 2) und 400. BVerfGE 43, S. 314 (340). 257 Über Hinschius vgl. Hans Liermann, Art. Hinschius, Paul, in: NDB, Bd. 9, Berlin 1972, S. 190f.; ferner Ulrich Stutz, Art. Hinschius, Paul H., in: ADB, Bd. 50, Leipzig 1905, S. 344-366; abgedr. auch unter dem Titel "Paul Hinschius 1835-1898. Lebensbild, verfaßt für die Allgemeine Deutsche Biographie", in: Ulrich Stutz, Nachrufe. 11 Würdigungen deutscher Rechtshistoriker aus der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Aalen 1966, S. 1-30. 258 Über Friedberg vgl. Adalbert Erler, Art. Friedberg, Emil Albert v., in: NDB, Bd. 5, Berlin 1961, S. 443 f. 255 256

30 Sbd. List!

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Grundstrukturen des Staatskirchenrechts

Kirche, auf die aus Gründen der religionsrechtlichen Parität ein Teil der Kulturkampfgesetze ebenfalls Anwendung fand. Ebenso wie diese beiden großen Repräsentanten der Kirchenrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts hat auch Ulrich Scheunerauf dem Gebiete des Staatskirchenrechts ein bedeutendes literarisches Werk hinterlassen. Auch er hat die Rechtsentwicklung auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen Staat und Kirche tiefgreifend beeinflußt. Im Unterschied zu Paul Hinschius und Emil Friedberg hat er sich mit den großen ihm geschenkten Talenten mit ganzer Kraft für die Kirche und die Verwirklichung ihres Auftrags in dieser Welt eingesetzt.

Iv. Konkordate und Kirchenverträge

30•

Konkordate und Kirchenverträge I. Die Bedeutung der Konkordate und Kirchenverträge im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland

Das Staatskirchenvertragsrecht, das die Konkordate und die evangelischen Kirchenverträge und die in neuester Zeit auch zwischen einzelnen Bundesländern und einigen kleineren Religionsgemeinschaften abgeschlossenen Vereinbarungen umfaßt, hat sich in Deutschland seit dem Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Gegenwart stetig entwickelt. Diese Entwicklung wurde allerdings für zwei Jahrzehnte während der Herrschaft des Nationalsozialismus und der Phase der allmählichen Konsolidierung des Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse unterbrochen. Dieser bemerkenswerte Prozeß, der während der Weimarer Zeit mit dem Abschluß der drei bayerischen Staatskirchenverträge des Jahres 1924 einsetzte, hat seither, begünstigt nicht zuletzt durch die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland und die darin begründete Kulturhoheit der Länder, auf der Grundlage der religionsrechtlichen Parität, die einen der tragenden Grundpfeiler des Staat-Kirche-Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland bildet, zum Abschluß einer großen Zahl von staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen der verschiedensten Art geführt, deren Fülle kaum mehr überschaubar ist. In keinem Staat der Welt ist in der Gegenwart das Staatskirchenvertragsrecht in so starkem Maße ausgebaut, wie in der Bundesrepublik Deutschland. Diese trotz gelegentlicher Irritationen und Widerstände durch gegenläufige politische Bestrebungen und verschiedentlicher Kritik, die auch von einzelnen Vertretern der Staatsrechtslehre vorgetragen worden ist, kontinuierlich verlaufende und in der Gegenwart auf einem breiten politischen Konsens beruhende Entwicklung ergab sich keineswegs zufällig; sie wurde vielmehr in entscheidender Weise dadurch begünstigt, daß das durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Erstveröffentlichung in: Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis. Bd. I, Berlin: Duncker & Humblot 1987, S. 3-23 (Einleitungsbeitrag).

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Konkordate und Kirchenverträge

Deutschland und die Verfassungen der deutschen Bundesländer in seinen Grundelementen vorgegebene Staat-Kirche-Verhältnis, unbeschadet des Verbots einer Staatskirche (vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WeimRV) und der verfassungsrechtlich gewährleisteten und gebotenen gegenseitigen Unabhängigkeit von Staat und Kirche in ihrem jeweiligen Eigenbereich, auf eine vielfältige, enge und freundschaftliche Kooperation zwischen dem Staat und den beiden Kirchen sowie den übrigen Religionsgemeinschaften angelegt ist. In der Doktrin der Staatskirchenrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland herrscht heute weitgehendes Einvernehmen. Unbeschadet der Unterordnung aller am weltlichen Rechtsverkehr Teilnehmenden unter die Hoheit der staatlichen Verfassung, ist es die Besonderheit des Staatskirchenvertragsrechts, daß die Vertragspartner sich hier zu einer koordinationsrechtlichen Ordnung zusammenfinden, die auch im freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat eine besonders angemessene und gerechte Form der Lösung der staatskirchenrechtlichen Probleme darstellt und sich als "förderliches Instrument zur Realisierung freiheitlich-demokratischer Staatlichkeit" zum beiderseitigen Wohl von Staat und Kirche und letztlich der Menschen, die gleichzeitig Bürger des Staates und Glieder der Kirche sind, durchaus bewährt hat. 1 Die in der Bundesrepublik Deutschland bestehende und durch ein vielfältiges und enges Geflecht von Staatskirchenverträgen in ihren Einzelheiten geregelte enge Kooperation zwischen Staat und Kirche besitzt ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen insbesondere in der institutionellen Garantie des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs (Art. 7 Abs. 2 und 3 GG); ferner in der Gewährleistung eines freien Schulwesens, das für konfessionelle Ausprägungen offen ist und gleichberechtigt neben dem öffentlichen Schulwesen und in Konkurrenz mit diesem besteht (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG); in der Berechtigung derjenigen Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, von ihren Gläubigen nach Maßgabe der landesrechtliehen Bestimmungen Kirchensteuern zu erheben (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WeimRV); in der Garantie der Staatsleistungen als Ersatz für staatlicherseits vorgenommene Konfiskationen von Kirchengut und in der Gewährleistung des kirchlichen Eigentums (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 und 2 WeimRV); in der Garantie der Militärund Anstaltsseelsorge (Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WeimRV); in der in 1 Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR I, S. 279, unter Bezugnahme auf Alfred Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie, Freiburg i.Br./Basel/ Wien 1965, S. 157; aus der neueren Literatur vgl. die Ausführungen bei Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, 2. Aufl., München 1983, S. 105-112 und S. 234-240.

Konkordate und Kirchenverträge

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verschiedenen Landesverfassungen enthaltenen Garantie des Bestandes der Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten (Art 10 i.V.m. Art. 85 Bad.-Württ.Verf., Art. 150 Abs. 2 BayVerf., Art. 60 Abs. 2 HessVerf., Art. 39 Abs. 1 Rheinl.-PfalzVerf.). Das Staat-KircheVerhältnis der Bundesrepublik Deutschland ist schließlich gekennzeichnet von einer vielfachen Zusammenarbeit der Kirchen mit staatlichen und kommunalen Einrichtungen im Bereich der sozialen Hilfe, der Jugendhilfe, des Krankenhauswesens und auf dem gesamten weiten Gebiet von Karitas und Diakonie. Der Anspruch der Kirche, auf diesen Gebieten gemäß ihrem Selbstverständnis tätig zu sein, hat sein Fundament im Grundrecht der Religionsfreiheit, in deren Schutzbereich neben der Feier des Gottesdienstes und kultischer Handlungen auch die karitative Tätigkeit der Kirchen als eine Grundfunktion der Ausübung der christlichen Religion fällt. Soweit in den genannten Fällen bereits im Grundgesetz eine Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche festgelegt ist, stellen diese selbst, wie Ulrich Scheuner ausgeführt hat, konstituierende Bestandteile des gesamten Status der religiösen und weltanschaulichen Kräfte dar. Es würde dem Prinzip der Einheit der Verfassung und dem Gebot ihrer "zusammenstimmenden Auslegung" durchaus widersprechen, wollte man diese Bestimmungen gegenüber der Norm der Religionsfreiheit in Art. 4 GG in das Verhältnis der Ausnahme zur Regel versetzen. Diese Vorschriften, die eine Zusammenarbeit vorsehen, bilden ihrerseits Bestandteile des gesamten religionsrechtlichen Systems des Grundgesetzes. 2 Die staatskirchenrechtlichen Artikel des Grundgesetzes und die korrespondierenden Bestimmungen der meisten Landesverfassungen und ferner die diese Verfassungsbestimmungen konkretisierenden staatlichen Gesetze und Verordnungen ermöglichen und bewirken ein auf Dauer angelegtes, loyales und freundschaftliches Zusammenwirken der beiden Institutionen Staat und Kirche. Eine dauerhafte Friedensordnung zwischen Staat und Kirche fordert immer wieder einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den beiden Institutionen Staat und Kirche. Im Staatskirchenvertragsrecht erfolgt dieser Interessenausgleich nicht einseitig durch den Staat in der Form jederzeit revidierbarer Staatsgesetze, sondern vielmehr gerade durch einvernehmlich abgeschlossene Staatskirchenverträge, d. h. durch Konkordate mit der katholischen Kirche und durch den Konkordaten nachgebildete Verträge mit den evangelischen Kirchen und in neuester Zeit auch mit 2 Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR I,

s. 65ff.

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Konkordate und Kirchenverträge

anderen kleineren kirchlichen Gemeinschaften. Im deutschen Staatskirchenrecht hat die Notwendigkeit der Errichtung einer dauerhaften Friedensordnung zwischen dem Staat und den Kirchen mit einer immanenten Zwangsläufigkeit zum Abschluß von Staatskirchenverträgen geführt. Die Staatskirchenverträge sind mit Vorrang dazu geeignet, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche im Interesse der Wahrung des für das Wohl des Staates unverzichtbaren konfessionellen Friedens auf eine dauerhafte rechtliche Grundlage zu stellen. ß. Die Rechtsnatur der Konkordate und Kirchenverträge

In der staatskirchenrechtlichen Terminologie bildet der "Staatskirchenvertrag" den Oberbegriff für die zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat abgeschlossenen "Konkordate" und für die zwischen einem Staat und den auf seinem Hoheitsgebiet bestehenden evangelischen Kirchen oder anderen Religionsgemeinschaften abgeschlossenen "Kirchenverträge". 3 1. Die Konkordate

Unter einem Konkordat wird ein zweiseitiger völkerrechtlicher Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat verstanden, der die dauernde Regelung sämtlicher oder auch nur eines Teiles der die beiden Konkordatspartner gemeinsam berührenden kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Angelegenheiten zum Ziele hat. 4 In der Kon3 An Quellensammlungen zum Staatskirchenvertragsrecht sind zu nennen: Joseph Wenner, Reichskonkordat und Länderkonkordate, Paderborn, 1. Aufl. 1934, 7. verb. Aufl. 1964 (mit Nachtrag: Niedersächsisches Konkordat, Faderborn 1966); Werner Weber (Hrsg.), Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Göttingen, Bd. 1: 1962, Bd. 2: 1971; Lothar Schöppe, Konkordate seit 1800, Frankfurt a.M. /Berlin 1964; ders., Neue Konkordate und konkordatäre Vereinbarungen, Harnburg 1970; Hermann Weber (Hrsg.), Staatskirchenverträge, Textsammlung, München 1967. 4 Zum Begriff, zur Bedeutung und zur geschichtlichen Entwicklung der Konkordate vgl. Klaus Mörsdorf, Art. Konkordat, in: LThK, 2. Aufl., Bd. 6, Freiburg/Er. 1961, Sp. 454-459; Giovanni Lajolo, I Concordati moderni. La natura giuridica internazianale dei concordati alla luce di recente prassi diplomatica, Brescia 1968; Alexander Hollerbach, Dieneuere Entwicklung des Konkordatsrechts, in: JöR, N.F., 17 (1968), S. 117-163; ders., Art. Konkordat (seit 1801), in: HRG, Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1070-1074; Hans Reis, Konkordat und Kirchenvertrag in der Staatsverfassung, in: JöR, N.F., 17 (1968), S. 165-394); Ulrich Scheuner, Konkordat, in: ders., Schriftenzum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, S. 347354; Paul Mikat, Konkordat, in: ders., Religionsrechtliche Schriften, Bd. 1, Berlin 1974, S. 445-458 (Lit.); Roland Minnerath, liEglise et les Etats concordataires (1846-1981). La souverainete spirituelle, Paris 1983.

Konkordate und Kirchenverträge

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kordatspraxis werden nur diejenigen Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat als "Konkordat" (Conventio sollemnis) bezeichnet, in denen zwischen den beiden Partnern eine umfassende oder jedenfalls eine mehrere bedeutsame Sachgebiete betreffende und auf Dauer angelegte Regelung gemeinsamer Angelegenheiten erfolgt ist. Teilvereinbarungen, Konkordatsergänzungen oder provisorische Regelungen werden als "Vereinbarungen" (Conventio, Accordo, Accordo concordatario), Notenwechsel, Protokoll, Agreement oder in Einzelfällen auch als "Modus vivendi" bezeichnet. Ungeachtet der variierenden Terminologie und des unterschiedlichen Grades an Feierlichkeit, die bei ihrem Abschluß aufgeboten wird, kommt sämtlichen genannten konkordatären Abmachungen, die konkordatsterminologisch mit dem Oberbegriff "Conventiones" (= Vereinbarungen; vgl. can. 3 CIC) zusammengefaßt werden, derselbe Grad an Geltung, Bindungsverpflichtung und Bestandskraft zu. Nach dem Konkordatsvorbehalt des can. 3 CIC/1917 und ebenso des can. 3 CIC/1983 geht das Konkordatsrecht den Bestimmungen des Codex Iuris Canonici vor, sofern konkordatäre Vereinbarungen Regelungen enthalten, die von den Bestimmungen des kirchlichen Gesetzbuchs abweichen. Die Konkordate werden als völkerrechtliche Verträge zwischen zwei gleichberechtigten souveränen Partnern abgeschlossen. 5 Dem Vertragsschluß gehen oft langwierige diplomatische Verhandlungen voraus. Das Verfahren des Abschlusses und der Ratifizierung der Konkordate folgt der Praxis der völkerrechtlichen Verträge. Bei den Konkordaten handelt es sich jedoch nicht um Verträge zwischen zwei Staaten, da der Papst beim Abschluß der Konkordate nicht als weltlicher Souverän des Vatikanstaates (Stato della Citta del Vaticano) handelt, sondern als Oberhaupt der katholischen Kirche, die als Rechtssubjekt im völkerrechtlichen Verkehr häufig als "Heiliger Stuhl" (Sancta Sedes) oder "Apostolischer Stuhl" (Apostolica Sedes) bezeichnet wird (vgl. can. 361 CIC). Um innerstaatliche Verbindlichkeit zu erlangen, bedürfen die konkordatären Vereinbarungen, sofern in ihnen Gegenstände der Gesetzgebung berührt werden, wie z. B. das Schulrecht oder das Steuerrecht, der parlamentarischen Bestätigung in der Form des Gesetzes. 6 Innerhalb ihrer Zuständigkeit können in der Bun5 Zum Charakter der Konkordate als völkerrechtlicher Verträge und zum Meinungsstand zu dieser Problematik vgl. die Ausführungen und die umfangreichen Literaturhinweise bei Ulrich Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr, in: HdbStKirchR II, S. 332 ff. s Ulrich Scheuner, Evangelische Kirchenverträge I (1959), in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 339; ders., Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, ebd., S. 369; Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen (Anm. 1), S. 285.

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Konkordate und Kirchenverträge

desrepublik Deutschland sowohl der Bund als auch die Länder Konkordate abschließen. Nicht als Konkordate anzusehen sind Verträge zwischen einem Bundesland und den in diesem gelegenen Bistümern, wie siez. B. 1963 und 1974 zwischen dem Land Hessen und den katholischen Bistümern im Lande Hessen und 1977 zwischen dem Saarland und den beiden Bistümern Speyer und Trier über vermögensrechtliche Fragen abgeschlossen wurden. Es versteht sich von selbst, daß in derartigen Diözesanverträgen keine Materien geregelt werden können, für die, wie z. B. für Bischofsernennungen, der Apostolische Stuhl ausschließlich zuständig ist. Auch bei derartigen Diözesanverträgen bleiben die Rechte des Apostolischen Stuhles in vollem Umfang gewahrt, da die betreffenden Diözesanbischöfe Verträge dieser Art nur mit vorheriger Zustimmung des Apostolischen Stuhles abschließen können. Ferner ist in diesen Diözesanverträgen ausdrücklich festgelegt, daß sie erst dann in Kraft treten, wenn die Apostolische Nuntiatur in Bonn im Namen des Heiligen Stuhles durch einen Notenwechsel dem betreffenden Bundesland ihre Zustimmung zum Vertragsinhalt mitgeteilt hat. 2. Die Kirchenverträge

Zu den bedeutsamsten neuen Entwicklungen im deutschen Staatskirchenrecht während des 20. Jahrhunderts, die sein Erscheinungsbild während der vergangenen sechzig Jahre in grundlegender Weise umgestaltet und geprägt haben, zählt nach dem Untergang der Monarchie im Jahre 1918 und der damit verbundenen Beseitigung des landesherrlichen Summepiskopats und der Beendigung der besonderen staatlichen Kirchenhoheit durch die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Abschluß von Verträgen zwischen einzelnen Ländern und evangelischen Landeskirchen. 7 Durch diese den Konkordaten nachgebildeten Kirchenverträge, die während der Weimarer Zeit als Parallelverträge zu den Konkorda7 Zum Begriff, zur Bedeutung und zur geschichtlichen Entwicklung der Evangelischen Kirchenverträge vgl. Siegfried Grundmann, Art. Vertragskirchenrecht, in: EvStL, 2. Aufl., Sp. 2757-2766; Ulrich Schev.ner, Evangelische Kirchenverträge I und II (1959/1969), in: ders., Schriften (Anm. 4), S. 337-346; Dietrich Pirson, Der Kirchenvertrag als Gestaltungsform der Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche, in: FS für Hans Liermann zum 70. Geburtstag, Erlangen 1964, S. 177-195; ders., Art. Evangelische Kirchenverträge, in: Staatslexikon. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 2, Freiburg/Basel/ Wien 1986, Sp. 494-499; Reis, Konkordat und Kirchenvertrag (Anm. 4); Alexander Hollerbach, Verträge des Staates mit den evangelischen Kirchen in Deutschland, in: Politik und Konfession. FS für Konrad Repgen, Berlin 1983, S. 565582.

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ten mit Bayern, Preußen und Baden abgeschlossen wurden, wurde das Verhältnis der evangelischen Landeskirchen zum Staat auf eine gesicherte und im Hinblick auf die katholische Kirche paritätische vertragsrechtliche Grundlage gestellt. Die Vorreiterrolle auf diesem Gebiet kommt den am 15. November 1924 zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins sowie der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche) abgeschlossenen Kirchenverträgen zu. 8 Diese beiden Verträge, die zusammen mit dem Bayerischen Konkordat vom 29. März 1924 gegen starke innerkirchliche, publizistische und parlamentarische Widerstände durch ein und dasselbe Gesetz (sog. "Mantelgesetz") vom Bayerischen Landtag am 15. Januar 1925 "im Hinblick auf die darin enthaltenen Rechtssätze als Ganzes in Gesetzform beschlossen" wurden, besaßen Modellcharakter sowohl für den späteren Preußischen Kirchenvertrag von 1931 und den Badischen Kirchenvertrag von 1932 als im Grunde auch für die große Zahl der evangelischen Kirchenverträge, die nach dem Zweiten Weltkrieg, beginnend mit dem Vertrag des Landes Niedersachsen mit den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. März 1955, dem sog. Loccumer Vertrag, zustande gekommen sind. Ebenso wie die Konkordate werden auch die evangelischen Kirchenverträge auf der Grundlage der Gleichordnung und Andersartigkeit des staatlichen und des kirchlichen Partners abgeschlossen. Sie sind damit - ebenso wie die Konkordate - Ausdruck einer Koordination zweier unabhängiger, gleichstehender Rechtskreise, des staatlichen wie des kirchlichen Bereichs. Sie beruhen auf einem Verständnis des Wesens der Kirche und ihrer Rechtsordnung in der evangelischen Lehre, das die Andersartigkeit und volle Eigenständigkeit der kirchlichen Gemeinschaft gegenüber dem Staat betont. Von den Konkordaten des Staates mit der katholischen Kirche, die in Anbetracht der Stellung des Heiligen Stuhls im internationalen Bereich echte völkerrechtliche Verträge darstellen, unterscheiden sich die evangelischen Kirchenverträge dadurch, daß sie "nicht zum internationalen Bereich gehören, sondern nur dem öffentlichen Recht zuzuzählen sind". 9 Hinsichtlich ihrer innerstaatlichen Geltung besteht zwischen den Konkordaten und den evangelischen Kirchenverträgen kein Unterschied, wie bereits das historisch bedeutsame vertragskirchenrechtlis Vgl. hierzu die bedeutsame Darstellung von Hugo Maser, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Derbayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983. 9 Vgl. hierzu Scheuner, Evangelische Kirchenverträge (Anm. 7), S. 338.

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ehe Paradigma des bayerischen "Mantelgesetzes" vom 15. Januar 1925 zeigt, durch das vom Bayerischen Landtaguno actu sowohl das Bayerische Konkordat vom 29. März 1924 als auch der Bayerische und der Pfälzische Kirchenvertrag vom 15. November 1924 in Gesetzform beschlossen worden sind.

m. Die Regelungsmaterien der Konkordate und Kirchenverträge Der Inhalt der Konkordate zeigt seit dem Mittelalter bestimmte Konstanten, die in erster Linie die Freiheit der Kirche bei der Verleihung bzw. Besetzung kirchlicher Ämter zum Gegenstand haben. In den modernen Staatskirchenverträgen im Bereich der Bundesrepublik Deutschland lassen sich folgende hauptsächliche Regelungsmaterien unterscheiden: 10 1. Die Religions- und Kirchenfreiheit im weitesten Sinne des Wortes mit Einschluß der Freiheit der Lehre und der Verkündigung und der Sakramentenverwaltung wird gewährleistet. Den Kirchen wird das Recht der freien und staatsunabhängigen Ämterverleihung und überhaupt das Recht, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, garantiert. Schließlich wird den Kirchen das Recht zuerkannt, im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen (vgl. Art. 1 RK). In diesen Bereich gehört auch die Garantie der Anstaltsseelsorge in den Krankenhäusern und Strafanstalten; ferner das Recht des freien Verkehrs zwischen dem Heiligen Stuhl und den Bischöfen und den Gläubigen sowie die Garantie des Kirchengutes und seiner freien Verwaltung. Obwohl diese Gewährleistungen bereits im Grundgesetz und in den Landesverfassungen enthalten und somit verfassungsrechtlich garantiert sind, legen die Kirchen großes Gewicht darauf, sie auch vertragsrechtlich in den Staatskirchenverträgen abzusichern und ihnen dadurch eine von den Änderungen der innerstaatlichen Gesetzgebung unabhängige Bestandskraft zu verleihen.

2. Die Rechtsfähigkeit der Kirchen und ihrer Untergliederungen in der Form der Körperschaft des öffentlichen Rechts wird anerkannt. Den Kirchen wird das Besteuerungsrecht im Rahmen der staatlichen Gesetze zugesichert. Die Rechtstellung und die Tätigkeit der Geistlichen und Seelsorger werden besonders geschützt und ihre Befreiung von bestimmten staatsbürgerlichen Pflichten, die nach dem kirchli1o Vgl. hierzu im einzelnen bei Scheuner, Konkordat (Anm. 4), S. 353 f.; Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen (Anm. 1), S. 292 ff.

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chen Selbstverständnis mit ihrer Amtstätigkeit unvereinbar sind, wird anerkannt. 3. Die kirchliche Organisationsstruktur (Zirkumskription der kirchlichen Verwaltungsbezirke) wird im Einvernehmen mit dem Staate festgelegt. Regelungen im Zusammenhang mit den Bischofsernennungen werden konkordatsrechtlich vereinbart. Der Bestand der Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten wird garantiert, ihre Rechtsstellung näher umschrieben und das bei der Erteilung und beim Entzug des "Nihil obstat" für Theologieprofessoren zu beachtende Verfahren im einzelnen geregelt. 4. Die im wesentlichen auf historischen Rechtstiteln beruhenden und vor allem auf die Säkularisation des Kirchengutes während der napoleonischen Zeit zurückgehenden Staatsleistungen, Baulasten und Staatszuschüsse werden garantiert; für das bei einer eventuellen Ablösung dieser Leistungen einzuhaltende Verfahren werden Einzelheiten festgelegt. Der Staat verpflichtet sich bis zu einer eventuellen Ablösung zur Instandhaltung und zur Bereitstellung säkularisierter ehemals kirchlicher Gebäude. 5. Im Bereich des Schul- und Erziehungswesens werden Einzelheiten über die Erteilung des Religionsunterrichts und die Ausbildung der Religionslehrer festgelegt. In den neueren Konkordaten und Staatskirchenverträgen finden sich auch Bestimmungen über die Beteiligung der Kirche bei der Erwachsenenbildung und an den Einrichtungen des Rundfunks und des Fernsehens. IV. Das Verfahren beim Abschluß der Konkordate und Kirchenverträge 1. Die Konkordate

Die herrschende Völkerrechtslehre und die-praxisrechnet die Konkordate dem Völkerrecht zu. Für ihren Abschluß, ihren Bestand und ihre Beendigung gelten daher die Regeln des Völkerrechts. Dem Abschluß eines Konkordats gehen in aller Regellangwierige Konkordatsverhandlungen voraus, die zwischen dem Kardinalstaatssekretär oder dem für ein Land zuständigen Apostolischen Nuntius oder einem besonderen Bevollmächtigten des Papstes und den Beauftragten der Staatsregierung geführt werden. Im Falle einer Einigung wird der Vertrag häufig zunächst paraphiert, d. h. mit der abgekürzten Unterschrift der Unterhändler versehen. Der nach eingehender Prüfung durch den Heiligen Stuhl und die Staatsregierung später förmlich unterzeichnete und damit geschlossene Vertrag wird dem Papst und dem

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zuständigen Organ des betreffenden Staates, d. h. dem Staatsoberhaupt oder der Staatsregierung, zur Annahme, d. h. zur Ratifizierung, vorgelegt. Vom Konkordatsabschluß zwischen der Staatsregierung und dem bevollmächtigten päpstlichen Vertreter ist somit die staatliche Anordnung "zur verbindlichen Erstreckung dieser Vertragsbindung in das innere Recht" zu unterscheiden. Abgesehen vom Falle rein administrativer Verwaltungsabkommen, bedarf, wie bereits ausgeführt, ein Konkordat, sofern dadurch Rechte der Bürger berührt werden, der Zustimmung des Parlaments in der Form des Gesetzes. 11 Erst nach dieser Zustimmung des Parlaments kann die Ratifikation, d. h. die staatlicherseits dem bevollmächtigten Vertreter des Heiligen Stuhls gegenüber abzugebende förmliche Erklärung des verfassungsrechtlich hierfür zuständigen Vertretungs- oder Abschlußorgans, erfolgen. 12 Auch seitens der Kirche muß das von den bevollmächtigten Unterhändlern bereits unterzeichnete Konkordat formell genehmigt, d. h. ratifiziert werden. Der Akt der Ratifikation besteht darin, daß der Papst erklärt, daß er den von seinen Unterhändlern unterzeichneten Vertrag nach genauer Prüfung anerkenne und sich zu seiner Einhaltung verpflichte. Die Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde erfolgt durch den Papst persönlich mit ausgeschriebenem Papstnamen. Durch den Austausch der beiderseitigen Annahmeerklärungen (Ratifikationsurkunden) kommt der Vertrag rechtswirksam zustande. 13 Scheuner, Konkordat (Anm. 4), S. 350. Vgl. Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M. 1965, S. 232; ferner Heinrich Eisenhofer, Die kirchlichen Gesetzgeber. Technik und Form ihrer Gesetzgebung, München 1954, S. 78 f. 13 Die päpstlichen Dokumente über die einzelnen Akte des Abschlusses, der Ratifikation und des Austausches der Ratifikationsurkunden von Konkordaten werden üblicherweise nicht veröffentlicht. Sie haben einen formularmäßigen Wortlaut, der bei jedem Konkordat mit geringen Variationen Verwendung findet. Im folgenden sind die sich auf das Niedersächsische Konkordat vom 26. Februar 1965 beziehenden päpstlichen Urkunden, in denen der Abschluß, die Ratifikation und die Vollmacht zur Vornahme des Austausches der Ratifikationsurkunden protokolliert worden sind, dokumentarisch in ihrem Originalwortlaut mit beigefügter deutscher Übersetzung wiedergegeben.!. Der im Vatikan hergestellten päpstlichen Urschrift des Konkordatswortlautes wird ein Protokoll über den Zeitpunkt des Abschlusses, d. h. der Unterzeichnung des jeweiligen Konkordats, vorangestellt. Im Falle des Niedersächsischen Konkordats war die Unterzeichnung des Konkordats durch den Apostolischen Nuntius und den Ministerpräsidenten von Niedersachsen am 26. Februar 1965 erfolgt. Im Hinblick auf die Tatsache der Unterzeichnung, d. h. des Abschlusses, des Niedersächsischen Konkordates wurde der von Papst Paul VI. ratifizierten gedruckten vatikanischen Urschrift des Konkordats auf einem gesonderten Blatt folgende, ebenfalls gedruckte Erklärung vorangestellt: 11

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Die beiden Konkordatspartner sind verpflichtet, den vereinbarten Konkordatsinhalt im kirchlichen und staatlichen Bereich verbindlich zu machen. Dies geschieht seitens der katholischen Kirche durch Veröffentlichung des Konkordatstextes und die Bekanntmachung der Ratifikation in den Acta Apostolicae Sedis; staatlicherseits erfolgt die Paulus PP. VI Die XXVI mensis Februarii anno MDCCCCLXV a Conrado Bafile, Archiepiscopo titulari Antiocheno in Pisidia, Nuntio Apostolico in Germania, cui huius negotii perficiendi causa liberum mandatum concreditum erat, atque a Moderatore Saxoniae Inferioris haec quae sequitur sollemnis convientio inita est. Übersetzung des Herausgebers: Paul VI., Papst Am 26. Februar 1965 ist von Corrado Bafile, Titularerzbischof von Antiochien in Pisidien, dem Apostolischen Nuntius in Deutschland, dem zur Vornahme dieser Rechtshandlung eine freie Vollmacht erteilt worden war, und dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen folgendes Konkordat abgeschlossen worden. 2. Das dem Wortlaut der vatikanischen Urschrift des Konkordatstextes auf einem eigenen Blatt angefügte, ebenfalls gedruckte Protokoll über den formellen Akt der durch Papst Paul VI. am 29. September 1965 vollzogenen Ratifikation des Niedersächsischen Konkordats hat folgenden Wortlaut: Nos autem eandem conventionem, quam diligenter inspeximus ac voluntati Nostrae conformem invenimus, ratam habemus et confirmamus. In quorum fidem sollemne hoc ratihabitionis documentum Nostra subscriptione munimus eique signum Nostrum apponi iubemus. Datum Romae, apud Sanctum Petrum, die XXIX mensis Septembris, anno MDCCCCLXV, Pontificatus Nostri tertio. Übersetzung des Herausgebers: Paulus PP. VI (L.S.) Nachdem Wir dieses Konkordat genaugeprüft und als mit Unserem Willen in Übereinstimmung stehend befunden haben, genehmigen und bestätigen Wir es. Zu Urkund dessen versehen Wir diese feierliche Ratifikationsurkunde mit Unserer Unterschrift und ordnen an, daß ihr Unser Siegel beigegeben wird. Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 29. September 1965, im dritten Jahre Unseres Pontifikates. (gez.) Paul VI., Papst (Siegel) 3. Die von Papst Paul VI. dem Apostolischen Nuntius in Deutschland mit Datum vom 30. September 1965 erteilte Spezialvollmacht zur Vornahme des Austauschs der Ratifikationsurkunden über das Niedersächsische Konkordat hat folgenden Wortlaut: Paulus PP. VI Essendo stato stipulato, il giorno 26 febbraio 1965, un Concordato tra la Santa Sede ed il Land Niedersachsen, ed avendolo Noi approvato e ratificato il29 settembre 1965, conferiamo al Venerabile Fratello nostro Corrado Bafile, Arcivescovo titolare di Antiochia di Pisidia, Nunzio Apostolico in Germania, mandato speciale per procedere, insieme con i Plenipotenziari del menzionato Land, allo

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Publikation dadurch, daß das Gesetz, durch das der Landtag einem Konkordat seine Zustimmung erteilt hat, sowie der Text des Konkordats und die Bekanntmachung des Tages, an dem der Vertrag in Kraft getreten ist, im staatlichen Gesetzblatt verkündet werden. scambio dei relativi lstrumenti di ratifica.In fede di ehe sottoscriviamo il presente Atto e ordiniamo ehe sia munito del Nostro Sigillo. Dato a Roma, presso S. Pietro, il30 settembre 1965, anno terzo del Nostro Pontificato. Paulus PP. VI (L.S.) Übersetzung des Herausgebers: Paul VI., Papst Nachdem am 26. Februar 1965 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Niedersachsen ein Konkordat geschlossen worden ist und nachdem Wir es geprüft und am 29. September 1965 ratifiziert haben, übertragen Wir Unserem Ehrwürdigen Bruder Corrado Bafile, Titularerzbischof von Antiochien in Pisidien, dem Apostolischen Nuntius in Deutschland, Spezialvollmacht, zusammen mit den Bevollmächtigten des genannten Landes den Austausch der betreffenden Ratifikationsurkunden vorzunehmen. Zu Urkund dessen unterzeichnen Wir dieses Dokument und ordnen an, daß ihm Unser Siegel beigegeben wird. Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 30. September 1965, im dritten Jahre Unseres Pontifikats. (gez.) Paul VI., Papst (Siegel) Die Ratifikationsurkunden zum Niedersächsischen Konkordat wurden am 4. Oktober 1965 in der Apostolischen Nuntiatur in Bonn-Bad Godesberg ausgetauscht. Der Zeitpunkt des erfolgten Austausches der Ratifikationsurkunden und der Beginn des Inkrafttretens eines Konkordats werden- ebenso wie in den staatlichen Gesetz- und Verordnungsblättern - im amtlichen Publikationsorgan des Heiligen Stuhles, den Acta Apostolicae Sedis, offiziell bekanntgemacht. Zum Niedersächsischen Konkordat vgl. hierzu in dieser Textausgabe, unten, Zweiter Teil, 6. Abschnitt, AI 2 (Anmerkung). Über die Ratifikation des Reichskonkordats vgl. die im Vatikan hergestellte und von Papst Pius XI. ratifizierte Urschrift des Konkordats aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes bei Alfons Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969, S. 384ff. Dem Konkordatstext vorangestellt ist die Erklärung, daß das Konkordat zusammen mit den beigefügten Protokollen (hierbei ist neben dem Schlußprotokoll auch bereits auf den Geheimanhang Bezug genommen) am 20. Juli 1933 von den Bevollmächtigten unterzeichnet worden ist (vgl. ebd., S. 384). Die dem Wortlaut des Reichskonkordats angefügte Urkunde über die am 19. September 1933 vollzogene Ratifikation des Konkordats durch Papst Pius XI. ist abgedruckt bei Kupper, ebd., S. 408. Die Urkunde über die am 12. Oktober 1933 vollzogene Ratifikation des Geheimanhangs zum Reichskonkordat durch den Deutschen Reichspräsidenten von Hindenburg und den Reichsaußenminister Frhr. von Neurath vgl. bei Kupper, ebd., S. 425; das Protokoll über die Übergabe des vom Deutschen Reichspräsidenten und vom Reichsaußenminister ratifizierten Geheimanhangs zum Reichskonkordat an den Kardinalstaatssekretär Pacelli, datiert vom 2. November 1933, vgl. bei Kupper, ebd., S. 430 f. Papst Pius XI. hatte den Geheimanhang

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Die Konkordate und Kirchenverträge sollen auf Dauer ein loyales und freundschaftliches Verhältnis und Zusammenwirken des staatlichen und kirchlichen Vertragspartners sicherstellen. Aus diesem Grunde enthalten sie eine sog. "Freundschaftsklausel", in der, wie z. B. in Art. 33 Abs. 2 des Reichskonkordats, vereinbart wird, daß in Fällen, in denen sich in Zukunft wegen der Auslegung oder Anwendung einer Bestimmung des Konkordats irgendeine Meinungsverschiedenheit ergeben sollte, "der Heilige Stuhl und das Deutsche Reich im gemeinsamen Einvernehmen eine freundschaftliche Lösung herbeiführen" werden. In Art. 19 Abs. 1 des Niedersächsischen Konkordats von 1965, in dem die Freundschaftsklausel mit besonderer Ausführlichkeit formuliert wurde, verpflichten sich die Konkordatspartner, über alle Fragen ihres Verhältnisses, insbesondere soweit sie sich aus den Bestimmungen dieses Vertrages und der in der Präambel genannten Vereinbarungen ergeben, einen ständigen Kontakt herzustellen; ferner vereinbaren sie, eine etwa in Zukunft zwischen ihnen entstehende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise, d. h. durch eine "amicabilis compositio", zu beseitigen. In Art. 19 Abs. 2 des Niedersächsischen Konkordats behalten sich die Konkordatspartner ausdrücklich das Recht vor, bei wesentlicher Änderung der derzeitigen Struktur des öffentlichen Schulwesens "Verhandlungen über eine dem Geist dieses Vertrages entsprechende Anpassung seiner Bestimmungen zu begehren". Auch kleinere Staatskirchenverträge enthalten Freundschaftsklauseln. So wurde z. B. in Art. 3 des lediglich aus insgesamt vier Artikeln bestehenden Vertrages zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern über die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität München vom 20. Juni 1967 vereinbart, daß im Falle von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrages nach Art. 31 des Staatsvertrages vom 15. November 1924, d. h. nach der Freundschaftsklausel des Bayerischen Kirchenvertrags, verfahren werden solle. Die Freundschaftsklausel eröffnet beiden Vertragspartnern einen Weg für später notwendig werdende einvernehmliche Novellierungen der Staatskirchenverträge. Sie verhilft dazu, daß die Verträge den sich wandelnden Verhältnissen elastisch angepaßt werden können.

zum Reichskonkordat bereits am 19. September 1933 zusammen mit dem Konkordat ratifiziert. Der Wortlaut der päpstlichen Ratifikationsurkunden des Bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817 und des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 ist abgedruckt bei Eisenhofer, Die kirchlichen Gesetzgeber (Anm. 12), S. 78 f. 31 Sbd. List!

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Die wünschenswerte Form der Beendigung eines Staatskirchenvertrages ist die gegenseitige Übereinkunft. In der Konkordatspraxis wurden jedoch Konkordate nicht selten durch einseitige staatliche Lossagung, wie z. B. im Falle des Napoleonischen Konkordats durch Frankreich im Jahre 1905, oder durch faktische Abweichung seitens des Staates, d. h. durch Konkordatsbruch, beendet. Die in der deutschen Staatsrechtslehre nach dem Zweiten Weltkrieg kontrovers diskutierte Frage, ob der Staat Konkordate und evangelische Kirchenverträge von sich aus einseitig durch späteres Staatsgesetz wieder aufheben könne, hat Ulrich Scheuner, dahin gehend beantwortet, daß der Staat den Vertrag verletzen könne, auch wenn er es als Vertragsteil nicht dürfe. Durch den Vertrag übernehme der Staat eine echte Bindung, den Vertrag nicht einseitig aufzuheben, der Staat binde sich jedoch nicht als Gesetzgeber oder Verfassungsgeber. Er kann den Vertrag verletzen, und, wie Scheuner hervorhebt, "die Geschichte lehrt, daß dies auch die Form ist, in der nicht weiterentwickelte einschränkend wirkende Verträge tatsächlich aufgehoben werden, sofern nicht eine Lossagung von ihnen erfolgt" 14 . Dies bedeutet im Ergebnis: Der Staat "kann, freilich unter Rechtsbruch seiner Vertragspflicht, abweichende Regelungen durch Verfassungsnorm oder Gesetz treffen" 15 . 2. Die Kirchenverträge

Das Verfahren beim Abschluß eines evangelischen Kirchenvertrages ist mit dem Unterschied, daß der kirchliche Vertragspartner nicht Völkerrechtssubjekt ist und es sich daher nicht um einen völkerrechtlichen, sondern um einen dem innerstaatlichen öffentlichen Recht zuzuordnenden Vertrag handelt, hinsichtlich der Unterzeichnung, der parlamentarischen Zustimmung, der Ratifikation, des Austauschs der Ratifikationsurkunden und der Publikation des Gesetzes vom Vertrag, des Vertragstextes und der Bekanntmachung des Inkrafttretens des Vertrags im staatlichen und kirchlichen Publikationsorgan das gleiche wie beim Abschluß eines Konkordats. 16 Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis (Anm. 6), S. 370. Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 2), S. 49 mit Hinweisen auf die unterschiedlichen Auffassungen, die zu dieser Frage vertreten worden sind. Vgl. hierzu auch den zusammenfassenden Überblick bei Joseph Listl, Staat und Kirche bei Ulrich Scheuner (1903 bis 1981), in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. FS für Johannes Broermann, Berlin 1982, S. 862 f. 16 Einzelheiten über den Akt der Ratifikation und das Inkrafttreten sowie über die Form und die Publikation bei evangelischen Kirchenverträgen bei Hollerbach, Verträge (Anm. 12), S. 231 ff., 237 ff. 14 15

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V. Der historische Verlauf der Entwicklung des Staatskirchen-

vertragsrechts im 20. Jahrhundert

1. a) Den bedeutsamen historischen Beginn des Staatskirchenvertragsrechts im Deutschland des 20. Jahrhunderts bilden das in der Zwischenzeit vielfach novellierte und ergänzte Konkordat zwischen Papst Pius XI. und dem Staate Bayern vom 29. März 1924 und die beiden dem Bayerischen Konkordat korrespondierenden evangelischen Kirchenverträge, nämlich der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. November 1924 sowie der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche), gleichfalls vom 15. November 1924. Konnte das Bayerische Konkordat vom 29. März 1924 trotz der grundlegend gewandelten politischen Verhältnisse noch als die historische Fortsetzung des zwischen Papst Pius VII. und König Maximilian I. Joseph von Bayern abgeschlossenen Konkordats vom 5. Juni 1817 angesehen werden, übrigens des einzigen Konkordats, das während des 19. Jahrhunderts überhaupt zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat des Deutschen Reichs zustande kam, 17 so bildete der Abschluß der beiden Verträge des Bayerischen Staates mit den evangelischen Kirchen ein im deutschen Staatskirchenrecht bis dahin unbekanntes und noch wenige Jahrzehnte vorher geradezu unverstellbares Novum. 18 Johannes Heckel hat in durchaus richtiger Einschätzung der Bedeutung, die dem Abschluß evangelischer Kirchenverträge für die künftige Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts zukommen sollte, bereits im Jahre 1932 zu den evangelischen Kirchenverträgen, deren klassische Prototypen die beiden bayerischen Kirchenverträge darstellen, erklärt, daß "mit dem Sieg des Vertragsgedankens ... eine neue Ara des Staatskirchenrechts angebrochen" und "das Merkmal dieser Epoche ... die grundsätzliche Anerkennung und Koordination des Staates und der Kirche auf ihren beiderseitigen Lebensgebieten" seien 19 . 17 Wortlaut des Bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817 bei Ernst Rudolf Huber!Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. I: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, S. 170-177, mit zahlreichen Dokumenten, die mit dem Abschluß des Bayerischen Konkordats von 1817 im Zusammenhang stehen. 1s Vgl. hierzu im einzelnen bei Maser, Evangelische Kirche (Anm. 8). 19 Johannes Heckel, Das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 und 1931, in: Vezwaltungsarchiv 37 (1932), S. 287; vgl. ferner die engagierte Rechtfertigung des Abschlusses des Vertrags des Freistaates Preußen mit den evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931 aus Anlaß der Ratifikation die-

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b) Das zweite bedeutende Länderkonkordat, das während der Weimarer Zeit geschlossen wurde, in dem jedoch im Unterschied zu den bayerischen Staatskirchenverträgen die Schulfrage ungeregelt blieb, kam am 14. Juni 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen zum Abschluß. Der dem Preußischen Konkordat korrespondierende Vertrag des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen in Preußen kam erst am 11. Mai 1931 zustande. Das Preußische Konkordat und der Preußische Kirchenvertrag gelten noch heute im Lande Nordrhein-Westfalen-mitAusnahme des ehemaligen Landes Lippe - und in dem ehemals zu Preußen gehörenden Landesteil Hohenzollern des Landes Baden-Württemberg fort. Das Preußische Konkordat gilt ferner nach wie vor in den ehemals preußischen Landesteilen der Bundesländer Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sowie in West-Berlin. Für das Saarland ist die Geltung des Preußischen Konkordats umstritten, jedoch werden seitens der katholischen Kirche (Bistum Trier) die Bestimmungen dieses Konkordats als geltend angesehen und in ständiger Verwaltungspraxis angewendet. 20 Durch das Niedersächsische Konkordat vom 26. Februar 1965 verlor das Preußische Konkordat in den ehemals preußischen Gebietsteilen des Landes Niedersachsen jedoch seine Geltung. Ebenso wurde der Preußische Kirchenvertrag von 1931 durch die späteren Kirchenverträge mit Niedersachsen (1955; mit Ergänzungsvertrag von 1965), Schleswig-Holstein (1957), Hessen (1960) und Rheinland-Pfalz (1962) außer Kraft gesetzt. In den ehemals preußischen Gebietsteilen von Bremen und Harnburg gilt der Preußische Kirchenvertrag fort. In der ehemals zu Bayern gehörenden Rheinpfalz, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gebietsteil des Landes Rheinland-Pfalz wurde, trat der Rheinland-Pfälzische Kirchenvertrag von 1962 an die Stelle des im Lande Rheinland-Pfalz weitergeltenden Pfälzischen Kirchenvertrags von 1924. Auf einzelne Materien des Preußischen Konkordats, insbesondere auf dessen Bestimmungen über die Theologischen Fakultäten, wurde auch in späteren konkordatären Abmachungen der preußischen Nachfolgestaaten immer wieder Bezug geses Vertrages am 29. Juni 1931 durch Johannes Heckel, Der Vertrag des Freistaates Preußen mit den evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931. Zu seiner Ratifikation am 29. Juni 1931, in: ders., Das blinde, undeutliche Wort "Kirche". Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Siegfried Grundmann, Köln/Graz 1964, s. 572-589. 20 Näheres über die Fortgeltung des Preußischen Konkordats bei Hollerbach, Verträge (Anm. 2), S. 61 ff.; zur Frage der Fortgeltung der bayerischenund preußischen Staatskirchenverträge im Saarland vgl. die instruktiven und detaillierten Ausführungen bei Reis, Konkordat und Kirchenvertrag (Anm. 4), S. 310 ff.; zur Fortgeltung des Preußischen Konkordats in Hessen vgl. VG Wiesbaden, Urt. vom 3. 5. 1985, in: ZevKR 31 (1986), S. 97 = NVwZ 1986, S. 409.

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nommen. Die in Art. 6 des Preußischen Konkordats vereinbarte Regelung, nach der das Kathedralkapitel aus einer ihm vom Papst unterbreiteten Liste von drei Personen "in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat", ein Verfahren, mit dem der Heilige Stuhl sich nur zögernd und unter größten Bedenken einverstanden erklärt hat, wird mit Ausnahme der im Freistaat Bayern gelegenen (Erz-)Diözesen und des früher zu Bayern gehörenden Bistums Speyer, für deren Bischofsstühle dem Papst das freie Bischofsernennungsrecht zusteht, im gesamten übrigen Bundesgebiet im wesentlichen in derselben Weise ausgeübt, wie dies für die auf dem Gebiete des ehemaligen Freistaates Preußen gelegenen (Erz-)Diözesen im Preußischen Konkordat vereinbart wurde. c) Noch kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kamen das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932 und der diesem Konkordat entsprechende Badische Kirchenvertrag vom 14. November 1932 zustande. Inhaltlich orientierten sich diese beiden Staatskirchenverträge überwiegend am Preußischen Konkordat und am Preußischen Kirchenvertrag. Die Schulfrage blieb nach dem Modell der beiden preußischen Staatskirchenverträge auch in den badischen Konkordatsverhandlungen ausgeklammert. 2. Am 20. Juli 1933 wurde nach ungewöhnlich kurzen Verhandlungen das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich abgeschlossen. Ein dem Reichskonkordat entsprechender Kirchenvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den evangelischen Kirchen im Deutschen Reich kam nicht zustande. Nach dem Abschluß des Reichskonkordats trat auf dem Gebiete des deutschen Staatskirchenvertragsrechts eine mehr als zwei Jahrzehnte währende Zäsur ein. 21 3. a) Nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst sowohl die Fortgeltung der während der Weimarer Zeit mit den Ländern abgeschlossenen Staatskirchenverträge als auch ganz besonders die Rechtsgültigkeit des Reichskonkordats umstritten und unsicher. 22 Hinsichtlich der Weitergeltung der während der Weimarer Zeit geschlossenen Konkordate und Kirchenverträge bildete sich allmählich ein Konsens zugunsten ihres Weiterbestehens heraus. Von einer kaum zu unterschätzenden Bedeutung für diesen Willensbildungsprozeß war die Tatsache, daß die 21 Zum Reichskonkordat vgl. die Vorbemerkung des Herausgebers, in dieser Textausgabe, unten, Erster Teil, AI. 22 Vgl. hierzu im einzelnen die umfassende und detaillierte Darstellung von Konrad Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, in: JöR, N.F., 10 (1961), S. 3-121; jetzt auch in: ders., Ausgewählte Schriften, hrsg. von Peter Häberle und Alexander Hollerbach, Heidelberg 1984, S. 355-445.

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Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946 in ihrem Art. 182 ausdrücklich bestimmte: "Die früher geschlossenen Staatsverträge, insbesondere die Verträge mit den christlichen Kirchen vom 24. Januar 1925, bleiben in Kraft." Ebenso war es für die staatskirchenrechtliche allgemeine Willensbildung über die Fortgeltung der Weimarer Staatskirchenverträge von Wichtigkeit, daß auch die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950 in Art. 23 Abs. 1 die "Bestimmungen der Verträge mit der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, die im früheren Freistaat Preußen Geltung hatten", "für die Gebiete des Landes Nordrhein-Westfalen, die zum ehemaligen Preußen gehörten, als geltendes Recht anerkannt" hat. Auch Art. 35 der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947 und Art. 8 der Verfassung von Baden-Württemberg vom 11. November 1953 enthalten Fortgeltungsgarantien für die Konkordate und Kirchenverträge. Die mehr als zehnjährigen heftigen Auseinandersetzungen über die Fortgeltung des Reichskonkordats wurden erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 3. 1957 im Sinne seiner Fortgeltung entschieden. b) Von weittragender Bedeutung im Prozeß der Fortentwicklung des Vertragskirchenrechts in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die im Verlaufe derfünfzigerund sechziger Jahre abgeschlossenen Kirchenverträge mit den Ländern Niedersachsen (1955), Schleswig-Holstein (1957), Hessen (1960) und Rheinland-Pfalz (1962). 23 Am 6. 3. 1958 und am 26. 11. 1959 kamen zwei Kirchenverträge zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Lippischen Landeskirche zustande, durch die im Ergebnis der Preußische Kirchenvertrag von 1931 auch auf die Lippische Landeskirche ausgedehnt wurde. Neben diesen Verträgen, die eine grundsätzliche Neuregelung des Verhältnisses zwischen dem Staat und den evangelischen Kirchen zum Gegenstand hatten, wurden seit 1949 zahlreiche weitere Abmachungen zwischen einzelnen Bundesländern und den evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche zur Regelung von Einzelfragen bzw. Sachbereichen abgeschlossen. 24 Den Prototyp der neuen evangelischen Kirchenverträge, dem die übrigen evangelischen Kirchenverträge weithin nachgebildet sind, stellt der Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen 23 Vgl. hierzu Joseph Listl, Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963, in: Anton Rauscher (Hrsg.), Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1963, Paderborn/München/Wien/ Zürich 1979, S. 32 ff. 24 Erschöpfende Aufzählung dieser zwischen den unterschiedlichsten Partnern geschlossenen Verträge und Abkommen bis zum Jahre 1965 bei Hollerbach, Verträge (Anm. 12).

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Landeskirchen in Niedersachsen vom 19. 3. 1955 dar, der sog. Loccumer Vertrag. Kirchenpolitisch besteht die Besonderheit des neuen 'JYps der evangelischen Kirchenverträge darin, daß sie- insoweit den bayerischen Staatskirchenverträgen des Jahres 1924 vergleichbar und im Unterschied etwa zum Preußischen Kirchenvertrag des Jahres 1931 eine umfassendere Regelung der Staat und Kirche gemeinsam betreffenden Angelegenheiten enthalten. Die Länder Niedersachsen und Hessen verfolgten mit dem Abschluß der evangelischen Kirchenverträge das Ziel, ihr gesamtes Staatsgebiet, d. h. auch ihre früher nicht zu Preußen gehörenden Gebietsteile, unter ein einheitliches Kirchenvertragsrecht zu stellen. Gleiches gilt für das Land Rheinland-Pfalz im Hinblick auf den 1962 abgeschlossenen Rheinland-Pfälzischen Kirchenvertrag, durch den der zwischen dem Bayerischen Staat und der Pfälzischen Landeskirche im Jahre 1924 abgeschlossene Kirchenvertrag abgelöst wurde. Von zukunftweisender Bedeutung für die Entwicklung des Staatskirchenvertragsrechts und damit auch des gesamten Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland war die Tatsache, daß in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb der evangelischen Landeskirchen der Vertragsgedanke allenthalben Sympathien gewann und in steigendem Maße Zustimmung fand. In den nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträgen kommt eine neue Auffassung vom Verhältnis von Kirche und Staat zum Ausdruck, die früher bei den Vertretern des protestantischen Kirchenrechts unter der Herrschaft des landesherrlichen Kirchenregiments durchaus auf entschiedene Ablehnung stieß, nämlich die in der Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum des kanonischen Rechts stets vertretene Lehre von der wesensmäßigen Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und ihrer Gleichordnung mit dem Staat und damit letztlich notwendigerweise von der Wesensverschiedenheit des staatlichen und des kirchlichen Rechts, der eine einseitige Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Kirche durch den Staat nicht mehr angemessen erscheint.25 In diesem Sinne hat Ulrich Scheuner in seiner großangelegten Würdigung des Niedersächsischen Kirchenvertrags von 1955 den "entscheidenden Grundzug" in dem sich in den fünfzigerJahrenallgemein durchsetzenden Staatskirchenvertragsrecht darin erblickt, "daß beide Konfessionen nun die grundlegende Andersartigkeit und Eigenstän25 Über die Doktrin des kanonischen Rechts zur Wesensverschiedenheit des staatlichen und kirchlichen Rechts sowie zur Eigenrechtsmacht der Kirche und zur Unabhängigkeit der kirchlichen von der staatlichen Rechtsordnung vgl. im einzelnen bei Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978, S. 66-75, 136 ff., 184 f., 187, 292 ff.

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digkeit ihres Wesens und ihres Rechts betonen und der Staat sich dazu bereit findet, das anzuerkennen und rechtlich zu gestalten, daß er sich ferner bereit findet, seine Aufsichtsrechte tatsächlich wie auch rechtlich erheblich einzuschränken, andererseits aber von der Linie des Trennungsgedankens abzugehen und ein neues Verhältnis des freundschaftlichen Zusammenwirkens mit den Kirchen zu suchen. Unabhängigkeit der beiden Partner, gegenseitige Respektierung ihrer Position und auf dieser Basis eine loyale Kooperation: das sind die Kennzeichen dieser Lösung, von der aus die Relation von Staat und Kirche einer Umformung unterzogen wird" 26 . Wie Scheuner in diesem Zusammenhang weiter ausführt, bestimmen nunmehr auch die evangelischen Kirchen ihre Erscheinung vom Gedanken der vollen Freiheit von aller weltlichen Gewalt her, in Unabhängigkeit von staatlicher Anerkennung oder Verleihung. Ihre Stellung zum Staate werde daher mit den Begriffen der Selbstverwaltung und Autonomie nicht mehr zureichend umschrieben, sondern besser mit dem Wort Eigenständigkeit bezeichnet. Ebenso werde die Andersartigkeit und Eigenständigkeit des Kirchenrechts anzuerkennen sein, das sich in keiner Weise mehr von staatlicher Zulassung oder Ermächtigung ableite, es sei denn, es handele sich um Anordnungen der kirchlichen Stellen im gemischten Gebiet, die auch Personen beträfen, die nicht der Kirche angehörten, wie z. B. die Friedhofsordnung eines kirchlichen· Friedhofs, der der ganzen politischen Gemeinde als einziger Begräbnisplatz am Ort diene. 27 Auch hinsichtlich ihrer Inhalte kommt den nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträgen für die Weiterbildung und Festigung der staatskirchenrechtlichen Gesamtsituation eine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie enthalten einerseits die klassischen Regelungsmaterien, die sich seit jeher in den Konkordaten finden, zeigen aber andererseits auch neue Perspektiven auf, die im Verhältnis zwischen der staatsunabhängigen Kirche und dem freiheitlichdemokratischen Staat Bedeutung gewinnen. Die Verträge gewährleisten die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Kirchen in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes; sie enthalten Regelungen über die Kooperation zwischen Staat und Kirche, sie verbürgen den öffentlichen Status der Kirche und anerkennen - erstmals im Loccumer Kirchenvertrag - den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen. Die frü26 Ulrich Scheuner, Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ders., Schriften (Anm. 4), s. 308. 27 Scheuner, ebd., S. 309; zur Zielsetzung der evangelischen Kirchenverträge vgl. auch den instruktiven Beitrag von Pirson, Der Kirchenvertrag (Anm. 7).

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heren staatlichen Aufsichts- und Mitwirkungsbefugnisse werden fast vollständig beseitigt. Verschiedene Formen früherer Staatsleistungen an die Kirchen werden zusammengefaßt und, versehen mit einer Gleitklausel, neu festgesetzt. Die Eigentumsverhältnisse an Kirchengebäuden sowie die Leistungs- und Baulastverpflichtungen des Staates und der politischen Gemeinden gegenüber den Kirchengemeinden werden bereinigt. Der Staat verzichtet auf überholte Patronatsrechte bei der Besetzung kirchlicher Ämter und Stellen. 28 Ihren signifikantesten Ausdruck finden das neue Selbstbewußtsein der evangelischen Kirche und der neue Geist, der nach dem Fortfall des protestantischen landesherrlichen Summepiskopats und der staatlichen Kirchenhoheit nunmehr das Verhältnis von Kirche und Staat bestimmt, in der berühmten Präambel zum Niedersächsischen Kirchenvertrag, in der ausdrücklich erklärt wird, daß die Niedersächsische Landesregierung und die verfassungsmäßigen Vertreter der Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen ... "in Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und ihre Eigenständigkeit" beschlossen haben, "den Vertrag unter Wahrung der Rechte der Kirchen im Sinne echter freiheitlicher Ordnung fortzubilden und zu einheitlicher Gestaltung des Verhältnisses des Landes zu allen Landeskirchen wie folgt zu fassen" 29 . c) Im Bereich der katholischen Kirche bildete die erste Vereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Land der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg der Vertrag über die Errichtung des Bistums Essen vom 19. 12. 1956. (1) Erst zehn Jahre nach dem Niedersächsischen Kirchenvertrag von Kloster Loccum wurde als paritätisches Gegenstück bzw. korrespondierendes Konkordat zu diesem Kirchenvertrag am 26. Februar 1965 das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Land Niedersachsen geschlossen, das im Jahre 1973 in seinen schulrechtlichen Bestimmungen bereits wieder eine Novellierung erfuhr. Gleichzeitig mit dem Niedersächsischen Konkordat wurde ein Ergänzungsvertrag zum Niedersächsischen Kirchenvertrag vom 19. März 1955 geschlossen. (2) 1963 kam ein Vertrag zwischen dem Lande Hessen und den katholischen Bistümern in Hessen über vermögensrechtliche Angelegenheiten, insbesondere über Dotationen und Baulastverpflichtungen, zu28 Vgl. zum ganzen bei Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts (Anm. 22), S. 33 m.w.N. = ders., Ausgewählte Schriften (Anm. 22), S. 382 ff. m.w.N. 29 Vgl. den Wortlaut der Präambel zum Niedersächsischen Kirchenvertrag, in dieser Textausgabe, unten, Zweiter Teil, 6. Abschnitt, BI 3.

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stande; 1973 wurde eine Vereinbarung zwischen dem Lande Hessen und den katholischen Bistümern in diesem Lande über die Erteilung des Religionsunterrichts getroffen. (3) Zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Rheinland-Pfalz wurde am 29. 4. 1969 aus Anlaß der Errichtung einer Erziehungswissenschaftlichen Hochschule ein Vertrag zur Neuordnung der Lehrerbildung und am 15. Mai 1973 ein weiterer Vertrag über Fragen des Schulwesens und der Lehrerfort- und -Weiterbildung geschlossen. (4) Zwar nicht in formaler Hinsicht, wohl aber ihrem Inhalt nach sind auch die beiden Abschließenden Protokolle über Besprechungen zwischen den Vertretern des Bischöflichen Ordinariats Berlin bzw. Vertretern des Evangelischen Konsistoriums in Berlin (West) der Evangelischen Kirche in Berlin-Erandenburg und des Senats von Berlin "über die Regelung gemeinsam interessierender Fragen" vom 2. Juli 1970 als staatskirchenvertragliche Abmachungen zu betrachten. Zu beiden Protokollen wurden am 27. April 1981 und am 15. Oktober 1986 ergänzende Vereinbarungen getroffen. (5) Besonders zahlreich sind die Ergänzungen und Novellierungen, die das Bayerische Konkordat vom 29. März 1924 und der Bayerische Kirchenvertrag vom 15. November 1924 in der Nachkriegszeit erfahren haben. Es handelt sich dabei um Abmachungen über die Auflösung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising (1966), die Errichtung der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Regensburg (1966) und über die Errichtung eines Katholisch-Theologischen Fachbereichs (= Theologische Fakultät) an der Universität Augsburg (1970). Im Jahre 1968 hatten die Veränderungen im konfessionellen Schulwesen und im Bereich der konfessionellen Lehrerbildung eine Novellierung einiger Bestimmungen des Bayerischen Konkordats zur Folge. 1974 führten die Integration der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten und Veränderungen in der Hochschulstruktur und damit auch in der bisherigen Verfassung der Theologischen Fakultäten zu einer umfassenden Novellierung der bisherigen Bestimmungen des Bayerischen Konkordats über die Theologischen Fakultäten sowie zu einer gerraueren Festlegung der Aufgabenstellung und zu eingehenderen Regelungen über den Status der Theologieprofessoren und des bei derErteilungdes "Nihil obstat" und im Falle einer konkordatsrechtlichen Beanstandung zu beobachtenden Verfahrens. Ferner wurde in diesem Vertrag die Gründung der Kirchlichen Gesamthochschule Eichstätt (später in Katholische Universität Eichstätt umbenannt) vereinbart. Die Bestimmungen des Bayerischen Konkordats über das konfessionelle Schulwesen, den Religionsunterricht und die Privatschulen wurden 1974 den gewandelten Verhältnissen angepaßt. Durch einen

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konkordatären Zusatzvertrag von 1978 wurden die Regelungen des Vertrags von 1974 über das Hochschulwesen und die Lehrerbildung ergänzt. Zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern wurden jeweils korrespondierende Verträge geschlossen. Durch Vertrag vom 20. 6. 1967 wurde die Errichtung einer Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Universität München vereinbart. Der Bayerische Kirchenvertrag vom 12. September 1974 über die Evangelisch-Theologischen Fakultäten, die Lehrerbildung und die Erteilung des Religionsunterrichts wurde durch eine Zusatzvereinbarung vom 20. November 1984 ergänzt, zu der es keine korrespondierende Vereinbarung mit der katholischen Kirche gibt. (6) Am 26. März 1984 wurde zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Nordrhein-Westfalen ein Vertrag geschlossen, der Regelungen über die Rechtsstellung der Katholisch-Theologischen Fakultäten im Land Nordrhein-Westfalen sowie über die Neuordnung der Lehrerbildung enthält. Der Schwerpunkt des Vertrags liegt dabei auf der Lehrerbildung. Durch den Vertrag vom 26. März 1984 wurde der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Lande Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 1969 über die Errichtung von Lehrstühlen für Katholische Theologie an den Pädagogischen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen außer Kraft gesetzt. Am 29. März 1984 wurde zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und den evangelischen Kirchen in diesem Land ein Parallelvertrag abgeschlossen. (7) Ein ähnlicher Vertrag ist am 12. Februar 1985 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Saarland über die Ausbildung von Lehrkräften für den katholischen Religionsunterricht sowie über Regelungen von Einzelheiten bei der Erteilung des Religionsunterrichts zustande gekommen. Am 25. Februar 1985 wurde zwischen dem Saarland und der Evangelischen Kirche im Rheinland sowie der Evangelischen Kirche der Pfalz ein korrespondierender Vertrag über die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften für das Fach Evangelische Religion und über die Erteilung evangelischen Religionsunterrichts an den Schulen im Saarland geschlossen. d) Es gehört zu den Besonderheiten der Entwicklung des Staatskirchenvertragsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg, daß nicht nur mit der katholischen und evangelischen Kirche, sondern auch mit einigen kleineren Religionsgemeinschaften Kirchenverträge zustande gekommen sind. Am 20. Juni 1960 wurde ein Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen über die Zahlung eines Landeszuschusses geschlossen. Dieser

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Vertrag wurde durch den Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen vom 28. Juni 1983 ersetzt. Ebenso wurde am 8. Januar 1971 zwischen dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und dem Senat von Berlin eine Vereinbarung zur Regelung gemeinsam interessierender Fragen getroffen, die durch Zusatzvereinbarungen vom 16. Oktober 1974 und vom 20. September 1982 ergänzt wurde. Am 11. November 1986 wurde ein ähnlicher Vertrag zwischen dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden im Lande Hessen und dem Land Hessen abgeschlossen, dem der Hessische Landtag am 1. Dezember 1986 in der Form des Gesetzes seine Zustimmung erteilt hat. Am 8. Juni 1970 wurde ein Vertrag zwischen dem Lande Niedersachsen und der Freireligiösen Landesgemeinschaft Niedersachsen geschlossen. Ebenso kam am 26. Januar 1978 ein Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und der Evangelisch-methodistischen Kirche in Nordwestdeutschland zustande. Auch auf Bundesebene hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg das Staatskirchenvertragsrecht auf denjenigen Gebieten, auf denen dem Bund hierfür eine Kompetenz zusteht, weiterentwickelt. (1) Zur Regelung der die Militärseelsorge betreffenden Fragen kam es am 22. Februar 1957 zum Abschluß des Vertrags der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche, des sog. Evangelischen Militärseelsorgevertrags. (2)· Im Juni 1958 wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Evangelischen Kirche in Deutschland und den (Erz-)Bistümern der katholischen Kirche im Bundesgebiet ein Abkommen über Zuschüsse zur Versorgung derjenigen heimatvertriebenen Seelsorger, Kirchenbeamten, Kirchenangestellten und ihrer Hinterbliebenen geschlossen, die nach dem für sie geltenden Recht ihrer Kirche versorgungsberechtigt waren, aber nicht vom Gesetz zu Art. 131 GG erlaßt wurden. (3) Am 31. Juli 1965 wurden durch Papst Paul VI. gemäß Art. 27 des Reichskonkordats die Statuten für die Katholische Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr erlassen. (4) Am 29. Juli/12. August 1965 wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den katholischen Bischöfen in der Bundesrepublik Deutschland eine Vereinbarung über die katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz geschlossen. Eine korrespondierende Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den evangelischen Landeskirchen von Braunschweig, Bayern, Hannover, Kurhessen-Waldeck, Lübeck und Schleswig-Holstein über die evangelische

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Seelsorge im Bundesgrenzschutz wurde am 20./21./22./23. Juli/12. August 1965 getroffen. Die Fülle der nach dem zweiten Weltkrieg auf Bundesebene und vor allem von den Ländern geschlossenen Konkordate und Kirchenverträge mit den zahlreichen Änderungs- und Zusatzverträgen beweist, daß das Staatskirchenvertragssystem keineswegs starr und unbeweglich ist. Die Konkordate und Kirchenverträge sind im Gegenteil bei gutem Willen beider Partner in vorzüglicher Weise geeignet, sich dem ständigen Wandel der kirchlichen, politischen und kulturellen Verhältnisse anzupassen und auf Dauer eine freiheitliche, friedliche, vertrauensvolle und freundschaftliche Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen zu ermöglichen und sicherzustellen.

Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 I. Die Fortgeltung des Reichskonkordats nach dem Zweiten Weltkrieg

Das zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich am 20. Juli 1933 nach ungewöhnlich kurzen Verhandlungen abgeschlossene Konkordat gehört zu den großen Konkordaten der Neuzeit,! Das Reichskonkordat steht hinsichtlich seiner politischen und historischen Bedeutung in einer Reihe mit dem Napoleonischen Konkordat von 1801 2 und dem im Zusammenhang mit den Lateranverträgen des JahErstveröffentlichung in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Louis C. Morsak und Markus Escher. Zürich: Schulthess Polygraphischer Verlag 1989, S. 309-334. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Polygraphischen Verlags Schulthess, Zürich. 1 Der Wortlaut des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 ist mit reichhaltigen Literaturhinweisen und einer Einführung über den Abschluß und die Fortgeltung des Reichskonkordats abgedruckt u.a. bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd.l, Berlin 1987, S. 27-61. Auf die in dieser Textausgabe bei den einzelnen Artikeln des Reichskonkordats angegebene Literatur, die im vorliegenden Beitrag nicht zitiert werden kann, wird generell verwiesen. Für die Kenntnis der Entstehungsgeschichte des Reichskonkordats von besonderer Bedeutung sind die beiden Quellenpublikationen von Alfons Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969, und Ludwig Volk, Kirchliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969. Der historische Verlauf der Entstehungsgeschichte des Reichskonkordats ist dargestellt bei Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933, Mainz 1972. Vgl. ferner Rudolf Morsey I Alexander Hollerbach, Art. Reichskonkordat, in: Staatslexikon. Recht- WirtschaftGesellschaft. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7. Aufl., Bd. 4, Freiburg i. Br./ Basel/Wien 1988, Sp. 787-792 2 Zum französischen Konkordat vom 15. 7. 1801 vgl. die Ausführungen bei Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, 4. Aufl., Köln-Graz 1964, S. 604 ff.; Wortlaut der Konvention zwischen dem Heiligen Stuhl und der Französischen Republik vom 15. 7. 1801 in deutscher Übersetzung bei Ernst Rudolf Huber I Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, S. 12 ff.

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res 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Italien abgeschlossenen italienischen Konkordat. 3 Unter den Historikern bilden das Reichskonkordat, insbesondere dessen aufsehenerregender Abschluß am Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und die durchaus unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Motive, die bei den beiden Partnern für den Abschluß des Reichskonkordats ausschlaggebend waren, einen Gegenstand ausufernder Kontroversen und offensichtlich unüberbrückbarer Gegensätze. "In Teilen der Lebenswelt", schreibt der Historiker Konrad Repgen, "vermag die bloße Erwähnung dei: Tatsache des Konkordatsabschlusses von 1933 schon starke Aversionen hervorzurufen." Dahinter verberge sich wohl die verbreitete, grundsätzliche Distanz zur Institution an sich: Konkordatskritik mit der Reizvokabel "InstitutionenEgoismus" sei in der gegenwärtigen Diskussion unter den Historikern "aktuelle Kirchenführungskritik". 4 In der Rechtspraxis und auch bei den Vertretern der Wissenschaft des Staats- und Staatskirchenrechts ist die Fortgeltung des Reichskonkordats sowohl für den Bund als auch für die Länder heute so gut wie unbestritten. Die nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit politisch und rechtlich umstrittene Frage der Fortgeltung des Reichskonkordats wurde durch das sog. Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957 entschieden. 5 Der mit ungewöhnlichem juristischem Auf3 Zu den Lateranverträgen vom 11. 2. 1929 vgl. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 2), S. 743 ff.; Wortlaut der Lateranverträge, in: Acta Apostolicae Sedis, Vol. 21 (1929), S. 209 ff. Deutscher Wortlaut des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien in: Die Lateran-Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 11. Februar 1929. Italienischer und deutscher Text. Autorisierte Ausgabe mit einer Einleitung des Päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli in Berlin, Freiburg/Br. 1929, S. 37 ff. Das italienische Konkordat vom 11. 2. 1929 wurde in wesentlichen Punkten geändert durch den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Italien vom 18. 2. 1984, in: Acta Apostolicae Sedis, Vol. 77 (1985), S. 521 ff. Zur Ergänzung und Ausführung dieser Konkordatsnovellierung wurde zwischen den beiden Vertragspartnern eine Reihe weiterer Zusatzverträge geschlossen, abgedr. ebd., S. 536 ff. Der Änderungsvertrag zum italienischen Konkordat mit sämtlichen Nebenverträgen ist enthalten in der Edition von Giuseppe dalla Torre, La revisionedel Concordato (= Quaderni dell'Osservatore Romano, 1), Citta del Vaticano 1985, S. 25 ff. 4 Konrad Repgen, Die Historiker und das Reichskonkordat. Eine Fallstudie über historische Logik, in: ders., Von der Reformation zur Gegenwart. Beiträge zu Grundfragen der neuzeitlichen Geschichte. Hrsg. von Klaus Gotto und Hans Günter Hockerts, Paderborn/München/Wien/ Zürich 1988, S. 198; von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist ferner der Beitrag von Konrad Repgen, Die vatikanische Strategie beim Reichskonkordat, in: ebd., S. 167-195; aufS. 167 f. reichhaltige Angaben über die fachhistorische Kontroversliteratur zum Reichskonkordat.

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wand geführte Konkordatsprozeß zählt zu den wirklich "großen" Prozessen, zu den causes celE~bres, die das höchste Gericht der Bundesrepublik Deutschland in seiner bisherigen Geschichte zu entscheiden hatte. Den Anlaß zu diesem Rechtsstreit bildete die Frage der Fortgeltung der Schulartikel des Reichskonkordats. Gegenstand des Prozesses war die Frage, ob das Land Niedersachsen durch Erlaß einer Reihe von Bestimmungen des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsenvom 14. September 1954 (Nds. GVBL S. 89) gegen das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 verstoßen und dadurch ein Recht des Bundes auf Respektierung der für ihn verbindlichen internationalen Verträge durch die Länder verletzt hatte. In diesem Verfassungsrechtsstreit, den die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland gegen das Land Niedersachsen angestrengt hatte, schlossen sich dem Land Niedersachsen als weitere Beteiligte das Land Hessen und die Freie Hansestadt Bremen an. Für die Entscheidung der strittigen Frage mußte das Bundesverfassungsgericht inzidenter auch die Frage der Fortgeltung des Reichskonkordats prüfen und klären. Durch Urteil des u. a. auch für völkerrechtliche Fragen zuständigen Zweiten Senats vom 26. März 1957 (2 BvG 1/55) wies das Bundesverfassungsgericht den Antrag der Bundesregierung zurück. Das Bundesverfassungsgericht stellte jedoch in seinem Urteil fest, daß das Reichskonkordat durch den Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft seine Geltung nicht verloren habe. Vertragspartner des Heiligen Stuhles sei das Deutsche Reich gewesen. Die Vertragsschließenden hätten eine Dauerregelung gewollt. Daher könne das von den Gegnern der Weitergeltung des Reichskonkordats vorgebrachte Argument, das Konkordat gelte nur für die Dauer des nationalsozialistischen Systems, nicht überzeugen. Wie das Gericht in seiner umfangreichen Urteilsbegründung ausgeführt hat, hätten die Konkordatsparteien weder an der völkerrechtlichen noch an der innerstaatlichen Gültigkeit des Reichskonkordats gezweifelt, auch wenn es von dem nationalsozialistischen Regime in zunehmendem Maße mißachtet und von der Kirche von Anfang an nicht als ein concordatum amicitiae, sondern als concordatum defensionis betrachtet worden sei. Mit diesen Ausführungen bezieht sich das Bundesverfassungsgericht auf die in der Disziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum des kanonischen Rechts in der Konkordatstheorie übliche Unterscheidung in concordata pacis et amicitiae und concordata defensionis, je nachdem, ob ein Konkordat vom Heiligen Stuhl nach Beilegung eines Konfliktes 5 Das Konkordatsurteil ist veröffentlicht in: BVerfGE 6, S. 309-367; abgedruckt u.a. auch in: ArchKathKR, Bd. 129 (1960), S. 164-202.

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oder Streites zur Herstellung des Friedens (concordatum pacis), wie z. B. das nach Beilegung des Investiturstreits 1122 zwischen Papst Kalixtus II. und Kaiser Heinrich III. geschlossene Wormser Konkordat, oder zur Festigung der Fortdauer bereits bestehender freundschaftlicher Beziehungen (concordatum amicitiae) oder zum Schutz, zur Sicherstellung und zur Verteidigung der kirchlichen Rechte und Freiheiten (concordatum defensionis) abgeschlossen worden ist. 6 Das Bundesverfassungsgericht trug im Konkordatsurteil jedoch auch der Tatsache Rechnung, daß durch das am 23. Mai 1949 in Kraft getretene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - im Gegensatz zu der Rechtslage im Zeitpunkt des Konkordatsabschlussesdie Bundesländer zu ausschließlichen Trägern der Kulturhoheit geworden waren, die für den Bereich der bekenntnismäßigen Gestaltung des Schulwesens nur durch die Bestimmungen der Artikel 7 (Garantie des Religionsunterrichts als eines konfessionsgebundenen ordentlichen Lehrfachs) und 141 (Zulässigkeit einer besonderen, für alle evangelischen Bekenntnisse gemeinsamen Gestaltungsform des Religionsunterrichts in Bremen) des Grundgesetzes begrenzt seien. Der von der 6 Vgl. hierzu die Ausführungen Papst Pius' XII. (1939-1958) über die unterschiedlichen Beweggründe der Kirche zum Abschluß von Konkordaten bei Joseph Listl, Kirche und Staat in der neuerenkatholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 7), Berlin 1978, S. 199 ff. Das Reichskonkordat ist unter dieser Rücksicht ein geradezu klassischer Fall eines concordatum defensionis. In einer historisch bedeutsamen und als geschichtliche Quelle bleibend wichtigen Ansprache an das Kardinalskollegium hat Papst Pius XII. am 2. Juni 1945, also wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, das Verhältnis zwischen der Kirche und dem Nationalsozialismus und den Verlauf des Kirchenkampfes behandelt. Dabei hat er darauf hingewiesen, daß das Angebot des Abschlusses eines Konkordats mit dem Deutschen Reich von der Deutschen Reichsregierung ausgegangen sei. Hätte der Heilige Stuhl diesen Vorschlag abgelehnt, wäre die Verantwortung für alle üblen Folgen auf den Heiligen Stuhl zurückgefallen. Wörtlich führte der Papst aus: "Nicht als ob die Kirche ihrerseits sich von übertriebenen Hoffnungen hätte täuschen lassen, auch nicht als ob sie mit Abschluß des Konkordats die Lehre und die Ziele des Nationalsozialismus irgendwie hätte gutheißen wollen, wie damals ausdrücklich erklärt und dargelegt wurde (Osservatore Romano vom 2. Juli 1933, Nr. 174). Immerhin muß man zugeben, daß das Konkordat in den folgenden Jahren verschiedene Vorteile brachte oder wenigstens größeres Unheil verhütete. Trotz aller Verletzungen, denen es ausgesetzt war, ließ das Konkordat tatsächlich den Katholiken doch eine rechtliche Verteidigungsgrundlage, eine Stellung, in der sie sich verschanzen konnten, um von da aus, so lange es ihnen möglich war, sich der ständig steigenden Flut der religiösen Verfolgung zu erwehren." Italienischer Wortlaut der Ansprache in: AAS, Vol. 37 (1945), S. 159-168; deutsche Übersetzung in: Arthur-Fridolin Utz und JosephFulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII., Band 2, Freiburg/Schweiz 1954, S. 1800-1812, die zitierte Stelle S. 1803.

32 Sbd. List!

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damaligen Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer angenommenen Verpflichtung der Länder dem Bund gegenüber, die Schulbestimmungen des Reichskonkordats bei ihrer Gesetzgebung zu beobachten, stünden, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, Grundentscheidungen des Grundgesetzes entgegen, die das Verhältnis von Bund und Ländern gerade in diesem Sachzusammenhang gestalteten. Die damalige Bundesregierung unter Konrad Adenauer verfolgte im Konkordatsprozeß das Ziel, durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen, daß das Land Niedersachsen verpflichtet sei, in seiner Gesetzgebung die der katholischen Kirche günstigen Bestimmungen des Reichskonkordats über die Konfessionsschule zu beobachten. Das Bu,ndesverfassungsgericht entschied jedoch im Konkordatsurteil, daß zwar sowohl der Bund als auch die Länder an das fortgeltende Reichskonkordat gebunden seien, daß aber der Bund mangels einer verfassungsrechtlichen Kompetenz die Länder wegen deren ausschließlicher Kulturhoheit nicht zur Beachtung des Reichskonkordats zwingen könne. 7 Namhafte Juristen, wie der bekannte Bonner Staatsrechtslehrer Ulrich Scheuner, der in seinem am 12. September 1955 im Auftrage der Bundesregierung zur Vorlage beim Bundesverfassungsgericht erstatteten Rechtsgutachten "Abschluß und Rechtsbestand des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Deutschen Reiche vom 20. Juli 1933" in dezidierter Weise die Auffassung vertreten hatte, daß das Reichskonkordat in der Gegenwart als völkerrechtlich bindende Vertragsverpflichtung in der mit dem Reiche identischen Bundesrepublik fortgelte, erblickten daher im Konkordatsurteil einen "Bruch". Wie Scheuner ausführte, könne bei Annahme einer fortbestehenden Bindung des Bundes die verfassungsrechtliche Ordnung eines Bundesstaates keinen Grund abgeben, nachträglich bei Veränderung von Zuständigkeiten die Vertragsbindung tatsächlich für die zuständigen Teile der Gesamtorganisation in Fortfall zu bringen. 8 Die Argumentation Scheuners beruhte auf der Rechtsauffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland "als Bundesstaat nach Völkerrecht die Gesamtverantwortung für die Einhaltung der von ihr und den Ländern übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen" trage. Den Ländern obliege nach einem dem deutschen Staatsrecht zugehörenden Grundsatz eine Treueverpflichtung gegenüber dem Bund zur Erfüllung der von diesem eingegangenen völkerrechtlichen Verbindlichkeiten. 9 7 BVerfGE 6, S. 309 ff., 336 ff., 342 ff. s Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Rechtsentwicklung, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 3), Berlin 1973, S. 159 ff.

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Auch der Banner Staatsrechtslehrer Ernst Friesenhahn, der als Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts selbst am Konkordatsurteil mitgewirkt hatte, hat in einem aus Rechtsgründen erst im Jahre 1979 veröffentlichten, von der Meinung der Senatsmehrheit abweichenden Sondervotum die Auffassung vertreten, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Konkordatsurteil dahin gehend hätte lauten müssen, daß das Land Niedersachsen eine ihm dem Bunde gegenüber obliegende verfassungsrechtliche Pflicht verletze, wenn sein Schulgesetz nicht im Einklang mit den Schulbestimmungen des Reichskonkordats stehe. 10 Im Zuge der späteren Konkordatsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland wurde jedoch zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Lande Niedersachsen im Niedersächsischen Konkordat vom 26. 2. 1965 und in dem ergänzenden Vertrag vom 21. 5. 1973 zur Änderung des Niedersächsischen Konkordats vom 26. 2. 1965 eine einvernehmliche Lösung der Schulfrage, die den Anlaß zum Konkordatsprozeß gegeben hatte, gefunden. 11 Die bleibende historische Bedeutung des Konkordatsurteils des Bundesverfassungsgerichts besteht in der rechtsverbindlichen Feststellung, daß das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 rechtsgültig abgeschlossen wurde und auch unter der Herrschaft des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 unverändert fortgilt. Dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt konkordatsrechtlich, 9 Ulrich Scheuner, Rechtsgutachten über den "Abschluß und Rechtsbestand des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Deutschen Reiche vom 20. Juli 1933", in: Der Konkordatsprozeß. In Zusammenarbeit mit Hans Müller hrsg. von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. von der Heydte, II. Teilband, München 1957, S. 713 f. 1o Ernst Friesenhahn, Zur völkerrechtlichen und innerstaatlichen Geltung des Reichskonkordats. Sondervotum zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957 (2 BVG 1/55; BVerfGE 6, S. 309ff.) in dem Verfassungsrechtsstreit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen betreffend die Vereinbarkeit des niedersächsischen Schulgesetzes mit dem Reichskonkordat, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, Paderborn/München/Wien/Zürich 1979, S. 151ff. Dieses von den Bundesverfassungsrichtern Prof. Dr. Ernst Friesenhahn, Prof. Dr. Willi Geiger und Dr. Julius Federer gemeinsam ausgearbeitete Sondervotum ist ferner veröffentlicht bei Willi Geiger, Abweichende Meinungen zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Tübingen 1989, S. 75-112 mit der Überschrift "Abweichende Meinung- gemeinsam mit BVerfR Prof. Friesenhahn und BVerfR Dr. Federerausgearbeitet-zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957 in dem Verfassungsrechtsstreit zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung des Landes Niedersachsen betreffend die Vereinbarkeit des Niedersächsischen Schulgesetzes mit dem Reichskonkordat - 2 BvG 1/55 (BVerfGE 6, 309 ff.)". n Wortlaut des Niedersächsischen Konkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 1), Bd. 2, Berlin 1987, S. 5 ff.; Wortlaut des Vertrags vom 21. 5. 1973, ebd., S. 88 ff.

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staatskirchenrechtlich und kirchenpolitisch eine kaum hoch genug zu veranschlagende Bedeutung zu. II. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts Aufgrund der durch das Grundgesetz konstituierten Kulturhoheit der Länder gehören die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung ganz überwiegend zur Kompetenz der einzelnen Bundesländer. Dies gilt auch für das Konkordatsrecht. Aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und der in ihr begründeten Kulturhoheit der Länder ist jedes Bundesland zum Abschluß von Konkordaten mit dem Heiligen Stuhl und von Kirchenverträgen mit den evangelischen Landeskirchen und anderen Religionsgemeinschaften legitimiert. Von dieser Möglichkeit hat die Mehrzahl der Bundesländer einen regen Gebrauch gemacht. Dies hat dazu geführt, daß gegenwärtig in keinem Staat der Welt das Staatskirchenvertragsrecht in so starkem Maße entwickelt ist wie in der Bundesrepublik Deutschland.12 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Religions- und Staatskirchenrechts sind im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland geregelt. 13 Die Bestimmungen des Reichskonkordats gelten für den Bereich der gesamten Bundesrepublik Deutschland und für West-Berlin, sofern nicht in den vor dem Reichskonkordat abgeschlossenen Länderkonkordaten abweichende Regelungen enthalten sind oder die Länder nach Abschluß des Reichskonkordats in einzelnen Fällen aufgrund ihrer Kulturhoheit im Rahmen ihrer Zuständigkeit abweichende Vereinbarungen getroffen haben. Da die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die vor 1945 geschlossenen Staatskirchenverträge nicht anerkennt, findet das Reichskonkordat 12 Vgl. hierzu den Einleitungsbeitrag "Konkordate und Kirchenverträge" über die historische Entwicklung des Staatskirchenvertragsrechts der einzelnen Länder der Bundesrepublik Deutschland bei Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 1), Bd. 1, S. 3 ff. 13 Zum verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die bedeutsame Darstellung von Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 5-86. Zur Rechtsnatur und zur staatskirchenrechtlichen Bedeutung der Staatskirchenverträge, d. h. der Konkordate und der evangelischen Kirchenverträge sowie der zwischen dem Staat und anderen Religionsgemeinschaften abgeschlossenen Kirchenverträge, im allgemeinen vgl. Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen des Staatskirchenrechts, ebd., S. 267-296.

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für das Staatsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik gegenwärtig keine Anwendung. Die Frage der Geltung des Reichskonkordats im Verhältnis zu den Länderkonkordaten ist differenziert zu sehen. Bereits Art. 2 des Reichskonkordats (RK) bestimmt, daß die mit Bayern (1924), Preußen (1929) und Baden (1932) abgeschlossenen Konkordate bestehen und die in ihnen anerkannten Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche innerhalb der betreffenden Staatsgebiete unverändert gewahrt bleiben. Für die übrigen Länder greifen die im Reichskonkordat getroffenen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit Platz. Die Bestimmungen des Reichskonkordats sind auch für die drei genannten Länderim Falle des Preußischen Konkordats für die sog. preußischen Nachfolgeländer - verpflichtend, soweit sie Gegenstände betreffen, die in den Länderkonkordaten nicht geregelt worden sind oder soweit sie die früher getroffenen Regelungen ergänzen. Für die Zukunft sieht das Reichskonkordat vor, daß der Abschluß von Länderkonkordaten nur im Einvernehmen mit der Reichsregierung erfolgen werde. Infolge der durch das Grundgesetz konstituierten Kulturhoheit der Länder sind jedoch die einzelnen Bundesländer für alle in ihre Kompetenz fallenden Angelegenheiten im Bereich des Bildungs- und Kultuswesens zuständig. Entgegen der Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 RK, wonach der Abschluß von Länderkonkordaten nur im Einvernehmen mit der Reichsregierung erfolgen kann, sind die Bundesländer beim Abschluß von Konkordaten, sofern sich deren Bestimmungen auf Materien beziehen und beschränken, die zur Kompetenz der Bundesländer gehören, an irgendeine Zustimmung der Bundesregierung nicht gebunden. Das Land Niedersachsen hat es daher zu Recht abgelehnt, beim Abschluß des Niedersächsischen Konkordats vom 26. 2. 1965 einen Anspruch des Bundes auf Mitwirkung beim Zustandekommen dieses Konkordats anzuerkennen. 14 Dagegen pflegt der Heilige Stuhl als Vertragspartner des Reichskonkordats, da für ihn das Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts keine unmittelbaren völkerrechtlichen Auswirkungen entfaltet hat, im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 RK durch die Apostolische Nuntiatur in 14 Zur Frage des Anspruchs des Bundes auf Mitwirkung beim Abschluß von Länderkonkordaten vgl. den Briefwechsel über die Mitwirkung der Bundesregierung beim Abschluß des Niedersächsischen Konkordats, abgedruckt bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 1), Bd. 2, Berlin 1987, S. 32 ff.; ferner Werner Weber, Zur Mitwirkung des Bundes beim Abschluß von Länderkonkordaten, in: DÖV 1965, S. 44 f., abgedruckt auch in: ders., Staat und Kirche in der Gegenwart. Rechtswissenschaftliche Beiträge aus vier Jahrzehnten, Tübingen 1978, S. 283 ff.; Dedo von Schenck, Die Mitwirkung des Bundes beim Abschluß von Länderkonkordaten. Eine Entgegnung, in: DÖV 1966, S. 299-310.

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Bann in jedem einzelnen Fall des Abschlusses eines Länderkonkordats hierfür die Zustimmung der Bundesregierung einzuholen. Ungeachtet der Kulturhoheit der Länder kommt dem Reichskonkordat auch in der Gegenwart im Sinne einer staatskirchenrechtlichen Klammerfunktion nach wie vor eine große Bedeutung zu. Dies gilt einmal für alle Materien, die zur ausschließlichen Kompetenz des Bundes gehören, wie z. B. für die Militärseelsorge. Ferner gilt das Reichskonkordat unmittelbar in denjenigen Bundesländern, die kein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossen haben. In Bayern, in den preußischen Nachfolgestaaten und im Landesteil Baden des Landes BadenWürttemberg gilt das Reichskonkordat subsidiär und ergänzend. Soweit die einzelnen Länderaufgrund der Kulturhoheit Gesetzgebungskompetenz besitzen, können sie durch nachfolgende konkordatäre Regelungen infolge der durch das Grundgesetz festgelegten und vom Rechtszustand bei Abschluß des Reichskonkordats abweichenden Kompetenzverteilung auch Bestimmungen des Reichskonkordats abändern. Dies gilt insbesondere für die Festlegung des konfessionellen Charakters des Schulwesens und der Lehrerbildung.

m. Die einzelnen Regelungsmaterien des Reichskonkordats 1. Religions- und Kirchenfreiheit und staatsunabhängige Geltung

der kirchlichen Rechtsordnung

Eine zentrale Stellung nimmt sowohl im Reichskonkordat als auch in den Länderkonkordaten die Gewährleistung der individuellen und korporativen Religionsfreiheit, d. h. der Freiheit der katholischen Kirche, ein. In Art. 1 Abs. 1 RK gewährleistet das Deutsche Reich bzw. als dessen Rechtsnachfolgetin die Bundesrepublik Deutschland die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion. 15 In teilweiser Übernahme des Wortlauts des Art. 137 Abs. 3 WeimRV, der durch Art. 140 GG für die Bundesrepublik Deutschland zum Bestandteil dieses Grundgesetzes geworden ist, an15 Zum Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland vgl. Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1), Berlin 1971; ders., Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. l, S. 363-406; Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, 2. Aufl., München 1983, S. 51-77; Christian Starck, Kommentierung des Art. 4 des Grundgesetzes (Grundrecht der Religionsfreiheit), in: v. Mangoldtl Klein! Starck, Das Banner Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl., Bd. 1, München 1985, S. 418-488.

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erkennt das Deutsche Reich das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen (Art. 1 Abs. 2 RK). Dem Heiligen Stuhl steht das Recht auf freien Verkehr und auf ungehinderte Korrespondenz mit den Bischöfen, dem Klerus und den übrigen Angehörigen der katholischen Kirche in Deutschland zu. 16 Dieses Recht genießen auch die Bischöfe und die sonstigen Diözesanbehörden im Verkehr mit ihren Gläubigen in allen Angelegenheiten ihres Hirtenamtes (Art. 4 Abs. 1 RK). Anweisungen, Verordnungen, Hirtenbriefe und amtliche Bekanntmachungen können ungehindert veröffentlicht und in den bisher üblichen Formen zur Kenntnis der Gläubigen gebracht werden (Art. 4 Abs. 2 RK). Die Geltung des kirchlichen Rechts für den innerkirchlichen Bereich wird ausdrücklich anerkannt. Die auf kirchliche Personen oder kirchliche Dinge bezüglichen Materien, die im Reichskonkordat nicht behandelt worden sind, werden gemäß Art. 33 Abs. 1 RK für den kirchlichen Bereich dem geltenden kanonischen Recht gemäß geregelt. 2. Errichtung einer Apostolischen Nuntiatur und einer Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl

Im Interesse der Pflege guter Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen ~eich wurde in Art. 3 RK vereinbart, daß wie bisher ein Apostolischer Nuntius in der Hauptstadt des Deutschen Reiches und ein Botschafter des Deutschen Reiches beim Heiligen Stuhl residieren soll. 17 Gemäß dem Schlußprotokoll zu Art. 3 RK ist der Apostolische Nuntius beim Deutschen Reich Doyen des dort akkreditierten Diplomatischen Korps.

16 Vgl. hierzu die bedeutsame Abhandlung von Ulrich Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. 2, Berlin 1975, S. 299-344. 17 Hierzu Paul Mikat, Die päpstlichen Gesandten, in: ders., Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 5), Bd.l, Berlin 1974, S. 433-444; über die doppelte Aufgabenstellung der päpstlichen Nuntien als Vertreter des Papstes bei den Teilkirchen, d. h. bei den Bischöfen und den Gläubigen in den verschiedenen Nationen und Regionen, und gleichzeitig als diplomatische Vertreter des Papstes bei den Regierungen der verschiedenen Staaten vgl. Paul Mikat, Die päpstlichen Gesandten, in: HdbKathKR, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 295-301.

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Konkordate und Kirchenverträge 3. Rechtsstellung, freie Betätigung und Ausbildung der Kleriker

Für die katholische Kirche bildet das Recht, ihren Priesternachwuchs nach ihren eigenen Gesetzen und ohne unzulässige Einflußnahme des Staates auszubilden, stets einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit. 18 Über die Priesterausbildung und über die Rechtsstellung der Kleriker enthält das Reichskonkordat in den Artikeln 5-10 und in Art. 20 (mit Schlußprotokoll) eingehende Regelungen. Nach Art. 5 RK genießen die Geistlichen bei Ausübung ihrer geistlichen Tätigkeit den Schutz des Staates in gleicher Weise wie die Staatsbeamten. Der Staat gewährt ihnen gegen Beleidigungen ihrer Person und ihrer Eigenschaft als Geistliche sowie gegen Störungen ihrer Amtshandlungen einen qualifizierten behördlichen Schutz. Kleriker und Ordensleute können nach Art. 6 RK nicht zur Übernahme öffentlicher Ämter verpflichtet werden, die nach den Vorschriften des kanonischen Rechts mit dem geistlichen Stande bzw. dem Ordensstande nicht vereinbar sind. Dies gilt insbesondere vom Amt eines Schöffen, eines Geschworenen sowie eines Mitglieds der in der Zwischenzeit abgeschafften Steuerausschüsse und der in der damaligen Form heute ebenfalls nicht mehr bestehenden Finanzgerichte. Zur Übernahme einer Anstellung oder eines Amtes im Staat oder bei einer von ihm abhängigen Körperschaft des öffentlichen Rechts bedürfen Geistliche nach Art. 7 RK des Nihil obstat ihres Diözesanordinarius sowie des Ordinarius des Sitzes der öffentlich- rechtlichen Körperschaft. Das Amtseinkommen der Geistlichen ist in gleicher Weise von der Zwangsvollstrekkung befreit wie die Amtsbezüge der Reichs- und Staatsbeamten (Art. 8RK). Von besonderer Bedeutung im Rahmen der Garantien des Reichskonkordats ist der Schutz des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses. Art. 9 RK bestimmt hierzu, daß Geistliche von Gerichtsbehörden und anderen Behörden nicht um Auskünfte über Tatsachen angehalten werden können, die ihnen bei der Ausübung der Seelsorge anvertraut worden sind und deshalb unter die Pflicht der seelsorgerliehen Verschwiegenheit fallen. Der Gebrauch geistlicher Kleidung oder des Ordensgewandes durch Laien oder durch Geistliche oder Ordenspersonen, denen dieser Gebrauch durch endgültige kirchliche Anordnungen rechtskräftig verbots Über den historischen staatskirchenrechtlichen Hintergrund der Bestimmungen gegen unzulässige staatliche Einflußnahmen auf das Theologiestudium und die Priesterausbildung vgl. Listl, Kirche und Staat (Anm. 6), S. 154 ff.; ferner Klaus Reppel, Der Staat und die Vorschriften über die Vorbildung der Geistlichen, Jur. Diss. Bonn 1966.

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ten worden ist, unterliegt staatlicherseits den gleichen Strafen wie der Mißbrauch der militärischen Uniform (Art. 10 RK). Bezüglich der Priesterausbildung garantiert Art. 20 RK der Kirche das Recht, soweit nicht andere Vereinbarungen vorliegen, zur Ausbildung des Klerus philosophische und theologische Lehranstalten zu errichten, die ausschließlich von der Kirche abhängen, sofern staatliche Zuschüsse nicht verlangt werden. 19 Dabei steht die Errichtung, Leitung und Verwaltung der Priesterseminare sowie der kirchlichen Konvikte, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ausschließlich den kirchlichen Behörden zu. Nach dem Schlußprotokoll zu Art. 20 RK werden die unter Leitung der Kirche stehenden Konvikte an Hochschulen und Gymnasien in steuerrechtlicher Hinsicht ausdrücklich als wesentliche kirchliche Institutionen im eigentlichen Sinne und als Bestandteil der Diözesanorganisation anerkannt. 4. Die Diözesanorganisation und -Zirkumskription

Einen Gegenstand gemeinsamen Interesses in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche bildet in allen Konkordaten die Frage der Abgrenzung der kirchlichen Verwaltungsbezirke und deren territoriale Einfügung in den staatlichen Verwaltungsaufbau. 20 Das Reichskonkordat schreibt in Art. 11 die zum Zeitpunkt des Konkordatsabschlusses bestehende Diözesanorganisation und -Zirkumskription fest. Diesbezügliche Änderungen innerhalb der Grenzen eines Landes bleiben nach wie vor der Vereinbarung mit der zuständigen Landesregierung vorbehalten. Auf diese Weise ist im Jahre 1957 im Lande NordrheinWestfalen das Bistum Essen errichtet worden. 21 Bei Neubildungen 19 Hierzu Manfred Baldus, Kirchliche Hoch- und Fachhochschulen, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. 2, Berlin 1975, S. 597-622; ders., Kirchliche Hochschulen, in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 2, Berlin/Heidelberg/New York 1982, S. 1101-1130. 2o Zur gegenwärtigen Diözesanorganisation und -Zirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik vgl. Karl Eugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. I, S. 299-325. 21 Durch Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land NordrheinWestfalen vom 19. 12. 1956 wurde die Errichtung des Bistums Essen vereinbart. Wortlaut des Vertrags bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 1), Bd. 2, S. 230 ff. Die in diesem Vertrag vereinbarte Errichtung des Bistums Essen erfolgte durch die Päpstliche Bulle "Germanicae gentis" vom 23. 2. 1957, veröffentlicht in: AAS, Vol. 49 (1957), S. 993-995 (deutsche Übersetzung bei Nikolaus Hilling, Die Errichtung des Bistums Essen, in: ArchKathKR, Bd. 128 [1957], S. 332-334) und durch Dekret der Konsistorialkongregation vom 11. 7. 1960, in: Acta Apostolicae Sedis, Vol. 53 (1961), S. 45 f.

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oder Änderungen, die über die Grenzen eines deutschen Landes hinausgreifen, erfolgt die Verständigung mit der Reichsregierung, d. h. heute der Bundesregierung, der es überlassen bleibt, die Zustimmung der in Frage kommenden Landesregierungen herbeizuführen. Gleiches gilt für die Neuerrichtung oder Änderung von Kirchenprovinzen, sofern mehrere deutsche Länder daran beteiligt sind. Im Falle von Neugliederungsmaßnahmen innerhalb des Deutschen Reichs wird sich die Reichsregierung zwecks Neuordnung der Diözesanorganisation mit dem Heiligen Stuhl in Verbindung setzen. 5. Ämtererrichtung, Ämterbesetzung, Bischofswahlrecht, Politische Klausel, Treueid der Bischöfe

Die Freiheit der Kirche bei der Errichtung und Besetzung ihrer Ämter bildet einen wesentlichen Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit. 22 In dieser Hinsicht bestimmt z. B. die Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" des Zweiten Vatikanischen Konzils, daß den religiösen Gemeinschaftenaufgrund ihrer Religionsfreiheit das Recht zustehe, nicht durch Mittel der Gesetzgebung oder durch verwaltungsrechtliche Maßnahmen der staatlichen Gewalt daran gehindert zu werden, ihre eigenen Amtsträger auszuwählen, zu erziehen, zu ernennen und zu versetzen. a) In Art. 12 RK wird der Kirche ausdrücklich das Recht der freien Errichtung kirchlicher Ämter und deren Umwandlung garantiert, sofern Aufwendungen aus Staatsmitteln hierfür nicht beansprucht werden. Die staatliche Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden soll nach einheitlichen Richtlinien erfolgen, die mit den Diözesanbischöfen vereinbart werden. b) Art. 13 RK enthält eine Garantie, daß die katholischen Kirchengemeinden, Kirchengemeindeverbände und Diözesanverbände, die Bischöflichen Stühle, Bistümer und Kapitel, die Orden und religiösen Genossenschaften sowie die unter Verwaltung kirchlicher Organe gestellten Anstalten, Stiftungen und Vermögensstücke der katholischen Kirche die Rechtsfähigkeit für den staatlichen Bereich behalten bzw. 22 Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Nr. 4 Abs. 3, abgedr. u. a. in: Karl Rahner und Herbert Vorgrimler (Hrsg.), Kleines Konzilskompendium. Alle Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen des Zweiten Vaticanums in der bischöflich beauftragten Übersetzung(= Herder-Bücherei, Bd. 270171172173), Freiburg/Br. 1966, S. 665. Über geschichtliche Erscheinungsformen unzulässiger Exekutivmittel staatlicher Kirchenhoheit vgl. Listl, Kirche und Staat (Anm. 6), S. 150ff. Vgl. ferner Ludwig Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter in den Konkordaten Papst Pius' XI. (= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 18 und 19), Bonn 1942 (Neudruck: Amsterdam 1964).

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nach den allgemeinen Vorschriften des staatlichen Rechts erlangen. 23 In wörtlicher Übereinstimmung mit Art. 137 Abs. 5 WeimRV, der durch Art. 140 GG in dieses Grundgesetz inkorporiert worden ist, garantiert Art. 13 RK, daß diese kirchlichen Institutionen Körperschaften des öffentlichen Rechts bleiben, soweit sie solche bisher waren. Den anderen können die gleichen Rechte nach Maßgabe des für alle geltenden Gesetzes verliehen werden. Das Schlußprotokoll zu Art. 13 RK enthält eine ausdrückliche Garantie, daß das Recht der Kirche, Steuern zu erheben, gewährleistet bleibt. 24 c) Nach Art. 14 Abs. 1 RK steht der Kirche grundsätzlich das freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde zu, soweit nicht in den Länderkonkordaten mit Bayern, Preußen und Baden andere Vereinbarungen getroffen worden sind. Für die Besetzung der Bischöflichen Stühle von Rottenburg und Mainz sowie für das Bistum Meißen soll die im Badischen Konkordat für den Metropolitansitz der Oberrheinischen Kirchenprovinz Freiburg getroffene Regelung entsprechende Anwendung finden. Dies bedeutet, daß durch das Reichskonkordat für diese Bischofsstühle das Wahlrecht der Domkapitel vereinbart worden ist. Für die beiden Diözesen Rottenburg und Mainz gelten hinsichtlich der Besetzung von domkapitularischen Stellen und der Regelung des Patronatsrechts gleichfalls die einschlägigen Bestimmungen des Badischen Konkordats. d) Außerdem werden in Art. 14 Abs. 2, wie dies auch in den Konkordaten mit Bayern, Preußen und Baden geschehen ist, Ernennungsvoraussetzungen für Geistliche festgelegt, die in Deutschland ein geistliches Amt bekleiden oder eine seelsorgerliehe oder Lehrtätigkeit ausüben, nämlich a) der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit, b) der Besitz eines zum Studium an einer deutschen Hochschule berechtigenden Reifezeugnisses sowie c) ein wenigstens dreijähriges philosophisch-theologisches Studium an einer deutschen staatlichen oder kirchlichen Hochschule oder einer päpstlichen Hochschule in Rom. Dabei kann im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Kirche und Staat von diesen Erfordernissen abgesehen werden. e) Art. 14 Abs. 2 Ziff. 2 RK enthält, ebenso wie die Länderkonkordate mit Bayern, Preußen und Baden, eine sog. "Politische Klausel". 25 23 Zur staatskirchenrechtlichen Bedeutung des Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vgl. Ernst Friesenhahn, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: HdbStKirchR (Arun. 13), Bd. 1, S. 545-585. 24 Zum Kirchensteuerwesen in der Bundesrepublik Deutschland vgl. den Beitrag von Heiner Marre, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. 2, Berlin 1975, S. 5-50.

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Danach wird die päpstliche Ernennung, genauer die Ausstellung der "Bulle für die Ernennung", von Erzbischöfen, Bischöfen, eines Koadjutors mit dem Recht der Nachfolge oder eines Praelatus nullius, in der Rechtssprache des Codex Iuris Canonici vom 25. 1. 1983 eines Territorialprälaten, d. h. eines Prälaten mit eigenem bischofsgleichem Jurisdiktionsbereich, erst erfolgen, nachdem der Name des dazu Ausersehenen dem Reichsstatthalter, d. h. heute dem Ministerpräsidenten, in dem zuständigen Lande mitgeteilt und festgestellt worden ist, daß gegen ihn Bedenken allgemein politischer Natur nicht bestehen. Hinsichtlich der Äußerungsfrist des Staates bestimmt das Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 2 Ziff. 2 RK, daß eventuelle Bedenken allgemein politischer Natur seitens des Staates in "kürzester Frist" vorzubringen sind. Liegt nach Ablauf von 20 Tagen eine derartige Erklärung nicht vor, ist der Heilige Stuhl berechtigt, anzunehmen, daß Bedenken gegen den Kandidaten nicht bestehen. Beide Konkordatspartner verpflichten sich, über die in Frage stehenden Persönlichkeiten bis zur Veröffentlichung der Ernennung "volle Vertraulichkeit" zu wahren. Jedoch soll, wie in Abs. 2 des Schlußprotokolls zu Art. 14 ausdrücklich erklärt wird, durch die Politische Klausel ein "staatliches Vetorecht" nicht begründet werden. Dies bedeutet, daß im Falle unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Konkordatspartnern die Kirche berechtigt sein soll, den in Aussicht genommenen Kandidaten ungeachtet der staatlicherseits erhobenen Bedenken zu ernennen. f) Eine Besonderheit des Reichskonkordats, die in den Länderkonkordaten mit Bayern, Preußen und Baden und auch im evangelischstaatskirchenrechtlichen Bereich keine Parallele besitzt, ist die in Art. 16 RK festgelegte Verpflichtung der Diözesanbischöfe zur Ablegung eines Treueides. Danach leisten die Bischöfe, bevor sie von ihrer Diözese Besitz ergreifen, in die Hand des Reichsstatthalters in dem zuständigen Lande bzw. des Reichspräsidenten einen Treueid nach einer im Konkordat festgelegten Eidesformel. 26 Heute erfolgt die Eideslei25 Zur Bedeutung der politischen Klausel im Staatskirchenrecht vgl. Werner Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten. Staat und Bischofsamt, Harnburg 1939 (Neudruck: Aalen 1966); Joseph H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, Berlin 1949; Eugen Heinrich Fischer, Die Politische Klausel des Reichskonkordates und ihre rechtliche Tragweite, in: Theologische Quartalschrift (Tübingen), Bd. 134 (1954), S. 352-376. 26 Vgl. Philipp Hofmeister, Der Bischofseid gegenüber dem Staat, in: Münchener Theologische Zeitschrift, Bd. 6 (1955), S. 195-214; Alexander Hollerbach, Zur Problematik des staatlichen Treueids der Bischöfe, in: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, München 1986, S. 193-201. Hollerbach plädiert hier nach dem Vorbild einer im Jahre 1978für das Bistum Basel vereinbarten Schweizer Regelung für die Ersetzung des bischöflichen Treueides durch ein inhaltlich im wesentlichen gleiches "feierliches Versprechen (ohne eidliche Bekräftigung)" und ohne Anrufung

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stung vor dem Ministerpräsidenten desjenigen Bundeslandes, in dem der Bischofssitz des betreffenden Diözesanbischofs liegt. Erstreckt sich das Gebiet einer Diözese auf das Territorium eines weiteren oder mehrerer anderer Bundesländer, sind auch Vertreter der anderen Bundesländer bei der Ablegung des bischöflichen Treueids anwesend. So legte Bischof Karl Lehmann von Mainz, von dessen Diözese Teile im Bundesland Hessen liegen, am 29. 9. 1983 seinen Treueid in der Staatskanzlei des Landes Rheinland-Pfalz in Mainz vor dem Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Bernhard Vogel, und gleichzeitig vor dem bei der Eidesleistung ebenfalls mit Vertretern seiner Landesregierung anwesenden Hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner ab. Der von Bischof Karl Lehmann geleistete Treueid hatte folgenden, sich eng an die im Reichskonkordat vereinbarte Formel anlehnenden Wortlaut: "Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, Deutschland und den Ländern Rheinland-Pfalz und Hessen Treue. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildeten Regierungen zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtmäßigen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte. " 27 6. Gründungs- und Betätigungsfreiheit der Orden und religiösen Genossenschaften

Im Hinblick darauf, daß im 19. Jahrhundert und bis zum Ende der Monarchie die Tätigkeit der Orden und religiösen Kongregationen von seiten des Staates zahlreichen Behinderungen und Beschränkungen unterworfen war, die in der Zeit des sog. Kulturkampfes im Falle des Jesuitenordens und einiger anderer Ordensgemeinschaften bis zu deren Vertreibung vom Staatsgebiet des Deutschen Reiches gingen, wurde in Art. 15 Abs. 1 RK die Gründung, die Niederlassung und freie Betätigung der Orden und religiösen Genossenschaften in der Seelsorge, Gottes bzw. ohne religiöse Beteuerung (S. 200). Abgesehen davon, daß eine Revision des Reichskonkordats, wie es scheint, auf lange Zeit hin nicht zu erwarten sein dürfte, kann diese Anregung von Hollerbach nur ein geringes Maß an Plausibilität für sich in Anspruch nehmen. Wenn sich die Diözesanbischöfe in Anbetracht der engen Kooperation, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Staat und Kirche besteht, in feierlicher Weise zu einem besonderen Maß an Loyalität zum Staat und zu der verfassungsmäßig gebildeten Regierung verpflichten, legt es das bischöfliche Amt nahe, daß dieses feierliche Versprechen unter ausdrücklicher Anrufung Gottes und in der hergebrachten Form des religiösen Eides erfolgt. 27 Der Wortlaut dieser Eidesformel ist bisher nicht veröffentlicht.

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im Unterricht, in Krankenpflege und karitativer Arbeit sowie in der Ordnung ihrer Angelegenheiten und der Verwaltung ihres Vermögens ausdrücklich garantiert. Jedoch müssen gemäß Art. 15 Abs. 2 RK geistliche Ordensobere, die innerhalb des Deutschen Reiches ihren Amtssitz haben, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. In Art. 15 Abs. 3 RK verpflichtet sich der Heilige Stuhl, dafür Sorge zu tragen, daß, von Ausnahmen abgesehen, die Unterstellung deutscher Ordensniederlassungen unter ausländische Provinzialobere tunliehst entfällt. Den Orden und religiösen Kongregationen, die im Jahre 1933 nahezu ausschließlich die Träger des katholischen Privatschulwesens waren, wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze und gesetzlichen Bedingungen das Recht zur Gründung und Führung von Privatschulen zugesichert. Hinsichtlich der Gleichwertigkeit der Freien Schulen mit den öffentlichen Schulen wird erklärt, daß die Privatschulen die gleichen Berechtigungen verleihen wie die staatlichen Schulen, soweit sie die lehrplanmäßigen Vorschriften für letztere erfüllen (Art. 25 Abs. 1 RK). Ordensangehörige Lehramtskandidaten dürfen gegenüber den anderen Lehramtsanwärtern nicht diskriminiert werden. Hinsichtlich der Zulassung zum Lehramt und für die Anstellung an Volksschulen, mittleren und höheren Lehranstalten gelten für Angehörige von Orden und religiösen Genossenschaften die allgemeinen Bedingungen (Art. 25 Abs. 2 RK). Diese Bestimmungen über die Privatschulfreiheit der Ordensgenossenschaften wurden von den Machthabern des Dritten Reichs in besonders schwerwiegender Weise verletzt. In den letzten Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg wurden die ordenseigenen Freien Schulen planmäßig aufgehoben und die einem Orden oder einer religiösen Genossenschaft angehörenden Lehrkräfte aus dem Schuldienst entlassen. 28 28 Vgl. hierzu im einzelnen die Angaben bei Dieter Albrecht, Der Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der Deutschen Reichsregierung. Bd. I: Von der Ratifizierung des Reichskonkordats bis zur Enzyklika "Mit brennender Sorge", Mainz 1965, Dokumente Nr. 77, 90, 94, 98, 101, 103; Bd. II: 1937-1945, Mainz 1969, Dokumente Nr. 22 und 4* (Anhang, S. 213); Bd. III: Der Notenwechsel und die Demarchen des Nuntius Orsenigo 1933-1945, Mainz 1980, Dokumente Nr. 210, 211, 212, 232, 245, 250, 251, 410, 438, 6*. Ferner: Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. I-III bearbeitet von Bemhard Stasiewski und Bd. IV-VI von Ludwig Volk, Bd. I: 1933-1934, Mainz 1968, Bd. II: 1934-1935, Mainz 1976, und Bd. III: 1935-1936, Mainz 1979, jeweils im Sachregister, Stichwort "Schule-Schulen-Ordensschulen"; Bd. IV: 19361939, Mainz 1981, insbesondere die Dokumente Nr. 334, 334 c, 340, 344/11, 344/11 b, 344/11 c, 344/III, 356,358,399/11,412,425,439,456,473/11,482,506 a, 510/11, 510/III, 511, 529, 530, 533, 22*, 29*; Bd. V: 1940-1942, Mainz 1983, S. 1100 (Sachregister, Stichwort "Ordensschulen"); Bd. VI: 1943-1945, Mainz 1985, S. 947 (Sachregister, Stichwort "Ordensschulen").

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7. Theologische Fakultäten, Schul- und Bildungswesen, Religionsunterricht

Für den Bereich des Schul- und Bildungswesens mit Einschluß des Religionsunterrichts enthält das Reichskonkordat bedeutsame Bestimmungen, für deren Ausführung heute ausschließlich die Bundesländer zuständig sind.

a) Gemäß Art. 19 Satz 1 RK bleiben die katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen erhalten. Nach Art. 19 Satz 2 RK richtet sich ihr Verhältnis zur kirchlichen Behörde nach den in den einschlägigen Konkordaten und dazugehörigen Schlußprotokollen festgelegten Bestimmungen unter Beachtung der einschlägigen kirchlichen Vorschriften. 29 Durch diese Bestimmung des Art. 19 Satz 2 RK wurde das übereinstimmende Recht der Katholisch-Theologischen Universitätsfakultäten, wie es in den Konkordaten mit Bayern, Preußen und Baden Ausdruck gefunden hat, auch für die Tübinger Katholisch-Theologische Fakultät für anwendbar erklärt, für die im Jahre 1933 als einzige Katholisch-Theologische Fakultät keine Bestimmung eines Landeskonkordats Anwendung fand. Dieser gemeinsame Grundbestand des theologischen Fakultätenrechts betrifft die Voraussetzungen für die Berufung und ebenso für eine aufgrundeiner eventuellen konkordatsrechtlichen Beanstandung erfolgende Abberufung von Lehrern der katholischen Theologie. Ohne Erteilung der Missio canonica, die für Universitätstheologen in der Form der Erklärung des bischöflichen Nihil obstat erfolgt, kann eine Berufung eines Lehrers der Theologie an eine Katholisch-Theologische Fakultät nicht erfolgen. Wird ein Lehrer der katholischen Theologie vom zuständigen Diözesanbischof wegen seiner Lehre oder seines Lebenswandels aus triftigen Gründen konkordatsrechtlich beanstandet, verliert er unter Beibehaltung seines Beamtenstatus alle Rechte in der betreffenden katholischtheologischen Fakultät und scheidet aus dieser aus. Der Staat ist verpflichtet, für den ausgeschiedenen Lehrer der Theologie einen entsprechenden Ersatz zu stellen. Diese Bestimmung des Art. 19 Satz 2 RK wurde bedeutsam im Falle der am 31. 12. 1979 erfolgten konkordatsrechtlichen Beanstandung des Tübinger Theologen Hans Küng durch den zuständigen Diözesanbischof von Rottenburg-Stuttgart. 30 29 Über die Entwicklung des innerkirchlichen Fakultätenrechts von 1933 bis zur Gegenwart vgl. die dokumentarischen Angaben bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 1), Bd. l, S. 56-58 (=Fußnote 33). so Vgl. hierzu Ulrich Scheuner, Rechtsfolgen der konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 13), Berlin 1980, bes. S. 12 ff.; Paul Feuchte, Der Fall des Professors für Dogmatische und Ökumenische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen Hans Küng, in: ders., Verfassungsgeschichte

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b) Nach Art. 19 Satz 3 RK wird sich die Reichsregierung angelegen sein lassen, für sämtliche in Frage kommenden katholischen Fakultäten Deutschlands eine der Gesamtheit der einschlägigen Bestimmungen entsprechende einheitliche Praxis zu sichern. Diese Konkordatsbestimmung ist während der Herrschaft des Nationalsozialismus, dessen Politik in erkennbarer Weise immer stärker auf die totale Beseitigung der katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten abzielte, nicht verwirklicht worden. Infolge der durch das Grundgesetz geschaffenen Kompetenzbeschränkung des Bundes auf kulturpolitischem Gebiet ist sie heute obsolet. 31 c) Im Schlußprotokoll zu Art. 19 Satz 2 RK wird erklärt, daß die "Grundlage" für die Beziehungen der katholisch-theologischen Fakultäten zur kirchlichen Behörde "zur Zeit des Konkordatsabschlusses" besonders die Apostolische Konstitution "Deus scientiarum Dominus" vom 24. 5. 1931 und die Instruktion vom 7. 7. 1932 geboten habe. Dadurch ist ausgesagt, daß es sich im Schlußprotokoll zu Art. 19 Satz 2 um eine sog. "dynamische Verweisung" auf das jeweils geltende innerkirchliche Fakultätenrecht handelt. 32 d) In Art. 23 RK wird die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen gewährleistet. An allen katholischen Volksschulen sollen nur solche Lehrer angestellt werden, die der katholischen Kirche angehören und die Gewähr bieten, den besonderen Erfordernissen der katholischen Bekenntnisschule zu entsprechen (Art. 24 Abs. 2 RK). Auch die katholische konfessionelle Lehrerausbildung wird zugesichert (Art. 24 Abs. 3 RK). Im Schlußprotokoll zu Art. 24 wird erklärt, daß bei der Zulassung zur konfessionellen Lehrerbildung auch bestehende Anstalten der Orden und Kongregationen entsprechend berücksichtigt werden, sofern sie in der Lage sein werden, den allgemein geltenden staatlichen Anforderungen für die Ausbildung von Lehrern oder Lehrerinnen zu entsprechen. Tatsächlich wurden durch den nationalsozialistischen Staat unter Bruch des Reichskonkordats wenige Jahre nach dessen Abschluß sämtliche katholischen von Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, S. 501-507; Axel Frhr. von Campenhausen, Theologische Fakultäten/Fachbereiche, in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 2 (Anm. 19), S. 1018-1045; Alexander Hollerbach, Die Theologischen Fakultäten und ihr Lehrpersonal im Beziehungsgefüge von Staat und Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 16 (Münster 1982), S. 69-102; Georg May, Die Hochschulen, in: HdbKathKR (Anm. 17), S. 605-631; Martin Heckel, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, Tübingen 1986; ders., Organisationsstrukturen der Theologie in der Universität(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 18), Berlin 1987. 31 So zutreffend Scheuner, Rechtsfolgen (Anm. 30), S. 12. 32 Hierzu Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. l), S. 56 f.

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Bekenntnisschulen und ebenso die konfessionelle Lehrerausbildung beseitigt. 33 e) Art. 21 RK enthält eine Garantie des katholischen Religionsunterrichts. Danach ist der katholische Religionsunterricht in den Volksschulen, Berufsschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten ordentliches Lehrfach und wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche erteilt. 34 Lehrstoff und Auswahl der Lehrbücher für den Religionsunterricht werden im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde festgelegt. Die kirchlichen Oberbehörden sind berechtigt, im Einvernehmen mit der Schulbehörde zu prüfen, ob die Schüler Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Lehren und Anforderungen der Kirche erhalten. Im Religionsunterricht soll dabei die Erziehung zu vaterländischem, staatsbürgerlichem und sozialem Pflichtbewußtsein aus dem Geiste des christlichen Glaubensund Sittengesetzes mit besonderem Nachdruck gepflegt werden, ebenso wie es im gesamten übrigen Unterricht geschieht. Die Anstellung von katholischen Religionslehrern kann nur aufgrund einer Verständigung zwischen dem Bischof und der Landesregierung erfolgen. Lehrer, die wegen ihrer Lehre oder sittlichen Führung vom Bischof zur weiteren Erteilung des Religionsunterrichts für ungeeignet erklärt worden sind, dürfen, solange dieses Hindernis besteht, nicht als Religionslehrer verwendet werden (Art. 22 Satz 1 und 2 RK). 35

33 Vgl. hierzu im einzelnen die zahlreichen Angaben bei Albrecht, Der Notenwechsel (Anm. 28), Bd. I, S. 457, und Bd. II, S. 274, jeweils im Sachregister, Stichwort "Schulfragen (vor allem Bekenntnisschule)", Bd. III, S. 816, im Sachregister, Stichwort "Bekenntnisschulen"; ferner: Akten deutscher Bischöfe (Anm. 28), Bd. I, S. 957, Bd. II, S. 497, und Bd. III, S. 572 f., jeweils im Sachregister, Stichwort "Schule-Schulen-Bekenntnisschule", Bd. IV, S. 836, Bd. V, S. 1079, und Bd. VI, S. 923, jeweils im Sachregister, Stichwort "Bekenntnisschule". 34 Diese Vertragsbestimmung ist von den nationalsozialistischen Machthabern sowohl durch staatliche Ingerenz in die inhaltliche Gestaltung und die Erteilung des Religionsunterrichts als auch durch eine völlige Unterdriickung der Erteilung des Religionsunterrichts in schwerwiegender Weise planmäßig verletzt worden. Vgl. hierzu die Angaben bei Albrecht, Der Notenwechsel (Anm. 28), Bd. II, S. 273, und Bd. III, S. 845, Sachregister, Stichwort "Religionsunterricht"; vgl. ferner die große Zahl von Fundstellen in: Akten deutscher Bischöfe (Anm. 28), Bd. I, S. 953, Bd. II, S. 494, Bd. III, S. 568, Bd. IV, S. 854, Bd. V, S. 1105, Bd. VI, S. 951 f., jeweils Sachregister, Stichwörter "Religionslehrer" und "Religionsunterricht". 35 Zur gegenwärtigen rechtlichen Situation des Religionsunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die umfassende Darstellung von Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986.

33 Sbd. List!

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Konkordate und Kirchenverträge 8. Schutz des kirchlichen Eigentums und Garantie der Staatsleistungen

a) Nach Art. 17 Abs. 1 RK werden das Eigentum und andere Rechte der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, der Anstalten, Stiftungen und Verbände der katholischen Kirche an ihrem Vermögen nach Maßgabe der allgemeinen Staatsgesetze gewährleistet. 36 Daß das Reichskonkordat als "concordatum defensionis" abgeschlossen wurde, zeigt besonders anschaulich die Bestimmung des Art. 17 Abs. 2 RK. Danach darf aus keinem irgendwie gearteten Grunde ein Abbruch von gottesdienstlichen Gebäuden erfolgen, es sei denn nach vorherigem Einvernehmen mit der zuständigen kirchlichen Behörde. Nach dem Schlußprotokoll zu Art. 17 bleiben staatliche Gebäude oder Grundstücke, die Zwecken der Kirche gewidmet sind, diesen, unter Wahrung etwa bestehender Verträge, nach wie vor überlasse:r:. b) Auch die Staatsleistungen an die Kirchen, die ihrer Rechtsnatur nach eine Wiedergutmachung für die seitens des Staates während der napoleonischen Zeit in großem Umfang entschädigungslos durchgeführten Enteignungen von Kirchengut darstellen, wurden im Reichskonkordat berücksichtigt. 37 Nach Art. 18 Abs. 1 RK wird für den Fall, daß die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die katholische Kirche abgelöst werden sollen, vor der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden. c) Nach Art. 18 Abs. 2 RK zählt zu den "besonderen Rechtstiteln" i. S. des Art. 18 Abs. 1 auch das "rechtsbegründete Herkommen". Vorsorglich stellt Art. 18 Abs. 3 RK klar, daß eine eventuelle Ablösung der

Staatsleistungen den Ablösungsberechtigten "einen angemessenen Ausgleich" für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren muß. 9. Militär- und Anstaltsseelsorge

a) Art. 27 RK enthält Bestimmungen über die Errichtung einer von den Diözesanbischöfen "exemten" Militärseelsorge. Die Leitung der Militärseelsorge obliegt nach Art. 27 Abs. 2 RK einem vom Heiligen 36 Zum Kirchenvermögensrecht siehe Siegfried Marx, Staatskirchenrechtliche Bestimmungen zum Kirchenvermögens- und Stiftungsrecht im Bereich der katholischen Kirche, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. 2, Berlin 1975, S. 117-160. 37 Zu den Staatsleistungen siehe Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. 2, Berlin 1975, s. 51-90.

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Stuhl im Einvernehmen mit der Reichsregierung ernannten Armeebischof. Diese Bestimmung wurde zwischenzeitlich modifiziert durch die Statuten für die Katholische Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr vom 31. Juli 1965. Nach Abschnitt I Art. 2 dieser Statuten wird zum Militärbischof vom Apostolischen Stuhl ein in der Bundesrepublik Deutschland residierender Diözesanbischof ernannt unter Wahrung der Bestimmungen, die in Art. 27 RK enthalten sind. Ferner wird in Art. 27 Abs. 3 RK die Ernennung der Militärpfarrer und der sonstigen Militärgeistlichen geregelt. Die näheren Bestimmungen über die Organisation der katholischen Heeresseelsorge wurden durch ein im Benehmen mit der Reichsregierung erlassenes Apostolisches Breve vorgenommen (Art. 27 Abs. 4 mit Schlußprotokoll). 38 Der Geheimanhang zum Reichskonkordat enthält Regelungen über die Militärdienstpflicht der Geistlichen, Ordensleute und Priesteramtskandidaten und über deren Einsatz im KriegsfalL b) Auch die Anstaltsseelsorge wurde in Art. 28 RK eingehend geregelt. Danach wird die Kirche in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Häusern der öffentlichen Hand im Rahmen der allgemeinen Hausordnung zur Vornahme seelsorgedieher Besuche und gottesdienstlicher Handlungen zugelassen. Sofern in solchen Anstalten eine regelmäßige Seelsorge eingerichtet wird und hierfür Geistliche als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte eingestellt werden müssen, geschieht deren Einstellung im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde. Im Schlußprotokoll zu Art. 28 wurde vorsorglich ausdrücklich festgelegt, daß dem Geistlichen in dringenden Fällen der Zutritt "jederzeit" zu gewähren ist. 10. Eherecht, Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes, völkische Minderheiten

a) Im Bereich des Eherechts wurden in Art. 26 RK zwei Ausnahmen von der allgemeinen Verpflichtung der obligatorischen zivilen (standesamtlichen) Voraustrauung vereinbart. Abgesehen vom Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines Verlobten darf auch im Falle eines schweren sittlichen Notstandes, dessen Vorhandensein durch die zuständige bischöfliche Behörde bestätigt sein muß, die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung vorgenommen werden. Nach dem Schlußprotokoll zu Art. 26 liegt aa Die gegenwärtig geltenden Statuten für die Katholische Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr vom 31. 7. 1965 sind abgedruckt bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 1), Bd. l, S. 66 ff. 33•

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ein schwerer sittlicher Notstand vor, wenn es auf unüberwindliche oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beseitigende Schwierigkeiten stößt, die zur Eheschließung erforderlichen Urkunden rechtzeitig beizubringen. Nach einem Notenwechsel zwischen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl und dem Päpstlichen Staatssekretariat aus dem Jahre 1957liegt ein derartiger schwerer sittlicher Notstand jedoch dann nicht vor, wenn mit dem Vollzug der Ziviltrauung für die Nupturienten ausschließlich wirtschaftliche Nachteile verbunden wären. 39 b) Gemäß Art. 30 RK wird an den Sonntagen und den gebotenen Feiertagen in den Bischofskirchen sowie in den Pfarr-, Filial- und Klosterkirchen des Deutschen Reiches im Anschluß an den Hauptgottesdienst, entsprechend den Vorschriften für die kirchliche Liturgie, ein Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes eingelegt. In der Gegenwart werden an Stelle des traditionellen lateinischen oder deutschen Gebetes vielfach Fürbitten gesprochen. c) Ein besonderes pastorales Problem bildeten zum Zeitpunkt des Konkordatsabschlusses die innerhalb des Deutschen Reiches wohnenden katholischen Angehörigen nichtdeutseher völkischer Minderheiten, insbesondere Katholiken polnischer Sprache im ehemaligen Ostpreußen. Bezüglich der Berücksichtigung ihrer Muttersprache in Gottesdienst, Religionsunterricht und kirchlichem Vereinswesen wurde vom Deutschen Reich in Art. 29 RK zugesichert, daß sie nicht weniger günstig gestellt werden, als es der rechtlichen und tatsächlichen Lage der Angehörigen deutscher Abstammung und Sprache innerhalb des Gebietes des entsprechenden fremden Staates entspricht. Im zugehörigen Schlußprotokoll zu Art. 29 erklärt der Heilige Stuhl, in Bekräftigung seiner stets vertretenen Grundsätze bezüglich des Rechtes der Muttersprache in der Seelsorge, im Religionsunterricht und im katholischen Vereinsleben, bei künftigen konkordatären Abmachungen mit anderen Ländern auf die Aufnahme einer gleichwertigen, die Rechte der deutschen Minderheiten schützenden Bestimmung Bedacht nehmen zu wollen. 11. Katholische Organisationen und Verbände

Besonders intensiv wurde zwischen den beiden Konkordatspartnern um die Formulierung des Art. 31 RK gerungen, der die katholischen Organisationen und Verbände, insbesondere auch die katholischen Ju39 Der Notenwechsel ist abgedruckt bei ListZ, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm.l), Bd. 1, S. 49, Fußnote 21.

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gendverbände, betrifft. Vom Deutschen Reich wurden nach Konkordatsabschluß gerade auch die Bestimmungen dieses Artikels in besonders schwerwiegender Weise verletzt. 40 Nach Art. 31 Abs. 1 RK werden diejenigen katholischen Organisationen und Verbände, die ausschließlich religiösen, rein kulturellen und karitativen Zwecken dienen und als solche der kirchlichen Behörde unterstellt sind, in ihren Einrichtungen und in ihrer Tätigkeit geschützt. Geringer war nach Art. 31 Abs. 2 RK der Schutz der anderen, nicht ausschließlich religiösen, rein kulturellen und karitativen Zwecken dienenden katholischen Organisationen gegen den Zugriff des totalitären nationalsozialistischen Staates. Diejenigen katholischen Organisationen, die außer religiösen, kulturellen oder karitativen Zwecken auch anderen, darunter auch sozialen und berufsständischen Aufgaben dienen, sollen, unbeschadet einer etwaigen Einordnung in staatliche Verbände, den Schutz des Art. 31 Abs. l RK genießen, sofern sie Gewähr dafür bieten, ihre Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei zu entfalten. Die Feststellung der Organisationen und Verbände, die unter die Bestimmungen dieses Artikels fallen sollten, blieb nach Art. 31 Abs. 3 RK einer besonderen Vereinbarung zwischen der Reichsregierung und dem deutschen Episkopat vorbehalten. Eine derartige Vereinbarung ist allerdings niemals zustande gekommen. Das Deutsche Reich hat alle diese katholischen Organisationen zerschlagen und zwangsweise unter Einziehung ihres Vermögens aufgelöst. Ebenfalls unausgeführt blieb die in Art. 31 Abs. 4 RK getroffene Vereinbarung, in der vom staatlichen Konkordatspartner der Kirche zugesichert wurde, es werde dafür Sorge getragen werden, daß den Mitgliedern der vom Reich und den Ländern betreuten sportlichen und anderen Jugendorganisationen die Ausübung ihrer kirchlichen Verpflichtungen an Sonn- und Feiertagen regelmäßig ermöglicht wird und sie zu nichts veranlaßt werden, was mit ihren religiösen und sittlichen Überzeugungen und Pflichten nicht vereinbar wäre. Nach dem Schlußprotokoll zu Art. 31 sollten diese Grundsätze auch für den Arbeitsdienst gelten.

40 Vgl. hierzu die Angaben bei Albrecht, Der Notenwechsel (Anm. 28), Bd. I, S. 453 (Sachregister, Stichwort "Jugendorganisationen, katholische") und S. 458 (Sachregister, Stichwort "Vereine und Verbände, katholische"), Bd. III, S. 829 (Sachregister, Stichwort "Jugendverbände, katholische") und S. 852 (Sachregister, Stichwort "Verbände und Vereine, katholische"); ferner in: Akten deutscher Bischöfe (Anm. 28), Bd. I, S. 942 ff., Bd. II, S. 485 ff., Bd. III, S. 554 ff., Bd. IV, S. 851, und Bd. V, S. 1101 (jeweils Sachregister, Stichwort "Organisationen, katholische"); Bd. VI, S. 958 (Sachregister, Stichwort Verbände und Vereine katholische").

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12. Verbot der parteipolitischen Betätigung von Priestern und Ordensleuten

Für Hitler, der mit dieser Bestimmung die Deutsche Zentrumspartei als politischen Faktor ausschalten wollte, war die Regelung des Art. 32 RK die conditio sine qua non für den Konkordatsabschluß. 41 Nach dieser Bestimmung verpflichtete sich der Heilige Stuhl aufgrund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im Hinblick auf die durch das Reichskonkordat geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und in seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung Bestimmungen zu erlassen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen. Tatsächlich hat der Heilige Stuhl derartige Bestimmungen niemals erlassen, wohl auch deshalb, weil sich die Deutsche Zentrumspartei und die Bayerische Volkspartei bereits am 5. bzw. am 4. Juli 1933, also einige Wochen vor Konkordatsabschluß, selbst aufgelöst hatten. Im Schlußprotokoll zu Art. 32 erklärten die Konkordatspartner ihr Einverständnis darüber, daß vom Reich bezüglich der nichtkatholischen Konfessionen gleiche Regelungen betreffend parteipolitische Betätigung veranlaßt würden. In Abs. 2 des Schlußprotokolls zu Art. 32 RK wird erklärt, daß das den Geistlichen und Ordensleuten Deutschlands in Ausführung des Art. 32 zur Pflicht gemachte Verhalten keinerlei Einengung der pflichtgemäßen Verkündigung und Erläuterung der dogmatischen und sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche bedeutet. Das Deutsche Reich hat Regelungen im Sinne des Abs. 1 des Schlußprotokolls zu Art. 32 RK tatsächlich niemals erlassen. Deshalb vertreten Staatsrechtslehrer und Kanonisten wie Hans Peters, Theodor Maunz, Klaus Mörsdorf und Alexander Hollerbach die Auffassung, daß die Bestimmung des Art. 32 RK wegen ihres konditionalen Geltungscharakters niemals in Kraft getreten ist. 42

41 Repgen, Die vatikanische Strategie (Anm. 4), S. 168 ff. Hitler stand dabei eine vergleichbare Regelung im italienischen Konkordat von 1929 vor Augen. Vgl. hierzu Konrad Repgen, Die "Entpolitisierung" des italienischen Klerus in den Jahren 1922-1924 und die Entpolitisierungsklauseln des Lateran- und des Reichskonkordats, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, hrsg. von Joseph Listl und Herbert Schambeck, Berlin 1982, s. 725-754. 42 Vgl. hierzu Joseph Listl, Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973, in: ÖArchKR, 26. Jhg. (1975), S. 166-176, insbesondere die aufS. 168 ff. in den Anmerkungen 4-8 zitierten Autoren und mitgeteilten Fakten.

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IV. Abschließende Bemerkungen 1. Das Reichskonkordat, das die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bundesrepublik Deutschland in einer materiell umfassenden Weise regelt, bildet auch unter der Herrschaft des Grundgesetzes weithin den Rahmen und die vertragsrechtliche Grundlage für das vertrauensvolle, friedliche und freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden Konkordatspartnern. Das Reichskonkordat, das ursprünglich vom Heiligen Stuhl mit dem Deutschen Reich als "concordatum defensionis" abgeschlossen worden ist, ist nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und durch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und die Errichtung ihrer freiheitlichen und demokratischen Ordnung für den kirchlichen Konkordatspartner inzwischen zu einem "concordatum pacis et amicitiae" geworden.

2. Obwohl zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland bzw. den evangelischen Landeskirchen und dem Deutschen Reich ein dem Reichskonkordat vergleichbarer Kirchenvertrag nicht abgeschlossen worden ist, kommt den Bestimmungen des Reichskonkordats wegen der Verpflichtung des Staates zu einer paritätischen Behandlung der Religionsgemeinschaften auch für den Bereich der evangelischen Kirche große Bedeutung zu. Der im Grundrecht der Religionsfreiheit wurzelnde verfassungsrechtliche Grundsatz der religiösen Parität, der zu den obersten Prinzipien des Staatskirchenrechts gehört, verpflichtet den Staat, der evangelischen Kirche, sofern sie dies fordert, dieselben Rechte zu gewähren, die er der katholischen Kirche im Reichskonkordat gewährleistet hat. 43 Eine Ausprägung dieses Verfassungsprinzips der religionsrechtlichen Parität sind die in mehreren Länderkonkordaten und evangelischen Kirchenverträgen enthaltenen religionsparitätischen Meistbegünstigungsklauseln, in denen sich das betreffende Bundesland gegenüber dem jeweiligen kirchlichen Vertragspartner für den Fall, daß es in einer Vereinbarung der anderen Kirche über den jeweils vorliegenden Vertrag hinausgehende weitere oder andere diesen betreffenden Vertrag berührende Rechte gewähren sollte, verpflichtet, den Inhalt des betreffenden Vertrages einer Überprüfung zu unterziehen, so daß die Grundsätze der Parität gewahrt bleiben. 44 43 Zum Grundsatz der Parität im Religions- und Staatskirchenrecht vgl. den umfassenden Beitrag von Martin Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: HdbStKirchR (Anm. 13), Bd. 1, S. 445-544. 44 Vgl. im einzelnen die konkordatärenund kirchenvertraglichen Regelungen mit den Lä.ndern Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland bei

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3. Ungeklärt und offen ist die Frage der Geltung des Reichskonkordats in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Deutsche Demokratische Republik hat sich von Anfang an auf ihrem Gebiet als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches betrachtet, ohne allerdings für ihren Teil und gemäß ihrem Anteil generell Außenverpflichtungen des Deutschen Reiches anzuerkennen und zu übernehmen. Wie Hollerbach bereits im Jahre 1968festgestellt hat, hat das in der Deutschen Demokratischen Republik in Gestalt des Preußischen Konkordats und des Reichskonkordats übernommene Konkordatsregime weder förmliche Anerkennung noch förmliche Ablehnung gefunden. In seiner Unterstellung unter das System sozialistischer Staatskirchenhoheit ist es aber auch nicht fortgebildet worden. 45 Es kann somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder gesagt werden, daß das Reichskonkordat in der Deutschen Demokratischen Republik gilt, noch kann festgestellt werden, daß das Reichskonkordat in der Deutschen Demokratischen Republik nicht gilt; es kann vielmehr nur festgestellt werden, daß das Reichskonkordat in der Deutschen Demokratischen Republik gegenwärtig nicht angewandt wird. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hätte es jederzeit in der Hand, das Reichskonkordat und ebenso auch das Preußische Konkordat von 1929 und den Preußischen Kirchenvertrag von 1931 wieder für anwendbar zu erklären. In diesem Sinne hat die Deutsche Demokratische Republik in einer Bekanntmachung vom 16. 4. 1959 über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Abkommen mitgeteilt, daß sie im Zeitraum von 1952 bis 1959 insgesamt 39 internationale Übereinkommen wieder anwendet.46 Auch im Falle einer Wiedervereinigung Deutschlands könnte Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 1), Bd. 1, S. 747, 816; Bd. 2,

s. 142, 154 f., 469, 501, 599.

45 Vgl. Alexander Hollerbach, Dieneuere Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, N. F., Bd. 17 (1968), S. 144 f. Die Auffassung Mörsdorfs, daß in der Deutschen Demokratischen Republik das Preußische Konkordat und das Reichskonkordat "als nicht existent betrachtet" werden und daß Akte, die kirchliche Stellen in Erfüllung der Konkordate setzen, staatlicherseits zwar entgegengenommen werden, aber ohne Anerkennung der Rechtsgrundlage, auf die sich die Kirche stützt, entspricht im Hinblick auf die Geltung des Reichskonkordats und auch des Preußischen Konkordats nicht der völkerrechtlichen Lage. Es kann vielmehr nur ausgesagt werden, daß die Geltung des Reichskonkordats in der Deutschen Demokratischen Republik sich gegenwärtig in einem Schwebezustand befindet und daß das Reichskonkordat gegenwärtig nicht angewandt wird. Vgl. Klaus Mörsdorf, Art. Konkordat, in: LThK, 2. Aufl., Bd. VI, Freiburg/Br. 1961, Sp. 458. Zur Entwicklung und zur gegenwärtigen Gestalt des Staatsrechts der Deutschen Demokratischen Republik vgl. die umfassende Darstellung von Georg Brunner, Das Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, in: HStR I, Heidelberg 1987, S. 385-447. 46 Bekanntmachung über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Übereinkommen vom 16. 4. 1959, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokrati-

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ohne weiteres nach dem sogenannten Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen, nach dem sich der Anwendungsbereich eines internationalen Vertrages ausrichtet nach dem jeweiligen territorialen Hoheitsbereich der Vertragspartner, 47 die Geltung des Reichskonkordats auf das Territorium der heutigen Deutschen Demokratischen Republik erstreckt werden. 4. Bezüglich der Bedeutung des Reichskonkordats für die östlich von Oder und Lausitzer Neiße gelegenen Gebiete Deutschlands in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 ist nach den Grundsätzen des Völkerrechts davon auszugehen, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen sind und daß die endgültige Regelung einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben muß. 48

sehen Republik, Teil I vom 16. 5. 1959, S. 505 f. Danach hat die DDR als ersten intemationalen Vertrag mit Wirkung vom 18. November 1952 den Intemationalen Vertrag zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel vom 14. März 1884 (RGBL 1888 S. 151) wieder anerkannt. Allein im Jahre 1958 hat die DDR 32 intemationale Abkommen wieder anerkannt. In der Bekanntmachung vom 16. April1959 über die Wiederanwendung multilateraler intemationaler Übereinkommen wird als chronologisch letzter Vertrag unter Nr. 39 die Intemationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen vom 12. September 1923 (RGBL II 1925 S. 287) aufgeführt. 47 Vgl. hierzu Wilhelm Kewenig, Hat der Vatikan gegen Regeln des Völkerrechts verstoßen?, in: Die Welt, Nr. 167, Ausgabe vom Freitag, 21. Juli 1972, S. 8. 48 Vgl. hierzu Dieter Blumenwitz, Zur Bedeutung des Reichskonkordats für die Neuregelung der Diözesen in den Oder-Neiße-Gebieten durch den Heiligen Stuhl, in: Recht und Rechtsbesinnung. Gedächtnisschrift für Günther Küchenhoff (1907-1983), Berlin 1987, S. 185-193. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Rudolf Jestaedt, Fortwirkende Probleme des Reichskonkordats von 1933, in: Gottfried Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland (= Schriften zur Rechtslage Deutschlands, Bd. 14), Verlag Carl Heymanns, Köln 1989, S. 80 ff.

Konkordate aus der Sicht des Heiligen Stuhles I. Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 im Urteil der Päpste Pius XI. und Pius XII.

In zwei historisch bedeutsamen Erklärungen haben die Päpste Pius XI. und Pius XII. zu ihren Zielen und Motiven beim Abschluß des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 Stellung genommen. Am 2. Juni 1945, drei Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, hielt Papst Pius XII. eine Ansprache an das Kardinalskollegium, in der er in grundsätzlicher Weise auf das Verhältnis der katholischen Kirche zum nationalsozialistischen Staat und auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Hl. Stuhl und der damaligen deutschen Reichsregierung einging. Darin führte er u.a. folgendes aus: "Im Frühjahr 1933 ersuchte die deutsche Regierung den Heiligen Stuhl um den Abschluß eines Konkordats mit dem Reich; der Gedanke fand die Zustimmung auch des Episkopats und wenigstens des größeren Teils der deutschen Katholiken. Tatsächlich schienen weder die mit einzelnen Ländern bereits abgeschlossenen Sonderkonkordate 1 noch die Weimarer Verfassung ihnen genügend Sicherung und Gewähr zu bieten für die Achtung ihrer Überzeugungen, ihres Glaubens, ihrer Rechte und ihrer Betätigungsfreiheit. Unter solchen Umständen konnten diese Sicherungen nur erreicht werden durch eine Abmachung mit der Reichsregierung in der feierlichen Form eines Konkordats. Da zudem sie selbst den Vorschlag gemacht hatte, wäre im Falle der Ablehnung die Verantwortung für alle üblen Folgen auf den Heiligen Stuhl zurückgefallen. Nicht als ob die Kirche ihrerseits sich von übertriebenen Hoffnungen hätte täuschen lassen, auch nicht als ob sie mit Abschluß des KonkorErstveröffentlichung in: 60 Jahre Österreichisches Konkordat. Hrsg. von Hans Paarhammer, Franz Pototschnig und Alfred Rinnerthaler (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg. Neue Folge, Bd. 56). München: Verlag Roman Kovar 1994, S. 13-33. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Roman Kovar, München. 1 Gemeint sind die 1924 mit Bayern, 1929 mit Preußen und 1932 mit Baden abgeschlossenen Länderkonkordate (Anmerkung des Verfassers).

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dats die Lehre und die Ziele des Nationalsozialismus irgendwie hätte gutheißen wollen, wie damals ausdrücklich erklärt und dargelegt wurde2. Immerhin muß man zugeben, daß das Konkordat in den folgenden Jahren verschiedene Vorteile brachte oder wenigstens größeres Unheil verhütete. Trotz aller Verletzungen, denen es ausgesetzt war, ließ das Konkordat tatsächlich den Katholiken doch eine rechtliche Verteidigungsgrundlage, eine Stellung, in der sie sich verschanzen konnten, um von da aus, solange es ihnen möglich war, sich der ständig steigenden Flut der religiösen Verfolgung zu erwehren. " 3 Bereits in der Enzyklika "Mit brennender Sorge" vom 14. März 1937 hatte Papst Pius XI. erklärt, zum Abschluß des Reichskonkordats habe ihn "die pflichtgemäße Sorge um die Freiheit der kirchlichen Heilsmission in Deutschland und um das Heil der ihr anvertrauten Seelen - zugleich aber auch der aufrichtige Wunsch, der friedlichen Weiterent2 An dieser Stelle bezog sich Pius XII. auf einen Artikel im Osservatore Romano vom 27. Juli 1933, Nr. 174. In dieser Ausgabe des Osservatore Romano war ein längerer namentlich nicht gezeichneter Beitrag über das eine Woche vorher abgeschlossene Reichskonkordat erschienen. Gegenüber der im Deutschen Reich propagandistisch vertretenen These, die katholische Kirche habe durch den Abschluß des Reichskonkordats nicht nur die nationalsozialistische Regierung, sondern auch deren Politik und Auffassungen anerkannt, wurde in diesem Artikel erklärt, der Heilige Stuhl sei gegenüber allen naturrechtlich akzeptablen Regierungsformen grundsätzlich neutral eingestellt; er nehme mit den Staaten als solchen Verhandlungen auf. Infolgedessen sei auch der Vertragsabschluß mit Deutschland nicht "eine Gutheißung oder Anerkennung einer bestimmten politischen Richtung und Lehrmeinung." Auf diesen Artikel, der vermutlich Pacelli selbst zum Verfasser hatte, reagierte die deutsche Reichsregierung mit Empörung. Vgl. hierzu die detaillierten Ausführungen bei Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933 (=Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, Bd. 5), Mainz 1972, S. 177 f. Der italienische Originalwortlaut des Artikels im Osservatore Romano ist auch abgedruckt bei Ludwig Volk, Kirchliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe A: Quellen, Bd. 11), Mainz 1969, Nr. *6, S. 298 f.; eine deutsche Übersetzung findet sich bei Alfons Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe A: Quellen, Bd. 2), Mainz 1969, Nr. 121, S. 301 ff. 3 Papst Pius XII., Ansprache an das Kardinalskollegium vom 2. Juni 1945. Italienischer Originaltext in: AAS 37 (1945), S. 159-168. Deutsche Übersetzung in: Arthur-Fridolin Utz und Joseph-Fulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII. Freiburg I Schweiz 1954, Bd. 2, Rdnr. 3534, S. 1802 f. Hervorhebungen im Text vom Verfasser. Zur Entstehungsgeschichte des Reichskonkordats vgl. die bereits in Anm. 2 genannten Bücher von Volk und Kupper. Vgl. auch die Literaturangaben zum Reichskonkordat bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, Berlin 1987, S. 31f.

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wicklung und Wohlfahrt des deutschen Volkes einen wesentlichen Dienst zu leisten", geleitet. Trotz mancher schwerer Bedenken habe er sich damals den Entschluß abgerungen, seine Zustimmung nicht zu versagen. Er wollte seinen treuen Söhnen und Töchtern in Deutschland im Rahmen des Menschenmöglichen die Spannungen und Leiden ersparen, die andernfalls unter den damaligen Verhältnissen mit Gewißheit zu erwarten gewesen wären. Er habe allen durch die Tat beweisen wollen, daß er, einzig Christus suchend und das was Christi ist, niemandem die Friedenshand der Mutterkirche verweigere, der sie nicht selbst zurückstoße. Pius XI. erklärte, in den schweren und ereignisvollen Jahren der Nachkonkordatszeit habe jedes seiner Worte und jede seiner Handlungen unter dem Gesetz der "Vereinbarungstreue" gestanden. Der deutschen Reichsregierung warf er vor, sie habe "die Vertragsumdeutung, die Vertragsumgehung, die Vertragsaushöhlung, schließlich die mehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung zum ungeschriebenen Gesetz des Handeins gemacht" 4 • ll. Das erstrangige und letzte Ziel der Kirche beim Abschluß von Konkordaten Das erstrangige Ziel, der finisprimariusund zugleich der finis ultimus, den die Kirche als die von ihrem Herrn Jesus Christus gegründete Heils- und Glaubensgemeinschaft beim Abschluß von Konkordaten verfolgt, liegt ausschließlich auf der religiösen Ebene. Konkordate sind Mittel im Dienste der Glaubensverkündigung und damit der Verwirklichung des Heilsauftrags der Kirche. Auszugehen ist vom Selbstverständnis der katholischen Kirche über ihre Mission und ihren Heilsauftrag, wie es in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils enthalten ist und in can. 74 7 § 1 CIC seinen Niederschlag gefunden hat: Danach hat Christus der Herr der Kirche das Glaubensgut anvertraut, damit sie unter dem Beistand des Heiligen Geistes die geoffenbarte Wahrheit heilig bewahrt, tiefer erforscht und treuverkündigt und auslegt. Es ist deshalb ihre Pflicht und ihr angeborenes Recht, auch unter Einsatz der ihr eigenen sozialen Kommunikationsmittel, unabhängig von jeder menschlichen Gewalt, allen Völkern das Evangelium zu verkündigen 5 . 4 Deutscher Originalwortlaut der Enzyklika "Mit brennender Sorge" in: AAS 29 (1937), S. 145-167, die zitierten Stellen S. 146 f. Wortlaut der Enzyklika "Mit brennender Sorge" u.a. auch bei Emil Marmy unter Mitwirkung von Josef Schafer und Anton Rohrbasser (Hrsg.), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau. Dokumente, Freiburg/Schweiz 1945, S. 210-238, die zitierten Stellen S. 212 f. Hervorhebungen im Text vom Verfasser.

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Die Kirche nimmt ferner in can. 747 § 2 CIC für sich das Recht in Anspruch, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern6 . Daraus erklärt es sich, daß in allen Konkordaten die Sorge für die Verkündigung und die Reinerhaltung des katholischen Glaubens und der katholischen Sittenlehre an erster Stelle steht. 1. So vereinbarten Seine Heiligkeit Papst Pius IX. und Seine kaiserlich-königliche Apostolische Majestät Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, im Konkordat vom 18. August 1855, daß ihr einmütiges Streben darauf gerichtet sei, "daß Glaube, Frömmigkeit und sittliche Kraft im Kaiserthume Österreich bewahrt und gemehrt werde". Artikel1 dieses Konkordats lautet: "Die heilige römisch-katholische Religion wird mit allen Befugnissen und Vorrechten, deren dieselbe nach der Anordnung Gottes und den Bestimmungen der Kirchengesetze genießen soll, im ganzen Kaiserthume Österreich und allen Ländern, aus welchen dasselbe besteht, immerdar aufrechterhalten werden. " 7

2. Desgleichen vereinbarten Seine Heiligkeit Papst Pius XI. und die Republik Österreich im Konkordat vom 5. Juni 1933, einig in dem Wunsche, die Rechtslage der katholischen Kirche in Österreich zum Besten des kirchlichen und religiösen Lebens in gegenseitigem Einvernehmen in dauerhafter Weise neu zu ordnen, in Artikel1: "§ 1. Die Republik Österreich sichert und gewährleistet der heiligen römisch-katholischen Kirche in ihren verschiedenen Riten die freie Ausübung ihrer geistlichen Macht und die freie und öffentliche Ausübung des Kultus.

§ 2. Sie anerkennt das Recht der katholischen Kirche, im Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesetze, Dekrete und Anordnungen zu erlassen; sie wird die Ausübung dieses Rechtes weder hindern noch erschweren. 5 Vgl. ferner Zweites Vatikanisches Konzil: Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Art. 24 f.; Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, Art. 7-10; Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche Christus Dominus, Art. 19; Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae, Art. 13. 6 Siehe auch Zweites Vatikanisches Konzil: Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche Christus Dominus, Art. 12; Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae, Art. 15; Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Art. 76 und 89. 7 Wortlaut der Vereinbarung zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius IX. und Seiner kaiserlich-königlichen Apostolischen Majestät Franz Joseph 1., Kaiser

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§ 3. In der Erfüllung ihrer geistlichen Amtspflicht steht den Geistlichen der Schutz des Staates zu. § 4. Der Heilige Stuhl genießt im Verkehr und in der Korrespondenz mit den Bischöfen, dem Klerus und den übrigen Angehörigen der katholischen Kirche in Österreich volle Freiheit ohne jede Einflußnahme der Bundesregierung. Dasselbe gilt für den Verkehr und die Korrespondenz der Bischöfe und Diözesanbehörden mit dem Klerus und den Gläubigen." 8 3. Gleichermaßen lautet Artikel1 des bereits genannten Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933: "Das Deutsche Reich gewährleistet die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion. Es anerkennt das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen."9 4. Im Einklang damit bestimmte bereits Artikel 1 des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924, des ersten Konkordats, das von einem deutschen Staat nach dem Ersten Weltkrieg abgeschlossen wurde: "§ 1. Der Bayerische Staat gewährleistet die freie und öffentliche Ausübung der katholischen Religion. § 2. Er anerkennt das Recht der Kirche, im Rahmen ihrer Zuständigkeit Gesetze zu erlassen und Anordnungen zu treffen, die ihre Mitglieder binden; er wird die Ausübung dieses Rechtes weder hindern noch erschweren. § 3. Er sichert der katholischen Kirche die ungestörte Kultübung zu. In der Erfüllung ihrer Amtspflichten genießen die Geistlichen den Schutz des Staates. " 10 von Österreich, u.a. bei Erika Weinzierl-Fischer, Die Österreichischen Konkordate von 1855 und 1933, München 1960, S. 250-258, die zitierte Stelle S. 250. a Wortlaut des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhle und der Republik Österreich vom 5. Juni 1933 mit Zusatzprotokoll u.a. bei Weinzierl-Fischer, Die Österreichischen Konkordate von 1855 und 1933 (Anm. 7), S. 258-271, die zitierte Stelle S. 259. Deutscher Wortlaut dieses Konkordats u.a. auch bei Hans Klecatsky und Hans Weiler (Hrsg.), Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, S. 235-274 (mit zahlreichen Literaturangaben und wertvollen kommentierenden Anmerkungen). Hervorhebungen im Text vom Verfasser. 9 Deutscher und italienischer Wortlaut des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1 (Anm. 3), S. 34-61.

Konkordate aus der Sicht des Heiligen Stuhles

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Ähnliche Bestimmungen finden sich weltweit in allen früheren und geltenden Konkordaten. Es gilt somit festzuhalten: Konkordate sind aus der Sicht und nach dem Selbstverständnis der katholischen Kirche zweiseitige völkerrechtliche Verträge 11 zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat, deren vorrangiges und zugleich letztes Ziel darauf gerichtet ist, die Verwirklichung des Verkündigungs- und Heilsauftrags der Kirche zu sichern und zu fördern.

m. Das Konkordat als das adäquate und daher wünschenswerte Mittel zur rechtlichen Sicherung des Heilsauftrags der Kirche gegenüber der Staatenwelt Die universale katholische Kirche besteht nach einer zentralen Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils ekklesiologisch in und aus ihren Teilkirchen, d. h. aus den Diözesen12 • Die katholische Kirche existiert und verwirklicht ihre religiös-spirituelle Sendung aber gleichzeitig politisch in den einzelnen Staaten und innerhalb der Staatenweltl3. 1o Deutscher und italienischer Wortlaut des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1 (Anrn. 3), S. 289-302 bzw. S. 474-507 (bereinigte Fassung, Stand: 1. Juli 1987). u Den Charakter der Konkordate als völkerrechtliche Verträge unterstreicht in seinen Ausführungen über die zu dieser Frage vertretenen Auffassungen nachdrücklich Ulrich Scheuner, wenn er zusammenfassend und abschließend erklärt: "An der Zurechnung der Konkordate zum Völkerrecht ist in Übereinstimmung mit der Staatspraxis festzuhalten, auch wenn einsichtig ist, daß die Konkordate Besonderheiten hinsichtlich ihrer Materie wie auch in der verfassungsmäßigen Behandlung aufweisen." Vgl. hierzu Ulrich Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 2, Berlin 1975, S. 333. 12 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Art. 23; can. 368 CIC. Zu dieser bedeutsamen Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils vgl. den kommentierenden Beitrag von Winfried Aymans, Gliederungs- und Organisationsprinzipien, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 239 ff. 13 Die Kirche bedarf zur Verwirklichung ihres Heilsauftrags des Schutzes der Rechtsordnung, die nur durch den Staat sichergestellt und garantiert werden kann. Dies hat bereits in der Spätantike in klassischer Weise der afrikanische Bischof Optatus von Mileve (in Numidien;_ vor 400) formuliert in dem berühmten Diktum: "Non enim Respublica est in Ecclesia, sed Ecclesia in Republica, id est in imperio Romano". Vgl. hierzu S. Optati Milevitani libri VII. Recensuit et commentario critico indicibusque instruxit Carolus Ziwsa (= Corpus Scripto-

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Konkordate und Kirchenverträge

Der Regelung der rechtlichen Zuordnung und des Verhältnisses der Kirche zu den einzelnen Staaten kommt für die konkrete Verwirklichung ihrer religiös-transzendenten Sendung eine entscheidende Bedeutung zu. Maßgeblich und - wie mir scheint - auch in glücklicher Weise hat sich zu dieser Frage das Zweite Vatikanische Konzil vornehmlich in Artikel 76 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et Spes" geäußert. Diese Aussagen enthalten in einem gewissen Sinne in äußerst komprimierter Weise die Quintessenz der Doktrin der römischen Lehre des Jus Publicum Ecclesiasticum, wie sie in einer nunmehr bald 200jährigen Reflexion entwickelt worden ist 14 . Das Konzil erklärt: "Sehr wichtig ist besonders in einer pluralistischen Gesellschaft, daß man das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, so daß zwischen dem, was die Christen als Einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun, klar unterschieden wird. Die Kirche, die in keiner Wiese hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person. Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller um so wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; .dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen. Der Mensch ist ja nicht auf die zeitliche Ordnung beschränkt, sondern inmitten der menschlichen Geschichte vollzieht er ungeschmälert seine ewige Berufung." rum Ecclesiasticorum Latinorum [CSEL], vol. XXVI), Pragae/Vindobonae/ Lipsiae 1893, S. 74. Optatus hatte dabei den römisch-christlichen, nicht dagegen den kirchenverfolgenden römisch-heidnischen Staat im Auge. Nur dieser kultivierte und von der Majestät des christlichen Kaisers regierte römischchristliche Staat ist seiner Meinung nach in der Lage, die Freiheit der Kirche zu garantieren, nicht dagegen die umliegenden Barbarenvölker. 14 Vgl. hierzu die zusammenfassende Darstellung von Joseph Listl, Kirche und Staat inderneueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 7), Berlin 1978; ferner ders., Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Fides et ius. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Aymans, Anna Egler, Joseph Listl, Regensburg 1991, S. 455-490.

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Die Kirche nimmt immer und überall "das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden, ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen. In der Treue zum Evangelium, gebunden an ihre Sendung in der Welt und entsprechend ihrem Auftrag, alles Wahre, Gute und Schöne in der menschlichen Gemeinschaft zu fördern und zu überhöhen, festigt die Kirche zur Ehre Gottes den Frieden unter den Menschen." 15 Artikel 76 von "Gaudium et Spes" kann als die Option bzw. die Magna Charta des Zweiten Vatikanischen Konzils für den Abschluß von Konkordaten betrachtet werden. Diese Aussage des Konzils steht in vollem Einklang mit den Erklärungen der Päpste seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Päpste von Pius IX. bis Johannes Paul II. empfehlen zur Wahrung oder Wiederherstellung eines friedlichen Ausgleichs der Interessen der Kirche und der Staaten den Abschluß von Konkordaten, d. h. von zweiseitigen völkerrechtlichen Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Staaten, die die dauernde Regelung sämtlicher oder auch nur eines Teiles der die beiden Konkordatspartner gemeinsam berührenden kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten zum Ziel haben. Leo XIII. definiert das Konkordat als "feierlichen und zweiseitigen Vertrag" und betont, daß die Konkordate trotz vieler Konkordatsbrüche auf staatlicher Seite "vom Heiligen Stuhl immer getreu eingehalten worden seien" 16 . Auch für die Gegenwart wird die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestrebte möglichst harmonische Kooperation zwischen der Kirche und den Staaten am besten durch den Abschluß von Konkordaten und Staatskirchenverträgen erreicht. In der neueren Konkordatsgeschichte bildeten die beiden Pontifikate der Päpste Pius XI. (1922-1939) und Pius XII. (1939-1958) wegen der großen Zahl der in diesem Zeitraum abgeschlossenen Konkordate den bisherigen Höhepunkt der kirchlichen Konkordatspolitik. Wie Pius XII. wiederholt ausgeführt hat, sucht die Kirche in den Konkordaten vor allem eine "rechtliche Sicherheit und die für ihre Aufgabe erforderliche Unabhängigkeit" 17 . 15 Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Art. 76. 16 Vgl. hierzu Joseph Listl, Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 12), S. 1035f.

34 Sbd. List!

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Konkordate und Kirchenverträge

Bekanntlich werden in der Konkordatspraxis nur diejenigen Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Staat als "Konkordat" (Conventio sollemnis) bezeichnet, in denen zwischen den beiden Partnern eine umfassende oder jedenfalls eine mehrere bedeutsame Sachgebiete betreffende und auf Dauer angelegte Regelung gemeinsamer Angelegenheiten erfolgt ist. Teilvereinbarungen, Konkordatsergänzungen und "Fortschreibungen" von Konkordaten werden als "Vereinbarung" (Conventio, Accordo, Accordo concordatario), Notenwechsel, Protokoll, Agreement oder in Einzelfällen auch als bloßer "Modus vivendi" bezeichnet. Jedoch ist festzuhalten, daß ungeachtet der variierenden Terminologie und des unterschiedlichen Grades an Feierlichkeit, der beim Abschluß dieser Verträge aufgeboten wird, sämtlichen genannten konkordatären Abmachungen derselbe Grad an Geltung, Bindungsverpflichtung und Bestandskraft zukommt wie den umfassenderen Regelungen. 18 Während des Pontifikats Papst Johannes Pauls II. wurden bisher, d. h. seit dem 22. Oktober 1978, folgende konkordatäre Verträge abgeschlossen: 1979 mit Spanien19 , 1980 mit Peru 20 , 1981 mit Monaco 21 und der Republik Österreich22 , 1984 mit Haiti 23 , dem Land NordrheinWestfalen24, der Republik Italien25 und in ·Form eines Briefwechsels mit Marokko 26 , 1985 mit dem Saarland27 , 1986 mit Bolivien28 , 1988 mit dem Freistaat Bayern29 , 1989 mit dem Land Niedersachsen30 und der Republik Österreich3\ 1991 mit Malta32 , 1992 mit der Elfenbeinküste33 und San Marino 34 . In der Bundesrepublik Deutschland sind geListl, ebd., S. 1036. Joseph Listl, Konkordate und Kirchenverträge. Einleitung, in: ders., Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 3), Bd. 1, S. 6. 19 AAS 72 (1980), S. 29, 37, 47 und 56. 2o AAS 72 (1980), S. 807. 21 AAS 73 (1981), S. 651. 22 AAS 74 (1982), S. 272. 23 AAS 76 (1984), S. 953. 24 AAS 77 (1985), S. 294. 25 AAS 77 (1985), S. 521 und 538. 26 AAS 77 (1985), S. 712. 27 AAS 78 (1986), S. 221. 28 AAS 81 (1989), S. 528. 29 AAS 80 (1988), S. 1271. 30 AAS 81 (1989), S. 1101. 31 AAS 82 (1990), S. 230. 32 AAS 85 (1993), S. 558 und 569. 33 AAS 84 (1992), S. 840. 34 AAS 85 (1993), S. 324. 17

1s Vgl. hierzu

Konkordate aus der Sicht des Heiligen Stuhles

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genwärtig im Zuge der Neuordnung der Diözesanorganisation und der Errichtung des Erzbistums Harnburg und der drei Bistümer Erfurt, Görlitz und Magdeburg sowie der beiden Kirchenprovinzen Harnburg und Berlin mehrere konkordatäre Verträge in Vorbereitung. Ferner planen die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Freistaat Sachsen und Thüringen den Abschluß umfassender Konkordate und ebenso korrespondierender evangelischer Kirchenverträge. Zwischen der Republik Polen und dem Heiligen Stuhl wurde in Warschau am 28. Juli 1993 ein aus 29 Artikeln bestehendes Konkordat geschlossen, das in nächster Zeit vom polnischen Parlament ratifiziert werden soll. 35 Iv. Auf Dauer angelegte Friedensordnung

Die Konkordate sollen auf Dauer ein loyales und freundschaftliches Verhältnis und Zusammenwirken des staatlichen und des kirchlichen Vertragspartners sicherstellen. Aus diesem Grunde enthalten alle Konkordate eine sog. "Freundschaftsklausel". In dieser Hinsicht wird z. B. in Artikel 33 Abs. 2 des Reichskonkordats vereinbart, daß in Fällen, in denen sich in Zukunft wegen der Auslegung oder Anwendung einer Bestimmung des Konkordats irgendeine Meinungsverschiedenheit ergeben sollte, "der Heilige Stuhl und das Deutsche Reich im gemeinsamen Einvernehmen eine freundschaftliche Lösung herbeiführen" werden36. In Artikel 19 Abs. 1 des Niedersächsischen Konkordats von 1965, in dem die Freundschaftsklausel mit besonderer Ausführlichkeit formuliert wurde, verpflichten sich die Konkordatspartner, über alle Fragen ihres Verhältnisses, insbesondere soweit sie sich aus den Bestimmungen des betreffenden Konkordats ergeben, "einen ständigen Kontakt" herzustellen; ferner vereinbaren die Konkordatspartner, eine etwa in Zukunft zwischen ihnen entstehende Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer Bestimmung dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise, d. h. durch eine "amicabilis compositio", zu beseitigen. In Artikel19 Abs. 2 des Niedersächsischen Konkordats behalten sich die Konkordatspartner ausdrücklich das Recht vor, bei wesentlicher Änderung der derzeitigen Struktur des öffentlichen Schulwesens "Verhandlungen über eine dem Geist dieses Vertrages entsprechende Anpassung seiner Bestimmungen zu begehren" 37 . 35 Italienischer Wortlaut des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Polen vom 28. Juli 1993 in: Osservatore Romano vom 30. Juli 1993. Französischer Wortlaut in: La Documentation Catholique Nr. 2078 vom 19. September 1993, S. 772-776. 36 Wortlaut bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1 (Anm. 3),

s. 54. 34"

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Auch kleinere staatskirchenvertragliche Abmachungen enthalten Freundschaftsklauseln. Die Freundschaftsklausel eröffnet beiden Vertragspartnern einen Weg für später notwendig werdende einvernehmliche Novellierungen der Staatskirchenverträge. Sie verhilft dazu, daß die Verträge den sich wandelnden kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen elastisch angepaßt werden können. Das Konkordat will eine dauernde Friedensordnung schaffen. Aus diesem Grunde sind Befristungs- und Kündigungsklauseln wie z. B. bei den Konkordaten mit Lettland von 1922 (Artikel20) 38 bzw. mit Rumänien von 1927 (Artikel 23 Abs. 2) 39 durchaus ungewöhnlich. Die wünschenswerte Form der Beendigung oder Abänderung eines Konkordats richtet sich nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts. In ordentlicher Weise erfolgt sie durch gegenseitige Übereinkunft, in außerordentlicher Weise kann das Konkordat selbständig erlöschen wegen Untergangs eines Vertragspartners, wegen Herausbildung eines gegenteiligen Gewohnheitsrechts oder dauernder Nichtanwendung (desuetudo), wegen Unmöglichkeit der Erfüllung und durch Rücktritt wegen Vertragsverletzung. Papst Benedikt XV. (1914-1922) hat in seiner berühmten Allocutio vom 21. November 1921 40 im Hinblick auf den Untergang der Habsburger Monarchie dargelegt, daß ein Konkordat hinfällig wird, wenn sich infolge von Staatsumwälzungen, Friedensschlüssen mit Länderzerstückelung oder -erweiterung so große Veränderungen eingestellt haben, daß der staatliche Vertragspartner nicht mehr als dieselbe juristische Person anzuerkennen ist41 . Die in dieser konkordatsgeschichtlich denkwürdigen Erklärung vertretene Rechtsauffassung, daß verschiedene ältere Konkordate mit Rücksicht auf den Untergang der Habsburger Monarchie ihre Kraft und Anwendbarkeit verloren hatten, ist nirgendwo auf Widerspruch 37 Wortlaut bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 3), Bd. 2, S. 18. 38 AAS 14 (1922), S. 577-581 (580); Wortlaut mit deutscher Übersetzung auch bei Lothar Schöppe (Hrsg.), Konkordate seit 1800. Originaltext und deutsche Übersetzung der geltenden Konkordate (=Dokumente. Hrsg.: Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg. Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen, Bd. XXXV), Frankfurt a.M. /Berlin 1964, s. 284-287. 39 AAS 21 (1929), S. 441-454 (451); Wortlaut mit deutscher Übersetzung bei Schöppe, ebd., S. 376-383. 40 AAS 13 (1921), S. 521; s. hierzu bei Giovanni Lajolo, I Concordati moderni, Brescia 1968, S. 225 ff. das Kapitel "L'Allocuzione Benedettina e l'Inizio della nuova era concordataria". 41 Klaus Mörsdorf, Art. Konkordat, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. VI, Freiburg Br. 1961, Sp. 455 f.

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gestoßen. Wie Hans Erich Feine dazu anmerkt, lag in dieser Erklärung des Papstes keineswegs ein Rücktritt der römischen Kurie von den älteren Abmachungen oder gar ein Bruch der vom Heiligen Stuhl stets sorgfältig eingehaltenen und als zweiseitige verbindliche völkerrechtliche Verträge im strengen Sinne betrachteten Konkordate, sondern vielmehr die Bereitschaft zum Abschluß neuer Konkordate unter Anpassung an die veränderten Verhältnisse 42 . Bei selbsttätigem Erlöschen eines Konkordats ist es aber möglich, daß das Konkordat als staatliches und kirchliches Gesetz ganz oder teilweise fortbesteht, ferner daß Kirche und Staat sich trotz Wegfalls der ursprünglichen vertraglichen Bindung an den Inhalt des Vertrages halten und durch schlüssige Handlung einen Neuabschluß des Konkordats tätigen. Wie jeder völkerrechtliche Vertrag steht auch das Konkordat unter der Klausel rebus sie stantibus, d. h. die Vertragsgrundlage muß im wesentlichen die gleiche bleiben. Ändern sich die Verhältnisse eines Vertragspartners so grundlegend, daß ihm das Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann, so ist er berechtigt, von dem Vertrag zurückzutreten; doch endet der Vertrag erst mit Zustimmung des Partners43 . In der Enzyklika "Summi Pontificatus" vom 20. Oktober 1939 erinnert Papst Pius XII. an das für das Zusammenleben der Völker notwendige Vertrauen; er warnt davor, das Völkerrecht auf den unbedingten Willen der Staaten aufzubauen und stellt anschließend fest: "Es ist allerdings daran festzuhalten, daß -im Laufe der Zeit wegen grundlegender Veränderung der Verhältnisse, die beim Vertragsabschluß weder vorhergesehen wurden noch vorhergesehen werden konnten - Verträge ganz oder zum Teil für einen Vertragspartner zuweilen ungerecht werden oder erscheinen können oder endlich so werden, daß sie nicht verwirklicht werden können." Bei solchen Umständen fordert der Papst "rechtzeitig eine aufrichtige und ehrenhafte Verhandlung zu suchen, um den Vertrag in geeigneter Weise abzuändern oder durch einen neuen zu ersetzen" 44 . Wenngleich Konkordate als völkerrechtliche Verträge auf die jeweilige politische Ordnung zugeschnitten sind, trifft es doch nicht zu, daß sie im Klauselfall besonders anfällig sind und bei 42 Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln 1972, S. 733. 43 Mörsdorf, Art. Konkordat (Anm. 41), Sp. 457 f. unter Hinweis auf das "Londoner Protokoll" vom 17. Januar 1871. 44 Papst Pius XII., Enzyklika "Summi Pontificatus" vom 20. Oktober 1939, in: AAS 31 (1939), S. 438 f.; deutsche Übersetzung u.a. in: Utzl Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung (Anm. 3), Bd. 1, Rdnr. 58, S. 28.

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wesentlicher Änderung dieser Ordnung von selbst entfallen. In dieser letztgenannten Vorstellung zeigt sich das Bemühen, den der Legaltheorie eigenen Gedanken einer Vorherrschaft des Staates über die Kirche in die Vertragstheorie einzuführen und dem Staat eine rechtliche Handhabe zur einseitigen Beendigung der Konkordate zu geben. Hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen, bei deren Vorliegen ein Rücktritt vom Konkordat zulässig erscheinen kann, wird man aber nicht auf eine formalistische Gleichbehandlung mit den zwischenstaatlichen Verträgen abstellen dürfen, sondern darauf, daß man der Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat und den für beide Lebensbereiche wesentlichen und unverzichtbaren Zielsetzungen gerecht wird. Als rechtswidrige Lösung eines Konkordats erscheint der Konkordatsbruch, d. h. die bewußte Verletzung einer oder aller vertraglichen Pflichten. Der Konkordatsbruch verstößt gegen den naturrechtliehen Satz pacta sunt servanda, er führt nicht zum selbsttätigen Erlöschen des Konkordats, befreit aber den Vertragspartner von jeder Verpflichtung und gibt ihm zugleich das Recht, das Vertragsverhältnis zu beenden45 . Die Konkordatspraxis kennt zahlreiche Fälle einer einseitigen staatlichen Lossagung, wie z. B. im Falle des Napoleonischen Konkordats durch Frankreich im Jahre 1905 oder durch faktische Abweichung seitens des Staates, d. h. die Beendigung des Konkordats durch Konkordatsbruch. Papst Pius X. hat sich gegenüber Frankreich beim Bruch des Napoleonischen Konkordats darauf berufen, daß der Heilige Stuhl dieses Konkordat immer treu eingehalten habe46 . Papst Leo XIII. hat zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens zwischen Staat und Kirche wiederholt den Abschluß von Konkordaten empfohlen, die er rechtlich als "feierliche und zweiseitige Verträge" (Pactes solennels et bilateraux) qualifiziert, und von denen er gegenüber den Konkordatsbrüchen verschiedener Staaten festgestellt hat, daß sie "vom Heiligen Stuhl immer getreu eingehalten worden seien" 47 • In der modernen deutschen Staatsrechtslehre wurde in den späten sechzigerund zu Beginn der siebziger Jahre die Frage kontrovers dü~­ kutiert, ob der Staat Konkordate - und ebenso evangelische Kirchenverträge - von sich aus einseitig durch späteres Staatsgesetz wieder aufheben könne. Der Bonner Staatsrechtslehrer Ulrich Scheuner hat Mörsdorf, Art. Konkordat (Anm. 41), Sp. 457 f. Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 7), Berlin 1978, S. 187 mit Anm. 43. 47 Vgl. Anm. 16. 45 46

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zu dieser Frage dezidiert Stellung bezogen und sie in gewissem Maße endgültig beantwortet und damit auch beendet. Scheuner erklärte, daß der Staat ein Konkordat verletzten könne, auch wenn er es als Vertragsteil nicht dürfe. Durch den Vertrag übernehme der Staat eine echte Bindung, den Vertrag nicht einseitig aufzuheben. Der Staat binde sich jedoch nicht als Gesetzgeber oder Verfassungsgeber. Er kann den Vertrag verletzen, und, wie Scheuner fortfährt, "die Geschichte lehrt, daß dies auch die Form ist, in der nicht weiterentwikkelte einschränkend wirkende Verträge tatsächlich aufgehoben werden, sofern nicht eine Lossagung von ihnen erfolgt". Dies bedeutet im Ergebnis: Der Staat "kann, freilich unter Rechtsbruch seiner Vertragspflicht, abweichende Regelungen durch Verfassungsnorm oder Gesetz treffen" 48 • V. Die historische Situation und die unterschiedliche Motivation der Konkordatspartner beim Abschluß von Konkordaten

Die Vertragspartner eines Konkordats sind auf kirchlicher Seite der Papst als oberster Gesetzgeber und Hirte der Kirche und auf staatlicher Seite das zum Abschluß von Verträgen nach dem jeweiligen Verfassungsrecht zuständige Staatsorgan. Der Abschluß von Konkordaten gehört nach dem Recht der katholischen Kirche zu den sog. causae maiores, die dem Papst vorbehalten sind. Wird ein konkordatärer Vertrag auf kirchlicher Seite ausnahmsweise von einem oder mehreren Bischöfen abgeschlossen, kann dies nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes erfolgen 49 • Die Bestimmungen der Konkordate gehen als leges speciales dem allgemeinen Kirchenrecht vor. In diesem Sinne bestimmen Kanon 3 des für den lateinischen Rechtskreis geltenden Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 und Kanon 4 des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, des Gesetzbuchs für die orientalischen Kirchen, vom 18. Oktober 1990 übereinstimmend, daß die Kanones dieser beiden Gesetzbücher die vom Apostolischen Stuhl mit Nationen oder anderen politischen Gemeinschaften eingegangenen Vereinbarungen weder ganz noch teilweise aufheben. Diekonkordatären Bestimmungen gelten daher wie bis jetzt fort ohne die geringste Ein48 Ulrich Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht (=Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 3), Berlin 1973, S. 370, bzw. ders., Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 11), Bd. 1, Berlin 1974, S. 49. 49 Georg May, Verträge deutscher Bischöfe mit der Bundesrepublik Deutschland und den deutschen Bundesländern, in: Convivium utriusque iuris. Alexander Dordett zum 60. Geburtstag, Wien 1976, S. 417-451, insbes. S. 436 ff.

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schränkung durch entgegenstehende Vorschriften der beiden Gesetzbücher. Im Wesen eines Konkordats als einer auf Dauer angelegten Friedensordnung zwischen Staat und Kirche ist es begründet, daß sich die Konkordatspartner gegenseitig Zugeständnisse machen. Auf diesen Vorstellungen beruhen die mittelalterlichen Konkordatstheorien, kirchlicherseits die sog. Privilegientheorie und staatlicherseits die Legaltheorie. Sie gingen entweder aus von einer Superiorität der Kirche über den Staat oder umgekehrt von einer Staatshoheit über die Kirche. Nach ihnen waren nach der Meinung der Papalisten die Konkordate frei widerrufliche Privilegien des Papstes und nach der Auffassung der Staatskanonisten oder Regalisten der staatlichen Verfügungsbefugnis anheimgegebene Gesetze. Beide Theorien sind längst zugunsten der Vertragstheorie aufgegeben worden 5°. Im Hinblick auf die Motivationslage beim kirchlichen Vertragspartner unterscheidet Kardinal Alfredo Ottaviani in seinem Lehrbuch "Concordata pacis", "Concordata amicitiae" und "Concordata defensionis iurium et libertatis Ecclesiae" 51 . Den Anlaß zum Abschluß eines "Concordatum pacis" bildet die glücklich erfolgte Beilegung eines Konfliktes mit dem Ziele der Wiederherstellung des Friedens zwischen Staat und Kirche und der Beruhigung der Seelen und der Gewissen der Gläubigen. Daraus erwächst, wie Ottaviani es formuliert, für beide Gemeinschaften ein großer Nutzen. Als historischer Paradefall eines "Concordatum pacis" gilt das Wormer Konkordat von 1122 zwischen Papst Calixtus II. und Kaiser Heinrich V., durch das der Investiturstreit beigelegt wurde 5 2 • Das "Concordatum amicitiae" wird geschlossen zur Bekräftigung eines bereits vor dem Konkordatsabschluß zwischen den Konkordatspartnern bestehenden Freundschaftsverhältnisses 53 . Das "Concordatum defensionis iurium et libertatis Ecclesiae" wird abgeschlossen, wenn ein Bruch oder eine Trennung zwischen der Kirche und dem Staat zu befürchten ist. In einer solchen historischen Situation ist die Kirche auch bereit zum Zwecke der Vermeidung größeMörsdorf, Art. Konkordat (Anm. 41), Sp. 455 f. Alaphridus Ottaviani, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, vol. II: Ecclesia et Status, editio 4, adiuvante Iosepho Damizia, Romae 1960, S. 260 ff. 52 Zum Wormser Konkordat s. Ernst Bernheim, Das Wormser Konkordat und seine Vorurkunden hinsichtlich Entstehung, Formulierung, Rechtsgültigkeit. Breslau 1906 (Neudruck Aalen 1970); ferner Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 42), S. 267 ff. (Lit.). 53 Ottaviani, Institutiones (Anm. 51), S. 260. 50 51

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renUnheilsdem staatlichen Konkordatspartner weitgehende Konzessionen zu machen54 . Zu diesen "Concordata defensionis iurium et libertatis Ecclesiae" zählen z. B. das Konkordat zwischen Papst Pius VII. und Napoleon vom Jahre 1801 und auch das deutsche Reichskonkordat von 1933. Jedoch wird man im letzteren Falle sagen können, daß das Reichskonkordat sich nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und durch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und die Errichtung ihrer freiheitlichen und demokratischen Ordnung, d. h. durch die Auswechselung des verfassungsrechtlichen Hintergrundes 55 , aus einem "Concordatum defensionis" inzwischen zu einem "Concordatum pacis et amicitiae" gewandelt hat 56 . Papst Pius XII. hat in einer Ansprache an den Verband der katholischen Juristen Italiens am 6. Dezember 1953 ausgeführt, die Konkordate seien für die katholische Kirche Ausdruck der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat. Die katholische Kirche könne die völlige Trennung der beiden Mächte nicht gutheißen. Die Konkordate müssen der Kirche feste rechtliche und tatsächliche Lebensbedingungen in dem Staat, mit dem sie abgeschlossen sind, sichern und ihr die völlige Unabhängigkeit in der Erfüllung ihrer göttlichen Aufgabe garantieren. Es sei möglich, daß Kirche und Staat im Konkordat ihre gemeinsame religiöse Überzeugung zum Ausdruck bringen; es könne aber auch der Fall sein, daß das Konkordat unter anderem den Zweck habe, Streitigkeiten über prinzipielle Fragen zuvorzukommen und von Anfang an den Konfliktstoff aus dem Weg zu räumen. Wenn die Kirche ihre Unterschrift unter ein Konkordat gesetzt habe, gelte dieses für seinen ganzen Inhalt. Aber sein innerer Sinn könne unter gegenseitiger Kenntnis der beiden hohen vertragOttaviani, Institutiones (Anm. 51), S. 260, 262. Diese klassische Formulierung, die in prägnanter Weise die Rechtsauffassung des deutschen Staatsrechtslehrers Rudolf Smend über den Unterschied des Staatskirchenrechts unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung und des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 zusammenfassend wiedergibt, findet sich in dem Beitrag von Arnold Köttgen, Kirche im Spiegel deutscher Staatsverfassung der Nachkriegszeit, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1952, S. 486. Vgl. hierzu Rudolf Smend, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951), S. 4-14; ferner die Ausführungen bei Ulrike Marga Dahl-Keller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 22), Berlin 1993, s. 203f. 56 Zu dieser Frage vgl. bei Joseph Listl, Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag, Zürich 1989, S. 332. 54 55

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schließenden Parteien abgestuft sein. Er könne eine ausdrückliche Billigung bedeuten; der Konkordatsinhalt könne aber auch eine einfache Toleranz besagen gemäß jenen Prinzipien, welche die Norm für das Zusammenleben der Kirche und ihrer Gläubigen mit den Mächten und Menschen anderer Überzeugung bilden57 . Konkordatäre Verständigungen besonderer Art, denen der Charakter eines "Concordatum defensionis" zukommt, sind das Abkommen (Modus vivendi) zwischen dem Heiligen Stuhl und der Thnesischen Republik vom 27. Juni 1964 58 und der Briefwechsel zwischen Papst Johannes Paul II. und König Rassan II. von Marokko vom 30. Dezember 1983/5. Februar 1984 59 . In dem Abkommen mit der Thnesischen Republik wird der katholischen Kirche in Artikel4 Nr. 3 das Recht eingeräumt, in ihren Schulen, Gymnasien, Kindergärten, Säuglingsheimen oder Hospitälern "den Unterricht in der christlichen Lehre ausschließlich den Schülern katholischen Bekenntnisses und unter Vorbehalt der Genehmigung durch die Eltern" zu erteilen. In Artikel5 Abs. 3 wird bestimmt: "Die Katholische Kirche in Thnesien wird im Innern der für den Gottesdienst bestimmten Stätten ihre Weisungen, Anordnungen und für die Gläubigen bestimmte Hirtenbriefe öffentlich bekanntmachen dürfen. Der Prälat wird zur Information des für den Ort zuständigen Gouverneurs am Tage der Veröffentlichung eine Abschrift dieser Weisungen, Anordnungen und Hirtenbriefe mitteilen. Jede andere durch die Katholische Kirche in Thnesien vorgenommene Veröffentlichung, wie die Form oder der Gegenstand auch sein mögen, wird sich als Presse-, Druckerei- und Buchhandelsgegenstand nach den tunesischen Gesetzen richten. " 60 An den Orten, an denen es keine für den katholischen Gottesdienst bestimmte Stätte gibt, wird die Regierung der Thnesischen Republik 57 Pius XII., Ansprache an den Verband der katholischen Juristen Italiens vom 6. Dezember 1953, in: AAS 45 (1953), S. 801 f.; deutsche Übersetzung in: Utz I Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung (Anm. 3), Bd. 2, Rdnr. 3985, s. 2052f. 58 Conventio (Modus vivendi) inter Apostolicam Sedem et 1\metanam Rempublicam, in: AAS 56 (1964), S. 917-924. Originalsprache: französisch. Deutsche Übersetzung: Abkommen (Modus vivendi) zwischen dem Heiligen Stuhl und der 1\mesischen Republik, in: Lotkar Schöppe (Hrsg.), Neue Konkordate und konkordatäre Vereinbarungen. Abschlüsse in den Jahren 1964 bis 1969 (= Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, Bd. 65), Harnburg 1970, S. 190-199. 59 AAS 77 (1985), S. 712. Vgl. hierzu Vincenzo Buonomo, Adnotationes, in: Apollinaris 59 (1986), S. 8-14. so Wortlaut bei Schöppe, Neue Konkordate (Anm. 58), S. 191.

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die gewohnheitsmäßige Feier des Gottesdienstes in den Stätten, die nicht das äußere Bild der Gottesdienststätten bieten, genehmigen, wenn beide Vertragsschließenden einmütig übereingekommen sein werden, daß der religiöse Beistand für die katholischen Gläubigen das Vorhandensein einer eingerichteten Gottesdienststätte rechtfertigt (Artikel6 Buchst. c) 61 . Der katholische Gottesdienst wird weiterhin ohne zivilrechtliche Genehmigung in Kapellen oder anderen zu diesem Zweck bestimmten Stätten im Innern der genannten Schulen und Krankenanstalten gefeiert werden können (Artikel6 Buchst. d) 62 . Der katholische Gottesdienst wird gelegentlich ohne Genehmigung in privaten Räumen gefeiert werden können; in diesem Falle wird der Eigentümer der Stätte vorher die Ortsbehörden benachrichtigen, wenn die Zeremonie nicht an diesem Ort wohnende Personen versammeln soll, damit die staatliche Behörde den notwendigen Schutz des Raumes sicherstellt (Artikel6 Buchst. e) 63 . Im Klartext gesprochen: Die katholische Kirche darf in der Thnesischen Republik katholische Gottesdienste an genau bestimmten Orten nur für Katholiken veranstalten. Jede Form einer Missionierung oder auch Glaubensverkündigung außerhalb der im einzelnen genau angegebenen Gebäude ist ihr untersagt. Die Ausübung des Grund- und Menschenrechts der Religionsfreiheit ist hier nur in sehr eingeschränktem Maße gewährleistet.

In ähnlicher Weise wird in dem mit feinster Courtoisie formulierten Schreiben des Königs Rassan II. von Marokko vom 30. Dezember 1983, das der Papst mit Schreiben vom 5. Februar 1984 beantwortet hat, der katholischen Kirche in Marokko die öffentliche und freie Ausübung ihrer Tätigkeit zugesichert, insbesondere hinsichtlich des Gottesdienstes, der kirchlichen Lehre, der inneren Leitung, der Wohltätigkeit für die Gläubigen und des religiösen Unterrichts. Ausdrücklich wird den Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen und den im kirchlichen Dienst Beschäftigten mit Einschluß der Einrichtungen der Caritas und der Erziehung Steuerfreiheit zugesichert, sofern sie für diese Tätigkeit kein Gehalt beziehen. Aber auch in Marokko ist der katholischen Kirche das Grundrecht der Religionsfreiheit im Sinne einer Missionsfreiheit nicht gewährleistet. König Rassan II., dessen Schreiben an den Papst den Charakter eines staatlichen Gesetzes hat, bezeichnet sein Schreiben an einer Stelle als "statut ainsi octroye a l'Eglise catholi61 62

63

Wortlaut bei Schöppe, Neue Konkordate (Anm. 58), S. 192. Wortlaut bei Schöppe, ebd. Wortlaut bei Schöppe, ebd.

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que" 64 . Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß sich die Kirche glücklich preisen würde, wenn ihr das Maß an Toleranz, das ihr in der Republik Tunesien und im Königreich Marokko zuerkannt wurde, auch in anderen mohammedanischen Staaten, wie z. B. Saudi-Arabien, konzediert würde. VI. Der Inhalt der Konkordate

Die Regelungsmaterien der Konkordate zeigen einerseits Konstanten, die sich aus der Verfassungsstruktur der katholischen Kirche ergeben, andererseits aber auch bedeutsame historisch bedingte Wandlungen65. In den mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Konkordaten dominieren drei Fragengruppen: Schutz der Kirche und ihres Vermögens, kuriale Besetzung kirchlicher Stellen und geistliche Gerichtsbarkeit und schließlich die fürstliche Einwirkung auf die Ämterbesetzung, insbesondere auf die Besetzung der bischöflichen Stühle 66 . Im 19. und 20. Jahrhundert spielen nach der Säkularisation die Staatsleistungen an die Kirchen eine bedeutsame Rolle, ferner die Neuabgrenzung des staatlichen Einflusses auf die Ämterbesetzung und die Beteiligung der Kirche im Bildungsbereich, insbesondere durch die Erteilung des Religionsunterrichts als staatliches Schulfach und ihre Mitwirkung bei der Berufung der Lehrer der Theologie an den staatlichen Theologischen Fakultäten. Ferner finden sich Regelungen über den freien Verkehr mit der Kurie, über den Schutz des kirchlichen Eigentums, die Selbständigkeit kirchlicher Organisation und kirchlicher Stellenbesetzung. Es geht um das Selbstbestimmungsrecht der Kirche. In den deutschen Konkordaten wird ausdrücklich vereinbart, daß der Staat der Kirche und ihren Untergliederungen den Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verleiht, durch den sie aus den privaten Vereinigungen herausgehoben wird. Der Staat gewährleistet der Kirche ferner das Besteuerungsrecht, wobei er sich zum finanziellen Schutz seiner Bürger ein Aufsichts- und Genehmigungsrecht vorbehält. Die Festlegung der Zirkumskription der Diözesangrenzen erfolgt im Zusammenwirken von Kirche und Staat. In Preußen setzt der Staat die Bischofswahl durch die Domkapitel mit starkem staatli64 AAS 77 (1985), S. 714. In seinem Schreiben an Papst Johannes Paul II. gebraucht König Rassan II. die Anrede "Tres Saint-Pere et Illustre Ami!". Erbezeichnet den Papst als "Chef de l'Eglise catholique" und sich selbst als "Commandeur des Croyants". 65 Ulrich Scheuner, Konkordat, in: ders., Schriften (Anm. 48), S. 353 f. 66 Scheuner, ebd.

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ehern Veto durch. Staatliches Interesse wird auch berücksichtigt in den Bestimmungen über die Staatsangehörigkeit und die akademische Vorbildung der Geistlichen und ebenso bei der Vermeidung der Unterstellung von Ordensniederlassungen unter ausländische Provinzobere. In den neueren Konkordaten gewinnen Fragen der Baulast des Staates für kirchliche Gebäude, der Denkmalschutz, die Lehrerbildung, die Förderung privater konfessioneller Schulen, die Erteilung der Missio canonica für Religionslehrer Bedeutung. Ebenso auch die Mitwirkung der Kirche in Rundfunk und Fernsehen. In denneueren deutschen Konkordaten- und ebenso in den mit den Konkordaten korrespondierenden evangelischen Kirchenverträgen zeichnet sich im Interesse einer möglichst konfliktfreien Koexistenz von Staat und Kirche eine Tendenz zu möglichst umfassender Regelung aller gemeinsam interessierenden Fragen ab 67 . In der Bundesrepublik Deutschland sind die neuen Bundesländer bestrebt, nach dem Vorbild der Konkordate und Kirchenverträge, wie siez. B. in Bayern, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen bestehen, nicht zuletzt auch im Interesse der Demonstration ihrer Kulturhoheit, d. h. ihrer Souveränität im Bildungsbereich, umfassende Konkordate und evangelische Kirchenverträge abzuschließen. So sind z. B. in den Entwürfen der Konkordate zwischen dem Heiligen Stuhl und den Ländern Freistaat Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen neben der Garantie des umfassend verstandenen Grundrechts der individuellen und korporativen Religionsfreiheit, d. h. der Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der Religion in allen ihren Formen, folgende Regelungsmaterien vorgesehen: (1) Schutz der Sonn- und Feiertage; (2) Regelung der Zirkumskription der kirchlichen Verwaltungsbezir-

ke;

(3) das Verfahren bei der Besetzung der kirchlichen Ämter, z. B. nach Maßgabe der Bestimmungen des Reichskonkordats und des Preußischen Konkordats; (4) Anerkennung der Rechtsfähigkeit der kirchlichen Rechtsträger als Körperschaften des öffentlichen Rechts, d. h. der Diözesen, Bischöflichen Stühle, Domkapitel, Kirchengemeinden und der aus diesen Gemeinden gebildeten Gesamtverbände; (5) das Verfahren bei der Errichtung, Veränderung und Zusammenlegung kirchlicher Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Tätigkeit kirchlicher Stiftungen; 67

Scheuner, ebd.

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(6) Möglichkeit der Errichtung kirchlicher Seminarien zur wissenschaftlichen Vorbildung der Geistlichen und die staatliche Anerkennung dieser Bildungseinrichtungen; (7) das Verfahren bei der Berufung von Theologieprofessoren an staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultäten und vergleichbaren Einrichtungen; (8) Ausbildung von Religionslehrern und deren Anstellung im öffentlichen Dienst; (9) Erteilung des Religionsunterrichts und die Regelung der übrigen damit im Zusammenhang stehenden Fragen einschließlich der Finanzierung; (10) die Gründung freier Schulen in kirchlicher Trägerschaft und deren Finanzierung; (11) kirchliche Erwachsenenbildung; (12) Rechtsstellung bzw. Tätigkeit und Förderung kirchlicher karitativer Einrichtungen; (13) die Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten; (14) Denkmalschutz und Denkmalpflege an kirchlichen Gebäuden und sonstigen kirchlichen Kulturdenkmälern; (15) durch landesrechtliche Bestimmungen zu regelnde Gebührenbefreiungen der Kirchen; (16) Dotationen und Staatsleistungen und deren mögliche Ablösung; (17) Garantie des kirchlichen Eigentums; (18) die staatlichen Baulastverpflichtungen bei Kirchengebäuden; (19) Freiheit der Kirche bei der Verwaltung ihres Vermögens und die Regelung der auch im staatlichen Rechtsbereich anerkannten vermögensrechtlichen Vertretung der kirchlichen Körperschaften, selbständigen Anstalten und selbständigen Stiftungen des öffentlichen Rechts; (20) Übermittlung der für kirchliche Zwecke erforderlichen Daten durch die staatlichen Meldebehörden an die von dEm kirchlichen Behörden benannten Stellen mit Einschluß des kirchlichen Datenschutzes; (21) Gewährleistung des kirchlichen Besteuerungsrechts und des Rechts der Kirchen zur Festlegung des Hebesatzes für die Erhebung der Kirchensteuern;

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(22) Übertragung der Verwaltung der Kirchensteuern auf die staatlichen Finanzämter und die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuern; (23) Festlegung der Einzelheiten des gemäß Artikel16 des Reichskonkordats zu leistenden bischöflichen Treueids; (24) Pflege der Beziehungen zwischen den Landesregierungen und der Kirche durch regelmäßige Begegnungen; (25) Vereinbarung einer Freundschaftsklausel, derzufolge die Vertragsparteienetwa in Zukunft auftretende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einer Bestimmung des jeweiligen Vertrages auf freundschaftliche Weise beseitigen werden. In dem Lehrbuch des Kardinals Alfredo Ottaviani, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, kann man lesen, die Konkordate seien meistens abgeschlossen worden zur Heilung der Wunden der Kirche und um größeres Unheil zu verhüten: "ad vulnera Ecclesiae medenda gravioraque mala vitanda": "historia Concordatorum, historia dolorum Ecclesiae" 68 . Für die Gegenwart trifft dies im allgemeinen wohl in dieser Schärfe nicht mehr zu. Diese historischen bitteren Erfahrungen hindern die Kirche aber nicht, im Interesse der Verwirklichung ihres Heilsauftrags unverdrossen konkordatsfreudig zu sein69 .

Ottaviani, Institutiones, vol. II (Anm. 51), S. 267. Zumneueren Konkordatsrecht und zur Konkordatspolitik des m. Stuhles vgl. im einzelnen Rudolf Lill, Art. Konkordate, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 19, Berlin/New York 1990, S. 462-471 (Lit.); Alexander Hollerbach, Art. Konkordat, in: Staatslexikon der Görresgesellschaft, 7. Aufl., Bd. 3, Freiburg/Basel/Wien 1987, Sp. 620-625 (Lit); Heribert Franz Köck, Rechtliche und politische Aspekte von Konkordaten, Berlin 1983; ders., Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls. Dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen, Berlin 1975; Georg May, Die Konkordatspolitik des Heiligen Stuhls 1918 bis 1974, in: Handbuch der Kirchengeschichte. Hrsg. von Hubert Jedin und Konrad Repgen, Bd. VII: Die Weltkirche im 20. Jahrhundert, Freiburg/Basel/Wien 1979, S. 179-229; Paul Mikat, Art. Konkordat, in: Staatslexikon der Görresgesellschaft, 6. Aufl., Bd. 4, Freiburg i.Br. 1959, Sp. 1215-1226 (Lit.). 68 69

Die konkordatäre Entwicklung in Bayern von 1817 bis 1988 I. Das Konkordat vom 5. Juni 1817 zwischen Papst Pius VII. und König Maximilian I. Joseph - Vorgeschichte

In der deutschen Konkordatsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts kommt Bayern eine Führungs- und Schrittmacherrolle zu. Dies gilt in gleicher Weise für den Abschluß des Konkordats vom 5. Juni 1817 zwischen Pius VII. und Maximilian I. Joseph 1 wie für das Konkordat vom 29. März 1924 zwischen Pius XI. und dem Staate Bayern. 2 Im 19. Jahrhundert blieb das Bayerische Konkordat bis zum Abschluß des Österreichischen Konkordats vom 18. August 1855 3 das einzige Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Mitglied des Deutschen BunErstveröffentlichung in: Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte, Bd. III: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Hrsg. von Walter Brandmüller, EOS Verlag, Erzabtei St. Ottilien 1991, S. 427 bis 463. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des EOS Verlags, Erzabtei St. Ottilien. 1 Wortlaut der Übereinkunft zwischen Sr. Heiligkeit Papst Pius VII. und Sr. Majestät Maximilian I. Joseph, König von Bayern, bei Ernst Rudolf Huber I Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, S. 170 ff. (mit zahlreichen Dokumenten, die sich auf den Abschluß und das Inkrafttreten des Konkordats beziehen). Der lateinische und deutsche Text des Konkordats ist abgedruckt bei Karl Hausberger, Staat und Kirche nach der Säkularisation. Zurbayerischen Konkordatspolitik im frühen 19. Jahrhundert, St. Ottilien 1983, S. 309 ff. 2 Wortlaut des Konkordats zwischen Sr. Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staat Bayern in "bereinigter" Fassung nach dem Stand vom 1. Juli 1987 bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1987, Bd. I, S. 474ff; Wortlaut des Konkordats in der Urfassung vom 29. März 1924 ebd., S. 289 ff.; deutscher Wortlaut der ursprünglichen Fassung u.a. auch bei Huber I Huber (Anm. 1), Bd. IV: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 1988, S. 299 ff. (mit zahlreichen Dokumenten, die sich auf den Abschluß des Konkordats beziehen). 3 Max Hussarek, Die Verhandlungen des Konkordats vom 18. August 1855. Ein Beitrag zur Geschichte des Österreichischen Staatskirchenrechts. Sonderabdruck aus dem "Archiv für Österreichische Geschichte", Bd. 109, Wien 1922, s. 447-811.

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des. Die Neuordnung der kirchlichen Rechtsverhältnisse in den übrigen deutschen Staaten erfolgte in der nachnapoleonischen Zeit nicht durch Konkordate, d. h. durch feierliche zweiseitige völkerrechtliche Verträge zwischen gleichberechtigten Partnern, die die umfassende Regelung der staatskirchenrechtlichen Angelegenheiten zum Gegenstand haben, 4 sondern durch päpstliche Zirkumskriptionsbullen. Der Inhalt dieser Zirkumskriptionsbullen wurde zwischen den einzelnen Staaten und dem Heiligen Stuhl in oft recht langwierigen Verhandlungen vereinbart. Anschließend wurden die Zirkumskriptionsbullen mit ihrem lateinischen Wortlaut und in deutscher Übersetzung in den staatlichen Gesetzblättern als einseitig erlassene Staatsgesetze publiziert und erlangten damit auch für die staatliche Rechtsordnung Rechtskraft. Staatsrechtlich handelt es sich bei den Zirkumskriptionsbullen um sogenannte "paktierte" Staatsgesetze, da die in ihnen enthaltenen Bestimmungen vor dem Erlaß des Gesetzes zwischen Staat und Kirche ausgehandelt und einvernehmlich festgelegt wurden. Ähnlich wie die Konkordate regelten die Zirkumskriptionsbullen die jeweilige Organisationsstruktur der katholischen Kirche, das Bischofswahlrecht der Domkapitel, die staatlichen Mitwirkungsrechte bei der Besetzung der Bischofssitze sowie der übrigen kirchlichen Ämter und schließlich die staatliche Dotation der Bischöfe und Domkapitel. Für das Königreich Preußen erging die Zirkumskriptionsbulle De salute animarum vom 16. Juli 1821. 5 Die kirchlichen Verhältnisse der damals neu geschaffenen Oberrheinischen Kirchenprovinz wurden durch die Zirkumskriptionsbulle Provida solersque vom 16. August 1821 6 und mit der Bulle Ad dominici gregis custodiam vom 11. April 1827 7 geregelt. Für das Königreich Hannover wurde am 26. März 1824 die Zirkumskriptionsbulle Impensa Romanorum Pontificum erlassen. 8 Für die in diesen Zirkumskriptionsbullen enthaltenen Regelungen und Festlegungen diente das Bayerische Konkordat vom 5. Juni 1817 als Modell. Als nämlich in Bayern, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, die kirchlichen Verhältnisse durch das Konkordat einigermaßen geordnet waren, gerieten die übrigen Staaten des Deutschen Bundes in eine Art Zugzwang und sahen sich ebenfalls genötigt, die rechtlichen Verhältnisse der katholischen Kirche auf ihrem Territorium im Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl zu regeln und Kirchenprovinzen zu errichten. 4 Zur Rechtsnatur der Konkordate vgl. die Ausführungen bei Joseph Listl, Konkordate und Kirchenverträge (Einleitungsbeitrag), Berlin 1987, Bd. I (Anm. 2), S. 5 m.w.N. 5 Wortlaut bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 204 ff. s Huber I Huber, ebd., S. 246 ff. 7 Huber I Huber, ebd., S. 268 ff. s Huber I Huber, ebd., S. 299 ff.

35 Sbd. List!

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Dem Abschluß des Bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817 waren Versuche vorausgegangen, die insbesondere in dem Fürstprimas und Kurerzkanzler Carl Theodor Reichsfreiherr von Dalberg ihren Urheber hatten, nach dem Zusammenbruch der früheren Reichskirche und der bisherigen Kirchenorganisation den Abschluß eines Reichskonkordats zu erreichen. Dalberg ging es dabei einmal um die Erhaltung der Einheit der von ihm erstrebten deutschen Nationalkirche, andererseits aber auch um höchst persönliche Ziele, da die Leitung dieser deutschen Nationalkirche in den Händen des von seinem Metropolitankapitel in Regensburg gewählten deutschen Fürstprimas, d. h. in seinen eigenen Händen, liegen sollte. 9 Das Kurfürstentum Pfalz-Bayern lehnte jedoch schon im Herbst 1802 und erneut in den Jahren zwischen 1804 und 1806 ein derartiges "Reichskonkordat" aus Gründen der bayerischen Staatsraison mit aller Entschiedenheit ab. 1 Für Bayern kam nur ein Landeskonkordat in Frage.

°

Bayerische Konkordatsverhandlungen, die von 1806 bis 1809 zwischen dem Apostolischen Nuntius Annibale della Genga, dem späteren Papst Leo XII. (1823-1829), und bayerischen Bevollmächtigten in Regensburg geführt wurden und bereits nahe vor dem Abschluß zu stehen schienen, scheiterten jedoch schließlich an den exzessiven Staatskirchenhoheitlichen Forderungen des Ministers Montgelas und vor allem auch an dem Kirchenkonflikt, den das rücksichtslose Vorgehen der bayerischen Beamten bei der Säkularisation in dem von Bayern besetzten Nord- und Südtirol ausgelöst hatte. 11 Einem von Napoleon nach der Niederwerfung Preußens und der Gründung des Rheinbundes zeitweilig befürworteten und auch von Dalberg mit Eifer favorisierten "Rheinbundkonkordat" begegnete 9 Vgl. Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln 1972, S. 596. Vgl. hierzu den Wortlaut des Entwurfs eines Reichskonkordats des Reichsreferendars von Frank vom Februar 1804, auszugsweise abgedruckt bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 23 ff.; ferner den Wortlaut des von Dalberg selbst verfaßten Entwurfs zu einem Konkordat, den er dem Uditore der Münchener Nuntiatur, dem Grafen Tiberius Troni, im Oktober 1804 übergeben hat und der von diesem am 19. Oktober 1804 nach Rom weitergeleitet wurde. Abdruck dieses Entwurfs bei Anton Doeberl, Diebayerischen Konkordatsverhandlungen in den Jahren 1806 und 1807. Mit einem Anhang ungedruckter Aktenstücke auf Grund der vatikanischen Archivalien dargestellt, München und Freising 1924, S. 147 ff. Der Entwurf Dalbergs sieht eine Regensburger Kirchenprovinz des Fürstprimas für alle rechtsrheinischen deutschen Diözesen mit Ausnahme der Gebiete Preußens und Österreichs vor. 1o Doeberl, Diebayerischen Konkordatsverhandlungen, ebd., S. 23 ff., 35 ff.; Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 45 ff. 11 Hausberger, ebd., S. 88 ff., 110 ff.

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Bayern mit entschiedener Ablehnung, ebenso wie übrigens auch Württemberg und Baden. 12 Auch auf dem Wiener Kongreß war es das erklärte Ziel der bayerischen Kirchenpolitik, sich jeder gesamtdeutschen Regelung der kirchlichen Verhältnisse zu widersetzen. Bayern blieb dabei im Ergebnis erfolgreich. Fürstprimas Dalberg hatte in seiner Eigenschaft als Bischof von Konstanz als engagierten Vertreter seiner Interessen und als seinen Vertrauensmann seinen Generalvikar Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg entsandt. Unermüdlich und mit großem Geschick verfolgte dieser das Projekt des Abschlusses eines gesamtdeutschen Konkordats mit dem Ziele der Errichtung einer deutschen Nationalkirche mit einem Primas an der Spitze. Die deutsche Kirche sollte dabei nur in einer losen Abhängigkeit von Rom stehen. 13 Mit diesen Plänen stießen Dalberg und Wessenberg jedoch auf vielfache Gegnerschaft, insbesondere auch auf den wachsenden Widerstand des von Pius VII. zum Wiener Kongreß entsandten Kardinalstaatssekretärs Ercole Consalvi. Wegen der Vorteile, die eine gesamtdeutsche konkordatäre Regelung an sich für die katholische Kirche bedeutet hätte, hatte sich Consalvi ursprünglich, ebenso wie übrigens auch Metternich, dem es dabei um die Stärkung der Stellung Österreichs ging, für den Abschluß eines Reichskonkordats eingesetzt. Nach genauerer Kenntnis der nationalkirchlichen Bestrebungen und der febronianisch-episkopalistischen Tendenzen, die Dalberg und Wessenberg mit ihrem Konkordatsprojekt verfolgten, wurde Consalvi jedoch allmählich zu einem entschiedenen Gegner dieser Bestrebungen. 14 Neben Württemberg war es vor allem Bayern, an dessen hinhaltendem Widerstand eine gesamtdeutsche Regelung der kirchlichen Verhältnisse auf dem Wiener Kongreß gescheitert ist. 15 Feldmarschall Karl Philipp Fürst von Wrede, einer der beiden bayerischen Vertreter auf dem Wiener Kongreß, erhielt Ende November 1814 von Montgelas die ausdrückliche und verbindliche Weisung, "auf eine allgemein einzuführende Verfassung der Hierarchie Deutschlands" unter keinen Umständen einzugehen. Es müsse einem jeden größeren Staat überlassen bleiben, über seine kirchlichen Verhältnisse unmittelbar mit der Kurie zu verhandeln. 16 12

Hausberger, ebd., S. 121; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 9),

s. 609.

Feine, ebd., S. 610 f. Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 143. 15 Vgl. hierzu die sehr gründliche und die gesamte einschlägige frühere Literatur berücksichtigende Darstellung von Karl August Geiger, Das Bayerisches Konkordat vom 5. Juni 1817. Säkular-Erinnerungen, Regensburg 1918, S. 87. 16 Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 147. 13 14

35*

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Die bayerischen Interventionen waren letztlich auch ausschlaggebend dafür, daß in die Bundesakte, d. h. in die auf dem Wiener Kongreß geschaffene und am 8. Juni 1815 gefertigte Verfassung des Deutschen Bundes, keinerlei Richtlinien über das Verhältnis von Staat und Kirche in den einzelnen Bundesstaaten aufgenommen wurden. Consalvi hatte sich mit großem Nachdruck, wegen des bayerischen Widerstandes freilich im Ergebnis erfolglos, für die Aufnahme derartiger kirchenpolitischer Richtlinien in die Bundesakte eingesetzt. Die Versuche, die Ordnung der kirchlichen Belange in das neue staatsbündische System einzubeziehen, waren "am Gegensatz kurialer und nationalkirchlicher Wünsche, am Ränkespiel Metternichs und ganz entscheidend am Souveränitäts- und Unabhängigkeitsstreben der Könige von Bayern und Württemberg gescheitert" Y Erfolgreich widersetzte sich Bayern auch allen Versuchen Wessenbergs, auf der Bundesversammlung in Frankfurt eine Gesamtregelung der kirchlichen Verhältnisse zu erreichen. Von dem im Bayerischen Staatsministerium des Innern für Kirchenangelegenheiten verantwortlichen Abteilungsleiter Georg Friedrich von Zentner wurde Wessenberg am 30. Mai 1816 darauf hingewiesen, daß eine deutsche Nationalkirche mit der Souveränität der einzelnen Staaten unvereinbar sei. 18 Im Interesse einer möglichst raschen Regelung der durch den Reichsdeputationshauptschluß, die Säkularisation, den Untergang der alten Reichskirche und die napoleonischen Kriege zutiefst zerrütteten deutschen kirchlichen Verhältnisse erklärte die Römische Kurie schließlich ihre Bereitschaft zu Verhandlungen mit den Staaten des Deutschen Bundes. Damit war der Weg für den Abschluß eines Bayerischen Konkordats eröffnet. 19 II. Die Konkordatsverhandlungen und der Abschluß des Konkordats vom 5. Juni 1817

a) Der Verlauf der Konkordatsverhandlungen Im Frühjahr 1816 wurden von der bayerischen Regierung die 1809 abgebrochenen Konkordatsverhandlungen mit dem Heiligen Stuhl wieder aufgenommen. 20 Auf bayerischer Seite wurden die Verhand17 Hausberger, ebd., S. 149. 1s Hausberger, ebd., S. 151 f. 19 Hausberger, ebd., S. 152 ff. 2o Die einzelnen Phasen der Verhandlungen und des Abschlusses des Bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817 sind in einer sonst nirgendwo auffindbaren

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lungengeführt von dem bayerischenGesandten beim Heiligen Stuhl, dem Titularbischof und späteren Kardinal Kasimir Freiherr von Haeffelin (1737-1827), einer überaus agilen, diplomatisch zweifellos versierten, ehrgeizigen, opportunistischen und im letzten zwielichtigen Persönlichkeit. 21 Die Verhandlungsführung auf seiten des Heiligen Stuhles lag beim Kardinalstaatssekretär Consalvi. Diebayerischen Konkordatsentwürfe stammten von dem im Innenministerium für die Bearbeitung von Kirchenangelegenheiten zuständigen Oberkirchenrat Leonhard von Holler, der trotz aller zwischen den Ministerien kontrovers geführten Diskussionen bis zum Abschluß des Konkordats im Herbst 1817 der federführende Beamte blieb. 22 Ein erster, ganz vom Geiste des Ministers Montgelas und der bayerischen Staatskirchenhoheit inspirierter bayerischer Konkordatsentwurf stieß in Rom auf scharfe Ablehnung. Nach den bayerischen Vorstellungen sollten im Konkordat zunächst nur die möglichst unstrittigen Fragen formuliert und vereinbart werden. Dazu gehörte die Schaffung einer einzigen bayerischen Kirchenprovinz mit dem Metropolitansitz Freising, das Recht des Königs zur Ernennung der Bischöfe, die staatliche Dotation der Bischofsstühle und der Domkapitel sowie die Einbindung der Bischöfe und der übrigen Geistlichkeit in die allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten. Erst in zweiter Linie sollten nach Möglichkeit im Konkordat das Placetum regium, d. h. das staatliche Genehmigungsrecht für bestimmte kirchliche Rechtshandlungen, besonders für die Bekanntgabe päpstlicher und bischöflicher Verlautbarungen, geregelt werden; ferner die Besetzung der niederen Pfründen aufgrund königlichen Patronatsrechts, die Freiheit der Bischöfe bei ihrer Amtsführung und die Festlegung der Vorbedingungen für die Aufnahme in die Domkapitel. Das Ziel der bayerischen Regierung ging dahin, unter Wahrung der bestehenden staatlichen Kirchenhoheitsrechte möglichst bald zu einer Einigung mit Rom zu gelangen. Vollständigkeit von erstrangigen Sachkennern dokumentiert in dem informativen Ausstellungskatalog "Kirche in Bayern". Verhältnis zu Herrschaft und Staat im Wandel der Jahrhunderte. Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs anläßlich des 88. Deutschen Katholikentages 1984 in München, München 3. Juli - 19. August 1984 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns. Herausgegeben von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. Nr. 17: Kirche in Bayern und Verhältnis zu Herrschaft und Staat im Wandel der Jahrhunderte.), München 1984, S. 183 ff. 21 Zur Person und zum früheren Lebenswandel Haeffelins vgl. die bemerkenswerten Angaben bei Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 173 mit Anm. 34; fernerE. Krausen, Art. Haeffelin, in: NDB, Bd. 7 (1966), S. 429; Georg Franz-Willing, Diebayerische Vatikangesandtschaft 1803-1934, München 1965, s. 13ff. 22 "Kirche in Bayern" (Anm. 20), S. 183.

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Nach längeren zähen und ergebnislosen Verhandlungen übergab der meisterhafte Diplomat Consalvi Anfang Dezember 1816 Haeffelin einen kurialen Gegenentwurf, der den staatskirchenrechtlichen Vorstellungen der bayerischen Regierung diametral entgegengesetzt war. Nach dem Wortlaut dieses Entwurfs stand dem Papst die Entscheidungsfreiheit nicht nur in rein innerkirchlichen Angelegenheiten zu; er hatte darüber hinaus auch maßgeblichen Einfluß auf die staatliche Gesetzgebung. Der im Religionsedikt von 1809 anerkannte Grundsatz der religionsrechtlichen Parität wäre beseitigt worden. Die bayerische Regierung war über die römischen Vorstellungen und Forderungen ebenso entsetzt wie über das Nachgeben Haeffelins, dem allgemein Ambitionen auf einen Kardinalshut nachgesagt wurden. Noch bevor in München eine neue Instruktion für Haeffelin ausgearbeitet werden konnte, wurde der bis dahin in Bayern nahezu allmächtige Minister Montgelas, der die Fäden der bayerischen Kirchenpolitik fest in seinen Händen gehalten hatte, zusammen mit seinem Kabinett am 2. Februar 1817 gestürzt. Dieses Ereignis war für den weiteren Verlauf der Konkordatsverhandlungen von weittragender, ja entscheidender Bedeutung. Die neue Regierung Thürheim-Rechberg-Lerchenfeld steuerte in der Konkordatsfrage keinen einheitlichen, sondern einen eher zwiespältigen Kurs. Der Außenminister Graf Rechberg verfocht eine harte Linie; der federführende Innenminister Graf Thürheim bekundete dagegen in persönlichen Schreiben an Haeffelin Wohlwollen und setzte sich damit sogar in Widerspruch zu der in seinem Hause erarbeiteten neuen Instruktion an Haeffelin vom 9. Februar 1817, in der der römische Gegenentwurf abgelehnt wurde. 23 Auf die bayerische Stellungnahme vom 9. Februar 1817 antwortete Rom mit einem ultimativen Konkordatsentwurf vom 23. April1817. 24 Darin wurde zwar auf die bisher erhobene Forderung nach Steuerfreiheit für das Kirchengut und nach gerichtlicher Immunität des Klerus in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten verzichtet. Die Forderung nach 23 Ebd., S. 184; ferner Eberhard Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799-1825), in: Handbuch der Bayerischen Geschichte, hrsg. von Max Spindler, Bd. IV/1, München 1974, S. 72; Georg Schwaiger, Die kirchlich-religiöse Entwicklung in Bayern zwischen Aufklärung und katholischer Erneuerung, in: Wittelsbach und Bayern. Bd. III/1: Krone und Verfassung. König MaxI. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1799-1825. Hrsg. von Hubert Glaser, München/Zürich 1980, S. 121 ff. m.w.N. 24 "Römisches Ultimatum, von dem bayerischenGesandten in Rom der Regierung eingesandt am 23. April 1817"; lateinischer Originalwortlaut abgedruckt bei Hermann von Sicherer, Staat und Kirche in Bayern vom Regierungs-Antritt des Kurfürsten Maximilian Joseph IV. bis zur Erklärung von Tegernsee 17991821, München 1874, Anhang (Nr. 18), S. 63-71.

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kirchlichen Mitspracherechten im Schulwesen (Gymnasien und Lyzeen) hinsichtlich der gesunden Lehre und der guten Sitten und nach Wiederbegründung einiger Klöster wurde jedoch aufrechterhalten. Die am heftigsten umstrittenen Artikel bezogen sich auf die Nominationsrechte des Königs bei der Besetzung der Bischofsstühle, der Dignitäten, d. h. des Dompropsts und des Domdekans, und einiger Kanonikate in den Domkapiteln, auf den Umfang der königlichen Patronatsrechte bei der Besetzung der Pfarreien und schließlich auf die entscheidende Frage der alleinigen Geltung des Kirchenrechts in kirchlichen Angelegenheiten und die damit verbundene automatische Außerkraftsetzung aller dem kanonischen Recht widersprechenden staatlichen Erlasse und Verordnungen in kirchlichen Angelegenheiten.25 Die Münchener Ministerialkonferenz, der neben den Ministern auch die Spitzenbeamten der Ministerien angehörten, lehnte die geforderten Mitspracherechte der Kirche in Schulangelegenheiten und die in Art. XVII des römischen Ultimatums enthaltene Forderung nach einer automatischen Außerkraftsetzung aller bisherigen dem kanonischen Recht widersprechenden staatskirchenrechtlichen Erlasse und Verordnungen einhellig ab; sie erklärte sich nur mit der Aufhebung von Gesetzen, Verordnungen und Verfügungen einverstanden, insoweit sie dem Konkordat entgegenstanden. Diese restriktive Formulierung sollte später als Art. XVI in das ratifizierte Konkordat Aufnahme finden. In anderen Punkten war man in München jedoch zu Kompromissen bereit. Die bayerische Regierung zeigte sich allerdings darüber sehr enttäuscht, daß die Kurie hinsichtlich des königlichen Nominationsrechts zur Besetzung der höheren Kirchenämter früher gemachte Zusagen nicht eingehalten hatte. Auf diese Vorstellungen hin erklärte sich Rom schließlich bereit, dem bayerischen König das N aminationsrecht für drei Bischofsstühle, nämlich für Freising, Regensburg und Würzburg, zu konzedieren; die Kurie hielt jedoch an der generellen Forderung des ursprünglichen Art. XVII fest, wonach mit dem Irrkrafttreten des Konkordats alle bisherigen staatskirchenrechtlichen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen außer Kraft treten sollten, soweit sie dem kanonischen Recht widersprp.chen. Auf der Grundlage dieses Verhandlungsergebnisses unterzeichneten Haeffelin, der dabei zweifellos die ihm von München eingeräumten Kompetenzen weit überschritten hat, und Consalvi am 5. Juni 1817 den zwischen ihnen vereinbarten Konkordatstext.26 Beide Partner sollten nach dem Wortlaut des Konkor"Kirche in Bayern" (Anm. 20), S. 184 f. Wortlaut dieser am 5. Juni 1817 von Haeffelin und Consalvi unterzeichneten, später aber in vielfacher Hinsicht abgeänderten Fassung des Konkordats bei Constantin Höfler, Concordat und Constitutionseid der Katholiken in Bay25 26

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dats dieses innerhalb einer Frist von maximal 40 Tagen ratifizieren. Das Konkordat kam in der am 5. Juni 1817 abgeschlossenen Form den Vorstellungen der Kirche zweifellos in vieler Hinsicht entgegen. Als der von Haeffelin unterzeichnete Konkordatstext am 14. Juni 1817 in München eintraf, stieß er bei der überwiegenden Mehrheit der Minister auf entschiedene, ja zum Teil heftige Ablehnung. Nach mehreren, zum Teil stürmisch verlaufenen Sitzungen der Ministerialkonferenz verständigte man sich nach dem Vorbild der von Napoleon zum Französischen Konkordat vom 15. Juli 1801 einseitig staatlich ausgearbeiteten und eigenmächtig gleichzeitig mit dem Konkordat am 8. April 1802 erlassenen 77 Organischen Artikel, durch die das Französische Konkordat im staatskirchlich-gallikanischen Sinne abgeändert wurde,27 auf Vorschlag des Außenministers Aloys Graf von Rechberg auch im Falle des Bayerischen Konkordats auf eine, wie sich später immer wieder von neuem herausstellen sollte, widersprüchliche und unheilvolle "Politik der stillschweigenden Vorbehalte". 28 Wegen seiner Kompetenzüberschreitung wurde Haeffelin in einer neuen Instruktion vom 7. September 1817 eine scharfe Mißbilligung ausgesprochen. Darüber hinaus wurde ihm unter strenger Bindung an die Bestimmungen der neuen Instruktion auch die Wiederaufnahme der von Rom bereits als abgeschlossen betrachteten Konkordatsverhandlungen befohlen. Von bayerischer Seite wurde dabei insbesondere das königliche Nominationsrecht für alle acht bayerischen Bischofsstühle, die Ausweitung des königlichen Patronats auf die Besetzung der Pfarreien und nicht zuletzt die Beschränkung des Außerkrafttretens staatskirchenrechtlicher Bestimmungen auf diejenigen Gesetze und Verordnungen gefordert, die zum Konkordat in Widerspruch stehen. Nur mit größter Mühe gelang es Haeffelin, den Papst zur Wiederaufnahme der Verhandlungen und zu den von Bayern geforderten zusätzlichen Konzessionen zu bewegen. Pius VII. weigerte sich jedoch, eine vollständige Neufassung des Konkordats unterzeichnen zu lassen. Rom wollte die späteren Vereinbarungen lediglich als Zusätze zu dem ern. Eine historische Denkschrift mit Benutzung bisher unbekannter Actenstücke verfaßt vom Autor der Erläuterungen und Zusätze zu der Rede des Fürsten von Wallerstein Durchlaucht, über Quarta und Klöster, Augsburg 1847, S. 63-75. Der Name des Autors Höfler steht nicht auf dem Titelblatt dieser Schrift, die sich in dezidierter Weise gegen die von der bayerischen Regierung in Anspruch genommenen Kirchenhoheitsrechte wendet. Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Hermann von Sicherer, Staat und Kirche in Bayern. Vom Regierungsantritt des Kurfürsten Maximilian Joseph IV. bis zur Erklärung von Tegernsee 1799-1821. Nach amtlichen Actenstücken, 1874, S. 189 ff., bes. 230 ff., ferner "Kirche in Bayern" (Anm. 20), S. 185. 27 Vgl. hierzu Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 9), S. 605. 28 "Kirche in Bayern" (Anm. 20), S. 186.

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bereits abgeschlossenen Konkordat betrachten. Aus der Erwägung, daß das Konkordat durch Organische Edikte neutralisiert werden konnte und im Einklang mit der von Rechberg geprägten Formel der "stillschweigenden Vorbehalte" empfahlen die Berater des Königs die Ratifizierung des Konkordats, die dieser am 24. Oktober 1817 vollzog. Aus Rücksichtnahme "auf die Gefühle des Papstes" wurde die ursprüngliche Datierung des Konkordats vom 5. Juni 1817 belassen. 29 Die Ratifizierung des Konkordats durch Papst Pius VII. erfolgte am 9. November 1817. 30

b) Der Inhalt des Konkordats vom 5. Juni 1817 Inhaltlich regelte das auf den 5. Juni 1817 rückdatierte Konkordat in insgesamt 19 Artikeln die Vorrechte und Prärogativen der katholischen Religion nach den Bestimmungen des göttlichen und des kanonischen Rechts (Art. 1), die Errichtung von zwei Kirchenprovinzen, nämlich der Kirchenprovinz München und Freising mit dem Erzbistum München und Freising und den Suffraganbistümern Augsburg, Passau und Regensburg sowie der Kirchenprovinz Bamberg mit dem Erzbistum Bamberg und den Suffraganbistümern Würzburg, Eichstätt und Speyer (Art. II); die Errichtung und Aufgabenstellung der Domkapitel: jedes der acht bayerischen Domkapitel erhält einen Propst und einen Dekan; die beiden Metropolitankapitel erhalten dazu noch zehn Domkapitulare, die Domkapitel der sechs Suffraganbistümer je acht Domkapitulare; außerdem werden bei jedem Kapitel noch sechs Domvikare angestellt (Art. III); die staatliche Dotation der (Erz-)Bischöfe und 29 "Kirche in Bayern", S. 188. Konkordatsgeschichtlich außerordentlich interessant ist die an dieser zitierten Stelle von dem Verfasser Hermann-Joseph Busley, Ltd. Archivdirektor im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München, mitgeteilte Tatsache, daß Haeffelin mit einer Note vom 28. Oktober 1817 nicht nur angewiesen wurde, dem Papst die beigefügte bayerische Ratifikationsurkunde zu überreichen; er erhielt darüber hinaus auch den Auftrag, seinem unmittelbaren Verhandlungspartner, dem Kardinalstaatssekretär Consalvi, die am 5. Juni 1817 unterzeichnete Originalausfertigung des Konkordatstextes zurückzugeben. Sie sollte in einer mit dem Wortlaut der Ratifikation identischen Fassung, und zwar rückdatiert auf den 5. Juni 1817, erneut von den beiderseitigen Bevollmächtigten unterzeichnet und besiegelt, ausgefertigt werden. Rom ließ sich auf dieses ungewöhnliche Ansinnen ein. Mit Datum vom 22. November 1817 hat Haeffelin die auf den 5. Juni 1817 rückdatierte Originalausfertigung der zweiten Fassung nach München übersandt. ao Der Wortlaut des Konkordats wurde amtlich veröffentlicht in: Bayerisches Gesetzblatt 1818, Sp. 397-436; der lateinische und deutsche Text ist unter anderem abgedruckt bei Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 309-329; der deutsche Wortlaut ist ferner abgedruckt bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 170-177.

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Domkapitel (Art. IV); die Bestandsgarantie und die Errichtung von Priesterseminaren und deren staatliche Dotierung (Art. V); die Errichtung diözesaner Emeritenanstalten für kranke und wohlverdiente alte Geistliche (Art. Vl); die Errichtung und Dotierung einiger Männerund Frauenklöster (Art. Vll); die Garantie des Bestandes des Kirchengutes und des Rechts der Kirche zum Erwerb weiteren kirchlichen Vermögens (Art. VIII); die Besetzung der acht bayerischen Bischofsstühle durch königliche Nomination (Art. IX); die Besetzung der Domkapitel aufgrund königlicher, päpstlicher, bischöflicher und domkapitelscher Ernennungsrechte. Der Landesherr ernennt alle Domdekane und diejenigen Domkapitulare, deren Ernennung in den ungeraden, den sogenannten "päpstlichen" Monaten ansteht. In den geraden Monaten werden die Domkapitulare abwechselnd von den (Erz-)Bischöfen ernannt und von den Domkapiteln gewählt. Die Ernennung der Dompröpste steht ausnahmslos dem Papst zu, die Domvikare werden von den (Erz-) Bischöfen frei ernannt (Art. X); die Ausübung der königlichen Patronatsrechte bei der Besetzung der Pfarreien und Benefizien (Art. XI); die Freiheit der Bischöfe bei der Ausübung ihres Leitungsamtes in ihren Diözesen nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts (Art. XII); die Unterdrückung kirchenfeindlicher und unsittlicher Bücher durch den Staat im Falle bischöflicher Anzeige (Art. XIII); den besonderen staatlichen Schutz der katholischen Religion (Art. XIV); den Gehorsams- und Treueeid der Bischöfe (Art. XV); die Außerkraftsetzung der Gesetze, Verordnungen und Verfügungen, soweit sie dem Bayerischen Konkordat entgegenstehen (Art. XVI); die Geltung des kanonischen Rechts für alle im Konkordat nicht geregelten Materien; die Freundschaftsklausel (Art. XVII); die Verpflichtung beider Partner zur strikten Einhaltung des Konkordats; die Geltung des Konkordats im Königreich Bayern als Staatsgesetz (Art. XVIII); den Austausch der Ratifikationsurkunden innerhalb von vierzig Tagen nach dem Tag der Unterzeichnung des Konkordats (Art. XIX). 31 Das Königreich Bayern hatte durch das Konkordat das seit der Säkularisation verfolgte Ziel erreicht, nämlich die Errichtung einer sich mit den Landesgrenzen deckenden Organisation der katholischen Kirche und weitgehende Einflußrechte des Staates auf die Besetzung der kirchlichen Ämter. Als einzigem deutschen Landesherrn wurde dem König von Bayern während des 19. Jahrhunderts vom Papst das Recht zur Ernennung der Bischöfe seines Landes zugestanden. Ein weiterer, ebenfalls langgehegter Wunsch Bayerns, nämlich die Errichtung nur einer Kirchenprovinz für den Gesamtstaat zu erreichen, wurde dage31 Vgl. die ausführliche Inhaltsangabe des Konkordats bei Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 202 ff.

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gen von Rom nicht erfüllt. Durch die Errichtung des zweiten Metropolitansitzes Bamberg wollte Rom die Ausbildung einer zu starken Landeskirche in Bayern verhindern. Der bayerische Staat verzichtete im Konkordat von 1817 auf verschiedene frühere Kontrollrechte über das innere Leben der Kirche durch die Freigabe des Verkehrs der Bischöfe mit Rom, durch den Verzicht auf das königliche Plazet, d. h. durch die Gewähr der Freiheit der Bekanntgabe kirchlicher Verlautbarungen und Verordnungen, und durch die Garantie der freien kirchlichen Ausbildung der Geistlichen. Auf dem Gebiete des Vermögensrechts sollten die früheren einengenden Amortisationsgesetze wegfallen. Der Staat verpflichtete sich ferner zum Unterhalt der Bischöfe und Domkapitel und zur Wiederherstellung einiger Klöster für den Unterricht, die Seelsorge und die Krankenpflege. Die Zuständigkeiten der Kirche in Ehesachen wurden erweitert und die kirchliche Gerichtsbarkeit für Kleriker in Strafsachen anerkannt. Unbestreitbar gewährte das Konkordat dem Staat weitgehende Einflußrechte bei der Besetzung kirchlicher Ämter; das Konkordatbedeutete aber, jedenfalls seinem Wortlaut nach, wegen der in ihm enthaltenen Garantie der freien und staatsunabhängigen Leitung der Bistümer durch die Diözesanbischöfe ein bedeutsames und für die Kirche im Ergebnis begrüßenswertes Abgehen von der bisher bestehenden und überlieferten staatlichen Kirchenhoheit. 32

c) Der Widerspruch zwischen dem Konkordat und dem Religionsedikt Die Römische Kurie machte das vom König unter dem stillschweigenden Vorbehalt der landesherrlichen Kirchenhoheitsrechte am 24. Oktober 1817 ratifizierte Konkordat, das von der bayerischen Regierung streng geheimgehalten worden war, rasch bekannt. Bei den bayerischen Protestanten und auch bei vielen liberalen Katholiken rief es geradezu einen Sturm der Erregung und eine Flut von Protesten hervor. Den Stein des Anstoßes bildete vor allem die Tatsache, daß das Konkordat in Art. 1 der katholischen Religion eine Sonderstellung zuerkannte, die im Religionsedikt von 1809 nicht vorgesehen war. Eine Bevorzugung der katholischen Kirche wurde in der ebenfalls in Art. 1 enthaltenen Bestätigung althergebrachter Rechte erblickt; ferner auch in der Bestimmung des Art. V, wonach die Bischöfe, denen die Aufgabe obliege, über die Glaubens- und Sittenlehre zu wachen, auch in Beziehung auf die öffentlichen Schulen bei der Ausübung ihrer Amtspflich32

Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 9), S. 616.

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ten keineswegs gehindert werden. Mißbilligt wurden auch die Bestimmungen über die kirchliche Ehegerichtsbarkeit (Art. XII), die staatliche Gewähr bestimmter Einflußrechte der Bischöfe auf die staatliche Bücherzensur und schließlich die Aufhebung früherer, dem Konkordat entgegenstehender staatlicher Religionsgesetze und -verordnungen sowie schließlich die Anerkennung des Konkordats als Staatsgesetz. 33 Angesichts dieses Widerstandes der Protestanten beschloß die bayerische Regierung, die Publikation des Konkordats in Bayern hinauszuschieben und nach einem Ausweg Ausschau zu halten, um einerseits die Parität der Religionsgesellschaften zu wahren und andererseits die Vorzugsstellung des Konkordats zu beseitigen. Nach dem französischen Vorbild verfiel man dabei auf die Idee, die in Übereinkunft mit der Kurie preisgegebenen bisherigen Kirchenhoheitsrechte des Staates durch ein organisches Edikt, das spätere Religionsedikt, nachträglich wieder in Kraft zu setzen. 34 Dies konnte nur dadurch geschehen, daß möglichst bald eine Verfassung geschaffen wurde, in der die Grundsätze der Toleranz und Parität als oberste Prinzipien der staatlichen Religionspolitik zum Ausdruck gebracht wurden. Das Konkordat sollte zusammen mit der Verfassung publiziert werden und lediglich einen Anhang zur Verfassung bilden. Dieser von dem ehemaligen Staatsrechtslehrer und inzwischen zum Generaldirektor des Ministeriums des Innern beförderten Georg Friedrich Freiherr von Zentner, dem eigentlichen Schöpfer der Bayerischen Verfassung von 1818, unterbreitete Vorschlag fand die Zustimmung der Ministerialkonferenz. Nach diesem Vorschlag Zentners wurde in der Praxis verfahren. 35 So wurde das Konkordat, das nach seinem Wortlaut als Staatsgesetz verkündet werden sollte, zu einem drittrangigen Bestandteil der Bayerischen Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818. Das Konkordat wurde nicht für sich als Staatsgesetz publiziert, sondern zusammen mit dem Protestantenedikt, mit dem es damit auf die gleiche Stufe gestellt wurde, als Anhang I zum§ 103 eines neugeschaffenen besonderen Religionsedikts, das jedoch mit dem Religionsedikt von 1809 nahezu wortgleich war. Dieses Religionsedikt bildete aber selber wieder nur die Beilage II zu Titel IV § 9 der Bayerischen Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818. 36 Das KonEinzelheiten bei Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 210 ff. "Kirche in Bayern" (Anm. 20), S. 192 f. 35 Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 224. 36 Titel IV § 9 der Bayerischen Verfassung regelt die individuelle Religionsund auch die Kirchenfreiheit im einzelnen. In dieser Verfassungsnorm wird bestimmt, daß "keine Verordnungen und Gesetze der Kirchengewalt ohne vorgängige Einsicht und das Placet des Königs verkündet und vollzogen werden dürfen". Der letzte Satz des Titels IV§ 9 enthält zum Religionsedikt die folgende Bestimmung: "Die übrigen nähern Bestimmungen über die äußern Rechts33 34

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kordat besaß Rechtsgeltung nur nach Maßgabe der Bestimmungen des vom Staate einseitig erlassenen Religionsedikts. Damit unterlag die Kirche wieder allen Fesseln der früheren staatlichen Kirchenhoheit, die gerade durch den Wortlaut des Konkordats für aufgehoben erklärt worden waren. 37 Der Widerspruch zwischen dem vom König ratifizierten Wortlaut des Konkordats und dem Willen der bayerischen Regierung war evident. Aus diesem Widerspruch erwuchs ein "unheilvoller Zwiespalt", der ein volles Jahrhundert angedauert und die bayerische Kirchenpolitik während des 19. Jahrhunderts immer wieder vergiftet hat. Die bayerische Regierung brachte diesen Zwiespalt durch die Veröffentlichung des Konkordats vor aller Welt offen zum Ausdruck. 38 An der Römischen Kurie war man über die Tatsache, daß das Konkordat nicht als selbständiges Gesetz, sondern als bloßer drittrangiger Annex zur Verfassung und zum Religionsedikt veröffentlicht werden sollte, verständlicherweise empört; dies um so mehr, als bekannt wurde, daß nahezu der gesamte bayerische Klerus in der Zwischenzeit "infolge eines gezielten Täuschungsmanövers der Regierung den Eid auf die Verfassung geleistet hatte". 39 Noch einmal sorgte der achtzigverhältnisse der Bewohner des Königreichs in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften sind in dem der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde beygefügten besondern Edicte enthalten." Wortlaut dieser Bestimmung bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 128. 37 Das "Edict über die äußern Rechts-Verhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften" vom 26. Mai 1818, das sogenannte Religionsedikt, umfaßt 103 Paragraphen. Im Anschluß an§ 103 enthält das Religionsedikt die folgende grundsätzliche Bestimmung zum Verhältnis zwischen dem Religionsedikt auf der einen und dem Konkordat und dem sogenannten Protestantenedikt auf der anderen Seite: "Dieses allgemeine Staats-Grundgesetz bestimmt, in Ansehung der Religions-Verhältnisse der verschiedenen Kirchen-Gesellschaften, ihre Rechte und Verbindlichkeiten gegen den Staat, die unveräußerlichen Majestätsrechte des Regenten, und die jedem Unterthan zugesicherte Gewissensfreyheit und Religions-Ausübung. In Ansehung der übrigen innern Kirchen-Angelegenheiten sind die weitem Bestimmungen, in Beziehung auf die katholische Kirche in dem mit dem päpstlichen Stuhle abgeschlossenen Concordate vom 5. Junius 1817 und in Beziehung auf die protestantische Kirche in dem hierfür unterm heutigen Tage erlassenen eigenen Edicte enthalten." Wortlaut bei Huber I Huber, Bd. I (Anm. 1), S. 138 f. 38 So zutreffend die Ausführungen bei Schwaiger, Die kirchlich-religiöse Entwicklung in Bayern (Anm. 23), S. 137 f. 39 Vgl. Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 235. Die Zirkumskriptionsbulle (päpstliche Umschreibungsbulle) Dei ac Domini nostri Jesu Christi vom 1. April1818 ist in ihrem lateinischen Originalwortlaut abgedruckt in: Andreas Müller, Lexikon des Kirchenrechts und der römisch-katholischen Liturgie. In 5 Bänden, 2. Aufl., Bd. 5, Würzburg 1839, S. 78-113; das königliche Vollziehungs-Dekret vom 15. September 1821, ebd., S. 113 f. Die Zirkumskriptions-

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jährige Haeffelin, der am 6. April1818für seine Verdienste um die Kirche aufgrund einer persönlichen Intervention von König Max I. Joseph mit der Kardinalswürde ausgezeichnet worden war und die Tragweite seiner Entscheidung infolge seiner Senilität wohl nicht mehr ganz überblickte, für große Aufregung, als er am 27. September 1818 in Rom, ohne hierzu ausdrücklich beauftragt worden zu sein, also wiederum unter Überschreitung seiner Vollmachten, im Namen des bayerischen Königs eine Erklärung des Inhalts abgab, daß das Religionsedikt für Katholiken keine Geltung besitze. Auch der den Geistlichen abgeforderte Verfassungseid bezöge sich nur auf die bürgerliche Ordnung und verpflichte niemals zu einer Handlung, welche den Gesetzen Gottes und der Kirche widerstreiten könnte. Der Papst gab daraufhin in einer öffentlichen Ansprache seiner Freude über diese Klarstellungen des Kardinals Haeffelin Ausdruck, erklärte die Verhandlungen für beendet und präkonisierte mehrere vom König zur Ernennung vorgeschlagene bayerische Bischöfe. 40 In Bayern löste die Erklärung Haeffelins nach ihrem Bekanntwerden einen Sturm der Entrüstung aus. Der bayerischen Regierung blieb daraufhin nichts anderes übrig, als durch eine Gegenerklärung vom 7. November 1818 dem Papst gegenüber die Stellungnahme Haeffelins zu widerrufen, weil dieser den Geist der königlichen Verordnungen falsch aufgefaßt und infolgedessen dem Religionsedikt eine Auslegung gegeben habe, die die katholischen Untertanen zu Zweifeln an der Verbindlichkeit eines Gesetzes verleiten könnte, das die Rechte und Pflichten jeder Religionsgemeinschaft vorzeichnet, ohne jedoch dem Konkordat, "dem Palladium der Katholiken und der neuen in Bayern geschaffenen kirchlichen Ordnung,", Abbruch zu tun. 41

bulle ist ferner abgedruckt bei Carolus Eduardus Weiss, Corpus Iuris Ecclesiastici Catholicorurn hodierni, quod per Germaniam obtinet academicum, Gissae 1833, S. 126-163. 40 Wortlaut der Erklärung Haeffelins bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 182; vgl. zum Ganzen Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 235 und 242. Erst nach dieser Erklärung Haeffelins erhielt der zum Nuntius für Bayern ernannte päpstliche Diplomat Francesco di Serra-Cassano vom Papst den Auftrag, unverzüglich nach München abzureisen. Am 31. Oktober 1818 traf Serra-Cassano in München ein und überreichte am 10. November dem König sein Beglaubigungsschreiben. Vgl. hierzu und über die Ziele, die die Kurie mit der Wiedererrichtung der 1799 aufgelösten Münchener Nuntiatur verfolgte, Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 246ff. Vgl. hierzu ferner Rupert Hacker, Die Beziehungen zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl in der Regierungszeit Ludwigs I. (1825-1848), Tübingen 1967, S. 22 ff. 41 Wortlaut der Depesche des Staatsministers Graf Rechberg an Consalvi bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 186; dazu Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1) S. 256.

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Die Römische Kurie war jedoch nicht bereit, dieses widersprüchliche und zweideutige Taktieren der bayerischen Regierung und auch des bayerischen Königs hinzunehmen. In einem an den König gerichteten Schreiben vom 13. Januar 1819 protestierte der Papst gegen die Veröffentlichung des Religionsedikts. In einer vom Päpstlichen Staatssekretariat ausgearbeiteten gutachtlichen kanonistischen Stellungnahme, ebenfalls vom 13. Januar 1819, die eine wissenschaftliche kirchenrechtliche Auseinandersetzung mit dem Religionsedikt darstellt, werden die Widersprüche des Religionsedikts zu den Generalklauseln sowie zu einzelnen Bestimmungen des Konkordats in aller Ausführlichkeit beim Namen genannt. Der Papst selbst wies den bayerischen König darauf hin, daß der von der Regierung verlangte Verfassungseid keineswegs unbedingt geleistet werden dürfe und jeder bedingungslos abgelegte Eid zurückgenommen werden müsse. 42 In der Praxis führte dies dazu, daß einige der neuernannten bayerischen Bischöfe, Domherren und Pfarrer den Eid auf die bayerische Verfassung, den sogenannten Konstitutionseid, unbedingt, andere vorbehaltlich der päpstlichen Bestätigung oder unbeschadet der kirchlichen Rechte leisteten, während andere ihre frühere unbedingte Eidesleistung widerriefen. 43 In dieser verfahrenen Situation zeigte sich, daß die bayerische Staatskirchenhoheit keineswegs allmächtig war. Sie stieß auf den Widerstand namhafter, sich auf ihr Gewissen berufender bayerischer Katholiken. Wollte der bayerische Staat nicht einen völligen Bruch mit Rom herbeiführen, mußte er einlenken. Es war wiederum der stets zur Zusammenarbeit bereite Consalvi, der es mit seinem meisterhaften diplomatischen Geschick verstand, der bayerischen Regierung versöhnlich entgegenzukommen. In einem vertraulichen Schreiben vom 8. März 1820 an den bayerischen Staatsminister des Königlichen Hauses und des Äußern, Graf Rechberg, nahm er die Verhandlungen über eine definitive Beilegung des Konflikts wieder auf. 44 Er schlug darin vor,

42 Vgl. das Schreiben Papst Pius' VII. an König MaxI. Joseph vom 13. Januar 1819 bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 188; dazu ferner die Note Consalvis an den Außenminister Graf Rechberg vom 13. Januar 1819, abgedruckt bei Huber/ Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 190ff.; italienischer Wortlaut der Note bei von Sicherer, Staat und Kirche in Bayern (Anm. 24), Anhang (Nr. 27), S. 89-91; dazu Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 261. 43 Vgl. hierzu die Erklärung der dem Geistlichen Stande angehörenden Abgeordneten der bayerischenZweiten Kammer vom 31. Januar 1819 bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 194; dazu Schwaiger, Die kirchlich-religiöse Entwicklung in Bayern (Anm. 23), S. 138. 44 Wortlaut des vertraulichen Schreibens Consalvis an Rechberg vom 8. März 1820 mit dem anschließenden Notenwechsel bei von Sicherer, Staat und Kirche in Bayern (Anm. 24), Anhang (Nr. 39), S. 107-114.

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die Auseinandersetzungen dadurch aus der Welt zu schaffen, daß der König erkläre, daß sich der Verfassungseid nur auf die bürgerliche Ordnung beziehe und bei einem Widerspruch zwischen dem Religionsedikt und dem Konkordat dieses den Vorrang habe. Mit geringen Modifikationen akzeptierte die bayerische Regierung den Vorschlag Consalvis. In seiner berühmten "Tegernseer Erklärung" vom 15. September 1821 versicherte König Maximilian I. Joseph, daß es nicht seine Absicht gewesen sei, dem Gewissen seiner Untertanen "im Geringsten einen Zwang anzuthun; daß daher nach den Bestimmungen der Constitution selbst der von Unseren katholischen Unterthanen auf dieselbe abzulegende Eid lediglich auf die bürgerlichen Verhältnisse sich beziehe, und daß sie dadurch zu nichts werden verbindlich gemacht werden, was den göttlichen Gesetzen oder den katholischen Kirchensatzungen entgegen wäre. Auch erklären Wir neuerdings, daß das Conkordat, welches als Staatsgesetz gilt, als solches angesehen und vollzogen werden soll, und daß allen Behörden obliege, sich genau nach seinen Bestimmungen zu achten". 45 Durch die Tegernseer Erklärung des Königs wurden die jahrelangen Auseinandersetzungen um das Bayerische Konkordat im Sinne eines kirchenpolitischen Formelkompromisses beendet. Sie ermöglichte für beide Konkordatspartner in der Staatspraxis auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen Staat und Kirche eine einträchtige Kooperation, ohne daß dadurch freilich der innere Widerspruch zwischen der Bayerischen Verfassung und dem Religionsedikt auf der einen und dem Wortlaut des Konkordats auf der anderen Seite aus der Welt geschafft worden wäre. Hierzu hätte es einer Änderung der Verfassung bedurft. Diese wäre aber nur mit Zustimmung der Stände möglich gewesen. Der Monarch war zur Änderung der Verfassung durch eine bloße allerhöchste Entschließung nicht imstande. Bei der Tegernseer Erklärung handelt es sich daher, rechtlich betrachtet, um einen bloßen "Scheinkompromiß", der den Vollzug des Konkordats ermöglichte. Die Römische Kurie gab sich dabei freilich der trügerischen Hoffnung hin, die bayerische Regierung werde ungeachtet des Religionsedikts die Bestimmungen des Konkordats in loyaler Weise interpretieren und praktizieren. Diese Hoffnung war deshalb wirklichkeitsfern, weil in Bayern ebenso wie im übrigen Deutschland während des gesamten 19. Jahrhunderts das Staatskirchenturn in Geltung blieb, wenn auch - nach der jeweiligen politischen und kirchlichen Gesamtkonstellation - in mehr oder minder stark ausgeprägter und intensiver Weise. 46 Künftige 45 Wortlaut der Tegernseer Erklärung bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 196. Zur Vorgeschichte der Tegernseer Erklärung vgl. bei Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 273 ff.

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Konflikte zwischen Staat und Kirche waren durch die Tegernseer Erklärung keineswegs ausgeschlossen, sondern in Anbetracht der widersprüchlichen Rechtslage geradezu vorprogrammiert. Immerhin wurden durch die Tegernseer Erklärung die Voraussetzungen für den Beginn des Vollzugs des Konkordats geschaffen. Bereits am 23. September 1821 wurde die aufgrunddes Konkordats vom 5. Juni 1817 für das Königreich Bayern erlassene Organisations- und Zirkumskriptionsbulle Dei ac Domini Nostri Jesu Christi vom Münchener Nuntius Serra-Cassano in der Münchener Frauenkirche feierlich verkündet und damit in Kraft gesetzt. Am gleichen Tag wurde die Zirkumskriptionsbulle auch in allen bayerischen Domkirchen feierlich promulgiert. 47 Durch sie wurden die mit der Staatsgrenze übereinstimmenden und im Grunde bis heute gültigen Diözesangrenzen für die acht bayerischen Bistümer festgelegt. Eine Ausnahme bildete lediglich das Bistum Würzburg, das mit seinem Dekanat Meiningen über die bayerische Staatsgrenze hinaus, wie dies übrigens auch in der Gegenwart noch der Fall ist, nach Thüringen hineinragte. Nach der Promulgation der Zirkumskriptionsbulle konnte endlich auch zur Besetzung der sechs vakanten bayerischen Bischofsstühle geschritten werden. Aus der früheren Zeit waren nur noch die inzwischen hochbetagten Bischöfe von Eichstätt und Passau am Leben. Nach dem Bayerischen Konkordat hatte die Ernennung der Bischöfe in einem komplizierten Verfahren zu geschehen. Auf die königliche Benennung des in Aussicht genommenen Kandidaten folgte die päpstliche Bestätigung ("Präkonisation"). Daran schlossen sich die königliche Ernennung ("Nomination"), die päpstliche Einsetzung ("Institution"), die Bischofsweihe ("Ordination") und schließlich als letzter Akt die Besitzergreifung ("Inthronisation") an. Erst mit dem Vollzug der Inthronisation war der Bischof zu Amtshandlungen in seiner Diözese befugt. Bereits nach dem Abschluß der Konkordatsverhandlungen hatte Pius VII. im September 1818 die vom König benannten Anwärter auf die

sechs vakanten bayerischen Bischofsstühle präkonisiert. 1821 waren die für die Diözesen Augsburg und Speyer vorgesehenen Kandidaten bereits gestorben. Erst nach Beilegung der wegen des Verfassungseides des bayerischen Klerus entstandenen Verwicklungen erfolgte die Ernennung, Einsetzung, Ordination und Inthronisation der vorgesehenen Bischofskandidaten und damit die Wiederbesetzung aller acht bayeri46 So·zutreffend Hausberger, Staat und Kirche (Anm. 1), S. 290 f., unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Geiger, Das bayerische Konkordat (Anm. 15), s. 153 ff. 47 Schwaiger, Die kirchlich-religiöse Entwicklung in Bayern (Anm. 23), S. 138 f.; "Kirche in Bayern" (Anm. 20), S. 190.

36 Sbd. List!

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sehen Bistümer. 48 Die Gründe für die lange Verzögerung der Besetzung der Bischofsstühle lagen in der Unsicherheit über den Vollzug des Konkordats durch die bayerische Staatsregierung und vor allem auch in der von der Regierung lange Zeit verschleppten Frage der staatlichen Dotation der Bischofsstühle und Domkapitel. Im Konkordat waren für die Bischofssitze und Domkapitel feste Renten auf Grundbesitz, der der Kirche vom Staat zur Verfügung gestellt werden sollte, zugesichert worden. Die Tatsache, daß der Staat anstelle der im Konkordat zugesicherten Dotation der Bischofsstühle und Domkapitel durch liegende Güter oder Fonds seinen Verpflichtungen nur durch jährliche Geldleistungen nachkam, bewies die mangelnde Bereitschaft des Staates zur Erfüllung der von ihm in einem feierlichen Vertrag übernommenen Verpflichtungen. Das Königreich Preußen und die übrigen deutschen Bundesstaaten folgten hierbei später dem bayerischen Vorbild. Hieraus erklären sich die bis zum heutigen Tag bestehenden Staatsleistungen für die Bischöfe und die Stellen der Domkapitulare und Domvikare.

m. Konkordat und Religionsedikt im bayerischen Staatskirchenrecht während des 19. Jahrhunderts und bis zum Ende der Monarchie

Die Widersprüchlichkeit und der rechtliche Zwiespalt zwischen dem Bayerischen Konkordat und dem Religionsedikt wirkten sich in durchaus bestimmender Weise auf die gesamte bayerische Kirchenpolitik und das Staat-Kirche-Verhältnis von der Tegernseer Erklärung bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 aus. Je nach der politischen Gesamtkonstellation und dem persönlichen politisch-kirchlichen Standort der einzelnen Kabinette hielt sich der bayerische Staat mehr an die kirchlichen Freiheitsgarantien des Konkordats oder kehrte die schroffe Staatskirchenhoheit mit ihrem Instrumentarium der staatlichen Kontrollmechanismen über das innerkirchliche Leben heraus. Mit dem Regierungsantritt König Ludwigs I. (1825-1848) war eine Wendung des bayerischen Staates vom aufgeklärt-liberalen zum bewußt katholischen Regiment verbunden. Ein Mischehenstreit, der sich im Jahre 1831 zwischen Staat und Kirche abzeichnete, wurde durch Nachgeben der Kurie beigelegt. 49 48 Umfassende Darstellung der Wiederbesetzung der bayerischen Bischofsstühle bei Beda Bastgen, Bayern und der Heilige Stuhl, München 1940, S. 363 ff.; kurzer Überblick bei Schwaiger, Die kirchlich-religiöse Entwicklung in Bayern (Anm. 23), S. 138 ff.; ders., Die altbayerischen Bistümer Freising, Passau und Regensburg zwischen Säkularisation und Konkordat (1803-1817), München 1959.

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Unter Ludwig I. wurde das traditionelle Staatskirchentum, insbesondere gilt dies für die staatlichen Mitwirkungs- und Überwachungsrechte mitsamt dem Religionsedikt, nicht aufgegeben; in der Praxis wurde es aber mehr und mehr gelockert. Das königliche Plazet wurde eingeschränkt und im Laufe der Zeit immer weniger streng beachtet. Der Verkehr der Bischöfe mit Rom wurde freigegeben. Der König förderte die Erneuerung und Wiederbegründung zahlreicher Klöster; für die Ausbildung des Klerus wurden staatliche Philosophisch-Theologische Studienanstalten, ursprünglich als Lyzeen bezeichnet, im 20. Jahrhundert in Philosophisch-Theologische Hochschulen umbenannt, errichtet. 50 Auch die Revolution des Jahres 1848 hattetrotz der Abdankung König Ludwigs I. und des nachfolgenden liberalen Ministeriums unter König Maximilian II. Joseph (1848-1864) keine entscheidende Änderung gebracht. Die vom 1. bis 20. Oktober 1850 in Freising versammelten (Erz-)Bischöfe Bayerns richteten an den König eine umfangreiche Denkschrift, in der sie nach dem Vorbild der während der letzten Jahre den Bischöfen in Preußen vom Staate gewährten Kirchenfreiheit die Beseitigung der Eingriffe des Staates in das Leben der Kirche und die Gewähr größerer Kirchenfreiheit verlangten. 51 Die Denkschrift, die von Ignaz Döllinger und dem Münchener Generalvikar Friedrich Windischmann konzipiert worden war, forderte vom Staat die korrekte Er49 Wortlaut der einschlägigen Dokumente bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 456 ff.; zum Mischehenstreit vgl. die ausführliche Darstellung bei Hacker, Die Beziehungen zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl (Anm. 40), S. 74 ff., bes. S. 101 ff. 50 Über die bayerische Kirchenpolitik während der Regierungszeit Ludwigs I. vgl. die bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. I (Anm. 1), S. 457 ff., 472 ff. abgedruckten Dokumente; ferner die Darstellung der staatskirchenrechtlichen Grundauffassungen Ludwigs I. bei Hacker, ebd., S. 43 ff., 104 ff., 131 ff. sowie den Dokumentenanhang S. 153 ff.; vgl. ferner die illustrative Darstellung der kirchenpolitischen Grundanschauungen Ludwigs I. bei Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 1986, S. 236 ff., bes. 513 ff., 561 ff., 583 ff. 51 Diese bedeutsame Denkschrift ist in ihrem vollen Wortlaut abgedruckt in der anonym erschienenen Publikation "Systematische Zusammenstellung der Verhandlungen des bayerischen Episkopates mit der Königlich Bayerischen Staatsregierung von 1850 bis 1889 über den Vollzug des Konkordates", Freiburg i.Br. 1905. Der Verfasser dieser reich dokumentierten Schrift ist der Eichstätter Bischof Franz Leopold Freiherr von Leonrod (1867-1905). In der Kulturkampfzeit war Leonrod ein entschiedener Vorkämpfer gegen die bayerische Staatskirchenhoheit und die kirchenpolitischen Maßnahmen des Kultusministers Lutz. Zur Persönlichkeit Leonrods vgl. die biographischen Angaben von Andreas Bauch, Leonrod, Franz Leopold Freiherr von (1827-1905), in: Erwin Gatz, Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 178511803 bis 1945. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1983, S. 445 ff.

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füllung des Konkordats und die Aufhebung des Religionsedikts und aller Gesetze und Verordnungen, soweit sie mit den kirchlichen Freiheitsrechten unvereinbar waren. 52 Wegen der liberalen Mehrheit im bayerischen Landtag konnte die Regierung dem Antrag der bayerischen (Erz-)Bischöfe auf Aufhebung oder Änderung des Religionsedikts nicht entsprechen. In einer Entschließung des Königlich Bayerischen Staatsministeriums vom 8. April 1852, der eine umfangreiche Instruktion des Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten beigefügt war, zeigte sich die Regierung jedoch bestrebt, das Religionsedikt, soweit dies überhaupt möglich war, nach den freiheitlichen Bestimmungen des Konkordats zu interpretieren. In der genannten Instruktion des Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten, die ebenfalls vom 8. April 1852 datiert ist, erging an die Kreisregierungen folgende Anordnung: "1. Bei Auslegung und Anwendung mehrdeutiger und zweifelhafter Stellen der II. Verfassungsbeilage ist jene Interpretation anzunehmen, welche mit den Bestimmungen des Konkordates übereinstimmend ist oder sich denselben annähert". 53 An dem "Oberhoheitlichen Schutz- und Aufsichtsrecht des Königs", wie es in § 50 des Religionsedikts festgeschrieben war, hält die Instruktion jedoch im Grundsatz fest; dieses Aufsichtsrecht sollte jedoch niemals so ausgeübt werden, "daß die Bischöfe in der ihnen vermöge ihres Amtes zustehenden Verwaltung rein kirchlicher Angelegenheiten behindert werden, insofern hierbei nicht bestehende verfassungsmäßige Bestimmungen zu beobachten kommen. Ebenso soll die in § 57 (des Religionsedikts) reservierte hoheitliche Oberaufsicht nicht so gehandhabt werden, daß die freie Beratung kirchlicher Gerichts- oder Synodalversammlungen gestört würden". 54 In zwei weiteren Schreiben vom 28. April 1852 55 und vom 15. Mai 1853 56 drangen die bayerischen Bischöfe im Einvernehmen mit der Römischen Kurie auf eine weitere Zurücknahme der Kontrollrechte des 52 Die einzelnen Abschnitte dieser umfangreichen Denkschrift sind abgedruckt in: Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 27, 61, 73, 84, 111, 119. Auszugsweise auch bei Huber/ Huber, Staat und Kirche (Anm. 1), Bd. li: Staat und Kirche im Zeitalter der Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfes 1848-1890, Berlin 1976, S. 118 ff. 53 Abgedruckt in: Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 36. 54 Vgl. Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 42. Die Entschließung des Kgl. Bayerischen Staatsministeriums vom 8. April1852 ist abgedruckt bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. li (Anm. 52), S. 140 ff. 55 Huber/ Huber, ebd., S. 144ff. 56 Wortlaut in: Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 13, 36, 81, 93; auch bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. li (Anm. 52), S. 146 ff.

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Staates über das innere Leben der Kirche. In ihrem Schreiben vom 28. April1852führen die bayerischen (Erz-)Bischöfe aus: "Die allerunterthänigst Unterzeichneten können Ew. Kgl. Majestät ihr inniges Verlangen nicht bergen, daß nach mehr als dreißigjährigen Verhandlungen und Differenzen das Verhältniß zwischen dem auf den unwandelbaren Principien der Kirche und feierlichem Vertrage derselben mit dem Staate ruhenden Concordat und der Verfassung auf eine beruhigendere Weise geordnet werde, als der höchste Ministerial-Erlaß vom 8. laufenden Monats es vorzeichnet, und sie bitten Ew. Kgl. Majestät, es nur als die Erfüllung einer dringenden Gewissenspflicht ansehen zu wollen, wenn die allerunterthänigst Unterzeichneten hiemit im Allgemeinen bezüglich genannten Erlasses und der an die Kreisregierungen ergangenen Instruktion, sofern dieselben die Rechte der katholischen Kirche noch nicht genügend anerkennen, die Verwahrung dieser Rechte vor Ew. Kgl. Majestät ehrfurchtsvollst aussprechen, indem sie sich vorbehalten, über die einzelnen Punkte jener Instruktion nach gepflogener reiflicher Erwägung Ew. Kgl. Majestät weitere gehorsamste Gutachten und Anträge seiner Zeit zu unterbreiten" .57 Die von den bayerischen Bischöfen und der Römischen Kurie verfolgte Klärung der Frage der gegenseitigen rechtlichen Zuordnung und Abgrenzung von Konkordat und Religionsedikt erfolgte erst durch die Antwort des neuernannten bayerischen Kultusministers Theodor von Zwehl vom 9. Oktober 1854 zur Zufriedenheit des bayerischen Episkopats. 58 Darin wird bezüglich der Stellung und Anerkennung des Konkordats als "Staatsgrundgesetz" festgestellt, daß beide Gesetze, sowohl das II. Edikt, d. h. das Religionsedikt, als auch das Konkordat "nur als Bestandtheile der Verfassungsurkunde selbst betrachtet werden" können. Da die Erteilung einer authentischen Erläuterung über das Verhältnis der Verfassungsgesetze zueinander und somit auch des Konkordats zu dem Religionsedikt und der hierbei in Frage kommenden einzelnen Bestimmungen ohne Mitwirkung des Landtags nicht zulässig erscheine, müsse zur Lösung scheinbarer oder wirklich bestehender Widersprüche "zunächst auf den Weg der doktrineilen Interpretation in den vorkommenden einzelnen Fällen verwiesen und im Übrigen auf jene Erklärungen Bezug genommen werden", die in den früheren Ministerialentschließungen niedergelegt worden sind. Im übrigen gewährt die Ministerialentschließung vom 9. Oktober 1854 der Kirche umfangreichere Einflußrechte bei der Erziehung des Klerus 57 Wortlaut der Denkschrift in: Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 12; auch bei Huber I Huber, Bd. II (Anm. 52), S. 146. 58 Im vollen Wortlaut abgedruckt in: Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 15 m.w.N.; auszugsweise auch bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. II (Anm. 52), s. 149 ff.

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und hinsichtlich der Stellung und Einwirkung der Bischöfe auf die höheren Bildungs-Anstalten und auf die Theologischen Fakultäten an den Universitäten. Die Periode des Friedens und des guten Einvernehmens zwischen Staat und Kirche nahm ein Ende, als König Ludwig II. (1864-1886) nach dem Krieg von 1866 ein ausgesprochen liberales Kabinett unter Leitung des Ministerpräsidenten Chlodwig Fürst zu HohenZohe-Schillingsfürst bildete. An die Spitze des Kirchen- und Schulwesens wurde mit dem Kultusminister Franz von Gresser ein Vertreter des militanten Liberalismus gestellt. Gresser brachte einen Schulgesetzentwurf im Landtag ein, der auf eine "Entkonfessionalisierung und Entklerikalisierung des Schulwesens" abzielte. Der Gesetzentwurf scheiterte jedoch daran, daß im November 1869 die katholische Patriotenpartei die absolute Mehrheit im Landtag errang. 59 Der Kulturkampf war in Bayern nicht von den harten Kampfmaßnahmen gekennzeichnet wie in Preußen. Wegen der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse war die liberale Regierung nicht in der Lage, im Bayerischen Landtag Kulturkampfgesetze durchzubringen. Der bayerische Kultusminister Johann Freiherr von Lutz 60 führte jedoch mit der Kirche einen "schleichenden Kulturkampf". Die kirchenfreundlichen Ministerialerlasse der Jahre 1852 und 1854 wurden ausdrücklich aufgehoben und die Aufsichts- und Kontrollmechanismen des Religionsedikts über die katholische Kirche kamen wieder mit voller Härte zur Durchführung. Den äußeren Anlaß für den Beginn des Kulturkampfes in Bayern bildete die Verkündung der Beschlüsse des I. Vatikanischen Konzils durch die Bischöfe ohne staatliche Erlaubnis, obwohl die bayerische Regierung die Bischöfe vorher ausdrücklich auf die Erfordernisse des staatlichen Plazets hingewiesen hatte. Lediglich der Erzbischof von Bamberg kam um das staatliche Plazet ein, das ihm von der Regierung prompt verweigert wurde. 61 59 Abdruck des Entwurfs eines Volksschulgesetzes ("Gresserscher Entwurf") vom Jahre 1867 und der Denkschrift des bayerischen Episkopats gegen den Gresserschen Schulgesetzentwurf auszugsweise in: Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. II (Anm. 52), S. 153 ff. 60 Lutz war vom 20. Dezember 1869 bis 1. Juni 1890 bayerischer Kultusminister und vom 4. März 1880 bis 1. Juni 1890 zugleich bayerischer Ministerpräsident. Über Lutz, sein unbestreitbar großes politisches Format und seinen Einfluß auf die Gesetzgebung in Bayern und die gesamtdeutsche Politik vgl. Walter Grasser, Lutz, Johann Frhr. v., in: NDB, Bd. 15 (1987), S. 568 ff. 61 Vgl. hierzu im einzelnen die bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. II (Anm. 529, S. 693 ff. abgedruckten Dokumente. Für dieses servile und im übrigen auch gegenüber den anderen bayerischen Bischöfen äußerst unkollegiale Verhalten erhielt Erzbischof Deinlein eine scharfe Mißbilligung Papst Pius' IX. Vgl. hierzu im einzelnen die aus den Akten erarbeitete informative Darstellung

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Der bayerische Kultusminister Lutz übte auf Reichsebene insofern großen Einfluß auf die Kulturkampfgesetzgebung aus, als er im ausdrücklichen Einvernehmen mit Bismarck im November 1871 im Bundesrat persönlich einen Antrag auf Ergänzung des Strafgesetzbuches durch den sogenannten "Kanzelparagraphen" stellte. Durch Reichsgesetz vom 10. Dezember 1871 wurde in das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich ein neuer § 130 a eingefügt. Danach wurde ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge oder in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Ort vor mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstände einer Verkündigung oder Erörterung machte, mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft. Durch Reichsgesetz vom 26. Februar 1876 wurde die Strafandrohung auch auf die Verbreitung von Schriftstücken ausgedehnt, in denen Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstände einer Verkündigung oder Erörterung gemacht wurden. 62 Dieser "Kanzelparagraph", der auch noch während der Zeit des Nationalsozialismus in vielen Fällen gegen Geistliche angewendet wurde, wurde erst durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBL I, S. 735) aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Maßgeblich beteiligt war Lutz auch am Zustandekommen des "Jesuitengesetzes" vom 4. Juli 1872, das den Mitgliedern des Jesuitenund Redemptoristenordens sowie von drei weiteren religiösen Kongregationen jede Wirksamkeit innerhalb des Reichsgebietes verbot. 63 Da es Lutz wegen der Mehrheitsverhältnisse in der bayerischen Zweiten Kammer nicht möglich war, nach preußischem Vorbild bayerische Kulturkampfgesetze durchzubringen, sah er sich gezwungen, den Kulturkampf in Bayern auf der Ebene der Exekutive zu führen. Mit Datum vom 6. September 1872 und 10. Juni 1873 ergingen zwei scharfe Erlasse des Innenministers von Pfeufer und des Kultusministers Lutz von Walter Brandmüller, Die Publikation des 1. Vatikanischen Konzils in Bayern. Aus den Anfängen des bayerischen Kulturkampfes, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, 31. Jhg. (1968), S. 246 ff., 617 ff., 628 f., 631 f. 62 Wortlaut des Kanzelparagraphen bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. II (Anm. 52), S. 528. 63 Wortlaut des Jesuitengesetzes mit weiteren einschlägigen Dokumenten bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. II (Anm. 52), S. 54 7 ff. Über den von Lutz geführten "schleichenden Kulturkampf" vgl. im einzelnen bei Karl Hauaberger und Benno Hubensteiner, Bayerische Kirchengeschichte, München 1985, s. 332ff.

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zum Vollzug des Jesuitengesetzes. 64 Am 29. August 1873 erließ Lutz für Theologiestudenten ein Verbot des Besuchs des Collegium Germanicum in Rom, und zwar so lange, "als die Leitung des genannten Kollegiums den Jesuiten oder einem diesen verwandten Orden unterstellt ist". 65 Bei der Abgrenzung der Schulbezirke sollten nicht mehr die Grenzen der Pfarreien, sondern diejenigen der politischen Gemeinden den Ausschlag geben. Dabei sollte die Möglichkeit geschaffen werden, bisher allein bestehende Konfessionsschulen zu Simultanschulen zusammenzulegen oder neue Gemeinschaftsschulen zu errichten. 66 Den Höhepunkt der kirchenfeindlichen Maßnahmen im "schleichenden Kulturkampf" in Bayern bildete der mit Genehmigung des Königs Ludwigs II. ergangene Erlaß des Kultusministers Lutzvom 20. November 1873, durch den der Vollzug des Konkordats in einem durchaus kirchenfeindlichen Sinne neu geregelt wurde. Diese Anordnung beseitigte den Zusätzlichen Königlichen Erlaß zum Religionsedikt vom 8. April1852, durch den eine Harmonisierung des Religionsedikts mit dem Konkordat auf dem Wege der Interpretation herbeigeführt worden war. 67 Damit brachte die Regierung wieder mit aller Schärfe den Vorrang des Religionsedikts vor dem Konkordat zum Ausdruck. Durch diesen Erlaß wurden insbesondere die staatlichen Mitwirkungsrechte bei der Besetzung der Pfarreien und bei der Prüfung von Priesteramtskandidaten wieder verstärkt. Weitere Kulturkampferlasse sind in Bayern nicht mehr ergangen. Die Verwaltungsbehörden beschränkten sich darauf, die anachronistischen Kontroll- und Eingriffsmechanismen, die das Religionsedikt von 1818 zur Verfügung stellte, wieder in verschärfter Form zur Anwendung zu bringen. Die Beilegung des Kulturkampfs in Bayern erfolgte erst nach dem Tode König Ludwigs II. in der Ära des Prinzregenten Luitpold, der nach dem Tode Ludwigs II. vom 10. Juni 1886 bis zu seinem Tode am 12. Dezember 1912 die Regierungsgeschäfte in Bayern führte. Ermutigt durch ein Schreiben Papst Leos XIII. vom 22. Dezember 1887 68 richte64

Wortlaut der Erlasse bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. II (Anm. 52),

s. 713 ff.

Wortlaut des Erlasses, ebd., S. 716. Dokumente zur Schulfrage im bayerischen Kulturkampf, ebd., S. 719 ff. 67 Vgl. den Wortlaut des Erlasses des Kultusministers Lutz vom 20. November 1873, ebd., S. 728 f. Die Eingriffsrechte des bayerischen Staates in den kirchlichen Bereich mit Einschluß der Genehmigung der kirchlichen Gesetze und Verfügungen (Placet) und der Möglichkeit staatlicher Anfechtung kirchlicher Verfügungen (Recursus ab abusu) sind dargestellt in der Abhandlung von E. Mayer, Die Kirchen-Hoheitsrechte des Königs von Bayern. Von der Juristischen Fakultät der Universität München gekrönte Preisschrift, München 1884, S. 121 ff., bes. 149 ff., 163 ff., 177 ff., 201 ff., 233 ff. 65 66

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ten die bayerischen Bischöfe am 14. Juni 1888 ein Memorandum an den Prinzregenten Luitpold über die Lage der katholischen Kirche in Bayern, in dem sie ihre Beschwerden über das einseitige Vorgehen und die kirchenfeindlichen Maßnahmen des bayerischen Staates, insbesondere des Kultusministers Lutz, zum Ausdruck brachten. 5 9 Lutz beharrte in seinem Antwortschreiben vom 28. März 1889 auf seinem Standpunkt und ließ keinerlei Bereitschaft zum Einlenken erkennen. 70 Nachdem in Preußen längst die größten Härten der Kulturkampfgesetzgebung beseitigt worden waren, richtete Papst Leo XIII. am 29. April 1889 ein Breve an Erzbischof von Steichele von München und Freising, in dem er sein Bedauern über den Standpunkt der bayerischen Regierung zur Frage des Verhältnisses von Konkordat und Religionsedikt und auch hinsichtlich der Handhabung des Plazets und über ihre kirchenfeindliche Gesinnung und ihre kirchenfeindlichen Maßnahmen zum Ausdruck brachte. Nach dem Tode des Ministerpräsidenten und Kultusministers Lutz

(+ 3. September 1890) trat in der bayerischen Kirchenpolitik unter dem

neuen Ministerpräsidenten Freiherr von Crailsheim ein spürbarer Kurswechsel ein, der zum allmählichen Abbau des Kulturkampfes in Bayern führte. 71 1912 erhielt Bayern in der Person des Münchener Philosophieprofessors und Zentrumsvorsitzenden im Reichstag Georg Frhr. von Hertling seit 1847 erstmals wieder ein Ministerium mit stark katholischer und kirchennaher Ausrichtung. 72

68 Abgedruckt bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. li (Anm. 52), S. 892 ff. Über das bayerische Staatskirchenrecht und die bayerische Kirchenpolitik während des Zeitraums vom Tode Ludwigs 11. bis zum Ende der Monarchie vgl. die detaillierte, gründliche und ganz vorzügliche Darstellung von Hans-Michael Körner, Staat und Kirche in Bayern 1886-1918. Mainz 1977. 69 Wortlaut in: Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 17, 44, 47, 68, 72, 78, 94, 99, 108; abgedruckt auch in: ArchKathKR, Bd. 62 (1889), S. 125-141; auszugsweise auch bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. li, S. 895 ff. 70 Wortlaut in: Systematische Zusammenstellung (Anm. 51), S. 21, 45, 48, 51, 72, 79, 83, 96, 102, 109; abgedruckt auch in: ArchKathKR, Bd. 62 (1889), S. 141152; auszugsweise auch bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. li (Anm. 52), s. 900ff. 71 Vgl. hierzu die Angaben bei Huber/ Huber, Staat und Kirche, Bd. li (Anm. 52), s. 915 f. 72 Vgl. hierzu die zusammenfassenden Ausführungen bei Hausberger I Hubensteiner, Bayerische Kirchengeschichte (Anm. 63), S. 334 ff.

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Konkordate und Kirchenverträge

IV. Das Konkordat vom 29. März 1924 zwischen Papst Pius XI. und dem Staate Bayern - Entstehungsgeschichte

a) Die Frage der Fortgeltung des Bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817 Als erster europäischer Staat hat das Königreich Bayern in der nachnapoleonischen Zeit- und während des gesamten 19. Jahrhunderts als einziger Staat des Deutschen Reiches überhaupt- mit dem Heiligen Stuhl ein Konkordat geschlossen. 73 Auch nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchien war es wiederum Bayern, das als erster Staat die Beziehungen zwischen Staat und Kirche mit dem Heiligen Stuhl durch ein Konkordat in umfassender Weise geregelt hat. 74 Dem Bayerischen Konkordat vom 29. März 1924 kam für die gesamte spätere Konkordatspolitik unter den Pontifikaten der Päpste Pius XI. (19221939) und Pius XII. (1939-1958) und auch für das deutsche Staatskirchenvertragsrecht des 20. Jahrhunderts ein ausgesprochener Modellcharakter zu. 75 Nach den Erschütterungen und Staatsumwälzungen, die in Mittelund Südosteuropa im Gefolge des Ersten Weltkriegs eingetreten waren, hatten, wie Papst Benedikt XV. in seiner berühmten Konsistorialansprache vom 21. November 1921 erklärt hatte, zahlreiche ältere Konkordate wegen der grundlegenden staatlichen Veränderungen der letzten Zeit ihre Kraft und Anwendbarkeit verloren. 76 Diese Feststel73 Vgl. hierzu in dieser Abhandlung, oben, I. Das Konkordat vom 5. Juni 1817 zwischen Papst Pius VII. und König Maximilian I. Joseph - Vorgeschichte. 74 Deutscher und italienischer Wortlaut des Konkordats zwischen Sr. Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern in der "Urfassung" vom 29. März 1924 bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 2), Bd. I, S. 289 ff.; deutscher und italienischer Wortlaut des Konkordats in "bereinigter" Fassung nach dem Stande vom 1. Juli 1987, ebd., S. 474ff.; deutscher Wortlaut der "Urfassung" unter anderem auch abgedruckt bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. IV: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 1988, s. 299ff. 75 Zeitlich vor dem Bayerischen Konkordat war nach dem Inkrafttreten des Codex Iuris Canonici vom 27. Mai 1917 bereits am 30. Mai 1922 das Konkordat mit dem überwiegend nichtkatholischen Lettland geschlossen worden, zunächst versuchsweise für drei Jahre, jedoch mit stillschweigender Verlängerung von Jahr zu Jahr bei sechsmonatiger Kündigungsfrist. Wortlaut in: AAS 14 (1922), S. 577 ff.; ferner bei Lotkar Schöppe, Konkordate seit 1800, 1964, S. 284 ff.; zum Lettischen Konkordat vgl. auch die Ausführungen bei Georg May, Die Konkordatspolitik des Heiligen Stuhls von 1918 bis 1974, in: Hubert Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. VII, Freiburg i.Br. 1979, s. 187. 76 Wortlaut dieser Ansprache in: AAS 13 (1921), S. 521; vgl. hierzu im einzelnen Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 9), § 52 II, S. 732 f.

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lung mußte auch für das Bayerische Konkordat vom 5. Juni 1817 gelten, das zwischen Papst Pius VII. und König Maximilian I. Joseph abgeschlossen war und wegen des Untergangs der Monarchie seinen staatlichen Vertragspartner verloren hatte. Als Interimslösung hatte der bayerische Episkopat bereits im Dezember 1918 vorgeschlagen, die bisher bei der Besetzung von Pfarreien von der Krone ausgeübten Rechte der Präsentation und Genehmigung stillschweigend auf die neue demokratische Staatsregierung übergehen zu lassen. 77 Im Gegensatz zu diesen auch von der bayerischen Regierung geteilten Vorstellungen, die gerne an der Gültigkeit und Anwendbarkeit des Konkordats von 1817festgehalten hätte, vertrat der Münchener Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., die Auffassung, daß die Bestimmungen des Bayerischen Konkordats "nur noch de facto, aber nicht mehr de iure in Geltung" seien. 78 Für Bayern legte sich deshalb der Abschluß eines neuen Konkordats sowohl im Interesse des Staates als auch der Kirche zwingend nahe. b) Der Gang der Konkordatsverhandlungen Sowohl für die Kirche in Bayern als auch für den bayerischen Staat bedeutete es einen ausgesprochenen historischen Glücksfall, daß im Zeitpunkt des Übergangs von der Monarchie zur Republik die Leitung der Apostolischen Nuntiatur in München in den Händen des 1917 zum Apostolischen Nuntius ernannten päpstlichen Diplomaten und Titularerzbischofs von Sardes Eugenio Pacelli lag. Der Nuntius erfreute sich bei seinen Bemühungen um das Zustandekommen des Konkordats der uneingeschränkten und tatkräftigen Unterstützung des Münchener Erzbischofs Kardinal Michael von Faulhaber. Der ebenso umsichtigen wie zähen und unermüdlichen Verhandlungsführung Pacellis ist es an erster Stelle zu danken, daß das Konkordat schließlich am 29. März 1924 im Montgelas-Saal des Bayerischen Außenministeriums unterzeichnet werden konnte. 79 Pacelli war mit allen seinen Kräften be77 Vgl. hierzu das Schreiben von Kardinal Michael von Faulhaber vom 4. Dezember 1918 an das Bayerische Kultusministerium, in: Ludwig Volk, Akten Kardinal Michael von Faulhabers, Bd. 1: 1917-1934, Mainz 1975, S. 48 f.; vgl. hierzu auch Audomar Scheuermann, Das Bayerische Konkordat 1924 bis 1974, in: Convivium utriusque iuris. Festschrift für Alexander Dordett, Wien 1976, s. 399 ff .. 78 Franz-Willing, Die Bayerische Vatikangesandtschaft (Anm. 21), S. 189 f. 79 Zur Entstehungsgeschichte des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 vgl. Georg May, Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, Bd. II, Amsterdam 1982, S. 382-393; Albert Schwarz, Die Zeit von 1918 bis 1933, in: Handbuch der Bayerischen Geschichte,

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strebt, das Konkordat möglichst rasch zum Abschluß zu bringen. Er fand dabei die Unterstützung der Bayerischen Volkspartei. Im Herbst 1919 wandten sich führende Vertreter dieser Partei an den Bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, um ihn für das Projekt eines neuen Konkordats zu gewinnen. Am 27. Dezember 1919 erklärte Pacelli in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten seine Bereitschaft, in Verhandlungen über ein neues Konkordat zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl einzutreten. Am 20. Januar 1920 erteilte Hoffmann das grundsätzliche Einverständnis der bayerischen Regierung zur Einleitung von Konkordatsverhandlungen. Am selben Tag stimmte der Bayerische Landtag mit Mehrheit dem Antrag zu, ein neues Konkordat abzuschließen. Bereits am 28. November 1919 hatte Pacelli einen zehn Punkte umfassenden Vorentwurf für ein Bayerisches Konkordat fertiggestellt und Faulhaber in vertraulicher Form zur Kenntnis gebracht (sogenannte Pacelli-Punktation 1). 80 Zugleich bat er den Erzbischof, er möchte ihm, sofern er bezüglich des Konkordats Änderungsvorschläge oder besondere Wünsche habe, dieselben unverzüglich mitteilen. Am selben Tag wurde dieser Entwurf von Pacelli auch den übrigen bayerischen (Erz-) Bischöfen zugeschickt, ebenfalls mit der Bitte um Anregungen und Ergänzungsvorschläge. Der bayerische Episkopat wurde von Pacelli in vertraulicher Weise über sämtliche Phasen der Konkordatsverhandlungen regelmäßig und umfassend informiert. Mit Datum vom 4. Februar 1920 übermittelte Pacelli dem Bayerischen Ministerpräsidenten einen insgesamt 19 Punkte umfassenden Bd. IV/1 (Anm. 23), S. 491 ff. Zur Unterstützung Pacellis bestellte Kardinal Faulhaber eine Kommission von Experten, die seitens der katholischen Kirche in Bayern beratend mitwirken sollte. Sie bestand aus dem Eichstätter Dompropst Dr. Georg Wohlmuth, dem Passauer Hochschulprofessor Dr. Franz Xaver Eggersdorfer, dem Münchener Generalvikar Dr. Michael Buchberger (später Bischof von Regensburg), dem Regensburger Domdekan Dr. Franz Xaver Kiefl, dem Münchener Universitätsprofessor und bekannten Kanonisten Dr. Eduard Eichmann und dem Freisinger Hochschulprofessor Dr. Anton Scharnagl (später Weihbischof von München). Diese Kommission hat seit ihrer ersten Sitzung am 7. Januar 1920 maßgeblich an den Konkordatsformulierungen mitgewirkt. Hinweis bei Scheuermann, Dasbayerische Konkordat (Anm. 77), S. 400. Die staatlichen und kirchlichen Akten zur Entstehungsgeschichte des Bayerischen Konkordats sind bisher noch nicht ediert. Jedoch kann der Verlauf der Konkordatsverhandlungen aus den Akten Kardinal Faulhabers bei Volk, Akten Kardinal Faulhabers (Anm. 77), sowie aus der eingehenden Darstellung der Tätigkeit des bayerischen Gesandten beim Päpstlichen Stuhle, Otto Freiherr von Ritter zu Grönesteyn, während der Zeit der Konkordatsverhandlungen bei Franz-Willing, Die Bayerische Vatikangesandtschaft (Anm. 21), jedenfalls in seinen wesentlichen Zügen, deutlich erkannt werden. so Wortlaut bei Volk, Akten Kardinal Faulhabers (Anm. 77), S. 116 f.

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Entwurf für das Bayerische Konkordat, die sog. Pacelli-Punktation

li. 81 Dieser Entwurf, in dem die zwischenzeitlich eingegangenen Anre-

gungen und Ergänzungsvorschläge der bayerischen (Erz-)Bischöfe berücksichtigt worden waren, enthält bereits die wesentlichen Bestimmungen des am 29. März 1924 abgeschlossenen Konkordats. Die Konkordatsverhandlungen gingen jedoch nur sehr langsam voran. Ganz gegen den Willen Faulhabers, der die Verschleppung der Konkordatsverhandlungen immer wieder beklagte und dagegen protestierte,82 zeigte die bayerische Regierung bei den Verhandlungen zunächst keine besondere Eile. Die Ministerialbürokratie war offensichtlich an einem baldigen Abschluß des Konkordats deshalb nicht interessiert, weil durch das neue Konkordat die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in die kirchlichen Angelegenheiten, wie sie das Religionsedikt vom Jahre 1818 gestattete, fortfielen oder mindestens beschränkt wurden. Außerdem trat während der beinahe fünfjährigen Dauer der Konkordatsverhandlungen viermal ein Wechsel der bayerischen Staatsregierung ein. 83 Als hinderlich für das Zustandekommen des Bayerischen Konkordats erwies sich auch die Tatsache, daß Anfang 1921, knapp ein Jahr nach der Aufnahme der ersten bayerischen Konkordatsverhandlungen, auch die Reichsregierung den Zeitpunkt für gekommen hielt, die größeren Länder über die Vorüberlegungen zu einem Reichskonkordat zu unterrichten. Einem Runderlaß des Reichsinnenministeriums vom 6. Januar 1921 war ein neun Punkte umfassender Ministerialentwurf mit der Überschrift "Richtlinien für das Reichskonkordat" beigefügt. 84 Es zeigte sich, daß die beiden Länder Preußen und Bayern, auf deren Mitarbeit es dabei in erster Linie angekommen wäre, dem Projekt eines Reichskonkordats ablehnend gegenüberstanden. Bayern und Preußen waren sich in der Gegnerschaft gegen ein Reichskonkordat einig. Auf dem Hintergrund sprichwörtlicher landsmannschaftlicher und historischer Antagonismen entbehrte dieses preußisch-bayerische Zweckbündnis nicht einer gewissen Ironie. 85 Volk, ebd., S. 129 ff. Vgl. hierzu bei Volk, ebd., S. 169, 173, 225, 231, 234, 237, 272. Einen Brief vom 7. Dezember 1921 an die Mitglieder des bayerischen Episkopats beschließt Faulhaber mit der Mitteilung, "daß zur Zeit Preußen alle Hebel in Bewegung setzt, um das bayerische Sonderkonkordat zu hintertreiben". Vgl. hierzu bei Volk, ebd., S. 227. 83 May, Ludwig Kaas, Bd. II (Anm. 79), S. 383. 84 Wortlaut bei Alfons Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969, S. 440 f. (Anhang Nr. 5). 85 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933, Mainz 1972, S. 8 f. 81

82

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Auch Pacelli hätte, ebenso wie die Reichsregierung, einem Reichskonkordat, das für das Gebiet des gesamten Deutschen Reiches Geltung besessen hätte, den Vorzug vor dem Abschluß eines Konkordats mit Bayern gegeben. Bereits mit Datum vom 1. Mai 1920 hatte Pacelli, der, nachdem er am 20. April1917 zum Apostolischen Nuntius in Bayern ernannt worden war, am 22. Juni 1920 zusätzlich auch noch als Nuntius beim Deutschen Reich akkreditiert wurde, an den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, den Breslauer Erzbischof Kardinal Adolf Bertram, einen 20 Punkte umfassenden und relativ detailliert ausgearbeiteten Entwurf für ein Reichskonkordat gesandt. 86 Am 15. November 1921 unterbreitete er diesen Entwurf in überarbeiteter Fassung der Reichsregierung als Vorschlag für ein Reichskonkordat. 87 Der Abschluß eines Konkordats mit dem Deutschen Reich glückte Pacelli jedoch nicht. Das Reichskonkordat blieb immer das große Wunschziel des Nuntius. 88 Nicht nur die bayerische Regierung, sondern auch der bayerische Episkopat war fest entschlossen, mit dem Heiligen Stuhl ein eigenes Konkordat, und zwar zeitlich noch vor einem etwaigen Reichskonkordat, abzuschließen. Der Abschluß eines Reichskonkordats scheiterte während der Weimarer Zeit nicht zuletzt an der Schulfrage. Auch die Römische Kurie war schließlich der Auffassung, daß das Bayerische Konkordat unabhängig vom Reichskonkordat abgeschlossen werden sollte. Gleichzeitig zeigte sich der Heilige Stuhl freilich nach wie vor an einem Reichskonkordat außerordentlich interessiert. 89 Im Gegensatz dazu war Kardinal Faulhaber der Auffassung, daß für den Abschluß eines Reichskonkordats keine Aussicht bestehe, während in einem Bayerischen Konkordat die Interessen der Kirche in Bayern, vor allem auch bezüglich der Schulfrage, in wirksamer Weise gewahrt werden könnten. Im übrigen könnte das Bayerische Konkordat ein Wegbereiter für ein späteres Reichskonkordat werden. 90 86 Sogenannte Pacelli-Punktation I: Wortlaut bei Ludwig Volk, Kirchliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969, S. 277-281 (Anhang Nr. 1). 87 Sogenannte Pacelli-Punktation II; Wortlaut bei Kupper, Staatliche Akten (Anm. 84), S. 441-447 (Anhang Nr. 6). 88 May, Ludwig Kaas, Bd. I (Anm. 79), S. 181. 89 May, Die Konkordatspolitik (Anm. 75), S. 195, spricht hierbei zutreffend von einer in Anbetracht des föderalistischen Staatsaufbaus des Deutschen Reichs nahegelegten "mehrgleisigen Konkordatspolitik" des Heiligen Stuhles. 90 Vgl. das Schreiben Faulhabers vom 10. Januar 1922 an den bayerischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Freiherrn von Ritter zu Grönesteyn, bei Volk, Akten Kardinal Faulhabers, Bd. I (Anm. 77), S. 232 f.; ferner May, Ludwig Kaas, Bd. II (Anm. 79), S. 384 f.

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Obwohl Papst Pius XI. und die bayerischen Bischöfe immer wieder den baldigen Abschluß des Bayerischen Konkordats forderten, gingen die Verhandlungen nur schleppend voran. In einer ausführlichen Denkschrift an den Kardinalstaatssekretär Gasparri vom November 1921 setzte sich der bayerische Gesandte beim Heiligen Stuhl, Otto Freiherr von Ritter zu Grünstein (seit Juli 1921 zu Grönesteyn), für den baldigen Abschluß eines eigenständigen Bayerischen Konkordats ein. 91 Nicht nur der bayerische Episkopat, auch Pacelli und Papst Pius XI. drängten nunmehr auf den baldigen Abschluß des Konkordats. Am 27. September 1922 übersandte Pacelli der bayerischen Regierung einen erneuten, von der Römischen Kurie approbierten Konkordatsentwurf. Die Regierung legte ihrerseits einen Gegenentwurf vor. 92 Bei der Sitzung der Bayerischen Bischofskonferenz am 4.-5. September 1923 konnte Faulhaber den bayerischen Bischöfen die vertrauliche Mitteilung machen, daß die Konkordatsverhandlungen, die, wie er ausdrücklich erklärte, von Pacelli "mit bewundernswerter Klugheit und Geduld geführt" worden seien, in ihr letztes Stadium eingetreten seien. Die Konferenz bedauerte, daß der Heilige Vater von der bayerischen Staatsregierung mit solchem Mißtrauen behandelt werde und daß einige Domkapitulare (nicht die Domkapitel im Ganzen) für die Freiheit der Kirche zur Ernennung der Bischöfe nach den Bestimmungen des Can. 329 des Codex Iuris Canonici so wenig Verständnis gezeigt und statt dessen ein Wahlrecht für die Bischöfe verlangt hatten. 93 In der Tat waren die Konkordatsverhandlungen dadurch erheblich verzögert und erschwert worden, daß verschiedene Mitglieder bayerischer Domkapitel im Bunde mit staatlichen Stellen versucht hatten, anstelle des weggefallenen Nominationsrechts des bayerischen Königs für die Bischöfe nach preußischem Vorbild die Aufnahme eines Wahlrechts der Domkapitel für die Bischöfe in das neue Bayerische Konkordat zu erreichen. Hiergegen wandten sich mit Vehemenz die bayerischen (Erz-)Bischöfe und verständlicherweise ebenso auch Pacelli und die Römische Kurie. 94 In einem Schreiben vom 9. April1922 an Pacelli faßt Faulhaber die Auffassung des von ihm zur Frage eines möglichen Bischofswahlrechts der Domkapitel ausdrücklich konsultierten bayerischen Episkopats folgendermaßen zusammen: "Allgemeines Nein!Wortlaut bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. IV (Arun. 74), S. 296 f. Franz-Willing, Die Bayerische Vatikangesandtschaft (Arun. 78), S. 193 f. 93 Protokoll der Konferenz des bayerischen Episkopats, Freising, 4.-5. September 1923; abgedruckt bei Volk, Akten Kardinal Faulhabers, Bd. I (Anm. 77), s. 305f. 94 Nachweise im einzelnen bei Volk, Akten Kardinal Faulhabers, Bd. I (Anm. 77), s. 180 f., 182 f., 252 f. 91 92

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Konkordate und Kirchenverträge

Der Beschluß der Freisinger Bischofskonferenz von 1920 und 1921 soll aufrechterhalten, das Wahlrecht der Domkapitel also abgelehnt werden. Seine Exzellenz von Bamberg schreibt: Ich halte es für ein Unglück, wenn den Kapiteln einfachhin das Wahlrecht zugestanden würde; dagegen hätte ich nichts einzuwenden, wenn den Kapiteln Gelegenheit gegeben würde, Vorschläge zu machen, damit nicht Unverantwortliche (z. B. Ordensleute oder katholische Adelige) Vorschläge zu machen versuchen". 95 Am 8. Dezember 1923 äußerte sich Pius XI., der an den Verhandlungen über das Bayerische Konkordat persönlich großen Anteil genommen hatte, gegenüber Kardinal Faulhaber über das Bayerische Konkordat außerordentlich befriedigt und erklärte, das Bayerische Konkordat werde ein Modell für ein späteres Reichskonkordat sein, denn es sei "ein gutes Konkordat". 96

Im Frühjahr 1924 kamen die Verhandlungen zwischen der bayerischen Regierung und dem Apostolischen Nuntius Pacelli nach Ablauf von mehr als fünf Jahren endlich zum Abschluß. Der Text des Konkordats wurde der Reichsregierung zur Stellungnahme zugeleitet. Am 18. März 1924 erklärte Reichskanzler Wilhelm Marx, daß gegen den Konkordatsentwurf seitens der Reichsregierung keine Einwendungen erhoben würden. Daraufhin wurde das Bayerische Konkordat am 29. März 1924 unterzeichnet. 97 Am 15. Januar 1925 wurde es zusammen mit dem Staatsvertrag mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. November 1924 und dem Staatsvertrag mit der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz vom 15. November 1924 vom Bayerischen Landtag durch das als "Mantelgesetz" bezeichnete Gesetz zu dem Konkordate mit dem Heiligen Stuhle und den Verträgen mit den Evangelischen Kirchen (Bayer. GVBl. S. 53) ratifiziert. Das Mantelgesetz wurde mit 73 Ja-Stimmen der Bayerischen Volkspartei, der Deutsch-Nationalen Volkspartei und des Bayerischen Bauernbundes gegen 52 Nein-Stimmen des Völkischen Blocks, der SPD, der KPD und der Demokratischen Partei vom Bayerischen Landtag nach heftigen Auseinandersetzungen angenommen. 98 95 Schreiben Faulhabers vom 9. April 1922 an Pacelli, abgedruckt bei Volk, Akten Kardinal Faulhabers, Bd. I (Anm. 77), S. 249 f. 96 Volk, Akten Kardinal Faulhabers, ebd., S. 323. 97 Franz-Willing, Die Bayerische Vatikangesandtschaft (Anm. 21), S. 200. 98 Einzelheiten bei May, Ludwig Kaas, Bd. II (Anm. 79), S. 385 ff. m.w.N.; vgl. über die Polemik gegen das Bayerische Konkordat die Angaben bei May, ebd., S. 388 ff. Die Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung, die Zustimmung des Bayerischen Landtags sowohl für das Konkordat als auch für die beiden

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c) Der Inhalt des Bayerischen Konkordats 1. Die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 zur Religions- und Kirchenfreiheit. Das Bayerische Konkor-

dat vom 29. März 1924 stellt auf der Grundlage der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 den Prototyp einerneuen konkordatären Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche dar. 99 Das Konkordat beruht auf der verfassungsrechtlichen Grundlage der Anerkennung einer zwar vom Staat grundsätzlich getrennten, eigenberechtigten und sich selbst verwaltenden, jedoch in öffentlich-rechtlicher Stellung befindlichen und konkordatsgesicherten Kirche, die in Deutschland aufgrund des Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung den Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt. 100 Staatskirchenrechtlich kam dem Bayerischen Konkordat für die Interpretation und die konkrete Anwendung der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung und für den Abbau der unter der Monarchie herrschenden staatlichen Kirchenhoheit eine Schrittmacherfunktion zu. Nicht im Sinne Cavours, der sich mit seiner Parole einer "freien Kirche im freien Staat" für eine völlige Trennung der beiden Institutionen Staat und Kirche ausgesprochen hatte, oder anderer radikaler Trennungsvorstellungen, wie sie in der Frankfurter Faulskirehe 1848 erhoben worden waren, sondern auf der Grundlage einer engen Kooperation zwischen Staat und Kirche sicherte das Bayerische Konkordat die "Freiheit der Kirche vom Staat", aber auch die "Freiheit des Staates evangelischen Kirchenverträge in der Form dieses für die drei Vertragswerke gemeinsamen "Mantelgesetzes" herbeizuführen, war ein politisch geschickter und im Ergebnis geglückter Schachzug, um im Bayerischen Landtag eine Mehrheit für diese Verträge zu erreichen. Vgl. hierzu auch "Kirche in Bayern" (Anm. 20), s. 244. 99 Zu dem durch die Weimarer Reichsverfassung geschaffenen und in seinen Grundzügen in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und damit in das Verfassungsrecht der Bundesrepublik übernommenen Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche vgl. die bedeutsame Abhandlung von Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Bd. I, S. 65 ff.; Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Bd. I, S. 267 ff.; Axel Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch. 2. Aufl., München 1983, S. 45 ff., 105 ff. 1oo Vgl. hierzu bei Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte (Anm. 9), S. 738; Ulrich Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. Nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata, Berlin 1926, Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 3/4, S. 54 mit Anm. 2. Zu dem durch die Weimarer Reichsverfassung geschaffenen Staat-Kirche-Verhältnis vgl. ferner die unverändert gültige und gründliche Darstellung von Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, s. 108 ff. 37 Sbd. List!

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von der Kirche" mit der Gewähr allgemeiner Religionsfreiheit durch Beseitigung der rechtlichen Monopolstellung der christlichen Kirchen und mit der Aufgabe des bisherigen verfassungsrechtlichen Postulats des christlichen Charakters des Staates und durch die Gewähr der Möglichkeit auch für andere Religionsgemeinschaften und sogar Weltanschauungen, die gleiche öffentlich-rechtliche Stellung zu erwerben.tol Auf der Grundlage der staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung wurde bereits durch das Bayerische Konkordat auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen Staat und Kirche das Verfassungs- und vertragsrechtlich begründete freiheitliche Kooperationssystem geschaffen, das für die staatskirchenrechtliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland heute kennzeichnend ist. Dieses komplexe System verbindet mit einer grundsätzlichen institutionellen und organisatorischen Trennung von Staat und Kirche und mit einer strikten religiösen Neutralität des Staates die Gewähr einer umfassenden individuellen Religionsfreiheit und der korporativen freien Betätigung der Kirchen und übrigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und die Anerkennung einer Stellung der Kirchen im Bereich des Öffentlichen. Diese besondere Rechtsstellung der Kirchen findet ihren Ausdruck in der Verleihung eines öffentlich-rechtlichen Status durch die Verfassung selbst und in vielfältigen Formen einer staatlich-kirchlichen Kooperation und einer vielfachen Förderung der Kirchen und der übrigen Religionsgemeinschaften durch den Staat. 102 In beträchtlichem zeitlichem Abstand zum Bayerischen Konkordat wurde am 14. Juni 1929 der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen, das Preußische Konkordat, unterzeichnet, in dem allerdings im Unterschied zum Bayerischen Konkordat die Regelungen über die Schulfrage ausgeklammert blieben. 103 Am 12. Oktober 1932 kam als letztes deutsches Landeskonkordat vor der nationalsozialistischen Machtergreifung und dem Abschluß des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Baden zustande. 104 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Ebers, ebd., S. 119. Vgl. hierzu im einzelnen Joseph Listl, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: HdbStKirchR, Regensburg 1983, S. 1050ff. m.w.N. 1oa Deutscher und italienischer Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. II (Anm. 2), S. 707 ff.; deutscher Wortlaut auch bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. IV (Anm. 74), S. 322 ff. (mit einer Reihe von Dokumenten, die sich auf den Abschluß und den Vollzug des Konkordats beziehen). 104 Deutscher und italienischer Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I (Anm. 2), S. 135 ff.; deutscher Wortlaut auch bei Huber I Huber, 1o1 102

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2. Der wesentliche Inhalt des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924. Das Bayerische Konkordat in der Fassung vom 29. März 1924 regelt die Beziehungen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche in einem für die damaligen staatskirchenrechtlichen Verhältnisse denkbar umfassenden Sinn. Der staatliche Partner kam dabei den Interessen und Erwartungen der Kirche mit großem Verständnis entgegen; andererseits gewährte die Kirche dem Staat die von ihm im Interesse einer effizienten und vertrauensvollen Kooperation zwischen den beiden Institutionen für erforderlich gehaltenen Mitsprache.: und Mitwirkungsrechte.105 Der Bayerische Staat gewährleistet die freie und öffentliche Ausübung der katholischen Religion. Er anerkennt das Recht der Kirche, Gesetze zu erlassen und Anordnungen zu treffen, die ihre Gläubigen binden. Die Geistlichen genießen bei der Erfüllung ihrer Amtspflichten den Schutz des Staates (Art. 1). Orden und religiöse Kongregationen können frei gegründet werden. Sie unterliegen keiner Einschränkung in bezugauf ihre Niederlassungsfreiheit und die Zahl ihrer Mitglieder. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte werden ihnen gewährleistet (Art. 2). Die Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten an den Theologischen Fakultäten der Universitäten sowie der Religionslehrer an den höheren Lehranstalten erfolgt erst, wenn seitens des zuständigen Diözesanbischofs das Nihil obstat erteilt worden ist. Für Lehrer der Theologie, die von dem zuständigen Diözesanbischof wegen ihrer Lehre oder wegen ihres sittlichen Verhaltens aus triftigen Gründen beanstandet worden sind, sichert die Staatsregierung einen entsprechenden Ersatz zu (Art. 3). Der Unterricht an den Theologischen Fakultäten muß den Bedürfnissen des priesterlichen Berufes nach Maßgabe der kirchlichen Vorschriften Rechnung tragen (Art. 4). Der Unterricht in den Volksschulen, den heutigen Grund- und Hauptschulen, ist grundsätzlich konfessionell. An katholischen Volksschulen werden nur Lehrkräfte angestellt, die geeignet und bereit sind, in verlässiger Weise in der katholischen Religionslehre zu unterrichten und im Geiste des katholischen Glaubens zu erziehen. Auch die Lehrerbildung ist konfessionell geordnet (Art. 5). Sofern dies schulorganisatorisch möglich ist, müssen auf Antrag der Eltern und sonstigen Erziehungsberechtigten katholische Volksschulen errichtet werden (Art. 6). Der Religionsunterricht bleibt an allen Volksschulen ordentliches LehrStaat und Kirche, Bd. IV (Anm. 74), S. 354 ff. (mit einer Reihe von Dokun1enten, die sich auf den Abschluß und den Vollzug des Konkordats beziehen). tos Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I (Anm. 2), s. 289f. 37*

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fach. Die Beaufsichtigung und Leitung des Religionsunterrichts an den Volksschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten werden der Kirche gewährleistet (Art. 7 und 8). Orden und religiöse Kongregationen werden zur Gründung und Führung von Privatschulen zugelassen (Art. 9). Der Bayerische Staat garantiert, seinen auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden vermögensrechtlichen Verpflichtungen gegenüber der katholischen Kirche in Bayern stets nachzukommen. Die im Konkordat von 1817festgelegten vermögensrechtlichen Verpflichtungen werden im einzelnen neu geregelt. Die Diözesanbischöfe, Weihbischöfe und Domkapitel erhalten weiterhin staatliche Dotationen. Das Kirchenvermögen wird ausdrücklich garantiert. Der Kirche wird das Recht zugestanden, auf der Grundlage der bürgerlichen Steuerlisten Umlagen zu erheben (Art. 10). Die Seelsorge in den Straf-, Pflege-, Erziehungs- und Krankenanstalten wird garantiert (Art. 11). Die bestehende Diözesan-Zirkumskription wird ausdrücklich festgeschrieben (Art. 12). Für die Verwendung der Geistlichen in der Pfarrseelsorge und bei derErteilungdes Religionsunterrichts werden hinsichtlich ihrer Vorbildung Mindestvoraussetzungen festgelegt (Art. 13). Dem Heiligen Stuhl wird für die Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe volle Freiheit zuerkannt. Ferner wird die Besetzung der Kanonikate der erzbischöflichen und bischöflichen Domkapitel geregelt (Art. 14). Für den Fall, daß sich bei der Auslegung der Konkordatsbestimmungen irgendeine Schwierigkeit ergeben sollte, verpflichten sich der Heiligen Stuhl und der Bayerische Staat, gemeinsam eine freundschaftliche Lösung herbeizuführen (Art. 15). Im Unterschied zu vielen anderen Konkordaten enthält das Bayerische Konkordat in der Fassung vom 29. März 1924 weder ein Schlußprotokoll noch irgendwelche andere Zusätze. Den hohen Grad an inhaltlicher Vollständigkeit und Perfektion, der das Bayerische Konkordat vom 29. März 1924 ausgezeichnet hat, beweist die Tatsache, daß das Konkordat als Ordnung des Friedens und der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche 41 Jahre lang ohne Ergänzungen und Änderungen in Geltung geblieben ist. Gleiches gilt übrigens auch für den evangelischen Bayerischen Kirchenvertrag.

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V. Die evangelischen bayerischen Kirchenverträge vom 15. November 1924

a) Das Bayerische Konkordat als Modell für den neuen Typus des evangelischen Kirchenvertrags Aus Gründen der staatsrechtlichen Parität, die in einem Staatswesen, in dem mehrere Konfessionen bestehen, einen Grundpfeiler jeder weitschauenden und auf religiösen Frieden ausgerichteten Kirchenund Religionspolitik bilden muß, war der Freistaat Bayern bestrebt, auch mit den beiden evangelischen Landeskirchen parallele Verträge zum Bayerischen Konkordat abzuschließen. Im Zeitraum der Monarchie, in der in den deutschen Staaten der jeweilige Landesherr, und zwar auch der jeweilige katholische Monarch, das heißt für das Königreich Bayern der bayerische König, der summus episcopus der auf seinem Staatsgebiet bestehenden evangelischen Landeskirchen war, war der Abschluß eines Kirchenvertrags zwischen dem Landesherrn und seiner ihm untergebenen Landeskirche bzw. seinen Landeskirchen rechtlich unmöglich und schlechthin unvorstellbar. Erst die Umwandlung des Staates in eine Republik und der von der Weimarer Reichsverfassung verfügte Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments ("Es besteht keine Staatskirche.") schufen die rechtlichen Voraussetzungen für den Abschluß evangelischer Staatskirchenverträge. Wiederum war es der Bayerische Staat, der nach dem Ende der Monarchie erstmals in der Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts in den beiden Bayerischen Kirchenverträgen staatsrechtliche Vereinbarungen mit den auf seinem Territorium bestehenden beiden evangelischen Landeskirchen schloß.

Sowohl die Entstehungsgeschichte als auch die inhaltlichen Regelungen der Bayerischen Kirchenverträge vom 15. November 1924 zeigen einen vielfältigen engen Zusammenhang sowohl mit dem Abschluß als auch mit den inhaltlichen Bestimmungen des Bayerischen Konkordats. Erst am 4. Februar 1924, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Entwurf für das am 29. März 1924 unterzeichnete Bayerische Konkordat bereits so gut wie unterschriftsreif fertiggestellt war, wurde der damalige Präsident der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, D. Friedrich Veit, vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus über die wesentlichen Bestimmungen des in Aussicht genommenen Entwurfs eines Konkordats mit dem Heiligen Stuhl offiziell informiert. Dabei wurden der evangelischen Kirche Verhandlungen angeboten, um ihr Gelegenheit zu geben, ihr Interesse an einer etwaigen Neuordnung ihres Verhältnisses zum Staat zu wahren. Die Entstehung

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der Bayerischen Kirchenverträge ist daher "nur auf der Grundlage der bereits feststehenden Konkordatsbestimmungen verständlich" .106 Die Verhandlungen wurden streng geheim geführt. Gleichzeitig wurde mit der Vereinigten protestantisch-evangelischchristlichen Kirche der Pfalz ein entsprechender Vertrag ausgehandelt. Am 15. November 1924 konnte sowohl der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins 107 als auch der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche) 108 unterzeichnet werden. Diese beiden bayerischen evangelischen Kirchenverträge, die gegen beträchtliche Widerstände innerhalb der beiden evangelischen Landeskirchen in Bayern und letztlich nur unter dem Zugzwang, unter dem die beiden evangelischen Kirchen wegen der bevorstehenden Ratifizierung des Bayerischen Konkordats standen, zustande gekommen sind, stießen außerhalb Bayerns sowohl im evangelisch-kirchlichen Bereich als auch insbesondere in der juristischen und noch mehr in der parteipolitischen Publizistik auf massive Kritik und auf eine verbreitete dezidierte Ablehnung. 109 Gerade dieser neue Vertragstypus, der in den beiden Bayerischen Kirchenverträgen erstmals geschaffen wurde, sollte jedoch für die Zukunft des deutschen Staatskirchenrechts von weittragender, ja geradezu historischer Bedeutung werden. 110 Auch in Preußen kam nämlich im Anschluß an das Preußische Konkordat vom 14. Juni 1929 nach Überwindung starker Widerstände innerhalb der evangelischen Landeskirchen nach dem Modell der Bayerischen Kirchenverträge der Vertrag des Freistaates Preußen mit den evangelischen Landeskirchen vom 11. Mai 1931 zustande.U 1 Ebenso 1oa Zum bayerischen evangelischen Kirchenvertrag vgl. die vorzügliche und umfassende Darstellung von Hugo Maser, Evangelische Kirche im demokratischen Staat. Der Bayerische Kirchenvertrag von 1924 als Modell für das Verhältnis von Staat und Kirche, München 1983, S. 25 f. 107 Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I (Anm. 1), S. 508 ff.; abgedruckt auch bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. IV (Anm. 74), s. 677ff. 1os Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I (Anm. 2), S. 517 ff.; abgedruckt auch bei Huber I Huber, Bd. IV (Anm. 74), S. 682 ff. 109 Vgl. hierzu im einzelnen bei Maser, Evangelische Kirche (Anm. 106), s. 118 ff., 129 ff. no Zur Rechtsnatur der evangelischen Kirchenverträge vgl. die Ausführungen bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge. Einleitungsbeitrag, Bd. I (Anm. 2), S. 7 f. m.w.N. m Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. II (Anm. 2), S. 760 ff.; abgedruckt auch bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. IV (Anm. 74), s. 709 ff.

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wurde im Anschluß an das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932 auch zwischen dem Freistaat Baden und der Vereinigten Evangelischprotestantischen Landeskirche Badensam 14. November 1932 ein korrespondierender Kirchenvertrag geschlossen. 112

b) Der wesentliche Inhalt des Bayerischen Kirchenvertrags Der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. November 1924, 113 der zu Recht als "Schlußstein des paritätischen Staatskirchenrechts in Bayern" bezeichnet worden ist, 114 regelt inhaltlich für die evangelische Kirche weithin die gleichen Materien, die im Bayerischen Konkordat mit der katholischen Kirche enthalten sind. Die meisten Artikel sind in den beiden Vereinbarungen wortgleich. 115 Lediglich bezüglich derjenigen Konkordatsmaterien, die wegen des verschiedenen Selbstverständnisses und der unterschiedlichen Verfassungsstruktur der katholischen und der evangelischen Kirche aus der Natur der Sache in einem evangelischen Kirchenvertrag keine Regelung finden konnten, wie die Bischofsernennungen oder die Niederlassungs- und Betätigungsfreiheit der religiösen Orden und Kongregationen, finden sich im Kirchenvertrag keine dem Konkordat entsprechenden Bestimmungen. In Art. 3 Abs. 2 des Kirchenvertrags ist in Übereinstimmung mit der Regelung in Art. 3 Abs. 2 des Bayerischen Konkordats ein kirchliches Beanstandungsrecht für evangelische Religionslehrer vereinbart worden. Diese Bestimmung lautet wörtlich: "Sollte einer der genannten Lehrer von dem Landeskirchenrate wegen seiner Lehre oder wegen seines sittlichen Verhaltens aus triftigen Gründen beanstandet werden, so wird die Staatsregierung unbeschadet seiner 112 Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I (Anm. 2), S. 215ff.; abgedruckt auch bei Huber/Huber, Staat und Kirche, Bd. IV (Anm. 74), s. 727 ff. 113 Die Darstellung beschränkt sich auf den Vertrag zwischen dem Bayerischen Staat und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins. Der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staat und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzische Landeskirche), der nach dem Ausscheiden der Pfalz aus dem Bayerischen Staatsverband von der Landesregierung von Rheinland-Pfalz anerkannt und übernommen worden ist, findet hier keine Berücksichtigung. 114 Axel Frhr. v. Campenhausen, Fünfzig Jahre Bayerischer Kirchenvertrag, in: Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 29. Jhg. (1974), s. 424. m Vgl. hierzu die Synopse der einander entsprechenden Bestimmungen des Bayerischen Konkordats und des Bayerischen Kirchenvertrags bei Maser, Evangelische Kirche (Anm. 106), S 264 ff.

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staatsdienerliehen Rechte alsbald auf andere Weise für einen entsprechenden Ersatz sorgen." Diese für einen evangelischen Kirchenvertrag überraschende Bestimmung, die bisher in keinem anderen evangelischen Kirchenvertrag eine Entsprechung gefunden hat, findet sich seit der Novellierung des Bayerischen Kirchenvertrags vom 12. September 1974 in Art. 6 Abs. 2 des Bayerischen Kirchenvertrags. VI. Die Entwicklung der Bayerischen Staatskirchenverträge von 1924-1988

a) Ergänzungen und Novellierungen des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 Im Zeitraum von 1924-1966 blieb das Bayerische Konkordat unverändert in Geltung, 116 wenn es auch während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, insbesondere gilt dies für die Bestimmungen über die Schulen und den gesamten Bildungsbereich und auch für die Garantien für die Tätigkeit der religiösen Orden und Kongregationen, vom staatlichen Konkordatspartner in schwerwiegender Weise verletzt worden ist. Seit den sechziger Jahren wurde das Konkordat jedoch wiederholt novelliert. Die Änderungen betrafen nahezu ausschließlich den Schul- und Bildungsbereich. Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland hat im Verlauf der sechzigerund siebziger Jahre auf sämtlichen Ebenen intensive Veränderungen erfahren. Diese machten eine Reil~ von Ergänzungen und Novellierungen des Bayerischen Konkordats und ebenso auch des Bayerischen Kirchenvertrags erforderlich. Im Geiste der Bestimmung des Art. 15 § 1 des Konkordats, durch die sich die beiden Partner verpflichtet hatten, gemeinsam eine freundschaftliche Lösung herbeizuführen, wenn sich in Zukunft bei der Auslegung des Konkordats irgendwelche Schwierigkeiten ergeben sollten, erfolgten in dem erforderlichen Umfang Ergänzungen und zum Teil auch wesentliche Änderungen des Konkordats. 116 Einzig bezüglich der Pfarramtsbesetzung in denjenigen Fällen, in denen staatliche Patronats- und Präsentationsrechte zu berücksichtigen waren (Art. 14 § 3 Satz 2 des Bayerischen Konkordats) erfolgte am 16. Juli 1931 eine einvernehmliche Lösung. Wortlaut der diesbezüglichen Mitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 16. Juli 1931 bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I (Anm. 2), S. 324. Vgl. hierzu auch die Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 3. November 1970 über die Ausübung des staatlichen Präsentationsrechts bei der Besetzung katholischer Pfarrstellen und -pfründen, in: ArchKathKR, Bd. 140 (1971), S. 241 f.

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(1) Die erste Ergänzung bildete der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 2. September 1966 über die Auflösung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising und die wissenschaftliche Ausbildung der Studierenden der katholischen Theologie an der Universität München. 117 Der Heilige Stuhl stimmte darin der Auflösung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising zu (Art. 1). Zum Ausgleich für diesen Verzicht verpflichtete sich die Bayerische Staatsregierung, die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität München in dem Umfange mit Personal und Sachmitteln auszustatten, daß der jetzige und der künftige Bedarf der theologischen Ausbildung, auch soweit sie bisher an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising erfolgt war, gesichert werden kann. (2) Eine weitere Ergänzung des Bayerischen Konkordats wurde erforderlich bei Errichtung der vierten bayerischen Landesuniversität Regensburg. In dem Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern, gleichfalls vom 2. September 1966, über die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Regensburg stimmt der Heilige Stuhl der Errichtung einer Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg und der damit verbundenen Auflösung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Regensburg zu (Art. 1). 118 Dafür erhält die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Regensburg in vollem Umfang den gleichen Rechtsstatus, wie ihn die Katholisch-Theologischen Fakultäten der anderen bayerischen Landesuniversitäten besitzen. Dabei wurde vereinbart, daß die einschlägigen Bestimmungen des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 und ergänzend die einschlägigen Bestimmungen des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 auf die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Regensburg Anwendung finden. (3) Eine wesentliche und tiefgreifende Änderung des Konkordats brachte der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 7. Oktober 1968 zur Änderung und Ergänzung der Art. 5 und 6 des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924Y 9 Darin wurde die bisherige Regelung, wonach im Bereich der Volksschule (Grundund Hauptschule) die Konfessionsschule die Regelschule war, beseitigt und statt dessen bestimmt, daß "in Klassen, die von Schülern verschiedener Bekenntnisse besucht werden", sich "Unterricht und Erziehung bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen andersdenkender Schüler nach den gemeinsamen Grundsätzen der christlichen 117

118 119

Wortlaut bei Listl, ebd., S. 374 f. Wortlaut bei Listl, ebd., S. 378 ff. Wortlaut bei Listl, ebd., S. 384 ff.

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Bekenntnisse" richten (Art. 6 § 4). Auch die Konkordatsbestimmungen über die konfessionelle Lehrerbildung erfuhren entsprechende Änderungen. (4) Im Zuge der Gründung der Universität Augsburg stimmte der Heilige Stuhl in dem Vertrag mit dem Freistaat Bayern vom 17. September 1970 über den Katholisch-Theologischen Fachbereich der Universität Augsburg der Errichtung eines Katholisch-Theologischen Fachbereichs der Universität Augsburg und der damit verbundenen Auflösung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Dillingen zu (Art. 1). 120 Nach Art. 2 des Vertrags erhält der Katholisch-Theologische Fachbereich der Universität Augsburg hinsichtlich seiner Selbständigkeit innerhalb der Hochschule keinen geringeren Rechtsstatus, als ihn die Katholisch-Theologischen Fakultäten der anderen bayerischen Landesuniversitäten besitzen. (5) Die bisher umfassendste Änderung des Bayerischen Konkordats erfolgte durch den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 4. September 1974. 121 In diesem Vertragswerk erhielten die Artikel 3 bis 8 und 13 des Bayerischen Konkordats eine neue und zum Teil erheblich erweiterte Fassung. Die bisherigen Philosophisch-Theologischen Hochschulen in Bamberg und Passau wurden aufgehoben und dafür an der Universität Passau und an der Gesamthochschule Bamberg Katholisch-Theologische Fachbereiche in dem durch die Bedürfnisse von Forschung und Lehre gebotenen Umfang errichtet (Art. 3 § 1). Das umfangreiche Schlußprotokoll bildet einen integrierenden Bestandteil des Vertrags und wurde daher in das Ratifikationsverfahren einbezogen. Außerdem enthält das Vertragswerk umfangreiche "Erläuterungen" zu den einzelnen Bestimmungen des Vertrags. Der abschließende Notenwechsel enthält authentische Interpretationen der Vereinbarungen oder anderer vorhandener Regelungen, soweit sie einen Ermessensspielraum einräumen. Im Gegensatz zum Vertrag und zum Schlußprotokoll enthält der Notenwechsel, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, "keine eigenen Rechtssätze". Den unmittelbaren Anlaß zu dieser Konkordatsnovellierung bildete in erster Linie die Integration der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten. Dadurch wurde die Ausbildung der Lehrer der verschiedenen Schulstufen jm Fach Katholische Religionslehre- zusätzlich zu der bisherigen Aufgabe der Ausbildung künftiger Priester und von Anwärtern auf andere seelsorgliche Dienste - zu einer Aufgabe der 120 121

Wortlaut bei Listl, ebd., S. 399 ff. Wortlaut bei Listl, ebd., S. 406 ff.

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Katholisch-Theologischen Fakultäten erklärt. Dieser Erweiterung der Aufgabenstellung der Katholisch-Theologischen Fakultäten tragen im wesentlichen die Bestimmungen der N ovellierung des Bayerischen Konkordats vom 4. September 1974 Rechnung. Im einzelnen wird die Rechtsstellung der Lehrpersonen an den Katholisch-Theologischen Fachbereichen genauer bestimmt. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen für die Ernennung bzw. Anstellung und einer möglichen konkordatsrechtlichen Beanstandung sämtlicher an den Katholisch-Theologischen Fakultäten tätigen Lehrpersonen (Art. 3 §§ 2 und 3). Ferner wurde die Ausbildung der Lehrer im Fach "Katholische Religionslehre" umfassender und genauer geregelt {Art. 4) und die Gründung einer kirchlichen Gesamthochschule Eichstätt vereinbart (Art. 5). Das Recht der katholischen Kirche auf einen angemessenen Einfluß bei der Erziehung der Schüler ihres Bekenntnisses wird gewährleistet {Art. 6). Der Religionsunterricht wird als ordentliches Lehrfach im Sinne der Bayerischen Verfassung ausdrücklich anerkannt {Art. 7). Der Staat verpflichtet sich zur Förderung der privaten Schulen (Art. 8). In Art. 13 werden die Anforderungen, die an die Ausbildung von Priestern und Ordensleuten seitens des Staates gestellt werden, neu umschrieben. Damit wurde das Bayerische Konkordat von 1924 in seinen sämtlichen Bestimmungen, soweit sie einen Bezug zum Schul- und Bildungswesen aufweisen, den Erfordernissen der neueren Entwicklung angepaßt. (6) Am 7. Juli 1978 kam eine weitere Konkordatsnovelle zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern zur Änderung des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 zustande. 122 In diesem Vertrag wurde insbesondere im Hinblick auf den Abschluß der Neuordnung der Lehrerbildung in Bayern auf eine entsprechende Bitte der bayerischen Staatsregierung hin eine Reihe von Bestimmungen des Art. 4 des Bayerischen Konkordats neu gefaßt. Ferner enthält dieser Vertrag nähere Bestimmungen über das Lehrangebot an der kirchlichen Gesamthochschule Eichstätt. Diese wurde durch Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 1.-5. März 1980 in "Katholische Universität Eichstätt" umbenannt. (7) Die bisher letzte Änderung und Ergänzung des Bayerischen Konkordats erfolgte durch den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 8. Juni 1988. 123 Darin wurde die bisherige Ausrichtung der Katholischen Universität Eichstätt, deren Schwerpunkt auf der Lehrerausbildung lag, durch die Einrichtung zusätzli-

122 123

Wortlaut bei Listl, ebd., S. 448 ff. Wortlaut in: Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1988, S. 241 ff.

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Konkordate und Kirchenverträge

eher Diplom-, Magister- und Aufbaustudiengänge in nicht lehramtsbezogenen Fächern geändert und die Errichtung einer Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät dieser Universität mit Standort Ingolstadt vereinbart.

b) Ergänzungen und Novellierungen des Bayerischen Kirchenvertrages von 1924-1988 (1) Eine erste Ergänzung zum Bayerischen Kirchenvertrag vom 15. November 1924 bildete die Vereinbarung zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 16.-29. Juli 1958 über einzelne Staatsleistungen, insbesondere über den vom Bayerischen Staat an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern zu zahlenden "Kopfbetrag" entsprechend der Gesamtzahl aller Kirchenmitglieder und über einen Zuschuß zur Versorgung der Pfarrer. 124 (2) Eine weitere materielle Ergänzung erfuhr der Bayerische Kirchenvertrag durch das Verwaltungsabkommen zwischen der Bayerischen Staatsregierung und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 12. Dezember 1958 über die Ausbildung von Religionslehrern an Konfessionsschulen. Hierbei wurde der Anteil der Religionspädagogik an der Lehrerausbildung und insbesondere der Umfang der von den Studienbewerbern für das Lehrfach "Evangelische Religionslehre" zu hörenden Vorlesungen festgelegt. 125 (3) In dem Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche, in Bayern vom 20. Juni 1967 wurde im Hinblick auf die Errichtung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München vereinbart, daß auch auf diese Fakultät die Bestimmungen des Art. 2 Abs. 1 des Vertrags zwischen dem Bayerischen Staat und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 15. November 1924 entsprechende Anwendung finden. 126 Damit hat die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität München den gleichen Rechtsstatus erhalten, den die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Erlangen besitzt. 124 Wortlaut bei Werner Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart. Textausgabe mit den amtlichen Begründungen sowie mit Ergänzungsbestimmungen, vergleichenden Übersichten, Schrifttumshinweisen und einem Sachverzeichnis, Bd. I, Göttingen 1962, S. 159 f.; vgl. hierzu im einzelnen bei Maser, Evangelische Kirche (Anm. 106), S. 178. 125 Text bei Weber, ebd., S. 160; vgl. hierzu Maser, ebd., S. 178. 12s Wortlaut bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. I (Anm. 2), s. 553ff.

Die konkordatäre Entwicklung in Bayern

589

(4) Der Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern vom 7. Oktober 1968 zur Änderung des Vertrags vom 15. November 1924 bildet das paritätische Gegenstück zu der am selben Tag, dem 7. Oktober 1968, vereinbarten Novellierung des Bayerischen Konkordats. 127 An die Stelle der Konfessionsschule als Regelschule trat die christliche Gemeinschaftsschule. (5) Der Konkordatsnovellierung vom 4. September 1974 entspricht auf evangelischer Seite der Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 12. September 1974 zur Änderung des Vertrags zwischen dem Bayerischen Staat und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 15. November 1924. 128 Die Regelungen sind inhaltlich identisch mit den Bestimmungen der Konkordatsnovellierung. Die Neuordnung der Lehrerbildung erweiterte den Aufgabenkatalog der Theologischen Fakultäten und forderte eine Entscheidung in der Frage, wo und in welchem Umfang die einzelnen Universitäten Ausbildungsmöglichkeiten für das Fach Religion bereitstellen sollten. Die Präambel des Vertrags nannte daher als Grund für den Änderungsvertrag die Neuordnung der Lehrerbildung, die Eingliederung der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten und die Errichtung neuer Universitäten in Bayern. (6) Aus Anlaß des Abschlusses der Neuordnung der Lehrerbildung in Bayern wurde parallel zur Novellierung des Bayerischen Konkordats durch den Vertrag vom 7. Juli 1978 am 10. Juli 1978 ein inhaltlich entsprechender Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zur Änderung des Kirchenvertrags vom 15. November 1924 geschlossen. 129 Darin wurden Einzelheiten über das erforderliche Lehrangebot in Evangelischer Theologie für die Ausbildung von Religionslehrern festgelegt. In einem zweiten Teil dieses Vertrags, der in der Konkordatsnovellierung vom 7. Juli 1978 keine Entsprechung findet, wurden Bestimmungen des Bayerischen Kirchenvertrags über die Staatszuschüsse an den Landeskirchenrat neu gefaßt und den gewandelten Verhältnissen angepaßt. (7) Durch den Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 20. November 1984 wurde das Lehrangebot in Evangelischer Theologie zum Zwecke der Lehrerausbildung an den bayerischen Hochschulen abschließend geregelt 127 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 557 ff.; zur Vorgeschichte dieses Vertrags und zur Beseitigung der Konfessionsschule in Bayern vgl. die ausführlichen historischen Angaben bei Maser, Evangelische Kirche (Anm. 106), S. 180-228. 12a Wortlaut bei Listl, ebd., S. 566 ff.; dazu ausführliche Angaben bei Maser, ebd., S. 228-233. 12s Wortlaut bei Listl, ebd., S. 579 ff.; dazu Maser, ebd., S. 233 ff.

590

Konkordate und Kirchenverträge

und die Anzahl der hierfür an den Universitäten Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Passau, Regensburg und Würzburg bestehenden Lehrstühle für Evangelische Theologie endgültig festgelegt. 130 Im Jahre 1974 wurde von berufener evangelischer Seite aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens des Bayerischen Kirchenvertrags erklärt, daß die 50. Wiederkehr des Abschlusses dieses Vertrags Anlaß sei, "mit Genugtuung und Dankbarkeit festzustellen, daß der Freistaat Bayern von seinen Anfängen an bemüht war, nicht nur die überkommene volkskirchliche Stellung der großen Religionsgemeinschaften zu achten, sondern auch gerade der evangelischen Kirche ihr Recht zuteil werden zu lassen" .131

c) Gesamtwürdigung der bayerischen Staatskirchenverträge Eine zusammenfassende Würdigung des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 ergibt, daß dieser unter der maßgeblichen Mitwirkung von Eugenio Pacelli meisterhaft ausgearbeitete und formulierte Vertrag für die Kirche in Bayern eine bis heute bestehende Ordnung des Friedens und der vertrauensvollen und freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche geschaffen hat. Gleiches gilt für den nach dem Modell des Bayerischen Konkordats entwickelten neuen TYPus des Bayerischen Kirchenvertrags. Die Entwicklung der bayerischen Staatskirchenverträge beweist, daß das Staatskirchenvertragssystem keineswegs starr und unbeweglich ist. Die Konkordate und Kirchenverträge sind im Gegenteil bei gutem Willen beider Partner in vorzüglicher Weise geeignet, sich dem ständigen Wandel der kirchlichen, politischen und kulturellen Verhältnisse und Anschauungen anzupassen und auf Dauer eine freiheitliche, friedliche, vertrauensvolle und freundschaftliche Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen zu ermöglichen und sicherzustellen. 132

131

Wortlaut bei Listl, ebd., S. 600 ff. v. Campenhausen, Fünfzig Jahre Bayerischer Kirchenvertrag (Anm. 114),

132

Vgl. Listl, Konkordate und Kirchenverträge. Einleitungsbeitrag, Bd. I

130

s. 426.

(Anm. 2), S. 23.

JOSEPH LISTL

Kirche im freiheitlichen Staat Zweiter Halbband

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Alexander Hollerbach • Josef Isensee • Joseph Listl Wolfgang Losehelder ·Hans Maier · Paul Mikat · Wolfgang Rüfner

Band 25

JOSEPH LISTL

Kirche im freiheitlichen Staat Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht Zweiter Halbband

llerausgegeben von

Josef Isensee und Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees

Duncker & Humblot • Berlin

Schriftleitung der Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen": Prof. Dr. Joseph List!, Lennestraße 15, D-53113 Bonn

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Listl, Joseph: Kirche im freiheitlichen Staat : Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht I Joseph List!. Hrsg. von Josef Isensee und Wolfgang Rüfner in Verbindung mit Wilhelm Rees. - Berlin : Duncker und Humblot. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen ; Bd. 25) ISBN 3-428-08455-1 NE: Isensee, Josef [Hrsg.] ; GT Halbbd. 2 ( 1996)

Alle Rechte vorbehalten

© 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-08455-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes ERSTER HALBBAND Zu Wirkung und wissenschaftlichem Profil von Joseph Listl. Von Josef Isensee und Wolfgang Rüfner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXVII-XXXVI

I. Freiheit der Religion und des Gewissens 1. Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz (1969) ......................................................... .

3-64

2. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland (1980) ................................................. .

65-85

3. Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit (1984) ................................................................. .

86-105

4. Die Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1989) .................... .

106-150

5. Religionsfreiheit (1989) ............................................. .

151-157

6. Das Kruzifix in der Gemeinschaftsschule (1992) ................ .

158-175

7. Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung (1974) ......... .

176-191

8. Gewissen und Gewissensentscheidung im Recht der Kriegsdienstverweigerung (1985) ......................................... .

192-215

9. Verbots- und Auflösungsmöglichkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung (1973) ............................................ .

216-233

ll. Historische Fundamente des deutschen Staatskirchenrechts 10. Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Bonner Grundgesetz (1967) ............ .

237-294

11. Ein Dokumentarwerk zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Rezension der vierbändigen Quellensammlung von Ernst Rudolf Huber - Wolfgang Huber (Hrsg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente des deutschen Staatskirchenrechts (1973; 1976; 1990) ........................... .

295-308

VI

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes

m. Grundstrukturen des Staatskirchenrechts 12. Grundfragen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (1985) ................................................. .

311-335

13. Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Wissenschaftlicher Status und gegenwärtige praktische Bedeutung (1990) ...................................................... .

336-354

14. Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklung von 1989 bis 1994 (1995) ................................................................. .

355-391

15. Staat und Kirche bei Ulrich Scheuner (1903-1981) (1982) ..... .

392-466

IV. Konkordate und Kirchenverträge 16. Konkordate und Kirchenverträge (1987) ......................... .

469-493

17. Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (1989) .... .

494-521

18. Konkordate aus der Sicht des Heiligen Stuhles (1994) ......... .

522-543

19. Die konkordatäre Entwicklung in Bayern von 1817 bis 1988 (1991) ................................................................. .

544-590

ZWEITER HALBBAND V. Kirchenamt und Kirchenloyalität 20. Das Amt in der Kirche (1985) ..................................... ..

593-599

21. Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973 (1975) ................................................................. .

600-609

22. Konkordatslehrstühle (1980) ..................................... ..

610-614

23. Die staatskirchenrechtlichen Implikationen im "Fall Küng" (1980) ................................................................. .

615-620

24. Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (1986) ........................................................... .

621-647

25. Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts in der staatlichen und kirchlichen Rechtsordnung (1989) ................................ .

648-671

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes

VII

VI. Kirchliches Wirken 26. Der Religionsunterricht (1983) .................................... .

675-693

27. Zur polizeilichen Erlaubnispflichtigkeit von Fronleichnamsprozessionen (1976) ................................................. .

694-702

28. Aktuelle Rechtsfragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Religionsfreiheit Theologische Fakultäten - Individuelles kirchliches Dienstund Arbeitsrecht- Kirchliches Besteuerungsrecht (1987) ..... .

703-732

29. Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (1989) ...

733-767

30. Zur Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern (1974) .......................................................... .

768-779

31. Der sozialkritische Imperativ der Kirche. Zu dem Buch "Kirche und Öffentlichkeit" von Wolfgang Huber (1975) ............ .

780-787

32. Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (1989) ............... .

788-812

Vll. Kirchenorganisation 33. Plenarkonzil und Bischofskonferenz (1983) ..................... .

815-841

34. Die Bistumsgrenzen in Deutschland. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung (1990) ........................................................... .

842-862

35. Die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription im wiedervereinten Deutschland (1992) ..................................... .

863-885

36. Die Besetzung der Bischofsstühle. Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland (1991) ........................... .

886-917

37. Die Ordensgemeinschaften und ihre Angehörigen in der staatlichen Rechtsordnung (1994) ...................................... .

918-941

Vlll. Staat und Kirche im katholischen Verständnis 38. Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche (1987) ............................................................ .

945-956

39. Der Staat nach katholischem Verständnis (1987) ............... .

957-967

40. Staat und Kirche in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1974) ....................................................... .

968-988

VIII

Inhaltsübersicht des Gesamtbandes

41. Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des lus Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

989-1031

42. Die Aussagen des Codex luris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1032-1058

IX. Grundlagen des katholischen Kirchenrechts 43. Codex luris Canonici (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1061-1066

44. Die Quellen des katholischen Kirchenrechts (1987)......... .. . . .

1067-1069

X. Geschichtliche Exempel 45. Der Wandel vom christenverfolgenden zum ketzerverfolgenden spätantiken römischen Staat. Kirche und Staat bei Bischof Optatus von Mileve (1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1073-1099

46. Leben und Werk des Kirchenrechtslehrers und Zentrumspolitikers Prälat Ludwig Kaas (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1100-1122

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers..............

1123-1136

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1137-1148

Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1149-1173

Inhaltsverzeichnis ZWEITER HALBBAND V.

Kirchenamt und Kirchenloyalität 20. Das Amt in der Kirche (1985) ...................................... .

593-599

I. Ekklesiologische Bedeutung des Kirchenamtes S. 593. - li. Das Kirchenamt im kanonischen Recht (cc. 145-196 CIC) S. 594. - III. Verschiedene Arten der kirchlichen Ämter S. 595. -IV. Errichtung, Veränderung und Aufhebung kirchlicher Ämter S. 596.- V. Verleihung des Kirchenamtes S. 596.- VI. Amtserledigung (Verlust des Kirchenamtes) S. 598. - VII. Mitwirkung des Staates S. 598 21. Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973 (1975) ................................................................. .

600-609

I. Die Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Reichskonkordat S. 601. - li. Die Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit den Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts S. 606. III. Die Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland S. 607. -IV. Zusammenfassung S. 609 22. Konkordatslehrstühle (1990) ...................... . ............... .

610-614

23. Die staatskirchenrechtlichen Implikationen im "Fall Küng" (1980) ................................................................. .

615-620

I. Konkordatsbestimmungen S. 615.- II. Die Rechtsfolgen der konkordatären Beanstandung S. 617. - III. Die Freiheit der Theologie S. 618.- IV. Ein Kirche-Staat-Verhältnis S. 619 24. Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (1986) ........................................................... . I. Vorbemerkungen: 1. Statistische Angaben S. 621. - 2. Der besondere Rechtscharakter des kirchlichen Dienstes S. 622. -

621-647

X

Inhaltsverzeichnis II. Das individuelle kirchliche Arbeitsrecht S. 625. - 1. Die "Anstreicher-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts vom 31. 1. 1956 S. 627. - 2. Die "Kindergärtnerin-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts vom 25. April1978 S. 630.- 3. Standesamtliche Eheschließung der Leiterin eines katholischen Pfarrkindergartens mit einem von seinen Ordensgelübden und priesterlichen Verpflichtungen nicht entbundenen KapuzinerpaterS. 632.-4. Kirchenaustritt einer Fachlehrerin für Textilgestaltung und Gymnastik an einer katholischen Klosterschule S. 632. - 5. Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe durch eine an einem Missions-Gymnasium angestellte Fachlehrerin für Mathematik und Geographie als KündigungsgrundS. 633.- 6. Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe durch eine geschiedene Stenotypistin eines Diözesan-Caritasverbandes S. 633. - 7. Verletzung der einem an einem katholischen Krankenhaus angestellten Assistenzarzt obliegenden Loyalitätspflichten S. 636. - 8. Kirchenaustritt eines an einem in der Trägerschaft einer katholischen Ordensgemeinschaft stehenden Lehrlingsheim angestellten Buchhalters S. 637.-9. Im außerdienstlichen Bereich ausgeübte homosexuelle Praxis eines im Dienst des Diakonischen Werks einer evangelischen Landeskirche stehenden, im Bereich der Konfliktberatung (Familienhilfe) tätigen Arbeitnehmers S. 637. 10. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 S. 638. - III. Das kollektive kirchliche Dienstund Arbeitsrecht: 1. Der Begriff einer karitativ-kirchlichen Einrichtung im Sinne des § 118 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes S. 642. - 2. Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu kirchlichen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung S. 644

25. Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts in der staatlichen und kirchlichen Rechtsordnung (1989) ................................ . I. Kirchenzugehörigkeit und Kirchenaustritt in der staatlichen Rechtsordnung S. 648. - II. Die Minderung der innerkirchlichen Rechtsstellung als Folge der Erklärung des Kirchenaustritts: 1. Suspension der Aktivrechte innerhalb der Kirche S. 650. - 2. Die Minderung der Rechtsstellung des aus der Kirche ausgetretenen Gläubigen im Lichte der Bestimmungen des Codex Iuris Canonici über die Pflichten und Rechte der Gläubigen S. 651.- 111. Die Auswirkungen der Erklärung des Kirchenaustritts im kirchlichen Eherecht: 1. Statusrechtliche Folgen des durch eine formelle Erklärung geschehenen Abfalls von der Kirche im Bereich des Eherechts S. 654. - 2. Der Begriff des "actus formalis" in den Bestimmungen des Eherechts des Codex Iuris Canonici von 1983 S. 655. - 3. Die Erklärung des Kirchenaustritts als "actus formalis" im Sinne der Bestimmungen des Eherechts des Codex luris Canonici von 1983 S. 657.- IV. Der Kirchenaustritt als kirchliche Straftat S. 667. - V. Die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses für den aus der Kirche Ausgetretenen S. 670.- VI. Die Erklärung der Diözesanbischöfe der Bundesrepublik Deutschland vom Dezember 1969 zu Fragen des kirchlichen Finanzwesens S. 671

648-671

Inhaltsverzeichnis

XI

VI. Kirchliches Wirken 26. Der Religionsunterricht (1983) .................................... .

675-693

I. Die Bestimmungen des Codex Iuris Canonici von 1983 über die Erteilung des Religionsunterrichts S. 675.- II. Die Bestimmungen der staatlichen Rechtsordnung über den schulischen Religionsunterricht: 1. Der Religionsunterricht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland S. 679. - 2. Der Religionsunterricht in Österreich S. 680. - 3. Der Religionsunterricht in der Schweiz S. 681. - 111. Das innerkirchlich-theologisch-pädagogische Verständnis des katholischen schulischen Religionsunterrichts: 1. Der Religionsunterricht als schulisches FachS. 682.-2. Die Ziele des Religionsunterrichts in den Stellungnahmen der Deutschen Bischofskonferenz S. 686. - 3. Der Synodenbeschluß "Der Religionsunterricht in der Schule" S. 688. - 4. Die kirchliche Lehrbeauftragung für die Erteilung des Religionsunterrichts (Missio canonica) S.692 27. Zur polizeilichen Erlaubnispflichtigkeit von Fronleichnamsprozessionen ( 1976) ................................................ .

694-702

I. Prozessionen als Religionsausübung S. 694. - II. Rechtsgrundlagen der Fronleichnamsprozession: 1. Das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (VersammlungsG) S. 696. - 2. Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) S. 698. - III. Ergebnis s. 702 28. Aktuelle Rechtsfragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Religionsfreiheit Theologische Fakultäten - Individuelles kirchliches Dienstund Arbeitsrecht- Kirchliches Besteuerungsrecht (1987) ..... . I. Das System der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland im allgemeinen: 1. Das Grundverhältnis zwischen dem Staat und den Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland S. 703. - 2. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts S. 707.- 3. Der rechtliche Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften S. 709. - 4. Die Fortentwicklung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland durch die RechtsprechungS. 710.- 5. Der gegenwärtige Stand der Staatskirchenrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland S. 713. - II. Besondere Einzelsachbereiche des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland: 1. Der Religionsunterricht als ordentliches LehrfachS. 716.- 2. Die Theologischen Fakultäten S. 720.- 3. Das individuelle und kollektive kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht S. 723. - 4. Das Kirchensteuerwesen in der Bundesrepublik DeutschlandS. 728

703-732

XII

Inhaltsverzeichnis

29. Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (1989) ...

733-767

I. Die Rechtsgrundlagen des kirchlichen Besteuerungsrechts. Die Bedeutung der Rechtsprechung zum Kirchensteuerrecht: 1. Das kirchliche Besteuerungsrecht als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche S. 733. - Die Bedeutung der Rechtsprechung auf dem Gebiete des kirchlichen Besteuerungsrechts S. 735.- II. Beginn und Beendigung der Kirchensteuerpflicht: 1. Beginn der Kirchensteuerpflicht S. 736. - 2. Beendigung der Kirchensteuerpflicht durch Erklärung des Kirchenaustritts S. 741.- 3. Die Angabe der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte S. 744. - 4. Diskrepanz zwischen kanonischem Eherecht und staatlichem KirchensteuerrechtS. 745.- III. Das kirchliche Besteuerungsrecht bei konfessions-und glaubensverschiedenen Ehen: 1. Das kirchliche Besteuerungsrecht bei konfessionsverschiedenen Ehen S. 746. -2. Das kirchliche Besteuerungsrecht bei glaubensverschiedenen Ehen S. 747. - IV. Kirchensteuerarten: 1. Kirchensteuer vom EinkommenS. 751. - 2. Allgemeines Kirchgeld als Ortskirchensteuer S. 753.- 3. Kirchengrundsteuer S. 754.- 4. Kirchengewerbesteuer S. 755.- V. Kirchenlohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber: 1. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs S. 756. - 2. Betriebsstätten- und Wohnsitzbesteuerung S. 758. - VI. Kirchensteuererhebungsverfahren und Kirchensteuerverwendung: 1. Gesetzmäßigkeit der Kirchensteuerbeschlüsse S. 759.- 2. Verwendung der Kirchensteuer S. 760.- 3. Höchstbetragsbegrenzung ("Kappung") der Kirchensteuer S. 761. - 4. Gemeinsamer Kirchensteuerfonds in Niedersachsen S. 762. - 5. Die Zwölftelung der Kircheneinkommensteuer bei Kirchenaustritten S. 762.- 6. Entlastungsbeträge für Kinder gemäߧ 51 a EStG S. 763.- 7. Pauschalierung der Kirchensteuer S. 764- 8. Kirchensteuererstattung S. 765. - VII. Rechtswegfragen und Rechtsmittel: 1. Rechtswegfragen S. 765.-2. RechtsmittelS. 766 30. Zur Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern (1974) .......................................................... .

768-779

I. Auskunfts- und Beurkundungspflichten aus Kirchenbüchern nach kanonischem Recht S. 768. - II. Auskunfts- und Beurkundungspflichten über Eintragungen in Kirchenbüchern aus der Zeit vor Einführung des staatlichen Personenstandswesens S. 772.- III. Zusammenfassung S. 779 31. Der sozialkritische Imperativ der Kirche. Zu dem Buch "Kirche und Öffentlichkeit" von Wolfgang Huber (1975) ............ .

780-787

32. Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit (1989) ............... .

788-812

I. Problemstellung S. 788. - II. Zuständigkeit und Grenzen staatlicher Gerichtsbarkeit in kirchlichen Angelegenheiten: 1. Die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts S. 789. - 2. Die der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegenden kirchlichen Angelegenheiten S. 794. - 3. Die innerkirchlichen Angelegenheiten

Inhaltsverzeichnis

XIII

S. 798. - 111. Das Amtsrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten: 1. Das kirchliche Amtsrecht und das Dienstrecht der Geistlichen als innerkirchliche Angelegenheit S. 801. - 2. Keine Aufspaltung des geistlichen Amtes in ein "geistliches Amtsverhältnis" und in ein "weltliches Dienstverhältnis" S. 804. - 3. Zuständigkeit staatlicher Gerichte kraft kirchlicher Zuweisung S. 805. - 4. Geltung elementarer staatlicher verfassungsrechtlicher Grundsätze im kirchlichen Bereich? S. 807. - Iv. Neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtjustiziabilität rein kirchlicher Maßnahmen und Entscheidungen durch staatliche Gerichte S. 809. -V. Zusammenfassende FeststellungS. 811

vn. Kirchenorganisation 33. Plenarkonzil und Bischofskonferenz (1983) ..................... .

815-841

I. Das Plenarkonzil: 1. Überdiözesane Gliederungen und Institutionen S. 815. - 2. Die Kirchenregion als Zusammenschluß benachbarter Kirchenprovinzen S. 816.- 3. Das Plenarkonzil S. 818.- II. Die Bischofskonferenz: 1. Die Neuordnung der Bischofskonferenzen durch das Zweite Vatikanische Konzil S. 819. - 2. Die Organisationsstruktur und Arbeitsweise der Bischofskonferenz nach dem CIC vom 25. 1. 1983 S. 822. - 3. Der Rechtsstatus der Bischofskonferenz S. 825.- 4. Die Einzelkompetenzen der Bischofskonferenz S. 826.-111. Die Bischofskonferenzen im deutschen Sprachgebiet: 1. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Verband der Diözesen Deutschlands S. 836. - 2. Die Berliner Bischofskonferenz S. 839. - 3. Die Österreichische Bischofskonferenz S. 840. - 4. Die Schweizer Bischofskonferenz S. 841 34. Die Bistumsgrenzen in Deutschland. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung (1990) .......................................................... .

I. Die historischen Grundlagen der gegenwärtigen Diözesanzirkumskription in Deutschland: 1. Bayerisches Konkordat vom 5. 6. 1817 S. 843. - 2. Die Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16. 70. 1821 für Preußen S. 844. - 3. Oberrheinische Kirchenprovinz S. 845.- 4. Königreich HannoverS. 845. - 5. Bistum Meißen S. 845. - 6. Bayerisches Konkordat vom 29. 3. 1924 S. 846. - 7. Preußisches Konkordat vom 14. 6. 1929 S. 846. - 8. Errichtung des Bistums EssenS. 846. 9. Niedersächsisches Konkordat vom 26. 2. 1965 S. 847. - 10. Reichskonkordat vom 20. 7. 1933 S. 847. - II. Die Diskussion über eine zeitgemäße Umschreibung der Grenzen der deutschen Diözesen auf der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg (1971-1975): 1. Die Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils S. 848. -

842-862

XIV

Inhaltsverzeichnis

2. Die Änderungsvorschläge der Würzburger Synode zur Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik DeutschlandS. 850.-3. Die heutige Beurteilung der Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland S. 855. III. Die Diözesen und kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik: 1. Vorläufiger Charakter der Diözesanzirkumskription in der Deutschen Demokratischen Republik S. 857.- 2. Zur Frage der Fortgeltung des Reichskonkordats und des Preußischen Konkordats auf dem Gebiete der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik S. 860 35. Die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription im wiedervereinten Deutschland (1992) ..................................... .

863-885

I. Die Kirche nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems in der früheren Deutschen Demokratischen Republik S. 863. - II. Die Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Wiener Kongreß vom Jahre 1815: 1. Bayerisches Konkordat vom 5. Juni 1817 S. 866. - 2. Die Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16. Juli 1821 für Preußen S. 867. - 3. Die Errichtung der Oberrheinischen Kirchenprovinz durch die Bulle "Provida solersque" vom 16. August 1821 S. 867.-4. Königreich Hannover: Zirkumskriptionsbulle "Impensa Rarnanorum Pontificum" vom 26. März 1824 S. 868. - 5. Errichtung des Bistums Meißen durch die Apostolische Konstitution "Sollicitudo omnium Ecclesiarum" vom 24. Juni 1921 S. 868. - 6. Bayerisches Konkordat vom 29. März 1924 S. 869. - 7. Preußisches Konkordat vom 14. Juni 1929 S. 869. - 8. Errichtung des Bistums Essen aufgrund des Vertrags vom 19. Dezember 1956 S. 870.- 9. Niedersächsisches Konkordat vom 26. Februar 1965 S. 870. - 10. Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 S. 871. - III. Die rechtliche Lage der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke in der früheren Sowjetischen Besatzungszone bzw. in der früheren Deutschen Demokratischen Republik bzw. in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland S. 872. - IV. Die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription nach der Wiedervereinigung Deutschlands: 1. Grundsätzliche Überlegungen über die Neuordnung der Diözesanorganisation nach der "Wende" S. 878.-2. Römische "Vorgaben" für die Neuumschreibung der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland S. 879. - 3. "Maximallösung", "Minimallösung" oder "Moderat-Lösung" S. 880. - 4. Konkrete Lösungsvorschläge der Deutschen Bischofskonferenz S. 882. - 5. Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz vom März 1992 S. 884 36. Die Besetzung der Bischofsstühle. Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland (1991) ........................... . I. Das Bischofsernennungsrecht nach den Bestimmungen des Kirchlichen Gesetzbuchs (Codex Iuris Canonici) vom 25. Januar 1983: 1. Form der Bischofsbestellung S. 887.-2. Kanonische

886-917

Inhaltsverzeichnis

XV

Eignung der Kandidaten für das Bischofsamt S. 890. - II. Das Verfahren bei der Besetzung der Bischofsstühle in Deutschland: 1. Bayerisches Konkordat (Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern) vom 29. 3. 1924 S. 891.- 2. Das Preußische Konkordat (Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl nebst Schlußprotokoll) vom 14. Juni 1929 S. 894. - 3. Das Badische Konkordat (Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaate Baden) vom 12. Oktober 1932 S. 904. - 4. Das Reichskonkordat (Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich) vom 20. Juli 1933 S. 904. - III. Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Wiederbesetzung des Kölner Erzbischöflichen Stuhls: 1. Die Änderung der Statuten des Kölner Metropolitankapitels S. 905. - 2. Zur Frage einer einvernehmlichen Lösung durch die Konkordatspartner S. 908. - 3. Die rechtliche Lösung der Konkordatsprobleme bei der Wiederbesetzung des Erzbischöflichen Stuhles in KölnS. 916 37. Die Ordensgemeinschaften und ihre Angehörigen in der staatlichen Rechtsordnung (1994) ...................................... .

918-941

Vorbemerkung S. 918. - I. Die Ordensgemeinschaften im innerkirchlichen Recht und im Staatskirchenrecht: 1. Die Ordensgemeinschaften im innerkirchlichen RechtS. 919.- 2. Die Ordensgemeinschaften im Staatskirchenrecht S. 922. - II. Rechtsstellung der Ordensgemeinschaften: 1. Rechtsfähigkeit S. 924. - 2. Gründungs- und Niederlassungsfreiheit. Vermögensgarantie. Selbstbestimmungsrecht S. 928. - 3. Betätigungsfreiheit S. 929. - 4. Staatspolitische Sonderbestimmungen für Ordensangehörige S. 931.- 5. Strafrechtlicher Schutz gegen den Mißbrauch des Ordenskleides S. 932. - 111. Die Rechtsstellung der einzelnen Ordensangehörigen: 1. Keine Beschränkung des rechtlichen Status des einzelnen Ordensangehörigen S. 933. - 2. Tätigkeiten von Ordensangehörigen aufgrund von Gestellungsverträgen S. 935. - 3. Sozialversicherungsrechtliche Stellung von Ordensangehörigen S. 936

vm. Staat und Kirche im katholischen Verständnis 38. Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche (1987) ............................................................ .

I. Zur Entwicklungsgeschichte der katholischen Lehre über die Kirche (Ekklesiologie) S. 945. - II. Aussagen über das Wesen der Kirche: 1. Die Kirche als Mysterium und Gegenstand des Glaubens S. 947.-2. Die Kirche als das neue Volk Gottes S. 949. - 3. Die Kirche als hierarchisch verfaßtes Gottesvolk S. 951. - 4. Zum Verhältnis von Kirche und Welt S. 955. - 111. Literatur S. 956

945-956

XVI

Inhaltsverzeichnis

39. Der Staat nach katholischem Verständnis (1987)

957-967

I. Das Selbstverständnis der katholischen Staatslehre S. 957.II. Der Ursprung des Staates S. 960.- III. Die Verwirklichung des Gemeinwohls als Aufgabe des Staates S. 962.- IV. Der hohe Rang des Subsidiaritätsprinzips S. 964. -V. Literatur S. 966 40. Staat und Kirche in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1974) ....................................................... .

968-988

I. Das Grundrecht der Religionsfreiheit als Fundament der neuen Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche S. 969. - II. Die Anerkennung des religiös-neutralen Charakters des Staates S. 974. - III. Der Auftrag der Kirche in der freiheitlichen Demokratie S. 980. -IV. Zusammenfassung S. 987 41. Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1991) .......................................... .

989-1031

I. Das Verhältnis von Kirche und Staat in den Dekreten und Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils: 1. Die Vielzahl konvergierender Konzilsaussagen zum Verhältnis von Kirche und staatlicher Gewalt S. 989. - 2. Identität von geistgewirkter Gemeinschaft und rechtlicher Institution S. 992.-3. Wesensmäßige Verschiedenheit von Kirche und StaatS. 995.4. Eigenständigkeit der kirchlichen gegenüber der staatlichen Gewalt 997.-5. Kontinuität der Konzilsaussagen zur früheren kirchlichen Lehre zum Verhältnis von Kirche und Staat S. 999. - II. Entstehungsgeschichte und sachlicher Gehalt der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta: 1. Die Entstehung der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum S. 1000. - 2. Der Wesensgehalt der societas-perfecta-Lehre S. 1000. - 3. Die Ausprägung der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta im Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 S. 1002. - IV. Zusammenfassung S. 1014.- III. Mißverständnisse im Hinblick auf die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta: 1. Die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta keine moderne Zweischwerterlehre S. 1014.- 2. Die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta keine sozialphilosophische, sondern eine theologische Doktrin S. 1017. - 3. Das Ius Publicum Ecclesiasticum und die societas-perfecta-Lehre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil S. 1022. -IV. Die unverminderte Aktualität und die praktische Bedeutung des Ius Publicum Ecclesiasticum: 1. Gemeinsame Bezugsebene der kirchlichen und der staatlichen Rechtsordnung S. 1025. - 2. Spirituelle Souveränität der Kirche S. 1027. - 3. Unverminderte Aktualität des Ius Publicum Ecclesiasticum S. 1028.- 4. Zusammenfassung 1030 42. Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Codex Iuris Canonici von 1983 S. 1032. - II. Der Begriff der Kirche im Codex Iuris Canonici S. 1036. - III. Göttliches

1032-1058

Inhaltsverzeichnis

xvn

und rein kirchliches RechtS. 1040.- :rv. Die einzelnen Aussagen des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis von Kirche und Staat: 1. Der Konkordatsvorbehalt des can. 3 CIC S. 1041. - 2. Bestimmungen des Codex luris Canonici zum Verfassungsrecht der Kirche S. 1042.- 3. Der Auftrag der Kirche zur Glaubensverkündigung S. 1047.-4. Kirche und Schule S. 1048.- 5. Eherecht S. 1049. - 6. Kirchenvermögensrecht S. 1051. - 7. Kirchliches Strafrecht S. 1053. - 8. Die Rechtsprechungsgewalt der Kirche S. 1055.- V. Schlußbemerkungen S. 1055

IX.

Grundlagen des katholischen Kirchenrechts 43. Codex luris Canonici (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1061-1066

I. Promulgation und Geltungsbereich S. 1061. - II. Entstehungsgeschichte und Vorarbeiten S. 1061. - III. Die theologischen Grundlagen des CIC S. 1062.- IV. Inhaltliche Vorgaben für die Reform S. 1063. - V. Systematik und Sprache des CIC S. 1064. -VI. Die neuen Inhalte des CIC von 1983 S. 1065. VII. Veröffentlichung und Ausgaben S. 1066.- VIII. Authentische InterpretationS. 1066.- Literatur S. 1066 44. Die Quellen des katholischen Kirchenrechts (1987) . . . . . . . . . . . . . .

1067-1069

I. Materielle Kirchenrechtsquellen: 1. Göttliche Gesetzgebung S. 1067. - 2. Kirchliche GesetzgebungS. 1068. - II. Formelle Kirchenrechtsquellen S. 1069.- III. Literatur S. 1069

X. Geschichtliche Exempel 45. Der Wandel vom christenverfolgenden zum ketzerverfolgen:den spätantiken römischen Staat. Kirche und Staat bei Bischof Optatus von Mileve (1994) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kirche und Staat nach der Konstantinischen Wende: 1. Die fortbestehenden religiösen Grundlagen des römischen Staates S. 1073.-2. Kaiser Konstantin als Schiedsrichter in der donatistischen Kirchenspaltung S. 1074.- 3. Der theologische Hintergrund und die Entwicklung des donatistischen Schismas S. 1077.- 4. Die Donatisten als Staatsfeinde S. 1081.- 5. Bischof Optatus von Mileve als Wortführer der katholischen Bischöfe Nordafrikas S. 1085.- 6. Kirche und Staat bei Optatus von Mileve S. 1088.- II. Die Überwindung des donatistischen Schismas. Das Einschreiten des Staates gegen die Donatisten: 1. Der geschichtliche Verlauf der Beendigung des Schismas

1073-1099

XVIII

Inhaltsverzeichnis

S. 1091. - 2. Die Beurteilung der Zulässigkeit des staatlichen Einschreitens gegen Häretiker bei Optatus von Mileve S. 1094. - 3. Die Inanspruchnahme der Staatsgewalt durch die Kirche gegen die Häretiker bei Augustinus S. 1096 46. Leben und Werk des Kirchenrechtslehrers und Zentrumspolitikers Prälat Ludwig Kaas (1985) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1100-1122

Vorbemerkung: Der Schwierigkeitsgrad einer Gesamtdarstellung des Lebenswerkes von Ludwig Kaas S. 1100.- I. Theologische und kanonistische Studien in Rom. S. 1101. - II. Die Beziehungen zu Ulrich Stutz und zum Apostolischen Nuntius Pacelli S. 1103.- III. Die Stellung von Kaas zur Weimarer Republik S. 1106. -IV. Kaas als Politiker im Deutschen Reichstag S. 1107.- V. Kaas als Politiker der Deutschen Zentrumspartei S. 1112. - VI. Die politische Tätigkeit von Kaas im Schatten der anwachsenden NSDAP S. 1113.- VII. Die römischen Jahre von Kaas (1933-1952) S. 1117. - VIII. Gesamtwürdigung der Persönlichkeit von Kaas S. 1118. -Abschließende Bewertung s. 1120 Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers..............

1123-1136

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1137-1148

Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1149-1173

Abkürzungsverzeichnis AAS ABI. ADB AfkKR, ArchkathKR AG ALR Anm. AnzkathGeist AöR AP Apk ArbG ArchKathKR Art.

ASS Aufl. AVG BadK Bad.-Württ.Verf. BAG BAGE BayEUG BayK BayKiStG BayVBl. BayVerf., BV BayVerfGH BayVerfGHE BayVGH BB Bd(e). BFH

Acta Apostolicae Sedis Amtsblatt Allgemeine Deutsche Biographie Archiv für katholisches Kirchenrecht Amtsgericht Allgemeines Landrecht Anmerkung Anzeiger für die katholische Geistlichkeit Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Apokalypse Arbeitsgericht s.AfkKR Artikel Acta Sanctae Sedis Auflage Angestelltenversicherungsgesetz Badisches Konkordat Verfassung des Landes Baden-Württemberg Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen Bayerisches Konkordat Bayerisches Kirchensteuergesetz Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Der Betriebs-Berater Band, Bände Bundesfinanzhof

XX BFHE BGB BGBL BGH BGHZ BRRG BSGE BV BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BVG c., can. cc. CCEO CD, VatiiCD

Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Beamtenrechtsrahmengesetz Entscheidungen des Bundessozialgerichts Verfassung des Freistaates Bayern (amtliche Abkürzung in Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Betriebsverfassungsgesetz

csu

canon canones Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium Vaticanum II, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" (AAS 58 [1966], s. 673-696) Christlich Demokratische Union Codex Iuris Canonici Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Christlich Soziale Union

DB DDP DDR DNVP DÖV DOK DP DtZ DVBL DZP

DerBetrieb Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutschnationale Volkspartei Die Öffentliche Verwaltung Deutsch-schweizerische Ordinarienkonferenz Deutsche Partei Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zentrumspartei

ebd. EFG EGBGB

eben da Entscheidungen der Finanzgerichte Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

CDU CIC CSEL

Abkürzungsverzeichnis

EKD EKMR Eph Erl. ESVGH

EuGRZ e.V. EvStL 1

Evangelische Kirche in Deutschland Europäische Kommission für Menschenrechte Brief an die Epheser Erläuterung Entscheidungssammlung des Hessischen und des Württembergisch-Badischen Verwaltungsgerichtshofs Europäische Grundrechte-Zeitschrift eingetragener Verein Evangelisches Staatslexikon. 1. Aufl., hrsg. von Hermann Kunst und Siegfried Grundmann in Verbindung mit Wilhelm Schneemelcher und Roman Herzog. Stuttgart, Berlin 1966 Evangelisches Staatslexikon. 3. Aufl., hrsg. von Roman Herzog, Hermann Kunst, Klaus Schlaich, Wilhelm Schneemelcher. 2 Bde., Stuttgart 1987

FamRZ FAZ FDP FG Frhr.

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Finanzgericht Freiherr

G

Gesetz Grundbuchordnung gezeichnet Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetzsammlung Gesetz- und Verordnungsblatt

GBO gez. GG GRUR GS GVBL HdbBayStKirchR HdbDStR HdbKathKR HdbStKirchR1

XXI

Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts. Von Otto J. Voll unter Mitwirkung von Johann Störle, München 1985 Handbuch des Deutschen Staatsrechts. Hrsg. von Gerhard Anschütz und Richard Thoma. 2 Bde., Tübingen 1930-1932 Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz. Regensburg 1983 Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 1. Aufl., hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl. 2 Bde., Berlin 1974/1975

XXII HdbStKirchR2 HessStGH Hess.Verf. h.M. HRG Hrsg. HStR

Abkürzungsverzeichnis Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl., hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pirson. 2 Bde., Berlin 1994/1995 Hessischer Staatsgerichtshof Hessische Verfassung herrschende Meinung Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann. Berlin 1971 ff. Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Josef lsensee und Faul Kirchhof. Heidelberg 1987 ff.

i.d.F.d.B. IKZ Communio i.V.m.

in der Fassung der Bekanntmachung Internationale Katholische Zeitschrift "Communio" in Verbindung mit

Jhg. JMBl. JöR Joh Jur. Diss. JuS JZ

Jahrgang Justizministerialblatt Jahrbuch des öffentlichen Rechts Johannesevangelium Juristische Dissertation Juristische Schulung Juristenzeitung

Kanz. Kat.Bl. KDVG KDVNG

Kirchlicher Anzeiger Katechetische Blätter Kriegsdienstverweigerungsgesetz Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz) vom 28. 2. 1983 Kammergericht Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kosten-, Stempel- und Strafsachen Entscheidungen in Kirchensachen Katholische Nachrichten-Agentur Kündigungsschutzgesetz Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

KG KGJ KirchE KNA

KSchG KSZE LAG LEF

Landesarbeitsgericht Lex Ecclesiae Fundamentalis

Abkürzungsverzeichnis

LG LG Lk LKV

LS L.S. LThK LThK2 -Konzilskommentar

MDR Mk Mosiek Verf. MP Ms. Mt m.w.N. NDB N.F.

NiedersK NJW

NKD NS NSDAP NVwZ NWVBL NWVerf.

Ochoa ÖArchKR ÖKI

XXIII

Landgericht Vaticanum II, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" (AAS 57 [1965], S. 5-75) Lukasevangelium Landes- und Kommunalverwaltung. Verwaltungsrechts-Zeitschrift für die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Leitsatz Locus sigilli Lexikon für Theologie und Kirche Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Aufl., Das Zweite Vatikanische Konzil - Dokumente und Kommentare. 3 Bde. Freiburg i.Br., Basel, Wien 1967/1968 Monatsschrift für Deutsches Recht Markusevangelium Ulrich Mosiek, Verfassungsrecht der Lateinischen Kirche. 3 Bde., Freiburgi.Br. 1975-1978 Motuproprio Manuskript Matthäusevangelium mit weiteren Nachweisen Neue Deutsche Biographie NeueFolge Niedersächsisches Konkordat Neue Juristische Wochenschrift Nachkonziliare Dokumentation, Bd. 1-39 und 41-58, Trier 1967-1977 Nationalsozialismus, nationalsozialistisch(e, er, es) Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht N ordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Xaverius Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris Canonici editae (1917-1985), Bd. I-VI, Roma 1966-1987 Österreichisches Archiv für Kirchenrecht Ökumenische Informationen (Informationsdienst der KNA)

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

OLG OVG OWiG

Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr ohne Jahr Ordenskorrespondenz Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PerRMCL Phil.-hist. Klasse PrALR PStG P.U.C.E.

Periodica de re morali canonica liturgica, Roma 1905 ff. philosophisch-historische Klasse Preußisches Allgemeines Landrecht Personenstandsgesetz Pontificia Universidad Cat6lica del Ecuador

RdA

Recht der Arbeit Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 Randnummer Reichsgesetzblatt Die Religion in Geschichte und Gegenwart Verfassung für Rheinland-Pfalz Reichskonkordat Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 Römerbrief Rentenreformgesetz Religionsunterrichtsgesetz (Österreich) Reichsversicherungsordnung Randziffer

ÖTV

o.J.

OK

RDHS Rdnr. RGBl. RGG Rhein!.-PfalzVerf. RK RKEG Röm RRG RUG RVO Rz.

s. Saarl.Verf. SCCausSS SCFid Schema PopDei SED SGB S.J.

SKZ Sp. SPD

Seite; Sanctus Verfassung des Saarlandes Sacra Congregatio pro Causis Sanctorum Sacra Congregatio pro Doctrina Fidei Schema canonum libri II de Populo Dei, TYP- Pol. Vat. 1977 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialgesetzbuch Societas Jesu Schweizerische Kirchenzeitung, Luzern 1832 ff. Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Abkürzungsverzeichnis StAZ StdZ StGB StL StL7 StVO

sz

XXV

Zeitschrift für das Standesamtswesen Stimmen der Zeit Strafgesetzbuch Staatslexikon der Görres-Gesellschaft Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7. Aufl., 7 Bde., Freiburg i. Br., Basel, Wien 1985-1993 Straßenverkehrs-Ordnung Süddeutsche Zeitung

Tit. TRE

Titel Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller. Berlin, New York 1977 ff.

UdSSR UNO USA

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Organization United States of America

VatiiCD VDO VELKD

s.CD Vereinigung Deutscher Ordensobern Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Verordnung Vereinigung der Ordensobern der Brüderorden und -kongregationen Vereinigung der Ordensoberinnen Deutschlands volume, volumen Volksschulordnung (Bayern) Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsrechtsprechung Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung

VG VGH

vo

VOB VOD vol.

vso

VSSR VVDStRL VwGO VwRspr. Vwv-StVO WeimRV,WRV WpflÄndG WpflG WRV

Weimarer Reichsverfassung Wehrpflichtänderungsgesetz Wehrpflichtgesetz s. WeimRV

XXVI

ZaöRV ZblJugR ZDG ZEE ZevKR ZGB Ziff. ZPO

ZRG Kan. Abt.

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zivildienstgesetz Zeitschrift für evangelische Ethik Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zivilgesetzbuch (Schweiz) Ziffer Zivilprozeßordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung

V. Kirchenamt und Kirchenloyal ität

Das Amt in der Kirche I. Ekklesiologische Bedeutung des Kirchenamtes Die Amtsfrage, d. h. das Verständnis und die Anerkennung bestimmter kirchlicher Ämter, ist, wie die fundamentalen Unterschiede zwischen dem Amtsverständnis der katholischen Kirche und dem der Kirchen der Reformation zeigen, für die Kirchenverfassung und die Ausübung der kirchlichen Leitungsgewalt von zentraler und konstitutiver Bedeutung. Ekklesiologisch und damit auch kirchenrechtlich schneiden sich in der Amtsfrage, d. h. konkret in der Frage nach dem Papstamt, dem Bischofsamt, der Apostolischen Nachfolge und dem Weihesakrament, alle Linien der kirchentrennenden Glaubensaussagen. Nach dem Schriftverständnis und der Glaubenslehre der katholischen Kirche besteht das von Christus eingesetzte Petrusamt nach dem Willen Christi im Amt des Papstes fort; ebenso findet das von Christus eingesetzte Kollegium der Apostel gemäß dem Willen Christi im Bischofskollegium, dem notwendig immer der Papst als Oberhaupt der universalen Kirche angehört und vorsteht, seine Fortsetzung (II. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 22). Die Ausübung der mit dem Bischofsamt verbundenen Weihegewalt setzt notwendig den Empfang des Weihesakramentes in seiner dreifachen Stufung (Diakonat, Presbyterat, Episkopat) voraus. Auf diesen dogmatischen Grundlagen beruhen die Bestimmungen des kanonischen Rechts über das kirchliche Amterwesen, die in cc. 145-196, 330-341 und 375-430 des Kirchlichen Gesetzbuchs (Codex Iuris Canonici- CIC) vom 25. 1. 1983 ihre Ausprägung erfahren haben. Nach dem ursprünglichen reformatorisch-protestantischen Kirchenverständnis beruht das Kirchenamt nicht auf apostolischer Sukzession und ist auch nicht an den Empfang des Weihesakramentes gebunden; es ist vielmehr mit der Kirche gegeben und besteht in dem in der Kirche notwendig existierenden - im einzelnen unterschiedlich begründeten - Amt der Wortverkündigung und der Sakramentenverwaltung (geistliches Amt), aus dem sich zahlreiche einzelne Dienste der Gemeinde- und Kirchenleitung (z. B. Pfarramt) herleiten.

Der Beitrag ist bisher nicht veröffentlicht. 38 Sbd. List!

594

Kirchenamt und Kirchenloyalität

D. Das Kirchenamt im kanonischen Recht (cc. 145-196 CIC)

1. Amt im weiteren Sinn: Im Anschluß an das II. Vatikanische Konzil versteht der Codex Iuris Canonici unter Kirchenamt (officium ecclesiasticum) in einem formalen und allgemeinen Sinn "jedweden Dienst, der durch göttliche oder kirchliche Anordnung auf Dauer eingerichtet ist und der Wahrnehmung eines geistlichen Zweckes dient" (c. 145 § 1). Unter diesen allgemeinen Amtsbegriff fallen gleichermaßen das Amt des Papstes, des Diözesanbischofs, des Pfarrers, des Pfarrvikars (Kaplans), des Pastoral- und Gemeindereferenten, des Organisten, des Küsters, des Vermögensverwalters und des Ministranten (Meßdieners) u.a. Auch wenn der CIC/1983 im Unterschied zum CIC/1917 nicht mehr zwischen Kirchenamt im weiteren und engeren Sinn unterscheidet, ist diese Differenzierung für das Verständnis des Kirchenamtes unverzichtbar. 2. Das Kirchenamt im engeren Sinn: Das Kirchenamt im engeren Sinn ist eine dauernde und von der Person des Amtsinhabers unabhängige Einrichtung (Institution), die neben der Teilhabe an der in der Kirche kraft göttlicher Weisung bestehenden Leitungsgewalt (potestas regiminis oder iurisdictionis) den Empfang der bischöflichen oder priesterlichen Weihegewalt (potestas ordinis) erfordert. Jeder Amtsträger ist Repräsentant Christi. Das von ihm ausgeübte Kirchenamt besitzt innerhalb der Kirche in erster Linie eine Dienst-, zugleich aber auch eine Ordnungsfunktion. Die Leitungsgewalt der Kirche gliedert sich in die gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt (c. 135 § 1). Sie kann sich auf den äußeren Bereich (forum externum) und/oder auf den inneren Bereich (forum internum) erstrecken. Zur Übernahme solcher Ämter sind nach dem kanonischen Recht nur Kleriker befähigt (c. 129 § 1); bei ihrer Ausübung können auch Laien mitwirken (c. 129 § 2). Laien können von den geistlichen Amtsträgern zu denjenigen Kirchenämtern herangezogen werden, die sie nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts wahrnehmen können (c. 228 § 1), so z. B. als Richter in einem Kollegialgericht (c. 1421 § 2) oder als Vermögensverwalter eines Bistums. Die Frage, in welchem Umfang Laien an der Ausübung der Leitungsgewalt beteiligt werden können, ist theologisch umstritten. Der CIC/1983 läßt sie für die weitere Erörterung und Entwicklung offen. Es ist zu erwarten, daß die Mitwirkung der Laien in dieser Hinsicht in Zukunft eine Erweiterung erfahren wird. Aufgrund göttlicher Weisung bestehen in der Kirche das Amt des Papstes (cc. 331-335) und das Amt des Bischofs (c. 375 § 1). Der Papst und die Bischöfe bilden zusammen das kraft göttlicher Einrichtung bestehende Bischofskollegium (cc. 336-341), das die Fortsetzung des

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Apostelkollegiums darstellt (c. 330). Alle übrigen Ämter in der Kirche bestehen aufgrund kirchlicher Einrichtung. In der in der Neuzeit entwickelten theologischen Lehre von den Ämtern Christi und der Kirche wird zwischen Hirtenamt, Lehramt und Priesteramt unterschieden. Bei diesen sog. "Ämtern" (munera) handelt es sich, worauf zur Vermeidung von Mißverständnissen nachdrücklich aufmerksam zu machen ist, nicht um Kirchenämter im rechtlichen Sinn, sondern vielmehr um Aufgaben und Funktionen der Gesamtkirche als solcher, die ihr als Leitungs-, Verkündigungs- und Heiligungsdienst zur Wahrnehmung übertragen sind (vgl. die Titel des 3. und 4. Buches des CIC/1983 "Der Verkündigungsdienst der Kirche" und "Der Heiligungsdienst der Kirche"),

m. Verschiedene Arten der kirchlichen Ämter 1. Geistliche Vorsteherämter, die von ihren Inhabern im Namen Christi ausgeübt werden (z. B. Papst, Diözesanbischof) und Hilfsämter; zu den Hilfsämtern gehören auch die von ihren Inhabern als Vertreter des Trägers eines geistlichen Vorsteheramtes ausgeübten Ämter (z. B. Generalvikar als Vertreter des Diözesanbischofs).

2. Konsistoriale (vom Papst im Konsistorium verliehene Bischofsund dem Bischofsamt in gewisser Hinsicht gleichgestellte Ämter) und nichtkonsistoriale Ämter. 3. Für eine bestimmte Zeitdauer verliehene und unbefristet übertragene Ämter. 4. Mit Residenzpflicht verbundene Ämter, z. B. Diözesanbischof (c. 395 § 1), Pfarrer (c. 533) und Ämter ohne Residenzpflicht. 5. Ämter, mit denen keine Pfründe (Stellenvermögen) als Einnahmequelle zur Existenzsicherung des Stelleninhabers verbunden ist (officia) und bepfründete Ämter (beneficia). Der historisch bedeutsame Prozeß des allmählichen Abbaus des kirchlichen Benefizialwesens, der in zahlreichen Teilen der Kirche bereits seit längerer Zeit eingesetzt hat, wird durch den CIC/1983 nachhaltig vorangetrieben. C. 1272 verpflichtet die Bischofskonferenzen, das Benefizialwesen in der Weise umzugestalten, daß jedenfalls die Erträge der Pfründen und, soweit möglich, auch deren Stammvermögen (die sog. "das beneficiorum"), auf einen diözesanen Fonds für den Lebensunterhalt der Kleriker übertragen werden. Damit ist das Benefizialwesen gemeinrechtlich abgeschafft und in das Partikularrecht überführt worden. Im Interesse einer einheitlichen Besoldung der Kleriker, insbesondere der Pfarrer, ist diese Bestimmung ein dringliches Gebot der Gerechtigkeit. In den 38•

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deutschsprachigen Ländern ist diese Entwicklung, begünstigt durch das Kirchensteuerwesen, weithin bereits seit längerer Zeit zu einem gewissen Abschluß gekommen. Iv. Errichtung, Veränderung und Aufhebung kirchlicher Ämter

Die kirchenorganisatorisch notwendigen Ämter kirchlichen Ursprungs bedürfen zu ihrer Begründung der von dem zuständigen kirchlichen Gesetzgeber vorzunehmenden Einrichtung (constitutio), d. h. der Umschreibung der mit einem Amt verbundenen Aufgaben und Befugnisse (z. B. Amt des Pfarrers), und der durchden zuständigen kirchlichen Oberen vorzunehmenden Errichtung als juristische Person (erectio in personam iuridicam). Gemäß c. 145 § 2 kann durch Dekret des zuständigen kirchlichen Oberen ein Kirchenamt auch in einem Akt eingerichtet und zugleich übertragen werden. Dem Papst ist die Errichtung der Bischofskonferenzen und der Ämter des Metropoliten, des Diözesanbischofs, des Koadjutor- und des Auxiliarbischofs und der Kathedralkapitel vorbehalten. Dem Diözesanbischof und den ihm rechtlich gleichgestellten Oberhirten steht das Recht zu, grundsätzlich alle Ämter in ihrem Gebiet frei einzurichten bzw. zu errichten. Wer das Recht zur Errichtung von Ämtern besitzt, kann diese auch verändern oder aufheben. Eine juristische Person erlischt durch rechtmäßige Aufhebung seitens der zuständigen Autorität und ferner, wenn sie durch einen Zeitraum von hundert Jahren zu handeln aufgehört hat (c. 120 § 1). V. Verleihung des Kirchenamtes 1. Jedes Kirchenamt kann gültig nur durch kanonische Amtsübertragung (provisio canonica), d. h. die nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts durch den zuständigen kirchlichen Oberen vorgenommene Übertragung des jeweiligen Kirchenamtes, erlangt werden. Jede Amtsübertragung bedarf der Schriftform (c. 156).

2. Bezüglich der Verleihung wird die freie und gebundene Amtsverleihung unterschieden. Eine freie Amtsverleihung liegt vor, wenn die Bezeichnung (Auswahl) der Person und die Übertragung des Kirchenamtes in der Hand des zuständigen verleihungsberechtigten kirchlichen Oberen liegen. Sofern das kanonische Recht nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, ist es Aufgabe des Diözesanbischofs, die Kirchenämter in der eigenen Teilkirche im Wege der freien Amtsübertragung zu besetzen (c. 157). Ist der verleihungsberechtigte Obere bei der Auswahl der Person, der ein Kirchenamt übertragen werden soll, an

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Vorschlagsrechte Dritter gebunden, liegt eine gebundene Amtsverleihung vor. a) Im Falle eines Präsentationsrechts ist die Amtsverleihung an die Befugnis eines oder mehrerer Präsentationsberechtigter gebunden, der verleihungsberechtigten kirchlichen Instanz einen geeigneten Kandidaten für die Besetzung eines erledigten Kirchenamtes vorzuschlagen (cc. 158ff.). Der rechtmäßig Präsentierte hat gegenüber dem zuständigen kirchlichen Oberen einen Rechtsanspruch auf Einsetzung (institutio) in das Kirchenamt (c. 163). Präsentationsrechte beruhen, sofern es sich nicht um Präsentationsbefugnisse von Ordensoberen handelt, in der Regel auf im einzelnen verschieden begründeten historischen Rechtstiteln des Patronatsrechts. Bereits der CIC/1917 hat in c. 1488 die Begründung neuer Patronatsrechte, die das freie Amtsverleihungsrecht des Diözesanbischofs beschränken, verboten. Bestehende Patronatsrechte bleiben jedoch, soweit sie mit Gegenleistungen des Patronatsherrn verbunden sind (sog. "Lastenpatronate"), als "wohlerworbene Rechte" (vgl. c. 4 CIC/1983) weiterhin bestehen. b) Ein Amt kann ferner durch kanonische Wahl (electio canonica) übertragen werden. Hierbei handelt es sich um die Berufung einer geeigneten Person in ein kirchliches Amt durch kollegiale Willensbildung einer dazu berechtigten Personenmehrheit. Dabei bedarf die einfache Wahl keiner Bestätigung (z. B. Wahl des Papstes nach der Apost. Konstitution "Romano Pontifici eligendo" vom 1. 10. 1975, in: AAS 67 (1975), S. 609-645; Wahl des Diözesanadministrators gern. c. 427 § 2). Die bestätigungsbedürftige Wahl (z. B. Wahl des Vorsitzenden eines Kathedral- oder Kollegiatkapitels) bedarf der Bestätigung durch den Diözesanbischof (c. 509 § 1). Mit der Annahme der einfachen Wahl erwirbt der Gewählte sofort das Amt mit allen seinen Rechten; bei der bestätigungsbedürftigen Wahl erlangt er einen Rechtsanspruch auf Übertragung des Amtes (c. 178). c) Eine besondere Form der gebundenen Amtsverleihung stellt die Postulation oder Wahlbitte (postulatio) dar. Hierbei kann das Wahlkollegium mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder den zuständigen Oberen bitten, den gewünschten Kandidaten zum Kirchenamt im Wege eines Gnadenerweises, d. h. ohne Rechtsanspruch, zuzulassen (cc. 180ff.), wenn der Wahl einer Person, die geeigneter als eine andere erscheint, ein kanonisches Hindernis entgegensteht, von dem Dispens (Befreiung) erteilt werden kann und erteilt zu werden pflegt.

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VI. Amtserledigung (Verlust des Kirchenamtes) Ein Kirchenamt wird erledigt- außer durch den Tod des Stelleninhabers - durch den Verlust des geistlichen Standes (c. 292); ferner durch Ablauf der Amtszeit, durch Eintritt in den Ruhestand infolge des Erreichens der Altersgrenze oder aus anderen Gründen, durch Amtsverzicht aus gerechtem Grund, durch Versetzung (translatio), Amtsenthebung (amotio) aufgrundeines von dem zuständigen Oberen rechtmäßig erlassenen Dekrets (c. 192) und durch die als Strafe für ein Delikt erfolgte Absetzung (privatio ab officio gern. c. 196).

VII. Mitwirkung des Staates Als Wesensbestandteil des Grundrechts der Religionsfreiheit fordert der CIC/1983, ebenso wie bereits der CIC/1917, die volle Freiheit der Kirche bei der Verleihung der kirchlichen Ämter. Nach c. 377 § 1 ernennt der Papst die Bischöfe frei oder bestätigt die rechtmäßig Gewählten. Ausdrücklich erklärt c. 377 § 5, daß in Zukunft weltlichen Autoritäten keine Rechte oder Privilegien in bezugauf Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation von Bischöfen eingeräumt werden.

Literatur Zu I: Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium", 3. Kapitel: Die Hierarchische Verfassung der Kirche, insbesondere das bischöfliche Amt, in: AAS 57 (1965), S. 21-36. Deutsche Übersetzung in: LThK2 -Konzilskommentar, Bd. 1, Freiburg i.Br., Basel, Wien 1967, S. 210-259; Ralf Dreier, Das kirchliche Amt. Eine kirchenrechtstheoretische Studie. München 1972 (Lit.); Reform und Anerkennung kirchlicher Ämter. Ein Memorandum der Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Universitätsinstitute. München und Mainz 1973; dazu die ablehnenden Verlautbarungen der deutschen Bischöfe, abgedr. u.a. in: Kirchl. Anzeiger für die Erzdiözese Köln, 113. Jhg. (1973), S. 121-123; Gemeinsame röm.-kath./ev.-luth. Kommission (Hrsg.), Das geistliche Amt in der Kirche. Paderborn und Frankfurt am Main 1981; Kongregation für die Glaubenslehre: Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio vom 28. Mai 1992, in: AAS 85 (1993), S. 838-850. Deutsche Übersetzung in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Heft 107, Bonn 1992. Zu II-VII: Richard A. Strigl, Grundfragen der kirchlichen Ämterorganisation. München 1960 (Lit.); Klaus Mörsdorf, Officium ecclesiasticum. Bemerkungen zu der konziliaren Weisung über das künftige Verständnis des kirchlichen Amtes, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 146 (1977), S. 502-506;

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Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983; darin vor allem § 13 Georg May, Das Kirchenamt, S. 141-153 (Lit.); ferner ebd., § 95 Winfried Schulz, Grundfragen kirchlichen Vennögensrechts, S. 859-880; Winfried Aymans, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex luris Canonici. Aymans-Mörsdorf. Begründet von Eduard Eichmann. Fortgeführt von Klaus Mörsdorf. Neu bearbeitet von Winfried Aymans. Bd. 1: München, Paderborn, Wien, Zürich 1991, S. 445-502, m.w.N.

Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973 In der "Erklärung zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973 wendet sich die Deutsche Bischofskonferenz gegen jede öffentliche Tätigkeit von Priestern "innerhalb einer Partei, für eine Partei sowie für die Wahl einer Partei". Die bloße Mitgliedschaft in einer Partei, sofern es sich nicht um Parteien handelt, die inhumane oder antichristliche Ziele verfolgen, soll durch diese Erklärung "nicht von vornherein" ausgeschlossen werden 1 . Die deutschen Bischöfe berufen sich in ihrer Erklärung auf die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und vor allem auf die Aussagen des Priesterdokuments der Römischen Bischofssynode vom 30. November 1971. In diesem auf die besondere Anweisung von Papst Paul VI. hin veröffentlichten Synodendokument "Über das priesterliche Dienstamt" wird gefordert, daß "die Übernahme einer Führerstellung oder der aktiv militante Einsatz in einer bestimmten politischen Partei" jedem Priester untersagt sein soll, es sei denn, daß das Wohl der Gemeinschaft in bestimmten außergewöhnlichen Fällen ein solches Engagement wirklich verlangte. In diesen Fällen ist die Zustimmung des Bischofs einzuholen, der sich mit dem Priesterrat und erforderlichenfalls auch mit der Bischofskonferenz besprechen wird 2 •

Erstveröffentlichung in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht. Vierteljahresschrift, 26. Jhg. (1975), S. 166-176. 1 Der Wortlaut der "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" ist abgedruckt in den kirchlichen Amtsblättern, u.a. in Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Köln 113 (1973), S. 335; Amtsblatt für das Erzbistum München und Freising 1973, S. 471 ff. Vgl. dazu auch den Bericht "Die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischöfe", in: Herder-Korrespondenz 27 (1973), S. 547 (549). 2 Vgl. den Wortlaut des Synodendokuments "De sacerdotio ministeriali" in: Acta Apostolicae Sedis 63 (1971), S. 897 (913). Deutsche Übersetzung u.a. in: Herder-Korrespondenz 25 (1971), S. 584 (589).

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I. Die Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Reichskonkordat 1. Gegen diese Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz ist vorgetragen worden, daß ihr eine rechtliche Verbindlichkeit deshalb nicht zukommen könne, weil gemäß Art. 32 des Reichskonkordats (RK) vom 20. Juli 1933 (AAS 25 [1933] S. 389; RGBL II S. 679) für Bestimmungen, die die Beschränkung der politischen Tätigkeit von Priestern und Ordensleuten zum Gegenstand haben, der Heil~ge Stuhl ausschließlich

zuständig und deshalb eine Kompetenz der Deutschen Bischofskonferenz auf diesem Gebiete nicht gegeben sei. Art. 32 RK sehe in dieser Hinsicht vor, daß der Heilige Stuhl Bestimmungen erlasse, "die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen". Solche Bestimmungen seien aber vom Heiligen Stuhl bis zum heutigen Tage nicht erlassen worden. Das allgemeine Kirchenrecht hingegen kenne im Ab 7 schnitt über die Pflichten der Geistlichen kein generelles Verbot politischer Betätigung. Da somit die in Art. 32 RK angekündigten Bestimmungen über das Verbot der Mitgliedschaft und der parteipolitischen Betätigung der Geistlichen und Ordensleute durch den Heiligen Stuhl bisher nicht getroffen worden seien und dem allgemeinen Kirchenrecht ein solches Verbot fremd sei, stehe es Priestern und Ordensleuten im Geltungsbereich des Reichskonkordats nach wie vor frei, die Mitgliedschaft in politischen Parteien zu erwerben und sich auch aktiv parteipolitisch zu betätigen. Die Deutsche Bischofskonferenz habe vielmehr mit dem Erlaß ihrer "Erklärung zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" ihre rechtliche Kompetenz in unzulässiger Weise überschritten. Diese Resolution der Deutschen Bischofskonferenz sei deshalb "rechtlich nicht verbindlich" und brauche "deshalb nicht befolgt zu werden" 3 . 3 So Horst Herrmann, Reichkonkordat unterlaufen? Beschluß der Bischöfe rechtlich nicht verbindlich?, in: Publik-Forum Nr. 21. v. 19. Oktober 1973, S. 19. Juristische, theologische und politologische Bedenken gegen die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz erhebt auch Knut Walf, Zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester, in: Frankfurter Hefte 1974, S. 397 ff. Walf mach sich (S. 398) den Standpunkt Herrmanns in der Frage der konkordatsrechtlichen Beurteilung der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu eigen. Die in dieser Erklärung enthaltenen Beschränkungen der staatsbürgerlichen Grundrechte der Priester können nach der Meinung Walfs "ohne Zweifel" "verfassungsrechtlichen Bedenken nicht standhalten". Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz widerspricht nach der Meinung Walfs (S. 399) "strikt den Perspektiven des letzten Konzils, das ausdrücklich eine Pluralität von Meinungen innerhalb der Kirche anerkannt" habe, und erschwere zumindest "die eigentliche Funktion des Theologen, nämlich zur weiteren Entwicklung des Menschen zur Menschlichkeit und damit zur Näherbringung des Bildes Gottes in der Welt beizutragen".

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2. Im folgenden soll untersucht werden, ob auf Grund des objektiven Wortlautes des Art. 32 RK oder der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung und der Konkordatspraxis der Nachkriegszeit gegen die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" begründete rechtliche Bedenken geltend gemacht werden können. a) In Art. 32 RK verpflichtet sich der Heilige Stuhl "auf Grund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse" gegenüber dem Deutschen Reich in einer über die Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts hinausgehenden Weise, Bestimmungen zu erlassen, "die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen." In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß der staatliche Konkordatspartner dem Heiligen Stuhl in dem von Herrmann nicht erwähnten Schlußprotokoll zu Art. 32 RK zusichert, "daß vom Reich bezüglich der

nichtkatholischen Konfessionen gleiche Regelungen betreffend parteipolitische Betätigung veranlaßt werden". Im Schlußprotokoll zum Reichskonkordat wird zu Art. 32 ausdrücklich festgestellt, daß zwischen den Konkordatspartnern "Einverständnis" darüber herrsche, daß vom Reich bezüglich der nichtkatholischen Konfessionen "gleiche Regelungen" über ein Verbot parteipolitischer Betätigung veranlaßt werden. Art. 32 RK und die Zusatzbestimmung zu Art. 32 im Schlußprotokoll zum Reichskonkordat bilden rechtlich eine Einheit. Im Schlußprotokoll zu Art. 32 hat der Heilige Stuhl zum Ausdruck gebracht, daß er die über die Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts hinausgehende Beschränkung der parteipolitischen Tätigkeit katholischer Priester, wie sie in Art. 32 RK vereinbart ist, nur dann als rechtswirksam anerkenne, wenn der staatliche Konkordatspartner die katholische Kirche in dieser Frage nicht einseitig diskriminiere, sondern mit allen übrigen Religionsgemeinschaften streng paritätisch behandle4. Dieser Verpflichtung, wie sie im Schlußprotokoll zum Reichskonkordat zu Art. 32 enthalten ist, ist der staatliche Konkordatspartner weder unter der Herrschaft des Nationalsozialismus noch in der Folgezeit nachgekommen. Wegen der Nichterfüllung der dem Staat ob4 Die Konkordatsbestimmung im Schlußprotokoll zu Art. 32 RK geht zurück auf eine Forderung der Fuldaer Bischofskonferenz, die in ihrer Sitzung am 31. Mai/1. Juni 1933 ausdrücklich verlangt hatte: "Protokollarisch ist Sicherheit dafür zu verlangen, daß seitens der übrigen Religionsgemeinschaften entsprechende konforme Regelungen getroffen werden; erst mit Eintritt dieser konformen Vorschriften anderer Religionsgemeinschaften werden die oben gedachten Richtlinien verbindlich." Vgl. dazu Konrad Repgen, Das Ende der Zentrumspartei und die Entstehung des Reichskonkordats, in: ders., Historische Klopfsignale für die Gegenwart. Münster 1974, S. 97 ff., S. 125. Der konditionale Geltungs-Charakter des Art. 32 RK ist von Herrmann und Walfnicht gesehen.

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liegenden Verpflichtung zur Wahrung strenger Parität in dieser Frage ist davon auszugehen, daß die in Art. 32 RK ausgesprochene, den Heiligen Stuhl einseitig treffende rechtliche Verpflichtung zum Erlaß besonderer Bestimmungen, durch die die Mitgliedschaft von Geistlichen und Ordensleuten in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien verboten werden sollten, von Anfang an nicht bestanden hat. Hans Peters verdient deshalb Zustimmung, wenn er die Fortgeltung des Art. 32 RK mit der Begründung für zweifelhaft erklärt, daß es einer Konfession nicht zugemutet werden könne, ihre Geistlichen dem politischen Leben fernzuhalten, wenn eine solche Regelung nicht auch für die anderen Bekenntnisse gelte 5 . Die Rechtsauffassung Herrmanns, daß sich aus Art. 32 RK ein "klarer Vertragsbefehl an den Heiligen Stuhl" ergebe, ein Verbot der Mitgliedschaft in politischen Parteien und einer Tätigkeit für solche Parteien für Geistliche und Ordensleute zu erlassen, scheitert daher bereits am objektiven Wortlaut des Reichskonkordats. Eine solche Verpflichtung des Heiligen Stuhles würde allerdings dann bestehen, wenn 5 Vgl. Hans Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 11 (1954), s. 208. Die Frage der Geltung des Art. 32 RK hat im Konkordatsprozeß vor dem Bundesverfassungsgericht eine beträchtliche Rolle gespielt. Vgl. dazu die zahlreichen Hinweise auf Art. 32 RK in: Der Konkordatsprozeß. In Zusammenarbeit mit Hans Müller hrsg. von Friedrich Giese und Friedrich August Frhr. v. d. Heydte. IV. Teilband, München 1959, S. 1755. Mit Nachdruck haben Theodor Maunz, in: Der Konkordatsprozeß, li. Teilband, S. 806, und Klaus Mörsdorf, in: Der Konkordatsprozeß, li. Teilband, S. 837, in ihren dem Bundesverfassungsgericht erstatteten Rechtsgutachten auf die Abhängigkeit der in Art. 32 RK ausgesprochenen Verpflichtung des Heiligen Stuhls von der im Schlußprotokoll zu Art. 32 durch das Deutsche Reich übernommenen Verpflichtung hingewiesen. Wie Maunz zutreffend ausführt, ist der Sinn des Art. 32 RK im Hinblick auf das Schlußprotokoll zu Art. 32 Abs. !folgender: "Wenn der staatliche Vertragspartner für alle Geistlichen, auch für Geistliche nichtkatholischer Konfessionen, ein Verbot parteipolitischer Betätigung erläßt oder durch freiwillige Zusagen von den anderen Konfessionen erwirkt, so ist auch der m. Stuhl verpflichtet, Bestimmungen zu erlassen, die für Geistliche und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen. Die Verknüpfung einer in diesem Sinne übernommenen Verpflichtung mit einem vom Staat zu erlassenden oder für alle Konfessionen geltenden Verbot darf wohl als verständlich und vernünftig angesehen werden." Im selben Sinne betont Mörsdorf, daß die in Art. 32 RK vom Heiligen Stuhl übernommene Pflicht in "doppelter Hinsicht vinkuliert" sei (vgl. S. 837). Die Auffassung, daß Art. 32 RK, wenn er nicht schon als von allem Anfang an unwirksam zu betrachten sei, so doch "spätestens mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft seine Geltung verloren hat", wird in dezidierter Weise auch vertreten von Alexander Hollerbach, Neuere Entwicklungen des katholischen Kirchenrechts, Karlsruhe 1974, S. 39 (=Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe. Schriftenreihe. Heft 118).

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der staatliche Konkordatspartner seinen Verpflichtungen aus dem Schlußprotokoll zum Reichskonkordat zu Art. 32 nachkommen würde. Dafür sind jedoch in der Gegenwart keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. b) Für Hitler bildete die Ausschaltung der Geistlichkeit aus dem politischen Parteileben, wie die Entstehungsgeschichte des Reichskonkordates zeigt, die "conditio sine qua non" für das Zustandekommen des Reichskonkordats. Das Vorbild der Bestimmung des Art. 32 RK findet sich in Art. 43 Abs. 2 des italienischen Konkordats vom 11. Februar 1929, der bestimmt: "Der Heilige Stuhl benutzt die Gelegenheit des Abschlusses dieses Konkordats, um für alle Geistlichen und Ordensleute in Italien das Verbot zu erneuern, sich bei irgendeiner politischen Partei einzutragen oder zu betätigen" 6 . Infolge des auch von Hitler nicht vorausgesehenen überraschend schnellen Untergangs der Zentrumspartei durch Selbstauflösung am 5. Juli 1933 ging die "Waffe der Entpolitisierungsvorschriften", die der Art. 32 RK für die Deutsche Reichsregierung darstellen sollte, von Anfang an ins Leere. Art. 32 RK war für den staatlichen Konkordatspartner von Anfang an praktisch bedeutungslos 7 . Wegen des Gesetzes vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 479), durch das die noch bestehenden Parteien aufgelöst wurden und das die Neubildung von Parteien unter Strafe stellte, bestand für den Heiligen Stuhl auch keinerlei praktische Veranlassung mehr, die Zusage des Art. 32 RK nach Abschluß des Konkordates und nach dessen Ratifizierung einzulösen. Auch der staatliche Konkordatspartner zeigte daran weder vor noch nach 1945 irgendein Interesse. Das beweist für die Zeit unmittelbar nach dem Abschluß des Reichskonkordats ein Schreiben, das Staatssekretär Kardinal Eugenio Pacelli, der auf seiten des Heiligen Stuhles die Konkordatsverhandlungen geführt hatte, am 5. August 1933 an Erzbischof Konrad Gröber von Freiburg gerichtet hat. Der Kardinalstaatssekretär erklärt in diesem Schreiben, daß die Bestimmungen des Art. 32 RK nach den Festlegungen im Schlußprotokoll schon derart klar seien, daß die Notwendigkeit eines besonderen Erlasses, diesen Stoff zu regeln, nicht ersichtlich sei. Von einem solchen Erlaß sei in den Verhandlungen auch niemals die Rede gewesen. Es bleibe somit nichts weiter zu tun, als daß 6 Angelo Mercati, Raccolta di Concordati, Bd. 2, Rom 1954, S. 102. Deutscher Wortlaut bei Lotkar Schöppe, Konkordate seit 1800. Frankfurt a.M./Berlin 1964, S. 186. Vgl. ferner Alfons Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933. Mainz 1969, S. 99 f. 7 Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933. Mainz 1972, S. 169 ff. Zur Vorgeschichte der Entstehung des "Entpolitisierungsartikels" vgl. bei Volk, ebd., S. 124 ff.

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die Hochwürdigsten Bischöfe und Kleriker von jener Freiheit Gebrauch machten, die ihnen von ihren kirchlichen Amtspflichten geboten werde 8 • Auch die Entstehungsgeschichte des Reichskonkordats zeigt somit, daß es sich bei den in Art. 32 RK vorgesehenen Bestimmungen, die vom Heiligen Stuhle erlassen werden sollten, um eine Regelung handelt, die infolge der im Deutschen Reich noch während der Konkordatsverhandlungen eingetretenen Entwicklungen von beiden Vertragspartnern als von Anfang an obsolet betrachtet wurde. Es kam ihr von Anfang an nicht nur keine rechtliche Wirksamkeit, sondern auch keinerlei praktisch-politische Bedeutung zu. c) Diese Rechtsauffassung wird durch die Konkordatspraxis der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigt. Obwohl die deutsche Bischöfe einem aktiven parteipolitischen Engagement und insbesondere der Übernahme von Abgeordnetenmandaten durch Priester in aller Regel ablehnend gegenüberstanden, kennt die Nachkriegszeit in Süddeutschland in dieser Hinsicht einige bemerkenswerte Ausnahmen, ohne daß von seiten des Staates oder des Heiligen Stuhles dagegen konkordatsrechtliche Bedenken erhoben worden wären. Diese Erscheinungen parteipolitischer Tätigkeit von Priestern zeigen, daß Art. 32 RK weder vonseitendes staatlichen noch vonseitendes kirchlichen Konkordatspartners als geltende Vertragsbestimmung angesehen wurde. Gleiches gilt von dem in Art. 32 RK enthaltenen Verbot des Erwerbs der bloßen Mitgliedschaft in einer politischen Partei durch Priester. Das diesbezügliche Verbot in Art. 32 RK wurde in der Konkordatspraxis niemals als verpflichtend angesehen, obwohl die deutschen Bischöfe dem Eintritt von Priestern und Ordensleuten in politische Parteien in der Nachkriegszeit stets mit großer Zurückhaltung begegnet sind. 3. Weder aus dem objektiven Wortlaut des Art. 32 RK noch aus der Entstehungsgeschichte dieser Konkordatsbestimmung noch aus der Konkordatspraxis der Nachkriegszeit läßt sich somit die von Herrmann vertretene Rechtsbehauptung begründen, die Deutsche Bischofskonferenz habe durch ihre "Erklärung zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" gegen Art. 32 RK verstoßen und damit ihre rechtliche s Vgl. den Wortlaut des Schreibens des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli an Erzbischof Gröber bei Ludwig Volk, Kirchliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933. Mainz 1969, S. 211 f.- Obwohl die Ausführungsvorschriften zu Art. 32 RK tatsächlich niemals ergangen sind, existiert dennoch ein vom Heiligen Stuhl in Bereitschaft gehaltener Entwurf, der Ludwig Kaas zum Verfasser hat. Dieser Entwurf wurde zu Anfang 1934 von Kaas dem Breslauer Kardinal vertraulich mitgeteilt. Vgl. dazu Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, S. 241 mit Anm. 2.

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Kompetenz in unzulässiger Weise überschritten. Richtig ist vielmehr, daß Art. 32 RK eine von Anfang an unwirksame Konkordatsbestimmung darstellt und deshalb eine von der Deutschen Bischofskonferenz zu beachtende Kompetenzregelung nicht enthält.

II. Die Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit den Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts 1. Aus Art. 32 RK lassen sich, wie gezeigt, besondere Bestimmungen über ein Verbot der Mitgliedschaft in politischen Parteien und eine Tätigkeit für solche Parteien für Geistliche und Ordensleute nicht herleiten. Es gelten deshalb auch für die Bundesrepublik Deutschland die einschlägigen Bestimmungen des allgemeinen kirchlichen Rechts. In dieser Hinsicht verbietet can. 139 § 4 CIC den Geistlichen sowohl die Bewerbung um ein Abgeordnetenmandat als auch dessen Annahme ohne Erlaubnis des eigenen Oberhirten sowie des Oberhirten des betreffenden Wahlkreises. In Gebieten, für die ein päpstliches Verbot ergangen ist, ist für die Übernahme eines Abgeordnetenmandates die Erlaubnis des Apostolischen Stuhles erforderlich. Wie die Auslegungskommission für den Codex Iuris Canonici dazu entschieden hat, soll die Erteilung derartiger Erlaubnisse eher erschwert als erleichtert werden 9 • Die Kommission begründet ihre Entscheidung damit, daß die Gefahr bestehe, daß der in das öffentliche politische Leben verwickelte Kleriker an Ehre und Gewissen Schaden nehmen könne, sich Anfeindungen aussetze, den geistlichen Beruf vernachlässige, die Seelsorge mit Parteipolitik verquicke und Katholiken anderer politischer Richtung abstoße.

2. Wie die Konzilskongregation in einer Entscheidung vom 26. 2. 1927 festgestellt hat, sind die Oberhirten berechtigt, Geistlichen eine politische Tätigkeit, die sich nicht im Rahmen der vom Heiligen Stuhl gegebenen Anordnungen hält, zu verbieten und nach vergeblicher Mahnung auch Strafen zu verhängen 10 . Die Bestimmung des can. 139 § 4 CIC verbietet den Geistlichen nur die Übernahme von Abgeordnetenmandaten, nicht jedoch aktive parteipolitische Betätigung und die einfache Parteimitgliedschaft. Can. 139 § 4 CIC schließt jedoch nicht aus, daß die Bischöfe eines Landes auf Grund pastoraler Notwendig9 Vgl. dazu die Entscheidung der Pontificia Commissio ad Codicis Canones authentice interpretandos, in: Acta Apostolicae Sedis 14 (1922), S. 313. Dazu Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts. Bd. I, 11. Aufl., München- Paderborn- Wien 1964, S. 270 f. 1o Vgl. Sacra Congregatio Concilii, in: Acta Apostolicae Sedis 19 (1927), S. 138; Mörsdorf, Lehrbuch, Bd. I, S. 271.

Zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester

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keiten weitergehende Einschränkungen parteipolitischer Tätigkeit für Geistliche und Ordensleute treffen. 3. Auch wenn Art. 32 RK als wirksame und geltende Konkordatsbestimmung anzusehen wäre, wären die deutschen Bischöfe nicht gehindert, solche weitergehenden Beschränkungen einer politischen Betätigung für Priester und Ordensleute festzulegen, soweit und solange der Heilige Stuhl die diesbezüglichen Bestimmungen in Erfüllung des Art. 32 RK nicht getroffen hat. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Zielrichtung des Art. 32 RK kann eine Kompetenzsperre hergeleitet werden, durch die eine gesetzgebende Tätigkeit der Bischöfe auf diesem Gebiet inhibiert würde, sofern die rechtsetzenden Akte der Bischöfe im Rahmen und in der Zielrichtung des Art. 32 RK blieben. Dem Wortlaut des Art. 32 RK könnte ein Verbot bischöflicher Rechtsetzung nur für den Fall entnommen werden, daß der Heilige Stuhl selbst den Umfang der zulässigen politischen Betätigung von Priestern und Ordensleuten in der Bundesrepublik Deutschland erschöpfend und abschließend geregelt hätte. Der Heilige Stuhl hat bisher solche Regelungen nicht getroffen. Den deutschen Bischöfen steht es deshalb frei, diesen Bereich nach Maßgabe der pastoralen Notwendigkeiten selbst rechtlich zu regeln.

ID. Die Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland 1. Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" läßt, darauf ist mit Nachdruck hinzuweisen, ebenso wie die Bestimmung des can. 139 § 4 CIC, die staatsbürgerlichen Grundrechte der Priester und Ordensleute unangetastet. Der grundrechtliche Status und die staatsbürgerlichen Rechte der Priester und Ordensleute werden durch die Bestimmungen der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz ebensowenig verletzt, wie z. B. das durch die staatliche Rechtsordnung gewährleistete Grundrecht auf Eingehung einer Ehe durch das Zölibatsgesetz des can. 132 CIC beeinträchtigt wird. Die kirchliche und die staatliche Rechtsordnung stehen hier unabhängig nebeneinander 11 . 11 Zu diesem Problemkreis Wolfgang Rüfner, Die Geltung von Grundrechten im kirchlichen Bereich, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Heft 7, Münster 1972, S. 18ff. m.w.N. Vgl. dazu ferner Konrad Hesse, Grundrechtsbindung der Kirchen?, in: Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag. Berlin 1974, S. 448 ff. -In seinem Plädoyer vor dem Bundesverfassungsgericht hat bereits Ulrich Scheuner im Konkordatsprozeß darauf hingewiesen, daß Art. 32 RK, seine Geltung unterstellt, mit dem

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

Ebenso wie der staatliche Gesetzgeber zur Vermeidung von Interessenkollisionen Inkompatibilitäten für Träger politischer Mandate festlegt und mit der parlamentarischen Tätigkeit die Ausübung bestimmter Staatsämter für unvereinbar erklärt, steht es der Kirche auf Grund ihrer Eigenrechtsmacht frei, durch kirchliche Gesetze und Verordnungen festzulegen, daß bestimmte Arten politischer Betätigung, d. h. staatsrechtlich gesprochen, die Ausübung bestimmter Grund- und Freiheitsrechte, mit den Pflichten eines Priesters oder eines in der Kirche eine besondere Stellung einnehmenden Laien unvereinbar sind 12 . 2. Auch die leitenden Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland stehen einer politischen Betätigung von Inhabern geistlicher Ämter ablehnend gegenüber. Dies zeigt die "Erklärung" des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 28. Mai 1973, in der der Rat der Evangelischen Kirche feststellt: "Um der Unabhängigkeit des pfarramtliehen Dienstes willen wird nach wie vor empfohlen, daß Pfarrer sich parteipolitisch zurückhalten. Es ist auch heute zu beobachten, daß der Pfarrer, der sich parteipolitisch betätigt, in der Regel nicht mehr uneingeschränkt und ohne auf Vorbehalte zu stoßen, zu allen Gemeindegliedern Zugang hat." Auf Grund dieser allgemeinen pastoralen Erfahrung bestimmt z. B. § 3 Abs. 1 des Kirchengesetzes der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 18. 1. 1963, das zur Ergänzung des§ 34 des Pfarrerdienstgesetzes 13 der Evangelischen Kirche im Rheinland erlassen worden ist: "(1) Pfarrer, die mit oder ohne Auftrag von politischen Gruppen oder Parteien politische Aufgaben übernehmen wollen, haben vorher Umfang und Art dieser Aufgaben der Kirchenleitung anzuzeigen. Die Kirchenleitung kann die Übernahme solcher Aufgaben untersagen" 14 . Ebensowenig wie Beamte des Staates demokratischen Grundgesetz nicht in Widerspruch steht. Vgl. der Konkordatsprozeß, IV. Teilband, München 1959, S. 1426. 12 Im übrigen gehen Herrmann und Walfin ihren eingangs erwähnten Beiträgen offensichtlich selbst davon aus, daß der Heilige Stuhl gern. Art. 32 RK rechtmäßig Bestimmungen erlassen kann, die einschneidende Beschränkungen politischer Betätigungsmöglichkeiten von Klerikern zum Gegenstand haben. Diese Befugnis steht konkurrierend, solange der Heilige Stuhl nicht selbst diesbezügliche Bestimmungen erlassen hat, auch den bischöflichen Gesetzgebern zu. 13 Vgl. dazu Ulrich Scheuner, Sinn und Auslegung des§ 34 des Pfarrerdienstgesetzes der Evangelischen Kirche im Rheinland, in: Handreichung Nr. 26für die Mitglieder der Landessynode und der Kreissynoden in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Düsseldorf, Dezember 1972, S. 9 ff. 14 Amtsblatt der EKD 1963, S. 264. Zur Diskussion der Problematik der politischen Betätigung kirchlicher Amtsträger innerhalb der evangelischen Kirche vgl. Joachim Beckmann, Freiheit und Bindung der kirchlichen Amtsträger im Blick auf die politische Betätigung, in: ZevKR 19 (1974), S. 10 ff.; Hartmut Maurer, Freiheit und Bindung kirchlicher Amtsträger. Zur politischen Betätigung

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oder Richter geltend machen können, durch die ihnen von Gesetzes wegen verpflichtend auferlegte Zurückhaltung in parteipolitischer Tätigkeit in der Wahrnehmung ihrer Grundrechte auf parteipolitische Betätigung in verfassungswidriger Weise behindert zu sein, kann ein katholischer Priester der Kirche gegenüber geltend machen, unrechtmäßige Beschränkungen seiner politischen Freiheitsrechte zu erleiden, wenn die Bischöfe den Priestern in einer verpflichtenden Weisung eine öffentliche Betätigung innerhalb einer Partei, für eine Partei sowie für die Wahl einer Partei verbieten. IV. Zusammenfassung

Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973 ist den Priestern als eine im Rechtssinne verpflichtende disziplinarische Weisung auferlegt worden. Diese Erklärung steht mit dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 nicht in Widerspruch. Sie befindet sich auch im Einklang mit den Normen des allgemeinen Kirchenrechts und mit dem Verfassungsrecht des Staates. Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" ist deshalb für alle Priester und Ordensleute in der Bundesrepublik Deutschland verbindlich im Rechtssinne.

der kirchlichen Amtsträger, insbesondere der Pfarrer, in: ZevKR 19 (1974), S. 30ff. - Vgl. ferner die Dokumentation "Schuldig durch Schweigen?", in: Evangelische Kommentare 5 (1972), S. 361 f. mit zwei entgegengesetzten Stellungnahmen des badischen Landesbischofs Professor Dr. Hans-Wolfgang Heidland und des Landesbischofs Dr. Gerhard Heintze von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig zu der Frage, ob sich Pfarrer und Bischöfe zu den Ostverträgen äußern sollten. 39 Sbd. List!

Konkordatslehrstühle Die sorgfältig, umfassend und überzeugend begründete Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs verdient sowohl hinsichtlich ihrer Begründung als auch des vom Gerichtshof gefundenen Ergebnisses volle Zustimmung. 1. Zutreffend geht der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Argumentation davon aus, daß die Konkordatslehrstühle für die Fachgebiete Philosophie, Gesellschaftswissenschaften und Pädagogik in den erziehungswissenschaftliehen Fakultäten nicht zu den "konfessionsgebundenen Amtern im engeren Sinne" gehören, bei denen sich ein bischöfliches Mitwirkungsrecht in Form der Zustimmung zur Ernennung bereits aus der "Natur der Sache" rechtfertigen ließe und die deshalb zu den anerkannten Ausnahmen von der die bekenntnisunabhängige Zulassung zu den öffentlichen Amtern statuierenden Bestimmung des Art. 107 Abs. 4 BV zu rechnen wären. Mit Recht verlangt der Bayerische Verfassungsgerichtshof für die verfassungsrechtliche ZuErstveröffentlichung in: Bayerische Verwaltungsblätter, 111. Jhg. (1980),

s. 468f.

Anmerkung zu der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 11. 4. 1980 (Vf. 17-VII-77) über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von sog. Konkordatslehrstühlen an staatlichen Hochschulen. Die Entscheidung ist abgedruckt in: BayVerfGHE Bd. 33, S. 65-87 = BayVBl. 1980, S. 462-468. Die Entscheidung wurde mit den folgenden amtlichen Leitsätzen veröffentlicht: 1. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit sog. Konkordatslehrstühle nach Art. 3 § 5 des Bayerischen Konkordats vom 4. 9. 1974. 2. Die Zulässigkeit sog. staatsvertragsgebundener Ämter hängt davon ab, ob der Staat von Verfassungs wegen eine derartige (völkerrechtliche) Verpflichtung eingehen durfte und dabei die ihm durch die Verfassung gesetzten Grenzen beachtet hat. 3. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist im modernen Verfassungsstaat als Koordinationsordnung zu verstehen. Es gibt gemeinsame Angelegenheiten, die die Verantwortung von Staat und Kirche berühren, vor allem im Bereich der Erziehung und Bildung. 4. a) Bei der Sorge um die Einhaltung der Bildungsziele des Art. 131 BV und der Gestaltung des Unterrichts an Volksschulen nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse gemäß Art. 135 Satz 2 BV ist der Staat auf die Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen in Bayern angewiesen. b) Dies rechtfertigt es, daß der Staat vertragliche (völkerrechtliche) Bindungen eingeht und darin den anerkannten Religionsgemeinschaften für die sachgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben in einem bestimmten Umfang Mitwirkungsoder Mitbestimmungsrechte einräumt.

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Iässigkeit eines Zustimmungsrechts des zuständigen Diözesanbischofs, das seiner Rechtsnatur nach zwar lediglich ein Veto darstellt und das Ernennungs- und Vorschlagsrecht, mithin die sog. "Personalpolitik", nach wie vor in der Hand des Staates beläßt, aber dennoch den Kreis der Zuzulassenden einschränkt, "besondere, rechtfertigende verfassungsrechtliche Gründe". Auch die vom Bayerischen Staat eingegangenen konkordatären Verpflichtungen vermögen aus sich allein die Verfassungsmäßigkeit derartiger Konkordatsbestimmungen nicht zu begründen. 2. Die Zulässigkeit dieser vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof als "staatsvertragsgebundene Ämter", d. h. als konfessionsgebundene Ämter im weiteren Sinne, bezeichneten Lehrstühle hängt vielmehr, wie der Gerichtshof zutreffend ausführt, davon ab, ob der Staat von Verfassungs wegen eine derartige völkerrechtliche Verpflichtung eingehen durfte und dabei die ihm durch die Verfassung gesetzten Grenzen beachtet hat. Nach dem obersten Grundsatz der Verfassungsauslegung, nach dem die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes als vornehmstes Interpretationsprinzip zu gelten hat, da das Wesen der Verfassung gerade darin besteht, eine einheitliche Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens zu sein\ erklärt der Bayerische Verfassungsgerichtshof, daß Art. 107 Abs. 4 BV und die Verfassungsnorm des Art. 116 BV über den Zugang zu öffentlichen Ämtern nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Diese Verfassungsnormen erfahren nämlich durch die Verfassung selbst eine Ergänzung und sind daher aus dem Kontext der Verfassung auszulegen. Die komplementären Verfassungsbestimmungen, die hinsichtlich der genannten Konkordatslehrstühle im Sinne der konkordatsrechtlichen Bestimmungen den Kreis der Zuzulassenden einzuschränken in der Lage sind, erblickt der Bayerische Verfassungsgerichtshof zu Recht "insbesondere" im Grundverhältnis Staat-Kirche, wie es in der Verfassung selbst zum Ausdruck gelangt, sowie in den N armen der Verfassung über die Erteilung des Religionsunterrichts, die Teilnahme am Religionsunterricht, die Volksschule als christliche Gemeinschaftsschule (Art. 135 bis 137 BV), den Erziehungsauftrag der Religionsgemeinschaften (Art. 137 BV), ferner in der vom Bundesverfassungsgericht2 anerkannten Zulässigkeit der Bildung von Klassen mit Schülern gleichen Bekenntnisses, in denen den besonderen Grundsätzen dieses Bekenntnisses Rechnung zu tragen ist, ferner in der Tatsache, daß in der Gegenwart weithin weltliche Lehrkräfte die Erteilung des Religionsunterrichts der verschiedenen Bekenntnisse übernehmen und 1 2

39*

BVerfGE 1, S. 14/32; 19, S. 206/220; 34, S. 165/183. BVerfGE 41, S. 86 f.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

schließlich in der Tatsache, daß an den erziehungswissenschaftliehen Fakultäten der Universitäten auch die Lehrkräfte für Privatschulen (Art. 134 BV) ausgebildet werden müssen, die vielfach Bekenntnischarakter haben. 3. Der Gerichtshof verdient volle Zustimmung, wenn er ausführt, daß der Staat bei seiner Sorge um die Einhaltung der Bildungsziele des Art. 131 BV und der Gestaltung des Unterrichts an Volksschulen nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse gemäß Art. 135 Satz 2 BV und der Gestaltung des Unterrichts an Volksschulen nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse gemäß Art. 135 Satz 2 BV auf die Zusammenarbeit mit den beiden großen Kirchen in Bayern angewiesen ist. Wie der Gerichtshof hervorhebt, gibt es auch heute im Bereich der christlich geprägten abendländischen Kultur besondere Sachprinzipien und Sachgesetzlichkeiten, die von den Kirchen geschaffen und ihnen anvertraut sind. Die auf diesem Gebiet erforderliche Zusammenarbeit mit den Kirchen und die Einräumung derartiger Vertragsrechte an die katholische Kirche bildet, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof ausdrücklich und zutreffend hervorhebt, "keine institutionelle Privilegierung der Kirchen", sondern dient letztlich der Erfüllung eines Verfassungsauftrags im Bereich der Bildung und Erziehung. Dies übersehen literarische Stimmen, die sich gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Konkordatsprofessoren wenden 3 • 4. Insbesondere kann auch darin kein Verfassungsverstoß gesehen werden, daß der Staat nur mit der katholischen Kirche die Einräumung derartiger Lehrstühle vertraglich vereinbart hat. Er verstößt dadurch nicht gegen das Differenzierungsverbot im Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften. Der Staat darf hier religionsstatistische und religionssoziologische Tatsachen zum Anlaß von Differenzierungen nehmen, wie etwa das Faktum, daß der weitaus größte Teil der Bevölkerung Bayerns den beiden christlichen Hauptkonfessionen angehört und davon nahezu 70 % der katholischen Kirche. Neben der Größe der Religionsgemeinschaften und ihrer regionalen Verbreitungsdichte ist auch die Tatsache differenzierungsrelevant, daß es sich hierbei um vertragliche Beziehungen zwischen Partnern zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben handelt. Die Beschränkung der entsprechenden Konkordatslehrstühle auf die katholische Kirche bedeutet auch deshalb keine unzulässige Differenzierung und keinen Verstoß gegen die Pflicht zur Beachtung des Gebots der religionsrechtlichen s In diesem SinneRobert Leicht, Redaktionsmitglied der Süddeutschen Zeitung, in dem Beitrag "Bestätigung fragwürdiger Privilegien", in: SZ Nr. 87 vom 14. 4. 1980, s. 4.

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paritätischen Behandlung gegenüber der evangelischen Kirche, weil, wie der Gerichtshof ausdrücklich hervorhebt, die Evangelische Landeskirche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte bei der Besetzung von Lehrstühlen im erziehungswissenschaftliehen Bereich der Universitäten nicht in Anspruch nimmt. Es ist deshalb unzutreffend und irreführend, wenn Robert Leicht es als "geradezu hanebüchen" bezeichnet, daß der Verfassungsgerichtshof "eine Diskriminierung der anderen Religionsgemeinschaften schon deshalb für ausgeschlossen hält, weil ja die Mehrheit im Lande katholisch" sei, während "doch der Sinn der Religionsfreiheit gerade auch im Schutz der Minderheiten" liege 4 . Von einer Verletzung des Grundrechts der Religionsfreiheit der Angehörigen einer anderen Religionsgemeinschaft durch die Einrichtung von Konkordatslehrstühlen kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil der Gerichtshof ausdrücklich entschieden hat, daß an jeder Universität neben den Konkordatsprofessuren jeweils auch andere Lehrstühle der betreffenden Fächer vorhanden sein müssen und daher kein Studierender verpflichtet werden kann, Vorlesungen von Inhabern von Konkordatslehrstühlen zu hören. 5. Nachdrücklich ist dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof femer zuzustimmen, wenn er unter Hinweis auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Bayerischen rrypus der christlichen Gemeinschaftsschule5 ausführt, daß es dem Landesgesetzgeber, wenn es ihm schon erlaubt sei, unter Berücksichtigung des Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit Bekenntnisklassen, die eine Fortführung der früheren Bekenntnisschule darstellen, einzurichten und Privatschulen zu genehmigen, nicht verwehrt sein könne, die sachlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß künftige Lehrkräfte in diesen Klassen oder an diesen Schulen die für ihre Verwendung erforderliche Ausbildung bei Lehrern des jeweiligen Bekenntnisses erhalten. Ferner ist in diesem Zusammenhang noch auf folgendes hinzuweisen: Wenn es dem Landesgesetzgeberkraft Bundesverfassungsgerichts gestattet ist, die Konfessionsschule unter Wahrung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit als Regelschule und damit notwendig auch eine konfessionelle Lehrerausbildung einzuführen6 , muß es ihm erst recht erlaubt sein, die christliche Gemeinschaftsschule einzuführen und anstelle konfessioneller Einrichtungen für die Lehrerausbildung die mit dem Heiligen Stuhl vereinbarte Anzahl von Konkordatslehrstühlen zu errichten. Dies verkennt Robert Leicht, wenn er die Übereinstimmung der Entscheidung des Bayerischen VerSZ Nr. 87, vom 14. 4. 1980, S. 4. BVerfGE 41, S. 65/68f. 6 Vgl. BVerfGE 6, S. 309/339; BayVerfGHE 12, S. 152/157; BVerwGE 10, s. 136f.; 17, s. 267/269; 19, s. 252/259. 4

5

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fassungsgerichtshofs mit dem Grundgesetz in Zweifel zieht und wörtlich schreibt: "Die Entscheidung stützt sich allerdings nur auf die Landesverfassung. Ob man die Sache in Karlsruhe und im Lichte des Grundgesetzes nicht etwas anders zu sehen hätte, bleibt noch zu prüfen."7 6. Hinsichtlich der Inhaber von Konkordatslehrstühlen ist schließlich von Bedeutung: Sie unterrichten nicht, wie etwa Inhaber von Lehrstühlen an Theologischen Fakultäten, im Auftrag der Kirche; d. h. sie sind nicht im Besitze einer missio canonica. Im Gegensatz zu den Inhabern von Lehrämtern an Theologischen Fakultäten besteht bei diesen mit bischöflicher Zustimmung angestellten Hochschullehrern kein konkordatäres Beanstandungsrecht, wenn sie in ihrer Lehre oder Lebensführung gegen Grundsätze der katholischen Kirche verstoßen sollten. Ihre Lehrfreiheit unterliegt, wie der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich hervorgehoben hat, keiner irgendwie gearteten kirchlichen Einflußnahme. Sinn und Zweck der Konkordatsregelung ist es vielmehr, der katholischen Kirche-angesichts des Fortfalls der konfessionellen Lehrerbildung- einen gewissen Einfluß bei der Besetzung bestimmter Lehrstühle einzuräumen und insoweit Bewerber nicht zum Zuge kommen zu lassen, gegen die hinsichtlich ihres katholisch-kirchlichen Standpunkts Erinnerungen zu erheben sind. Es handelt sich also nicht um konfessionsgebundene Ämter oder sog. "konfessionelle Staatsämter". Auch steht die Zahl der Konkordatsprofessuren nicht außer Verhältnis zu der Gesamtzahl der Lehrstühle für Philosophie, Gesellschaftswissenschaften und Pädagogik an den bayerischen Universitäten. Wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof auch hierzu erklärt, beschränkt das Bayerische Konkordat den Zugang zu bestimmten staatlichen Ämtern nicht schlechthin, "sondern begrenzt diesen nur in einzelnen Beziehungen für einige wenige Stellen, um ein von dem anderen Vertragspartner gefordertes Mitwirkungsrecht zu gewährleisten". 7. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß der Staat seinen in der Bayerischen Verfassung grundgelegten Verpflichtungen hinsichtlich der Pflege und Berücksichtigung der Religion und der Zusammenarbeit mit den Kirchen nicht nachkommen würde, wenn er die Forderung der katholischen Kirche nach Einrichtung der angefochtenen Konkordatslehrstühle nicht erfüllt hätte. Diese Regelung entspricht dem "zwingenden Erfordernis friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirchen" 8 in der konkreten Ausprägung, die das Staat-KircheVerhältnis in der Bayerischen Verfassung gefunden hat. 7 SZ Nr. 87 vom 14. 4. 1980, S. 4. a Vgl. BVerfG, Beschl. vom 25. 3. 1980 (2 BvR 208/76), in: EuGRZ 1980, S. 301.

Die staatskirchenrechtlichen lmplikationen im "Fall Küng" In ihrer "Erklärung über em1ge Hauptpunkte der theologischen Lehre von Professor Hans Küng" vom 15. 12. 1979 hat die Kongregation für die Glaubenslehre festgestellt: "Professor Hans Küng weicht in seinen Schriften von der vollständigen Wahrheit des katholischen Glaubens ab. Darum kann er weder als katholischer Theologe gelten noch als solcher lehren." Diese Entscheidung, .die von Papst Johannes Paul II. ausdrücklich bestätigt und auf seine Anweisung hin veröffentlicht worden ist, hat in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in der Schweiz und darüber hinaus eine komplexe theologische Diskussion ausgelöst, die insbesondere die Freiheit der Theologie als Wissenschaft und ihre Bindung an das Lehramt der Kirche zum Gegenstand hat. Die folgende Darstellung beschränkt sich ausschließlich auf die kirchenrechtlichen und staatsrechtlichen Konsequenzen, die sich für Hans Küng aus der Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre ergeben. I. Konkordatsbestimmungen

In den Konkordaten, die in der Bundesrepublik Deutschland gelten, und im deutschen Staatskirchenrecht, das heißt dem Gesamtbestand aller Bestimmungen der staatlichen Rechtsordnung, die sich auf die Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften und die Religionsausübung beziehen, ist der Fall, daß einem Theologieprofessor, der an einer staatlichen Theologischen Fakultät angestellt ist, die kirchliche Lehrbefugnis entzogen wird, ausdrücklich vorgesehen und geregelt. Deshalb trifft der "Fall Küng" das deutsche Staatskirchenrecht nicht unvorbereitet. Der "Fall Küng" muß vielmehr im Kontext ähnlicher Fälle gesehen werden, die sich in Deutschland während der vergangenen 150 Jahre ereignet haben. Insofern ist der "Fall Küng" kein Ausnahme- oder Sonderfall, wie in der bundesdeutschen Publizistik gelegentlich behauptet worden ist. Erstveröffentlichung in: Schweizerische Kirchenzeitung, Nr. 11/1980 vom 13. März 1980 (148. Jhg.), S. 162-164.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

Das Recht der Theologischen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland ist überwiegend in Konkordaten geregelt, die zwischen den einzelnen Bundesländern und dem Heiligen Stuhl abgeschlossen worden sind. So gilt für die Theologischen Fakultäten des Freistaates Bayern (Augsburg, Bamberg, München, Passau, Regensburg, Würzburg) das Bayerische Konkordat von 1924, für die Theologischen Fakultäten in den preußischen Nachfolgestaaten (Bochum, Bonn, Münster) das Preußische Konkordat von 1929 und für Baden (Freiburg im Breisgau) das Badische Konkordat von 1932. In allen diesen Konkordaten hat sich der jeweilige staatliche Konkordatspartner dem Heiligen Stuhl gegenüber verpflichtet, in den Fällen, in denen der zuständige Diözesanbischof bei dem jeweiligen Kultus- bzw. Wissenschaftsminister einen Theologieprofessor wegen seiner Lehre oder seines Lebenswandels "beanstandet", an dessen Stelle einen anderen Lehrer der Theologie zu berufen. In dieser Hinsicht bestimmt zum Beispiel das Schlußprotokoll zu Artikel 12 des Preußischen Konkordats von 1929 folgendes: "Sollte ein einer katholisch-theologischen Fakultät angehöriger Lehrer in seiner Lehrtätigkeit oder in Schriften der katholischen Lehre zu nahe treten oder einen schweren oder ärgerlichen Verstoß gegen die Erfordernisse des priesterlichen Lebenswandels begehen, so ist der zuständige Bischof berechtigt, dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hiervon Anzeige zu machen. Der Minister wird in diesem Fall, unbeschadet der dem Staatsdienstverhältnis des Betreffenden entspringenden Rechte, Abhilfe leisten, insbesondere für einen dem Lehrbedürfnis entsprechenden Ersatz sorgen." Für die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen besteht kein besonderes Landeskonkordat, weil es zwischen dem mehrheitlich protestantischen früheren Staat Württemberg und dem Heiligen Stuhl nicht zu einem Konkordatsabschluß gekommen ist. Für die Tübinger Fakultät gilt jedoch die Bestimmung des Art. 19 des Reichskonkordats vom 20. 7. 1933. Nach dieser Vorschrift regelt sich das Verhältnis der Katholisch-Theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen zur kirchlichen Behörde "nach den in den einschlägigen Konkordaten und dazugehörenden Schlußprotokollen festgelegten Bestimmungen unter Beachtung der einschlägigen kirchlichen Vorschriften". Damit besitzt der allgemeine Standard des Rechts der Katholisch-Theologischen Fakultäten hinsichtlich der Berufung und der Abberufungsmöglichkeit von katholischen Theologieprofessoren auch für die Universität Tübingen Geltung. Diese Tatsache ist staatskirchenrechtlich außer Streit.

Staatskirchenrechtliche Implikationen im "Fall Küng"

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TI. Die Rechtsfolgen der konkordatären Beanstandung

Voraussetzung dafür, daß ein Professor der Theologie an einer staatlichen Theologischen Fakultät tätig sein kann, ist, daß er im Besitze einer von dem für die jeweilige Universität zuständigen Diözesanbischof zu erteilenden kirchlichen Lehrbefugnis (Missio canonica) ist. Entzieht der zuständige Diözesanbischof, wie dies im Fall Küng seitens des Bischofs von Rottenburg-Stuttgart geschehen ist, einem Professor der Theologie die Missio canonica und erklärt der Bischof gleichzeitig gegenüber dem zuständigen Kultus- oder Wissenschaftsminister hinsichtlich dieses Theologen wegen dessen Lehre oder Lebenswandels die in den Konkordaten vorgesehene "Beanstandung", so führt dies für den betroffenen Theologen dazu, daß er vom Zeitpunkt des Entzugs der Missio canonica an reguläre Lehrveranstaltungen, denen in der Studienordnung für die Priesterausbildung irgendeine Bedeutung zukommt, nicht mehr anbieten kann; er ist ferner vom Zeitpunkt des Entzugs der Missio canonica an unfähig, akademische Prüfungen rechtswirksam abzunehmen. Darüber hinaus führen der Entzug der Missio canonica und die konkordatäre Beanstandung zwangsläufig auch zum Ausscheiden des betreffenden Theologen aus der Theologischen Fakultät, der er angehört, das heißt zum Verlust des korporationsrechtliehen Status innerhalb seiner Fakultät. Dies bedeutet, daß der betreffende Lehrer der Theologie an Promotionen, Habilitationen und Berufungsentscheidungen nicht mehr mitwirken und sich auch an Wahlen im Fakultätsbereich nicht mehr beteiligen kann. Es entspricht einer inneren zwingenden Logik, daß ein Lehrer der Theologie, dem von der Kirche die Lehrbefugnis entzogen worden ist, aus der Theologischen Fakultät ausscheiden muß. Dabei geht es nicht darum, daß der betreffende Professor seinen Lehrstuhl verliert. Auf den Fall Küng bezogen, bedeutet dies, daß Hans Küng weder seinen Rechtsstatus als Lehrstuhlinhaber noch seine Rechtsstellung als Beamter auf Lebenszeit verliert. Er bleibt vielmehr Lehrstuhlinhaber und Lebenszeitbeamter. Dies ist außer Streit. Hans Küng muß lediglich, und zwar unter Mitnahme seines Lehrstuhls, der eine andere Bezeichnung erhalten wird, aus der Katholisch-Theologischen Fakultät ausscheiden und in einer anderen Fakultät- in der Regel ist dies die Philosophische Fakultät- Aufnahme finden bzw., sofern sich dies nicht verwirklichen lassen sollte, unmittelbar dem Präsidenten der Tübinger Universität unterstellt werden.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

m. Die Freiheit der Theologie Diese Maßnahme haben, sehr zum Leidwesen von Hans Küng, sieben Lehrstuhlinhaber der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität 'I\ibingen in einer gemeinsamen Stellungnahme gefordert. Die "'1\ibinger Sieben" haben wörtlich erklärt: "1. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht nur Individualrecht

eines Professors, sondern auch Institutionenrecht, das die Funktionsfähigkeit der Fakultäten und Universitäten einschließt.

2. Sie steht als Individualrecht des einzelnen Professors nicht in Frage: Er kann weiterhin forschen und lehren, er kann es nur nicht mit dem Lehrauftrag der Kirche. 3. Der weltanschaulich neutrale Staat achtet und schützt die Freiheit der Religionsgemeinschaften, die ihre Angelegenheiten selbst regeln. Deshalb darf er innerhalb der theologischen Fakultäten keine Einrichtungen zur Umfunktionierung der Theologie installieren. Wer gar staatliche Organe auffordern wollte, in der Kirche nach dem Rechten zu sehen, würde dem Staat die längst überholte Kirchenhoheit neu aufbürden." Gegen die von verschiedenen Seiten, insbesondere auch von führenden Vertretern der Freien Demokratischen Partei (FDP) erhobene Forderung, daß Hans Küng im Interesse der Freiheit der Wissenschaft auf alle Fälle in der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität 'I\ibingen bleiben müsse, haben die sieben 'I\ibinger Theologieprofessoren erklärt: "Die theologischen Fakultäten sind heute jedoch in ihrem Bestand gefährdet, nicht nur von außen, sondern zunehmend auch von innen. Wer zuläßt oder wünscht, daß ein Theologe ohne Missio canonica auf Dauer einer theologischen Fakultät angehört, untergräbt ihren wissenschaftstheoretischen Status ebenso wie ihre verfassungsund konkordatsrechtliche Garantie. Diese schützt ja nicht Theologie einfachhin, sondern katholische und evangelische Theologie. Wo die Einbindung in die Kirche unterminiert oder aufgegeben wird, hört zwangsläufig sehr rasch auch das kirchliche Interesse an den Fakultäten auf. Es ist nicht zu übersehen, daß damit einer unheiligen Allianz zwischen integralistisch eingestellten Klerikalen, denen der Bestand staatlicher Fakultäten schon längst ein Dorn im Auge ist, und einem blind gewordenen ideologischen Liberalismus nur Vorschub geleistet wird. Vermeintlich progressive Stimmen, die den für den weiteren Bestand der theologischen Fakultäten unerläßlichen notwendigen kirchlichen Status hintansetzen, leiten Wasser auf diese Mühlen. Kompromisse und Arrangements, die den Keim der Zerstörung in sich tragen,

Staatskirchenrechtliche Implikationen im "Fall Küng"

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mögen sich kurzfristig als Konfliktlösung anbieten. Längerfristig müssen sie sich als Zeitbombe von erheblicher Sprengkraft für das gesamte staatskirchenrechtliche Gefüge erweisen. " 1

rv. Ein Kirche-Staat-Verhältnis Der Grund für die zwingende Rechtsfolge, daß Hans Küng aus der Theologischen Fakultät in Tübingen ausscheiden muß, liegt darin, daß eine Katholisch-Theologische Fakultät an einer staatlichen Universität im Unterschied zu den übrigen Fakultäten, etwa der Rechtswissenschaftlichen oder Medizinischen Fakultät, nicht nur einen staatlichen, sondern zugleich auch einen kirchlichen Rechtsstatus besitzt. In den Auseinandersetzungen um den "Fall Küng" wird, vor allem auch in der Presse und im Fernsehen, weithin übersehen, daß eine Theologische Fakultät an der Universität eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche ist. Es ist weithin, auch unter Juristen, unbekannt, daß eine Theologische Fakultät an einer staatlichen Universität jeweils nur im vollen Einvernehmen zwischen Staat und Kirche errichtet werden kann. Die theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten sind insofern staatlich, als sie im staatlichen Rechtsbereich dieselbe Stellung und dieselben Rechte besitzen, die den übrigen Fakultäten zustehen. Der Staat trägt die Personalkosten und die Kosten für die Ausstattung mit Bibliotheken und den übrigen erforderlichen Sachmitteln. Die Professoren der Theologie an der Universität sind ebenso Staatsbeamte auf Lebenszeit wie ihre Kollegen in den übrigen Fakultäten. Die an den Theologischen Fakultäten abgelegten Examina und akademischen Grade haben dieselbe Rechtsgültigkeit wie die Examina der übrigen Fakultäten. Neben ihrem staatlichen Rechtsstatus besitzt jedoch jede Theologische Fakultät an einer Universität auch noch einen kirchlichen Rechtsstatus, der ihr vom Papst verliehen worden ist. Neben den staatlichen Gesetzen unterliegen die Theologischen Fakultäten auch einer kirchlichen Normierung. Die Theologie, die an der Universität gelehrt wird, ist nicht eine irgendwie geartete Staatstheologie, sondern eine in Bindung an die Glaubenslehre der Kirche stehende Theologie. Aus diesem Grund bedarf jeder Inhaber eines Lehramts an einer Theologischen Fakultät einer kirchlichen Lehrbeauftragung, die ihm vom zuständi1 Vgl. Kirchenkampf mit Hilfe der Theologie? Sieben Professoren der katholischen Theologie in Tiibingen nehmen Stellung im Fall Küng, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Februar 1980, S. 9.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

gen Diözesanbischof erteilt wird. Wird dieser Lehrauftrag entzogen, hat dies unmittelbare Rechtswirkungen auch im staatlichen Bereich. Auch der Staat muß ein Interesse daran haben, daß die Funktionsfähigkeit der Theologischen Fakultäten erhalten bleibt. Er darf deshalb in deren inneres Leben, soweit es der kirchlichen Bestimmung unterliegt, nicht eingreifen. Es würde einen unzulässigen Eingriff in die Lehrfreiheit der Kirche bedeuten, wenn einer Theologischen Fakultät ein Lehrer der Theologie aufgezwungen würde, von dem die Kirche durch ein zuständiges Organ - im Fall Küng war dies die oberste zuständige Instanz der Kirche, die Kongregation für die Glaubenslehre- erklärt hat, daß der betreffende Lehrer der Theologie weder als katholischer Theologe gelten noch als solcher lehren kann. Aus diesem Grunde erscheint das Ausscheiden von Hans Küng aus der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen als unausweichlich. Er bleibt Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität Tübingen, kann aber nicht mehr im Auftrag der Kirche "Katholische Theologie" lehren. Sein Lehrstuhl wird eine andere Bezeichnung erhalten.

Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland I. Vorbemerkungen 1. Statistische Angaben

Die Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, dies gilt sowohl für die katholische als auch für die evangelische Kirche, haben in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren kirchlichen Einrichtungen- insbesondere in den Bereichen von Karitas und Diakonie- gegenüber der Zeit vor 1945 in verstärktem Maße zahlreiche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als kirchliche Dienstnehmer eingestellt. Im unmittelbar kirchlichen Dienst und bei der großen Zahl der rechtlich selbständigen kirchlichen Einrichtungen sind in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig insgesamt etwa 660 000 Dienstnehmer tätig, der größte Teil von ihnen, nämlich 564 000, im Bereich von Karitas und Diakonie. Nach einer Auskunft der Hauptabteilung Bonn des Deutschen Caritas-Verbandes vom 3. September 1984 waren im Jahr 1983 insgesamt 297 614 Dienstnehmer der im Deutschen Caritas-Verband zusammengeschlossenen katholischen Einrichtungen und 266 739 Dienstnehmer des Diakonischen Werkes bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege in Harnburg gegen Unfall versichert. Ferner sind bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft in Harnburg diejenigen Dienstnehmer versichert, die in den öffentlich-rechtlichen Einrichtungen der Kirchen tätig sind. Ihre Zahl beträgt bei der katholischen Kirche etwa 50 000; auch die Zahl der in den öffentlich-rechtlich verfaßten Einrichtungen der evangelischen Kirche tätigen Dienstnehmer beträgt etwa 50000. Es ist somit von einer runden Gesamtzahl von etwa 660 000 kirchlichen Dienstnehmern auszugehen. Aus dieser Tatsache und auch aus der besonderen Stellung, die die Kirchen in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland einnehmen, erklärt sich Erstveröffentlichung in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften. Begründet von Joseph Höffner. Hrsg. von Wilhelm Weber, Bd. 27 (1986), Münster, S. 131-158.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Regensberg, Münster.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

die gesteigerte Aufmerksamkeit, die sich allen arbeitsrechtlichen Problemen im Bereich des kirchlichen Dienstes in der Öffentlichkeit seit längerer Zeit, und wie es scheint in steigendem Maße, zuwendet. Es wäre jedoch eine Irreführung der Öffentlichkeit zu behaupten, die Kirchen seien "der zweitgrößte Arbeitgeber" in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Staat. Diese vielfach, insbesondere auch in den Medien, plakativ aufgestellte Behauptung ist, wie der Konstanzer Arbeitsrechtier Bernd Rüthers nachdrücklich erklärt hat, "falsch und weckt falsche Vorstellungen". Die beiden großen Konfessionen und die Fülle ihrer selbständigen Einrichtungen sind nämlich kein einheitlicher Arbeitgeber. Nur durch eine Verzerrung der Wirklichkeit können die Kirchen zu einem einheitlichen "zweitgrößten" Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland umdefiniert und hochstilisiert werden. Die kirchlichen Dienstnehmer verteilen sich in Wirklichkeit auf viele Hunderte und Tausende von kirchlichen Dienststellen. Manche kirchliche Einrichtungen haben nur ganz wenige Dienstnehmer, bei einigen im karitativen bzw. diakonischen Bereich geht die Zahl der Beschäftigten allerdings an die Grenze von eintausend. Wer die Kirchen als den "zweitgrößten Arbeitgeber" in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet, entstellt und verkennt bewußt oder unbewußt die erheblichen Unterschiede in der Rechtsform der kirchlichen Einrichtungen und im Selbstverständnis der einzelnen kirchlichen Dienstgeber und die daran ausgerichteten Strukturen der kirchlichen Arbeitsverhältnisse.1 2. Der besondere Rechtscharakter des kirchlichen Dienstes

Im Unterschied zu den Arbeitnehmern im Bereich der Industrie, des Handels und des Gewerbes beschäftigen die Kirchen ihre Dienstneh1 Bemd Rüthers, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bemd Rüthers u.a., Die Kirchen und das Arbeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, Kehl am Rhein-Straßburg 1984, S. 3. Zum kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht vgl. ferner: Reinhard Richardi, Das kollektive Arbeitsrecht der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, in: ebd., S. 95 ff.; ders., Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, München 1984; Axel Frhr. von Campenhausen, Die Verantwortung der Kirche und des Staates für die Regelung von Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Bereich, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, hrsg. von Heiner Marre und Johannes Stüting, Bd. 18: Arbeitsrecht in der Kirche, Münster 1984, S. 9 ff.; Wilhelm Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: ebd., S. 67 ff.; Josef Jurina, Das Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1979; ders., Kirchenfreiheit und Arbeitsrecht, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, hrsg. von Joseph Listl und Herbert Schamheck, Berlin 1982, S. 797 ff.

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mer zu kirchlichen Zwecken; sie wollen ihren Auftrag an der Welt und in der Welt mit Hilfe dieser Dienstnehmer erfüllen. Zur Vertragsgrundlage, juristisch gesprochen zur Geschäftsgrundlage, der Arbeitsverhältnisse zwischen den Kirchen und ihren Mitarbeitern gehört daher die Erwartung, daß die Mitarbeiter ihre vertraglichen Aufgaben in Übereinstimmung mit dem Auftrag der Kirche in der Welt sehen und annehmen. Diese Erwartungen der kirchlichen Dienstgeber betreffen nicht nur das Verhalten der Mitarbeiter am Arbeitsplatz. Die Verwirklichung des Auftrags der Kirche in dieser Welt und die richtig verstandene Glaubwürdigkeit der Kirche hängen vielmehr auch vom Verhalten ihrer Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit, also in ihrer Privatsphäre, und von ihrem Verhalten in der Gesellschaft und Politik ab. Pflichtbindungen dieser Art über den Arbeitsplatz hinaus sind, mit Ausnahme der Beamten und der Mitarbeiter in den sogenannten tendenzbezogenen Betrieben, dem gewöhnlichen Arbeitsrecht weitgehend unbekannt. Verbreitet stoßen Erwartungen eines kirchenkonformen Verhaltens der kirchlichen Mitarbeiter im außerdienstlichen Bereich in einer säkularisierten Umwelt auf Unverständnis und zum Teil auf heftige Ablehnung. 2 Dies kann jedoch für die Kirchen kein Grund sein, vor derartigen Auffassungen zu kapitulieren und auf ihr theologisches Selbstverständnis und ihre sittlichen Grundsätze und damit letztlich auch auf ihr Wirken in dieser Welt zu verzichten. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 in Art. 140 in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung den Kirchen und allen übrigen Religionsgemeinschaften ausdrücklich das Recht gewährleistet, ihre Verhältnisse in ihrem Bereich nach ihren Vorstellungen und nach ihrem Selbstverständnis zu gestalten. Diese zentrale Verfassungsbestimmung lautet: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde." Das Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom Jahre 1972 trägt in§ 118 Abs. 2 dieser Verfassungsbestimmung über die Kirchenfreiheit ausdrücklich Rechnung, indem es die Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen ausdrücklich aus seinem Geltungsbereich ausnimmt. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt die Mitwirkung der Arbeitnehmer im Betrieb, d. h. das betriebliche kollektive Arbeitsrecht. Die genannte Bestimmung des § 118 Abs. 2 bildet, wie auch das Bundesverfassungsgericht einmal erklärt hat, die rechtliche Konkretisie2

Bernd Rüthers, Individualrechtliche Aspekte, ebd., S. 3 f.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

rung einer durch die Verfassung gebotenen Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht. 3 Neben diesem für kirchliche Einrichtungen geltenden kirchlichen Selbstbestimmungsrecht kennt das Betriebsverfassungsgesetz in§ 118 Abs. 1 eine weitere Form einer arbeitsrechtlichen Sonderstellung, die für sogenannte Tendenzunternehmen und -betriebe gilt. Darunter werden solche Unternehmen verstanden, die "unmittelbar und überwiegend 1. politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder 2. Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes Anwendung findet, dienen". Für Tendenzunternehmen gilt das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 insoweit nicht, als die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebes dem entgegensteht. Auch der Tendenzschutz des § 118 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes wird als eine im Kernbereich von der Verfassung gebotene Konkretisierung von Grundrechtsgarantien der Religionsfreiheit, der Meinungsäußerungsfreiheit, der Koalitionsfreiheit und der Parteiengründungsfreiheit angesehen. 4 Dabei ist der Schutz der Religionsgemeinschaften{§ 118 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes) wegen der verfassungsrechtlichen Garantie der Kirchenfreiheit in Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung in der Rechtsordnung stärker ausgebaut als der von einfachen Tendenzunternehmen {§ 118 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes). Es ist deshalb notwendig, in der arbeitsrechtlichen Erörterung immer scharf zu unterscheiden zwischen den sogenannten Tendenzunternehmen, auf die die Bestimmung des§ 118 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes Anwendung findet, und den kirchlichen Einrichtungen, die wegen ihrer verfassungsrechtlichen Sonderstellung von der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes überhaupt ausgenommen sind. Der Tendenzschutz und das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungs- und Selbstordnungsrecht der Kirchen sind für die freiheitlich-demokratische Struktur eines weltanschaulich weitgehend neutralen Staatswesens wie der Bundesrepublik Deutschland von grundlegender Bedeutung. Ohne Tendenzschutz und ohne kirchliches Selbstbestimmungsrecht ist eine freiheitliche Staats- und Gesellschaftsordnung auf Dauer nicht zu verwirklichen. Daher sind Tendenzschutz und kirchliches Selbstbestimmungsrecht, deren verfassungssystematischer Rangunterschied in der Gewährleistung beachtet werden muß, "inhaltlich auf3 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 46, S. 73 (95) = Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1978, S. 583. 4 Bernd Rüthers, Individualrechtliche Aspekte, ebd., S. 4.

Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer

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einander bezogene Rechtsfiguren". Würde eine beseitigt oder eingeschränkt, würde damit auch die Festigkeit und die inhaltliche Struktur der anderen tangiert. 5 II. Das individuelle kirchliche Arbeitsrecht Ebenso wie im Bereich des Grundrechts der Religionsfreiheit, bei dem zwischen der individuellen Religionsfreiheit, die dem einzelnen Gläubigen gegenüber dem Staat und gesellschaftlichen Mächten zusteht, und dem korporativen Grundrecht der Religionsfreiheit, d. h. der Kirchenfreiheit, die den Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften als solchen zusteht, unterschieden wird, sind auch im kirchlichen Arbeitsrecht, das eine Ausprägung des Grundrechts der Religionsfreiheit in seiner individualrechtliehen und korporativen Form darstellt, der individualrechtliche und der kollektivrechtliche Bereich zu unterscheiden. Das Hauptproblem des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auf dem Gebiete des individuellen Arbeitsrechts liegt in der Festlegung des Pflichtenkreises der kirchlichen Mitarbeiter in bezug auf ihre Kirchentreue, also zu einer inner- und außerdienstlichen Lebensführung, die nicht in erklärtem Widerspruch zur Glaubens- und den Grundlagen der Sittenlehre der Kirche steht. 6 Zwar gelten im Grundsatz auch für die Arbeitsverträge der kirchlichen Mitarbeiter die allgemeinen Bestimmungen des staatlichen Arbeitsrechts. Die Kirchen können aber aufgrund ihres Selbstbestimmungs-und Selbstverwaltungsrechts die Leistungs- und Treuepflichten ihrer Mitarbeiter in einer ihrem Selbstverständnis entsprechenden Weise ausgestalten und konkretisieren. Besäßen die Kirchen diese Möglichkeit nicht, wären sie gezwungen, ihr Selbstverständnis preiszugeben und sich kirchenfremden und unter Umständen sogar kirchenfeindlichen Maßnahmen zu unterwerfen. Nur in beschränktem Umfang unterliegt diese besondere Treuepflicht kirchlicher Mitarbeiter der Überprüfung durch staatliche Gerichte. Hierbei geht es letztlich um die Frage, ob sich die Festlegung besonderer Loyalitätsverpflichtungen kirchlicher Dienstnehmer für ihre Tätigkeit nach dem Selbstverständnis der katholischen bzw. der evangelischen Kirche oder nach den Vorstellungen der Organe, konkret der Gerichte, des zu religiöser Neutralität verpflichteten Staates bestimmt. Die Letztentscheidung darüber, ob und inwieweit in einem s Ebd., S. 5. s Ebd., S. 6. 40 Sbd. List!

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

konkreten Fall das kirchliche Selbstbestimmungsrecht oder entgegenstehendes staatliches Arbeitsrecht Anwendung zu finden hat, ist dem Bundesverfassungsgericht übertragen. Konkret geht es bei Rechtsstreitigkeiten aus dem Bereich des individuellen Arbeitsrechts immer um Kündigungsklagen. Die Kläger waren immer Arbeitnehmer in kirchlichen oder kirchlich-karitativen Einrichtungen. Der Kündigungsgrund war jeweils ein Verhalten oder ein in der Person des Dienstnehmers liegender Umstand, die dem jeweiligen kirchlichen Dienstgeber als unvereinbar mit der Tätigkeit eines Mitarbeiters in einer kirchlichen Einrichtung erschienen, wie z. B. die Erklärung des Kirchenaustritts, eine Eheschließung entgegen einem trennenden kirchlichen Ehehindernis, die Pflege außerehelicher Intimbeziehungen mit Dienstnehmern derselben kirchlichen Einrichtung, die Betätigung in Betriebszellen des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands in einer kirchlichen Einrichtung, öffentliches Engagement und Agitation kirchlicher Dienstnehmer für die strafrechtliche Freigabe der Abtreibung. Die Welle dieser arbeitsgerichtliehen Kündigungsprozesse in kirchlichen Einrichtungen begann etwa um 1975. Der Ausgang der einzelnen Verfahren zugunsten oder zuungunsten der Kirche war in den unteren Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit, d. h. bei den Arbeitsgerichten und bei den Landesarbeitsgerichten, weithin nicht kalkulierbar. Es hing von den persönlichen ethischen und religiösen Anschauungen und Wertvorstellungen des jeweiligen Arbeitsrichters ab, ob einer gegen eine kirchliche Einrichtung gerichteten Kündigungsklage Erfolg beschieden war oder nicht. So hat z. B. das Arbeitsgericht Krefeld die fristlose Kündigung einer Kindergärtnerin durch eine evangelische Kirchengemeinde für unwirksam erklärt, obwohl die Kindergärtnerin ihren Austritt aus der evangelischen Kirche erklärt hatte. 7 Aufsehen erregte z. B. auch das Arbeitsgericht Hildesheim, das in einem Urteil vom 14. 1. 1976 die fristlose Entlassung des Verwaltungsleiters der Besoldungsgruppe A 16 eines evangelisch-kirchlichen Heims für sexuell verwahrloste Mädchen für unwirksam erklärt hat, obwohl dieser über längere Zeit als Verheirateter intime Beziehungen zu einer Mitarbeiterin der von ihm geleiteten Einrichtung unterhalten hatte. In der Begründung dieses Urteils steht wörtlich der Satz: "Das Arbeitsgericht entscheidet grundsätzlich nicht über Fragen der Sitte 7 ArbG Krefeld, Urt. vom 26. 11. 1975-4 Ca 962175 -, zitiert bei Bernd Rüthers, Kirchenautonomie und gesetzlicher Kündigungsschutz. Zur Arbeitgeberkündigung wegen tendenzwidrigen Verhaltens kirchlicher Arbeitnehmer, in: NJW 1976, S. 1920, Anmerkung 20.

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und Moral. Es mißt nicht mit der moralischen Elle eines Oberlandeskirchenrats." Die besondere, durch die Zwecksetzung der Anstalt für verwahrloste Mädchen gegebene Situation wird in diesem Urteil nicht berücksichtigt. 8 Im Rahmen dieser Ausführungen kann und soll jedoch nicht auf die Fülle der Entscheidungen der unteren Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit eingegangen werden. Die Ausführungen müssen sich vielmehr auf die grundlegenden Leitentscheidungen der obersten Gerichte beschränken. An den Entscheidungen dieser Gerichte haben sich die unteren Instanzen zu orientieren. Deshalb kommt den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und in letzter Instanz des Bundesverfassungsgerichts die maßgebliche Bedeutung zu. 1. Die "Anstreicher-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts vom 31.1. 1956

Die erste Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die in der rechtswissenschaftliehen Literatur nach dem jeweiligen Verständnis, das die einzelnen Autoren einer religiös geführten Einrichtung, wie z. B. einem katholischen Krankenhaus, entgegenbrachten, auf ebenso entschiedene Ablehnung wie uneingeschränkte Zustimmung gestoßen ist, betraf einen Kündigungsfall eines Handwerkers in einem Duisburger katholischen Krankenhaus. In diesem Urteil vom 31. Januar 1956 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, daß an die Tendenz eines solchen Krankenhauses nicht nur die Ärzte und Personen in leitender Stellung, sondern auch Handwerker und Arbeitnehmer in untergeordneten Stellungen gebunden sind, obgleich sie an der eigentlichen Aufgabe einer solchen Anstalt, nämlich der Krankenpflege, nicht unmittelbar beteiligt sind. 9 Bei dieser Entscheidung handelte es sich um die Klage eines katholischen Arbeitnehmers, der seit mehr als 20 Jahren in einem von einer katholischen Kirchengemeinde getragenen und betriebenen Duisburger Krankenhaus im Rahmen eines festen Anstellungsverhältnisses überwiegend mit Anstreicherarbeiten, daher "Anstreicher-Entscheidung", beschäftigt war. Er begehrte vom Arbeitsgericht die Feststellung, daß sein Arbeitsverhältnis durch die vom Kirchenvorstand wegen "sittenwidrigen Verhaltens" ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst sei. Der 43jährige Kläger war, nachdem seine Ehe aus alleiniger s ArbG Hildesheim, Urt. vom 14. 10. 1976-2 Ca 924175 -, zitiert bei Bernd Rüthers, Kirchenautonomie, ebd. 9 BAGE 2, S. 279 =NJW 1956, S. 646; vgl. zu dieser Entscheidung im einzelnen die ausführliche Darstellung bei Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 337 ff. 40*

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Schuld seiner Ehefrau geschieden worden war, zu einer im gleichen Krankenhaus tätigen 18jährigen evangelischen Hausgehilfin in nähere Beziehungen getreten und hatte sich mit ihr, als sie von ihm ein Kind erwartete, standesamtlich trauen lassen. Zwei Wochen nach dieser Eheschließung, die in dem betreffenden Krankenhaus allgemein bekannt wurde, legte der Pfarrer der Kirchengemeinde, dieTrägerindes Krankenhauses ist, in seiner Eigenschaft als Vorsteher des Kirchenvorstandes dem Kläger nahe, das Arbeitsverhältnis von sich aus zu kündigen, da er gegen die Gesetze der katholischen Kirche verstoßen habe und deshalb nicht mehr in seiner Stellung bleiben könne. Der Handwerker widersetzte sich dieser Forderung. Darauf wurde ihm durch Schreiben der Kirchengemeinde unter Einräumung einer Frist von zwei Monaten wegen "sittenwidrigen Verhaltens" gekündigt. Die beiden unteren Instanzen, das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, hielten die Kündigung für ungerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte sich auf den Standpunkt gestellt, der Arbeitgeber, d. h. das Krankenhaus, könne sich in dem Falle des Anstreichers nicht auf eine Verletzung kirchlicher Verbote berufen, wenn, wie im vorgegebenen Fall, eine tendenzmäßige Arbeit überhaupt nicht vorliege, wie z. B. bei Außenarbeitern und im Krankenhaus tätigen Handwerkern. 10 Im Gegensatz zu dieser betont restriktiven Interpretation der von der Zweckbestimmung eines kirchlichen Krankenhauses umfaßten Tätigkeiten durch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat das Bundesarbeitsgericht in seiner damaligen Grundsatzentscheidung vom 31. Januar 1956 festgestellt, daß sämtliche Beschäftigten eines katholischen Krankenhauses an dessen Zweckbestimmung gebunden sind. Deshalb könne ein Arbeitgeber, der sich mit seinem Unternehmen einer achtbaren politischen, gewerkschaftlichen, konfessionellen, karitativen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder ähnlichen Zweckbestimmung widme, einem Arbeitnehmer fristgemäß kündigen, der sich zu dieser Zweckbestimmung nachhaltig in einer Weise in Widerspruch setzt, die die betrieblichen Interessen berührt. Ein solcher Arbeitnehmer habe auch keinen Anspruch auf Kündigungsschutz. Dies gelte auch im Falle eines geschiedenen katholischen Arbeitnehmers und Handwerkers in einem einer katholischen Kirchengemeinde gehörenden und von ihr geleiteten Krankenhaus, der sich entgegen dem Verbot des kanonischen Rechts zu Lebzeiten seiner ersten Frau wiederverheiratet und sich dadurch aus der aktiven Gemeinschaft der Gläubigen seiner Kirche ausgeschlossen habe. 11 1o Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 339. n

Ebd.

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Wie das Bundesarbeitsgericht damals zutreffend festgestellt hat, sei dieser Arbeitnehmer an die Tendenz des Krankenhauses, obwohl er als Handwerker und nicht im Hause wohnender Arbeitnehmer an der eigentlichen Aufgabe der Krankenpflege nicht unmittelbar teilgenommen habe, in doppelter Weise gebunden: einmal durch sein Bekenntnis zum katholischen Glauben und zum andern durch sein seit 20 Jahren währendes Arbeitsverhältnis im Dienste des Krankenhauses. Der Arbeitnehmer hätte einsehen müssen, daß die Kirchengemeinde als Trägerirr des Krankenhauses ihre ihm bekannte Auffassung über die Ehe, die zum Fundament ihrer Glaubenslehre gehöre, nicht um seinetwillen aufgeben könne, wenn sie sich selbsttreubleiben wolle. 12 Dieser sogenannte "Anstreicher-Fall" vom Jahre 1956 bildete die erste Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht. Das Bundesarbeitsgericht hat nach der damaligen allgemeinen Rechtspraxis ein kirchliches Krankenhaus als einen sogenannten Tendenzbetrieb betrachtet, dessen Arbeitnehmer an die Tendenz ihrer Einrichtung gebunden sind. Die später durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelte und inzwischen allgemein anerkannte und herrschende Auffassung, daß christliche Karitas und Diakonie Erscheinungsformen der Religionsausübung sind und daher unter die Verfassungsgarantie und das Grundrecht der Religionsfreiheit fallen, war damals noch nicht verbreitet. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im "Anstreicher-Fall" hat damals eine große Publizität erreicht. Bei den den Kirchen näherstehenden Juristen fand sie Zustimmung, bei anderen eine ebenso dezidierte Ablehnung. Festzuhalten bleibt, daß das Bundesarbeitsgericht damals die Auffassung vertreten hat, daß sämtliche Bediensteten einer kirchlichen Einrichtung in ihrer inner- und außerdienstlichen Lebensführung an die elementaren Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre der jeweiligen Kirche bzw. Konfession gebunden sind. Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im "AnstreicherFall" blieb, wenn sie auch in der Literatur kontrovers beurteilt wurde und umstritten war, für die Gerichtspraxis lange Zeit maßgeblich und bestimmend. Es dauerte volle 22 Jahre, bis sich das Bundesarbeitsgericht erneut mit einem Fall des individuellen kirchlichen Arbeitsrechts in grundsätzlicher Weise zu befassen hatte.

12

Ebd., S. 339 f.

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2. Die "Kindergärtnerin-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts vom 25. April1978

Die zweite Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum individuellen Arbeitsrecht betraf den Fall einer Leiterin eines katholischen Pfarrkindergartens im Saarland. 13 Diese Leiterin eines Kindergartens hatte im Oktober 1974 standesamtlich einen geschiedenen Mann geheiratet. Daraufhin wurde ihr Arbeitsverhältnis seitens der Pfarrgemeinde im November 1974 zum Jahresende gekündigt. Die Kindergartenleiterin hielt die Kündigung für sozial nicht gerechtfertigt und erhob Klage mit dem Antrag auf Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden sei. Das Arbeitsgericht Saarbrücken und das Landesarbeitsgericht Saarbrükken stellten sich auf den Standpunkt, daß die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei und begründeten ihre Auffassung im wesentlichen damit, daß der Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe seitens der Leiterin eines katholischen Kindergartens "eindeutig in deren rein privaten Lebensbereich" gehöre. Daß die Klägerin einen geschiedenen Mann geheiratet habe, so argumentierte das Gericht, begegne nach dem geltenden Recht unseres Staates nicht den geringsten Bedenken. Gerade das Recht zur Eheschließung mit dem Partner eigener Wahl sei Bestandteil des durch das Grundgesetz garantierten Rechts zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Die Äußerung der Klägerin, daß ihre Eheschließung ihre persönliche Angelegenheit sei, beweise, daß sie sich dieses Grundrechts bewußt sei. Wörtlich erklärte das Landesarbeitsgericht Saarbrücken: "Das außerdienstliche Verhalten der Klägerin, das die Beklagte zur Kündigung veranlaßte, war also nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland absolut einwandfrei und kann deshalb grundsätzlich die Kündigungsmaßnahme der Beklagten selbst dann nicht rechtfertigen, wenn es dennoch ein Vergehen (oder auch einen schweren Verstoß) gegen die Vorschriften des kanonischen Rechts darstellte. " 14 Das Bundesarbeitsgericht beurteilte die Rechtslage grundsätzlich anders und hob die beiden Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Saarbrücken auf und entschied, daß im Falle der standesamtlichen Eheschließung der Leiterin eines katholischen Kindergartens mit einem geschiedenen Mann eine hierauf gestützte Kündigung des Dienstverhältnisses sozial gerechtfertigt ist. 15 BAG, Urt. vom 25. 4. 1978-1 AZR 70176 -,in: NJW 1978, S. 2116. LAG Saarbrücken, Urt. vom 29. 10. 1975, in: NJW 1976, S. 645; die zitierte Stelle S. 646. Vgl. hierzu die ablehnende Anmerkung von Theo Mayer-Maly, in: NJW 1976, S. 1118. 15 NJW 1978, S. 2116 ff. 13

14

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Das Bundesarbeitsgericht argumentierte in dieser Entscheidung vom Selbstbestimmungsrecht der Kirche und damit von dem Grundrecht der korporativen Religionsfreiheit her, auf das sich auch die Kirchen und die übrigen Religionsgemeinschaften berufen können. Einerseits, so erklärte das Bundesarbeitsgericht, sind die Kirchen trotzihrer verfassungsrechtlichen Autonomie an das für alle geltende Arbeitsrecht gebunden, wenn sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben Personen in abhängiger Stellung als Arbeitnehmer beschäftigen. Dies gelte grundsätzlich auch dann, wenn die Tätigkeit in der Bindung an den übergeordneten Auftrag der Kirche ausgeübt wird. In Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts können die Kirchen aber in ihren erzieherischen Einrichtungen die von ihrem Verkündigungsauftrag her gebotenen Voraussetzungen für die Loyalitätspflichten der im kirchlichen Dienst tätigen Arbeitnehmer, jedenfalls, so meint das Bundesarbeitsgericht, soweit diese irgendwie an der Verkündigung teilhaben, festlegen. In seiner Entscheidungsbegründung machte sich das Bundesarbeitsgericht die von der Kirche vorgetragene Auffassung zu eigen, daß die in einem Kindergarten einer katholischen Kirchengemeinde geleistete Erziehungsarbeit nach dem kirchlichen Selbstverständnis dem Auftrag der Kirche zur zeit- und personengemäßen Glaubensverkündigung entspringt. Die katholische Kirche erfüllt nach ihrem Selbstverständnis gegenüber Kindern im Vorschulalter und deren Eltern durch die Erziehungsarbeit in ihren Kindergärten einen Auftrag, der sich nicht in einem nur sozialpädagogischen Beitrag erschöpft. Im Kindergarten finde auch ein Unterrichten im Glauben statt. Im übrigen habe die Leiterin des Kindergartens die sie betreffenden Loyalitätsobliegenheiten gekannt oder hätte sie zumindest kennen müssen. Als Katholikin habe die Kindergartenleiterin wissen müssen, daß die Unauflöslichkeit einer gültigen Ehe ein elementarer Grundsatz der katholischen Glaubens- und Sittenlehre ist und daß ein Verstoß gegen diesen Grundsatz von der Kirche als schwerwiegend angesehen wird. Die Kirchengemeinde konnte von der Klägerin, die durch ihre Tätigkeit die geistig-ideelle Zielsetzung der Pfarrgemeinde maßgeblich mitverwirklichen sollte, erwarten, daß sie auch ihr Privatleben entsprechend einrichte. Dagegen habe die Kindergartenleiterin verstoßen. Die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses sei damit sozial gerechtfertigt. 16 Bedenken gegen dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurden seitens der Kirche nur insofern erhoben, als das Gericht einschränkend in einem obiter dieturn erklärt hatte, daß kirchliche Bedienstete, "jedenfalls soweit diese irgendwie an der Verkündigung teilhaben", ver16

Ebd., S. 2120.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

pflichtet seien, auch ihr außerdienstliches Verhalten gemäß den grundlegenden Pflichten der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre einzurichten. 17 Hierbei ließ es das Bundesarbeitsgericht ersichtlich offen, ob derartigen Loyalitätspflichten auch Bedienstete unterliegen, die nicht unmittelbar im Dienste der Glaubensverkündigung stehen. 3. Standesamtliche Eheschließung der Leiterin eines katholischen Pfarrkindergartens mit einem von seinen Ordensgelübden und priesterlichen Verpflichtungen nicht entbundenen Kapuzinerpater

Im wesentlichen mit denselben Argumenten wie im Falle der saarländischen Kindergartenleiterin hat das Bundesarbeitsgericht in einer weiteren Entscheidung vom 4. März 1980 die fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Leiterin eines katholischen Pfarrkindergartens für sozial gerechtfertigt erklärt, die einen Kapuzinerpater geheiratet hatte, von dem sie ein Kind erwartete, der jedoch von seinen Ordensgelübden und seinen priesterlichen Verpflichtungen nicht entbunden worden war. 18 4. Kirchenaustritt einer Fachlehrerin für Textilgestaltung und Gymnastik an einer katholischen Klosterschule

In einer weiteren Entscheidung, die ebenfalls am 4. März 1980 ergangen ist, hat das Bundesarbeitsgericht die Kündigung des Dienstverhältnisses einer Fachlehrerin für Textilgestaltung und Gymnastik an einer katholischen Klosterschule für sozial gerechtfertigt erklärt. Die Lehrerin war aus der katholischen Kirche ausgetreten und hatte diesen Umstand bei ihrer Einstellung als Fachlehrerin verschwiegen. Das zuständige Arbeitsgericht in Heme hatte die Kündigung als sozial ungerechtfertigt angesehen, das Landesarbeitsgericht Ramm sie dagegen als zulässig betrachtet. Das Bundesarbeitsgericht stellte sich bei dieser Entscheidung auf den Standpunkt, daß das Verhalten der Lehrerin, auch wenn diese in den Fächern Textilgestaltung und Gymnastik zu unterrichten habe, einen inneren Widerspruch darstelle, wenn sie selbst aus der katholischen Kirche aus getreten sei, das Bildungsziel der Schule aber die Erziehung zum katholischen Glauben sein soll. Wörtlich erklärte das Bundesarbeitsgericht zu dem Verhalten der Lehrerin: "Ihre durch den Kirchenaustritt dokumentierte Absage an die katholische Kirche läßt die Klägerin somit ungeeignet erscheinen, an 11

Ebd., S. 2117.

ta BAG, Urt. vom 4. 3. 1980-1 AZR 125178 -,in: NJW 1980,

S. 2211.

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der Erziehungsarbeit einer katholischen Schule in kirchlicher Trägerschaft mitzuwirken. " 19 5. Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe durch eine an einem Missions-Gymnasium angestellte Fachlehrerin für Mathematik und Geographie als Kündigungsgrund

Im Rahmen der in der "Kindergärtnerin-Entscheidung" vom 25. 4. 1978 sowie in den beiden Urteilen vom 4. 3. 1980 entwickelten Rechtsprechung hält sich auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Oktober 1984, 20 in dem das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, daß sich eine an einem von Franziskanermönchen geleiteten MissionsGymnasium für die Fächer Mathematik und Geographie im Sekundarbereich I angestellte katholische Lehrerin, die standesamtlich einen geschiedenen, der römisch-katholischen Kirche angehörenden Mann geheiratet hatte, der in erster Ehe mit einer ebenfalls römisch-katholischen Frau verheiratet war, "durch die standesamtliche Eheschließung mit einem geschiedenen Mann" für die vertraglich übernommene Lehr- und Erziehungsaufgabe an dem Missions-Gymnasium "ungeeignet gemacht" habe. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb die ordentliche Kündigung des Schulträgers aus personenbedingten Gründen im Sinne des§ 1 Kündigungsschutzgesetz für sozial gerechtfertigt erklärt. 6. Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe durch eine geschiedene Stenotypistin eines Diözesan-Caritasverbandes

Eine neue Wende in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum individuellen kirchlichen Arbeitsrecht bedeutete die Entscheidung dieses Gerichts vom 14. Oktober 1980. Hierbei ging es um die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer fristgemäßen Kündigung des Dienstvertrags einer Schreibkraft, die bei einem Diözesan-Caritasverband tätig war und nach Scheidung ihrer Ehe eine erneute, nur standesamtlich geschlossene Ehe eingegangen war. 21 In dem in Schriftform geschlossenen Dienstvertrag dieser Schreibkraft waren die "Richtli19 BAG, Urt. vom 4. 3. 1980-1 AZR 1151178 -, in: KirchE 18, S. 50 = ZevKR 27 (1982), S. 387 (nur L.S.) = RdA 1980, S. 237 = DB 1980, S. 2529 = BB 1980, s. 1639. 2o BAG, Urt. vom 31. 10. 1984-7 AZR 232/83-, in: NJW 1985, S. 1855. 21 BAG, Urt. vom 14. 10. 1980-1 AZR 1274179 -,in: NJW 1981, S. 1228. Kritische Anmerkung zu dieser Entscheidung bei Klaus Schlaich, in: Arbeitsrechtliche Praxis (AP), Nr. 7 zu Art. 140 GG, Blatt 10-13.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

nien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" in der jeweils gültigen Fassung zum Bestandteil des Arbeitsvertrags erklärt worden. Der Diözesan-Caritasverband hatte den Dienstvertrag wegen "schweren Verstoßes gegen elementare sittliche Grundnormen der katholischen Kirche" gekündigt. Die Angestellte hatte in ihrer Dienststelle nicht nur Schreibarbeiten auszuführen, sondern auch den Geschäftsführer bei dessen Abwesenheit zu vertreten und auch Außenstellen zu betreuen. In dieser Entscheidung gab das Bundesarbeitsgericht dem DiözesanCaritasverband im Ergebnis recht und erklärte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Stenotypistin für sozial gerechtfertigt. Wie das Bundesarbeitsgericht in der Begründung dieser Entscheidung im einzelnen ausführte, gelangte es zu diesem Ergebnis aber nur deshalb, weil die Angestellte nicht nur die für eine Stenotypistin typischen Arbeiten, sondern zu einem nicht unerheblichen Teil ihrer vertraglichen Tätigkeit auch unmittelbar karitative Aufgaben mit Außenbeziehungen und Parteiverkehr wahrgenommen hatte. Obwohl die Kirche diesen Prozeß im Ergebnis gewonnen hat, argumentierte das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung jedoch insofern auf einer neuen Basis, als es den Gesichtspunkt der "Glaubwürdigkeit" der Kirche zum entscheidenden Kriterium dafür machte, ob eine Kündigung als sozial gerechtfertigt anzusehen ist oder nicht. Nur soweit die Glaubwürdigkeit der Kirche es erfordere, könne sie ihren Dienstnehmern die Beachtung der wesentlichen Grundsätze ihrer Glaubens- und Sittenlehre zur Pflicht machen. Wörtlich erklärt das Gericht in dieser Entscheidung: "Nicht jede Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis zur Kirche hat eine solche Nähe zu spezifisch kirchlichen Aufgaben, daß der die Tätigkeit ausübende Arbeitnehmer mit der Kirche identifiziert und deshalb die Glaubwürdigkeit der Kirche berührt wird, wenn er sich in seiner Lebensführung nicht an die tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre hält. So dürfte die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche kaum berührt sein, wenn etwa der Heizer oder Betriebshandwerker oder ein Arbeitnehmer im Küchen- und Reinigungsdienst eines katholischen Krankenhauses zu Lebzeiten seines geschiedenen Ehegatten eine neue Zivilehe eingeht. Ausdrücklich rückt das Bundesarbeitsgericht damit von der oben behandelten Entscheidung vom 31. 1. 1956 im sogenannten "Anstreicher-Fall" ab. "Gleiches", meint das Bundesarbeitsgericht, "dürfte für einen Arbeitnehmer gelten, der ausschließlich im internen Schreibdienst eingesetzt ist. ,m 22

NJW 1981, S. 1229.

Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer

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Konkret bedeutet dies etwa, daß eine Kündigung dann nicht als sozial gerechtfertigt anzusehen ist, wenn der Chauffeur des Bischofs oder die Sekretärin des Generalvikars oder des Präsidenten des Landeskirchenamtes in einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe oder im Konkubinat leben oder sogar aus der Kirche ausgetreten sind. Nur wer unmittelbar in der Glaubensverkündigung steht oder als Lehrer tätig oder mit Entscheidungsbefugnissen in karitativen Einrichtungen betraut ist, beeinträchtigt nach dieser Meinung des Bundesarbeitsgerichts die "Glaubwürdigkeit" der Kirche, wenn er sich in seiner außerdienstlichen Lebensführung nicht an die tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre hält. Diese diffuse "Glaubwürdigkeitstheorie" des Bundesarbeitsgerichts ist für die Praxis untauglich und nicht haltbar. In der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts wird die innere Glaubwürdigkeit der Kirche gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern völlig außer acht gelassen; auch nach außen erscheint keineswegs geklärt, in wessen Augen und nach wessen Urteil die Kirche auch dann noch glaubwürdig oder vielleicht auch nicht mehr glaubwürdig ist, wenn sie durch die Organe des zu religiöser Neutralität verpflichteten Staates gezwungen wird, Dienst- und Arbeitnehmer auch dann noch zu beschäftigen, wenn sich diese durch ihre Lebensführung - oder vielleicht auch sogar durch die Erklärung des Kirchenaustritts - zu den fundamentalen Grundsätzen der Glaubens- und Sittenlehre der katholischen Kirche in einen erklärten Widerspruch setzen. Für die Kirche stellt sich diese von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelte "Glaubwürdigkeitstheorie" als ein Versuch dar, ihr unter Verletzung des Grundrechts der Religions- und Kirchenfreiheit mit staatlichen Gewaltmitteln Mitarbeiter aufzuzwingen, die sich in grundsätzlichen Fragen zur Lebensordnung der Kirche in Widerspruch setzen. Eine "abgestufte Loyalitätspflicht" für kirchliche Dienstnehmer und Mitarbeiter in dem Sinn, daß die nicht in der unmittelbaren Glaubensverkündigung stehenden und nicht mit Leitungsbefugnissen im diakomsehen und karitativen Bereich ausgestatteten Bediensteten nicht an die grundlegenden Gebote der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre gebunden sein sollen, kann und will die Kirche nicht akzeptieren. Ähnlich wie der Staat in seinem Beamtenrecht muß auch die Kirche von allen ihren Dienstnehmern die Beobachtung eines unverzichtbaren Minimums fundamentaler Loyalitätspflichten verlangen können. Dies wird ihr durch die Rechtsprechung, wie sie das Bundesarbeitsgericht in Anwendung der sogenannten "Glaubwürdigkeitstheorie" in seiner Entscheidung vom 14. 10. 1980 entwickelt hat, verwehrt. Damit wird die Kirche in schwerwiegender Weise in ihrem Grundrecht der korporativen Religionsfreiheit des Art.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes und auch in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht des Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung verletzt. 7. Verletzung der einem an einem katholischen Krankenhaus angestellten Assistenzarzt obliegenden Loyalitätspflichten

Durch zwei denselben Fall betreffende Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 1982 über die Loyalitätspflichten eines an einem katholischen Krankenhaus beschäftigten Assistenzarztes, der sich in einer Unterschriftenaktion in dem Magazin "Stern" und anschließend in einem Interview im Westdeutschen Rundfunk für die strafrechtliche Freigabe der Abtreibung eingesetzt hatte, hat das Bundesarbeitsgericht die von dem Träger des katholischen Krankenhauses, einer Kongregation katholischer Ordensschwestern, ausgesprochene Kündigung für sozial nicht gerechtfertigt erklärt. 23 Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidungsbegründung zwar eingeräumt, daß der Arzt mit der Unterzeichnung des im "Stern" veröffentlichten Leserbriefs seine gegenüber dem Träger des Krankenhauses bestehende Loyalitätspflicht verletzt habe und daß dieses vertragswidrige Verhalten auch geeignet sei, einen verhaltensbedingten Grund zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung abzugeben. 24 Die "Glaubwürdigkeit" der Kirche in ihrer Lebensäußerung Krankenpflege sei betroffen, wenn die Kirche dulde, daß ein in ihrem Dienst stehender Arzt öffentlich für den staatlich erlaubten Schwangerschaftsabbruch eintrete, der nach der kirchlichen Rechtsordnung ein schweres Verbrechen darstelle. Angesichts der Bedeutung, die die Kirche dem absoluten Schutz des werdenden Lebens beimesse, werde dem Arzt nichts Unangemessenes zugemutet, wenn er sich einer öffentlichen Stellungnahme enthalten soll, die im Gegensatz zu dieser Grundhaltung der Kirche stehe. 25 Ungeachtet dessen hielt das Bundesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Entscheidung der Vorinstanz die festgestellte Pflichtverletzung des klagenden Arztes nicht für gewichtig genug, daß sie eine ordentliche Kündigung sozial hätte rechtfertigen können. Gegen diese beiden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 1982 wurden vom Träger des betroffenen Krankenhauses Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht erhoben. 26 23 BAG, Urt. vom 21. 10. 1982-2 AZR 591/80 -, in: NJW 1984, 826; Urt. vom 21. 10. 1982-2 AZR 628/80 -, in: KirchE 20, S. 160 mit Anm. 1 (mit zahlreichen bemerkenswerten Hinweisen). 24 NJW 1984, S. 827. 25 Ebd., S. 828.

Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer

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8. Kirchenaustritt eines an einem in der Trägerschaft einer katholischen Ordensgemeinschaft stehenden Lehrlingsheim angestellten Buchhalters

Auf der Linie der sogenannten "abgestuften" Loyalitätspflichten kirchlicher Dienstnehmer liegt auch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23. März 1984. 27 Hierbei ging es um das Verhalten eines Buchhalters, der an einem Lehrlingsheim angestellt war, das in der Rechtsträgerschaft eines katholischen Ordens steht. Der Buchhalter hatte den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt, und dieses Verhalten anfangs auch gegenüber seinem Arbeitgeber verheimlicht. Nachdem dem Provinzökonomen die Tatsache des Kirchenaustritts des Angestellten bekanntgeworden war, kündigte die Ordensprovinz das Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsgericht München hielt die Kündigung für sozial gerechtfertigt, das Landesarbeitsgericht Bayern und das Bundesarbeitsgericht erklärten die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Auch gegen dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts wurde Verfassungsbeschwerdezum Bundesverfassungsgericht erhoben. 28 9. Im außerdienstlichen Bereich ausgeübte homosexuelle Praxis eines im Dienst des Diakonischen Werks einer evangelischen Landeskirche stehenden, im Bereich der Konfliktberatung (Familienhilfe) tätigen Arbeitnehmers

Wenig erfreulich für die Evangelische Kirche von Westfalen ist im Ergebnis das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. Juni 1983. 29 Dabei ging es um einen Diplom-Psychologen, der im Dienste des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche von Westfalen steht und insbesondere im Bereich der Konfliktberatung, der Familienhilfe, der Betreuung suchtkranker Männer und geistig Behinderter eingesetzt ist. Die Beratung im Rahmen der Familienhilfe betrifft auch Fragen der Schwangerschaftsunterbrechung. Das Diakonische Werk, in dessen Diensten der Diplom-Psychologe steht, hatte sein Arbeitsverhältnis gekündigt, weil bekanntgeworden war, daß der Diplom-Psychologe mit einem 18jährigen jungen Mann, der unter seinen Einfluß geraten war, intensive homosexuelle Beziehungen unterhielt und im übrigen auch aktiv in der "Schwulen-Initiative" der Stadt M. tätig war. 26 Aktenzeichen der Verfassungsbeschwerde gegen das Urt. des BAG vom 21. 10. 1982 (2 AZR 591/80): 2 BvR 1718/83; Aktenzeichen der Verfassungsbeschwerde gegen das Urt. des BAG vom 21. 10. 1982 (2 AZR 628/80): 2 BvR 1703/ 83. 27 BAG, Urt. vom 23. 3. 1984-7 AZR 249/81-, in: NJW 1984, S. 2596. 28 Aktenzeichen der Verfassungsbeschwerde gegen das Urt. des BAG vom 23. 3. 1984: 2 BvR 856/84. 29 BAG, Urt. vom 30. 6. 1983-2 AZR 524/81-, in: NJW 1984, S. 1917.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

Das Bundesarbeitsgericht hält zwar eine Kündigung eines DiplomPsychologen wegen außerdienstlicher homosexueller Betätigung grundsätzlich für zulässig, sah jedoch in Übereinstimmung mit den beiden Vorinstanzen in dem Verhalten des in der Konfliktberatung eingesetzten Diplom-Psychologen keinen hinreichenden Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung. Das Gericht verlangt von dem Diakonischen Werk, daß es den Diplom-Psychologen vorher "abmahnt" und ihm damit Gelegenheit gibt, "durch Änderung seines Verhaltens in Zukunft eine Kündigung abzuwenden". In der von der betroffenen evangelischen Landeskirche weiter beanstandeten Teilnahme des Psychologen an der Veranstaltung der Schwulen-Initiative hat das Bundesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen ebenfalls kein vertragswidriges Verhalten des Psychologen gesehen. Diese Initiative wende sich , wie das Bundesarbeitsgericht ausführt, "gegen die öffentliche Diskriminierung der Homosexualität". Die Teilnahme an Veranstaltungen mit dieser Zielsetzung könne nicht als ein öffentliches Leben der Homosexualität im Sinne der vorgelegten kirchlichen Stellungnahmen gewertet werden. An dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist ebenfalls zu kritisieren, daß das staatliche Gericht in der Beurteilung ethisch-religiöser Fragen seine eigenen säkularen Maßstäbe an die Stelle kirchlich-religiöser Wertungen setzt und damit das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Kirche ignoriert und damit die Verfassung verletzt. 10. Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985

Die Klärung der staatskirchenrechtlichen Grundsatzfragen, ob die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung und Bewertung von Loyalitätsverletzungen kirchlicher Dienstnehmer, die sich in schwerwiegender Weise zu tragenden Grundsätzen der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre in Widerspruch gesetzt haben, an das theologisch-ekklesiologische Selbstverständnis der Kirchen gebunden sind oder nach kirchenfremden, religiös-indifferenten und säkularen Maßstäben entscheiden können, erfolgte durch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung über die oben genannten Verfassungsbeschwerden, die gegen die betreffenden Urteile des Bundesarbeitsgerichts und die im Ergebnis mit den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts übereinstimmenden Urteile der Vorinstanzen erhoben worden sind. 30 30 BVerfG, Beschluß vom 4. 6. 1985 (Az.: 2 BvR 1703/83, 1718/83 und 856/84), in: BVerfGE 70, S. 138-173; abgedruckt u.a. auch, in: EuGRZ 1985, S. 488 ff.; ebenfalls in: DÖV 1985, S. 975 ff. Diese Entscheidung ist für das kirchliche

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Unter Aufhebung der oben unter Nr. 7 behandelten beiden Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 1982 sowie der vorausgehenden Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf und des Arbeitsgerichts Essen im Falle des an einem Essener katholischen Krankenhaus angestellten Assistenzarztes sowie des oben unter Nr. 8 genannten Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 23. März 1984 und des vorausgehenden Urteils des Landesarbeitsgerichts München vom 9. April 1981 im Falle des an einem Münchener katholischen Lehrlingsheim angestellten Buchhalters entschied das Bundesverfassungsgericht, daß a) die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts den Kirchen gewährleiste, darüber zu befinden, welche Dienste es in ihren Einrichtungen geben soll und in welchen Rechtsformen sie wahrzunehmen sind. Die Kirchen können sich dabei auch der Privatautonomie bedienen, um ein Arbeitsverhältnis zu begründen und zu regeln. Auf diese Arbeitsverhältnisse findet das staatliche Arbeitsrecht Anwendung; hierbei bleibt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wesentlich. Dies ermöglicht den Kirchen, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer verbindlich zu machen. b) Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richtet sich nach den von der verfaßten Kirche anerkannten Maßstäben. Dabei kommt es, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben hat, weder auf die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedensten Motiven beeinflußt sein kann, noch auf diejenige breiter Kreise unter den Kirchengliedern oder etwa gar einzelner bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an. c) Im Streitfall haben die Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt, hierüber selbst zu befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, Dienst- und Arbeitsrecht von grundsätzlicher Bedeutung und auch für die Zukunft von großer Tragweite. Viele bisher bestehende Unsicherheiten wurden durch diesen Spruch des Bundesverfassungsgerichts beseitigt. Die durch diese Entscheidung herbeigeführte Rechtsklarheit dient auch der Sicherung des gerade auf dem Gebiete des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts notwendigen Rechtsfriedens.

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welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind und was als- gegebenenfalls schwerer- Verstoß gegen diese anzusehen ist. d) Auch die Entscheidung darüber, ob und auf welche Weise innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit. Soweit diese kirchlichen Vorgaben den anerkannten Maßstäben der verfaßten Kirchen Rechnung tragen, was in Zweifelsfällen durch entsprechende gerichtliche Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden aufzuklären ist, sind die Arbeitsgerichte an sie gebunden. 31 Nur in den Fällen, in denen sich die Gerichte bei Zugrundelegung der kirchlichen Maßstäbe in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung begäben, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in dem Begriff der "guten Sitten" (§ 138 Abs. 1 BGB) und des order public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben, sind die Arbeitsgerichte an die kirchlichen Vorgaben nicht gebunden. 32 e) Liegt eine Verletzung von Loyalitätspflichten vor, so ist die weitere Frage, ob diese eine Kündigung des kirchlichen Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigt, nach den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 1 des KSchG und 626 BGB zu beantworten. Diese Bestimmungen unterliegen als für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRVeiner umfassenden arbeitsgerichtliehen Anwendungskompetenz. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. Juni 1985 festgestellt hat, hat das Bundesarbeitsgericht im Falle des Essener Assistenzarztes "die Schwere und Tragweite des festgestellten Loyalitätsverstoßes zu gering eingeschätzt". 33 Der Arzt habe sich nicht nur in dem Aufruf im "Stern", sondern später erneut in dem Fernsehinterview, zu einer Zeit, als ihm bereits gekündigt worden war, zu der von der katholischen Kirche abgelehnten Regelung des§ 218 StGB bekannt und, wie das Bundesarbeitsgericht ausgeführt habe, gegen das von ihr "vertretene absolute Verbot des Schwangerschaftsabbruchs Stellung genommen". Nach kirchlichem Recht sei die Tötung eines Ungeborenen als Tötung eines unschuldigen Menschen anzusehen; sie stelle ein "schweres Verbrechen" dar, für das der von selbst eintretende Kirchenbann, d. h. die Ausstoßung eines Kirchengliedes aus der Gemeinschaft der Gläubigen, angedroht sei. 34 Es handele sich um eine 31 32

33 34

BVerfGE 70, S. 138 (168). Ebd. BVerfGE 70, S. 138 (170). Codex Iuris Canonici v. 27. 5. 1917 (CIC/1917), can. 2257 § 1; can. 2350 § 1.

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Lehre, die seit den ersten Jahrhunderten der Kirche bestehe und die das Zweite Vatikanische Konzil bis in die Gegenwart dadurch bekräftigt habe, daß es die Abtreibung als verabscheuungswürdiges Verbrechen bewertet habe. Verfassungsrechtlich sei dieses Verständnis der Kirche die maßgebliche Richtschnur für die Beurteilung des gerichtlich festgestellten Loyalitätsverstoßes des Klägers. Aus dieser Sicht folge, daß der Träger des Essener katholischen Krankenhauses seinen karitativen Aufgaben nicht mehr nachkommen zu können glaube, wenn er einen Arzt weiterbeschäftigen müßte, der öffentlich derart fundamentale Grundsätze der kirchlichen Lehre in Frage gestellt habe. Für den Träger des Krankenhauses erschien das Verhalten des Arztes daher nicht nur aus Gründen seiner Glaubwürdigkeit als kirchliche Einrichtung, auf die das Bundesarbeitsgericht allein abgestellt habe, als unannehmbar; der Träger des Krankenhauses, eine Ordensgemeinschaft katholischer Schwestern, sah, wie sich aus ihrem Vortrag ergebe, auch die Vertrauensbasis der Mitarbeiter im Rahmen der Dienstgemeinschaft in Gefahr, deren Wahrung die alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dienen sollte. Durch seine Äußerungen habe der Kläger gegen Grundpositionen des kirchlichen Verständnisses von der Unantastbarkeit menschlichen Lebens Stellung bezogen und sich, gemessen an kirchlichen Normen, außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft gestellt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte daher die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Arztes für sozial gerechtfertigt. 35 Auch im Falle des Münchener Buchhalters hat, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, das Bundesarbeitsgericht der "Loyalitätsobliegenheitsverletzung" des Klägers nicht das von der Verfassung her gebotene Gewicht beigemessen. Der Kirchenaustritt gehöre nach kirchlichem Reche 6 zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche. Die Kirche betrachte den Ausgetretenen als Abtrünnigen und dem Kirchenbann verfallen. 37 Der Kirchenaustritt vertrage sich aus der Sicht der Kirche weder mit ihrer Glaubwürdigkeit noch mit der von ihr geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien. Das Arbeitsverhältnis des Buchhalters sei daher vom Träger dieser Einrichtung, einer katholischen Ordensgemeinschaft, zu Recht gekündigt worden. Das Bundesarbeitsgericht habe in seinen Entscheidungen "die Bedeutung und Tragweite des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV verkannt". Es habe bei seiner Abwägung im Rahmen des Kündigungsschutzrechts dem Selbstverständnis der Kirche "nicht das von der Ver35 36 37

BVerfGE 70, S. 138 (171 f.). ClC/1917, can. 2314. Ebd., can. 2314 § 1 n. 1.

41 Sbd. List!

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fassunggeforderte Gewicht beigemessen und damit in verfassungswidriger Weise die Freiheit der Kirche, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln, beschränkt". 38

m. Das kollektive kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht Zum Bereich des kollektiven kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts sind bisher lediglich zwei Grundsatzentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ergangen, die in beiden Fällen aufgrundvon Verfassungsbeschwerden vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden sind. 1. Der Begriff einer karitativ-kirchlichen Einrichtung im Sinne des § 118 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes

In dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 21. November 1975 ging es um die Frage der Interpretation des§ 118 Abs. 2 BVG. Danach sind "Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen" vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen. 39 Das Bundesarbeitsgericht hat den Begriff der kirchlichen karitativen und erzieherischen Einrichtung in seiner Entscheidung vom 21. November 1975 außerordentlich restriktiv ausgelegt. Der Streit entzündete sich hinsichtlich der Frage, ob für das Wilhelm-Anton-Hospital in Goch, einer Stiftung des privaten Rechts, eine Mitarbeitervertretung nach kirchlichem Recht, wie dies das Bistum Münster verlangte, oder ein Betriebsrat, wie dies die betreffende Gewerkschaft forderte, zu bestellen sei. Das Wilhelm-Anton-Hospital in Goch beschäftigte insgesamt ca. 240 Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte, einschließlich Ärzte). Die beiden geborenen und ständigen Mitglieder des Kuratoriums sind die jeweiligen Pfarrer der beiden katholischen Kirchengemeinden in Goch. Die übrigen fünf Mitglieder des Kuratoriums werden vom Kuratorium aus den römisch-katholischen Einwohnern der Stadt Goch oder aus dem Einzugsgebiet auf die Dauer von sechs Jahren gewählt. Vorsitzender des Kuratoriums ist der Pfarrer der Kirchengemeinde Sankt Maria Magdalena in Goch. Das Wilhelm-Anton-Hospital ist Mitglied des Caritasverbandes für die Diözese Münster. Das Bundesarbeitsgericht vertrat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz den Standpunkt, daß eine Stiftung des privaten Rechts wie das 38

39

BVerfGE 70, S. 138 (172). BAG, Beschluß vom 21. 11. 1975-1 ABR 12175 -,in: NJW 1976, S. 1165.

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Wilhelm-Anton-Hospital nur dann eine karitative Einrichtung einer Religionsgemeinschaft im Sinne von§ 118 Abs. 2 BVG sei, wenn die betreffende Religionsgemeinschaft einen entscheidenden Einfluß auf die Verwaltung der Stiftung habe. Seien nur zwei der insgesamt sieben Mitglieder des Stiftungskuratoriums Amtsträger der Kirche, so habe diese noch keinen entscheidenden Einfluß auf die Verwaltung der Stiftung. Das Bundesarbeitsgericht gelangte zu dem Ergebnis, daß das Hospital nach § 118 Abs. 2 BVG nicht von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen sei, da das Wilhelm-AntonHospital keine kirchliche Stiftung sei. Das Krankenhaus sei damit "betriebsratsfähig". Demgegenüber entschied das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 11. Oktober 1977, daß nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV nicht nur die organisierte Kirche und die rechtlich selbständigen Teile dieser Organisation, sondern alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform Objekte sind, bei deren Ordnung und Verwaltung die Kirche grundsätzlich frei ist, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen.40 Das Betriebsverfassungsgesetz selbst erweise sich, indem es zugunsten der Religionsgemeinschaften und ihrer karitativen und erzieherischen Einrichtungen- unbeschadet deren Rechtsform-in § 118 Abs. 2 einen ausdrücklichen Vorbehalt mache, nicht als ein für alle geltendes Gesetz. Es nimmt vielmehr mit dieser Vorschrift "auf das verfassungsrechtlich Gebotene Rücksicht". Damit hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß auch sämtliche rechtlich selbständigen Einrichtungen, die kirchliche Interessen und Zwecke verfolgen, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend der Kirche zu dienen bestimmt sind, von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes frei sind. In ihnen kann somit eine kirchliche Mitarbeitervertretung etabliert werden. Wie das Bundesverfassungsgericht in dieser zutreffenden und begrüßenswerten Entscheidung weiter feststellt, haben das Landesarbeitsgericht Düsseldorf und später auch das Bundesarbeitsgericht die Bedeutung und die Tragweite der Kirchenfreiheitsgarantie des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV und die Auswirkung dieser verfassungsrechtlichen Garantie bei der Auslegung des § 118 Abs. 2 BVG verkannt. Die beiden Gerichte haben mit der Entscheidung, einen 40

BVerfG, Beschluß vom 11. 10. 1977, in: BVerfGE 46, S. 73 (85) = NJW 1978,

s. 581. 41"

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Wahlvorstand zum Zwecke der Durchführung der Betriebsratswahl bei dem Wilhelm-Anton-Hospital in Goch zu bestellen, den Art. 140 GG verletzt. Besondere Erwähnung in der Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verdient auch noch der Hinweis darauf, daß das Bundesarbeitsgericht dadurch, daß es verlangt habe, daß im Kuratorium des Wilhelm-Anton-Hospitals in Goch mindestens die Mehrheit der Mitglieder kirchliche Amtsträger, d. h. Kleriker, sein müßten, die neue Einschätzung des Laien in der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil außer acht gelassen habe. Laie in der katholischen Theologie nach deren Lehre sei nicht derselbe wie Laie in Zusammenhang mit Laizismus: Der katholische Laie sei nicht der säkularisierte Mensch, der den Taufschein besitze und der kirchlichen Lehre gleichgültig gegenüberstehe. Der Laie ist nach den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils lebendiges Glied der Kirche mit dem Recht und der Pflicht zur Teilhabe an den Gnadenschätzen der Kirche und an der Verwirklichung des Auftrags der Kirche bei der Verkündigung von Gottes Wort, bei der Sakramentsverwaltung und bei den Diensten der Kirche in der WeltY 2. Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu kirchlichen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung

Ein zweites Mal befaßte sich das Bundesarbeitsgericht mit dem kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht in der Entscheidung vom 14. Februar 1978, in der dieses Gericht im Falle der Orthopädischen Anstalten Volmarstein, Rehabilitationszentrum, Heil-, Lehr- und Pflegeanstalten für Körperbehinderte, einer Einrichtung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen mit etwa 900 Beschäftigten, die folgende Feststellung getroffen hat: Sind bei einer kirchlichen Einrichtung beschäftigte Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, dann darf der kirchliche Arbeitgeber die Gewerkschaften nicht daran hindern, dort durch betriebsfremde Beauftragte aufzutreten, um ihre Mitglieder zu unterstützen, sie und andere Arbeitnehmer zu informieren sowie neue Mitglieder zu werben. Bei Werbung und Information muß auf die besondere Eigenart der Betriebe, deren Arbeit unter geistlichreligiösem Auftrag steht, Rücksicht genommen werden. 42 Die Klägerin im Ausgangsverfahren dieses Rechtsstreits, die Gewerkschaft ÖTV, war der Auffassung, daß ihr unmittelbar aus Art. 9 41 42

BVerfGE 46, S. 73 (92) = NJW 1978, S. 582. BAG, Urt. vom 14. 20. 1978-1 AZR 280177-, in: NJW 1979, S. 1844.

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Abs. 3 GG, also aus dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit, ein Recht auf Information und Werbung unter den Mitarbeitern der Orthopädischen Anstalten Valmarstein zustehe. Auch die Kirche müsse dieses aus Art. 9 Abs. 3 GG folgende Recht auf koalitionsmäßige Betätigung beachten. Dieses Recht habe Vorrang vor dem Recht der Kirchen auf selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Das zuständige Arbeitsgericht hatte die Klage der ÖTV in richtiger Würdigung der Kirchenfreiheitsgarantie des Grundgesetzes abgewiesen; das Landesarbeitsgericht und das Bundesarbeitsgericht hatten der Klage stattgegeben und sich der Rechtsauffassung der ÖTV angeschlossen. Es kam der Gewerkschaft ÖTV bei ihrer Klage darauf an, daß ihr das Anbringen und Verteilen von Plakaten, Flugblättern, Werbe- und Informationsschriften und der Zutritt zum Zwecke der Information und der Betreuung von Mitarbeitern der Anstalten und zur Werbung neuer Mitglieder gestattet sei, soweit die Kontaktaufnahme mit den Mitarbeitern der beklagten Orthopädischen Anstalten Valmarstein außerhalb der Arbeitszeit geschehe. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluß vom 17. Februar 1981 auf die Verfassungsbeschwerde der Orthopädischen Anstalten Valmarstein hin das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. 2. 1978 und das Urteil des Landesarbeitsgerichts Ramm vom 21. 1. 1977 aufgehoben. Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß diese Urteile das verfassungsmäßige Recht der Orthopädischen Anstalten Valmarstein aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV verletzen. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei festgestellt, daß den Gewerkschaften nicht das Recht zusteht, in karitativen Einrichtungen der Kirchen durch Gewerkschaftsbeauftragte, die in den betreffenden Einrichtungen selbst nicht beschäftigt sind, zu informieren, zu werben und Mitglieder zu betreuenY Die Gewerkschaft ÖTV, der vom Bundesverfassungsgericht Gelegenheit zu einer Äußerung gegeben worden war, hatte die Notwendigkeit des Zutritts betriebsfremder Gewerkschaftsangehöriger zu kirchlichen Einrichtungen damit begründet, daß eine lediglich von betriebsangehörigen Gewerkschaftsbeauftragten ausgeübte Betreuung, Informations- und Werbetätigkeit nicht ausreichend sei. Nur ein externer Gewerkschaftsbeauftragter besitze nämlich die Schulung, die Erfahrung und das Wissen, um im Betrieb effektive Gewerkschaftsarbeit zu lei43 BVerfG, Beschluß vom 17. 2. 1981-2 BvR 384178 -, in: BVerfGE 57,220 = NJW 1981, S. 1829; vgl. hierzu die Dokumentation "Informationen zur Verfassungsbeschwerde der Orthopädischen Anstalten Volmarstein", hrsg. von Lothar Schöppe, Justitiar, im Auftrag des Vorstandes des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen- Landesverband der Inneren Mission e.V., Friesenring 34, 4400 Münster, (Münster 1979).

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sten. Nur er habe auch die dazu erforderliche Unabhängigkeit und die hierzu notwendige Zeit. Durch Verweisung der Gewerkschaft auf die Möglichkeit der Beauftragung betriebsinterner Gewerkschaftsangehöriger werde der Kernbereich der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsfreiheit verletzt. 44 Im einzelnen hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung u. a. auch mit dem Argument begründet, daß die individuelle und die kollektive Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit auf verfassungsrechtlicher Ebene Wirkungen im Rechtsraum gegenüber Dritten zu entfalten vermögen; ebenso sei auch die von der Verfassung gewährleistete Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften und die Gewährleistung der Eigenständigkeit dieser Gesellschaften und ihrer Einrichtungen bei der Beurteilung von Rechtsbeziehungen zu berücksichtigen, die das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berühren. Beide Gewährleistungen entstammten einem vom Verfassungsgeber anerkannten unantastbaren Freiheitsraum, der nicht etwa vom Staat zur Verfügung gestellt oder von ihm abgeleitet sei. 45 Der den Kirchen durch das Grundrecht der Religionsfreiheit und die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gewährleistete Freiraum schränkt auch den Aktionsbereich gewerkschaftlicher Interessen und gewerkschaftlicher Macht ein. Wörtlich erklärt hierzu das Bundesverfassungsgericht: "Der durch das verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und der ihnen zugeordneten Einrichtungen gewährleistete Freiraum wirkt sich auch auf die Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen der Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft als kirchliche Einrichtung und der Gewerkschaft ÖTV aus. " 46 Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG sei kein "für alle geltendes Gesetz" im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WeimRV, das das Selbstbestimmungsrecht der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten einzuschränken vermöchte. Im übrigen könnten sich die Koalitionen, d. h. die Gewerkschaften, bei kirchlichen Einrichtungen nicht nur den Betriebsangehörigen gegenüber außerbetrieblich uneingeschränkt betätigen; sie könnten durch ihre zur Belegschaft zählenden Mitglieder auch innerbetrieblich die ihrem Fortbestand dienenden Rechte wahrnehmen. "Daß externe Gewerkschaftsbeauftragte möglicherweise infolge größerer Unabhängigkeit, vermehrt zur Verfügung stehender Zeit und etwa besserer 44

45

46

BVerfGE 57, S. 239. Ebd., S. 244 = NJW 1981, S. 1830. Ebd.

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Schulung effektivere Gewerkschaftsarbeit zu leisten vermögen, erfordert nicht von Verfassungs wegen ihren Einsatz im Betrieb selbst", erklärt das Bundesverfassungsgericht abschließend. 47 Mit dieser Entscheidung wird das Bundesverfassungsgericht der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten korporativen Religionsfreiheit und der in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV garantierten Freiheit der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten auf dem Gebiete des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts in vollem Umfang und in begrüßenswerter Weise gerecht.

47

BVerfGE 57, S. 247

=NJW 1981, S. 1830.

Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts in der staatlichen und kirchlichen Rechtsordnung I. Kirchenzugehörigkeit und Kirchenaustritt in der staatlichen Rechtsordnung

Infolge der engen Kooperation zwischen Staat und Kirche kommt in der Bundesrepublik Deutschland der Kirchenzugehörigkeit auch in der staatlichen Rechtsordnung Bedeutung zu. Dies gilt vor allem für die Teilnahmepflicht am schulischen Religionsunterricht, der gemäß Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ordentliches Lehrfach istl, und ferner für die Pflicht zur Entrichtung der von der Kirche von ihren Gläubigen erhobenen Kirchensteuer. Die Kirchensteuerpflicht ist nach dem Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland die wirtschaftliche Entsprechung und Folge der Kirchenzugehörigkeit 2 • Bei der Kirchensteuer, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland besteht, handelt es sich um eine von der Kirche aufgrund der Bestimmungen des c. 263 CIC in Verbindung mit c. 222 § 1 CIC, also aufgrund innerkirchlichen Rechts, erhobene Abgabe, die dadurch zur "Steuer" im Sinne der staatlichen Steuergesetzgebung wird, daß der Staat den steuerberechtigten Religionsgemeinschaften durch seine Behörden den Verwaltungszwang zur Verfügung stellt. Hierdurch können die den Kirchen von ihren Gläubigen geschuldeten Abgaben notfalls wie die sonstigen staatlich verordneten Steuern hoheitlich, d. h. ohne vorherige Klageerhebung, beigetrieben werden 3 . Erstveröffentlichung in: Recht als Heilsdienst. Festschrift für Matthäus Kaiser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Schulz. Paderborn: Bonifatius Verlag 1989, S. 160-186.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bonifatius Verlags, Paderborn. 1 Zum Religionsunterricht vgl. die umfassende Darstellung von Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986. 2 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 19, S. 226 (238 f.) = Neue Juristische Wochenschrift 1966, S. 103. 3 Hierzu und zum Kirchensteuerwesen allgemein vgl. die Ausführungen bei Alexander Hollerbach, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (HdbKathKR). Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 893 m.w.N.; Heiner Marre, Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart. Die Kirchensteuer im internationalen Umfeld kirch-

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In einer für das Grundverständnis des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, die ihrem Selbstverständnis nach ein religiös neutrales Staatswesen ist, bedeutsamen Entscheidung vom 31. März 1971 hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, daß die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen, die die Kirchenmitgliedschaft4 von Taufe und Wohnsitz abhängig machen, nicht gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie die negative religiöse Vereinsfreiheit verstößt, sofern der Kirchenangehörige jederzeit die Möglichkeit habe, seine Mitgliedschaft zu beenden 5 • In inhaltlicher Übereinstimmung mit zeitlich früheren Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes 6 und des Bundesverwaltungsgerichts 7 hat das Bundesverfassungsgericht hierzu die Auffassung vertreten, daß schon durch die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an den Empfang der Taufe hinreichend sichergestellt sei, daß ein Kirchenangehöriger für die Kirchensteuer nicht ohne oder gegen seinen Willen der steuerberechtigten Kirche zugeordnet werde. Für den Regelfall der Kindertaufe erklärten die sorgeberechtigten Eltern die Bereitschaft zur Erziehung des Kindes in diesem Bekenntnis. Die Eltern seien sich dabei bewußt, daß diesem Akt herkömmlich die Bedeutung der Zugehörigkeit zu der entsprechenden Kirche beigemessen werde. Daß damit nicht auf den Willen des noch unmündigen Kindes, sondern seiner sorgeberechtigten Eltern abgehoben werde, beeinträchtige nicht das Grundrecht des Kindes auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Insoweit handelten die Eltern kraft ihrer Elternverantwortung für das Kind, das ihrer Hilfe bedürfe, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, und seine Grundrechte noch nicht selbst ausüben könne. Belastende Rechtsfolgen für das Kind würden an die Taufe in der Relicher Abgabensysteme und im heutigen Sozial- und Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland, Essen 1982, S. 43 ff. 4 Im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland wird im Unterschied zu der heute im kanonischen Recht herrschenden Terminologie für die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft generell der Begriff "Kirchenmitgliedschaft", nicht der Begriff "Kirchengliedschaft" verwendet. 5 Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 31. 3. 1971 (1 BvR 744/67), Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 30, S. 415 (426) =Neue Juristische Wochenschrift 1971, S. 931. 6 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 25. 5. 1970 (Az.: Vf. 122 -VII- 69), in: Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Bd. 23, S. 106. 7 Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 19. 7. 1968 (Az.: VII B 2168), nicht veröffentlicht. Vgl. hierzu Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 183 mit Anm. 26.

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gel erst zu einem Zeitpunkt angeknüpft, in dem es die Religionsmündigkeit erlangt habe und daher jederzeit durch Austritt seine Mitgliedschaft beenden könne 8 . Die formgerecht und rechtswirksam vor der zuständigen staatlichen Behörde abgegebene Erklärung des Kirchenaustritts hat für den staatlichen Rechtsbereich die Beendigung der mit der Religionszugehörigkeit verbundenen Verpflichtungen zur Folge. Die Erklärung des Kirchenaustritts aufgrund der staatlichen Vorschriften bewirkt, daß die betreffende Person- unbeschadet der Rechtslage nach dem innerkirchlichen Recht- vom Staat und seinen Behörden nicht mehr als Angehöriger der betreffenden Religionsgemeinschaft angesprochen, gezählt und behandelt wird 9 • Auch im kirchlichen Bereich zieht die Erklärung des Kirchenaustritts für den katholischen Christen schwerwiegende Folgen nach sich. II. Die Minderung der innerkirchlichen Rechtsstellung als Folge der Erklärung des Kirchenaustritts 1. Suspension der Aktivrechte innerhalb der Kirche

Die Erklärung des Kirchenaustritts stellt nach katholischem Kirchenrecht die in öffentlich-rechtlicher Form beurkundete intensivste Form der Abwendung des katholischen Christen von seiner Kirche dar. Der Kirchenaustritt hat deshalb eine umfassende Rechtsminderung der Gliedschaftsstellung des Katholiken, d. h. die Beendigung der "tätigen" Kirchengliedschaft und das Ruhen sämtlicher Aktivrechte innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft zur Folge. Dem steht nicht im Wege, daß die durch den Empfang des Taufsakraments begründete sog. "konsekratorische" oder auch "konstitutionelle" Kirchengliedschaft (Kirchenzugehörigkeit) 10 wegen des durch die Taufe bewirkten unauslöschlichen Merkmals (character indelebilis) weder durch die Erklärung des Kirchenaustritts noch durch irgendeine andere strafbare Handlung beendet oder beseitigt werden s Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 30, S. 415 (426) =Neue Juristische Wochenschrift 1971, S. 931. 9 Axel Frhr. von Campenhausen, Der Austritt aus der Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn und l.nrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. I, Berlin 1974, S. 657 f. m.w.N. 10 Vgl. hierzu Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 11. Aufl., München/Paderborn/Wien 1964, Bd. 1, S. 176 f.; Peter Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 167 ff.

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kann. Wer in der katholischen Kirche getauft wurde oder nach Empfang der Taufe zu ihr übergetreten ist, bleibt nach dem ekklesiologischen Selbstverständnis der katholischen Kirche in untrennbarer Weise Glied, d. h. Angehöriger der katholischen Kirche. Wegen der Erklärung des Kirchenaustritts ruhen jedoch sämtliche Rechte des Katholiken auf irgendeine aktive Mitwirkung innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft. Diese Rechte bleiben in einschneidender Weise bis zur Erklärung des Wiedereintritts in die Kirche, d. h. bis zur Rekonziliation des Katholiken mit der Kirche, suspendiert. Diese Beurteilung und Bewertung des Kirchenaustritts liegt der kirchlichen Praxis in Deutschland seit jeher zugrunde. Als im Jahre 1937 infolge der staatlich gelenkten starken Kirchenaustrittspropaganda der Nationalsozialisten die Zahl der Kirchenaustritte auch unter Katholiken lawinenartig anstieg, wies die Konferenz der westdeutschen Bischöfe mit großem Ernst die Gläubigen auf die Schwere des Vergehens hin, dessen sich die aus der Kirche Austretenden schuldig machen. In der von den westdeutschen Bischöfen am 15. 2. 1937 beschlossenen Kanzelproklamation wird erklärt, daß der Kirchenaustritt, auch wenn er unter äußerem Druck und nur zum Schein erfolge und nicht die innere Leugnung der Glaubenslehre und die Loslösung von der Kirchengemeinschaft in sich schließe, "doch immer eine schwere Sünde" sei. Wer aus der Kirche austrete, verliere das Recht auf den Empfang der heiligen Sakramente, das kirchliche Begräbnis, die Gewinnung von Ablässen und die Segnungen und Fürbitten der Kirche. Die Absolution von dieser Sünde könne nicht ohne weiteres von jedem Beichtvater erteilt werden. Die Vollmacht zur Lossprechung müsse vielmehr in jedem Falle erst vom Bischof erbeten werden und sei an die Bedingung geknüpft, daß der aus der Kirche Ausgetretene vor oder nach der Lossprechung vor einem beliebigen Priester mit Namensunterschrift seine Reue erkläre 11 . 2. Die Minderung der Rechtsstellung des aus der Kirche ausgetretenen Gläubigen im Lichte der Bestimmungen des Codex luris Canonici über die Pflichten und Rechte der Gläubigen

Wie schwerwiegend die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts sich für den katholischen Christen darstellen, zeigt ein Blick auf den Katalog der Pflichten und Rechte aller Gläubigen (cc. 208-223 CIC) und die besonderen Pflichten und Rechte der Laien (cc. 224-231 CIC) des kirchlichen Gesetzbuchs vom 25. 1. 1983. 11 Vgl. Ludwig Volk (Hrsg.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. IV 1936-1939, Mainz 1981, S. 175.

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a) Durch die Erklärung des Kirchenaustritts verstößt der katholische Christ gegen die oberste Grundpflicht, die gemäß c. 209 § 1 CIC in der dauernden Wahrung der Gemeinschaft mit der Kirche besteht. Über die Tragweite dieser Grundpflicht und ihre Verletzung hat Matthäus Kaiser ausgeführt, daß die Gemeinschaft mit der Kirche nicht nur der Lebensraum, sondern auch der Lebensgrund für jeden Einzelnen ist. Trennung von dieser Gemeinschaft ist damit lebensbedrohend. Darum werde die formelle Trennung von dieser Gemeinschaft mit Strafe bedroht (c. 1364 CIC). Weil die Kirche in und aus Teilkirchen bestehe 12 , haben die Christgläubigen Pflichten gegenüber der Gesamtkirche und gegenüber der Teilkirche, zu der sie gehören. Alle diese Pflichten haben sie mit Sorgfalt zu erfüllen (c. 209 § 2 CIC). Leben in dieser Gemeinschaft bedeute immer auch Leben für diese Gemeinschaft13. b) Aus dieser Grundpflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren, ergeben sich die weiteren Pflichten und Rechte des katholischen Christen innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft, nämlich die Verpflichtung, ein heiliges Leben zu führen und das Wachstum der Kirche und ihre ständige Heiligung zu fördern (c. 210 CIC); die Verpflichtung, an der Ausbreitung der göttlichen Heilsbotschaft mitzuwirken (c. 211 CIC); die Verpflichtung zum christlichen Gehorsam gegenüber den Glaubenslehren der geistlichen Hirten (c. 212 CIC); die Verpflichtung, einen Beitrag für die Bedürfnisse der Kirche zu leisten (c. 222 § 1 i. V. m. cc. 1261 § 2, 1262, 1263 CIC); die Verpflichtung zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit und zur Unterstützung der Armen aus den eigenen Einkünften (c. 222 § 2 CIC). c) Durch die Aufkündigung der Gemeinschaft mit der Kirche, die durch den Kirchenaustritt erfolgt, begibt sich der Austretende auch sämtlicher Rechte, die ihm aufgrund des Empfangs der Sakramente der Taufe und der Firmung innerhalb der Kirche zustehen, und hier vor allem des Rechts auf den Empfang und die Inanspruchnahme geistlicher Güter (c. 213 CIC). Der Ausgetretene kann bis zu seiner Rekonziliation mit der Kirche die Sakramente der Kirche nicht empfangen. Auch die übrigen Rechte, wie die innerkirchlichen Kommunikationsrechte der freien Meinungsäußerung (c. 212 §§ 2 und 3 CIC), der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (c. 215 CIC), ferner das Recht auf die eigenen Formen des Gottesdienstes und des geistlichen Lebens 12 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution "Lumen gentium" über die Kirche, Art. 23 Abs. 1. 13 Matthäus Kaiser, Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 175.

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(c. 214 CIC), das Recht auf eigene apostolische Betätigung (c. 216 CIC), die ihrer Natur nach nur in der Kirche und in Verbindung mit der Kirche sinnvoll ausgeübt werden können, sind für den Ausgetretenen, der sich von der Kirche getrennt hat, leerlaufend. d) Auch die Erfüllung der besonderen Pflichten der Laien und die Wahrnehmung ihrer besonderen Rechte (cc. 224-231 CIC) setzt die lebendige Verbindung mit der kirchlichen Gemeinschaft voraus, die durch den Kirchenaustritt zerstört worden ist. In diesen Bestimmungen erwartet die Kirche von den Laien die Mitwirkung bei der Ausbreitung der christlichen Heilsbotschaft (c. 225 § 1 CIC); die Gestaltung der weltlichen Ordnung im Geiste des Evangeliums (cc. 225 § 2, 227 CIC); die Mitwirkung am Aufbau des Volkes Gottes durch Ehe und Familie und die christliche Erziehung ihrer Kinder gemäß der von der Kirche überlieferten Lehre (c. 226 CIC). Zur Erfüllung dieser Aufgaben haben die Laien einen Rechtsanspruch auf Ausbildung in der christlichen Lehre und in den theologischen Wissenschaften (c. 229 CIC). Schließlich können die Laien mit vielfältigen kirchlichen Aufgaben auf den verschiedenen Gebieten des kirchlichen Lebens beauftragt werden (vgl. c. 230 §§ 1 und 2 CIC). Dies gilt sowohl für den Dienst am Wort als auch für die Leitung liturgischer Gebete, die Spendung der Taufe, die Austeilung der heiligen Kommunion (c. 230 § 3 CIC). Sie können ferner Ämter übernehmen im kirchlichen Gericht und in der Vermögensverwaltung. Sie können nach Maßgabe der Bestimmungen des kanonischen Rechts an Konzilien und Synoden teilnehmen, Mitglieder von Beratungsgremien werden, bei Amtsübertragungen (vgl. c. 523 CIC), bei Wahlen und in der Pfarrseelsorge mitwirken 14 . e) Von den im besonderen Dienst der Kirche tätigen Laien, unabhängig davon, ob der Dienst haupt-, neben- oder ehrenamtlich, ob er innerhalb eines kirchlichen Arbeits- oder Dienstverhältnisses oder in Verbindung mit einem außerkirchlichen Dienstverhältnis, ob er hauptoder nebenberuflich ausgeübt wird, verlangt die Kirche, daß sie sich mit den Grundlagen ihrer Glaubens- und Sittenlehre in vollem Umfang identifizieren müssen. Alle in den besonderen Dienst der Kirche Genommenen haben an der Sendung der Kirche in besonderer Weise teil. Sie bilden eine kirchliche Dienstgemeinschaft 15 . Erklärt ein in einem besonderen Dienst tätiger Laie den Austritt aus der Kirche, ist der kirchliche Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtetl 6 . 14

Vgl. im einzelnen Matthäus Kaiser, Die Laien, in: HdbKathKR (Anm. 3),

s. 189.

15 Vgl. hierzu im einzelnen Winfried Aymans, Die Träger kirchlicher Dienste, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 196-198.

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f) Ferner wird der rechtliche Gesamtstatus des katholischen Christen durch die Erklärung des Kirchenaustritts in vielfacher Weise beeinträchtigt. Die Erklärung des Kirchenaustritts bewirkt insbesondere die Unfähigkeit zur Ausübung jedweden kirchlichen Wahlrechts (c. 171 § 1 n. 4 CIC), die Unfähigkeit zur Übernahme eines kirchlichen Amtes (c. 149 § 1 CIC), die Enthebung von jedwedem kirchlichen Amt (c. 194 § 1 n. 2 CIC), die Unfähigkeit der Mitgliedschaft in einem öffentlichen kirchlichen Verein (c. 316 §§ 1 und 2 CIC), die Unfähigkeit der Mitgliedschaft im Pastoralrat der Diözese (c. 512 § 1 CIC) sowie die Unfähigkeit der Übernahme des Dienstes eines Taufpaten (c. 874 § 1 nn. 3 und 4 CIC) und eines Firmpaten (c. 893 § 1 CIC).

m. Die Auswirkungen der Erklärung des Kirchenaustritts im kirchlichen Eherecht

1. Statusrechtliche Folgen des durch eine formelle Erklärung geschehenen Abfalls von der Kirche im Bereich des Eherechts

Die Intensität der Beeinträchtigung der kirchlichen Rechtsstellung eines katholischen Christen, die die Erklärung des Kirchenaustritts zur Folge hat, beweist auch die Tatsache, daß im Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 in den Bestimmungen des c. 1086 § 1 über das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit, des c. 1117 über die Pflicht zur Beobachtung der kanonischen Eheschließungsform und des c. 1124 über das Verbot des Abschlusses einer konfessionsverschiedenen Ehe ein durch einen formellen Akt von der katholischen Kirche abgefallener Katholik wie ein Nichtkatholik, der niemals zur katholischen Kirche gehört hat, behandelt wird. Der durch einen "Formalakt" 16 Daß die Erklärung des Kirchenaustritts wegen der Schwere der Verletzung der kirchlichen Grundpflichten eines Katholiken einen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellt, hat das Bundesverfassungsgericht in einer Grundsatzentscheidung vom 4. 6. 1985 (Az.: 2 BvR 1703/83 u.a.) im Falle eines bei einer Niederlassung einer Ordensgemeinschaft tätigen Buchhalters unter Aufhebung mehrerer entgegenstehender Entscheidungen von Arbeitsgerichten ausdrücklich festgestellt. Die Entscheidung ist veröffentlicht in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 70, S. 138-173 = Neue Juristische Wochenschrift 1986, S. 367 mit kritischer Anmerkung von Hermann Weber= Juristenzeitung 1986, S. 131 mit zustimmender Anmerkung von Reinhard Richardi = AfkKR 154 (1985), S. 253-276. Vgl. hierzu auch die bedeutsamen kommentierenden Abhandlungen von Bernd Rüthers, Wiekirchentreu müssen kirchliche Arbeitnehmer sein?, in: Neue Juristische Wochenschrift 1986, S. 356ff.; Josef lsensee, Kirchliche Loyalität im Rahmen des staatlichen Arbeitsrechts- Verfassungsrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsverhältnisses, in: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, München 1986, S. 203 ff.

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(actus formalis) von der katholischen Kirche abgefallene Katholik ist im Falle des Abschlusses einer Ehe mit einem Nichtgetauften oder einem getauften Nichtkatholiken sowohl von dem trennenden Ehehindernis der Religions- bzw. Glaubensfreiheit (disparitas cultus) des c. 1086 § 1 CIC als auch im Falle des Abschlusses einer Ehe mit einem nicht der katholischen Kirche angehörenden Getauften vom Eheverbot der konfessionsverschiedenen Ehe des c. 1124 CIC ausgenommen. Er ist auch nicht zur Beobachtung der für jeden Katholiken zur Gültigkeit des Eheabschlusses in c. 1108 CIC vorgeschriebenen kanonischen Eheschließungsform verpflichtet. Die Kirche ist im Codex Iuris Canonici vom 25. 1. 1983 in diesen Bestimmungen von dem bis dahin das Recht der kirchlichen Ehehindernisse bestimmenden verbindlichen Grundsatz "semel catholicus semper catholicus" abgegangen 17 . Dabei bleibt es gleichgültig, ob der aus der Kirche ausgetretene Katholik sich einer anderen Glaubensgemeinschaft angeschlossen hat oder nicht. Der aus der katholischen Kirche Ausgetretene ist ebenso wie ein Nichtkatholik nicht an die kanonische Eheschließungsform gebunden, sofern er die Ehe mit einem Partner eingeht, der selbst nicht an die kanonische Form gebunden ist, mag es sich um einen Ungetauften, einen getauften Nichtkatholiken oder einen aus der katholischen Kirche Ausgetretenen handeln 18 . Der Sinn dieserneuen Regelung ist darin zu suchen, daß die Kirche bemüht ist, auch den von ihr abgefallenen Katholiken, soweit es in ihren Kräften steht, den Abschluß einer auch nach dem Recht der katholischen Kirche gültigen Ehe zu ermöglichen. 2. Der Begriff des "actus formalis" in den Bestimmungen des Eherechts des Codex luris Canonici von 1983

Den Inhalt des Begriffs "actus formalis" hat der kirchliche Gesetzgeber aus guten Gründen im Codex Iuris Canonici nicht näher definiert. Unter den deutschsprachigen Autoren herrscht eine nahezu einhellige Übereinstimmung darüber, daß es sich hierbei entweder um den öffentlich erklärten Übertritt von der katholischen Kirche zu einer anderen Religionsgemeinschaft oder um eine rechtlich relevante, öffentlich abgegebene und daher beweisbare ausdrückliche Erklärung des Ausscheidens aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche handeln muß. Wie Lenherr zutreffend ausführt, muß über den Abfall von der Kirche eine "Rechtssicherheit" bestehen. Daraus sei jedoch nicht zu folgern, daß für diese Erklärung nach den Bestimmungen der cc. 1086, 1117 17 Hartmut Zapp, Kanonisches Eherecht. Begründet von Ulrich Mosiek, 7., neubearbeitete Auflage, Freiburg 1988, S. 114, 178, 199. 18 Bruno Primetshofer, Die Eheschließung, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 788.

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und 1124 CIC eine "bestimmte Form" eingehalten werden müsse. Lenherr verdient ferner Zustimmung, wenn er erklärt, daß es wohl auch ekklesiologisch bedenklich wäre, kirchlicherseits Formvorschriften zu erlassen, in denen kirchlichen Amtsträgern die Funktion einer "Austrittsbehörde" zugewiesen würde 19 . In diesem Sinne vertritt auch Pree die Auffassung, daß der Gesetzgeber im Interesse der eindeutigen Feststellung des Vorliegens des Ehehindernisses des c. 1086 § 1 CIC bzw. des Eheverbotes des c. 1124 CIC und der Pflicht zur Einhaltung der kanonischen Eheschließungsform sichergestellt wissen wolle, daß der Abfall von der Kirche überhaupt durch einen rechtlich relevanten öffentlichen Akt erklärt werde, und nicht etwa nur durch bloße Nichtteilnahme am kirchlichen Leben oder bloß tatsächliche Handlungen oder etwa nur durch eine unverbindliche Äußerung vor Freunden, der nicht der Charakter einer im Rechtssinne öffentlichen Erklärung zukommt20. In diesem Zusammenhang ist ferner darauf zu verweisen, daß der kirchliche Gesetzgeber in c. 1071 § 1 n. 4 CIC den offenkundigen Abfall vom katholischen Glauben, der in formloser Weise und ohne ausdrückliche Erklärung des Ausscheidens aus der Kirche geschieht, und den durch einen formellen Akt, d. h. durch einen ausdrücklich erklärten Abfall von der Kirche, deutlich unterscheidet. Der Eheschließung eines Katholiken, der offenkundig vom katholischen Glauben abgefallen ist, aber nach wie vor der Verpflichtung zur Einhaltung der kanonischen Eheschließungsform gemäß c. 1117 CIC unterliegt, darf gemäß c. 1071 § 1 n. 4 CIC niemand ohne Erlaubnis des Ordinarius assistieren. Im Gegensatz dazu wird der durch einen formellen Akt im dargelegten Sinn von der Kirche Abgefallene hinsichtlich seines Rechtsstatus in der Kirche im Hinblick auf die Verpflichtung zur Beobachtung der kanonischen Eheschließungsform und auf seine Bindung an das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit und das Eheschließungsverbot der Konfessionsverschiedenheit wie ein Nichtkatholik betrachtet, der an diese Bestimmungen nicht gebunden ist. Der offenkundig vom Glauben abgefallene, aber noch nominell der Kirche angehörende Katholik kann dabei innerlich der Kirche ebenso entfremdet sein und fernstehen wie der durch einen formellen Akt von der Kirche Abgefallene. Der Grund für die unterschiedliche Behand19 Titus Lenherr, Der Abfall von der katholischen Kirche durch einen formalen Akt. Versuch einer Interpretation, in: AfkKR 152 (1983), S. 120-122. 20 Helmuth Pree, Rezension des Buches von Klaus Lüdicke, Eherecht. Canones 1055-1165 (Codex Iuris Canonici). Kommentar für Studium und Praxis, Essen 1983, in: Theologisch-praktische Quartalschrift, 132. Jhg. (1984), S. 216.

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lung der beiden Fälle ist darin zu suchen, daß im Falle des durch einen formellen Rechtsakt von der Kirche abgefallenen Katholiken eine rechtliche Sicherheit über den Kirchenabfall und damit über die Befreiung von den Bestimmungen der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC besteht, während diese rechtliche Eindeutigkeit und Beweisbarkeit im Falle des sich zwar nominell zur Kirche bekennenden, tatsächlich aber offenkundig vom Glauben abgefallenen Katholiken nicht besteht. Es ist somit der übergeordnete Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, der die unterschiedliche Behandlung der beiden Fälle rechtfertigt 21 . 3. Die Erklärung des Kirchenaustritts als "actus formalis" im Sinne der Bestimmungen des Eherechts des Codex Iuris Canonici von 1983

a) Der Meinungsstand der Autoren Bei der Erklärung des Kirchenaustritts, die vor einer staatlichen Behörde, und zwar nach den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik Deutschland entweder vor dem Amtsgericht oder dem Standesamt oder auch vor einem Notar abgegeben und protokolliert werden muß, handelt es sich um eine mit öffentlicher Wirkung vollzogene rechtlich relevante Handlung, die einen "actus formalis" des Abfalls von der katholischen Kirche im Sinne der Bestimmungen der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC darstellt. Das ist die nahezu einheitliche Auffassung der Kirchenrechtslehrer im deutschen Sprachgebiet. In diesem Sinne erklärt Primetshofer bei der Erörterung des Begriffs des "actus formalis" des c. 1117 CIC, daß der Gesetzgeber bei der Prägung dieses Begriffes "offensichtlich" auch an das Staatskirchenrecht einiger europäischer Länder gedacht habe, das einen formellen, bei einer staatlichen Behörde zu vollziehenden Kirchenaustritt kenne 22 . In den meisten Ländern existiere jedoch ein solches Kirchenaustrittsrecht nicht, so daß sich die Erlassung von Durchführungsbestimmungen zur Frage, welcher Tatbestand den "actus formalis" des Kirchenaustritts darstelle, wohl als drängendes Gebot erweisen werde. Im gegenwärtigen Stadium sei die Aussage des c. 1117 CIC die den durch einen formalen Akt von seiner Kirche abgefallenen Katholiken von der Verpflichtung zur Beobachtung der kanonischen Eheschließungsform ausnehme, wohl eher geeignet, Verwirrung statt Klarheit zu schaffen23 . 21

In diesem Sinne auch Lenherr, Der Abfall von der Kirche (Anm. 19),

S. 120ff. 22 23

Primetshofer, Eheschließung (Anm. 18), S. 788 f., m. w. M. Primetshofer, ebd.

42 Sbd. List!

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Auch Ruf vertritt die Auffassung, daß der Kirchenaustritt nach staatlichem Recht "in der Regel" die Folgen der Freistellung vom Ehehindernis der Religionsverschiedenheit und vom Eheschließungsverbot der Konfessionsverschiedenheit sowie die Befreiung von der Verpflichtung zur Beobachtung der kanonischen Eheschließungsform haben werde. Ruf will allerdings "den Gegenbeweis" zulassen, wobei offen bleibt, was durch einen "Gegenbeweis" gegenüber einer eindeutigen Austrittserklärung bewiesen werden könne 24 • Ein Gegenbeweis dürfte in diesem Fall nur dadurch glaubwürdig geliefert werden können, daß der betreffende Katholik seine Austrittserklärung rückgängig macht und wieder mit der Kirche rekonziliert wird. Auch nach Prader kommt ein formelles Lossagen von der katholischen Kirche einem Abfall vom katholischen Glauben gleich. Nur in diesem Fall trete die gesetzliche Befreiung von der kanonischen Eheschließungsform ein. Die Kirchenaustrittserklärung müsse durch einen formellen Akt erfolgt sein, d. h. schriftlich oder mündlich vor der zuständigen kirchlichen Behörde oder durch offiziellen Übertritt zu einer nichtkatholischen Religionsgemeinschaft 25 . Prader, der in Brixen tätig ist, hat hier ganz offensichtlich die in Italien geltende Rechtslage im Blick, wenn er erklärt, der formelle Akt des Kirchenaustritts müßte schriftlich oder mündlich "vor der zuständigen kirchlichen Behörde" erfolgen. Bei Prader findet sich kein Hinweis darauf, daß die Erklärung des Kirchenaustritts außerhalb Italiens nicht auch vor einer staatlichen Behörde abgegeben werden könne. Nach dem deutschen Kirchenaustrittsrecht kann der Kirchenaustritt niemals mündlich erfolgen. Er muß in jedem Fall amtlich protokolliert werden, d. h. in Schriftform erfolgen. Außerdem kann die Kirchenaustrittserklärung nur vor der zuständigen kirchlichen Behörde erfolgen, während dies in der Bundesrepublik Deutschland, wie unten noch zu zeigen sein wird, mit Wirkung auch für den kirch~chen Bereich nur vor einer staatlichen Behörde geschehen kann. Nach Sebott sind unter einem Formalakt "sicher zu verstehen der Kirchenaustritt und der Eintritt in eine nichtkatholische oder nichtchristliche Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft" 26 . Auch sonstige schriftliche oder öffentliche mündliche Erklärungen will Sebott als Formalakt anerkannt wissen. Gegen diese erweiternde Inter24 Norbert Ruf, Das Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex Iuris Canonici für die Praxis erläutert, Freiburg/Basel/Wien 1983, S. 259. 25 Josef Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorglichen Praxis, Bozen/ Würzburg/Innsbruck-Wien 1983, S. 130f. 26 Reinhold Sebott, Das neue kirchliche Eherecht, Frankfurt am Main 1983, s. 154f.

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pretation des Begriffs "actus formalis" sind wegen der mangelnden inhaltlichen Eindeutigkeit und der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit schwere Bedenken anzumelden. Erklärungen dieser Art können nicht als "actus formalis" im Sinne der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC angesehen werden. Auch nach Pree erfüllt der vor einer kirchlichen oder staatlichen Behörde kundgegebene Austritt aus der katholischen Kirche den Tatbestand des formellen Abfalls von der katholischen K.irche 27 . Auch nach Zapp stellt der "Kirchenaustritt", wie er etwa in der Bundesrepublik Deutschland für den staatlichen Bereich möglich ist, einen Formalakt im Sinne des c. 1117 CIC dar. Zapp begründet seine Auffassung damit, daß der in der Bundesrepublik Deutschland vor staatlichen Behörden mögliche Kirchenaustritt "zunächst generell als Kirchenabfall im Sinne des c. 1117 CIC und damit als Befreiung von der kanonischen Eheschließungsform zu betrachten" ist 28 . Zustimmend erklärt auch Krämer in bezug auf die Bestimmungen der cc. 1086 § 1, 1117, 1124 CIC, daß der katholische Christ, der sich durch die Erklärung des Kirchenaustritts, also "in einem formalen Akt", von der katholischen Kirche lossage, an bestimmte Rechtvorschriften, z. B. die kanonische Eheschließungsform nicht mehr gebunden ist. Auch hierin äußere sich die Tendenz des Codex Iuris Canonici von 1983, den Geltungsbereich kirchlicher Rechtsvorschriften einzuengen29. In Übereinstimmung mit den bisher dargestellten Meinungen versteht auch Hierold generell unter dem Begriff eines "actus formalis" im genannten Sinne jede "rechtmäßige, vor einer kompetenten kirchlichen oder staatlichen Autorität mündlich oder schriftlich abgegebene Erklärung, nicht mehr der katholischen Kirche angehören zu wollen, sowie den Akt einer Aufnahme in eine nichtkatholische Kirche, kirchliche Gemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft". Hierunter falle somit eindeutig auch die vor einer staatlichen Behörde abgegebene Erklärung des K.irchenaustritts 30 . Auch Lenherr stimmt mit den bisher genannten Autoren darin überein, daß die vor einer staatlichen Behörde abgegebene Kirchenaustrittserklärung so verstanden werden müsse, daß sie dem in cc. 1086 § 27 Helmuth Pree, in: Hans Heimerl/Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht. Wien/New York 1983, S. 244; ebenso, ders., Rezension des Buches von Klaus Lüdicke, Eherecht (Anm. 20), S. 216. 28 Zapp, Kanonisches Eherecht (Anm. 17), S. 178 und 180. 29 Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche (Anm. 10), S. 169. 3D Alfred E. Hierold, Das neue Eherecht der katholischen Kirche in seiner Darstellung, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, Jhg. 1985, S. 243 mit Anm.14.

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1 und 1117 CIC vorausgesetzten Erklärungsinhalt entspreche, nämlich als Abfall von der katholischen Kirche 31 . Im Gegensatz zu den bisher aufgeführten Autoren ist Lüdicke der Auffassung, daß der förmliche Abfall von der katholischen Kirche im Sinne der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC "nicht mit bestimmten Rechtsakten gleichgesetzt werden" könne, etwa mit der Kirchenaustrittserklärung vor der staatlichen Autorität. Lüdicke fordert in allen Fällen eine entsprechende eigenhändig unterzeichnete Erklärung gegenüber einem kirchlichen Amtsträger als Vertreter der Öffentlichkeit. Statt der Schriftform will er auch eine mündliche Erklärung vor Zeugen gelten lassen. Nach der Meinung Lüdickes "sollte der Amtsträger dann ein Protokoll aufnehmen und mindestens von den Zeugen unterschreiben lassen". Auch den Übertritt zu einer anderen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft oder Religionsgemeinschaft will er als förmlichen Abfall von der katholischen Kirche gelten lassen, "obwohl er nicht der katholischen Kirche gegenüber erklärt" werde. Dagegen betrachtet Lüdicke die Erklärung des Kirchenaustritts gegenüber dem Standesamt oder dem Amtsgericht als "nicht ausreichend", bemerkenswerterweise allerdings mit dem seine eigene dezidiert vorgetragene Auffassung wieder relativierenden und der gebotenen Rechtssicherheit abträglichen Zusatz, "besonders dann, wenn ein Vorbehalt der fortdauernden Zugehörigkeit zur geistlichen Gemeinschaft der Kirche gemacht wird" 32 . Nach der Meinung von Lüdicke könne der Kirchenaustritt "als solcher nicht Kriterium" für das Vorliegen eines "actus formalis" im Sinne der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC sein, "weil er eine Einrichtung des jeweiligen Staatsrechts" sei. Seine Bewertung als Abfall von der Kirche müsse sich entgegenhalten lassen, daß dadurch Kirchensteuerpflicht und Kirchenzugehörigkeit zu eng miteinander gekoppelt würden. Wer in Frankreich nichts für den Unterhalt der Kirche gebe, gerate keinesfalls in den Verdacht, von c. 1086 § 1 CIC freigestellt zu sein. Wieso solle, fragt Lüdicke abschließend, dies der Fall sein, wenn er sich in Deutschland durch Erklärung vor dem Amtsgericht von der Kirchensteuer befreie33 . Zu den Ausführungen Lüdickes ist vorab zu bemerken, daß der kirchliche Gesetzgeber in den cc. 1086 §, 1117 und 1124 CIC an keiner Stelle davon spricht, daß ein "actus formalis" des Abfalls von der Kirche nur vor einem Repräsentanten oder einer amtlichen Behörde der Lenherr, Der Abfall von der katholischen Kirche (Anm. 19), S. 123. Klaus Lüdicke, Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici. Hrsg. von Klaus Lüdicke u.a., Essen, Stand Januar 1986, Canon 1086, Erl. 3. 33 Lüdicke, ebd. 31 32

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katholischen Kirche in rechtsgültiger Weise erklärt werden könne. Die Ausführungen Lüdickes sind daher schon vom Wortlaut des kirchlichen Gesetzbuchs nicht gedeckt. Müßten die Bestimmungen der genannten Canones im Sinne der Auffassung Lüdickes interpretiert werden, hätte der kirchliche Gesetzgeber dies ausdrücklich festlegen müssen. Die Interpretation Lüdickes scheitert daher bereits am Wortlaut des Gesetzes. Sie verkennt aber auch den Sinngehalt und die innerkirchliche Bedeutung des Kirchenaustritts. b) Der Adressat der Erklärung des Kirchenaustritts In der Bundesrepublik Deutschland ist nach Ausweis der Entstehungsgeschichte der Kirchenaustrittsgesetze der eigentliche Adressat der Kirchenaustrittserklärung nicht die staatliche Behörde, vor der die Erklärung abzugeben ist, sondern die Kirche. Die staatliche Behörde, d. h. konkret nach dem jeweiligen Bundesland das Amtsgericht oder das Standesamt, die die Austrittserklärung entgegennimmt oder protokolliert, übt für die Kirche die Funktion eines "Empfangsbotens" aus. Diese staatliche Behörde informiert wegen der bürgerlich-rechtlichen Wirkungen des Kirchenaustritts das zuständige Finanzamt. Sie leitet jedoch gleichzeitig die Austrittserklärung auch an den eigentlichen Adressaten weiter, nämlich an die jeweilige Kirche. Bei jedem Kirchenaustritt wird die Wohnsitzpfarrei desjenigen, der den Kirchenaustritt erklärt hat, von der Tatsache des vollzogenen Kirchenaustritts durch Übersendung der vom Austretenden unterzeichneten Kirchenaustrittserklärung in Kenntnis gesetzt. Die Tatsache des vollzogenen Kirchenaustritts wird auch im Taufregister, dem wichtigsten kirchlichen Personenstandsregister, eingetragen.

Die Entstehungsgeschichte z. B. des Preußischen Kirchenaustrittsgesetzes vom 30. 11. 1920 (GS 1921, S. 119), das in den preußischen Nachfolgestaaten im wesentlichen auch heute noch fortgilt, beweist eindeutig, daß es die Kirchen waren, die gefordert hatten, daß die Beurkundung des Kirchenaustritts vor einer staatlichen Behörde erfolgen solle. Die katholische Kirche lehnte die vorgeschlagene Regelung, nach der die Erklärung des Kirchenaustritts vor dem zuständigen Pfarrer abgegeben werden sollte, aus der Erwägung ab, daß dadurch bei den Gläubigen der Eindruck erweckt werden könnte, man könne aus der katholischen Kirche, ähnlich wie aus einem bürgerlichen Verein, "endgültig" ausscheiden. Die preußischen Bischöfe begründeten in ihrer Eingabe an die Verfassunggebende Preußische Landesversammlung ihren Vorschlag damit, daß durch die öffentliche Beurkundung des Kirchenaustritts nur dessen bürgerliche Wirkungen geregelt wür-

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den, daß es aber auf der anderen Seite "für den Pfarrer überaus widerwärtig" wäre, "dem Austretenden noch eine amtliche Bestätigung seiner Apostasie zuzustellen". Die Bischöfe verlangten aber in ihrer Eingabe, daß dem zuständigen Pfarrer von der Abgabe der Kirchenaustrittserklärung Mitteilung gemacht werden müßte, und forderten die Festlegung einer angemessenen Überlegungsfrist im Kirchenaustrittsgesetz, damit dem Pfarrer Zeit zur Erwägung verbliebe, ob eine persönliche Fühlungnahme mit dem Erklärenden opportun oder zwecklos erscheine34 . Die Auffassung Lüdickes, die Erklärung des Kirchenaustritts könne deshalb kein "actus formalis" des Abfalls von der katholischen Kirche im Sinne der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC sein, weil diese Erklärung vor einer staatlichen Behörde abgegeben und von dieser protokolliert werde, ist nach alledem nicht haltbar. In diesem Zusammenhang ist ferner von Bedeutung, daß die Berliner Bischofskonferenz durch Beschluß vom 5./6. 12. 1983 zum Abfall von der Kirche durch "actus formalis" ausdrücklich beschlossen hat, daß als "actus formalis" gemäß c. 1117 CIC die "formale Erklärung bei einer staatlichen Stelle oder bei einer siegelführenden kirchlichen Dienststelle angesehen wird, wenn diese Erklärung schriftlich beurkundet und vom Antragsteller gegengezeichnet wird. Falls der Antragsteller diese Gegenzeichnung ablehnt, soll der zur Siegelführung berechtigte kirchliche Amtsträger dies eigens im Protokoll vermerken"35 ... Es fällt auf, daß Lüdicke auf diesen Beschluß, der in direktem Gegensatz zu seiner Auffassung steht, in seiner Kommentierung des c. 1086 § 1 CIC mit keinem Wort eingeht, obwohl diese Erklärung der Berliner Bischofskonferenz in seiner Kommentierung (vgl. c. 1086 Erl. 9) im Wortlaut abgedruckt ist.

c) Die Unbeachtlichkeit der Motivation für den Eintritt der Rechtsfolgen des Kirchenaustritts In der kanonistischen Literatur wird nicht selten die Auffassung vertreten, der sog. lediglich kirchensteuerrechtlich motivierte Kirchen34 Vgl. Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucks. Nr. 2822, Sp. 31. Vgl. zum Ganzen bei Joseph Listl, Verfassungsrechtlich unzulässige Formen des Kirchenaustritts. Zur Rechtsprechung in der Frage der Zulässigkeit eines sog. "modifizierten" Kirchenaustritts, in: Juristenzeitung, 26. Jhg (1971), S. 348 mit Anm. 37 und 29. 35 Veröffentlicht in allen Amtsblättern der Diözesen und Jurisdiktionsbezirke in der Deutschen Demokratischen Republik, z. B. im Amtsblatt Dresden-Meißen 1984, S. 12.

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austritt könne nicht als Abfall von der Kirche im Sinne der Bestimmungen der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC betrachtet werden und daher auch nicht die Rechtsfolgen dieser Bestimmungen nach sich ziehen. Gleiches gelte auch im Hinblick auf die Strafbestimmung des c. 1364 § 1 CIC, nach der sich der Apostat, der Häretiker oder der Schismatiker die von selbst eintretende Exkommunikation zuzieht. Hierzu ist zu bemerken, daß es nach dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Kirchenaustrittsrecht im Hinblick auf den Eintritt der Rechtswirkungen der Kirchenaustrittserklärung einzig und allein auf die Erklärung des Kirchenaustritts, nicht jedoch auf das Motiv dieser Erklärung ankommt. Ob der Kirchenaustritt aus politisch-beruflichen oder weltanschaulichen Gründen erklärt wird, wie dies während des Dritten Reiches bei vielen höheren Beamten oder auch bei den Angehörigen der Waffen-SS der Fall war oder wie dies in der Gegenwart in der Deutschen Demokratischen Republik bei höheren Beamten und den Offizieren der Volkspolizei auf staatlichen Druck hin geschieht, oder aus steuerlichen oder anderen Gründen, ist für die rechtliche Bewertung der Kirchenaustrittserklärung vollkommen unbeachtlich. Es ist im übrigen auch kein Grund dafür ersichtlich, warum die kirchensteuerlich motivierte gegenüber auf einer anderen Motivation beruhenden Erklärung des Kirchenaustritts in irgendeiner Weise privilegiert werden sollte oder auch nur könnte. 36 Die Ausführungen Lüdickes, der einer kirchensteuerlich motivierten Kirchenaustrittserklärung schon wegen dieser ihrer Motivation eine rechtliche Bedeutung absprechen möchte, beruhen daher auf falschen Voraussetzungen und gehen deshalb fehl. Derjenige, der den Kirchenaustritt erklärt, muß sich am Wortlaut seiner Erklärung festhalten lassen. Auf die im einzelnen auch überhaupt nicht nachprüfbare Motivation oder den letzten unmittelbaren Anstoß, der für die Abgabe der Erklärung ausschlaggebend war, kann es bei der rechtlichen Beurteilung des Kirchenaustritts und der mit ihr verbundenen Rechtsfolgen nicht ankommen 37 . Hierbei spielt es, entgegen der Auffassung von Lüdicke, 36 Dies hat schon mit aller Deutlichkeit im Hinblick auf die strafrechtlichen Folgen der Erklärung des Kirchenaustritts Mörsdorf mit Nachdruck festgestellt. Vgl. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts (Anm. 10), Bd. 3, 1979, S. 424. Vgl. hierzu auch die kritischen Anmerkungen von Joseph Listl zu dem Beitrag von Eugenio Corecco, La sortie de l'Eglise pour raison fiscale. Le problerne canonique", in dem Buch von Louis Carlen (Hrsg.), Austritt aus der Kirche. Sortir de l'Eglise, Freiburg I Schweiz 1982, in: AfkKR 155 (1986), S. 612 f. 37 In diesem Sinne aber Lüdicke, Kommentierung zu c. 1086, Erl. 2; vgl. ferner ders., Wirtschaftsstrafrecht in der Kirche? Kanonistische Anmerkungen zu einem Kirchenaustritt, in: Vermögensverwaltung in der Kirche. Administrator bonorum. Oeconomus tamquam paterfamilias. Hrsg. von Hans Paarhammer, Thaur/Tirol, 2. Aufl. 1988, S. 275-282.

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auch keine Rolle, daß ein derartiger "actus formalis" zwar in der Bundesrepublik Deutschland, dagegen wegen der völlig anders gelagerten staatskirchenrechtlichen Verhältnisse nicht in Frankreich erklärt werden kann 38 .

d) Die rechtliche Unbeachtlichkeit sog. "modifizierender" Zusätze zur Erklärung des Kirchenaustritts Eine besondere Erscheinungsform im Bereich des Kirchenaustrittsrechts bildeten in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere während der siebziger Jahre, die mit Vorbehalten und einschränkenden Zusätzen versehenen Kirchenaustrittserklärungen. Bei diesen sog. "modifizierten" Kirchenaustritten gab der Austretende zu Protokoll oder erklärte schriftlich, daß er aus der römisch-katholischen Kircheunter Benennung der betreffenden Diözese- in ihrer Eigenschaft als kirchensteuerberechtigter öffentlich-rechtlicher Körperschaft austrete, daß sich seine Austrittserklärung jedoch nicht auf seine Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche als Glaubensgemeinschaft beziehe, der er weiterhin angehören und die er durch freiwillige Spenden unterstützen wolle. Die Rechtsprechung der staatlichen Gerichte stand derartigen "modifizierten" Erklärungen des Kirchenaustritts anfangs mit einer gewissen Hilflosigkeit gegenüber. Erst allmählich bildete sich in der Staatskirchenrechtslehre und auch in der Rechtsprechung ein allgemeiner Konsens darüber heraus, daß derartige Kirchenaustrittserklärungen in sich widersprüchlich und daher als unzulässig und rechtlich unwirksam zu betrachten sind39 • In Anbetracht der Tatsache, daß zwischen der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Institution des kanonischen Rechts und als Glaubensgemeinschaft Realidentität besteht, setzte sich die Erkenntnis, daß es sich bei den "modifizierten" Kirchenaustrittserklärungen um eine konstruierte und in sich schizophrene rechtliche Konstruktion handelte, immer mehr durch. Die Gerichte gingen deshalb in zunehmendem Maße dazu über, derartige Kirchenaustrittserklärungen wegen ihrer inneren Widersprüchlichkeit als unzulässig zu betrachten. Bereits ausgestellte "modifizierte" Kirchenaustrittserklärungen, die nicht, wie gerichtliche Urteile, in Rechtskraft erwachsen, wurden auf Antrag der zuständigen Diözesen in größerer Zahl von Amts wegen wieder eingezogen40 . Lüdicke, Kommentierung zu c. 1086 § 1, Erl. 3. Listl, Verfassungsrechtlich unzulässige Erklärungen des Kirchenaustritts (Anm. 34), S. 345 ff.; ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 7), s. 196 ff. 38 39

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Nach der in der Bundesrepublik Deutschland in der Gegenwart bestehenden Rechtslage und herrschenden Praxis ist bei der Abgabe von Kirchenaustrittserklärungen jeder Zusatz und jede Einschränkung des Kirchenaustritts unzulässig41 . Um in der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiete eine einheitliche Praxis sicherzustellen, wurden in den meisten Bundesländern die Bestimmungen über die Abgabe von Kirchenaustrittserklärungen neu gefaßt. In diesem Sinne bestimmt z. B. das Gesetz zur Regelung des Austritts aus Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (Kirchenaustrittsgesetz) des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. 5. 1981 (GV NW S. 260/SGV NW 222) in § 3 Abs. 4 ausdrücklich: "Die Austrittserklärung darf keine Vorbehalte, Bedingungen oder Zusätze enthalten." Ebenso bestimmt § 2 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung zur Ausführung des bayerischen Kirchensteuergesetzes vom 15. 3. 1967 (GVBL S. 320, ber. S. 381) in der Fassung der Verordnung vom 5. 5. 1982 (GVBL S. 243): "Der Austritt darf nicht unter einer Bedingung, einer Einschränkung oder einem Vorbehalt erklärt werden." Es besteht daher in der staatskirchenrechtlichen Praxis der Bundesrepublik Deutschland bereits seit Jahren keine Möglichkeit mehr, Kirchenaustrittserklärungen, die sog. "modifizierende" Zusätze enthalten, abzugeben. Wenn daher Vertreter der Kirchenrechtswissenschaft, wie z. B. Lenherr42 und Lüdicke43 im Hinblick auf den Eintritt der Rechtsfolgen der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC zwischen den absolut 40 Joseph Listl, Besprechung des Buches von Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Leitfaden durch die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und den Religionsgemeinschaften. München 1973, in: AfkKR 142 (1973), S. 661. 41 Der Verlauf des Umschwungs in der rechtlichen Bewertung und Beurteilung modifizierter Kirchenaustrittserklärungen durch die Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der siebziger Jahre ist dokumentiert bei Listl, Rezension des Buches von Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht (Anm. 40), S. 659-662. Zur weiteren Entwicklung der Rechtslage in dieser Frage vgl. Urteil des OVG Harnburg vom 20. 8. 1974, in: Neue Juristische Wochenschrift 1975, S. 1900 mit zustimmender Anmerkung von Joseph Listl, ebd., S. 1902-1904, und kritischer Anmerkung von Hermann Weber, ebd., S. 1904-1905; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urt. vom 26. 1. 1976, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1976, S. 908 mit zustimmender Anmerkung von Peter Weides; Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 23. 2. 1979, in: Die Öffentliche Verwaltung 1980, S. 450 mit Anmerkung von Wolfgang Rüfner, ebd., S. 454 f. Die bisher letzte Entscheidung zur Unzulässigkeit der Beifügung modifizierender Zusätze zur Kirchenaustrittserklärung bildet der Beschluß des Landgerichts Bochum vom 6. 3. 1986, in: Die Öffentliche Verwaltung 1986, s. 617. 42 Lenherr, Der Abfall von der katholischen Kirche (Anm. 19), S. 123 f. 43 Lüdicke, Münsterischer Kommentar (Anm. 32), Canon 1086 Erl. 3.

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abgegebenen Erklärungen des Kirchenaustritts und den mit "modifizierenden" Zusätzen versehenen Kirchenaustrittserklärungen einen Unterschied machen möchten, ist hierzu festzustellen, daß diese theoretische Unterscheidung in der heutigen staatskirchenrechtlichen Praxis in der Bundesrepublik Deutschland keine Entsprechung mehr besitzt. Im übrigen wurde auch zu der Zeit, in der die Gerichte mit Vorbehalten versehene Kirchenaustrittserklärungen als zulässig und rechtswirksam ansahen, derjenige, der auf diese Weise seinen Austritt erklärt hatte, wegen des Wortlauts seiner Erklärung "Ich trete aus der katholischen Kirche aus", ungeachtet der Vorbehalte und Zusätze, nicht nur hinsichtlich der Kirchensteuer, sondern auch hinsichtlich sämtlicher übriger Rechtsfolgen sowohl im staatlichen als auch im kirchlichen Bereich als ein aus der katholischen Kirche Ausgetretener behandelt44 . Im Gegensatz zu den Regelungen der Kirchenaustrittsgesetze in der Bundesrepublik Deutschland, die jeden Zusatz und jede modifizierende Einschränkung der Kirchenaustrittserklärung für unzulässig erklären, werden in der Schweiz "differenzierte Erklärungen" (z. B. traditionalistischer Gruppen) als Austritt aus der Kirche gewertet, sofern der Austrittswille klar zum Ausdruck gebracht und insbesondere die Einheit mit der Kirche bewußt verneint wird. In solchen Fällen gilt in der Schweiz die Kirchenaustrittserklärung, ungeachtet der einschränkenden Vorbehalte, als Bruch mit der Kirche mit der Folge, daß der Kirchenaustritt als rechtswirksam angesehen wird. Nach Urs Josef Cavelti ist in der Schweiz der Austritt nicht aus der "ein staatsrechtliches Gebilde darstellenden" Kirchgemeinde, sondern "aus der Kirche zu erklären". Dies ergebe sich daraus, daß die Kirchgemeinde "die rechtliche Gestalt der sichtbaren Kirche" ist. Mit der Abgabe der Erklärung des Kirchenaustritts entfallen nach schweizerischem Staatskirchenrecht unmittelbar sämtliche Rechte und Pflichten im staatskirchenrechtlichen Verband, d. h. das Stimm- und Wahlrecht und die Kirchensteuerpflicht. Der jeweiligen Kirche bleibt es überlassen, die innerkirchlichen Rechtsfolgen des Kirchenaustritts festzulegen 45 .

44 Die Meinung, daß auch eine "modifizierte", d. h. unter dem Vorbehalt der weiteren Zugehörigkeit zur Kirche als Glaubensgemeinschaft abgegebene Erklärung des Kirchenaustritts nach dem Wortlaut der Erklärung "Hiermit trete ich aus der katholischen Kirche aus" als rechtlich wirksamer Kirchenaustritt anzusehen ist und daß den Zusätzen, Einschränkungen und Vorbehalten keinerlei rechtliche Bedeutung beizumessen ist, vertritt z. B. Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch. 2. Aufl., München 1983, S. 156ff.

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Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß die vor einer staatlichen Behörde abgegebene Erklärung des Kirchenaustritts einen mittels eines "actus formalis" im Sinne der cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC vollzogenen Abfall von der Kirche darstellt und als solcher behandelt werden muß. Iv. Der Kirchenaustritt als kirchliche Straftat

Der schwerwiegende Charakter der Verletzung kirchlicher Grundpflichten, die der Kirchenaustritt nach dem Selbstverständnis der katholischen Kirche bedeutet, kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Erklärung des Kirchenaustritts nach dem kanonischen Recht eine strafbare Handlung darstellt. Das katholische Kirchenrecht rechnet ihn zu den Straftaten gegen die Einheit der Kirche und gegen die Religion und damit zu den schwersten strafrechtlichen Vergehen des Kirchenrechts überhaupt. Der Kirchenaustritt erfüllt, je nach der Intention, die den Austretenden bei der Erklärung des Kirchenaustritts innerlich bestimmt hat, entweder den Tatbestand der Apostasie, wenn er beabsichtigt, sich völlig vom christlichen Glauben zu trennen, oder des Irrglaubens (Häresie), wenn er durch den Kirchenaustritt zum Ausdruck bringen will, daß er eine vom kirchlichen Lehramt als verpflichtend vorgelegte Offenbarungswahrheit leugnet, oder des Schismas, d. h. der Trennung von der kirchlichen Einheit, wenn er durch den Kirchenaustritt zum Ausdruck bringt, daß er sich von der kirchlichen Gemeinschaft lossagt, indem er die Unterordnung unter den Papst oder die Gemeinschaft mit dem zuständigen Bischof verweigert46 • Es kann im Einzelfall durchaus schwierig oder auch überhaupt nicht möglich sein, festzustellen, ob der Austretende mit der insoweit undifferenzierten Erklärung des "Kirchenaustritts" seiner inneren Willenseinstellung nach den Tatbestand der Apostasie, der Häresie oder des Schismas erfüllt. In jedem Fall bedeutet aber die Erklärung des Kirchenaustritts "Trennung von der kirchlichen Einheit" und erfüllt damit den Tatbestand des Schismas47 • 45 Vgl. Urs Josef Cavelti, Der Kirchenaustritt nach staatlichem Recht, in: Louis Carlen (Hrsg.), Austritt aus der Kirche (Anm. 36), S. 69-105, bes. S. 91 f., 95. 46 Winfried Aymans, Begriff, Aufgabe und Träger des Lehramts, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 535; ferner Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 3 (Anm. 3), S. 423 f. 47 Mißverständlich insoweit Peter Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 169, der Kirchenaustritt lasse sich "nicht eindeutig in die vom kirchlichen Gesetzbuch umschriebenen Straftatbestände einord-

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Daß die Erklärung des Kirchenaustritts, sofern nicht Apostasie oder Häresie vorliegt, den Tatbestand des Schismas erfüllt, betont nachdrücklich auch Gradauer, der wörtlich ausführt: "Kirchenaustritt ist immer ein öffentliches Lossagen von der Kirche, ist Verweigerung der Einordnung in die Teilkirche und der vollen Gemeinschaft mit ihr, ist also Trennung von der kirchlichen Einheit, ist also- mindestens und in erster Linie- Schisma. " 48 Auch Mörsdorf erklärt in diesem Zusammenhang, der sog. Kirchenaustritt, durch den der neuzeitliche Staat seinen Bürgern einen Weg eröffne, mit Wirkung für den staatsbürgerlichen Bereich aus der Kirche auszuscheiden, lasse sich nicht eindeutig in die herkömmlichen Deliktsformen der Apostasie, der Häresie oder des Schisma einordnen. Die Beweggründe zum Kirchenaustritt könnten sehr verschiedener Natur sein, z. B. Glaubensabfall, Irrglauben, politischer oder wirtschaftlicher Druck, Stellenjägerei, Kirchensteuer, Verärgerung, und erforderten jeweils eine besondere Würdigung bei der Prüfung der Schuldfrage. Hiervon abgesehen sei der Kirchenaustritt so, wie er sich in der Austrittserklärung kundgebe, ein öffentliches Lossagen von der Kirche, "also in jedem Falle Trennung von der kirchlichen Einheit", d. h. Schisma; dies könne unter Umständen geschehen, die den Austritt zugleich als Apostasie oder als Häresie erscheinen ließen49 . Der Kirchenaustritt ist, ebenso wie der Empfang des Sakraments der Taufe und damit die Tatsache der Zugehörigkeit zur Kirche und ferner die kirchliche Eheschließung im Kirchenrecht und im Staatskirchenrecht, immer eine öffentliche Angelegenheit und besitzt daher Publizitätscharakter. Von der Erklärung des Kirchenaustritts wird das zuständige Pfarramt durch die staatliche Behörde, vor der die Kirchenaustrittserklärung abgegeben worden ist, amtlich benachrichtigt. Die Tatsache des vollzogenen Kirchenaustritts muß auch in das Taufregister, das zentrale kirchliche Personenstandsregister, eingetragen werden. Wer den Austritt aus der Kirche erklärt, sagt sich damit in jedem Fall öffentlich von der Kirche los. nen". Richtig ist, daß sich der Kirchenaustritt als solcher nicht von vornherein eindeutig einem konkreten der drei Tatbestände des c.1364 § 1 CIC zuordnen läßt. Der Kirchenaustritt kann je nach der Intention des Austretenden den Tatbestand der Apostasie, der Häresie oder des Schismas erfüllen. In jedem Falle erfüllt er aber den Tatbestand des Schismas. 48 Peter Gradauer, Der Kirchenaustritt und seine Folgen, in: TheologischPraktische Quartalschrift (Linz/Donau), Bd. 132 (1984), S. 64-75; die zitierte Stelle S. 67. In diesem Sinne auch bereits mit ausführlicher Begründung Heribert Jone, Gesetzbuch der Lateinischen Kirche. Erklärung der Kanones. Bd. II: Sachenrecht, 2. Aufl., Faderborn 1952, S. 537-542, bes. S. 541 f. 49 Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 3 (Anm. 3), S. 424.

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Nach c. 1364 § 1 CIC zieht sich der Apostat, der Häretiker oder der Schismatiker die von selbst eintretende Kirchenstrafe der Exkommunikation zu 5°. Der Eintritt der Kirchenstrafe der Exkommunikation bewirkt gern. c. 1331 § 1 CIC, daß dem Betroffenen untersagt ist, sich mit irgendeinem Dienst an der Feier des eucharistischen Opfers oder einer anderen gottesdienstlichen Feier zu beteiligen, Sakramente oder Sakramentalien zu spenden und Sakramente zu empfangen sowie jedwede kirchlichen Ämter, Dienste oder Aufgaben auszuüben oder Akte der Leitungsgewalt vorzunehmen 51 . Der Begriff "Dienste" (ministeria) in c. 1331 § 1 n. 3 CIC umfaßt kirchliche Dienste jedweder Art, also auch technische und untergeordnete Tätigkeiten in kirchlichen und der Kirche zugeordneten Einrichtungen. Dies bedeutet, daß ein kirchlicher Dienst- oder Arbeitgeber verpflichtet ist, Arbeitsverhältnisse eines kirchlichen Dienstnehmers zu kündigen und aufzulösen, wenn dieser den Kirchenaustritt erklärt und sich dadurch die von selbst eintretende Kirchenstrafe der Exkommunikation zugezogen hat. Diese Bestimmung hat nicht nur Gültigkeit für leitende kirchliche Angestellte und Bedienstete, die unmittelbar an der Glaubensverkündigung mitwirken, sondern für sämtliche kirchlichen Mitarbeiter, d. h. auch für diejenigen, die in rein technischen und untergeordneten Tätigkeiten beschäftigt werden. Die Rechtsauffassung, daß der Kirchenaustritt eine Straftat gemäß c. 1364 § 1 CIC darstellt, entspricht auch der absolut herrschenden kirchlichen Praxis. Für den Bereich des Bistums Berlin wurde allen Priestern, die Beichtvollmacht haben, die Vollmacht delegiert, gemäß c. 1355 § 2 CIC "im äußeren Rechtsbereich die gemäß c. 1364 § 1 inkurierte Tatstrafe der Exkommunikation wegen Apostasie (Kirchenaustritt) zu erlassen". Danach kann im Beichtstuhl von der Sünde des Kirchenaustritts absolviert werden. "Wegen der Rechtsfolgen der Wiederaufnahme in die Kirche (cf. cc. 1086, 1117 und 1124 CIC) muß der Erlaß der Tatstrafe der Exkommunikation im äußeren Rechtsbereich in den entsprechen50 Vgl. hierzu Richard A. Strigl, Die einzelnen Straftaten, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 941. Bei Strigl in Anm. 1 der Hinweis, daß der staatlicherseits ermöglichte Kirchenaustritt nur dann als "Glaubensabfall" (Apostasie), d. h. als das schwerste der Hauptvergehen gegen Glauben und Einheit der Kirche, gewertet werden kann, wenn er eine "gewandelte Überzeugung und Abkehr von der katholischen Kirche demonstrieren soll". Den Tatbestand der "Abtrünnigkeit" (Schisma) erfüllt der den Austritt aus der Kirche Erklärende in jedem Fall. 51 Hierzu Strigl, Straftat und Strafe, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 934.

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Kirchenamt und Kirchenloyalität

den pfarrlichen Büchern eingetragen werden und dem Bischöflichen Ordinariat gemeldet werden. " 52 Wie ein Oberhirtlicher Erlaß für die Diözese Augsburg zur Rekonziliation nach Kirchenaustritt vom 21. 3. 1988 erklärt, sagt sich ein Katholik, der vor einer Behörde des Staates seinen Austritt aus der katholischen Kirche erklärt, von der Gemeinschaft mit dem Papst und den Gliedern der Kirche los. Damit begeht er die Straftat des Schismas (c. 751 CIC) und zieht sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu (c. 1354 § 1 CIC). Das gilt unabhängig davon, ob er zugleich in eine andere Kirche oder kirchliche Gemeinschaft eintritt. Die Verwirklichung der Strafe wird im äußeren Bereich vermutet. Der Priester, der hierzu einer notwendigen Vollmacht des Generalvikars bedarf, nimmt die Rekonziliation in Gegenwart von zwei katholischen Zeugen nach einer besonderen Anweisung vor. Über den Vorgang ist ein Protokoll zu fertigen und von allen Beteiligten zu unterzeichnen. Dieses ist bei den Pfarrakten zu verwahren. Die Rekonziliation ist an das zuständige Einwohnermeldeamt und an das Bischöfliche Ordinariat zu melden. Der in die volle Kirchengemeinschaft Wiederaufgenommene ist darauf hinzuweisen, daß er bei Personenstandserhebungen und Steuererklärungen als Konfession "römisch-katholisch" angibt und gegebenenfalls dafür sorgt, daß in seiner Lohnsteuerkarte das katholische Bekenntnis eingetragen wird 53 . V. Die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses

für den aus der Kirche Ausgetretenen

Wegen der durch den Kirchenaustritt bewirkten Trennung von der kirchlichen Gemeinschaft und wegen des Verlustes seiner Aktivrechte hat der Katholik, der den Austritt aus der Kirche erklärt hat, auch seinen Anspruch auf die Ehre eines kirchlichen Begräbnisses verwirkt. Dieses muß ihm vielmehr, wenn er nicht vor dem Tod irgendwelche Zeichen der Reue gegeben hat, gern. c. 1184 § 1 CIC verweigert werden54.

Amtsblatt des Bistums Berlin 1985, S. 93. Amtsblatt für die Diözese Augsburg 1988, S. 141 f. Diese einzig zutreffende strafrechtliche Bewertung des Kirchenaustritts steht im Gegensatz zur Bewertung und Beurteilung des Kirchenaustritts durch Klaus Lüdicke in dessen Beitrag Wirtschaftsstrafrecht in der Kirche? (Anm. 37), S. 275-282. 54 Heinrich J. F. Reinhardt, Das kirchliche Begräbnis, in: HdbKathKR (Anm. 3), S. 841. 52 53

Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts

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VI. Die Erklärung der Diözesanbischöfe der Bundesrepublik Deutschland vom Dezember 1969 zu Fragen des kirchlichen Finanzwesens

Um mit aller Deutlichkeit klarzustellen, daß es bei der Bewertung der Bedeutung und der Tragweite des Kirchenaustritts nicht auf die Motivation des Austretenden und auch nicht auf die näheren Umstände des Austritts, z. B. ob dieser in aller Stille oder in öffentlich-provokativer Form erklärt wird, ankommt, sondern einzig und allein auf die Tatsache der abgegebenen Erklärung als solche, haben die Bischöfe der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1969 ausdrücklich zur Bedeutung des Kirchenaustritts, auch wenn dieser lediglich aus finanziellen Erwägungen erfolgt, Stellung genommen. In diesem Dokument, das in den Amtsblättern der deutschen Diözesen promulgiert worden ist, erklären die Diözesanbischöfe u.a. wörtlich: "Der katholische Christ, der vor den staatlichen Behörden seinen Kirchenaustritt erklärt und sich auf diese Weise der Besteuerung entzieht, verletzt damit vor der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft die gebotene Solidarität in so grober Weise, daß die kirchliche Gemeinschaft dies unter keinen Umständen hinnehmen darf. An der Gemeinschaftswidrigkeit dieses Verhaltens kann auch ein die Austrittserklärung einschränkender Zusatz nichts ändern ... Deshalb müssen wir mit Nachdruck auf die Bedeutung jeglicher Austrittserklärung hinweisen. Der Austritt hat nicht nur Wirkungen im staatlichen Bereich, sondern auch in der Kirche. Die Ausübung der Grundrechte eines katholischen Christen ist untrennbar von der Erfüllung seiner Grundpflichten. Wenn also ein Katholik seinen Austritt aus der Kirche erklärt- aus welchen Gründen auch immer -, so stellt dies eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft dar. Er kann daher am sakramentalen Leben erst wieder teilnehmen, wenn er bereit ist, seine Austrittserklärung rückgängig zu machen und seinen Pflichten auch in bezug auf die Kirchensteuer wieder nachzukommen. " 55 55 Erklärung der Diözesanbischöfe der Bundesrepublik vom Dezember 1969 zu Fragen des kirchlichen Finanzwesens, veröffentlicht u.a. in: AfkKR 138 (1969), S. 557-559, die hier zitierten Stellen S. 558. Dieser pastoralen Erklärung der Diözesanbischöfe liegt die Auffassung zugrunde, daß die Erklärung des Kirchenaustritts den strafrechtlichen Tatbestand des Schismas erfüllt. Vgl. hierzu auch Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche (Anm. 57), S. 169. Diese Rechtsauffassung liegt auch den Beschlüssen der Diözesansynoden von Köln und Trier zugrunde, durch die für den Fall des Kirchenaustritts ausdrücklich der Eintritt der Exkommunikation als Tatstrafe angedroht worden ist; vgl. Kölner Diözesansynode 1954, hrsg. vom Erzbischöflichen Generalvikariat Köln, Köln 1954, S. 236, Nr. 610 § 2; Synodalstatuten des Bistums Trier, hrsg. vom Bischöflichen Generalvikariat Trier, Trier 1959, S. 139, Art. 271 Abs. 2. Vgl. hierzu bei Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche (Anm. 47), S. 169, Anm. 30.

VI. Kirchliches Wirken

43 List!

Der Religionsunterricht I. Die Bestimmungen des Codex luris Canonici von 1983 über die Erteilung des schulischen Religionsunterrichts

1. Die Bestimmungen über den schulischen Religionsunterricht finden sich im CIC von 1983 in Buch III, das vom Verkündigungsdienst der Kirche handelt. Die grundlegende Aussage des CIC über Zielsetzung und Aufgabe des Religionsunterrichts enthält c. 761. Unter den verschiedenen Mitteln, die der Kirche zur Verkündigung der christlichen Lehre zur Verfügung stehen, nennt der CIC in c. 761 "vor allem" (imprimis) die Predigt (praedicatio) und den katechetischen Unterricht (catechetica institutio), denen immer der erste Platz zukommt, und im Anschluß daran die Darlegung der Glaubenslehre in den Schulen (propositio doctrinae in scholis), in Akademien, in Vorträgen und Veranstaltungen jeder Art, in öffentlichen Erklärungen, die von der zuständigen kirchlichen Autorität aus Anlaß bestimmter Ereignisse abgegeben werden, sowie durch die Presse und andere soziale Kommunikationsmittel. Dadurch, daß c. 761 in dem Abschnitt des Buches III steht, der die Überschrift "Der Dienst am Wort Gottes" (De divini verbi ministerio = cc. 756-780) trägt, bringt der kirchliche Gesetzgeber zum Ausdruck, daß auch der schulische Religionsunterricht im Dienste der Glaubensverkündigung zu stehen hat. Durch die deutliche Abhebung der Predigt und der katechetischen Unterweisung vom schulischen Religionsunterricht weist das kirchliche Gesetzbuch aber zugleich darauf hin, daß zwar beide, Katechese und schulischer Religionsunterricht, im Dienste der Verkündigung der christlichen Lehre stehen, daß sie diese Aufgabe aber auf je verschiedene Weise zu erfüllen haben. Entsprechend der in c. 761 vorgenommenen Unterscheidung der verschiedenen Mittel der Glaubensverkündigung werden die Predigt des Wortes Gottes (cc. 762-772) und der katechetische Unterricht (cc. 773-780) im einzelnen in dem Abschnitt über den Dienst am Wort Gottes behandelt. 1 Erstveröffentlichung in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 1983, S. 590-605. -Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Friedrich Pustet, Regensburg. 43*

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Kirchliches Wirken

Im CIC/1983 wird mit größerer Deutlichkeit, als dies im CIC/1917 der Fall war, zwischen der primär auf den unmittelbaren Glaubensvollzug und den Sakramentenempfang ausgerichteten Katechese und dem - ungeachtet seiner Aufgabe der Glaubensvermittlung und -Vertiefung - in stärkerem Maße der religiösen und theologischen Wissensvermittlung dienenden und darüber hinaus auch der versetzungserheblichen Leistungsbewertung unterliegenden Religionsunterricht unterschieden. 2. Die Bestimmungen über den schulischen Religionsunterricht sind im Unterschied zur Predigt und zur katechetischen Unterweisung in dem Abschnitt über die katholische Erziehung, und hier in dem Kapitel über die Schulen enthalten (De scholis = cc. 796-806). 2 Der CIC als Weltrecht kann in seinen Bestimmungen über den Religionsunterricht nicht auf konkrete nationale Schulsysteme Bezug nehmen. Das kirchliche Gesetzbuch muß sich auf grundsätzliche und generelle Aussagen zum Religionsunterricht beschränken. Als den aus der Sicht des kirchlichen Gesetzgebers wünschenswerten Idealfall betrachtet der CIC ein Schulsystem, in dem den Eltern eine Wahlmöglichkeit zwischen Schulen verschiedener religiös-weltanschaulicher Richtung geboten wird. Auf dieser Grundlage verpflichtet c. 798 im Sinne einer generellen Bestimmung die Eltern, ihre Kinder nur solchen Schulen anzuvertrauen, in denen ihre katholische Erziehung (educatio catholica) sichergestellt ist; für den Fall, daß der Besuch solcher Schulen nicht möglich ist, erklärt das kirchliche Gesetzbuch die Eltern für verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die erforderliche katholische Erziehung ihrer Kinder außerhalb der Schule erfolgt. 3. Über den schulischen Religionsunterricht handelt im einzelnen c. 804. Danach untersteht die religiöse katholische Unterweisung und Erziehung (institutio et educatio religiosa catholica), soweit sie in Schulen jeder Art vermittelt oder durch die verschiedenen sozialen Kommunikationsmittel verbreitet wird, der Leitung und Bestimmung der kirchlichen Autorität. Die Kompetenz, auf diesem Gebiet allgemeine Normen zu erlassen, liegt bei der zuständigen Bischofskonfe1

Vgl. hierzu im einzelnen in diesem Band, oben, Winfried Aymans, § 61 Be-

griff, Aufgabe und Träger des Lehramts; ferner ebd., Oskar Stoffel, § 62 Die

Verkündigung in Predigt und Katechese. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in Art. 44 CD bestimmt, daß ein Direktorium für die katechetische Unterweisung des christlichen Volkes herauszugeben ist, in dem die grundlegenden Prinzipien und die Ordnung des Unterrichts sowie die Ausarbeitung einschlägiger Bücher behandelt werden sollen. Dieser Auftrag des Konzils wurde durch die Publikation des von der Kongregation für die Kleriker erarbeiteten "Directorium catechisticum generale" vom 11. 4. 1971, in: AAS 64 (1972), S. 97-176, erfüllt. 2 Vgl. hierzu in diesem Band, oben, Franz Pototschnig, § 67 Das Bildungswesen.

Der Religionsunterricht

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renz. Aufgabe des Diözesanbischofs ist es, die konkreten Anordnungen zu treffen und die Aufsicht über den Religionsunterricht zu führen (c. 804 § 1). Der Ortsoberhirte hat dafür zu sorgen, daß an den Schulen, und zwar auch an den nichtkatholischen Schulen, nur Religionslehrer angestellt werden, die sich durch rechtgläubige Lehre (recta doctrina), das Zeugnis ihres christlichen Lebens (vitae christianae testimonio) und pädagogisches Geschick (arte paedagogica) auszeichnen (c. 804 § 2). 4. Mit nicht mehr zu überbietender Deutlichkeit bringt c. 805 zum Ausdruck daß, wer immer auf der ganzen Welt katholischen Religionsunterricht erteilt, hierzu der kirchlichen Anerkennung oder Beauftragung bedarf. Nach c. 805 steht das Recht zur Ernennung oder Bestätigung (ius nominandi aut approbandi) von Religionslehrern für den Bereich seiner Diözese dem Ortsbischof zu. Dieser ist auch berechtigt, sofern Gründe der Religion oder der sittlichen Lebensführung dies erfordern, Religionslehrer abzuberufen oder ihre Abberufung zu verlangen.3 5. Die Gesamtaussagen des CIC über den schulischen Religionsunterricht lassen sich somit dahingehend zusammenfassen, daß der Religionsunterricht in der Schule, ebenso wie die Predigt und die katechetische Unterweisung, eine Form der Verkündigung der Lehre Christi darstellt (c. 761) und deshalb det Bestimmung und Aufsicht der Kirche untersteht. Die Kompetenz, in den einzelnen Nationen allgemeine Bestimmungen über den Religionsunterricht zu treffen, liegt bei den zuständigen Bischofskonferenzen. Die Ausführung dieser Bestimmungen und die Beaufsichtigung des Religionsunterrichts obliegt dem zuständigen Diözesanbischof (c. 804 § 1). Für die in unmittelbarer kirchlicher Trägerschaft stehenden Schulen steht das Recht der Ernennung und erforderlichenfalls der Abberufung von Religionslehrern dem Diöze3 Ce. 804 und 805 entsprechen im wesentlichen den Bestimmungen des c.1381 CIC/1917. In diesem Kanon wurde außerdem noch bestimmt, daß dem Ortsordinarius auch das Recht zusteht, Lehrbücher für den Religionsunterricht zu genehmigen und, für den Fall, daß Lehrbücher mit der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche nicht im Einklang stehen, zu verlangen, daß diese aus dem Verkehr gezogen werden. Vgl. hierzu Joseph Wenner, Kirchliches Lehrapostolat in Wort und Schrift, 2. Aufl., Faderborn 1953, S. 62; ferner Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici, 11. Aufl., Bd. 2, München-Paderborn-Wien 1967, S. 429ff. Katechismen und andere Bücher, sowie deren Übersetzungen, die zur Verwendung bei der katechetischen Unterweisung bestimmt sind, bedürfen zu ihrer Herausgabe der Genehmigung des Ortsoberhirten. Ebenso dürfen theologische Lehrbücher nur mit Genehmigung der zuständigen kirchlichen Autorität herausgegeben werden (c. 827 §§ 1, 2). Aufgabe der Bischofskonferenz ist es, erforderlichenfalls mit vorheriger Zustimmung des Apostolischen Stuhls Katechismen, die zum Gebrauch in ihrem gesamten Gebiet bestimmt sind, in ihrem Auftrag herauszubringen (c. 775 § 2).

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Kirchliches Wirken

sanbischof zu. Für andere Schulen, in denen Religionsunterricht erteilt wird, steht dem Diözesanbischof das Recht zu, die Religionslehrer kraft der von ihm zu erteilenden kirchlichen Lehrbeauftragung (Missio canonica) zu bestätigen und erforderlichenfalls durch Entzug der Missio canonica ihre Abberufung zu verlangen. Die Bestimmungen des CIC/1983 über den Religionsunterricht enthalten somit eindeutig die normative Aussage, daß der Religionsunterricht eine Form der Glaubensverkündigung darstellt. Daraus ergibt sich zwingend, daß der schulische Religionsunterricht in Übereinstimmung mit der Glaubenslehre der Kirche und in deren Auftrag zu erteilen ist. Hieraus folgt ferner, daß die glaubensmäßige Haltung und die sittliche Lebensführung der Religionslehrer mit der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche im Einklang stehen müssen. Aus der Tatsache, daß der schulische Religionsunterricht eine Form der Glaubensverkündigung darstellt und aufgrundder genannten Anforderungen an die glaubensmäßige Haltung und die sittliche Lebensführung der Religionslehrer ergibt sich ebenfalls zwingend, daß der Religionsunterricht nach den Bestimmungen des kirchlichen Gesetzbuchs auf konfessioneller Basis zu erteilen ist. aa II. Die Bestimmungen der staatlichen Rechtsordnung über den schulischen Religionsunterricht Der als staatliche Unterrichtsveranstaltung erteilte schulische Religionsunterricht ist staatskirchenrechtlich eine "gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche" im klassischen Sinn. Der Religionsun3 a Die Bayerische Bischofskonferenz hat durch Beschluß vom 15. März 1983 (nicht veröffentlicht) zu einer Regelung ihr Einverständnis erteilt, wonach den katholischen Schülern hinsichtlich der Teilnahme am Religionsunterricht ungetaufte Schüler gleichgestellt werden sollen, die von der Kirche als Taufbewerber (Katechumenen) anerkannt sind. Dagegen haben ungetaufte Schüler, die nicht von der Kirche als Taufbewerber anerkannt sind, keinen Rechtsanspruch auf Teilnahme am schulischen katholischen Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach. Diese Regelung gilt vom Schuljahr 1983/1984 an auf drei Jahre ad experimentum. In Bayern können vom Beginn des Schuljahres 1983/1984 an Schüler, die keiner Religionsgemeinschaft angehören oder für deren Religionsgemeinschaft Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach für die betreffende Schulart an öffentlichen Schulen nicht eingerichtet ist, auf Antrag der Erziehungsberechtigten bzw. des volljährigen Schülers und mit Zustimmung der zuständigen Stelle der betreffenden Kirche oder Religionsgemeinschaft, für deren Bekenntnis Religionsunterricht eingerichtet ist, am Religionsunterricht dieses Bekenntnisses als Pflichtfach nach Maßgabe der Schulordnungen für die einzelnen Schularten teilnehmen. Vgl. hierzu die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 19. 8. 1983 (Nr. A/1-8/86 838), abgedr. u. a. in: DiözBl. Würzburg 129 (1983), S. 249.

Der Religionsunterricht

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terricht unterliegt daher auch staatlicher Normierung, die in den Verfassungen, in Konkordaten und zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen Ausdruck gefunden hat. Die Erteilung des Religionsunterrichts muß daher nicht nur im Einklang mit den kirchlichen Bestimmungen erfolgen, sondern auch im Hinblick auf die Bestimmungen der staatlichen Rechtsordnung "Verfassungs- und gesetzeskonform" sein. 4 Dies bedeutet, wie Willi Geiger und Hans Maier bei den Verhandlungen der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg zu Recht mit Nachdruck betont haben, daß der Religionsunterricht so konzipiert und ausgestaltet sein muß, daß er sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorschriften hält und die Grundwertentscheidungen über den Religionsunterricht, die sich in Verfassungen, Konkordaten und anderen gesetzlichen Bestimmungen finden, respektiert. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß der schulische Religionsunterricht den staatlichen Schutz der Verfassung verlöre und "rechtlich schutzlos" würde. 5 1. Der Religionsunterricht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland

In den Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 7 Abs. 3 GG mit Ausnahme von Bremen (sog. "Bremer Klausel" - Art. 141 GG) der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen auf konfessioneller Grundlage, z. B. im Sinne einer Homogenität von Lehre, Lehrern und Schülern, als ordentliches Lehrfach in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften zu erteilen. Der Religionsunterricht ist grundsätzlich Pflichtfach mit der Möglichkeit der Abmeldung. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. Die Teilnahme am und die Erteilung des Religionsunterrichts sind damit letztlich der Gewissensentscheidung des einzelnen überlassen. Die Abmeldung vom Religionsunterricht erfolgt ohne Angabe eines Grundes bis zum Zeitpunkt der Religionsmündigkeit eines Schülers durch die Eltern oder Erziehungsberechtigten, bei religionsmündigen Schülern durch diese selbst. Einige Landesverfassungen gewährleisten den Kirchen auch ausdrücklich das Recht zur Festlegung der Lehrpläne, zur Genehmigung der Lehrbücher und zur Einsichtnahme in den Religionsunterricht. Aus der verfassungsrechtlichen Ga4 Kardinal Joseph Höffner, Inkraftsetzung des Synodenbeschlusses "Der Religionsunterricht in der Schule", in: ABI. Köln 1981, S. 70. 5 Willi Geiger, in: Protokoll der Verhandlungen der IV. Vollversammlung der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland vom 21.-23. 11. 1973, S. 151 f.; ders., in: Protokoll der VI. Vollversammlung vom 20.24. 11. 1974, S. 100; Hans Maier, ebd., S. 96.

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Kirchliches Wirken

rantie des Religionsunterrichts als eines "ordentlichen Lehrfachs" folgt, daß der Religionsunterricht ebenso wie die übrigen Fächer staatliche Unterrichtsveranstaltung ist. Dies bedeutet, daß für die Personal- und Sachmittel der Schulträger aufzukommen hat. 6 2. Der Religionsunterricht in Österreich

Für Österreich beruht die rechtliche Stellung des katholischen Religionsunterrichts auf Art. 17 Abs. 6 StGG vom 21. 12. 1867 (RGBL Nr. 142), wonach für den Religionsunterricht in den Schulen von der betreffenden Kirche Sorge zu tragen ist; ferner auf dem Gesetz vom 25. 5. 1868 (RGBL Nr. 48), wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältnis der Schule zur Kirche erlassen worden sind (SKG), sowie auf dem Vertrag (sog. Schulvertrag) vom 9. 7. 1962 (BGBL Nr. 273) zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Schlußprotokoll i.d.F. des Zusatzvertrags vom 8. 3. 1971 (BGBL Nr. 289/ 1972) GesamtprotokolL Nach Art. I § 1 Abs. 1 dieses Vertrags hat die Kirche das Recht, den katholischen Schülern an allen öffentlichen und mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen Religionsunterricht zu erteilen. 7 Die Einzelheiten über die Erteilung des Religionsunterrichts regelt das Bundesgesetz vom 13. 7. 1949 (BGBL Nr. 190) betreffend den Religionsunterricht in der Schule (Religionsunterrichtsgesetz- RUG) i.d.F. der Novellen 1957 (BGBL Nr. 185), 1962 (BGBL Nr. 243) und 1975 (BGBL Nr. 234). Nach § 1 Abs. 1 RUG ist der Religionsunterricht ihres 6 Vgl. hierzu in diesem Band, unten, Joseph Listl, § 113 Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, IV 1; Christoph Link, Religionsunterricht, in: HdbStKirchR II, Berlin 1975, S. 503-546; ders., Religionsunterricht im pluralistischen Staat, in: Adolf Exeler (Hrsg.), Umstrittenes Lehrfach: Religion, Düsseldorf 1976, S. 21-45; Ernst Friesenhahn, Religionsunterricht und Verfassung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 5, Münster 1971, S. 67-88; Reinhard Schmoeckel, Der Religionsunterricht. Die rechtliche Regelung nach Grundgesetz und Landesgesetzgebung, BerlinSpandau und Neuwied 1964. Zur Problematik der Konfessionalität des Religionsunterrichts vgl. Joseph Listl (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach. Sechs Rechtsgutachten von Christoph Link und Armin Pahlke, Joseph Listl, Ulrich Scheuner, Alexander Hollerbach zur Frage der Möglichkeit der Teilnahme von Schülern am Religionsunterricht einer anderen Konfession(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 15), Berlin 1983. 7 Vgl. hierzu in diesem Band, unten, Hans R. Klecatsky, § 115 Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Republik Österreich, V 3 m. w. N.; ferner Hugo Schwendenwein, Religion in der Schule. Rechtsgrundlagen, Graz-Wien-Köln 1980, s. 84, 89 ff., 97 ff.

Der Religionsunterricht

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Bekenntnisses für alle Schüler, die einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören, Pflichtfach an den öffentlichen und den (im einzelnen aufgezählten) mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen. 8 Die Eltern haben das Recht, aus Gewissensgründen ihre Kinder zu Beginn eines Schuljahres von der Teilnahme am Religionsunterricht abzumelden. Mit Vollendung des 14. Lebensjahres steht das Recht der Abmeldung den Schülern selbst zu. Besorgt, geleitet und unmittelbar beaufsichtigt wird der Religionsunterricht von den Religionsgesellschaften. Die Religionslehrer werden vom Staat besoldet. Die Lehrpläne und Lehrbücher werden von der Österreichischen Bischofskonferenz oder von den Leitungen der gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften für ganz Österreich einheitlich und verpflichtend festgelegt. 9 3. Der Religionsunterricht in der Schweiz

Nach Art. 27 BV bestimmen in der Schweiz die einzelnen Kantone die Art des Religionsunterrichts in der Schule. Entsprechend der jeweiligen religiösen und kirchenpolitischen Struktur und Tradition der einzelnen Kantone sind deshalb die Bestimmungen über den Religionsunterricht außerordentlich verschieden. Im Ergebnis "gibt es so viele Gestaltungsformen, wie sich Kantone finden" .10 Verschiedene Kantone verlangen in Schulgesetzen, Reglementen und Grundsatzartikeln, daß die Schulen in christlichem Geist geführt werden. In einzelnen Kantonen finden sich "mehr oder minder öffentliche konfessionelle Schulen" Y In den Kantonen Appenzell I. Rh., Freiburg, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Obwalden, St. Gallen, Schwyz, Solothurn, Tessin, Uri und Wallis wird konfessioneller Religionsunterricht erteilt; in den Kantonen Aargau, Appenzell A. Rh., Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Glarus, Schaffhausen, Thurgau, Waadt, Zürich und Zug wird gemeinsamer Unterricht in Biblischer Geschichte erteilt; eine Reihe dieser Kantone sieht in ihren Schulgesetzen zusätzlich auch noch die Möglichkeit der Erteilung eines konfessionellen Religionsunterrichts vor. a Hugo Schwendenwein, ebd., S. 18; Hans R. Klecatsky I Hans Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, mit umfangreichen Angaben der Österreichischen Gesetzgebung zum Religionsunterricht. 9 Einzelheiten bei Klecatsky, Das Verhältnis (Anm. 7), V 3. 1o Johannes Georg Fuchs, Zum Verhältnis von Kirche und Staat in der Schweiz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 5, Münster 1971, s. 164. u Louis Carlen, in diesem Band, unten, § 116 Das Verhältnis von Kirche und

Staat in der Schweiz, IV 2 b.

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Kirchliches Wirken

In den Kantonen Genf und Neuenburg, in denen strenge Trennung zwischen Staat und Kirche herrscht, wird kein schulischer Religionsunterricht erteilt. Diese Kantone stellen den Kirchen lediglich die Räumlichkeiten der Schulgebäude zur Erteilung eines ausschließlich in kirchlicher Verantwortung stehenden Religions- oder Katechismusunterrichts zur Verfügung. 12

m. Das innerkirchlich-theologisch-pädagogische Verständnis des katholischen schulischen Religionsunterrichts 1. Der Religionsunterricht als schulisches Fach

Die Situation auf dem Gebiete des katholischen Religionsunterrichts in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg ist dadurch gekennzeichnet, daß sich verschiedene, jeweils mit einem gewissen Ausschließlichkeitsanspruch auftretende religionspädagogisch-theologische Grundkonzeptionen über den Religionsunterricht nacheinander abgelöst haben. Zunächst ist hier die kerygmatische Konzeption des Religionsunterrichts13 zu nennen. Sie war durch die liturgisch-kerygmatische Bewegung getragen (Franz Xaver Arnold; Josef Andreas Jungmann u. a.), reichte bis in die dreißiger Jahre zurück und war bis in die sechziger Jahre von Bedeutung (vgl. den im Jahre 1967 erschienenen "Rahmenplan für die Glaubensunterweisung"). Unter dem Einfluß einer breit angelegten Verkündigungstheologie wurde der Religionsunterricht 12 Vgl. hierzu die detaillierten Angaben bei Werner Kurt Bräm, Religionsunterricht als Rechtsproblem im Rahmen der Ordnung von Kirche und Staat. Unter besonderer Berücksichtigung der Schulgesetzgebung in den Kantonen und der Unterrichtsordnungen der evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz, Zürich 1978, S. 107-300. Über die frühere Rechtslage in der Schweiz s. Guido Thürlimann, Der Religionsunterricht im schweizerischen Staatsrecht, Jur. Diss. Freiburg i. Ü., Olten 1921. Ein Vergleich dieser beiden Arbeiten zeigt, daß das Staatskirchenrecht der Schweiz auf dem Gebiete des Schulwesens während der vergangenen sechzig Jahre von einem bedeutsamen Abbau der Staatskirchenhoheit gekennzeichnet ist. Dieser Prozeß ist nach wie vor im Fluß und noch keineswegs abgeschlossen. 13 Klaus Wegenast, Herkömmliche und gegenwärtige Grundtypen einer Theorie, in: Erich Feifel! Robert Leuenberger I Günter Stachel I Klaus Wegenast (Hrsg.), Handbuch der Religionspädagogik, Bd. 1, GüterslohiZürich-Einsiedeln-Köln 1973, S. 264-268; Fritz Weidmann, Religionsunterricht in Vergangenheit und Gegenwart, in: ders. (Hrsg.), Didaktik des Religionsunterrichts, 2. Aufl., Donauwörth, 1982, S. 32-34; Gabriele Miller, Geschichte ist Gegenwartreligionspädagogische Konzeptionen der letzten 50 Jahre, in: Kat.Bl. 102 (1977), S. 913-918. Adolf Exeler, Religionsunterricht zwischen Slogans und notwendigem Wandel, in: ders. (Hrsg.), Umstrittenes Lehrfach (Anm. 6), S. 95-117, bes. s. 100-104.

Der Religionsunterricht

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weithin als kirchliche Katechese im Raum der öffentlichen Schule, nach einer weithin gängigen Kurzformel als "Kirche in der Schule", verstanden. Nach diesem kerygmatischen Konzept war der Religionsunterricht seinem Selbstverständnis nach Glaubensunterweisung, deren Ziel die Ermöglichung einer gläubigen Existenz des Schülers war. Dieser sollte als Getaufter durch die Glaubensunterweisung zur Umkehr angehalten werden und in einer liturgisch-mystagogischen und einer heilsgeschichtlichen Konzentration der Unterrichtsstoffe zur lebendigen Begegnung mit Christus geführt und durch diesen Lernprozeß zum aktiven Mitglied der kirchlichen Ortsgemeinde werden. Aus dem verbreiteten Unbehagen an einer derartigen kerygmatischkatechetischen Grundkonzeption entstand gegen Ende der fünfziger und im Verlaufe der sechziger Jahre das Modell des hermeneutischen Religionsunterrichts. 14 Es entstand aus der Forderung nach einer schultheoretischen Verankerung des Faches Religion. Nach diesem Verständnis hat die Schule den Bildungsauftrag, durch Auslegen von Überlieferung zum Verstehen der gegenwärtigen Welt zu führen. Da das Christentum jedoch für den gesamten abendländischen Kulturkreis von größter Bedeutung war und ist, hat die Schule den Heranwachsenden auch mit dem Christentum und dem christlichen Glauben vertraut zu machen. Das tradierte Glaubensverständnis ist daraufhin zu befragen, wie es in den Denk- und Sprachhorizont des heutigen Menschen hineingesprochen werden kann und was es eigentlich besagen will. Biblische Texte und Glaubenssätze werden demnach nur dann auf die rechte Weise verstanden, wenn sie auf die Existenz des Schülers ausgelegt werden. Ein Religionsunterricht dieser Art war seinem Selbstverständnis nach weniger Verkündigung, sondern vielmehr Auslegung und Interpretation. Dieses hermeneutische Grundkonzept ließ jedoch gegenüber den Erfahrungsfeldern und den Erwartungen der Schüler sowie gegenüber der Problemstruktur der Gesellschaft eine gewisse Ferne erkennen. Deshalb wurde gegen Ende der sechziger und zu Anfang der siebziger Jahre der thematisch-problemorientierte Religionsunterricht15 konzi14 Martin Stallmann, Christentum und Schule, Stuttgart 1958; Gerd Bockwoldt, Religionspädagogik- eine Problemgeschichte, Stuttgart 1977, S. 79-85; Wegenast, Herkömmliche Grundtypen (Anm. 13), S. 268-275; Weidmann, Religionsunterricht (Anm. 13), S. 35-37. 15 Bockwoldt, Religionspädagogik (Anm. 14), S. 93-100; Wegenast, Herkömmliche Grundtypen (Anm. 13), S. 270-276; Weidmann, Religionsunterricht (Anm. 13), s. 37-39.

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piert. In ihm wurde die "Mittelpunktstellung" der Bibel kritisiert, da die Frage nach Gott, dem Heil und der Rechtfertigung "im Kontext der geschichtlichen Welt und der Lebenswirklichkeit sowie im Dialog mit dem Welt- und Selbstverständnis der heute lebenden Menschen" gesehen werden müsse. 16 Neben dem Moment der Tradition (Bibel) wurde ein Religionsunterricht gefordert, der sich als "Unterricht über das Christentum und das Menschsein in der Gegenwart" versteht. 17 Solcher Unterricht sollte die menschliche Existenz und die mit ihr verbundenen Fragen, Probleme und Situationen im Lichte der Tradition erhellen. Obwohl dieser Unterricht bezüglich der pädagogischen Verantwortung Vorteile erkennen läßt, zeigte er doch mitunter Tendenzen, daß sich Religionsunterricht weitgehend nur in der Behandlung mikround makrosozialer Lebensfragen und Probleme erschöpfte. Die Frage nach dem Eigentlichen und Spezifischen des Religionsunterrichts wurde daher seitens der Kirche, der Eltern, der Lehrer - und auch der Schüler- mit zunehmender Nachdrücklichkeit gestellt. Die Überbetonung dieses sog. situativen Ansatzes führte nicht selten zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten mit Fächern wie Deutsch, Sozialkunde und Ethik. 18 Diese Tendenz wurde noch durch eine dezidierte Gegenüberstellung und nicht selten Entgegensetzung von schulischem Religionsunterricht und Gemeindekatechese verschärft. Nach diesen Vorstellungen setzte die Gemeindekatechese den Glauben voraus, der schulische Religionsunterricht dagegen nicht. Der Religionsunterricht sollte zu kritischem Denken hinführen, die Katechese wurde demgegenüber vielfach als unkritische und konformistisch "indoktrinierende" Glaubensunterweisung hingestellt. Die Katechese hatte nach diesen Vorstellungen die Kirche zum Subjekt, der Religionsunterricht dagegen zum Objekt. 19 Hierbei wurde die grundlegende Tatsache verkannt, daß Religionsunterricht und Katechese lediglich verschieden strukturierte Lernprozesse sind und daß durch diese Struktur des Lernprozesses keine apriorische Unterscheidung über mögliche Lehrinhalte bedingt ist. 20 16 Hans-Bernhard Kaufmann, Muß die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?, in: Gert Ottol Hans Stock (Hrsg.), Schule und Kirche vor den Aufgaben der Erziehung, Harnburg 1968, S. 80. 17 Karl Ernst Nipkow, Schule und Religionsunterricht im Wandel, Heidelberg/Düsseldorf 1971, S. 236-263. 18 Georg Baudler, Situativer Ansatz und überlieferter Glaube. Thesen zu Grundfragen des Religionsunterrichts heute, in: IKZ Communio 5 (1976), S. 300. 19 Vgl. hierzu das Arbeitspapier "Das katechetische Wirken der Kirche", in: Gemeinsame Synode. Gesamtausgabe II, S. 52 f.

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Ferner wurde von vielen Religionspädagogen die Auffassung vertreten, daß der Religionsunterricht als schulische Veranstaltung "im Unterschied zur Predigt und Katechese nicht Glaubensverkündigung, sondern Information, d. h. Wissensvermittlung", zu sein habe. Gleichzeitig wurde aber erklärt, daß Information und Verkündigung im schulischen Bereich keine sich ausschließenden Alternativen darstellten, da sachgerechte Information über die Offenbarung nur da vorliegen könne, wo ihr Anspruch nicht verschwiegen werde, so daß eine richtige Information die Möglichkeit der Verkündigung impliziere. 21 Dabei wurde jedoch übersehen, daß auch die Katechese, wie die nunmehr bald zweitausendjährige Tradition der Kirche lehrt, nur als "Einheit von Information und Bekenntnis" erfolgen kann. 22 Vielfach wurde bei den religionspädagogischen Erörterungen über die Zielsetzung und den Sinn des Religionsunterrichts und auch bei dessen Erteilung außer acht gelassen, daß der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach, d. h. eine im strengen Sinne schulische Veranstaltung ist und sein muß, die, ebenso wie die übrigen Fächer, der Notengebung und Leistungsbemessung unterliegt, bei der aber - im Unterschied zu den übrigen Schulfächern - Information und Verkündigung in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen, so daß das Fach Religion vor der Kirche genauso bestehen kann wie vor der Schule, die in staatlichem Auftrag handelt. Dadurch hebt sich der Religionsunterricht deutlich von Fächern wie Deutsch, Sozialkunde und Ethik ab. Der Religionsunterricht muß im Unterschied zu diesen Fächern eindeutig dartun, daß er in der Offenbarung gründet und Mensch und Welt in ihrem Bezug zu Jesus Christus im Lichte des kirchlichen Glaubens und Lebens aufzeigt. 23 In der Gegenwart ist die bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre auf dem Gebiete des Religionsunterrichts in Umrissen feststellbare "neue Konsensbildung"24 weiter fortgeschritten. Im Sinne einer als positiv zu bewertenden Integration der genannten religionspädagogischen Konzeptionen 2o So zutreffend Georg Baudler, Schulischer Religionsunterricht und kirchliche Katechese, Düsseldorf 1973, S. 182 und 187. 21 In diesem Sinne Paul Schladoth, Der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen aus der Sicht des katholischen Religionspädagogen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 5, Münster 1971, S. 48 f. Dazu Bockwoldt, Religionspädagogik (Anm. 14), S. 92 f. 22 Hans Urs von Balthasar, Gründet Katechese auf Glauben und/oder Theologie?, in: IKZ Communio 12 (1983), S. 6. 23 Josef Duschl, Erfahrungsbericht eines Ministerialbeauftragten über den Religionsunterricht an Gymnasien heute, in : IKZ Communio 5 (1976), S. 341 f. 24 In diesem Sinne Manfred Müller, Der Religionsunterricht aus der Sicht des bischöflichen Amtes, in: IKZ Communio 5 (1976), S. 299.

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des Religionsunterrichts wird auch der kirchliche Verkündigungsauftrag im Rahmen des Religionsunterrichts wieder deutlicher erkannt, herausgestellt und bejaht. Die einseitige Entgegensetzung und falsche Dichotomie zwischen schulischem Religionsunterricht und kirchlicher Katechese wurde in vieler Hinsicht relativiert. 25 2. Die Ziele des Religionsunterrichts in den Stellungnahmen der Deutschen Bischofskonferenz

Im Zuge der Abkehr von der biblisch-kerygmatischen Konzeption des Religionsunterrichts in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wurde das Verständnis des Religionsunterrichts als einer Form der Glaubensverkündigung vielfach in Frage gestellt und eine neue Rechtfertigung des Religionsunterrichts im Rahmen der Schule gesucht. Damals sah sich die Deutsche Bischofskonferenz vor die Notwendigkeit gestellt, ihrerseits grundsätzliche Aussagen über Zielsetzung und Sinngebung des Religionsunterrichts zu machen. a) In der kurzen "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Religionsunterricht" vom 22. 12. 1969, in der eine Begründung des Religionsunterrichts von der Schule her versucht wurde, 26 stellten die Bischöfe fest, daß die Schule von ihrem Bildungsauftrag und ihrer Zielsetzung her nicht auf den wesentlichen Beitrag verzichten könne, den der Religionsunterricht zu leisten habe. Im Religionsunterricht als schulischer Veranstaltung solle eine sachbezogene Darlegung des Glaubens erfolgen, die zu einer existentiellen Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens in der heutigen Gesellschaft und Welt hinführen solle. An der strikten Konfessionalität hielten die Bischöfe fest. Sie begründeten dieses Postulat theologisch damit, daß der christliche Glaube in der konkreten Kirche gelebt werde; aus diesem Grunde müsse der Religionsunterricht "grundsätzlich auf konfessioneller Basis, also für die katholischen Schüler und Schülerinnen vom katholischen Religionslehrer" erteilt werden. Die Deutsche Bischofskonferenz wies hierbei auch auf die Tatsache hin, daß der Religionsunterricht als Schulfach gleichzeitig für gläubige, im Glauben angefochtene und vielleicht sogar für ungläubige Schüler erteilt werden müsse, und erklärte über die Zielsetzung des Religionsunterrichts wörtlich: "Dieser 25 Alfred Assel, "Miteinander glauben lernen ... ". Plädoyer für einen "kooperativen Ansatz" der Glaubensweitergabe, in: IKZ Communio 12 (1983), s. 20. 26 Abgedr. in den Amtsblättern der deutschen Diözesen; ferner bei Alfred Läpple, Der Religionsunterricht 1945-1975. Dokumentation eines Weges, Aschaffenburg 1975, S. 129.

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muß den gläubigen Schülern helfen, tiefer in den Glauben einzudringen, und den anderen die Begegnung mit der Botschaft Christi ermöglichen".27 b) In der Erklärung der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 22./23. 11. 1972 über die Zielsetzung und Aufgaben des katholischen Religionsunterrichts vertieften die Bischöfe ihre Aussagen vom 22. 12. 1969. Über die Zielsetzung des Religionsunterrichts heißt es in dieser Erklärung, in der wiederum auf die unterschiedliche Einstellung der gläubigen und der im Glauben angefochtenen Schüler gegenüber dem Religionsunterricht hingewiesen wird, daß der Religionsunterricht dem gläubigen Schüler helfe, sich bewußter für diesen Glauben zu entscheiden und damit auch der Gefahr religiöser Unreife und Gleichgültigkeit zu entgehen. Dem suchenden und im Glauben angefochtenen Schüler biete der Religionsunterricht die Möglichkeit, die Antworten der Kirche auf seine Fragen kennenzulernen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Aus dieser Zielrichtung ergeben sich folgende Aufgaben des Religionsunterrichts: (1) "Er weckt und reflektiert die Frage nach Gott, nach der Deutung der Welt, nach dem Sinn und Wert des Lebens und nach den Normen für das Handeln des Menschen. (2) Er ermöglicht eine Antwort aus der Offenbarung und aus dem

Glauben der Kirche.

(3) Er befähigt zu persönlicher Entscheidung in Auseinandersetzung mit Konfessionen und Religionen, mit Weltanschauungen und Ideologien und fördert Verständnis und Toleranz gegenüber der Entscheidung anderer. (4) Er motiviert zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft". 28

27 Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, abgedr. bei Läpple, ebd. Am 17. 12. 1970 wurde eine im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz von der Sonderkommission für Fragen des Religionsunterrichts in der Schule erarbeitete Erklärung zum Religionsunterricht veröffentlicht, in der der Religionsunterricht in besonders markanter Weise von seinen schulpädagogischen Zielen her begründet wurde. Die Zeitbedingtheit dieser Erklärung ist besonders auffallend. Die Erklärung ist u. a. abgedr. bei Läpple, Der Religionsunterricht (Anm. 26), s. 156 f. 28 Abgedr. in den Amtsblättern der deutschen Diözesen; ferner bei Läpple, Der Religionsunterricht (Anm. 26), S. 156 f.

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Kirchliches Wirken 3. Der Synodenbeschluß "Der Religionsunterricht in der Schule"

Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg (3. 1. 1971-22. 11. 1975) hat sich in dem Synodenbeschluß "Der Religionsunterricht in der Schule" intensiv und ausführlich mit den Problemen des schulischen Religionsunterrichts, wie sie sich damals vor allem in den mittleren und oberen Klassen der höheren Schulen gestellt haben, auseinandergesetzt. 29 Die Synode sah sich vor die Aufgabe gestellt, den Religionsunterricht als notwendigen Bestandteil des schulischen Fächerkanons zu begründen und seine Zielsetzung und seine Sinngebung deutlich zu umschreiben. In den Synodenbeschluß über den Religionsunterricht sind wesentliche Elemente der Erklärungen der Deutschen Bischofskonferenz über den Religionsunterricht von 1969 und 1972 eingegangen. Wie darin ausgeführt wird, liegt der Religionsunterricht in der Schnittlinie zwischen pädagogischen und theologischen Begründungen, d. h. er kann und muß sowohl von der Schule als auch von der Kirche her begründet werden. Die Schule führt in die kulturgeschichtlichen, anthropologischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge ein. Theologisch findet der katholische Religionsunterricht seine spezifische Begründung im christlichen Glauben. Dieser weiß sich gebunden an die geschichtliche Offenbarung Gottes. Für den Religionsunterricht bedeutet das den Bezug auf die Heilige Schrift und die Entfaltung der Frohen Botschaft im Glauben und im Leben der Kirche. Die Schüler sollen sich mit der christlichen Verkündigung auseinandersetzen und deren biblische Grundlage und geschichtliche Entfaltung in der Kirche kennenlernen. Der katholische Religionsunterricht ist zu erteilen in konfessioneller Gebundenheit, aber nicht in konfessionalistischer Enge. Von seinem Wesen her hat es der Religionsunterricht mit Konfession, d. h. mit dem Bekenntnis zu tun. Der in der Gemeinschaft bezeugte Glaube umfaßt dabei Dogma und Credo, den Vollzug liturgischer Formen und den gelebten Glauben in Erfüllung des göttlichen Willens. Seiner Gesinnung nach ist der Religionsunterricht ökumenisch. Er wird erteilt aufgrund kirchlicher Lehrbeauftragung. 30 Wie sehr der Synodenbeschluß von zeitgebundenen religionspädagogischen Leitvorstellungen mitbeeinflußt ist, beweist z. B. die ausdrückliche Erklärung, daß der Religionsunterricht "nicht primär einer systematischen Stoffvermittlung" diene. Hierbei klingen Aversionen gegen die in früherer Zeit als Unterrichtsgrundlage für den Religions29 Vgl. den Wortlaut dieses Beschlusses mit einer Einleitung von Ludwig Volz, in: Gemeinsame Synode. Gesamtausgabe I, S. 113-152. ao Gemeinsame Synode. Gesamtausgabe I, bes. S. 143 f., 150 f.

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unterrichtdienenden Katechismen an. Nach dem Wunsche der Synode soll sich der Religionsunterricht vielmehr- "den Ansätzen moderner Didaktik gemäß" -auf die Situation der Schüler beziehen, sich ihren Fragen stellen, ihren Problemen nachgehen und Erfahrungen zu vermitteln suchen. Selbstverständlich müsse er, wie jedes Schulfach, einen "überprüfbaren Wissenszuwachs erbringen". 31 Der Synodenbeschluß über den Religionsunterricht in der Schule, der nach langen Erörterungen mit einer Mehrheit von 223 von insgesamt 240 abgegebenen Stimmen angenommen wurde, hat auf dem Gebiete des Religionsunterrichts in starkem Maße konsensbildend gewirkt und in vieler Hinsicht die vorher bestehende Unsicherheit über die Zielsetzungen und das Grundverständnis des Religionsunterrichts beseitigt. 32 Dennoch ist eine Reihe von Schwächen des Synodenbeschlusses nicht zu übersehen. Verschiedene Mängel, die seiner Urfassung angehaftet haben, wurden bei den langen Erörterungen in zwei Vollversammlungen der Synode beseitigt oder doch gemildert. In mancher Hinsicht waren diesen Bemühungen jedoch nur Teilerfolge beschieden. Auf der Synode wurde an der Vorlage insbesondere kritisiert, daß sie sich ausschließlich am Konzept eines Religionsunterrichts in der Oberstufe der höheren Schulen orientiere und z. B. die unteren Klassen der Grundschule außer Betracht lasse. 33 Ferner wurde festgestellt, daß der Beschluß einseitig religionspädagogisch motiviert sei. Die Leistungsbewertung war ursprünglich nicht einmal erwähnt. Auf das "Normengefüge" der Kirche in den Bestimmungen der cc. 1373 bis 1382 CIC/1917 sei mit keinem Wort hingewiesen worden. 34 Die "Verankerung des Religionsunterrichts im Verfassungsrecht" (Hans Maier) fehlte ursprünglich völlig. Es kam nicht hinreichend zum Ausdruck, daß der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des jeweiligen Bekenntnisses zu erteilen ist. Die Stellung des Religionsunterrichts zum Dogma und zur katholischen Glaubenslehre gelange nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck. Hinter der Vorlage stünde ein "Trauma", nämlich die große Zahl der AbmeldunGemeinsame Synode. Gesamtausgabe I, S. 151. Hierauf verweist nachdrücklich Müller, Der Religionsunterricht (Anm. 24), s. 290. 33 Geiger, in: Protokoll IV. Vollversammlung (Anm. 5), S. 152. In der Beschlußvorlage wurde zwar ausdrücklich festgestellt, daß die genannten Aufgaben und Ziele des Religionsunterrichts "grundsätzlich ... für jede Schulstufe, auch für den Primarbereich" gelten (vgl. Gesamtausgabe I, S. 140), tatsächlich war und ist die Vorlage aber nur auf die besondere Problematik des Religionsunterrichts in den mittleren und oberen Klassen der höheren Schulen zugeschnitten. 34 Geiger, ebd.; ferner ders., in: VI. Vollversammlung (Anm. 5), S. 100 und 105. 31 32

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genvom Religionsunterricht, die zu Beginn der siebziger Jahre in der Oberstufe der höheren Schule festzustellen war. Der Vorlage hafte etwas von dem Bedürfnis an, die Existenz des Religionsunterrichts und die Existenz des Religionslehrers nach allen Seiten zu rechtfertigen". 35 Erst aufgrund der Kritik, die gegen die Vorlage bei den Verhandlungen auf der VI. Vollversammlung der Synode von verschiedenen Seiten vorgetragen wurde, gelang es schließlich, zahlreiche gravierende Mängel zu beseitigen und einen Konsens über diese bedeutsame Synodenvorlage zu erreichen. Es darf keineswegs verkannt und übersehen werden, daß dem Religionsunterricht, wie er nach dem Beschluß der Synode zu konzipieren ist, eine "pastorale Ergiebigkeit" eignet. Diese zeigt sich u. a. darin, daß der Zusammenhang des christlichen Glaubens mit grundlegenden menschlichen Erfahrungen bedacht, einer "drohenden gesellschaftlichen und intellektuellen Isolierung der Kirche" bereits in der Schule entgegenwirkt, die "Notwendigkeit, über binnenkirchliches Sprechen hinauszukommen" anfanghafterkannt und der Religionsunterricht als "ein hervorragender Ort für eine institutionalisierte Auseinandersetzung der Kirche mit dem Phänomen kirchlich distanzierter Christlichkeit" gesehen werden könnte. 36 Es sind dies pastorale Gesichtspunkte, die in eine Konzeption eines Religionsunterrichts eingebracht werden können, die sich ausdrücklich nicht als Katechese versteht. Ungeachtet des in Würzburg "keineswegs spannungsfrei formulierten Grundkonsenses" 37 gingen nach der Synode die Grundsatzdiskussionen über die Ziele und die pädagogische Gestaltung des Religionsunterrichts auf allen Ebenen weiter. Betrafen die Auseinandersetzungen über den Religionsunterricht in der Zeit vor und auch auf der Würzburger Synode vor allem die Rechtfertigung des Religionsunterrichts und seiner Zielsetzungen im Rahmen der Erziehungsziele der Schule und des schulischen Fächerkanons, so verlagerte sich die Diskussion in der Folgezeit eher auf die innerkirchliche Ebene. Die Verpflichtung des Religionsunterrichts, neben den in Würzburg formulierten und absolut zu bejahenden Zielen des Religionsunterrichts in stärkerem Maße auch die im Auftrag der Kirche erfolgende Glaubensver35 Maier, in: Protokoll VI. Vollversammlung (Anm. 5), S. 96, 106, 108, 124; ferner ders., Zum Religionsunterricht, in: Hans Maier, Anstöße. Beiträge zur Kultur- und Verfassungspolitik. Mit einer Einführung und erläuternden Hinweisen von Eberhard Dünninger, Stuttgart 1978, S. 195-199. 36 Exeler, Religionsunterricht (Anm. 13), S. 109-113. 37 So zutreffend Ulrich Ruh, Religionsunterricht: wieder in der Diskussion, in: HerKorr 35 (1981), S. 121. Zur gegenwärtigen Situation des Religionsunterrichts vgl. Alfred Läpple, Religionsunterricht- quo vadis?, in: KlBl. 62 (1982), s. 257f.

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kündigung und Glaubensvermittlung als eine seiner originären Aufgaben zu erkennen und zu verwirklichen, rückte in den Mittelpunkt der Erörterungen. In diesem Sinne betont z. B. die "Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur gegenwärtigen Diskussion um den Religionsunterricht" vom 14. 11. 1980 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 30 des apostolischen Schreibens Catechesi tradendae von Papst Johannes Paul II., daß der Religionsunterricht unverändert den Auftrag habe, "den Glauben der Kirche zu vermitteln" und deshalb "eine möglichst vollständige Einführung in das Christentum bieten" solle. 38 Ein Indiz dafür, daß auch die Vermittlung eines systematischen Glaubenswissens wieder in stärkerem Maße Eingang in die Grundkonzeption und die Praxis derErteilungdes Religionsunterrichts gefunden hat, bildet das von erheblicher Kritik begleitete Erscheinen der beiden auf teilweise verschiedenen religionspädagogischen Vorstellungen beruhenden Katechismen "Botschaft des Glaubens" 39 und "Grundriß des Glaubens". 40 Im Blick auf die religionspädagogische und katechetische Situation in Frankreich hat der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, es als einen schweren Fehler bezeichnet, daß man in Frankreich die Katechismen abgeschafft habeY 38 Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur gegenwärtigen Diskussion um den Religionsunterricht, beschlossen auf der Vollversammlung vom 14. 11. 1980, S. 1 und 3; vgl. hierzu Johannes Paul 11., Apostolisches Schreiben "Catechesi tradendae" vom 16. 10. 1979, in: AAS 71 (1979), S. 12771340; deutschsprachige Ausgabe: Apostolisches Schreiben Catechesi tradendae Sr. Heiligkeit Papst Johannes Pauls II. über die Katechese in unserer Zeit (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles, H. 12). Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1979. 39 Botschaft des Glaubens. Ein katholischer Katechismus. Im Auftrage der Bischöfe von Augsburg und Essen hrsg. von Andreas Baur und Wilhelm Plöger, Donauwörth und Essen, 1. Aufl. 1978, 5. Aufl. 1983. 40 Grundriß des Glaubens. Katholischer Katechismus. Allgemeine Ausgabe. Hrsg. vom Deutschen Katecheten-Verein, München. Verfaßt von Gottfried Bitter, Adolf Exeler, Wolfgang Hein, Günter Lange, Wolfgang Langer, Maria Lorentz, Emil Martin, Gabriele Miller, Dieter Wagner- München 1980. Der Katechismus versteht sich als eine systematische Gesamtdarstellung des katholischen Glaubens. Im Vorwort (S. 11) erklären die Verfasser, daß dieses Buch "sozusagen den Bauplan des Ganzen" offenlege. Es betrachte den christlichen Glauben im Lebenszusammenhang der katholischen Kirche und verstehe sich als Einführung in das Leben und die Überlieferung dieser Kirche; denn Christsein geschehe konkret immer in einer Gemeinschaft: in Gemeinde und Kirche. Über die Bedeutung und Notwendigkeit der Katechismen für die Glaubensunterweisung vgl. ferner die zutreffenden Ausführungen bei Karl Lehmann, Der Katechismus als Form der Glaubensvermittlung, in: IKZ Communio 12 (1983), s. 8-13.

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Karl Lehmann weist zutreffend darauf hin, daß sich auch in unserer Zeit der christliche Glaube nicht nur auf seine ureigenen "Inhalte", sondern auch auf die ursprüngliche Form besinnen soll, die ihm über fast zwei Jahrtausende die Kontinuität der Glaubensvermittlung und -Überlieferung ermöglicht haben. Dazu gehöre der Katechismus, auch wenn man ihm heute eine neue Gestalt geben müsse. 42 4. Die kirchliche Lehrbeauftragung für die Erteilung des Religionsunterrichts (Missio canonica)

Die religionspädagogische Grundkonzeption des Religionsunterrichts und die Formen seiner konkreten Erteilung sind gleichermaßen an die kirchlichen und staatlichen Gesetze gebunden, die auf dem Gebiete des Religionsunterrichts, der staatskirchenrechtlich eine "gemeinsame Angelegenheit von Kirche und Staat" darstellt, aufeinander bezogen sind und einander korrespondieren. Für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland wird gemäß Art. 7 Abs. 3 der Religionsunterricht "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" erteilt. Für Österreich und auch für die Schweiz, soweit in diesem Land konfessioneller Religionsunterricht stattfindet, bestehen analoge Bestimmungen. Zu den sich unmittelbar aus dem Verkündigungsauftrag der Kirche ergebenden Grundsätzen der katholischen Kirche gehört es, daß die Befugnis zur Erteilung des Religionsunterrichts eine besondere kirchliche Lehrbeauftragung voraussetzt, die für die Dauer des Vorbereitungsdienstes als "Unterrichtserlaubnis ", für die Lehrtätigkeit nach bestandener pädagogischer Prüfung (II. Staatsprüfung) als "Missio canonica" bezeichnet wird. Sie wird vom zuständigen Diözesanbischof auf Antrag im Rahmen der erworbenen Lehrbefähigung erteilt. Die Notwendigkeit dieser kirchlichen Lehrbeauftragung ergibt sich daraus, daß die Erteilung des Religionsunterrichts nicht eine private Veranstaltung des Religionslehrers ist, sondern Teilhabe an der amtlichen Verkündigung der christlichen Lehre, die im Namen und im Auftrag der Kirche erfolgt. 43 Die Deutsche Bischofskonferenz hat bei ihrer Versammlung vom 12.15. 3. 1973 Rahmenrichtlinien zur Erteilung der Kirchlichen Unter41 Vgl. hierzu den Bericht "Ce fut une grave faute de supprimer le catechisme" declare le Cardinal Ratzinger, in: Le Monde, Ausgabe v. 25. Januar 1983, S. 12. Der volle Wortlaut des Referats von Kardinal Joseph Ratzinger ist veröffentlicht unter dem Titel "Transmission de la foi et sources de foi", in: La Documentation Catholique 65 (1983), S. 260-267. 42 Lehmann, Der Katechismus (Anm. 40), S. 13. 43 Vgl. c. 805 und die Ausführungen in diesem Beitrag, oben, I 1.

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richtserlaubnis und der Missio canonica für Lehrkräfte mit der Fakultas "Katholische Religionslehre" erlassen. Bei der Sitzung vom 24.27. 9. 1973 hat die Deutsche Bischofskonferenz ferner eine "Rahmengeschäftsordnung" zu diesen Rahmenrichtlinien verabschiedet. 44 Voraussetzung für die Erteilung der Missio canonica ist die Versicherung des Antragstellers, daß er den Religionsunterricht in Übereinstimmung mit der Lehre und den Grundsätzen der katholischen Kirche erteilen werde. Der Bewerber verpflichtet sich darüber hinaus, in seiner persönlichen Lebensführung die Grundsätze der katholischen Kirche zu beachten. Die Rahmengeschäftsordnung regelt das Verfahren der Erteilung der Missio canonica in besonderen Fällen, in denen gegen die beantragte Erteilung seitens der Kirche Bedenken bestehen. Ist bei einem Religionslehrer die Übereinstimmung seiner Lehrmeinungen oder seiner Lebensführung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche nicht mehr gegeben, kann ihm die Missio canonica entzogen werden. Der Entzug der Missio canonica hat den Verlust der Befugnis zur Erteilung des Religionsunterrichts zur Folge. Sowohl bei der Verleihung als auch beim Entzug der Missio canonica handelt es sich um ausschließlich innerkirchliche Angelegenheiten, die einer Nachprüfung durch staatliche Gerichte nicht unterliegen und gegen die daher ein Rechtsweg zu staatlichen Gerichten nicht gegeben ist. 45

44 Abgedr. in den Amtsblättern der deutschen Diözesen, u. a., in: ABL Regensburg 1973, S. 141 f.; ferner bei Läpple, Der Religionsunterricht (Anm. 26), s. 165-168. 45 Zur Unzulässigkeit des Rechtswegs zu staatlichen Gerichten bei Entzug der Missio canonica durch den zuständigen Diözesanbischof vgl. VG Aachen, Urt. v. 27. 6. 1972 (Az.: 2 K 594171), abgedr. in: DVBL 1974, S. 57 f. mit zust. Anm. von Joseph Listl = ArchKathKR 142 (1973), S. 173 = ZevKR 18 (1973), S. 413 =KirchE 12, S. 503.

Zur polizeilichen Erlaubnispflichtigkeit von Fronleichnamsprozessionen Gutachtliche Äußerung* I. Prozessionen als Religionsausübung Aus gegebenem Anlaß ist im folgenden die Frage zu untersuchen, ob für die Veranstaltung von Fronleichnamsprozessionen die Einholung einer Erlaubnis der zuständigen Polizei- bzw. Straßenverkehrsbehörde erforderlich ist. Die Fronleichnamsprozessionen sind Bestandteil des Gottesdienstes der katholischen Kirche 1 und damit Religionsausübung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die Fronleichnamsprozessionen stehen daher unter dem Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG: "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zählen die Prozessionen zu den religiösen Veranstaltungen, die als Ausübung der Religion den Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG genießen. 2 Nach der durch das Grundgesetz konstituierten Freiheits- und Wertordnung ist jedoch kein Grundrecht schrankenlos gewährleistet. Alle Grundrechte, auch diejenigen, die, wie das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 GG, formell unbeschränkt, d. h. ohne ausdrückliche Einschränkungsmöglichkeit durch ein einfaches Gesetz, gewährleistet sind, weisen innere Beschränkungen, sog. immanente oder inhärente

* Diese gutachtliche Stellungnahme wurde mit Datum vom 26. April 1976 dem Bistum Rottenburg (seit 18. Januar 1978 Rottenburg-Stuttgart) erstattet. Das Gutachten ist bisher nicht veröffentlicht 1 Vgl. dazu Josef Andreas Jungmann, Art. "Fronleichnam. Il. Prozession", in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. 4, Freiburg/Br. 1960, Sp. 406 f. m.w.N.; ferner Josef Andreas Jungmann I Georg Schreiber, Art. "Prozession", in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 8, Freiburg/Br. 1963, Sp. 843 ff. m.w.N. 2 Vgl. dazu BVerfGE 24, S. 236 (246): "Zur Religionsausübung gehören danach nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozession, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens."

Erlaubnispflichtigkeit von Fronleichnamsprozessionen

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Schranken auf, die mit der Zielrichtung des einzelnen Grundrechts zusammenhängen. Vom Gesamtgrundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sind die Teilgrundrechte der Glaubensfreiheit und Glaubenswahlfreiheit als Kernbereich des Grundrechts der Religionsfreiheit jedem Zugriff und jeder Beschränkung durch die staatlich-hoheitliche Gewalt entzogen. Die freie Ausübung des Grundrechts der Religionsfreiheit in der Form der Bekenntnisfreiheit und der Kultusfreiheit, d. h. der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, unterliegt dagegen vielfältigen unvermeidbaren und zwingenden modalen, d. h. nicht den Inhalt der Religionsfreiheit berührenden, sondern nur deren örtliche und zeitliche Umstände regelnden, Beschränkungen. 3 Eine Notwendigkeit für die Beschränkung bestimmter religiöser Betätigungsformen kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Fällen ergeben, in denen die Inanspruchnahme des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung entweder mit Grundrechten Dritter oder mit anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswerten in Kollision gerät. Solche Rechte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte Wertordnung ausnahmsweise im Stande, auch ein Grundrecht, das, wie die ungestörte Ausübung der Religionsfreiheit, durch die Verfassung ohne ausdrückliche Einschränkungsmöglichkeit durch einfaches Gesetz gewährleistet ist, in der Staats- und Verwaltungspraxis dennoch in einzelnen Beziehungen zu begrenzen. 4 Zu den mit Verfassungsrang geschützten Rechtswerten, die im Einzelfall in der Lage sein können, eine Beschränkung der Ausübung des Grundrechts der Religionsfreiheit bei der Veranstaltung von Fronleichnamsprozessionen in bestimmter Hinsicht zu rechtfertigen, gehört in erster Linie das Grundrecht aller Verkehrsteilnehmer auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG, das jedermann zur Teilnahme am Straßenverkehr im Rahmen der Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) berechtigt. Ferner rechtfertigt auch die Erwägung, daß die Prozessionsteilnehmer selbst in bestimmten Fällen zu ihrer eigenen Sicherheit vor den Gefahren des Straßenverkehrs polizeilichen Schutzes bedürfen, z. B. durch Absperrungsmaßnahmen oder erforderliche Umleitungen des Straßenverkehrs, eine rechtliche Regelung, die die Veranstaltung von Prozessionen von einer polizeilichen Erlaubnis abhängig macht. Das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG wird dadurch nicht notwendig beeinträchtigt. Vielmehr wird im Gegenteil durch eine sinnvoll gehand3 Vgl. zum Ganzen Joseph Listl, Glaubens- Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: HdbStKirchR1 I, S. 392 m.w.N. 4 Vgl. dazu BVerfGE 28, S. 243 (261); 32, S. 98 (108).

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habte Erlaubnispraxis angesichts der Störungen und Gefahren, die der moderne Straßenverkehr mit sich bringt, die ungestörte Religionsausübung bei der Veranstaltung von Fronleichnamsprozessionen erst ermöglicht. Schließlich ist zu bemerken, daß allgemeine Verkehrsverbote, wie die Bestimmung des§ 18 Abs. 10 Satz 1 StVO "Fußgänger dürfen Autobahnen nicht betreten", auch für die Veranstaltung von Prozessionen gelten und eine rechtmäßige Schranke des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG darstellen. II. Rechtsgrundlagen der Fronleichnamsprozession Als Rechtsgrundlagen für eine mögliche polizeiliche Erlaubnispflichtigkeit von Prozessionen kommen in Betracht: 1. Das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz- VersammlungsG- vom 24. Juli 1953 (BGBL I S. 684; BGBL III 2180-4); 2. Die Straßenverkehrs-Ordnung- StVO -vom 16. 11. 1970 (BGBL I S. 1565, berichtigt 1971 S. 38; BGBL III 9233-1). Deshalb sind diese beiden Gesetze unter der genannten Rücksicht zu prüfen. 1. Das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (VersammlungsG)

Nach § 1 Abs. 1 VersammlungsG hat jedermann das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. § 14 Abs. 1 und 2 VersammlungsG bestimmt für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, daß derjenige, der die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde anzumelden hat. In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll. Im Sinne des VersammlungsG ist unter einer "öffentlichen Versammlung" eine "Mehrheit natürlicher Personen, die zusammengekommen sind, um gemeinsam in öffentlichen Angelegenheiten durch Diskussion oder Demonstration eine Aussage zu machen", zu verstehen; desgleichen sind "Aufzüge" im Sinne des VersammlungsG "sich fortbewegende Demonstrationsversammlungen unter freiem Himmel, bei denen es um Demonstration einer kollektiven Aussage in einer öffentlichen Angelegenheit geht." Versammlungen und Aufzüge im Sinne des VersammlungsG liegen auf der Ebene des Politischen im weitesten Sinne des Wortes; sie sind geeignet, politische Forderungen

Erlaubnispflichtigkeit von Fronleichnamsprozessionen

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nachdrücklich zur Geltung zu bringen und "bieten damit die Möglichkeit zur öffentlichen Einflußnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest. " 5 Daher gehören gottesdienstliche Veranstaltungen, kirchliche Prozessionen und Wallfahrten nicht zu den Versammlungen und Aufzügen im Sinne des VersammlungsG. Der Gesetzgeber hat diesem wesentlichen Unterschied zwischen öffentlichen Versammlungen und Aufzügen im Sinne des VersammlungsG und Prozessionen Rechnung getragen und in § 17 VersammlungsG u.a. Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten ausdrücklich von der Geltung des Versammlungsgesetzes ausgenommen und bestimmt, daß § 14 VersammlungsG, der die Anmeldepflicht von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen regelt, § 15 VersammlungsG, der die Anordnung von Auflagen und in bestimmten Fällen die Auflösung und das Verbot von Versammlungen und Aufzügen zuläßt, und § 16 VersammlungsG, der die Veranstaltung von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen "innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bundes oder der Länder sowie des Bundesverfassungsgerichts" verbietet, für kirchliche Prozessionen nicht gelten. § 17 VersammlungsG hat folgenden Wortlaut: "§§ 14 bis 16 gelten nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste." Damit hat der Gesetzgeber selbst entschieden, daß Prozessionen, unter denen nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts "unter geistlicher Leitung veranstaltete feierliche Umgänge, Um- oder Aufzüge zu gottesdienstlichen Zwecken, insbesondere um Gott zu danken oder seine Hilfe zu erflehen", 6 verstanden werden, nicht unter die Vorschriften des VersammlungsG fallen. Somit kann aus den Vorschriften des Versammlungsgesetzeseine Pflicht irgendwelcher Art für kirchliche Stellen, eine polizeiliche oder verkehrsbehördliche Erlaubnis zur Veranstaltung von Fronleichnams- oder anderen Prozessionen einzuholen, nicht hergeleitet werden. 5 Vgl. Alfred Dietel und Kurt Gintzel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. Kommentar zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24. Juli 1953. 4., überarbeitete Auflage. Köln/Berlin/Bonn/München 1973, Erl. 1, 2 und 14 zu§ 1 VersammlungsG.; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. 7. Aufl., Karlsruhe 1974, § 12 I (= s. 164f.). s RGSt. 46, 32.

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Kirchliches Wirken 2. Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)

Als weiteres Gesetz, aus dessen Bestimmungen sich möglicherweise eine Erlaubnispflichtigkeit für die Veranstaltung von Fronleichnamsprozessionen ergeben kann, ist die Straßenverkehrs-Ordnung zu prüfen. Einschlägig sind in dieser Hinsicht die §§ 29 Abs. 2 und 27 StVO. § 29 Abs. 2 StVO bestimmt: "Veranstaltungen, für die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, bedürfen der Erlaubnis. Das ist der Fall, wenn die Benutzung der Straße für den Verkehr wegen der Zahl oder des Verhaltens der Teilnehmer oder der Fahrweise der beteiligten Fahrzeuge eingeschränkt wird: Kraftfahrzeuge in geschlossenem Verband nehmen die Straße stets mehr als verkehrsüblich in Anspruch. Der Veranstalter hat dafür die sorgen, daß die Verkehrsvorschriften sowie etwaige Bedingungen und Auflagen befolgt werden." Die im Straßenverkehrsrecht herrschende Meinung geht, wie Jagusch ausführt, davon aus, daß Gottesdienste unter freiem Himmel und Prozessionen, soweit sie auf öffentlichen Verkehrsflächen stattfinden, "die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch" nehmen und deshalb der Erlaubnis der zuständigen Behörde bedürfen. 7 Eine Prozession bildet im Sinne der StVO einen "geschlossenen Verband". Für "geschlossene Verbände" trifft § 27 StVO besondere Bestimmungen. Gern. § 27 Abs. 1 Satz 1 StVO gelten für geschlossene Verbände, wie Prozessionen, die für den gesamten Fahrverkehr einheitlich bestehenden Verkehrsregeln und Anordnungen sinngemäß. § 27 StVO bestimmt ferner, daß geschlossene Verbände möglichst geschlossen bleiben sollen und zu ihrem Schutz vor den Gefahren des Straßenverkehrs möglichst zu "sichern" sind. § 27 StVO bestimmt in dieser Hinsicht: "Geschlossene Verbände, Leichenzüge und Prozessionen müssen, wenn ihre Länge dies erfordert, in angemessenen Abständen Zwischenräume für den übrigen Verkehr freilassen; an anderen Stellen darf dieser sie nicht unterbrechen." Nach§ 27 Abs. 5 StVO muß zur Sicherung von "geschlossenen Verbänden" im Straßenverkehr, soweit erforderlich, ein "Verbandsführer" bestellt werdert. Wird ein Verbandsführer nicht bestellt, gilt ein "geschlossener Verband" bzw. eine Prozession als "ungesichert". Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, daß von "gesicherten" Prozessionen nur dann gesprochen werden kann, wenn für die Sicherheit eines der7 Heinrich Jagusch, Straßenverkehrsrecht. 21. Aufl., München 1974, Erl. 2 zu § 29 StVO.

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artigen Verbandes ein Polizeibeamter als "Führer des Verbandes" bestellt worden ist. Der Pfarrer ist nicht "Führer des Verbandes" im Sinne des § 27 Abs. 5 StVO. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen der "Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung" (Vwv-StVO) vom 24. 11. 1970. Zu § 27 Abs. 2 und 3 StVO bestimmt die "Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung": "Leichenzügen und Prozessionen ist, soweit erforderlich, polizeiliche Begleitung zu gewähren. Gemeinsam mit den kirchlichen Stellen ist jeweils zu prüfen, wie sich die Inanspruchnahme stark befahrener Straßen einschränken läßt." "Bei geschlossenen Verbänden ist besonders darauf zu achten, daß sie geschlossen bleiben. " 8 Bei der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (Vwv-StVO) handelt es sich um eine von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassene "Allgemeine Verwaltungsvorschrift" gern. Art. 84 Abs. 2 GG. "Allgemeine Verwaltungsvorschriften" im Sinne dieser Verfassungsbestimmung sind Vorschriften, die mit bindender Wirkung für die Landesbehörden (und die sie beaufsichtigenden Bundesbehörden) erlassen sind und die Einrichtungen des Staates und die Tätigkeit seiner Organe mit innerdienstlicher Wirkung regeln. Sie wenden sich nicht im Sinne eines Rechtssatzes (d. h. berechtigend oder verpflichtend) an den Bürger, sondern instruktionell an Behörden und Beamte. 9 Die bisherige Untersuchung ergibt, daß zur Veranstaltung von Fronleichnamsprozessionen die Erlaubnis der zuständigen Polizei- bzw. Straßenverkehrsbehörde erforderlich ist und daß für Prozessionen, soweit dies zum Schutze der Prozessionsteilnehmer notwendig erscheint, polizeiliche Begleitung zu gewähren ist. Dabei geht die Vwv-StVO zu § 27 Abs. 2 StVO dadurch, daß in dieser Vorschrift den Behörden die Auflage gemacht wird, mit den kirchlichen Stellen jeweils zu prüfen, wie sich die Inanspruchnahme stark befahrener Straßen "einschränken" lasse, selbst davon aus, daß zur Durchführung von Fronleichnamsprozessionen die Inanspruchnahme stark befahrener Straßen und damit auch erhebliche Verkehrsbeschränkungen unvermeidlich sind. s Die Bestimmungen der "Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung" (Vwv-StVO) vom 24. 11. 1970 sind abgedruckt in Beilage Nr. 29170 zum Bundesanzeiger Nr. 228, berichtigt in Bundesanzeiger 1971 Nr. 14, und ferner im Amtsblatt des Bundesministers für Verkehr 1970, s. 758. 9 Vgl. Theodor Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz. Kommentar, Erl. 31f. zu Art. 84.

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Der Gesetzgeber erwartet dabei von den betreffenden kirchlichen Stellen im Interesse der Beschränkung der Inanspruchnahme stark befahrener Straßen auf das notwendige Maß ein gemeinsames Bemühen um Kooperation und Verständigung bei der Festlegung des Pozessionsweges mit den staatlichen Behörden. Ohne diese gegenseitige Verständigung zwischen den Straßenverkehrsbehörden und den kirchlichen Stellen wären Fronleichnamsprozessionen in großen Städten, wie z. B. München oder Köln, aber auch in mittleren und kleineren Städten, in denen die Durchführung von Fronleichnamsprozessionen gleichfalls erhebliche Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs im Gefolge hat, schlechthin unmöglich. In aller Regel werden, sofern nicht besondere, die Ablehnung des Antrages rechtfertigende Gründe vorliegen, die Polizei- und Verkehrsbehörden verpflichtet sein, dem jeweiligen Antrag der kirchlichen Stellen zu entsprechen. Dies ergibt sich einmal aus der "einzigartigen Stellung" des "klassischen, auch durch die kategorische Formulierung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ausgezeichneten Grundrechts" der Religionsfreiheit.10 Die Religionsfreiheit darf, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung eine Gefährdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter genügen läßt. Deshalb ist nach diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ein im Rahmen der Garantie der Religionsfreiheit zu berücksichtigender Konflikt, etwa mit den Erfordernissen des Straßenverkehrs, nach Maßgabe der grundgesetzliehen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen. 11 Auf das Grundrecht der Religionsfreiheit bezogen bedeuten diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, daß die Straßenverkehrsbehörden den Antrag der jeweiligen kirchlichen Stellen auf Veranstaltung einer Fronleichnamsprozession - oder auch einer anderen Prozession - nur insoweit ablehnen oder mit entsprechenden Auflagen zur Meidung bestimmter Straßen versehen dürfen, als überragende Interessen des Straßenverkehrs dies verlangen. Zutreffend bemerken hierzu Dietell Gintzel, daß die Erlaubnis zur Durchführung einer Prozession gern. § 29 Abs. 2 Satz 1 StVO "regelmäßig zu erteilen sein" 1o BVerfGE 12, S. 1 (4). u BVerfGE 32, S. 98 (108); vgl. dazu ferner die grundsätzlichen Ausführungen über die Einschränkbarkeit von ohne Gesetzesvorbehalt garantierten Grundrechten in: BVerfGE 28, S. 243 (261).

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wird, "da die ungestörte Religionsausübung ein geschütztes Interesse mit Grundrechtsrang ist" .12 Die Polizei- bzw. Straßenverkehrsbehörden haben bei der Entscheidung über die Anträge der kirchlichen Stellen zur Durchführung von Fronleichnamsprozessionen kein freies, sondern ein gebundenes Ermessen. Dies folgt, abgesehen von der Garantie des Grundrechts der Religionsfreiheit, für diejenigen Bundesländer, in denen der Fronleichnamstag gesetzlicher Feiertag ist, gerade aus der Erwägung, daß dieser Tag aus dem Grund vom Gesetzgeber zum gesetzlichen Feiertag erklärt worden ist, damit der Bevölkerung Gelegenheit geboten wird, an diesem Tag an den gottesdienstlichen Feiern und damit auch an den Fronleichnamsprozessionen teilzunehmen. Ferner begründet auch das Herkommen und die Bindung der Verwaltungsbehörden an die bisherige Praxis, von der nicht ohne zureichenden sachlichen Grund abgewichen werden darf, eine besondere Verpflichtung zu gleichmäßiger Ermessensausübung. 13 In der großen Mehrzahl der Fälle, in denen Antrag auf Durchführung der Fronleichnamsprozession unter Angabe des konkreten Prozessionswegesund der Zeit der Durchführung der Prozession gestellt wird, dürfte für die Polizei- bzw. Straßenverkehrsbehörden keinerlei Ermessensspielraum bestehen. Dies bedeutet, daß tatbestandliehe Voraussetzungen oder andere rechtlich zulässige Gründe für eine andere Entscheidung der Verkehrsbehörden nicht vorliegen, daß also jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre. Das abstrakt bestehende Ermessen wird in diesen Fällen auf nur eine Entscheidung, nämlich im Sinne des Antrags der kirchlichen Behörden zu entscheiden, reduziert. 14 In der Mehrzahl der Fälle wird daher dem "Antrag" auf Erlaubnis zur Durchführung einer Fronleichnamsprozession in der Praxis und im Ergebnis der Charakter einer bloßen "Anzeige" oder Mitteilung zukommen. Nur soweit überragende Gesichtspunkte der Regelung des lokalen oder regionalen Straßenverkehrs die Inanspruchnahme stark 12 Alfred Dietel und Kurt Gintzel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. Kommentar zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24. Juli 1953. 4. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1973, Erl. 45 zu § 17 VersammlungsG. 13 Vgl. dazu Hans-Uwe Erichsen und Wolfgang Martens, Das Verwaltungshandeln, in: Hans-Uwe Erichsen und Wolfgang Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Berlin/New York 1975, S. 155. 14 Im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt hier der Tatbestand einer "Ermessensschrumpfung auf Null" vor. Vgl. dazu BVerwGE 11, S. 95 (97); ferner Erichsenl Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 156; Hans Julius Wolf I Otto Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., München 1974, § 31 II e 2 (S. 203).

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befahrener Straßen aus zwingenden und einsichtigen Gründen verbieten, ist den kirchlichen Stellen zuzumuten, sich mit der Straßenverkehrsbehörde auf einen anderen Prozessionsweg zu verständigen. Die Letztentscheidung liegt dabei bei der Straßenverkehrsbehörde. Gegen deren Entscheidung steht den kirchlichen Stellen der Verwaltungsrechtsweg offen. Auch darüber, inwieweit die Straßenverkehrsbehörden für die Durchführung von Prozessionen polizeiliche Begleitung gewähren, steht die Entscheidung im Ermessen der Straßenverkehrsbehörden. Die kirchlichen Stellen sind gern. § 29 Abs. 2 i.V.m. § 27 StVO verpflichtet, rechtzeitig den - formlosen - Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zur Durchführung der beabsichtigten Fronleichnamsprozession zu stellen und dabei die genauen Angaben über den Zeitpunkt der Prozession, den Aufstellungsort und den Prozessionsweg beizufügen. Mit Recht erwartet der Gesetzgeber dabei sowohl von den staatlichen als auch von kirchlichen Stellen ein Höchstmaß des Bemühens um Kooperation und gegenseitige Verständigung.

m. Ergebnis Die gutachtliche Stellungnahme kommt zu folgenden Ergebnissen: 1. Für die Veranstaltung von Fronleichnamsprozessionen- und ebenso auch für andere Prozessionen- ist gern. § 29 Absatz 2 Satz 1 und§ 27 StVO die Erlaubnis der zuständigen Polizei- oder Verkehrsbehörde einzuholen. Sachlich und örtlich zuständig sind gern. § 44 Abs. 1 Satz und§ 47 Abs. 2 Nr. 4 die Straßenverkehrsbehörden, d. h. die nach Landesrecht zuständigen unteren Verwaltungsbehörden.

2. Die Straßenverkehrsbehörden verfügen bei der Entscheidung über den Antrag zur Durchführung von Fronleichnamsprozessionen über kein freies, sondern über ein gebundenes Ermessen. In aller Regel ist, abgesehen von besonderen Fällen, dem Antrag der kirchlichen Stellen zu entsprechen. 3. Der Gesetzgeber erwartet von den staatlichen und kirchlichen Stellen gleichermaßen ein Höchstmaß an Bereitschaft zu Kooperation und gegenseitiger Verständigung. 4. Kommt eine Einigung zwischen den kirchlichen und staatlichen Stellen nicht zustande, liegt die Letztentscheidung bei der Straßenverkehrsbehörde, gegen deren Entscheidung der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.

Aktuelle Rechtsfragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland Religionsfreiheit- Theologische Fakultäten Individuelles kirchliches Dienst- und ArbeitsrechtKirchliches Besteuerungsrecht I. Das System der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland im allgemeinen 1. Das Grundverhältnis zwischen dem Staat und den Kirchen

in der Bundesrepublik Deutschland

Es bedeutet für mich eine große Freude und zugleich eine ehrenvolle Aufgabe, im Rahmen dieses mit so viel Einfühlungsvermögen, Geschick und Umsicht konzipierten und komponierten Symposions "Kirche und Staat/Symbol und Kunst" vor Ihnen zum rechtlichen Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland zu referieren. Das Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland und in der Republik Österreich weist auf der Grundlage einer langen gemeinsamen geschichtlichen Entwicklung viele bemerkenswerte Parallelen und Übereinstimmungen auf. Auch während der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert ist die geistesgeschichtliche und religionspolitische Entwicklung weithin in denselben Bahnen verlaufen. Andererseits bestehen im Staat-Kirche-Verhältnis zwischen den beiden Staaten auch erhebliche Verschiedenheiten. Insbesondere ist hier die Kulturhoheit der deutschen Bundesländer zu nennen. Nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland fällt der Bereich von Schule und Kirche in die Kompetenz der einzelnen Bundesländer. Die Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften erfreuen sich in der Bundesrepublik Deutschland in der Gegenwart einer rechtlich Erstveröffentlichung in: Helmut Schnizer/Kurt Woisetschläger (Hrsg.), Kirche und Staat- Symbol und Kunst, Würzburg: Echter Verlag 1987, S. 61-96.Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Echter Verlags, Würzburg.

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stark gesicherten Stellung. 1 Dieser Rechtsstatus beruht vor allem auf den Bestimmungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949; aber auch die Mehrzahl der Landesverfassungen weist, wie z. B. die Bayerische Verfassung von 1946, umfangreiche Regelungen über das Verhältnis von Staat und Kirche auf. 2 Ferner sind die Beziehungen zwischen Staat und Kirche durch Konkordate und den Konkordaten nachgebildete evangelische Kirchenverträge rechtlich geregelt. 3 Der Bestand des sog. Staatskirchenvertragsrechts, das die Konkordate und evangelischen Kirchenverträge umfaßt, ist außerordentlich umfangreich. Da auch die einzelnen Bundesländer zum Abschluß von Konkordaten und evangelischen Kirchenverträgen berechtigt sind, verfügt kein Staat der Welt über ein so umfangreiches Staatskirchenvertragsrecht wie die Bundesrepublik Deutschland. 4 Das Verhältnis der rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik bildet heute ein komplexes und nur auf dem Hintergrund der historischen Entwicklung verständliches System. Dieses ist entstanden in den Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen in der Reformations- und Nachreformationszeit und vor allem in den langwierigen Kämpfen zwischen Staat und Kirche während des 19. Jahrhunderts. Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen I Eine vorzügliche Darstellung der Grundlagen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland ist enthalten in dem instruktiven und souverän verfaßten Beitrag von Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 5-86. Eine knappe, solide Gesamtdarstellung des Staatskirchenrechts bietet Axel Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, 2. Aufl., München 1983; vgl. ferner den zusammenfassenden Überblick von Joseph Listl, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 1050-1071. 2 Die Rechtsstellung der einzelnen Länder der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts ist im Sinne eines Modells, das weithin auch für die übrigen Bundesländer Geltung beanspruchen kann, für den Freistaat Bayern exemplarisch dargestellt in dem umfangreichen Werk von Otto J. Voll unter Mitwirkung von Johann Störle, Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts (HdbBayStKirchR), München 1985. 3 Vgl. hierzu im einzelnen Alexander Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), S. 267-296. 4 Der Gesamtbestand der geltenden Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vom 1. Juli 1987 ist enthalten in der Sammlung von Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, 2 Bde., Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1987.

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bildet der nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 von Bismarck willkürlich vom Zaune gebrochene sog. Kulturkampf. Die Geschichte des Österreichischen Staatskirchenrechts kennt hier viele bemerkenswerte Parallelen. Heute stellt das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den staatlichen und kirchlichen Freiheitsansprüchen dar und ermöglicht den Schutz der religiösen Freiheit des Einzelnen und der Religionsgemeinschaften in einer Weise, die auch nach den Maßstäben der freiheitlichen Demokratie und auch nach der Auffassung der Kirchen selbst als in vollem Umfang befriedigend bezeichnet werden kann. Zwischen dem Staat und der Kirche herrscht in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur Friede; es besteht, wenn auch mit gewissen und im Einzelfall bemerkenswerten Abstufungen innerhalb der einzelnen Bundesländer, zwischen dem Staat und den Kirchen ein Klima des Vertrauens und eine weitgehend harmonische und freundschaftliche Kooperation. In der Tat genießen die Kirchen in der rechtsstaatliehen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unter der Herrschaft des Grundgesetzes einen Freiheitsraum, wie er ihnen in diesem Umfang effektiv in früherer Zeit niemals zu Gebote gestanden hat. Die staatskirchenrechtliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland beruht dabei auf den folgenden tragenden Elementen: a) Auf einer institutionellen und organisatorischen Trennung von Staat und Kirche. Das Grundgesetz erklärt ausdrücklich: "Es besteht keine Staatskirche" (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WeimRV); b) auf einer strikten religiösen Neutralität des Staates, die jedoch nicht als staatliche religiöse Indifferenz verstanden werden darf, sondern als positive Neutralität mit der Bereitschaft zu einer engen Kooperation zwischen Staat und Kirche; 5 c) auf der Gewähr einer umfassenden individuellen Religionsfreiheit und einer freien Betätigung der Kirchen und sämtlicher übrigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften; 6 5 Zur Bedeutung des Grundsatzes der religiös-weltanschaulichen Neutralität im Staatskirchenrecht vgl. Klaus Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip -vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, Tübingen 1972. 6 Zum Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland vgl. Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1), Berlin 1971; ferner ders., Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), S. 363-406.

45 Sbd. List!

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d) auf der Anerkennung einer Stellung der Kirchen im Bereich des Öffentlichen, die in der Verleihung eines öffentlich-rechtlichen Status durch die Verfassung selbst ihren Ausdruck findet; 7 e) in vielfältigen Formen einer staatlich-kirchlichen Kooperation, 8 insbesondere f) in der Förderung der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften durch den Staat, vor allem in der Einrichtung des Religionsunterrichtes als eines ordentlichen obligatorischen Lehrfachs an allen öffentlichen Schulen; g) in der Einrichtung zahlreicher Katholischer und Evangelischer Theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten; h) in der Organisation einer in die Streitkräfte integrierten Militärseelsorge; 9 i) in der effektiven Gewährleistung der Seelsorge in Krankenhäusern und Strafanstalten; 10 j) in der Mitwirkung des Staates bei der Erhebung der kirchlichen

Steuern durch die staatlichen Finanzämter;

k) in der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche auf dem Gebiete der gesamten Wohlfahrtspflege, insbesondere mit den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes bei der katholischen Kirche und dem Diakonischen Werk der evangelischen Kirche. 11 7 Zur Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland vgl. den grundlegenden Beitrag von Ernst Friesenhahn, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), s. 545-585. a Über die durch die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vorgesehenen Momente der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche vgl. im einzelnen die bedeutsamen Ausführungen bei Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz (Anm. 1), S. 65 ff. 9 Zur Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Rudolf Seiler, Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 1), Bd. 2, Berlin 1975, S. 685-700; Alfred E. Hierold, Militärseelsorge, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 1), S. 447-453. IO Zur Anstaltsseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Karl Albrecht, Anstaltsseelsorge, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 1), Bd. 2, Berlin 1975, S. 701-719; Alfred E. Hierold, Anstaltsseelsorge, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 1), S. 443-447. 11 Hierzu Ernst Friesenhahn, Kirchliche Wohlfahrtspflege unter dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky, 1. Teilband, Wien 1980, S. 247-269; Walter Leisner, Das kirchliche Krankenhaus im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Reiner Marre und Johannes

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Wollte man das Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne einer Kurzformel umschreiben, ein Versuch, der immer problematisch ist, da Kurzformeln stets komplexe Verhältnisse simplifizieren und holzschnittartig vergröbern, so könnte man das gegenwärtige staatskirchenrechtliche System der Bundesrepublik Deutschland im Sinne eines Versuchs einer abgekürzten Definition als "Verfassungs- und vertragsrechtlich begründetes freiheitliches Kooperationssystem" bezeichnen. 12 2. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts

In jeder bundesstaatliehen Ordnung kommt auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts der Kompetenzverteilung zwischen dem Zentralstaat und den einzelnen Bundesstaaten eine entscheidende Bedeutung zu. In der Bundesrepublik Deutschland ist der gesamte Bereich des Schulwesens und des Kultus grundsätzlich Ländersache. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Verwaltung liegen auf diesen Gebieten, sofern die Bundesverfassung, das heißt das Grundgesetz, nicht selbst Regelungen enthält, ausschließlich bei den einzelnen Bundesländern. Die Länder in der Bundesrepublik Deutschland verfügen über eine eigene souveräne Kulturhoheit und können aufgrund dieser ihrer Souveränität z. B. Konkordate mit dem Heiligen Stuhl und Kirchenverträge mit den Evangelischen Landeskirchen und auch, was in einzelnen Fallen geschehen ist, Kirchenverträge mit kleineren Religionsgemeinschaften abschließen. Allerdings wird die rechtliche Grundordnung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche durch das Grundgesetz, d. h. durch die Bundesverfassung, somit von Bundes wegen, bestimmt. Bereits durch den Westfälischen Frieden wurde den einzelnen Territorien des Reichs die Regelung der Religionsangelegenheiten überlassen, jedoch auf der Grundlage der Parität der drei großen reichsrechtlich anerkannten Konfessionen, nämlich der römisch-katholischen, Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 17, Münster 1983, S. 9-29; Axel Frhr. v. CampenhauseniRans-Jochen Erhardt, Kirche, Staat, Diakonie. Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im diakonischen Bereich(= Sachbücher der Diakonie, Bd. 1), Hannover 1982; Otto Depenheuer, Staatliche Finanzierung und Planung im Krankenhauswesen. Eine verfassungsrechtliche Studie über die Grenzen sozialstaatlicher Ingerenz gegenüber freigemeinnützigen Krankenhäusern (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 17), Berlin 1986. 12 Listl, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1), S. 1054. 45*

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der lutherischen und der reformierten Konfession - mit begrenzten Duldungsverpflichtungen. Auch während des Kaiserreiches von 1871 bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 lag die Kompetenz in Religionsangelegenheiten ausschließlich bei den einzelnen Bundesstaaten, zwischen denen es im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der individuellen Religionsfreiheit und erst recht der Kirchenfreiheit damals noch erhebliche gravierende Unterschiede gab. Lediglich das Gebiet der Ehe und das Personenstandswesen wurde im Zuge der Kulturkampfgesetzgebung im Verlaufe der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch Reichsgesetze geregelt. Eine entscheidende Wende brachte die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Nunmehr wurde in die Reichsverfassung eine Regelung der wichtigsten Grundsätze des Staat-Kirche-Verhältnisses aufgenommen. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 hat diese Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern übernommen, allerdings mit einem bedeutsamen Unterschied. Die Weimarer Reichsverfassung gab dem Reich im Verhältnis von Kirche und Schule, insbesondere in der Frage der Einführung und Beibehaltung von staatlichen Konfessionsschulen, eine Grundsatzkompetenz (Art. 10 Abs. 1 und 2 WeimRV). Das Grundgesetz überläßt auch diesen Bereich ganz und ausschließlich den einzelnen Ländern. Eine Reihe grundlegender Bestimmungen in den Beziehungen von Staat und Kirche ist durch das Grundgesetz bundesverfassungsrechtlich und damit für die Bundesländer verbindlich festgelegt. Hierzu gehören im einzelnen: a) Art. 3 Abs. 3 GG: Die Gleichheit vor dem Gesetz ohne Rücksicht auf den Glauben und die religiösen Anschauungen; Verbot jeglicher Benachteiligung oder Bevorzugung wegen der Religion; b) Art. 4 GG: Die zentrale Bestimmung über die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie über die ungestörte Religionsausübung; c) Art. 6 Abs. 2 GG: Die Garantie des Elternrechts und damit auch des religiösen elterlichen Erziehungsrechts; d) Art. 7 Abs. 3 GG: Die Garantie des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs in allen öffentlichen Schulen mit Einschluß der freien, d. h. der privaten Schulen; e) Art. 7 Abs. 4 GG: Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen als Ersatzschulen für öffentliche Schulen. Dieses Recht steht auch den Kirchen und ihren Untergliederungen, z. B. religiösen Orden, zu; f) Art. 33 Abs. 3 GG: Die Zulassung zu öffentlichen Ämtern, unabhängig von dem jeweiligen religiösen Bekenntnis;

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g) Art. 140 GG: Die Inkorporation der sog. Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Die Ausführung dieser Bestimmungen obliegt jedoch ausschließlich den Bundesländern; der Bund besitzt auf allen diesen Gebieten keine Zuständigkeit. Lediglich die Bundesgerichte und in oberster Instanz das Bundesverfassungsgericht wachen über die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung und der Ausführung dieser Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern. Diese Verfassungsnormen haben nach einem Wort des bekannten Staatskirchenrechtslehrers Ulrich Scheuner "den Charakter bundesrechtlicher Richtnormen auf dem Gebiete der Landeszuständigkeit, die dem Landesgesetzgeber für Materien, die an sich seiner vollen Gestaltungsfreiheit überlassen sind, Schranken ziehen".13 Für den Rechtsschutz der Kirchen durch staatliche Gerichte hat die Tatsache, daß die genannten Gebiete durch das Grundgesetz, d. h. die Bundesverfassung, im Sinne von Richtnormen geregelt sind, die bedeutsame Auswirkung, daß gegen Verletzungen dieser Verfassungsnormen durch staatliche Organe, besonders auch durch Gerichte - mit Einschluß der Bundesgerichte - von den Kirchen das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann. In der Praxis ist während der vergangeneu 30 Jahre das Bundesverfassungsgericht von kirchlichen Stellen und Institutionen oft, und zwar in den allermeisten Fällen mit Erfolg, angegangen worden. 3. Der rechtliche Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften

Die Situation der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland ist im Unterschied etwa zur Lage in Österreich soziologisch und statistisch dadurch gekennzeichnet, daß in der katholischen und evangelischen Kirche zwei annähernd gleich große christliche Konfessionen bestehen, zu denen sich etwa 90% der Gesamtbevölkerung bekennen. 14 Diese numerische Gleichheit hat im Verlaufe der geschichtlichen Entwicklung allmählich auch zu einer strengen religionsrechtlichen Parität zwischen den beiden Kirchen geführt. Jede der insgesamt 22 katholischen Diözesen (Bistümer) und der 17 evangelischen Landeskirchen besitzt kraft Verfassungsrechts den 13 Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz (Anm. 1), S. 46. 14 Vgl. hierzu im einzelnen bei Listl, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1), S. 1050.

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Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG

i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WeimRV). Auch die Untergliederungen der ka-

tholischen Diözesen und der evangelischen Landeskirchen, d. h. insbesondere die Pfarreien, besitzen den Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. 15 Auch den kleineren Religionsgemeinschaften kann, sofern sie die von der Verfassung hierfür geforderten Voraussetzungen erfüllen, auf Antrag der Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen werden. Von dieser verfassungsrechtlich gebotenen Möglichkeit hat eine Reihe der größeren unter den kleinen Religionsgemeinschaften Gebrauch gemacht. 16 Alle übrigen kleinen religiösen Gruppierungen bestehen in der Regel in der Rechtsform des eingetragenen Vereins, die ihnen ohne weiteres auf Antrag verliehen wird. 17 Die strenge religionsrechtliche Parität zwischen der katholischen und evangelischen Kirche bildet einen der tragenden Pfeiler der staatskirchenrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und eine Grundvoraussetzung für den seit langer Zeit in der Bundesrepublik erfreulicherweise herrschenden religiösen Frieden. 18 4. Die Fortentwicklung des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland durch die Rechtsprechung

Das in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Staat-KircheVerhältnis ist in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg weithin durch die Entscheidungen und durch die Verfassungsinterpretation der Gerichte zu seiner heutigen konkreten Ausprägung entwickelt worden. Die Judikatur zu Kirchensachen ist in der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich umfangreich und vielgestaltig. In sämtlichen Ge15 Zur Organisationsstruktur der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die Beiträge von Karl Eugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), S. 299-325; Walter Hammer, Die Organisationsstruktur der evangelischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), S. 327-340. 1s Hierzu im einzelnen Ernst-Lüder Solte, Die Organisationsstruktur der übrigen als öffentliche Körperschaften organisierten Religionsgemeinschaften und ihre Stellung im Staatskirchenrecht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), S. 341-357. 17 Über die privatrechtlich verfaßten Religionsgemeinschaften vgl. Josef Jurina, Die Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Rechtsstatus, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), S. 587-605. 18 Über die religionsrechtliche Parität vgl. die grundlegende Abhandlung von Martin Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 1), S. 445-544.

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richtszweigen und Instanzen werden immer wieder Entscheidungen in Kirchensachen gefällt. Die Sammlung "Entscheidungen in Kirchensachen", die im Verlag Walter de Gruyter, Berlin, erscheint, umfaßt bisher den Zeitraum von 1949 bis 1981 und beläuft sich inzwischen bereits auf 18 Bände. 19 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das zu Religions- und Kirchensachen zahlreiche richtungweisende Entscheidungen gefällt hat, ist hierbei letztlich maßgebend. 20 Die Judikatur, und hier insbesondere die Rechtsprechung der Bundesgerichte und vor allem des Bundesverfassungsgerichts, war bisher der Motor für eine zeitgemäße Fortentwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Bundesrepublik und für die Interpretation des Grundrechts der Religionsfreiheit. 21 Eine der grundlegenden Neuerungen auf dem Gebiete des Religionsrechts in der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 besteht darin, daß die Inanspruchnahme des Grundrechts der Religionsfreiheit nicht nur den Einzelpersonen, sondern auch den Religionsgemeinschaften als solchen zuerkannt wurde. Hierbei handelt es sich nicht um das Recht der gemeinschaftlichen religiösen Betätigung Einzelner, d. h. um die ungestörte gemeinsame Religionsfreiheit im Sinne der früheren Kultusfreiheit, sondern um ein neues korporatives Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit. Dies bedeutet nach der Rechtspre19 Die umfangreiche Rechtsprechung der Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland zu sämtlichen Gebieten des Religions- und Staatskirchenrechts ist in weithin kompletter Weise enthalten in der privaten Sammlung "Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946", gegenwärtig hrsg. von Hubert Lentz, Dietrich Pirson, Manfred Baldus. Der bisher letzterschienene 18. Band, Berlin: Verlag Walter de Gruyter 1985, umfaßt den Zeitraum vom 1. Januar 1980 bis 30. Juni 1981. Die Reihe "Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946" wird fortgesetzt. Die Zahl der Gerichtsentscheidungen in kirchlichen Streitsachen weist während der vergangenen 25 Jahre eine steigende Tendenz auf. 2o Vgl. hierzu Joseph Listl, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Festschrift für Hans R. Klecatsky, I. Teilband (Anm. 11), S. 571 ff.; Alexander Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bericht I, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 92 (1967), S. 99 ff., und Bericht II, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 106 (1981), s. 218 ff. 21 Die Rechtsprechung der staatlichen Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland zum Religions- und Staatskirchenrecht von 1946 bis zur Mitte des Jahres 1971 ist systematisch dargestellt bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 6). Trotz der großen Fülle gerichtlicher Entscheidungen, die seit 1971 zu zahlreichen Fragen des Religions- und Staatskirchenrechts ergangen sind, sind seither wesentliche Änderungen in den Grundlagen der Rechtsprechung bzw. der Verfassungsinterpretation zum Religions- und Staatskirchenrecht nicht festzustellen.

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chung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Religionsfreiheit nicht nur ein Individualgrundrecht ist, sondern auch ein Verbandsgrundrecht und damit auch den Religionsgemeinschaften als solchen zusteht. Damit wurde auch den Religionsgemeinschaften und ihren Untergliederungen, z. B. auch den Ordensgemeinschaften, das Recht eingeräumt, im Falle der Verletzung ihrer religiösen Freiheitsrechte durch Organe der staatlichen Gewalt, insbesondere durch Gerichtsentscheidungen, Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben. Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik wurde ferner die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1968 in einer bedeutsamen Entscheidung das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Weise interpretiert hat, daß der Begriff der Religionsausübung "gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv ausgelegt werden" muß. Insbesondere darf nach dieser alle Staatsorgane bindenden Interpretation des Bundesverfassungsgerichts die in Art. 4 Abs. 2 GG ausdrücklich gewährleistete Kultusfreiheit, also das Recht auf die gemeinsame Religionsausübung, nicht enger ausgelegt werden als die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. "Zur Religionsausübung gehören", wie das Bundesverfassungsgericht wörtlich ausgeführt hat, "danach nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozession, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens". 22 Auch Karitas und Diakonie und alle Formen der tätigen christlichen Nächstenliebe gehören, wie das Bundesverfassungsgericht im Falle einer von der Katholischen Landjugendbewegung veranstalteten großräumig durchgeführten Altkleidersammlung, deren Erlös für karitative Zwecke bestimmt war, entschieden hat, "zu der durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung". 23 Diese vom Bundesverfassungsgericht entwickelte extensive Interpretation des Begriffs der Religionsausübung erlaßt sämtliche Formen religiöser Betätigung, und zwar sowohl diejenigen der Einzelperson und der religiösen Vereinigungen als auch diejenigen der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach deren jeweiligem Selbstverständnis. 24 22 Der Wortlaut dieses für die weitere Entwicklung des Religions- und Staatskirchenrechts bedeutsamen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Oktober 1968 (1 BvR 241/66) ist amtlich veröffentlicht in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 24, S. 236-252. 23 Bundesverfassungsgericht, ebd., S. 247 ff.

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5. Der gegenwärtige Stand der Staatskirchenrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland

Das Staatskirchenrecht als Grenzgebiet zwischen dem Verfassungsund Staatsrecht einerseits und dem Recht der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften andererseits nimmt in den Entscheidungen der Gerichte und insbesondere auch in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts einen bedeutsamen Platz ein. Daraus folgt, daß sich die Vertreter des Faches "Öffentliches Recht" an den Universitäten intensiv mit Fragen des Staatskirchenrechts zu befassen haben. Diese Tatsache steht in einem augenfälligen Kontrast dazu, daß im Studienbetrieb der Juristischen Fakultäten in der Bundesrepublik das Fach "Kirchenrecht", gemeinhin betrieben und verstanden als "Staatskirchenrecht", heute keine zentrale Rolle mehr spielt, sondern eher zu einem Aschenbrödeldasein verurteilt ist. An verschiedenen Universitäten kann in diesem Fach von denjenigen Studenten, die sich dafür entschieden haben, im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft oder einer Seminarübung allenfalls noch einer der erforderlichen Wahlpflicht- bzw. Zulassungsscheine für die Erste Juristische Staatsprüfung erworben werden. Ungeachtet dessen ist gegenwärtig der Stand der Staatskirchenrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland erfreulicherweise ein relativ sehr hoher. Dies beweist auch die umfangreiche Literatur, die zu staatskirchenrechtlichen Fragen in nahezu sämtlichen rechtswissenschaftliehen Zeitschriften kontinuierlich veröffentlicht wird. 25 Auch die Kirchen wenden dem Staatskirchenrecht ihre besondere Aufmerksamkeit zu. Die evangelische Kirche besitzt bereits seit 1947 in Göttingen ein von dem bekannten evangelischen Staats- und Staatskirchenrechtslehrer Rudolf Smend (1882-1975) gegründetes "Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland", 24 Vgl. hierzu im einzelnen Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 6), S. 359ff. 25 Für den Zeitraum von 1945 bis 1967 ist eine weithin vollständige Gesamtbibliographie zum deutschen Staatskirchenrecht abgedruckt in dem Sammelband von Helmut Quaritsch und Hermann Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950-1967, Bad Hornburg v. d. H.-Berlin-Zürich 1967, S. 446-524. Für den Zeitraum von 1968 bis 1977 ist die staatskirchenrechtliche Literatur enthalten in der Bibliographie von Charlotte Möck, Staat und Kirchen. Bibliographie zu ihrem rechtlichen Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtszeit 1968-1977. Mit einem Anhang über das Verhältnis von Staat und Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik, Harnburg 1979.

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das gegenwärtig unter der Leitung von Professor Axel Frhr. v. Campenhausen steht. Die katholische Kirche unterhält in Bonn das zu Beginn des Jahres 1971 gegründete "Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands". Diese beiden Institute, die eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten, stehen ihren Kirchen in allen staatskirchenrechtlichen Grundsatzfragen und-prozessenzur Verfügung. Erfreulicherweise haben sich während der vergangenen 20 Jahre zahlreiche jüngere Vertreter der Staatsrechtswissenschaft, und zwar aus beiden Konfessionen, intensiv für Fragen des Staatskirchenrechts interessiert. Eine bedeutsame Auswirkung dieses Interesses ist auch die Tatsache, daß es gelungen ist, unter der Federführung der beiden großen Staatsrechtslehrer Ernst Friesenhahn (1901-1984) und Ulrich Scheuner (1903-1981) und unter Mitarbeit von insgesamt 46 Vertretern des Staats- und Staatskirchenrechts, von denen bemerkenswerterweise 23 der katholischen und 23 der evangelischen Kirche angehören, also auch hier unter strenger Wahrung der religiösen Parität, in den Jahren 1974 und 1975 das zweibändige "Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland" herauszubringen. 26 Für die Pflege der Wissenschaft des Staatskirchenrechts von besonderer Bedeutung sind in der Bundesrepublik Deutschland neben der "Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht" die von evangelischen Kirchenrechtslehrern herausgegebene wissenschaftliche Reihe "Jus Ecclesiasticum" 27 und die vom Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Bonn, betreute Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen". 28 Ferner versammeln sich im Frühjahr jedes Jahres in Mülheim/Ruhr in der Akademie des Bistums Essen Fachleute des Staatskirchenrechts aus beiden Kirchen sowie aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu den sog. "Essener Gesprächen zum Thema Staat und Kirche". 29 Die hierbei gehaltenen Referate und geführten Diskussionen werden veröffentlicht in der gleichnamigen Reihe "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche". Am 10. und 11. März 1986 fand das 21. Essener Gespräch statt. Es befaßte sich mit der 26 Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Berlin, Verlag Duncker & Humblot, Band 1: 1974; Band 2: 1975. 27 Die Reihe "Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht" erscheint im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, Band 1: 1965; Band 32: 1986. 28 Die Reihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen" erscheint im Verlag Duncker & Humblot, Berlin, Band 1: 1971; Band 17: 1986. 29 Die Reihe "Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche", hrsg. von Reiner Marre und Johannes Stüting, erscheint im Verlag Aschendorff in Münster/Westfalen; Band 1: 1969; Band 21: 1986.

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Thematik "Der Schutz von Ehe und Familie" und hier insbesondere mit den Problemen, die sich daraus ergeben, daß im sozialen Sicherungssystem und im Steuerrecht der Gegenwart Familien mit zwei Kindern und erst recht kinderreiche Familien in unserer kinderfeindlichen Umwelt und Gesetzgebung gegenüber kinderlosen Ehepaaren und Ehepaaren mit nur einem Kind in vieler Hinsicht nicht nur benachteiligt, sondern geradezu diskriminiert werden. Hier ist die Kirche aufgerufen, die Gesellschaft und den staatlichen Gesetzgeber auf diese schwerwiegende Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. In der Reihe "Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft" (Straßburger Kolloquien) - "Colloques franco-allemands Eglise-Etat-Socü~te" (Colloques de Strasbourg)- werden in ihrem jeweiligen vollen deutschen oder französischen Wortlaut mit beigefügten ausführlichen Zusammenfassungen in der jeweils anderen Sprache die Referate veröffentlicht, die seit 1978 alljährlich bei den in der UniversitätStraßburg veranstalteten gleichnamigen "Deutsch-Französischen Kolloquien zum Verhältnis Kirche-Staat-Gesellschaft" gehalten wurden. 30 Diese Deutsch-Französischen Kolloquien stellen sich die Aufgabe, über die nationalen Grenzen hinweg die in vieler Hinsicht unterschiedliche rechtliche, kirchliche und politische Situation und die verschiedenen Standpunkte, vor allem aber auch die gemeinsamen Probleme und Aufgaben, denen sich die Kirchen in Frankreich und in Deutschland gegenüber sehen, ohne Vorurteil und in offener Aussprache zu erörtern. Darüber hinaus sollen bei diesen Kolloquien auch die Probleme ins Auge gefaßt werden, die sich im Zuge der fortschreitenao Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft (Straßburger Kolloquien) - Colloques franco-allemands Eglise-Etat-Socü~te (Colloques de Strasbourg)- hrsg. von/publies par Joseph Listl und Jean Schlick, N. P. Engel Verlag, Kehl am Rhein und Straßburg, Bd. 1 (1982): Parteien und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich- Partis politiques et Eglises en France et en Republique Federale d'Allemagne, 70S.; Bd. 2 (1982): Wahlen zum Europäischen Parlament. Stellungnahmen der Kirchen und der Christen- Positions des Eglises et des chretiens lors des premieres elections directes du Parlement europeen, 99 S.; Bd. 3 (1982): Staat, Schule, Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich- Etat, Ecole et Eglises en France et en Republique Federale d'Allemagne, 107 S.; Bd. 4 (1982): Grundfragen des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich- Problemes scolaires en France et en Republique Federale d'Allemagne, 127 S.; Bd. 5 (1983): Die Neuen Medien und die Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich- Nouveaux medias et Eglises en France et en Republique Federale d'Allemagne, 154 S.; Bd. 6 (1984): Die Kirchen und das Arbeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich - Les Eglises et le droit du travail en France et en Republique Federale d'Allemagne, 142 S.; Bd. 7 (1987): Denkmalpflege und Denkmalschutz an den Sakralbauten in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich- Protection et conservation du patrimoine culturel religieux en France et en Republique Federale d'Allemagne, 117 S.

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den Einigung Europas auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts ergeben. Die Verantwortung für die Veranstaltung und Durchführung der Deutsch-Französischen Kolloquien zum Verhältnis Kirche-Staat-Gesellschaft liegt auf deutscher Seite beim Leiter des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Bonn, Prof. Dr. Joseph Listl, auf französischer Seite bei dem Leiter des Centre de recherche et de documentation des institutions chretiennes (CERDIC), Straßburg, Prof. Dr. Jean Schlick. Das 1. "Deutsch-Französische Kolloquium Kirche-Staat-Gesellschaft" fand am 16. und 17. Oktober 1978 in Straßburg statt. Die Reihe "Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft" erscheint seit 1982 im Verlag N. P. Engel, Kehl am Rhein und Straßburg.

II. Besondere Einzelsachbereiche des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland 1. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach

Die bedeutsamste Einrichtung auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland bildet der Religionsunterricht, der an allen öffentlichen Schulen als staatliches Lehrfach erteilt wird. Auch an allen Freien Schulen, d. h. an den Privatschulen, muß, sofern es sich nicht um ausdrücklich als bekenntnisfrei deklarierte Schulen handelt, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach erteilt werden. Die einzelnen Bundesländer haben hinsichtlich des konfessionellen Charakters des Religionsunterrichts keinen Entscheidungsspielraum. Eine Ausnahme macht das Grundgesetz in Art. 141 (sog. "Bremer Klausel") für das Land Bremen, in dem an den allgemeinbildenden öffentlichen Schulen ein "bekenntnismäßig nicht gebundener Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage" erteilt wird, an dem die katholischen Schüler jedoch nicht teilnehmen. Der schulische Religionsunterricht ist, obwohl er eine Lehrveranstaltung des Staates darstellt, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften zu erteilen. 31 Dies bedeutet, daß die 31 Zum Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die umfassende Darstellung von Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986; ferner die Beiträge von Ernst Friesenhahn, Religionsunterricht und Verfassung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (Anm. 11), Bd. 5 (1971), S. 67-88; Christoph Link, Religionsunterricht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 1),

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Kirchen über den Inhalt, den Lehrstoff, die anzuwendenden Lehrmethoden und auch über die Lehrbücher zu entscheiden haben. Die Kirchen sind auch berechtigt, die Erteilung des Religionsunterrichts durch kirchliche Beauftragte daraufhin überprüfen zu lassen, ob die Durchführung des Religionsunterrichts tatsächlich in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Kirche und ihrer Lehre erfolgt. Wiederholt haben Fragen des Religionsunterrichts und seiner konkreten Erteilung die Verwaltungsgerichtsbarkeit beschäftigt. In der Rechtsprechung spielte insbesondere die Frage eine Rolle, ob der Religionsunterricht wegen seiner Bindung an die glaubensmäßigen Lehren der Kirchen einer echten Leistungsbewertung, d. h. konkret einer Benotung, zugänglich sein kann. Das Problem bestand nicht in erster Linie darin, ob der Religionsnote ein versetzungserhebliches Gewicht zukommen könne, mit anderen Worten, ob ein Schüler oder eine Schülerin wegen einer schlechten Religionsnote das Klassenziel nicht erreicht, sondern vor allem darin, ob die Leistungsbewertung im Fach Religion positive Auswirkungen haben kann, ob also die Religionsnote bei der Ermittlung des gesamten Notendurchschnitts gleichwertig mit den anderen Fächern mitgezählt wird. Dies ist vor allem von Bedeutung für die Zulassung zu den Numerus-clausus-Fächern an den Universitäten. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin hat zu dieser bedeutsamen Frage zutreffend entschieden, daß durch den Religionsunterricht zulässigerweise die Kenntnis von Glaubenssätzen vermittelt wird; dies stehe jedoch einer echten Leistungsbewertung im Fach Religion und einer versetzungserheblichen Ausgestaltung der Religionsnote nicht entgegen. Wie jedes wissenschaftliche oder wissenschaftsorientierte Fach sei auch der Religionsunterricht auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Nicht die glaubensmäßige Einstellung der Schüler, sondern ausschließlich deren Wissen unterliege der Leistungsbewertung und der Benotung. 32 Seiner Rechtsnatur nach ist der Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland konfessionelles Pflichtfach, allerdings mit der Möglichkeit der Abmeldung; diese hat bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres durch die Eltern oder Erziehungsberechtigten der Schüler, nach Vollendung des 14. Lebensjahres durch die Schüler selbst zu erBd. 2, Berlin 1975, S. 503-546; Joseph Listl, Der Religionsunterricht, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 1), S. 590-605. 32 Die Problematik des Wissenschaftscharakters bzw. der wissenschaftsbezogenen Ausrichtung des Religionsunterrichts ist behandelt in der Studie von Friedrich Müller und Bodo Pieroth, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Eine Fallstudie zu den Verfassungsfragen seiner Versetzungserheblichkeit (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 4), Berlin 1974.

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folgen. In einzelnen Bundesländern, z. B. in Bayern, können sich die Schüler selbst erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres vom Religionsunterricht abmelden. Gegen Ende der sechziger und zu Anfang der siebziger Jahre waren die Zahlen der Abmeldungen vom Religionsunterricht an den höheren Schulen, d. h. an den Gymnasien und Oberschulen, relativ hoch und erreichten an manchen Schulen bis zu 30%. Inzwischen wurde in den meisten Bundesländern für diejenigen Schüler, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, ein ersatzweise zu erteilender Ethikunterricht eingeführt. Die Abmeldungszahlen gingen daraufhin schlagartig zurück; sie sind gegenwärtig außerordentlich niedrig und betragen im allgemeinen nur wenige Prozente. Zu der Frage, ob Religionsunterricht konfessionelles Pflichtfach oder konfessionelles Wahlpflichtfach ist, liegt gegenwärtig dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung vor. Es geht dabei um die Frage, ob die Eltern bei der Einschulung von Kindern darüber bestimmen können, daß ihre Kinder nicht am Religionsunterricht des eigenen Bekenntnisses, sondern am Religionsunterricht eines anderen Bekenntnisses teilnehmen, und ferner, ob sich religionsmündige Schüler dafür entscheiden können, nicht den Religionsunterricht des eigenen, sondern den eines anderen Bekenntnisses zu besuchen. Die Kirchen stehen hierbei übereinstimmend auf dem Standpunkt, daß der Religionsunterricht nur im eigenen Bekenntnis besucht werden kann, es sei denn, beide betroffenen Kirchen stimmten darin überein, daß sie den Schülern ihres jeweiligen Bekenntnisses in gegenseitigem Einvernehmen den Besuch des Religionsunterrichtes der jeweils anderen Konfession bzw. Kirche gestatten. In den Ländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind die Kirchen in den auf dem Gebiete des Religionsunterrichts etwas unruhigen siebziger Jahren übereingekommen, auf der Oberstufe der höheren Schulen, der sog. Kollegstufe, den Schülern von den fünf Halbjahren der Kollegstufe den Besuch des Religionsunterrichts der jeweils anderen Konfession für die Dauer von zwei Halbjahren zu gestatten, damit ihnen auf diese Weise die Gelegenheit geboten werde, auch die Lehren und die theologischen Vorstellungen der anderen Konfession kennenzulernen. 33 Aufgrund der bisherigen Rechtsentwicklung34 steht 33 Vgl. hierzu im einzelnen Joseph Listl (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach. Sechs Rechtsgutachten von Christoph Link und Armin Pahlke, Joseph Listl, Ulrich Scheuner, Alexander Hollerbach zur Frage der Möglichkeit der Teilnahme von Schülern am Religionsunterricht einer anderen Konfession (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 15), Berlin 1983. 34 Das BVerwG hat einen Rechtsanspruch auf Zulassung bekenntnisfremder Schüler zum Religionsunterricht durch Urteil vom 2. September 1983 verneint

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zu erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die ihm vorgelegte Verfassungsbeschwerde dahingehend entscheiden wird, daß der Religionsunterricht konfessionelles Pflichtfach ist, daß also jeder Schüler nur am Religionsunterricht der eigenen Konfession teilnehmen kann, sofern nicht beide betroffenen Kirchen in gegenseitiger Übereinstimmung und mit Zustimmung der Schulverwaltung hiervon eine einvernehmliche Ausnahme getroffen haben. Die Bindung der Erteilung des schulischen Religionsunterrichts an die jeweilige Kirche kommt ferner dadurch zum Ausdruck, daß Religionsunterricht nur aufgrund einer besonderen kirchlichen Beauftragung erteilt werden kann. Jeder katholische Religionslehrer bedarf einer ausdrücklichen Missio canonica, die ihm auf Antrag vom zuständigen Diözesanbischof erteilt wird. Wird ihm diese Missio canonica aus Gründen der Lehre oder des sittlichen Lebenswandels entzogen, verliert er damit automatisch die Qualifikation zur Erteilung des Religionsunterrichts. Ebenso verhält es sich mit der Lehrbeauftragung im Bereich der evangelischen Kirche, der sog. vocatio. Auch zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Entzugs der kirchlichen Lehrbeauftragung erging eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen, in denen von den Gerichten der Besitz der kirchlichen Lehrbeauftragung als unverzichtbare Voraussetzung für die Qualifikation zur Erteilung des Religionsunterrichts anerkannt wurde. Die Hauptprobleme, die sich auf dem Gebiete des Religionsunterrichts während der vergangenen dreißig Jahre ergeben haben, liegen jedoch nicht im Bereich des Staatskirchenrechts, sondern im innerkirchlichen Bereich und auf dem Gebiete der Religionspädagogik. In der Bundesrepublik Deutschland haben sich aber auf diesem Gebiet, wie es scheint, während der letzten fünf bis zehn Jahre die Verhältnisse erfreulicherweise allmählich wieder konsolidiert und sind im Begriffe, sich weiterhin zu festigen.

und entschieden, daß darüber, ob und in welchem Umfang bekenntnisfremde Schüler zum Religionsunterricht zugelassen werden, die Religionsgemeinschaften gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes zu entscheiden haben. Vgl. Urteil des BVerwG vom 2. 9. 1983 (Az.: 7 C 169/81), in: BVerwGE, Bd. 68, S. 16 ff. = DÖV 1984, S. 382 ff. Auch die Vorinstanz, das OVG Rheinland-Pfalz in Koblenz, hat durch Urteil vom 18. Juni 1980 (Az.: 2 A 80178), abgedruckt in: KirchE, Bd. 18, S. 203 ff., diese Rechtsauffassung vertreten. Ebenso die erste verwaltungsgerichtliche Instanz, das VG Koblenz, durch Urteil vom 5. Juli 1978 (Az.: 7 K 90178), abgedruckt in: KirchE, Bd. 17, S. 1 ff.

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2. Die Theologischen Fakultäten

Ein weiteres bedeutsames Sachgebiet des Staatskirchenrechts, das zum Religionsunterricht, in dem die Grundlagen des Glaubens vermittelt werden, in einer gewissen inneren Nähe steht, bilden die Theologischen Fakultäten, die der Pflege der wissenschaftlichen Theologie und der Ausbildung von Priestern und Religionslehrern dienen. Ebenso wie der Religionsunterricht gehören auch die Theologischen Fakultäten zu den "gemeinsamen Angelegenheiten" von Staat und Kirche. 35 In der Bundesrepublik Deutschland bestehen an den Universitäten Augsburg, Bamberg, Bonn, Freiburg/Breisgau, Mainz, München, Münster, Passau, Regensburg, Tübingen und Würzburg staatliche KatholischTheologische Fakultäten, deren Rechtsstatus aufgrunddes traditionellen deutschen Hochschulrechts weithin einheitlich ist. Daneben bestehen in Eichstätt, Fulda, Paderborn und Trier sowie an mehreren Ordenshochschulen Theologische Fakultäten mit einem ausschließlich kirchlichen Rechtsstatus. Evangelisch-Theologische Fakultäten finden sich an den Universitäten Bochum, Bonn, Erlangen, Göttingen, Harnburg, Heidelberg, Kiel, Mainz, Marburg, München, Münster und Tübingen. Kirchliche Hochschulen bestehen in Berlin, Bethel, Neuendettelsau-Heilsbronn und Wuppertal. Eine Bestandsgarantie für die Theologischen Fakultäten enthält das Grundgesetz nicht, wohl aber, jedenfalls im Grundsatz, das fortgeltende Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 und vor allem die einzelnen Landesverfassungen und Länderkonkordate. Ihrer Rechtsnatur nach sind die theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten in der Bundesrepublik, ebenso wie in Österreich, staatliche Einrichtungen. as Zu den zahlreichen Rechtsfragen der Theologischen Fakultäten vgl. Martin Heckel, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, Tiibingen 1986; ders., Zum Status der Ev.-theol. Fakultäten in der Bundesrepublik, in: ZevKR, Bd. 31 (1986), S. 27-71; Christa Sybille Veigel, Der staatskirchenrechtliche Status der theologischen Fakultäten, Jur. Diss., Tiibingen 1986; ferner Ernst-Lüder Solte, Theologie an der Universität. Staats- und kirchenrechtliche Probleme der theologischen Fakultäten, München 1971; Werner Weber, Theologische Fakultäten, staatliche Pädagogische und Philosophisch-Theologische Hochschulen, in: HdbStKirchR (Anm. 1), Bd. 2, Berlin 1975, S. 569-596; Heinz Mussinghoff, Theologische Fakultäten im Spannungsfeld von Staat und Kirche. Entstehung und Auslegung der Hochschulbestimmungen des Konkordats mit Preußen von 1929, dargelegt unter Berücksichtigung des Preußischen Statutenrechts und der Bestimmungen des Reichskonkordats, Mainz 1979; Axel Frhr. v. Campenhausen, Theologische Fakultäten/Fachbereiche, in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, hrsg. von Christian Flämig u.a., Berlin-Heidelberg-New York 1982, S. 1018-1045; Alexander Hollerbach, Die theologischen Fakultäten und ihr Lehrpersonal im Beziehungsgefüge von Staat und Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (Anm. 11), Bd. 16 (1982), S. 69-102; Georg May, Die Hochschulen, in: HdbKathKR (Anm. 1), S. 605-631.

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Die Katholisch-Theologischen Fakultäten sind vom Heiligen Stuhl als Theologische Fakultäten anerkannt und unterliegen deshalb sowohl staatlicher als auch kirchlicher Normierung. Insofern besteht eine enge Parallele zum Religionsunterricht. Rechtsprobleme ergeben sich im Zusammenhang mit den Theologischen Fakultäten im Bereich der katholischen Kirche insbesondere bei der Berufung von Hochschullehrern für Theologie und ganz besonders in Fällen sog. konkordatsrechtlicher Beanstandungen, bei denen ein Lehrer der Theologie wegen seiner theologischen Doktrin oder seines sittlichen Verhaltens seine Lehrtätigkeit innerhalb der Theologischen Fakultät einstellen muß. In der staatskirchenrechtlichen Praxis ist es unbestritten, daß eine Lehrtätigkeit an einer staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultät nur ausgeübt werden kann, wenn seitens des zuständigen Diözesanbischofs das erforderliche Nihil obstat, das eine besondere Form der Missio canonica darstellt, erteilt worden ist. Ebenso ist es in der Praxis unbestritten, daß eine Lehrtätigkeit nicht mehr weitergeführt werden kann, wenn der zuständige Diözesanbischof das Nihil obstat, d. h. die Missio canonica für Universitätstheologen, einem Theologieprofessor entzogen hat. Dies hat in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt im Jahre 1980 in spektakulärer Weise eine Rolle gespielt im Falle des Tübinger Theologen Hans Küng. In der Praxis wird in einem derartigen Fall der beanstandete Universitätstheologe bis zu seiner Emeritierung mit seinem Lehrstuhl, d. h. seinem wissenschaftlichen und nichtwissenschaftliehen Personal, in eine andere Fakultät oder einen anderen Fachbereich versetzt oder auch unmittelbar dem Rektor oder Präsidenten der betreffenden Universität unterstellt, wie dies im Falle von Hans Küng an der Universität Tübingen geschehen ist. 36 Insbesondere zwei Streitfragen, die die Theologischen Fakultäten betreffen, sind gegenwärtig in der Bundesrepublik vor Gerichten anhängig. Nach bisheriger allgemeiner Praxis und Überzeugung können Katholisch-Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten nur im gegenseitigen Einvernehmen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem betreffenden Bundesland errichtet werden. Mit Schreiben vom 15. Dezember 1982 hat der hessische Kultusminister einen Diplomstudiengang Katholische Theologie beim Fachbereich Religionswissenschaften (Betriebseinheit Katholische Theologie) der Johann Wolfgang GoetheUniversität zu Frankfurt am Main mit Beginn des Winter-Semesters 36 Aus Anlaß der konkordatsrechtlichen Beanstandung des Tübinger Theologen Prof. Hans Küng entstand die bedeutsame Studie von Ulrich Scheuner, Rechtsfolgen der konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen(= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 13), Berlin 1980.

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1983/84 eingerichtet. Dieser einseitige staatliche Einrichtungsakt erfolgte trotz des Widerspruchs der Kirche. Sämtliche Diözesanbischöfe in der Bundesrepublik Deutschland haben in ihren Amtsblättern damals erklärt, daß sie den Diplomgrad in Katholischer Theologie der Frankfurter Universität nicht anerkennen. Gleichzeitig haben das Bistum Limburg und der Bischof von Limburg vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage erhoben auf Feststellung, daß das Land Hessen durch die Errichtung dieses Diplomstudienganges in das Selbstbestimmungsrecht und damit in die Religionsfreiheit der katholischen Kirche eingegriffen habe. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden, also die I. Instanz, hat inzwischen durch Urteil vom 3. Mai 1985 entschieden, daß der Hessische Staat zur Errichtung eines Dip1omstudienganges in Katholischer Theologie auch gegen den erklärten Willen der katholischen Kirche befugt gewesen sei. 37 Das Verfahren schwebt gegenwärtig in li. Instanz vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Man nimmt an, daß diese Frage möglicherweise in letzter Instanz auch noch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. Nach der hier vertretenen Auffassung ist es unzulässig, daß ein Bundesland gegen den erklärten Willen der katholischen Kirche einen Diplomstudiengang in Katholischer Theologie einrichtet oder vielleicht gar eine Theologische Fakultät errichtet. Das Vorgehen des Hessischen Staates bildet staatskirchenrechtlich eine verfassungswidrige anachronistische Variante eines bemerkenswerten sozialistischen Spät-Josephinismus. Ein zweites Problem im Bereich der Theologischen Fakultäten betrifft die Frage der Konfessionsgebundenheit des Doktorgrades in Theologie. In einem Tübinger Fall wollte eine Doktorandin katholischer Konfession, die an einer Dissertation zum Thema "Die theologische Anthropologie der Frau bei Karl Barth" arbeitete, von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen promoviert werden. Der renommierte Doktorvater und der Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät hatten hierzu bereits ihre Zustimmung erteilt. Der rechtlich für die Zulassung zur Promotion zuständige Promotions- und Habilitationsausschuß der Evangelisch-Theologischen Fakultät lehnte jedoch mit Schreiben vom 13. Mai 1980 die Zulassung zur Promotion mit der Begründung ab, das von der Verfassung her gebotene konfessionell-theologische Profil der Theologischen Fakultä37 Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urt. vom 3. Mai 1985 (Az.: I/2 E 46/83), abgedr. in: NVwZ 1986, S. 409 ff. Der von der Redaktion dieser Zeitschrift formulierte Leitsatz hat folgenden Wortlaut: "Für die Errichtung eines theologischen Studiengangs (hier Diplomstudiengang Katholische Theologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M.) bedarf es nicht der Zustimmung der betroffenen Kirche."

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ten, ihre Einrichtung als konfessionell orientierte Fakultäten verbiete Abweichungen von dem Grundsatz, daß Studierende die Studiengänge an der Fakultät jeweils ihrer Konfession durchlaufen sollten. Auf die Klage der Doktorandin hin stellte das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 23. März 1982 fest, daß die Universität Tübingen nicht berechtigt sei, gegenüber der Doktorandin die Auffassung zu vertreten, deren römisch-katholische Konfession stehe einer Zulassung zur Promotion an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen entgegen. Die II. Instanz, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, entschied durch Urteil vom 19. Juli 1984 zuungunsten der Doktorandin.38 Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vertrat die Auffassung, daß der Doktorgrad in Evangelischer Theologie konfessionsgebunden sei. Wie der Gerichtshof ausführte, müsse es der Staat als Ausdruck des Bekenntnischarakters der Theologie und des geistlichen Selbstverständnisses einer Theologischen Fakultät sowohl bei der Normsetzung als auch bei der Ausübung der rechtsprechenden Gewalt respektieren, wenn nach dem kirchlichen und religiösen Selbstverständnis einer Evangelisch-Theologischen Fakultät die Zulassung zum Erwerb akademischer Grade regelmäßig den Angehörigen evangelischer Kirchen vorbehalten und nur ausnahmsweise den Mitgliedern im Ökumenischen Rat vertretener Kirchen und Religionsgemeinschaften eröffnet werden soll. 39 Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg verdient Zustimmung, wenn er in dieser seiner rechtskräftig gewordenen Entscheidung davon ausgeht, daß es die Organe der staatlichen Gewalt zu respektieren haben, wenn nach dem Selbstverständnis der katholischen oder evangelischen Kirche eine Promotion in katholischer oder evangelischer Theologie an das katholische oder evangelische Bekenntnis des jeweiligen Doktoranden gebunden ist. 3. Das individuelle und kollektive kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht

Die bedeutsamsten Veränderungen auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts während der vergangenen zehn Jahre erfolgten im Bereich des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts. 40 Die Kirchen besitzen in 38 Das umfangreiche und mit überaus reichen Literaturhinweisen dokumentierte Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juli 1984 (Az.: 9 S 2239/82) ist im vollen Wortlaut abgedruckt in: NVwZ 1985, S. 126-130. 39 NVwZ 1985, S. 128 f. 40 Zum kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht vgl. die zusammenfassende Darstellung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Joseph Listl, Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Ge-

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der Bundesrepublik aufgrund der Verfassungsbestimmung des Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung und aufgrund ausdrücklicher Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsgesetzes für den öffentlichen Dienst die Möglichkeit, ihre kollektiven Arbeitsverhältnisse eigenständig zu regeln. Von dieser rechtlichen Möglichkeit haben sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche Gebrauch gemacht. Dies bedeutet, daß die zwischen den Tarifparteien, d. h. den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, geschlossenen Tarifverträge für den kirchlichen Bereich keine Geltung besitzen. Die Kirchen können vielmehr über ihre kollektiven Arbeitsbedingungen selbständig bestimmen. In den kirchlichen Einrichtungen, zu denen auch sämtliche karitativen Werke gehören, durch die die Kirchen ihren Auftrag in der Welt verwirklichen, gilt daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht das staatliche Betriebsverfassungsgesetz, sondern es gelten die kirchlichen Mitarbeitervertretungsordnungen. 41 Es besteht daher in den kirchlichen Einrichtungen, in denen in der Bundesrepublik Deutschland mit Einschluß der karitativen und diakonischen Werke der beiden Kirchen insgesamt etwa 660.000 kirchliche Dienstnehmer beschäftigt sind, auch kein Betriebsrat, sondern jeweils eine nach kirchlichem Recht gebildete Mitarbeitervertretung. 42 richte der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Bd. 27 (1986), S. 131-158, mit weiteren Literaturangaben. Die Gesamtproblematik des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts wird behandelt in der hervorragenden Darstellung von Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, München 1984; ferner in den Untersuchungen von Josef Jurina, Das Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 10), Berlin 1979; ders., Kirchenfreiheit und Arbeitsrecht, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, Berlin 1982, S. 797-825. 41 Zum kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht vgl. die Abhandlungen von Reinhard Richardi, Das kollektive Arbeitsrecht der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bemd Rüthers/Jean Savatier!Nicole Fontaine!Reinhard Richardi, Die Kirchen und das Arbeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich (= Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft- Straßburger Kolloquien- Bd. 6), Kehl am Rhein 1984, S. 95-120; Wilhelm Dütz, Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (Anm. 11), Bd. 18 (1984), S. 67115. 42 Diese konkrete Form der Regelung der kirchlichen kollektiven Arbeitsverhältnisse, für die sich sowohl die katholische als auch die evangelische Kirchemit Ausnahme einer einzigen der 17 evangelischen Landeskirchen- in der Bundesrepublik Deutschland entschieden haben, wird in der arbeitsrechtlichen Sprechweise abgekürzt als "Dritter Weg" bezeichnet. Als "Erster Weg" würde hierbei für den Bereich der katholischen Kirche eine Regelung betrachtet, nach der die Festlegung der Arbeitsbedingungen durch den Diözesanbischof kraft

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Ein Problem, das sich auf diesem Gebiet ergeben hat, besteht darin, ob auch die Gewerkschaften und ihre Funktionäre in den kirchlichen Einrichtungen werbend tätig werden können. Es ist unbestritten, daß innerhalb der kirchlichen Einrichtungen bei der Wahl zu der jeweiligen kirchlichen Mitarbeitervertretung auch eine gewerkschaftliche Liste der innerhalb der betreffenden kirchlichen Einrichtung tätigen Mitarbeiter aufgestellt werden kann. Die Kirchen haben sich aber mit Vehemenz dagegen gewehrt, daß betriebsfremde Gewerkschaftsfunktionäre zum Zwecke der Mitgliederwerbung und -schulung Zutritt zu kirchlichen Einrichtungen haben sollten. Das Bundesarbeitsgericht hat diese umstrittene Frage dahingehend entschieden, daß auch betriebsfremden Gewerkschaftsfunktionären der Zutritt zu kirchlichen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung offenstehen müsse. Auf eine von einer Einrichtung der evangelischen Kirche hin erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben und entschieden, daß betriebsfremde Gewerkschaftsfunktionäre nicht berechtigt sind, in kirchlichen Einrichtungen gegen den Widerspruch der Kirchen Mitgliederwerbungen durchzuführen. 43 Dies stehe im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Ein weiteres bedeutsames Problem aus dem Bereich des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen kirchlichen Dienst- und Arbeitnehmern bei Loyalitätsverstößen gegen fundamentale Glaubens- und Sittenlehren ihrer Kirche gedes ihm für den Bereich seiner Diözese kirchenrechtlich zustehenden Gesetzgebungsrechts erfolgte; der "Zweite Weg" bestünde in der Übemahme der von den Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen Tarifverträge in die kirchlichen Einrichtungen oder im Abschluß von Tarifverträgen zwischen den Kirchen und den Gewerkschaften. In der Form des "Dritten Weges" werden die kollektiven Arbeitsbedingungen für die Dienstnehmer der kirchlichen Einrichtungen vereinbart zwischen gewählten Delegierten der kirchlichen Dienstnehmer und leitenden kirchlichen Dienstnehmem, die von den Diözesanbischöfen für die Verhandlungen mit den gewählten Delegierten beauftragt sind. Kommt eine Einigung zwischen den gewählten Vertretem der Dienstnehmer und den von den Diözesanbischöfen beauftragten Dienstnehmem nicht zustande, ist eine Entscheidung einer kirchlichen "Schiedsstelle" vorgesehen. Kann auch mittels des Vorschlags der "Schiedsstelle" eine Einigung nicht erreicht werden, entscheidet in letzter Instanz der Diözesanbischof kraft des ihm nach dem kanonischen Recht zustehenden Gesetzgebungsrechts. Diese Regelungen haben sich bisher in der Praxis durchaus bewährt. 43 Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1981 (2 BvR 384/ 78), in: BVerfGE, Bd. 57, S. 220-249; vgl. hierzu die Dokumentation "Informationen zur Verfassungsbeschwerde der Orthopädischen Anstalten Valmarstein", hrsg. von Lothar Schöppe, Justitiar, im Auftrag des Vorstandes des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen - Landesverband der Inneren Mission- e.V., Friesenring 34, 4400 Münster, Münster 1979.

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kündigt werden kann. 44 Während der vergangenen 15 Jahre hatten sich in weit mehr als 100 Fallen staatliche Arbeitsgerichte mit dieser Grundproblematik zu befassen. Das Bundesarbeitsgericht hatte hierzu bisher den Standpunkt vertreten, daß bei allen kirchlichen Dienstnehmern, die in der Lehre oder in der Verkündigung oder auch in einer karitativen Einrichtung mit Außenbeziehungen tätig sind, die somit nach der Sichtweise des Bundesarbeitsgerichts eine sog. "spezifisch" kirchliche Tätigkeit ausüben, bei Loyalitätsverstößen gegen fundamentale Pflichten der katholischen Glaubens- oder Sittenlehre eine Kündigung sozial zulässig sei. Bei der weitaus größeren Zahl der anderen kirchlichen Dienstnehmer, die untergeordnete oder technische Dienste ausüben, wie z. B. den Heizern, Mechanikern, Buchhaltern, Chauffeuren, Sekretärinnen und Krankenschwestern, war nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Kündigung sozial auch dann nicht gerechtfertigt, wenn dieser Personenkreis nachhaltig gegen fundamentale kirchliche Pflichten verstoßen hatte, z. B. durch Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe oder gar durch die Erklärung des Kirchenaustritts. 45 Die Kirchen haben sich dieser Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts stets widersetzt und einen entgegengesetzten Standpunkt eingenommen. Bei Verstößen gegen fundamentale Loyalitätsobliegenheiten, insbesondere im Falle des Abschlusses einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe oder bei der Erklärung des Kirchenaustritts, mußte nach der Meinung der katholischen Kirche eine Kündigung sozial auch dann gerechtfertigt sein, wenn es sich um Dienstnehmer handelte, die mit untergeordneten, rein technischen und einfachen Arbeiten ohne jede Außenbeziehung beschäftigt sind. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Grundsatzentscheidung vom 4. Juni 1985 dieser Auffassung der beiden Kirchen angeschlossen. Im Falle eines an einem Essener katholischen Krankenhaus tätigen Assistenzarztes, der sich öffentlich und in provokativer Form in einer Illustrierten und im Fernsehen für die völlige strafrechtliche Freigabe der Abtreibung ausgesprochen hatte, sowie im Falle eines an einem Münchner Lehrlingsheim, das in der Trägerschaft einer katholi44 Zum individuellen Arbeitsrecht im kirchlichen Bereich vgl. Bernd Rüthers, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bernd Rüthers/Jean Savatier!Nicole Fontaine I Reinhard Richardi, Die Kirchen und das Arbeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich (Anm. 41), S. 3-22; Axel Frhr. v. Campenhausen, Die Verantwortung der Kirche und des Staates für die Regelung von Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Bereich, in: Essener Gespräche (Anm. 11), Bd. 18, S. 9-41. 45 Zu dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vgl. die Ausführungen bei Listl, Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer (Anm. 40), s. 144ff.

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sehen Ordensgemeinschaft steht, beschäftigten Buchhalters, der den Austritt aus der katholischen Kirche erklärt hatte, hat das Bundesverfassungsgericht die Kündigung der Arbeitsverhältnisse dieses Assistenzarztes und des Buchhalters für sozial gerechtfertigt und für zulässig erklärt. 46 Das Bundesverfassungsgericht hat hierbei drei entgegenstehende Urteile des Bundesarbeitsgerichts und die entgegenstehenden Urteile der Vorinstanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit aufgehoben. 47 Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, richtet sich die Frage, welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, nach den von der jeweiligen verfaßten Kirche anerkannten Maßstäben. 48 Dabei kommt es, wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausgeführt hat, weder auf die Auffassung der einzelnen Betroffenen kirchlicher Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflußt sein kann, noch auf diejenige breiter Kreise unter den Kirchengliedern oder etwa gar einzelner bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an. Im Streitfall haben die Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten und deren Verletzung zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt, hierüber selbst zu bestimmen. Danach bleibt es grundsätzlich den verfaßten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese Grundsätze anzusehen ist. 49 46 Beschluß des BVerfG vom 4. Juni 1985 (2 BvR 1703/83, 1718/83 und 856/ 84), in: BVerfGE, Bd. 70, S. 138-173; abgedruckt u. a. auch, in: EuGRZ 1985, S. 488-493; DÖV 1985, S. 975-977; NJW 1986, S. 367-371 (mit kritischer, im Ergebnis ablehnender Anm. von Hermann Weber); JZ 1986, S. 131-137 (mit zustimmender Anm. von Reinhard Richardi); BayVBl. 1986, S. 111-114. Zustimmend zu dem Beschluß des BVerfG Bernd Rüthers, Wie kirchentreu müssen kirchliche Arbeitnehmer sein?, in: NJW 1986, S. 356-359; Wilhelm Dütz, Das Bundesverfassungsgericht zur Kündigung kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in: Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht. Zweiwochenschrift für die betriebliche Praxis, Beilage Nr. 1/86 zu Heft 3/86, S. 11-15. 47 Diese Entscheidung des BVerfG ist für das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht von grundsätzlicher Bedeutung und daher auch für die Zukunft von großer Tragweite. Viele bisher bestehende Unsicherheiten wurden durch diesen Spruch des BVerfG beseitigt. Die durch diese Entscheidung herbeigeführte Rechtsklarheit dient auch der Sicherung des gerade auf dem Gebiete des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts notwendigen Rechtsfriedens. 46 BVerfGE, Bd. 70, S. 166. 49 BVerfGE, Bd. 70, S. 167 f.

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Kirchliches Wirken 4. Das Kirchensteuerwesen in der Bundesrepublik Deutschland

Für die Finanzierung der kirchlichen Aufgaben kommt dem in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden effizienten Kirchensteuersystem große Bedeutung zu. Gemäß Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WeimRV sind diejenigen Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, berechtigt, aufgrund der bürgerlichen, d. h. staatlichen, Steuerlisten von ihren Gläubigen nach Maßgabe der landesrechtliehen Bestimmungen Steuern zu erheben. 50 Das Kirchensteuerwesen und insbesondere das kirchliche Besteuerungsrecht standen in der Bundesrepublik während der vergangeneu Jahrzehnte, allerdings, wie es scheint mit allmählich abnehmender Intensität, im Mittelpunkt kirchenfeindlicher Angriffe. Diese Agitationen gingen zum Teil aus von politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen, wie z. B. der Freien Demokratischen Partei (FDP), 51 aber 50 Zu den Rechtsfragen des kirchlichen Besteuerungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland vgl. den reich dokumentierten Beitrag von Reiner Marre, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: HdbStKirchR (Anm. 1), Bd. 2, Berlin 1975, S. 5-50; ders., Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart. Die Kirchensteuer im internationalen Umfeld kirchlicher Abgabensysteme und im heutigen Sozial- und Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland (= Christliche Strukturen in der modernen Welt, hrsg. von Wilhelm Plöger, Bd. 28), Essen 1982; Alexander Hollerbach, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: HdbKathKR (Anm. 1), S. 889-900. Die Kirchensteuergesetze der einzelnen Bundesländer sind abgedruckt bei Jörg Giloy, Kirchensteuerrecht und Kirchensteuerpraxis in den Bundesländern, Stuttgart-Wiesbaden 1978. Die umfangreiche Rechtsprechung der staatlichen Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland zum Kirchensteuerwesen ist bis zur Mitte des Jahres 1971 systematisch dargestellt bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 6), S. 217 -249; vgl. ferner ders., Art. Kirchenbeitrag, in: Katholisches Soziallexikon, 2. Aufl., Innsbruck-Wien-München/Graz-Wien-Köln 1980, Sp. 1383-1386; Josef Isensee, Die Finanzquellen der Kirchen im deutschen Staatskirchenrecht, in: JuS 1980, s. 94-100. 51 In den Jahren 1973174 unternahm die Freie Demokratische Partei (FDP) in der Bundesrepublik Deutschland eine von verschiedenen Medien mit einer großen Publizität umgebene Initiative zur Durchführung einer radikalen Trennung von Staat und Kirche. Der Bundesvorstand der FDP berief im Frühjahr 1973 einen Sonderausschuß, der sich mit dem Verhältnis von Staat und Kirche beschäftigen sollte. Das unter Leitung der FDP-Politikerin Liselotte Funcke von diesem Ausschuß erarbeitete Grundlagenpapier übergab der Bundesvorstand der FDP der Partei zur Diskussion. Ziff. 5 dieses Auschuß-Papiers lautete: "5. Die Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Für die Überleitung sind ausreichende Fristen vorzusehen". Abgedr. u. a. in: Peter Rath (Hrsg.), Trennung von Staat und Kirche? Dokumente und Argumente (= rororo aktuell, hrsg. von Freimut Duve), Reinbek bei Harnburg 1974, S. 16. In der vom Bundesparteitag der FDP am 1. Oktober 1974 in Harnburg verabschie-

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auch von Presseorganen, wie dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", und verschiedenen Illustrierten, wie dem "Stern". Auch spiritualistische Gruppierungen innerhalb der Kirchen versuchten gelegentlich die theologische Legitimität des kirchlichen Besteuerungsrechts in Frage zu stellen. Gegenwärtig herrscht im Bereich der Publizistik hinsichtlich des Kirchensteuerwesens eine gewisse Windstille. Auf dem Gebiete des kirchlichen Besteuerungsrechts wurden während der vergangeneu 30 Jahre zahlreiche Prozesse grundsätzlicher Art geführt. Die Gerichte, und insbesondere das Bundesverfassungsgericht, haben sich dabei gariz eindeutig zugunsten der Verfassungsmäßigkeit des kirchlichen Besteuerungsrechts ausgesprochen. 52 Ein strittiges Problem bildete längere Zeit die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Einzugs der Kirchenlohnsteuer der Arbeitnehmer und Beamten durch die Arbeitgeber und Dienstherren. Auch diese Frage ist von der Rechtsprechung zugunsten der Kirchen entschieden worden. 53 Nach dem deutschen Kirchensteuerrecht ist die Kirchensteuer keine Ortskirchensteuer, sondern eine Diözesan- bzw. Landeskirchensteuer. Die Kirchensteuern der Selbständigen, d. h. der Angehörigen der freien Berufe, werden unmittelbar durch die Finanzämter erhoben. Die Kirchensteuern der Arbeitnehmer und Beamten werden von ihren Ardeten Fassung lautete die Ziff. 5 des sog. "FDP-Kirchenpapiers": "5. Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen. Es sind mit den Kirchen entsprechende Verhandlungen über die Modalitäten der Überleitung aufzunehmen und ausreichende Fristen vorzusehen". Da die Initiative der FDP zur Durchführung der Trennung von Staat und Kirche in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht den von der Parteiführung der FDP erhofften Widerhall fand und die FDP damals gerade auch schwere Wahlniederlagen erlitt, wurde das FDP-Kirchenpapier von der Parteiführung stillschweigend aus dem Verkehr gezogen. Der Wortlaut der vom Parteitag der FDP am 1. Oktober 1974 verabschiedeten Fassung der FDP-Thesen über das Verhältnis von Kirche und Staat ist abgedruckt u. a. in: Herder-Korrespondenz, 28. Jhg. (1974), s. 625-627. 52 Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Dezember 1965 in einer Serie von Entscheidungen mit den verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen des Kirehensteuerrechts befaßt. Die Rechtsprechung der staatlichen Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland zum kirchlichen Besteuerungsrecht ist bis zur Mitte des Jahres 1971 systematisch dargestellt bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 6), S. 217-249. 53 Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs in der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Rechtsprechung endgültig zugunsten der Kirchen entschieden worden ist, vgl. Axel Frhr. v. Campenhausen!Theodor Maunz I Ulrich Scheuner!Herbert Scholtissek, Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuer. Vier Rechtsgutachten zur Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 2), Berlin 1971.

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beitgebern bzw. ihren Dienstherren an die Finanzämter abgeführt; von den Finanzämtern werden die Kirchensteuern den Oberfinanzdirektionen zugeleitet und von diesen den zuständigen Diözesen und evangelischen Landeskirchen überwiesen. Durch die Diözesen und Landeskirchen werden die Kirchensteuern nach kircheninternen Regelungen und nach dem jeweiligen Bedarf den einzelnen Gemeinden zugewiesen. Die Kirchensteuer ist eine Maßstabsteuer, d. h. sie wird nach dem Maßstab der effektiv entrichteten Lohn- bzw. Einkommensteuer erhoben. 54 In den süddeutschen Ländern beträgt der Kirchensteuerhebesatzacht Prozent der Lohn- und Einkommensteuer, in den norddeutschen Diözesen und Landeskirchen neun Prozent der Lohn- und Einkommensteuer. Die Kirchensteuer bildet in der Bundesrepublik die mit großem Abstand bedeutsamste Quelle für die Finanzierung der kirchlichen Aufgaben. Insgesamt erhalten die beiden Kirchen zusammen gegenwärtig jährlich etwa 11 Milliarden DM an Kirchensteuern. 5 5 Nur aufgrund der von den Gläubigen in dieser Höhe entrichteten Kirchensteuern ist es den Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland möglich, ihre zahlreichen sozial-karitativen Einrichtungen, Kindergärten und Schulen zu unterhalten und die vielen Dienste, wie z. B. auch in der Ehe- und Lebensberatung, anzubieten, wie dies in der Gegenwart in der Bundesrepublik weithin der Fall ist. 56 54 Wegen der Bindung des Kirchensteuerrechts an die staatliche Lohn- und Einkommensteuergesetzgebung wird das kirchliche Besteuerungsrecht von den periodisch vorgenommenen Anpassungen der Lohn- und Einkommensteuergesetze an die zwischenzeitlich eingetretenen inflationären Entwicklungen, die euphemistisch als "Steuerreformen" bezeichnet zu werden pflegen, immer wieder von neuem tangiert bzw. in Mitleidenschaft gezogen. Instruktiv in dieser Hinsicht z. B. der Beitrag von Karl Dummler, Die Steuerreform und die Kirchen, in: ZevKR, Bd. 31 (1986), S. 176-215. 55 Wie das Statistische Jahrbuch 1986 für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1986, aufS. 93-95 ausweist, betrug im Jahre 1985 das Kirchensteueraufkommen der 17 evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik Deutschland abzüglich der vom Staat einbehaltenen Verwaltungskosten insgesamt 5,567119 Milliarden DM, das Kirchensteueraufkommen der 22 katholischen (Erz-)Diözesen abzüglich der vom Staat einbehaltenen Verwaltungskosten 5,530250 Milliarden DM. 56 So bestehen z. B. beim Caritasverband Bonn e. V. gegenwärtig folgende Beratungsstellen: Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen; Beratungsstelle für Frauen in Konfliktsituationen und Schwangerenberatung(§ 218 des Strafgesetzbuches); Beratungsstelle für Drogenabhängige; Beratungsstelle für Alkohol- und Medikamentenabhängige; Beratungsstelle für Erziehung; Beratungsstelle für arbeitslose Jugendliche; Schuldenberatungsstelle (für Personen in Zahlungsschwierigkeiten); Beratungsstelle zur Nachsorge für psychisch Behinderte; Sozialdienst Katholischer Männer e. V.; Sozialdienst Katholischer Frauen e. V.; Caritas-Pflegestationen (Familienpflege, Altenpflege, Kranken-

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Nach der in der Bundesrepublik bei der ganz überwiegenden Mehrheit der Gläubigen herrschenden Auffassung ist an der theologischen Legitimität und an der prinzipiellen Richtigkeit des modernen Kirchensteuerwesens festzuhalten. Dieses System entspricht der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Kooperation zwischen den Kirchen und dem freiheitlich demokratischen Staat. Das deutsche Kirchensteuerwesen ist erwiesenermaßen effizient und sozial gerecht; es dient sowohl der Kirche als im letzten auch dem Staat selbst. 57 Im Interesse der Gewährung effektiver staatlicher Religionsfreiheit muß, um jeden Gewissenszwang zu vermeiden, jedem Kirchenangehörigen die Möglichkeit geboten sein, seine Zugehörigkeit zur Kirche durch eine vor einer staatlichen Behörde abzugebende Erklärung des Kirchenaustritts zu beenden. 58 Gerade auf dem Gebiete der Kirchensteuer sind die Kirchen darauf verwiesen, ihren Gläubigen die Sinnhaftigkeit des kirchlichen Besteuerungsrechts und die Angemessenheit der Verwendung der Kirchensteuermittel immer wieder vor Augen zu führen, was in der Praxis auch geschieht. Dieser kurze Überblick über das Grundverhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und über einige hauptsächliche Teilbereiche der konkreten Kooperation zwischen Staat und Kirche muß notwendig fragmentarisch bleiben. Die großen und eigentlichen Sorgen der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland liegen nicht in erster Linie im Bereich des Staatskirchenrechts, sondern tiefer im Religiös-Theologischen. Die geistige Krise, in der sich der Religionsunterricht an den höheren Schulen lange Zeit befand und zum Teil noch befindet, ist eine Krise der theologischen Disziplin der Religionspflege); Ausländer-Sozialberatung mit Ausländer-Begegnungsstätte; Allgemeine Sozialberatung (für Mittellose); Gemeinde-Caritas (Verbindung zu den Pfarrgemeinden, Krankenhäusern, Sozialstationen); Heim für Nichtseßhafte; Jugendzentrum; Jugendwerkstätte; Übergangsheim für psychisch Behinderte; Alten- und Pflegeheim. Insgesamt sind beim Caritas-Verband Bonne. V. 360 Mitarbeiter fest angestellt. Ungeachtet der erheblichen Zuschüsse, die zu den Ausgaben des Caritas-Verbandes Bonn von staatlichen und kommunalen Stellen geleistet werden, muß ein erheblicher Teil der bei der Tätigkeit des CaritasVerbandes Bonne. V. entstehenden Kosten aus Kirchensteuermitteln bestritten werden. Der Caritas-Verband ist auch der Anstellungsträger für die 360 Mitarbeiter und hat für den Bestand ihrer Arbeitsplätze einzustehen. 57 Vgl. hierzu im einzelnen die ~usführungen bei Listl, Art. Kirchenbeitrag (Anm. 50), Sp. 1383 ff. 58 Dies ist, wie das BVerfG entschieden hat, die Voraussetzung dafür, daß in dem religiös-neutralen Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland die steuerberechtigten Kirchen ihre Glieder bzw. Angehörigen mit Hilfe der Organe der staatlichen Finanzverwaltung zur Abführung - und erforderlichenfalls zur zwangsweisen Entrichtung - ihrer Kirchensteuern heranziehen dürfen. Vgl. hierzu BVerfGE, Bd. 44, S. 37 ff.

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pädagogik; die besonderen Probleme, die auf dem Gebiete der Theologischen Fakultäten seit längerer Zeit zu konstatieren waren und zum Teil auch in der Gegenwart festzustellen sind, haben ihren Grund in den gegenwärtigen Schwierigkeiten der wissenschaftlichen Theologie hinsichtlich ihres Selbstverständnisses und ihrer Identität als kirchliche Wissenschaft. Auch bei jeder Erklärung eines Kirchenaustritts geht es nicht in erster Linie um Geld oder um die Vermeidung der Kirchensteuer, sondern darum, daß der den Austritt aus der Kirche Erklärende das lebendige Bewußtsein der Lebensbedeutung des christlichen Glaubens und der Heilsbedeutung der Zugehörigkeit zur Kirche verloren hat. Gerade die Kanonisten und die weltlichen Juristen wissen, daß es der Geist ist, der lebendig macht, der bloße Buchstabe des kirchlichen und erst recht des staatlichen Gesetzes vermag für sich allein nichts. Dies gilt auch für jede staatskirchenrechtliche Ordnung.

Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland I. Die Rechtsgrundlagen des kirchlichen Besteuerungsrechts. Die Bedeutung der Rechtsprechung zum Kirchensteuerrecht 1. Das kirchliche Besteuerungsrecht als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche

Das Kirchensteuerwesen, wie es sich in Deutschland im Laufe einer 150 Jahre währenden geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat/ gehört zu den bedeutsamsten Einrichtungen und Errungenschaften des deutschen Staatskirchenrechts. 2 Im Gegensatz zu älteren Auffassungen, die im kirchlichen Besteuerungsrecht ausschließlich eine den Kirchen vom Staate verliehene hoheitliche Befugnis erblickten, rechnet das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmung mit dem neueren Verständnis des kirchlichen Besteuerungsrechts, wie es in der Weimarer Reichsverfassung und im Grundgesetz Ausdruck gefunden hat, das Kirchensteuerwesen zutreffend zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, 3 d. h. zu jenen Sachgebieten des Staatskirchenrechts, die wie Link hervorhebt, wegen der Überlagerung von staatlichen und kirchlichen AufgaErstveröffentlichung in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Faul Mikat. Hrsg. von Dieter Schwab, Dieter Giesen, Joseph Listl, Hans-Wolfgang Strätz. Berlin: Duncker & Humblot 1989, S. 579-610. 1 Dieser Beitrag behandelt die Rechtsprechung zum kirchlichen Besteuerungsrecht während des Zeitraums von 1970 bis 1989. Über die Rechtsprechung zum Kirchensteuerrecht von 1949 bis 1970 vgl. Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1), Berlin 1971, s. 217-249. 2 Vgl. hierzu Paul Mikat, Grundfragen des Kirchensteuerrechts unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen, in: Gedächtnisschrift Hans Feters. Hrsg. von Hermann Conrad/Hermann Jahrreiß/Faul Mikat I Hermann Mosler I Hans Carl Nipperdey I Jürgen Salzwedel, Berlin I Heidelberg/New York 1967, S. 328 ff.; vgl. ferner Heiner Marre, Zum Wesen des gegenwärtigen kirchlichen Besteuerungsrechts, ebd., S. 302 ff. a BVerfGE 19, S. 206 (217); BayVerfGH 21, S. 153 (156).

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bennicht durch isoliertes, noch weniger durch antagonistisches Handeln beider Institutionen, sondern nur durch "Kooperation und gegenseitige Rücksichtnahme" sachadäquat ausgestaltet werden können 4 • Wegen der Verwendung eines großen Teiles der Kirchensteuermittel für kulturelle und sozialkaritative Aufgaben, für deren Finanzierung andernfalls der Staat aufkommen müßte, berührt das Kirchensteuerwesen auch unmittelbar die Sphäre des staatlichen Interesses. Daß es sich bei dem Rechtsinstitut der Kirchensteuer um eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche handelt, zeigt bereits der Wortlaut der grundlegenden Verfassungsbestimmung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WeimRV, der Magna Charta des kirchlichen Besteuerungsrechts. Danach sind diejenigen Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, berechtigt, aufgrund der "bürgerlichen", d. h. der staatlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtliehen Bestimmungen Steuern zu erheben. Aus dieser den Religionsgemeinschaften verliehenen Befugnis folgt ferner die Verpflichtung des Staates, die Voraussetzungen für die Steuererhebung durch den Erlaß von Landesgesetzen zu schaffen und dabei die Möglichkeit einer zwangsweisen Beitreibung vorzusehen. 5 Bei der Kirchensteuer handelt es sich um eine ihrem Wesen nach kirchliche Aufgabe, die sich von einem Kirchenbeitrag dadurch unterscheidet, daß sie von der staatlichen Finanzverwaltung für Rechnung und im Namen einer öffentlich-rechtlichen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft erhoben wird6 und hoheitlich beigetrieben werden kann. 7 4 Christoph Link, Religionsunterricht, in: HdbStKirchR. Hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 2, Berlin 1975, S. 535. Zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche werden - neben dem Kirchensteuerwesen - gemeinhin gerechnet der Religionsunterricht, die Anstalts- und Militärseelsorge, das Friedhofswesen und die Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten. Die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer von dem zu versteuernden Einkommen stellt nach Isensee keine Steuervergünstigung dar, sondern vielmehr ein systemkonsequentes und verfassungsrechtlich bewährtes Erfordernis der Steuergerechtigkeit. Als echte Steuer ist die Kirchensteuer für das Kirchenmitglied unabweislich. Die Kirchensteuerschuld mindert die Leistungsfähigkeit und entzieht sich somit dem Zugriff der Einkommensteuer. Vgl. hierzu Josef Isensee, Empfiehlt es sich , das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, in: 57. Deutscher Juristentag, Teil N, München 1988, S. N 54 f.; vgl. hierzu ferner Paul Kirchhof, Die Einkommensteuer als Maßstab für die Kirchensteuer, in: Deutsche Steuer-Zeitung 1986, s. 25 (32). s BVerfGE 19, S. 206 (217). 6 Lediglich in Bayern wird gern. Art. 17 Abs. 1 BayKiStG die Kircheneinkommensteuer nicht durch die staatliche Finanzverwaltung, sondern durch kir-

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2. Die Bedeutung der Rechtsprechung auf dem Gebiete des kirchlichen Besteuerungsrechts

Die Rechtsprechung zum Kirchensteuerrecht, die ihren Höhepunkt in acht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. 12. 1965 erreicht hat, war auch im Zeitraum von 1970 bis 1989 außerordentlich umfangreich und vielgestaltig. In mehreren hundert Entscheidungen hatten sich die Finanz- und Verwaltungsgerichte und vor allem auch das Bundesverfassungsgericht mit Fragen des Kirchensteuerrechts zu befassen. Es gibt heute wohl kaum mehr eine kirchensteuerrechtliche Fragen von größerer Relevanz, die nicht in der einen oder anderen Weise Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gewesen wäre. Die Rechtsprechung zum Kirchensteuerrecht beruht auf dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten tragenden Grundsatz, daß Personen, die einer steuerberechtigten Kirche oder Religionsge-

meinschaft nicht angehören, zur Kirchensteuer nicht herangezogen werden dürfen. 8 Diesen Grundsatz hat die Rechtsprechung unter Füh-

rung des Bundesverfassungsgerichts während der letzten beiden Jahrzehnte bis in die letzten Verästelungen des Kirchensteuerrechts mit äußerster Konsequenz fortgeführt und damit dem Grundrecht der sog. "negativen" Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG im Sinne einer "negativen religiösen Finanzierungsfreiheit" 9 rigorose Geltung vereheneigene Finanzämter erhoben. Auch hierbei obliegt gern. Art. 17 Abs. 3 BayKiStG auf Ersuchen der Kirchen die Beitreibung der Umlagerückstände den staatlichen Finanzämtern. 7 Hanns Engelhardt, Die Kirchensteuer in der Bundesrepublik Deutschland, Bad Hornburg v.d.H./Berlin/Zürich 1968, S. 14, 19, 30; Heinz Paulick, Kirchensteuer und Grundgesetz, in: Staat und Gesellschaft. Festgabe für Günther Küchenhoff, Göttingen 1967, S. 159. Vgl. hierzu ferner Alexander Hollerbach, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: HdbKathKR. Hrsg. von Joseph Listll Hubert Müller/Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 889-900; zum Kirchensteuerrecht allgemein s. Reiner Marre, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: HdbStKirchR, Bd. 2 (Anm. 4), S. 5-50; ders., Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart. Die Kirchensteuer im internationalen Umfeld kirchlicher Abgabensysteme und im heutigen Sozial- und Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland, Essen 1982; ders., Art. Kirchensteuer, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 3, Freiburg/Basel/Wien 1987, Sp. 447451; Axel Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 159-185; Christoph Link, Art. Kirchensteuer, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1987, Sp. 1695-1707; Jörg Giloy!Walter König, Kirchensteuerrecht und Kirchensteuerpraxis in den Bundesländern, 2. Aufl., Wiesbaden 1988; zusammenfassender Überblick bei Alexander Hollerbch, Steuererhebungsrecht der Kirche, in: Josef lsensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI: Freiheitsrechte, Heidelberg 1989, S. 584-586, m.w.N. a Vgl. BVerfGE 19, S. 226 (235 f.). 9 Vgl. hierzu von Mangoldtl Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, Berlin und Frankfurt a.M. 1957, Art. 4 Erl. II 3 (S. 216); Hans Joachim Schlenzka, Zur

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schafft. In den folgenden Ausführungen können nur die wesentlichen Entscheidungen, insbesondere diejenigen der obersten Gerichte und des Bundesverfassungsgerichts, inhaltlich dargestellt werden. II. Beginn und Beendigung der Kirchensteuerpflicht 1. Beginn der Kirchensteuerpflicht

Verschiedentlich war es gegen Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre zu einem Problem geworden, ob die Kirchensteuerpflicht an die Aufnahme in die betreffende Religionsgemeinschaft, d. h. an eine innerkirchliche Regelung, anknüpfen dürfe oder ob nur Religionsmündige, die sich durch eine persönliche Entscheidung ausdrücklich zur Entrichtung der Kirchensteuer bereit erklärt hatten, der Besteuerung durch ihre Kirche unterliegen. Gegenüber derartigen kirchenfeindlichen Tendenzen hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 25. 5. 1970 unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung mit Deutlichkeit erklärt, daß eine kirehensteuerliche Regelung, wonach die Begründung der für die Kirchensteuerpflicht ausschlaggebenden Mitgliedschaft nach innerkirchlichem Recht zu beurteilen ist, mit der bayerischen Verfassung vereinbar sei. Der Gerichtshof sah keine Veranlassung, insoweit von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. 10 In Übereinstimmung mit diesen Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs hat auch das Bundesverfassungsgericht in einem am 31. 3. 1971 ergangenen Beschluß von weittragender Bedeutung festgestellt, daß die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen, die die Mitgliedschaft von Taufe und Wohnsitz abhängig machen, nicht gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie gegen die negative Vereinigungsfreiheit verstößt, sofern der Kirchenangehörige jederzeit die Möglichkeit hat, seine Mitgliedschaft zu beenden. 11 Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung ausführt, ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche keine "Zwangsmitgliedschaft". Eine solche könnte nicht Grundlage der KirVerfassungsmäßigkeit der kirchlichen Haushaltsbesteuerung unter besonderer Berücksichtigung der glaubensverschiedenen Ehen, in DVBL 1961, S. 19; von Mangoldtl Klein/ Starck, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl., Bd. I, München 1985, Art. 4, Rn. 22 (S. 433). 1o BayVerfGHE 23, S. 106 =KirchE 11, S. 213, unter Bezugnahme auf BayVerfGHE 21, S. 38 =KirchE 10, S. 21. 11 BVerfGE 30, S. 415 = DÖV 1971, S. 344 = NJW 1971, S. 931 = DVBL 1971, S. 550 =KirchE 12, S. 101.

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chensteuerpflicht sein. Schon durch die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an die in einer evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde vollzogene Taufe sei hinreichend klargestellt, daß ein Kirchenangehöriger für die Kirchensteuer nicht ohne oder gegen seinen Willen der steuerberechtigten Kirche zugeordnet werde. Für den Regelfall der Kindestaufe erklärten die sorgeberechtigten Eltern die Bereitschaft zur Erziehung des Kindes in diesem Bekenntnis. Dabei wüßten sie, daß diesem Akt herkömmlich die Bedeutung der Zugehörigkeit zu der entsprechenden Kirche beigemessen werde. Daß somit nicht auf den Willen des noch unmündigen Kindes, sondern den seiner sorgeberechtigten Eltern abgehoben werde, beeinträchtige nicht das Grundrecht des Kindes auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Insoweit handelten die Eltern kraft ihrer elterlichen Verantwortung für das Kind, das ihrer Hilfe bedürfe, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, und sein Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit noch nicht selbst ausüben könne. Belastende Rechtsfolgen für das Kind würden an die Taufe in der Regel erst zu einem Zeitpunkt angeknüpft, in dem es die Religionsmündigkeit erlangt habe und daher jederzeit durch Austritt seine Mitgliedschaft beenden könne. 12 Durch die Taufe wird damit auch die Mitgliedschaft in der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts begründet. 13 Bestätigender Rechtsakte des Getauften nach Eintritt der Religionsmündigkeit bedarf es nicht. 14 Die Alternative, entweder Kirchensteuer zahlen zu müssen oder aus der Kirche auszutreten, verstößt daher auch angesichts der nach kanonischem Recht zulässigen Strafsanktionen gegenüber dem Ausgetretenen nicht gegen das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG.15 Aus der Tatsache, daß die Kirchensteuerpflicht an den Empfang der Taufe und den Wohnsitz anknüpft, folgt, wie der Bundesfinanzhof entscheiden hat, daß ein Steuerpflichtiger, der im Kindesalter mit der Zustimmung seiner Eltern katholisch getauft und vom Finanzamt mit einem Steuerbetrag zur Einkommensteuer veranlagt worden ist, auch vom katholischen Kirchensteueramt zur Kirchensteuer herangezogen werden kann. 16 Eine gegen dieses Urteil gerichtete Verfassungsbe12 BVerfGE 30, S. 415 (424) =KirchE 12, S. 101 (108), unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, S. 119 (144). 13 FG Münster, Urt. vom 14. 1. 1971, in: KirchE 12, S. 32. 14 VG Oldenburg, Urt. vom 24. 10. 1980, in: KirchE 18, S. 303. 15 So zutreffend der BFH, Beschl. vom 14. 7. 1972, in: KirchE 13, S. 19. 16 BFH, Urt. vom 4. 5. 1983, in: BFHE 138, S. 303 = JZ 1984, S. 49 mit zust. Anm. von Axel Frhr. v. Campenhausen = NJW 1983, S. 2604 =KirchE 21, S. 107.

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schwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. 17 Wie das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ausgeführt hat, ist durch die Möglichkeit des Kirchenaustritts sowie durch die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an den auf einem entsprechenden Willensentschluß der sorgeberechtigten Eltern beruhenden Akt der Taufe hinreichend sichergestellt, daß ein Kirchenangehöriger nicht ohne oder gegen den Willen seiner sorgeberechtigten Eltern zur Kirchensteuer herangezogen werden kann. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers unterliege es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn an die Kirchenmitgliedschaft anknüpfende belastende Rechtsfolgen in der Form der Kirchensteuerpflicht bereits zu einer Zeit einträten, in der der Betreffende sich noch nicht in religionsmündigem Alter befinde. Nach dem jüdischen Religionsgesetz ist derjenige Jude, d. h. Angehöriger jüdischen Glaubens, der eine jüdische Mutter hat. In Anbetracht der durch das staatliche Recht gebotenen Möglichkeit eines Austritts aus der Religionsgemeinschaft ist deshalb, wie das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. zutreffend entschieden hat, auch an die Abstammung und Wohnsitz anknüpfende Mitgliedschaft in einer jüdischen Kultusgemeinde verfassungskonform. 18 Das Kirchensteuerrecht kennt auch eine Kirchenmitgliedschaft krajt eines konstanten und schlüssigen bekenntnismäßigen Verhaltens. In diesem Sinne hat das Verwaltungsgericht Hannover durch Urteil vom 24. 9. 1975 zutreffend entscheiden, daß jemand, der nach erfolgtem Kirchenaustritt anschließend fast 20 Jahre lang gegenüber kirchlichen und staatlichen Stellen durch entsprechendes Verhalten zu erkennen gegeben habe, er sei Mitglied der Kirche im Rechtssinne, sich nur durch einen erneuten Wiederaustritt vor der staatlich zuständigen Stelle von der Kirche trennen könne. 19 Eine Verfassungsbeschwerde des Klägers, die sich gegen die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg gemäß § 80 Abs. 5 VwGO richtete, wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. 20 17 BVerfG, Beschl. vom 30. 11. 1983, in: NJW 1984, S. 969 =KirchE 21, S. 303 = ArchKathKR, Bd. 153 (1984), S. 227. 1a So VG Frankfurt a.M., Urt. vom 12. 8. 1982 (rechtskräftig), in: KirchE 20, S. 97. 19 VG Hannover, in: DVBl. 1976, S. 911 = KirchE 15, S. 42; ebenso VG Hannover, Urt. vom 16. 5. 1975, in: KirchE 14, S. 279, sowie VG Schleswig-Holstein, Urt. vom 26. 10. 1971, in: KirchE 12, S. 307. 20 Vgl. im einzelnen KirchE 15, S. 42.

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Ähnlich entschied das Finanzgericht Nürnberg durch Urteil vom 12. 11. 1981, daß ein Kirchensteuerbescheid, durch den ein aus der Kirche Ausgetretener zur Kirchensteuer herangezogen wurde, nicht nichtig sei, wenn der Herangezogene in der Einkommensteuererklärung angegeben habe, daß er einer erhebungsberechtigten Religionsgemeinschaft angehöre und die Kirchensteuerbehörde keinen Anlaß hatte, an der Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln. 21 Übereinstimmend mit diesen Entscheidungen vertrat auch das Verwaltungsgericht Oldenburg in einem Urteil vom 18. 2. 1986 die Auffassung, daß ein aus der Kirche Ausgetretener durch sein jahrelang gezeigtes späteres Verhalten wieder Glied der Kirche und damit kirchensteuerpflichtig werden könne. 22 Bei katholischen Kirchensteuerpflichtigen ist es in Anbetracht der Tatsache, daß sich die katholische Kirche als eine einzige universale Weltkirche versteht, ohne Belang, ob die für die Begründung der kirchlichen Mitgliedschaft konstitutive Taufe im In- oder Ausland gespendet worden ist. 23 Übereinstimmend mit dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte bereits die Vorinstanz, das Verwaltungsgericht Hannover, entschieden, der Kirchensteuerpflicht stehe nicht entgegen, daß die Taufe eines katholischen Steuerpflichtigen in einem Land empfangen worden sei, in dem die katholische Kirche eine Kirchensteuer im Sinne des deutschen Steuerrechts nicht erhebe. 24 Auch im Bereich der evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik Deutschland gilt nunmehr allgemein der Grundsatz, daß der Umzug in das Gebiet einer anderen Landeskirche die Kirchensteuerpflicht unberührt lasse. Hierbei ist von Bedeutung, daß am 1. 2. 1970 21 VG Nürnberg, Urt. vom 12. 11. 1981, in: KirchE 19, S. 139. Die Revision wurde zurückgewiesen, vgl. BFH, Urt. vom 1. 12. 1982, in: ZevKR 28 (1983), S. 434 mit zust. Anm. von Christian Meyer. 22 VG Oldenburg, Urt. vom 18. 2. 1986, in: NJW 1986, S. 3103. Im gleichen Sinne hat das VG Stade durch Urt. vom 27. 1. 1983 (Az.: 1 A 43/80; rechtskräftig), in: ZevKR 28 (1983), S. 309 (nur LS), entschieden, mit der Angabe der Religionszugehörigkeit in der Einkommensteuererklärung erwecke ein Steuerpflichtiger selbst den Eindruck, daß Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht bestünden. Seien diese Angaben gemacht, obgleich der Steuerpflichtige aus der Kirche ausgetreten sei, so sei der auf die Steuererklärung hin erlassene Kirchensteuerbescheid nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig und bei Verstreichenlassen der Rechtsbehelfsfrist bestandskräftig und vom Betroffenen hinzunehmen. 23 So zutreffend OVG Lüneburg, Urt. vom 8. 12. 1976, in: KirchE 15, S. 446. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers blieb erfolglos (BVerwG, Beschl. vom 10. 7. 1978- VII B 62.77), Hinweis in KirchE 15, S. 446. 24 VG Hannover, I. Kammer Osnabrück, Urt. vom 5. 11. 1971, in: KirchE 12, S. 316 m.w.N.

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eine "Vereinbarung zwischen den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) über die Kirchenmitgliedschaft" in Kraft getreten ist. In Abschnitt I dieser Vereinbarung wurde festgelegt, daß innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland nach herkömmlichem evangelischem Kirchenrecht die Kirchenmitgliedschaft begründet wird durch die Taufe, durch evangelischen Bekenntnisstand (Zugehörigkeit zu einem in der Evangelischen Kirche in Deutschland geltenden Bekenntnis) und durch Wohnsitz im Gebiet einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland. 25 Im Sinne dieser Vereinbarung hat der Bundesfinanzhof durch Urteil vom 26. 11. 1979 entschieden, daß ein evangelischer Christ durch Umzug in den Bereich einer anderen Landeskirche jedenfalls dann deren Mitglied wird, wenn er durch positive Handlungen seinen Willen bekundet, der für seinen Wohnsitz zuständigen Landeskirche anzugehören. Hierbei könne die Bezeichnung als "evangelisch" in der Steuererklärung und die widerspruchslose Entrichtung der Kirchensteuer ausreichen. 26 Auf derselben Linie liegen bemerkenswerte rechtskräftige Entscheidungen verschiedener Instanzgerichte. Wie das Finanzgericht München durch Urteil vom 28. 4. 1981 entschieden hat, wird ein in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien getaufter Christ bei Verlegung seines Wohnsitzes nach Bayern Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. 27 Ein der Evangelischen Kirche in Baden angehörender Kirchensteuerpflichtiger, der nach Austritt aus seiner bisherigen Landeskirche zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Baden übergetreten ist und in Bayern einen Zweitwohnsitz begründet hat, erwirbt in Bayern die auch kirchensteuerrechtlich maßgebende Kirchenmitgliedschaft und wird daher im Falle eines Antrags auf Lohnsteuerausgleich von dem Evangelisch-Lutherischen Kirchensteueramt in Bayern zu Recht zur Kirchensteuer herangezogen. 28 Ein in der Zwinglianischen 25 Vgl. Beschluß des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 27./ 28. November 1969 über die Verkündung der Vereinbarung über die Kirchenmitgliedschaft in der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland, 24. Jhg. (1970), S. 2 f. Über die Vorgeschichte dieser Vereinbarung vgl. im einzelnen bei Listl, Das Grundgesetz der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 204 ff. 26 ZevKR 25 (1980), S. 78 = KirchE 17, S. 318; ebenso FG Düsseldorf, Urt. vom 27. 2. 1973, in: KirchE 13, S. 177. 21 KirchE 18, S. 484. Ähnlich im Falle der Kirchensteuerpflicht eines Angehörigen der Französisch-reformierten Kirche, der seinen Wohnsitz in Bayern hat, FG München, Vorbescheid vom 15. 9. 1986 - VII (XIII) 193/84 Ki 2 - (rechtskräftig), in: ZevKR 33 (1988), S. 330. 2s FG München, Urt. vom 9. 2. 1982 (rechtskräftig), in: ZevKR 31 (1986), S. 475 =KirchE 19, S. 217.

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Kirche in der Schweiz getaufter Steuerpflichtiger wird, wenn er seinen Wohnsitz in Bayern nimmt, dadurch Angehöriger der Evangelisch-reformierten Kirche in Bayern und unterliegt der Kirchensteuererhebung durch das Evangelisch-Lutherische Kirchensteueramt. 29 Gemäß § 3 der KiStO der Evangelischen Kirche im Rheinland und Westfalen ist für die Kirchensteuerpflicht maßgebend die Zugehörigkeit zum Bekenntnisstand der steuererhebungsberechtigten Kirche sowie Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt innerhalb einer dieser Kirche angehörenden Kirchengemeinde. 30 Die Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen ist dabei unerheblich. 31 Ist jemand rechtswirksam aus der Kirche ausgetreten, so kann kirchensteuerrechtlich seine erneute Kirchenzugehörigkeit nur angenommen werden, wenn feststeht, daß er nach den kirchenrechtlichen Vorschriften rechtswirksam in die Kirche wieder aufgenommen worden ist. 32 Der Wiedereintritt in die evangelische Kirche ist nach dem Recht der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, das insoweit auch für das Kirchensteuerrecht verbindlich ist, nicht formgebunden.33 2. Beendigung der Kirchensteuerpflicht durch Erklärung des Kirchenaustritts

Die Frage des Zeitpunkts der Beendigung der Kirchensteuerpflicht nach erfolgter Erklärung des Kirchenaustritts war, nicht zuletzt auch wegen der unterschiedlichen Kirchenaustrittsregelungen in den einzelnen Bundesländern, lange Zeit Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Entscheidungen. 34 Am weitesten ging hierbei das in den preußischen Nachfolgestaaten fortgeltende preußische Kirchenaustrittsgesetz vom 30. 11. 1920 (GS 1921, S. 119). Nach§ 1 Abs. 2 dieses Gesetzes traten die rechtlichen Wirkungen der Austrittserklärung einen Monat nach Eingang der Erklärung beim Amtsgericht ein. Bis zu diesem Zeit29 FG München, Urt. vom 9. 11. 1982- VII 172177- (rechtskräftig), in: ZevKR 31 (1986), s. 477 ff. 30 FG Köln, Urt. vom 13. 10. 1982 (rechtskräftig), in: KirchE 20, S. 157. 31 FG Köln, Urt. vom 31. 8. 1983 (rechtskräftig), in: KirchE 21, S. 224. 32 BFH, Urt. vom 18. 11. 1977, in: ZevKR 23 (1978), S. 274 =KirchE 16, S. 239. 33 VG Braunschweig, Urt. vom 26. 1. 1978 (rechtskräftig), in: ZevKR 24 (1979), S. 380 =KirchE 16, S. 285. 34 Über die Entwicklung bis zum Jahre 1970 vgl. bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 190 ff.; vgl. hierzu ferner ders., Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts in der staatlichen und kirchlichen Rechtsordnung, in: Festschrift für Matthäus Kaiser, Faderborn 1989, S. 160-186; Bruno Primetshofer, Zur Frage der Rechtsfolgen eines Kirchenaustritts aus finanziellen Gründen, ebd., S. 187-199.

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punkt konnte die Erklärung in der in Abs. 1 des Gesetzes vorgeschriebenen Form zurückgenommen werden (sog. "Überlegungsfrist"). Nach § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes trat die Befreiung des Ausgetretenen von allen Leistungen, die auf der persönlichen Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft beruhten, mit dem Ende des laufenden Steuerjahres, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Abgabe der Kirchenaustrittserklärung ein. Durch Beschluß vom 8. 2. 1977 (1 BvR 329171 u.a.) erklärte das Bundesverfassungsgericht eine gesetzliche Frist ("Überlegungsfrist"), aufgrund deren ein Kirchenaustritt erst einen Monat nach Eingang der Austrittserklärung bei der zuständigen Behörde rechtswirksam ist, für mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar. Ebenso erklärte das Bundesverfassungsgericht eine Regelung mit dem Grundgesetz für unvereinbar, nach der ein aus der Kirche Ausgetretener noch bis zum Ende des laufenden Steuerjahres zur Kirchensteuer heranzuziehen ist ("Nachbesteuerung"). 35 In einem ergänzenden, ebenfalls am 8. 2. 1977 ergangenen Beschluß (1 BvL 7/71) erklärte das Bundesverfassungsgericht die Heranziehung eines aus der Kirche Ausgetretenen zur Kirchensteuer bis zum Ablauf des auf die Austrittserklärung folgenden Kalendermonats für mit dem Grundgesetz "noch vereinbar". 36 In diesen beiden Entscheidungen setzte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts seine bisherige umfangreiche Rechtsprechung zum Kirchensteuerwesen mit überzeugender Begründung und billigenswertem, wenn auch hinsichtlich der Zulässigkeit der Nachbesteuerung nicht einzig möglichem Ergebnis fort. Durch den Beschluß vom 8. 2. 1977 (BVerfGE 44, S. 37) hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche entgegenstehende gerichtliche Entscheidungen aufgehoben, wie z. B. das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 27. 1. 1971 37 und den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. 7. 1971, 38 durch den das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis auf sein früheres Urteil vom 27. 2. 197039 die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zurückgewiesen hatte. Ferner das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg 35 BVerfGE 44, S. 37 = DÖV 1977, S. 442 mit zust. Anm. von Joseph Listl, S. 445 ff. = NJW 1977, S. 1279 = ZevKR 22 (1977), S. 418 =KirchE 16, S. 47. 36 BVerfGE 44, S. 59 = DÖV 1977, S. 444 mit krit. Anm. von Joseph Listl, S. 445 ff. = NJW 1977, S. 1281 = ZevKR 22 (1977), S. 425 =KirchE 16, S. 41. 37 KirchE 12, S. 38. 38 Az.: VII B 45.71, nicht veröffentlicht 39 BVerwGE 35, S. 90 =KirchE 11, S. 146.

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vom 3. 4. 1973 40 und den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. 7. 1973 41 sowie zwei Urteile des Bundesfinanzhofs vom 13. 3. 197442 und zahlreiche weitere Entscheidungen, die in Band 44 Seite 38 der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im einzelnen genannt sind. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. 2. 1977 (BVerfGE 44, S. 59) ist ergangen aufgrund eines Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Darmstadt. 43 In Ergänzung der beiden genannten Beschlüsse vom 8. 2. 1977 hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 7. 10. 1980 entschieden, daß die Bestimmung des § 3 Abs. 1 des niedersächsischen Kirchenaustrittsgesetzes vom 4. 7. 1973 (GVBL S. 221), die bis zum 26. 4. 1978 in Geltung war, gegen Art. 4 Abs. 1 GG verstößt. Nach dieser Bestimmung wurde die mündliche Erklärung des Kirchenaustritts einen Monat nach ihrer Abgabe, die schriftliche einen Monat nach ihrem Zugang wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte der Erklärende die Erklärung in der Form des § 2 Abs. 2 des Gesetzes gegenüber dem Standesbeamten widerrufen. 44 Nach rechtswirksam erklärtem Kirchenaustritt erlischt die Kirchensteuerpflicht. Weder ein Wohnsitzwechsel noch eine zwischenzeitliche Fortzahlung der Kirchensteuer noch die Beibehaltung des Bekenntnisses sind geeignet, eine Heranziehung zur Kirchensteuer zu rechtfertigen.45 Eine Kirchenaustrittserklärung kann nicht mit Rückwirkung abgegeben werden. 46 Ein deutscher Staatsangehöriger katholischer Konfession, der während des Zweiten Weltkriegs seinen Wohnsitz aus dem Reichsgebiet in das damalige Reichsprotektorat Böhmen und Mähren verlegte, sich dort bei seiner Kirche nicht meldete und daher nicht zur KirchensteuKirchE 13, S. 204. KirchE 13, S. 327. 42 ZevKR 20 (1975), S. 162 =KirchE 14, S. 47 (VI R 240171) sowie das Urteil des BFH- V1 R 182170- (vgl. BVerfGE 44, S. 38). 43 VG Darmstadt, Beschl. vom 1. 12. 1970 (Az.: IV E 10170), in: KirchE 11, s. 390. 44 BVerfGE 55, S. 32 =KirchE 18, S. 293. 45 FG Düsseldorf, Urt. vom 30. 10. 1974, in: KirchE 14, S. 171. Die Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg: Urt. des BFH vom 18. 11. 1977, in: BFHE 124, S. 287. Vgl. den Hinweis in KirchE 14, S. 171. Bei dieser Entscheidung ging es um die vom FG im Ergebnis verneinte Frage, ob der Kläger die Erklärung seines Kirchenaustritts durch formellen, aber nicht formgebundenen Wiedereintritt in die evangelische Kirche widerrufen hatte. 46 FG Münster, Urt. vom 19. 11. 1974, in: KirchE 14, S. 188. 40

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er veranlagt wurde, konnte einen Kirchenaustritt nur durch ausdrückliche Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde bewirken. 47 Wie das Landgericht Koblenz entschieden hat, kann ein in der Bundesrepublik Deutschland lebender und hier kirchensteuerpflichtiger Italiener katholischer Konfession rechtswirksam seinen Kirchenaustritt auch dann erklären, wenn das italienische Staatskirchenrecht keine entsprechende Regelung enthält. 48 3. Die Angabe der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte

Das Grundrecht der negativen Religionsfreiheit gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WeimRV, wonach niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren, und andere Grundrechte werden durch die Eintragung der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte nicht verletzt. 49 In diesem Sinne hat das Finanzgericht Harnburg durch Urteil vom 24. 7. 1972 entschieden, daß ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Ausstellung einer Lohnsteuerkarte ohne Eintrag über die Konfessionszugehörigkeit habe. 5° Der Bundesfinanzhof hat die Entscheidung des Finanzgerichts Harnburg durch Urteil vom 4. 7. 1975 bestätigt und ausgeführt, daß ein Arbeitnehmer nicht verlangen kann, daß seine Lohnsteuerkarte ohne Angabe seiner Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ausgestellt wird. 5 1 Eine gegen dieses Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen und festgestellt, daß die gesetzlich vorgesehene Eintragung der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte mit dem Grundgesetz in Einklang steht und durch sie Grundrechte nicht verletzt werden. 52 In Übereinstimmung mit der Vorinstanz, dem Verwaltungsgericht Hamburg, 53 hat das Oberverwaltungsgericht Harnburg durch Urteil vom 23. 2. 1973 festgestellt, daß die behördliche Erfassung von AngaFG Düsseldorf, Urt. vom 15. 2. 1977 (rechtskräftig), in: KirchE 16, S. 71. LG Koblenz, Beschl. vom 25. 4. 1980, in: KirchE 18, S. 151. 49 Über die frühere Rechtsprechung zur Angabe der Religionszugehörigkeit vgl. bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 179 f. 50 FG Hamburg, Urt. vom 24. 7. 1972, in: KirchE 13, S. 30. 51 BFH, Urt. vom 4. 7. 1975, in: BFHE 116, S. 485 = ZevKR 21 (1976), S. 281 = KirchE 15, S. 1. 52 BVerfGE, Beschl. vom 23. 10. 1978 (1 BvR 439175), in: BVerfGE 49, S. 375 = ZevKR 24 (1979), S. 196 = NJW 1979, S. 209 = BayVBl. 1979, S. 83 =KirchE 17, S. 93. 53 VG Hamburg, Urt. vom 11. 12. 1970, in: KirchE 11, S. 397. 47

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ben über die Konfessionszugehörigkeit jedenfalls insoweit verfassungskonform ist, als dies zur Erhebung der Kirchensteuer erforderlich ist. 54 Ebensowenig werden, wie der Bundesfinanzhof entschieden hat, durch die Eintragung eines Vermerkes in die Lohnsteuerkarte, durch den kenntlich gemacht wird, daß der Steuerpflichtige keiner Religionsgemeinschaft angehört, dessen Grundrechte verletzt. 55 4. Diskrepanz zwischen kanonischem Eherecht und staatlichem Kirchensteuerrecht

Ein besonderes Problem des Kirchensteuerrechts bildet die Heranziehung von rechtskräftig geschiedenen Katholiken zur Kirchensteuer, deren Ehe wegen des Grundsatzes der Unauflöslichkeit der Ehe nach kanonischem Recht fortbesteht. 56 Hierzu haben alle mit dieser Frage befaßten Gerichte einstimmig die Rechtsauffassung vertreten, daß eine kirchensteuerrechtliche Regelung, die eine katholische Kirchenbehörde in die Lage versetzt, geschiedene Katholiken trotz Fortbestandes des kanonisch-rechtlichen Ehebandes auf Kirchensteuer nach dem erhöhten Steuersatz für Ledige in Anspruch zu nehmen, mit den verfassungsrechtlichen Normen des Staatskirchenrechts im Einklang steht. Diese Rechtsauffassung hat auch das Bundesverwaltungsgericht in einem Beschluß vom 8. 11. 1977 vertreten. 5 7 Eine gegen diesen Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in dieser Entscheidung, Art. 3 Abs. 3 GG gebiete nicht, einen Geschiedenen nur deshalb steuerlich gegenüber anderen Geschiedenen zu bevorzugen, weil er der katholischen Kirche angehöre und deren innerkirchliches Recht vom staatlichen Recht abweiche. 58 54 OVG Hamburg, Urt. vom 23. 2. 1973, in: ZevKR 20 (1975), S. 180 =KirchE 13, s. 159. 55 BFH, Urt. vom 26. 6. 1970, in: KirchE 11, S. 237. 56 Über die frühere Rechtsprechung und die Grundproblematik der Koexistenz der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung vgl. bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 24 7 f. 57 So VG Koblenz, Urt. vom 6. 5. 1975, in: KirchE 14, S. 263; ebenso OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. vom 31. 8. 1977, in: KirchE 16, S. 180. Die Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos. Vgl. hierzu BVerwG, Beschl. vom 8. 11. 1977, in: NJW 1978, S. 437 =KirchE 16, S. 230. Mit dieser Rechtsprechung übereinstimmend auch Hess. VGH, Urt. vom 8. 4. 1975, in: NJW 1976, S. 642 = KirchE 14, S. 251; ferner FG Münster, Urt. vom 20. 12. 1983, in: KirchE 21, S. 338.

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111. Das kirchliche Besteuerungsrecht bei konfessionsund glaubensverschiedenen Ehen

Besondere Probleme ergeben sich im Kirchensteuerrecht bei den konfessionsverschiedenen, d. h. im Sinne des Kirchensteuerrechts bei solchen Ehen, in denen beide Ehegatten verschiedenen steuerberechtigten und tatsächlich steuererhebenden Religionsgemeinschaften angehören, und bei glaubensverschiedenen Ehen, d. h. im Sinne des Kirehensteuerrechts bei denjenigen Ehen, in denen nur ein Ehegatte einer steuerberechtigten und tatsächlich steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört. 59 1. Das kirchliche Besteuerungsrecht bei konfessionsverschiedenen Ehen

Die Rechtsfragen, die sich bei der Besteuerung von in konfessionsverschiedenen Ehen lebenden Ehegatten ergeben haben, sind in der Zwischenzeit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung weitgehend geklärt. Heute gilt allgemein folgender Grundsatz: Gehören nicht dauernd getrennt lebende umlagepflichtige, d. h. kirchensteuerpflichtige Ehegatten verschiedenen umlageerhebenden Gemeinschaften an (konfessionsverschiedene Ehe), so wird die Umlage, d. h. die Kirchensteuer, in den Fällen der getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer aus der Einkommensteuer jedes Ehegatten, in den Fällen der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer für jede der beteiligten Gemeinschaften aus der Hälfte der Einkommensteuer erhoben. 6° Für die Lohnsteuer gilt folgendes: Gehören nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten verschiedenen umlageerhebenden Gemeinschaften an (konfessionsverschiedene Ehe), so wird die Kirchenlohnsteuer für jede der beteiligten Gemeinschaften aus der Hälfte der Lohnsteuer erhoben.61 Wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof zur Frage der Kirchenlohnsteuer durch Urteil vom 21. 7. 1970 entschieden hat, ist die Regelung des bayerischen Kirchensteuerrechts, wonach die Kirchenlohnsteuer in konfessionsverschiedenen Ehen nach dem sog. Halbteilungs58 BVerfG, Beschl. vom 8. 1. 1979 (1 BvR 1144177), in: DÖV 1980, S. 450 = FamRZ 1980, S. 764 =KirchE 17, S. 141. 59 Über die Entwicklung der frtiheren umfangreichen Rechtsprechung zum kirchlichen Besteuerungsrecht bei konfessions- und glaubensverschiedenen Ehen vgl. bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 231 ff., 238 ff. 60 Vgl. z. B. § 9 Abs. 1 BayKiStG 61 Vgl. z. B. § 13 Abs. 3 BayKiStG

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grundsatz zu berechnen ist, während in glaubensverschiedenen Ehen die Kirchenlohnsteuer des einer Kirche angehörenden Ehegatten aus dessen voller Lohnsteuer zu berechnen ist, nicht verfassungswidrig. 62 Der Bundesfinanzhof hat wiederholt entschieden, daß der Halbteilungsgrundsatz im Kirchensteuerrecht bei konfessionsverschiedenen Ehen nicht gegen das Grundgesetz verstößt. 63 Haben die in konfessionsverschiedener Ehe lebenden Ehegatten die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer gewählt, ist die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes auf die Kirchensteuer auch dann verfassungskonform, wenn das der Einkommensteuer unterliegende Einkommen ausschließlich oder überwiegend aus Einkünften nur eines Ehegatten besteht. 64 Die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes für die Festlegung der Kirchensteuer ist jedoch unzulässig, wenn beide Ehegatten verschiedenen steuerberechtigten Kirchen angehören, jedoch nur die Kirche eines der Ehegatten von ihrem Recht, Kirchensteuer zu erheben, tatsächlich Gebrauch gemacht hat. In diesem Falle ist die gesamte Kirchensteuer von dem der steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehörenden alleinverdienenden Ehegatten an dessen Kirche zu entrichten.65 2. Das kirchliche Besteuerungsrecht bei glaubensverschiedenen Ehen

Nach dem Kirchensteuerrecht der Bundesrepublik Deutschland darf eine Religionsgemeinschaft innerhalb einer glaubensverschiedenen Ehe nur den ihr angehörenden Ehegatten besteuern. Daher ist die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes sowohl bei der Einkommen- als auch bei der Lohnsteuer bei glaubensverschiedenen Ehen unzulässig. Es gelten hier die folgenden Grundsätze: Gehört ein nicht dauernd ge62

BayVerfGH, Urt. vom 21. 7. 1970, in: BayVerfGH 23, S. 135 = KirchE 11,

s. 244.

63 BFH, Beschl. vom 2. 3. 1973, in: KirchE 13, S. 196; BFH, Urt. vom 1. 3. 1974, in: ZevKR 19 (1974), S. 365 =KirchE 14, S. 44; ebenso FG Baden-Württemberg, Urt. vom 22. 10. 1969, in: KirchE 11, S. 54. Anderer Ansicht, jedoch nicht überzeugend, Uwe Bäcker, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, Gerbrunn bei Würzburg 1980, S. 113 ff. 64 FG Nürnberg, Urt. vom 27. 6. 1972, in: KirchE 12, S. 513. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BFH (Beschl. vom 23. 6. 1973 - VI B 78172) zurückgewiesen. Hinweis in KirchE, ebd. Vgl. ferner BFH, Urt. vom 26. 9. 1979, in: KirchE 17, S. 314; ebenso die Vorinstanz, FG Nürnberg, Urt. vom 2. 12. 1976, in: KirchE 15, S. 421. 65 FG Baden-Württemberg, Urt. vom 17. 12. 1970, in: KirchE 11, S. 406; FG Baden-Württemberg, Urt. vom 21. 2. 1973, in: KirchE 13, S. 153.

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trennt lebender Ehegatte keiner umlageerhebenden Gemeinschaft an (glaubensverschiedene Ehe) so wird die Umlage in den Fällen der Getrenntveranlagung zur Einkommensteuer aus der Einkommensteuer des umlagepflichtigen Ehegatten, in den Fällen der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer für den umlagepflichtigen Ehegatten aus dem Teil der gemeinsamen Einkommensteuer erhoben, der auf diesen Ehegatten entfällt. Zur Feststellung des Anteils ist die für die Ehegatten veranlagte gemeinsame Einkommensteuer im Verhältnis der Einkommensteuerbeträge aufzuteilen, die sich bei Anwendung der für die getrennte Veranlagung geltenden Einkommensteuertabelle (Grundtabelle) auf die Einkünfte eines jeden Ehegatten ergeben würden. 66 Gehört ein Ehegatte keiner umlageerhebenden Gemeinschaft an (glaubensverschiedene Ehe), so wird die Kirchenlohnsteuer für den anderen Ehegatten nur aus der von diesem Ehegatten zu entrichtenden Lohnsteuer erhoben. 67 Es gilt hierbei somit der Grundsatz der strengen Individualbesteuerung. Zu den unbefriedigenden Ergebnissen führt das Verbot der Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes in glaubensverschiedenen Ehen in denjenigen Fällen, in denen sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einer steuererhebenden Kirche angehörenden Ehegatten dadurch erhöht hat, daß sein keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehörender Ehegatte ein hohes Einkommen bezieht. In diesen Fällen bleibt der über kein eigenes Einkommen verfügende kirchenangehörige Ehegatte von jeder Kirchensteuer frei. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb zur Vermeidung dieses unbilligen Ergebnisses die Anknüpfung der Kirchensteuer an solche Besteuerungsmerkmale empfohlen, die, wie etwa der Lebensführungsaufwand, in der Person des kirchenangehörigen Ehegatten gegeben sind. 68 Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluß vom 23. 10. 1986 die Anknüpfung der Kirchensteuer an einen typisierten Lebensführungsaufwand als sachgerecht beurteilt und zugleich entschieden, daß die Ausgestaltung dieser als "besonderes Kirchgeld" bezeichneten Kirchensteuerart im einzelnen nicht staatlicher Rechtsetzung vorbehalten bleiben müsse, sondern durchaus den Kirchen überantwortet werden könne. 69 Das Bundesverfassungsgericht hat die in Aussetzungs- und Vgl. z. B. § 9 Abs. 2 BayKiStG. Vgl. z. B. § 13 Abs. 3 BayKiStG 68 BVerfGE 19, S. 268 (282). 69 BVerfGE 73, S. 388 = NJW 1987, S. 943 = DVBl. 1987, S. 129 = ZevKR 33 (1988), S. 73 = EuGRZ 1987, S. 219. Kritisch zu dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, aber im Ergebnis nicht überzeugend, Wulf Damkowski, Kirchensteuer in glaubensverschiedenen Ehen, in: DÖV 1987, S. 705-714. Ge66 67

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Vorlagebeschlüssen des Bundesfinanzhofs vom 14. 12. 1983 enthaltenen Bedenken70 sowie die Rechtsauffassung des Gerichts im Ausgangsverfahren, des Finanzgerichts Hamburg, 71 für unbegründet erklärt. Auch zahlreiche andere Gerichte haben die Rechtsauffassung vertreten, daß die Heranziehung des in glaubensverschiedener Ehe lebenden Kirchenangehörigen zu einem besonderen Kirchgeld, das nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Ehegatten, d. h. nach einem pauschalierten Lebensführungsaufwand, berechnet wird, verfassungskonform ist. 72 Im übrigen ist bei glaubensverschiedenen Ehen wegen der Unzulässigkeit der Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes im Gegensatz zu den konfessionsverschiedenen Ehen die Kirchensteuer des der steuererhebenden Kirche angehörigen Ehegatten aus der allein für seine Person gegebenen Bemessungsgrundlage zu errechnen. 73 gen die Auffassung von Damkowski mit überzeugenden Argumenten Christian Kusche und Reiner Papenfuß, Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe. Eine Erwiderung auf den Aufsatz von Damkowski, DÖV 1987, S. 705, in: ZevKR 34 (1989), S. 39-48. Dieses besondere Kirchgeld ist nur in den Kirchensteuergesetzen der Länder Hessen, Rheinland-Pfalzund Schleswig-Holstein als besondere Art der Kirchensteuer erwähnt und neben dem in allen Kirchensteuergesetzen der Bundesländer vorgesehenen allgemeinen "Kirchgeld" im Katalog der Kirchensteuerarten aufgeführt. Eine praktische Bedeutung kommt dem "besonderen Kirchgeld" auch noch in Berlin und Harnburg zu, wo es als Unterfall des Kirchgeldes nach einem besonderen Tarif erhoben wird. Vgl. hierzu Giloy/ König, Kirchensteuerrecht (Anm. 7), S. 51 f. 70 Vgl. BVerfGE 73, S. 388 (398). n FG Hamburg, Urt. vom 24. 7. 1981, in: KirchE 19, S. 1. 72 BVerwG, Urt. vom 18. 2. 1977, in: BVerwGE 52, S. 104 =NJW 1977, S. 1304 = ZevKR 23 (1978), S. 289 = KirchE 16, S. 76. Hess. VGH, Urt. vom 28. 6. 1979 (rechtskräftig), in: KirchE 17, S. 253; Urt. vom 3. 5. 1973, in: ZevKR 20 (1975), S. 168 = KirchE 13, S. 239; Beschl. vom 1. 4. 1981, in: KirchE 18, S. 463 - die Nichtzulassungsbeschwerde und die Verfassungsbeschwerde der Kläger blieben erfolglos, diesbezüglicher Hinweis in: KirchE 18, S. 463; Beschl. vom 5. 8. 1983, in: KirchE 21, S. 212. VG Frankfurt, Urt. vom 12. 1. 1972, in: ZevKR 17 (1972), S. 306 = KirchE 12, S. 351. VG Kassel, Urt. vom 28. 3. 1972, in: KirchE 12, S. 402. OVG Berlin, Urt. vom 15. 6. 1973, in: ZevKR 19 (1974), S. 363 = KirchE 13, S. 287; Urt. vom 23. 11. 1973, in: KirchE 13, S. 379. VG Berlin, Urt. vom 2. 11. 1972, in: KirchE 13, S. 67; Urt. vom 7. 12. 1972, in: KirchE 13, S. 98; Urt. vom 23. 11. 1979, in: KirchE 17, S. 365. Schleswig-Holsteinisches VG, Urt. vom 29. 4. 1983, in: KirchE 21, S. 89; Urt. vom 2. 5. 1983 (1 A 13/81), in: KirchE 21, S. 100; Urt. vom 2. 5. 1983 (1 A 249/81), in: KirchE 21, S. 104. OVG Lüneburg, Urt. vom 19. 30. 1986-13 A 25/85 - (rechtskräftig), in: ZevKR 32 (1987), s. 193. 73 BFH, Urt. vom 1. 12. 1982, in: BFHE 137, S. 385 = KirchE 20, S. 223; OVG Lüneburg, Urt. vom 28. 8. 1980 (rechtskräftig), in: ZevKR 27 (1982), S. 190 = KirchE 18, S. 245. Vgl. hierzu Christian Meyer, Zur Ehegattenbesteuerung bei der Kirchensteuer, in: ZevKR 27 (1982), S. 171 ff.; OVG Lüneburg, Urt. vom

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Dies bedeutet, daß bei glaubensverschiedenen Ehen die Kircheneinkommensteuer in Bayern auch dann mit 8 v.H. aus der im Wege der Zusammenveranlagung festgesetzten Einkommensteuer erhoben werden kann, wenn in dem zu versteuernden Einkommen nur Einkünfte des umlagepflichtigen Ehegatten enthalten sind. 74 Wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einer am 14. 11. 1972 ergangenen Entscheidung festgestellt hat, ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, bei glaubensverschiedenen Ehen möglicherweise bestehende innerkirchliche Verpflichtungen zu berücksichtigen, die dem nicht verdienenden und einer nicht umlageberechtigten Religionsgemeinschaft angehörigen Ehegatten gegenüber seiner Religionsgemeinschaft obliegen. Es entbehrt nicht eines sachlichen Grundes, wenn der Gesetzgeber bei der Kircheneinkommensteuer, ausgehend vom Grundsatz der Individualbesteuerung, derartige Verpflichtungen nicht in seine Regelung mit einbezieht. 75 IV. Kirchensteuerarten

Die Kirchensteuern sind weithin als Zuschlagsteuer ausgebildet. Der staatliche Gesetzgeber stellt den steuerberechtigten Religionsgemeinschaften in den Kirchensteuergesetzen mehrere Maßstäbe für die Anknüpfung der Kirchensteuer zur Verfügung, nämlich die Einkommensteuer, diese auch in der Erhebungsform der Lohnsteuer, die Vermögensteuer und die Grundsteuer. Von der Möglichkeit des Maßstabes "Vermögensteuer" haben die evangelische und die katholische Kirche bisher keinen Gebrauch gemacht. Der Zuschlag zur Grundsteuer wird nicht in allen Bundesländern erhoben. Etwa 98 v.H. des Kirchensteueraufkommens entfallen auf den Zuschlag zur Einkommen- und Lohnsteuer. Daneben haben das allgemeine Kirchgeld, das als Ortskirchensteuer erhoben wird, und das besondere Kirchgeld aus haushaltsmäßiger Sicht eine relativ geringe Bedeutung. 76 24. 9. 1981, in: KirchE 19, S. 42; VG Stade, Urt. vom 11. 2. 1983, in: KirchE 21, S. 34; FG Baden-Württemberg, Urt. vom 27. 11. 1974, in: KirchE 14, S. 204; FG Baden-Württemberg, Urt. vom 13. 11. 1981, in: KirchE 19, S. 143; FG Bremen, Urt. vom 6. 11. 1975, in: KirchE 15, S. 99; FG Düsseldorf, Beschl. vom 16. 1. 1974, in: KirchE 14, S. 6; FG Köln, Urt. vom 13. 1. 1981, in: KirchE 18, S. 375; FG München, Urt. vom 27. 4. 1976- VII 13172- (rechtskräftig), in: EFG 1976, S. 406 =KirchE 15, S. 252. 74 FG Nürnberg, Urt. vom 27. 6. 1972, in: ZevKR 18 (1973), S. 286 =KirchE 12, s. 507. 75 BayVerfGH, Entscheidung vom 14. 11. 1972, in: ZevKR 19 (1974), S. 312 = KirchE 13, S. 74.

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1. Kirchensteuer vom Einkommen

Unter Bezugnahme auf die konstante Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 77 hat der Bundesfinanzhof durch Urteil vom 17. 9. 1974 festgestellt, daß ein Verstoß gegen die in Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses nicht darin liege, daß die

staatliche Gesetzgebung zur Beendigung der Kirchensteuerpflicht nur die Möglichkeit des Kirchenaustritts nach den geltenden Kirchenaustrittsgesetzen eröffne und daß ein solcher Kirchenaustritt stets mit

dem Ausscheiden aus der Religionsgemeinschaft verbunden sei. Gegenüber dem Vorbringen des Klägers, aus Art. 4 Abs. 1 GG folge, daß die Beendigung der Kirchensteuerpflicht auch ohne ein Ausscheiden aus der Religionsgemeinschaft selbst ermöglicht werden müsse, erklärte der Bundesfinanzhof, daß nicht nur Art. 4 Abs. 1 GG, sondern auch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WeimRV Bestandteil des Grundgesetzes sei. Eine Auslegung des Grundgesetzes könne sich nicht nur an einzelnen Bestimmungen orientieren, sondern müsse den Zusammenhang aller grundgesetzliehen Bestimmungen berücksichtigen.7s Auch der Auffassung des Klägers, daß eine Kirchensteuer nicht als Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben werden dürfe, sondern allein

an kirchlichen Maßstäben ausgerichtet sein müsse, hat der Bundesfinanzhof in dem einen Veräußerungsgewinn betreffenden Fall widersprochen. Der Gerichtshof erklärte hierzu unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 79 daß die landesrechtliehen Bestimmungen über die Erhebung von Kirchensteuern in Übereinstimmung mit den Verfassungsrechtssätzen, namentlich den Grundrechten des Grundgesetzes, stehen müßten. Der Landesgesetzgeber dürfe sich über das in diesen Verfassungsnormen zum Ausdruck kommende Wertsystem nicht hinwegsetzen. Weitere Einschränkungen bestünden vom Standpunkt des Grundgesetzes aus nicht. Insbesondere erfordere das Grundgesetz nicht, daß, wie der Klä-

76 Vgl. zum Ganzen Giloy I König, Kirchensteuerrecht (Anm. 7), S. 45; ferner Christian Meyer, Bemerkungen zur Akzessorietät der Kirchensteuer, in: ZevKR 16 (1971), s. 291 ff. 77 BVerfG, Urt. vom 14. 12. 1965 (1 BvR 413, 416/60), in: BVerfGE 19, S. 206 = KirchE 7, S. 338. Vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen von Joseph Listl, Rechtsnatur und Grenzen des kirchlichen Besteuerungsrechts, in: ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 217 ff. 78 BFH, Urt. vom 17. 9. 1974 (VI R 212/71), in: KirchE 14, S. 163 (165). 79 BVerfG, Urt. vom 14. 12. 1965 (1 BvL 31, 32/62), in: BVerfGE 19, S. 226 = KirchE 7, S. ,310.

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ger meine, die Kirchensteuer mit kirchenbezüglichen Erwägungen gerechtfertigt werden müßte. Derartige Erwägungen gehörten vielmehr dem Bereich an, den nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV jede Religionsgemeinschaft innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbst ordne und verwalte. Die Grenzen seien also nur durch die für alle geltenden Gesetze, das sei im Streitfall das Grundgesetz, gezogen. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Einkommensteuergesetzes über die steuerliche Erfassung von Veräußerungsgewinnen sei bisher nicht in Zweifel gezogen worden, jedenfalls soweit die Besteuerung der Veräußerungsgewinne vorgeschrieben werde. Das Bundesverfassungsgericht habe es im Gegenteil für verfassungswidrig angesehen, daß nach der Vorschrift des § 4 Abs. 1 letzter Satz EStG in der früher geltenden Fassung bei Land- und Forstwirten Gewinne aus Veräußerung von Grund und Boden nicht wie regelmäßig bei anderen Gewerbetreibenden zur Besteuerung herangezogen wurden. Im Streitfall sei die gegen den Kläger festgesetzte Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben worden. Soweit die der Kirchensteuer als Zuschlag zugrundeliegende Einkommensteuer auf einem Veräußerungsgewinn des Klägers beruhe, sei die Verfassungsmäßigkeit nicht zweifelhaft. Die hiervon als Zuschlag erhobene Kirchensteuer könne dann aber ebenfalls nicht gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen, da die Erhebung der Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer für sich allein nicht als grundgesetzwidrig angesehen werden könne. Diese Regelung füge sich, wie die Kirchengemeinde zutreffend hervorhebe, organisch in das allgemeine Steuersystem der Bundesrepublik Deutschland ein. Sie entspreche insbesondere den Erfordernissen einer einfachen und praktikablen Steuererhebung. 80 In einem ähnlich gelagerten weiteren Verfahren, in dem sich die Kläger gegen die von ihnen als verfassungswidrig, weil konfiskatorisch empfundene Gesamtsteuerbelastung wandten und eine Herabsetzung der Einkommensteuer, Kirchensteuer und Ergänzungsabgabe begehrten, erklärte der Bundesfinanzhof, daß das Vermögen des Steuerpflichtigen gegen die staatliche Auferlegung von Geldleistungspflichten einschließlich der öffentlichen Abgaben nicht geschützt sei, wenn die Steuer ihn nicht übermäßig belaste oder seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtige. Auch die Höhe der Besteuerung sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Insbesondere verstoße der Einkommensteuertarif nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Der Einkommensteuertarif sei nicht willkürlich gestaltet, sondern beruhe auf dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit. Das gelte auch für die von den Klägern als ungerechtfertigt empfundene Gesamtsteuerbelaso KirchE, 14, S. 165 f.

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stung. Rechtsgrundlage dieser Belastungen könnten alle Gesetze sein, die nach Art und Höhe der Einkünfte sach- und zweckgerecht differenzierten. Diese Voraussetzungen seien hinsichtlich der die Kläger belastenden Gesetze erfüllt. Dies gelte sowohl hinsichtlich des Ergänzungsabgabegesetzes als auch hinsichtlich der Bremischen Kirchensteuerordnung, die so lange Anwendung findet, als die Kläger der steuerberechtigten evangelischen Kirche angehörten. 81 2. Allgemeines Kirchgeld als Ortskirchensteuer

In sämtlichen Kirchensteuergesetzen ist gegenwärtig den Kirchen die Möglichkeit eingeräumt, als selbständige Steuerart neben der Kirchensteuer nach Maßgabe des Einkommens, des Vermögens oder des Grundbesitzes auch ein Kirchgeld zu erheben. Das Kirchgeld, das als Ortskirchensteuer eingehoben wird, hat grundsätzlich nicht den Charakter einer Mindestkirchensteuer mit der Folge, daß es nur zulässig wäre, wenn die Kircheneinkommensteuer oder die Kirchenlohnsteuer unter die Höhe des Kirchgeldes absinkt. Das Kirchgeld kann als fester Betrag oder gestaffelt erhoben werden. 82 Nach Art. 21 des bayerischen Kirchensteuergesetzes sind kirchgeldpflichtig alle über 18 Jahre alten Angehörigen der umlageberechtigten Religionsgemeinschaften mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Bezirk des gemeindlichen Steuerverbandes, wenn sie eigene Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, von mehr als jährlich 3600 DM haben. Nach Art. 22 Abs. 1 BayKiStG dürfen die gemeindlichen Steuerverbände das Kirchgeld im allgemeinen nur in einem für alle Pflichtigen gleich hohen Betrag erheben, der 3 DM nicht überschreiten darf. Mit Genehmigung des gemeinschaftlichen Steuerverbandes, d. h. der betreffenden Diözese oder der evangelischen Landeskirche, können sie jedoch durch Satzung ein höheres, nach den Einkünften und Bezügen im Sinne des Art. 21 Abs. 1 BayKiStG oder dem Einheitswert des Grundbesitzes zu staffelndes Kirchgeld bis zum Höchstbetrag von 30 DM erheben. Die Rechtsprechung hat die Erhebung dieses allgemeinen Kirchgeldes für zulässig und verfassungskonform erklärt. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 23. 9. 1969 sind die Erhebung von Kirchgeld neben der als Zuschlag zur Einkommensteuer erhobenen Kirchensteuer, die Staffelung des Kirchgeldes 81 BGH, Urt. vom 17. 2. 1976, in: BFHE 118, S. 221 =JuS 1976, S. 545 =KirchE 15, S. 220. 82 Vgl. hierzu Giloyl König, Kirchensteuerrecht (Anm. 7), S. 49.

48 Sbd. List!

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nach der Höhe des Jahreseinkommens mit einem Höchstbetrag von 30 DM bei einem Bruttojahreseinkommen von über 12 000 DM und die Veranlagung zum Kirchgeldaufgrund einer Schätzung des Jahreseinkommens nicht verfassungswidrig. 83 Im gleichen Sinne hat das Verwaltungsgericht Hannover durch Urteil vom 14. 6. 1971 festgestellt, daß die Erhebung des allgemeinen Kirchgeldes in der Form der Ortskirchensteuer nach Maßgabe der Grundsteuermeßbeträge neben der als Landeskirchensteuer erhobenen Kircheneinkommensteuer keine unzulässige Doppelbesteuerung darstellt. 84 Ebenso hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg durch Urteil vom 9. 11. 1976 festgestellt, daß die Erhebung von Ortskirchensteuer durch einzelne Kirchengemeinden nicht gegen den Gleichheitssatz verstößt und auch keine unzulässige Doppelbesteuerung darstellt. 85 Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß vom 4. Mai 1977 zurückgewiesen und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, daß die kumulative Erhebung der als Landeskirchensteuer erhobenen Kircheneinkommensteuer und des als Ortskirchensteuer erhobenen allgemeinen Kirchgeldes Bundesrecht auch dann nicht verletze, wenn es sich, wie die Beschwerde meine, faktisch um dieselbe Steuerart handele. 86 Bei Streitigkeiten über die Erhebung von Kirchgeld ist nach einer Feststellung des Verwaltungsgerichts Hannover vom 17. 7. 1979 die Klage auch dann gegen die Kirchengemeinde zu richten, wenn das Kirchgeld von der politischen Gemeinde festgesetzt und eingezogen wird. 87 3. Kirchengrundsteuer

Zur Frage der Zulässigkeit der Erhebung von Kirchengrundsteuer hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg durch Urteil vom 27. 5. 1971 festgestellt, daß die Heranziehung zur Kirchengrundsteuer in Höhe von 8 v.H. der Realsteuermeßbeträge im Landesteil Württem83 VG Kassel, Urt. vom 23. 9. 1969 (rechtskräftig), in: ZevKR 15 (1970), S. 282 =KirchE 11, S. 31. 84 VG Hannover, I. Kammer Osnabrück, Urt. vom 14. 6. 1971 (rechtskräftig), in: ZevKR 17 (1972), S. 177 =KirchE 12, S. 188. 85 OVG Lüneburg, Urt. vom 9. 11. 1976, in: ZevKR 24 (1979), S. 198 =KirchE 15, s. 403. 86 BVerwG, Beschl. vom 4. 5. 1977, in: BB 1977, S. 1752 =KirchE 16, S. 106. 87 VG Hannover, I. Kammer Osnabrück, Urt. vom 17. 7. 1979 (rechtskräftig), in: KirchE 17, S. 279.

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berg verfassungskonform ist. 88 Auch der Bundesfinanzhof hat durch Urteil vom 12. 1. 1973 entschieden, daß die Erhebung von Kirchensteuern nach den Grundsteuermeßbeträgen nur für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen - und nicht auch für das übrige Grundvermögen - neben einer Erhebung der Kirchensteuer vom Einkommen nicht der Bestimmung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Lande Nordrhein-Westfalen (KiStG) vom 30. 4. 1962 (GVBL NW 1962, S. 223) widerspricht und mit dem Grundgesetz vereinbar ist. 89 Eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG liege auch nicht darin, daß nur die evangelische und nicht auch die katholische Kirche von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, eine Kirchensteuer vom Grundbesitz zu erheben. 90 4. Kirchengewerbesteuer

Nach der Bestimmung des§ 12 des Gesetzes Nr. 587 über die Verwaltung von Kirchensteuern im Landesbezirk Württemberg vom 1. 4. 1952 (RegBL S. 33) waren die Landeskirchen und Kirchengemeinden u.a. zur Erhebung einer Kirchengewerbesteuer in Form eines Zuschlags zur Gewerbesteuer ermächtigt. Eine Klage gegen die Zulässigkeit dieser Kirchensteuerart hatte das zuständige Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg das Verfahren ausgesetzt, um durch Vorlagebeschluß vom 15. 7. 1971 eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob die genannte Bestimmung des Gesetzes über die Verwaltung von Kirchensteuern im Landesbezirk Württemberg insoweit das Grundgesetz verletze, als hier nach Landesrecht die Kirchengemeinden ermächtigt werden, einen Zuschlag zur Gewerbesteuer in einem Hundertsatz der Realsteuer-Meßbeträge zu erheben. 91 Der Gerichtshof erblickte in der Erhebung einer Kirchengewerbesteuer einen Verstoß gegen die Art. 2 und 3 GG. Gewerbesteuer stelle sich als eine reine Objektsteuer dar, die als Ausgleich für die Aufwendungen erhoben werde, die den Gemeinden aus dem Vorhandensein der Gewerbebetriebe erwachsen. Eine reine Objektsteuer, die eine gebührenähnliche Gegenleistung beinhalte, eigne sich aber nicht zur An88

12,

VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 27. 5. 1971 (rechtskräftig), in: KirchE

s. 174.

89 BFH, Urt. vom 12. 1. 1973, in: BFHE 108, S. 464 = ZevKR 19 (1974), S. 318 =KirchE 13, S. 120. 90 BFH, in: KirchE 13, S. 120 (128). 91 VGH Baden-Württemberg, Vorlageschluß vom 15. 7. 1971 (Az.: V 750/71), in: ZevKR 17 (1972), S. 312 =KirchE 12, S. 264.

48•

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knüpfung einer Kirchensteuer unter Verwendung derselben Besteuerungsgrundlagen. Die Kirchensteuer sei ihrem Wesen nach eine Personalsteuer. Die Realbesteuerung natürlicher Personen für ihren Gewerbebetrieb verletze unter verschiedenen Rücksichten die verfassungsrechtlich verbürgte Gleichbehandlung und habe daher, wie der Verwaltungsgerichtshof überzeugend feststellte, die Berechtigung verloren.92 Dieser Aussetzungs- und Vorlagebeschluß vom 15. 7. 1971 wurde von dem später zuständigen 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch Beschluß vom 29. 9. 1977 aufgehoben. In dem unter dem Aktenzeichen II 858177 weitergeführten Verwaltungsstreitverfahren erreichte der Kläger, daß das vorinstanzliehe Urteil abgeändert und die angefochtenen Beschlüsse auch insoweit aufgehoben wurden, als diese dem Kläger eine Kirchengewerbesteuer auferlegten. Der Senat begründete seine Entscheidung vom 15. 6. 1978 damit, daß die beklagte Kirchengemeinde nicht entsprechend den Anforderungen des § 17 des Gesetzes über die Kirchen vom 3. 3. 1924- KiG- (Reg.B. S. 93) zur Überzeugung des Senats nachzuweisen vermochte, daß bei ihr in den Jahren 1956 bis 1961 ein Bedürfnis für die Erhebung der Kirchengewerbesteuer bestanden hat. 93 Inzwischen wird auch in Baden-Württemberg eine Kirchengewerbesteuer nicht mehr erhoben. Das geltende Gesetz über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg i.d.F. vom 15. 6. 1978 (GVBL 1978, S. 370) sieht die Möglichkeit der Erhebung einer Kirchengewerbesteuer nicht mehr vor. V. Kirchenlohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber 1. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs

Das in sämtlichen Kirchensteuergesetzen vorgesehene und in sämtlichen Bundesländern praktizierte Kirchenlohnsteuerabzugsverfahren, nach dem der Arbeitgeber die Kirchensteuer der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer zu berechnen, einzubehalten, an die zuständige Finanzbehörde abzuführen und für die Einbehaltung und Abführung zu haften hat, war hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit längere Zeit Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen. 94 Ein beVgl. im einzelnen VGH Baden-Württemberg, in: KirchE 12, S. 269 f. VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 15. 6. 1978- Az.: II 858177- (rechtskräftig), in: KirchE 16, S. 428. 92 93

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deutsames rechtliches Dokument hierfür ist der Beschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt a.M. vom 7. 11. 1969, das Verfahren auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 11 GG einzuholen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hielt die den Kirchenlohnsteuerabzug regelnde Bestimmung des § 9 Abs. 2 Hess. KiStG wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG für nichtig. Das Verwaltungsgerichterblickte die Verfassungswidrigkeit des Kirchenlahnsteuerabzugs darin, daß die Arbeitgeber damit zwangsläufig im partikularen Interesse der Religionsgemeinschaften mit Mehrarbeit und zusätzlichen Kosten belastet würden. 95 Wegen Rücknahme der Klage im verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren gelangte die Richtervorlage nicht zur Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht. 96 In der Folgezeit wurden mehrere Gerichte mit der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs befaßt. Durch Beschluß vom 17. 2. 1977 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Finanzgerichts Harnburg vom 23. 2. 1973 97 und das diese Entscheidung bestätigende Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. 10. 1975 98 mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in diesem Beschluß die Verpflichtung des Arbeitgebers, für seine Arbeitnehmer die Kirchenlohnsteuer einzubehalten und abzuführen, sowie die Haftung bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung für verfassungskonform. 99 94 Zur früheren Rechtsprechung und zu den Auseinandersetzungen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs vgl. Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 1), S. 241 ff.; über die gegenwärtige Rechtslage vgl. bei v. Campenhausen, Staatskirchenrecht (Anm. 7), S. 169 ff.; vgl. ferner Axel Frhr. v. Campenhausen I Theodor Maunz I Ulrich Scheuner I Herbert Scholtissek, Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuer. Vier Rechtsgutachten zur Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 2), Berlin 1971; Johannes Hofmann, Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuer. Zur Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit, Jur. Diss., Freiburg I Br. 197 3. 95 VG Frankfurt a.M., Aussetzungs- und Vorlagebeschluß vom 7. 11. 1969 (Az.: IIV2- E 128169), in: KirchE 11, S. 64. 96 Über die rechtshistorisch und prozeßrechtlich interessanten Hintergründe dieser Klagerücknahme vgl. den Beitrag von Axel Frhr. v. Campenhausen, Normenkontrollverfahren und öffentliches Interesse, in: Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag am 1. September 1971, München 1971, S. 27 ff. 97 FG Harnburg Urt. vom 23. 2. 1973, in: KirchE 13, S. 166. 98 BFH, Urt. vom 24. 10. 1975, in: BFHE 117, S. 338 = ZevKR 21 (1976), S. 284 =KirchE 15, S. 81. 99 BVerfG, Beschl. vom 17. 2. 1977 (Az.: 1 BvR 33176), in: BVerfGE 44, S. 103 = DÖV 1977, S. 447 = EuGRZ 1977, S. 176 = ZevKR 22 (1977), S. 428 = NJW 1977, S. 1282 =KirchE 16, S. 75.

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In einer weiteren, gleichfalls am 17. 2. 1977 ergangenen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 18. 12. 1973 100 und den Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 20. 6. 1974 101 gerichtete Verfassungsbeschwerde ebenfalls mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen und die Verpflichtung des Arbeitgebers, für seine Arbeitnehmer Kirchenlohnsteuer einzubehalten und abzuführen, sowie die Haftung bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung auch im Falle der vereinfachten Pauschalbesteuerung für verfassungskonform erklärt.102 Das Finanzgericht Harnburg hat in einem Urteil vom 23. 5. 1978 entschieden, daß der Arbeitgeber, der aufgrundvon Steuerpauschalierung Schuldner der Lohnsteuer ist, auch verpflichtet ist, die Lohnkirchensteuer abzuführen. 103 Für Streitigkeiten wegen der Haftung für Kirchenlohnsteuer ist im Lande Hessen nicht der Finanzrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben.104 2. Betriebsstätten- und Wohnsitzbesteuerung

Ein besonderes steuerrechtliches Problem kann sich bei der Einbehaltung der Kirchensteuer durch den Arbeitgeber insofern ergeben, als die Betriebsstätte und der Wohnort des Arbeitnehmers in verschiedenen Ländern liegen und deshalb der Kirchensteuerhebesatz an der Betriebsstätte höher oder niedriger als am Wohnort des Steuerpflichtigen sein kann. Die Rechtsprechung der in den einzelnen Bundesländern hierfür jeweils zuständigen Gerichte hat diese Frage übereinstimmend dahin gehend entschieden, daß die Höhe der Kirchensteuererhebung sich jeweils nach dem Wohnsitz des Steuerpflichtigen richtet und daß eine nach diesem Maßstab zu hohe oder zu niedrige Besteuerung beim FG Nürnberg, Urt. vom 18. 12. 1973, in: KirchE 13, S. 436. BFH, Beschl. vom 20. 6. 1974, in: KirchE 14, S. 92. 1o2 BVerfG, Beschl. vom 17. 2. 1977 (Az.: 1 BvR 343174), in: DÖV 1977, S. 448 = EuGRZ 1977, S. 176 = ZevKR 22 (1977), S. 430 =KirchE 16, S. 73. 1oa FG Hamburg, Urt. vom 23. 5. 1978, in: KirchE 16, S. 398. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil wurde vom BFH durch Beschluß vom 30. 3. 1979 (Az.: VI B 87178) verworfen. Diesbezüglicher Hinweis in KirchE 16, S. 398. Zu dieser Problematik vgl. ferner die Untersuchung von Klaus J. Wagner, Die Pauschalierung der Lohn- und Lohnkirchensteuer (=Der Rechts- und Steuerdienst. Kölner Schriftenreihe zeitnaher rechtswissenschaftlicher Abhandlungen, Heft 66), Köln 1988; sowie ferner die Rezension dieser Arbeit durch Christian Meyer, in: ZevKR 34 (1989), S. 104-108 m.w.N. 104 Hess. FG, Beschl. vom 18. 7. 1974, in: EFG 1974, S. 535 =KirchE 14, S. 89. 100 101

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Lohnabzug an der Betriebsstätte durch Erstattung bzw. Nacherhebung ausgeglichen wird. 105 Weicht der Kirchensteuer-Hebesatz am Dienstort eines Bundeswehrangehörigen von demjenigen am Sitz des zuständigen Wehrbereichsgebührnisamtes ab, so ist nach einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. 11. 1973 der Dienstherr nicht aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet, dem Bediensteten durch Überleitung des Besoldungsvorgangs an das für den Dienstort zuständige Wehrbereichsgebührnisamt den jährlich erforderlichen Antrag auf Erstattung zuviel gezahlter Kirchensteuer zu ersparen. Der Soldat darf auf den ihm gegenüber der kirchensteuerberechtigten Religionsgemeinschaft seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zustehenden Anspruch auf Erstattung der am Ort der Betriebsstätte zuviel erhobenen Kirchensteuer verwiesen werden. 106 VI. Kirchensteuererhebungsverfahren und Kirchensteuerverwendung 1. Gesetzmäßigkeit der Kirchensteuerbeschlüsse

Gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WeimRV sind diejenigen Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, berechtigt, von ihren Gläubigen "nach Maßgabe der landesrechtliehen Bestimmungen Steuern zu erheben". Diese staatsgesetzliehen Bestimmungen bilden den Rahmen, den die Kirchen mit ihren eigenen Steuervorschriften, d. h. mit ihren Steuerordnungen und Kirchensteuerbeschlüssen, ausfüllen. Die Kirchensteuerordnungen müssen sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten. Die Kirchensteuerordnungen und die Kirchensteuerbeschlüsse bedürfen nach der staatlichen Anerkennung der Bekanntmachung. Wie der Bundesfinanzhof im Falle der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in einem Urteil vom 19. 8. 1969 entschieden hat, sind die von 105 VG Stade, Urt. vom 21. 7. 1983, in: KirchE 21, S. 177. Die Revision des Klägers wurde durch Urteil des BVerwG vom 23. 5. 1986 (Az.: 8 C 47/84; unveröffentlicht) zurückgewiesen (diesbezüglicher Hinweis in KirchE 21, S. 177); ebenso FG Münster, Urt. vom 23. 4. 1971 (rechtskräftig), in: KirchE 12, S. 120; VG Hannover, Urt. vom 12. 11. 1974 (rechtskräftig), in: KirchE 14, S. 182; VG Frankfurt a.M., Urt. vom 13. 3. 1980 (rechtskräftig), in: KirchE 18, S. 63. Anderer Auffassung lediglich VG Berlin, Urt. vom 24. 2. 1972, in: KirchE 12, S. 372; diese Entscheidung wurde jedoch durch Urt. des OVG Berlin vom 18. 7. 1973 aufgehoben (diesbezüglicher Hinweis in KirchE 12, S. 373). 106 BayVGH, Urt. vom 9. 11. 1973 (rechtskräftig), in: BayVBl. 105 (1974), S. 163 = ZevKR 20 (1975), S. 163 = VerwRspr. 25 (1974), S. 928 = KirchE 13, s. 365.

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den Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft an diese geleisteten Beiträge keine Kirchensteuer i.S. von§ 10 Abs. 1, 4 EStG, wenn eine Religionsgemeinschaft, die als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt ist, ihre "Steuer"-Beschlüsse nicht den entsprechenden Landesgesetzen gemäß durch staatliche Organe hat genehmigen lassen. 107 Die Kirchensteuerordnungen müssen den Anforderungen des Hechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens, und hier insbesondere dem Grundsatz der Bestimmtheit und der Tatbestandsmäßigkeit, entsprechen. Dies bedeutet, daß steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, daß der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann. 108 Der Beschluß, durch den die zuständige kirchliche Stelle den Steuersatz festlegt, darf nach hessischem Kirchensteuerrecht nur für einen begrenzten Zeitraum, d. h. für ein Rechnungsjahr oder für mehrere Rechnungsjahre, nicht jedoch für einen unbegrenzten Zeitraum erlassen werden. 109 Ist ein Ortskirchensteuerbeschluß nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden, entbehrt er der rechtlichen Grundlage und ist daher nicht rechtswirksam geworden. 110 2. Verwendung der Kirchensteuer

Über die Verwendung der Kirchensteuermittel bestimmen die Kirchen aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts unabhängig vom Staat. Kirchensteuerbeschlüsse können von staatlichen Gerichten nur unter der Rücksicht rechtlich überprüft werden, ob sie sich in dem verfassungsrechtlich gesteckten Rahmen halten und ob sie innerhalb der von der Kirche selbst gesetzten Normen zustande gekommen sind. In dieser Hinsicht hat in einem hessischen Fall das Verwaltungsgericht Darmstadt durch Urteil vom 12. 2. 1974 entschieden, daß die Beschlüsse der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zur Unterstützung des sog. Anti-Rassismus-Programms des Ökumenischen Rates ordnungsgemäß zustande gekommen seien und daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegneten. 111 BFH, Urt. vom 19. 8. 1969, in: KirchE 11, S. 6. VG Kassel, Urt. vom 4. 11. 1969, in: KirchE 11, S. 59. 109 VG Frankfurt a.M., Urt. vom 16. 9. 1970, in: ZevKR 17 (1972), S. 172 = KirchE 11, S. 280. uo VG Braunschweig, I. Kammer Lüneburg, Urt. vom 31. 7. 1969 (rechtskräftig), in: KirchE 11, S. 239. Zur Frage der Wirksamkeitserfordernisse für einen Ortskirchensteuerbeschluß vgl. ferner OVG Lüneburg, Urt. vom 9. 11. 1976 -VIII OVG A 147175- (rechtskräftig), in: KirchE 15, S. 406. m VG Darmstadt, Urt. vom 12. 2. 1974 (rechtskräftig), in: KirchE 14, S. 13. Vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urt. vom 30. 5. 1979 (rechtskräftig), in: KirchE 17, S. 244, unten, bei Anm. 134. 101

1oa

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3. Höchstbetragsbegrenzung ("Kappung") der Kirchensteuer

Die in sechs Bundesländern bestehende sog. Kirchensteuerkappung bedeutet eine Begrenzung der Kirchensteuer nach dem Maßstab der Einkommensteuer auf einen bestimmten Hundertsatz des zu versteuernden Einkommens. Diese Begrenzung kann zu einer Unterschreitung der sich bei Anwendung des geltenden Zuschlagsatzes zur Einkommensteuer ergebenden Kirchensteuern führen. Beim Überschreiten eines bestimmten Einkommens, der sog. "Kappungsschwelle", tritt ein Steuervorteil ein. Der Hundertsatz des zu versteuernden Einkommens bleibt nämlich unabhängig von der Höhe des zu versteuernden Einkommens stets unverändert, während die Kirchensteuer nach dem Maßstab der Einkommensteuer und dem Progressionstarif steigt. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz wurden gegen die Kirchensteuerkappung vielfach verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. 112 Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 20. 1. 1972 bestehen gegen die sog. Kappung der Kirchensteuer auf höchstens 4 %des steuerpflichtigen Einkommens keine verfassungsrechtlichen Bedenken. 113 Für den Bereich des Saarlandes, in dem die Möglichkeit der Kappung der Kirchensteuer nicht besteht, hat das Finanzgericht Saarland auf eine Klage hin entschieden, daß eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht darin liege, daß in einigen Bundesländern die Möglichkeit der Kappung gegeben sei, während in anderen Bundesländern diese Möglichkeit nicht bestehe. Nur wenn sich das Fehlen einer Höchstbetragsbegrenzung (Kappung) der Kirchensteuer als Gesetzeslücke in der kirchlichen Steuerordnung erweise, komme im Hinblick auf etwaige, dem Steuerpflichtigen günstigere Regelungen in anderen Kirchen ein teilweiser Steuererlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen in BetrachtY4 Nach einem Urteil des Finanzgerichts Harnburg haben Steuervergünstigungen nach §§ 16, 17 des BerlinFörderungsgesetzes keine Auswirkungen auf die Kirchensteuer, wenn diese gekappt und nach einem Vomhundertsatz des zu versteuernden Einkommens berechnet wird. 115 Die für den Unterhalt eines Kindes gemäߧ 51 a EStG gewährte kirchensteuerliche Entlastung darf geringer ausfallen, wenn bei einem Steuerpflichtigen die Voraussetzungen der Kappung vorliegen. 116 Vgl. zum Ganzen Giloy I König, Kirchensteuerrecht (Anm. 7), S. 102 ff. m VG Braunschweig, I. Kammer Lüneburg, Urt. vom 20. 1. 1972 (rechtskräftig), in: ZevKR 18 (1973), S. 284 =KirchE 12, S. 366. 114 FG Saarland, Urt. vom 23. 6. 1978 (rechtskräftig), in: KirchE 16, S. 434. 115 FG Hamburg, Urt. vom 6. 2. 1980 -IV 179178 - (rechtskräftig), in: KirchE 18, s. 7. 112

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Kirchliches Wirken 4. Gemeinsamer Kirchensteuerfonds in Niedersachsen

Im Land Niedersachsen besteht im Hinblick auf das Verfahren der Einziehung und Verteilung der Kirchensteuer die Besonderheit, daß die Kirchensteuern von den einzelnen Steuerpflichtigen nicht unmittelbar an die erhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften fließen, sondern zunächst in einem gemeinsamen Fonds aller erhebungsberechtigten Religionsgemeinschaften gesammelt und sodann nach einem Schlüssel auf die einzelnen Religionsgemeinschaften verteilt werden. Das Verwaltungsgericht Hannover, 117 das Oberverwaltungsgericht Lüneburg118 und das Bundesverwaltungsgericht 119 haben hierzu übereinstimmend entschieden, daß die in Niedersachsen geltende vertragskirchenrechtliche Regelung, wonach das gesamte Kirchensteueraufkommen zunächst einem Sonderkonto zugeführt und dann nach einem von den steuererhebenden Religionsgemeinschaften vereinbarten Schlüssel verteilt wird, mit dem geltenden Recht in Einklang steht. 5. Die ZwölfteJung der Kircheneinkommensteuer bei Kirchenaustritten

Tritt ein Kirchensteuerpflichtiger im Lauf des Steuerjahres aus seiner steuererhebenden Kirche aus, so gilt allgemein der Grundsatz, daß der auf die Zeit der Umlagepflicht entfallende Einkommensteuerbetrag als Maßstabsteuer durch die sog. Zwölftelung der Jahreseinkommensteuer zu ermitteln ist. 120 Ein Problem ergibt sich hierbei in denjenigen Fällen, in denen nach der Erklärung des Kirchenaustritts ein einmaliger Gewinn, z. B. aus Veräußerung eines Grundstücks, anfiel. Hierzu entschied das Verwaltungsgericht Hannover in einem Urteil vom 22. 1. 1974, daß die zwingende Regelung des § 3 Abs. 1 der Niedersächsischen Kirchensteuerdurchführungsverordnung es verbiete, bei der Ermittlung von Kirchensteuervorauszahlungen einen nach dem Kirchenaustritt erzielten einmaligen Gewinn außer Betracht zu lassen. 121 116 FG Hamburg, Urt. vom 6. 2. 1980- IV 180178- (rechtskräftig), in: ZevKR 26 (1981), S. 372 =KirchE 18, S. 9. 117 VG Hannover, VII. Kammer Hannover, Urt. vom 22. 10. 1975, in: KirchE 15, s. 67. 11s OVG Lüneburg, Urt. vom 23. 3. 1978, in: KirchE 16, S. 351. 119 BVerwG, Beschl. vom 9. 8. 1978 (Az.: 7 B 143. 78), in: KirchE 17, S. 23. Vgl. auch den im wesentlichen gleichlautenden Parallelbeschluß des BVerwG vom 9. 8. 1978 (Az.: 7 B 139, 142.78), in: ZevKR 25 (1980), S. 87. 12o BFH, Urt. vom 24. 10. 1975, in: KirchE 15, S. 74; VG Hannover, I. Kammer Hildesheim, Urt. vom 6. 2. 1980, in: KirchE 18, S. 10; Schleswig-Holst. VG, Urt. vom 25. 2. 1983, in: KirchE 21, S. 45. ·

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Das Finanzgericht Nürnberg entschied in einem ähnlichen Fall durch Urteil vom 22. 1. 1981, daß der Grundsatz der Zwölftelung nur für ein während des ganzen Kalenderjahres etwa gleichbleibend erzieltes Einkommen gelte. Ausscheidbare, insbesondere getrennt von der laufenden Einkommensteuer ausgewiesene Einkünfte, die nach Beendigung des umlagepflichtigen Zeitraums erzielt worden seien, dürften nicht in Ansatz gebracht werden. 122 Das Bundesverwaltungsgericht erklärte zu dem vom Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht am 25. 2. 1983 entschiedenen Fall 123 in einem am 12. 2. 1988 ergangenen Urteil die für das Kalenderjahr des Kirchenaustritts erfolgte Festsetzung der Kirchensteuer vom Einkommen nach der sog. Zwölftelungsmethode für mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG sowie mit Art. 4 Abs. 1 GG vereinbar. Eine durch Anwendung der Zwölftelungsmethode im Einzelfall ausnahmsweise eintretende Sachwidrigkeit der Besteuerung müsse durch die Gewähung eines Billigkeitserlasses ausgeräumt werden. 124 Übereinstimmend mit dem Bundesverwaltungsgericht erklärte auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einer am 4. 10. 1988 ergangenen Entscheidung, daß der Normgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert sei, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung typisierende und generalisierende Regelungen zu treffen. Führe die sog. Zwölftelungsregelung bei der Berechnung und Erhebung der Kircheneinkommensteuer gemäß § 5 der Allsführungsverordnung zum Kirchensteuergesetz zu ungewöhnlichen Härten im Einzelfall, könne unter Umständen nur eine hiervon abweichende Billigkeitsentscheidung verfassungskonform sein. 125 6. Entlastungsbeträge für Kinder gemäß § 51 a EStG

Umstritten war auf dem Gebiete des Kirchensteuerwesens längere Zeit die Frage, ob in denjenigen Fällen, bei denen bei der Festsetzung der Kirchensteuer Beträge für Unterhaltsleistungen an Kinder von der Einkommensteuer als Maßstab abzurechnen sind, eine solche Vergünstigung bei geschiedener Ehe auch dem nicht sorgeberechtigten, aber unterhaltleistenden Elternteil zustehe. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte durch Urteil vom 25. 6. 1981 entschieden, daß ein 121 VG Hannover, I. Kammer Osnabrück, Urt. vom 22. 1. 1974 (rechtskräftig), in: KirchE 14, S. 8. 122 FG Nürnberg, Urt. vom 22. 1. 1982 (rechtskräftig), in: KirchE 18, S. 385. 123 Vgl. oben, Anm. 120. 124 BVerwG, Urt. vom 12. 2. 1988, in: BVerwGE 79, S. 62 = NJW 1988, S. 1804. 125 BayVerfGH, Entscheidung vom 4. 10. 1988, in: BayVBl. 1989, S. 11.

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Anspruch auf eine solche Vergünstigung bei geschiedener Ehe dem nicht sorgeberechtigten, aber unterhaltleistenden Elternteil vom Steuerjahr 1978 an im Unterschied zur früheren Rechtslage nicht mehr zustehe. 126 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt a.M. und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs127 bestätigt und durch Urteil vom 16. 80. 1985festgestellt, daß die Regelung des§ 2 Abs. 2 Hess. KiStG, welche den geschiedenen Elternteil, dem sein Kind nicht zugeordnet wurde und der seiner Unterhaltszahlungspflicht für das Kind nachkommt, von den Abzugsbeträgen des § 51 a EStG ausschließt, für den Veranlagungszeitraum 1978 den Gleichheitssatz nicht verletzt. 128 Nach einer Entscheidung des Finanzgerichts Harnburg darf die für den Unterhalt eines Kindes gewährte kirchensteuerliche Entlastung geringer ausfallen, wenn bei dem Steuerpflichtigen die Voraussetzungen der Kirchensteuerkappung vorliegen. 129 7. Pauschalierung der Kirchensteuer

Wie der Bundesfinanzhof durch Beschluß vom 20. 6. 1974 entschieden hat, ist bei der Beschäftigung von Aushilfskräften, wenn der Arbeitgeber die pauschale Besteuerung des Arbeitnehmers beantragt hat, die Kirchenmitgliedschaft des Arbeitnehmers bei der Lohnsteuer- und Lohnkirchensteuer-Pauschalierung nicht zu berücksichtigen. 130 Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 17. 2. 1977 mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen.131 126 VG Frankfurt a.M., Urt. vom 25. 6. 1981, in: KirchE 18, S. 504; ferner VG Berlin, Urt. vom 31. 7. 1981, in: KirchE 19, S. 9. 127 Hess. VGH, Urt. vom 28. 3. 1984 (V OE 130/81), unveröffentlicht, Hinweis in: KirchE 18, S. 504. 12s BVerwG, Urt. vom 16. 8. 1985, in: BVerwGE 72, S. 69 =NJW 1986, S. 736. Vgl. eine ähnlich gelagerte Entscheidung des BVerwG vom selben Tag in: FamRZ 1985, S. 1254 = ZevKR 31 (1986), S. 244. 129 Vgl. oben, Anm. 116. 130 BFH, Beschl. vom 20. 6. 1974, in: KirchE 14, S. 92. Darüber, daß begründete Bedenken gegen eine Pauschalierung von Kirchenlohnsteuerforderungen nicht erhoben werden können, vgl. die überzeugenden Ausführungen bei Christian Starck, Rechtliche Grundlagen der Pauschalierung von Kirchenlohnsteuerforderungen, in: Deutsches Steuerrecht 1989, S. 3-10, mit zahlr. weiteren Nachweisen; a.A. Friedrich Sterner, Pauschale Kirchensteuer in Niedersachsen, ebd., S. 11-15. Vgl. auch oben bei Anm. 102 f. 131 BVerfG, Beschl. vom 17. 2. 1977 (1 BvR 343174), in: DÖV 1977, S. 448.

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8. Kirchensteuererstattung

Im Hinblick auf den Anspruch auf Erstattung von Kirchensteuern hat das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß vom 9. 6. 1978 entschieden, daß die infolge Nichtanfechtung eingetretene Bestandskraft des vom Finanzamt erteilten Kirchensteuerbescheides den Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht erhobener Kirchensteuer nicht konsumiert, sofern dieser Anspruch noch nicht verjährt ist. 132 Vll. Rechtswegfragen und Rechtsmittel 1. Rechtswegfragen

Bei der Ausgestaltung des Rechtsweges gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer sind nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik verschiedene Wege beschritten worden. Die Bundesländer Berlin, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben den Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten eröffnet; die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und das Saarland haben den Finanzrechtsweg für zulässig erklärt. 133 Wenn die Kirchensteuer durch die Kirche selbst verwaltet wird, ist in Baden-Württemberg und Bremen jedoch der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Kein Rechtsweg zu staatlichen Gerichten ist eröffnet bei Streitigkeiten über die Zuweisung von Finanzmitteln an einzelne Kirchengemeinden oder Gemeindeverbände. Derartige Streitigkeiten unterliegen ausschließlich innerkirchlichen Entscheidungen mit der Folge, daß ein von staatlichen Gerichten überprüfbarer Akt öffentlicher Gewalt i.S. des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vorliegt. Wie das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hierzu zutreffend entschieden hat, würde eine Unterwerfung der kirchlichen Maßnahmen betreffend die Verteilung des Steueraufkommens unter die staatliche Rechtsprechung die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt verletzen. 134 Eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ist gegeben in Berlin für Kirchensteuersachen, einschließlich der Rechtsstreitigkeiten über Aufrechnung von Kirchensteuern, 135 in Niedersachsen bei HaftungssaBVerwG, Beschl. vom 9. 6. 1978, in: KirchE 16, S. 422. Vgl. hierzu Engelhardt, Die Kirchensteuer (Anm. 7), S. 201 ff.; Giloyl König, Kirchensteuerrecht (Anm. 7), S. 144 ff. 134 OVG Lüneburg, Urt. vom 30. 5. 1979 (rechtskräftig), in: KirchE 17, S. 244. Vgl. hierzu auch VG Darmstadt, Urt. vom 12. 2. 1974, oben, bei Anm. 111. 135 FG Berlin, Urt. vom 10. 2. 1976 (rechtskräftig), in: KirchE 15, S. 214. 132 133

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chen wegen Kirchenlohnsteuer, 136 in Schleswig-Holstein wegen Einkommen- und Lohn-Kirchensteuersachen. 137 Ebenso ist im Lande Niedersachsen auch in denjenigen Fällen, in denen das Finanzamt in einer Kirchensteuersache, für die nicht das Finanzamt, sondern die Kirchenbehörde zuständig ist, einen Bescheid erläßt, dieser Bescheid nicht im Finanzrechtsweg, sondern im allgemeinen Verwaltungsrechtsweg anfechtbar.138 Dagegen ist im Land Bremen in einem Verfahren über den Erlaß von Kirchensteuer der Finanzrechtsweg gegebe:Q.. Die Verwaltung der Kirchensteuer durch Landesfinanzbehörden schließt deren Recht und Pflicht ein, über Anträge auf Erlaß in eigener Zuständigkeit zu entscheiden. Die Erlaßbefugnis der Finanzbehörden besteht unabhängig davon, ob nur der Erlaß von Kirchensteuer oder daneben auch der Erlaß von Einkommensteuer begehrt wird. 139 Der Bundesfinanzhof hat diese Entscheidung des Finanzgerichts Bremen durch Urteil vom 24. 10. 1975 aufgehoben. Erläßt im Lande Bremen das Finanzamt einen Bescheid in einer Kirchensteuererlaßsache, für den nicht das Finanzamt, sondern die Kirchenbehörde zuständig ist, so ist, soweit die Aufhebung des Bescheides begehrt wird, der Finanzrechtsweg gegeben. 140 2. Rechtsmittel

Im Falle einer glaubensverschiedenen Ehe, in dem der kirchenangehörige Ehegatte nach Maßgabe der Bestimmungen des niedersächsischen Kirchensteuerrahmengesetzes vom Finanzamt zur Kirchensteuer herangezogen worden war, hatte dieser dagegen Widerspruch erhoben mit der Begründung, diese Regelung verstoße gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und beeinträchtige sein Grundrecht der Glaubensfreiheit. Da seine Ehefrau einen eigenen Kirchenbeitrag entrichte, werde er im Vergleich zu Ehegatten, die verschiedenen Landeskirchen oder steuererhebenden Religionsgemeinschaften angehören und nach dem Halbteilungsgrundsatz besteuert werden, ungleich stärker belastet. Das Verwaltungsgericht Braunschweig wies den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den EinkommenNiedersächs. FG, Urt. vom 18. 9. 1973, in: KirchE 13, S. 351. Schleswig-Holst. FG, Urt. vom 13. 12. 1978 (rechtskräftig), in: KirchE 17, S.134. 138 Niedersächs. FG, Urt. vom 9. 7. 1980 (rechtskräftig), in: KirchE 18, S. 214. 139 FG Bremen, Urt. vom 8. 12. 1971, in: ZevKR 18 (1973), S. 417 =KirchE 12, s. 340. 140 BFH, Urt. vom 24. 10. 1975, in: KirchE 15, S. 71. 136 137

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und Kirchensteuerbescheid des Finan,zamts mangels einer überwiegenden Erfolgsaussicht der Klage zurück. 141 Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hat das Finanzamt für den Fall, daß die Kirchensteuerbehörde das Bestehen der Kirchensteuerpflicht unanfechtbar feststellt, ohne eigene Prüfung von dieser Tatsache auszugehen. Die Entscheidung der kirchlichen Steuerbehörde stehe zu dem die Kirchensteuer einschließenden Steuerbescheid des Finanzamts in dem gleichen Verhältnis wie ein Feststellungsbescheid zum Veranlagungsbescheid. Die spätere Berichtigung des Steuerbescheides eröffne den Rechtsweg gegen die Entscheidung der kirchlichen Steuerbehörde nicht erneut. 142 Wie das Niedersächsische Finanzgericht am 14. 1. 1976 entschieden hat, ist die Kirchensteuer in Lohnsteuerhaftungsfällen nicht in die Streitwertbemessung einzubeziehen. 143 Die Verjährung des Anspruchs auf Kircheneinkommensteuer beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum abgegeben wird. Der Anwendung von § 145 Abs. 2 Ziff. 1 AO n.F. steht nicht entgegen, daß das Gesetz eine eigene Kirchensteuererklärung nicht verlangt. 144

VG Braunschweig, Beschl. vom 22. 5. 1975, in: KirchE 14, S. 289. OVG Lüneburg, Urt. vom 25. 2. 1977, in: KirchE 16, S. 91. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger blieb ohne Erfolg; vgl. BVerwG, Beschl. vom 1. 11. 1977 (VII B 56.77), Hinweis in: KirchE 16, S. 91. 143 Niedersächs. FG, Beschl. vom 14. 1. 1976, in: KirchE 15, S. 188. 144 FG München, Urt. vom 25. 1. 1977 (rechtskräftig), in: KirchE 16, S. 13. 141 142

Zur Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern I. Auskunfts- und Beurkundungspflichten aus Kirchenbüchern nach kanonischem Recht 1. Nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts ist der Pfarrer kirchlicher Urkundsbeamter und führt ein pfarramtliches Siegel. Gemäß can. 470 CIC gehört es zu den Aufgaben des Pfarrers, in besonderen Pfarrbüchern (libri paroeciales) die Taufen, Firmungen, Eheschließungen und Sterbefälle einzutragen. Nach can. 1813 § 1 n. 4 CIC sind die Pfarrbücher und authentische Auszüge aus ihnen für den kirchlichen Rechtsbereich öffentliche Urkunden ("documenta publica ecclesiastica"). Gemäß can. 1814 CIC gelten diese Urkunden bis zum Beweis des Gegenteils als echt und haben gemäß can. 1816 CIC volle Beweiskraftl.

2. Nach einer älteren, in den ersten Jahrzehnten nach dem Inkrafttreten der staatlichen Personenstandsgesetze herrschenden Auffassung kam den Pfarrbüchern im Hinblick auf Eintragungen über Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle nur die Eigenschaft rein kirchlicher, nicht aber die Beweiskraft "öffentlicher" Urkunden i.S. der §§ 415 ff. ZPO zu. Pfarramtlich beglaubigte Auszüge aus Kirchenbüchern waren nach dieser Auffassung keine "öffentlichen" Urkunden i.S. der staatlichen Rechtsordnung, sondern Privaturkunden, und entbehrten daher Erstveröffentlichung in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 143 (1974),

s. 101-112.

1 Vgl. zum Ganzen Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts. Bd. 1, 11. Aufl., München-Paderborn-Wien 1964, S. 477. Über die Anfänge und die allgemeine kirchliche und kulturhistorische Bedeutung des Kirchenbuchwesens vgl. ferner Hubert Jedin, Das Konzil von Trient und die Anfänge der Kirchenmatrikeln, in: ZRG Kan.Abt. 32 (1943), S. 419-494; ferner Eduard Jacobs, Artikel "Kirchenbücher", in: Herzog I Hauck, Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3. Aufl., Bd. 10, Leipzig 1901, S. 354-366. Für den Bereich der evangelischen Kirche sprechen die meisten Kirchenverfassungen und Kirchenordnungen die Verpflichtung zur Kirchenbuchführung aus. Außerdem bestehen hierfür besondere Dienstanweisungen. Vgl. dazu u.a. die Artikel "Kirchenbücher" von Otto Friedrich, in: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 2, Göttingen 1958, Sp. 658f., und von Walther Lampe, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1413 ff.

Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern

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der Beweiskraft öffentlicher Urkunden. Für diese Rechtsauffassung war die Erwägung ausschlaggebend, daß sich nach dem Inkrafttreten der staatlichen Personenstandsgesetze die Führung der Kirchenbücher ausschließlich nach den Normen des kirchlichen Rechts richtete und den Pfarrern und Kirchenbuchführern nicht mehr gleichzeitig auch die Funktion staatlicher Standesbeamter zukam 2 . Den Eintragungen über den Empfang der Taufe in den Taufbüchern der Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts wurde dagegen, jedenfalls gilt dies für die Rechtspraxis, auch nach Inkrafttreten der staatlichen Personenstandsgesetze der Charakter öffentlicher Urkunden im Sinne des staatlichen Rechts zuerkannt. Mit dem Empfang der Taufe ist die Aufnahme in die Kirche verbunden. An den durch den Empfang der Taufe bewirkten Erwerb der Kirchengliedschaft - das Staatskirchenrecht spricht stets von "Kirchenmitgliedschaft" -knüpft das Staatskirchenrecht öffentlich-rechtliche Wirkungen, wie die Pflicht zum Besuch des Religionsunterrichts der eigenen Konfession und die Kirchensteuerpflicht. Die einzigen Urkundsregister, die über den Empfang der Taufe zuverlässig und glaubwürdig Auskunft geben können, sind die in den einzelnen Pfarreien, die nach dem Staatskirchenrecht Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, von den zuständigen Pfarrern geführten Taufbücher. Das jeweilige Pfarramt ist für die Führung dieser Taufbücher als "öffentliche Behörde" i.S. des§ 415 ZPO anzusehen. Die Taufbücher und ebenso die von dem zuständigen Pfarrer beglaubigten Auszüge aus den Taufbüchern sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnis in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Sie begründen daher nicht nur für die kirchliche, sondern auch für die staatliche Rechtsordnung vollen Beweis über den Empfang der Taufe und die Mitgliedschaft in der betreffenden öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft. Die Kirchenbücher sind deshalb im Hinblick auf die Eintragungen über den Empfang der Taufe "öffentliche Urkunden" i.S. des§ 415 ZPO. 2 Vertreter dieser Auffassung waren u.a. Paul Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen, Bd. 2, Berlin 1906 (Neudruck Aalen 1967), S. 413; August Geiger, Handbuch für die gesamte Pfarramtsverwaltung im Königreich Bayern. 10. Aufl., Zweiter Teil, Regensburg 1913, Kap. 48, S. 1074 f. Mit Recht wies aber schon damals Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts. Mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. Bd. 2, Berlin 1878 (Nachdruck Graz 1959), S. 312 Anm. 3, darauf hin, daß auch in denjenigen Ländern, in denen "Civilstandsregister" bestehen, man hinsichtlich der Eintragungen über Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle "mit Rücksicht auf die doch immer auch dann durch die Natur der Verhältnisse' garantierte Ordnungsmäßigkeit der kirchlich geführten Bücher letztere jedenfalls anders als gewöhnliche Privat- Urkunden wird behandeln müssen".

49 Sbd. List!

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Das Reichsgericht in Strafsachen hat daher zu Recht gegen die damals in der Literatur herrschende Auffassung in mehreren Entscheidungen den Eintragungen in Taufregistern die Eigenschaft öffentlicher Urkunden zuerkannt3 . 3. Heute ist die Auffassung, daß sämtlichen Eintragungen in Kirchenbüchern der Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts, also auch den Eintragungen über Geburten, Eheschließungen und Todes3 RGSt. 22, S. 118, abgedruckt in: ArchKathKR, Bd. 67 (1892), S. 196; 29, S. 241; Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen 5 (1883), S. 56ff.; zust. Geiger, ebd., S. 1077 mit Anm. 1; a.A. unter Berufung auf Paul Hinschius, Das Reichsgesetz über den Personenstand, Berlin 1875, S. 33, Schoen, ebd., Bd. 2, S. 413 f. mit Anm. 3. Schoen hat dabei jedoch übersehen, daß Hinschius seine frühere Auffassung in dieser Hinsicht, offensichtlich im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts, geändert hat. Vgl. Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts. Mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. Bd. 4, Berlin 1888 (Nachdruck Graz 1959), S. 49 mit Anm. 5. Dort schreibt Hinschius: "In Betreff des Beweises der Taufe haben die Kirchenbücher aber hier die Bedeutung öffentlicher Urkunden in demselben Umfange wie früher, denn zur Beurkundung dieser sind die Geburtsregister nicht bestimmt, und die katholische Kirche hat in den deutschen Staaten die Stellung einer privilegierten öffentlichen Anstalt, deren Geistliche in Betreff ihrer Amtshandlungen publica fides genießen." Das Reichsgericht begründet seine Entscheidungen zum Teil auch mit dem Argument, daß die in 11 II § 481 des Preußischen Allgemeinen Landrechts den Pfarrern auferlegte Verpflichtung, die Geburten, Taufen, Eheschließungen und Todesfälle in den Kirchenbüchern zu beurkunden, durch das Preußische Gesetz v. 9. 3. 1874 über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung (GS S. 95), in Kraft getreten am 1. 10. 1874, nur hinsichtlich der Geburten, Eheschließungen und Todesfälle weggefallen sei, daß hingegen hinsichtlich der Tau/eintragungen diese Verpflichtung für die Pfarrer nach wie vor bestehe. Auf diesen Umstand kann es jedoch, wie Schoen, ebd., Anm. 3 zu S. 413, mit Recht feststellt, nicht wesentlich ankommen, da nach Einführung des Personenstandsgesetzes der früher bestehende staatliche Auftrag zur Eintragung der Taufentrotz formal noch entgegenstehenden Wortlauts des Preußischen Allgemeinen Landrechts der Natur der Sache nach als "stillschweigend beseitigt" angesehen werden konnte. Die Eintragungen in die Taufregister der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften sind vielmehr auf Grund der öffentlich-rechtlichen Stellung der Kirchen und der öffentlich-rechtlichen Wirkungen dieser Eintragungen "öffentliche Urkunden". Diese Auffassung vertritt auch Carl Sartorius, Art. "Kirchenbücher", in: Stengel I Fleischmann, Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. 2. Aufl., Bd. 2, Tübingen 1913, S. 523 f., mit weiteren zustimmenden Nachweisen. Sartorius schreibt dazu wörtlich: "Die Mitgliedschaft zu einer öffentlich-rechtlichen Kirchengesellschaft bedeutet auch heute noch ein in gewissen Richtungen staatlich anerkanntes und gewährleistetes Gewaltverhältnis. Wie der Mitwirkung der Kirchenbeamten bei Begründung und Beendigung dieses Rechtsverhältnisses (z. B. Entgegennahme der Austrittserklärung) selbst, wird auch der Beurkundung dieser Vorgänge durch den verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Kirche der autoritative Charakter nicht abzusprechen sein" (ebd., S. 524).

Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern

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fälle (bzw. Beerdigungen), die Eigenschaft öffentlicher Urkunden im Sinne der staatlichen Rechtsordnung zukommt, herrschend. In diesem Sinne schreibt Werner Weber: "Weiter werden als öffentliche und damit als von 'Behörden' stammende Urkunden im Sinne von§ 415 ZPO und § 29 GBO auch diejenigen Urkunden anerkannt, die kirchliche Dienststellen im Rahmen ihrer Zuständigkeit errichtet haben" 4 • Das ergibt sich aus dem öffentlich-rechtlichen Status der Religionsgemeinschaften. Eine durch staatliche Gesetze normierte Auskunfts- und Beurkundungspflicht besteht jedoch hinsichtlich der Eintragungen über Geburten, Eheschließungen und Todesfälle (Beerdigungen) nicht. Diese richtet sich vielmehr ausschließlich nach den kirchenrechtlichen Bestimmungen. Kirchenbücher können allerdings bei Verlust oder Zerstörung der staatlichen Personenstandsregister subsidiär an deren Stelle treten. In diesen Fällen dürfte auch eine Auskunftspflicht aus Kirchenbüchern auf Grund des öffentlich-rechtlichen Status der Religionsgemeinschaften bezüglich Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle (Beerdigungen) anzunehmen sein. Anders dagegen ist die Rechtslage zu beurteilen hinsichtlich der Eintragungen in die Taufregister, aus denen allein der Erwerb der Mitgliedschaft in den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften bewiesen werden kann. Auch nach dem Inkrafttreten der staatlichen Personenstandsgesetze sind deshalb die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften als verpflichtet anzusehen, allen Personen, die daran ein rechtliches Interesse geltend machen können, und allen zuständigen staatlichen Behörden (z. B. den Meldebehörden oder den Kirchensteuer- und Finanzämtern) über den Empfang der Taufe und damit über den Erwerb der Mitgliedschaft einer Person in der betreffenden Religionsgemeinschaft Auskunft zu erteilen und diese Auskunft auf Verlangen zu beurkunden. Weigert sich eine kirchliche Behörde, diese Auskunft zu erteilen und auf Antrag zu beurkunden, ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten gegeben. Die Vorschriften der§§ 60 ff. und 45 ff. des Personenstandsgesetzes vom 3. 11. 1937 (RGBL I S. 1146) i.d.F. vom 8. 8. 1957 (BGBL I S. 1126) dürften hier, auch hinsichtlich des Rechtsweges, entsprechende Anwendung finden 5 4 Werner Weber, Staat und Kirche im Personenstandswesen, Festschrift für Rudolf Smend, Göttingen 1962, S. 416 m.w.N.; zust. Hermann Weber, Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes. Berlin 1966, S. 127 m.w.N. 5 Vgl. dazu auch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 31. März 1971, in: BVerfGE 30, S. 415 ff. (Az.: 1 BvR 744/67). In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen, die die Kirchenmitgliedschaft von

49*

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II. Auskunfts- und Beurkundungspflichten über Eintragungen in Kirchenbüchern aus der Zeit vor Einführung des staatlichen Personenstandswesens 1. Grundsätzlich anders ist die Rechtslage zu beurteilen bezüglich der Auskunfts- und Beurkundungspflichten kirchlicher Dienststellen über Eintragungen in Kirchenbüchern bezüglich Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle für die Zeit vor dem Irrkrafttreten des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (RGBL S. 23). Dieses Gesetz trat in Kraft am 1. Januar 1876 6 •

In der Aufklärungszeit wurde die Bedeutung der Kirchenbücher, die ursprünglich ausschließlich kirchlich-pastoralen Zwecken zu dienen bestimmt waren, seitens des Staates auch für das bürgerliche Leben erkannt. Spätestens in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde im Zuge einer im wesentlichen gleichartig verlaufenden staatlichen Gesetzgebungswelle die Kirchenbuchführung deshalb auch durch staatliche Gesetze eingehend geregelt. Die Beurkundung der Geburten, Taufen, Trauungen und Sterbefälle (Beerdigungen) oblag den zuständigen Pfarrern von dieser Zeit an nicht nur mehr als eine kirchliche, sondern auch als eine dem Staate gegenüber persönlich zu erfüllende AmtsTaufe und Wohnsitz abhängig machen, nicht gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie die negative Vereinigungsfreiheit verstößt, sofern der Kirchenangehörige jederzeit die Möglichkeit hat, seine Mitgliedschaft zu beenden. Die einzigen öffentlichen Urkunden, die über den Empfang der Taufe und somit über das Vorliegen einer Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft (des öffentlichen Rechts) Beweis erbringen können, sind die Kirchenbücher. s In Preußen trat bereits am 1. Oktober 1874 das Preußische Gesetz vom 9. März 1874 über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung (GS S. 95) in Kraft. In der Stadt Frankfurt am Main wurden bereits durch das Frankfurter Gesetz v. 19. November 1850 (Frankfurter Gesetz- und Statutensammlung X, S. 354) Zivilstandsregister eingeführt. Im Bezirke des Appellationsgerichtshofes Köln, d. h. in dem auf dem linken Rheinufer gelegenen Teil und einigen weiteren kleineren Gebieten der preußischen Rheinprovinz, ferner in der bayerischen Rhein-Pfalz, in Rheinhessen sowie in der oldenburgischen Provinz Birkenfeld waren auf Grund des französischen Gesetzes vom 20. September 1792 bereits in der Napoleonischen Zeit Zivilstandsregister eingeführt worden.Vgl. zum Ganzen die Angaben bei Otto Stölzel, Das Personenstandsgesetz in heutiger Gestalt nebst Ergänzungen und Erläuterungen. 4. Aufl., Berlin 1936, § 73, Erl. 1 (= S. 164 ff.); Aemilius Ludwig Richter I Richard Dove I Wilhelm Kahl, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts. 8. Aufl., Leipzig 1886, S. 1035 ff. mit Anm. 29 ff.; Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts, Bd. 2 (Anm. 2), S. 308-310 mit Anm. 1 ff.

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pflicht, deren Kontrolle von den staatlichen Behörden wahrgenommen wurde 7 2. Mit diesem staatlichen Auftrag wurden die Pfarrer zu staatlichen Urkundsbeamten. Die Kirchenbücher selbst und die aus ihnen erteilten beglaubigten Auszüge waren ihrer Rechtsnatur nach damit nicht nur kirchliche, sondern zugleich auch staatliche öffentliche Urkunden. Sie lieferten vollen Beweis hinsichtlich der vom Pfarrer nach eigener Wahrnehmung oder auf offizielle pflichtmäßige Anzeige hin eingetragenen Tatsachen und ließen den Gegenbeweis nur unter den Bedingungen und Beschränkungen zu, unter denen er gegen eine öffentliche Urkunde überhaupt statthaft ist 8 . Mit dem Inkrafttreten der partikularen Personenstandsgesetze ist für die betreffenden Gebiete und mit dem Inkrafttreten des Reichspersonenstandsgesetzes ist am 1. Januar 1876für das gesamte Gebiet des Deutschen Reichs der staatliche Auftrag für die Geistlichen zur Führung der Kirchenbücher weggefallen. Seit dem 1. Januar 1876 ist damit in Deutschland die Führung der Kirchenbücher wiederum eine ausschließlich kirchliche Angelegenheit geworden. Die staatlichen Rechtsnormen über die Führung der Kirchenbücher traten damit außer Kraft. 3. Nicht in Wegfall gekommen ist jedoch durch die Einführung des staatlichen Personenstandswesens die Pflicht derjenigen kirchlichen Dienststellen, die sich rechtmäßig im Besitze der Kirchenbücher aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der staatlichen Personenstandsgesetze befinden, aus diesen Kirchenbüchern, die ihren Doppelcharakter als kirchliche und gleichzeitig staatliche Standesamtsurkunden, d. h. als öffentliche Urkunden im Sinne der staatlichen Rechtsordnung, behalten haben, auf Antrag Auskünfte zu erteilen und diese auch zu beurkunden. a) In diesem Sinne bestimmte § 73 des Reichspersonenstandsgesetzes: "Den mit der Führung der Standesregister und der Kirchenbücher bisher betraut gewesenen Behörden und Beamten verbleibt die Berechtigung und Verpflichtung, über die bis zur Wirksamkeit dieses Ge7 Ein Beispiel einer besonders eingehenden staatlichen Regelung der Führung der Kirchenbücher bilden die diesbezüglichen Vorschriften des Preußischen Allgemeinen Landrechts in 11 li §§ 481-505. In der Regel wurden auch die Kosten für Anschaffung und Einband der Kirchenbücher und der zugehörigen alphabetischen Register vom Staat getragen. Vgl. dazu Geiger, Handbuch (Anm. 2), S. 1075 mit Anm. 6. a Vgl. dazu Karl Friedrich Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts der Katholischen und der Evangelischen Religionspartei in Deutschland. Bd. 2, Göttingen 1833, S. 569ff. m.w.N. aus früherer Zeit; Schoen, Das evangelische Kirchenrecht, Bd. 2 (Anm. 2), S. 413 m.w.N.

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setzes eingetragenen Geburten, Heiraten und Sterbefälle Zeugnisse zu erteilen." § 73 des Reichspersonenstandsgesetzes ging dabei davon aus, daß die Pfarrer und Beamten, die diese Bücher vor dem Irrkrafttreten des Gesetzes geführt hatten, diese auch nach dem Irrkrafttreten des Gesetzes noch im Besitze hatten. Für den Fall, daß die Bücher nach Irrkrafttreten der Personenstandsgesetze anderen Behörden übergeben wurden, waren diejenigen Beamten oder Behörden auskunftspflichtig, die nach der staatlichen oder der kirchlichen Behördenorganisation als Nachfolger der Beamten oder Behörden i.S. des§ 73 PStG v. 6. 2. 1875 diese Bücher nunmehr verwahrten 9 • b) Am 1. Juli 1938 trat das Personenstandsgesetz (PStG) vom 3. November 1937 (RGBL I S. 1146) in Kraft. Gemäß § 71 Abs. 2 dieses Gesetzes traten zum gleichen Zeitpunkt, d. h. am 1. Juli 1938, das Reichsgesetz für die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (RGBL S. 23) sowie die dazu ergangenen reichs- und landesrechtliehen Vorschriften außer Kraft. Die Bestimmung des § 73 PStG vom 6. 2. 1875, die den mit der Führung der Standesregister und der Kirchenbücher vor dem 1. Januar 1876 betraut gewesenen Behörden und Beamten die Berechtigung verlieh und die Verpflichtung auferlegte, über die bis zur Wirksamkeit dieses Gesetzes eingetragenen Geburten, Heiraten und Sterbefälle Zeugnisse zu erteilen, wurde in das Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 nicht übernommen. Die§§ 115 und 99 der 1. VO zur Ausführung des Personenstandsgesetzes vom 19. Mai 1938 (RGBL I S. 533) bestimmten jedoch, daß die bis zum Irrkrafttreten des Personenstandsgesetzes vom 3. November 1937 geltenden landesrechtliehen und ggf. kirchlichen Vorschriften für die Benutzung der vor dem 1. 1. 1876 geführten Register und Kirchenbücher weiterhin in Kraft blieben 10 . 9 Stölzel, Personenstandsgesetz (Anm. 6), § 73, Erl. 2 f. (= S. 166 f.). Berichtigungen der Kirchenbücher durften hinsichtlich der Eintragungen aus vorstandesamtlicher Zeit nur auf Anordnung der Regierungen (Abt. für Kirchen- und Schulsachen) in deren Eigenschaft als staatliche Aufsichtsbehörden erfolgen. Vgl. dazu Stölzel, ebd., S. 167. Über einen konkreten Fall vgl. den Beitrag: "Wem steht in Preußen die Aufsicht über die Kirchbücher zu? Ein Schriftwechsel zwischen dem Katholischen Pfarramte in Mechau (Diözese Kulm) und dem Königlichen Kultusministerium". in: ArchKathKR 93 (1913) S. 518 f. In einem dort abgedruckten Schreiben vom 16. April 1913 weist der preußische Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten darauf hin, daß die Kirchenbücher, soweit sie Eintragungen vor dem 1. Oktober 1874 betreffen, "nicht nur kirchlichen Charakter, sondern zugleich die Natur von bürgerlichen Standesregistern haben, und daß die Geistlichen insoweit gleichzeitig die Geschäfte der Standesbeamten wahrnehmen und die Bücher zugleich im Auftrage des Staates führen". Hieraus ergebe sich "die Befugnis der zuständigen staatlichen Behörden zur Anordnung von Berichtigungen". Vgl. ebd., S. 522.

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§ 70 Abs. 2 PStG vom 3. 11. 1937 bestimmte ferner, daß die Reichsminister der Justiz und des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten u.a. auch über "die Aufbewahrung, Fortführung und Benutzung" der vor dem 1. Januar 1876 von Religionsgesellschaften geführten Kirchenbücher und Register oder der Zweitschriften solcher Bücher und Register Bestimmungen treffen konnten. Auf Grund des§ 70 Abs. 2 PStG vom 3. 11. 1937 erging am 28. Dezember 1942 ein Runderlaß der Reichsminister der Justiz und des Innern betr. Sicherung der Zivilstandsregister, Kirchenbücher und kirchenbuchähnlichen Schriftdenkmäler gegen Bomben und Brandschäden 11 . Bestimmungen über die Benutzung der Kirchenbücher und die Auskunftserteilung sind jedoch bis zum Ende des Dritten Reiches nicht ergangen. Das bedeutet, daß der Charakter der vorstandesamtlichen Kirchenbücher als öffentliche Urkunden durch das Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 nicht tangiert wurde. Im Zuge der nach 1933 einsetzenden Sippenforschung und wegen der von staatlichen Behörden allgemein geforderten Nachweise der arischen Abstammung wurden die Pfarrämter in der NS-Zeit in außerordentlich starkem Maße um Beurkundungen der Abstammungsnachweise angegangen 12 . c) In der Neubekanntmacl;tung des Personenstandsgesetzes vom 3. November 1937 (RGBL I S. 1146) i.d.F. vom 8. August 1957 (BGBL I S. 1126) ist die Bestimmung des § 70 PStG vom 3. 11. 1937 über die 1o Vgl. Kurt Emig, Personenstandsgesetz. 2. Aufl., München-Berlin 1938, § 70, Erl. 4 (= S. 171).Darüber, daß die Bestimmungen des PStG vom 3. November 1937, soweit sie die Kirchenbücher betrafen, eine schwerwiegende Verletzung kirchlicher Rechte bedeuteten und eine Rechtsgrundlage für eine jederzeit durchführbare entschädigungslose Enteignung der Kirchenbücher darstellten, vgl. die instruktive Abhandlung von Johannes Heckel, Das Recht der Militärkirchenbücher im Gebiet der Evangelischen Kirche der Union, in: Kirche und Staat im 19. und 20. Jahrhundert. Vorträge- Aufsätze- Gutachten(= Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für das Archiv- und Bibliothekswesen in der evangelischen Kirche, Bd. 7), Neustadt an der Aisch 1968, S. 231 (237 f.). Vgl. ferner auch Rudolf Smend, Zum Eigentum an Militärkirchenbüchern. Gutachten vom 18. Juli 1949, in: Rudolf Smend, Kirchenrechtliche Gutachten - in den Jahren 1947-1969 erstattet vom Kirchenrechtlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen (=Jus Ecclesiasticum, Bd. 14), München 1972, S. 269 ff. u Veröffentlicht in der Zeitschrift für das Standesamtswesen (StAZ) 1943, s. 9f. 12 Im Jahre 1937 wurde zwischen der Reichsstelle für Sippenforschung und den Obersten Behörden der beiden Kirchen über die Durchführung der neueren Bestimmungen betr. Urkunden zum Abstammungsnachweis und sippenkundliehe Forschungen eine Vereinbarung gemäß den Runderlassen des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 4. März und 10. Oktober 1935 getroffen. Vgl. dazu Zeitschrift für das Standesamtswesen (StAZ), 1937, S. 372.

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Aufbewahrung und Benutzung von Kirchenbüchern und die Auskunftserteilung aus ihnen nicht mehr enthalten. § 70 a Abs. 1 PStG i.d.F. vom 8. August 1957 sieht in dieser Hinsicht nur vor, daß die Landesregierungen durch Rechtsverordnung Bestimmungen treffen können über die Aufbewahrung, Fortführung und Benutzung der vom 1. Januar 1876 bis 30. Juli 1938 geführten standesamtlichen Nebenregister und der vor dem 1. Januar 1876 geführten Zivilstandsregister (Standesbücher). Nach der ursprünglichen Fassung des§ 70 a Abs. 1 Nr. 2 PStG sollten die Länder auch Bestimmungen treffen können über Aufbewahrung, Fortführung und Benutzung der vor dem 1. Januar 1876 von 'Kirchen und Religionsgesellschaften geführten Kirchenbücher und Register und der Zweitschriften solcher Bücher. Diese vorgesehene Regelung ist deshalb nicht Gesetz geworden, weil wegen des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen in ihren eigenen Angelegenheiten und wegen des Eigentums der Kirchen an den Kirchenbüchern von staatlichen Stellen nur im Einvernehmen mit den Kirchen und Religionsgesellschaften über die Kirchenbücher verfügt werden kann 13 . aa) Diese Überlegungen des Gesetzgebers sprechen dafür, daß er die vorstandesamtlichen Kirchenbücher und -register ebenso als Personenstandsregister angesehen hat wie die von staatlichen Urkundsbeamten hergestellten Personenstandsbücher und sich lediglich wegen der Rechte der Kirche an diesen Büchern und Registern gehindert gesehen hat, sie in die Regelungen der§§ 70 und 70 a PStG einzubeziehen14. Daraus folgt, daß Kirchenbuchurkunden, wie z. B. Auszüge aus Geburts- und Taufregistern, die sich auf Eintragungen aus dem Zeitraum vor dem 1. Januar 1876 beziehen, inländische Personenstandsurkunden i.S. § 46 a Abs. 2 PStG i.d.F. vom. 8. August 1957 sind. Nach § 46 a PStG kann der Standesbeamte nach Abschluß des Eintrags im Heirats- und Geburten- und Sterbebuch bestimmte Berichtigungen vornehmen, wenn der richtige oder vollständige Sachverhalt durch inländische Personenstandsurkunden festgestellt ist. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist deshalb die Vorschrift des § 46 a PStG i.d.F. vom 8. August 1957 auch auf Auszüge aus Kirchenbüchern anzuwenden, die sich auf Eintragungen vor dem Inkrafttreten des Reichspersonenstandsgesetzes vom 8. Februar 1875, d. h. vor dem 1. Januar 1876, beziehen 15 . 13 Vgl. dazu die Ausführungen bei Gerd Pfeiffer und Hans-Georg Strickert, Personenstandsgesetz. Kommentar. Berlin 1961, S. 67 und 74. 14 So mit Recht OLG Ramm, Beschl. v. 17. 3. 1966 (15 W 392/65), abgedr. in: JMbl. NRW 1966, S. 233 = StAZ 1966, S. 319 =KirchE 8, S. 55 (57). 15 Diese Auffassung vertreten die Oberlandesgerichte Frankfurt a.M., Beschl. vom 2. 8. 1963 (6 W 225/63), StAZ 1967, S. 247 =KirchE 6, S. 310; Oldenburg,

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bb) Wie die genannten Oberlandesgerichte Frankfurt a.M., Hamm und Oldenburg übereinstimmend weiter ausführen, können auch aus § 61 der VO zur Ausführung des Personenstandsgesetzes vom 12. 8. 1957 (BGBl. I S. 1139) Bedenken gegen die Gleichstellung von Kirchenbucheintragungen aus vorstandesamtlicher Zeit mit "inländischen Personenstandsurkunden" nicht hergeleitet werden. Nach§ 61 der Ausführungsverordnung zum Personenstandsgesetz gelten die Vorschriften über Beweiskraft und über die Benutzung der Bücher in den§§ 60-66 PStG auch für die vom 1. Januar 1876 an geführten Standesregister. § 61 der Ausführungsverordnung zum Personenstandsgesetz beziehe sich nämlich nur auf die standesamtlichen Bücher und Urkunden. Diese Bestimmung will aber den Kreis der "inländischen Personenstandsurkunden" i.S. des § 46 a Abs. 2 PStG eingrenzen. Ebenso wie die vom 1. Januar 1876 an geführten Standesregister müssen daher, wie das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ausführt, auch die in vorstandesamtlicher Zeit von kirchlichen Stellen geführten Zivilstandsregister vom Standesbeamten als "inländische Personenstandsurkunden" zur Berichtigung von Eintragungen herangezogen werden können16. cc) Über die Einsichtnahme in die Personenstandsbücher bestimmt § 61 Abs. 1 PStG, daß die Einsicht in die Personenstandsbücher, die Durchsicht dieser Bücher und die Erteilung von Personenstandsurkunden nur von den Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit und von Personen verlangt werden kann, auf die sich der Eintrag bezieht, sowie von deren Ehegatten, Vorfahren und Abkömmlingen. Behörden haben dabei den Zweck anzugeben. Andere Personen haben nur dann ein Recht auf Einsicht in die Personenstandsbücher, auf Durchsicht dieser Bücher und auf Erteilung von Personenstandsurkunden, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen können. Über die Erteilung von Personenstandsurkunden bestimmt § 61 a PStG, daß der Standesbeamte auf Grund seiner Personenstandsbücher folgende Personenstandsurkunden ausstellt: 1. Beglaubigte Abschriften, 2. Geburtsscheine, 3. Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden, 3a. Abstammungsurkunden, 4. Auszüge aus dem Familienbuch. Diese Bestimmung des§ 61 a PStG gilt entsprechend auch für diejenigen kirchlichen Dienststellen, die Kirchenbücher mit Eintragungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1876 in Verwahrung haben. Beschl. vom 15. 3. 1966 (5 Wx 11/66), in: NdsRPfl. 1966, S. 172 = StAZ 1966, S. 289 =KirchE 8, S. 44; Hamm, Beschl. vom 17. 3. 1966, in: KirchE 8, S. 55f. (vgl. Anm. 14). 16 OLG Frankfurt a.M., Beschl. vom 2. 8. 1963, KirchE 6, S. 310 (313) (vgl. Anm.15).

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d) Bezüglich des Umfangs der Auskunftspflicht aus Kirchenbüchern hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluß vom 28. März 1968 festgestellt, daß von einem Pfarramt nicht die Aufstellung von Genealogien verlangt werden könne. Der Anspruch auf Auskunftserteilung und Beurkundung könne gegenüber den die Kirchenbücher verwaltenden Stellen nicht weiter gehen als gegenüber den Standesämtern. Da gemäß § 61 Abs. 1 PStG für Behörden und bestimmte Personen nur ein Anspruch auf Einsicht in die Personenstandsbücher, Durchsicht dieser Bücher und Erteilung von Personenstandsurkunden, nicht aber auf Aufstellung einer Genealogie bestehe, könne ein solcher Anspruch auch nicht gegenüber einer kirchlichen Stelle geltend gemacht werden 17 • e) Gemäß § 70 b PStG sind für Amtshandlungen nach dem Personenstandsgesetz und nach den auf diesem Gesetz beruhenden Rechtsvorschriften von demjenigen, der die Amtshandlungen veranlaßt, oder, wenn ein solcher nicht vorhanden ist, von demjenigen, zu dessen Gunsten sie vorgenommen werden, Kosten (Gebühren und Auslagen) zu erheben. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen darf dabei die Gebühr im Einzelfalle den Betrag von DM 100,- nicht übersteigen. Die kirchlichen Dienststellen können für ihre Auskünfte und Beurkundungen Gebühren in der gleichen Höhe erheben wie die Standesämter. Die kirchlichen Gebührenordnungen, die von der jeweiligen Diözese zu erlassen sind, bedürfen zu ihrer Rechtsgültigkeit der Publikation im Amtsblatt der betreffenden Diözese 18 .

17 BayVGH, Beschl. vom 28. 3. 1968 (21 V 67), in: ZevKR 14 (1968/69), S. 406 (407). Der BayVGH hat in dieser Entscheidung im Gegensatz zur Vorinstanz die Auffassung vertreten, daß für Streitigkeiten über Auskunftspflichten aus Kirchenbüchern der Verwaltungsgerichtsweg gegeben sei, diese Auffassung aber nicht begründet. Da Kirchenbücher aus der Zeit vor dem 1. Januar 1876, wie gezeigt, inländischen Personenstandsbüchern und -urkunden gleichstehen, scheint kein Grund ersichtlich zu sein, warum für solche Streitigkeiten gemäß §§ 45 und 50 PStG nicht ebenso die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegeben sein sollte, wie für Auskunftsbegehren aus Personenstandsbüchern. 18 Vgl. in dieser Hinsicht die "Gebührenordnung für die bayerischen Diözesanarchive", abgedr. u.a. in: Amtsblatt für das Bistum Passau 104 (1974), S. 5 f. In § 2 Z f. 1 dieser Gebührenordnung ist festgelegt, daß für die Erteilung mündlicher oder schriftlicher Fachauskünfte, die Erstellung von Gutachten und für sonstige Tätigkeiten die Gebühren bei Beanspruchung a) einer wissenschaftlichen Fachkraft (höherer Dienst) DM 15,-; b) einer geprüften Fachkraft (gehobener Dienst) DM 10,-; c) einer Verwaltungskraft (mittlerer und einfacher Dienst) DM 5,- je halbe Stunde Zeitaufwand betragen. Eine angefangene halbe Stunde wird dabei als volle halbe Stunde gerechnet.

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m. Zusammenfassung Die vorliegende Untersuchung kommt zu folgenden Ergebnissen: 1. In Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland, in denen Kirchenbüchern nicht gleichzeitig auch die Funktion staatlicher Standesamtsregister zukommt, richtet sich die Kirchenbuchführung ausschließlich nach den Bestimmungen des kirchlichen Rechts. Die Kirchenbücher sind öffentliche Urkunden im Sinne des kanonischen Rechts. Die Kirchenbücher der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften besitzen zugleich auch den Charakter öffentlicher Urkunden im Sinne des staatlichen Rechts.

2. Staatlich normierte Auskunfts- und Beurkundungspflichten aus Kirchenbüchern über Eintragungen bezüglich Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle (Beerdigungen) bestehen für die Zeit nach dem Inkrafttreten der staatlichen Personenstandsgesetze nicht. Über Eintragungen in Taufregistern, aus denen allein der Erwerb der Mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften bewiesen werden kann, sind die kirchlichen Dienststellen, die Kirchenbücher in Verwahrung haben, gegenüber staatlichen Behörden im Rahmen deren Zuständigkeit und gegenüber allen Personen, die daran ein rechtliches Interesse geltend machen können, zur Auskunftsecteilung und auf Verlangen zur Beurkundung dieser Auskünfte verpflichtet. 3. Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Reichspersonenstandsgesetzes vom 6. Februar 1875, d. h. vor dem 1. Januar 1876, stehen Eintragungen in Kirchenbüchern über Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle "inländischen Personenstandsurkunden" gleich. 4. Alle kirchlichen Behörden und Dienststellen, die Kirchenbücher aus der Zeit vor dem 1. Januar 1876 im Besitze haben, sind verpflichtet, über alle Eintragungen im gleichen Maße Auskunft zu erteilen und Beurkundungen auszustellen wie die staatlichen Standesämter. Die kirchlichen Behörden sind berechtigt, für ihre Tätigkeit Gebühren in derselben Höhe zu verlangen wie die staatlichen Standesämter.

Der sozialkritische Imperativ der Kirche Zu dem Buch "Kirche und Öffentlichkeit" von Wolfgang Huber 1 Daß die Kirche einen ihr von ihrem Stifter Jesus Christus übertragenen Öffentlichkeitsauftrag besitzt, aus dem sich ihr Öffentlichkeitsanspruch herleitet; daß die Kirche sich nicht mit einem konkreten Staat, einer Staatsform oder mit partikularen gesellschaftlichen Interessen und Gruppen identifizieren darf und daher jedem konkreten Staat und jeder gesellschaftlichen Gruppe mit Distanz und "kritischer Solidarität" gegenüberstehen muß und daß die Kirche dem Staat nicht in der Form gleichgeordneter Partnerschaft begegnen darf, sondern nach modernem Verständnis als "gesellschaftlicher Verband" unter anderen gesellschaftlichen Verbänden zu begreifen ist, sind die drei Hauptthesen des umfangreichen Bandes "Kirche und Öffentlichkeit" von Wolfgang Huber. Die Arbeit ist eine Heidelberger theologische Habilitationsschrift aus dem Jahr 1972. Der gemeinhin mit den Begriffspaaren "Kirche und Welt", "Kirche und Staat", "Kirche und Politik", "Politische Theologie", "Theologie der Revolution" umschriebene Problemhorizont wird hier auf hohem Niveau in durchaus eigenwilliger Weise von diversen "Theorieansätzen" (S. 550} her angegangen. Das Verdienst dieser gelehrten Untersuchung besteht vor allem darin, daß die innerevangelische theologische Diskussion der sechziger Jahre zur "Politischen Theologie" hier in pointierter Weise dargestellt wird. Im einleitenden Abschnitt (S. 49-132) untersucht Huber die Aussagen der evangelischen Ekklesiologie zum Verhältnis "Kirche und Öffentlichkeit". Er verfolgt diesen Gegenstand von Luther über den Neuprotestantismus des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart und konstatiert zusammenfassend, daß die protestantische Ekklesiologie "in ihren Aussagen über das Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit über einen gewissen Grad der Allgemeinheit nicht hinausgekommen" ist (S. 131}. Huber unternimmt es daher, den Gegenstand "Kirche und Öffentlichkeit" pragmatisch und ohne eine systematische theologische Erstveröffentlichung in: Stimmen der Zeit, Bd. 193 (1975), S. 847-851. I Wolfgang Huber, Kirche und Öffentlichkeit. Stuttgart: Klett 1974. 736 S. (Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft 28.).

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Grundlage in vier zeitgeschichtlichen Fallstudien ("case-studies") zu behandeln. In der ersten Fallstudie untersucht er das Verhalten der evangelischen Theologie und Kirche beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs (S. 135-219). Wie der Verfasser dabei feststellt, war der deutsche Protestantismus im Zeitalter des landesherrlichen Kirchenregiments so sehr zu einer "staatserhaltenden Kraft" geworden, daß er "alle Distanz zu diesem Staat verloren hatte" (S. 167). Am Beispiel der extremen nationalistischen Kriegstheologie, wie sie insbesondere bei den Vertretern des "Kulturprotestantismus" in dem blasphemischen Begriff vom "deutschen Gott" (S. 141, 201) ihren prägnantesten Ausdruck gefunden hat, zeigt Huber, daß die evangelische Kirche damals die Kraft verloren hatte, "der Öffentlichkeit gegenüber eine kritische Instanz zu sein und nationalen Ideologien kritisch gegenüberzutreten" (S. 167). Für die Vertreter des orthodoxen Luthertums habe der Gedanke im Vordergrund gestanden, "daß der Krieg Ausdruck der Strafe Gottes und ein Aufruf zur Buße sei" (S. 155). Der Gedanke des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit wie vor allem die Erbsündenlehre habe die orthodoxen Lutheraner daran gehindert, sich nachdrücklich für die Humanisierung der Kriegführung einzusetzen oder sich gar mit dem Gedanken einer "Abschaffung des Krieges" zu beschäftigen (S. 155). Die "Identifikation der Kirche mit dem nationalen Denken und den nationalen Interessen" sei allerorten zutage getreten. In der "überwiegenden Mehrzahl ihrer Vertreter" habe die Kirche eine Agentur der "politischen Religion" (S. 217) gebildet. Spätestens am Schluß der ersten Fallstudie wird dem an zahllosen Stellen des Buchs zu "kritischer Solidarität" aufgerufenen Leser evident, daß der Verfasser mit seiner Darstellung eine durchaus konkrete zeitgenössische Tendenz verfolgt. Abrupt und ohne erkennbaren inneren Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu der kurzschlüssigen Kriegstheologie des deutschen Protestantismus beim Ausbruch und während des Ersten Weltkriegs stellt er nämlich abschließend fest: "Ähnliche Argumentationsfiguren wie während des Ersten Weltkriegs begegnen nach 1945 in den Kontroversen über die Remilitarisierung der Bundesrepublik, über die atomare Rüstung der Bundeswehr und über die Wiedereinrichtung einer Militärseelsorge" (S. 219). Die zweite Fallstudie trägt denn auch die Überschrift "Die Struktur der evangelischen Militärseelsorge" (S. 220-294). Im theologisch-politischen Weltbild des Verfassers ist offensichtlich kein legitimer Platz für die Existenz militärischer Streitkräfte. Leider läßt Huber in dieser für seine Arbeit zentralen Frage eine letzte Klarheit in seinen Ausführungen vermissen. Immerhin spricht er S. 225 von der "der Friedenssi-

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cherung durch Abschreckung so deutlich widersprechenden biblischen Botschaft vom Frieden". Auch der gerechte Verteidigungskrieg gegen einen ungerechten Angreifer erscheint ihm als theologisch unerlaubt und daher unsittlich. Die bestehende Struktur der evangelischen Militärseelsorge widerspricht nach der Meinung des Verfassers wegen ihres hierarchischen Aufbaus "evangelischen Kirchenverfassungsprinzipien" (S. 243, 259, 287). Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Synode der EKD dem Evangelischen Militärseelsorgevertrag mit einer Zweidrittelmehrheit zugestimmt hat (S. 258). Huber argumentiert gelegentlich auch verfassungsrechtlich und behauptet mit dem Argument, daß aus dem in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Art. 140 GG) übernommenen Art. 141 der Weimarer Reichsverfassung die Zulässigkeit einer institutionellen Verbindung von Staat und Kirche im Bereich der Militärseelsorge nicht zu entnehmen sei, sogar die Verfassungswidrigkeit des Artikels 27 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, der die Errichtung einer exemten katholischen Militärseelsorge vorsieht (S. 268). Dabei argumentiert der Verfasser offensichtlich nach dem falschen verfassungsrechtlichen Axiom: "Alles, was die Verfassung auf dem Gebiet des Religionsrechts nicht ausdrücklich zuläßt, ist verboten." Daß er damit in seiner Verfassungsinterpretation den Bereich der Religion und Tätigkeit der Kirchen einer diskriminierenden Ausnahmenorm unterstellt, ist ihm offenbar nicht bewußt. Unter irrtümlicher Berufung auf ein mißverstandenes Zitat von Alexander Hollerbach, der zu Recht dem Grundgesetz ein "Verbot einer institutionellen Verbindung von Staat und Kirche im inneren Verfassungsrechtskreis" entnimmt, bezeichnet Huber auch die bestehende Organisation der evangelischen Militärseelsorge für verfassungswidrig (S. 264, 271, 288, 544, 567, 615, 640, 649). Huber hat hierbei übersehen, daß Hollerbach an derselben Stelle im folgenden Satz ausdrücklich betont, daß das Grundgesetz das "Verbot der Staatskirche" nicht im Sinn einer "puristischen Trennung" versteht, sondern durchaus eine "funktionelle Zusammenarbeit" zwischen Staat und Kirche zuläßt. Gerade diese notwendige funktionelle Zusammenarbeit ist bei der bestehenden Organisation der Militärseelsorge in der Bundesrepublik im Interesse der Sicherung und Ermöglichung der freien Religionsausübung der Soldaten - und dies auch und gerade im Ernstfall, an den der Verfasser überhaupt nicht zu denken scheint - gegeben. In der Bundeswehr unterliegt der Militärpfarrer keinem dienstlichen Weisungsrecht von Offizieren. Der Staat übt lediglich eine Dienstaufsicht aus, die den geringsten Grad beim Militärpfarrer erreicht. Für die Militärpfarrer ist der evangelische Militärgeneraldekan bzw. der katholi-

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sehe Militärgeneralvikar sowohl der kirchliche als auch der staatliche unmittelbare Dienstvorgesetzte. Dies gewährleistet auch im staatlichen Bereich "eine den Besonderheiten der Militärseelsorge angepaßte Dienstaufsicht". 2 Im Gegensatz zu dem pastoralen und religiösen Anliegen der Begründer der bestehenden Militärseelsorge in der Bundesrepublik meint Huber, daß "die Instrumentalisierung der Religion zu militärischen Zwecken, die für die Geschichte der Militärseelsorge weithin kennzeichnend" sei, "auch in der Bundeswehr noch kein Ende gefunden" habe (S. 262 f.). Die dritte Fallstudie der Untersuchung trägt die Überschrift: "Der öffentliche Status der theologischen Fakultäten" (S. 295-379). Hier entwickelt Huber viel Bedeutsames über die notwendige Funktion theologischer Fakultäten im Gesamt einer Universität. Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche und ihr notwendiges Interesse an öffentlicher Wirksamkeit erfordere den öffentlichen Status der theologischen Fakultäten. Den evangelischen Kirchenleitungen konzediert Huber bei der Berufung theologischer Lehrstuhlinhaber jedoch nur ein konsultatives, nicht aber ein dezisives Mitspracherecht. Gegenteilige Tendenzen im evangelischen kirchlichen Raum bezeichnet er als "katholisierendes Mißverständnis" (S. 344, 373, 376), eine Feststellung, mit der für ihn die theologische Unrichtigkeit dieser Auffassungen bereits abschließend dargetan ist. Mit Nachdruck verwahrt er sich gegen "jede Subordination der Fakultät unter die Kirchenbehörde" (S. 349, 374). Ganz im Gegensatz zu seinen Ausführungen zur Militärseelsorge, deren bestehende Struktur er wegen ihrer angeblich unzulässigen institutionellen Verbindung zwischen Staat und Kirche für verfassungswidrig hält, trägt Huber keine Bedenken, bei der Berufung theologischer Lehrstuhlinhaber im Streitfall zwischen Fakultät und Kirchenleitung die Letztentscheidung über die theologische und sittliche Qualifikation eines Lehrstuhlbewerbers dem Kultusministerium des zu religiöser Neutralität verpflichteten Staates vorzubehalten (S. 375). Mit anderen Worten: Lehrer der Theologie, deren primäre Aufgabe in der theologischen Ausbildung des Pfarrernachwuchses besteht, sollen auch gegen den erklärten Willen der zuständigen Kirchenleitungen berufen werden können. Die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus schrecken den Verfasser hier nicht. Auch die Feststellung, daß sich "in den Augen der Bekennenden Kirche" der Status der theologischen Fakultäten an den Universitäten in der Kampfsituation nicht 2 Vgl. Rudolf Seiler, Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Berlin 1975, S. 692.

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bewährt hat (S. 320), kann Huber, der sich sonst so gern auf die Barmer Theologische Erklärung vom 31. 5. 1934 beruft, nicht dazu bewegen, den Kirchenleitungen einen größeren Einfluß auf die Besetzung theologischer Lehrstühle zuzubilligen als bisher. Der Tatsache, daß die Zukunft der theologischen Universitätsfakultäten beider Kirchen von der Sicherung der "Kirchlichkeit" der Universitätstheologie abhängt, ist er sich offensichtlich nicht hinreichend bewußt. Hier gesteht Huber dem Staat einen Einfluß zu wie in einer älteren Zeit, in der landesherrliches Kirchenregiment und landesherrlicher Summepiskopat die "Reinheit der Lehre" verbürgten. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes- und erst recht in einem Staatswesen wie der DDR- kann und darf dies nicht mehr legitime Aufgabe des Staates sein. In seiner vierten und letzten Fallanalyse behandelt Huber die Thematik "Die Vertriebenendenkschrift von 1965 und das Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit" (S. 380 bis 432). In der "breiten Resonanz, auf die die Ostpolitik der Bundesregierung seit 1969 in der deutschen Bevölkerung gestoßen ist" (S. 419), erblickt der Verfasser den Beweis dafür, daß diese Denkschrift einen Beitrag zur Friedensbereitschaft der Deutschen geleistet hat. Nach der Meinung des Verfassers ist diese Denkschrift nicht nur ein Dokument kirchlicher Friedensethik, sondern zugleich ein Beispiel kirchlicher Friedenspraxis (S. 419). Ungeklärt bleibt allerdings in diesem Zusammenhang die Frage nach der grundsätzlichen Legitimation der Kirche zu kirchenamtlichen Stellungnahmen zu konkreten politischen Fragen und Ereignissen. Insbesondere gilt dies von dem Problem, ob die Kirche diesbezügliche amtliche, halbamtliche, offizielle oder offiziöse Stellungnahmen aus theologischen (d. h. nur im Glauben erfahrbaren) Erkenntnisquellen oder aus rein menschlichem Wissen schöpft. Die bemerkenswert unkritischen Aussagen des Verfassers zu den Denkschriften erwecken die Besorgnis, daß auf dieser Argumentationsbasis allzuleicht politisch erwünschte Zielvorstellungen als theologisch und durch das Evangelium geboten hingestellt werden können. Die Gefahr einer totalen Politisierung der Kirche tut sich dabei auf. Leider hat der Verfasser es unterlassen, die ungleich vorsichtigeren und zurückhaltenderenAussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu diesem Gegenstand gewissermaßen als "Gegenposition" darzustellen, wie überhaupt das ökumenische Defizit ein hervorstechendes Merkmal dieser Arbeit bildet. Es verwundert, daß der Verfasser nicht allgemeine Grundsätze der Sittlichkeit und des Rechts erarbeitet, deren Beobachtung in Staat und Gesellschaft die Voraussetzung für ein geordnetes Zusammenleben ist. In diesem Sinn hebt er rühmend die Denkschrift der Zweiten vorläufi-

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gen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 28. Mai 1936 hervor. Diese Denkschrift wendet sich gegen die Ausschaltung der Kirche aus dem öffentlichen Leben durch staatliche Maßnahmen der Entchristlichung, durch die irreführende Formel vom "positiven Christentum" sowie durch die staatliche Kirchenpolitik. Sie richtet sich gegen die "religiöse Überhöhung des staatlichen Lebens, vor allem durch den Führerkult und durch die nationalsozialistische Weltanschauung, gegen die Zerstörung von Sittlichkeit und Recht und gegen das Unrecht des Antisemitismus und der Konzentrationslager" (S. 555). Um so mehr überrascht es, daß Huber die von sechs bekannten evangelischen und katholischen Verfassern ausgearbeitete Denkschrift "Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung" (1971), die durch den Vorsitzenden des Rats der EKD und den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit einem gemeinsamen Vorwort versehen und herausgegeben worden war und sich mit der aktuellen Diskussion über die rechtlichen Probleme von Ehescheidung, Pornographie und Schwangerschaftsabbruch befaßt, als Mißbrauch des Öffentlichkeitsauftrags der Kirche ansieht (S. 585). Er rügt, daß der Veröffentlichung in der äußeren Gestalt einer Denkschrift "kein entsprechender Beschluß des Rats der EKD" vorausgegangen sei und bei der Ausarbeitung die zuständigen Kommissionen der EKD nicht zu Rat gezogen worden seien. Diese kirchliche Veröffentlichung, deren Grundhaltung und Ergebnis der Verfasser offensichtlich mißbilligt, stellt seiner Auffassung nach keinen Beitrag zur "Versachlichung der Diskussion" dar, sondern "den Versuch der Durchsetzung partikularer kirchlicher Interessen". Huber stellt dazu fest: "Man muß in ihm eine Konfessionalisierungsbestrebung am Werk sehen, zu der sich führende Vertreter der beiden großen Konfessionen zusammengetan haben; der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche wird in einer solchen Bestrebung mißbraucht" (S. 585). Die Erkenntnis, daß auch der demokratisch legitimierte Gesetzgeber der Bundesrepublik mit den von den Kirchen vertretenen Grundsätzen der Sittlichkeit und des Rechts in schwerwiegender Weise in Konflikt geraten kann, scheint in der Untersuchung von Huber an keiner Stelle auf. Gerade hier wäre die vom Verfasser allenthalben geforderte "kritische Solidarität" am Platz. An zahlreichen Stellen seines Buches erklärt der Verfasser die z. B. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegende Unterscheidung zwischen "Staat und Gesellschaft" und ebenso zwischen "Kirche und Gesellschaft" für überholt. Leider unterläßt er es auszuführen, ob er für eine "Identität" von Staat, Kirche und Gesellschaft eintritt. Die grundlegende Tatsache, daß die Unterscheidung zwischen "Staat" und "Gesellschaft" die Voraussetzung für die Ermöglichung einer freiheitlichen Demokratie ist, hat der Verfasser of50 Sbd. List!

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fensichtlich nicht erkannt. Die einzige mögliche Alternative zu dieser Unterscheidung bildet der Totalitarismus. 3 An dieser Unklarheit krankt auch die den Schlußteil des Buches bestimmende These des Verfassers, daß die Kirche in ihrer öffentlichen Wirksamkeit "nicht als dem Staat zugeordnete Macht, sondern als gesellschaftlicher Verband" zu begreifen sei (S. 650). So richtig und zutreffend diese Aussage unter soziologischer Betrachtung ist, so sehr verkennt sie, daß die Kirche nicht nur Gegenstand der Verbandssoziologie, sondern auch eine rechtliche Institution ist. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Kirche nicht irgendein beliebiger Verband, sondern kraft der Verfassung Körperschaft des öffentlichen Rechts und dies, wie Ernst Friesenhahn überzeugend dargelegt hat, aus Gründen, die mit der modernen Staatstheorie und der freiheitlichen staatsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik voll im Einklang stehen. 4 Im übrigen nennt der Verfasser selbst im Gegensatz zu seinen Ausführungen im vorliegenden Buch, in denen der Rechtscharakter der Kirche weitgehend verkannt wird, an anderer Stelle den Staat und die Kirche die beiden "großen Daseinsmächte" 5 , die einander in vielen Bereichen berühren und deren Verhältnis zueinander darum rechtlicher Ordnung bedarf. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß diese überaus informative Untersuchung, deren einzelne Abschnitte allerdings ohne innere systematische Einheit unverbunden nebeneinanderstehen, dem Leser zwar zahlreiche wertvolle Einblicke in die innerevangelische Diskussion zur Problematik "Kirche und Öffentlichkeit" bzw. "Politische Theologie" aus der zweiten Hälfte der sechziger Jahre vermittelt; daß aber der Verfasser keine allgemeingültigen Grundsätze und Kategorien der Sittlichkeit und des Rechts für das Wirken und die Stellungnahmen der Kirche in der Öffentlichkeit und im politischen Raum entwickelt. Insofern kommt der Untersuchung im Ergebnis nur ein bedingter und wegen der Wahl der Themenstellung auch nur ein zeitbedingter Wert 3 Vgl. dazu die bedeutsame Untersuchung von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, Opladen 1973; ferner Konrad Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: Die Öffentliche Verwaltung 28, 1975, S. 437 ff. 4 Vgl. Ernst Friesenhahn, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Berlin 1974, S. 545 ff. s Vgl. Ernst Rudolf Huber- Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 1 (Berlin 1973), VI (Vorwort). Vgl. dazu Stimmen der Zeit, Bd. 191 (1973), s. 862f.

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zu. Daß der Verfasser als evangelischer Theologe das gemeinsame Bemühen bekannter evangelischer und katholischer Persönlichkeiten, bei der rechtlichen Regelung des Ehescheidungsrechts, der Gesetzgebung zur Pornographie, zum Jugendschutz und zum Schwangerschaftsabbruch "den sittlichen Wertvorstellungen von allgemeiner Gültigkeit Gehör zu verschaffen und damit einer Selbstzerstörung von Staat und Gesellschaft zu wehren, die unvermeidlich aus dem Verzicht auf einen Grundbestand an sittlichen Überzeugungen als verbindlicher Norm für die Gesellschaft und für die Gesetzgebung des Staates folgen würde" (Vorwort von Bischof D. Hermann Dietzfelbinger und Julius Kardinal Döpfner zu der Denkschrift "Das Gesetz des Staates und die sittliche Ordnung"), als Mißbrauch des Öffentlichkeitsauftrags der Kirche, als verwerfliche Konfessionalisierungsbestrebung und als "Mißgriff" (S. 585 f.) ansieht, kann wohl nur aus der persönlichen politischen Festlegung des Verfassers erklärt werden. Das Buch wird der Tatsache nicht gerecht, daß der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche immer im Dienst ihres Heilsauftrags und ihrer geistlichen Sendung stehen muß. Die Untersuchung von Huber trägt die Gefahr in sich, das Evangelium Jesu Christi in erster Linie als politische Doktrin und die Kirche als Instanz zur Verwirklichung eines je aus dem Augenblick zu vollziehenden sozialkritischen Imperativs zu verstehen.

so•

Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit Aus der Koexistenz und Konkurrenz der staatlichen und kirchlichen Gerichtsbarkeit ergab sich im Bereich des Staatskirchenrechts seit jeher die schwierige Aufgabe der Abgrenzung der Kompetenzen der beiden Gerichtsbarkeiten. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes haben der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht in einer Fülle von Entscheidungen hierzu übereinstimmend eine gefestigte und konstante Judikatur entwickelt, die bei einem Teil der Literatur auf heftigen Widerspruch gestoßen ist. Dieser Problembereich und die gegenwärtige Praxis der Gerichte werden im folgenden Beitrag dargestellt. I. Problemstellung

In der Frage der Grenzziehung zwischen den der Gerichtshoheit des Staates unterliegenden kirchlichen Angelegenheiten und denjenigen kirchlichen Materien, die dem innerkirchlichen Bereich zuzuordnen sind und für deren Entscheidung daher eine Zuständigkeit staatlicher Gerichte nicht gegeben ist, haben die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, und hier insbesondere der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht, unter der Herrschaft des Grundgesetzes eine in der Praxis seit langer Zeit bewährte, konstante Rechtsprechung entwickelt, die weithin, insbesondere auch von den betroffenen Kirchen und deren Verwaltungen, mit ungeteilter Zustimmung aufgenommen worden ist. Auf Widerspruch gestoßen ist dabei im Grunde lediglich bei einem Teil der Vertreter der Literatur die vom Bundesgerichtshof inaugurierte, später vom Bundesverwaltungsgericht übernommene und fortentwickelte und schließlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Rechtsprechung zum Amtsrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten. Sie läßt sich inhaltlich dahingehend zusammenfassen, daß für sogenannte Statusklagen kirchlicher Amtsträger, die die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der Verleihung und des Entzugs eines kirchlichen AmErstveröffentlichung in: Die Öffentliche Verwaltung, 42. Jhg. (1989), S. 409419.

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tes, aber auch die Beurlaubung, die Versetzung aus dem Amt sowie in den Warte- und Ruhestand zum Gegenstand haben, ein Rechtsweg zu staatlichen Gerichten nicht eröffnet und eine Klage daher in diesen Fällen unzulässig ist. Die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche aus derartigen Dienstverhältnissen vor staatlichen Gerichten ist nur dann zulässig, wenn kirchlicherseits eine ausdrückliche oder stillschweigende Zuweisung an staatliche Gerichte gemäߧ 135 Satz 2 BRRG erfolgt ist. Diese Rechtsprechung wurde einerseits als "befremdlicher Rückfall in eine neue geistliche Immunität" gewertet 1 ; andererseits wurde zu ihr festgestellt, daß die "zurückhaltende Rechtsprechung der staatlichen Gerichte" zum Amtsrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten "bislang zu keinen unhaltbaren Verhältnissen geführt" habe und die der Rechtsprechung sehr kritisch gegenüberstehende Literatur "mehr im abstrakten Raum" operiere2 • ll. Zuständigkeit und Grenzen staatlicher Gerichtsbarkeit in kirchlichen Angelegenheiten 1. Die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

Die Klärung der Frage der Zuständigkeit staatlicher Gerichte bei der Entscheidung kirchlicher Angelegenheiten muß ausgehen von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV Nach dieser Verfassungsbestimmung ordnen und verwalten die Kirchen ihre Angelegenheiten selbständig im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes 3 . Bei den Kirchen handelt es sich, wie das Bundesverfassungsgericht erklärt hat, um Institutionen, die nicht vom Staat geschaffen sind, sondern im außerstaatlichen Bereich wurzeln und in ihrem Eigenbereich weder staatliche Aufgaben wahrnehmen noch staatliche Gewalt ausüben4 • Diese Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaften wird auch nicht durch die Zuerkennung der öffentlich-rechtlichen Korporationsquali1 Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, S. 199; ebenso ders., Der staatliche Rechtsschutz im kirchlichen Bereich, in: AöR 112 (1987), S. 624 mit zahlreichen weiteren Nachweisen über die einschlägige Literatur. 2 Hartmut Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Festschrift für Christian-Friedrich Menger. Hrsg. von Hans-Uwe Erichsen, Werner Hoppe, Albertvon Mutius, Köln/Berlin/Bonn/München 1985, S. 297. 3 In diesem Sinne auch von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 630f.; Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S .. 289. 4 BVerfGE 21, 362 (374) mit Verweis auf BVerfGE 18, 385 (386) und 19, 1 (5).

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tät in Frage gestellt. Der öffentlich-rechtliche Status der Kirchen gern. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WeimRV bedeutet angesichts der religiösen und konfessionellen Neutralität des Staates nach dem Grundgesetz keine Gleichstellung mit den übrigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die in den Staat organisch eingegliederte Verbände darstellen; er ist lediglich als zusammenfassende Kennzeichnung der Rechtsstellung der Kirchen anzusehen, der sie zwar über die Religionsgemeinschaften des Privatrechts erhebt, aber keiner besonderen Kirchenhoheit des Staates oder gesteigerten Staatsaufsicht unterwirft5. Für den Gesamtbereich der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, d. h. für die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, ist somit unabhängig von ihrer Rechtsform nicht das staatliche, sondern das im Bekenntnis der einzelnen Religionsgemeinschaften begründete kirchliche Recht maßgebend 6 . 5 BVerfGE 18, 385 (386 f.) im Anschluß an Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, in: ZevKR 7 (1959160), S. 258 und 267; abgedr. auch in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, S. 153 und 162. Hier betont Scheuner den "Wandel" im Verhältnis Staat-Kirche sowie die neue Selbständigkeit der Kirchen im Sinne einer Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung. Unter dieser Eigenständigkeit, die in den nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträgen ausdrücklich anerkannt worden sei, sei die "staatliche Anerkennung der grundlegenden Andersartigkeit und Unabhängigkeit der Kirche noch über die autonome Selbständigkeit des Art. 137 Abs. 3 WeimRV hinaus" zu verstehen. Ferner Paul Mikat, Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Bettermann I Nipperdey I Scheuner, Die Grundrechte, Bd. IV11, Berlin 1960, S. 163 ff.; abgedr. auch in: ders., Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht, 1. Halbband, Berlin 1974, S. 81 ff. 6 Zum kirchlichen Verständnis des wesensmäßigen Unterschiedes, der zwischen der kirchlichen und der staatlichen Gewalt, Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit besteht, vgl. Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 414 mit Anm. 200; ferner ders., Kirche und Staat inderneueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978, S. 138f.; ders., Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 1021 ff. Über die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche im Hinblick auf die Kompetenz zur Festlegung der Zuständigkeit der beiden Gewalten, d. h. das "judicium finium regundorum", in der Neuzeit s. die Angaben bei Ulrich Scheuner, Schriften zum Staatskirchenrecht, hrsg. von Joseph Listl (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 3), Berlin 1973, S. 132, 153, 175, 318. Zu dieser Problematik während des Mittelalters s. die Untersuchung von Emil Friedberg, De finium inter ecclesiam et civitatem regundorum judicio quid medii aevi doctores et leges statuerint, Leipzig 1861 (Neudruck Aalen 1965). Zur frühen Kirche s. Hugo Rahner, Kirche und Staat im frühen Christentum. Dokumente aus acht Jahrhunderten und ihre Deutung, München 1961.

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Wie Maurer hierzu zutreffend ausführt, anerkennt damit der säkulare, religiös-weltanschaulich neutrale Staat der Gegenwart, daß die geistlichen Aufgaben der Kirchen sowie die zu ihrer Entfaltung und ihrer Tätigkeit erforderliche kirchliche Ordnung "seiner Zuständigkeit von vornherein entzogen sind". Die Kirchen sind damit- im Unterschied zu den Gemeinden aufgrund der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG - keine autonomen Verbände innerhalb des Staates, "sondern eigenständige Größen, die vom Staat vorgefunden und respektiert werden" 7 . Aufgrund ihres von der Verfassung anerkannten Selbstbestimmungsrechts steht den Kirchen das Recht auf eigenständige Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zu. Die kirchliche Gerichtsbarkeit, die im Falle des kanonischen Rechts der katholischen Kirche in einer Jahrhunderte dauernden Entwicklung ausgebildet wurde, stellt ihrem Wesen nach kein staatliches Privileg dar, sondern ist eigene, ursprüngliche, im inneren Bereich wirkende Rechtsprechung, durch die festgestellt wird, was kraft kirchlichen Rechts zwischen der Kirche und ihren Angehörigen Rechtens ist 8 . Gleiches gilt von der kirchlichen Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche. Damit steht die Tatsache nicht in Widerspruch, daß zum Rechtsstaat ein umfassender staatlicher Rechtsschutz gehört und der moderne Staat es als seine Pflicht betrachten muß, allen Staatsbürgern diesen Rechtsschutz zu gewähren. In Art. 19 Abs. 4 GG wird deshalb mit Recht diese "Justizgewährleistungspflicht" des Staates gegenüber allen Maßnahmen der staatlichen Gewalt besonders hervorgehoben. Sie besagt, daß die staatlichen Gerichte im Streitfall über alle in der staatlichen Rechtsordnung begründeten Ansprüche zu entscheiden haben. Die kirchliche Rechtsordnung ist jedoch nicht von der staatlichen Rechtsordnung abgeleitet, sondern steht eigenständig neben dem staatlichen Recht. Die genaue Festlegung des Verlaufs der Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ergibt sich aus den Schranken 7 Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 289; grundsätzlich zustimmend auch von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 630, wenn er feststellt, daß das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die Grenze für die Zuständigkeit staatlicher Gerichte darstelle. a Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 6), S. 397 m.w.N. Zur kirchlichen Gerichtsbarkeit vgl. Hartmut Maurer, Die kirchliche Gerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Bd. 1, Stuttgart 1987, Sp. 1083 ff.; Georg May, Die kirchliche Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche, ebd., Sp. 1089ff.; ferner Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 257, 277ff.; Konrad Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 422.

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des für alle geltenden Gesetzes. Die Aufgabe der vielerörterten Schrankenklausel des Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs. 3 WeimRV ist es, die Freiheit der Kirche und die staatliche Rechtsordnung zu einem für beide Seiten annehmbaren Ausgleich zu bringen. Bei der Bestimmung dieser Schranken des für alle geltenden Gesetzes bedient sich das Bundesverfassungsgericht rechtstechnisch einerseits der Bereichslehre mit der Maßgabe, daß die Kirchen im innerkirchlichen Kernbereich an die Schranken des für alle geltenden Gesetzes nicht gebunden sind9 , während das Gericht in anderen Fällen die Abwägungslehre anwendetl 0 und darüber hinaus auch noch auf die Jedermann-Klausel rekurriert 11 . Nach dieser Klausel fällt eine Rechtsnorm nur dann unter das für alle geltende Gesetz, wenn sie für die Kirche dieselbe Bedeutung hat wie für den Jedermann, d. h. wenn sie die Kirche nicht in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, also nicht anders als den normalen Adressaten trifft. Ferner bleibt eine Regelung, die keine unmittelbaren Rechtswirkungen in den staatlichen Zuständigkeitsbereich hat, eine "innere kirchliche Angelegenheit" auch dann, wenn sie dorthin mittelbare Auswirkungen hatl 2 • Wie Ulrich Scheuner hierzu ausführt, muß der Begriff des für alle geltenden Gesetzes "in Berücksichtigung der kirchlichen Freiheit ausgelegt werden" 13 . "Starre Formeln", wie die in der Weimarer Zeit von Johannes Heckel geprägte Formulierung, daß unter dem für alle geltenden Gesetz "nur die für die Gesamtnation unentbehrlichen Gesetze" zu verstehen seien, helfen, wie Scheuner hervorhebt, bei der Klä9 BVerfGE 18, 385 (386 ff.); 42, 312 (334); 66, 1 (20); vgl. auch BVerwGE 66, 241 (244). 1o BVerfGE 53, 366 (400f.); 66, 1 (22); vgl. hierzu von Campenhausen, Staatskirchenrecht (Anm. 1), S. 92 ff.; Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Anm. 8), S. 438 ff. 11 BVerfGE 42, 312 (334); 66, 1 (20). 12 Vgl. zum Ganzen Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 292, der darauf hinweist, daß das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Kirchen erforderlichenfalls auch eine Kombination dieser Interpretationsmaximen des Art. 137 Abs. 3 WeimRV anwendet, z. B. in BVerfGE 66, 1 (20 ff.). Über die sich hieraus ergebenden Konsequenzen hinsichtlich der Rechtswegfrage vgl. bei Maurer, ebd. Zur richterlichen Akzeptanz des kirchlichen Selbstverständnisses als Voraussetzung einer Rechtsschutzöffnung vgl. die Ausführungen von Udo Steiner, Offene Rechtsschutzprobleme im Verhältnis von Staat und Kirchen, Passau 1981, S. 9 ff. 13 Ulrich Scheuner, Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 82. In diesem Sinne auch von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 635; ders., Staatskirchenrecht (Anm. 1), S. 88 ff. m.w.N.

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rung dieser Frage nicht weiter. Der vielzitierten Heckeischen Formel werde heute weitgehend mit Zweifel begegnet. Sie verenge den Freiheitsraum der Kirchen, indem sie nur eine oberste Schicht staatlicher Wertsetzungen die Selbstbestimmung begrenzen lasse. Man müsse vielmehr davon ausgehen, daß es sich hier nicht um eine eigentliche Schrankenziehung für eine grundsätzlich weite Freiheit handele, sondern um die Einfügung der kirchlichen Betätigungsfreiheit in die allgemeine Rechtsordnung 14 . Bei der Bestimmung, in welchem Falle ein staatliches Gesetz dem kirchlichen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht eine Schranke ziehen könne, komme es daher jeweils auf den Gegenstand an, der für beide Seiten von Bedeutung sei. Die notwendige Abwägung wird hierbei, wie Scheuner erklärt, zugunsten der kirchlichen Selbstbestimmung den Bereich sichern, in dem in der kirchlichen Wirksamkeit das religiöse Moment ausgeprägt hervortritt, jedoch in denjenigen Punkten, in denen es nur in einem geringen Maße beteiligt ist, dem staatlichen Recht eher die beschränkende Ordnung zugestehen. Auch Scheuner räumt dabei ein, daß es nicht leicht erscheine, für diese Abwägung eine allgemeine Formel zu geben; er weist darauf hin, daß bei jedem diesbezüglichen Versuch "stets auch der Blick auf den religiösen Bereich kirchlicher Wirksamkeit" gerichtet sein müsse, dessen Selbstgestaltung die Bestimmung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV zu sichern unternehme 15 .

14 Ulrich Scheuner, Begründung, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie, in: Autonomie der Kirche. Symposion für Armin Füllkrug. Hrsg. von Hans-Gemot Jung I Hans Hartmann Frhr. von Schlotheim I Walter Weißpfennig, Neuwied und Darmstadt 1979, S. 21. 15 Scheuner, Das System der Beziehungen (Anm. 13), S. 82; ders., Begründung, Gestaltung und Grenzen kirchlicher Autonomie (Anm. 14), S. 21 ff. mit eingehender Darstellung der Problembereiche des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen. Inhaltlich übereinstimmend mit Scheuner erklärt auch das Bundesverfassungsgericht bei der Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des nordrhein-westfälischen Krankenhausgesetzes (BVerfGE 53, 366 [404]), daß jedes dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehende Gesetz seinerseits auf eine ebensolche Schranke, nämlich auf die materielle Wertentscheidung der Verfassung, treffe, die über einen für die Staatsgewalt unantastbaren Freiheitsbereich hinaus die besondere Eigenständigkeit der Kirchen und ihrer Einrichtungen gegenüber dem Staat anerkenne (unter Bezugnahme auf BVerfGE 42, 312 [322, 334]). Die Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundsatzes führe im Sinne einer Wechselwirkung dazu, daß über die formalen Maßstäbe des "für alle Geltens" hinaus sich je nach der Gewichtung der Berührungspunkte staatlicher und kirchlicher Ordnung für die staatliche Rechtsetzungsbefugnis bestimmte materielle Grenzen ergeben.

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Kirchliches Wirken 2. Die der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegenden kirchlichen Angelegenheiten

Die Kirchen beanspruchen keineswegs eine grundsätzliche Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit. Ungeachtet des verfassungsrechtlich anerkannten Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechts der Kirchen in ihren eigenen Angelegenheiten bereitet der allergrößte Teil der kirchlichen Streitsachen im Hinblick auf die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte zur Streitentscheidung keinerlei Probleme.

a) Teilnahme der Kirchen am allgemeinen Rechtsverkehr Soweit die Kirchen am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen, sind sie wie jedermann an das materielle staatliche Recht gebunden. Sie nehmen und geben Recht vor den staatlichen Gerichten, obwohl sie dabei von ihrem Selbstverwaltungsrecht Gebrauch machen und in ihren eigenen Angelegenheiten tätig werden und ihnen das Recht zukommt, diese Angelegenheiten selbständig zu verwalten. Ganz selbstverständlich akzeptieren die Kirchen hier die Bindung an die Normen des allgemein geltenden Rechts, etwa wenn sie Kaufverträge schließen, Baugenehmigungen beantragen oder Grundstücke erwerben. Es kommt vor, daß eine Kirche als Klägerin eine Streitigkeit des Baurechts vor dem Verwaltungsgericht durchficht, aber auch, daß sie selbst Beklagte oder Beigeladene wird 16 • Die Kirchen und ihre Bediensteten unterliegen selbstverständlich auch den Bestimmungen des staatlichen Strafrechts. Auch die Außenbeziehungen der Kirchen sind, soweit sie im weltlichen Recht relevant sind, der staatlichen Gerichtsbarkeit grundsätzlich nicht entzogen. Dies gilt auch für alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen den Kirchen und ihren Angehörigen oder Außenstehenden. Wer mit der Kirche kontrahiert, mag sich vielleicht ihren Vertragsbedingungen unterwerfen und u.U. auch vielleicht ihrem autonom gesetzten Recht, er begibt sich damit aber nicht des staatlichen Rechtsschutzes. Der Nachbar eines kirchlichen Grundstückes kann 16 Wolfgang Rüfner, Rechtsschutz gegen kirchliche Rechtshandlungen und Nachprüfung kirchlicher Entscheidungen durch staatliche Gerichte, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 769 f.; ders., Rechtsschutz gegen kirchliche Rechtshandlungen und Nachprüfung kirchlicher Entscheidungen durch staatliche Gerichte, in: Staat und Kirche. Referate der Tagung der Deutschen Richterakadernie in Trier vom 6. bis 12. November 1983. Hrsg. vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz, München 1984, S. 129; ebenso Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 286; von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 633.

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sich gegen Immissionen vor staatlichen Gerichten wehren, wie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den Gebrauch von Kirchenglocken beweise 7 . Das geltende Gesetzbuch der katholischen Kirche, der Codex Iuris Canonici vom 25. 1. 1983, erklärt in can. 1290 ausdrücklich, daß die Bestimmungen des staatlichen Rechts über die Verträge im allgemeinen und im besonderen und über deren Erfüllung, die in einem Gebiet gelten, im kanonischen Recht mit denselben Wirkungen hinsichtlich derjenigen Angelegenheiten zu beachten sind, die der Leitungsgewalt der Kirche unterliegen, sofern sie nicht im Widerspruch zum göttlichen Recht (ius divinum) stehen oder das kanonische Recht nicht eine andere Bestimmung trifft.

b) Das Arbeitsrecht der kirchlichen Bediensteten Auch die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer weisen grundsätzlich gegenüber anderen Arbeitsverhältnissen keine prozessualen Besonderheiten auf. Die arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der kirchlichen Bediensteten unterliegen grundsätzlich der staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit. Von der ihnen verfassungsrechtlich gebotenen Möglichkeit, kraft ihres Selbstbestimmungsrechts auch eigene arbeitsrechtliche Regelungen zu erlassen und nicht nur ein kollektives, sondern auch ein kircheneigenes Individualrecht zu schaffen, haben die Kirchen bisher keinen Gebrauch gemacht. Würden die Kirchen derartige Regelungen erlassen, wären auch die arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der kirchlichen Dienstnehmer der Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit entzogen und die staatlichen Gerichte allenfalls auf die Prüfung der Einhaltung derjenigen Vorschriften des staatlichen Arbeitsrechts beschränkt, die unter die Schrankenklausel des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV fallen. Die Kirchen sind jedoch aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts berechtigt, mit ihren Dienstnehmern besondere kirchenspezifische vertragliche Loyalitätspflichten zu vereinbaren und die sich aus ihrem Selbstverständnis ergebenden unverzichtbaren Obliegenheiten für die kirchlichen Dienstnehmer im einzelnen Arbeitsvertrag verbindlich zu machen. Im Streitfall haben die Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt, hierüber selbst zu befinden 18 . Den Kirchen, soweit sie Körperschaften des öf17 BVerwGE 68, 62 = DÖV 1984, S. 255. Vgl. zum Ganzen Rüfner, Rechtsschutz, München 1984 (Anm. 16), S. 132. 18 BVerfGE 70, 138 = DÖV 1985, S. 975 = JZ 1986, S. 131 mit Anm. von Reinhard Richardi. Vgl. hierzu auch BAG, Urt. vom 15. 1. 1986, in: ZevKR 31 (1986),

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fentlichen Rechts sind, steht ferner gemäߧ 121 Nr. 2 BRRG die Möglichkeit offen, für ihre Geistlichen und Kirchenbeamten öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse nach Art der Beamtenverhältnisse zu begründen.

c) Die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche Allgemeine Übereinstimmung besteht darüber, daß für Streitigkeiten in den Bereichen der gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, in denen die Kirchen staatlich verliehene Hoheitsgewalt ausüben, gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO die staatlichen Verwaltungsgerichte zuständig sind. (1) Rechtsstreitigkeiten in Kirchensteuerangelegenheiten fallen in die unbestrittene Zuständigkeit der staatlichen Verwaltungs- oder Finanzgerichte19.

(2) Für Streitigkeiten auf dem Gebiet des Friedhofs- und Bestattungswesens, das nach heutiger Auffassung eine staatliche Aufgabe

darstellt, sind die staatlichen Verwaltungsgerichte zuständig. Lediglich die religiösen Bestattungsfeierlichkeiten und die Gottesdienste sind als eigene Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu beurteilen20 . (3) Auch für Streitigkeiten aus dem kirchlichen Personenstandswesen, jedenfalls hinsichtlich der Auszüge aus Kirchenbüchern die sich

auf Eintragungen aus der Zeit vor dem am 1. 1. 1876 erfolgten Inkrafttreten des Reichspersonenstandsgesetzes beziehen, sowie über die Er-

S. 461; von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 633, 650 ff. Ferner Wolfgang Rüfner, Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Dienst. Zum Verhältnis von Staat und Kirche im Individualarbeitsrecht, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, Köln/Berlin/Bonn/München 1988, S. 797 ff.; Joseph Listl, Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften. Begr. von Joseph Höffner. Hrsg. von Wilhelm Weber, Bd. 27, Münster 1986, S. 131 ff. 19 Näheres bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 6), S. 401 f.; Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 287 f. m.w.N. Vgl. hierzu den Beitrag von Joseph Listl, Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Festschrift für Faul Mikat zum 65. Geburtstag am 4. 12. 1989, Berlin 1989 (im Druck). 2o Vgl. hierzu bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 6), S. 402 f.; ferner Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 288; von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 643 m.w.N.; Otto J. Voll I Johann Störle, Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts (HdbBayStKirchR), München 1985, S. 336 ff.

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teilung solcher Auszüge und Urkunden sind die staatlichen Verwaltungsgerichte zuständig21 . (4) Erst recht unterliegen Streitigkeiten, soweit sie die Erteilung des Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen und die Benotung der Leistungen in diesem Fach zum Gegenstand haben, der staatlichen Gerichtsbarkeit22. Gleiches gilt für die Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten, z. B. bei einem Streit über den Anspruch eines Theologiestudierenden auf Zulassung zur Promotion in der Fakultät einer anderen Konfession 23 . Ein Theologiestudent, der eine theologische Universitätsprüfung nicht bestanden hat, befindet sich in derselben Situation wie jeder andere Student24 . Lediglich Fragen der kircheninternen Orthodoxie, d. h. die Übereinstimmung der in der Prüfung vertretenen Auffassungen mit den Lehren der jeweiligen Kirche, könnten von einem staatlichen Gericht nicht überprüft werden. Auch die Anstellungs- und Dienstverhältnisse von Religionslehrern und Theologieprofessoren unterliegen der staatlichen Gerichtsbarkeit. Der Staat ist verpflichtet, einen wegen seiner Lehre oder seiner Lebensführung konkordatsrechtlich beanstandeten Lehrer der Theologie zu ersetzen25 und einen Religionslehrer, der von seiner Kirche durch Entzug der Missio canonica oder der kirchlichen Vokation für untragbar erklärt worden ist, zurückzuziehen. Die beamtenrechtlichen Maßnahmen, die der Staat zum Vollzug der kirchlichen Entscheidungen trifft, können dabei von den staatlichen Verwaltungsgerichten überprüft werden. Eine Befugnis zur inhaltlichen Überprüfung der kirchlichen Entscheidungen steht dem staatlichen Gericht jedoch nicht zu. Nur ein offensichtlich sachwidriger oder willkürlicher Entzug der Missio canonica wäre vom staatlichen Dienstherrn nicht zu beachten26 .

Von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 642 f. m.w.N. Zur Frage der Versetzungserheblichkeit der Religionsnote vgl. BVerwGE 42, 346 = DÖV 1974, S. 279 = NJW 1973, S. 1815 mit abl. Anm. von Klaus Obermayer und NJW 1973, S. 2315 mit zust. Anm. von UZTich Scheuner. Vgl. hierzu ferner Friedrich Müller und Bodo Pieroth, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, Berlin 1974. 23 Zur Frage der Bekenntnisgebundenheit einer theologischen Promotion vgl. das ausführlich begründete Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. 7. 1984, in: NVwZ 1985, S. 126 ff. 24 Rüfner, Rechtsschutz, in: HdbStKirchR (Anm. 16), S. 772. 25 Ulrich Scheuner, Rechtsfolgen der konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen, Berlin 1980; ferner Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Fall Küng und das Staatskirchenrecht, in: NJW 1981, S. 2101 ff.; Ernst Gottfried Mahrenholz, Staat und staatliches katholisch-theologisches Lehramt, in: Der Staat 25 (1986), S. 79 ff. 26 Rüfner, Rechtsschutz, in: HdbStKirchR (Anm. 16), S. 772 f.; ders., Rechtsschutz, München 1984 (Anm. 16), S. 140f. 21

22

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Kirchliches Wirken 3. Die innerkirchlichen Angelegenheiten

a) Fragen der Glaubenslehre, der Verkündigung, der Liturgie und des Kultus Zum Kernbereich derjenigen innerkirchlichen Maßnahmen, die gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WeimRV der ausschließlichen Bestimmung und Entscheidung der Religionsgemeinschaften unterliegen und einer Überprüfung durch staatliche Gerichte nicht zugänglich sind, gehört die Feststellung der unmittelbar aus dem dogmatischen Selbstverständnis einer jeden Religionsgemeinschaft sich ergebenden Glaubenslehre und deren Verkündigung, ferner die Gestaltung der Liturgie und des Kultus sowie die Festlegung der inneren verfassungsmäßigen Ordnung einer jeden Gemeinschaft27. Zu den innerkirchlichen Maßnahmen, die im staatlichen Zuständigkeitshereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten, gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "insbesondere der eigentliche Aufgabenkreis der Religionsgemeinschaften wie Gottesdienst, Glaubenslehre und Sakramentenlehre". Aus diesem Grunde bleibt z. B. die Entscheidung eines kirchlichen Spruchkollegiums, daß ein Pfarrer öffentlich durch Wort und Schrift in der Darbietung der christlichen Lehre in entschiedenen Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche getreten sei und daran beharrlich festhalte und mithin nicht mehr fähig sei, eine amtliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst auszuüben, im innerkirchlichen Rechtsbereich. Sie betrifft für die christlichen Kirchen nach ihrem Selbstverständnis zentrale Fragen ihres Glaubensbekenntnisses. Der staatliche Zuständigkeitsbereich wird insoweit nicht berührt. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidungen in BVerfGE 18, 385 (387) und 42, 312 (334) erklärt das Gericht, daß sich die Frage, ob eine Maßnahme dem innerkirchlichen Bereich zuzuordnen sei, hierbei danach entscheide, was der Natur der Sache oder der Zweckbestimmung nach als eigene Angelegenheit der Kirche anzusehen sei. Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht hierzu ausgeführt, daß die in dem Bereich der innerkirchlichen Angelegenheiten zu treffenden Entscheidungen "einschließlich der Ausgestaltung und Durchführung des Verfahrens" nicht Sache des Staates seien und ihre Vereinbarkeit mit 27 So bereits Ebers, Staat und Kirche (Anm. 8), S. 261 ff.; Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Anm. 8), S. 424; Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 6), S. 379 ff.; zustimmend auch von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 654: "Allenfalls in Fragen der Lehre und des Kultus kommt ein weitgehender Ausschluß staatlicher Gerichtsbarkeit in Betracht."

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dem Grundgesetz deshalb in dem gegebenen Fall nicht geprüft werden könne. Da es sich bei dem angegriffenen Spruch des Spruchkollegiums der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands nicht um die Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG handele, sei die Verfassungsbeschwerde unzulässig28 . Aus diesem Grunde ist auch ein Rechtsweg zu staatlichen Gerichten im Falle des von einem Diözesanbischof ausgesprochenen Entzugs der Missio canonica eines Religionslehrers nicht gegeben 29 . Im selben Sinne hat das VG Münster entschieden, daß das Erfordernis einer kirchenbehördlichen Bevollmächtigung zur Erteilung von katholischem Religionsunterricht (Missio canonica) als beamtenrechtliches Eignungsmerkmal oder als Laufbahnvoraussetzung verfassungskonform ist und die Rechtmäßigkeit einer Versagung der Missio canonica grundsätzlich bei der Frage der Anstellungsfähigkeit eines Lehrers nicht inzidenter im Verwaltungsrechtsweg überprüft werden kann 30 . Ebensowenig ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet im Falle einer Klage gegen die Feststellung des Kirchenvorstandes, daß die Wahl eines Kandidaten unwirksam ist 31 . Staatliche Gerichte sind ferner auch nicht befugt, die Rechtsfrage zu entscheiden, welche Anforderungen die Religionsgesellschaften an die Wählbarkeit von Arbeitnehmern zu kirchlichen Mitarbeitervertretungen stellen dürfen32 • Auch die Regelung in einem kirchlichen Verwaltungsgerichtsgesetz, nach der als Bevollmächtigte nur Anwälte zugelassen sind, die der betreffenden Kirche angehören und die kirchliche Wählbarkeit besitzen, betrifft eine innerkirchliche Angelegenheit. Für hiergegen gerichtete Klagen ist der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten nicht gegeben33 .

b) Organisation und Verwaltung Eine grundsätzliche und richtungweisende Bedeutung für das gewandelte verfassungsrechtliche Verständnis des Selbstbestimmungsrechts und der Eigenständigkeit der kirchlichen Gewalt unter der Herrschaft des Grundgesetzes kommt der Entscheidung des Bundes28 Entscheidung des BVerfG vom 6. 4. 1979, in: NJW 1980, S. 1041 mit Anm. von Hermann Weber. 29 VG Aachen, Urt. vom 27. 6. 1972, in: DÖV 1973, S. 682 = DVBl. 1974, S. 57 mit zust. Anm. von Joseph Listl. 3o VG Münster, Urt. vom 10. 8. 1977, in: KirchE 16, S. 160. 31 OVG Münster, Urt. vom 23. 8. 1977, in: NJW 1978, S. 905. 32 BAG, Beschl. vom 11. 3. 1986, in: NJW 1986, S. 2591. 33 BVerfG, Urt. vom 21. 11. 1980, in: DVBl. 1981, S. 492.

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Verfassungsgerichts vom 17. 2. 1965 zu. Das Bundesverfassungsgericht hat darin die Verfassungsbeschwerde einer evangelischen Kirchengemeinde gegen den die Teilung dieser Gemeinde anordnenden Beschluß der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau als unzulässig verworfen. Die tragende Begründung dieser Entscheidung besteht in der Feststellung des Gerichts, daß eine Teilungsanordnung einer kirchlichen Oberbehörde eine "rein innerkirchliche Maßnahme" sei. Öffentliche Gewalt im Sinne des § 90 BVerfGG umfasse aber nicht "rein innerkirchliche" Maßnahmen. Daher seien in diesem Fall die Voraussetzungen für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht gegeben34 . Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bis zum heutigen Tag ist die in dieser Entscheidung getroffene Feststellung des Gerichts, daß rein innerkirchliche Maßnahmen, die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten, von staatlichen Gerichten nicht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft werden können. Andernfalls würde, wie das Bundesverfassungsgericht überzeugend feststellt, die von der Verfassung anerkannte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen geschmälert werden. Deshalb seien insoweit die Kirchen im Rahmen ihrer Selbstbestimmung an "das für alle geltende Gesetz" im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV nicht gebunden 35 . Staatliche Gerichte sind deshalb grundsätzlich nicht befugt, Streitigkeiten über die Ausübung von Ämtern innerhalb einer Religionsgemeinschaft zu entscheiden. Dies hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Falle einer Israelitischen Kultusgemeinde zu Recht festgestellt36.

c) Kirchliches Prüfungswesen und freie Ämterverleihung Die notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme ihres in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRVausdrücklich anerkannten Rechts, ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde zu verleihen, bildet das Recht der Kirchen, die objektiven und subjektiven Zulassungsbedingungen für die Übertragung der geistlichen Ämter festzulegen und ein entsprechendes wissenschaftliches Prüfungswesen einzurichten und zu handhaben. Hierbei handelt BVerfGE 18, 385. BVerfGE 18, 385 (387). Vgl. zum Ganzen Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 6), S. 383 ff. 36 BayVGH, Beschl. vom 19. 7. 1985, in: DVBL 1985, S. 1073. 34

35

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es sich um eine innerkirchliche Angelegenheit. Mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist es deshalb nicht vereinbar, daß ein Verwaltungsgericht eine gegen eine Landeskirche wegen des Ergebnisses der ersten theologischen Aufnahmeprüfung gerichtete Anfechtungsklage zuläßt, dieses Ergebnis nachprüft und u.U. auch aufhebt und vielleicht sogar eine Verpflichtung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche zur Vornahme einer mit der Anfechtungsklage beantragten Amtshandlung ausspricht 37 .

m. Das Amtsrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten 1. Das kirchliche Amtsrecht und das Dienstrecht der Geistlichen als innerkirchliche Angelegenheit

Zu den innerkirchlichen Angelegenheiten, die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten und deshalb durch staatliche Gerichte nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden dürfen, da sonst die von der Verfassung gewährleistete Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt geschmälert würde, gehören auch die Regelungen und Maßnahmen im Bereich des Amts- und Dienstrechts der Geistlichen und Kirchenbeamten38. Das Amts- und Dienstrecht der Geistlichen betrifft die evangelische und katholische Kirche in gleicher Weise. Dagegen kommt dem Beamtenrecht im Bereich der evangelischen Kirche eine ungleich größere Bedeutung zu als in der katholischen Kirche. Während es in der katholischen Kirche nur in einigen wenigen Diözesen Kirchenbeamte gibt, sind in sämtlichen evangelischen Landeskirchen Kirchenbeamte mit hohen kirchenleitenden Ämtern betraut. Das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht umfaßt alle Maßnahmen, die in Verfolgung der vom kirchlichen Grundauftrag her bestimmten Aufgaben zu treffen sind, z. B. die Vorgaben struktureller Art, die Personalauswahl und die mit allen diesen Ent37 BayVGH, Urt. vom 6. 4. 1954, in: KirchE 2, S. 223 (229). Im selben Sinne hat das VG Ansbach durch Urteil vom 11. 10. 1983, in: BayVBL 1984, S. 120 f., entschieden, daß bei Nichtbestehen einer theologischen Aufnahmeprüfung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern ein Rechtsweg zu den staatlichen Gerichen nicht eröffnet ist. 38 BVerwGE 66, 241 = DÖV 1984, S. 585 mit zust. Anm. von Joseph Listl. Das BVerwG nimmt hier ausdrücklich Bezug auf BVerfGE 18, 385 (386 f.); 42, 312 (334f.) = DÖV 1977, S. 51 mit Anm. von Joachim Henkel.

51 Sbd. List!

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scheidungen untrennbar verbundene Vorsorge zur Sicherstellung der "religiösen Dimension" des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses39. Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht der freien Religionsausübung extensiv ausgelegt hat, interpretiert auch das Bundesverwaltungsgericht die Grundsätze des Selbstbestimmungsrechts und der Amterautonomie, die in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV ausdrücklich anerkannt werden, zutreffend in extensiver Weise. Sie beinhalten nicht nur, daß die kirchlichen Ämter ohne staatliche Mitwirkung verliehen oder entzogen werden dürfen, sondern auch, daß die Kirchen und Religionsgemeinschaften frei bestimmen dürfen, welche Anforderungen an die Amtsinhaber zu stellen sind und welche Rechte und Pflichten diese im einzelnen haben. Das Selbstbestimmungsrecht im Bereich des kirchlichen Dienstrechts enthält sowohl eine allgemeine Regelungskompetenz als auch die "Freiheit zum Organisationsakt" und zur Personalentscheidung im Einzelfall. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen haben in der bisherigen Rechtsprechung sowohl der Bundesgerichtshof40 als auch später das Bundesverwaltungsgericht41 das kirchliche Amtsrecht einschließlich zumindest des Dienstrechts der Geistlichen zum Selbstbestimmungsbereich, d. h .. zu den "eigenen Angelegenheiten", der Kirchen gerechnet. Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht bereits bei seiner ersten Entscheidung zu dieser Frage die Folgerung gezogen, daß für ein den Fortbestand des Gesamtstatus eines Geistlichen betreffendes Klagebegehren "der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten durch Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht eröffnet ist" 42 . Diese Rechtsauffassung bestimmt seither unverändert die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht43. An dieser konstanten und überzeugenden Rechtsprechung hält das Bundesverwaltungsgericht in seiner bisher letzten Entscheidung zum kirchlichen Amts- und Dienstrecht vom 25. 11. 1982, mit der ein 39 BVerwGE 66, 243 = DÖV 1984, S. 586, unter Bezugnahme auf BVerfGE 24, 236 (249); 53, 366 (399) = DÖV 1980, S. 696 (LS.); 57, 220 (243). 40 BGHZ 22, 383 (391 f.); 34, 372 (374); zuletzt 46, 96. 41 BVerwGE 25, 226 (230); 28, 345 (349) = DÖV 1968, S. 657; 30, 326 (330); Urt. vom 21. 11. 1980 (7 C 49.78) = NJW 1981, S. 1972; BVerwGE 66, 244 = DÖV 1984, s. 586. 42 BVerwGE 25, 226 (230 f.). 43 Der historische Verlauf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zum Amts- und Dienstrecht der Geistlichen und der Kirchenbeamten in den fünfzigerund sechziger Jahren ist im einzelnen ausführlich dargestellt bei Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 6), s. 406ff.

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Rechtsstreit von grundsätzlicher Bedeutung nach einer Dauer von insgesamt 12 Jahren zum Abschluß gelangt ist, unverändert fest. Das Gericht hat in dieser Entscheidung die Klage eines ehemaligen Pfarrers der Evangelischen Kirche von Westfalen, der die Kindertaufe abgelehnt hatte und deshalb von seiner Landeskirche zunächst beurlaubt und aus seiner Pfarrstelle und später in den Warte- und schließlich in den Ruhestand versetzt worden war, in Übereinstimmung mit der Vorinstanz, dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, als unzulässig abgewiesen. Mit seiner Klage wandte er sich gegen diese Maßnahmen und begehrte außerdem noch die Zahlung der Gehaltsdifferenz und den Widerruf der Behauptung, er sei ein Irrlehrer44 . Unter Bezugnahme auf seine bisherige konstante Rechtsprechung erklärt das Bundesverwaltungsgericht, die gerichtliche Entscheidung über die vom Kläger angefochtenen, seinen Status als Pfarrer betreffenden Maßnahmen würde das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WeimRV garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften verletzen, da ein dem Klagebegehren entsprechendes Erkenntnis die kirchliche Ämterautonomie unzulässig einschränken würde. Die Anträge des klagenden Pfarrers auf Aufhebung seiner Beurlaubung, seiner Versetzung aus der Pfarrstelle sowie seiner Versetzung in den Wartestand würden ebenso unzulässig zu einer Entscheidung darüber führen, ob die beklagte Landeskirche einen Pfarrer, der zu ihr als Geistlicher in einem Dienstverhältnis stand, zu Recht von der Ausübung seiner Dienstgeschäfte beurlaubt hat und ob die weiteren dienstrechtlichen Maßnahmen gegen ihn rechtmäßig ergangen seien45 . In seiner Rechtsprechung folgt das Bundesverwaltungsgericht der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Bereichslehre und erklärt, daß sich auch aus der Bindung der Kirche an das für alle geltende Gesetz gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WeimRV der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht herleiten lasse, denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien die Kirchen innerhalb des dargelegten Rahmens der eigenen Angelegenheiten nicht an das für alle geltende Gesetz gebunden. Es gebe "elementare Teile der kir~hlichen Ordnung", für die der Staat keine Schranken in Form von allgemeinen Gesetzen aufrichten dürfe. Eine BVerwGE 66, 241 ff. = DÖV 1984, S. 585 ff. BVerwGE 66, 244 = DÖV 1984, S. 586. Gegen eine Überprüfung von Statusklagen durch staatliche Gerichte auch von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 648; a.A. Dirk Ehlers, Staatlicher Rechtsschutz gegenüber den Religionsgemeinschaften in amts- und dienstrechtlichen Angelegenheiten, in: ZevKR 27 (1982), S. 286; Rüdiger Schenke, Die verfassungsrechtliche Garantie eines Rechtsschutzes kirchlicher Bediensteter, in: Festschrift für Hans-Joachim Faller, München 1984, S. 142. 44

45

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Maßnahme, die keine unmittelbaren Rechtswirkungen in den staatlichen Zuständigkeitsbereich habe, bleibe eine "innerkirchliche Angelegenheit" auch dann, wenn sie dorthin mittelbare Auswirkungen habe46. 2. Keine Aufspaltung des geistlichen Amtes in ein "geistliches Amtsverhältnis" und in ein "weltliches Dienstverhältnis"

Wegen des einheitlichen Charakters des kirchlichen Amtes lehnt das Bundesverwaltungsgericht zu Recht auch den Versuch einer Aufspaltung des Amtes eines geistlichen Amtsträgers in ein der staatlichen Gerichtsbarkeit nicht unterworfenes "geistliches Amtsverhältnis" und ein damit zwar verbundenes, aber staatlicher gerichtlicher Kognition unterliegendes "weltliches Dienstverhältnis" ab 47 . Unzweifelhaft würde wegen des untrennbaren Zusammenhangs der dienstrechtlichen Regelungen mit dem geistlichen Amt durch die staatlichen Gerichte in den Kernbereich des kirchlichen Amtsrechts eingegriffen, wenn die dienstrechtliche Seite des kirchlichen Amtes von staatlichen Gerichten überprüft werden könnte. Wie das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausführt, hat die rechtliche Regelung des Dienstverhältnisses für die Ausübung des geistlichen Amtes die Funktion einer "flankierenden Maßnahme", nämlich die ungestörte Erfüllung des geistlichen Dienstes zu schützen und Gefährdungen und Behinderungen, die den Pfarrer bei der Ausübung seines Dienstes bedrohen können, abzuwehren. Die rechtlichen Regelungen seien jeweils vom Amt her "gefordert". Die dienstrechtlichen Regelungen seien mit dem Amt unvereinbar verbunden und unterfielen deshalb nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit48 • 46 BVerwGE 66, 244 f. = DÖV 1984, S. 586, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG, insbesondere auf BVerfGE 42, 312 (334), und die eigene Rechtsprechung des BVerwG. Die von von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 634 und 646 ff., gegen diese vom BVerfG entwickelte Bereichslehre vorgetragene Kritik ist nicht überzeugend. Bedenken gegen die Bereichslehre des BVerfG äußert auch Steiner, Offene Rechtsschutzprobleme (Anm. 12), S. 10. 47 Für diese Unterscheidung Hermann Weber, Weltlich wirksame Rechtsprechung der Kirchengerichte? Zum Verhältnis von staatlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit, in: DVBl. 1970, S. 250 ff. m.w.N.; ders., Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, Berlin 1966, S. 113 ff.; ders., Der Rechtsschutz im kirchlichen Amtsrecht, in: NJW 1967, S. 1645 f. Gegen diese Unterscheidung auch von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), S. 648 m.w.N. 48 BVerwGE 66, 246 = DÖV 1984, S. 586 unter Bezugnahme auf BVerfGE 42, 312 (336).

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Zutreffend wendet sich in diesem Zusammenhang Hartmut Maurer49 gegen die von Hermann Weber 50 , Udo Steiner 51 und Rüdiger Schenke 52 unternommenen Versuche, das kirchliche Dienstrecht über Art. 137 Abs. 5 WeimRV und die im Körperschaftsstatus verankerte Dienstherrnfähigkeit der Kirchen als staatlich delegiertes Recht für die staatliche Gerichtsbarkeit zu reklamieren. Derartige Versuche verkehren das Verhältnis der Abs. 3 und 5 des Art. 137 WeimRV. Die primäre Bestimmung ist, sowohl der Gesetzessystematik als auch der Sache nach, Abs. 3. Das im Rahmen des Abs. 3 gesetzte Recht ist, wie Maurer mit Recht betont, "nichtstaatliches Recht und wird auch nicht über Abs. 5 zum staatlichen Recht". Wenn Abs. 5 den Kirchen u.a. die Dienstherrnfähigkeit verleihe, besage das nicht, daß die von den Kirchen als "öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse" ausgestalteten Pfarrer- und Kirchenbeamtenverhältnisse dem staatlichen Recht zuzuordnen seien, sondern nur, daß sie den staatlichen Beamtenverhältnissen gleichzustellen seien. Auswirkungen ergäben sich allenfalls bei der Bestimmung des für alle geltenden Gesetzes, etwa indem besondere Regelungen des staatlichen Beamtenrechts auch für die öffentlichrechtlich ausgestalteten kirchlichen Dienstverhältnisse Anwendung finden. Damit sei auch der Auffassung der Boden entzogen, nach der die einzelnen kirchlichen Dienstverhältnisse in geistliche Amtsverhältnisse urid weltlich-staatliche Dienstverhältnisse zu trennen seien mit der Maßgabe, daß (nur) die letzteren der uneingeschränkten staatlichen Jurisdiktion unterworfen werden können 5 3 . 3. Zuständigkeit staatlicher Gerichte kraft kirchlicher Zuweisung

In konstanter Rechtsprechung und unbeirrt von den Angriffen einiger Vertreter der Literatur5 \ aber mit lebhafter Zustimmung der evanMaurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 296. Hermann Weber, Auslegung und Rechtsgültigkeit der Versetzungsbefugnis nach § 71 I c Pfarrergesetz der VELKD. Gleichzeitig ein Beitrag zum Rechtsschutz im kirchlichen Amtsrecht, in: ZevKR 15 (1970), S. 40f.; ders., Gelöste und ungelöste Probleme des Staatskirchenrechts, in: NJW 1983, S. 2550. 51 Steiner, Offene Rechtsschutzprobleme (Anm. 12), S. 6 ff. 52 Schenke, Die verfassungsrechtliche Garantie (Anm. 45), S. 138 ff. 53 Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 296. Gegen diese Unterscheidung auch Johann Frank, Dienst- und Arbeitsrecht, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 696 ff. m.w.N.; Christoph Link, Neuere Entwicklungen und Probleme des Staatskirchenrechts in Deutschland, in: Inge Garnpli Christoph Link, Deutsches und österreichisches Staatskirchenrecht in der Diskussion, Faderborn 1973, S. 36 f. 54 Vgl. z. B. Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), S. 71 ff. m.w.N.; von Campenhausen, Der staatliche Rechts49

50

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gelischen Kirchenleitungen, hält das Bundesverwaltungsgericht auch an seiner sorgfältig begründeten und im Ergebnis zutreffenden Auffassung fest, daß gemäߧ 135 S. 2 BRRG bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten von geistlichen Amtsträgern und Kirchenbeamten mit ihrer Kirche eine Zulässigkeit des Rechtsweges zu staatlichen Gerichten nur dann gegeben ist, wenn für die Geltendmachung derartiger vermögensrechtlicher Ansprüche kirchlicherseits entweder eine ausdrückliche oder zumindest eine stillschweigende Zuweisung an die staatlichen Gerichte erfolgt ist 5 5 . In dem konkreten Fall, der dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegen hatte, hatte die Evangelische Kirche von Westfalen in ihrer aus Anlaß dieses Rechtsstreites neu erlassenen Verwaltungsgerichtsordnung ausdrücklich festgelegt, daß auch vermögensrechtliche Streitigkeiten von Geistlichen vom 1. Januar 1975 an der kirchlichen Gerichtsbarkeit unterfallen. Von einer kirchlichen Zuweisung des in Frage stehenden Rechtsstreites an staatliche Gerichte konnte daher keine Rede mehr sein 56 . Der letzte Grund dafür, daß eine kirchlicherseits vorzunehmende Zuweisung derartiger vermögensrechtlicher Streitigkeiten an staatliche Gerichte erforderlich ist, liegt darin, daß das geistliche Amtsrecht eben originäres, d. h. nicht vom Staate und der staatlichen Rechtsordnung abgeleitetes Kirchenrecht ist.

schutz (Anm. 1), S. 628f. m.w.N.; ders., Staatskirchenrecht (Anm. 1), S. 199 mit Anm. 1 und S. 206 mit Anm. 28; H. Weber, Weltlich wirksame Rechtsprechung (Anm. 47), S. 250 ff. 55 Im Ergebnis zustimmend Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 301; Maurer spricht hier zu Recht davon, daߧ 135 S. 2 BRRG ein "Angebot" an die Kirchen enthalte, die staatlichen Gerichte für kirchendienstrechtliche Streitigkeiten in Anspruch zu nehmen; vgl. hierzu auch ders., Zur Anfechtbarkeit kirchlicher Verwaltungsakte vor staatlichen Gerichten, in: DÖV 1960, S. 749 ff.; Rüfner, Rechtsschutz, München 1984 (Anm. 16), S. 154, hält diese Auslegung für§ 135 S. 2 BRRG zwar nicht für zwingend, aber für möglich. 56 BVerwGE 66, 245 = DÖV 1984, S. 586 unter Bezugnahme auf BVerfGE 42, 312 (339 f.). Nach Maurer, Die kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 8), Sp. 1084, besitzen inzwischen in der evangelischen Kirche fast alle Landeskirchen sowie die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse eine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Diese ist teilweise mit einer Verfassungsgerichtsbarkeit verbunden. Alle Kirchen haben ferner eine Disziplinargerichtsbarkeit für ihre Geistlichen und Kirchenbeamten. Schließlich bestehen in einer Reihe von Landeskirchen noch Spruchkollegien, die im Rahmen eines Lehrbeanstandungsverfahrens über Lehrabweichungen von Pfarrern zu entscheiden haben. Über die Gerichtsorganisation und das gerichtliche Verfahren in der katholischen Kirche vgl. May, Die kirchliche Gerichtsbarkeit (Anm. 8), Sp. 1090ff.

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4. Geltung elementarer staatlicher verfassungsrechtlicher Grundsätze im kirchlichen Bereich?

In seiner Rechtsprechung zum Amtsrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten hat das Bundesverwaltungsgericht 57 im Anschluß an die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 58 wiederholt darauf hingewiesen, daß auch die kirchliche Gerichtsbarkeit an letzte elementare Grundsätze der verfassungsmäßigen Ordnung gebunden sei bzw. sein könne. Zu denken sei dabei insbesondere an bestimmte "staatsunabhängige Grundrechte", wie das Recht auf rechtliches Gehör, den Anspruch auf ein geordnetes, den Gesetzen und Satzungen der betreffenden Religionsgemeinschaft entsprechendes Verfahren und an die Beobachtung des Grundsatzes der Menschenwürde. In seinem bisher letzten grundsätzlichen Urteil zu dieser Frage läßt das Bundesverwaltungsgericht die Frage ausdrücklich offen, ob und gegebenenfalls welche staatlichen Rechtssätze als für alle geltende Gesetze, deren Einhaltung staatlicher gerichtlicher Nachprüfung unterliegt, auch kirchliche öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse betreffen könnten. Das Gericht begründet seine Abstinenz in dieser Frage mit der Feststellung, daß nach Überprüfung der in erster Linie in Frage kommenden staatlichen Rechtsnormen eine Verletzung derar1iiger staatlicher Rechtssätze nicht erkennbar sei. Insbesondere würde die Entscheidung eines staatlichen Gerichts darüber, ob sich im konkreten Fall eine Kirche zu Recht für die Einleitung eines Versetzungs- oder eines Beanstandungsverfahrens entschieden habe, zu einem Eingriff in das Recht der Kirche zur selbständigen Verwaltung ihrer innerkirchlichen Angelegenheiten führen. Die von der beklagten Landeskirche insoweit getroffene Entscheidung würde in ihren vermögensrechtlichen Auswirkungen jedenfalls nicht zu einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder der in Art. 4 Abs. 1 GG genannten Glaubensfreiheit führen 59 . Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen 60 . Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat in ihrer Entscheidung vom 8. 5. 1985 den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts bestätigt 61 .

BVerwGE 28, 345 (351). BGHZ 12, 323; 18, 373; 22, 383; 34, 372; 46, 96. Vgl. zum Ganzen Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Anm. 6), S. 420 f. 59 BVerwGE 66, 250 f. = DÖV 1984, S. 587. 60 BVerfG, Beschl. vom 1. 6. 1983, in: NJW 1983, S. 2569 =KirchE 21, S. 132 ff. 61 Europäische Kommission für Menschenrechte, Entscheidung vom 8. 5. 1985 (Beschwerde Nr. 10901/84: Prüßner gegen Bundesrepublik Deutschland), in: EuGRZ 1986, S. 648 = NJW 1987, S. 1131. 57 58

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Kirchliches Wirken

In der Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit geistlichen Amtsträgern staatlicher Rechtsschutz gegenüber ihrem Dienstherrn zusteht, hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die jüngste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts in einer bedeutsamen Hinsicht weiterentwickelt. Im Bereich der innerkirchlichen Angelegenheiten, in den das Dienst- und das Versorgungsrecht der Geistlichen fällt, untersagt das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz jede gerichtliche Überprüfung durch den staatlichen Richter. Die Kirchen seien in diesem Bereich auch nicht an bestimmte Grundprinzipien und Grundrechte der staatlichen Verfassung gebunden 62 . In dem konkreten Fall, der dem Oberverwaltungsgericht RheinlandPfalz zur Entscheidung vorlag, ging es um einen bereits im Ruhestand lebenden katholischen Priester, der durch Abschluß einer Zivilehe gegen das kanonische Zölibatsgebot verstoßen hatte. Die zuständige Diözese hatte ihm nach seiner von Amts wegen vorgenommenen Entlassung aus dem Klerikerstand die Pfarrerpension entzogen und ihn statt dessen für die Jahre seiner Dienstverrichtung bei der zuständigen Rentenversicherung nachversichert. Mit seiner Klage erstrebte er die Zahlung der Differenz zwischen seinem früheren Gehalt und seinen späteren Bezügen aus der Rentenversicherung. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalzhat es mit Recht abgelehnt, im Wege einer inzidenten Kontrolle über die Rechtmäßigkeit der innerkirchlichen Maßnahme des Ausschlusses des betreffenden Pfarrers aus dem Klerikerstand zu entscheiden63 . 62 OVG Rheinl.-Pfalz, Beschl. vom 29. 4. 1985 (2 E 3/85), in: DÖV 1986, S. 115 f. Vgl. hierzu die zutreffenden Ausführungen bei Günter Winands, Kirchliche Sanktion eines Zölibatsverstoßes und staatliche Gerichtsbarkeit, in: DÖV 1986, S. 98 ff. m.w.N. 63 OVG Rheinland-Pfalz, in: DÖV 1986, S. 116; hierzu Winands, ebd., S. 101 m.w.N. Auch Axel Frhr. von Campenhausen weist darauf hin, daß staatliche Gerichte bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten, die sich als "verkappte Statusklagen" erweisen, die Entscheidungen zuständiger kirchlicher Stellen über die Beendigung kirchlicher Dienstverhältnisse hinzunehmen haben. Vgl. ders., Der Rechtsschutz der kirchlichen Bediensteten, in: Festschrift für Erich Ruppel, Hannover und Berlin/Hamburg 1968, S. 274; in diesem Sinne auch Rüfner, Rechtsschutz, in: HdbStKirchR (Anm. 16), S. 766 f.; ders., Rechtsschutz, München 1984 (Anm. 16), S. 143 f. und 152 ff. (Unzulässigkeit der Überprüfung kirchenrechtlicher Vorfragen durch staatliche Gerichte, sog. "Inzidentkontrollen"); a.A. Ehlers, Staatlicher Rechtsschutz (Anm. 45), S. 286 m.w.N.; Steiner, Offene Rechtsschutzprobleme (Anm. 12), S. 6. Bei Klagen zur Durchsetzung der Räumung von Pfarrdienstwohnungen kann es sich je nach der Fallgestaltung um eine innerkirchliche Angelegenheit handeln, die nur von Kirchengerichten entschieden werden kann, etwa wenn die Räumung eine unmittelbare Rechtsfolge der Amtsenthebung oder Entlassung des Pfarrers aus dem Pfarrerstand bildet, oder um eine von den ordentlichen

Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit

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IV. Neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtjustiziabilität rein kirchlicher Maßnahmen und Entscheidungen durch staatliche Gerichte In einer Reihe von Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden aus dem kirchlichen Bereich hat das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren die Grenzlinie zwischen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt im Sinne des§ 90 Abs. 1 BVerfGG und den gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen unterfallenden rein innerkirchlichen Maßnahmen verdeutlicht. Es handelte sich dabei um Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen kirchlicher Gerichte oder gegen Urteile staatlicher Gerichte, in denen Klagen gegen kirchengerichtliche Entscheidungen für unzulässig oder jedenfalls für unbegründet erklärt worden waren. In sämtlichen Fällen wurden diese Verfassungsbeschwerden durch den gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG a.F. gebildeten Vorprüfungsausschuß nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie entweder unzulässig waren oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatten 64 . Hierbei handelte es sich um folgende Fälle: 1. Entlassung eines Geistlichen aus dem kirchlichen Dienst. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen ein Urteil des Senats für Amtszucht der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sowie gegen ein Urteil der Kammer für Amtszucht der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig. Die Verfassungsbeschwerde wurde durch Beschluß vom 28. 11. 1978 mit der Begründung, daß die Entfernung eines Pfarrers aus dem Dienst durch eine Entscheidung im Amtszuchtverfahren mit der Verfassungsbeschwerde nicht angefochten werden könne, nicht zur Entscheidung angenommen 65 . 2. Durchführung eines Lehrbeanstandungsverfahrens. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen einen Spruch des Spruchkollegiums der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Gerichten zu entscheidende Streitsache. Letzteres wäre z. B. der Fall, wenn die Räumungsklage ausschließlich auf § 985 BGB gestützt wird. Vgl. hierzu Eberhard Sperling, Welcher Rechtsweg steht der Kirche zur Durchsetzung der Räumung von Pfarrdienstwohnungen offen?, in: BayVBl. 1989, S. 42 f.; vgl. ferner einerseits LG Berlin, Urt. vom 21. 10. 1986, in: ZevKR 33 (1988), S. 69 ff., andererseits AG Lüneburg, Urt. vom 30. 4. 1987, in: ZevKR 33 (1988), S. 215. 64 Vgl. zum Ganzen Joseph Listl, Die Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag am 22. Mai 1989, Tübingen 1989, S. 539 ff. 65 Beschl. vom 28. 11. 1978 (2 BvR 316178), in: DÖV 1979, S. 516f. = ZevKR 24 (1979), S. 387 f. = NJW 1980, S. 1041 f. mit krit. Anm. von Hermann Weber = KirchE 17, S. 120 ff.

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Kirchliches Wirken

Das Gericht hat durch Beschluß vom 6. 4. 1979 die Verfassungsbeschwerde mit der Begründung, daß kirchliche Lehrbeanstandungsverfahren zu den innerkirchlichen Angelegenheiten gehören, die von dem Begriff "öffentliche Gewalt" gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht umfaßt werden, nicht zur Entscheidung angenommen 66 . 3. Versetzung eines evangelischen Pfarrers durch seine zuständige kirchliche Behörde. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen ein Urteil des Kirchengerichts der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Sie wurde mit der Begründung, daß es sich bei der Versetzung eines Pfarrers durch die Kirchenleitung und bei dem Urteil des Kirchengerichts um innerkirchliche Maßnahmen handele, die nicht dem Begriff der "öffentlichen Gewalt" im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG unterfallen, durch Beschluß vom 3. 2. 1984 nicht zur Entscheidung angenommen 67 . 4. Disziplinarrechtliehe Kürzung des Gehalts eines Kirchenbeamten. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen ein Urteil des Diözesan-Disziplinargerichts für den Westberliner Teil des Bistums Berlin. Da ein Dienstvergehen eines kirchlichen Beamten eine innerkirchliche Maßnahme darstelle, die nicht dem Begriff "öffentliche Gewalt" im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG unterfalle, hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde durch Beschluß vom 30. 4. 1984 nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit allein die vermögensrechtlichen Auswirkungen in Rede stünden, hätte der Beschwerdeführer im Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sein Rechtsschutzbegehren insoweit zunächst fachgerichtlicher Prüfung zuführen müssen 68 • 5. Entfernung eines Pfarrers aus dem geistlichen Dienst. Die Verfassungsbeschwerde eines evangelischen Pfarrers richtete sich gegen drei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und der verwaltungsgerichtlichen Vorinstanzen. Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 1. 6. 1983 die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen 69 . 66 Beschl. vom 6. 4. 1979 (2 BvR 356179), in: ZevKR 24 (1979), S. 389 f. =KirchE 17, S. 209f. = NJW 1980, S. 1041 f. mit krit. Anm. von Hermann Weber. Vgl. hierzu in diesem Beitrag, oben, Abschnitt li 3 a mit Anm. 28. 67 Beschl. vom 3. 2. 1984 (2 BvR 95/84), bisher nicht veröffentlicht. 68 Beschl. vom 30. 3. 1984 (2 BvR 1994/83), in: DÖV 1984, S. 974f. = NVwZ 1985, S. 105 = EuGRZ 1986, S. 307 f. 69 Beschl. vom 1. 6. 1983 (2 BvR 453, 465 und 478/83), in: NJW 1983, S. 2569 = KirchE 21, S. 132 ff. Zum Ausgangsfall BVerwGE 66, 241 ff. = DÖV 1984, S. 585 ff. mit zust. Anm. von Joseph Listl, S. 587 ff.; vgl. in diesem Beitrag, oben, Abschnitt III 1 mit Anm. 38 ff.

Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit

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6. Neuregelung des Dienst- und Versorgungsrechts der Geistlichen. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und der verwaltungsgerichtlichen Vorinstanzen. Mit der Begründung, daß zum Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirchen nicht nur das kirchliche Amtsrecht einschließlich der Ämterhoheit, sondern auch das mit dem Amtsrecht untrennbar. verbundene Dienst- und Versorgungsrecht der Geistlichen gehöre, hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 5. 7. 1983 die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen 70 . 7. Beschränkung geistlicher Amtsträger auf kirchenangehörige Rechtsbeistände bei Auseinandersetzungen mit ihrer Kirche. Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen einen Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs der Evangelischen Kirche der Union und gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und der Vorinstanz. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung kirchlicher Gerichte gerichtet hat, wurde sie durch Beschluß vom 12. 2. 1981 als unzulässig, im übrigen, soweit sie sich gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung der Vorinstanz gerichtet hat, wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen71. V. Zusammenfassende Feststellung

Durch die aufgezeigte, sich notwendig aus der Verfassung ergebende, inhaltlich überzeugende und, wie es scheint, irreversible Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, der in keinem Fall der Vorwurf gemacht wurde, daß sie zu unrichtigen oder inakzeptablen Ergebnissen geführt habe 72 , dürfte die Frage des Rechtswegs bei Statusklagen und vermögensrechtlichen Streitigkeiten von geistlichen Amtsträgern und Kirchenbeamten mit ihrer Kirche endgültig geklärt und entschieden sein. Diese Rechtsauffassung ist die notwendige Folge der verfassungsrechtlichen Anerken70 Beschl. vom 5. 7. 1983 (2 BvR 514/83), in: ZevKR 28 (1983), S. 426ff. = NJW 1983, S. 2569 f. =KirchE 21, S. 171 ff. 71 Beschl. vom 12. 2. 1981 (1 BvR 567177), in: ZevKR 26 (1981), S. 382 ff. = KirchE 18, S. 390 ff. = NJW 1983, S. 2570. 72 Darauf, daß diese Rechtsprechung nicht zu untragbaren oder irgendwie unhaltbaren Ergebnissen geführt hat, verweisen übereinstimmend Maurer, Kirchenrechtliche Streitigkeiten (Anm. 2), S. 297; Rüfner, Rechtsschutz, München 1984 (Anm. 16), S. 154; von Campenhausen, Der staatliche Rechtsschutz (Anm. 1), s. 635.

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Kirchliches Wirken

nung der Eigenständigkeit der Kirchen und ihrer Rechtsordnung mit Einschluß ihrer Gerichtsbarkeit73 . Die Kirchen sind nunmehr darauf verwiesen, Statusklagen ihrer geistlichen Amtsträger durch kircheneigene Gerichte selbst zu entscheiden. Für vermögensrechtliche Streitigkeiten geistlicher Amtsträger und Kirchenbeamter ist der Rechtsweg zu den Gerichten des Staates nur eröffnet, wenn eine ausdrückliche oder zumindest stillschweigende Kompetenzzuweisung seitens der Kirche an die staatliche Gerichtsbarkeit erfolgt ist. Bei dieser Zuweisung handelt es sich um eine im Grund anachronistische Regelung, die endgültig der Vergangenheit angehören dürfte, sobald alle evangelischen Landeskirchen in ihren Gerichtsordnungen Bestimmungen vorgesehen haben, daß auch für vermögensrechtliche Streitigkeiten geistlicher Amtsträger und Kirchenbeamter mit ihrer Kirche ein kirchliches Gericht zuständig ist. Die Kirchen sind damit auch auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit bei Statusklagen geistlicher Amtsträger und bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten aus ihrem Dienstverhältnis durch den religiös-neutralen Staat endgültig in die Freiheit und damit in ihre eigene Verantwortung entlassen.

73 Zur Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung s. auch Dietrich Pirson, Zum personellen Geltungsbereich kirchlicher Rechtsvorschriften, in: ZevKR 27 (1982), S. 126; ders., Säkulares Kirchenrecht. Ist das Recht der Kir-

che eingebunden in das allgemeine Recht der Welt und seine Ordnung und Frieden stiftende Aufgabe oder ist das Recht der Kirche von anderer Art als das Recht der Welt?, in: Rechtswissenschaftliches Kolloquium Kirche und Staat zu Ehren des aus dem Amt geschiedenen Präsidenten des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Erandenburg (Berlin-West), Dr. jur. Georg Flor, am 1. Februar 1985, Berlin 1985, bes. S. 9, 11, 19f.

VII. Kirchenorganisation

Plenarkonzil und Bischofskonferenz I. Das Plenarkonzil 1. Überdiözesane Gliederungen und Institutionen

Der bereits im Mittelalter einsetzende Ausbau der Primatialgewalt des Römischen Stuhles 1 hat im Lauf der geschichtlichen Entwicklung dazu geführt, daß der Codex Iuris Canonici (CIC) vom 27. 5. 1917 in der lateinischen Kirche als überdiözesane Institutionen mit eigenen Leitungs- und Gesetzgebungsbefugnissen zwischen der Ebene der Gesamtkirche (Papst, Ökumenisches Konzil, Römische Kurie) und der einzelnen Diözese nur den Primas und den Metropoliten sowie das Plenar- und das Provinzialkonzil kannte. 2 Wegen der jurisdiktioneilen Gleichstellung aller Diözesanbischöfe kam in der Neuzeit sowohl der Metropolitanverfassung als auch - wegen der Schwerfälligkeit und Umständlichkeit ihrer Einberufung und Durchführung- den Plenarund Provinzialkonzilien nur noch eine sehr begrenzte Bedeutung zu. Die ursprüngliche Funktion dieser beiden Institutionen erfüllen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in einer den heutigen Zeitumständen und den Bedürfnissen der Kirche angemesseneren Weise die Bischofskonferenzen, deren Bildung als Zusammenschluß der Bischöfe ein und derselben Nation oder eines bestimmten Gebietes vom Konzil Erstveröffentlichung in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 1983, S. 304-324.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Friedrich Pustet, Regensburg. 1 Über die Entwicklung nach dem Konzil von Trient vgl. Marcel Pacaut, La seconde centralisation romaine, in: Charles Lefebvre/Marcel Pacaut/Laurent Chevailler, L'epoque moderne (1563-1789). Les sources du droit et la seconde centralisation romaine (= Histoire du Droit et des Institutions de l'Eglise en Occident. Hrsg. von Gabriel LeBras und Jean Gaudemet, tarne 15, vol. 1), Paris 1976, S. 109 ff., bes. S. 126 ff. 2 Über die Diözese als Teilkirche vgl. in diesem Band, unten, Hubert Müller, § 35 Diözesane und quasidiözesane Teilkirchen; über die Kirchenprovinz, unten, Heinz Maritz, § 34 Die Kirchenprovinz. Provinzialkonzil und Metropolit. Zum Plenar- und Provinzialkonzil s. Marianne Pesendorfer, Partikulares Gesetz und partikularer Gesetzgeber im System des geltenden lateinischen Kirchenrechts, Wien 1975, S. 82 ff.; ferner Winfried Aymans, Das synodale Element in der Kirchenverfassung, München 1970, S. 42 ff.

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Kirchenorganisation

vorgeschrieben wurde. 3 In zahlreichen Ländern, u.a. auch in Italien, bestehen Bischofskonferenzen überhaupt erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Als weitere teilkirchliche Gliederung hat das II. Vatikarrum die neue Rechtsfigur der Kirchenregion (regio ecclesiastica) geschaffen und die Bildung von Kirchenregionen angeregt. 4 Danach sollen überall, wo dies nützlich erscheint, für die Bedürfnisse der Seelsorge entsprechend den sozialen und örtlichen Verhältnissen benachbarte Kirchenprovinzen zu Kirchenregionen zusammengeschlossen werden, deren Ordnung vom Recht festzulegen ist. 5 Der CIC vom 25. 1. 1983 trägt dieser Vorschrift des II. Vatikanums in cc. 433 und 434 Rechnung. Diese beiden Kanones wurden in dieser Form erst ganz am Ende der Redaktionsarbeiten, unmittelbar vor der Promulgation des Gesetzbuchs, in den CIC eingefügt; sie sind auch im Schema novissimum vom 25. 3. 1982 noch nicht enthalten. Dies erklärt sich daraus, daß die Vorstellungen über die Funktion und die Rechtsnatur der Kirchenregion bis zum Abschluß der Redaktionsarbeiten am CIC äußerst kontrovers waren. 2. Die Kirchenregion als Zusammenschluß benachbarter Kirchenprovinzen

Gemäß c. 433 § 1 können, sofern dies nützlich erscheint, insbesondere gilt dies für Länder mit einer besonders großen Anzahl von Teilkirchen, benachbarte Kirchenprovinzen auf Vorschlag der Bischofskonferenz vom Heiligen Stuhl zu Kirchenregionen zusammengeschlossen werden. Gemäß c. 433 § 2 kann eine derartige Kirchenregion als juristische Person errichtet werden. Im Gegensatz zur Diözese, die ein Teil des Volkes Gottes ist (c. 369), und zur Bischofskonferenz, die eine Vereinigung der Bischöfe einer Nation oder eines bestimmten Gebietes und somit einen Personalverband darstellt (c. 447), handelt es sich bei der Kirchenregion ihrer Rechtsnatur nach um einen vom Heiligen Stuhl vorgenommenen Zusammenschluß mehrerer Kirchenprovinzen. Über die Leitungsstruktur der Kirchenregion enthält der CIC von 1983, im Gegensatz noch zu c. 368 § 1 Schema CIC 1980 und zu den cc. a Vgl. Vatll CD Art. 38.

4 Für Italien wurden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zur Ordnung des kirchlichen Gerichtswesens "Kirchenregionen" geschaffen. In dem Motuproprio "Qua cura" Pius' XI. v. 8. 12. 1938 "De ordinandis tribunalibus Ecclesiasticis Italiae pro causis nullitatis matrimonii decidendis" begegnet der Begriff "Regio Conciliaris seu Ecclesiastica Italiae", in: AAS 30 (1938), S. 410-413; abgedr. auch bei Ochoa I, Sp. 1902 f.; Ausführungsbestimmungen in: AAS 32 (1940), S. 304-308; bei Ochoa I, Sp. 1991-1994. 5 Vatll CD Art. 39-41.

Plenarkonzil und Bischofskonferenz

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185ff. des Schemas PopDei, wonach die Leitungsgewalt der Kirchenregion nach Maßgabe des Rechts beim Regionalkonzil und bei der Bischofskonferenz der Region lag, keine Aussagen mehr. Bei Errichtung einer Kirchenregion müßten somit vom Heiligen Stuhl erst noch besondere rechtliche Regelungen getroffen werden. Hinsichtlich der Aufgabenstellung der Kirchenregion beschränkt sich c. 434 auf die Feststellung, daß es zu den Aufgaben der Versammlung der Bischöfe der Kirchenregion (ad conventum Episcoporum regionis ecclesiasticae) gehöre, die Zusammenarbeit und das gemeinsame pastorale Handeln in der Region zu fördern. Um jeder Kompetenzvermischung zwischen der Kirchenregion und der Bischofskonferenz von vornherein vorzubeugen, erklärt c. 434 im 2. Halbsatz, daß die nach den Bestimmungen des CIC der Bischofskonferenz zustehenden Befugnisse der Versammlung der Bischöfe der Kirchenregion nicht zustehen, sofern ihr nicht einzelne dieser Kompetenzen ausdrücklich verliehen worden sind. Eine Kirchenregion gemäß cc. 433 und 434 ist somit ein auf Antrag der zuständigen Bischofskonferenz vom Apostolischen Stuhl errichteter- je nach den Bestimmungen des Errichtungsdekrets nichtrechtsfähiger oder rechtsfähiger - teilkirchlicher Verband, zu dem mehrere benachbarte Kirchenprovinzen zum Zwecke der Zusammenarbeit und des gemeinsamen pastoralen Handeins zusammengeschlossen sind. Die Kirchenregion, wie sie in cc. 433 und 434 normiert ist, hat somit für die Praxis im wesentlichen dieselbe pastorale Funktion, die den Bischofskonferenzen alter Ordnung vor dem II. Vatikanum zukam. Die Bischofskonferenzen alter Ordnung waren nichtrechtsfähige pastorale Beratungsgremien der Bischöfe ohne gesetzgeberische Kompetenzen. Die Kirchenregion hat damit im CIC von 1983 nicht die rechtliche Ausgestaltung gefunden, die ihr in Vatii CD Art. 39-41 zugedacht war. Die Zuerkennung dieser reduzierten Rechtsstellung war jedoch im Interesse einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Kirchenregion, die nur einen Teil des Territoriums eines Landes erfaßt, und der Bischofskonferenz, die den Zusammenschluß sämtlicher Bischöfe einer Nation darstellt, zwingend geboten. Aus diesem Grunde war es auch notwendig, daß das in c. 188 Schema PopDei als gesetzgebendes Leitungsorgan für die Region vorgesehene Regionalkonzil ersatzlos in Wegfall gekommen ist. 6 Der CIC von 1983 kennt statt dessen neben dem Provinzialkonzil für die Teilkirchen einer Kirchenprovinz (vgl. c. 440) nur noch das Plenarkonzil für alle Teilkirchen ein und derselben Bischofskonferenz.

s Vgl. Schema PopDei cc. 185 ff. 52 Sbd. List!

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Kirchenorganisation 3. Das Plenarkonzil

Die Partikularkonzilien, d. h. das Plenar- und das Provinzialkonzil, haben die Aufgabe, für die pastoralen Bedürfnisse des Volkes Gottes Sorge zu tragen. Die Partikularkonzilien besitzen hierfür hoheitliche Leitungsgewalt, insbesondere die Gesetzgebung (potestate gaudent regiminis, praesertim legislativa; vgl. c. 445). Unbeschadet des universalen Rechts der Kirche kann das Partikularkonzil über alle Gegenstände Beschlüsse fassen, die für die Förderung des Glaubens, die Ordnung der gemeinsamen praktischen Seelsorge, die Aufrechterhaltung der Sittlichkeit und die Wahrung, Begründung und den Schutz der gemeinsamen kirchlichen Lebensordnung angemessen erscheinen (c. 445). Ein Plenarkonzil, d. h. eine Versammlung aller Teilkirchen ein und derselben Bischofskonferenz, kann mit Zustimmung des Heiligen Stuhles veranstaltet werden, so oft dies der Bischofskonferenz notwendig oder nutzbringend erscheint (c. 439). Es obliegt der Bischofskonferenz, das Plenarkonzil einzuberufen, den Ort für die Veranstaltung des Konzils innerhalb des Territoriums der Bischofskonferenz festzulegen, unter den Diözesanbischöfen des Plenarkonzils einen Vorsitzenden zu wählen, der der Bestätigung des Apostolischen Stuhles bedarf, die Geschäftsordnung zu erlassen und die Tagesordnung aufzustellen, den Beginn und die Dauer der Sitzungsperiode festzulegen, das Konzil zu verlegen, zu verlängern und zu beenden (c. 441). Beschließendes Stimmrecht bei einem Plenarkonzil haben die Diözesanbischöfe, die Koadjutor- und Auxiliarbischöfe, ferner andere Titularbischöfe, die auf dem Gebiet der Bischofskonferenz eine besondere, ihnen vom Apostolischen Stuhl oder der Bischofskonferenz übertragene Funktion ausüben. Gleichfalls mit beschließendem Stimmrecht können zur Teilnahme am Plenarkonzil andere Titularbischöfe und emeritierte Bischöfe, die sich auf dem Territorium der Bischofskonferenz aufhalten, eingeladen werden. Mit beratendem Stimmrecht sind ferner zu berufen die Generalvikare und die Bischofsvikare aller auf dem Territorium der Bischofskonferenz bestehenden Teilkirchen, eine bestimmte Anzahl höherer Ordensoberer und -Oberinnen, die Rektoren der katholischen Universitäten, die Dekane der Theologischen und Kanonistischen Fakultäten und ein weiterer im einzelnen festgelegter Personenkreis. Ferner können, sofern dies nach dem Urteil der Bischofskonferenz von Nutzen ist, neben den gesetzlich festgelegten Teilnehmern auch andere Personen als Gäste eingeladen werden. Für alle, die zum Plenarkonzil von Rechts wegen berufen werden, besteht Teilnahmepflicht, sofern sie nicht durch einen rechtmäßigen Grund verhindert sind, von dem sie den Vorsitzenden in Kenntnis setzen müssen.

Plenarkonzil und Bischofskonferenz

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Teilnehmer, die zum Plenarkonzil mit beschließendem Stimmrecht berufen werden, können, wenn sie wegen eines rechtmäßigen Hindernisses nicht teilnehmen können, einen Vertreter entsenden, der aber nur beratendes Stimmrecht besitzt. Nach Abschluß des Plenarkonzils dürfen dessen Dekrete erst promulgiert werden, wenn sie die Billigung des Apostolischen Stuhles gefunden haben. Dem Konzil obliegt es, die Form der Promulgation der Dekrete und den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens festzulegen (cc. 443-446). Ob die Bestimmungen des CIC von 1983 über das Plenarkonzil wegen der historisch erwiesenen "strukturbedingten Schwerfälligkeit" (Heribert Schmitz) von Synoden und Konzilien im Ergebnis ebenso ineffektiv bleiben werden wie die Regelungen, die der CIC von 1917 über die Partikularkonzilien enthält, wird erst die künftige Entwicklung des Kirchenrechts erweisen. Gleiches gilt von den Bestimmungen der cc. 433 und 434 über die Schaffung von Kirchenregionen mit oder ohne eigene Rechtspersönlichkeit Die Aufgaben der vom Zweiten Vatikanischen Konzil angeregten Kirchenregionen, deren ursprüngliche Konzeption sich als nicht realisierbar erwies, 7 werden, ebenso wie die Funktion der Partikularkonzilien seit dem Ende des Konzils von den in vieler Hinsicht beweglicheren, einen geringeren Aufwand erfordernden und ungleich effizienteren Bischofskonferenzen wahrgenommen. 8

D. Die Bischofskonferenz 1. Die Neuordnung der Bischofskonferenzen durch das Zweite Vatikanische Konzil

a) Zu den vom II. Vatikanum in der gesamten katholischen Weltkirche eingeleiteten, kirchenhistorisch bedeutsamen und die Verfassung und das Erscheinungsbild der katholischen Weltkirche umgestaltenden Entwicklungen gehört der universalkirchliche Ausbau nationaler Bischofskonferenzen zu kollegialen hierarchischen Mittelinstanzen mit selbständigen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Einzel7 Über die im Schema PopDei vorgesehenen Regelungen über das Regionalkonzil vgl. im einzelnen Joseph Listl, § 32 Die Kirchenregion. Regionalkonzil und Bischofskonferenz, in: GrNKirchR, S. 241 f. a Heribert Schmitz, Tendenzen nachkonziliarer Gesetzgebung, in: ArchKathKR 146 (1977), S. 381-419 (390ff.); abgedr. auch in: ders., Tendenzen nachkonziliarer Gesetzgebung. Sichtung und Wertung (= Canonistica, H. 2), Trier 1979, s. 13 ff. 52*

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Kirchenorganisation

bistum. 9 Diese Entwicklung entsprach der inneren Dynamik der Entfaltung der katholischen Weltkirche in der Gegenwart. Nur auf diese Weise ist für die Zukunft in vielen Bereichen des kirchlichen Lebens eine dezentralisierte und den Erfordernissen des auch in der Kirche geltenden Subsidiaritätsprinzips Rechnung tragende und damit dem Eigenleben und den Erwartungen der unterschiedlichen Kulturkreise und ihrer jeweiligen Tradition gerecht werdende effektive Leitung der Gesamtkirche möglich. Ferner verlangt in der Gegenwart in den einzelnen Staaten und Kulturkreisen die moderne Entwicklung der Kommunikation auch auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens und des kanonischen Rechts eine großräumige Kooperation und Koordination über die engen Grenzen der einzelnen Diözese hinaus. Dadurch erfährt die Kompetenz des einzelnen Diözesanbischofs auf dem Gebiete der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zugunsten der kollegialen Kompetenzen der Bischofskonferenzen im Interesse größerer Effizienz und der erforderlichen Einheitlichkeit der kirchlichen Lebensverhältnisse in größeren geistigen Räumen bei der Verwirklichung des Auftrags der Kirche in der Welt von heute gegenüber dem früheren Zustand in vieler Hinsicht eine sachlich gebotene und unvermeidliche Beschränkung.10 b) Zwar kannte auch c. 292 §§ 1-3 CIC/1917 bereits Bischofskonferenzen. Hierbei handelte es sich aber um rein pastorale Beratungsorgane, die aus den Bischöfen eines Metropolitanbezirks bestanden. Ihnen kam in der Praxis nur eine geringe Bedeutung zu. Dagegen bildeten sich aufgrundzwingender pastoraler und kirchenpolitischer Notwendigkeiten, zum Teil bereits im 19. Jahrhundert, ohne gesetzliche Grundlage in verschiedenen Ländern nationale Bischofskonferenzen heraus. 11 Schmitz, ebd. Auf diese Tatsache, die bereits während der Sitzungen des II. Vatikanischen Konzils Gegenstand ausführlicher Erörterungen war, weist mit Nachdruck hin Wilhelm Bertrams, De capacitate iuridica Conferentiae Episcoporum, in: lus Populi Dei. Miscellanea in honorem Raymundi Bidagor. Hrsg. von Urbano Navarrete. Bd. 2, Rom 1972, S. 74-87 (86) mit Anm. 16; femer Schmitz, Tendenzen (Anm. 8). 11 Genereller überblick bei Georgio Feliciani, Le Conferenze Episcopali, Bologna 1974, S. 15ff.; zur Situation in Deutschland vgl. Georg May, Die Deutsche Bischofskonferenz nach ihrer Neuordnung, in: ArchKathKR 138 (1969), S. 411 ff.; über die Situation in Österreich vgl. Peter Leisching, Die Bischofskonferenz. Beiträge zu ihrer Rechtsgeschichte, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklung in Österreich, Wien-München 1963, S. 23 ff. Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der 1863 gebildeten Schweizer Bischofskonferenz wurde am Kirchenrechtlichen Institut der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i.Ü. unter Anleitung von Prof. Eugenio Corecco erarbeitet. Dieses vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Werk erschien 9

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c) Das II. Vatikanum hat an die Stelle der im CIC von 1917 vorgesehenen Bischofskonferenz eine neue Form teilkirchlicher Zusammenschlüsse von Bischöfen gesetzt und damit die gewohnheitsrechtlieh entstandenen nationalen Bischofskonferenzen universalrechtlich sanktioniert. 12 Das theologische Fundament für die Errichtung von Bischofskonferenzen als hierarchische Instanzen zwischen dem Papst und den Einzelbischöfen bildet die kollegiale Struktur des Bischofsamtes. Ebenso wie nach der Anordnung Christi Petrus und die übrigen Apostel ein einziges Apostelkollegium gebildet haben, sind auch der Römische Stuhl und die übrigen Bischöfe sowie diese untereinander verbunden (Vati! LG Art. 22). In ähnlicher Weise können in der Gegenwart Bischofskonferenzen vielfältige und fruchtbare Hilfe leisten, um die kollegiale Gesinnung zu einer konkreten Verwirklichung zu führen (LG Art. 23). d) Die konziliare "Magna Charta" für die Konstituierung nationaler Bischofskonferenzen als hierarchische Zwischeninstanzen zwischen dem Papst und dem Einzelbischof bilden die Bestimmungen der Art. 37 und 38 Vati! CD. Darin sind Anordnungen enthalten über die Aufgabenstellungund Zielsetzung der Bischofskonferenzen, die Mitgliedschaft und das Stimmrecht, die Rechtskraft der Beschlüsse, die Zuständigkeit übernationaler Bischofskonferenzen, die Kooperation der einzelnen Riten und die Ausarbeitung eigener Statuten. 13 Die Ausführungsbestimmungen zu Art. 38 CD enthielt das Motuproprio Pauls VI. "Ecclesiae Sanctae" vom 6. 8. 1966 in I 41 dieses Dekrets. 14 Dieses fügte zwar den Anordnungen in Art. 38 CD keine wesentlichen neuen inhaltlichen Regelungen hinzu; seine Bedeutung bestand jedoch darin, daß es den Bischofskonferenzen eine Reihe konkreter Aufgaben und damit vielfach auch Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zuwies.15 e) In cc. 199-210 des Schemas PopDei waren die Bestimmungen der Art. 38 CD und I 41 des Motuproprio "Ecclesiae Sanctae" in sehr dezidierter Weise zusammengefaßt. im Jahre 1988: Romero Astorri, La Conferenza Episcopale Svizzera. Analisi storica e canonica. Friburgo (Svizzera): Edizioni Universitarie 1988. XIII, 294 S. (= Studia Friburgensia. Nouvelle Serie. Bd. 69. Sectio canonica, Bd. 6). 12 Mosiek Verf. III, S. 164. 13 AAS 58 (1966), S. 692-694; durch diese Bestimmungen und das zu ihrer Ausführung ergangene MP Pauls VI. "Ecclesiae Sanctae" v. 6. 8. 1966, in: AAS 58 (1966), S. 757-785 = NKD 3, S. 10-95, wurden frühere Rechtsgrundlagen für liturgische Kompetenzen der Bischofskonferenzen außer Kraft gesetzt. Vgl. hierzu im einzelnen bei Listl, Die Kirchenregion (Anm. 7), S. 244 mit Anm. 10. 14 AAS 58 (1966), S. 773 f.; NKD 3, S. 57 f. 1s Vgl. ebd.

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Kirchenorganisation 2. Die Organisationsstruktur und Arbeitsweise der Bischofskonferenz nach dem CIC vom 25. 1. 1983

a) Die Rechtsstellung, die organisatorische Struktur und die Arbeitsweise der Bischofskonferenz sind in enger und zum Teil wörtlicher Anlehnung an die Bestimmungen des Art. 38 CD in cc. 447-459 im einzelnen geregelt. Danach ist die Bischofskonferenz als selbständige Einrichtung der Zusammenschluß der Bischöfe einer Nation oder eines bestimmten Gebietes, durch den die Bischöfe ihren Hirtendienst für die Gläubigen dieses Gebietes gemeinsam ausüben, um das höhere Gut, das die Kirche den Menschen bietet, zu fördern, und zwar insbesondere durch Formen und Methoden des Apostolats, die den jeweiligen örtlichen und zeitlichen Verhältnissen nach Maßgabe des Rechts in geeigneter Weise angepaßt sind (c. 447). b) In der Regel umfaßt die Bischofskonferenz die Bischöfe aller Teilkirchen ein und derselben Nation (c. 448 § 1). Eine Bischofskonferenz kann jedoch auch für ein Territorium kleinerer oder größerer Ausdehnung errichtet werden mit der Folge, daß sie nur die Bischöfe einiger Teilkirchen, die auf einem bestimmten Territorium bestehen, oder die Oberhirten von Teilkirchen verschiedener Nationen umfaßt, wenn dies nach dem Urteil des Apostolischen Stuhles und nach Anhörung derbetroffenen Diözesanbischöfe aufgrund der personellen und sachlichen Umstände opportun erscheint. In diesen Fällen obliegt es dem Apostolischen Stuhl, für die einzelne Bischofskonferenz besondere Bestimmungen zu erlassen (c. 448 § 2). c) Von Rechts wegen gehören der Bischofskonferenz an alle Diözesanbischöfe und die ihnen rechtlich Gleichgestellten, ferner die Koadjutor- und Auxiliarbischöfe sowie die übrigen Titularbischöfe, denen vom Apostolischen Stuhl oder von der Bischofskonferenz ein besonderes Amt übertragen worden ist, das sie auf diesem Territorium ausüben. Eingeladen werden können ferner die Ordinarien eines anderen Ritus, und zwar nur mit beratendem Stimmrecht, sofern nicht die Statuten der Bischofskonferenz etwas anderes bestimmen. Die übrigen Titularbischöfe und der päpstliche Gesandte sind nicht von Rechts wegen Mitglieder der Bischofskonferenz (c. 450 §§ 1 und 2). d) Das Recht, Bischofskonferenzen zu errichten, aufzuheben und neu zu errichten, steht einzig der höchsten Autorität der Kirche zu. Den betroffenen Bischöfen ist dabei ein Anhörungsrecht eingeräumt (c. 449 § 1). Die rechtmäßig errichtete Bischofskonferenz besitzt von Rechts wegen Rechtspersönlichkeit (c. 449 § 2). Die durch c. 449 § 2 den Bischofskonferenzen verliehene Rechtsfähigkeit hat an sich Geltung nur für den Bereich des kirchlichen Rechts. Kraft des für die Republik Österreich geltenden Konkordatsrechts besitzt die Österreichi-

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sehe Bischofskonferenz jedoch zugleich auch Rechtsfähigkeit für den Bereich der staatlichen Rechtsordnung. 16 e) Jede Bischofskonferenz ist verpflichtet, sich Statuten zu geben, die der Bestätigung des Apostolischen Stuhles bedürfen; in ihnen sind u.a. Regelungen über die Durchführung der Vollversammlungen zu treffen; ferner ist in ihnen ein Ständiger Rat der Bischöfe vorzusehen sowie ein Generalsekretariat der Konferenz und andere Dienststellen und Kommissionen, die nach dem Urteil der Konferenz zur Erreichung des angestrebten Zweckes möglichst wirksam beitragen können (c. 451). f) Jede Konferenz muß einen Vorsitzenden und für den Fall, daß dieser rechtmäßig verhindert ist, einen stellvertretenden Vorsitzenden wählen und nach Maßgabe der Statuten einen Generalsekretär bestimmen. Der Vorsitzende der Konferenz, und im Falle von dessen rechtmäßiger Verhinderung der stellvertretende Vorsitzende, führen nicht nur den Vorsitz bei den Vollversammlungen, sondern auch bei den Sitzungen des Ständigen Rates (c. 452). g) Die Vollversammlungen der Bischofskonferenz müssen mindestens einmal jährlich stattfinden und darüber hinaus, so oft dies besondere Umstände nach Maßgabe der Bestimmungen der Statuten verlangen (c. 453). h) Beschließendes Stimmrecht bei den Vollversammlungen der Bischofskonferenz besitzen von Rechts wegen die Diözesanbischöfe, die ihnen rechtlich Gleichgestellten und die Koadjutor-Bischöfe (c. 454 § 1). Die Auxiliarbischöfe und die übrigen Titularbischöfe besitzen beschließendes oder beratendes Stimmrecht je nach den Bestimmungen der Statuten der Konferenz. Wenn über die Statuten und deren Änderungen Beschluß gefaßt wird, haben nur die Diözesanbischöfe und die ihnen Gleichgestellten beschließendes Stimmrecht (c. 454 § 2). 16 Nach§ 2 der von der Österreichischen Bischofskonferenz bei ihrer Tagung vorn 4.-6. 11. 1969 beschlossenen und arn 22. 12. 1969 von Papst Paul Vl. genehmigten Statuten (nicht veröffentlicht) genießt die Österreichische Bischofskonferenz "Rechtspersönlichkeit mit der Fähigkeit, bewegliche und unbewegliche Güter zu kaufen, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern" für den kirchlichen Bereich und damit gemäß Art. II des Österreichischen Konkordats vorn 5. 6. 1933 auch für den staatlichen Rechtsbereich. Vgl. hierzu Schreiben des Österreichischen Bundesministeriums für Unterricht vorn 31. 3. 1970 an die Österreichische Bischofskonferenz, abgedr. in: ÖArchKR 21 (1970), S. 285 f.; Wortlaut des Konkordats zwischen dem lll. Stuhl und der Republik Österreich v. 5. 6. 1933 in: AAS 26 (1934), S. 249-293, und in: Hans R. Klecatsky und Hans Weiler (Hrsg.), Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, S. 235-274, mit zahlr. Anmerkungen. - Die päpstliche Genehmigung für die nichtveröffentlichten Statuten der Österreichischen Bischofskonferenz ist abgedr. in: ÖArchKR 21 (1970), s. 285.

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i) Die Bischofskonferenz kann Allgemeine Dekrete nur in jenen Angelegenheiten erlassen, in denen dies das universale Kirchenrecht vorschreibt oder ein besonderer Auftrag des Apostolischen Stuhles anordnet, der aufgrund eigener Entschließung oder auf Antrag der Bischofskonferenz ergehen kann (c. 455 § 1). Allgemeine Dekrete können nur gültig durch die Vollversammlung mit mindestens zwei Dritteln der Stimmen derjenigen Mitglieder, die in der Konferenz beschließendes Stimmrecht haben, beschlossen werden; sie erhalten ihre verpflichtende Kraft erst dann, wenn sie vom Apostolischen Stuhl bestätigt und rechtmäßig verkündet worden sind (c. 455 § 2). Den Ort und den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bestimmt die Bischofskonferenz selbst (c. 455 § 3). In denjenigen Fällen, in denen weder das universale Recht noch ein besonderer Auftrag des Apostolischen Stuhles der Bischofskonferenz eine Gesetzgebungskompetenz verliehen hat, bleibt die Kompetenz des einzelnen Diözesanbischofs unberührt und es kann weder die Konferenz noch der Vorsitzende im Namen aller Bischöfe tätig werden, es sei denn, daß sämtliche Bischöfe einstimmig ihre Zustimmung erteilt haben (c. 455 § 4). k) Nach Abschluß der Vollversammlung der Bischofskonferenz sind das Protokoll über die Verhandlungen der Konferenz und ihre Dekrete vom Vorsitzenden an den Apostolischen Stuhl zu schicken, damit die Verhandlungen zu seiner Kenntnis gebracht und die Dekrete überprüft werden können (c. 456). 1) Aufgabe des Ständigen Rates der Bischöfe ist es, dafür Sorge zu tragen, daß die in der Vollversammlung zu behandelnden Angelegenheiten vorbereitet und die durch die Vollversammlung ergangenen Beschlüsse in gehöriger Weise ausgeführt werden; er hat ferner die Aufgabe, andere Angelegenheiten auszuführen, die ihm nach Maßgabe der Statuten übertragen werden (c. 457). m) Das Generalsekretariat hat die Aufgabe, das Protokoll über die Verhandlungen und Beschlüsse der Vollversammlung der Konferenz und über die Verhandlungen des Ständigen Rates der Bischöfe zu erstellen und den Mitgliedern der Konferenz zuzusenden und andere Vorlagen zu verfassen, deren Erstellung ihm vom Vorsitzenden der Konferenz oder vom Ständigen Rat übertragen worden sind; es hat ferner die Aufgabe, den angrenzenden Bischofskonferenzen die Akten und die übrigen Dokumente zuzuschicken, die ihnen aufgrund der Anordnung der Vollversammlung oder des Ständigen Rates der Bischöfe zugestellt werden sollen (c. 458). n) Die Beziehungen zwischen den Bischofskonferenzen, insbesondere den benachbarten, sollen im Interesse der gedeihlichen Entwicklung und Pflege des größeren Wohls der Kirche gefördert werden. So oft

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aber von den Bischofskonferenzen Projekte und Initiativen ergriffen werden, denen ein internationaler Charakter zukommt, soll der Apostolische Stuhl gehört werden (c. 459). 3. Der Rechtsstatus der Bischofskonferenz

Bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Bischofskonferenz ist davon auszugehen, daß, wie dargelegt, die Bischofskonferenz auf den Gebieten der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung eigene, im universalen Recht der Kirche festgelegte rechtliche Kompetenzen besitzt. Die Tatsache, daß die von der Bischofskonferenz beschlossenen Allgemeinen Dekrete der Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl bedürfen, verändert ihre rechtliche Natur nicht; diese bleiben auch nach erfolgter Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl Gesetze der Bischofskonferenz. Jede vom Apostolischen Stuhl rechtmäßig errichtete Bischofskonferenz besitzt gemäß c. 449 § 2 von Rechts wegen Rechtspersönlichkeit und ist damit Trägerin eigener öffentlicher Rechte und Pflichten im Rahmen der hierarchischen Ordnung der Kirche. Sie ist persona iuridica publica im Sinne der cc. 113ff. Für ihre kollegialen Akte gelten, sofern nicht die speziellen Bestimmungen der cc. 447ff. eingreifen, die dort enthaltenen allgemeinen Bestimmungen. Soweit die Kompetenzen der Bischofskonferenz im universalen Kirchenrecht festgelegt sind, verfügen die Bischofskonferenzen über eine ordentliche und eigene hoheitliche Leitungsgewalt (potestas regiminis) im Sinne der cc. 129ff. mit der Aufgabe, das Volk Gottes im Bereich der in der jeweiligen Bischofskonferenz zusammengeschlossenen Diözesen auf den ihrer Tätigkeit unterliegenden Gebieten zu heiligen, zu lehren und zu leiten. Die Bischofskonferenzen besitzen somit insoweit eine potestas ordinaria propria. Werden die Bischofskonferenzen dagegen kraft besonderen Auftrags des Apostolischen Stuhles tätig, üben sie ihre Befugnisse als potestas ordinaria delegata aus. 17

17 Bertrams, De capacitate (Anm. 10), S. 85; Mosiek Verf. II, S. 167; Julio Manzanares Marijuan, Las Conferencias Episcopales a la luz del Derecho Canonico, in: Las Conferencias Episcopales hoy. Actas del Simposio de Salamanca, 1-3 Mayo 1975 (= Bibliotheca Salmanticensis XVIII, Estudios 16), Salamanca 1977, S. 81 f.

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Kirchenorganisation 4. Die Einzelkompetenzen der Bischofskonferenz

Der CIC und zum Teil auch das nicht im CIC enthaltene nachkonziliare katholische Recht verleihen den Bischofskonferenzen eine große Fülle rechtlicher Kompetenzen der verschiedensten Art auf nahezu sämtlichen Gebieten des kirchlichen Rechts. Hierbei handelt es sich zum Teil um die Kompetenz zum Erlaß von Allgemeinen Dekreten (decreta generalia) im Sinne des c. 29, also um eine Gesetzgebungsbefugnis, zum Teil um die Kompetenz zum Erlaß von Allgemeinen Ausführungsdekreten (decreta generalia exsecutoria) im Sinne des c. 31, also um eine Verwaltungskompetenz. In vielen Fällen ist die Bischofskonferenz zum Erlaß von Gesetzen oder Ausführungsbestimmungen verpflichtet, in anderen steht es in ihrem Ermessen, ob sie tätig werden will oder nicht. Wiederum in anderen Fällen gewährt das universalkirchliche Recht der Bischofskonferenz lediglich Rechte zur Mitwirkung oder Anhörung bei Entscheidungen des Apostolischen Stuhls oder es enthält allgemeine Direktiven, die keine Kompetenz zum Erlaß von Gesetzen oder Ausführungsbestimmungen darstellen. Neben der Gesetzgebungskompetenz werden den Bischofskonferenzen kraft Gesetzes in vielen Fällen auch Exekutivaufgaben übertragen. Die Zweite Sektion der Apostolischen Signatur hat durch Entscheidung vom 1. 12. 1970 klargestellt, daß auch die Bischofskonferenzen und ihre Organe, z. B. der Ständige Rat oder der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Verwaltungsakte erlassen können. 18 Verschiedentlich statuiert das kirchliche Gesetzbuch auch bloße Kommunikations- und Informationsrechte und -pflichten, die für das harmonische und gedeihliche Zusammenwirken zwischen den Bischofskonferenzen und dem Apostolischen Stuhl sowie zwischen den Bischofskonferenzen und den Diözesanbischöfen und zwischen den Bischofskonferenzen untereinander von Wichtigkeit sind. Im folgenden werden die Kompetenzen und Pflichten der Bischofskonferenzen im einzelnen anhand der Gliederungsstruktur des kirchlichen Gesetzbuchs aufgeführt.

a) Bestimmungen über die Ausbildung von Priestern und Diakonen, den Altardienst und die priesterliche Lebensführung (1) Antragstellung der zuständigen Bischofskonferenzen als Voraussetzung für die Genehmigung zur Errichtung eines interdiözesanen 1a Abgedr. bei Ochoa IV, Sp. 5930-5934; über den Verwaltungsakt im Verständnis des kanonischen Rechts vgl. HdbKathKR, Richard Adolf Strigl, § 9 Verwaltungsakt und Verwaltungsverfahren.

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Seminars für die Priesterausbildung durch den Apostolischen Stuhl, sofern das interdiözesane Seminar für das gesamte Territorium der Bischofskonferenz errichtet werden soll (c. 237 § 2). (2) Verpflichtung der Bischofskonferenz zur Schaffung einer besonderen Ordnung für die Priesterausbildung und das Theologiestudium (Ratio nationalis institutionis sacerdotalis) auf der Grundlage der von der Kongregation für das katholische Bildungswesen erlassenen Grundordnung (Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis; c. 242 §§ 1 und 2). 19 (3) Kompetenz der Bischofskonferenz zum Erlaß von Normen über die Art und die Dauer der spirituellen Ausbildung der Anwärter auf das Amt des Ständigen Diakons (c. 236). 20 (4) Auftrag für die Bischofskonferenz zur Festlegung des Umfangs des von den Ständigen Diakonen täglich zu verrichtenden Teiles des kirchlichen Stundengebetes (c. 276 § 2 n. 3). (5) Zuständigkeit der Bischofskonferenz zur Festlegung der Qualifikationen, über die Männer aus dem Laienstand verfügen müssen, die auf Dauer als Lektoren oder Akolythen bestellt werden sollen (c. 230 § 1). (6) Kompetenz der Bischofskonferenz zum Erlaß von Normen über die Kleidung der Kleriker (c. 284).

b) Genehmigungsrechte der Bischofskonferenz für die Errichtung bestimmter kirchlicher Vereinigungen (7) Zuständigkeit der Bischofskonferenz zur Errichtung öffentlicher kirchlicher Vereine, deren Tätigkeit sich auf das gesamte Gebiet der Bischofskonferenz erstreckt (c. 312 § 1 n. 2; vgl. hierzu auch cc. 314, 315, 316, 318, 319). (8) Kompetenz der Bischofskonferenz, von ihr errichtete öffentliche Vereine aus schwerwiegenden Gründen aufzulösen (c. 320 § 2). 19 Text der "Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis" v. 6. 1. 1970, in: AAS 62 (1970), S. 321-384 = NKD 25, S. 68-263; vgl. hierzu ferner die einschlägigen Dokumente zur Priesterausbildung und zum Theologiestudium, in: NKD 25, hrsg. von Anton Arensund Heribert Schmitz, Trier 1974. Die "Rahmenordnung für die Priesterbildung" ("Ratio nationalis institutionis sacerdotalis") wurde von der Deutschen Bischofskonferenz in der Vollversammlung vom 13.16. Februar 1978 verabschiedet. Vgl. Rahmenordnung für die Priesterbildung, hrsg. von der Deutschen Bischofskonferenz (=Die Deutschen Bischöfe, H. 15), Bonn 1978. 20 Über das Amt des Ständigen Diakons vgl. Hugo Schwendenwein, § 23 Der Ständige Diakon, in: HdbKathKR, S. 229-238.

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(9) Befugnis der Bischofskonferenz zur Anerkennung privater kirchlicher Vereine (c. 322 § 1 i. V. m. c. 312 n. 2) und erforderlichenfalls auch zu deren Auflösung (vgl. c. 326 § 1).

c) Bestimmungen über Beziehungen, Kommunikation und gegenseitige Information zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Bischofskonferenz (10) Recht der Bischofskonferenzen zur Wahl der Mehrzahl der Mitglieder der ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (c. 346 § 1). (11) Anhörung der beteiligten Bischofskonferenzen durch den Apostolischen Stuhl vor Errichtung von aus Priestern und Diakonen des Weltklerus bestehenden Personalprälaturen (c. 294). (12) Anhörung der beteiligten Bischofskonferenz durch den Apostolischen Stuhl vor Errichtung von Teilkirchen eines anderen Ritus auf ihrem Gebiet (c. 372 § 2). (13) Verpflichtung des päpstlichen Gesandten zu häufiger Kommunikation und enger Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz (c. 364 n. 3). (14) Möglichkeit der Aufstellung geheimer Dreijahreslisten von Priestern, die für das Bischofsamt geeignet sind, durch die Bischofskonferenz (c. 377 § 2). (15) Verpflichtung des Apostolischen Nuntius, vor Besetzung eines bischöflichen Stuhles oder der Ernennung eines Koadjutors dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz Gelegenheit zu bieten, zur Person der auf der Dreierliste für das Bischofsamt vorgeschlagenen Kandidaten eine Stellungnahme abzugeben (c. 377 § 3).

d) Kompetenzen der Bischofskonferenz gegenüber den Teilkirchen (16) Erlaß der Statuten des Diözesanpriesterrats durch den Diözesanbischof nach Maßgabe der von der Bischofskonferenz hierfür aufgestellten Richtlinien (c. 496). (1 7) Kompetenz der Bischofskonferenz, die Aufgaben des Konsultorenkollegiums dem Domkapitel zu übertragen (c. 502 § 3). (18) Kompetenz der Bischofskonferenz, den Diözesanbischöfen durch Dekret das Recht zu gewähren, die Ernennung von Pfarrernabweichend vom c. 522, 1. Halbsatz- für eine bestimmte Zeit vorzunehmen (c. 522, 2. Halbsatz).

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(19) Verpflichtung der Bischofskonferenz, subsidiär nach der Diözese, der sie gedient haben, für einen angemessenen und würdigen Lebensunterhalt der Altbischöfe zu sorgen, die ihren Amtsverzicht erklärt haben (c. 402 § 2). (20) Verpflichtung des Diözesanbischofs, unter Beachtung der von der Bischofskonferenz erlassenen Bestimmungen für den angemessenen Lebensunterhalt und die Wohnung der Pfarrer zu sorgen, die ihren Amtsverzicht erklärt haben (c. 538 § 3). (21) Verpflichtung des Diözesanbischofs, nach Abschluß der Diözesansynode den Wortlaut der Beschlüsse und die Synodalgesetze dem Metropoliten und der Bischofskonferenz mitzuteilen (c. 467). (22) Rechtliche Klarstellung, daß die durch die pflichtgemäße Teilnahme an den Sitzungen der Bischofskonferenz bedingte Abwesenheit des Diözesanbischofs von seiner Diözese keine Unterbrechung der vorgeschriebenen Residenzpflicht darstellt (c. 395 § 2).

e) Kooperation zwischen Bischofskonferenz und Ordensgemeinschaften (23) Empfehlung der Herstellung einer angemessenen Koordination und Kooperation zwischen den Konferenzen der höheren Ordensoberen auf der einen und den Bischofskonferenzen und den einzelnen Bischöfen auf der anderen Seite (c. 708). f) Aufgaben und Kompetenzen der Bischofskonferenz im Bereich der Glaubenslehre, der Glaubensverkündigung, des Schutzes des Glaubens und des Schulwesens

(24) Die Bischöfe, sowohl als einzelne als auch in den Bischofskonferenzen, sind authentische Lehrer des Glaubens (c. 753). (25) Gesetzgebungskompetenz der Bischofskonferenzen auf dem Gebiet der Ökumene und der Wiedervereinigung im Glauben; Bindung der Bischöfe an das von den Bischofskonferenzen hierzu geschaffene Recht (c. 755 § 2). 21 (26) Kompetenz der Bischofskonferenz, Bestimmungen über die Zulässigkeit der Laienpredigt zu treffen (c. 766). 21 Vgl. Ökumenisches Direktorium des Sekretariats für die Einheit der Christen, Teil I v. 14. 5. 1967, in: AAS 59 (1967), S. 574-592 = NKD 7, S. 15, 19, 37, 45, 53; Teil II v. 16. 4. 1970, in: AAS 62 (1970), S. 705-724 = NKD 27, S. 55 und 65.

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(27) Zuständigkeit der Bischofskonferenz, Anordnungen über Radiound Fernsehansprachen zu erlassen, die über die Glaubenslehre handeln (c. 772 § 2). (28) Zuständigkeit der Bischofskonferenz, im Bedarfsfall mit vorheriger Genehmigung des Apostolischen Stuhles Katechismen herauszugeben und katechetische Initiativen zu fördern, mit Einschluß der Errichtung eines Katechetischen Instituts mit der Aufgabe, den Diözesen Hilfen anzubieten (c. 775 §§ 2 und 3). (29) Verpflichtung der Bischofskonferenz, eine Ordnung für das Katechumenat zu schaffen, in der die Anforderungen an die Katechumenen und deren Rechte festzulegen sind (c. 788 § 3). (30) Auftrag an die Bischofskonferenz zur Errichtung von Werken, durch die Arbeiter und Studenten aus den Missionsländern brüderlich empfangen und seelsorglich betreut werden (c. 792). (31) Verpflichtung der Bischofskonferenz, Allgemeine Normen für den Bereich der gesamten religiösen katholischen Unterweisung und Erziehung zu erlassen, dessen Organisation und Aufsicht dem Diözesanbischof obliegt (c. 804 § 1). (32) Verpflichtung der Bischofskonferenz, im Rahmen des Möglichen und Wünschenswerten um die Gründung von Universitäten oder zumindest von Fakultäten bemüht zu sein, in denen unter Wahrung der Autonomie der Wissenschaften auch die katholische Glaubenslehre gepflegt wird (c. 809). (33) Verpflichtung und Befugnis der Bischofskonferenzen und der zuständigen Diözesanbischöfe, darüber zu wachen, daß an den katholischen Universitäten die Grundsätze der katholischen Glaubenslehre sorgfältig beachtet werden (c. 810 § 2). (34) Verpflichtung der Bischofskonferenz und des Diözesanbischofs, dafür Sorge zu tragen, daß höhere Bildungseinrichtungen (instituta superiora) zur Pflege des religiösen Wissens gegründet werden, in denen theologische und andere Fächer gelehrt werden, die einen Bezug zum christlichen Bildungsgut haben (c. 821). (35) Recht und Pflicht der Bischöfe, sowohl einzeln als auch in den Partikularkonzilien und in den Bischofskonferenzen über die Integrität der Glaubens- und Sittenlehre im Schrifttum und in den sozialen Kommunikationsmitteln zu wachen, die Schriften über die Glaubensund Sittenlehre zu prüfen und schädliche Bücher zurückzuweisen (c. 823 § 2). (36) Ausgaben der Heiligen Schrift bedürfen der Approbation des Apostolischen Stuhles oder der Bischofskonferenz (c. 825 § l); Überset-

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zungen der Heiligen Schrift, die mit den erforderlichen Erklärungen versehen sind, können katholische Gläubige mit Erlaubnis der Bischofskonferenz zusammen mit den getrennten Brüdern vorbereiten und herausgeben (c. 825 § 2). (37) Unbeschadet des Rechts des Ordinarius loci, Bücher über Glaubens- und Sittenfragen der Begutachtung eines Zensors seiner Wahl zu übertragen, hat die Bischofskonferenz die Kompetenz, eine Liste sachkundiger und sich durch rechte Lehre und Klugheit auszeichnender Zensoren aufzustellen, die den Diözesanverwaltungen bei Bedarf zur Verfügung stehen, oder eine Kommission von Zensoren zu schaffen, an die sich der Ordinarius loci wenden kann (c. 830 § 1). 22 (38) Verpflichtung der Bischofskonferenz zum Erlaß von Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Kleriker und Ordensleute erfüllen müssen, die in Rundfunk- oder Fernsehsendungen Fragen behandeln, die die katholische Glaubens- oder Sittenlehre zum Gegenstand haben (c. 831 § 2). (39) Mitwirkung der Bischofskonferenz bei der Durchführung von Lehrbeanstandungsverfahren. 23

g) Zuständigkeiten und Pflichten der Bischofskonferenz auf dem Gebiete der Liturgie, des Gottesdienstes und der Sakramentenspendung {40) Generelle Kompetenz der Bischofskonferenzen, Übersetzungen der liturgischen Bücher in die Volkssprachen innerhalb des vorgegebenen Rahmens vorzubereiten und mit vorheriger Genehmigung des Apostolischen Stuhles herauszugeben (c. 838 § 3). 24 (41) Kompetenz der Bischofskonferenz zur Festlegung der Voraussetzungen für die Zulassung nichtkatholischer Christen zum Empfang 22 Vgl. hierzu Heribert Heinemann, § 66 Schutz der Glaubens- und Sittenlehre, in: HdbKathKR, S. 567-578. 23 SCFid, Neue Verfahrensordnung zur Prüfung von Lehrfragen v. 15. 1. 1971, in: AAS 63 (1971), S. 234-236 = NKD 37, S. 47 ff.; vgl. dazu ferner das "Lehrbeanstandungsverfahren der Deutschen Bischofskonferenz". Neufassung, beschlossen auf der Vollversammlung vom 9.-12. 3. 1981, abgedr. in sämtlichen Amtsblättern der deutschen Diözesen; ferner bei Heribert Heinemann, Lehrbeanstandung in der katholischen Kirche. Analyse und Kritik der Verfahrensordnung (= Canonistica, H. 6), Trier 1981, S. 89-101; vgl. ferner ders., § 66 Schutz der Glaubens- und Sittenlehre (Anm. 22). 24 Vgl. hierzu Julio Manzanares Marijuan, De Conferentiae Episcopalis competentia in re liturgica, in schemate Codicis emendata, in: PerRMCL 70 (1981), s. 469-497.

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der Sakramente der katholischen Kirche, nach Beratung zumindest mit den lokalen zuständigen Organen der betreffenden Kirche oder nichtkatholischen Gemeinschaft (c. 844 §§ 4 und 5). (42) Kompetenz der Bischofskonferenz zur Schaffung einer Ordnung der Erwachsenentaufe und zum Erlaß besonderer Normen über die verschiedenen Grade der sakramentalen Initiation (c. 851 n. 1). (43) Zuständigkeit der Bischofskonferenz zur Bestimmung der konkreten Form der Spendung der Taufe (Eintauchen oder Übergießen mit Wasser; c. 854). (44) Kompetenz der Bischofskonferenz oder des Diözesanbischofs, Bestimmungen über Anlage und Form der Kirchenbücher in den Pfarreien, d. h. des Tauf-, Trauungs- und Sterberegisters, zu erlassen (c. 535 § 1). (45) Zuständigkeit der Bischofskonferenz zum Erlaß von Vorschriften über die Zulässigkeit und die Form der Eintragung der Namen der natürlichen Eltern bei Adoptivkindern in das Taufregister (c. 877 § 3). (46) Kompetenz der Bischofskonferenz zur Festlegung des Firmalters (c. 891). (47) Kompetenz der Bischofskonferenz oder des Diözesanbischofs, anzuordnen, daß die Eintragung der Spendung des Sakraments der Firmung nicht in einem bei der Diözesankurie geführten Register, sondern in Firmbüchern zu erfolgen hat, die in den einzelnen Pfarreien geführt und aufbewahrt werden (c. 895). (48) Kompetenz der Bischofskonferenz, Kriterien für die Zulässigkeit der Erteilung der sakramentalen Generalabsolution aufzustellen (c. 961 § 2). (49) Verpflichtung der Bischofskonferenz, Bestimmungen über Form und Aufstellung der Beichtstühle zu treffen (c. 964 § 2). (50) Zuständigkeit der Bischofskonferenz für die Festlegung eines höheren als des durch das kirchliche Gesetzbuch vorgeschriebenen Mindestalters für den Empfang der Weihen zum Priester und Ständigen Diakon (c. 1031 § 3). (51) Kompetenz der Bischofskonferenz, Bestimmungen über das kirchliche Verlöbnisrecht - unter Berücksichtigung bestehenden Gewohnheitsrechts und der staatlichen Gesetzgebung - zu treffen (c. 1062). (52) Verpflichtung der Bischofskonferenz zum Erlaß von Normen über die Ehevorbereitung, einschließlich des Aufgebots und der Feststellung des Ledigenstandes (c. 1067).

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(53) Zuständigkeit der Bischofskonferenz für die Festlegung eines höheren als des durch das kirchliche Gesetzbuch vorgeschriebenen Mindestalters für die Eheschließung (c. 1083 § 2). (54) Zustimmende Stellungnahme der Bischofskonferenz als Voraussetzung für die vom Heiligen Stuhl zu gewährende Erlaubnis der Erteilung einer Trauungsdelegation an Laien durch den Diözesanbischof (c. 1112 § 1). (55) Kompetenz der Bischofskonferenz zur Erarbeitung eines vom Heiligen Stuhl zu bestätigenden, mit den örtlichen Verhältnissen und den Gebräuchen der Völker übereinstimmenden und dem christlichen Geist augepaßten Trauungsritus (c. 1120). (56) Kompetenz der Bischofskonferenz für die Festlegung der Form der Eintragung der Eheschließung in das Trauungsregister (c. 1121 § 1). (57) Pflicht der Bischofskonferenz, Bestimmungen zu treffen über die Form der bei konfessionsverschiedenen Ehen vom katholischen Teil abzugebenden Erklärungen und Versprechen sowie festzulegen, auf welche Weise die Abgabe dieser Erklärungen im äußeren Rechtsbereich nachgewiesen werden kann und wie der nichtkatholische Partner davon Kenntnis erhalten muß (c. 1126). 25 (58) Verpflichtung der Bischofskonferenz, Bestimmungen zu treffen, unter welchen Voraussetzungen bei der Eheschließung eine Dispens von der vorgeschriebenen Eheschließungsform gewährt werden kann (c. 1127 § 2). (59) Zuständigkeit der Bischofskonferenz für die Erklärung eines Heiligtums zum Nationalheiligtum (c. 1231). (60) Zuständigkeit der Bischofskonferenz für die Approbation der Statuten eines Nationalheiligtums (c. 1232 § 1). (61) Zuständigkeit der Bischofskonferenz, eine Festlegung darüber zu treffen, daß der Altartisch auch aus einem anderen Material als aus einem einzigen Naturstein bestehen kann (c. 1236 § 1). (62) Zuständigkeit der Bischofskonferenz, mit vorheriger Zustimmung des Apostolischen Stuhles einige der gebotenen Festtage abzuschaffen oder auf den Sonntag zu verlegen (c. 1246 § 2). 25 Vgl. hierzu MP "Matrimonia mixta" v. 31. 3. 1970, in: AAS 62 (1970), S. 257-263 = NKD 26, S. 19 und NKD 28, S. 129. Zu dem MP "Matrimonia mixta" v. 31. 3. 1970 über die rechtliche Ordnung der konfessionsverschiedenen Ehen hat die Deutsche Bischofskonferenz umfangreiche Ausführungsbestimmungen erlassen, abgedr. in sämtlichen Amtsblättern der deutschen Diözesen und ferner in: NKD 28, S. 134 ff.

53 Sbd. List!

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(63) Kompetenz der Bischofskonferenz, festzulegen, daß an den Freitagen des Jahres und den gebotenen Abstinenztagen anstelle der Abstinenz vom Fleischgenuß die Abstinenz von einer anderen Speise treten kann (c. 1251). (64) Kompetenz der Bischofskonferenz, die Beobachtung des Fastens und der Abstinenz genauer zu regeln und andere Formen der Buße, insbesondere Werke der Nächstenliebe und Übungen der Frömmigkeit, ganz oder teilweise anstelle der Abstinenz oder des Fastens festzulegen (c. 1253).

h) Zuständigkeiten der Bischofskonferenz auf dem Gebiete des kirchlichen Vermögensrechts (65) Kompetenz der Bischofskonferenz, Normen über das kirchliche Beitrags- und Spendenwesen zu erlassen (c. 1262). (66) Kompetenz der Bischofskonferenz, allgemeinverpflichtende Bestimmungen über die Veranstaltung und Durchführung kirchlicher Sammlungen zu erlassen, die auch für die Angehörigen von Bettelorden Gültigkeit besitzen (c. 1265 § 2). (67) Auftrag an die Bischofskonferenz, in denjenigen Gegenden, in denen noch Benefizien im eigentlichen Sinne des Wortes bestehen, durch geeignete und mit dem Apostolischen Stuhl abgestimmte und von diesem bestätigte Normen das Benefizialwesen in seinen Auswirkungen zu mildern und allmählich zu beseitigen (c. 1272). (68) Verpflichtung der Bischofskonferenz, dort, wo die soziale Sicherung der Kleriker noch nicht hinreichend geordnet ist, durch Gründung einer Einrichtung für die soziale Sicherung des Klerus Vorsorge zu treffen (c. 1274 § 2). (69) Das Ziel der sozialen Sicherung des Klerus kann erforderlichenfalls auch durch Zusammenarbeit oder durch einen geeigneten Verein, der für verschiedene Diözesen oder sogar auch für das gesamte Gebiet der Bischofskonferenz gegründet wird, erreicht werden (c. 1274 § 4). (70) Auftrag an die Bischofskonferenz, die "Akte der außerordentlichen Verwaltung" auf dem Gebiete des kirchlichen Vermögensrechts zu bestimmen, für deren Vornahme der Diözesanbischof der Zustimmung des Vermögensverwaltungsrats und des Konsultorenkollegiums bedarf (c. 1277). (71) Auftrag an die Bischofskonferenz, für die Veräußerung zeitlicher Güter der Kirche die Mindest- und Höchstwertgrenze festzulegen, innerhalb derer die zuständige kirchliche Autorität, d. h. im Falle der

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Diözesen der Diözesanbischof, mit Zustimmung des Vermögensverwaltungsrats und des Konsultorenkollegiums Kirchengut veräußern kann (c. 1292 § 1}. (72) Auftrag an die Bischofskonferenz, nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen Bestimmungen über die Verpachtung bzw. Vermietung von Kirchenvermögen zu erlassen, insbesondere über die von der zuständigen kirchlichen Behörde einzuholende Erlaubnis (c. 1297).

i) Kompetenzen der Bischofskonferenz auf dem Gebiete der Gerichtsbarkeit und des Prozeßrechts (73} Zuständigkeit der Bischofskonferenz, zu gestatten, daß auch Laien als Richter bestellt werden, aus deren Zahl bei Bedarf einer zur Bildung eines Kollegiums verwendet werden kann (c. 1421 § 2). (74) Kompetenz der Bischofskonferenz, zu gestatten, daß in der ersten Instanz, sofern ein Kollegium nicht gebildet werden kann, für die Dauer dieser Unmöglichkeit der Bischof die Rechtssachen einem Klerikerrichter überträgt, der nach Möglichkeit einen Assessor und einen Auditor beizieht (c. 1425 § 4). (75) Verpflichtung der Bischofskonferenz, mit Zustimmung des Apostolischen Stuhles ein Gericht zweiter Instanz zu errichten, wenn für mehrere Diözesen ein einziges Gericht erster Instanz errichtet worden ist, es sei denn, daß alle diese Diözesen Suffragane derselben Erzdiözese sind (c. 1439 § 1). (76) Kompetenz der Bischofskonferenz, mit Zustimmung des Apostolischen Stuhles, auch unabhängig von den Voraussetzungen des c. 1439 § 1, ein oder mehrere Gerichte zweiter Instanz zu errichten (c. 1439 § 2). (77) Klarstellung, daß die Bischofskonferenz oder der von ihr bezeichnete Bischof über diese Gerichte der zweiten Instanz sämtliche Befugnisse haben, die dem Diözesanbischof bezüglich seines Gerichts zustehen (c. 1439 § 3). (78) Kompetenz der Bischofskonferenz, für die kirchliche Gerichtsbarkeit Bestimmungen über die gütliche Beilegung von Streitigkeiten, die Auftragsschlichtung und über die schiedsrichterliche Streitentscheidung zu erlassen (c. 1714). (79) Kompetenz der Bischofskonferenz, in jeder Diözese ein ständiges Amt oder einen Rat zu errichten, dem nach den von der Bischofskonferenz erlassenen Bestimmungen die Aufgabe übertragen ist, in Verwaltungsstreitigkeiten nach den Grundsätzen der Billigkeit zum 53*

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Zwecke der Vermeidung von Prozessen Lösungsvorschläge zu erarbeiten und zu unterbreiten (c. 1733 § 2). (80) Kompetenzen der Bischofskonferenz für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren. 26

m. Die Bischofskonferenzen im deutschen Sprachgebiet 1. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Verband

der Diözesen Deutschlands

a) Die Deutsche Bischofskonferenz, die bis zum 2. 3. 1966 den Namen "Fuldaer Bischofskonferenz" getragen hat, 27 ist gemäß Art. 1 Abs. 1 ihres am 23. 10. 1976 vom Apostolischen Stuhl genehmigten Statuts der Zusammenschluß der Bischöfe der deutschen Diözesen zum Studium und zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zu gegenseitiger Beratung, zur notwendigen Koordinierung der kirchlichen Arbeit und zum gemeinsamen Erlaß von Entscheidungen sowie zur Pflege der Verbindung zu anderen Bischofskonferenzen. 28 Nach Art. 2 Abs. 1 ihres Statuts sind gegenwärtig Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz (1) alle Ortsoberhirten eines jeden Ritus mit Ausnahme der Generalvikare, (2) die Koadjutoren, 26 Vgl. Die Constitutio Apostolica Divinus perfectionis Magister Papst Johannes' Pauls 11. vom 25. Januar 1983, in: AAS 75 (1983), S. 349-355, durch die das Verfahren bei Kanonisationsprozessen neu geregelt wurde, sowie die Anordnung der SC CausSS vom 7. 2. 1983, in: AAS 75 (1983), S. 396-403, über die von den Bischöfen bei der Durchführung von Informativprozessen bei Heiligsprechungsverfahren einzuhaltenden Bestimmungen; ferner MP "Sanctitas clarior" über die Neuordnung der Selig- und Heiligsprechungsverfahren v. 19. 3. 1969, in: AAS 61 (1969), S. 149 ff. = Ochoa IV, Sp. 5492 ff. = NKD 39, S. 18 ff. 27 Zur Geschichte der Deutschen Bischofskonferenz vgl. Rudolf Lill, Die ersten deutschen Bischofskonferenzen, Freiburg 1964; Erwin Gatz, Die Akten der Fuldaer Bischofskonferenz, Bd. 1 (1871-1887), Bd. 2 (1888-1899), Mainz 1977/ 1979; Erwin lserloh, Die Geschichte der Deutschen Bischofskonferenz, in: Franz Kardinal König und Erwin lserloh, Die Freiheit der Kirche in einem christlichen Europa. Reden zur Zeit, hrsg. vom Institut für Demokratieforschung, Würzburg o. J. (1977), S. 15-31; KarlEugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: HdbStKirchR I, S. 307 ff.; Georg May, Die Deutsche Bischofskonferenz (Anm. 11), m. w. N. 28 Das Statut der Deutschen Bischofskonferenz v. 23. 10. 1976 ist veröffentlicht in: Pressedienst des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz, Dokumentation 27/76 v. 25. 10. 1976; abgedr. auch in: ArchKathKR 145 (1976), S. 543-

552.

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(3) die Weihbischöfe und andere Titularbischöfe, die ein besonderes, vom Apostolischen Stuhl oder von der Bischofskonferenz übertragenes Amt bekleiden in den Kirchenprovinzen Bamberg, Freiburg, Köln, München-Freising und Paderborn sowie der Ortsoberhirte vonBerlin. Nach Art. 2 Abs. 3 des Statuts haben die Apostolischen Visitatoren von Breslau, Ermland und Schneidemühl sowie die Kanonischen Visitatoren von Glatz und Branitz in Anbetracht der besonderen Lage der Heimatvertriebenen in Deutschland bis auf weiteres bei der Vollversammlung die den Titularbischöfen zukommenden Rechte. 29 29 Nach der Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse in den polnischen (ehemals deutschen) Gebieten ostwärts der Oder-Neiße-Linie durch die Apostolische Konstitution Pauls VI. Episcoporum Poloniae vom 28. Juni 1972 (AAS 64 (1972], S. 657-659) wurden am 23. Oktober 1972für diejenigen Kleriker und Laien der früheren Teilkirchen Erzdiözese Breslau, Diözese Ermland und Freie Prälatur Schneidemühl, die sich wegen der veränderten Verhältnisse fern ihrer ursprünglichen Heimat in der Bundesrepublik Deutschland befinden, Apostolische Visitatoren bestellt. Hinsichtlich der Kleriker haben diese Visitatoren, kumulativ mit dem jeweiligen Ortsordinarius des Klerikers, Personaljurisdiktion mit allen Rechten und Pflichten eines Diözesanbischofs, soweit hierzu nicht die Bischofskonsekration erforderlich ist. Das Ernennungsschreiben der Kongregation für die Bischöfe vom 23. Oktober 1972für den Apostolischen Visitator der ermländischen Kleriker und Gläubigen, Paul Hoppe, ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: ArchKathKR 143 (1974), S. 472 f. Darin sind die Vollmachten des Visitators für die ihm unterstehenden Kleriker und über die Gläubigen im einzelnen umschrieben. Die von diesem Apostolischen Visitator mit Datum vom 28. Juli 1974 erlassenen Statuten des Konsistoriums des Apostolischen Visitators der Ermländer sind abgedruckt in: ArchKathKR 143 (1974), S. 498-501. Das Ernennungsschreiben der Kongregation für die Bischöfe vom 11. März 1975für den gegenwärtig amtierenden Apostolischen Visitator für die Ermländer, Apostolischen Protonotar Johannes Schwalke, ist im lateinischen Originalwortlaut abgedruckt in: ArchKathKR 144 (1975), S 134f. Im Gegensatz zu den genannten Apostolischen Visitatoren besitzen die Kanonischen Visitatoren von Glatz (ehemaliger Anteil der Erzdiözese Frag auf ehemals preußischem Territorium) und Branitz (ehemaliger Anteil der Erzdiözese Olmütz auf ehemals preußischem Territorium) keine Personaljurisdiktion über die Kleriker, die aus diesen Gebieten stammen und in der Bundesrepublik Deutschland leben. Bei der neuen Diözesanzirkumskription in Polen durch die Apostolische Konstitution Episcoporum Poloniae vom 28. Juni 1972 wurde das Gebiet des ehemaligen Generalvikariats Branitz von der Erzdiözese Olmütz abgetrennt und der neu geschaffenen Diözese Oppeln zugeteilt. Das Gebiet des ehemaligen Generalvikariats Glatz wurde unter Abtrennung von der Erzdiözese Frag mit der Erzdiözese Breslau vereinigt (vgl. AAS 64 [1972], S. 657 und 658 f.). Mit dem Inkrafttreten des CIC/1983 sind die genannten Apostolischen und Kanonischen Visitatoren nicht mehr Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz, sofern nicht durch den Apostolischen Stuhl für die Deutsche Bischofskonferenz neues partikulares Sonderrecht geschaffen wird. Dies ergibt sich daraus daß gemäß c. 450 Mitglieder einer Bischofskonferenz nur Bischöfe sein können. Bisheriges entgegenstehendes teilkirchliches Recht wird durch c. 6 § 2 n. 2

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Nach Art. 3 des Statuts sind Organe der Deutschen Bischofskonferenz (1) die Vollversammlung, (2) der Ständige Rat, (3) der Vorsitzende, (4) die Bischöflichen Kommissionen. Nach Art. 28 des Statuts sind Dienststellen der Deutschen Bischofskonferenz das Sekretariat, das Kommissariat der deutschen Bischöfe in Bann, die Kirchlichen Zentralstellen sowie jene Arbeitsstellen, die von der Deutschen Bischofskonferenz errichtet sind. In der staatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland besitzt die Deutsche Bischofskonferenz keine Rechtsfähigkeit. Die Bayerische (früher Freisinger) Bischofskonferenz und die aus den Bischöfen der im Lande Nordrhein-Westfalen gelegenen Diözesen bestehende Westdeutsche Bischofskonferenz sind nicht nach Vatll CD Art. 38 bzw. cc. 447-459 konstituiert und haben damit den Status von Bischofskonferenzen alter Ordnung, d. h. sie sind pastorale kollegiale Beratungsgremien ohne Kompetenz zu eigener Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. 30 b) Der Verband der Diözesen Deutschlands. Im Jahre 1968 haben sich die Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland zu einem "Verband der Diözesen Deutschlands" mit Sitz in München zusammengeschlossen. Dieser Verband besitzt nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland den Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 3 WeimRV). Nach Art. 37 des Statuts der Deutschen Bischofskonferenz werden die Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz im rechtlichen und wirtschaftlichen Bereich, soweit die Bischofskonferenz sie dem Verband der Diözesen Deutschlands übertragen hat, von diesem gemäß seiner beseitigt, wonach sämtliche universal- und teilkirchlichen Gesetze, die den Bestimmungen des CIC/1983 entgegenstehen, außer Kraft gesetzt werden, sofern hinsichtlich der teilkirchlichen Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. C. 6 § 2 n. 2 gilt auch für die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 des Statuts der Deutschen Bischofskonferenz vom 23. 10. 1976, wonach die Apostolischen Visitatoren von Breslau, Ermland und Schneidemühl sowie die Kanonischen Visitatoren von Glatz und Branitz in Anbetracht der besonderen Lage der Heimatvertriebenen in Deutschland bis auf weiteres bei der Vollversammlung die den Titularbischöfen zukommenden Rechte haben. 30 Über die Tätigkeit und das Zusammenwirken der Organe der Deutschen Bischofskonferenz und des Verbandes der Diözesen Deutschlands vgl. Josef Homeyer, Die Deutsche Bischofskonferenz, in: Katholiken und ihre Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Günter Gorschenek, MünchenWien 1976, S. 74-88; ders., Ein Verband für die Diözesen Deutschlands, in: Zeugnis und Dienst. Zum 70. Geburtstag von Bischof Dr. Franz Hengsbach, Bochum 1980, S. 242-256; vgl. ferner Joseph Listl, Deutsche Bischofskonferenz und Verband der Diözesen Deutschlands. Nachkonziliare Entwicklungen im überdiözesanen Bereich der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, in: AnzkathGeist 86 (1977), S. 374ff.

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Satzung wahrgenommen. Der Verband ist für Rechts- und Wirtschaftsfragen und für die überdiözesanen Finanz- und Haushaltsangelegenheiten der deutschen Diözesen zuständig. Die Mitglieder des Verbandes sind die 21 Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland. Das Bistum Berlin, das aus staatskirchenrechtlichen Gründen nicht Mitglied des Verbandes der Diözesen Deutschlands sein kann, hat bei dessen Sitzungen einen Gaststatus. Die Organe des Verbandes sind die Vollversammlung, das Entscheidungsgremium des Verbandes, dem sämtliche und nur die Diözesanbischöfe angehören, der Verbandsausschuß, ein Exekutivorgan der Vollversammlung, der Verwaltungsrat, ein Beratungsorgan für die Beratung und Verabschiedung des Haushaltsplanes des Verbandes, der aus drei Mitgliedern bestehende Arbeitsausschuß, der eine vorbereitende Funktion für die Beratungen des Verbandsausschusses und des Verwaltungsrates besitzt, sowie der Geschäftsführer. Dieser besorgt im Rahmen seiner allgemeinen Zuständigkeit die laufende Geschäftsführung des Verbandes und die ihm aufgrund besonderer Weisung übertragenen Aufgaben. Zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Verband der Diözesen Deutschlands bestehen zahlreiche personelle und sachliche Verschränkungen und Verflechtungen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ist zugleich auch der Vorsitzende der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands. Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz ist in Personalunion Geschäftsführer des Verbandes der Diözesen Deutschlands. Die Geschäftsstelle des Verbandes der Diözesen Deutschlands ist das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn. Seit dem 1. 1. 1977 gilt die Satzung des Verbandes der Diözesen Deutschlands i.d.F. vom 1. 12. 1976, die die Gründungssatzung aus dem Jahre 1968 abgelöst hat. 31 2. Die Berliner Bischofskonferenz

Die Berliner Bischofskonferenz, deren Statut am 25. 9. 1975 vom Apostolischen Stuhl bestätigt wurde, ist nach Art. 1 ihres Statuts der Zusammenschluß der Bischöfe, Weihbischöfe und Ordinarien der früheren Berliner Ordinarienkonferenz, die durch Entscheid des Heiligen 31 Wortlaut der Satzung des Verbandes der Diözesen Deutschlands in sämtlichen Amtsblättern der Diözesen der Bundesrepublik Deutschland, u.a. in: KAnz. Köln 117 (1977), S. 11 ff.; abgedr. auch in: ArchKathKR 145 (1976), S. 552-558. Über die rechtliche Struktur, die Arbeitsweise und das Zusammenwirken der verschiedenen Organe des Verbandes der Diözesen Deutschlands vgl. Joseph Listl, Der Verband der Diözesen Deutschlands. Strukturreform im überdiözesanen Bereich der katholischen Kirche der Bundesrepublik Deutschland, in: StdZ 195 (1977), S. 337 ff.

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Stuhles vom 10. 4. 1976 als auctoritas territorialis gemäß dem Konzilsdekret Christus Dominus anerkannt wurde. 32 Der Berliner Bischofskonferenz gehören an die Bischöfe und Weihbischöfe der beiden exemten Bistümer Berlin und Dresden-Meißen (Sitz Dresden) und der Apostolischen Administratur Görlitz sowie die Apostolischen Administratoren in Magdeburg (Anteil des Erzbistums Paderborn), ErfurtMeiningen mit Sitz in Erfurt (Anteile des Bistums Fulda bzw. des Bistums Würzburg) und Schwerin (Anteil des Bistums Osnabrück). Aufgaben der Berliner Bischofskonferenz sind nach Art. 2 ihres Statuts gemeinsame Beratungen, Koordinierung der kirchlichen Arbeit, gemeinsame Entscheidungen und Verfügungen, Studium und Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, Pflege von Beziehungen zu anderen Bischofskonferenzen, vor allem durch Mitarbeit im Europäischen Bischofsrat (Consilium Conferentiarum Episcopalium Europae - CCEE), Zusammenarbeit mit den Bischofskonferenzen des deutschen Sprachgebietes in pastoralen und liturgischen Fragen. Organe der Berliner Bischofskonferenz sind a) die Konferenz, b) der Vorsitzende, c) das Sekretariat, d) die Kommissionen. 3. Die Österreichische Bischofskonferenz

Die Statuten der Österreichischen Bischofskonferenz 33 wurden am 22. 12. 1969 vom Apostolischen Stuhl genehmigt. Nach § 3 der Statuten sind Mitglieder der Österreichischen Bischofskonferenz alle Ortsoberhirten eines jeden Ritus mit Ausnahme der Generalvikare, die Koadjutoren und die Weihbischöfe (sowie jene anderen Titularbischöfe, die ein besonderes, vom Apostolischen Stuhl oder von der Bischofskonferenz übertragenes Amt in Österreich bekleiden). Nach§ 1 der Statuten ist die Österreichische Bischofskonferenz der Zusammenschluß der Bischöfe der Österreichischen Diözesen, mit Gutheißung des Apostolischen Stuhles errichtet, zum Studium und zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zu gegenseitiger Beratung, zur notwendigen Koordinierung der kirchlichen Arbeit und zum gemeinsamen Erlaß von Entscheidungen sowie zur Pflege der Verbindung zu anderen Bischofskonferenzen. Wie oben unter III 2 d bereits 32 Das Statut der Berliner Bischofskonferenz ist veröffentlicht in: Pressedienst des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz, Dokumentation 27/ 76 v. 25. 10. 1976. Die Geschäftsordnung der Berliner Bischofskonferenz wurde am 6. 9. 1982 verabschiedet und trat mit sofortiger Wirkung für drei Jahre ad experimentum in Kraft. 33 Bisher nicht veröffentlicht; vgl. dazu oben Anm. 16.

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dargelegt, besitzt die Österreichische Bischofskonferenz nach dem Österreichischen Staats- und Konkordatsrecht Rechtsfähigkeit auch für den Bereich des staatlichen Rechts, und zwar den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. 4. Die Schweizer Bischofskonferenz

Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz, deren Statuten vom 9. 10. 1974 vom Apostolischen Stuhl am 20. 9. 1975 approbiert wurden,34 sind die Diözesanbischöfe und die Weihbischöfe der schweizerischen Diözesen, die Altbischöfe mit besonderem Auftrag sowie die Äbte von St. Maurice und Einsiedeln. Die ständigen Organe der Bischofskonferenz sind nach Art. 3 der Statuten die Vollversammlung, das Präsidium und das Sekretariat. Nach Art. 13 der Statuten besteht zur Regelung finanzieller Fragen ein Verein "Schweizer Bischofskonferenz" nach ZGB Art. 60f. Mitglieder des Vereins sind die Mitglieder der Bischofskonferenz. Der Präsident, der Vize-Präsident und der Sekretär der Bischofskonferenz bilden das Präsidium des Vereins "Schweizer Bischofskonferenz".

34 Die Statuten vom 9. 10. 1974 wurden am 20. 9. 1975 vom Apostolischen Stuhl approbiert. Die Statuten der Schweizer Bischofskonferenz sind abgedr. in: SKZ 143 (1975), S. 764 f. Die Geschäftsordnung der Schweizer Bischofskonferenz wurde im Oktober 1974 und in leicht abgeänderter und erweiterter Form am 4. 10. 1976 von der Bischofskonferenz gutgeheißen und in Kraft gesetzt. Neben der Schweizer Bischofskonferenz bestehen in der Schweiz eine deutschschweizerische Ordinarienkonferenz (DOK) und eine französischsprachige "Conference des Ordinaires de Suisse Romande". Vgl. das Statut der deutschschweizerischen Ordinarienkonferenz in: SKZ 141 (1973), S. 599. Das revidierte Statut dieser Ordinarienkonferenz vom 11. 3. 1976 ist abgedr. in: SKZ 144 (1976), S. 232. Vgl. dazu Fritz Dommann, Deutsch-schweizerische Ordinarienkonferenz- Ein neues Gremium, in: SKZ 141 (1973), S. 596-598.

Die Bistumsgrenzen in Deutschland Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung Aus zwei Gründen ist die Diözesanzirkumskription in Deutschland seit längerer Zeit Gegenstand vielfältiger Erörterungen. Die größtenteils nach dem Wiener Kongreß im Zuge der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse festgelegten Diözesangrenzen entsprechen in großräumiger Betrachtung in vieler Hinsicht nicht mehr den heutigen seelsorglichen und sozioökonomischen Verhältnissen und decken sich vielfach auch nicht mehr mit den Grenzen der jeweiligen Bundesländer und der staatlichen Verwaltungsbezirke. Insbesondere im Hinblick auf die Bestimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das in dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" Veränderungen in der Bistumsstruktur überall dort empfohlen hat, wo dies aus pastoralen Gründen erforderlich ist, wurde auch in der Bundesrepublik Deutschland eine Angleichung der Diözesangrenzen an die gewandelten Verhältnisse empfohlen. Ferner bildet die vom Heiligen Stuhl aus wohlerwogenen Gründen immer wieder aufgeschobene Neugliederung der kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands ein seit langer Zeit vieldiskutiertes und ungelöstes pastorales, rechtliches und kirchenpolitisches Problem. Mit diesen Fragestellungen befaßt sich der vorliegende Beitrag. I. Die historischen Grundlagen der gegenwärtigen Diözesanzirkumskription in Deutschland Die gegenwärtige deutsche Diözesanorganisation kann nur auf dem Hintergrund des Verlaufs der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zutreffend verstanden werden 1 . Nach dem Untergang Erstveröffentlichung in: Pax et lustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Walther Kaluza, Hans R. Klecatsky, Heribert Franz Köck, Johannes Paarhammer. Berlin: Duncker & Humblot 1990, S. 230-253. 1 Die gegenwärtige Diözesanverfassung der katholischen Kirche in Deutschland ist dargestellt bei KarlEugen Schlief, Die Organisationsstruktur der ka-

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des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und dem damit verbundenen Zusammenbruch der von Kaiser Otto I., dem Großen (936973), geschaffenen einstmals so glanzvollen deutschen Reichskirche bedurfte auch die Diözesanorganisation der katholischen Kirche in den Staaten des Deutschen Bundes einer grundlegenden Neuordnung. Diese erfolgte im Anschluß an den Wiener Kongreß im Wege vertraglicher Abmachungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den einzelnen deutschen Staaten, und zwar im Falle des Königreichs Bayern durch ein Konkordat und bei den übrigen deutschen Staaten durch sog. päpstliche Zirkumskriptionsbullen, deren Inhalt in allen Fällen vorher in eingehenden und zum Teil sehr langwierigen Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem jeweiligen Staat des Deutschen Bundes vereinbart wurde. Diese Zirkumskriptionsbullen wurden in dem Gesetzblatt des jeweiligen Staates veröffentlicht und erhielten durch die landesherrliche Sanktion auch innerstaatlich den verpflichtenden Charakter eines staatlichen Gesetzes. In ihren wesentlichen Grundlagen beruht die Festlegung der Bistumsgrenzen in Deutschland auch heute noch weitgehend auf den nach dem Wiener Kongreß getroffenen Vereinbarungen. Dies trifft insbesondere für Süddeutschland zu. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1921 für das Land Sachsen das Bistum Meißen mit Sitz in Bautzen neu errichtet. 1929 erfolgte im Preußischen Konkordat die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse für Preußen mit der Errichtung der Diözesen Aachen und Berlin. 1956 wurde das Bistum Essen gegründet. Auf dem Gebiete der Deutschen Demokratischen Republik erfuhren nach dem Zweiten Weltkrieg die kirchlichen Verhältnisse nur eine vorläufige Regelung. Eine endgültige Festlegung der Diözesangrenzen ist hier bisher noch nicht erfolgt. Im einzelnen beruht die gegenwärtige Diözesanzirkumskription in Deutschland auf folgenden rechtlichen Grundlagen: 1. Bayerisches Konkordat vom 5. 6. 1817

Für den Bereich des Königreichs Bayern erfolgte die Neuordnung der Diözesanorganisation nach dem Wiener Kongreß durch die Übereinkunft vom 5. 6. 1817 zwischen Sr. Heiligkeit Papst Pius VII. und Sr. Majestät Maximilian I. Joseph, König von Bayern2 • Durch das Konkortholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mitJoseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 299-325. 2 Deutscher Wortlaut des Bayerischen Konkordats bei Ernst Rudolf Huber I Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend aer bürgerlichen Revolution, Berlin

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dat wurden in Bayern zwei Kirchenprovinzen errichtet, nämlich die Kirchenprovinz München und Freising mit dem Erzbistum München und Freising und mit den Suffraganbistümern Augsburg, Regensburg und Passau, sowie die Kirchenprovinz Bamberg mit dem Erzbistum Bamberg und den Suffraganbistümern Eichstätt, Speyer und Würzburg. Die Festlegung der Diözesangrenzen erfolgte gemäß dem später von allen Staaten des Deutschen Bundes praktizierten Grundsatz, daß die Diözesangrenzen sowohl gegenüber dem Ausland als auch gegenüber den anderen Staaten des Deutschen Bundes in aller Regel mit den Staatsgrenzen zusammenfallen sollten. Eine historisch begründete Ausnahme bildete im bayerischen Konkordat lediglich das Bistum Würzburg, zu dem bis zum heutigen Tag auch das Gebiet des benachbarten Sachsen-Meinirrgen gehört 3 . 2. Die Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16. 7. 1821 für Preußen

Von großer Tragweite für die Neuordnung und die Stabilisierung der Verhältnisse der katholischen Kirche in Deutschland wurde die Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16. 7. 1821 4 • Durch sie wurden nach dem Modell der Regelungen im Bayerischen Konkordat im Königreich Preußen ebenfalls zwei Kirchenprovinzen errichtet, nämlich die Kirchenprovinz Köln mit dem Erzbistum Köln und den Suffraganbistümern Trier, Münster und Paderborn im Westen und die Kirchenprovinz Gnesen-Posen mit dem vereinigten Erzbistum Gnesen-Posen und dem Suffraganbistum Kulm im Osten. Die beiden Diözesen Breslau und Ermland blieben exemt, d. h. nach wie vor unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt.

1973, S. 170 ff. Die genaue Umschreibung der Grenzen der bayerischen Diözesen und ihrer inneren Gliederung erfolgte durch die aufgrund des Konkordats vom 5. 6. 1817 für das Königreich Bayern erlassene Organisations- und Zirkumskriptionsbulle "Dei ac Domini nostri Jesu Christi". 3 Über den historisch begründeten Sonderstatus von Sachsen-Meiningen im Diözesanverband des Bistums Würzburg s. Alfred Wendehorst, Das Bistum Würzburg 1803/1957, Würzburg 1965, S. 73 ff. 4 Deutscher Wortlaut bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. 1, (Anm. 2), S. 204ff. Die Bulle "De salute animarum" hat auch das Gebiet des früheren Herzogtums Oldenburg dem Bistum Münster eingegliedert. Durch die Konvention von Oliva vom 5. 1. 1830 wurde für Oldenburg in Vechta ein eigener Bischöflicher Offizialatsbezirk geschaffen, der bis heute dem Bischof von Münster unmittelbar unterstellt ist und dem innerhalb des Bistums Münster ein Sonderstatus zukommt.

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3. Oberrheinische Kirchenprovinz

Nach besonders schwierigen und langwierigen Verhandlungen kam durch die Zirkumskriptionsbulle "Provida solersque" vom 16. 8. 1829 eine Regelung der Diözesaneinteilung für die bis heute bestehende sog. Oberrheinische Kirchenprovinz zustande 5 . Zu dieser Kirchenprovinz gehörten das Erzbistum Freiburg und die Suffraganbistümer Mainz, Fulda, Rottenburg und Limburg. Die Festlegung der Diözesangrenzen erfolgte auch hier nach dem Leitgrundsatz, daß sofern irgendwie möglich, stets die Diözesangrenzen mit den Landesgrenzen zusammenfallen mußten. Das Erzbistum Freiburg umfaßte deshalb "das ganze Gebiet des Großherzogtums Baden", das Bistum Mainz "das ganze Gebiet des Großherzogtums Hessen", das Bistum Fulda "das ganze Kurfürstentum Hessen" sowie neun Pfarreien im Großherzogtum SachsenWeimar, das Bistum Rottenburg "das ganze Königreich Württemberg", das Bistum Limburg "das ganze Herzogtum Nassau" und zugleich auch das Gebiet der freien Stadt Frankfurt, in der damals allerdings nur eine einzige katholische Pfarrei, nämlich die Dompfarrei St. Bartholomäus, bestand. 4. Königreich Hannover

Durch die Zirkumskriptionsbulle "Impensa Rarnanorum Pontificum" vom 26. 3. 1824 wurden im Königreich Hannover die beiden exemten Bistümer Hildesheim und Osnabrück geschaffen und ihr Gebiet, wiederum in Übereinstimmung mit den Landesgrenzen, neu umschrieben6. Das Gebiet des ehemaligen Herzogtums Braunschweig wurde erst durch Konsistorialdekret vom 2. 7. 1834 dem Bistum Hildesheim zugewiesen. 5. Bistum Meißen

Durch die Apostolische Konstitution "Sollicitudo omnium Ecclesiarum" vom 24. 6. 1921 wurde das 968 auf Vorschlag Kaiser Ottos I. von Papst Johannes XIII. gegründete und 1581 aufgehobene Bistum Meißen als exemtes Bistum für das Land Sachsen wiedererrichtet. Es trat damit an die Stelle des bisherigen Apostolischen Vikariats Sachsen und der Apostolischen Präfektur der Lausitz. Sitz des Bischofs wurde Bautzen 7 . 5 Deutscher Wortlaut und Kirche, Bd. 1, (Anm. 6 Deutscher Wortlaut und Kirche, Bd. 1, (Anm.

der Zirkumskriptionsbulle bei Huber I Huber, Staat 2), S. 246ff. der Zirkumskriptionsbulle bei Huber I Huber, Staat 2), S. 299 ff.

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Kirchenorganisation 6. Bayerisches Konkordat vom 29. 3. 1924

Das Bayerische Konkordat vom 29. 3. 1924 hat die durch das erste Bayerische Konkordat vom 5. 6. 1817 geschaffene Diözesanorganisation und -Zirkumskription erneut bestätigt. Sie erfuhr keine Veränderungen mehr8 • 7. Preußisches Konkordat vom 14. 6. 1929

Durch das historisch bedeutsame Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen vom 14. 6. 1929 9 wurde die Diözesanzirkumskription in Preußen zum Teil neu geordnet und den im Gefolge des Ersten Weltkriegs veränderten politischen Verhältnissen angepaßt. In Preußen wurde im Westen das Bistum Aachen neu errichtet und der Kirchenprovinz Köln angegliedert. Ebenso wurde das Bistum Osnabrück als Suffraganbistum der Kölner Kirchenprovinz zugeteilt. Die Kirchenprovinz Faderborn wurde neu geschaffen. Dem zum Erzbistum erhobenen bisherigen Bistum Faderborn wurden die Diözesen Hildesheim und Fulda als Suffraganbistümer zugewiesen. Im Osten wurde die Kirchenprovinz Breslau errichtet, zu der neben dem zum Erzbistum erhobenen bisherigen Fürstbistum Breslau das neu errichtete Bistum Berlin und die Freie Prälatur Schneidemühl als Suffraganbezirke gehörten 10 . 8. Errichtung des Bistums Essen

Gewissermaßen in Ergänzung zum Preußischen Konkordat erfolgte durch den Vertrag des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Heiligen Stuhl vom 19. 12. 1956 die Errichtung des Bistums Essen, das aus Ge7 Wortlaut der Apostolischen Konstitution "Sollicitudo omnium Ecclesiarum" in: Acta Apostolicae Sedis, Bd. 13 (1921), S. 409 ff. s Deutscher und italienischer Wortlaut des Bayerischen Konkordats nach dem Stand vom 1. 7. 1987 bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis. Berlin 1987, Bd. 1, S. 474 ff. 9 Deutscher und italienischer Wortlaut des Preußischen Konkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 707 ff. 1o Die Festlegung der Grenzen der Kirchenprovinzen und die Neuumschreibung der Diözesen im Preußischen Staat erfolgten im einzelnen durch die Zirkumskriptionsbulle "Pastoralis officii nostri" vom 13. 8. 1930. Lateinischerund deutscher Wortlaut bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 740ff., 746ff.

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bietsteilen der Erzdiözesen Köln und Faderborn sowie der Diözese Münster gebildet wurde 11 • 9. Niedersächsisches Konkordat vom 26. 2. 1965

Durch das bisher letzte größere deutsche Landeskonkordat, das am 26. 2. 1965 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Niedersachsen zustande kam, wurden innerhalb Niedersachsens zwischen den Bistümern Hildesheim und Osnabrück zum Zwecke der Grenzbereinigung einige kleinere Gebietsveränderungen vorgenommen. Ausdrücklich wurde dabei festgelegt, daß eine wesentliche Änderung der Diözesanzirkumskription einer ergänzenden Vereinbarung zwischen den Konkordatspartnern bedarf 12 . 10. Reichskonkordat vom 20. 7. 1933

Ausführliche Bestimmungen über die Zirkumskription der deutschen Diözesen enthält Art. 11 des Reichskonkordats vom 20. 7. 1933. Danach bedürfen die Errichtung eines Bistums oder einer Kirchenprovinz sowie Änderungen der Diözesanorganisation und -Zirkumskription innerhalb eines deutschen Landes einer vertraglichen Zustimmung der Regierung des betreffenden Landes. Änderungen, die über die Grenzen eines Landes hinausgehen, erfordern eine Verständigung mit der Reichsregierung, der es überlassen bleibt, die Zustimmung der in Frage kommenden Landesregierung herbeizuführen. Gleiches gilt für die Errichtung oder Änderung von Kirchenprovinzen, sofern mehrere deutsche Länder daran beteiligt sind 13 . Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß die Diözesanorganisation und -Zirkumskription sowohl in sämtlichen Länderkonkordaten als auch im Reichskonkordat durchgehend eine bedeutsame Regelungsmaterie darstellt. Wer eine Änderung der Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland fordert, muß bedenken, daß alle Änderungen der Diözesangrenzen und auch der Grenzen der Kirchenprovinzen innerhalb eines Landes der vertraglichen Zustimmung der zuständigen Landesregierung und, sofern die Änderung mehrere 11

Wortlaut des Vertrags bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge

(Anm. 8), Bd. 2, S. 230 ff.

12 Wortlaut des Niedersächsischen Konkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 5 ff. 13 Wortlaut des Reichskonkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 8), Bd. 2, S. 34 ff.

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Bundesländer betrifft, der Zustimmung der betreffenden Landesregierungen und im Falle von Änderungen, die die Grenzen eines Landes überschreiten, auch der vertraglichen Zustimmung der Bundesregierung bedürfen. II. Die Diskussion über eine zeitgemäße Umschreibung der Grenzen der deutschen Diözesen auf der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg (1971-1975) 1. Die Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils

Neben verschiedenen anderen "heißen Eisen" hat die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, die von 1971 bis 1975 in Würzburg stattfand, auch die Thematik "Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland" aufgegriffen. Die Synode konnte sich dabei auf einen ausdrücklichen Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils berufen. Das Konzil hat in Nr. 22 des Dekrets über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" dazu aufgerufen, möglichst bald mit Umsicht eine Überprüfung der Abgrenzung der Diözesen vorzunehmen, soweit das Heil der Seelen dies verlange. Dabei sollen, wie das Konzil erklärt hat, Diözesen geteilt, abgetrennt oder zusammengefügt, ihre Grenzen geändert oder ein günstigerer Ort für die Bischofssitze bestimmt werden. Schließlich sollen die Bistümer, besonders wenn es sich um Diözesen handelt, die aus größeren Städten bestehen, ein neue innere Organisation erhalten 14 . Jede Diözese soll aus einem zusammenhängenden Gebiet bestehen. Im Hinblick auf die Größe des Diözesangebiets und die Zahl der Gläubigen schwebt dem Konzil offensichtlich eine Diözese eher kleineren bis mittleren Umfangs als Ideal vor Augen, in der der Bischof, wenn auch von anderen unterstützt, imstande ist, die bischöflichen Amtshandlungen und Pastoralvisitationen persönlich vorzunehmen, die gesamte Seelsorgstätigkeit der Diözese in gebührender Weise zu leiten und zu koordinieren, und insbesondere seine Priester kennenzulernen sowie auch die im Dienste der Diözese tätigen Ordensleute und Laien. Auf der anderen Seite soll der Diözese, wie das Konzil erklärt, aber auch ein hinreichendes und geeignetes Arbeitsfeld zur Verfügung stehen, in dem sowohl der Bischof als auch die Kleriker unter Berücksich14 Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus", Nr. 22

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tigung der Erfordernisse der Gesamtkirche alle ihre Kräfte nutzbringend für den kirchlichen Dienst einsetzen können. Schließlich weist das Konzil auch darauf hin, und dies ist von entscheidender Bedeutung, daß jeder Diözese nach Zahl und Eignung wenigstens genügend Kleriker zur Verfügung stehen müssen, um das Volk Gottes recht zu betreuen. Insbesondere müssen die für die Teilkirche wesentlichen und erfahrungsgemäß für ihre ordnungsgemäße Leitung und seelsorgliche Betreuung notwendigen Ämter, Einrichtungen und Werke vorhanden sein. Schließlich muß die Diözese auch in wirtschaftlicher Hinsicht existenzfähig sein, d. h. die Mittel zum Unterhalt des Personals und der Einrichtungen müssen entweder schon vorhanden sein oder dürfen wenigstens nach kluger Voraussicht späterhin nicht fehlen 15 . Unter ausdrücklicher Berufung auf die Anweisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden in Italien durch entsprechende Dekrete der Kongregation für die Bischöfe vom 30. 9. 1987 16 insgesamt 97 im Laufe der Zeit vakant gewordene und nicht mehr besetzte Bistümer und kirchliche Verwaltungsbezirke mit anderen Diözesen vereinigt. Damit wurde nach jahrzehntelanger Vorbereitung die Zahl der italienischen Diözesen von einem Tag auf den andern von früher 325 auf nunmehr 228 reduziert. In den meisten Fällen wurden zwei, in mehreren verschiedentlich aber auch drei und mehr Klein- und Kleinstdiözesen zu einem neuen Bistum zusammengeschlossen. Die Veränderungen beschränkten sich ausschließlich auf Mittel- und Süditalien, während Norditalien mit seinen durchschnittlich größeren Diözesen von dieser Neuordnung überhaupt nicht betroffen wurde. Viele der mit einem anderen Bistum vereinigten Diözesen hatten weniger als 50 000 Gläubige. Die Mehrzahl der vereinigten neuen Bistümer ist auch nach dieser Reform im Hinblick auf die Zahl ihrer Gläubigen erheblich kleiner als die zahlenmäßig kleinste der deutschen Diözesen, nämlich das Bistum Eichstätt mit 438 487 Katholiken. Nach wie vor bestehen in Italien zahlreiche Kleindiözesen 17 . 15 Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe (Anm. 14), Nr. 23. 16 Die einzelnen Dekrete der Kongregation für die Bischöfe sind veröffentlicht in: Acta Apostolicae Sedis 79 (1987), S. 625-828. 17 Vgl. hierzu die kritische Anmerkung von David Andreas Seeber, Kleine Lösung. Italien mit weniger Diözesen, in: Herder-Korrespondenz 40. Jhg. (1986), S. 511. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, daß sich der Heilige Stuhl in den Artikeln 16 und 17 des Lateran-Konkordats von 1929 mit Italien von 11. 2. 1929 verpflichtet hatte, die Zirkumskription der italienischen Diözesen nach Möglichkeit mit derjenigen der Staatsprovinzen in Übereinstimmung zu bringen und damit im Ergebnis die Zahl der italienischen Bistümer auf ins-

54 Sbd. List!

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2. Die Änderungsvorschläge der Würzburger Synode zur Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland

Das Problem einer Neuzirkumskription der deutschen Diözesen hat auch die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg beschäftigt. Die Synode erteilte der hierfür zuständigen Sachkommission IX "Ordnung pastoraler Strukturen", die unter der Leitung des Aachener Domkapitulars Prälat Philipp Boonen stand, den Auftrag zur Erarbeitung einer Synodenvorlage "Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland". Die Kommission nahm sich des ihr zuteil gewordenen Auftrags mit Bravour, einem von der damals in der Bundesrepublik Deutschland auch im kommunalen und staatlichen Bereich herrschenden Planungseuphorie beflügelten Reformeifer und mit deutscher Gründlichkeit an. Sie untersuchte eingehend die gegenwärtige Diözesanzirkumskription in Deutschland, sprach sich für die Notwendigkeit einer grundlegenden Neuordnung der Diözesen aus und entwickelte auch Kriterien für eine Neuumschreibung der Bistumsgrenzen. Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, daß die damaligen und auch derzeit noch bestehenden Bistumsgrenzen den von ihr entwickelten Kriterien "häufig nicht mehr gerecht" werden und daher dringend reformbedürftig seien. Allerdings sah sich die Kommission, wie sie selbst eingestand, nicht in der Lage, der Synode einen vollständigen Plan zur Neuordnung der Bistumsgrenzen vorzulegen, da insbesondere die staatliche und kommunale Neugliederung noch nicht in allen Bereichen zu Ende geführt sei. Es kam daher nicht zu der von der Sachkommission ursprünglich ins Auge gefaßten Synodenvorlage, die von der Gemeinsamen Synode hätte beschlossen werden können. Die Sachkommission IX beschränkte sich deshalb darauf, "ihre durch den Auftrag von Konzil und Synode veranlaßten Überlegungen" wenigstens in einem am 13./14. Juni 1975 verabschiedeten und den Mitgliedern des Präsidiums der Gemeinsamen Synode zur weiteren Veranlassung überreichten "Arbeitspapier" niederzulegen, als dessen Adressaten sie vor allem die Bischofskonferenz und die Bischöflichen Generalvikariate gesamt 95, entsprechend der Zahl der italienischen Provinzen, zu reduzieren. Vgl. hierzu: Die Lateran-Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 11. Februar 1929. Italienischer und deutscher Text. Autorisierte Ausgabe mit einer Einleitung des Päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli in Berlin. Mit 5 Karten. Freiburg/Br. 1929, S. 51f. Im italienischen Konkordat von 1984 ist diese Verpflichtung des Heiligen Stuhles nicht mehr erwähnt. Auch bei einer Reduktion der Zahl der italienischen Diözesen auf 95 wären, wie Seeber feststellt, in Italien, abgesehen von den Großstädten Rom, Mailand, Turin, Neapel und Palermo immer noch keine Groß-, geschweige denn Mammut-Diözesen entstanden. Vgl. Seeber, ebd.

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bzw. Ordinariate in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnete18 • Die Erwägungen und Ergebnisse der Sachkommission IX der Würzburger Synode können auch für künftige Überlegungen über eine Neustrukturierung der Diözesanorganisation der deutschen Bistümer von Bedeutung und Interesse sein.

a) Beurteilung der gegenwärtigen Lage der deutschen Bistumgsgrenzen Das Arbeitspapier geht davon aus, daß die Industrialisierung, die einschneidenden Ergebnisse der beiden Weltkriege und nicht zuletzt der durch den Zweiten Weltkrieg ausgelöste Flüchtlingsstrom und die Aussiedlungen das politische und soziale Gefüge sowie die Siedlungs-, Erwerbs- und konfessionelle Struktur in der Bundesrepublik Deutschland stark verändert haben. Infolge der innerdeutschen Grenzziehung zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik seien die Bistümer Berlin, Fulda, Hildesheim, Osnabrück, Paderborn und Würzburg in "verschiedene Sektoren zerschnitten." Mehrere Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland bildeten keine territoriale Einheit. So gehörten zu den Erzbistümern Freiburg, München-Freising und Paderborn und zu den Diözesen RottenburgStuttgart und Trier kleine Gebiete inmitten anderer Diözesen (Exklaven). Die Bistümer Mainz, Münster und Osnabrück bestünden aus getrennten Gebietsteilen. Diese durch die geschichtliche Entwicklung entstandene Situation erweise sich infolge des Entstehens neuer Siedlungsräume und Industriegebiete sowie der mit ihnen neu wachsenden Sozialstrukturen als geradezu anachronistisch. Nach den Planungsvorstellungen der Sachkommission IX sollten wirtschaftliche und soziale sog. "Verdichtungsräume" aus pastoralen 18 Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Sachkommission IX. Arbeitspapier "Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland, verabschiedet am 13./ 14. Juni 1975. 20 Seiten. Das Synodenpapier ist nicht veröffentlicht. Ein kurzer Auszug wurde publiziert in: SYNODE. Amtliche Mitteilungen der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Sekretär der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland Dr. Josef Homeyer, Bonn, Jhg. 1974, Heft 5, S. 10. Das Arbeitspapier beruht in seinen wesentlichen Aussagen und Ergebnissen auf Vorarbeiten eines von dem Münsteraner Pastoraltheologen Prof. Adolf Exeler geleiteten Doktoranden-Kolloquiums des Seminars für Pastoraltheologie an der Universität Münster. Der Ertrag dieser Überlegungen ist veröffentlicht in dem Beitrag von Hartmut Bartschund Klemens Sieverding, Zur Neuordnung der Diözesangrenzen, in: Diakonia, 4. Jhg. (1973), S. 108-117. 54*

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Gründen jeweils zu einer Diözese zusammengefaßt werden. In diesem Sinne stellt die Kommission fest, daß die Verdichtungsräume Harnburg und Nürnberg zu je zwei Diözesen gehörten, nämlich Harnburg zu Osnabrück und Hildesheim und Nürnberg zu Eichstätt und Bamberg. Für den Raum Bremen seien sogar drei Diözesen zuständig, nämlich Hildesheim, Osnabrück und Münster, ebenso für den Raum Ingolstadt die Diözesen Augsburg, Eichstätt und Regensburg. Das Ballungsgebiet Frankfurt am Main gehöre zu den Diözesen Limburg, Mainz und Fulda. In Städten, die zu einem Verdichtungsraum zusammengewachsen seien, wie Mainz-Wiesbaden, Mannheim-Ludwigshafen, Ulm/NeuUlm, werde die Problematik derzeitiger Bistumsgrenzen überdeutlich19. Wichtige Großstädte in der Bundesrepublik Deutschland hätten noch keine angemessene kirchliche Vertretung. Und viele Bischofssitze befänden sich nicht an dem Ort mit der höchsten zentralörtlichen Qualität im Bistum und seien geographisch und verkehrsmäßig ungünstig gelegen. Hier verweist das Arbeitspapier insbesondere auf die Bischofsstädte Eichstätt, Limburg und Rottenburg. Dagegen sitze, um nur die wichtigsten Beispiele anzuführen, in Großstädten wie Harnburg, Frankfurt, Stuttgart, Dortmund, Hannover und Nürnberg kein Bischof. Die Zugehörigkeit einer Reihe von Diözesen zu verschiedenen Bundesländern erschwere die Zusammenarbeit staatlicher und kirchlicher Verwaltungsstellen. Schließlich unterschieden sich, wie das Arbeitspapier anhand einer beigefügten Tabelle illustriert, die Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland auch hinsichtlich ihrer Flächengröße, Katholikenzahl, Priesterzahl und ihres Kirchensteueraufkommens wesentlich.

b) Notwendigkeit und Kriterien einer Neuumschreibung der Diözesangrenzen Bei der Entwicklung von Kriterien für eine Neuumschreibung der Bistumsgrenzen tat sich die Sachkommission IX offensichtlich schwer. In Hinblick auf die theologischen Grundlagen einer Neuzirkumskription der deutschen Bistümer stellt die Sachkommission in Übernahme einiger allgemeiner Aussagen des Dekrets über die Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils lediglich fest, daß sich die Größe des Bistums nach pastoralen Erfordernissen bestimmen müsse. Wo dies nicht der Fall sei, müßten bis zu einer Neuordnung der Bistumsgrenzen geeignete Übergangslösungen gefunden werden. Doch ist damit noch nichts Inhaltliches ausgesagt. 19 Arbeitspapier "Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen" (Anm. 18), S. 4.

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Deutlich artikuliert die Kommission dagegen die sozioökonomischen Gesichtspunkte, die eine Änderung der bestehenden Diözesangrenzen nahelegen. Sie nennt dabei an erster Stelle die Notwendigkeit eines zusammenhängenden Diözesangebietes, ferner den freilich inhaltlich schwer zu bestimmenden Grundsatz der "Überschaubarkeit der Diözese" nach der Zahl der Bewohner und der Koordinationsmöglichkeit der Seelsorgetätigkeiten. Eine Tendenz zur Aufteilung und Verkleinerung der größeren deutschen Diözesen ist unverkennbar, wenn die Kommission erklärt, daß die Größe des Bistums nach Gebietsumfang, Bevölkerung und Katholikenzahl eine "obere Begrenzung" habe. Der Bischof müsse in der Lage sein, seine Entscheidungen "sachgerecht und in engem Kontakt mit den Gläubigen seines Bistums und seinen Mitarbeitern zu treffen". Nur so könne er den Dienst für die Einheit seines Bistums wirksam leisten. Die Untergrenze der Größe eines Bistums werde dadurch bestimmt, daß die spezialisierten pastoralen Dienste durch qualifizierte Kräfte und rationelle Ausnutzung der notwendigen Einrichtungen angeboten werden können. Schließlich müsse jedes Bistum hinsichtlich seiner Finanzkraft über ausreichende finanzielle Mittel für den pastoralen Dienst verfügen. Daß den Erwägungen der Sachkommission eine egalisierende Tendenz zugrunde liegt, beweist die Feststellung, daß auch die unterschiedliche finanzielle Situation der Bistümer die Neuordnung der Bistumsorganisation erfordere. Erst an letzter Stelle nennt das Arbeitspapier auch die Notwendigkeit der Berücksichtigung geschichtlich gewachsener Bindungen. Die kulturellen, historischen, politischen, psychologischen und gesellschaftlichen Bindungen sollten in ihren Auswirkungen auf die Menschen bei einer Neuordnung nicht außer Acht gelassen werden 20 •

c) Schritte zur Verwirklichung der Neuumschreibung der Bistümer Die Kommission gelangte einerseits zu dem Ergebnis, daß die derzeitigen Bistumsgrenzen den von ihr entwickelten Kriterien häufig nicht mehr gerecht würden und deshalb dringend reformbedürftig seien. Wegen der bisher noch nicht erfolgten "staatlichen und kommunalen Neugliederung" sah sie sich, wie bereits angemerkt, jedoch andererseits auch nicht in der Lage, einen vollständigen Plan zur Neuordnung der Bistumsgrenzen vorzulegen. Dabei bleibt freilich offen, was die Kommission unter "staatlicher" Neugliederung verstanden hat. Vermutlich bezog sie sich auf die zu Beginn der Siebziger Jahre vieldisku20 Arbeitspapier "Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen" (Anm. 18), S. 8f.

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tierte Frage einer Neugliederung des Bundesgebietes. Jedoch ist heute davon keine Rede mehr. Niemand denkt gegenwärtig noch ernsthaft daran, die Grenzen der Bundesländer zu verändern. Als vorläufige Maßnahmen empfiehlt die Konferenz, in Städten und Landkreisen, die durch Bistumsgrenzen durchschnitten werden, interdiözesane grenzüberschreitende Pastoralräume zu schaffen. Ferner sollten bis zur Neuordnung der Bistumsgrenzen pastoral praktikable Übergangslösungen verwirklicht werden, etwa kleinere Korrekturen der Bistumsgrenzen im Nahbereich. Auch die Metropolitanverfassung und die Gliederung der Kirchenprovinzen sollte in die Reformdiskussion miteinbezogen werden. Abschließend spricht die Sachkommission IX der Gemeinsamen Synode gegenüber der Deutsche Bischofskonferenz die Empfehlung aus, zum Zwecke der Neuumschreibung der Bistumsgrenzen entsprechend dem Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils "Christus Dominus" eine Kommission einzusetzen, die aus je einem Vertreter der Diözesen und aus Fachleuten der kirchlichen und staatlichen Verwaltung besteht. Diese Kommission sollte in Absprache mit der Evangelischen Kirche in Deutschland tätig werden und über die Ergebnisse rechtzeitig auch die anderen nichtkatholischen Kirchen informieren. Der Kommission erschien es zum damaligen Zeitpunkt noch nicht möglich, Detailvorschläge auszuarbeiten, weil die notwendigen Vorarbeiten nicht geleistet seien und es auch an einer "entsprechenden Bewußtseinsbildung in den Diözesen" fehle. Die Sachkommission empfiehlt ferner die Erarbeitung eines Modells einer Neuumschreibung, das wegen der Kulturhoheit der Länder die Landesgrenzen und die innerhalb eines Landes gezogenen Verwaltungsgrenzen berücksichtigt. Ferner empfiehlt die Sachkommission die Vorlage von je einem Modell, das von der "Deckungsgleichheit eines Bistums mit den Verflechtungsbereichen mehrerer Oberzentren" ausgeht bzw. von der "Deckungsgleichheit eines Bistums mit dem Verflechtungshereich eines Oberzentrums". Bei allen Modellen sei auf die Lage und den Zentralitätsgrad des Bischofssitzes zu achten. Dies bedeute konkret, daß auf jeden Fall Oberzentren in großen Verdichtungsräumen als Bischofssitze in Erwägung gezogen werden müßten. Dies gelte z. B. für Stuttgart, Harnburg und Frankfurt21 . 21 Arbeitspapier "Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistumsgrenzen" (Anm. 18), S. 10 f. Die Kommission verweist hier ausdrücklich darauf, daß ein solches Modell nach dem zweiten Vorschlag versucht worden sei in der Veröffentlichung von Hartmut Bartsch und Klemens Sieverding, Zur Neuordnung der Bistümer in Nordrhein-Westfalen, in: Diakonia, 4. Jhg. (1973), S. 193-

201.

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3. Die heutige Beurteilung der Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland

Die zahlreichen Anregungen der Sachkommission IX der Gemeinsame Synode zu einer Neuordnung der Bistumsgrenzen und zur Bildung einer mit dieser Aufgabe zu betrauenden interdiözesanen Fachkommission sind von der Deutschen Bischofskonferenz nicht aufgegriffen und weiterverfolgt worden. Ganz offensichtlich haben die von den Grundsätzen staatlicher Raumplanung her denkenden und eher nach säkularen Maßstäben technokratisch argumentierenden Reformer die Bedeutung der in Jahrhunderten gewachsenen Bindungen der Gläubigen an ihre Diözese nicht genügend in Rechnung gestellt. Wie die Verfasser des Arbeitspapiers selbst mit einem Unterton des Bedauerns bemerkt haben, fehlte auch nach ihrer Einschätzung im Hinblick auf eine grundlegende Neuumschreibung der Diözesangrenzen schon zur Zeit der Würzburger Synode "eine entsprechende Bewußtseinsbildung in den Diözesen". Auch heute ist ein brennendes Verlangen nach einer Änderung der Diözesangrenzen in der Bundesrepublik Deutschland weder bei den Bistumsleitungen noch bei den Gläubigen festzustellen. Die Katholiken des Erzbistums Freiburg z. B. leiden keineswegs darunter, daß ihre Erzdiözese bis zum heutigen Tag auf den Quadratmeter genau mit dem Territorium des früheren Großherzogtums Baden deckungsgleich ist und sich, noch dazu mit einigen Exklaven, vom Bodensee und von den Toren Basels den Rhein entlang bis in die Nähe von Würzburg erstreckt. Auch in den Diözesen RottenburgStuttgart, Osnabrück und Limburg besteht ganz offensichtlich weder in den bischöflichen Ordinariaten noch bei den Gläubigen ein ausgeprägtes Verlangen, den Bischofssitz und die Bistumsverwaltung von Rottenburg nach Stuttgart, von Osnabrück nach Harnburg und von Limburg in die Finanzmetropole Frankfurt am Main zu verlegen. Zwar würde mit Sicherheit der heilige Bonifatius, wenn er im Jahre 1990 die Diözesanorganisation in Deutschland neu zu errichten hätte, die Bischofssitze nicht mehr in allen Fällen in dieselben Städte verlegen wie vor eintausendzweihundertfünfzig Jahren. Aber es ist etwas anderes, historisch gewachsene und von den Gläubigen uneingeschränkt akzeptierte Bindungen ohne dringende und allgemein empfundene Notwendigkeit zu durchschneiden, als neue Diözesen zu gründen. Die Vorschläge der Verfasser des Arbeitspapiers der Würzburger Synode zielten auf eine erhebliche Verkleinerung der von ihnen in del' Regel als zu groß empfundenen deutschen Diözesen im Sinne einer wie auch immer im einzelnen verstandenen pastoralromantischen Vorstellung einer angeblichen "Überschaubarkeit" der Bistümer. So sollten nach dem Vorschlag der beiden Autoren Hartmut Bartsch und Klemens Sieverding, auf den sich die Verfasser des Arbeitspapiers aus-

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drücklieh zustimmend beziehen, in Nordrhein-Westfalen auf der Basis einer Neugliederung der Diözesen nach staatlichen Verwaltungsgrenzen die bisherigen fünf (Erz-)Diözesen Köln, Aachen, Essen, Münster und Paderborn in fünfzehn neue Diözesen aufgeteilt werden, nämlich in die (Erz-)Diözesen Münster, Bielefeld, Paderborn, Siegen, Hagen, Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg, Mönchengladbach-Krefeld, Aachen, Bonn, Köln, Wuppertal, Düsseldorf22 • Es muß jedoch sehr bezweifelt werden, ob bei Verwirklichung dieses Vorschlags pastoral, spirituell und theologisch lebensfähige Diözesen entstehen würden. Im Gegensatz zu diesen Vorstellungen hat Karl Rahner überzeugend ausgeführt, daß die da und dort sich in Mitteleuropa zeigende Tendenz zu einer möglichsten Verkleinerung der Bistümer unter theologischer Rücksicht wirklichkeitsfremd und anachronistisch ist. Ein Bistum, das kein eigenes Priesterseminar tragen könne und in dem nicht als solchem das ganze Leben der Kirche einigermaßen in Theologie, Liturgie, Ordensleben, Kunst usw. zur Erscheinung kommen könne, sei eigentlich kein Bistum. Wo innerhalb eines Bistums nur ein deutlich begrenztes Teilstück des Lebens der Kirche gelebt werden könne, sei eigentlich seinem echten Sinn nach auch kein Bistum gegeben 23 • Die pastorale Entwicklung verlangt für die Gegenwart eher größere und leistungsfähige Diözesen, in denen auf liturgischem, seelsorglich-katechetischem und sozial-karitativem Gebiet den Seelsorgern und den Gläubigen alle die spezialisierten Dienste angeboten werden können, die in der Bundesrepublik Deutschland in der gegenwärtigen Zeit von der Kirche allgemein erwartet werden und daher erbracht werden müssen. Diese zum Teil hochspezialisierten Dienste können von größeren Diözesen besser erbracht werden als von kleineren. Im übrigen scheint es auch fraglich, ob sich der Sitz des Bischofs notwendig in der jeweils größten Stadt des betreffenden Bistums befinden muß. Ebensowenig wie die Bundeshauptstadt Bonn die größte Stadt des Bundesgebietes ist, muß im Gegensatz zu der Auffassung der Verfasser des Arbeitspapiers die Leitung der Bistümer RottenburgStuttgart, Osnabrück und Limburg in den Metropolen Stuttgart, Harnburg und Frankfurt am Main liegen.

22 Bartsch/Sieverding, Zur Neugliederung der Bistümer in Nordrhein-Westfalen (Anm. 21), S. 199 (mit Kartenskizze). 23 Karl Rahner, in: Karl Rahnerund Joseph Ratzinger, Episkopat und Primat (=Quaestiones Disputate, Bd. 11), Freiburg/Basel/Wien 1961, S. 114f.

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m. Die Diözesen und kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik 1. Vorläufiger Charakter der Diözesanzirkumskription in der Deutschen Demokratischen Republik

Wegen der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten vorgenommenen Teilung Deutschlands in die Bundesrepublik und in die Deutsche Demokratische Republik bilden die Grenzen der Diözesen und der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke auf dem Territorium des bisherigen Staatswesens der Deutschen Demokratischen Republik ein besonderes Problem, das erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands befriedigend gelöst werden kann. Die Grenzziehung der Diözesen und der übrigen kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik hat daher bis zur Gegenwart nur einen vorläufigen Charakter. Nach dem Stand vom 1. März 1990 umfaßt die katholische Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik sieben Jurisdiktionsbezirke, nämlich die beiden Bistümer Berlin (Ostteil 157 000 Katholiken) und Dresden-Meißen (270 000), die Apostolische Administratur Görlitz (67 000) und die von vier Apostolischen Administratoren im Bischofsrang geleiteten Jurisdiktionsbezirke bzw. "Kirchlichen Ämter" Magdeburg (261 000), Schwerin (85 000), Erfurt und Meiningen (zusammen 250 000), wobei der Apostolische Administrator von Erfurt in Personalunion auch den kleinen Jurisdiktionbezirk Meiningen mitverwaltet. Die sieben Jurisdiktionsbezirke in der Deutschen Demokratischen Republik sind nicht zu einer Kirchenprovinz zusammengeschlossen, sie unterstehen vielmehr unmittelbar dem Heiligen Stuhl. Ihre Ordinarien bilden jedoch die Berliner Bischofskonferenz, deren Statut am 25. 9. 1975 vom Apostolischen Stuhl bestätigt wurde 24 . 24 Einzelheiten bei Joseph Listl, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 323; ferner bei Alexander Hollerbach, Rechtsprobleme der Katholischen Kirche im geteilten Deutschland, in: Gottfried Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland. Symposium 1./3. Oktober 1987 (=Schriften zur Rechtslage Deutschlands. Hrsg. von Gottfried Zieger. Bd. 14), Köln/Berlin/Bonn/München 1989, S. 133 ff.; ders., Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (Anm. 24), S. 1072 ff.; ders., Art. Kirche und Staat, Vll. Kirche und Staat in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. III, Freiburg/Br. 1987, Sp. 499ff.; Hubert Kirchner, Art. Deutsche Demokratische Republik, Vlll. B. Die röm.-kath. Kirche, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Bd. I, Stuttgart 1987, Sp. 553 ff. - Vgl. hierzu die Mitteilung in: Archiv für katholisches Kirchenrecht (ArchKathKR), Bd. 145 (1976), S. 565. Der Bischof von Berlin ist im Hinblick auf den Anteil seiner Diözese in West-Berlin

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Von den Jurisdiktionsbezirken der katholischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik hat nur das Bistum Meißen, das seit 1981 in Dresden-Meißen umbenannt wurde 25 , hinsichtlich seines territorialen Umfangs den Zweiten Weltkrieg und die Gebietsverluste des früheren Deutschen Reiches unverändert überstanden. In allen übrigen Fällen kam es nach dem Abschluß des Deutsch-Polnischen Vertrages vom 7. 12. 1970 26 und nach dem Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik27 zu erheblichen Veränderungen. Im Zuge der Neuordnung der Diözesanverhältnisse in den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße durch die Apostolische Konstitution "Episcoporum Poloniae" vom 28. 6. 1972 28 wurde das Bistum Berlin, das dadurch einen Teil seines früheren Gebietes verlor, aus dem Breslauer Metropolitanverband ausgegliedert und unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt 29 . Aus dem in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Restgebiet des früheren deutschen Erzbistums Breslau wurde die Apostolische Administratur Görlitz gebildet30 . Die auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Teilgebiete der Erzdiözese Paderborn und der Diözesen Oszugleich auch Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz. Die Angaben über die Katholikenzahl der Diözesen und Jurisdiktionsbezirke in der Deutschen Demokratischen Republik sind dem Päpstlichen Jahrbuch 1984 entnommen. 25 Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 15. 11. 1979, in: Acta Apostolicae Sedis 72 (1980), S. 93 f. Der Sitz des Bistums wurde von Bautzen nach Dresden verlegt. Über die geschichtliche Entwicklung der ostdeutschen Diözesen in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart im allgemeinen vgl. den Beitrag von Paul Mai, Das Verhältnis von Staat und Kirche in den deutschen Ostgebieten - Die Katholische Kirche, in: Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland (Anm. 24), S. 41 ff. 26 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der gegenseitigen Beziehungen vom 7. Dezember 1970, BGBL li 1972, S. 361. Der Vertrag ist in Kraft seit dem 3. 6. 1972. 27 Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. 12. 1972, in: BGBl. li 1973, S. 421. Der Vertrag ist in Kraft seit dem 21. 6. 1973. 2B Veröffentlicht in: Acta Apostolicae Sedis 64 (1972), S. 657 f. 29 Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 28. 6. 1972, abgedr. in: ArchKathKR, Bd. 141 (1972), S. 509. Zur Sondersituation des Bistums Berlin im geteilten Deutschland vgl. die Abhandlung von Martin Höllen, Kirchenpolitische Probleme der Einheit des Bistums Berlin, in: Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland (Anm. 24), S. 147 ff. 30 Dekret der Kongregation für die Bischöfe vom 28. 6. 1972, in: Acta Apostolicae Sedis 64 (1972), S. 737 f.; abgedr. auch in: ArchKathKR, Bd. 141 (1972), s. 509f.

Die Bistumsgrenzen in Deutschland

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nabrück, Hildesheim, Fulda und Würzburg wurden unter Aufrechterhaltung der rechtlichen Zugehörigkeit dieser Gebiete zu ihren bisherigen Diözesen, aber unter Suspendierung der jurisdiktioneilen Abhängigkeit von ihnen im Interesse der Gewährleistung einer geordneten seelsorglichen Betreuung der Gläubigen in sog. Kirchliche Ämter umbenannt und Apostolischen Administratoren im Bischofsrang unterstellt. Aus dem in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Gebietsteil des Bistums Osnabrück wurde der Jurisdiktionsbezirk Schwerin, aus dem Gebietsteil des Erzbistums Faderborn der Jurisdiktionsbezirk Magdeburg und aus dem Gebietsteil des Bistums Fulda der Jurisdiktionsbezirk Erfurt geschaffen, und zwar letzterer mit der Maßgabe, daß der Apostolische Administrator von Erfurt auch den zum Bistum Würzburg gehörenden Jurisdiktionsbezirk Meiningen in Personalunion mitverwaltet31 • Von den sechs zum Bistum Hildesheim gehörenden Pfarreien auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik hat der Heilige Stuhl vier dem Bischöflichen Amt Magdeburg und je eine dem Bischöflichen Amt Schwerin und dem Bischöflichen Amt Erfurt zur Mitbetreuung zugeteilt. Der Heilige Stuhl hat sich dem Drängen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf eine Abtrennung der in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Jurisdiktionsbezirke Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen und auf Vomahme einer endgültigen Diözesanzirkumskription vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart stets verschlossen. Die unter dem Pontifikat Papst Pauls VI. im Jahre 1978 bereits abgeschlossenen und kurz vor ihrer Verwirklichung stehenden Planungen zu einer Abtrennung der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke in der Deutschen Demokratischen Republik von ihren Mutter-Diözesen in der Bundesrepublik und zur endgültigen Errichtung der Diözesanorganisation auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik gelangten infolge des am 6. 8. 1978 erfolgten Todes des Montini-Papstes nicht mehr zur Ausführung und wurden mit Beginn des Pontifikats Papst Johannes Pauls II. sofort gestoppt. Erst nach Abschluß der Vereinigung der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik mit der Bundesrepublik Deutschland und nach einer international allgemein anerkannten Stabilisierung der politischen Verhältnisse im Hinblick auf das wiedervereinigte Deutschland wird der Heilige Stuhl, wie dies seiner historisch bewährten Praxis entspricht, darangehen, auf dem Gebiete der heutigen Deutschen Demokratischen Republik anstelle der bisherigen provisori31 Vgl. hierzu das Schreiben des Staatssekretariats vom 14. 7. 1973, in: ArchKathKR, Bd. 142 (1973), S. 471 f.

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sehen Verhältnisse eine endgültige Festlegung der Diözesangrenzen vorzunehmen. Erst die künftige Entwicklung wird erweisen, in welcher Form dies geschehen wird. Es liegt dabei nahe, daß nach der Aufhebung der innerdeutschen Grenze zwischen der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland die bisher der Jurisdiktion der Apostolischen Administratoren unterstellten Jurisdiktionsbezirke bzw. Bischöflichen Ämter Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen wieder unter die Jurisdiktion ihrer Diözesanbischöfe zurückkehren, möglicherweise mit der Maßgabe, daß in Schwerin, Magdeburg und Erfurt in Zukunft ständige Weihbischöfe dieser Diözesen tätig sein werden. Über die Zugehörigkeit der Bischöflichen Ämter Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen zu ihren angestammten Diözesen hat der Bischof von Osnabrück, Ludwig Averkamp, erklärt: "Wir brauchen uns nicht wiederzuvereinigen, wir waren nie getrennt." Zugleich betonte er jedoch, daß bei einer Neufestlegung der Diözesangrenzen nicht alte Rechte der Bistümer ausschlaggebend sein dürften, sondern die pastoralen Bedürfnisse der Gläubigen in der Deutschen Demokratischen Republik 32 . Bei der Errichtung neuer Diözesen auf dem Gebiete der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik und der Vornahme der endgültigen Diözesanzirkumskription wird sich auch die Frage stellen, ob auf dem Territorium der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik das Reichskonkordat und das Preußische Konkordat fortgelten werden. 2. Zur Frage der Fortgeltung des Reichskonkordats und des Preußischen Konkordats auf dem Gebiete der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik

Die oft gestellte Frage nach der Geltung des Reichskonkordats und auch des Preußischen Konkordats in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik ist ungeklärt. Während sich die Bundesrepublik Deutschland stets als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches betrachtet hat und für dessen Verbindlichkeiten eingestanden ist, hat sich die Deutschen Demokratischen Republik zwar auch von Anfang an auf ihrem Gebiet als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches betrachtet, ohne jedoch für ihren Teil und gemäß ihrem Anteil generell Außenverpflichtungen des Deutschen Reiches anzuerkennen und zu 32 Vgl. Osnabrücker Zeitung vom 1. 2. 1990: Bischof Averkamp: Neuordnung deutscher Bistümer möglich. "Bedürfnisse der Gläubigen in der DDR ausschlaggebend".

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übernehmen. Bereits im Jahre 1968 hat Hollerbach festgestellt, daß das in der Deutschen Demokratischen Republik in Gestalt des Preußischen Konkordats und des Reichskonkordats übernommene Konkordatsregime weder förmliche Anerkennung noch förmliche Ablehnung gefunden habe. In seiner Unterstellung unter das System sozialistischer Staatskirchenhoheit sei es aber auch nicht fortgebildet worden 33 . Nicht der völkerrechtlichen Lage entspricht die Auffassung Mörsdorfs, daß in der Deutschen Demokratischen Republik das Preußische Konkordat und das Reichskonkordat "als nicht existent betrachtet" würden und daß Akte, die kirchliche Stellen in Erfüllung der Konkordate setzten, staatlicherseits zwar entgegengenommen würden, aber ohne Anerkennung der Rechtsgrundlage, auf die sich die Kirche stütze 34 • Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann weder ausgesagt werden, daß das Reichskonkordat und das Preußische Konkordat in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik gelten, noch kann festgestellt werden, daß diese Konkordate dort nicht gelten. Über die Geltung des Reichskonkordats und auch des Preußischen Konkordats auf dem Gebiete der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik kann vielmehr nur ausgesagt werden, daß sich die Geltung dieser Konkordate dort gegenwärtig in einem Schwebezustand befindet und daß das Reichskonkordat und ebenso auch das Preußische Konkordat in der Deutschen Demokratischen Republik gegenwärtig keine Anwendung finden 35 • 33 Vgl. Alexander Hollerbach, Dieneuere Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F., Bd. 17 (1968), S. 144 f. 34 Vgl. Klaus Mörsdorf, Art. Konkordat, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. VI, Freiburg/Br. 1961, Sp. 458. Zum Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Stand von 1987 vgl. die umfassende Darstellung von Georg Brunner, Das Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. I, Heidelberg 1987, S. 385447. 35 Unzutreffend ist die Auffassung von Hollerbach, in: ders., Rechtsprobleme der Katholischen Kirche (Anm. 24), S. 130, daß davon auszugehen sei, daß das Reichskonkordat, obwohl von der DDR nicht anerkannt, jedenfalls als kirchliches Partikularrecht fortgelte, was insbesondere für Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats Bedeutung habe. Danach besitze das Domkapitel von Dresden-Meißen in entsprechender Anwendung der Regeln des Badischen Konkordats das Recht, den Bischof zu wählen. Nachdem die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik das Reichskonkordat nicht angewandt hat, sah auch der Heilige Stuhl keine Notwendigkeit, bei der Besetzung des Bischofsstuhls von Dresden-Meißen die Bestimmungen des Preußischen Konkordats und des Reichskonkordats zu beobachten. Der gegenwärtige Diözesanbischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, ist deshalb nicht gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats gewählt, sondern vom Papst frei ernannt worden

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Die Regierung der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik hätte es jedoch jederzeit in der Hand, das Reichskonkordat und ebenso auch das Preußische Konkordat von 1929 und ebenso auch den mit den evangelischen Landeskirchen abgeschlossenen Preußischen Kirchenvertrag von 1931 wieder für anwendbar zu erklären. In diesem Sinne hat die Deutschen Demokratischen Republik in einer Bekanntmachung vom 16. 4. 1959 über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Abkommen bekannt gemacht, daß sie im Zeitraum von 1952 bis 1959 insgesamt 39 internationale Übereinkommen wieder anwendet36. Auch im Falle einer Vereinigung der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik mit der Bundesrepublik Deutschland könnte ohne weiteres nach dem sogenannten Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen, nach dem sich der Anwendungsbereich eines internationalen Vertrages ausrichtet nach dem jeweiligen territorialen Hoheitsbereich der Vertragspartner, die Geltung des Reichskonkordats auf das Territorium der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik erstreckt werden 37 . Im Hinblick auf die Bedeutung des Reichskonkordats für die östlich von Oder und Lausitzer Neiße gelegenen Gebiete Deutschlands in seinen Grenzen vom 31. 12. 1937 ist nach den Grundsätzen des Völkerrechts davon auszugehen, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen sind. Die endgültige Regelung dieser Fragen muß einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben38 . 36 Vgl. die Bekanntmachung über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Abkommen vom 16. 4. 1959, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I vom 16. 5. 1959, S. 505 f. Danach hat die DDR als ersten internationalen Vertrag mit Wirkung vom 18. 11. 1952 den Internationalen Vertrag zum Schutz der unterseeischen Telegraphenkabel vom 14. 3. 1884 (RGBl. 1888 S. 151) wieder anerkannt. Allein im Jahre 1958 hat die DDR 32 internationale Abkommen wieder anerkannt. In der Bekanntmachung vom 16. 4. 1959 über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Abkommen wird als chronologisch letzter Vertrag unter Nr. 39 die Internationale Übereinkunft zur Bekämpfung der Verbreitung und des Vertriebs unzüchtiger Veröffentlichungen vom 12. 9. 1923 (RGBl. II 1925 S. 287) aufgeführt. 37 Über den sog. Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen vgl. die Ausführungen von Wilhelm Kewenig, Hat der Vatikan gegen Regeln des Völkerrechts verstoßen?, in: Die Welt, Nr. 167, Ausgabe vom Freitag, 21. 7. 1972, S. 8. 38 Vgl. hierzu im einzelnen Dieter Blumenwitz, Zur Bedeutung des Reichskonkordats für die Neuregelung der Diözesen in den Oder-Neiße-Gebieten durch den Heiligen Stuhl, in: Recht und Rechtsbesinnung. Gedächtnisschrift für Günther Küchenhoff (1907-1983), Berlin 1987, S. 185-193; ferner die Ausführungen von Rudolf Jestaedt, Fortwirkende Probleme des Reichskonkordats, in: Zieger (Hrsg.), Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland (Anm. 24), S. 73 ff.

Die N eufestlegung der Diözesanzirkumskription im wiedervereinten Deutschland I. Die Kirche nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems in der früheren Deutschen Demokratischen Republik Die politischen Verhältnisse und die staatsrechtliche Situation in Deutschland haben sich in den Jahren 1989 und 1990 in einer dramatischen Weise verändert, die noch kurze Zeit vorher niemand voraussehen konnte. Nach dem plötzlichen Zusammenbruch des von der Sowjetunion nicht mehr hinreichend gestützten und in mehrfacher Hinsicht konkursreifen Herrschaftssystems der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erfolgte am 3. Oktober 1990 durch den Zusammenschluß von West- und Ostberlin und durch den Beitritt der neuen Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zur Bundesrepublik Deutschland die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands. Dieses politische Ereignis stellte und stellt auch die Kirchen in den alten und in den neuen Bundesländern vor neue und schwierige Aufgaben. Im Bereich der evangelischen Kirche sind die früher im Bund der evangelischen Kirchen der Deutschen Demokratischen Republik zusammengeschlossenen evangelischen Landeskirchen zwischenzeitlich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beigetreten. Im Bereich der katholischen Kirche wurde die frühere Berliner Bischofskonferenz mit Wirkung vom 24. November 1990 durch Papst Johannes Paul II. aufgelöst. Diese Berliner Bischofskonferenz war von Papst Paul VI. am 10. April 1976 als auctoritas territorialis, d. h. als selbständige Bischofskonferenz, gemäß den Bestimmungen des Dekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils "Christus Dominus" über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche (Art. 38, 1) anerkannt worden. Sie bildete die Fortsetzung der früErstveröffentlichung in: Louis Carlen (Hrsg.), Neue Bisturnsgrenzen -neue Bistümer. Nouvelles circonscriptions de dioceses - nouveaux eveches (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 37), Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag 1992; Fribourg/Suisse: Editions Universitaires 1992, S. 13-35.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Universitätsverlags Freiburg I Schweiz.

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heren Berliner Ordinarienkonferenz, die bis dahin rechtlich den Status einer Regionalkonferenz innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz besaß 1 . Seit dem 24. November 1990 gehören die Mitglieder der früheren Berliner Bischofskonferenz als Vollmitglieder der Deutschen Bischofskonferenz an 2 • Eine Aufgabe, der sich die Deutsche Bischofskonferenz in allernächster Zeit gegenübersieht, bildet die endgültige Festlegung der Diözesangrenzen in den neuen Bundesländern und derjenigen Diözesen in den alten Bundesländern, von denen sich Teile auf das Gebiet der früheren Deutschen Demokratischen Republik erstrecken. Die vom Heiligen Stuhl aus wohlerwogenen Gründen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 immer wieder aufgeschobene Neugliederung der kirchlichen Verwaltungsbezirke in der bisherigen Deutschen Demokratischen Republik bildete bereits vor der Wiedervereinigung Deutschlands und erst recht seit diesem Ereignis ein seit langer Zeit viel diskutiertes und ungelöstes pastorales, rechtliches und kirchenpolitisches Problem. Einen zweiten Grund dafür, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Frage einerneuen Diözesanzirkumskription während der vergangeneu 25 Jahre zeitweilig intensiv erörtert wurde, bildete die Bestimmung des Abschnitts Nr. 22 des Dekrets über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus". Sie hat Veränderungen in der Bistumsstruktur überall dort empfohlen, wo dies aus pastoralen Gründen erforderlich ist. Die größtenteils nach dem Wiener Kongreß bei der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse festgelegten heutigen Diözesangrenzen entsprechen in vieler Hinsicht nicht mehr den heutigen seelsorglichen und sozioökonomischen Verhältnissen. Vor allem decken sie sich häufig nicht mehr mit den Grenzen der jeweiligen Bundesländer und der staatlichen Verwaltungsbezirke.

1 Vgl. hierzu Joseph Listl, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 323; Alexander Hollerbach, Rechtsprobleme der Katholischen Kirche im geteilten Deutschland, in: Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland. Symposium 1./3. Oktober 1987 (=Schriften zur Rechtslage Deutschlands. Hrsg. von Gottfried Zieger, Bd. 14), Köln/Berlin/ Bonn/München 1989, S. 133. Die einzelnen Phasen des Prozesses der kirchlichen Wiedervereinigung in Deutschland sind in vorzüglicher Weise dokumentiert bei Heribert Schmitz, Die Einheit der Katholischen Kirche in Deutschland. Chronik kirchenrechtlich relevanter Daten, Fakten und Tendenzen, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 159 (1990), S. 623 ff. 2 Amtsblatt des Bistums Berlin 1991, S. 31; vgl. zum Ganzen bei Schmitz, Die Einheit der Katholischen Kirche (Anm. 1), S. 632 m.w.N.

Die N eufestlegung der Diözesanzirkumskription

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II. Die Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Wiener Kongreß vom Jahre 1815 Die gegenwärtige Diözesanorganisation und Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland kann, ebenso wie auch in der Schweiz, nur auf dem Hintergrund einer langen Entstehungsgeschichte verstanden werden 3 . Die Bistümer Trier, Köln und Mainz sind bereits in der Römerzeit im 4. Jahrhundert entstanden. Der heilige Bonifatius errichtete 739 im Auftrag des Papstes und im Zusammenwirken mit dem bayerischen Herzog die bayerische Kirchenprovinz mit Salzburg als Metropolitansitz und den Bistümern Freising, Passau und Regensburg als Suffraganbistümern. Karl der Große errichtete nach der Niederwerfung der Sachsen die Bistümer Paderborn, Münster, Osnabrück und Minden. 815 wurde durch Ludwig den Frommen das Bistum Hildesheim für das westliche Ostfalen gegründet. Im Jahre 1007 stiftete König Heinrich II. das Bistum Bamberg. Das jüngste deutsche Bistum ist das Ruhrbistum Essen. Es wurde im Jahre 1957 von Papst Pius XII. errichtet. Der Atem der Geschichte ist auf wenigen Gebieten so deutlich spürbar wie beim Studium und bei der Darstellung derbestehenden Diözesanorganisation und Diözesanzirkumskription. Nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und dem damit verbundenen Zusammenbruch der von Kaiser Otto I., dem Großen (936-973), geschaffenen deutschen Reichskirche bedurfte auch die Diözesanorganisation der katholischen Kirche in den Staaten des Deutschen Bundes einer grundlegenden Neuordnung. In ihren wesentlichen Grundlagen beruht die Festlegung der Bistumsgrenzen in Deutschland auch heute noch weitgehend auf den nach dem Wiener Kongreß getroffenen Vereinbarungen. Diese Neuordnung erfolgte im Falle des Königreichs Bayern durch ein Konkordat und bei den übrigen deutschen Staaten durch sogenannte päpstliche Zirkumskriptionsbullen, deren Inhalt in allen Fällen vorher in eingehenden, langwierigen und zum Teil recht schwierigen Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem jeweiligen Staat des Deutschen Bundes vereinbart wurde. Diese Zirkumskriptionsbullen wurden in den Gesetzblättern der jeweiligen Staaten in ihrem lateinischen und deutschen Wortlaut veröffentlicht und erhielten durch die landesherrliche Sanktion auch innerstaatlich den verpflichtenden Charakter eines staatli3 Die gegenwärtige Diözesanverfassung der katholischen Kirche in Deutschland ist nach dem Stand von 1973 dargestellt bei KarlEugen Schlief, Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 299-325.

55 Sbd. List!

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chen Gesetzes. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde für das Land Sachsen das Bistum Meißen, heute Dresden-Meißen, errichtet. 1929 wurde im Preußischen Konkordat die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse für Preußen mit der Errichtung der Diözesen Aachen und Berlin vereinbart. Fast 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kann nach dem Beitritt der Länder der früheren Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland nunmehr auch die Neufestlegung der Diözesangrenzen in den neuen Bundesländern erfolgen. Die einzelnen Etappen der Neugliederung der katholischen Kirche in Deutschland nach dem Wiener Kongreß: 1. Bayerisches Konkordat vom 5. Juni 1817

Eine Schrittmacherrolle kommt hierbei dem Königreich Bayern zu. Nach längeren Verhandlungen kam eine Übereinkunft zwischen seiner Heiligkeit Papst Pius VII. und seiner Majestät Maximilian I. Joseph, dem König von Bayern, zustande 4 • Durch dieses Konkordat wurden in Bayern die zwei heute noch unverändert bestehenden Kirchenprovinzen errichtet, nämlich die Kirchenprovinz München und Freising mit dem Erzbistum München und Freising sowie mit den Suffraganbistümern Augsburg, Regensburg und Passau sowie die Kirchenprovinz Bamberg mit dem Erzbistum Bamberg und den Suffraganbistümern Eichstätt, Speyer und Würzburg. Von großer Bedeutung für die gesamte spätere Diözesanorganisation war der vom Königreich Bayern praktizierte Grundsatz, daß die Diözesangrenzen sowohl gegenüber dem außerdeutschen Ausland als auch gegenüber den anderen Staaten des Deutschen Bundes in aller Regel mit den Staatsgrenzen zusammenfallen sollten5 • 4 Deutscher Wortlaut des Bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817 bei Ernst Rudolf Huber I Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, S. 170 ff. Diegenaue Umschreibung der Grenzen der bayerischen Diözesen und ihrer inneren Gliederung erfolgte durch die aufgrund des Konkordats vom 5. 60. 1817für das Königreich Bayern erlassene Organisationsund Zirkumskriptionsbulle "Dei ac Domini Nostri Jesu Christi" vom 1. April 1818, amtlich verkündet und damit wirksam am 8. September 1821 (vgl. bei Huber I Huber, ebd., S. 196). Lateinischer Originalwortlaut bei Philipp Schneider (Hrsg.), Die partikulären Kirchenrechtsquellen in Deutschland und Oesterreich. Gesammelt und mit erläuternden Bemerkungen versehen, Regensburg 1898, s. 10-41. 5 Über den Grundsatz der Wahrung der Identität von Staatsgrenzen und landeskirchlichen Grenzen von der Reformation bis zum 19. Jahrhundert im Bereich der evangelischen Kirche vgl. die instruktive Abhandlung von Konrad

Die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription

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2. Die Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16. Juli 1821 für Preußen

Von großer Wichtigkeit war es für den Heiligen Stuhl, mit dem größten deutschen Bundesstaat, nämlich mit dem Königreich Preußen, eine Neuordnung und Stabilisierung der Verhältnisse der katholischen Kirche zu erreichen. Dies geschah durch die berühmte Zirkumskriptionsbulle "De salute animarum" vom 16. Juli 1821 6 . Nach langjährigen Verhandlungen wurden durch diese Bulle nach dem Modell der Regelungen im bayerischen Konkordat auch im Königreich Preußen zwei Kirchenprovinzen errichtet, nämlich die Kirchenprovinz Köln mit dem Erzbistum Köln und den Suffraganbistümern Trier, Münster und Paderborn im Westen und die Kirchenprovinz Gnesen-Posen mit dem vereinigten Erzbistum Gnesen-Posen und dem Suffraganbistum Kulm im Osten. Die beiden Diözesen Breslau und Ermland blieben exemt, d. h. nach wie vor unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt. 3. Die Errichtung der Oberrheinischen Kirchenprovinz durch die Bulle "Provida solersque" vom 16. August 1821

Als besonders schwierig erwies sich die kirchliche Neuordnung im deutschen Südwesten und im hessischen Bereich. Die Vertragspartner auf staatlicher Seite waren das Königreich Württemberg, das Großherzogtum Baden, das Großherzogtum Hessen, das Kurfürstentum Hessen, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt am Main. Zu der damals geschaffenen Oberrheinischen Kirchenprovinz gehörten das neugegründete Erzbistum Freiburg in der Nachfolge des aufgelösten Bistums Konstanz und die Suffraganbistümer Mainz, Fulda, Hottenburg und Limburg. Die Festlegung der Diözesangrenzen durch die Zirkumskriptionsbulle "Provida solersque" vom 16. August 1821 7 erMüller, Staatsgrenzen und evangelische Kirchengrenzen. Gesamtdeutsche

Staatseinheit und evangelische Kircheneinheit nach deutschem Recht. Hrsg. und mit einer Einleitung versehen von Axel Frhr. von Campenhausen (=Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht, Bd. 35), Tübingen 1988. 6 Deutscher Wortlaut bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. 1 (Anm. 4), S. 204ff. Die Bulle "De salute animarum" hat auch das Gebiet des früheren Herzogtums Oldenburg dem Bistum Münster eingegliedert.' Durch die Konvention von Oliva vom 5. 1. 1830 wurde für Oldenburg in Vechta ein eigener bischöflicher Offizialatsbezirk geschaffen, der bis zum heutigen Tag dem Bischof von Münster unmittelbar unterstellt ist und dem innerhalb des Bistums Münster ein Sonderstatus zukommt. 7 Deutscher Wortlaut der Zirkumskriptionsbulle "Provida solersque" bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. 1 (Anm. 4), S. 246 ff. 55°

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folgte auch hier nach dem Leitgrundsatz, daß nach Möglichkeit die Diözesangrenzen mit den Landesgrenzen zusammenfallen mußten. Das Erzbistum Freiburg im Breisgau umfaßte deshalb das ganze Gebiet des Großherzogtums Baden einschließlich des zu Preußen gehörenden Regierungsbezirks Hohenzollern. Bis zum heutigen Tag umfaßt deshalb das an die Schweiz angrenzende Erzbistum Freiburg im Breisgau jeden Quadratmeter des Territoriums des früheren Großherzogtums Baden. Dieses Erzbistum erstreckt sich, noch dazu mit einigen Exklaven, vom Bodensee und von den Toren der Stadt Basel den Rhein entlang bis in die Nähe von Würzburg. Das Bistum Rottenburg-Stuttgart ist bis zum heutigen Tag mit dem Territorium des früheren Königreichs Württemberg deckungsgleich. 4. Königreich Hannover: Zirkumskriptionsbulle "lmpensa Kornanorum Pontificum" vom 26. März 1824

Durch die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Hannover vereinbarte Zirkumskriptionsbulle "Impensa Romanorum Pontificum" vom 26. März 1824 8 wurden die beiden Bistümer Hildesheim und Osnabrück exemt, d. h. unmittelbar Rom unterstellt. Ihr Gebiet wurde, wiederum in Übereinstimmung mit den Landesgrenzen, neu umschrieben. Das Territorium des ehemaligen Herzogtums Braunschweig wurde erst 1834 dem Bistum Hildesheim zugewiesen. Damit war nach den Erschütterungen des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, den Napoleonischen Kriegen und dem Wiener Kongreß die Neuorganisation der Diözesanzirkumskription in Deutschland im wesentlichen abgeschlossen. Änderungen im Hinblick auf die Abgrenzung der Diözesen erfolgten erst wieder nach dem Ersten Weltkrieg. 5. Errichtung des Bistums Meißen durch die Apostolische Konstitution "Sollicitudo omnium Ecclesiarum" vom 24. Juni 1921

Durch die Apostolische Konstitution "Sollicitudo omnium Ecclesiarum" vom 24. Juni 1921 9 wurde das im Jahre 968 auf Vorschlag Kaiser Ottos I. von Papst Johannes XIII. gegründete und nach der Glaubensspaltung im Jahre 1581 aufgehobene Bistum Meißen als exemtes Bisa Deutscher Wortlaut der Zirkumskriptionsbulle "Impensa Romanorum Pontificum" bei Huber I Huber, Staat und Kirche, Bd. 1 (Anm. 4), S. 299 ff. 9 Wortlaut der Apostolischen Konstitution "Sollicitudo omnium Ecclesiarum", in: Acta Apostolicae Sedis, Bd. 13 (1921), S. 409 ff.

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turn für das Land Sachsen wiedererrichtet Es trat damit an die Stelle des bisherigen Apostolischen Vikariats Sachsen und der Apostolischen Präfektur der Lausitz. Sitz des Bischofs wurde die Stadt Bautzen. Am 15. November 1979 wurde von Papst Johannes Paul I!. das Bistum Meißen unter Verlegung des Bischofssitzes von Bautzen nach Dresden in Dresden-Meißen umbenannt. 6. Bayerisches Konkordat vom 29. März 1924

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang der Monarchie in Deutschland war wiederum Bayern der erste deutsche Staat, der am 29. März 1924 10 mit dem Heiligen Stuhl ein Konkordat schloß und damit eine neue Ära der Konkordatspolitik im Deutschen Reich einleitete. Die durch das erste Bayerische Konkordat vom 5. Juni 1817 geschaffene Diözesanorganisation mit den beiden Kirchenprovinzen München und Freising sowie Bamberg und auch die damals vorgenommene Diözesanzirkumskription wurden erneut bestätigt. Sie erfuhren keine Veränderungen mehr. Hinzuweisen ist jedoch hierbei darauf, daß die Diözesanorganisation und ebenso auch die Diözesanzirkumskription konkordatär, d. h. durch einen völkerrechtlichen Vertrag, festgelegt wurden. Eine Änderung der Diözesanorganisation und der Diözesangrenzen kann deshalb nur in gegenseitigem Einvernehmen zwischen Staat und Kirche vorgenommen werden. 7. Preußisches Konkordat vom 14. Juni 1929

Für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich war die Tatsache von historischer Bedeutung, daß am 14. Juni 1929 erstmals ein Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen zustande kam 11 . In diesem Konkordat wurde die Diöze1o Deutscher und italienischer Wortlaut des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 nach dem Stand vom 1. 7. 1987 bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, Berlin 1987, S. 474ff. 11 Deutscher und italienischer Wortlaut des Preußischen Konkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 10), Bd. 2, S. 709 ff. Die Verhandlungen über die kirchliche Neugliederung in Preußen gestalteten sich ausgesprochen schwierig. Hierbei spielten konfessionelle Gründe eine bedeutsame Rolle. Insbesondere setzte der in den zuständigen Ministern und höheren Ministerialbeamten auch während der Weimarer Zeit trotz der Trennung von Staat und Kirche und des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nach wie vor weithin protestantisch empfindende preußische Staat der Errichtung eines Bischofssitzes in der Reichshauptstadt Berlin erhebliche und schließlich nur mit großer Mühe überwundene Widerstände ent-

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Sanzirkumskription in Preußen zum Teil neu geordnet und den im Gefolge des Ersten Weltkriegs veränderten politischen Verhältnissen angepaßt. Damals wurde im Westen das Bistum Aachen neu errichtet und der Kirchenprovinz Köln angegliedert. Ebenso wurden die in Preußen gelegenen Bistümer Limburg und Osnabrück als Suffraganbistümer der Kölner Kirchenprovinz zugeteilt. Im Westen wurde eine zweite Kirchenprovinz, nämlich Paderborn, neugeschaffen. Dem zum Erzbistum erhobenen bisherigen Bistum Paderborn wurden die Diözesen Hildesheim und Fulda als Suffraganbistümer zugewiesen. Im Osten wurde die Kirchenprovinz Breslau errichtet, zu der neben dem zum Erzbistum erhobenen bisherigen Fürstbistum Breslau das neuerrichtete Bistum Berlin, das Bistum Ermland und die Freie Prälatur Schneidemühl als Suffraganbezirke gehörten. 12 8. Errichtung des Bistums Essen aufgrund des Vertrages vom 19. Dezember 1956

Eine Ergänzung zum Preußischen Konkordat von 1929 stellt die aufgrundeines Vertrages des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Heiligen Stuhl vom 19. Dezember 1956 13 erfolgte Errichtung des Bistums Essen dar, das aus Gebietsteilen der Erzdiözesen Köln und Paderborn sowie der Diözese Münster gebildet wurde. 9. Niedersächsisches Konlmrdat vom 26. Februar 1965

Das letzte große Konkordat, das in Deutschland bisher geschlossen wurde, kam am 26. Februar 1965 zwischen dem Heiligen Stuhl und gegen. Vgl. hierzu im einzelnen die sehr detaillierte, umfassende und gründliche Darstellung von Heinz Mussinghoff, Die Neuordnung der Bistümer in Preußen 1929/30, in: Ecclesia Monasteriensis. Beiträge zur Kirchengeschichte und religiösen Volkskunde Westfalens. Festschrift für Alois Schröer zum 85. Geburtstag, hrsg. von Reimund Haas, Münster 1992, S. 275-306; ferner die bemerkenswerten Angaben bei Georg May, Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, Bd. 2 (= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 34), Amsterdam 1982, S. 400 ff. 12 Die Festlegung der Grenzen der Kirchenprovinzen und die Neuumschreibung der Diözesen im preußischen Staat erfolgte im einzelnen durch die Zirkumskriptionsbulle "Pastoralis officii Nostri" vom 13. 8. 1930. Lateinischer und deutscher Wortlaut bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 10), Bd. 2, S. 740 ff., 746 ff. 13 Deutscher und italienischer Wortlaut des Vertrags bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 10), Bd. 2, S. 230 ff.

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dem erst nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Land Niedersachsen zustande 14 • Durch dieses Konkordat wurden innerhalb des Landes Niedersachsen zwischen den Bistümern Bildesheim und Osnabrück zum Zwecke der Grenzbereinigung einige kleinere Gebietsveränderungen vorgenommen. Von Wichtigkeit ist in diesem Zusammenhang, daß in diesem Konkordat auch festgelegt wurde, daß. eine wesentliche Änderung der Diözesanzirkumskription einer ergänzenden Vereinbarung zwischen den Konkordatspartnern bedarf. 10. Reichskonkordat vom 20. Juli 1933

Von großer Bedeutung für die Festlegung der Diözesangrenzen und auch die Errichtung neuer Bistümer ist das noch heute geltende Reichskonkordat, das im Jahre 1933 nach ungewöhnlich kurzen Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich abgeschlossen wurde 15 . Artikel 11 des Reichskonkordats enthält ausführliche Bestimmungen über die Zirkumskription der deutschen Diözesen. Danach bedürfen die Errichtung eines Bistums oder einer Kirchenprovinz sowie Änderungen der Diözesanorganisation und -Zirkumskription innerhalb eines deutschen Landes einer vertraglichen Zustimmung der Regierung des betreffenden Landes. Änderungen, die über die Grenzen eines Landes hinausgehen, erfordern eine Verständigung mit der Reichsregierung, der es überlassen bleibt, die Zustimmung der in Frage kommenden Landesregierungen herbeizuführen. Gleiches gilt für die Errichtung oder Änderung von Kirchenprovinzen, sofern mehrere deutsche Länder daran beteiligt sind. Nimmt man die Gesamtheit der Konkordatsbestimmungen in den Blick, ist somit zusammenfassend festzustellen, daß die Diözesanorganisation und -Zirkumskription in sämtlichen deutschen Länderkonkordaten und auch im Reichskonkordat durchgehend eine bedeutsame Regelungsmaterie darstellt.

14 Deutscher und italienischer Wortlaut des Niedersächsischen Konkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 10), Bd. 2, S. 5 ff. 15 Deutscher und italienischer Wortlaut des Reichskonkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 10), Bd. 1, S. 34 ff. Für das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland kommt dem Reichskonkordat auch für die Gegenwart eine denkbar große Bedeutung zu. Vgl. hierzu im einzelnen den Beitrag von Joseph Listl, Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag, Zürich 1989, S. 309-334.

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m. Die rechtliche Lage der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke in der früheren Sowjetischen Besatzungszone bzw. in der früheren Deutschen Demokratischen Republik bzw. in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der von den Alliierten Siegermächten vorgenommenen Teilung des Deutschen Reiches in die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erfolgte auf dem Gebiete der Deutschen Demokratischen Republik nur eine vorläufige Regelung der kirchlichen Verwaltungsorganisation. Die Grenzziehung zwischen den Diözesen und den übrigen kirchlichen Verwaltungsbezirken in der früheren Deutschen Demokratischen Republik und ebenso auch in den neuen Bundesländern hat daher bis zum heutigen Tag noch keinen endgültigen Charakter. Nach dem heutigen Zustand umfaßt die katholische Kirche in den neuen Bundesländern das lange Zeit durch die Berliner Mauer geteilte und nun wiedervereinigte Bistum Berlin, das Papst Johannes Paul II. im Zustand der Teilung einmal als das "schwierigste Bistum der Welt" bezeichnet hat; ferner das Bistum Dresden-Meißen, die Apostolische Administratur Görlitz und die von je einem auf Dauer bestellten Apostolischen Administrator, einem Administrator Apostolicus permanenter constitutus, im Bischofsrang geleiteten Jurisdiktionsbezirke bzw. "Bischöflichen Ämter" Magdeburg, Schwerin, Erfurt und Meiningen, wobei der Apostolische Administrator von Erfurt in Personalunion auch den kleineren Jurisdiktionsbezirk Meinirrgen mitverwaltet 16 . Diese sieben Jurisdiktionsbezirke in den neuen Bundesländern sind bisher nicht zu einer Kirchenprovinz zusammengeschlossen, sie unterstehen vielmehr jeder für sich unmittelbar dem Heiligen Stuhl. Von diesen Verwaltungsbezirken der katholischen Kirche in den neuen Bundesländern hat nur das Bistum Meißen, das 1979 in Dresden-Meißen umberrannt wurde, hinsichtlich seines territorialen Umfangs den Zweiten Weltkrieg ohne größere Gebietsverluste überstanden. Nach dem Abschluß des Deutsch-Polnischen Vertrages vom 7. Dezember 1970 und nach dem Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972 kam es auch im kirchlichen Bereich zu erheblichen territorialen Veränderungen. Im Zuge der Neuordnung der Diözesanverhältnisse in den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße durch die Apostolische 16 Vgl. hierzu im einzelnen die detaillierten Angaben bei Hollerbach, Rechtsprobleme der Katholischen Kirche im geteilten Deutschland (Anm. 1), S. 127143m.w.N.

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Konstitution "Episcoporum Poloniae" vom 28. Juni 1972 wurde das Bistum Berlin, das dadurch einen erheblichen Teil seines früheren Gebietes verlor, aus dem Breslauer Metropolitanverband ausgegliedert und unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt. Aus dem in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Restgebiet des früheren deutschen Erzbistums Breslau wurde die Apostolische Administratur Görlitz gebildet. Auf das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik erstrecken sich Teilgebiete der Erzdiözese Faderborn und der Diözesen Osnabrück, Hildesheim, Fulda und Würzburg. Diese Gebiete unterstanden von 1945 bis 1973 der Leitung bischöflicher Kommissare und damit rechtlich der Leitungsgewalt ihrer jeweiligen Diözesanbischöfe. Diese wurden jedoch in zunehmendem Maße durch Verweigerung der Einreisegenehmigung an der Ausübung ihres Leitungsamtes gehindert. 1973 wurden diese Gebiete unter Aufrechterhaltung der rechtlichen Zugehörigkeit zu ihren Mutterdiözesen, aber unter Suspendierung der jurisdiktioneilen Abhängigkeit von ihren Diözesanbischöfen im Interesse der Gewährleistung einer geordneten seelsorglichen Betreuung der Gläubigen in sog. Bischöfliche Ämter umbenannt und auf Dauer bestellten Apostolischen Administratoren im Bischofsrang unterstellt. Damit unterstanden sie nicht mehr ihren Diözesanbischöfen, sondern unmittelbar Rom 17 . Aus dem in der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Gebietsteil des Bistums Osnabrück wurde das Bischöfliche Amt Schwerin, aus dem Gebietsteil des Erzbistums Faderborn wurde das Bischöfliche Amt Magdeburg und aus dem Gebietsteil des Bistums Fulda das Bischöfliche Amt Erfurt geschaffen, und zwar letzteres mit der Maßgabe, daß der Apostolische Administrator von Erfurt auch den zum Bistum Würzburg gehörenden Jurisdiktionsbezirk Meiningen in Personalunion mitverwalten sollte. Von den insgesamt sechs zum Bistum Rüdesheim gehörenden Pfarreien auf dem Territorium der früheren Deutschen Demokratischen Republik hat der Heilige Stuhl vier dem Bischöflichen Amt Magdeburg und je eine dem Bischöflichen 17 Vgl. die auf genauer Quellenkenntnis beruhende Darstellung von Konrad Hartelt, Die Entwicklung der kirchlichen Jurisdiktionsverhältnisse in den auf dem Territorium der DDR gelegenen Anteilen "westdeutscher" Diözesen, in: Fides et lus. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag, Regensburg 1991, S. 119-135; ferner ders., Neuumschreibung der Diözesangrenzen? Zur Geschichte und Gegenwart der Jurisdiktionsbezirke in der ehemaligen DDR, in: Die Kirchen und die deutsche Einheit. Rechts- und Verfassungsfragen zwischen Kirche und Staat im geeinten Deutschland. Akademie der Diözese RottenburgStuttgart. Hrsg. von Richard Puza und Abraham Peter Kustermann (=Hohenheimer Protokolle, Bd. 37), Stuttgart 1991, S. 107-120.

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Amt Schwerin und dem Bischöflichen Amt Erfurt zur Mitbetreuung zugeteilt. Der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ist es bis zuletzt nicht gelungen, den Heiligen Stuhl zur Abtrennung der auf ihren Territorien gelegenen Jurisdiktionsbezirke Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen von ihren Mutterdiözesen und zur Vornahme einer endgültigen Diözesanzirkumskription zu bewegen. Unter dem Pontifikat Papst Pauls VI. waren die Vorbereitungen für die Errichtung selbständiger kirchlicher Verwaltungsbezirke in der DDR und damit zur endgültigen Errichtung der Diözesanorganisation auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik bereits abgeschlossen. Sie gelangten jedoch wegen des am 6. August 1978 unerwartet eingetretenen Todes des Montini-Papstes nicht mehr zur Ausführung. Der Verlauf der Bemühungen der Bischöfe in der Bundesrepublik Deutschland und des Bischofs von Berlin und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf der einen Seite, die Errichtung einer endgültigen Diözesanzirkumskription auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern, und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf der anderen Seite, den Heiligen Stuhl zur Errichtung einer endgültigen Diözesanorganisation und -Zirkumskription auf dem Gebiete der Deutschen Demokratischen Republik zu bewegen, war geradezu dramatisch 18 . Ende 1972 trat der Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der lB Die folgenden Angaben beruhen auf den Aussagen in dem außerordentlich informativen Beitrag von Horst Osterheld, Ein Kampf um die Einheit. Zäher Widerstand verhinderte die ursprüngliche Absicht des Vatikans, die in der damaligen DDR liegenden Gebiete der fünf bundesdeutschen Diözesen abzutrennen. Ein Beteiligter erinnert sich, in: Die politische Meinung. Monatsschrift zu Fragen der Zeit, 36. Jhg. (1991), Heft 255 /Februar 1991, S. 77-84. Der Beitrag ist ferner abgedruckt unter dem Titel "Der Kampf gegen die Zerreißung deutscher Bistümer an der innerdeutschen Grenze - Bericht eines Beteiligten", in: Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), Ökumenische Informationen (ÖKI) Nr. 9 vom 20. Februar 1991, S. 10-15; ferner unter dem Titel "Gegen die Zerreißung deutscher Bistümer. Rückblick eines Beteiligten", in: Klerusblatt, 71. Jhg. (1991), S. 87-89; ferner unter der Überschrift "Das Verlangen nach Einheit lebendig gehalten. Der erfolgreiche Kampf gegen die Zerreißung der Bistümer an der innerdeutschen Grenze", in: Deutsche Tagespost, Ausgabe vom Dienstag, 23. 4. 1991 (Nr. 49), S. 5. Der Verfasser dieses Beitrags, Ministerialdirektor a. D. Dr. Horst Osterheld (Geburtsjahrgang 1919), ist für seine Darstellung bzw. Dokumentation ein erstrangiger, zuverlässiger und glaubwürdiger Zeitzeuge. Er war von 1966 bis 1970 Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt in Bonn. Von 1970 bis 1971 vertrat er die Bundesrepublik Deutschland als Botschafter in Chile. Von 1975 bis 1980 leitete er die Zentralstelle Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn. Von 1980 bis 1984 war er unter Bundespräsident Prof. Dr. Carl Carstens Abteilungsleiter im Bundespräsidialamt in Bonn. Seither lebt er in Bonn im Ruhestand.

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Deutschen Demokratischen Republik in Kraft, durch den der DDR die von ihr seit langer Zeit erstrebte weltweite völkerrechtliche Anerkennung verliehen wurde. Daraufhin bestürmte die Deutsche Demokratische Republik den Heiligen Stuhl, sie auch in kirchlicher Hinsicht den anderen Staaten völlig gleichzustellen. Der Heilige Stuhl fand sich auch bald zu einem ersten Schritt bereit, in dem er im Juli 1973 den oben erwähnten Bischöflichen Kommissaren den Status von Apostolischen Administratoren verlieh. Diese blieben damit zwar weiterhin nur Verwalter der zu den fünf Diözesen gehörenden Gebiete, sie unterstanden aber nicht mehr deren Bischöfen, sondern direkt dem Heiligen Stuhl und erhielten den persönlichen Bischofsrang. Damit war die Regierung der DDR aber noch nicht zufrieden. Ihre Außenminister Otto Winzer und Oskar Fischer drängten den "Außenminister" der Römischen Kurie, den Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli, während der KSZE-Verhandlungen in Helsinki zu weiteren entgegenkommenden Schritten. Dabei wurden neben einer eigenen Bischofskonferenz für die DDR auch neue Bistümer und sogar die Ernennung eines eigenen Nuntius erwogen. Diesen Tendenzen widersetzten sich die Katholiken in beiden Teilen Deutschlands und insbesondere auch die beiden Kardinäle Julius Döpfner, München, und Alfred Bengsch, Berlin19 • Diese konzertierten Bemühungen zeigten allerdings in Rom wenig Wirkung, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Regierung der DDR mit ihren Forderungen immer wieder von neuem beim Vatikan vorstellig wurde. Am 29. September 1977 erklärte Papst Paul VI. dem Berliner Kardinal Alfred Bengsch und den anderen Mitgliedern der Berliner Bischofskonferenz, daß er die Absicht habe, bald neue Bistümer in der DDR zu errichten. Die relativ gute Lage der Katholiken könne dort jederzeit zum Schlechteren geändert werden; die Sorge für die Zukunft erfordere eigene Diözesen. Die DDR sei international als souveräner Staat anerkannt, auch von der Bundesrepublik Deutschland, und sie sei in die UNO aufgenommen worden. Auf dem Gebiet des Völkerrechts und der Diplomatie müsse man sie wie andere Staaten behandeln. Der Heilige Stuhl dürfe nicht in den Verdacht geraten, mit zweierlei Maß zu messen oder wortbrüchig zu werden. In Rom habe man eine bessere Übersicht über die allgemeine Lage als die Bischöfe in den einz~lnen Diözesen, die verständlicherweise in erster Linie nur ihre eigene Situation sähen. Die von den Bischöfen in der DDR erhobenen Bedenken seien nicht geeignet, die Ablehnung des Heiligen Stuhls zur Errichtung einer endgültigen Diözesanorganisation auf ihrem Territorium zu rechtfertigen. Es dürfe keine unbegründete Verzögerung geben20. 19

Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm. 18), S. 77.

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Diese Haltung des Papstes ist nur auf dem Hintergrund seiner schon damals heftig umstrittenen und, wie die spätere Entwicklung gezeigt hat, auf falschen Voraussetzungen beruhenden Ostpolitik zu verstehen. In der Schaffung neuer Bistümer in der DDR sah Papst Paul VI. ein wichtiges Instrument seiner Ostpolitik. Er und seine Hauptberater betrachteten den Ostblock als Einheit und waren der Auffassung, daß dementsprechend auch die Politik des Heiligen Stuhls gegenüber dem gesamten kommunistischen Raum einheitlich sein müsse. Sie hielten das kommunistische System für außerordentlich stark und erwarteten, daß es sich auf die ganze Welt ausbreiten und lange Zeit dauern werde. Um das kirchliche Leben einigermaßen erhalten zu können, müsse man sich mit dem Kommunismus arrangieren. Durch ein Entgegenkommen gegenüber der DDR erreiche man seitens des Staates eine gegenüber den Kirchen duldsamere Einstellung, und zwar auch in anderen Ländern des Ostblocks. In der Umgebung Papst Pauls VI. wurde diese Auffassung von seinen italienischen und französischen Beratern geteilt 21 . Aus der Römischen Kurie verlautete sogar, daß auch der Kölner Kardinal Joseph Höffner gegen die Schaffung neuer Diözesen in der DDR keine Einwendungen erhebe. Dieser dementierte dies allerdings entschieden in einem Brief an den deutschen Nuntius und in einem weiteren Schreiben an Kardinalstaatssekretär Casaroli: Er habe sich immer gegen die Errichtung neuer Diözesen in der DDR ausgesprochen; der Status quo sei für jetzt die beste Lösung; seine Änderung müsse bei Priestern und Laien in beiden Teilen Deutschlands verheerend wirken. Kardinal Höffner hatte in diesem Schreiben auch Bezug auf den Art. 11 des Reichskonkordats von 1933 genommen, der nach deutscher Auffassung den Heiligen Stuhl verpflichte, vor Änderungen von Bistumsgrenzen in Deutschland die Bundesregierung zu konsultieren. Auch die deutsche Bundesregierung, die sich bisher auf diesem Gebiete sehr zurückgehalten hatte, begann sich für dieses kirchenpolitische Anliegen zu interessieren und berief sich gegenüber dem Heiligen Stuhl ebenfalls auf den Artikelll des Reichskonkordats 22 • Diese Bemühungen blieben im Vatikan nicht ohne Eindruck. Am 17. März 1978 erwähnte Kardinalstaatssekretär Casaroli gegenüber dem Berliner Kardinal Alfred Bengsch erstmals die Möglichkeit, daß in der DDR nicht sofort neue Bistümer errichtet werden sollten, sondern im Sinne einer Zwischenlösung Apostolische Administraturen. Damit sollten die in die DDR hineinragenden Gebiete der Diözesen 2o

21 22

Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm. 18), S. 78 f. Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm. 18), S. 79. Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm. 18), S. 79 f.

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Osnabrück, Hildesheim, Paderborn, Fulda und Würzburg nicht sofort in den definitiven Rang von Bistümern erhoben, aber dennoch von ihren Mutterdiözesen endgültig abgetrennt werden. Diese endgültige Abtrennung war die entscheidende Frage. Gegen sie sprachen aus der Sicht der Katholiken in Deutschland dieselben pastoralen und moralischen Argumente wie gegen die Errichtung von Bistümern 23 • Am 3. Juli 1978 äußerte Kardinalstaatssekretär Casaroli gegenüber dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl und gegenüber dem DDR-Botschafter beim Quirinal, daß sich der Heilige Stuhl mit der Haltung der deutschen Katholiken nicht identifiziere und daß er die Gründung von Apostolischen Administraturen in der DDR erwäge. Dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland erklärte Casaroli ferner, daß er in dieser Frage die Bundesregierung konsultieren wolle, obwohl er meine, dazu nicht verpflichtet zu sein24 . Am 4. August 1978 informierte der Apostolische Nuntius in Bann, Erzbischof Guido Del Mestri, das Auswärtige Amt darüber, daß der Heilige Stuhl den Zeitpunkt für gekommen erachte, den kirchenrechtlich anormalen Zustand in Deutschland einer stabilen Regelung zuzuführen. Die Apostolischen Administraturen würden durch ein innerkirchliches Dekret errichtet. Das Bistum Berlin würde nicht berührt. Die Konsultation mit der Bundesregierung sei für den 28. August 1978 vorgesehen, wobei er den Vorbehalt machen müsse, daß der Heilige Stuhl bei vorzeitiger Indiskretion gezwungen sein könne, ohne Konsultation zu entscheiden25 . Der Tod Papst Pauls VI. am 6. August 1978 änderte die Lage schlagartig und vollständig. Es wäre Ende August 1978 wohl noch zu der Konsultation mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gekommen; diese hätte aber den Entschluß Papst Pauls VI. nicht zu ändern vermocht. Er hätte das Dekret, das bereits unterschriftsreif vorlag, kurz danach unterzeichnet. Mit Beginn des Pontifikats Papst Johannes Pauls II., der kein Anhänger der Ostpolitik Papst Pauls VI. und des Kardinalstaatssekretärs Casaroli war, wurden die Bestrebungen zur Errichtung einer endgültigen Diözesanorganisation auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik sofort gestoppt und auf Eis gelegt. Dabei blieb es bis zu dem am 3. Oktober 1990 erfolgten Beitritt der neuen Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zur Bundesrepublik Deutschland26 . 23

24 25 26

Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm. Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm. Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm. Osterheld, Ein Kampf um die Einheit (Anm.

18), S. 18), S. 18), S. 18), S.

80 f. 81. 81. 82 ff.

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Iv. Die Neufestlegung der Diözesanorganisation

nach der Wiedervereinigung Deutschlands

1. Grundsätzliche Überlegungen über die Neuordnung der Diözesanorganisation nach der "Wende"

Die sog. "Wende" in der Deutschen Demokratischen Republik brachte auch in die Frage der Einheit der katholischen Kirche in Deutschland und damit auch einer Regelung der Diözesangrenzen wieder Bewegung. Wie bereits erwähnt, wurde die Berliner Bischofskonferenz auf ihren eigenen Antrag hin von Papst Johannes Paul II. mit Wirkung vom 24. November 1990 aufgelöst und damit der Beitritt ihrer Mitglieder zur Deutschen Bischofskonferenz als Vollmitglieder vollzogen27. Mit dem staatsrechtlichen Vollzug der Wiedervereinigung Deutschlands und mit der formellen Wiederherstellung der Einheit der katholischen Kirche in Deutschland durch die Auflösung der Berliner Bischofskonferenz und die Aufnahme ihrer Mitglieder in die Deutsche Bischofskonferenz war die Frage nach der Zukunft der Bischöflichen Ämter, die zur Berliner Bischofskonferenz gehörten, noch nicht geklärt. Diese Frage war lange Zeit Gegenstand von Verhandlungen innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz. Nach seinem Rombesuch vom 7.-9. Januar 1991 erklärte der Berliner Bischof Kardinal Georg Sterzinsky, daß die Frage der Neuzirkumskription der Diözesen und übrigen Jurisdiktionsbezirke in Deutschland insgesamt, nicht nur im Bereich der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, das wichtigste Thema der Gespräche im Staatssekretariat gewesen war. Nach Auffassung des Apostolischen Stuhls gehöre zur Normalisierung der kirchlichen Strukturen, wie dies c. 431 CIC vorsehe, daß jede Teilkirche einer Kirchenprovinz zugeordnet sei, so daß es exemte, d. h. dem Apostolischen Stuhl unmittelbar unterstellte Teilkirchen nur in Ausnahmefällen gebe. Die exemten Diözesen Berlin und Dresden-Meißen sowie die Apostolische Administratur Görlitz könnten zu einer Ostdeutschen Kirchenprovinz zusammengefaßt werden. Jedoch stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem künftigen Status der drei anderen Jurisdiktionsbezirke, nämlich der bisherigen Bischöflichen Ämter Erfurt-Meiningen, Magdeburg und Schwerin, genauer, ob nicht auch sie dieser Ostdeutschen oder Berliner Kirchenprovinz zugeordnet werden sollten28 . 27 Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Auflösung der Berliner Bischofskonferenz und der Aufnahme ihrer Mitglieder in die Deutsche Bischofskonferenz sind im einzelnen in vorzüglicher Weise dokumentiert bei Schmitz, Die Einheit der Katholischen Kirche in Deutschland (Anm. 1), S. 628-633.

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Die Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat auf ihrer Sitzung vom 18. bis 21. Februar 1991 in Bensberg, der ersten gemeinsamen Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz nach Auflösung der Berliner Bischofskonferenz, eine Kommission eingesetzt, die sich mit der Frage der Neuordnung der kirchlichen Strukturen befassen soll. Diese Kommission trug die Bezeichnung "Status der Jurisdiktionsbezirke der ehemaligen Berliner Bischofskonferenz". Sie hatte den Auftrag, einen "Vorschlag zum zukünftigen Status und den Grenzen der Jurisdiktionsbezirke der ehemaligen Berliner Bischofskonferenz vorzulegen". Dabei ging die Kommission zutreffend von der grundsätzlichen Weitergeltung und Beibehaltung der Konkordate, d. h. des Preußischen Konkordats von 1929 und des Reichskonkordats von 1933, aus. 2. Römische "Vorgaben" für die Neuumschreibung der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland

Der Heilige Stuhl hatte gegenüber der Deutschen Bischofskonferenz den Wunsch geäußert, es möge ihm in dieser Angelegenheit ein Vorschlag vorgelegt werden, der sowohl die Zustimmung der betroffenen Bischöfe als auch der Deutschen Bischofskonferenz für sich in Anspruch nehmen könne. Dabei müßten folgende Gesichtspunkte berücksichtigt und in Einklang gebracht werden: a) Der Status der Jurisdiktionsbezirke sowohl in kirchenrechtlicher wie in konkordatärer Hinsicht; b) die notwendigen Voraussetzungen, die zu einem vollen und funktionsfähigen Bistum gehören; c) anwendbare kirchenrechtliche Modelle auf die vorgegebene Situation; d) pastorales Proprium der Jurisdiktionsbezirke der ehemaligen Berliner Bischofskonferenz; e) die Vorstellungen, die Gläubige und Priester des jeweiligen Jurisdiktionsbezirks hinsichtlich der Zukunft ihres Jurisdiktionsbezirks haben. Erst abschließend könne und solle dann auch die Frage der Zugehörigkeit zu einer Kirchenprovinz bzw. die Bildung einer eigenen Kirchenprovinz erörtert werden. Der Kommission "Status der Jurisdiktionsbezirke der ehemaligen Berliner Bischofskonferenz", die bei der 28

Schmitz, Die Einheit der Katholischen Kirche in Deutschland (Anm. 1),

s. 634.

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Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Bensberg im Februar 1991 gebildet wurde, gehörten neben sämtlichen Diözesanbischöfen der durch die Neuregelung unmittelbar betroffenen Diözesen und den auf Dauer bestellten Apostolischen Administratoren der Bischöflichen Ämter in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als Mitglieder ferner an der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann (Mainz), der Stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Oskar Saier (Freiburg/Breisgau), sowie Kardinal Joachim Meisner (Köln). Dies bedeutet im Ergebnis, daß der Heilige Stuhl die Neuumschreibung der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland nicht von sich aus autoritativ vornehmen will, sondern daß er eine Vorlage erwartet, die sowohl innerhalb der für die Neuordnung der deutschen Bistumsgrenzen eingesetzten Kommission die Zustimmung aller betroffenen Bischöfe als auch die Zustimmung der Deutschen Bischofskonferenz besitzt. In dieser Hinsicht erklärte Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano in einem Interview in der Zeitung "Die Welt" vom 1. Oktober 1991: "Es ist also, wie gesagt, kein Geheimnis, daß man auch in Deutschland das Problem der Diözesangrenzen im Licht der gegenwärtigen pastoralen Notwendigkeiten neu wird erörtern müssen. Persönlich glaube ich, daß man etwa mit der Überlegung der eventuellen Bildung von Diözesen zum Beispiel in Magdeburg oder in Erfurt beginnen könnte. Doch ist dies eine ganz persönliche Meinung. Es sind natürlich die deutschen Bischöfe in ihrer verantwortlichen Sorge um das Wohl der Kirche in dieser Region, die diesbezüglich dem Heiligen Stuhl Vorschläge unterbreiten werden, die dieser dann seinerseits mit Sorgfalt prüfen wird. " 29 3. "Maximallösung", "Minimallösung" oder "Moderat-Lösung"

Für eine Neuzirkumskription der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland bieten sich nach der Wiedervereinigung grundsätzlich drei Möglichkeiten an, nämlich eine "Maximal-Lösung", die eine Neuordnung aller Diözesen insgesamt betreffen würde. Ferner eine "Minimal-Lösung", die darin bestünde, daß keine Änderungen in der Diözesanorganisation vorgenommen, sondern der frühere konkordatsrechtliche Zustand wiederhergestellt würde. Schließlich eine "gemäßigte" oder "Moderat-Lösung", die die Errichtung einiger neuer Diözesen vorsieht 30 • 29 Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, Interview "Die Wertekrise überwinden", in: Die Welt, Ausgabe vom Dienstag, 1. Oktober 1991 (Nr. 229), S. 5.

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Bei der "Maximal-Lösung" ginge es nicht nur um eine Neuregelung im Bereich der Jurisdiktionsbezirke der früheren Berliner Bischofskonferenz, sondern um eine Neuumschreibung der Grenzen sämtlicher Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland. Derartige weitgehende Überlegungen hat in sehr eingehender Weise die in den Jahren von 1971 bis 1975 tagende Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg angestellt. Die Arbeiten der von dieser Synode eingesetzten Bachkommission IX "Ordnung pastoraler Strukturen" waren von der Tendenz zur Aufteilung und Verkleinerung der größeren deutschen Diözesen getragen. Jedoch stießen die eher technokratischen und zum Teil mit säkularen Planungsvorstellungen argumentierenden "Überlegungen zu einer Neuumschreibung der Bistums grenzen" der Würzburger Synode weder bei den Bistumsleitungen noch bei den Gläubigen auf erkennbare Sympathien. Auch heute kann in der Bundesrepublik Deutschland nicht festgestellt werden, daß bei den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz, bei den Priestern und bei den Gläubigen eine Notwendigkeit gesehen würde oder gar eine Begeisterung vorhanden wäre, die sicherlich sehr differenzierte und in mehr als tausend Jahren gewachsene Diözesanorganisation und -Zirkumskription in ihrer Gesamtheit einer Revision zu unterziehen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ganz abgesehen davon, daß hierbei auch sämtliche Konkordate geändert werden müßten 31 . Die kleine oder Minimallösung, die in der Wiederherstellung des Status quo ante, d. h. in der Rückgliederung der Bischöflichen Ämter Erfurt-Meiningen, Magdeburg und Schwerin und der sechs Hildesheimer Pfarreien in ihre früheren Mutterdiözesen bestünde, wird weder vom Heiligen Stuhl favorisiert noch stößt sie auf die Zustimmung der auf Dauer bestellten Apostolischen Administratoren, der Priester und der Gläubigen in den Bischöflichen Ämtern Erfurt-Meiningen und Magdeburg und der übrigen Bischöfe in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Auch emotionale Gründe mögen hierbei eine beträchtliche Rolle spielen32 . 30 Dieses Einteilungsschema findet sich in dem Beitrag von Heribert Schmitz, Die Jurisdiktionsbezirke der Katholischen Kirche - Region Ost -. Streiflichter aus kanonistischer Perspektive, in: Münchener Theologische Zeitschrift, 42. Jhg. (1991), S. 241-259, hier S. 252. 31 Eine eingehende Darstellung und kritische Bewertung der Änderungsvorschläge der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland in Würzburg (1971-1975) zur zeitgemäßen Neuumschreibung der Grenzen der deutschen Diözesen findet sich bei Joseph Listl, Die Bistumsgrenzen in Deutschland. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung, in: Pax et Iustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag, Berlin 1990, S. 233-253.

56 Sbd. List!

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Kirchenorganisation 4. Konkrete Lösungsvorschläge der Deutschen Bischofskonferenz

Die Neuumschreibung der Diözesangrenzen in der Bundesrepublik Deutschland wurde deshalb, jedenfalls für die Gegenwart, praktisch auf die beiden Diözesen Berlin und Dresden-Meißen sowie auf die Apostolische Administratur Görlitz und die Bischöflichen Ämter Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen beschränkt. Entscheidend kam es letztlich auf die Zukunft der genannten Bischöflichen Ämter Schwerin, Magdeburg und Erfurt-Meiningen an, die bisher kirchenrechtlich im Falle von Schwerin zum Bistum Osnabrück, im Falle von Magdeburg zum Erzbistum Faderborn und im Falle von ErfurtMeiningen im Hinblick auf das Gebiet von Erfurt zum Bistum Fulda und im Hinblick auf das kleinere Gebiet von Meiningen zum Bistum Würzburg gehören. Die Kommission "Status der Jurisdiktionsbezirke der ehemaligen Berliner Bischofskonferenz" hat nach fünf Sitzungen ihre Beratungen abgeschlossen. Bei ihrer letzten Sitzung im Januar 1992 konnte in allen Fragen Einstimmigkeit erzielt werden. Die Beschlüsse dieser Kommission wurden der im März 1992 in Freisingtagenden Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zur Beschlußfassung vorgelegt. Die Mitglieder der Bischofskommission "Status der Jurisdiktionsbezirke der ehemaligen Berliner Bischofskonferenz" einigten sich im wesentlichen auf folgende Ergebnisse:

a) Bischöfliches Amt Schwerin Im Hinblick auf den Jurisdiktionsbezirk Schwerin trat eindeutig eine Tendenz zutage, die Jurisdiktion des Bischofs von Osnabrück, die immer noch gegeben, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch die römische Entscheidung suspendiert ist, wieder aufleben zu lassen. Dabei wurde vorgesehen, für das Gebiet des Bischöflichen Amtes Schwerin, das territorial mit dem Landesteil Mecklenburg des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern identisch ist, in der kirchlichen Verwaltung eine gewisse Selbständigkeit und Eigenständigkeit aufrechtzuerhalten. Die Entfernung zwischen Schwerin und Osnabrück beträgt 320 km und ist damit relativ groß. Das Bischöfliche Amt Schwerin soll aber auf keinen Fall auf das Bistum Berlin und/oder Magdeburg aufgeteilt werden. Das Bischöfliche Amt Schwerin und damit das Territorium des Landesteils Mecklenburg des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern soll Bestandteil des Bistums Osnabrück bleiben. 32 Vgl. hierzu bei Schmitz, Die Jurisdiktionsbezirke (Anm. 30), S. 253 f.; ferner bei Hartelt, Neuumschreibung der Diözesangrenzen? (Anm. 17), S. 115 ff.

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b) Bischöfliches Amt Magdeburg Anders verhält es sich mit dem Jurisdiktionsbezirk Magdeburg. Es zeichnet sich ab, daß das bisherige Bischöfliche Amt Magdeburg, dessen Gebiet bisher zum Erzbistum Faderborn gehört, und das sich flächenmäßig mit dem neuen Bundesland Sachsen-Anhalt deckt, zu einem selbständigen Bistum erhoben werden soll. Das Territorium des jetzigen Bischöflichen Amtes Magdeburg ist bedeutend größer als der westliche Teil des Erzbistums Paderborn. Während die räumliche Ausdehnung des Bischöflichen Amtes Magdeburg ca. 23.000 km2 beträgt, umfaßt das Erzbistum Paderborn, soweit sein Gebiet in der früheren Bundesrepublik liegt, nur ca. 15.000 km 2 • Anders verhält es sich mit der Zahl der Katholiken. Im Westteil des Erzbistums Faderborn leben ca. 1,893 Millionen Katholiken, auf dem Gebiet des Bischöflichen Amtes Magdeburg dagegen nur etwa 200.000.

c) Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen Ähnlich wie in Magdeburg ist die Situation im Falle des Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen. Sowohl das Bistum Fulda als auch das Bistum Würzburg haben grundsätzlich erklärt, daß sie einer Eingliederung ihrer bisherigen Gebietsteile in ein neu zu schaffendes Bistum Erfurt keinen Widerstand entgegensetzen werden. Dadurch werden kleinere Grenzberichtigungen im Hinblick auf bestimmte Pfarreien oder Dekanate, die bereits seit der Zeit Karls des Großen zu Fulda gehören, nicht ausgeschlossen. Das bisherige Bischöfliche Amt Erfurt-Meiningen bzw. das künftige Bistum Erfurt wird sich flächenmäßig mit dem neuen Bundesland Thüringen decken.

d) Apostolische Administratur Görlitz Im Falle der bisherigen Apostolischen Administratur Görlitz kam nach längeren Beratungen schließlich ein Konsens darüber zustande, daß dieser Jurisdiktionsbezirk in den Rang eines Bistums erhoben werden soll, obwohl die Zahl der Katholiken dieses Jurisdiktionsbezirks nur etwa 50.000 beträgt.

e) Bistümer Berlin und Dresden-Meißen Die beiden Bistümer Berlin und Dresden-Meißen werden erhalten bleiben. Flächenmäßig wird das Bistum Dresden-Meißen sich mit dem 56•

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neuen Bundesland Sachsen decken. Das künftige Bistum Görlitz wird im Land Brandenburg liegen. Lokale Grenzberichtigungen zwischen dem Bistum Berlin und dem künftigen Bistum Görlitz sind durchaus möglich. In der Frage der Errichtung eines neuen Metropolitanverbandes bzw. einerneuen Kirchenprovinz zeichnet sich ab, daß das bisherige Bistum Berlin zum Erzbistum erhoben werden wird, dem die Diözesen Dresden-Meißen und Görlitz als Suffraganbistümer zugewiesen werden könnten. Mit der Errichtung der Kirchenprovinz Berlin oder der Ostdeutschen Kirchenprovinz wäre die Neufestlegung der Diözesangrenzen im wiedervereinten Deutschland zu einem wenigstens vorläufigen Abschluß gelangt. Die Frage, welchem Metropolitanverband die Bistümer Erfurt und Magdeburg nach ihrer Errichtung zugehören werden, scheint zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht völlig geklärt zu sein. 5. Beschluß der Deutschen Bischofskonferenz vom März 1992

Bei ihrer Frühjahrs-Vollversammlung vom 9. bis 12. März 1992 in Freising faßte die Deutsche Bischofskonferenz über die Neuorganisation und -Zirkumskription der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik den folgenden Beschluß: "4. Neuordnung der Jurisdiktionsbezirke in den neuen Bundesländern Die Vollversammlung hat einen Schlußbericht und die Empfehlungen der in der Frühjahrs-Vollversammlung (18. bis 21. Februar 1991) eingesetzten Kommission zur Neuordnung der Jurisdiktionsbezirke und Kirchenprovinzen in den neuen Bundesländern zur Kenntnis genommen. Auf der Grundlage dieses Berichtes wird die Vollversammlung entsprechende Empfehlungen an den Apostolischen Stuhl weiterleiten: 1. Das Gebiet, auf das sich die Jurisdiktion des Apostolischen Administrators in Magdeburg erstreckt, wird vom Erzbistum Faderborn und vom Bistum Hildesheim losgetrennt und zur Diözese erhoben. 2. Das Gebiet des Bistums Fulda, auf das sich die Jurisdiktion des Apostolischen Administrators in Erfurt-Meiningen erstreckt, wird vom Bistum losgetrennt (ausgenommen davon ist ein Dekanat). Das Gebiet des Bistums Würzburg, auf das sich die Jurisdiktion des Apostolischen Administrators in Erfurt-Meiningen erstreckt, wird vom Bistum Würzburg losgetrennt. Auch einige Pfarreien, die zum

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Gebiet des Bistums Hildesheim gehören, werden mit den oben erwähnten Gebieten zur Diözese Erfurt zusammengefaßt. In diesem Zusammenhang werden auch einige kleine Gebiete aus dem Bistum Dresden-Meißen ausgegliedert und der Diözese Erfurt eingegliedert. 3. Das Gebiet, auf das sich die Jurisdiktion des Apostolischen Administrators in Schwerin erstreckt, bleibt bei dem Bistum Osnabrück. 4. Die Apostolische Administratur Görlitz wird zur Diözese erhoben. 5. Es wird eine Kirchenprovinz Berlin gebildet. Ihr gehören an: das Erzbistum Berlin, die Diözesen Dresden-Meißen und Görlitz. Die letzte Entscheidung liegt beim Apostolischen Stuhl. Da von der Änderung der Diözesangrenzen die Konkordate betroffen sind, wird der Apostolische Stuhl nach entsprechenden Konsultationen mit den zuständigen staatlichen Stellen seine Entscheidung mitteilen. " 33 Es bleiben verständlicherweise zahlreiche schwierige pastorale Probleme. Sämtliche Diözesen in den neuen Bundesländern liegen in der Diaspora, und zwar in einer doppelt zu verstehenden Diaspora: Die Katholiken bilden einerseits eine Minderheit gegenüber den evangelischen Christen; und die katholischen und evangelischen Christen zusammen bilden ihrerseits eine Minderheit gegenüber der nichtgetauften Mehrheit der Menschen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik. Die Zahl der Katholiken in den neuen Bundesländern mit Einschluß von West-Berlin beträgt insgesamt lediglich 1,192 Millionen. Demgegenüber hat z. B. das Erzbistum Köln allein mehr als 2,470 Millionen Katholiken. Die Diözesen im Osten der Bundesrepublik Deutschland werden daher auch in Zukunft unter vieler Rücksicht auf die Solidarität und die Hilfe der Katholiken im Westen der Bundesrepublik Deutschland angewiesen sein.

33 Quelle: Pressedienst der Deutschen Bischofskonferenz. Dokumentation vom 12. März 1992, S. 8-10. Hierbei handelt es sich um einen Auszug aus dem Protokoll der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 09. bis 12. März 1992 in Freising.

Die Besetzung der Bischofsstühle Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland Die Besetzung der bischöflichen Stühle mit würdigen und für ihr hohes Amt qualifizierten priesterlichen Persönlichkeiten hat die Kirche von ihren ersten Anfängen an als eine Aufgabe von erstrangiger Bedeutung betrachtet. Dies erklärt sich aus der ekklesiologischen Tatsache, daß unser Herr Jesus Christus seine Kirche auf die Apostel gebaut hat. Im Anschluß an das Zweite Vatikanische Konzil 1 erklärt das geltende Kirchliche Gesetzbuch, der Codex Iuris Canonici vom 25. 1. 1983, in c. 375 § 1, daß die Bischöfe, die kraft göttlicher Einsetzung durch den Heiligen Geist, der ihnen geschenkt ist, an die Stelle der Apostel treten, in der Kirche zu Hirten bestellt werden, um auch selbst Lehrer des Glaubens, Priester des heiligen Gottesdienstes und Diener in der Leitung zu sein. Dem Papst als dem Inhaber des Petrusamtes und den Bischöfen als Mitgliedern des Bischofskollegiums, des Nachfolgeargans des Apostelkollegiums, ist die Leitung der Kirche anvertraut2. Die Vorgänge um die Besetzung eines Bischofsstuhles haben nicht nur innerkirchlich stets die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf sich gezogen; auch die Inhaber der Staatsgewalt haben von der Zeit der Urkirche an immer wieder versucht, auf die Besetzung der Bischofsstühle Einfluß auszuüben, und auch tatsächlich darauf großen Einfluß genommen. Das kirchliche Recht kennt in der Gegenwart eine doppelte Form der Besetzung vakanter Bischofsstühle, einmal das freie Ernennungsrecht des Papstes und an zweiter Stelle das Recht der Bischofswahl durch hierzu legitimierte Gremien mit nachfolgender päpstlicher Bestätigung des rechtmäßig gewählten Kandidaten. Erstveröffentlichung in: Sendung und Dienst im bischöflichen Amt. Festschrift der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg für Bischof Josef Stimpfle zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Anton Ziegenaus. St. Ottilien: Eos Verlag Erzabtei St. Ottilien 1991, S. 29-68.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Eos Verlags, St. Ottilien. 1 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" (LG), Nr. 20. 2 Zweites Vatikanisches Konzil, LG (Anm. 1), Nr. 22; c. 330 CIC.

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I. Das Bischofsernennungsrecht nach den Bestimmungen des Kirchlichen Gesetzbuchs (Codex Iuris Canonici) vom 25. Januar 1983 1. Form der Bischofsbestellung

Die zentrale Bestimmung über die Ernennung der Bischöfe bildet c. 377 § 1 CIC. Dieser Kanon hat folgenden Wortlaut: "Der Papst ernennt die Bischöfe frei oder bestätigt die rechtmäßig Gewählten." Dies bedeutet, daß der Codex Iuris Canonici, das auf der ganzen Welt geltende Gesetzbuch für den Lateinischen Rechtskreis der katholischen Kirche, primär davon ausgeht, daß der Papst die Bischöfe frei ernennt. Eine Bischofswahl kennen die orientalischen Kirchen, d. h. auch die mit Rom unierten Ostkirchen. In ihnen werden die Bischofskandidaten von der Versammlung der Bischöfe der betreffenden Kirchenprovinz aus einer vom Papst approbierten Liste gewählt und anschließend vom Papst ernannt. Ferner besitzen in Deutschland mit Ausnahme der bayerischen Diözesen und des Bistums Speyer die Domkapitel aufgrund besonderer konkordatärer Vereinbarungen ein in der Weise eingeschränktes Bischofswahlrecht, daß der Diözesanbischof von dem betreffenden Domkapitel aus einem vom Papst vorgelegten Dreiervorschlag frei zu wählen ist. Dieses Recht steht außerhalb Deutschlands auch dem Domkapitel des Erzbistums Salzburg zu. In der Schweiz besitzen die Domkapitel in den Diözesen Basel und St. Gallen ein freies Bischofswahlrecht. Im Bistum Chur wird der Bischof aus einem päpstlichen Dreiervorschlag gewählt3 . In den bayerischen Diözesen mit Einschluß des Bistums Speyer und in den übrigen Diözesen Österreichs und der Schweiz besteht das freie Recht des Papstes zur Ernennung der Bischöfe. In gesamtkirchlicher Betrachtung besteht somit im Bereich der lateinischen Kirche nur in ganz wenigen Bistümern ein auf besonderen konkordatären Vereinbarungen beruhendes Bischofswahlrecht der Domkapitel. In diesem Zusammenhang ist auf c. 377 § 5 CIC zu verweisen. In dieser Bestimmung erklärt der kirchliche Gesetzgeber mit unmißverständlicher Deutlichkeit: "In Zukunft werden weltlichen Autoritäten keine Rechte und Privilegien in bezugauf Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation von Bischöfen eingeräumt." Diese Bestimmung ist inhaltlich dem Abschnitt Nr. 20 des Dekrets des Zweiten Va3 Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 338 f. Zur Situation in der Schweiz vgl. Heinz Maritz, Das Bischofswahlrecht in der Schweiz. Unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung im Bistum Basel nach der Reorganisation, St. Ottilien 1977.

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tikanischen Konzils über die Hirtenaufgabe der Bischöfe entnommen. In diesem Dekret erklärt das Konzil wörtlich: "Das apostolische Amt der Bischöfe ist von Christus dem Herrn eingesetzt und verfolgt ein geistliches und übernatürliches Ziel. Daher erklärt die Heilige Ökumenische Synode, daß es wesentliches, eigenständiges und an sich ausschließliches Recht der zuständigen kirchlichen Obrigkeiten ist, Bischöfe zu ernennen und einzusetzen. Um daher die Freiheit der Kirche in rechter Weise zu schützen und das Wohl der Gläubigen besser und ungehinderter zu fördern, äußert das Heilige Konzil den Wunsch, daß in Zukunft staatlichen Obrigkeiten keine Rechte oder Privilegien mehr eingeräumt werden, Bischöfe zu wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen. Die staatlichen Obrigkeiten aber, deren Wohlwollen gegenüber der Kirche die Heilige Synode dankbar anerkennt und hochschätzt, werden freundliehst gebeten, sie mögen auf die genannten Rechte oder Privilegien, die sie gegenwärtig durch Vertrag oder Gewohnheit genießen, nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl freiwillig verzichten. " 4 Auch das den Domkapiteln eingeräumte Bischofswahlrecht gehört, obwohl es von kirchlichen Wahlgremien ausgeübt wird, zu denjenigen Rechten oder Privilegien, die vom Heiligen Stuhl in den betreffenden Konkordaten den staatlichen Konkordatspartnern auf deren Drängen bzw. Pressionen hin eingeräumt wurden bzw. werden mußten. Auch für das konkordatsrechtlich begründete Bischofswahlrecht der Domkapitel gilt somit die Erklärung bzw. Aufforderung des Zweiten Vatikanischen Konzils 5 . Hieraus folgt, daß das Bischofswahlrecht in c. 377 § 1 CIC gegenüber dem freien Bischofsernennungsrecht des Papstes im Lateinischen Rechtskreis der katholischen Kirche ein Ausnahmerecht darstellt, das nicht mehr neu begründet werden darf und dort, wo es noch besteht, beseitigt werden soll. Es fällt auf, daß diese klare Aussage des Konzils, in der der "Geist des Konzils" buchstäblichen Ausdruck gefunden hat, in den Stellungnahmen, Fernsehdiskussionen und Auseinandersetzungen über die Wiederbesetzung des Erzbischöflichen Stuhles in Köln in den Monaten September bis Dezember 1988 praktisch totgeschwiegen worden ist. Der evangelische Münchener Kirchenrechtslehrer Dietrich Pirson hat hierzu erklärt, es scheine ihm bemerkenswert, daß in den vielfältigen 4 Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" (CD), Nr. 20. 5 Dies wird beispielsweise in der von einseitigen Tendenzen nicht freien Publikation von Gerhard Hartmann, Der Bischof. Seine Wahl und Ernennung. Geschichte und Aktualität, Graz/Wien/Köln 1990, S. 109, nicht gesehen bzw. verkannt.

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Stellungnahmen aus der Mitte der Kirche eine kritische Reflexion über die Einschaltung des Staates in diesem Falle und überhaupt in den Vorgang der Bischofsernennung nahezu völlig gefehlt hat. Gelegentlich sei sogar die Tendenz erkennbar gewesen, die staatliche Einwirkungsmöglichkeit für innerkirchliche Zwecke in Dienst zu nehmen, so daß den beteiligten Landesregierungen die Rolle von Bundesgenossen der innerkirchlichen Opposition zuzufallen schien. Man sollte sich aber, wie Pirson feststellt, davor hüten, jene staatlichen Mitwirkungsrechte als eine besondere Errungenschaft zu preisen und zu aktivieren6. Nach dem allgemeinen Recht der katholischen Kirche werden die Kandidaten für das Bischofsamt in einem doppelten Verfahren ermittelt und ausgewählt: Einmal gemäß c. 377 § 2 CIC unabhängig von einem konkreten Besetzungsfall für einen vakanten Bischofsstuhl durch ein sogenanntes absolutes oder auch abstraktes Listenverfahren. Es sollen bei diesem Verfahren lediglich die für ein Bischofsamt überhaupt in Frage kommenden Kandidaten eines Landes oder einer Kirchenprovinz ermittelt werden. Dazu haben die Bischöfe einer Kirchenprovinz oder, wo die Umstände dies anraten, die jeweiligen Bischofskonferenzen wenigstens alle drei Jahre nach einer gemeinsamen Beratung und geheim eine Liste von Priestern, auch aus dem Ordensklerus, zu erstellen, die für ein Bischofsamt geeignet erscheinen. Diese Liste wird von dem jeweiligen Erzbischof oder dem Vorsitzenden der betreffenden Bischofskonferenz dem Apostolischen Stuhl übermittelt. Unabhängig davon hat auch jeder einzelne Diözesanbischof das Recht, dem Apostolischen Stuhl Namen von Priestern mitzuteilen, die er für das Bischofsamt für würdig und geeignet hält. 6 Dietrich Pirson, Die Einschaltung des Staates bei Bischofsernennungen. Leserzuschrift, in: FAZ, Mittwoch, 8. März 1989 (Nr. 57), S. 14. Noch dezidierter äußert sich in diesem Sinne Ernst-Lüder Solte, wenn er feststellt: "Die Konkordatsnormen, mit denen der Kirche die Kapitelwahl vorgeschrieben wird, sind historisch überholt. Sie stellen Zugeständnisse der Kirche an den Staat dar, mit denen dieser eigentlich nichts Rechtes mehr anfangen kann und wohl auch nicht will, und die das Recht der Kirche für die Zukunft verbietet. Wegen der Verletzung des freien Ämterbesetzungsrechts der Kirchen stehen sie im Widerspruch zur Verfassung. Da diese Normen offenbar auch einer kirchlichen Reform des Verfahrens der Bischofsbestellung entgegenstehen, besteht wirklicher Handlungsbedarf: Sie sollten bei einer Änderung der Konkordate wenn nicht abgeschafft, so doch revidiert werden, damit sie kirchliche Reformen nicht behindern." Vgl. hierzu Ernst-Lüder Solte, Staatskirchenrecht und Kirchenkonflikte. Dargestellt am Beispiel von Bischofsernennungen und Lehrstuhlbesetzungen, in: Eine Kirche - ein Recht? Kirchenrechtliche Konflikte zwischen Rom und den deutschen Ortskirchen. Hrsg. von Richard Puza und Abraham P. Kustermann (= Hohenheimer Protokolle, Bd. 34). Stuttgart: Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart 1990, S. 170.

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Von diesem allgemeinen bzw. abstrakten Verfahren ist zu unterscheiden das Verfahren bei der Besetzung eines konkreten Bischofsstuhles, das sog. relative Listenverfahren. In diesem Fall ist der Kandidat für die Besetzung eines bestimmten vakanten Bischofsstuhles zu ermitteln. Hierbei weist c. 377 § 3 CIC dem jeweiligen päpstlichen Nuntius eine Schlüsselrolle zu. Sofern durch das Konkordatsrecht nicht etwas anderes bestimmt ist, hat der Apostolische Nuntius im Fall der Besetzung eines Bischofsstuhles oder der Ernennung eines Koadjutors mit dem Recht der Nachfolge dem Apostolischen Stuhl einen Dreiervorschlag zu unterbreiten. Für diese Liste hat er einzeln die Vorschläge des Metropoliten, d. h. des Erzbischofs, und der übrigen Bischöfe der betreffenden Kirchenprovinz sowie die Stellungnahme des Vorsitzenden der Bischofskonferenz zu erkunden und diese Stellungnahmen zusammen mit seinem eigenen Votum dem Apostolischen Stuhl zu übersenden. Außerdem soll der Apostolische Nuntius einige Mitglieder des Konsultorenkollegiums, d. h. in Deutschland des Domkapitels, sowie andere Kleriker aus dem Welt- und Ordensklerus und auch Laien einzeln und geheim befragen7 . 2. Kanonische Eignung der Kandidaten für das Bischofsamt

Von den Kandidaten für das Bischofsamt werden gemäß c. 378 § 1 CIC folgende kanonischen Eigenschaften gefordert: Fester Glaube, gute Sitten, Frömmigkeit, Seeleneifer, Lebensweisheit, Klugheit, menschliche Tugenden und jene Qualitäten, die den Kandidaten für das zur Besetzung anstehende Bischofsamt geeignet machen. Ferner: Guter Ruf, ein Mindestalter von 35 Jahren, ein mindestens fünfjähriger priesterlicher Dienst; schließlich ein Doktorat oder wenigstens Lizentiat in Bibelwissenschaft, Theologie oder im kanonischen Recht, jeweils erworben an einer vom Apostolischen Stuhl anerkannten Hochschuleinrichtung, oder wenigstens wirkliche Erfahrung in diesen Disziplinen. Das endgültige Urteil über die Eignung eines Kandidaten steht gemäß c. 378 § 2 CIC dem Apostolischen Stuhl zu. Der Entscheidung geht ein vom jeweiligen Apostolischen Nuntius durchgeführtes Ermittlungsverfahren voraus, der sog. Informativprozeß, in dem die kanonische Eignung des in Aussicht genommenen Kandidaten festgestellt und das vor der anstehenden Ernennung vorgeschriebene Verfahren, z. B. im Falle einer vorausgegangenen Wahl, auf seine kanonische Rechtmäßigkeit überprüft werden kann 8 . Nach die7 Vgl. hierzu im einzelnen Schmitz, Der Diözesanbischof (Anm. 3), S. 337 f. a Vgl. zum Ganzen Schmitz, Der Diözesanbischof (Anm. 3), S. 339 f.

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sen Bestimmungen werden im Bereich der lateinischen Kirche weltweit mit Ausnahme der außerbayerischen deutschen Diözesen, des Erzbistums Salzburg und der drei schweizerischen Bistümer Basel, Chur und St. Gallen die Bischöfe ernannt.

II. Das Verfahren bei der Besetzung der Bischofsstühle in Deutschland 1. Bayerisches Konkordat (Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern) vom 29. März 1924

In Deutschland gilt bei der Besetzung der Bischofsstühle ein durch die geltenden Konkordate begründetes Sonderrecht. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen den im Freistaat Bayern gelegenen Diözesen, für die mit Einschluß des Bistums Speyer die Bestimmungen des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 gelten, ferner zweitens den in den preußischen Nachfolgestaaten gelegenen Diözesen, für welche die Bestimmungen des Preußischen Konkordats vom 14. Juni 1929 Geltung besitzen, drittens der Erzdiözese Freiburg, für die das Bischofswahlrecht des Badischen Konkordats vom 12. Oktober 1932 maßgebend ist, und schließlich den Diözesen Mainz, Rottenburg-Stuttgart und Dresden-Meißen, für die nach Art. 14 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 die Bestimmungen des Badischen Konkordats von 1932 entsprechende Anwendung finden, die ihrerseits wiederum weithin mit den Regelungen des Preußischen Konkordats übereinstimmen 9 . Bei den Verhandlungen über das Bayerische Konkordat vom 29. März 1924 wurde ein Wahlrecht der Domkapitel für die Besetzung der Bischofsstühle in gemeinsamem und einträchtigem Zusammenwirken zwischen dem damaligen Apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., und dem bayerischen Episkopat verhindert. Im Königreich Bayern besaß gemäß Art. 9 des Bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817 der bayerische König das Recht der Besetzung der acht bayerischen Bischofsstühle durch königliche Nomination. Dem Papst blieb lediglich die Möglichkeit, die jeweils vom König ernannten Bischofskandidaten zu bestätigen oder deren Bestätigung zu verweigern. Wiederholt hat der Papst die Bestätigung eines vom König bereits ernannten Kandidaten verweigert. Konflikte größeren Ausmaßes sind wegen dieser Ablehnungen in der Zeit von 1817 bis 1918 im Königreich Bayern nicht entstanden. In denjenigen Fällen, in denen der Papst die Bestätigung eines vom König nominierten Kandidaten 9

Schmitz, Der Diözesanbischof (Anm. 3), S. 338 f.

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verweigert hatte, präsentierte die bayerische Regierung einen Ersatzkandidaten, der dann regelmäßig vom Papst bestätigt wurde 10 . Nach dem Ersten Weltkrieg erklärte der Heilige Stuhl das den katholischen bayerischen Königen eingeräumte Nominationsrecht der Bischöfe für erloschen. Den Versuchen der Bayerischen Staatsregierung, das Nominationsrecht für die Besetzung der Bischofsstühle auf den Bayerischen Ministerpräsidenten zu übertragen, stand der Heilige Stuhl aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnend gegenüber. Die Konkordatsverhandlungen für das notwendig gewordene neue Konkordat wurden in Bayern dadurch erheblich erschwert und auch längere Zeit verzögert, daß verschiedene Mitglieder bayerischer Domkapitel in konspirativem Zusammenwirken mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus und anderen staatlichen Stellen versucht hatten, anstelle des weggefallenen Nominationsrechts des bayerischen Königs nach dem früheren preußischen Vorbild die Aufnahme eines Wahlrechts der Domkapitel für die Bischöfe in das neue Bayerische Konkordat zu erreichen 11 . Hiergegen wandten sich mit Nachdruck die bayerischen Bischöfe und verständlicherweise ebenso auch der Apostolische Nuntius Pacelli und die Römische Kurie. In einem Schreiben vom 9. April1922 an den Nuntius Pacelli faßte Michael Kardinal von Faulhaber, der Erzbischof von München und Freising, die Auffassung des von ihm zur Frage eines möglichen Bischofswahlrechts der bayerischen Domkapitel konsultierten bayerischen Episkopats folgendermaßen zusammen: "Allgemeines Nein! -Der Beschluß der Freisinger Bischofskonferenz von 1920 und 1921 soll aufrechterhalten, das Wahlrecht der Domkapitel also abgelehnt werden. Seine Excellenz von Bamberg schreibt: ,Ich halte es für ein Unglück, wenn den Kapiteln einfachhin das Wahlrecht zugestanden würde; dagegen hätte ich nichts einzuwenden, wenn den Kapiteln Gelegenheit gegeben würde, Vorschläge zu machen, damit nicht Un1o Über die Praxis und das Verfahren der Ernennung der Bischöfe in der bayerischen Monarchie in der Ära der Geltung des Bayerischen Konkordats von 1817 siehe die ganz vorzügliche Darstellung von Anton Scharnagl, Das königliche Nominationsrecht für die Bistümer in Bayern 1817-1918, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung, Bd. 17 (1928), S. 228-263, m.w.N. Vgl. hierzu ferner Beda Bastgen, Bayern und der Heilige Stuhl in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach den Akten des Wiener Nuntius Severoli und der Münchener Nuntien Serra-Cassano, Mercy d' Argenteau und Viale Prela, sowie den Weisungen des römischen Staatssekretariates aus dem vatikanischen Geheimarchiv (= Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte. Bd. 17 u. 18), 2 Teile, München 1940, S. 521 ff. 11 Protokoll der Konferenz des bayerischen Episkopats, Freising, 4.- 5. September 1923, in: Ludwig Volk (Hrsg.), Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bd. 1: 1917-1934, Mainz 1975, S. 305 f.

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verantwortliche (z. B. Ordensleute oder katholische Adelige) Vorschläge zu machen versuchen"' 12 . Auf die Bemühungen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, das hierbei auch die Vertretung der Interessen der an einem Bischofswahlrecht interessierten Mitglieder der bayerischen Domkapitel wahrgenommen hatte, die Aufnahme eines Bischofswahlrechts in das Bayerische Konkordat zu erreichen, reagierte Pacelli in einer Note vom 26. Mai 1923 an den Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus mit apodiktischer Schärfe. Wörtlich schrieb der Apostolische Nuntius: "Der Heilige Stuhl wird beim Abschluß neuer Vereinbarungen nirgends in der Welt seine Freiheit in Ernennung der Bischöfe einschränken lassen. Nur um Bayern einen besonderen Beweis Seines Wohlwollens zu geben, ist Er bereit, als äußerstes Zugeständnis den bayerischen Domkapiteln zu gewähren, daß sie alle drei Jahre direkt an den Heiligen Stuhl eine Liste von Kandidaten einreichen, die sie für das bischöfliche Amt als würdig und geeignet erachten; unter diesen- und den von den Hochwürdigsten Herren Bischöfen bezeichneten- behält sich der Heilige Stuhl freie Auswahl vor. " 13 Auf diesem Hintergrund ist die Bestimmung des Art. 14 § 1 des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 über die Besetzung der Bischofsstühle in Bayern zu verstehen: "In der Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe hat der Hl. Stuhl volle Freiheit. Bei Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Sitzes wird das beteiligte Kapitel dem Hl. Stuhle unmittelbar eine Liste von Kandidaten unterbreiten, die für das bischöfliche Amt würdig und für die Leitung der erledigten Diözese geeignet sind; unter diesen wie auch unter den von den bayerischen Bischöfen und Kapiteln je in ihren entsprechenden Triennallisten Bezeichneten behält sich der Hl. Stuhl freie Auswahl vor. Vor der Publikation der Bulle wird dieser in offiziöser Weise mit der Bayerischen Regierung in Verbindung treten, um sich zu versichern, daß gegen den Kandidaten Erinnerungen politischer Natur nicht obwalten. " 14 Im Ergebnis besagt diese bayerische Regelung, die, wie angemerkt, auch für das Bistum Speyer Geltung besitzt, dessen Gebiet, die frühere 12 Schreiben Kardinal Faulhabers an den Apostolischen Nuntius Pacelli, bei Volk, Akten Kardinal Michael von Faulhabers, (Anm. 11), Bd. 1, S. 249. 13 Note des Apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli, datiert München, 26. Mai 1923, an den Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Franz Matt (nicht veröffentlicht), S. 2 f. Bayerisches Haupt-Staatsarchiv, MK-Abgabe 1989, Reg. Sparte II/74. 14 Vgl. bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, Berlin 1987, S. 498.

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Rheinpfalz, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zum Freistaat Bayern gehört hat, folgendes: Der Papst hat bei der Ernennung der Diözesanbischöfe in Bayern unter den vorgeschlagenen Kandidaten das freie Auswahlermessen und das freie Ernennungsrecht; er ist jedoch an die vorgelegten Listen gebunden, die sowohl von der Freisinger Bischofskonferenz als auch von den einzelnen Domkapiteln in dreijährigem Turnus und unabhängig von einem konkreten Besetzungsfall dem Papst vorgelegt werden. Ist ein Bischofsstuhl vakant geworden, legt das betreffende Domkapitel aus dem gegebenen Anlaß der Vakanz dem Heiligen Stuhl eine zusätzliche Liste vor. Diese letztgenannte Liste wird verständlicherweise erfahrungsgemäß in Rom immer besonders beachtet. Der Heilige Stuhl hat somit die volle Freiheit, unter den zahlreichen Kandidaten, deren Namen auf diesen Listen stehen, für einen vakant gewordenen Bischofsstuhl den jeweiligen Bischof auszuwählen und zu ernennen. Der Heilige Stuhl hat sich jedoch im Bayerischen Konkordat verpflichtet, nur einen Kandidaten zum Bischof zu ernennen, der auf irgendeiner dieser genannten Listen aufgeführt ist. Konflikte irgendwelcher Art haben sich bei der Besetzung von Bischofsstühlen in Bayern seit dem Inkrafttreten des Bayerischen Konkordats vom 29. März 1924 bisher nicht ergeben 15 . Art. 14 des Bayerischen Konkordats enthält auch die sog. Politische Klausel. Danach setzt sich der Heilige Stuhl vor der Bekanntgabe der Ernennungsbulle des neuen Bischofs mit der Bayerischen Staatsregierung in Verbindung und versichert sich, daß gegen den Kandidaten Erinnerungen politischer Natur nicht bestehen, daß somit der in Aussicht genommene Kandidat nicht zu einer politischen Belastung für den Staat werden wird. Soweit bekannt ist, sind in Bayern seitens des Staates gegen einen in Aussicht genommenen Bischofskandidaten bisher noch niemals politische Bedenken gemäß Art. 14 § 1 des Konkordats geltend gemacht worden. 2. Das Preußische Konkordat (Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl nebst Schlußprotokoll) vom 14. Juni 1929

a) Die Neuregelung des Bischofswahlrechts in Preußen Grundlegend verschieden von den Regelungen des Bayerischen Konkordats sind die Bestimmungen, die das Preußische Konkordat über die Besetzung der Bischofsstühle enthält. Bei den langwierigen Verhandlungen über das Preußische Konkordat versuchte der Apostoli15 Das Bayerische Konkordat ist am 24. Januar 1925 in Kraft getreten. Vgl. hierzu bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 1 (Anm. 14), S. 288.

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sehe Nuntius Pacelli anfangs, die Übernahme der bayerischen Regelung in das Preußische Konkordat zu erreichen. Dies erwies sich jedoch als unmöglich. Das Nationalinteresse Preußens, die Furcht der mehrheitlich und insbesondere auch in ihren maßgeblichen Beamten im Kultusministerium protestantisch empfindenden preußischen Bürokratie vor einem zu starken Einfluß Roms auf die Besetzung der Bischofsstühle und das Beharren der preußischen Domkapitel auf dem in Preußen seit 1821 bestehenden Bischofswahlrechtl 6 ließen die Aufnahme des freien Bischofsernennungsrechts des Papstes, wie es in c. 329 § 2 des Codex Iuris Canonici vom 27. Mai 1917 statuiert worden war, in das Preußische Konkordat nicht zu. In erklärtem Gegensatz zu der Bestimmung des Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung, die der Kirche ausdrücklich das freie Ärnterverleihungsrecht garantiert hatte, bestand die Preußische Staatsregierung auf der Beibehaltung des Bischofswahlrechts der Domkapitel und erhob schließlich diese verfassungswidrige Forderung zur conditio sine qua non für den Abschluß des Konkordats. Aus übergeordneten Gesichtspunkten und um das Scheitern der Konkordatsverhandlungen zu vermeiden, stimmten der Apostolische Nuntius Pacelli und auch Papst Pius XI. der Aufnahme des Bischofswahlrechts in das Preußische Konkordat zu. Der Kompromiß, auf den man sich in dieser Frage damals nach mühsamen, langwierigen und konfliktreichen Verhandlungen geeinigt 16 Am 28. Juli 1928 informierte Pacelli den Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, den Breslauer Bischof Kardinal Adolf Bertram, in vertraulicher Weise über den Stand der Konkordatsverhandlungen. Bertram berichtete daraufhin der Fuldaer Bischofskonferenz, Mitglieder von preußischen Domkapiteln übten auf den Kultusminister Druck aus, um das Bischofswahlrecht zu sichern. Dies schwäche die Verhandlungsposition Pacellis. Mitgeteilt bei Heinz Mussinghoff, Theologische Fakultäten im Spannungsfeld von Staat und Kirche. Entstehung und Auslegung der Hochschulbestimmungen des Konkordats mit Preußen von 1929, dargelegt unter Berücksichtigung des Preußischen Statutenrechts und der Bestimmungen des Reichskonkordats, Mainz 1979, S. 246 mit Anm. 346.- Der preußische Staat betrachtete die Sicherung des Bischofswahlrechts der preußischen Domkapitel als ein Anliegen und eine Aufgabe des preußischen Staates. Vgl. hierzu die instruktiven Angaben in der Biographie über den damaligen preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker, bei: Erich Wende, C.H. Becker, Mensch und Politiker. Ein biographischer Beitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1959, S. 278. Becker war im Jahre 1921 und von 1925 bis 1930 preußischer Kultusminister und in der Regierung des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun beim Abschluß des Preußischen Konkordats federführend. - Über die Entstehungsgeschichte des Preußischen Konkordats vgl. die eingehende dokumentarische Darstellung bei Georg May, Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, Bd. 2 (= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 34), Amsterdam 1982, S. 394-454, m.w.N.

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hatte, fand seinen Niederschlag in den Artikeln 6 und 7 des Preußischen Konkordats. Diese beiden Bestimmungen haben folgenden Wortlaut: "Artikel6: (1) Nach Erledigung eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Metropolitan- oder Kathedralkapitel als auch die Diözesanerzbischöfe und -bischöfe Preußens dem Heiligen Stuhle Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser Listen benennt der Heilige Stuhl dem Kapitel drei Personen, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat. Der Heilige Stuhl wird zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel nach der Wahl durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, daß Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen. (2) Bei der Aufstellung der Kandidatenliste und bei der Wahl wirken die nichtresidierenden Domkapitulare mit. Artikel 7: Zum Praelatus nullius und zum Koadjutor eines Diözesanbischofs mit dem Rechte der Nachfolge wird der Heilige Stuhl niemand ernennen, ohne vorher durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt zu haben, daß Bedenken politischer Art gegen den Kandidaten nicht bestehen." 17

b) Die Aufstellung der Wahlliste des Domkapitels Für den konfliktfreien Normalfall einer Bischofswahl, der hier zuerst vorausgesetzt und behandelt werden soll, besagen diese Bestimmungen des Preußischen Konkordats heute folgendes: Im Falle der Vakanz eines Bischofsstuhls in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Freistaates Preußen reichen das betreffende Domkapitel und alle Diözesanbischöfe, deren Bischofssitz in einem preußischen Nachfolgestaat liegt, das sind die Erzbischöfe und Bischöfe von Köln, Münster, Essen, Aachen, Trier, Limburg, Paderborn, Hildesheim, Osnabrück und Fulda sowie der Bischof von Berlin, dem Heiligen Stuhl Listen von Kandidaten ein, die kanonisch geeignet sind und nach der Meinung des betreffenden Domkapitels und der Diözesanbischöfe als Kandidaten für den vakanten Bischofsstuhl in Frage kommen. Wie viele Perso17 Abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 14), Bd. 2, Berlin 1987, S. 715f.

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nen das betreffende Domkapitel und auch die Diözesanbischöfe, diese jeder für sich, dem Heiligen Stuhl vorschlagen sollen oder vorzuschlagen berechtigt sind, ist in Art. 6 des Preußischen Konkordats nicht festgelegt. Auf der Grundlage dieses Verfahrens werden dem Heiligen Stuhl Listen mit den Namen einer größeren Anzahl von Kandidaten unterbreitetl 8 . Der Heilige Stuhl benennt "unter Würdigung dieser Listen" dem Kapitel drei Personen. Daß der Heilige Stuhl in irgendeiner Weise gebunden oder verpflichtet wäre, nur Kandidaten aus diesen Listen oder aus der Liste des betreffenden Domkapitels zu entnehmen oder mindestens einen von diesen Kandidaten auf den päpstlichen Dreiervorschlag zu setzen, folgt aus Art. 6 des Preußischen Konkordats nicht. Der preußische Staat hat zwar auf kaltem Wege und gewissermaßen durch die Hintertür versucht, eine derartige Interpretation des Art. 6 des Preußischen Konkordats zu postulieren und der Öffentlichkeit zu insinuieren, jedoch blieb diesen Bemühungen der Erfolg versagt. In der Regierungsbegründung zum Preußischen Konkordat, die zusammen mit dem Vertragstext dem Preußischen Landtag zugeleitet wurde, findet sich nämlich die von der Preußischen Staatsregierung einseitig und ohne vorherige Rücksprache mit dem Heiligen Stuhl getroffene Feststellung, daß sich der Heilige Stuhl verpflichte, die von dem betreffenden Domkapitel und den preußischen Diözesanbischöfen für jeden einzelnen Besetzungsfall eingereichten Vorschläge, ohne im übrigen auf sie beschränkt zu sein, so zu würdigen, daß er die dem Kapitel zu benennenden Personen möglichst aus diesen Vorschlägen entnehmen werde 19 . In der Völkerrechtspraxis gilt der Grundsatz, daß beim Abschluß von Verträgen einseitige öffentliche Erklärungen eines Vertragspartners über die Interpretation des Vertragsinhalts als zugestanden gelten, wenn nicht der andere Vertragspartner seinerseits dieser Vertragsinterpretation öffentlich widerspricht. Dies ist seitens des Heiligen Stuhls gegenüber dieser einseitigen Erklärung der Preußischen Staatsregierung geschehen. Der Heilige Stuhl wußte sich zu wehren. In den Acta Apostolicae Sedis des Jahres 1929 finden sich zur Interpretation des Art. 6 des Preußischen Konkordats zwei Erklärungen. In der Konkordatsgeschichte und in der Konkordatspraxis ist dies ein einmaliger und bisher nicht wiederholter Vorgang. In der ersten Erklä1s Vgl. hierzu im einzelnen Klaus Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle unter besonderer Berücksichtigung des Listenverfahrens, Bonn und Köln/Berlin 1933, 8.121 ff. 19 Regierungsbegründung zum Preußischen Konkordat, abgedruckt bei Listl, Konkordate und Kirchenverträge, Bd. 2 (Anm. 17), S. 730 f.

57 Sbd. List!

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rung stellt der Heilige Stuhl fest, daß er im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 6 des Preußischen Konkordats an die Vorschlagslisten der Domkapitel und der Diözesanbischöfe nicht in der Weise gebunden sei, daß er nicht auch einen Kandidaten benennen könne, dessen Name nicht auf einer der dem Apostolischen Stuhl eingereichten Listen gestanden habe 20 . In der zweiten Erklärung, vier Wochen später, präzisiert der Apostolische Stuhl zur Vermeidung von Mißverständnissen seine erste Erklärung durch die Feststellung, er sei nicht in der Weise an die Vorschlagslisten der Domkapitel und Bischöfe Preußens gebunden, daß er, sofern er dies für notwendig und tunlieh erachte, nicht auch andere Personen, deren Namen sich nicht auf den Listen befänden, auf den päpstlichen Dreiervorschlag setzen könne 21 . Damit war der einseitigen Erklärung der Preußischen Staatsregierung widersprochen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als diese berechtigten präzisierenden Stellungnahmen des Apostolischen Stuhls stillschweigend zu akzeptieren und damit als zutreffend anzuerkennen. Es bleibt somit festzustellen: Kein Domkapitel hat einen Anspruch darauf, daß ein Kandidat aus seiner eigenen Vorschlagsliste in den Dreiervorschlag Aufnahme findet, den der Heilige Stuhl dem betreffenden Domkapitel unterbreitet und aus dem es den Bischof zu wählen hat. Die naturgegebene und in vielen Fällen unvermeidliche unterschiedliche und bisweilen auch gegensätzliche Interessenlage zwischen den Vorstellungen des betreffenden Domkapitels und denjenigen des Heiligen Stuhls bei der Besetzung eines vakanten Bischofssitzes hat der große Münchener Kanonist Klaus Mörsdorf (1909-1989) bereits im Jahre 1933, also wenige Jahre nach dem Inkrafttreten des Preußischen Konkordats, folgendermaßen umschrieben: Bei Aufstellung der Liste werde das betreffende Domkapitel sein besonderes Augenmerk auf solche Persönlichkeiten zu richten haben, die zur Leitung gerade dieser erledigten Diözese am besten geeignet seien. Und zwar könne das Kapitel beliebig viele Kandidaten vorschlagen, die jedoch immer kanonisch geeignet sein müßten. Die Liste werde dann unter strengster Geheimhaltung unmittelbar an den Heiligen Stuhl eingeschickt. Wenn das Preußische Konkordat neben der Liste des Kapitels auch eine solche der Bischöfe eingeführt habe, so liege darin zweifellos eine weitere Beschränkung des früheren Rechts der Domkapitel, den künftigen Bischof von sich aus selbst zu bestimmen. Doch werde man anerkennen müssen, daß die Neuordnung gerade in diesem Punkte ActaApostolicae Sedis, 21. Jhg. (1929), S. 527. Acta Apostolicae Sedis, 21. Jhg. (1929), S. 577. Vgl. hierzu bei Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle (Anm. 18), S. 126. 2o 21

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große Vorzüge in sich berge; denn man habe mit Recht befürchten müssen, daß bei Aufstellung der Kapitelslisten "nicht immer der erforderliche Weitblick" vorhanden sei. Jedes Kapitel habe nun einmal eine besondere Vorliebe für Persönlichkeiten seiner engeren Umgebung und werde sich nur in Ausnahmefällen bereit finden, auch einen seiner Diözese nicht angehörigen Geistlichen vorzuschlagen. Anders bei dem preußischen Episkopat, den die Vertretung derartiger Sonderwünsche nicht so sehr belaste. "Er kann", erklärt Mörsdorf, "freier und ungebundener aus allen deutschen Priestern seine Kandidaten auswählen, so daß die bischöfliche Liste in der Tat eine willkommene Ergänzung der des Kapitels ist. " 22 Das Bischofswahlrecht der preußischen Domkapitel wurde im Preußischen Konkordat vom 14. Juni 1929 gegenüber dem früheren Rechtszustand erheblich reduziert. Während des 19. Jahrhunderts und bis zum Inkrafttreten des Codex Iuris Canonici vom 2 7. Mai 1917 besaßen die Domkapitel in der preußischen Monarchie das freie Bischofswahlrecht, an dessen Ausübung sie jedoch infolge des Zusammenwirkens zwischen dem Papst und dem preußischen König häufig gehindert wurden. Gegenüber dem früheren Rechtszustand wurde durch Art. 6 des Preußischen Konkordats das frühere freie Bischofswahlrecht der Domkapitel auch dem Wortlaut des Konkordats nach erheblich eingeschränkt. Ulrich Stutz, ein erstrangiger Kenner aller Fragen und Feinheiten des Bischofswahlrechts, wie es während des 19. Jahrhunderts und bis zum Inkrafttreten des Codex Iuris Canonici von 1917 bestanden hatte, bemerkte zu der Regelung des Art. 6 des Preußischen Konkordats: "Es springt in die Augen, daß das keine Wahl im alten Sinne, in dem selbsteigener Bestimmung des künftigen Bischofs mehr ist, sondern nur eine Abwandlung des Satzes des Codex: Episcopos libere nominat Romanus Pontifex, verbunden mit einer Verbeugung vor dem bisher wahlberechtigten und damit besetzungsberechtigten Kapitel, dem nur noch ein Rest von Wahl, nämlich die Entscheidung unter drei vom Heiligen Stuhl bestimmten Persönlichkeiten gelassen wird. " 23

22

Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle (Anm. 18),

s. 124f.

23 Ulrich Stutz, Konkordat und Codex, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzung vom 11. Dezember 1930, Stück XXXII, Berlin 1930, S. 702. Den abgeschwächten Charakter des jetzigen Wahlrechts der Domkapitel gegenüber dem früheren Zustand betont auch Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle (Anm. 18), S. 128 f.

57*

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c) Der Vorgang der Bischofswahl nach dem Preußischen Konkordat Zum Wahlvorgang selbst: Die Benennung der drei Personen, aus denen das Domkapitel in geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat, ist ausschließliche Angelegenheit des Heiligen Stuhls. Eine irgendwie geartete Mitbestimmung Dritter, z. B. des staatlichen Konkordatspartners oder irgendwelcher innerkirchlicher Gruppen, die in sich einen Drang zur Mitsprache fühlen, ist im Preußischen Konkordat nicht vorgesehen. So wird z. B. in der von 163 katholischen Theologieprofessoren unterzeichneten und am 26. 1. 1989 veröffentlichten sog. Kölner Erklärung "Wider die Entmündigung- für eine offene Katholizität. Kölner Erklärung katholischer Theologieprofessorinnen und -professoren vom Dreikönigsfest" an der gegenwärtigen universalkirchlichen Praxis der Ernennung der Bischöfe eine pauschale, bemerkenswert undifferenzierte, von den Autoren im einzelnen nicht begründete, die Zwangsläufigkeit des kirchenhistorischen Entwicklungsprozesses und die Erfordernisse der Leitung der Gesamtkirche verkennende und in einer unqualifizierten Diktion vorgetragene Kritik geübt. Wörtlich wird in der genannten "Erklärung" ausgeführt: "1. Im Hinblick auf dieneueren römischen Bischofsernennungen auf der ganzen Welt, vor allem in Österreich, in der Schweiz und hier in Köln, erklären wir: Es gibt traditionelle, auch kodifizierte Rechte für die Mitwirkung der Ortskirchen, welche bis heute die Geschichte der Kirche geprägt haben. Sie gehören zum vielgestaltigen Leben der Kirche. Wenn Ortskirchen durch Bischofsernennungen oder durch andere Maßnahmen (wie in Lateinamerika, in Sri Lanka, in Spanien, in den Niederlanden, in Österreich, der Schweiz und hier in Köln), die oft auf falschen Analysen und Verdächtigungen beruhen, diszipliniert werden, werden sie ihrer Eigenständigkeit beraubt. Die Öffnung der katholischen Kirche für die Kollegialität zwischen Papst und Bischöfen, die eines der zentralen Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist, wird in einem neuen römischen Zentralismus erstickt. Die Herrschaftsausübung, wie sie in den neueren Bischofsernennungen zum Ausdruck kommt, steht im Gegensatz zur Brüderlichkeit des Evangeliums, zu den positiven Erfahrungen mit der Entfaltung der Freiheitsrechte und zur Kollegialität der Bischöfe. Die derzeitige Praxis behindert den ökumenischen Prozeß in wesentlichen Punkten.

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Bezogen auf die "Kölner Affäre", halten wir es für skandalös, in einem laufenden Verfahren die Wahlordnung zu ändern. Das Bewußtsein für Verfahrensgerechtigkeit wurde dadurch empfindlich getroffen. Ansehen und Würde des päpstlichen Amtes erfordern einen sensiblen Umgang mit der Macht und mit gewachsenen Institutionen. Die Kandidatenauswahl für das Bischofsamt bringt die Vielgestaltigkeit der Kirche angemessen zum Ausdruck; der Ernennungsvorgang ist keine private Auswahl des Papstes. Die Rolle der Nuntiaturen wird heute immer fragwürdiger. Obwohl die Wege der Nachrichtenvermittlung und der persönlichen Rücksprache kurz geworden sind, gerät die Nuntiatur immer mehr in das Odium eines Nachrichtendienstes, der oft durch einseitige Auswahl der Informationen die Abweichungen erst schafft, die er sucht. Der in jüngster Zeit öfter erklärte und beanspruchte Gehorsam von Bischöfen und Kardinälen gegenüber dem Papst erscheint als blind. Der kirchliche Gehorsam im Dienst am Evangelium verlangt die Bereitschaft zu konstruktivem Widerspruch (vgl. Codex Juris Canonici, Canon 212, Paragraph 3). Wir fordern die Bischöfe dazu auf, sich an das Beispiel des Paulus zu erinnern, der mit Petrus versöhnt blieb, obwohl er ihm in der Frage der Heidenmission ,ins Angesicht hinein widerstand' (Galaterbrief 2, 11)" 24 . Nach dem Wortlaut des Konkordats "hat" das Domkapitel aus den drei Personen, die der Heilige Stuhl ihm benennt, den Erzbischof oder Bischof zu wählen. Dies bedeutet: Das Wahlrecht ist eine Wahlpflicht. Dies bedeutet ferner: Das Domkapitel ist bei seiner Wahl auf die drei Personen beschränkt, die der Heilige Stuhl ihm benannt hat. Weitere Personen stehen ihm weder bei der Vorlage des Dreiervorschlags noch später zur Verfügung. Das Domkapitel steht vor der Alternative, entweder aus diesen drei Personen den Bischof zu wählen oder überhaupt nicht zu wählen. Eine andere Möglichkeit besteht nicht 25 • Das Kapitel genügt seiner Wahlpflicht nicht bereits dadurch, daß es eine Reihe von durchaus ernsthaften, aber vergeblichen Wahlgängen bzw. von Wahlversuchen unternimmt. Dies wäre eine Fehlinterpretati24 Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Donnerstag, 26. 1. 1989 (Nr. 22), S. 7. Das tendenzielle Anliegen der Verfasser und Unterzeichner der sog. "Kölner Erklärung" in bezug auf die Ernennung von Bischöfen wurde von einem zeitgenössischen Kritiker auf die einprägsame Formel gebracht: "Nicht der Papst soll die Bischöfe ernennen, sondern wir wollen die Bischöfe machen." 25 Georg May, Höffner-Nachfolge in Köln: Die päpstlichen Argumente dürfen nicht übersehen werden. Die Domherren müssen sich schon einigen, in: Rheinischer Merkur I Christ und Welt, 9. 12. 1988 (Nr. 50), S. 2.

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on des Konkordatstextes 26 . Das Kapitel ist vielmehr rechtlich verpflichtet, nicht nur Wahlversuche zu unternehmen, sondern den Erzbischof oder Bischof zu "wählen", also eine erfolgreiche Wahl vorzunehmen, indem es aus den drei Personen eine zum Erzbischof oder Bischof wählt. In diesem Zusammenhang ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß der dem deutschen Konkordatstext gleichberechtigte italienische Wortlaut des Konkordats im Hinblick auf den Wahlvorgang scharf unterscheidet zwischen "votare", d. h. Wahlgänge oder Wahlversuche vorzunehmen, und dem Wort "eleggere", d. h. einen Kandidaten tatsächlich zu wählen. Im italienischen Konkordatstext heißt es: Das Domkapitel "ha da eleggere per votazione libera e segreta". Das Kapitel hat in einem freien und geheimen Wahlvorgang den Erzbischof oder Bischof tatsächlich und erfolgreich auszuwählen 27 . Zutreffend hat hierzu Georg May ausgeführt: "Ob diese Kandidaten dem Domkapitel behagen oder nicht, ist völlig irrelevant. Der Einwand, der Heilige Stuhl habe eine wählbare Liste vorzulegen, ist daher nicht nur sprachlich verunglückt, sondern verkehrt die im Preußischen Konkordat vereinbarte Ordnung des Vorgehens bei der Bischofswahl in ihr Gegenteil. Wenn diese Auslegung richtig wäre, dann läge es in der Macht des Domkapitels, zu bestimmen, welche Kandidaten der Heilige Stuhl auf die Liste setzt, es brauchte sich nämlich nur so lange zu weigern, den Erzbischof zu wählen, bis der Kandidat benannt wird, den es haben möchte. " 28 Die Wahl ist "frei". Dies bedeutet, daß das Domkapitel berechtigt ist, jeden der drei ihm benannten Kandidaten zu wählen. Der Heilige Stuhl ist rechtlich gebunden, denjenigen der drei Kandidaten zum Erzbischof oder Bischof zu ernennen, den das Domkapitel gewählt hat. Die Tatsache, daß durch die Plazierung der Kandidaten auf dem Dreiervorschlag oder aus anderen Gründen dem Domkapitel erkennbar ist, daß der Papst möglicherweise einen bestimmten Kandidaten mit Vorzug vor den anderen beiden auf dem zu besetzenden Bischofsstuhl sähe, behindert in keiner Weise die Freiheit der Wahl 29 . Ferner hat die Wahl geheim zu erfolgen, und zwar durch Stimmzettel. May, ebd. Diesbezügliche Hinweise bei Martin Kriele, Kein Widerspruch zum "Geist des Konzils". Leserzuschrift, in: FAZ, 9. 3. 1989 (Nr. 58), S. 14. 2s May, Höffner-Nachfolge in Köln (Anm. 25), S. 2. 29 Anderer Auffassung ist Knut Walf. Er leitet aus der Tatsache, daß in der deutschen Öffentlichkeit über Presse, Rundfunk und Fernsehen bereits am 17. und 18. 11. 1988, also bereits fast vier Wochen vor der schließlich am 21. 12. 1988 erfolgten Wahl von Kardinal Meisner zum Erzbischof von Köln, die Meldung verbreitet wurde, der Papst werde den Bischof von Berlin, Kardinal Meisner, am 18. oder 19.11. 1988 zum Erzbischof von Köln ernennen, die Folgerung 26

27

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Ist die Wahl vollzogen, obliegt es dem betreffenden Domkapitel, bei der jeweiligen Staatsregierung des preußischen Nachfolgestaates oder, wenn sich das betreffende Bistum auf mehrere Bundesländer erstreckt, bei den zuständigen Staatsregierungen durch Anfrage festzustellen, daß gegen den Gewählten Bedenken politischer Art nicht bestehen30 . Der Wortlaut des Konkordatstextes über die Verknüpfung der erfolgten Wahl, der Anfrage bei der Staatsregierung und der schließliehen Ernennung des gewählten Kandidaten zum Erzbischof oder Bischof ist apodiktisch formuliert. Der Heilige Stuhl wird zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel nach der Wahl durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, daß Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen. Der Fall, daß einmal aus dem vorgelegten Dreiervorschlag es nicht zur erfolgreichen Wahl eines der drei Kandidaten kommen könnte, ist im Konkordatstext nicht vorgesehen. Es überstieg offensichtlich die Vorstellungsweit der Konkordatspartner, daß ein derartiger Fall einmal eintreten könnte. Warum dies bei der letzten Besetzung des Erzbischöflichen Stuhls in Köln dennoch geschehen ist, und wie die Angelegenheit schließlich mit den Mitteln des Rechts gelöst und bewältigt worden ist, ist anschließend zu erörtern. Vorab ist jedoch noch auf die Bestimmungen des Badischen Konkordats und des Reichskonkordats über die Bischofsernennungen einzugehen.

ab, das Kölner Domkapitel sei bei der später vorgenommenen Wahl nicht mehr "frei" gewesen. Ferner zieht Walf die Freiheit der Wahl des Kölner Domkapitels mit dem Argument in Zweifel, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lekmann von Mainz, habe auf einer Pressekonferenz bei seiner Rückkehr aus Rom, bevor das Domkapitel zur Wahl des neuen Erzbischofs geschritten sei, öffentlich erklärt, der Papst halte an seinem Kandidaten, Kardinal Joachim Meisner fest. Vgl. hierzu Knut Walf, Die Kölner Bischofswahl war nicht frei, in: Orientierung, 53. Jhg. (1989), S. 2-4. Walf verkennt hierbei, daß, wie dies im Konkordat ausdrücklich bestimmt ist, das Domkapitel die souveräne Freiheit hat, in geheimer Wahl mit Stimmzetteln jeden der drei ihm unterbreiteten Kandidaten zu wählen. 30 Zum Sinn und zur praktischen Bedeutung der "Politischen Klausel" vgl. im einzelnen Werner Weber, Die politische Klausel in den Konkordaten. Staat und Bischofsamt, Harnburg 1939, (Neudruck Aalen 1966); Joseph H. Kaiser, Die Politische Klausel der Konkordate, Berlin 1949; Eugen H. Fischer, Die politische Klausel des Reichskonkordates und ihre rechtliche Tragweite, in: Theologische Quartalschrift (Tübingen), 134. Jhg. (1954), S. 352-376.

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Kirchenorganisation 3. Das Badische Konkordat (Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Baden) vom 12. Oktober 1932

Das noch heute für den Landesteil Baden des Landes Baden-Württemberg und damit für das Gebiet des Erzbistums Freiburg geltende Badische Konkordat sieht in seinem Artikel III für die Besetzung des Erzbischöflichen Stuhles in Freiburg folgende, dem zeitlich früheren Preußischen Konkordat nachempfundene Regelung vor: "(1) Nach Erledigung des Erzbischöflichen Stuhles reicht das Domkapitel dem Heiligen Stuhl eine Liste kanonisch geeigneter Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser sowie der durch den Erzbischof jährlich einzureichenden Listen benennt der Heilige Stuhl dem Domkapitel drei Kandidaten, aus denen es in freier geheimer Abstimmung den Erzbischof zu wählen hat." Jedoch ist es dem badischen staatlichen Konkordatspartner gelungen, dem Heiligen Stuhl eine Konzession zugunsten des badisch-freiburgischen Regionalismus abzuringen. Im Konkordat findet sich nämlich der Zusatz: "Unter den drei Benannten wird mindestens ein Angehöriger der Erzdiözese Freiburg i. Br. sein." Im Schlußprotokoll zu Artikel III Abs. 1 wurde folgende ergänzende und interpretierende Vereinbarung getroffen: "Als Angehöriger der Erzdiözese Freiburg gilt auch ein aus der Erzdiözese stammender Geistlicher, der in derselben seine Studien ganz oder teilweise absolviert und wenigstens zeitweise im Dienste der Erzdiözese gestanden hat." Im Preußischen Konkordat fehlt eine diesbezügliche Regelung. Festgestellt werden kann jedenfalls, daß im Erzbistum Freiburg seit dem Irrkrafttreten des Badischen Konkordats bisher immer nur Priester aus dem Erzbistum Freiburg zum Erzbischof von Freiburg gewählt worden sind. 4. Das Reichskonkordat (Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich) vom 20. Juli 1933

Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 bestand lediglich für die drei Bistümer Rottenburg (heute Rottenburg-Stuttgart), Mainz und Meißen (heute Dresden-Meißen) im Hinblick auf die Besetzung der betreffenden bischöflichen Stühle keine konkordatäre Regelung. Deshalb wurde in Artikel 14 des Reichskonkordats bezüglich dieser drei Diözesen die Regelung des Badischen Konkordats für entsprechend anwendbar erklärt. In diesem Sinne bestimmt Art. 14 Satz 2 des Reichskonkordats folgendes: "Bezüglich der Besetzung von Bischöflichen Stühlen findet auf die beiden Suffraganbistümer Rottenburg und Mainz wie auch für

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das Bistum Meißen die für den Metropolitansitz der Oberrheinischen Kirchenprovinz Freiburg getroffene Regelung entsprechende Anwendung." Dies bedeutet, daß auch auf dem Dreiervorschlag des Heiligen Stuhls für die Wahl des Bischofs von Rottenburg-Stuttgart der Name eines Kandidaten stehen muß, der ein Angehöriger dieses Bistums ist. In historischer Betrachtung ist festzustellen, daß auch im Bistum Rottenburg-Stuttgart bisher nur Kandidaten zum Bischof gewählt wurden, die aus diesem Bistum stammten.

m. Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Wiederbesetzung des Kölner Erzbischöflichen Stuhls

1. Die Änderung der Statuten des Kölner Metropolitankapitels

Bei der Wiederbesetzung des Kölner Erzbischöflichen Stuhls mit der Person des früheren Bischofs von Berlin, Joachim Kardinal Meisner, wurde das Preußische Konkordat einer bis dahin noch nicht dagewesenen Belastungsprobe unterworfen. Losgetreten wurde die Lawine bereits zu einem Zeitpunkt, an dem dies noch niemand voraussehen konnte, nämlich am 17. Januar 1986, dem Tag, an dem der frühere Kölner Erzbischof, Joseph Kardinal Höffner, die am selben Tage vom Metropolitankapitel in Köln beschlossenen neuen Statuten dieses Kapitels genehmigt hat. Bei dieser Novellierung der Statuten des Kölner Domkapitels wurde nämlich ein von den Bestimmungen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 abweichendes Verfahren für die Wahl des Kölner Erzbischofs festgelegt. Beim Abschluß des Preußischen Konkordats vom 14. Juni 1929 wurde zwischen den Konkordatspartnern über das bei der Wahl des Bischofs anzuwendende Verfahren keine Abrede getroffen. Es wurde, wie auch im Hinblick auf viele andere Umstände, gewissermaßen als Vertragsgrundlage, das geltende Wahlrecht des Codex Iuris Canonici vom 27. Mai 1917 vorausgesetzt. Dieses Wahlrecht, enthalten in can. 321 in Verbindung mit can. 329 § 3 CIC/1917, bestimmte für die Wahl eines Bischofs, daß derjenige gewählt war, auf den die absolute Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen entfiel. Die Statuten des Kollegiums, das zur Wahl des Bischofs berechtigt war, konnten auch noch eine höhere Anzahl von Stimmen als die absolute Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen vorsehen. Dieses Wahlverfahren, das die absolute Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen vorsah, war im Codex Iuris Canonici von 1917 ein Sonderrecht und galt nur für die Wahl eines Bischofs, ei-

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nes Abts oder eines Praelatus nullius, d. h. in der heutigen kanonistischen Terminologie eines Gebietsprälaten. Für alle übrigen Wahlen, die von einem Kollegium bzw. einem Kapitel vorzunehmen waren, galt das allgemeine Wahlrecht des can. 101 § 1 CIC/1917. Danach galt bei Wahlen von Kollegialorganen, zu denen die Domkapitel gehörten, derjenige als gewählt, auf den im ersten oder zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen entfiel. Im dritten Wahlgang war derjenige gewählt, auf den die relative Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen entfiel. Bei Stimmengleichheit konnte der Vorsitzende mit seiner Stimme den Ausschlag geben; wollte er dies nicht tun, galt derjenige als gewählt, der der älteste war im Hinblick auf den Empfang des Weihesakramentes oder die Ablegung der Ordensprofeß oder schließlich das Lebensalter. In den Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 wurde das Sonderwahlrecht für Bischöfe, Abte und Gebietsprälaten nicht mehr übernommen. Der Codex Iuris Canonici von 1983 kennt in can. 119 nur noch das der Bestimmung des can. 101 CIC/1917 entsprechende allgemeine Wahlrecht. Danach gilt, daß bei allen Wahlen, die von Kollegialorganen vorgenommen werden, zu denen auch die Domkapitel gehören, derjenige gewählt ist, der bei Anwesenheit von wenigstens der Mehrheit der Einzuladenden die absolute Mehrheit der Stimmen der Anwesenden auf sich vereinigt. Nach zwei erfolglosen Wahlgängen findet eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die den höchsten Stimmenanteil erhalten haben, oder, im Falle der Stimmengleichheit, zwischen den beiden Kandidaten, die dem Lebensalter nach die älteren sind. Bleibt es nach dem dritten Wahlgang bei Stimmengleichheit, gilt derjenige als gewählt, der dem Lebensalter nach der ältere ist. Dies bedeutet im Ergebnis: Im dritten Wahlgang fällt nach dem Wahlverfahren des can. 119 CIC/1983 auf jeden Fall die Entscheidung für einen Kandidaten, der dann als Erzbischof oder Bischof gewählt ist. Die Bestimmung des can. 119 CIC läßt jedoch einem Domkapitel die Möglichkeit, vom allgemeinen Wahlrecht des Codex Iuris Canonici abzuweichen und für die Wahl einen höheren Stimmenanteil zu fordern. Von dieser Möglichkeit hat das Kölner Metropolitankapitel in seinen Statuten vom 17. Januar 1986 Gebrauch gemacht. Dies soll aus der wohlmeinenden Erwägung erfolgt sein, daß der künftige Erzbischof von Köln bei seinem Amtsantritt die Gewißheit haben sollte, nicht nur von der relativen, sondern von der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Kölner Domkapitels gewählt worden zu sein. Abweichend von der Bestimmung des can. 119 CIC wurde deshalb in § 39 Abs. 3 der Statuten des Kölner Metropolitankapitels festgelegt, daß derjenige bei der Wahl des Erzbischof gewählt ist, der die Stirn-

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menmehrheit aller wahlberechtigten Mitglieder des Domkapitels, d. h. also mindestens neun von sechzehn Stimmen, erhalten hat. Nach zwei erfolglosen Wahlgängen habe eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten stattzufinden, die den höheren Stimmteil erhalten haben, oder, wenn es mehrere seien, zwischen den beiden, die dem Lebensalter nach die Älteren seien. Die Stichwahl sei solange fortzusetzen, bis einer die Mehrheit aller wahlberechtigten Mitglieder des Domkapitels erhalten habe. Diese Bestimmung klingt an sich gut und plausibel und war zweifellos gut gemeint. Sie war nur, wie sich später herausstellte, für die Praxis nicht tauglich. Rein formal war die vom allgemeinen Kirchenrecht des Codex Iuris Canonici abweichende Bestimmung des§ 39 Abs. 3 der Statuten des Kölner Metropolitankapitels rechtsgültig beschlossen worden. Can. 505 CIC bestimmt, daß ein jedes Kapitel, gleich ob Kathedral- oder Kollegiatkapitel, eigene Statuten haben muß, die durch einen rechtmäßigen Akt vom Kapitel beschlossen und vom Diözesanbischof genehmigt worden sind. Im Hinblick auf das für die Wahl des Bischofs erforderliche Quorum der gültig abgegebenen Stimmen kann, wie bereits bemerkt, gemäß can. 119 CIC ein Kollegium von den Bestimmungen des allgemein~n Kirchenrechts abweichen und eine größere Zahl, als in can. 119 CIC vorgesehen, fordern. Die Statuten eines Kapitels können ohne Genehmigung des zuständigen Diözesanbischofs nicht geändert oder aufgehoben werden. Eine Bestätigung dieser Statuten durch Rom ist im Codex Iuris Canonici nicht vorgesehen. Tatsächlich stellte sich später heraus, daß sich das Kölner Domkapitel mit diesen Statuten ein Hindernis in den Weg gelegt hatte, das es ihm in dem konkreten Fall unmöglich machte, den Erzbischof von Köln zu wählen, und das es mit eigenen Kräften auch nicht mehr beseitigen konnte. Eine Änderung dieser Statuten wäre nämlich nur mit Zustimmung des amtierenden Erzbischofs möglich gewesen. Nach dem Tod von Joseph Kardinal Höffner war dieser Weg dem Kapitel aber verschlossen. Es stellt sich die Frage, ob diese vom Kölner Domkapitel vorgenommene und von der allgemeinen Regelung des Codex Iuris Canonici abweichende Änderung der Statuten konkordatsrechtlich zulässig war. Diese Frage ist ganz evident zu verneinen. In diesem Zusammenhang könnte man z. B. auch die Frage stellen, ob ein Domkapitel in den preußischen Nachfolgestaaten sich auch Statuten geben dürfte, in denen für die Wahl des Erzbischofs oder Bischofs nach dem Vorbild der Papstwahlordnung eine Mehrheit von zwei Dritteln aller Mitglieder zuzüglich einer weiteren Stimme des betreffenden Domkapitels vorgeschrieben wäre. In diesem Falle wäre es zweifellos noch schwieriger, die erforderliche Mehrheit für einen Kan-

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didaten zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine erfolgreiche Wahl in diesem Fall nicht stattfinden würde, wäre noch viel größer. Richtiger Auffassung nach ist davon auszugehen, daß das Wahlverfahren, wie es im Codex Iuris Canonici von 1917 vorgesehen war und gegenwärtig im Codex Iuris Canonici von 1983 für Kollegialorgane vorgesehen ist, die Geschäftsgrundlage für den Abschluß des Preußischen Konkordats gebildet hat und auch heute noch bildet. Dieses Wahlverfahren darf von den zur Wahl eines Bischofs berechtigten Domkapiteln nicht eigenmächtig geändert werden. Dies führt zu dem Ergebnis, daß die vom Kölner Metropolitankapitel in § 39 seiner Statuten vom 17. Januar 1986 vorgenommene Änderung zwar formalrechtlich zulässig, jedoch konkordatswidrig ist und deshalb revidiert werden muß. Das Kölner Metropolitankapitel und sämtliche Domkapitel, die zur Wahl eines Bischofs berechtigt sind, sind konkordatsrechtlich verpflichtet, in ihren Statuten ein Wahlverfahren für die Besetzung der erzbischöflichen oder bischöflichen Stühle festzulegen, das, soweit dies überhaupt möglich ist, in jedem denkbaren Falle die erfolgreiche Wahl des Erzbischofs oder Bischofs garantiert. 2. Zur Frage einer einvernehmlichen Lösung durch die Konkordatspartner

Das kanonische Recht sieht seit jeher, gegenwärtig in Gestalt des can. 165 CIC, eine Regelung für den Fall vor, daß ein Kollegialorgan innerhalb der ihm zur Vornahme der Wahl vorgegebenen Frist nicht zu einer erfolgreichen Wahl kommt. Nach can. 165 CIC darf für den Fall, daß einem Kollegialorgan oder einem Personenkreis das Wahlrecht für ein Amt zukommt, die Wahl nicht über eine Nutzfrist (tempus utile) von drei Monaten hinaus aufgeschoben werden. Diese Frist ist im Falle der Bischofswahl von dem Tag an zu berechnen, an welchem dem Domkapitel der päpstliche Dreiervorschlag zugeleitet wird. Ist diese Frist ungenutzt verstrichen, obliegt es der kirchlichen Autorität, der das Recht zur Bestätigung der Wahl oder das Recht zur Amtsübertragung ersatzweise zusteht, das unbesetzte Amt frei zu übertragen (sog. "Devolutionsrecht") 31 . Diese lapidare Aussage bedeutet, daß nach dem ergebnislosen Ablauf der Dreimonatsfrist im Falle des Kölner Metropolitankapitels das Recht zur Ernennung des Erzbischofs von Köln auf den Papst übergegangen war. Selbstverständlich hat in einem derarti-

31 In diesem Sinne im Falle des Preußischen Konkordats bereits Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle (Anm. 18), S. 131 und S. 139 f. Im CIC/1917 war das Devolutionsrecht in can. 178 in Verbindung mit can. 161 geregelt.

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genFallnach dem Geist des Preußischen Konkordats vor der Ernennung des Erzbischofs durch den Papst eine Kontaktaufnahme in Gestalt einer förmlichen Mitteilung über den erfolglosen Ablauf der Dreimonatsirist und eines Gesprächs zwischen den Konkordatspartnern stattzufinden. Eine Lösung des Problems kann aber nicht darin gesehen werden, daß der staatliche Konkordatspartner vom Heiligen Stuhl die Vorlage einerneuen oder auch nur ergänzten Liste an das Domkapitel verlangen könnte 32 • Ebensowenig steht dem staatlichen Konkordatspartner ein Recht zu, in Fortführung der in der preußischen Monarchie bestehenden Praxis mit dem Heiligen Stuhl in Verhandlungen über eine dem Domkapitel und womöglich auch dem staatlichen Konkordatspartner selber genehme Persönlichkeit für die Besetzung des vakanten erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhls einzutreten. Ein derartiger Anspruch besteht nicht und verbietet sich aufgrund des Wortlauts des Konkordats. Der Heilige Stuhl ist seiner Verpflichtung aus Art. 6 des Preußischen Konkordats dadurch in vollem Umfang nachgekommen, daß er dem Domkapitel eine Liste mit drei Personen zur Wahl vorgeschlagen hat. Ob das betreffende Kapitel eine totale Wahlenthaltung übt oder trotz verschiedener erfolgloser Wahlversuche wegen innerer Uneinigkeit, wie im Kölner Fall, nicht zur Wahl des Bischofs gelangt ist, spielt keine Rolle. Das Domkapitel ist nicht nur gegenüber dem Heiligen Stuhl, sondern auch gegenüber dem staatlichen Konkordatspartner verpflichtet, den Erzbischof oder Bischof zu wählen. Kommt das Domkapitel dieser Wahlpflicht nicht nach, kann diese Tatsache seitens des staatlichen Konkordatspartners nicht dem Heiligen Stuhl angelastet werden. Richtiger Ansicht nach ist für den Fall, daß das Domkapitel innerhalb der vom kanonischen Recht vorgeschriebenen Dreimonatsfrist nicht zu einer erfolgreichen Wahl gelangt ist, der staatliche Konkordatspartner verpflichtet, anzuerkennen, daß der Heilige Stuhl seinen konkordatsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, und zuzu32 Georg May hat hierzu, wie bereits angemerkt, mit Recht festgestellt, daß es bei Zugrundelegung eines Anspruchs des Domkapitels oder des staatlichen Konkordatspartners auf Vorlegung einer neuen Liste seitens des Heiligen Stuhls in der Macht des Domkapitels läge, zu bestimmen, welche Kandidaten der Heilige Stuhl auf die Liste setze; es bräuchte sich nämlich nur solange zu weigern, den Erzbischof zu wählen, bis der Kandidat benannt wird, den es haben möchte. Das Preußische Konkordat lege gegenüber dieser falschen Auffassung ein ausgewogenes Gleichgewicht bei der Wahl des Erzbischofs fest: Der Heilige Stuhl habe das Recht, drei Personen zu benennen, das Domkapitel sei berechtigt, aus ihnen eine zum Erzbischof zu wählen. Vgl. hierzu May, HöffnerNachfolge in Köln (Anm. 25), S. 2.

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stimmen, daß der Papst in diesem Fall, wie dies in can. 165 CIC festgelegt ist, den Kandidaten seinerseits frei ernenne 3 . Es ist nun behauptet worden, das Preußische Konkordat regele die Bischofsernennung "abschließend", so daß das kanonische Recht bzw. die Bestimmungen des Codex Iuris Canonici hier keine Geltung beanspruchen könnten. Diese Behauptung ist zum Teil richtig, zum Teil falsch. Konkordatsrecht geht gemäß can. 3 CIC insoweit dem Codex Iuris Canonici vor, als im Konkordat selbst ausdrücklich etwas vom Codex Iuris Canonici Abweichendes geregelt ist. Dies ist der Fall im Hinblick auf das Recht und die Pflicht des Domkapitels zur Wahl des Bischofs aus der Dreierliste. Bereits der Modus der Bischofswahl ist durch das kanonische Recht, nicht aber durch das Konkordatsrecht geregelt. Auch die Dreimonatsfrist, die als allgemeinverbindlich betrachtet wird, findet sich nicht im Kqnkordatsrecht, sondern im kanonischen Recht. Aus dem Kreise der Vertreter der Staatskirchenrechtswissenschaft hat sich im Sinne einer Beschränkung der Rechte des Papstes zur Ernennung eines Bischofs nach erfolglosem Ablauf der Dreimonatsfrist 33 Diese Auffassung vertreten May, Höffner-Nachfolge in Köln (Anm. 25), S. 2; Peter Landau, Das Wahlrecht der Domkapitel. Leserzuschrift, in: FAZ, 3. Januar 1989 (Nr. 2), S. 8. Wörtlich erklärt Landau: "Es kann kein Zweifel sein, daß in einem solchen Fall der Verweigerung der Wahlausübung in Deutschland, wo es keine Staatskirche gibt, für die katholische Kirche die Normen des kanonischen Rechts gelten müssen"; Martin Kriele, Der Papst hat recht, in: Rheinischer Merkur I Christ und Welt vom 9. 12. 1988 (Nr. 50), S. 22. Kriele erklärt zu dieser Frage: "Das Konkordat setzt den Normalfall voraus, daß das Domkapitel seiner Pflicht nachgekommen ist und einen aus der Dreier-Liste gewählt hat. Die Möglichkeit, daß sich das Domkapitel der Erfüllung dieser Pflicht verweigert, ist im Konkordat nicht vorgesehen. Die Frage, wie alsdann zu verfahren ist, kann folglich nicht nach Konkordatsrecht entschieden werden. Es bleibt nur die Regelung nach allgemeinem Kirchenrecht, das heißt, daß der Papst den Erzbischof nach eigenem Ermessen ernennt." Wie Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle (Anm. 18), S. 139 hierzu ausführt, obliegt in einem Fall, in dem das Domkapitel sein Wahlrecht verloren hat und die freie Ernennung durch den Papst eingetreten ist, die Pflicht zur Befragung der Staatsregierung nach politischen Bedenken nicht dem Domkapitel, sondern dem Heiligen Stuhl. Anderer Ansicht Axel Hopfauf, Die Ernennung von Bischöfen nach dem Preußischen Konkordat- Anmerkungen zur Kölner Bischofswahl, in: Neue Juristische Wochenschrift 1989, S. 1265, jedoch ohne eine Lösungsperspektive zur Beilegung des Konfliktes aufzuzeigen. Hopfauf begnügt sich damit, festzustellen, daß eine schiedlich-friedliche Beilegung von Meinungsverschiedenheiten durch loyale, im Geiste der Freundschaft geführte Verhandlungen herbeigeführt werden müßte. Dem ist selbstverständlich zuzustimmen. Die Frage ist jedoch, wie zu verfahren ist, wenn zwischen den beiden Konkordatspartnern eine einvernehmliche Lösung, wie dies in der Kölner Angelegenheit der Fall war, nicht gefunden wird. Mit dieser Frage läßt Hopfauf den Leser allein.

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schriftlich und öffentlich bisher nur Alexander Hollerbach in Form eines KNA-Interviews geäußert34 . Hollerbach vertritt die Auffassung, "daß in einem solchen Fall zunächst der Versuch unternommen werden muß, durch Kontakte zwischen dem Domkapitel und Rom Voraussetzungen zu schaffen, daß es doch noch zu einer erfolgreichen Wahl des Domkapitels kommt. " 35 Dies muß wohl im Sinne einer Empfehlung oder Forderung verstanden werden, den Dreiervorschlag des Papstes zu ergänzen und einen dem Domkapitel genehmen bzw. für das Domkapitel "wählbaren" Kandidaten auf die Liste zu setzen. Dies ist jedoch gerade im Konkordat nicht vorgesehen und durch den Ausnahmecharakter des Sonderrechts, das den Domkapiteln im Preußischen Konkordat eingeräumt worden ist, ausgeschlossen. Bereits Mörsdorf hat erklärt, daß das Wahlrecht der Domkapitel innerhalb des Codex Iuris Canonici ein "Privileg, und zwar ein vertraglich gebundenes Privileg" darstellt, das der Papst nur im Einverständnis mit der preußischen Regierung aufheben kann 36 • Unter einem Privileg ist ein bestimmtes, natürlichen oder juristischen Personen durch einen besonderen Akt des Gesetzgebers gewährtes Sonderrecht zu verstehen, das, sofern es einem Gesetz zum Vorteil von Einzelpersonen widerstreitet, einer engen Auslegung unterliegt und daher nicht ausdehnend interpretiert werden darf 37 . Hubert Müller leitet aus der Tatsache, daß can. 329 CIC/1917 über die Ernennung von Bischöfen bestimmt hatte, der Papst ernenne die Bischöfe frei, und für den Fall, daß einem Kollegium das Recht zur Wahl des Bischofs zugestanden worden sei, auf die entsprechende Vorschrift des can. 321 CIC/1917 verwiesen hatte, während can. 377 § 1 CIC/1983 von der früheren Formulierung des can. 329 CIC/1917 deutlich abweiche und erkläre, der Papst ernenne die Bischöfe frei oder bestätige die rechtmäßig Gewählten, die Folgerung ab, daß nunmehr "grundsätzlich beide Formen der Verleihung des Bischofsamtes durch

34 Vgl. hierzu "Ernennung durch den Papst wäre lediglich eine ultima ratio". Staatskirchenrechtier Hollerbach nennt Leitlinien für Bischofswahl, in: Katholische Nachrichten Agentur KNA, Das Interview, Nr. 70, Samstag, 15. Oktober 1988, s. 1f. 35 Hollerbach, KNA-Interview (Anm. 34), S. 1. 36 Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle (Anm. 18), s. 133. 37 Vgl. can. 68 in Verbindung mit can. 50 CIC/1917; can. 76 § 1 in Verbindung mit can. 36 § 1 CIC/1983. Dieser Grundsatz, der auch in can. 18 CIC/1983 Ausdruck gefunden hat, wonach Gesetze, die eine Ausnahme vom Gesetz enthalten, einer engen Auslegung unterliegen, ist auch auf die Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 des Preußischen Konkordats anzuwenden.

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den Papst gleichberechtigt nebeneinander" stünden38 . Diese Auffassung verdient grundsätzlich Zustimmung, soweit hierbei die Verleihung bzw. Übertragung des Bischofsamtes durch den Papst und nicht die Auswahl der Personen gemeint ist. Diese Gleichwertigkeit der Verleihung des Bischofsamtes durch den Papst war auch bereits unter der Geltung des Codex Iuris Canonici vom 27. Mai 1917 gegeben. Insoweit besteht zwischen der Geltung des can. 377 § 1 CIC/1983 und der Vorschrift des can. 329 in Verbindung mit can. 321 CIC/1917 keinerlei inhaltlicher, sondern lediglich ein rechtlich bedeutungsloser rein formaler Unterschied. Im Anschluß an Müller vertritt Alexander Hollerbach die Auffassung, die Form der freien Ernennung der Bischöfe durch den Papst und der Bestätigung einer rechtmäßigen Wahl seien nunmehr prinzipiell gleichberechtigt nebeneinandergestellt und es gelte mithin normativ nicht mehr das alte Regel-Ausnahmeverhältnis. Die Wahl könne nicht mehr unter dem Vorzeichen einer bloßen Konzession betrachtet werden. Hollerbach möchte der Vorschrift des can. 377 § 1 CIC für das bestehende Konkordatsrecht dort, wo Wahlrechte existieren, sogar "einen Paradigmenwechsel, eine Auswechslung des rechtsgrundsätzliehen Hintergrundes" entnehmen. Die neue Grundnorm verschaffe dem domkapitularischen Wahlrecht eine in dieser Weise bisher nicht gekannte innerkirchliche bzw. kirchenrechtliche Legitimität. Dies sei zu seinem lebhaften Erstaunen in den Auseinandersetzungen im Fall Köln und in anderen Fällen nur ganz selten gesehen worden 39 . Diese Auffassung von Hollerbach beruht auf einer Überinterpretation des Wortlauts des can. 377 § 1 CIC. Sie verkennt, daß sich materiellrechtlich durch can. 377 § 1 gegenüber der früheren Rechtslage nicht das geringste geändert hat. Can. 377 § 1 trifft keine irgendwie geartete Änderung der Rechtsgrundlage, aufgrund derer die Wahl eines Bischofs erfolgt. Geschah diese bisher aufgrund einer konkordatären Konzession, dann bleibt es dabei. Für das Recht der Bischofswahl in den deutschen Konkordaten bedeutet dies: Die Wahl bleibt, was sie bisher war, nämlich eine "Konzession" des Heiligen Stuhls. Can. 377 § 1 will keine Aussage über die Form der Bezeichnung einer Person (designatio personae), der das Bischofsamt übertragen werden soll, machen (ob freie Ernennung oder Wahl), sondern lediglich über die Form 3B Hubert Müller, Aspekte des Codex Iuris Canonici 1983, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 29 (1984), S. 534. 39 Alexander Hollerbach, Staat und Bischofsamt, in: Gisbert Greshake (Hrsg.), Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche. Mit Beiträgen von Richard Potz u.a. (= Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg). München-Zürich 1991, S. 51 ff.

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der Bestellung durch den Papst (collatio officii); diese kann Ernennung oder Bestätigung sein. Was in can. 377 § 1 "gleichberechtigt" nebeneinandergestellt wird, ist nicht die freie Ernennung und die rechtmäßige Wahl, sondern die Ernennung und die Bestätigung als Weisen der Bischofsbestellung durch den Papst. In der Argumentation von Hollerbach verschieben sich unausgesprochen und unmerklich die Bezugsebenen. Aus der gleichberechtigten Form der Amtsübertragung durch den Papst (collatio officii) wird die gleichberechtigte Weise der Auswahl der Person (freie Ernennung durch den Papst und Wahl durch das Kapitel). Hierfür ist jedoch der Bestimmung des can. 377 § 1 CIC nichts zu entnehmen. Im übrigen hat sich auch die kirchliche Praxis in keiner Weise geändert. Daß das Wahlrecht der Domkapitel aus der Sicht des Heiligen Stuhls ein konkordatsrechtliches vertragliches Privileg bzw. eine Konzession und damit ein Ausnahmerecht darstellt, beweist die Tatsache der freien Besetzung des Bischöflichen Stuhles von Dresden-Meißen mit der Person von Bischof Joachim Friedrich Reinelt. Nachdem die Regierung der früheren Deutschen Demokratischen Republik das Reichskonkordat nicht mehr angewandt hatte, sah auch der Heilige Stuhl keine Notwendigkeit mehr, bei der Besetzung des Bischofsstuhls von Dresden-Meißen die Bestimmungen des Reichskonkordats zu beobachten. Der gegenwärtige Diözesanbischof von Dresden-Meißen, Joachim Friedrich Reinelt, wurde deshalb nicht gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Reichskonkordats gewählt, sondern vom Papst am 2. Januar 1988frei ernannt. Dies zeigt, daß das Recht der Domkapitel, einen Bischof zu wählen, eben nicht zum ius commune gehört, sondern eine Ausnahme und ein Sonderrecht darstellt 40 . Auch Walf erblickt in dieser Hinsicht zwischen der Regelung im CIC/1917 und im CIC/1983 keinen Unterschied. Gegenüber Hartmann, der die Meinung vertritt, can. 377 § 1 CIC/1983 sei deshalb positiv zu bewerten, weil darin im Gegensatz zum früheren CIC/1917 die Bestätigung von rechtmäßig zum Bischof Gewählten durch den Papst ausdrückiich vorgesehen sei 41 , bemerkt Walf zutreffend, Hartmann interpretiere "doch mehr in diesen Canon, als dieser bietet". Walf stellt zu Recht die Frage, was denn der Unterschied zu can. 329 § 3 CIC/1917 sei, "der das bestehende Wahlrecht von Kollegialorganen ausdrücklich garantierte" 42 .

40 Zur Besetzung des Bischöflichen Stuhls von Dresden-Meißen mit der Person von Bischof Joachim Friedrich Reinelt vgl. bei Joseph Listl, Die Bistumsgrenzen in Deutschland. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung, in: Pax et iustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag, Berlin 1990, S. 252 mit Anm. 35. 41 Hartmann, Der Bischof (Anm. 5), S. 116.

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Auch aus der Entstehungsgeschichte des can. 377 § 1 CIC/1983 läßt sich kein begründetes Argument zugunsten einer Aufwertung des Wahlrechts von Bischöfen durch die Domkapitel oder andere Wahlgremien im Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 herleiten. Im Schema Canonum Libri II De populo Dei lautete der dem heutigen can. 377 § 1 CIC entsprechende can. 228 § 1: "Episcopos libere nominat Summus Pontifex, aut legitime electos confirmat". Hartmut Zapp bemerkte zu dieser Bestimmung bereits im Jahre 1980 völlig zutreffend: "Das ist sicher eine begrüßenswerte Formulierung, doch läßt sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür finden, daß nach dem Entwurf dieses Wahlrecht etwas anderes ist als im CIC, eben partikulares Ausnahmerecht. " 43 Ferner unterscheidet Hollerbach den Fall, daß das Domkapitel beispielsweise aus Gründen der Nachlässigkeit eine von Rom gesetzte Frist hat verstreichen lassen und von seinem Wahlrecht überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat, von dem anderen Fall, in dem sich das Kapitel, wie er schreibt, "ernsthaft bemüht hat, zu einer Entscheidung zu kommen". Auf jeden Fall könne der Heilige Stuhl nicht sofort eine Ernennung vornehmen. Dies wäre nach der Meinung Hollerbachs "lediglich als eine ultima ratio möglich" 44 . Hier erhebt sich sofort die Frage, wer dann in einem konkreten Fall darüber zu entscheiden oder mitzuentscheiden hätte, ob das betreffende Domkapitel sich "ernsthaft" bemüht habe, zu einer Entscheidung zu kommen, und ob die "ultima ratio" vorliege. In Frage kämen der Papst, die beiden beteiligten Landesregierungen und das Domkapitel. Die aus vielen Quellen gespeiste und manipulierte öffentliche Meinung würde sich, wie die Kölner Situation gezeigt hat, mit Vehemenz und großer Resonanz in den Streit einschalten. Hierbei wäre eine konkordatsrechtliche Auseinandersetzung unvorstellbaren Ausmaßes vorprogrammiert45 . Tatsächlich be42 Vgl. Knut Walf, Es schwelt weiter. Keine Ruhe um Bischofsernennungen, in: Orientierung, 54. Jhg. (1990), S. 81. 43 Hartmut Zapp, Die Bischofsernennung nach dem geltenden Recht und nach dem Entwurf des "liber II de populo Dei" von 1977, in: Concilium, 16. Jhg. (1980), s. 503. 44 Hollerbach, KNA- Interview (Anm. 34). 45 Einen bemerkenswerten Anschauungsunterricht in dieser Hinsicht bildet die publizistische Begleitmusik zu den Auseinandersetzungen über die Wiederbesetzung des Erzbischöflichen Stuhles in Köln nach dem Tode von Kardinal Höffner. Im "Kölner Stadtanzeiger" erschienen unter der Überschrift "Darf der Papst Verträge brechen?" empörte Leserbriefe, weil der Papst es angeblich abgelehnt hatte, auf seinen Dreiervorschlag den Namen eines derjenigen Kandidaten zu setzen, die ihm vom Domkapitel ursprünglich vorgeschlagen worden waren. Das "heute-journal" des Zweiten Deutschen Fernsehens veranstaltete eine Umfrage darüber, warum der Papst wohl Verträge breche, wobei die Be-

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steht nur eine konkordatsgemäße Lösungsmöglichkeit: Nämlich die beteiligten Landesregierungen sind im Interesse der baldigen Besetzung des betreffenden bischöflichen Stuhls nach der ratio conventionis, d. h. nach dem Sinn und Zweck des Konkordats, verpflichtet, auf eine entsprechende Anzeige des Heiligen Stuhls hin ihre Zustimmung zu erteilen, daß der Papst in einem solchen Falle den Erzbischof oder Bischof seinerseits unmittelbar frei und möglichst bald ernennt. Dabei könnte die betreffende Landesregierung verlangen, daß der vom Papst zu ernennende Erzbischof oder Bischof dem Dreiervorschlag entnommen wird, der dem Domkapitel vorher unterbreitet worden war. Es muß jedoch als ausgeschlossen gelten, daß die Landesregierungen in eine Personaldiskussion mit dem Heiligen Stuhl über den zu ernennenden Erzbischof oder Bischof eintreten. Im Kölner Fall konnte der Heilige Stuhl die Zustimmung der beteiligten Landesregierungen zur Ernennung des Erzbischofs nicht erhalten46. Es erscheint rückschauend als ein gravierendes Faktum, daß der Apostolische Nuntius in einer Stellungnahme vom 14. Dezember 1988 demZweiten Deutschen Fernsehen für eine Sendung u.a. folgendes zur Veröffentlichung mitgeteilt hat: "Im vorliegenden Fall geht es um Verhandlungen zwischen Völkerrechtssubjekten. Hierbei gehört es zu den Grundregeln, daß beide beteiligten Parteien vollkommene Vertraulichkeit wahren. Dies ist eine der notwendigen Bedingungen, um zu einem gegenseitigen Übereinkommen zu gelangen. Läßt man diese grundlegende Norm außer acht- und das geschieht bei der hier behandelten Frage zur Zeit immer wieder-, so entstehen zumindest Zweifel an dem guten Willen derjenigen, die sich so verhalten und diese Norm verletzen, ob sie überhaupt eine für beide Seiten annehmbare Lösung erreichen wollen. Angesichts einer solchen Situation könnte man versucht sein, den Schluß zu ziehen, daß es sich nicht lohne, den Dialog fortzuführen. " 47 fragten als selbstverständlich voraussetzten, der Papst habe dies getan, und darauf mit entsprechend bösartigen Mutmaßungen reagierten. Vgl. hierzu im einzelnen die Angaben bei Martin Kriele, Nach einer abenteuerlichen Manipulation der Öffentlichkeit. Hintergründe des Kölner Investiturstreits, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 1. 1989 (Nr. 18), S. 8. 46 Zu diesem Zwecke fand am 16. November 1988 in Bonn eine im Ergebnis bedauerlicherweise erfolglos verlaufene eingehende Besprechung zwischen dem Apostolischen Nuntius und den beiden Ministerpräsidenten der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz statt. 47 Stellungnahme des Apostolischen Nuntius Erzbischofs Dr. Joseph Uhac für die ZDF-Sendung am 14. Dezember 1988 zum Thema der Neubesetzung des Erzbischöflichen Stuhles zu Köln. Manuskript (nicht veröffentlicht). Zu den Vorgängen um die Kölner Bischofswahl stellt Solte, Staatskirchenrecht und Kirchenkonfklikte (Anm. 6), S. 158 f., fest, es müsse in einem Staat, dessen Ver58*

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3. Die rechtliche Lösung der Konkordatsprobleme bei der Wiederbesetzung des Erzbischöflichen Stuhles in Köln

Im Kölner Fall bot sich jedoch noch eine andere Lösung an, um die anfänglich ausweglos erscheinende konkordatsrechtliche Situation einer rechtlich einwandfreien und kirchenpolitisch konfliktfreien Lösung zuzuführen. Auszugehen ist davon, daß nach dem erfolglosen Ablauf der Dreimonatsfrist das Wahlverfahren als beendet zu gelten hatte und das Wahlrecht des Kölner Domkapitels für dieses Mal erloschen bzw. verwirkt war. Darauf hinzuweisen ist von Bedeutung. Das Domkapitel war als handelnder Partner ausgeschieden. Von einem schwebenden Verfahren konnte deshalb im Hinblick auf die Ausübung des Wahlrechts des Domkapitels vom 8. Oktober 1988, d. h. von dem Tag an, an dem die Dreimonatsfrist abgelaufen war, nicht mehr gesprochen werden 48 . In dieser Situation bot sich rechtlich nunmehr folgende Möglichkeit an: Der Papst konnte aufgrundseiner Gesetzgebungsgewalt, durch die er nicht nur universalkirchliche, sondern auch partikularrechtliche Gesetze, Statuten und Verwaltungsakte aufheben kann49 , den§ 39 der Statuten des Kölner Metropolitankapitels vorübergehend suspendieren, d. h. außer Kraft setzen, und dem Kölner Domkapitel die Möglichkeit bzw. die Chance bieten, nach den Bestimmungen des allgemeinen Kirchenrechts, d. h. gemäß can. 119 CIC/1983, noch einmal zu wählen. Diese Anregung war dem Papst schließlich auch vom Kölner Domkapitel selbst unterbreitet worden. Auf der Grundlage dieses universalkirchlichen Wahlrechts wurde dann der jetzige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner aus dem ursprünglichen unveränderten Dreiervorschlag gewählt. Entgegen einer dpa-Falschmeldung, nach der Karfassungdie Trennung von Staat und Kirche fordere, überraschen, wenn der Ministerpräsident eines Bundeslandes 867 Jahre nach Beendigung des Investiturstreits das Recht in Anspruch nehme, auf die Besetzung von Bischofsstühlen Einfluß zu nehmen oder gezwungen sei, in einem Konflikt zwischen Domkapitel und Heiligem Stuhl Stellung zu beziehen. Abschließend stellt Solte (ebd., S. 160) die Frage: "Warum konnte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident aber nicht schweigen? Warum hatte Johannes Rau überhaupt Veranlassung, sich mit der Entscheidung des Papstes auseinanderzusetzen?" 48 Dies wird grundlegend verkannt von Walf, Die Kölner Bischofswahl (Anm. 29), S. 4, der von einem "Einsatz der juristischen Brechstange durch die Veränderung der Wahlordnung während des Verfahrens" spricht. 49 Der Papst kann kraft seiner universalen Leitungsgewalt in allen Teilkirchen unmittelbar eingreifen und sich direkt an alle Gläubigen wenden, ohne hierzu einer Ermächtigung oder Erlaubnis einer örtlich oder personell zuständigen Autorität zu bedürfen. Vgl. hierzu im einzelnen Rene Metz, Der Papst, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 259 f.

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dinal Joachim Meisner nur mit sechs Stimmen gewählt worden sein soll, hat er tatsächlich die absolute Mehrheit aller Mitglieder des Kölner Domkapitels auf sich vereinigt50 .

so In einem Interview mit der Katholischen Nachrichten Agentur vom 22. Juni 1989 kam der Apostolische Nuntius, Erzbischof Joseph Uhac, noch einmal auf die Wahl von Kardinal Joachim Meisner zum Erzbischof von Köln zu sprechen. Er beschrieb den Ablauf der Wahl als korrekt und erklärte abschließend wörtlich: "Erwähnenswert erscheint mir, daß die Domkapitulare, deren Wahlfreiheit übrigens auch in der geltenden Wahlordnung des neuen Kirchenrechts unangetastet blieb, den neuen Erzbischof schließlich doch mit der absoluten Stimmenmehrheit der Mitglieder gewählt haben." Katholische NachrichtenAgentur KNA, Aktueller Dienst Inland, Nr. 143, Freitag, 23. Juni 1989, S. 2.

Die Ordensgemeinschaften und ihre Angehörigen in der staatlichen Rechtsordnung Vorbemerkung 1. Der vorliegende Beitrag behandelt ganz überwiegend die katholischen Ordensgemeinschaften und ihre Angehörigen. Der Grund hierfür liegt nicht nur darin, daß die Zahl der Ordensangehörigen der katholischen Kirche ungleich größer ist als die Zahl der Mitglieder der Bruderschaften und Kommunitäten in den evangelischen Landeskirchen, sondern vor allem auch darin, daß die katholische Kirche über ein in Jahrhunderten ausgebildetes und differenziertes kirchliches Ordensrecht verfügt, während die Bruderschaften und Kommunitäten in den evangelischen Kirchen keinen fest bestimmten rechtlichen Status besitzen.

2. Hieraus erklärt es sich auch, daß die Bestimmungen der staatlichen Rechtsordnung über die Ordensgemeinschaften und ihre Mitglieder nahezu ausschließlich die katholischen Orden betreffen. Im Unterschied zu den Konkordaten, in denen zahlreiche Bestimmungen zum Schutze der Ordensgemeinschaften und der Tätigkeit ihrer Mitglieder enthalten sind, finden die Bruderschaften und Kommunitäten in den evangelischen Kirchenverträgen keine Erwähnung. Auch die zum Ordensrecht ergangene verhältnismäßig umfangreiche Rechtsprechung der staatlichen Gerichte betrifft nahezu ausschließlich die katholischen Ordensgemeinschaften und deren Mitglieder. 3. Aus Gründen der religionsrechtlichen Parität finden jedoch

staatskirchenrechtlich die Bestimmungen und die vertraglichen Abma-

chungen über die Ordensgemeinschaften und deren Mitglieder auch auf die in den evangelischen Kirchen bestehenden Bruderschaften und Kommunitäten und deren Mitglieder Anwendung. Staatskirchenrechtlich stehen den evangelischen Bruderschaften und Kommunitäten dieselben Rechte und Befugnisse zu wie den katholischen Orden. Sie sind, ebenso wie die katholischen Ordensgemeinschaften, z. B. Träger des Grundrechts der Religionsfreiheit und des verfassungsrechtlichen Erstveröffentlichung in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2. Auflage, hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pirson, Bd. I, Berlin: Verlag Duncker & Humblot 1994, S. 840-863.

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Selbstbestimmungs-, Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts. Sie erwerben die Rechtsfähigkeit nach denselben Bestimmungen wie die katholischen Ordensgemeinschaften und verfügen über dieselbe Gründungs-, Niederlassungs- und Betätigungsfreiheit Die den katholischen Orden in den Konkordaten verbürgte Garantie ihres Vermögens gilt ebenso auch für die evangelischen Kommunitäten und Bruderschaften.

I. Die Ordensgemeinschaften im innerkirchlichen Recht und im Staatskirchenrecht 1. Die Ordensgemeinschaften im innerkirchlichen Recht

a) Katholische Kirche Den religiösen Orden kommt im Leben der katholischen Kirche und darüber hinaus für die gesamte gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung in Staat und Gesellschaft von der Urkirche über die Spätantike und das Mittelalter bis zur Neuzeit eine große und kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Dies gilt auch für die Gegenwart. 1 Ordensgemeinschaften im weitesten Sinne des Wortes sind von der zuständigen kirchlichen Autorität kanonisch errichtete Vereinigungen von Männern oder Frauen, die sich im Dienste der Nachfolge Christi und der Kirche freiwillig in einer auf Dauer angelegten Lebensweise gemäß den jeweiligen Bestimmungen ihrer Gemeinschaft verbunden und zur Befolgung der evangelischen Räte verpflichtet haben (c. 573 CIC). Die kirchenamtliche Verpflichtung zu einem Leben der Armut (Verzicht auf persönliches Eigentum), der Keuschheit (Ehelosigkeit) und des Gehorsams sowie die Bindung des einzelnen Ordensmitglieds an seine Gemeinschaft kann gemäß den jeweiligen Bestimmungen der Statuten oder Konstitutionen entweder durch Ordensgelübde oder durch einen Eid oder eine andere qualifizierte Form eines religiösen Versprechens erfolgen. Das frühere Ordensrecht, das im Kirchlichen Gesetzbuch (Codex luris Canonici) vom 27. 5. 1917 zusammengeiaßt war, unterschied zwi1 Zur geschichtlichen Entwicklung, gegenwärtigen Bedeutung und zur Vielfalt der Ordensgemeinschaften in der katholischen Kirche s. die umfassende Darstellung von Max Heimbucher, Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche. 5. Aufl. (= Nachdr. der 3., großenteils neubearb. Aufl. von 1933), Paderborn, München, Wien 1987, 2 Bde.; Fairy von Lilienfeld, Mönchtum II. Christlich, in: TRE, Bd. 23, 1994, S. 150-193; ferner Karl Suso Frank/ Friedrich Wulf I Bruno Primetshofer, Art. Orden, in: StL 7 IV, 1988, Sp. 173-188.

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sehen Orden im engeren Sinn, Kongregationen, Genossenschaften mit gemeinsamem Leben ohne öffentliche Gelübde und Säkularinstituten. Das in der katholischen Kirche gegenwärtig geltende Ordensrecht ist in seinen Grundlagen enthalten im Codex Iuris Canonici vom 25. 1. 1983, der am 27. 11. 1983 in Kraft getreten ist. Der kirchenamtliche Oberbegriff für die Ordensgemeinschaften lautet nunmehr "Institute des geweihten Lebens" (Instituta vitae consecratae; vgl. cc. 573 ff.). Zu den Instituten des geweihten Lebens gehören die Ordensinstitute (cc. 607-709) und die Säkularinstitute (cc. 710-730), deren Mitglieder in der Welt, d. h. nicht in Gemeinschaft, leben, sich aber auf die evangelischen Räte verpflichtet haben. Ihnen stehen gegenüber die Gesellschaften des apostolischen Lebens, deren Mitglieder ohne kirchenamtliche Gelübde ein brüderliches Leben in Gemeinschaft führen. Sie haben sich zu ihrem Dienst durch eine Weihe verpflichtet (cc. 731-746). 2 Alle Ordensgemeinschaften (Institute des geweihten Lebens) und ebenso auch die Gemeinschaften des apostolischen Lebens besitzen im innerkirchlichen Bereich, d. h. im Bereich des kanonischen Rechts, mit ihrer Errichtung automatisch Rechtspersönlichkeit und haben den Rang einer "öffentlichen juristischen Person" gemäß c. 116 § 1. 3 Dies gilt auch für die vom Heiligen Stuhl errichteten nationalen Vereinigungen der Höheren Ordensobern und -Oberinnen. Derzeit sind in der Vereinigung Deutscher Ordensobern (VDO) 95 Höhere Obere der 2 Vgl. hierzu Joseph Listl, Die Ordensgemeinschaften in der kirchlichen Rechtsordnung, in: Anton Schneider (Hrsg.), Christus-Nachfolge. Ordensgemeinschaften im Bistum Augsburg. Augsburg 1992, S. 11 ff. Nach dem untechnischen deutschen Sprachgebrauch wird für die "Institute des geweihten Lebens" und die "Gemeinschaften des apostolischen Lebens" allgemein der Begriff "Ordensgemeinschaften" und für deren Angehörige der Begriff "Ordensleute" verwendet. Zur Stellung der Ordensgemeinschaften innerhalb der katholischen Gesamtkirche und insbesondere zur Tätigkeit der Ordensgemeinschaften in Deutschland s. in diesem Handbuch Karl Eugen Schlief, § 11 Die Organisationsstruktur der katholischen Kirche. III. Die religiösen Ordensgemeinschaften (mit aktuellen statistischen Angaben). 3 Auf die kanonistische '!YPologie der verschiedenen Ordensgemeinschaften im früheren und gegenwärtigen Ordensrecht kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Bruno Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage des Codex luris Canonici 1983 unter Berücksichtigung des staatlichen Rechts der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz. 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1988, S. 32 ff.; ders., Die Religiosenverbände, in: HdbKathKR, S. 486 ff.; Hubert Müller, Grundfragen der Lebensgemeinschaften der evangelischen Räte, ebd., S. 476 ff.; RudolfWeigand, Die Säkularinstitute, ebd., S. 511 ff.; Hubert Socha, Die Gesellschaften des apostolischen Lebens, ebd., S. 519ff.; Rudolf Henseler, Ordensrecht (cc. 573-746; Stand: Juli 1992), in: Münsterischer Kommentar zum Codex luris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Loseblattausg., Bd. 2, Essen 1985 ff.

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Priesterorden und -kongregationen mit Amtssitz in Deutschland zusammengeschlossen. Zur Vereinigung der Ordensobern der Brüderorden und -kongregationen (VOB) gehören 13 Höhere Obere und zur Vereinigung der Ordensoberinnen Deutschlands (VOD) 353 Höhere Oberinnen. Diese Ordensobern-Vereinigungen haben innerkirchlich den Rang einer "öffentlichen juristischen Person des päpstlichen Rechts". Die Vereinigungen VDO und VOB bestehen zivilrechtlich in der Rechtsform eines "eingetragenen Vereins". Ihr satzungsmäßiger Auftrag ist es u.a., "die Interessen der Ordensgemeinschaften gegenüber den kirchlichen oder staatlichen Behörden zu vertreten." Von den übrigen katholischen bzw. kirchlichen Vereinigungen, wie z. B. dem Deutschen Caritasverband, unterscheiden sich die Ordensgemeinschaften dadurch, daß sich ihre Mitglieder zur Lebensweise nach den evangelischen Räten verpflichtet haben und dadurch eine spezifische Ausprägung und Erscheinungsform der verfaßten Kirche darstellen.4 Dies zeigt auch ihre systematische Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Codex Iuris Canonici. Während das allgemeine kirchliche Vereinswesen in Teil I "Die Gläubigen" des Buches II "Volk Gottes" in dem Unterabschnitt (Titel) V "Vereine von Gläubigen" (De Christifidelium consociationibus) in den cc. 298-329 geregelt ist, umfaßt das detailliert und umfassend kodifizierte Ordenswesen in den cc. 573-746 den gesamten Teil III "Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens" (De institutis vitae consecratae et de societatibus vitae apostolicae) des Buches II des Codex Iuris Canonici, und zwar unmittelbar im Anschluß an den Teil II "Hierarchische Verfassung der Kirche" (De Ecclesiae constitutione hierarchica; cc. 330-572) dieses Buches.

b) Evangelische Kirche Ungeachtet der Tatsache, daß in den evangelischen Kirchen allgemeine Regelungen über eine kirchenrechtliche Zuordnung von evangelischer Kirche, Bruderschaften, Kommunitäten und Orden fehlen, bestehen in Deutschland gegenwärtig etwa 20 Kommunitäten mit ungefähr 750 zölibatär lebenden Mitgliedern und 25 Bruder- und Schwesternschafren mit über 5.000 Mitgliedern, von denen allein dem Johanniterorden 3.000 Mitglieder und der Pfarrergebetsbruderschaft 1.000 Mitglieder angehören. Derzeit sind 25 Gemeinschaften in der "Konferenz evangelischer Kommunitäten" zusammengeschlossen. 5 4 Über die allgemeinen kirchlichen Vereine s. in diesem Handbuch Stefan Muckel, § 29 Kirchliche Vereine in der staatlichen Rechtsordnung.

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Als Formen einer rechtlichen Zuordnung dieser Vereinigungen zu einer Landeskirche kommen in Frage die unmittelbare verfassungsgesetzliche Anerkennung oder die Anerkennung aufgrund einer verfassungsgesetzlichen Ermächtigung. Weiter kann eine Errichtung durch Kirchengesetz oder durch Verordnung erfolgen, die allerdings bei frei entstandenen Zusammenschlüssen in der Praxis kaum denkbar ist, was jedoch die kirchlicherseits gewährte Freiheit nicht beschränkt. Schließlich kann das Verhältnis durch Vereinbarung oder Absprache oder die Mitgliedschaft in kirchlich anerkannten Verbänden geregelt oder durch faktische Zusammenarbeit bestimmt sein. 6 2. Die Ordensgemeinschaften im Staatskirchenrecht

a) Träger des Grundrechts der Religionsfreiheit Gemäß der obersten Interpretationsmaxime, die das Bundesverfassungsgericht zum Grundrecht der Religionsfreiheit in seiner individualrechtliehen und korporativen Erscheinungsform entwickelt hat, ist der Begriff der Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv auszulegen. 7 Träger dieses Grund5 Statistische Angaben bei Martin Daur, Die Rechtsbeziehungen zwischen der evangelischen Kirche und den Kommunitäten, Bruderschaften und Orden, in: ZevKR 36 (1991), S. 232; vgl. hierzu ferner die ausführlichen Angaben bei Ingrid Reimer, Art. Bruderschaften und Kommunitäten, in: EvStL 3 I, Sp. 285287. Über die theologisch-geistesgeschichtliche Entwicklung der Kommunitäten, Bruderschaften und Orden im Bereich der evangelischen Kirchen vgl. die grundlegende Darstellung von Johannes Halkenhäuser, Kirche und Kommunität. Ein Beitrag zur Geschichte und zum Auftrag der kommunitären Bewegung in den Kirchen der Reformation (= Konfessionskundliehe und kontroverstheologische Studien. Hrsg. vom Johann-Adam-Möhler-Institut, Bd. 42). 2. Aufl., Paderborn 1985. 6 Daur, Die Rechtsbeziehungen (Anm. 5), S. 238 f., m.w.N. Daur gelangt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, die Kommunitäten und Bruderschaften seien im evangelischen Kirchenrecht nach wie vor "unbehaust" (S. 240). Dabei rechnet er "Erscheinungsformen der Diakonie wie die Diakonissenmutterhäuser und auch den Johanniterordentrotz einer zahlenmäßig imposanten Größe" nicht zu den Kommunitäten, Bruderschaften und Orden, "obwohl gerade die Mutterhäuser ein Jahrhundert lang das exemplarische Beispiel evangelischen Ordenslebens darstellten". Dies lege sich "auch deshalb nahe, weil ihre Stellung zur verfaßten Kirche inzwischen durch die Mitgliedschaft in Diakonischen Werken geklärt und gesichert" sei (S. 236). Auch Reimer weist darauf hin, daß die Bruderschaften und Kommunitäten, anders als die katholischen Orden, "keinen fest bestimmten Status innerhalb der evangelischen Kirchen" haben (Bruderschaften [Anm. 5], Sp. 286 f.). 7 BVerfGE 24, 236 (246f.). Vgl. hierzu im einzelnen in diesem Handbuch Joseph Listl, § 14 Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit.

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rechts sind demnach nicht nur die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sondern auch Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Zweck der jeweiligen Vereinigung gerade auf die Erreichung eines solchen Zieles gerichtet ist. "Das gilt", wie das Bundesverfassungsgericht wörtlich ausgeführt hat, "ohne weiteres für organisatorisch oder institutionell mit Kirchen verbundene Vereinigungen wie kirchliche Orden, deren Daseinszweck eine Intensivierung der gesamtkirchlichen Aufgaben enthält". 8 Religiöse Orden sind somit - ebenso wie die Kirchen und Religionsgemeinschaften selbst - unmittelbare Träger des Grundrechts der individuellen und korporativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

b) Träger des verfassungsrechtlichen SelbstordnungBund Selbstverwaltungsrechts Wie das Bundesverfassungsgericht ferner überzeugend entschieden hat, kommt die den Religionsgemeinschaften in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV garantierte Freiheit, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten, die sog. "Selbstordnungs- und -verwaltungsgarantie", nicht nur den verfaßten Kirchen und deren rechtlich selbständigen Teilen zugute, sondern allen der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, "wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen". 9 Zu diesen Einrichtungen gehören ohne weiteres kirchliche Orden. Bei ihnen ergibt sich ihre Teilhabe an der Verwirklichung des Auftrags der katholischen Kirche "schon aus ihrer Eigenschaft als kirchlicher Orden" .10 Somit steht auch den kircha BVerfGE 24, 236 (246). Vgl. hierzu auch die Ausführungen in der sorgfältigen Arbeit von Christian Schleithoft, Innerkirchliche Gruppen als Träger der verfassungsmäßigen Rechte der Kirchen. Jur. Diss., München 1992, S. 67 ff. Hier ist allerdings aufS. 67 mit Fn. 74 der grundlegende Unterschied zwischen den religiösen Orden und den übrigen kirchlichen Vereinen, wie er für den Bereich der katholischen Kirche durch das Kirchliche Gesetzbuch (Codex Iuris Canonici) vorgegeben ist, offensichtlich nicht in voller Deutlichkeit erkannt. 9 BVerfGE 70, 138 (162) mit Rückverweisung auf die einschlägige frühere Rechtsprechung. 1o BVerfGE 70, 138 (163) mit Rückverweisungen auf die frühere einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Vgl. hierzu auch die zutreffenden Ausführungen bei Schleithoff, Innerkirchliche Gruppen (Anm. 8), S. 158 ff.

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liehen Orden das verfassungsrechtliche Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV zu.

II. Rechtsstellung der Ordensgemeinschaften 1. Rechtsfähigkeit

Die Tatsache, daß ein Ordensverband in seiner Gesamtheit, eine Ordensprovinz oder ein einzelnes Ordenshaus (Kloster) nach dem kanonischen Recht im innerkirchlichen Bereich eine öffentliche juristische Person ist und damit für den Bereich des kanonischen Rechts Rechtsfähigkeit besitzt, hat in der Bundesrepublik Deutschland für die staatliche Rechtsordnung keine unmittelbare Auswirkung. Die Ordensgemeinschaften müssen vielmehr die Rechtsfähigkeit für den staatlichen Bereich nach Maßgabe der Bestimmungen des staatlichen Rechts erwerben.11 Wie in Art. 13 RK, Art. 2 Abs. 2 BayK und Art. V Abs. 1 BadK übereinstimmend festgestellt wird, bleiben die Orden und religiösen Genossenschaften bzw. religiösen Kongregationen Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie diese Rechte vor dem Irrkrafttreten des Bayerischen bzw. des Badischen Konkordats oder des Reichskonkordats besaßen; die übrigen erlangen gemäß diesen Bestimmungen die Rechtsfähigkeit oder die Rechte einer öffentlichen Körperschaft nach den für alle Bürger oder Gesellschaften geltenden gesetzlichen Bestimmungen.12 Die in dieser Bestimmung zutage tretende Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtliehen Ordensgemeinschaften ist darin begründet, daß bis zum Irrkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 Ordensgemeinschaften auf dem Gebiete des Deutschen Reiches Rechtsfähigkeit nur Kraft besonderer staatlicher bzw. landesherrlicher Zulassung, Verleihung oder Genehmigung erwerben konnten. Der Weg, über das private staatliche Vereinsrecht Rechtsfähigkeit zu erlangen, war den geistlichen Gesellschaften, zu denen auch die Ordensgemeinschaften gerechnet wurden, durch Art. 84 EGBGB versperrt. Nach dieser erst durch Art. 137 Abs. 3 WeimRV n Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 3), S. 42 f. Vgl. hierzu im einzelnen HdbBayStKirchR, S. 394. Wortlaut des Art. 13 RK bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd. 1. Berlin 1987, S. 40f.; des Art. 2 BayK ebd., S. 476, und des Art. V BadKebd., S. 141; vgl. hierzu ferner Achim Faber, Die Ordensleute im Deutschen Reichskonkordat und in den Länderkonkordaten. Theol. Diss., Trier 1985, S. 37ff. 12

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außer Kraft gesetzten Bestimmung konnte eine geistliche Gesellschaft durch Eintragung ins Vereinsregister keine Rechtsfähigkeit erwerben. Ihre Eintragung wäre unzulässig und daher wirkungslos gewesen. 13 Mit der staatlichen Genehmigung war die Verleihung der Korporationsrechte, d. h. die Zuerkennung des Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, automatisch verbunden. Dies galt in gleicher Weise für das Königreich Preußen, das katholischen Ordensgemeinschaften Korporationsrechte nur in relativ sehr geringem Umfang verliehen hat, 14 wie für das Königreich Bayern. In Bayern wurde während des 19. Jahrhunderts eine große Anzahl von Ordensgemeinschaften und einzelnen Klöstern mit landesherrlicher Genehmigung als Körperschaften des öffentlichen Rechts errichtet. 15 In Preußen wurde im Revolutionsjahr 1848 der katholischen Kirche das Recht der freien Errichtung von Ordensgemeinschaften zugestanden. Mit der kirchlichen Errichtung einer Ordensgemeinschaft oder einer Ordensniederlassung war jedoch die Verleihung der staatlichen Rechtsfähigkeit nicht verbunden, diese mußte vielmehr ausdrücklich beantragt werden. 16 In der Kulturkampfära wurden in Preußen durch das Gesetz vom 31. 5. 1875 betreffend die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen alle katholischen Orden und Ordenskongregationen mit Ausnahme derjenigen Niederlassungen und anderen Kongregationen, die sich ausschließlich der Krankenpflege widmeten, vom Gebiet der preußischen Monarchie ausgeschlossen. 17 Im Zuge des allmählichen Abbaus der Kulturkampfgesetzgebung wurden in Preußen durch Art. 5 des Gesetzes vom 29. 4. 1887 betreffend Abänderung der kirchenpolitischen Gesetze die 1875 vertriebenen Orden und ordensähnlichen Kongregationen wieder zugelassen. 18 13 Vgl. hierzu die umfassende Darstellung von Friedrich Giese, Das katholische Ordenswesen nach dem geltenden preußischen Staatskirchenrecht, in: Annalen des Deutschen Reichs, München 1908, S. 302 (= Sonderdr., München 1908, S. 45) m.w.N. 14 Karl Siepen, Vermögensrecht der klösterlichen Verbände. Paderborn 1963, S. 259-261 mit Fn. 41,47 und 54. 15 Siepen, ebd., S. 262. 1s Siepen, ebd., S. 260. 17 Wortlaut dieses Gesetzes bei Ernst Rudolf Huber I Wolfgang Huber (Hrsg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890. Berlin 1976, S. 659. Vgl. hierzu ferner Heinrich Suso Mayer, Die Klöster in Preußen. Die staatsrechtliche Stellung der Klöster und klösterlichen Genossenschaften nach dem in Preußen geltenden Recht. Paderborn 1927, S. 12. 18 Wortlaut des Gesetzes bei Huber I Huber, Staat und Kirche (Anm. 17), s. 883f.

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Durch Gesetz vom 22. 5. 1888 erlangten in Preußen 17 Ordensniederlassungen auch wieder ihre früheren Korporationsrechte. 19 Die Mehrheit der übrigen deutschen Staaten folgte bei der Verleihung von Korporationsrechten an Ordensgemeinschaften dem preußischen Konzessionssystem, während sich Hessen, Oldenburg, Braunschweig und Elsaß-Lothringen im wesentlichen dem bayerischen System anschlossen, wonach der zugelassene Orden bzw. die genehmigte Niederlassung mit der Organisationsgenehmigung eo ipso auch juristische Person, d. h. Körperschaft des öffentlichen Rechts, wurden.20 Alle diesbezüglichen Beschränkungen, die der Erlangung der Rechtsfähigkeit bis dahin entgegenstanden, wurden durch Art. 124 und auch durch Art. 137 Abs. 3 WeimRV beseitigt. Art. 124 Abs. 1 Weim RV garantierte allen Deutschen das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderliefen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dieses Recht konnte nicht durch Vorbeugungsmaßnahmen beschränkt werden. Ausdrücklich erklärte Art. 124 Abs. 1 S. 3 WeimRV: "Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen". Bereits in der Weimarer Zeit wurde jedoch die Auffassung herrschend, daß sich die Ordensgemeinschaften im Hinblick auf die Erlangung ihrer Rechtsfähigkeit und ihrer freien Betätigung abgesehen von Art. 124 Abs. 1 S. 3 WeimRV auch auf das Selbstbestimmungsund Selbstordnungsrecht des Art. 137 Abs. 3 WeimRV berufen könnten.21 Heute wird ihre Freiheit, wie Friesenhahn hervorhebt, "selbstverständlich durch Art. 4 Abs. 1 und 2 und durch Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet". Ebenso wie alle übrigen religiösen Vereine und Gesellschaften können religiöse Orden "Rechts- und Vermögensfähigkeit mit bürgerlicher Wirkung grundsätzlich nur nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts erwerben". 22 In der Tat ist die große Mehrzahl der 19 Ausführliche Angaben bei Giese, Das katholische Ordenswesen (Anm. 13), S. 41; ferner bei Mayer, Die Klöster (Anm. 17), S. 16. Nicht aufgehoben wurde das Jesuitengesetz, d. h. das Reichsgesetz betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4. 7. 1872; Wortlaut mit weiteren einschlägigen Dokumenten bei Huber I Huber, Staat und Kirche (Anm. 17), S. 54 7 ff. Die Aufhebung des Jesuitengesetzes erfolgte durch das Reichsgesetz vom 19. 4. 1917 betreffend die Aufhebung des Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4. 7. 1872; Wortlaut bei Huber/ Huber, Staat und Kirche (Anm. 17), Bd. 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Berlin 1983, s. 503. 2o Überblick bei Siepen, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 263 f. 21 In diesem Sinne nachdrücklich Mayer, Die Klöster (Anm. 17), S. 39. 22 Ernst Friesenhahn, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: HdbStKirchR 1 I, S. 566 (Hervorhebung vom Verf.).

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Ordensgemeinschaften in der Rechtsform des eingetragenen Vereins verfaßt. Dieser dezidierten Rechtsauffassung Friesenhahns widerspricht jedoch die kontinuierliche Rechtspraxis des Freistaates Bayern. In Bayern besitzen nicht nur, wie Friesenhahn anmerkt, seit alters- ebenso wie übrigens auch in einer Reihe von Fällen ausschließlich in der Krankenpflege und im Schuldienst tätige Brüderverbände und Schwesterngenossenschaften im ehemaligen Preußen sowie in Hessen und Baden - zahlreiche Ordensgenossenschaften und viele einzelne ältere Klöster die Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. 23 Bayern verleiht diesen Rechtsstatus an Ordensgemeinschaften auch noch in der Gegenwart. 24 Friesenhahn erhebt gegen diese Praxis Bedenken. Er stellt im Hinblick auf den Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 BayK und des Art. V Abs. 1 BadK, wonach Orden und religiöse Kongregationen die Rechte einer öffentlichen Körperschaft nach den für alle Bürger geltenden Bestimmungen erwerben können, fest, daß es solche Bestimmungen für den öffentlich-rechtlichen Status nicht gebe. 25 Gegenüber diesen Bedenken wird die jahrzehntelange Praxis des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst in der Literatur unter Berufung auf grundsätzliche Ausführungen von Ulrich Scheuner und Paul Mikat mit der zutreffenden Überlegung gerechtfertigt, die für Kirchen und Religionsgemeinschaften als solche zur Erlangung der öffentlichen Körperschaftsrechte geltenden Verfahrensgrundsätze müßten auch für deren Untergliederungen und somit auch für die Orden und religiösen Genossenschaften, die im Codex Iuris Canonici vom 25. 1. 1983 als "Ordensinstitute" bzw. als "Gesellschaften des apostolischen Lebens" bezeichnet werden, Geltung besitzen. 26 23 Friesenhahn, ebd., S. 566 mit Fn. 62. Die zahlreichen Priesterverbände, Brüderverbände, Schwesternverbände und Einzelklöster, die in Deutschland überwiegend in Bayern - den Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen, sind bei Siepen, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 323-326, 331 und 333-338 nach dem Stand von 1963 im einzelnen erschöpfend aufgezählt. Ein "Verzeichnis der Ordensgemeinschaften und Klöster in Bayern und ihrer Rechtsformen" nach dem Stand von 1993 ist enthalten in: Hans HeimerZ und Helmuth Pree unter Mitwirkung von Bruno Primetshofer, Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich. Regensburg 1993, S. 928-939. 24 Vgl. hierzu HdbBayStKirchR, S. 395 mit Fn. 29. Über die diesbezügliche Praxis während der Weimarer Zeit vgl. die vorzügliche Darstellung von Maximilian Utz, Das Recht der katholischen Orden und Kongregationen in Bayern. Augsburg 1932, S. 55 ff. 25 Friesenhahn, Die Kirchen (Anm. 22), S. 569 mit Fn. 69. Wortlaut des Art. 2 BayK bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 12), S. 476, und des Art. V BadK, ebd., S. 141.

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Abgesehen von der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts und des eingetragenen Vereins können sich Ordensgemeinschaften auch noch anderer Rechtsformen des privaten Rechts zur Verfolgung ihrer Ziele bedienen. Insbesondere geschieht dies für die Vermögensverwaltung. In Frage kommen hierfür im einzelnen die rechtsfähige Stiftung, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Aktiengesellschaft sowie Gesellschaftsformen, die das Handelsgesetzbuch bereitstellt. Hierbei ist jedoch anzumerken, daß es sich bei den von der staatlichen Rechtsordnung für die Ordensgemeinschaften zur Verfügung gestellten Rechtsformen im Hinblick auf die katholischen Ordensgemeinschaften um "Hilfskonstruktionen" handelt, die es den Ordensgemeinschaften ermöglichen, am bürgerlichen Rechtsverkehr teilzunehmen. Mit Ausnahme der Körperschaft des öffentlichen Rechts ist der gemäß den Bestimmungen des staatlichen Rechts existierende Rechtsträger nicht mit der dahinter stehenden Ordensgemeinschaft identisch. In einigen Fällen sind als Eigentümer von Klöstern oder von klösterlichen Krankenhäusern auch die jeweiligen Erzbischöflichen bzw. Bischöflichen Stühle im Grundbuch eingetragen. 27 2. Gründungs- und Niederlassungsfreiheit. Vermögensgarantie. Selbstbestimmungsrecht

Zusätzlich zu der allgemeinen Garantie durch das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und das kirchliche Selbstverwaltungs- und Selbstordnungsrecht sind den Ordensgemeinschaften das Recht der Gründungs- und Niederlassungsfreiheit, der Schutz ihres Eigentums, die freie Vermögensverwaltung und die Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten auch konkordatsrechtlich zugesichert. Diese Besonderheit leitet sich historisch daraus her, daß während des 19. und auch bereits während des 18. Jahrhunderts die Ordensgemeinschaften vielfältigen Formen der Unterdrückung, der Säkularisierung und Entwidmung ihres Vermögens sowie zahlreichen Betätigungsverboten bis hin zur Vertreibung über die Staatsgrenzen ausgesetzt waren. In dieser Hinsicht bestimmt Art. 15 Abs. 1 RK, daß die Orden und religiösen Genossenschaften in bezug auf ihre Gründung, Niederlas26 Zu dieser in Jahrzehnten zum Verfassungsgewohnheitsrecht gewordenen bayerischen Praxis vgl. im einzelnen HdbBayStKirchR, S. 396. Zustimmend Siepen, Vermögensrecht (Anm. 14), S. 305 f., 307. Diese Argumentation vermag zu überzeugen. 27 Vgl. hierzu im einzelnen die detaillierten Angaben bei Siepen, ebd., S. 287, 290, 295, 299. Über die Inkongruenz der staatlichen Rechtsnormen und der einschlägigen Bestimmungen des kircheninternen kanonischen Ordensrechts vgl. die Angaben bei Siepen, ebd., S. 277 f.

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sung sowie die Zahl und die Eigenschaften ihrer Mitglieder in der Ordnung ihrer Angelegenheiten und in der Verwaltung ihres Vermögens seitens des Staates keiner besonderen Einschränkung unterliegen. 28 Diese Bestimmung des Reichskonkordats im Hinblick auf die Gründungs- und Niederlassungsfreiheit der Ordensgemeinschaften wurde den inhaltlich gleichlautenden Garantien des Art. 2 Abs. 1 BayK29 und Art. V Abs. 1 mit Schlußprotokoll BadK30 entnommen. Während Art. 15 Abs. 1 RK im Hinblick auf den Eigentumsschutz der Ordensgemeinschaften sich auf die Feststellung beschränkt, daß sie in bezugauf die Verwaltung ihres Vermögens staatlicherseits keiner besonderen Beschränkung unterliegen und damit eine indirekte Garantie des Vermögens der Ordensgemeinschaften ausspricht, enthält Art. 10 § 3 BayK eine ausdrückliche Garantie der Widmung bzw. Nutzung der im kirchlichen Gebrauch stehenden staatlichen Gebäude und Grundstücke. Danach bleiben die staatlichen Gebäude und Grundstücke, die zur Zeit des Konkordatsabschlusses unmittelbar oder mittelbar Zwecken der Kirche einschließlich der Orden oder religiösen Kongregationen dienten, diesen Zwecken unter Berücksichtigung etwa bestehender Verträge überlassen. 31 Diese Bestimmung findet sich ihrem Inhalt nach auch in Art. V Abs. 2 BadK, das darüber hinaus in Art. V Abs. 1 das Eigentum und die anderen Vermögensrechte der katholischen Kirche in Baden, ihrer öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten "sowie der Orden und religiösen Kongregationen" nach Maßgabe der Verfassung des Deutschen Reichs auch ausdrücklich unter den Schutz des Staates stellt. 32 Eine Garantie des Eigentums der Ordensgenossenschaften, Kongregationen und ähnlichen Vereinigungen ist auch in Art. 17 Abs. 1 NiedersK i.V.m. Ziff. 14 des Abschließenden Sitzungsprotokolls zu Art. 17 NiedersK enthalten. 33 3. Betätigungsfreiheit

Wegen der vielfachen Behinderungen und Diskriminierungen, denen die religiösen Orden in Deutschland, zuletzt während der Kultur28

Wortlaut des Art. 15 RK bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge

(Anm. 12), S. 42 f. 29

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33

Wortlaut bei Listl, ebd., S. 476. Wortlaut bei Listl, ebd., S. 141 und 147. Wortlaut bei Listl, ebd., S. 495. Wortlaut bei Listl, ebd., S. 141. Wortlaut bei Listl, ebd., Bd. 2, S. 18 und 31.

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kampfzeit und während der Ära des Nationalsozialismus, ausgesetzt waren, hat die katholische Kirche stets großes Gewicht darauf gelegt, den Ordensgemeinschaften eine umfassende Freiheit ihrer Betätigung auch konkordatsrechtlich zu sichern. Diesbezüglich erklärt Art. 15 Abs. 1 RK, daß die Tätigkeit der Orden und religiösen Genossenschaften in der Seelsorge, im Unterricht, in der Krankenpflege und in der karitativen Arbeit staatlicherseits keiner besonderen Beschränkung unterliegt. 34 Besonderen Behinderungen unterlagen die Ordensgemeinschaften, insbesondere während des 19. Jahrhunderts, bei ihrer Tätigkeit als Träger von Privatschulen. Bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Ordensgemeinschaften im Bereich der katholischen Kirche nahezu die einzigen Träger von Privatschulen. Hieraus erklärt es sich, daß ihnen in Art. 25 Abs. 1 S. 1 RK im Rahmen der allgemeinen Gesetze und gesetzlichen Bedingungen ausdrücklich das Recht zur Gründung und Führung von Privatschulen garantiert wurde. Wiederum zum Schutz gegen Diskriminierungen wird in Art. 25 Abs. 1 S. 2 RK anerkannt, daß diese Privatschulen die gleichen Berechtigungen wie die staatlichen Schulen verleihen, soweit sie die lehrplanmäßigen Vorschriften für letztere erfüllen. 35 Nach Art. 9 § 1 BayK werden Orden und religiöse Kongregationen unter den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zur Gründung und Führung von Privatschulen zugelassen. Die Zuerkennung von Berechtigungen an derartige Schulen erfolgt nach den für andere Privatschulen geltenden Grundsätzen. 36 Den Schutz des Charakters öffentlicher Ordensschulen bezweckte die Bestimmung des Art. 9 § 2 BayK, wonach von Orden und religiösen Kongregationen geleitete Schulen, die bisher den Charakter öffentlicher Schulen hatten, diesen behalten, sofern sie die an gleichartige Schulen gestellten Anforderungen erfüllen. Unter den gleichen Bedingungen kann auch neuen Schulen von Orden und Kongregationen dieser Charakter durch die Bayerische Staatsregierung verliehen werden.37 Im Schlußprotokoll zu Art. 24 RK wurde dieser Schutz gegen Diskriminierungen auch für die damals noch in der Trägerschaft von Ordensgemeinschaften stehenden Privatanstalten für die Ausbildung von Lehrern zugesichert. 38 Wortlaut bei Listl, ebd., Bd. 1, S. 42 f. Wortlaut bei Listl, ebd., S. 48. 36 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 491; über die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungs. Faber, Die Ordensleute (Anm. 12), S. 292. Über die Rechtsstellung der Freien Schulen in kirchlicher Trägerschaft s. in diesem Handbuch Wolfgang Loschelder, § 55 Kirchen als Schulträger. 37 Wortlaut bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 12), S. 491. 34

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Den Schutz einzelner Ordensangehöriger gegen Diskriminierungen bezweckte auch die Bestimmung des Art. 5 § 7 BayK, wonach der Erwerb der Lehrbefähigung für Volksschulen, Mittelschulen und höhere Lehranstalten sowie die Übertragung eines Lehramtes für die Angehörigen von Orden und religiösen Kongregationen an keine anderen Bedingungen geknüpft wird als für Laien. 39 Diese Bestimmung fand ihrem Inhalt nach später Aufnahme in die Regelung des Art. 25 Abs. 2 RK.4o 4. Staatspolitische Sonderbestimmungen für Ordensangehörige

Nach Art. 6 RK sind Kleriker und Ordensleute frei von der Verpflichtung zur Übernahme öffentlicher Ämter und solcher Verpflichtungen, die nach den Vorschriften des kanonischen Rechts mit dem geistlichen Stand bzw. dem Ordensstand nicht vereinbar sind. Dies gilt insbesondere von dem Amt eines Schöffen, eines Geschworenen, eines Mitglieds der damals bestehenden Steuerausschüsse oder der FinanzgerichteY Nach Art. 15 Abs. 2 RK müssen "Geistliche Ordensobere", die innerhalb des Deutschen Reiches ihren Amtssitz haben, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Jedoch steht Provinz- und anderen Oberen, deren Amtssitz außerhalb des deutschen Reichsgebietes liegt, auch wenn sie anderer Staatsangehörigkeit sind, das Visitationsrecht bezüglich ihrer in Deutschland liegenden Niederlassungen zu. 42 Diese Regelung deckt sich inhaltlich mit der Bestimmung des Art. 13 § 2 BayK.43 38 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 58. Dieser Bestimmung korrespondierte die inhaltlich gleichlautende Vereinbarung in Art. 5 § 5 BayK; Wortlaut bei Listl, ebd., S. 292. Art. 5 § 5 BayK wurde durch den Änderungsvertrag vom 7. 10. 1968 zu Art. 5 und 6 des Bayerischen Konkordats aufgehoben. 39 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 293; später in Art. 4 § 6 BayK geregelt, vgl. hierzu bei Listl, ebd., S. 481. 40 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 48 f. 41 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 38. Die in § 11 Abs. 1 Nr. 2 WPflG enthaltene Wehrdienstbefreiung der Geistlichen ist eine Konkretisierung des Art. 6 RK. Diese Konkordatsbestimmung ist nach einem Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 29. 8. 1989 (VR I 8 (1) Az. 24-05 - 04; nicht veröffentlicht) außerdem dahin zu interpretieren, daß katholische Ordensleute, obwohl sie nicht in § 11 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 WPflG aufgeführt sind, durch die Ablegung der Ordensprofeß oder eine vergleichbare Bindung kraft Gesetzes vom Wehrdienst befreit sind, während in analoger Anwendung des § 12 Abs. 2 WPflG Wehrpflichtige, die zur Feststellung ihrer Eignung als Ordensbruder zur sog. Kandidatur zugelassen sind oder sich auf die Ablegung der Ordensgelübde vorbereiten, auf Antrag vom Wehrdienst zurückzustellen sind. Zur früheren Rechtslage s. Faber, Die Ordensleute (Anm. 12), S. 285 mit Anm. 1474. 42 Wortlaut bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 12), S. 43.

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In Art. 15 Abs. 3 RK verpflichtet sich die katholische Kirche, dafür Sorge zu tragen, daß sich nach Möglichkeit die Grenzen der Ordensprovinzen mit der Reichsgrenze decken. Dadurch soll erreicht werden, daß die Unterstellung deutscher Niederlassungen unter ausländische Provinzialobere tunliehst entfällt. 44 Ferner enthält Art. 32 RK ein konditionales Verbot parteipolitischer Betätigung für katholische Geistliche und Ordensleute. Dieses Verbot ist jedoch, abgesehen davon, daß es heute gegen zentrale staatsbürgerliche Grundrechte der Ordensangehörigen verstößt, wegen Nichterfüllung der im Zusammenhang mit dieser Bestimmung von der Deutschen Reichsregierung gegebenen Zusicherungen niemals in Kraft getreten. 45 5. Strafrechtlicher Schutz gegen den Mißbrauch des Ordenskleides

Gegen den Mißbrauch geistlicher Kleidung oder des Ordensgewandes durch Unbefugte wendet sich die Bestimmung des Art. 10 RK. Danach unterliegt der Gebrauch geistlicher Kleidung oder des Ordensgewandes durch Laien oder durch Geistliche oder Ordenspersonen, denen dieser Gebrauch durch die zuständige kirchliche Behörde durch endgültige, der Staatsbehörde amtlich bekanntgegebene Anordnung rechtskräftig verboten worden ist, staatlicherseits den gleichen Strafen wie der Mißbrauch der militärischen Uniform. 46

43 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 497 f. Unberührt bleibt jedoch das Recht der Ordenskleriker, ihre philosophisch-theologischen Studien an ihren eigenen ausländischen Hochschulen zurückzulegen, sofern diese Studien den Bestimmungen des Codex luris Canonici entsprechen. Vgl. ebd., S. 497 f. 44 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 43. Ausnahmen können im Einvernehmen mit der Reichsregierung zugelassen werden. 45 Wortlaut bei Listl, ebd., S. 53, mit weiteren Angaben in Fn. 29. Vgl. hierzu ferner Joseph Listl, Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, in: FS für Louis Carlen zum 60. Geburtstag. Zürich 1989, S. 331 f., m.w.N. 46 Wortlaut bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 12), S. 39. Dieser Konkordatsbestimmung entsprechen die Strafbestimmungen des§ 132 a Abs. 3 StGB bzw. § 126 Abs. 1 Nr. 2 OWiG.

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ll. Die Rechtsstellung der einzelnen Ordensangehörigen 1. Keine Beschränkung des rechtlichen Status des einzelnen Ordensangehörigen

Die Eingliederung eines Ordensangehörigen in seine Gemeinschaft erfolgt durch die Ablegung der kirchenamtlichen Gelübde (Ordensprofeß) oder eine andere rechtlich vorgeschriebene Bindung an das jeweilige Ordensinstitut. Das staatliche Recht bezeichnet Ordensangehörige mit Profeß oder vergleichbarer Bindung als "satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften" (z. B. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB V; § 5 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI) und verwendet in einem erweiterten Sinn unter Einbeziehung der der Ablegung der Ordensprofeß vorausgehenden Zeit des sog. Postulats und/oder Noviziats den Begriff "Mitglieder geistlicher Genossenschaften" (z. B. § 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI) mit zum Teil anderen Rechtsfolgen. Der gemäß dem kanonischen Recht und den Konstitutionen bzw. Statuten des jeweiligen Ordensinstituts erfolgende Akt der Eingliederung hat nach dem staatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland keine unmittelbaren Auswirkungen auf die öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Stellung des einzelnen Ordensangehörigen. 47 Alle früheren Beschränkungen der bürgerlichrechtlichen Stellung der Ordensangehörigen, wie sie z. B. insbesondere auch im Preußischen Allgemeinen Landrecht bestanden, wurden durch das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch aufgehoben. 48 In der geltenden deutschen Rechtsordnung be47 Dominicus Michael Meier, Die Rechtswirkungen der klösterlichen Profeß. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung der monastischen Profeß und ihrer Rechtswirkungen unter Berücksichtigung des Staatskirchenrechts (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 23: Theologie, Bd. 486}. Frankfurt am Main, Berlin, Bem, New York, Paris, Wien 1993, S. 449; Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 3), S. 147f. 48 Das Preußische ALR enthielt in Übereinstimmung mit den Rechtsordnungen der übrigen deutschen und ausländischen Staaten die für die Einstellung der Aufklärungszeit typischen detaillierten Bestimmungen über den sog. "Klostertod" oder "bürgerlichen Tod" ("mors civil"). Vgl. Pr. II 11 § 1199: Nach abgelegtem Klostergelübde werden Mönche und Nonnen in Ansehung aller weltlichen Geschäfte als verstorben angesehen. § 1200: Sie sind unfähig, Eigentum oder andere Rechte zu erwerben, zu besitzen oder darüber zu verfügen. § 1201: Bei Erb- und anderen Anfällen treten diejenigen an ihre Stelle, denen ein solcher Anfall zukommen würde, wenn jene gar nicht mehr vorhanden wären. § 1203: Eltern sind nicht schuldig, ihren Kindern, welche das Klostergelübde abgelegt haben, etwas zu hinterlassen. Bei dieser Gesetzgebung handelt es sich um ein vom ordensfeindlichen Geist der Aufklärung inspiriertes sog. "Amortisationsgesetz", das den Erwerb von Vermögen der sog. "Toten Hand" verhindem sollte. Über die rechtliche Stellung der Ordensangehörigen in Deutschland vor 1900 vgl. Siegfried von Hobe-Gelting, Die Rechtsfähigkeit der Mitglieder

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stehen für die Angehörigen von Ordensgemeinschaften keine Beschränkungen der Vermögens-, Erb-, Testier-, Partei-, Prozeß-, Wechsel- und überhaupt der gesamten Rechts- und Handlungsfähigkeit. 49 Die Ordensprofeß hat nach den Bestimmungen der staatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar nur innerkirchliche Bedeutung. 50 Wird z. B. ein Ordensangehöriger als Erbe einreligiöser Orden und ordensähnlicher Kongregationen nach kanonischem und deutschem Recht. Jur. Diss. Breslau 1903, S. 29ff.; über den sog. "Klostertod" s. Adalbert Erler, Art. Klostertod, in: HRG II, 1978, Sp. 891-893, m.w.N. Über die von der katholischen Kirche stets abgelehnte Amortisationsgesetzgebung der Aufklärungszeit und des 19. Jahrhunderts s. Joseph Listl, Kirche und Staat in der neuerenkatholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 7). Berlin 1978, S. 157 f., 194; femer Friedrich Merzbacher, Art. Amortisationsgesetzgebung, in: HRG I, 1971, Sp. 148ff., m.w.N.; Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland. München 1930, S. 95 ff., 394 ff.; Wilhelm Kahl, Die deutschen Amortisationsgesetze, Tübingen 1879. 49 Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 3), S. 147 f.; Meier, Die Rechtswirkungen (Anm. 47), S. 449 ff., m.w.N. Zur vermögensrechtlichen Stellung der Ordensangehörigen s. Wolfgang Rüfner, Zur vermögensrechtlichen Stellung der Ordensleute nach dem staatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland, in: OK 15 (1974), S. 50-66. Rüfner gelangt zu der Feststellung, daß das geltende deutsche Recht den Erfordemissen des klösterlichen Lebens gerecht werde. Es könne zwar nicht alle kirchenrechtlichen Verpflichtungen der Ordensleute als für die Welt rechtsverbindlich anerkennen, ermögliche aber zumindest immer Gestaltungen, die dem Armutsideal entsprechen (S. 66). 50 BFH, Urt. v. 11. 5. 1962 (55/61 U), in: KirchE 6, 83 (87 ff.); ebenso AG München (Nachlaßgericht), Beschl. v. 1. 12. 1989 (94 VI 11486/88), in: ArchKathKR 158 (1989), S. 565-570; Hinweis auch bei Meier, Die Rechtswirkungen (Anm. 47), S. 449. Danach werden die mit der Ordensprofeß übemommenen vermögensrechtlichen Verpflichtungen des Ordensangehörigen als Vertragsverhältnisse betrachtet, die auf emstlichen Willenserklärungen beruhen. Die Ordensprofeß ist nach dem staatlichen Recht ein Vertrag, demzufolge alles, was dem Professen durch eigene Arbeit zufließt, gemäß c. 668 § 3 CIC/1983 bzw. c. 580 § 2 CIC/1917 dem Ordensinstitut zukommt. Das von einem Ordensangehörigen abgelegte Armutsgelübde hat kirchenund ordensrechtlich die Besitz- und Erwerbsunfähigkeit des einzelnen zur Folge. In der Ablegung dieses Gelübdes liegt die stillschweigende Übertragung von Nutzungsrechten an von ihm geschaffenen urheberrechtlich geschützten Werken auf die Ordensgemeinschaft Eigene Nutzungsrechte stehen dem Ordensangehörigen bzw. seinen Erben nicht mehr zu. Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 22. 2. 1974 (I ZR 128172) in: KirchE 14, 21 ff. (Ordensschwester Berta Hummel); ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 1. 1991, in: GRUR 1991, S. 759 (Angehöriger des Jesuitenordens). Aus der Besitz- und Erwerbsunfähigkeit folgt, wie der BFH durch Urteil vom 9. 7. 1965 (VI 174/63 U) entschieden hat, daß ein Angehöriger des Benediktinerordens nicht prämienbegünstigt sparen kann. Vgl. hierzu Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 3), S. 147 f. Die in der Ordensprofeß enthaltene "renuntiatio bonorum", d. h. der Verzicht auf den Erwerb allen persönlichen Vermögens zugunsten des Ordensinstituts, und die darin zum Ausdruck gebrachte Willenserklärung sind nach dem genannten Beschluß des AG München vom 1. 12. 1989 als

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gesetzt, so unterliegt er der Erbschaftsteuer. 5 1 Ungeachtet dessen sind die vermögensrechtlichen Folgen, die die Ablegung der Ordensprofeß nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts innerkirchlich nach sich zieht (Vermögensunfähigkeit), auch im bürgerlichen bzw. staatlichen Recht zu beachten, wenn sie dort als Vorfrage von Bedeutung sind. Dies trifft z. B. für das Sozialversicherungsrecht zu. 2. Tätigkeiten von Ordensangehörigen aufgrund von Gestellungsverträgen

Übernimmt ein Ordensangehöriger außerhalb der Einrichtungen des Ordensinstituts eine seelsorgerliehe bzw. kirchliche, karitative oder auch rein weltliche Tätigkeit, so kann diese Tätigkeit entweder auf der Grundlage eines Gestellungsvertrags zwischen dem Ordensverband und dem Dienstgeber oder auf der Grundlage eines zwischen diesem und dem Ordensmitglied persönlich abgeschlossenen Dienst- oder Arbeitsvertrags ausgeübt werden. 52 Der Einsatz von Ordensangehörigen im kirchlichen Bereich, z. B. in Pfarreien, diözesanen oder kirchlichkaritativen Einrichtungen, erfolgt in aller Regel auf der Grundlage von Gestellungsverträgen. Aus sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Gründen ist es erforderlich, eine aufgrund eines Gestellungsvertrages erfolgende Dienstleistung eindeutig und scharf von einem persönlichen Arbeitsverhältnis abzugrenzen. Wie das Bundessozialgericht hierzu ausgeführt hat, genügt es zur Annahme eines ein Beschäftigungsverhältnis ausschließenden Gestellungsvertrages bei einem Ordensangehörigen nicht, daß dieser mit Zustimmung, Genehmigung oder sonstwie mit Willen des Ordens bei einem Dritten (dem Dienstempfänger) tätig wird; vielmehr ist es erforderlich, daß für den Beginn und das Ende der Beschäftigung ausschließlich Vereinbarungen zwischen dem Orden und dem Dienstempfänger maßgebend sind. 53 Wie das Bundessozialgericht hierzu weiter ausgeführt hat, Testierwille zu bewerten. Näheres bei Meier, Die Rechtswirkungen (Anm. 47), S. 450 ff. Vgl. hierzu ferner Rüfner, Zur vermögensrechtlichen Stellung (Anm. 49), s. 50 ff. Unterhaltsrechtlich steht dem Kind eines ohne Vergütungsanspruch arbeitenden Ordensangehörigen kein Anspruch gegen dessen Ordensgemeinschaft bzw. dessen Kloster zu. Vgl. hierzu OLG München, Urt. v. 6. 3. 1991 (15 U 4163/90nicht veröffentlicht); bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 21. 1. 1992 (1 BvR 517/ 91), in: NJW 1992, S. 2471. Dies muß auch für den Fall gelten, daß der betreffende Ordensangehörige während seiner Ordenszugehörigkeit aufgrund eines Gestellungsvertrages tätig war. 51 FG München, Urt. vom 25. 4. 1968 (IV 88/67), in: EFG 1968, 525 =KirchE 10, 68. 52 Vgl. hierzu Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 3), S. 139. 53 BSG, Urt. v. 19. 5. 1982 (11 RA 34/81), in: BSGE 53, 278 =KirchE 20, 45.

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schließen sich Beschäftigungsverhältnis und Gestellungsverhältnis (Gestellungsvertrag) gegenseitig aus. Der entscheidende Unterschied besteht in der Person dessen, der über Beginn und Ende der Arbeitsleistung (Dienstleistung) bestimmt. Bei einem Beschäftigungsverhältnis liegt diese Bestimmung in der Hand des Arbeitnehmers (Beschäftigten) und des Arbeitgebers (Dienstempfängers), bei einem Gestellungsvertrag dagegen in der Hand des Gestellenden und des Dienstempfängers. Der Dienstleistende (Arbeitleistende) ist danach im ersteren Falle Vereinbarungspartner, im letzteren Falle wird er zur Dienstleistung (Arbeitsleistung) zur Verfügung gestellt. Dementsprechend zahlt der Dienstempfänger im ersteren Falle dem Dienstleistenden (gegebenenfalls) als Gegenleistung ein Entgelt, im letzteren Falle dagegen dem Gestellenden (gegebenenfalls) eine Vergütung. 5 4 3. Sozialversicherungsrechtliche Stellung von Ordensangehörigen

a) Rentenversicherung und Nachversicherung ausgeschiedener Ordensangehöriger Im Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland bedürfen auch die Ordensangehörigen einer sozialen Sicherung, insbesondere einer Alterssicherung. In dieser Hinsicht ist durch das am 1. 1. 1992 als Art. 1 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992- RRG 1992) vom 18. 12. 1989 in Kraft getretene Sechste Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) eine Änderung erfolgt. 55 Nach der früheren Rechtslage war die Versicherungsfreiheit von Ordensangehörigen in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht positiv definiert, sondern ergab sich nur aus der Feststellung, von welcher "Einkommensgrenze" an die Versicherungspflicht einsetzte. Versicherungspflichtig waren" satzungmäßige Mitglieder geistlicher Genossen54 BSG, ebd., in: KirchE 20, 48, unter Hinweis auf die frühere Entscheidung des Gerichts in BSGE 28, 208. Über das Wesen und das Verständnis von Gestellungsverträgen vgl. ferner BFH, Urt. v. 11. 5. 1962 (55/61 U), in: KirchE 6, 84; FG Karlsruhe, Urt. v. 26. 9. 1962 (I 231/61), in: KirchE 6, 141. Vgl. hierzu ferner die auf der Grundlage der angeführten Rechtsprechung erlassene Ordnung des Erzbistums Köln über die Gestellung von Ordensmitgliedern, in: ABI. des Erzbistums Köln 132 (1992), S. 193-197. Über die Rechtswirkungen von Gestellungsverträgen siehe auch HdbBayStKirchR, S. 397-401. Das der Ordensgemeinschaft bei der Gestellung von Ordensmitgliedern zufließende Gestellungsgeld ist nach Nr. 27 § 4 UStG steuerfrei. Die Steuerbefreiung setzt voraus, daß die Personalgestellung für gemeinnützige, kirchliche oder schulische Zwecke erfolgt. 55 BGBl. I S. 2261, ber. 1990 I S. 1337, zuletzt geänd. durch G vom 24. 6. 1993 (BGBL I S. 1038).

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schaften", "wenn sie persönlich neben dem freien Unterhalt Barbezüge von mehr als einem Achtel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze monatlich erhalten" (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 AVG; § 1227 Abs. 1 Nr. 5 RVO). Nachdem Ordensangehörige in aller Regel keine nennenswerten persönlichen Barbezüge erhalten und erhielten, waren sie- insoweit dies zutraf- nach den bis zum 31. 12. 1991 geltenden Bestimmungen des Angestelltenversicherungsgesetzes und der Reichsversicherungsordnung in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei. 56 Mit Wirkung vom 1. 1. 1992 änderte sich der zur gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtige Personenkreis. Gemäß § 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI sind nunmehr Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften während ihres Dienstes für die Gemeinschaft und während der Zeit ihrer außerschulischen Ausbildung grundsätzlich versicherungspflichtig. Nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI sind jedoch satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften versicherungsfrei, wenn ihnen nach den Regeln der Gemeinschaft Anwartschaft auf die in der Gemeinschaft übliche Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist. Indem § 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI die Versicherungspflicht für Ordensangehörige anordnet, macht der staatliche Gesetzgeber grundsätzlich von seiner Zuständigkeit zur Regelung des Sozialversicherungsrechts Gebrauch, trägt aber gleichzeitig mit§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht dadurch Rechnung, daß die ordensinterne Vorsorge als ein Sicherungssystem anerkannt wird, das ausreichenden sozialen Schutz gewährt. Um die Sicherung und Anerkennung dieser Gewährleistung einer ordensinternen Versorgung zu erreichen, haben die katholischen Orden in Deutschland das "Solidarwerk der katholischen Orden Deutschlands zur Sicherung der Altersversorgung in den Mitgliedsgemeinschaften der Vereinigung der Ordensoberinnen Deutschlands (VOD), der Vereinigung Deutscher Ordensobern (VDO) und der Vereinigung der Ordensobern der Brüderorden und -kongregationen Deutschlands (VOB)" gegründet. 57 Das Solidarwerk verfolgt nach § 2 Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 3), S. 148. Der abgekürzte Vereinsname lautet "Solidarwerk der katholischen Orden Deutschlands e.V. ".Das Solidarwerk der katholischen Orden Deutschlands e.V. hat seinen Sitz in München. Die Eintragung ins Vereinsregister erfolgte am 11. 12. 1991 unter der Nr. VR 13729 beim Amtsgericht München. Die Vereinssatzung ist in ihrer Urfassung abgedruckt in: OK 33 (1992), S. 179-186. Vgl. 56

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der am 22. 10. 1993 revidierten Satzung den Zweck, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, "daß seine Mitglieder ihre durch Abschluß des Profeßvertrages ihren eigenen satzungsmäßigen Mitgliedern gegenüber übernommenen Verpflichtungen, diese bei verminderter Arbeitsfähigkeit und im Alter zu versorgen, jederzeit erfüllen und dies den zuständigen staatlichen Behörden und den Sozialhilfeträgern gegenüber nachweisen können". Zu diesem Zweck verpflichtet sich das Solidarwerk gemäß § 13 Abs. 1 seiner Satzung zur Hilfeleistung gegenüber Mitgliedsgemeinschaften, die nicht mehr in der Lage sind, die Versorgung ihrer vermindert arbeitsfähigen und alten Mitglieder sicherzustellen. Die hierfür gegebenenfalls erforderlichen Geldmittel werden auf der Grundlage eines Umlageverfahrens von den Mitgliedsgemeinschaften erhoben. Mitglied des Solidarwerks kann unter bestimmten Voraussetzungen jede Ordensgemeinschaft werden, deren Höherer Oberer oder Höhere Oberin einer deutschen Ordensobernvereinigung (VOD, VDO, VOB) angehört. 58 Aus den obersten Grundsätzen des durch das Grundgesetz konstituierten Sozialstaats der Bundesrepublik Deutschland folgt, daß nichtversicherungspflichtige Mitglieder von Ordensgemeinschaften im Falle des Ausscheidens aus ihrer Gemeinschaft pflichtmäßig nachzuversichern sind. 59 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Ordensgemeinschaften aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV steht dieser Verpflichtung nicht entgegen. Durch das am 1. 1. 1992 in Kraft getretene Rentenreformgesetz wurde auch die Nachversicherung ausgeschiedener Ordensangehöriger auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI werden Personen, die als satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen oder Angehörige ähnlicher Gehierzu ferner Wolfgang Schumacher, Kommentar zur Satzung des Solidarwerks der katholischen Orden Deutschlands, ebd., S. 187-198. Dem Solidarwerk gehören derzeit (Stand vom 1. 1. 1994) 317 Mitgliederorganisationen an, die 331 in Deutschland ansässige Ordensgeneralate, Provinzialate, Mutterhäuser, Priorate und selbständige Klöster repräsentieren. Vgl. hierzu auch bei Meier, Die Rechtswirkungen (Anm. 47), S. 462 f.; ferner Heimerl! Pree I Primetshofer, Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 23), Rdnrn. 61264 ff. (S. 727 f.). ss Angaben bei Meier, Die Rechtswirkungen (Anm. 47), S. 463 mit Fn. 182184; ebenso bei HeimerZ I Pree I Primetshofer, Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 23), Rdnrn. 61264 ff. (S. 727 f.). 59 Über die Anfänge der Einführung der Nachversicherung von Ordensangehörigen während der fünfzigerJahresiehe die instruktive Darstellung von Werner Böcker, Die Nachversicherung von ausgeschiedenen Mitgliedern geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz und Angehörigen ähnlicher Gemeinschaften in der sozialen Rentenversicherung. Jur. Diss., Köln 1962, S. 19ff.

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meinschaften versicherungsfrei waren oder von der Versicherungspflicht befreit worden sind, nachversichert, wenn sie ohne Anspruch oder Anwartschaft auf Versorgung aus der Beschäftigung ausgeschieden sind oder ihren Anspruch auf Versorgung verloren haben und Gründe für einen Aufschub der Beitragszahlung (§ 184 Abs. 2 SGB VI) nicht gegeben sind. Bis zum 31. 12. 1991 bestand für alle ehemaligen Ordensleute, die ihre Ordensgemeinschaft verlassen hatten, Nachversicherungspflicht gemäß § 9 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 AVG bzw. gemäß § 1232 Abs. 5 i.V.m. § 1402 RVO, und zwar für die gesamte Zeit ihrer satzungsmäßigen Mitgliedschaft im Ordensverband, d. h. von der ersten Ordensprofeß oder dem Beginn ihrer Bindung, frühestens jedoch vom 1. 3. 1957 an. Gemäß den seit dem 1. 1. 1992 geltenden Bestimmungen des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 SGB VI erstreckt sich die Nachversicherungspflicht für die bis zu ihrem Ausscheiden aus der Ordensgemeinschaft versicherungsfreien Angehörigen auf die gesamte Zeit der Versicherungsfreiheit. Die nach dem früheren Recht geltende Regelung, daß eine Nachversicherung ausgeschiedener Ordensangehöriger frühestens vom 1. 3. 1957 an möglich war, wurde auch durch das neue Recht nicht geändert. Die Höhe der Nachversicherung, die von der Ordensgemeinschaft für ausgeschiedene Ordensangehörige an den Rentenversicherungsträger zu zahlen ist, richtet sich nach dem jeweiligen beitragspflichtigen Einkommen. Liegt kein persönliches beitragspflichtiges Einkommen vor, wie dies bei Ordensangehörigen in aller Regel der Fall ist, erfolgt die Berechnung der Nachversicherungsbeiträge nach der gesetzlich festgelegten Mindestbeitragsbemessungsgrundlage. Nach der bis zum 31. 12. 1991 bestehenden Rechtslage wurde gemäߧ 124 Abs. 2 AVG bzw. § 1402 Abs. 2 RVO bei Antragstellung bis zum 31. 12. 1991 nach dem Ausscheiden ein fiktives Monatseinkommen von 20% der jeweiligen monatlichen Beitragsbemessungsgrenze zugrunde gelegt. Nach der gemäß § 181 Abs. 3 i.V.m. § 278 Abs. 1 SGB VI seit dem 1. 1. 1992 bestehenden neuen Rechtslage sind dies 20% der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze für die Zeiten der Ordensangehörigkeit bis zum 31. 12. 1976 und 40 % der jeweiligen Bezugsgröße vom 1. 1. 1977 an, zuzüglich einer prozentualen Dynamisierung der Beitragsbemessungsgrundlage im Verhältnis des Durchschnittsentgelts im Zahlungsjahr der Nachversicherung zum Durchschnittsentgelt des jeweiligen Nachversicherungsjahres {§ 181 Abs. 4 SGB VI). Gemäß § 181 Abs. 1 SGB VI kommt der zum Zahlungszeitpunkt geltende Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Anwendung. Dieser wird ebenso wie die Beitragsbemessungsgrenze, die Bezugsgröße und das

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Kirchenorganisation

Durchschnittsentgelt vom zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bzw. vom Deutschen Bundestag festgelegt. 60 Die Nachversicherung ausgeschiedener Ordensangehöriger auf der Basis der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage ist gesetzlich geregelt und der Höhe nach nicht beeinflußbar. Beitragspflichtige Einnahmen sind die Geld- und Sachwerte, die das Ordensmitglied persönlich erhält; diese sind bei allen Ordensmitgliedern gleich hoch, unabhängig von ihrer Position und ihrer Tätigkeit während ihrer Ordenszugehörigkeit und unabhängig von den Einkünften, die der Ordensgemeinschaft durch ihre Dienste zugeflossen sind. 61 Gemäß § 181 Abs. 1 bis 3 SGB VI erfolgt die Berechnung der Beiträge nach den Vorschriften, die im Zeitpunkt der Zahlung der Beiträge für versicherungspflichtige Beschäftigte gelten. Beitragsbemessungsgrundlage sind die beitragspflichtigen Einnahmen aus der Beschäftigung im Nachversicherungszeitraum bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze. Mindestbeitragsbemessungsgrundlage ist ein Betrag in Höhe von 40 % der jeweiligen Bezugsgröße, für Ausbildungszeiten die Hälfte dieses Betrages. 62 Entscheidend für den Eintritt eines Nachversicherungsfalles ist nicht die im kanonischen Recht geregelte, sondern die faktische Beendigung der Ordenszugehörigkeit. Die Nachversicherungsbeiträge sind gemäߧ 181 Abs. 5 S. 1 SGB VI allein von der Ordensgemeinschaft zu tragen; das Ordensmitglied selbst hat keine Beiträge zu entrichten. 63

b) Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung Nach den bis zum 31. 12. 1988 geltenden Bestimmungen bestand gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 6 RVO für Mitglieder geistlicher Genossenschaften Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung, "wenn sie sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen und nicht mehr als freien Unterhalt oder ein geringes Entgelt beziehen, das nur zur Beschaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse an Wohnung, Verpflegung, Kleidung und dergleiVgl. hierzu auch Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 3), S. 197 m.w.N. SG Hamburg, Urt. v. 11. 6. 1974 (9 An 762171), in: KirchE 14, 85-89; SG Duisburg, Urt. v. 22. 3. 1977 (S 13 [14] An 83175), in: KirchE 16, 94. 62 Einzelheiten mit Hinweisen auf die einschlägige Judikatur bei Heimerl I Pree I Primetshofer, Handbuch des Vermögensrechts (Anm. 23), Rdnrn. 61269282 (= s. 729 f.). 63 BayLSG, Urt. v. 13. 10. 1970 (L 16 I An 115/69), in: KirchE 11, 337. 60

61

Die Ordensgemeinschaften im staatlichen Recht

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chen ausreicht. " 64 Nach der seit dem 1. 1. 1989 bestehenden Rechtslage sind gemäߧ 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB V satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und ähnliche Personen, wenn sie sich aus überwiegend sittlichen oder religiösen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen und nicht mehr als freien Unterhalt oder ein geringfügiges Entgelt beziehen, das nur zur Beschaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse an Wohnung, Verpflegung, Kleidung und dergleichen ausreicht, in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei. Die Ordensgemeinschaft hat aber die Möglichkeit, ihre Angehörigen gemäß § 9 Abs. 1 SGB V in der freiwilligen Krankenversicherung zu versichern. Von dieser Möglichkeit haben die meisten Ordensgemeinschaften Gebrauch gemacht. Die Ordensangehörigen sind daher in der Regel freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäߧ 169 AFG sind die krankenversicherungsfreien Ordensangehörigen auch in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei. Die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung hängt demgegenüber gemäߧ 541 Abs. 1 Nr. 3 RVO davon ab, daß nach den Satzungen bzw. Statuten der Gemeinschaft eine lebenslange Versorgung gewährleistet ist.

64 Vgl. hierzu Meier, Die Rechtswirkungen (Anm. 47), S. 463 mit Fn. 185, m.w.N.

VIII. Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche I. Zur Entwicklungsgeschichte der katholischen Lehre über die Kirche (Ekklesiologie)

Die katholische Kirche hat in den insgesamt 16 Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils (11. 10. 1962- 8. 12. 1965) ihr ekklesiologisches Selbstverständnis in einer dem gegenwärtigen Stand der theologischen Reflexion entsprechenden Weise grundlegend und umfassend neu formuliert. Während 14 Konzilsdokumente Einzelaspekte bzw. -bereiche der kirchlichen Lehre bzw. des kirchlichen Lebens behandeln, nämlich die Liturgie, die sozialen Kommunikationsmittel, die katholischen Ostkirchen, den Ökumenismus, die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche, die Ausbildung der Priester, die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens, die christliche Erziehung, das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristliehen Religionen, die göttliche Offenbarung, das Laienapostolat, den Dienst und das Leben der Priester, die Missionstätigkeit der Kirche und die Religionsfreiheit, haben zwei Konstitutionen das Selbstverständnis der Kirche als solcher zum Gegenstand, nämlich die zentrale "Dogmatische Konstitution über die Kirche" Lumen Gentium (Vat. II LG) und die "Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute" Gaudium et Spes (Vat. II GS). Diese beiden Dokumente enthalten die authentische kirchliche Lehre und zugleich das Ergebnis des geschichtlichen Prozesses der lehramtliehen Selbstreflexion der katholischen Kirche über ihren Ursprung, ihre Sendung und ihre letzte Zweckbestimmung. Diese ekklesiologische Selbstreflexion nimmt ihren Anfang im Bekenntnis des Glaubens an die Kirche im Apostolischen Glaubensbekenntnis ("Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche"). Die Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität sind Wesensmerkmale der katholischen Kirche. Dieses Bekenntnis wurde in den späteren Ausformungen der Glaubensbekenntnisse (Symbola) der Erstveröffentlichung in: Evangelisches Staatslexikon. Hrsg. von Roman Herzog, Hermann Kunst, Klaus Schlaich, Wilhelm Schneemelcher. 3., neu bearbeitete Auflage, Bd. 1, Stuttgart: Kreuz-Verlag 1987, Sp. 1529-1539.- Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kreuz-Verlags, Stuttgart. 60 Sbd. List!

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

alten Kirche weiter entfaltet. Lehramtliche Aussagen über die Kirche begegnen erst im Hoch- und Spätmittelalter (z. B. II. Konzil von Lyon 1274, Konzil von Florenz 1439 -1454), und zwar vor allem in der Auseinandersetzung mit spiritualistischen ekklesiologischen Strömungen, wie sie insbesondere bei den Waldensern, John Wiclif (t 1384) in seinen Schriften "De ecclesia" und "De potestate papae" und Johannes Hus (t 1415) in seinem "Tractatus de ecclesia" in Erscheinung traten. Gegen die Lehren des Konziliarismus und das Kirchenverständnis der Reformatoren bekannte sich das Konzil von Trient (1545 -1563) zu der hierarchischen Verfassungsstruktur der Kirche. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgten die großen Lehrentscheidungen, in denen die dogmatische Lehre über die Kirche zu einem vorläufigen Höhepunkt gelangte. Auf dem I. Vatikanischen Konzil (8. 12. 1869-20. 10. 1870) wurde der universale Jurisdiktionsprimat des Papstes und dessen unfehlbare Lehrautorität in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre feierlich beschlossen. 1943 legte Papst Pius XII. in der Enzyklika "Mystici Corporis" unter der Leitvorstellung der Kirche als des "Geheimnisvollen Leibes Christi" (Corpus Christi Mysticum) auf der Grundlage des paulinischen Leib-Christi-Denkens (vgl. 1 Kor 10, 16 ff.) und des organologischen Kirchenbegriffs (Kirche als Organismus) erstmals einen lehramtliehen Gesamtentwurf einer Ekklesiologie vor. Theologiegeschichtlich wurden die Grundfragen der Ekklesiologie im Mittelalter in systematischer Weise nicht in den großen theologischen Summen (z. B. Albertus Magnus, Thomas v. Aquin, Bonaventura) behandelt, sondern von den Kanonisten in den Traktaten über die Gewalt der Kirche und des Papstes, wie z. B. von Johannes Quidort von Paris (t 1306) in der Abhandlung "De regia potestate et papali", Jakob von Viterbo (t 1308) in dem Traktat "De regimine christiano", Heinrich von Cremona (t 1312) in der Schrift "De potestate papae", Aegidius Romanus (t 1316) in dem Werk "De ecclesiastica sive de summi pontificis potestate" und Johannes de Turrecremata (Juan de Torquemada t 1468) in der "Summa de ecclesia", dem bedeutendsten Werk der Scholastik über die Kirche (Martin Grabmann). Diese Traktate behandeln nicht nur die innerkirchliche Rechtsstellung des Papstes, in ihnen spielte auch die das gesamte hohe und späte Mittelalter beherrschende Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat, Kaisertum und Papsttum und die Erörterung über die Grenzen der päpstlichen und kaiserlichen Gewalt innerhalb des die Kirche und den Staat gleichermaßen umfassenden mittelalterlichen Corpus Christianum eine bedeutsame, wenn nicht sogar die dominierende Rolle. Zur selbständigen systematischen Disziplin innerhalb des Fächerkanons der katholischen Theologie entwickelte sich die Ekklesiologie erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. In einem der Sache durchaus abträglichen for-

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malwissenschaftlichen Trennungsdenken wurde dabei die Behandlung der Stiftung der Kirche sowie ihrer äußeren hierarchischen Verfassung häufig der Fundamentaltheologie, die Darstellung ihres inneren Lebens, insbesondere der Kirchengliedschaft und des gnadenhaften Selbstvollzugs der Kirche durch die Sakramente, der Dogmatischen Theologie zugewiesen. Das Kirchenrecht, dessen Bestimmungen die konkrete normative Ausprägung der dogmatischen ekklesiologischen Lehre der Kirche darstellen, regelt die Ausübung der Leitungsgewalt in der Kirche durch die kraft göttlichen Rechts (ius divinum) oder rein kirchlichen Rechts (ius mere ecclesiasticum) hierfür im einzelnen zuständigen Organe. Im Codex Iuris Canonici vom 25. 1. 1983 hat die katholische Kirche des lateinischen Rechtskreises ein neues, die Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils rezipierendes Gesetzbuch erhalten. U. Aussagen über das Wesen der Kirche 1. Die Kirche als Mysterium und Gegenstand des Glaubens

a) Die Kirche als komplexe Wirklichkeit. Die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils enthalten keine umfassende Definition der Kirche, wenn man von der sehr allgemeinen Aussage absieht, Gott habe "die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens gläubig aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei" (Vat. II LG Art. 9 Abs. 3). Wie Lumen Gentium im I. Kapitel "Das Mysterium der Kirche" erklärt, kann die Fülle der einzelnen Elemente und verschiedenen Aspekte der Gesamtwirklichkeit der Kirche nicht in einer einzigen Definition, sondern nur in vielen inhaltlich konvergierenden Deutungsversuchen und letztlich immer nur unvollkommen und in Annäherungswerten rational beschrieben werden. Das Konzil begegnet der Gefahr einer Mißdeutung des Kirchenbegriffs im Sinne einer wirklichkeitsfernen Spiritualisierung einerseits und ebenso einer einseitigen Verrechtlichung des Kirchenverständnisses andererseits gleichermaßen dadurch, daß es seine ekklesiologisch-dogmatischen und verfassungsrechtlich-soziologischen Aussagen über die Kirche dialektisch miteinander verbindet. Die durchgängige oberste Interpretationsmaxime für die gesamte ekklesiologische Doktrin des II. Vatikanischen Konzils bildet die am Ende des I. Kapitels von Lumen Gentium enthaltene grundsätzliche Aussage: "Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die so•

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes Gottes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16)" (Vat. II LG Art. 8 Abs. 1). Die Kirche ist somit weder ausschließlich unsichtbares göttliches Mysterium noch in ihrer äußeren sichtbaren rechtlich verfaßten Erscheinung bloße menschliche gesellschaftliche Organisation. Die Kirche ist vielmehr die in der Geschichte des Volkes Gottes und im Alten Bund vorbereitete, in der Endzeit von Jesus Christus gestiftete und durch die Ausgießung des Heiligen Geistes geoffenbarte und am Ende der Welt vollendete Gemeinschaft und damit das im Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi (Vat. II LG Art. 2 und 3). b) Die Kirche in der biblischen Bildersprache. Nach dem Vorbild der Heiligen Schrift versucht das Konzil die komplexe Wirklichkeit des Mysteriums Kirche mit einer Fülle biblischer Bilder zu umschreiben, die vom Hirten- und Bauernleben, vom Hausbau oder auch von der Familie und der Brautschaft genommen sind und schon in den Büchern der Propheten vorbereitet werden (vgl. Vat. II LG Art. 6 f.). c) Die Einheit der Kirche. In Anbetracht der Lage der getrennten Christenheit kommt den Ausführungen des Konzils über die Einheit der Kirche besondere Bedeutung zu. Von der Kirche, die ein Mysterium und eine einzige komplexe Wirklichkeit ist, sagt das Konzil aus, daß sie die einzige Kirche Christi ist, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. Die Aufgabe, sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (Joh. 21,17); ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18 ff.). Zum Verhältnis der Kirche Christi zur katholischen Kirche erklärt das Konzil: "Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Dies schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen." (Vat. II LG Art. 8 Abs. 2; CIC c. 204 § 2). Damit ist ein Doppeltes ausgesagt: einmal, daß die wahre und einzige Kirche Christi in geschichtlicher Konkretheit und damit als solche feststellbar und erkennbar existiert und daß die

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konkret existierende Form dieser von Christus gestifteten Kirche die katholische Kirche ist; ferner wird ausgesagt, daß es außerhalb der katholischen Kirche "Kirchen und kirchliche Gemeinschaften" (vgl. Vat. II LG Art. 15; Dekret über den Ökumenismus Unitatis RedintegratioVat. II UR - Art. 13; CIC z. B. cc. 364 n. 6, 1124, 1183 § 3) gibt, deren Kirchlichkeit ausdrücklich anerkannt wird. Das II. Vatikanische Konzil geht - in deutlichem Unterschied etwa zur Enzyklika "Mystici Corporis"- nicht von einer absoluten und exklusiven Identität der Kirche Christi mit der katholischen Kirche aus und bezeichnet es als eine seiner "Hauptaufgaben", die Einheit aller Christen wieder herstellen zu helfen (Vat. II UR, Vorwort). Von der katholischen Kirche bekennt das Konzil, daß sie zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig ist und immerfort den Weg der Buße und Erneuerung geht (Vat. II LG Art. 8 Abs. 3). 2. Die Kirche als das neue Volk Gottes

Den geistlichen Charakter und Auftrag der Kirche hat das Konzil ferner dadurch herausgestellt, daß es im II. Kapitel von Lumen Gentium in deutlicher Unterscheidung zu dem ehedem auserwählten Volk Israel die Kirche in einer heilsgeschichtlichen Perspektive als das "neue Volk Gottes" beschreibt. Diesen Neuen Bund hat Christus gestiftet, nämlich das Neue Testament in seinem Blute. Er hat sich aus Juden und Heiden ein neues Volk berufen, das nicht dem Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammenwachsen und das neue Volk Gottes bilden sollte (Vat. II LG Art. 9 Abs. 1). Es ist das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des göttlichen Eigentums (1 Petr 2,9 f.). Die Aufnahme in das neue Gottesvolk der Kirche erfolgt durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist. Aufgrund des Empfangs des Taufsakramentes besteht zwischen allen Gläubigen eine wahre Gleichheit in der Würde und Tätigkeit, kraftder alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken (Vat. II LG Art. 32 Abs. 3; CIC c. 208; vgl. Katalog der Pflichten und Rechte aller Gläubigen CIC cc. 208-223). Den Laien obliegt die besondere Pflicht, und zwar jedem gemäß seiner eigenen Stellung, die Ordnung der zeitlichen Dinge im Geiste des Evangeliums zu gestalten und zur Vollendung zu bringen (Vat. II LG Art. 30-38; CIC c. 225 Abs. 2; vgl. Katalog derbesonderen Pflichten und Rechte der Laien CIC cc. 224-231). Vom gemeinsamen Priestertum, durch das alle Gläubigen am prophetischen, priesterlichen und königlichen Amt Christi (d. h. am Verkündigungs-, Heiligungs- und Leitungsdienst der Kirche) Anteil haben, ist das hierarchische Priestertum zu unterscheiden. Der Amtsprie-

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

stervollzieht kraft seiner heiligen Gewalt in der Person Christi das heilige Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes dar. Die Gläubigen wirken "kraft ihres königlichen Priestertums" an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe (Vat. II LG Art. 10 Abs. 2). Der Lebensvollzug der Kirche als so verstandener priesterlicher Gemeinschaft geschieht durch den Empfang der sieben Sakramente und das Zeugnis eines tugendhaften christlichen Lebens (Vat. II LG Art. 11). Der universelle missionarische Heilsauftrag bildet eine notwendige Lebensäußerung des Volkes Gottes, die auf alle Völker und Kulturen ausgerichtet ist. Kraft ihrer Katholizität bringen in sie die einzelnen Teilkirchen ihre je besonderen Gaben ein. Ausdruck dieser Vielfalt sind die verschiedenen Ämter in der Kirche, die Unterschiede im Stand und in der Lebensordnung, insbesondere auch im Ordensstand. Diese Vielfalt manifestiert sich, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, auch durch die zu Recht bestehenden (nicht dem lateinischen Rechtskreis zugehörigen, mit Rom unierten) Teilkirchen und Rituskirchen mit eigener Überlieferung, d. h. insbesondere die orientalischen Kirchen (Vat. II LG Art. 12 ff.). Zur Heilsnotwendigkeit der Kirche erklärt das Konzil unter Berufung auf die Heilige Schrift und die Tradition, daß "diese pilgernde Kirche zum Heile notwendig" sei. Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, "die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten" (Vat. II LG Art. 14 Abs. 1). Hinsichtlich der Kirchenzugehörigkeit aller Getauften unterscheidet das Konzil entsprechend seinem ekklesiologischen Grundverständnis eine gestufte Kirchengliedschaft und erklärt, daß voll in die Gemeinschaft der Kirche diejenigen eingegliedert sind, die, im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und zwar durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft (Vat. II LG Art. 14 Abs. 2). Mit den Christen anderer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften weiß sich die katholische Kirche aus mehrfachem Grund verbunden (Vat. II LG Art. 15). Allen anderen, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, weiß sich die Kirche verpflichtet, aufgrund des Missionsauftrags ihres Herrn, das Evangelium der ganzen Schöpfung zu predigen und alle Völker zu lehren und zu taufen (Vat. II LG Art. 16 f.).

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3. Die Kirche als hierarchisch verfaßtes Gottesvolk

a) Die biblischen und lehramtliehen Aussagen über die Hierarchie. Im 111. Kapitel wendet sich Lumen Gentium der Verfassungsstruktur der Kirche zu. Die Kirche als das von Jesus Christus aufgerichtete Heilszeichen und als das neue Volk Gottes besitzt eine hierarchische Leitungs- und Verfassungsstruktur, die ihr von ihrem Herrn selbst gegeben wurde. Den Aussagen des Konzils liegt ein Schriftverständnis zugrunde, demzufolge Jesus, wiewohl er selbst Herr seiner Kirche (vgl. Mt 16,18 "meine Kirche") bleibt (vgl. Mt 28,18 ff.), ihr "eine grundlegende (noch nicht weiterentwickelte) Verfassung" gegeben hat. Die Petrus in Mt 16,18 zuerkannte "fundamentale" Stellung wird als Vorzugsstellung im Kreise der Brüder durch Lk 22,31 f. bestätigt, seine Leitungsgewalt über die "Herde Christi" in Joh 21,15 ff. ausgesprochen. Die Binde- und Lösegewalt erhalten auch die übrigen Apostel (Mt 18,18), nach Joh 20,22 f. insbesondere die Macht, Sünden nachzulassen oder zu behalten. Außer dieser grundlegenden Vorsorge hat Jesus alles Weitere dem verheißenen Heiligen Geist (vgl. die Parakletsprüche im Johannesevangelium) überlassen (Rudolf Schnackenburg). Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Lehren des I. Vatikanischen Konzils (Dogmatische Konstitution "Pastor aeternus"), dessen Lehren es fortführt, erklärt das II. Vatikanumim 111. Kapitel von Lumen Gentium, "Die hierarchische Verfassung der Kirche, insbesondere das Bischofsamt", daß der ewige Hirt Jesus Christus die heilige Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte, wie er selbst vom Vater gesandt wurde (vgl. Joh 20,21). Nicht nur die Kirche selbst, auch die in ihr bestehende hierarchische Ämterstruktur beruht auf dem ausdrücklichen Stiftungswillen Jesu Christi und damit auf göttlichem Recht. Wie das Konzil lehrt, "wollte" Jesus Christus, daß die Nachfolger der Apostel, d. h. die Bischöfe, "in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten". Zum Petrusamt, dem die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe der Wahrung der Einheit der Kirche übertragen ist, erklärt das II. Vatikanische Konzil: "Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt ist, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt." Ausdrücklich stellt das Konzil fest, daß es "diese Lehre über Einrichtung, Dauer und Gewalt und Sinn des dem Bischof von Rom zukommenden heiligen Primates sowie über dessen unfehlbares Lehramt" in Übereinstimmung mit dem I. Vatikanischen Konzil "abermals allen Gläubigen fest zu glauben vorlegt" (Vat. II LG Art. 18 Abs. 2).

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Die neue Entwicklung, die das II. Vatikanische Konzil im Verständnis der hierarchischen Leitungsgewalt der katholischen Kirche eingeleitet hat, besteht darin, daß auf der Grundlage des Prinzips der Kollegialität die Rechtsstellung und die Leitungsbefugnisse der Bischöfe sowohl in der Gesamtkirche als auch in den Teilkirchen näher bestimmt und erheblich gestärkt wurden. Dadurch wurde der auf dem I. Vatikanischen Konzil nicht erfolgte Ausgleich zwischen der primatialen Stellung des Papstes und den kollegialen Befugnissen der Bischöfe herbeigeführt. Die Bischöfe üben ihr Amt in der Kirche aus zusammen mit ihren Helfern, den Priestern und Diakonen, und stehen an Gottes Stelle ihrer Teilkirche vor, deren Hirte sie sind, und zwar in einer dreifachen Funktion, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult und als Diener in der Leitung. Die Apostel haben aufgrund des ihnen vom Herrn erteilten Sendungsauftrags "in dieser hierarchisch geordneten Gesellschaft" Nachfolger bestellt. Sowohl das Papstamt als auch das Amt der Bischöfe beruht auf apostolischer Sukzession. Wie das Amt fortdauern sollte, das vom Herrn ausschließlich dem Petrus, dem ersten der Apostel, übertragen wurde und auf seine Nachfolger übergehen sollte, so dauert auch das Amt der Apostel, die Kirche zu weiden, fort und muß von der heiligen Ordnung der Bischöfe immer ausgeübt werden. Zusammenfassend legt das Konzil entscheidendes Gewicht auf die Feststellung, daß die Bischöfe aufgrund göttlicher Einsetzung an die Stelle der Apostel als Hirten der Kirche getreten sind (Vat. II LG Art. 20 Abs. 3). b) Papst und Bischofskollegium als Träger der obersten kirchlichen Leitungsgewalt. Erstmals in ihrer Geschichte hat die katholische Kirche in Lumen Gentium eine lehramtliche Festlegung des Verhältnisses von Papst und Bischofskollegium vorgenommen. Nach langwierigen und intensiven Beratungen hat das Konzil unter ausdrücklicher Anerkennung der vom I. Vatikanischen Konzil definierten primatialen Stellung des Papstes im Lehr- und Leitungsamt ergänzend zu den Definitionen des I. Vatikanischen Konzils festgestellt: "Die Ordnung der Bischöfe aber, die dem Kollegium der Apostel im Lehr- und Hirtenamt nachfolgt, ja, in welcher die Körperschaft der Apostel immerfort weiterbesteht, ist gemeinsam mit ihrem Haupt, dem Bischof von Rom, und niemals ohne dieses Haupt, gleichfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche (Vat. II LG Art. 22 Abs. 2; ebenso CIC c. 336). Diese Aussage beruht auf dem biblisch-ekklesiologischen Grundverständnis, daß, ebenso wie nach der Anordnung des Herrn ("statuente Domino") der heilige Petrus und die übrigen Apostel ein einziges apostolisches Kollegium bilden, in entsprechender Weise auch der Bischof von Rom, der Nachfolger Petri, und die Bischöfe, die Nachfolger der Apostel, untereinander verbunden sind. "Auf die kollegiale

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Natur und Beschaffenheit des Episkopates" weist, wie das Konzil im einzelnen ausführt, die uralte kirchliche Disziplin hin, dergemäß die Bischöfe des ganzen Erdkreises untereinander und mit dem Bischof von Rom Gemeinschaft hielten, zu Konzilien zur gemeinsamen Regelung der wichtigeren Angelegenheiten zusammentraten und sich vor allem im Laufe der Jahrhunderte zu den Ökumenischen Konzilien versammelten (Vat. II LG Art. 22 Abs. 1). Die Aufnahme in das Bischofskollegium erfolgt durch den Empfang der sakramentalen Bischofsweihe und die hierarchische Gemeinschaft mit dem Haupt und den Gliedern des Kollegiums. Die Ausübung der Gewalt des Bischofskollegiums kann nur mit Zustimmung des Bischofs von Rom erfolgen. Diese Prärogative des Papstes folgt daraus, daß der Herr allein Simon zum Fels und Schlüsselträger der Kirche bestellt (Mt 16,18-19) und ihn als Hirten seiner ganzen Kirche vorgesetzt hat (vgl. Joh 21,15 f.). Das Binde- und Löseamt, das dem Petrus verliehen wurde (Mt 16,19), wurde auch dem mit seinem Haupt verbundenen Apostelkollegium übertragen (Mt 18,18; 28,16-20; Vat. II LG Art. 22 Abs. 2). Diese zentralen Aussagen des Konzils über das gegenseitige Verhältnis von Papst und Bischofskollegium haben während des Konzils durch Papst Paul VI. in der präzisierenden "Erläuternden Vorbemerkung" (Nota explicativa praevia) zum III. Kapitel des Schemas über die Kirche, der späteren Dogmatischen Konstitution über die Kirche, eine authentische Interpretation erfahren. Darin wird darauf hingewiesen, daß der Papst notwendig zum Bischofskollegium gehört, weil es dieses Kollegium ohne Haupt nicht gibt. Das Bischofskollegium wird deshalb "ebenfalls" Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche genannt. Der Papst wird bei diesem Kollegium immer und notwendigerweise als Haupt des Kollegiums verstanden, "das in dem Kollegium sein Amt als Statthalter Christi und Hirt der Gesamtkirche unverkürzt bewahrt". Wie die "Erläuternde Vorbemerkung" feststellt, "besteht die Unterscheidung nicht zwischen dem Bischof von Rom einerseits und den Bischöfen zusammengenommen andererseits, sondern zwischen dem Bischof von Rom für sich und dem Bischof von Rom vereint mit den Bischöfen". Es steht dem Papst auch zu, nach seinem Ermessen darüber zu bestimmen, wie seine Hirtensorge für die Gesamtkirche ausgeübt werden soll, ob durch ihn allein oder kollegial. Im Unterschied zum Bischofskollegium, das "nicht ohne Zustimmung des Hauptes" tätig werden kann, kann der Papst als höchster Hirte der Kirche seine Leitungsgewalt auch ohne Zustimmung des Kollegiums jederzeit nach seinem Ermessen frei ausüben (Nota explicativa praevia, Nr. 3 f.). Dadurch, daß ohne die qualifizierte Mitwirkung des Papstes als Oberhaupt des Kollegiums ein kollegialer Akt des Bischofskollegiums nicht zustande kommen kann, wird ein sonst mög-

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lieherweise unlösbarer Konflikt zwischen den beiden obersten Trägern der kirchlichen Leitungsgewalt im Interesse der Wahrung der Einheit der Kirche ausgeschlossen (Karl Rahner). Das Bischofskollegium übt seine Gewalt über die Gesamtkirche in feierlicher Weise im Ökumenischen Konzil aus. Dieselbe kollegiale Gewalt kann ferner gemeinsam mit dem Papst von allen in aller Welt lebenden Bischöfen ausgeübt werden, sofern der Papst einen derartigen kollegialen Akt in die Wege leitet oder wenigstens die gemeinsame Handlung der räumlich getrennten Bischöfe billigt oder frei annimmt, so daß ein wirklich kollegialer Akt zustande kommt (Vat. II LG Art. 22 Abs. 2; CIC c. 337). Die Hirtensorge des Bischofskollegiums für die Gesamtkirche gelangt ferner zum Ausdruck in der Bischofssynode, d. h. einer Versammlung von Bischöfen, die "als Vertretung des gesamten katholischen Episkopates" aus den verschiedenen Regionen der Welt ausgewählt wurde und zu bestimmten Zeiten zusammentritt, um die enge Verbindung zwischen dem Papst und den Bischöfen zu fördern und durch ihren Rat dem Papst Hilfe zu leisten bei der Reinhaltung des Glaubens und der Sitten, bei der Wahrung und Festigung der kirchlichen Disziplin sowie bei der Erörterung von Fragen, die sich auf das Wirken der Kirche in der Welt beziehen (Vat. II, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche Christus Dominus Art. 5; CIC c. 342). c) Die Ausprägung der Kollegialität auf der Ebene der Teilkirchen. Dem Kollegialitätsprinzip kommt nicht nur im Verhältnis zwischen dem Papst und dem Bischofskollegium, d. h. auf der Ebene der Gesamtkirche, sondern auch zwischen den einzelnen Trägern des Bischofsamtes, d. h. auf der Ebene der Teilkirchen (Diözesen), eine große Bedeutung zu. Das Wesen der katholischen Kirche würde in schwerwiegender Weise verkannt, wollte man sie nach dem Modell eines straff organisierten zentralistischen Einheitsstaates verstehen. Dem widerspricht die ausdrückliche Erklärung des Konzils, daß die eine und einzige katholische Kirche in und aus den Teilkirchen besteht (Vat. II LG Art. 23 Abs. 1; CIC c. 368). Die katholische Kirche verwirklicht sich einerseits ganz in jeder einzelnen Teilkirche (Ortskirche bzw. Diözese), die der Bischof mit seinem Presbyterium, d. h. der Gesamtheit aller Priester seiner Diözese, mit den Diakonen und seinen Gläubigen bildet; sie baut sich andererseits aus den Teilkirchen auf. Die Kirche ist die große Gemeinschaft (communio), in der jeder Bischof und jede einzelne Teilkirche die Aufgabe hat, die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Teilkirche und der Gesamtkirche, zwischen Kollegialität und Primat, und damit die Glaubenseinheit und die der gesamten Kirche gemeinsame Disziplin zu fördern und zu schützen und die Gläubigen zur Liebe zum ganzen Mystischen Leib Christi anzulei-

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ten. Jeder Bischof und jede Teilkirche soll daher auch für das Wohl der anderen Teilkirchen, besonders für die benachbarten und bedürftigeren, Sorge tragen und ihnen gern brüderliche Hilfe gewähren (Vat. II LGArt. 23). Eine Ausprägung des Kollegialitätsprinzips auf der Ebene der Teilkirchen bilden seit jeher die teilkirchlichen Synoden (Partikularkonzilien; vgl. CIC cc. 439 ff.). In der Gegenwart werden deren frühere Funktionen weithin von den beweglicheren Bischofskonferenzen ausgeübt. Die durch das II. Vatikanische Konzil angeordnete Errichtung nationaler Bischofskonferenzen als kollegiale hierarchische Mittelinstanzen zwischen dem Papst und dem einzelnen Diözesanbischof mit umfangreichen selbständigen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und z.T. auch Rechtsprechungskompetenzen bildet einen kirchenhistorisch bedeutsamen Vorgang, der die bisherige Kirchenverfassung und das Erscheinungsbild der katholischen Kirche erheblich verändert. Nur mittels der Bischofskonferenzen ist in der Zukunft in der katholischen Weltkirche eine dezentralisierte und damit dem Eigenleben und den Erwartungen der verschiedenen Regionen und Kulturräume und ihrer jeweiligen Tradition gerecht werdende effektive Leitung der Gesamtkirche möglich.

4. Zum Verhältnis von Kirche und Welt

Die der Kirche von Christus übertragene eigene Sendung bezieht sich nicht auf den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich; das der Kirche von Christus gesetzte Ziel gehört vielmehr der religiösen Ordnung an (Vat. II GS Art. 42 Abs. 2). Deshalb darf die Kirche, die an kein politisches System gebunden ist, hinsichtlich ihrer Aufgaben und ihrer Zuständigkeit in keiner Weise mit dem Staat verwechselt werden. Mit Nachdruck betont das II. Vatikanische Konzil die Eigenständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat und die gegenseitige Unabhängigkeit der kirchlichen und der staatlichen Gewalt. Wörtlich erklärt das Konzil: "Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind je auf ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom." Andererseits bekennt sich das Konzil zu einer engen, sachorientierten und partnerschaftliehen Kooperation zwischen Kirche und Staat zum Wohle der Menschen, die gleichzeitig Glieder der Kirche und Bürger des Staates sind. Staat und Kirche haben, wenn auch in verschiedener Begründung, die gemeinsame Aufgabe, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung derselben Menschen zu dienen. "Diesen Dienst", erklärt das Konzil, "können beide zum Wohle aller um so wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken

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miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen" (Vat. II GS Art. 76 Abs. 3). ill. Literatur Ioannes Bapt. Franzelin, Theses de Ecclesia Christi, 2. Aufl., Romae 1907 Ludwig Kösters, Die Kirche unseres Glaubens, 4. Aufl., Freiburg i.Br. 1952 Ioachim Salaverri, De Ecclesia Christi, in: Michael Nicolau und Ioachim Salaverri, SacraeTheologiae Summa, 2. Aufl., Vol. I: Theologia Fundamentalis, Matriti 1952, S. 495-953 (Lit.)- Pius XII., Enzyklika "Mystici Corporis" (deutsche Übersetzung), in: Anton Rohrbasser (Hrsg.), Heilslehre der Kirche, Freiburg/ Schweiz 1953, S. 466-526- Karl Binder, Wesen und Eigenschaften der Kirche bei Kardinal Juan de Torquemada O.P., Innsbruck 1955 (Lit.) - Martin Grabmann, Die Geschichte der katholischen Theologie seit dem Ausgang der Väterzeit, 2. Aufl., Darmstadt 1961- Rudolf Schnackenburg, Art. Kirche I: Die Kirche im Neuen Testament, in: LThK, 2. Aufl., Bd. VI, Freiburg i.Br. 1961, Sp. 167172 (Lit.) - Joseph Ratzinger, Art. Kirche II: Die Lehre des kirchlichen Lehramtes, ebd., Sp. 172 f. (Lit.)- Ders., Art. Kirche III: Systematisch, ebd., Sp. 173-183 (Lit.) - Ferdinand Holböck und Thomas Sartory (Hrsg.), Mysterium Kirche in der Sicht der theologischen Disziplinen, 2 Bde., Salzburg 1962 - Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 11. Aufl., Bd. 1, München-Paderborn-Wien 1964, S. 8-21 (Lit.)- Guilherme Barauna (Hrsg.), De Ecclesia. Beiträge zur Konstitution "Über die Kirche" des Zweiten Vatikanischen Konzils, 2 Bde., Freiburg i.Br. u. Frankfurt/M. 1966- LThK2 -Kozilskommentar, Das Zweite Vatikanische Konzil, Dokumente und Kommentare, 3 Teile, Freiburg i.Br. 1967-1968 (darin in Teil I, S. 137-359, lateinisch-deutscher Wortlaut der Dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" mit Kommentierungen von Gerard Philips, Aloys Grillmeier, Karl Rahner, Herbert Vorgrimler, Ferdinand Klostermann, Friedrich Wulf, Otto Semmelroth, Joseph Ratzinger) - Winfried Aymans, Das synodale Element in der Kirchenverfassung, München 1970 - Oskar Saier, "Communio" in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, München 1973 - Medard Kehl, Kirche als Institution. Zur theologischen Begründung des institutionellen Charakters der Kirche in der neueren deutschsprachigen katholischen Ekklesiologie, Frankfurt/M. 1976 - Joseph Listl, Kirche und Staat in der neuerenkatholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978 (Lit.)- Ders., Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 19 (1985), S. 9-32 - Ders., Art. Codex Iuris Canonici, in: Staatslexikon. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 1, Freiburg i.Br. 1985, Sp. 1152-1156 Henricus Denzinger und Adolfus Schönmetzer (Hrsg.), Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, 36. Aufl., Barcinone 1979- Heinz Brunner, Der organologische Kirchenbegriff in seiner Bedeutung für das ekklesiologische Denken des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1979 - Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983 -Codex Iuris Canonici/Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, 2. Aufl., Kevelaer 1984.

Der Staat nach katholischem Verständnis I. Das Selbstverständnis der katholischen Staatslehre 1. Von einer katholischen Staatslehre als selbständiger sozialwissenschaftlicher Disziplin kann wissenschaftsgeschichtlich erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen werden. Nach der endgültigen Trennung der Fächer Staatsphilosophie und philosophisches Naturrecht vom positiven öffentlichen Recht und der seither an den Juristischen Fakultäten überwiegend als rein empirische Wissenschaft und oft als bloße Staatsformenlehre betriebenen Allgemeinen Staatslehre haben katholische Philosophen und Theologen in einem mehr als einhundert Jahre währenden Bemühen eine systematische Lehre vom Staat entwickelt. Als ihre Hauptvertreter können gelten u.a. Luigi Taparelli d'Azeglio, Theodor Meyer, Georg von Hertling, Joseph Mausbach, Viktor Cathrein, Peter Tischleder, Heinrich Rammen, Gustav Gundlach, Oswald von Nell-Breuning. Die katholische Staatslehre ist dabei in dem größeren Rahmen der katholischen Soziallehre und Sozialphilosophie zu sehen, deren Teildisziplin sie ist.

Im Mittelalter wurde die Staatsphilosophie in den Fürstenspiegeln (vgl. z. B. Thomas v. Aquin oder Aegidius Romanus, De regimine principum) und in den großen scholastischen Summen der damaligen Zeit behandelt. Eine Verbindung augustinischen Staatsdenkens mit der in breitem Umfang rezipierten aristotelischen Staatslehre kennzeichnet die staatsethische und politische Doktrin Thomas v. Aquins, dessen Schriften auf das mittelalterliche Denken nachhaltig eingewirkt haben. In der beginnenden Neuzeit wurden die Probleme der Staatsphilosophie und Staatsethik in breitem Rahmen in den Traktaten "De legibus" oder "De Iustitia et Iure" erörtert (Francisco Sucirez, Robert Bellarmin, Luis de Molina, Leonardus Lessius). Noch Christian Wolf! behandelt in seinem die Gebiete Rechts- und Staatsphilosophie, Staats- und Völkerrecht umfassenden Lehrbuch "Institutiones Juris Naturae et Gentium" (Halle 1750) das Staatsrecht und die StaatsphiErstveröffentlichung in: Evangelisches Staatslexikon. Hrsg. von Roman Herzog, Hermann Kunst, Klaus Schlaich, Wilhelm Schneemelcher. 3.-neubearbeitete Auflage, Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1987, Sp. 3367-3376. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kreuz-Verlags, Stuttgart.

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losophie als Einheit in dem Abschnitt "De Imperio publico, seu Jure civitatis". 2. In ihren materiellen Aussagen kennt die katholische Staatslehre, die den Staat als weltliche Institution betrachtet, keine spezifisch katholischen Einsichten, Wahrheiten oder Lehren, die nur auf der Grundlage des katholischen Glaubens erkennbar oder annehmbar wären. Sie versteht sich nicht als theologische Wissenschaft. Den Gegenstand der katholischen Staatslehre bilden allgemeinphilosophische, insbesonders sozialphilosophische und staatsethische Grundfragen, über die zwischen sämtlichen Staatsbürgern unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, daher auch zwischen Christen und Nichtchristen, nach katholischer Auffassung grundsätzlich eine völlige Übereinstimmung erreicht werden kann. Von einer "katholischen Staatslehre" kann daher zutreffend nur insofern gesprochen werden, als darunter die in systematischer Form entwickelten Aussagen über den Staat verstanden werden, die sich in dem Prozeß der geistesgeschichtlichen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Staatstheorien, philosophischen, antropologischen und politischen Ideen, Zeitströmungen, Bewegungen und Richtungen und in kontinuierlicher Reflexion über Wesen und Aufgaben des Staates und die Stellung des Einzelmenschen in Staat und Gesellschaft bei den katholischen Philosophen und Theologen und im katholisch geprägten gesellschaftlich-politischen Raum im Laufe der Zeit auf der Grundlage und im Sinne eines allgemeinen Konsenses herausgebildet haben. Die katholische Staatslehre befaßt sich aus sozialphilosophischer Sicht vor allem mit der a) Entstehung des Staates und seiner Bedeutung für die Vervollkommnung des Einzelmenschenund für den Bestand der Familie und Gesellschaft; b) Legitimität staatlicher Machtausübung und deren Umfang; c) Begrenzung der Staatsgewalt und der Reichweite der vorstaatlichen und unverzichtbaren Grundrechte und Freiheitsrechte des Einzelmenschen; d) Zuordnung von Einzelmensch und Gemeinschaft, d. h. dem Grundproblem aller Sozial- und Staatsphilosophie. Auf die Entwicklung der katholischen Staatslehre übten im 19. und 20. Jahrhundert kirchenamtliche Verlautbarungen und Stellungnahmen großen Einfluß aus, besonders die Enzykliken der Päpste Leo XIII. (1878-1903), Pius XI. (1922-1939), Pius XII. (1939-1958), Johannes XXIII. (1958-1963) und Paul VI. (1963-1978). Unter Leo XIII. erfuhr die Staatsauffassung Thomas v. Aquins eine autoritative und für die weitere Entwicklung der katholischen Staats- und Gesellschaftslehre bedeutsame und bis zur Gegenwart nachwirkende Rezeption. Verschiedene Dokumente des II. Vatikanischen Konzils behandeln staatsethische Fragen. In Kap. 42 Abs. 2 der Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute" verneint das II. Vatikarrum ebenso wie

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bereits vorher Papst Pius XII. (vgl. AAS 48 [1956] S. 212) jede Zuständigkeit der Kirche für den rein politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich und erklärt, daß die der Kirche von Jesus Christus aufgetragene eigene Sendung und das ihr gesetzte Ziel der religiösen Ordnung angehören. Ebenso wie die Päpste Leo XIII. (Enzyklika "Rerum novarum" vom 15. 5. 1891, Acta Leonis XIII., Bd. 11 [1892], S. 107), Pius XI. (Enzyklika "Quadragesima anno" vom 15. 5. 1931, AAS 23 [1931], S. 190) und Pius XII. (Ansprache vom 1. 6. 1941, AAS 33 [1941], S. 239 f.) nimmt die katholische Kirche auch in der Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils "immer und überall das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit ihren Glauben zu verkünden, ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterziehen, wenn Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen" (Past. Konstitution, Kap. 76 Abs. 5, AAS 56 [1966] S. 1100). Gegen verschiedene Formen einer "Theologie der Befreiung" haben in Fortführung der Beschlüsse des li. Vatikanischen Konzils Papst Paul VI. in der Enzyklika "Evangelii nuntiandi" über die Evangelisierung der Welt von heute vom 8. Dezember 1975 (AAS 68 [1976], S. 5-76), Papst Johannes Paul II. in der Eröffnungsrede vor der Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas in Puebla am 28. Januar 1979 (AAS 71 [1979], S. 187-204 und die Kongregation für die Glaubenslehre in der Instruktion über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung" vom 6. August 1984 (AAS 76 [1984], S. 876-909) nachdrücklich hervorgehoben, daß der der Kirche eigene Auftrag in der Verkündigung der christlichen "Heilsbotschaft in ihrer Ganzheit" (Instruktion über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung") besteht, nicht jedoch in der Reform und Veränderung gegenwärtiger sozialer Strukturen. Dies bedeutet, daß die katholische Kirche den Staat als eine weltliche Institution betrachtet, über deren konkrete sozialpolitische Aufgaben und Ziele dem Evangelium Jesu Christi keine unmittelbaren Weisungen zu entnehmen sind. 3. Neben den langjährigen Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Kaisertum bzw. zwischen Staat und Kirche im Mittelalter und in der Neuzeit (Investiturstreit; Streit über die potestas directa oder indirecta der Kirche im weltlichen Bereich; Staatskirchentum; Kulturkampf) haben im 19. und besonders im 20. Jahrhundert die soziale Bewegung und in den letzten Jahrzehnten vor allem die Konfrontation der Kirche mit den verschiedenen Formen des modernen Totalitarismus die Ausbildung einer systematischen katholischen Staatslehre stark gefördert. In den kirchlichen Stellungnahmen zum Sozialismus, Faschismus, Nationalsozialismus, marxistischen Kommunismus

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und zur Verfolgungssituation der Kirche in den von diesen totalitären Bewegungen beherrschten Staaten finden sich bedeutsame kirchliche Aussagen zur katholischen Staatslehre. Die katholische Staatslehre ist kein starres und unveränderliches System apriorischer und abstrakter Prinzipien und auch "kein nahezu geschichtsloser Widerpart weltlicher Soziallehre" (Hans Maier). Sie ist entsprechend dem Wandel geistesgeschichtlicher Ideen und Leitbilder in dauernder Veränderung begriffen. Die katholische Staatslehre beruht allerdings auf wenigen philosophisch-anthropologischen Grundaussagen, die, wie die geschichtliche Erfahrung und die kritische philosophische Reflexion beweisen, im Wesen (d. h. in der Natur) des Menschen wurzeln und deshalb für den Aufbau jeder denkbaren menschenwürdigen Gesellschaft unverzichtbar sind. Dies gilt insbesondere von dem obersten Grundsatz, daß die menschliche Person und ihre Würde im Bereich des Staates und der Gesellschaft den höchsten Wert darstellen. Dem Staat kommt deshalb gegenüber dem Einzelmenschen und der menschlichen Gesellschaft eine Dienstfunktion zu (Paul Mikat). Der Staat kann nach der katholischen Staatslehre niemals Selbstzweck sein. Ihm kann keine höhere Seinsqualität eignen als dem Einzelmenschen. Andererseits kann der seiner Natur nach gemeinschaftsbezogene Mensch in seiner Einmaligkeit nur innerhalb der Gemeinschaft und damit notwendig auch nur im Staatsverband zur vollen Entfaltung seiner Fähigkeiten und seiner Personalität gelangen. ll. Der Ursprung des Staates 1. In erklärtem Gegensatz zu den Vertragstheorien, wie sie im Zeitalter des rationalen Naturrechts vornehmlich von Thomas Hobbes entwickelt wurden, hat die katholische Staatslehre in Übereinstimmung mit der antiken, besonders der aristotelischen Philosophie stets die Auffassung vertreten, daß der Ursprung des Staates nicht auf einem willkürlichen, künstlich konstruierten Unterwerfungsvertrag beruht, sondern im Wesen (d. h. in der Natur) des Menschen begründet ist. Nach Aristoteles (PolitikA 2; 1253 a 2) ist der Mensch "von Natur aus ein gesellschaftliches Wesen" (zoon politikon). Zur Sicherung ihrer Existenz (Staat als Überlebensgemeinschaft zum Schutz gegen äußere und innere Feinde und zugleich als Friedens- und Rechtsordnung) und zum Zwecke der Ermöglichung eines der jeweiligen Entwicklungsstufe angemessenen kulturellen Lebens (Kulturstaat) werden die einzelnen Familien und Sippen mit Naturnotwendigkeit zum Zusammenschluß im Staatsverband geführt. Die Staatsgewalt wird dabei in den Staatsgliedern ruhend gedacht. Als Reaktion gegen den übersteigerten Abso-

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lutismus der Spätrenaissance haben namhafte Vertreter der katholischen Staatslehre (Francisco Sucirez) zu Beginn der Neuzeit bereits vor Thomas Hobbes und Jean Jaques Rousseau die Idee der Volkssouveränität entwickelt und die Legitimität eines Widerstandsrechts anerkannt. Wahrend die historischen Vorgänge und die rechtlichen Akte des Entstehens konkreter Staaten Gegenstand der Geschichts- und Rechtswissenschaft sind, betrachtet die Staatsphilosophie und die katholische Staatslehre den Menschen, insofern er durch seine Naturanlage wesensnotwendig zur Staatsgründung geführt wird. Der Mensch ist seinsmäßig vor dem Staat, seinem Wesen nach aber notwendig auf den Staat hingeordnet. Der Staat ist nicht die Quelle allen Rechts. Der Einzelmensch besitzt vielmehr von Natur aus vorstaatliche Rechte, Grund- und Menschenrechte, die nicht auf staatlicher Verleihung beruhen und daher vom Staat anzuerkennen und zu schützen sind. 2. Die Familie ist nach der katholischen Staatslehre, die insoweit aristotelisches Gedankengut rezipiert hat, die von der Natur vorgegebene Form menschlicher Gemeinschaft (societas naturalis), die eine andere, übergeordnete Gemeinschaft voraussetzt und deshalb insoweit unvollkommen (imperfecta) ist und die auch nicht über die notwendigen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen verfügt, um sämtlichen Bedürfnissen des Menschen genügen zu können (incompleta). Auch der Staat ist eine von der Natur vorgegebene Form menschlicher Vergemeinschaftung (societas naturalis), die jedoch im Unterschied zur Familie ihrem Begriff und ihrem Wesen nach eine übergeordnete Gemeinschaft nicht voraussetzt und deshalb - insoweit - vollkommen (perfecta) ist. Der Staat verfügt auch über alle rechtlichen und tatsächlichen (machtmäßigen, wirtschaftlichen und kulturellen) Voraussetzungen, um sämtlichen Bedürfnissen des menschlichen Lebens genügen zu können (completa). Nach einer bekannten philosophischen Kurzformel kann daher der Staat definiert werden als "Societas naturalis perfecta completa ". Im Sinne des modernen Staatsrechts ist darin die Idee der Souveränität des Staates nach innen und außen ausgedrückt, nicht dagegen die Vorstellung einer wirtschaftlichen Autarkie. 3. Die marxistische Theorie vom langsamen "Absterben des Staates" nach Durchführung der Enteignung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Verwirklichung einer klassenlosen Gesellschaft erweist sich im Lichte der katholischen Staatslehre, die im Staat die naturnotwendige Form übergeordneter menschlicher Vergemeinschaftung erblickt, als gegen das Wesen des Menschen gerichtet und damit als reine Utopie. 4. Ebenso sind auf der Grundlage dieses Menschenbildes theologische Auffassungen, die den Staat als durch die Erbsünde beding61 Sbd. List!

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te "infralapsarische" oder "postlapsarische" Notordnung verstehen möchten, mit dem Staatsverständnis der katholischen Staatslehre unvereinbar. Der Staat ist nicht die Folge der Erbsünde. Obwohl die katholische Theologie die Anfechtbarkeit und Fehlbarkeit des Menschen als Staatslenker (Obrigkeit) und Staatsbürger (Untertan) nicht verkennt und mit ihr allezeit rechnet, erblickt sie die Rechtfertigung des Staates nicht in der Sünde, sondern in der von Gott geschaffenen Menschennatur. Die katholische Staatslehre hat stets die Auffassung vertreten, daß weder aus dem Alten Testament noch aus dem Neuen Testament eine Staatstheorie und noch viel weniger ein System einer Staatslehre abgeleitet werden kann. Aus den üblicherweise von theologischer Seite angeführten Schriftstellen, der Zinsgroschenstelle (Mk 12,17 par), der Zweischwerterstelle (Lk 12,36 ff.), dem Verzicht Jesu auf Widerstand bei der Gefangennahme (Lk 22,49 ff.), der Aussage Jesu "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" (Joh. 18,36), aus dem Wort Jesu gegenüber Pilatus "Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre" (Joh. 19,11), der Aussage des Apostels Paulus, daß es keine Gewalt gebe, außer von Gott, der sich darum jedermann unterzuordnen habe (Röm 13,1 ff.), und dem Bilde des Tieres in Apk 13 läßt sich weder eine Staatsphilosophie entwickeln, noch lassen sich daraus genügende Anhaltspunkte dafür gewinnen, daß der Staat eine Institution ist, deren Wesen, Notwendigkeit und Herrschaftscharakter nur als Folge des ausschließlich aufgrundreligiösen Glaubens erkennbaren Mysteriums der Erbsünde begriffen werden kann. Wohl aber kann den Schriften des Alten Testaments und des Neuen Testaments entnommen werden, daß der Staat einen von Gott, dem Schöpfer des Menschen, mit dem Menschen geschaffenen Herrschaftsverhand darstellt, dessen Aufgabe darin besteht, eine Rechtsund Friedensordnung zu errichten, und daß der einzelne auch Gott gegenüber im Gewissen verpflichtet ist, den gerechten Gesetzen des Staates zu gehorchen. Die Vorläufigkeit und Vergänglichkeit der staatlichen Ordnung, die in besonderem Maße einer dauernden Pervertierung und Korrumpierung ausgesetzt ist, soll sich der Christ ebenso stets vor Augen halten wie die Vorläufigkeit dieser Welt überhaupt. Ebenso wie die Welt als ganze steht die Ordnung des Staates unter dem "eschatologischen Vorbehalt".

m. Die Verwirklichung des Gemeinwohls als Aufgabe des Staates 1. Die Aufgabe und der umfassende Zweck des Staates ist die Verwirklichung des Allgemeinwohles oder "Gemeinwohles" (bonum commune). Die katholische Staatslehre steht hier im Gegensatz zu einer im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart von Soziologen und Juristen

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vertretenen agnostischen Auffassung, nach der die Begriffe "Gemeinwohl" und "Öffentliches Interesse" "Leerformeln" darstellen, denen lediglich die Funktion zukomme, den jeweiligen Machthabern ("Establishment") als Deckmantel und Tarnung bei der Verfolgung ihrer persönlichen, parteipolitischen, klassenspezifischen und gruppenegoistischen Interessen und Ziele zu dienen. Trotz der häufigen mißbräuchlichen Berufung der Inhaber der Staatsgewalt auf angeblich vom "Gemeinwohl" gebotene Maßnahmen und Handlungen hält die katholische Staatslehre an der Erkennbarkeit und objektiven Determinierbarkeit dessen, was unter Gemeinwohl im Einzelfall zu verstehen ist, fest. Sie verweist darauf, daß es bisher kein TYrann und kein Parteifunktionär wagen konnte, zu behaupten, mit seiner Politik nicht das Wohl des Staates und der Allgemeinheit, sondern nur persönliche oder rein parteipolitische Ziele zu verwirklichen. Alle Verfassungen der Welt gehen von der Erkennbarkeit des Gemeinwohles aus. Nach Art. 56 GG schwören Bundespräsident, Bundeskanzler und alle Bundesminister bei ihrem Amtsantritt, ihre Kraft "dem Wohle des deutschen Volkes" zu widmen. 2. Inhaltlich kann das Gemeinwohl in einem doppelten Sinne verstanden werden: Als Zustand, der sich ergibt, wenn und soweit die Gesellschaft der Forderung nach der notwendigen dauernden Gemeinwohlverwirklichung im inneren und äußeren Aufbau der Gesellschaft entspricht (sog. "statische" Betrachtungsweise), oder als Zielvorstellung und Vorgang, der alle geistigen Bemühungen und sämtliche übrigen erforderlichen Maßnahmen in sich begreift, die der Erhaltung und Verbesserung des Zustandes der Gesellschaft dienen (sog. "dynamische" Betrachtungsweise; Gemeinwohl im Vollzug; "operationaler" Gemeinwohlbegriff). Das so verstandene Gemeinwohl muß aufgrund immer neuer Zielvorstellungen angestrebt und verwirklicht werden. Auch unter günstigsten personellen und sachlich-historischen Voraussetzungen kann ein optimaler Zustand des Gemeinwohls nur im Sinne von Annäherungswerten erreicht werden. Vielfach ist sein Zustand ein überaus mittelmäßiger und unvollkommener. Das II. Vatikanische Konzil definiert unter ausdrücklicher Betonung der Notwendigkeit eines dynamischen Gemeinwohlverständnisses im Anschluß an Gustav Gundlach das Gemeinwohl als die "Summe aller jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, die den einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung voller und ungehinderter zu erreichen gestattet" (Past. Konstitution Kap. 34; vgl. auch "Erklärung über die Religionsfreiheit" Kap. 6; Past. Konstitution Kap. 26, 42, 59, 74, 78). 3. Inhaltliche (materielle) Determinanten des Gemeinwohls. Der Begriff des so verstandenen Gemeinwohls ist nicht inhaltsleer und ab61•

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strakt, sondern durch zahlreiche materielle, anthropologische und rechtliche Determinanten bestimmt. Zu den Grundelementen jeder menschenwürdigen Gemeinwohlverwirklichung gehört an erster Stelle, daß der Staat bei seiner gesamten Tätigkeit in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung die Würde des Menschen und seine vorstaatlichen Grundrechte achtet und schützt. Auch der strafrechtliche Schutz des Menschenlebens vom Anfang seines embryonalen Daseins an gehört zu den Grundvoraussetzungen jeder menschenwürdigen Gemeinwohlverwirklichung. Ebenso bedürfen Ehe und Familie und das personenverbundene Eigentum eines besonderen rechtlichen Schutzes. Gleiches gilt von der Verwirklichung einer gerechten Sozialordnung und von der Verpflichtung des Staates zur Wahrung des äußeren Friedens. Nur bei Anerkennung und Verwirklichung dieser Werte und Ziele kann in der nationalen und internationalen Ordnung ein befriedigender Zustand des Gemeinwohls erreicht werden. Über die Opportunität konkreter politischer Maßnahmen und über die Art und Weise ihrer Verwirklichung wird in einer freiheitlichen Demokratie auf allen Gebieten, auf die sich die Tätigkeit des modernen Staates erstreckt, im täglichen politischen Meinungsbildungsprozeß stets eine große Vielfalt von Auffassungen und Vorstellungen bestehen (Hans Peters). Die politische Auseinandersetzung in der rechtsstaatliehen und freiheitlichen Demokratie muß aber stets unter Wahrung der menschlichen Grundwerte aller Beteiligten und der Rechte des anderen erfolgen. IV. Der hohe Rang des Subsidiaritätsprinzips Das Bemühen, die Einzelperson mit ihren fundamentalen Rechten und Freiheiten und den Bestand der freien Gesellschaft vor der Überund Allmacht des über sämtliche Machtmittel und über alle Errungenschaften der modernen Technik (z. B. Datenbanken) verfügenden modernen Staates zu schützen, ist das erklärte Anliegen der katholischen Staatslehre. Sozialphilosophischer Ausdruck dieses Bemühens ist das in der politischen und z.T. auch konfessionellen Auseinandersetzung und Polemik der letzten Jahrzehnte in seinem Anliegen und seiner Zielrichtung oft bis zur Unverständlichkeit verzeichnete Subsidiaritätsprinzip. Dieses ist seinem materiellen Gehalt nach kein konfessionelles und deshalb auch kein katholisches Prinzip, sondern lediglich die sozialphilosophische Umschreibung der Kurzformel für den freiheitlichen Staat gegen jede Form von Kellektivismus und Totalitarismus: "Soviel Freiheit wie möglich, soviel Staatstätigkeit wie nötig" (Oswald von Nell-Breuning). Das Subsidiaritätsprinzip ist keine starre Rechtsnorm, sondern eine oberste philosophische Maxime. Es bedarf in jedem Fall der zeit- und situationsangemessenen Verwirklichung

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und läßt in seiner konkreten Anwendung im Einzelfall durchaus verschiedene Varianten und Gestaltungsmöglichkeiten zu. Historisch ist es genuines Gedankengut des staatstheoretischen Liberalismus (Josef Isensee). Von daher wurde es von der katholischen Soziallehre rezipiert und philosophisch vertieft. Seine grundsätzliche Anerkennung und praktische Anwendung bildet, wie auch das II. Vatikanische Konzil erklärt, eine konstitutive materielle Voraussetzung jeder menschenwürdigen Gemeinwohlverwirklichung. Das Subsidiaritätsprinzip verlangt neben der Gewährleistung des Grundrechts der Vereinigungsund Koalitionsfreiheit vor allem die Möglichkeit freier privater, d. h. staatsunabhängiger Betätigung in der Wirtschaft, in allen Bereichen des kulturellen Lebens sowie der Wohlfahrtspflege und der sozial-karitativen Dienste. Es gebietet dem Staat die Ermöglichung einer Vielfalt freier gesellschaftlicher Organisationen und eines gesellschaftlichen Eigenlebens im Bereich der Wirtschaft, der Kultur und der sozialen Fürsorge und damit eine grundsätzliche pluralistische Gemeinwohlverwirklichung. Staatstheoretisch ist die föderale Staatsidee im Sinne der Bundesstaatlichkeit dem Anliegen des Subsidiaritätsprinzips zwar verwandt, dieses fordert aber nicht einen föderalen Staatsaufbau. Die Idee der kommunalen Selbstverwaltung kann dagegen als unmittelbare Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips betrachtet werden. Das richtig verstandene Subsidiaritätsprinzip verhindert weder die Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips, noch führt es in der Staatspraxis zu einem "schwachen" Staat, der zur Verfolgung seiner Ziele und Aufgaben unfähig wäre, noch beeinträchtigt es die Souveränität des Staates nach innen. Im Interesse des Schutzes der Freiheit der Bürger verbietet es die Aufsaugung aller Lebensbereiche durch den Staat und deren Übernahme in die unmittelbar hoheitliche oder auch mittelbare Staatsverwaltung. Mit einem konsequent verwirklichten Subsidiaritätsprinzip ist die Etablierung totalitärer Herrschaftsformen in einem Staat undenkbar. Bei allen totalitären Herrschaftssystemen (Nationalsozialismus, marxistisch-kommunistische Staaten) stieß und stößt deshalb das Subsidiaritätsprinzip auf die denkbar schärfste Ablehnung. Das Subsidiaritätsprinzip hat seine klassische Definition im Anschluß an Gustav Gundlach in Nr. 79 der Enzyklika "Quadragesima anno" von Papst Pius XI. vom 15. Mai 1931 (AAS 23 [1931], S. 203) gefunden. Danach darf dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden. Ebenso verstößt es gegen die Gerechtigkeit, dasjenige, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zu einem guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch

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zu nehmen. Die Definition schließt mit dem Satz: "Jede Gesellschaftstätigkeit ist ihrem Wesen nach subsidiär. Sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen und aufsaugen." Das Subsidiaritätsprinzip ist sozial- und staatsphilosophisch die grundsätzliche Option für die Freiheit des Menschen in Gesellschaft und Staat. Die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils und ebenso der Codex Iuris Canonici (CIC) vom 25. Januar 1983 gehen in ihren Aussagen über das Verhältnis von Kirche und Staat von einem Staat aus, der auf der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als der Voraussetzung der Ermöglichung bürgerlicher Freiheitsrechte beruht und der seinen Bürgern die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grund- und Freiheitsrechte nicht nur dem Buchstaben der Verfassung nach, sondern auch effektiv gewährt. V. Literatur Quellenwerke: Artkur Utz und Brigitta Gräfin von Galen (Hrsg.), Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Originaltexte mit Übersetzung), 4 Bde., Aachen 1976- Emil Marmy (Hrsg.), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau. Dokumente (von Papst Gregor XVI. 1832 bis Pius XII. 1945), Freiburg/Schweiz 1945 - Arthur-Fridolin Utz und Joseph-Fulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII., 3 Bde., Freiburg/Schweiz 1954-1961 - Gustav Gundlach (Hrsg.), Die sozialen Rundschreiben Leos XIII. und Pius XI., 3. Aufl., Paderborn 1960- Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen. Lateinisch und deutsch, 3 Bde, Freiburg i.Br. 1967-1968- Karl Rahnerund HerbeTt Vorgrimler (Hrsg.), Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vaticanums, 17. Aufl., Freiburg i.Br. 1984 -Helmut Schnatz (Hrsg.), Päpstliche Verlautbarungen zu Staat und Gesellschaft. Originaldokumente mit Übersetzung, Darmstadt 1973. Literatur: Joseph Hergenröther, Katholische Kirche und christlicher Staat in ihrer geschichtlichen Entwicklung und in Beziehung auf die Fragen der Gegenwart, 2 Bde., (Freiburg i.Br. 1872), Aalen 1968- Peter Tischleder, Ursprung und Träger der Staatsgewalt nach der Lehre des heiligen Thomas und seiner Schule, Mönchengladbach 1923- Ders., Die Staatslehre Leos XIII., Mönchengladbach 1925 - Ders., Staatsgewalt und katholisches Gewissen, Frankfurt/M. 1927 Heinrich Rammen, Die Staatslehre des Franz Suarez S.J., Mönchengladbach 1926 - Ders., Der Staat in der katholischen Gedankenwelt, Paderborn 1935 Franz Xaver Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin. Ein Beitrag zur Rechts- und Staatsphilosophie des konfessionellen Zeitalters, München 1934Martin Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Staat.

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München 1934- Johann Kleinhappl, Der Staat bei Ludwig Molina, Innsbruck 1935 - Johann Baptist Schuster, Die Soziallehre nach Leo XIII. und Pius XI. unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Einzelmensch und Gemeinschaft, Freiburg i.Br. 1935- Oswald von Nell-Breuning, Zur christlichen Staatslehre, Wörterbuch der Politik li, 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1957 (Lit.)Gustav Gundlach, Die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, 2 Bde., Köln 1964 -Helmut Kuhn, Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967 - Josef Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht. Eine Studie über das Regulativ des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, Berlin 1968 (Lit.)- Hans Maier, Katholische Sozial- und Staatslehre und neuere deutsche Staatslehre, AöR 93 (1968) 1-36 - Paul Mikat, Grundelemente katholischer Staatsauffassung, in: Ders., Religionsrechtliche Schriften, Berlin 1974, S. 627647- Ders., Das Verhältnis von Staat und Kirche nach der Lehre der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. I, Berlin 1974, S. 141-185 - Joseph Höffner, Christliche Gesellschaftslehre, 8. Aufl., Kevelaer 1983- Lutz Pohle, Die Christen und der Staat nach Römer 13, Mainz 1984- Joseph Listl, Kirche und Staat inderneueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978 (Lit.)- Ders., Die Aussagen des Codex luris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, 19 (1985), S. 9-32.

Staat und Kirche in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils Das am 11. Oktober 1962 von Papst Johannes XXIII. eröffnete und am 8. Dezember 1965 von Papst Paul VI. beendete Zweite Vatikanische Konzil hat in seinen insgesamt 16 Konstitutionen, Dekreten und Erklärungen auf zahlreichen Gebieten neue Fragestellungen aufgegriffen und neue Entwicklungen eingeleitet. Das gilt ebenso für den theologisch-innerkirchlichen Bereich und das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche wie für ihre Wirksamkeit in der modernen Welt. Die Frage des Verhältnisses und der Zuordnung der Kirche zum Staat in der Gestalt der freiheitlichen und pluralistischen Demokratie wurde auf dem Zweiten Vatikanum, insbesondere in den Auseinandersetzungen über die Annahme der "Erklärung über die Religionsfreiheit", mit besonderer Intensität behandelt. Ohne Übertreibung kann bereits heute festgestellt werden, daß die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Staat-Kirche-Verhältnis gegenüber der früheren kirchenamtlichen Doktrin, wie sie in den einschlägigen Lehrbüchern des "Ius Publicum Ecclesiasticum" enthalten ist, eine deutliche Zäsur darstellen und eine neue Epoche einleiten. Die theologie-und geistesgeschichtliche Tragweite der Aussagen des Zweiten Vatikanums über die Religionsfreiheit, das Verhältnis von Staat und Kirche, die Koexistenz verschiedener christlicher Bekenntnisse und auch nichtchristlicher Religionen auf dem Territorium desselben Staates, der nach der Lehre dieses Konzils kein Glaubensstaat mehr sein kann, sondern zu religiöser Neutralität verpflichtet ist, kann wohl erst eine künftige vertiefte theologische und kirchenrechtliche Reflexion in vollem Umfang ermessen.

Erstveröffentlichung in: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Gerhard Leibholz, Hans Joachim Faller, Paul Mikat, Hans Reis. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Sieheck) 1974, S. 521-542. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen.

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I. Das Grundrecht der Religionsfreiheit als Fundament der neuen Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche 1. Jeder sachgerechte Versuch, auf der Grundlage der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat ein Modell eines Staatskirchenrechts, d.h. eine juristische Darstellung der Beziehungen des religiös-neutralen und pluralistischen Staates zu den auf seinem Territorium bestehenden Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Rahmen der staatlichen Rechts- und Verfassungsordnung zu entwerfen, muß, wenn die Intentionen des Konzils nicht bereits im Ansatz verfehlt werden sollen, seinen Ausgangspunkt von dem durch Staat und Kirche gleichermaßen anerkannten Grundrecht der Religionsfreiheit nehmen. Das Bekenntnis zu diesem Grundrecht, dessen Bedeutung für die Ermöglichung eines freien Geisteslebens in der Gesellschaft und für die Existenz einer "Freien Kirche im freien Staat" Willi Geiger in seinen Schriften wiederholt hervorgehoben hat/ bildet im Unterschied zur Betrachtung und Darstellung des Staat-Kirche-Verhältnisses, wie es in den kirchenamtlichen Erklärungen der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert Ausdruck gefunden hat, die neue Grundlage, auf die das Zweite Vatikanische Konzil seine Lehren über das Verhältnis von Staat und Kirche gestellt hat.

Wenn Helmut Simon fordert, daß das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland entschlossen aus dem im Grundgesetz garantierten Grundrecht der Religionsfreiheit zu entwickeln sei und die Religionsfreiheit dabei das Fundament und das zentrale Kriterium des Staatskirchenrechts zu bilden habe, so befindet er sich damit in voller Übereinstimmung mit den Grundaussagen des Zweiten Vatikanums über das Verhältnis von Staat und Kirche. 2 Das Konzil ist auch weit davon entfernt, die von ihm geforderten religiösen Grund- und Freiheitsrechte als nur den Christen zustehende Privilegien zu betrachten; es versteht die Religionsfreiheit vielmehr im Einklang mit Art. 18 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" und den dazu später beschlossenen Konventionen der Vereinten Nationen und dem Art. 9 1 Vgl. Willi Geiger, Art. "Glaubens- und Bekenntnisfreiheit", in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Bd. 3, Freiburg 1959, Sp. 970 ff.; ders., Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: Staat und Gewissen(= Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern, Heft 8), München 1959, S. 11 ff.; ferner die bei Franz Schneider, Bibliographie der Veröffentlichungen von Willi Geiger, Tübingen 1969, S. 12, Nr. 42 ff. aufgeführten weiteren Abhandlungen. 2 Helmut Simon, Freie Kirche im demokratischen Staat, Folgerungen aus dem Recht der Religionsfreiheit, in: Evangelische Kommentare, 7. Jhg. (1974), s. 84.

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der Europäischen Menschenrechtskonvention als eines der fundamentalsten und vornehmsten Menschenrechte. 2. Die Fragen einer zeitgerechten Verhältnisbestimmung zwischen Staat und Kirche sind in keinem der sechzehn Konzilsdokumente systematisch und im Zusammenhang behandelt. Das Zweite Vatikanum hat es im Unterschied zum Ersten Vatikanischen Konzil, das dazu eine eigene, allerdings nicht mehr zur Beratung und Beschlußfassung gelangte Vorlage ausgearbeitet hatte, 3 bewußt vermieden, zu dieser vielschichtigen Problematik in einem besonderen Dokument Stellung zu beziehen. Die Aussagen des Konzils über das Verhältnis der Kirche zu dem mit den Begriffen "communitas politica"/ "societas civilis" 5 oder "potestas civilis" 6 bezeichneten Staat finden sich eingebettet in nahezu sämtliche Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen des Konzils zu den verschiedensten Sachbereichen und können systematisch nur aus dem Gesamtzusammenhang aller Konzilstexte gewonnen werden. Wer bedauert, daß das Zweite Vatikanum nicht auch ein eigenes Dokument über das Verhältnis von Staat und Kirche geschaffen hat, wird andererseits jedoch zu bedenken haben, daß eine mögliche "Erklärung über das richtige Verhältnis von Kirche und Staat" sich weitgehend mit abstrakten und theoretischen Prinzipien hätte begnügen müssen. Man wird es daher letztlich sogar begrüßen können, daß das Konzil seine Aussagen über die in stetigem Wandel befindlichen Auffassungen der Kirche über das jeweils zeitangemessene und richtige Verhältnis zu dem hinsichtlich seiner Entstehung, seiner Aufgaben und seiner Zwekke wesensverschiedenen Staat jeweils nur im konkreten Rahmen der einzelnen Konzilsdokumente getätigt hat, die sich mit den einzelnen Sachbereichen und dem geistlichen Auftrag der Kirche in dieser Welt 3 Vgl. dazu Fidelis van der Horst, Das Schema über die Kirche auf dem I. Vatikanischen Konzil, Paderborn 1963, mit weiteren Nachweisen. 4 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76, bei Karl Rahner und Herbert Vorgrimler, Kleines Kozilskompendium. Alle Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen des Zweiten Vaticanums in der bischöflich beauftragten Übersetzung, 9. Aufl., Freiburg i.B. 1974 (= Herder-Bücherei Nr. 270273), S. 534 f. - Die führende Ausgabe der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils für den deutschen Sprachraum bilden die drei Ergänzungsbände "Das Zweite Vatikanische Konzil" zum Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg i. B. 1966-1968. Diese Ausgabe enthält den in den Acta Apostolicae Sedis publizierten lateinischen Originaltext und die deutsche Übersetzung und ferner Kommentare. Der Einfachheit halber werden die Konzilstexte hier stets nach dem von Karl Rahner und HerbeTt Vorgrimler herausgegebenen handlichen "Kleinen Konzilskompendium" zitiert. 5 "Erklärung über die Religionsfreiheit", Nr. 6, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 666 f. s "Erklärung über die Religionsfreiheit", Nr. 6, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 666 f.

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befassen. Das Konzil folgt damit auch dem Vorbild des Neuen Testaments, das ebenfalls keine staatsphilosophische, staatstheoretische oder staatskirchenrechtliche Gesamtkonzeption zum Verhältnis von Staat und Kirche entwickelt. Aufgabe der Wissenschaft bleibt es infolgedessen, die Aussagen des Konzils zu diesen Bereichen in einer von der jeweiligen Zeit geforderten Weise systematisch darzustellen. Zu den Konzilsdokumenten, die hierbei vor allem einschlägig sind, gehören die grundlegende Dogmatische Konstitution über die Kirche, 7 die das Selbstverständnis der katholischen Kirche über ihre Sendung, ihren Heilsauftrag und ihre Ämterstruktur zum Gegenstand hat, ferner das umfangreichste aller Konzilsdokumente, die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, 8 und die in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung gewinnende Erklärung über die Religionsfreiheit. 9 Dieses bis in seine letzten Details unter theologischer und juristischer Rücksicht besonders intensiv durchreflektierte Dokument hat auf dem Konzil heftigere und langwierigere- und z. T. auch mit größerer Leidenschaft geführte - Erörterungen und Auseinandersetzungen ausgelöst als jede andere Konzilsvorlage, um dann am Ende des Konzils dennoch mit überwältigender Mehrheit verabschiedet zu werden. Bedeutsame Aussagen des Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat finden sich ferner in der Erklärung über die christliche Erziehung, 10 in der unter Ablehnung jedes staatlichen Schulmonopols für die Eltern das Recht gefordert wird, "in der Wahl der Schule wirklich frei" zu sein, und in der gleichzeitig an den Staat die Erwartung gerichtet wird, daß er die öffentlichen Mittel so ausgeben werde, "daß die Eltern für ihre Kinder die Schulen nach ihrem Gewissen wirklich frei wählen können". 11 In dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche macht das Konzil den Bischöfen ein loyales Zusammenwirken mit der staatlichen Obrigkeit und deren tatkräftige Unterstützung zur Pflicht und erwartet von ihnen, daß sie auch ihre Gläubigen zum Gehorsam gegenüber den gerechten Gesetzen und zur Ehrfurcht gegenüber den rechtmäßig bestellten Regierungen anleiten; andererseits erneuert das Konzil in der Form eines "Wunsches" die seit der Zeit des Investiturstreits immer wieder erhobene Forderung nach freier Ernennung der Bischöfe, wenn es an diejenigen Staaten, die gegenVgl. Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anrn. 4), S. 123 ff. Vgl. Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anrn. 4), S. 449 ff. 9 Vgl. RahneriVorgrimler, ebd. (Anrn. 4), S. 66lff. 10 Vgl. Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 335 ff. 11 "Erklärung über die christliche Erziehung", Nr. 6, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anrn. 4), S. 341. 7

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wärtig noch durch Vertrag oder Gewohnheit das Recht oder das Privileg besitzen, "Bischöfe zu wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen", die "freundliche Bitte" richtet, sie möchten nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl auf diese Rechte verzichten. 12 Schließlich finden sich auch noch in den Dekreten "Über die Ausbildung der Priester", 13 "Über das Laienapostolat" 14 und "Über die Missionstätigkeit der Kirche" 15 sporadische Aussagen zum Verhältnis von Staat und Kirche. Sämtliche Konzilsdokumente befassen sich in irgendeiner Form mit dem Wirken und der freien Betätigung und Selbstbestimmung der Kirche in Gesellschaft und Staat und setzen damit in ihrem Kontext unter gleichzeitiger Ablehnung der Extreme eines Staatskirchenturns und eines auf einer Weltanschauung oder Staatsideologie beruhenden Totalitarismus die Möglichkeit der Existenz einer im Vollsinn "Freien Kirche im freien Staate" voraus. 3. Der Begriff der Religionsfreiheit, der der "Erklärung über die Religionsfreiheit" des Zweiten Vatikanischen Konzils zugrunde liegt, umfaßt nicht nur die individuelle Religionsfreiheit mit Einschluß der gemeinsamen öffentlichen Ausübung der Religion in sämtlichen Aktualisierungsformen der Bekenntnis- und Kultusfreiheit, sondern ebenso auch die korporative Religionsfreiheit, d. h. die institutionelle Kirchenfreiheit, die im deutschen Staatskirchenrecht erst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu ihrer vollen Anerkennung entwickelt worden ist und das Recht der Religionsgemeinschaften einschließt, ihre eigenen Angelegenheiten unabhängig von staatlicher Einmischung zu regeln und zu verwalten. 16 Das im Grundgesetz in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistete Recht der freien Selbstbestimmung in ihren eigenen Angelegenheiten ist nach den religionsrechtlichen Grundvorstellungen des Konzils unmittelbarer und konstitutiver Inhalt des Grundrechts der Religionsfreiheit. Das Konzil befindet sich damit in Übereinstimmung mit der "Erklärung über die religiöse Freiheit" der Ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der christlichen Kirchen in Amsterdam vom Jahre 1948, die bereits genau dieselbe Auffassung ent12 "Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche", Nr. 20, bei RahneriVorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 269. 13 Vgl. Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 293 ff. 14 Dekret über das Apostolat der Laien", bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), s. 389 ff. 15 "Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche", bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 607 ff. 16 "Erklärung über die Religionsfreiheit", Nr. 4, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 665.

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hält. 17 Die von Martin Heckel für das deutsche Staatskirchenrecht des 19. Jahrhunderts konstatierte und auch heute zum Teil noch nachwirkende, die Religionsfreiheit in ihrem Wesen verfremdende und den theologischen wie den religionssoziologischen Grundrelationen widerstreitende Trennung von individueller Glaubensfreiheit und institutioneller Kirchenfreiheit" 18 ist den Konzilsdokumenten fremd. Das Konzil orientiert sich, ebenso wie die Erklärung über die religiöse Freiheit des Ökumenischen Rates der christlichen Kirchen, an nordamerikanischen Vorstellungen über die Religionsfreiheit, für die sich, worauf Ulrich Scheuner hingewiesen hat, nach einer bekannten Entscheidung des Supreme Court das "free exercise" auch auf die innere Organisation der Kirchen bezieht. 19 Die philosophisch-anthropologische Grundlage des Rechts der Religionsfreiheit bildet in der "Erklärung über die Religionsfreiheit" die bereits in den Eingangsworten der Erklärung angesprochene Würde der menschlichen Person und die mit ihr gegebene Sozialnatur des Menschen, aus der sich mit Notwendigkeit die korporative Erscheinungsform dieses Freiheitsrechts herleitet: Die Freiheit als Freisein vom Zwang in religiösen Dingen, die den einzelnen zukommt, muß ihnen auch zuerkannt werden, wenn sie in Gemeinschaft handeln; denn die Sozialnatur des Menschen wie auch die Religion selbst verlangen religiöse Gemeinschaften. 20 Damit bringt das Konzil das Selbstverständnis der Kirche hinsichtlich ihres Gemeinschaftscharakters zum Ausdruck. Die Kirche versteht sich im Gegensatz etwa zu den staatskirchenrechtlichen Grundvorstellungen der Aufklärung und des Preußischen Allgemeinen Landrechts nicht als Summe der durch ein ge17 Vgl. "Eine Erklärung über die religiöse Freiheit", in: Willern A. Vtsser't Hooft (Hrsg.), Die erste Vollversammlung des Oekumenischen Rates der Kirchen, Amsterdam 22. 8. bis 4. 9. 1948, Genf 1948, S. 129. Der englische Originalwortlaut der "Declaration on Religious Liberty" ist abgedruckt u. a. bei Angel F. Carrillo de Albornoz, The Basis of Religious Liberty, New York 1963, S. 157 ff. 18 Dazu Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), s. 12. 19 Vgl. dazu mrich Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, S. 48 mit Anm. 63. Vgl. dazu ferner Theodor Maunz, in: Theodor Maunz I Günter Dürig I Roman Herzog, Grundgesetz, 4. Aufl., München 1974, Rdnr. 1 zu Art. 140 GG/137 WeimRV. 2o "Erklärung über die Religionsfreiheit", Nr. 4, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 665. Über die langwierigen Erörterungen der Konzilsvorlage zur "Erklärung über die Religionsfreiheit" und über die Fundierung dieser Freiheit in dem Begriff der "Würde der menschlichen Person" berichtet Jer6me Hamer, Le fondement de la liberte religieuse dans la Declaration conciliaire "Dignitatis humanae", in: Volk Gottes. Zum Kirchenverständnis der katholischen, evangelischen und anglikanischen Theologie. Festgabe für Josef Höfer, Freiburg/Basel/Wien 1967, S. 676ff.

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meinsames Bekenntnis verbundenen Individuen, sondern wesensmäßig als die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder erneuernde Gemeinschaft des Bundesvolkes Gottes. Zugleich weist das Konzil auf die religionswissenschaftliche Erfahrungstatsache hin, daß jede Religion gemeinschaftsbildend und gemeinschaftsbezogen ist und damit notwendig einen "Öffentlichkeitscharakter" besitzt. ß. Die Anerkennung des religiös-neutralen Charakters des Staates 1. Die kirchengeschichtliche Bedeutung der "Erklärung über die Religionsfreiheit" des Zweiten Vatikanischen Konzils besteht darin, daß die katholische Kirche hier in einem lehramtliehen Dokument einen unwiderruflichen Verzicht auf die Inanspruchnahme staatlicher Machtmittel zur Durchsetzung und Erfüllung kirchlicher Forderungen ausgesprochen hat. Die Erklärung bedeutet damit den endgültigen Abschied von der Idee des konfessionellen Staates und von der - jedenfalls dem Grundsatz nach- bis zum Konzil von maßgeblichen kirchenrechtlichen Autoren21 und bedeutsamen Repräsentanten der katholischen Kirche 22 vertretenen Auffassung von der prinzipiellen Notwendigkeit der ausschließlichen Verbindung bzw. "Identifizierung" des Staates und seiner Einrichtungen mit der als "wahr" erkannten bzw. anerkannten (Haupt-)Religion des Landes. Das Konzil spricht hier, ohne daß dieser Ausdruck in den Konzilstexten Verwendung fände, ein klares Ja zur religiösen Neutralität des modernen demokratischen Staates. Dieses Bekenntnis des Konzils zum religiös neutralen Staat, das, wie noch zu zeigen sein wird, nicht als Anerkennung eines staatlich dekretierten religiösen Indifferentismus oder der Areligiosität des Staates verstanden werden darf, beendet auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts eine geistesgeschichtliche Epoche, die sich von der Antike bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil erstreckt.

Es war bekanntlich der Bischof Eusebios von Kaisareia (263-339), der erste Geschichtsschreiber der Kirche und Hoftheologe des Kaisers Konstantin des Großen und zugleich Schöpfer der ersten "politischen Theologie" des Christentums, der dem Kaiser, dem "Freund Gottes" ,23 21 Vertreter dieser Auffassung u. a. Kardinal Alfredo Ottaviani in seinem Lehrbuch Alaphridus Ottaviani, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, editio 4., adiuvante Josepho Damizia, vol. II: Ecclesia et Status, Roma 1960, S. 72 f., 55 ff. mit Anm. 163, bes. S. 69 ff. 22 Vgl. dazu Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 52 ff. mitAnm. 20ff. 23 Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, hrsg. von Heinrich Kraft, Darmstadt 1967, S. 440, Buch 10, Kap. 9, 2.

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in überraschend getreuer Nachahmung der in den orientalischen Theokratien den Herrschern verliehenen göttlichen Verehrung auch dem christlichen Kaiser Konstantin eine sakrale Stellung zuerkannte, ihn zum Oberhaupt der Kirche erklärte und Kirche und Kaiserreich damit identifizierte. 24 Das irdische Imperium wurde für Eusebios zum Abbild (eik6n) des himmlischen Reiches. Die Gegner der Kirche und die Ketzer wurden damit zwangsläufig zu Feinden des Reiches und auch als solche behandelt. Diese staatstheologisch-sakralen Anschauungen haben mit einer für unsere Gegenwart kaum mehr vorstellbaren Leuchtkraft nicht nur den byzantinischen Osten, sondern auch den lateinischen Westen in einer bis in unsere Gegenwart feststellbaren Weise stark und nachhaltig beeinflußt. Das Kaisertum Karls des Großen, die mittelalterliche Idee des Unum Corpus Christianum und das Reformationsrecht der Landesherren im Zeitalter der Glaubensspaltung sind ohne die Faszination der von Eusebios erstmals entwickelten sakralpolitischen Leitbilder schlechthin undenkbar. Bereits unter Konstantin wurde das Recht des Kaisers, Synoden einzuberufen, in keiner Weise mehr angezweifelt, wurden seine Versuche, den Gang der theologischen Diskussion im Sinne seiner kirchlichen Berater zu steuern, als selbstverständlich hingenommen, begegnete die von ihm wiederholt verhängte Strafe des Exils für Anhänger der kirchlichen Opposition, die sich dem Spruch von Konzil oder Synode nicht beugen wollten, keinem entschiedenen Widerspruch, und dies nicht einmal bei den unmittelbar Betroffenen, wie Arius und seinen Anhängern.25 Mit einer für unsere Zeit überraschenden Unbefangenheit machten sich die Reformatoren des 16. Jahrhunderts diese antiken und mittelalterlichen Vorstellungen zu eigen und rechtfertigten deren Anwendung in der Staatspraxis. Der Landesherr wurde zum Summus episcopus. Die conservatio religionis gehört nach Philipp Melanchthon zu den vornehmsten Staatsaufgaben des Herrschers, der für die cura religionis Gott als dessen Ebenbild, Statthalter und Diener persönlich ver24 Die hierokratisch-politischen Grundvorstellungen des Staatskirchenturns der christlichen Antike untersucht auf vorbildliche Weise Raffaele Farina, L'Impero e l'Imperatore cristiano in Eusebio di Cesarea. La prima Teologia politica del Christianesimo, Zürich/Rom 1966, bes. S. 107 ff., 236 ff. und 252 ff. 25 Über die Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat im 4. Jahrhundert und die Versuche der Unterordnung der Kirche unter den Staat durch die Kaiser Konstantius und Valens und über das Entstehen der "Reichskirche" vgl. die Darstellung von Karl Baus und Eugen Ewig, Die Reichskirche nach Konstantindem Großen, 1. Halbband: Die Kirche von Nikaia bis Chalkedon, in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. "on Hubert Jedin, Bd. 2, Freiburg/Basel/Wien 1973, S. SOff

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antwortlich ist und die gesamte Politik und namentlich die Gesetzgebung nach dem Wohl der Kirche auszurichten hat. 26 Erst die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 brachte durch die Bestimmung des Art. 137 Abs. 1, "Es besteht keine Staatskirche", für Deutschland das Ende dieser durch Konstantin eingeleiteten Epoche des Staatskirchentums, das sich in den evangelischen Landeskirchen in der Form des Summepiskopates und des landesherrlichen Kirchenregiments bis zum Ende der Monarchie durchgehalten hatte. Auf den ersten Blick bedeutet die Anerkennung des religiös-neutralen Charakters des Staates und die damit verbundene Absage an jede Form des katholischen Glaubensstaats einen völligen Bruch mit der früheren kirchenamtlichen Lehre der katholischen Kirche zum StaatKirche-Verhältnis. In der Tat scheinen die klassischen Dokumente des 19. Jahrhunderts, in denen die Kirche im Zeitalter des Liberalismus den Forderungen nach Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit, allgemeiner Religionsfreiheit, Lehrfreiheit und nach Trennung von Staat und Kirche den Kampf ansagte, wie die Enzyklika "Mirari vos" Papst Gregors XVI. von 1832, 27 der "Syllabus enorum" und die Enzyklika "Quanta cura" Papst Pius' IX. aus dem Jahre 186428 sowie die Enzyklika "Libertas praestantissimum" Papst Leos XIII. von 1888,29 in einem unaufhebbaren und unversöhnlichen Gegensatz zu den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis von Staat und Kirche und insbesondere zur "Erklärung über die Religionsfreiheit" zu stehen. 30 Dieser Widerspruch findet jedoch seine Erklärung und Auflösung in der Tatsache, daß das Freiheits- und Demokratieverständnis des Libe26 Johannes Heckel, Melanchthon und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, in: ders., Das blinde, undeutliche Wort "Kirche", hrsg. von Siegfried Grundmann, Köln/Graz 1964, S. 323. 27 Rundschreiben Papst Gregors XVI. vom 15. August 1832 "Mirari vos". Lat. Originaltext in: ASS, Bd. 4 (1868), S. 336 ff.; deutsche übersetzung bei Emil Marmy, Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau, Dokumente, Freiburg i. Ü. 1945, S. 16 ff. 28 Rundschreiben Papst Pius' IX. vom 8. Dezember 1864 "Quanta cura" und "Syllabus errorum". Lat. Originaltext in: ASS, Bd. 3 (1867), S. 160ff.; deutsche übersetzungbei Marmy, ebd. (Anm. 27), S. 32 ff. 29 Rundschreiben Papst Leos XIII. vom 20. Juni 1888 "Libertas praestantissimum". Lat. Originaltext in: ASS, Bd. 20 (1888), S. 593 ff.; deutsche Übersetzung bei Marmy, ebd. (Anm. 27), S. 86 ff. 30 Diese Auffassung findet sich z. B. bei Ernst-Wolfgang Böckenförde in der Einleitung zu der lateinisch-deutschen (Aschendorffschen) Textausgabe der "Erklärung über die Religionsfreiheit", Münster 1968, S. 18 mit Anm. 19.

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ralismus des vergangenen Jahrhunderts, insbesondere auch in der Gestalt, in der es um die Mitte des 19. Jahrhunderts in den romanischen Ländern der Kirche (und dem Kirchenstaat!) gegenübertrat, nicht nur dezidiert religiös indifferentistische, sondern auch militant kirchenfeindliche Züge trug. Obwohl der Liberalismus bedeutsame und, wie auch von maßgeblichen Repräsentanten der Kirche anerkannt wurde, zukunftweisende Elemente für den Aufbau einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaftsform in sich enthielt, mußten ihn, wie Aubert hervorhebt, die Päpste, die für die Integrität des christlichen Glaubens verantwortlich waren, wegen seiner religions-und kirchenfeindlichen Grundhaltung ablehnen. 31 Die liberalen und sozialistischen Forderungen der damaligen Zeit hatten eine radikale Trennung von Staat und Kirche und die völlige Ausschaltung des kirchlichen Einflusses aus dem öffentlichen Leben im Auge. Sie zielten, wie Mikat schreibt, auf die totale Vernichtung der Kirche ab, so daß die Kirche ihnen gegenüber nur eine ablehnende Haltung einnehmen konnte. 32 Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß der in der römischen Kanonistik lange Zeit hindurch maßgebliche Autor des kurialistischen Lehrbuchs zum Jus Publicum Ecclesiasticum, der spätere Kardinal Felix Cavagnis, in seinem dreibändigen Werk "Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici" die Forderungen des Liberalismus nach Gleichheit und Freiheit durchaus als positive Elemente zu würdigen weiß, daß er aber auf der anderen Seite den Liberalismus damaliger Prägung wegen seiner militanten Religions- und Kirchenfeindlichkeit und wegen seiner extrem rechtspositivistischen Anschauungen, die nicht nur die Unabhängigkeit der Kirche vom Staate, sondern auch jegliches vor- und außerstaatliche Recht ablehnten, als unvereinbar mit dem Selbstverständnis der Kirche bezeichnete. 33 31 Roger Aubert, Die Religionsfreiheit von "Mirari vos" bis zum "Syllabus", in: Concilium, 1. Jhg. (1965), S. 590. Aubert weist darauf hin, daß das Verhalten der liberalen Regierungen, die in Kontinentaleuropa und Lateinamerika fast überall an der Macht waren, oft genug auf einen militanten Antiklerikalismus und eine kleinliche Kontrolle des kirchlichen Lebens hinauslief und manchmal so weit ging, daß aus der damals weit verbreiteten Meinung heraus, die Religion bilde ein Hindernis für den menschlichen Fortschritt, Versuche unternommen wurden, die Kirche durch eine echte Unterdrückung zu ersticken. Für eine Kontinuität der lehramtliehen Entwicklung in der Doktrin der katholischen Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat auch John Courtney Murray, Die religiöse Freiheit und das Konzil. Zweiter Teil: Die aktuelle Kontroverse im Spiegel der Tradition, Wort und Wahrheit, Bd. 20 (1965), S. 505 ff. 32 Paul Mikat, Art. "Kirche und Staat", in: Sacramentum Mundi, Theologisches Lexikon für die Praxis, Bd. 2, Freiburg/Basel/Wien 1968, Sp. 1318f. Wie Martin Heckel, ebd. (Anm. 18), S. 27 dazu anmerkt, wurde die "Trennung von Staat und Kirche" im 19. Jahrhundert als "ideologischer Kampfbegriff" rezipiert und verstanden.

62 Sbd. List!

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Die Gewährleistung echter und voller Religionsfreiheit durch den Staat setzt voraus, daß das betreffende Staatswesen von sich aus keine eigene religiöse, weltanschauliche oder ideologische Basis besitzen darf. Das Freiheitsverständnis des europäischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts, insbesondere in den romanisch-mediterranen Ländern, beruhte dagegen auf Vorstellungen eines dezidiert laizistischen, indifferentistischen und kirchenfeindlichen Staates. Mit diesen Ideen, die in vieler Hinsicht an einem von Rousseau und der Französischen Revolution beeinflußten Demokratieverständnis orientiert waren, war eine Aussöhnung auf der Grundlage demokratischer religiöser Freiheitsrechte im heutigen Sinne nicht möglich. Dieser Liberalismus war religiös nicht neutral, sondern in vieler Hinsicht zutiefst illiberal und weder bereit noch in der Lage, echte Religionsfreiheit zu gewähren. Die Zeiten haben sich seither grundlegend gewandelt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seinen Aussagen über die Religionsfreiheit nicht mehr den Staat der Kulturkampfära des 19. Jahrhunderts, sondern den zu echter religiöser Neutralität bereiten demokratischen Staat im Auge, der jede Form der Religion als ein für das Zusammenleben der Bürger im Staat - und damit auch für den Bestand von Staat und Gesellschaft selbst- fundamentales und Schützenswertes Rechtsgut anerkennt und deshalb den Religionsgemeinschaften im öffentlichen Bereich eine ungehinderte und anerkannte Wirkmöglichkeit in voller Unabhängigkeit vom Staate gewährt. Erst das im Vergleich zu den allgemeinen politischen und geistesgeschichtlichen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts grundlegend gewandelte Selbstverständnis der freiheitlichen, Grundrechte anerkennenden rechtsstaatliehen Demokratie und die Verwirklichung der religiösen Neutralität durch den Staat machten die Erklärung über die Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanums möglich. Zwischen der kirchenamtlichen Doktrin des 19. Jahrhunderts und den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis von Staat und Kirche besteht daher kein unaufhebbarer Widerspruch. Das Konzil wahrt vielmehr durchaus die Kontinuität der Grundaussagen der katholischen Kirche zum Verhältnis von Staat und Kirche. 2. Das Kernproblem, an dem sich auf dem Konzil leidenschaftliche Diskussionen über die Vorlage zur "Erklärung über die Religionsfreiheit" entzündet haben, bestand in der Frage, ob und auf welche Weise der dogmatische Wahrheitsanspruch der katholischen Glaubenslehre und die jedem Menschen obliegende Verpflichtung, nach der Erkennt33 Felix Cavagnis, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, Bd. 1, 4. Aufl., Rom 1906, S. 341 ff. (= Nr. 527 ff.).

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nis des wahren Glaubens zu streben und den als wahr erkannten Glauben anzunehmen, mit der Gewährleistung des Grundrechts der Religionsfreiheit in Einklang gebracht werden können. Für die schließlich nahezu einstimmige Annahme der Vorlage war dabei für die Konzilsmehrheit die prinzipielle Feststellung entscheidend, daß das Bekenntnis zum staatlichen Grundrecht der Religionsfreiheit nicht zugleich ein Bekenntnis zur religiösen Indifferenz einschließe. Das Konzil stellt daher gleich zu Anfang der "Erklärung über die Religionsfreiheit" mit Entschiedenheit fest, daß sich das Grundrecht der Religionsfreiheit auf die Freiheit vom Zwang in der staatlichen Gesellschaft beziehe und die überlieferte kirchliche Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaft gegenüber der wahren Religion ~d der einzigen Kirche Christi unangetastet lasse. 34 Auch hier zeigt sich, daß die Annahme der Erklärung über die Religionsfreiheit, die im Zeitalter des Glaubensstaats, d. h. weitgehend auch noch während des 19. Jahrhunderts, wegen der politischen, gesellschaftlichen und religiösen Situation der damaligen Zeit unvorstellbar gewesen wäre, dem Hauptanliegen der Kirche, ihrem Verkündigungsauftrag und ihrer Sendung gemäß ihrem eigenen dogmatischen Selbstund Glaubensverständnis in Freiheit nachzukommen, ebenso Rechnung trägt wie den im Vergleich zum 19. Jahrhundert grundlegend gewandelten politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen der heutigen Demokratie. Auch unter dieser, für die katholische Kirche entscheidenden dogmatisch-bekenntnismäßigen Rücksicht bildet somit die "Erklärung über die Religionsfreiheit" gegenüber der Vergangenheit keinen unaufhebbaren Bruch. Auf Grund der Unterscheidung zwischen rechtlichstaatlichem und moralisch-theologischem Bereich läßt sich, wie Bökkenförde ausführt, die traditionelle kirchliche Lehre, daß der Irrtum gegenüber der Wahrheit kein Recht geltend machen könne, mit der Anerkennung der Religionsfreiheit vermitteln, ohne daß dabei eine der beiden Positionen aufgegeben werden müßte. 35 Das Konzil wahrt in der "Erklärung über die Religionsfreiheit" gegenüber den theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen mit dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts einerseits die Kontinuität der dogmatischen Lehre der katholischen Kirche und entwickelt andererseits seine Lehre in einer den gewandelten Grundauffassungen des freiheitlichdemokratischen Verfassungsstaats entsprechenden Weise fort. Die Möglichkeit dieses Wandels hatte zur unabdingbaren Voraussetzung, 34

"Erklärung über die Religionsfreiheit", Nr. 1, bei Rahner I Vorgrimler, ebd.

35

Böckenförde, ebd. (Anm. 30), S. 13.

(Anm. 4), S. 662.

62*

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daß Kirche und Staat gleichermaßen auf das Postulat der konfessionellen Grundlage des Staates verzichteten und damit die religiöse Neutralität des Staates anerkannten, der erst dadurch zur "Heimstatt aller Bürger" unabhängig von ihrer Religion oder Konfession werden konnte. 36

m. Der Auftrag der Kirche in der freiheitlichen Demokratie 1. Die erste fundamentale Aussage, die den Konzilstexten über das Wesen und den Auftrag der Kirche entnommen werden kann, besteht in der starken Betonung des fundamentalen Wesensunterschiedes zwischen der Kirche und dem in der Pastoralkonstitution häufig als "communitas politica" bezeichneten Staat. Die Kirche, die für sich den Anspruch erhebt, "zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person" zu sein, erklärt ausdrücklich, daß sie in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgaben und ihrer Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden dürfe und an kein politisches System gebunden sei. 37 Das Konzil weist jede Zuständigkeit der Kirche für den rein politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich von sich und erklärt, daß die der Kirche von ihrem Herrn Jesus Christus übertragene eigene Sendung und das ihr gesetzte Ziel der religiösen Ordnung angehören. 38

Zeitgenössische Richtungen innerhalb der Theologie, die der Kirche für die Gegenwart primär die Aufgabe zuweisen möchten, Institution permanenter Gesellschaftskritik oder. auch revolutionärer Gesellschaftsveränderung zu sein, lassen sich mit diesen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht in Einklang bringen. Wenn aus den Konzilsdokumenten über die vorrangige Aufgabe der Kirche eines mit letzter Klarheit zu entnehmen ist, dann ist dies die Aussage, daß sich die Kirche als Glaubens- und Heilsgemeinschaft versteht, die gegenüber dem Staat und allen gesellschaftlichen Verbänden, Organisationen und Gruppen einen spezifischen und unverwechselbar eigenen Auftrag besitzt, der in Kapitel 76 der Pastoralkonstitution über die 36 Vgl. dazu die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 19, S. 206 [216]; ferner Klaus Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, Tübingen 1972, bes. S. 170ff. 37 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76 Abs. 2, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 534. 38 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 42 Abs. 2, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 489; nahezu wortgleiche Ausführungen finden sich in einer Ansprache Papst Pius XII. vom 9. März 1956, AAS, Bd. 48 (1956), S. 212.

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Kirche in der Welt von heute mit der Kurzformel umschrieben ist, die Kirche habe "der Menschheit Christus als Erlöser der Welt zu verkünden".39 Paul Mikat kleidet die zahlreichen Aussagen des Konzils über Wesen und Aufgaben der Kirche in die Feststellung, durch das Konzil sei die heilsvermittelnde Funktion der Kirche als streng jenseitige wieder in den Mittelpunkt gerückt worden. Das Selbstverständnis der Kirche bestehe nach den Erklärungen des Konzils darin, daß sie die Wirkstätte des Heiligen Geistes sei, die sich bemühen müsse, Gottes Heilsplan in sich selbst zu erkennen und durch verantwortlichen Dienst am Menschen zu verwirklichen. 40 2. Aus dem wesensmäßigen Unterschied von Staat und Kirche folgt die in mehreren Konzilsdokumenten mit aller nur denkbaren Deutlichkeit ausgesprochene Eigenständigkeit der Kirche gegenüber der staatlichen Gewalt und die gegenseitige Unabhängigkeit von politischer Gemeinschaft und Kirche. "Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind je auf ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom". 41 Die Pflicht zur Achtung der kirchlichen Eigenständigkeit ergibt sich für den Staat letztlich aus dem vorstaatlichen Grundrecht der Religionsfreiheit. Das Gemeinwohl, das vom Konzil nicht als statische oder formale Größe, sondern als dynamische und in ihren konkreten Anforderungen einem ständigen Wandel der Zeit unterliegende Aufgabe verstanden wird, besteht in der Gesamtheit jener Bedingungen des sozialen Lebens, unter denen die einzelnen, die Familien und die gesellschaftlichen Gruppen ihre je eigene Vervollkommnung in größerer Fülle und Freiheit erreichen können. 42 Zum Inhalt des Gemeinwohls gehört, wie das Konzil unter Berufung auf die Enzyklika "Mater et Magistra" Papst Johannes' XXIII. ausführt, "besonders die Wahrung der Rechte und Pflichten der menschlichen Person". Die Sorge für das Recht auf 39 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76 Abs. 4, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 535; ähnliche Aussagen in zahlreichen anderen Konzilstexten, z. B. Pastoralkonstitution, Kap. 42 Abs. 2, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 489 f.; Dogmatische Konstitution über die Kirche, Kap. 5, 8, 17, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 125 ff.; Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel, Nr. 3 und 8, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 96 f.; Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche, Nr. 7, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 615 f. 40 Paul Mikat, Kirche und Staat in nachkonziliarer Sicht, in: Kirche und Staat. Festschrift für Bischof Hermann Kunst, Berlin 1967, S. 114f. 41 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76 Abs. 3, bei Rahner I Vorgrimler; ebd. (Anm. 4), S. 534 f. 42 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 74 und 78 bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 530 und 536; "Erklärung über die Religionsfreiheit" Nr. 6 ff., bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 666 ff.

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religiöse Freiheit obliegt den einzelnen Staatsbürgern, den sozialen Gruppen und der Staatsgewalt, aber auch den Kirchen und den anderen religiösen Gemeinschaften, und zwar je nach ihrem spezifischen Wesen und je nach der Verpflichtung, die sie jeweils dem Gemeinwohl gegenüber haben. 43 Der effektive Schutz sämtlicher Grundrechte, insbesondere auch der Gleichheit einschließlich der religionsrechtlichen Parität, gehört nach den Ausführungen des Konzils "zum grundlegenden Wesensbestand des Gemeinwohls und fällt unter den Begriff der öffentlichen Ordnung".44 Auch die Respektierung der- im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV garantierten - Eigenständigkeit der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften in ihren Angelegenheiten und die Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, das sich, wie gezeigt, nach der Auffassung des Konzils letztlich aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit herleitet, sind wesentlicher Bestandteil der Gemeinwohlverwirklichung des Staates. Die individuelle und die korporative Religionsfreiheit, d. h. die Kirchenfreiheit, die ohne die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat nicht verwirklicht werden kann, finden ihre letzte juristische und auch philosophisch-theologische Begründung in der Würde des Menschen und in seiner Freiheit und Verantwortung. Der Schutz aller dieser Rechtsgüter gehört zu den obersten Pflichten des Staates. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß es das Konzil vermeidet, die Forderung auf Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat nach dem Vorbild von Papst Leo XIII. in dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten, dem staatlichen Souveränitätsanspruch nachgebildeten Denkmodell der "societas-perfecta-Lehre" bzw. der "Zwei-Gewalten-Lehre" auszudrükken. Dadurch kommt die dem Anliegen der freiheitlichen Demokratie entsprechende veränderte Sicht der Funktionen von Staat und Kirche "vom Herrschafts- zum Dienstcharakter" in voller Schärfe zum Ausdruck.45 Diese auf dem Grundrecht der Religionsfreiheit aufbauende Argumentationsweise des Konzils besitzt, wie Hollerbach zeigt, auch eine beträchtliche Ausstrahlungskraft auf die in der Gegenwart einsetzende Revision und Reform des kanonischen Rechts. 46 "Erklärung über die Religionsfreiheit", Nr. 6, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. s. 666. 44 "Erklärung über die Religionsfreiheit", Nr. 7 Abs. 2, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 667 f. 45 Mikat, ebd. (Anm. 40), S. 124. 43

(Anm. 4),

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3. Mit der gleichen Entschiedenheit, mit der die Konzilsdokumente gegenüber dem Staat den Anspruch auf Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten erheben, bekunden sie aber auch die Bereitschaft zur Kooperation mit dem Staat, und zwar unabhängig von dem jeweils herrschenden politischen System. Unter Hinweis auf das in der Tradition des Staatskirchenrechts von jeher das Zusammenwirken von Staat und Kirche motivierende Axiom des "idem civis et christianus" erklärt das Konzil, daß Staat und Kirche, wenn auch in durchaus verschiedener Begründung und Aufgabenstellung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung derselben Menschen dienen. Diesen Dienst könnten beide, Staat und Kirche, zum Wohle aller um so wirksamer leisten, "je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen ". 47 Von einem Weltkonzil wie dem Zweiten Vatikanum kann nicht erwartet werden, daß es in seinen Aussagen zur konkreten staatskirchenrechtlichen Situation in einzelnen Staaten, etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in der Bundesrepublik Deutschland oder im "klassischen" Trennungsland Frankreich in einer wertenden oder gar Kritik übenden Weise Stellung nimmt. Jedes konkrete Staat-KircheVerhältnis einer Nation ist das Ergebnis eines langen und unwiederholbaren historischen Prozesses und der je eigenen und einmaligen Ge46 Alexander Hollerbach, Kirche- Staat- Gesellschaft- Völkergemeinschaft: Erwägungen zum 3. Kapitel des Entwurfs einer Lex Ecclesiae Fundamentalis, in: Diaconia et Jus, Festgabe für Heinrich Flatten, München/Paderborn/Wien 1973, S. 315 ff. -Auf der anderen Seite ist jedoch zu bedenken, daß die "ZweiGewalten-Lehre", die etwa um 1830 von römischen Theologen und Kanonisten im Gegenschlag zu dem übersteigerten Herrschaftsanspruch des Staates über die Kirche entwickelt worden ist, bei richtigem Verständnis ihres Grundanliegens nichts anderes ausdrücken will als den Anspruch der Kirche auf Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gegenüber dem Staat, verstanden etwa in der Interpretation, die das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 18, 385 ff. dem Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WeimRV gegeben hat. Ungeachtet vieler Übersteigerungen und Überdehnungen, die das Denkmodell der societas-perfecta-Lehre bei den Kanonisten selbst und insbesondere in der staatskirchenrechtlichen Auseinandersetzung und Polemik erfahren hat, darf das legitime Grundanliegen, das mit dieser Lehre verbunden war, nicht verkannt werden. Zu einseitig in dieser Hinsicht Josef Königsmann, "Vollkommene Gesellschaft" oder "Religionsfreiheit" als Zentralbegriff einer Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: ÖArchKR, Bd. 19 (1968), S. 233 ff. Dieser berechtigte Aspekt ist offensichtlich auch nicht gesehen bei Pedro Lombardia, Le Droit Public-Ecclesiastique selon Vatican li, in: Apollinaris, Bd. 40 (1967), S. 59 ff., bes. S. 107ff. 47 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76 Abs. 3, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 534 f. Mit dem Zusatz, daß dabei "jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen" seien, weist das Konzil hin auf die jeweilige historische und kulturelle Bedingtheit einer jeden konkreten Staatskirchenverfassung.

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schichte des betreffenden Staates und kann daher auf einen anderen Staat nicht bruchlos übertragen werden. Mehr als frühere kirchliche Verlautbarungen weist das Zweite Vatikanische Konzil auf die Geschichtlichkeit und damit auf die vielfache Bedingtheit und Wandelbarkeit jedes konkreten Staat-Kirche-Modells hin. Niemand wird jedoch aus den Konzilstexten die Behauptung belegen können, das Zweite Vatikanische Konzil habe sich in seinen staatskirchenrechtlichen Aussagen für ein radikales Trennungssystem ausgesprochen, wie es z. B. den Postulaten des F.D.P.-Kirchenpapiers zugrunde liegt. 48 Das Konzil fordert ganz im Gegenteil eine möglichst enge Kooperation zwischen Staat und Kirche. Gerade aus der Erwägung, daß Staat und Kirche zum Dienst an den gleichen Menschen berufen sind, bezeichnet das Konzil diejenige Form der Zuordnung von Staat und Kirche als die der jeweiligen geschichtlichen Situation angemessenere und bessere, bei der ein möglichst gutes und harmonisches Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche erreicht wird. 49 Nicht in der radikalen Trennung, die letztlich immer eine "Privatisierung" der Kirche darstellt und ihr Wesen und ihren Auftrag verkennt und verfremdet, 50 sondern in der sachorientierten, partner- und freundschaftlichen Koexistenz zwischen Staat und Kirche besteht die vom Konzil als wünschens- und anstrebenswert bezeichnete "Ideallösung" im Verhältnis von politischer und geistlicher Gemeinschaft. Diese Form des Zusammenwirkens von Staat und Kirche schließt die Zulässigkeit einer institutionellen Zuwendung von Staat und Kirche in der Form von Konkordaten und Staatskirchenverträgen keineswegs aus, sondern fordert im Interesse der Menschen, die gleichzeitig Bürger des Staates und Glieder der Kirche sind, und zum Zwecke der Bewahrung eines dauerhaften Friedens und eines freundschaftlichen Einvernehmens in schwebenden und umstrittenen Fragen geradezu die Form des vertraglichen Ausgleichs. 51 Dadurch, daß das Konzil wiederholt 48 Die im Sommer 1973 von einer vom F.D.P.-Parteivorstand eingesetzten Kommission erarbeiteten 14 Thesen, in denen eine radikale Trennung von Staat und Kirche und eine totale Privatisierung der Kirchen postuliert wird, sind veröffentlicht unter der Überschrift "Freie Kirche im freien Staat", in: Liberal. Beiträge zur Entwicklung einer freiheitlichen Ordnung, 15. Jhg. (1973), S. 694 ff. 49 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76 Abs. 3, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 534 f. 5o Vgl. dazu Wolfgang Huber, Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973, s. 548f. 51 Den "hohen Rechtswert eines Konkordats in der Demokratie" betont Paul Mikat, Zum Dialog der Kirche mit der modernen Gesellschaft, in: Volk Gottes. Zum Kirchenverständnis der katholischen, evangelischen und anglikanischen Theologie. Festgabe für Josef Höfer, Freiburg/Basel/Wien 1967, S. 712; ebenso Alexander Hollerbach, Kirche - Staat - Gesellschaft - Völkergemeinschaft,

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auf die geschichtliche Bedingtheit einer jeden staatlichen und rechtlichen Ordnung hinweist, bringt es zum Ausdruck, daß es eine für alle Zeiten und Kulturen unverändert gültige "Idealkonstellation" oder "Optimallösung" im Verhältnis zwischen politischer Macht und Kirche nicht geben kann. Auch in konkreten historischen Situationen und Konstellationen optimal erscheinende Gestaltungs- und Lösungsmöglichkeiten des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche besitzen günstigstenfalls Annäherungscharakter an ein infolge der menschlichen Bedingtheit niemals erreichbares Ideal. Mit Nachdruck betont das Konzil in dem bereits erwähnten Kapitel 76 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, daß die Kirche ihre Hoffnung nicht auf Privilegien setzen dürfe, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Das Konzil erklärt, daß die Kirche auch auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten müsse, wenn feststehe, daß durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt werde oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung erfordern. Damit ist allerdings entgegen verbreiteten Fehlinterpretationen dieses Konzilstextes nicht zum Ausdruck gebracht, daß die Kirche keinerlei ihr von demokratischen Staaten angebotene oder verliehene Rechtspositionen, wie z. B. den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, annehmen dürfe. Aus dem Gesamtzusammenhang der Konzilsaussagen geht vielmehr hervor, daß die Kirche sich jeglicher Förderung durch die politische Gemeinschaft bedienen darf und bedienen soll, die ihr zur besseren Erfüllung ihres geistlichen Auftrags dient. Nur dann, wenn feststeht, daß durch konkrete Formen staatlicher Förderung und Begünstigung ihr kirchlicher Auftrag Schaden leiden würde, ist die Kirche verpflichtet, auf die staatliche Mitwirkung, auch und gerade, wenn diese ihr, wofür die Kirchengeschichte Beispiele kennt, aufgedrängt werden sollte, zu verzichten. 4. Die Tätigkeit der Kirche in der Welt, über deren konkrete Ausgestaltung letztlich nur sie allein nach ihrem Selbstverständnis bestimmen kann, ist nicht auf den kultischen Raum beschränkt. In der "Erklärung über die Religionsfreiheit" rechnet das Konzil zu den Bestandteilen der religiösen Freiheit auch die Befugnis der Religionsgemeinschaften, nicht daran gehindert zu werden, die besondere Fähigkeit ihrer Lehre zur Ordnung der Gesellschaft und zur Beseelung des ganzen menschlichen Thns zu zeigen. Aus der Sozialnatur des Menschen und dem Wesen der Religion leitet das Konzil das Recht her, daß die (Anm. 46), S. 326 f.; Wilhelm Weber, Kirche, Staat und Gesellschaft nach dem Zweiten Vaticanum, in: Die Kirche im Wandel der Gesellschaft, hrsg. von Josef Schreiner, Würzburg 1970, S. 145.

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Menschen sich aus religiösem Antrieb frei versammeln und Vereinigungen für Erziehung, Kultur, Caritas und soziales Leben schaffen können. 5 2 Schon Papst Pius XI. hat im Jahre 1931 in der bekannten Sozialenzyklika "Quadragesima anno" das grundsätzliche Recht der Kirche, zu sozialen Fragen Stellung zu nehmen, damit begründet, daß es eine Unmöglichkeit darstelle, die Zehn Gebote zu beobachten, wenn in einer Gesellschaft die grundlegenden sozialen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben nicht gegeben seien. 53 Der Auftrag der Kirche am Menschen erstreckt sich auf alle Gebiete des Bildungswesens und der Kultur und auf die Ausübung sämtlicher sozial-karitativer Dienste. Wie das Konzil erklärt, bedient sich die Kirche des Zeitlichen, soweit ihre eigene Sendung dies erfordert. Ungeachtet der scharfen Grenzlinie zwischen der Politik und ihrem eigenen Auftrag nimmt sie für sich "immer und überall das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit ihren Glauben zu verkünden, ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen". Sie wendet dabei alle, aber auch nur jene Mittel an, welche dem Evangelium und dem Wohle aller je nach den verschiedenen Zeiten und Verhältnissen entsprechen. 54 Nur in Ausnahmefällen nimmt die Kirche "in Ausübung des von ihr für diese Fälle im Interesse der Menschen als unverzichtbar betrachteten Wächteramtes" das Recht in Anspruch, auch in den Bereich der Politik einzugreifen. Wenn es um Fragen des christlichen Glaubens oder der Sittenlehre geht, kann die Kirche christliche Anschauungen nur unverkürzt zur Geltung bringen und muß sie den Konflikt mit entgegengesetzten Auffassungen um der Wahrheit willen durchstehen. 55 In allen übrigen Fällen bekennt sie sich zu politischer Abstinenz. Sie untersagt ihren Priestern und den Angehörigen religiöser Orden sogar ausdrücklich die Ausübung einer parteipolitischen Tätigkeit und, von Notsituationen abgesehen, auch die Übernahme eines parteipolitischen Mandats. 56 "Erklärung über die Religionsfreiheit" Nr. 4, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. s. 665. 53 Rundschreiben Papst Pius' XI. vom 15. Mai 1931 "Quadragesima anno", Text u.a. bei Marmy, ebd. (Anm. 27), S. 461 ff. 54 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76 Abs. 5, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 535. · 55 Mikat, Zum Dialog der Kirche (Anm. 51), S. 710. 56 Vgl. dazu die "Erklärung zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" der Deutschen Bischofskonferenz vom 27. September 1973 u.a. in: Kirchlicher An52

(Anm. 4),

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Das Konzil bekennt sich nachdrücklich zu den Prinzipien der freiheitlichen und gewaltenteilenden Demokratie. 57 Die politische Tätigkeit ist jedoch nach der Überzeugung des Konzils, wiederum abgesehen von Notsituationen, in denen die ethischen Grundwerte des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Frage stehen, nicht Aufgabe der Kirche als Heilsgemeinschaft und ihrer Bischöfe und ihrer anderen Repräsentanten, sondern ist den von ihrem Gewissen geleiteten Politikern übertragen. Dieser Tatsache muß, wie das Konzil verlangt, auch in der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Kirche und pluralistischer Gesellschaft in der Demokratie Rechnung getragen werden. Im Bereich des Politischen muß deshalb zwischen der Tätigkeit, die die einzelnen Christen oder deren Organisationen, Verbände und Parteien in eigener Verantwortung und in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger ausüben, und zwischen Äußerungen und Handlungen, die im Namen der Kirche, d. h. unter Mitwirkung der Bischöfe, geschehen, scharf unterschieden werden. 58

rv. Zusammenfassung Versucht man die vielfachen Aussagen des Konzils zur Frage der Zuordnung von Staat und Kirche in der modernen Demokratie zusammenzufassen, so läßt sich die Feststellung treffen, daß in den Konzilstexten auf der Grundlage der Gewährleistung voller individueller und korporativer Religionsfreiheit eine Synthese zwischen den traditionellen Grundpositionen und -erwartungen der katholischen Kirche gegenüber der politischen Gemeinschaft und dem religiös-neutralen, freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat erzielt worden ist. Verhärtete und in der Zwischenzeit weithin überholte Front- und Fragestellungen, wie sie die Auseinandersetzungen im Bereich von Staat zeiger für die Erzdiözese Köln, Bd. 113 (1973), S. 335 ff.; in dieser Erklärung berufen sich die deutschen Bischöfe auf die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und auf eine ähnliche Erklärung der Römischen Bischofssynode vom 30. November 1971. Vgl. die Erklärung dieser Synode "De sacerdotio ministeriali", in: AAS, Bd. 63 (1971), S. 897 (913); deutsche übersetzung in: Herder-Korrespondenz, 25 Jhg. (1971), S. 584 (589). 57 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 75 Abs. 2, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 532; vgl. dazu auch Dieter Grimm, Die Staatslehre der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Civitas, Jahrbuch für Sozialwissenschaften, Bd. 8 (1969), S. 29 f.; ferner Hans Maier, Das Leben der politischen Gemeinschaft, in: Die Autorität der Freiheit, Gegenwart des Konzils und Zukunft der Kirche im ökumenischen Disput, hrsg. von Johann Christoph Hampe, Bd. 3, München 1967, S. 451 ff. 58 Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute", Kap. 76 Abs. 1, bei Rahner I Vorgrimler, ebd. (Anm. 4), S. 534.

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und Kirche während des 19. Jahrhunderts und in der Kulturkampfzeit gekennzeichnet haben, sind von der Kirche auch in der Doktrin aufgegeben worden. In seinen Aussagen zur Staatsform der Demokratie steht das Zweite Vatikanum in der Kontinuität einer längeren geschichtlichen Entwicklung. Bereits im Zeitalter des Spätkonstitutionalismus hatte Papst Leo XIII. im Jahre 1888 erklärt, daß es bei Wahrung der katholischen Lehre über Ursprung und Ausübung der öffentlichen Gewalt nicht verboten sei, Regierungen von gemäßigter demokratischer Form den Vorzug vor der Monarchie zu geben und daß die Kirche keine von den verschiedenen Regierungsformen ablehne, vorausgesetzt, daß sie in sich geeignet seien, dem Wohl der Bürger zu dienen. 59 Während des Zweiten Weltkriegs hatte Papst Pius XII. die Demokratie mit großer Eindringlichkeit als diejenige Staatsform bezeichnet, die die Würde und Freiheit der Bürger am besten zu schützen und zu gewährleisten in der Lage ist. 60 Papst Johannes XXIII. hat vor der Einberufung des Zweiten Vatikanums in der Enzyklika "Mater et Magistra" 1961 diese Gedanken weitergeführt und für alle Staaten die effektive Gewährleistung der Grund- und Menschenrechte gefordert. 61 Die geistesgeschichtliche Bedeutung der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Verhältnis von Staat und Kirche besteht in der Absage an das in seiner Tradition bis in die Antike zurückgehende Postulat des konfessionellen Glaubensstaates, das bis zum Konzil von einer bedeutsamen Richtung von Theologen und Juristen innerhalb der katholischen Kirche vertreten worden war. Die Kirche hat damit jeden Anspruch aufgegeben, ihre geistlichen Forderungen mit dem Einsatz staatlicher Machtmittel durchzusetzen. Nicht aufgegeben hat sie dagegen ihre Bereitschaft zu partner-und freundschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Staat. Sie sucht vielmehr diese Kooperation zum Wohle der Menschen, die zugleich Bürger des Staates und Glieder der Kirche sind. Diese Zusammenarbeit dient nicht nur der Kirche, sondern ebenso auch dem Staat.

59 Rundschreiben Papst Leos XIII. vom 20. Juni 1888 "Libertas praestantissimum", Text u.a. bei Marmy, ebd. (Anm. 27), S. 115 (= Nr. 137). 60 Insbesondere in der Radiobotschaft vom 24. Dezember 1944. Italienischer Originaltext in: AAS, Bd. 37 (1945), S. 10 ff.; deutsche Übersetzung u.a. bei Arthur-Friedolin Utz und Joseph-Fulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius' XII., Freiburg i.Ü. 1954, Bd. 2, S. 1771 ff. (= Nr. 3467 ff.). 61 Die Sozialenzyklika Papst Johannes' XXIII. "Materet Magistra" vom 15. Mai 1961. Lateinischer Originaltext in: AAS Bd. 53 (1961), S. 401 ff.; deutsche Ausgabe, Freiburg 1961 (= Herder-Bücherei Bd. 119), S. 50 ff.

Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil I. Das Verhältnis von Kirche und Staat in den Dekreten und Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils 1. Die Vielzahl konvergierender Konzilsaussagen zum Verhältnis

von Kirche und staatlicher Gewalt

In den insgesamt 16 Dokumenten des li. Vatikanischen Konzils (11. 10. 1962-8. 12. 1965) hat die katholische Kirche ihr ekklesiologisches Selbstverständnis über ihren Ursprung, ihre Sendung und ihre Zweckbestimmung hier auf Erden in einer dem damaligen Stand der theologischen Reflexion entsprechenden und noch heute unverändert gültigen Weise grundlegend und umfassend neu formuliert. Im Unterschied zu den früheren ökumenischen Konzilien geschah dies nicht in der Form kurzer, präzis und prägnant formulierter dogmatischer Festlegungen und Lehrsätze sowie in der Ausgrenzung und Verwerfung gegensätzlicher oder abweichender Meinungen, sondern in umfangreichen positiven Darlegungen der katholischen Lehre nach Art ausführlicher und mit vielen Fundstellen und Literaturangaben versehener theologischer Traktate. Voll in der Kontinuität zu den früheren Konzilien und zur tradierten Lehre der Kirche stehend und diese fortführend und für die Gegenwart aktualisierend, vermied es das sich als pastorales Konzil verstehende II. Vatikanum bewußt, neue Glaubenssätze zu formulieren und in verbindlicher Weise vorzulegen oder moderne Irrtümer auf dem Gebiete der dogmatischen Theologie oder der Moraltheologie in der Form von Verwerfungen, d. h. von sog. Anathematismen, zurückzuweisen. Auch die Lehre der Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat, wie sie von der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum EcclesiastiErstveröffentlichung in: Fides et lus. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Aymans, Anna Egler, Joseph Listl. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 1991. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Friedrich Pustet, Regensburg.

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cum 1 während der letzten drei Jahrhunderte entwickelt worden ist 2 , wurde vom Zweiten Vatikanischen Konzil in weitgehender inhaltlicher Kontinuität zur bisherigen Doktrin in vieler Hinsicht neu formuliert. Zu den Konzilsdokumenten, in denen sich Aussagen über das Verhältnis der Kirche zur Staatenwelt und zu den einzelnen Staaten finden, gehören in erster Linie die grundlegende Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" 3 , ferner das umfangreichste aller Konzilsdokumente, die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes" 4 und die in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung gewinnende Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" 5 . Wichtige Äußerungen des Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat sind ferner enthalten in der Erklärung über die christliche Erziehung "Gravissimum educationis" 6 , in der unter Ablehnung jedes staat1 In ihrem zusammenfassenden Überblick zum Ius Publicum Ecclesiasticum weisen Georg May und Anna Egler darauf hin, daß dieses Teilgebiet des Kirchenrechts "viele Bearbeiter" anzuziehen vermochte. Obwohl diese Thematik von Kirchenrechtslehrern aller europäischen Länder behandelt wurde, haben sich ihr die italienischen Kanonisten und insbesondere die Lehrstuhlinhaber dieses Faches an den Päpstlichen Hochschulen und Instituten in Rom am häufigsten gewidmet. Vgl. hierzu Georg May und Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, S. 81 f. 2 Der bisher letzte große Repräsentant der römischen Schule des Ius Publicum Ecclesiasticum war der italienische Kurienkardinal Alfredo Ottaviani (1890-1979). Sein in insgesamt vier Auflagen erschienenes Lehrbuch Alaphridus Ottaviani, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, editio quarta emendata et aucta adiuvante Iosepho Damizia, 2 vol., Romae 1958-1960, ist die letzte zusammenfassende Darstellung dieses Fachgebiets vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die ebenfalls zweibändige Erstauflage dieses Werkes erschien in Rom im Jahre 1926. Über die Bedeutung Ottavianis auf dem Gebiete des Ius Publicum Ecclesiasticum vgl. Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 7), Berlin 1978, bes. S. 37 f., 204. a AAS 57 (1965), S. 5-71 = LThK, 2. Aufl., Ergänzungsbände "Das Zweite Vatikanische Konzil", Teill, Freiburg/Br. 1967, S. 156ff. 4 AAS 58 (1966), S. 1025-1120 = LThK (Anm. 3), Teil 3, Freiburg/Br. 1968, s. 280ff. 5 AAS 58 (1966), S. 929-946 = LThK (Anm. 3), Teil 2, Freiburg/Br. 1967, S. 712 ff. Über die theologischen Grundlagen der Menschenrechte und damit auch des Grundrechts der Religionsfreiheit siehe die Ausführungen bei Walter Kasper, Die theologische Begründung der Menschenrechte, in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft.- Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat, hrsg. von Dieter Schwab, Dieter Giesen, Joseph Listl, Hans-Wolfgang Strätz, Berlin 1989, S. 99-118. 6 AAS 58 (1966), S. 728-739 = LThK (Anm. 3), Teil 2, S. 366 ff. Vgl. hierzu Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986, bes. S. 114 ff.

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liehen Schulmonopols namens der Eltern das Recht gefordert wird, "in der Wahl der Schule wirklich frei" zu sein, und in der das Konzil gleichzeitig an die Adresse der Staaten die Erwartung ausspricht, daß sie die öffentlichen Mittel in der Weise verwenden werden, "daß die Eltern für ihre Kinder die Schulen nach ihrem Gewissen wirklich frei wählen können" 7 • In dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" 8 macht das Konzil den Bischöfen ein loyales Zusammenwirken mit der staatlichen Obrigkeit und deren tatkräftige Unterstützung zur Pflicht und spricht den Bischöfen gegenüber die Erwartung aus, daß sie auch ihre Gläubigen zum Gehorsam gegenüber den gerechten Gesetzen und zur Ehrfurcht gegenüber den rechtmäßig bestellten Regierungen anleiten; andererseits erneuert das Konzil in der Form eines "Wunsches" die seit der Zeit des Investiturstreits immer wieder erhobene Forderung nach freier Ernennung der Bischöfe, wenn es an diejenigen Staaten, die gegenwärtig noch durch Vertrag oder Gewohnheit das Recht oder das Privileg besitzen, "Bischöfe zu wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen", die "freundliche Bitte" richtet, nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl auf diese Rechte zu verzichten9 • Schließlich finden sich auch noch in dem Dekret über die Ausbildung der Priester "Optatam totius" 10 , in dem Dekret über das Apostolat der Laien "Apostolicam actuositatem"11 und in dem Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche "Ad gentes divinitus" 12 sporadische Aussagen zum Verhältnis von Kirche und Staat. Jedes der 16 Konzilsdokumente befaßt sich unter seiner besonderen Rücksicht und Thematik in irgendeiner Form mit dem Wirken, der freien Betätigung und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche in Gesellschaft und Staat. Sämtliche Konzilsdokumente fordern in ihrem Kontext unter Ablehnung der Extreme des die Freiheit der allgemeinen Religionsausübung behindernden Konfessionsstaates und des Staatskirchenturns auf der einen und des auf einer antireligiösen Weltanschauung oder Staatsideologie beruhenden Totalitarismus auf der anderen Seite die Möglichkeit des freien Wirkens der Kirche in Gesellschaft und Staat. Eine bedeutsame Zäsur gegenüber der früheren Lehre der Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat bedeutet jedoch die Erklärung 7 AAS 58 (1966), S. 733 = LThK (Anm. 3), Teil2, S. 380. a AAS 58 (1966), S. 673-701 = LThK (Anm. 3), Teil2, S. 148-247. 9 AAS 58 (1966), S. 683 = LThK (Anm. 3), Teil2, S. 184-186. 1o AAS 58 (1966), S. 713-727 =LThK (Anm. 3), Teil2, S. 314 ff. 11 AAS 58 (1966), S. 837-864 =LThK (Anm. 3), Teil2, S. 602 ff. 12 AAS 58 (1966), S. 947-990 =LThK (Anm. 3), Teil3, S. 22 ff.

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über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae", in der sich das Konzil für die Pflicht des Staates, und zwar jedes Staates, zur Gewährleistung einer effektiven individuellen und korporativen Religionsfreiheit ausspricht. Mit dieser Erklärung über die Religionsfreiheit ist das noch von Kardinal Ottaviani mit Entschiedenheit vertretene Postulat des mit der katholischen Religion als der einzig wahren Religion verbundenen Konfessionsstaates und damit der Staatsreligion nicht nur in der kirchenpolitischen Praxis, wo es sich in den religiös neutralen Staaten, wie z. B. in den Vereinigten Staaten von Amerika und in den Staaten mit gemischter evangelischer und katholischer Bevölkerung in Europa, niemals oder jedenfalls seit langer Zeit nicht mehr als praktikabel erwiesen hatte, sondern auch im Grundsatz und in der Theorie endgültig aufgegeben worden. Die katholische Kirche hat in der Erklärung über die Religionsfreiheit endgültig und unwiderruflich den Anspruch aufgegeben, für die Verwirklichung ihres religiösen Sendungsauftrags und für ihre geistlichen Forderungen an ihre Gläubigen den Einsatz staatlicher Machtmittel in Anspruch zu nehmen 13 . 2. Identität von geistgewirkter Gemeinschaft und rechtlicher Institution

Nach einem Zustimmung verdienenden Wort des Kanonisten Hans Barion ist das Kirchenrecht, und dies gilt in diesem Zusammenhang auch für die kanonistische Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum, eine "Funktion des Kirchenbegriffs". Man muß für das Verständnis der Kirche "vom Kirchenbegriff ausgehen" 14 . Die grundlegenden Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, in dessen Dokumenten sich kein zusammenhängender systematischer Abschnitt über das Verhältnis der Kirche zum Staat findet 15 , zum Selbstverständnis der Kir13 Vgl. hierzu im einzelnen bei Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 208 ff., m. zahlr. w. N. 14 Hans Barion, Erwiderung, in: Eunomia. Freundesgabe für Hans Barion zum 16. Dezember 1969, Pfungstadt 1970, S. 214. 15 In dem bereits vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vorbereiteten Entwurf für die spätere Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" war zwar als Kapitel IX ein systematischer Abschnitt "De relationibus inter Ecclesiamet Statum" vorgesehen, der aber in Anbetracht der überwiegend pastoralen Zielsetzung des Zweiten Vatikanums nicht als solcher in die Konzilsberatungen miteinbezogen wurde. Die einzelnen Aussagen dieses Kapitels fanden jedoch Aufnahme in die Dogmatische Konstitution "Lumen gentium", in die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" und in die Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae". Dieses relativ kurze Kapitel IX "De relationibus inter Ecclesiamet Statum" des vorbereiteten Entwurfs der Dogmatischen Konstitution über die Kirche ist zusammen mit seinem umfangreichen Anmerkungsapparat amtlich veröffentlicht in: Acta SynodaHa Sacro-

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ehe und damit zum Kirchenbegriff sind in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" enthalten. In dieser Konstitution umschreibt das Konzil das Wesen der Kirche mit zahlreichen Bildern aus der Heiligen Schrift des Alten und des Neuen Testamentes und bezeichnet sie u.a. als Haus Gottes, Braut Christi, Geheimnisvoller Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes, als pilgerndes Gottesvolk und als geistgewirkte Gemeinschaft aller Gläubigen 16 . Jedoch schöpfen diese Aussagen die komplexe Wirklichkeit der Kirche keineswegs zureichend aus. Sie sind nämlich für sich nicht geeignet für die rechtliche Bestimmung des Verhältnisses der Kirche zur säkularen Gesellschaft und zur Staatenwelt. Die Kirche in ihrem vollen Verständnis ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil mit Nachdruck erklärt, nicht nur Glaubens- und Heils-, sondern auch Rechtsgemeinschaft, und zwar all dies in untrennbarer Einheit. Das Verhältnis zwischen diesen Wesenseigenschaften der Kirche ist das der Identität. Die Kirche ist damit zugleich wesentlich ebenso pilgerndes Volk Gottes, Geheimnisvoller Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes und geistgewirkte Gemeinschaft wie sichtbarer rechtlich verfaßter und durch seine hierarchischen Organe im Innern und nach außen handelnder gesellschaftlicher Verband und aufgrund der Stiftung der Kirche durch ihren Herrn Jesus Christus zugleich auch vorgegebene und in ihrem Wesen der menschlichen und damit auch der kirchlichen Verfügbarkeit entzogene rechtliche Institution 17 . Die Kirche ist daher, nicht im Sinne einer lediglich äußerlichen und gewissermaßen rein additiven Zusammenfügungzweier an sich heterogener Elemente, sondern im Sinne einer wesensmäßigen und daher notwendigen Identität gleichermaßen Heilsgemeinschaft und rechtlich sancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Vol. I: Periodus prima, Pars IV: Congregationes Generales XXXI-XXXVI, Romae 1971, S. 65-74. Der Wortlaut dieses Kapitels ist ferner abgedruckt bei Giuseppe Alberigo und Franca Magistretti (Hrsg.), Constitutionis Dogmaticae "Lumen gentium" Synopsis historica, Bologna 1975, S. 307 ff. Vgl. hierzu auch bei Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 105 und 211ff. 16 Vgl. hierzu die Aussagen der Dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen gentium", Art. 1-7; und ferner im einzelnen die zusammenfassende Darstellung bei Winfried Aymans, Die Kirche - Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbKathKR, S. 3-11. 17 In der Enzyklika Mystici Corporis vom 29. 6. 1943, dem ersten lehramtliehen Dokument, in dem die Kirche ihr ekklesiologisches Selbstverständnis in umfassender Weise thematisiert hat, hat sich Papst Pius XII. nachdrücklich gegen eine falsche Dichotomie von "Liebeskirche" und "Rechtskirche" im Kirchenverständnis gewandt und die Gegenüberstellung von "Liebeskirche" und "Rechtskirche" als "verhängnisvollen Irrtum" bezeichnet; vgl. AAS 35 (1943), S. 224. Deutsche Übersetzung u.a. in: Emil Marmy (Hrsg.), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau. Dokumente, Freiburg I Schweiz 1945, S. 893. 63 Sbd. List!

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verfaßte Gesellschaft. Wörtlich erklärt das Konzil zu dieser für das Selbstverständnis der katholischen Kirche entscheidenden Frage: "Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der Geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst" 18 . Von dieser Kirche, die in der Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet ist, erklärt das Konzil, daß sie in der katholischen Kirche verwirklicht ist, die vom Nachfolger Petri und den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird 19 . Ein Kirchenrechtsverständnis, das die Identität der Kirche als geistgewirkter Gemeinschaft und rechtlich verfaßter Gesellschaft bestreitet, ist mit dem ekklesiologischen Selbstverständnis der Kirche, wie es in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" und den übrigen Konzilsdokumenten Ausdruck gefunden hat, nicht vereinbar20 • B{ü den Arbeiten und Untersuchungen zeitgenössischer Theologen und Vertreter der Kirchenrechtswissenschaft, die diese Identität in Frage stellen möchten, handelt es sich weniger um eine den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils gerecht werdende Kanonistik, als vielmehr um eine Erscheinungsform einer sich gelegentlich esoterisch gebenden selektiven kanonistischen Mystagogik. Obwohl das Kirchenrecht seinem Wesen nach geistliches Recht im Dienst der Kirche und ihres Verkündigungsauftrags ist, folgt aus der Tatsache, daß die Kirche auch ein hierarchisch verfaßter gesellschaftlicher Verband ist, daß das Kirchenrecht phänomenologisch weithin eine ähnliche rechtliche Struktur aufweist wie das staatliche Recht. Die Kanones des Codex Iuris Canonici haben daher für den Katholiken, wie wiederum Hans Barion zutreffend ausführt, "genau die gleiche, nicht vereinsmäßige, sondern hoheitliche, nicht anerkennungsbe1s Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" (Anm. 3), Art. 8. 19 Ebd. Wenn die Kirche z. B. mit den Staaten Konkordate, d. h. völkerrechtliche Verträge schließt, tut sie dies nicht in ihrer Eigenschaft als Corpus Christi Mysticum oder als "pilgerndes Gottesvolk" oder als geistgewirkte Gemeinschaft, sondern als rechtlich verfaßter gesellschaftlicher Verband und als von den Staaten unabhängige rechtliche Institution, d. h. als Völkerrechtssubjekt. 2o Diesen Sachverhalt hat z. B. der Jurist Willi Geiger im Blick, wenn er in seinem Beitrag "Kirchen und staatliches Schulsystem", in: HdbStKirchR, Bd. 2, Berlin 1975, S. 483 f., ausführt: "Kirche ist im folgenden die verfaßte, durch ihre Organe handelnde Kirche (Amtskirche). Kirche als ,pilgerndes Gottesvolk' ist für unseren Zusammenhang keine Formel, die weiterhilft."

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dürftige, sondern vorgegebene Autorität wie die Sätze des staatlichen Rechts für die Staatsbürger" 21 . 3. Wesensmäßige Verschiedenheit von Kirche und Staat

Einen weiteren Grundzug der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat bildet die starke Betonung der gegenseitigen Wesensverschiedenheit der beiden Institutionen. Mit nicht mehr zu überbietender Deutlichkeit erklärt hierzu die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes", daß die Kirche in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgaben und ihrer Zuständigkeit mit dem in den Konzilstexten abwechselnd als "communitas politica", "potestas publica", "potestas civilis" oder "societas civilis" bezeichneten Staat 22 verwechselt werden dürfe und an kein politisches System gebunden sei 23 . Aus diesem Grunde weist das Konzil, hierbei handelt es sich um eine sehr bedeutsame Aussage, jede Zuständigkeit der Kirche für den rein politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich von sich und erklärt, daß die der Kirche von ihrem Herrn Jesus Christus übertragene eigene Sendung und das ihr gesetzte Ziel der religiösen Ordnung angehören24 . Das Konzil konnte sich mit diesen Aussagen auf zahlreiche Stellungnahmen der Päpste Leo XIII. und Pius XII. stützen. Leo XIII. hatte in seinen Enzykliken "Diuturnum illud" vom 29. 6. 1881 über den Ursprung der staatlichen Gewalt2 5 , "Immortale Dei" vom 1. 11. 1885 über die christliche Staats21 Hans Barion, Art. Kirchenrecht. I. Wesen und Rechtsquellen. A. Kath. Kirche, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1506; auch abgedruckt, in: ders., Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Werner Böckenförde, Paderborn/München/Wien/ Zürich 1984, S. 332. Dieses Kirchen- und Kirchenrechtsverständnis steht in einem unaufhebbaren Gegensatz zu einem Kirchenrechtsverständnis, wie es z. B. der evangelische Leipziger Jurist Rudolph Sohm (1841-1917) im Anschluß an die Ekklesiologie Martin Luthers auf der Grundlage von dessen Unterscheidung zwischen der unsichtbaren und der sichtbaren Kirche entwickelt hat. Vgl. hierzu bei Joseph Listl, Die Aussagen des Codex luris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, hrsg. von Reiner Marre und Johannes Stüting, Bd. 19, Münster 1985, S. 15. 22 Vgl. hierzu im einzelnen diese Stichwörter bei Xaverius Ochoa, Index verhorum cum documentis Concilii Vaticani Secundi, Roma 1967. 23 Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" (Anm. 4), Art. 76 Abs. 2. 24 Ebd., Art. 42 Abs. 2. 25 ASS 14 (188111882), S. 1 ff. = Marmy, Mensch und Gemeinschaft (Anm. 17), S. 553-570 = Arthur Utz und Brigitta Gräfin von Galen (Hrsg.), Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher

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ordnung26 und "Sapientiae christianae" vom 10. 1. 1890 über die wichtigsten bürgerlichen Pflichten des Christen27 stets auf den wesensmäßigen Unterschied der kirchlichen und der staatlichen Gewalt und damit der beiden Institutionen Kirche und Staat hingewiesen. Mit besonderer Deutlichkeit geschah dies in der Enzyklika "Immortale Dei", in der Leo XIII. wörtlich ausgeführt hat: "So hat also Gott die Sorge für das Menschengeschlecht zwei Gewalten zugeteilt: der kirchlichen und der staatlichen. Der einen obliegt die Sorge für die göttlichen Belange, der anderen für die menschlichen. Jede ist in ihrer Art die höchste: jede hat bestimmte Grenzen, innerhalb derer sie sich bewegt, Grenzen, die sich aus dem Wesen und dem nächsten Zweck jeder der beiden Gewalten ergeben. " 28 Aus dieser oftmals betonten Verschiedenheit der Kirche gegenüber dem Staat hinsichtlich ihres Ursprungs, ihrer Zwecke und ihres Wesens leitet Leo XIII. das Recht der Kirche her, gemäß den ihrem Wesen entsprechenden Gesetzen und Einrichtungen zu leben und zu handeln 29 . Auch Papst Pius XII. hat wiederholt erklärt, daß sich die Gründung der Kirche als Gesellschaft im Gegensatz zum Ursprung des Staates "nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten" vollzogen habe. Die Kirche entsprang einem eigenen Wollen Gottes neben und über der natürlichen sozialen Veranlagung des Menschen, wenn auch in vollkommener Harmonie mit ihr. Darum sei die kirchliche Gewalt aus dem Willensakt geboren worden, durch den Christus seine Kirche gegründet habe. Christus, der in seiner Kirche das Reich Gottes auf Erden, das von ihm verkündet und für alle Menschen aller Zeiten bestimmt worden sei, verwirklicht habe, habe die vom Vater zum Heil des Menschengeschlechtes empfangene Sendung als Lehrer, Priester und Hirte nicht der Gemeinschaft der Gläubigen anvertraut, sondern sie einem eigenen Kollegium von Aposteln und Gesandten übertragen und verliehen, die von ihm ausgewählt worden seien, damit sie durch ihre Predigt, ihren priesterlichen Dienst und die soziale Gewalt ihres AmDokumente vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Originaltexte mit Übersetzung), Bd. 3, Aachen 1976, S. 2092-2115. 26 ASS 18 (1885/1886), S. 161 ff. = Marmy, Mensch und Gemeinschaft (Anm. 17), S. 571-602 = Utzlv. Galen, Die katholische Sozialdoktrin (Anm. 25), Bd. 3, s. 2116-2153. 27 ASS 22 (1889/1890), S. 385 ff. = Marmy, Mensch und Gemeinschaft (Anm. 17), S. 603-631 = Utzlv. Galen, Die katholische Sozialdoktrin (Anm. 25), Bd. 3, s. 2252-2289. 28 Leo XIII., Enzyklika "Immortale Dei" (Anm. 26), bei Marmy, Mensch und Gemeinschaft (Anm. 17), S. 582. 29 Leo XIII., Enzyklika "Sapientiae christianae" (Anm. 27), bei Marmy, Mensch und Gemeinschaft (Anm. 17), S. 620.

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tes die Scharen der Gläubigen zum Eintritt in die Kirche bewegen sollten, um sie zu heiligen, zu erleuchten und zur vollen Reife in der Nachfolge Christi zu führen 30 . 4. Eigenständigkeit der kirchlichen gegenüber der staatlichen Gewalt

Aus der wesensmäßigen Verschiedenheit der kirchlichen und der staatlichen Gewalt folgt mit logischer Notwendigkeit die Eigenständigkeit der kirchlichen Leitungsgewalt und die gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und staatlich-politischer Macht. Der zentrale Satz über die Eigenständigkeit der kirchlichen Gewalt in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes" lautet: "Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. " 31 Dieser Satz der Pastoralkonstitution hat bereits Eingang in die neuesten Konkordate gefunden. So bestimmt z. B. in weithin wörtlicher Übernahme dieser Konzilsaussage Artikel1 des Revisionsvertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und der Italienischen Republik vom 18. Februar 1984 zum Laterankonkordat von 1929, daß die Italienische Republik und der Heilige Stuhl erneut bekräftigen, daß der Staat und die katholische Kirche, jeder auf seinem eigenen Gebiet, "unabhängig und souverän" sind und daß sie sich im Interesse der Förderung des Menschen und des Wohles des Staates in ihren Beziehungen zur Beachtung dieses Grundsatzes und zu gegenseitiger Zusammenarbeit verpflichten32. 30 Pius XII., Ansprache vom 2. 10. 1945 an die Sacra Romana Rota über den Unterschied zwischen der kirchlichen und der staatlichen Gerichtsbarkeit, aufgezeigt an deren je verschiedenem Ursprung und Wesen, in: AAS 37 (1945), S. 256-262; deutsche Übersetzung bei Arthur-Fridolin Utz und Joseph-Fulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII., Bd. 2, Freiburg/Schweiz 1954, S. 1343-1351; ferner ders., Ansprache an die Mitglieder der Sacra Romana Rota vom 6. 10. 1946 über den Unterschied zwischen weltlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit, aufgezeigt an deren je eigentümlichem Gegenstand, in: AAS 38 (1946), S. 391-397; deutsche Übersetzung bei Utz!Groner, Bd. 2, S. 1352-1361; ders., Ansprache an die Mitglieder der Sacra Romana Rota vom 29. 10. 1947 über das je verschiedene Ziel der staatlichen und der kirchlichen richterlichen Gewalt, in: AAS 39 (1947), S. 493-498; deutsche Übersetzung bei Utz I Groner, Bd. 2, S. 1362-1369. 31 Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" (Anm. 4), Art. 76 Abs. 3: "Communitas politica et Ecclesia in proprio campo ab invicem sunt independentes et autonomae." 32 Wortlaut des Revisionsvertrags vom 18. 2. 1984 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Italien zum Laterankonkordat vom 11. 2. 1929, in: AAS 77 (1985), s. 521 ff.

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Die Verpflichtung des Staates zur Anerkennung der kirchlichen Eigenrechtsmacht auf den Gebieten ihrer Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ist nach der Auffassung des Konzils in dem vorstaatlichen Grundrecht der individuellen und korporativen Religionsfreiheit begründet. Staat und Kirche dienen, jedoch unter verschiedener Rücksicht, "der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen " 33 . Die maßgeblichen und auch vom Staat zu achtenden Kriterien für eine sachgemäße Kompetenzabgrenzung zwischen der kirchlichen Rechtssphäre und dem Bereich der staatlichen Gewalt bilden für die kirchliche Rechtsordnung die "natürliche Ordnung der Dinge und die Zweckbestimmung einer Maßnahme". Dabei geht das Konzil davon aus, daß der Zweck und die Aufgaben des Staates in der Sorge für das zeitliche Gemeinwohl bestehen34 . Die Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung individueller und korporativer Religionsfreiheit leitet das Konzil aus der dem Staat obliegenden Aufgabe der Verwirklichung des Gemeinwohls her. Zum Inhalt des Gemeinwohls gehört, wie das Konzil unter Berufung auf die Enzyklika "Materet Magistra" Papst Johannes' XXIII. ausführt, besonders die "Wahrung der Rechte und Pflichten der menschlichen Person". Die Sorge für das Recht auf religiöse Freiheit obliegt den einzelnen Staatsbürgern, den sozialen Gruppen und der Staatsgewalt, aber auch den Kirchen und den anderen religiösen Gemeinschaften, und zwar je nach ihrem spezifischen Wesen und je nach der Verpflichtung, die sie jeweils dem Gemeinwohl gegenüber haben 35 . Das Konzil betrachtet auch die vom Staate anzuerkennende Eigenständigkeit der Kirchen und der übrigen Religionsgemeinschaften in ihren jeweiligen Angelegenheiten und die Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als Befugnisse, die sich aus der voll aktualisierten Religionsfreiheit ergeben. Sie sind damit auch wesentliche Bestandteile der Gemeinwohlverwirklichung des Staates 36 . Ihre letzte philosophische und theologische und ebenso auch rechtliche Begründung finden die individuelle und die korporative Religionsfreiheit, d. h. die Kirchenfreiheit, die ohne die Unabhängigkeit der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" (Anm. 4), Art. 76 Abs. 3. Vgl. hierzu im einzelnen die Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" (Anm. 5), Art. 2, 3, 4 und 7. Für das Grundrecht der Religionsfreiheit als Fundament der neuen Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Staat siehe ferner Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 208 ff., m. zahlr.w.N. 35 Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" (Anm. 5), Art. 6. 36 Ebd., Art. 7 Abs ..2. 33

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Kirche vom Staat nicht verwirklicht werden kann, in der Würde des Menschen und in seiner Freiheit und Verantwortlichkeit. Der Schutz aller dieser Rechtsgüter gehört zu den obersten Pflichten des freiheitlichen Staates. 5. Kontinuität der Konzilsaussagen zur früheren kirchlichen Lehre zum Verhältnis von Kirche und Staat

Nimmt man die Gesamtheit der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Verhältnis von Kirche und Staat in den Blick, so zeigt sich, daß das Konzil auf diesem Gebiet in voller und ungebrochener Kontinuität zu dem von den katholischen Kirchenrechtslehrern im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelten Ius Publicum Ecclesiasticum steht. Diese Doktrin läßt sich dahin gehend zusammenfassen, daß der von Jesus Christus gestifteteil Kirche gegenüber dem Staat der Charakter einer rechtlich "vollkommenen Gesellschaft" ("societas perfecta", oder besser und zutreffender "societas iuridice perfecta") mit vorstaatlicher und von der Rechtsordnung des Staates unabhängiger Befugnis zu eigener Gesetzgebung, Verwaltung (Exekutive) und Rechtsprechung zukommt37 • Zwar wird der formelle Begriff "societas perfecta" in bezug auf die Kirche in keinem Konzilsdokument ausdrücklich verwendet, am sachlichen Gehalt der societas-perfecta-Lehre hält das Konzil jedoch ohne alle Abstriche unverändert fest. 37 Vgl. hierzu im einzelnen bei Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 104ff., 107f., 142 f., 179 ff., 224 ff., jeweils m.w.N. Die ungebrochene Kontinuität der Konzilsaussagen zum Verhältnis von Kirche und Staat zur vorkonziliaren Lehre der Kirche wird verkannt bei Winfried Aymans, La Chiesa nel Codice di Diritto Canonico. Aspetti ecclesiologici del nuovo Codice della Chiesa Latina, in: Vitam impendere vero. Studi in onore di Pio Ciprotti, Roma 1986, S. 309-334, hier s. 312, 314, 324. Grundsätzlich zustimmend zu der in diesem Beitrag vertretenen Auffassung Paul Mikat, der zutreffend darauf hinweist, daß, auch wenn die Bezeichnung der Kirche als einer "societas perfecta" auf dem Konzil zugunsten theologischspiritueller Aussagen in den Hintergrund getreten s.ein möge, die mit diesem Begriff verbundene Konzeption der Sache nach im CIC/1983 letztlich doch ungebrochen wieder begegne. Vgl. Paul Mikat, Art. Kirche und Staat, III. Das Verhältnis von Kirche und Staat aus katholischer Sicht, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 3, Freiburg/Br. 1987, Sp. 474-482, hier Sp. 482. Anderer Ansicht offensichtlich Alexander Hollerbach, nach dessen Auffassung das Zweite Vatikanische Konzil im Hinblick auf das Konkordatsverständnis eine "Epochenschwelle" bedeutet. Die prinzipielle Neuorientierung der Lehre vom Verhältnis von Kirche und Staat, ihre "Abkoppelung" vom Begriff der "societas perfecta", speziell die Anerkennung der Religionsfreiheit und das Prinzip einer "sana cooperatio", bildeten seitdem die Basis der kirchlichen Konkordatspolitik. Vgl. Alexander Hollerbach, Art. Konkordat, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 3, Freiburg/Br. 1987, Sp. 620-625, hier Sp. 622.

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ß. Entstehungsgeschichte und sachlicher Gehalt der Lehre

von der Kirche als einer societas iuridice perfecta 1. Die Entstehung der kanonistischen Teildisziplin

des lus Publicum Ecclesiasticum

Die allmähliche Herausbildung der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum in der Zeit der Aufklärung und ihre volle Entfaltung während des 19. und 20. Jahrhunderts sowie das hohe Ansehen, das sich dieser Teilbereich des katholischen Kirchenrechts, insbesondere gerade bei den Päpsten und den führenden Repräsentanten der Kirche, im Laufe der Zeit erworben hat, findet seine Erklärung vor allem in der praktischen Bedeutung, die diesem Zweig der Kanonistik in steigendem Maße für die theoretische Bewältigung der Probleme und Fragestellungen zukam, die sich auf dem weiten Gebiet der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den Staaten ergaben. Dies gilt gleichermaßen für die Stellung der Kirche zu den absolutistischen katholischen und protestantischen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts wie zum Staat im Zeitalter des Liberalismus, der Kulturkampfära und zu den totalitären Staaten des Faschismus, Nationalsozialismus und des marxistisch-leninistischen Kommunismus und schließlich auch für das Verhältnis der Kirche zu den verschiedenen Erscheinungsformen des modernen demokratischen Staates. Dem Ius Publicum Ecclesiasticum fiel die Aufgabe zu, gegenüber diesen Staatsund Herrschaftssystemen die jeweils zeitgemäße kirchenrechtliche und zum Teil auch kirchenpolitische Position zu bestimmen. Das Ius Publicum Ecclesiasticum schuf, ungeachtet der von manchen Theologen und Vertretern der Kirchenrechtswissenschaft postulierten "Inkommensurabilität" des kirchlichen Rechts mit der Rechtsordnung des weltlichen Staates, die theoretische Grundlage für eine gemeinsame "Bezugsebene" des Staates mit der Kirche für diejenigen Bereiche des kanonischen Rechts, in denen sich Kirche und Staat, z. B. bei Akten gemeinsamer Rechtsetzung im Zuge des Abschlusses von Konkordaten, notwendig als gleichberechtigte Partner begegnen38 . 2. Der Wesensgehalt der societas-perfecta-Lehre

Der Begriff "societas iuridice perfecta" in seiner Anwendung auf die Kirche bildet den Schlüsselbegriff des Ius Publicum Ecclesiasticum. Seinem Inhalt und auch seinem Wesen nach ist dieser Begriff ein theoas Vgl. hierzu im einzelnen bei Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 42 ff. mit Anm. 112 und 113; ferner ebd., S. 274 unter dem Stichwort "Jus Publicum Ecclesiasticum".

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logischer und in diesem ausschließlich theologischen Sinne wird er seit jeher im Ius Publicum Ecclesiasticum gebraucht. Lediglich seiner historischen Herkunft nach entstammt dieser in seiner ekklesiologischrechtlichen Bedeutung vielfach mißverstandene Begriff der aristotelisch-thomistischen Sozialphilosophie und nur in dieser historischen und ethymologischen Hinsicht ist er philosophisch. Die societas-perfecta-Lehre besagt im wesentlichen, daß die von Jesus Christus gegründete Kirche nach dem Willen ihres Stifters alle Rechte und Befugnisse besitzt, deren sie zur Verwirklichung ihrer göttlichen Sendung und ihres Heilsauftrags bedarf. Wie Leo XIII. im Anschluß an Aristoteles, der den Begriff "societas perfecta" im Hinblick auf den Staat erstmals gebraucht hat 39 , und auch an Thomas von Aquin ausführt, kann von einer societas perfecta im Rechtssinne nur gesprochen werden, wenn in ihr alle Elemente vorhanden sind, die zum Wesen und zu den Rechten einer gesetzmäßigen, souveränen und allseitig vollkommenen Gesellschaft gehören40 • Danach liegt die societas-perfecta-Qualität einer "Gesellschaft" oder "Gemeinschaft" nicht in ihrer wirtschaftlichen Autarkie, sondern in ihrer nicht von einer anderen Gesellschaft abgeleiteten Eigenrechtsmacht bzw. Souveränität, aufgrund deren sie alle Rechte und Gewalten besitzt, die zur Erreichung ihres spezifischen Zweckes, der vollen Zufriedenstellung der menschlichen Natur und ihrer Entfaltungsmöglichkeiten erforderlich sind. Im neuerenkatholischen Kirchenrecht ist die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta das Kernstück des Ius Publicum Ecclesiasticum und die klassische kirchenrechtliche Kurzformel für die wesensmäßige Verschiedenheit der Kirche gegenüber dem Staat, für ihre Eigenrechtsmacht und damit für ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre Unabhängigkeit in ihrem Eigenbereich von der staatlichen Gewalt geworden und zugleich für ihre Befugnis zu kircheneigener und damit staatsunabhängiger Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung41 •

39 Aristoteles (PolitikA II; 1252 b 28) verwendet hierfür den Begriff koinonia teleios, der in lateinischer Übersetzung mit dem Ausdruck "societas perfecta" wiedergegeben wurde. 40 Leo XIII., Enzyklika "Libertas praestantissimum" über die menschliche Freiheit vom 20. 6. 1888, in: ASS 20 (1887/1888), S. 612; dt. Übersetzung bei Marmy, Mensch und Gemeinschaft (Anm. 17), S. 113 f. = Helmut Schnatz (Hrsg.), Päpstliche Verlautbarungen zu Staat und Gesellschaft. Originaldokumente mit deutscher Übersetzung, Darmstadt 1973, S. 182. 41 Über die Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Kirche als societas iuridice perfecta siehe bei Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 104 ff.

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3. Die Ausprägung der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta im Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983

a) Der Charakter des Codex Iuris Canonici als Weltgesetzbuch Im Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 hat die katholische Kirche des lateinischen Rechtskreises ein Gesetzbuch erhalten, in dem die Reformvorstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils kodifiziert wurden, die in der großen Fülle der durch die nachkonziliare Gesetzgebung der Päpste erlassenen Rechtsnormen zu einem erheblichen Teil bereits konkrete Gestalt angenommen hatten42 . Ebensowenig wie in dem fünf Bücher umfassenden Codex Iuris Canonici vom 27. 5. 1917 findet sich in dem in sieben Bücher gegliederten Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 ein zusammenhängender systematischer Abschnitt über das Verhältnis von katholischer Kirche und staatlicher Gewalt 43 • Jedoch enthält jedes der sieben Bücher dieses Gesetzbuchs im jeweiligen Kontext und an zentralen Stellen bedeutsame Aussagen über die von staatlicher und gesellschaftlicher Einflußnahme und Beschränkung unabhängige Freiheit des kirchlichen Wirkens und damit indirekt zum Verhältnis von Kirche und Staat. Dadurch, daß der Kodex die Aussagen über das Verhältnis von Kirche und Staat nicht in einem systematischen Abschnitt trifft, sondern im jeweiligen sachlichen Kontext, bringt er deren Bedeutung für das Wirken der Kirche noch nachhaltiger zum Ausdruck als dies in einem abstrakt-systematischen Normengefüge möglich gewesen wäre. Zugleich vermeidet der kirchliche Gesetzgeber damit auf diesem in vieler Hinsicht dem geschichtlichen Wandel der politischen Anschauungen unterliegenden Gebiet der Relationen von Kirche und Staat einseitige doktrinäre Festlegungen über die rechtliche Zuordnung der kirchlichen und der staatlichen Gewalt. Dem konkreten abgestimmten Zusammenhang zwischen der kirchlichen und der jeweiligen staatli42 Gleiches gilt für den Bereich der mit Rom unierten orientalischen Kirchen von dem von Papst Johannes Paul II. durch die Apostolische Konstitution "Sacri Canones" am 18. Oktober 1990 promulgierten Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO), der am 1. Oktober 1991 in Kraft tritt. Der Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium ist veröffentlicht in: AAS 82 (1990), S. 10331363. 43 Im Gegensatz dazu enthält das wegen der vorzeitigen Beendigung des I. Vatikanischen Konzils nicht mehr zur Behandlung und Abstimmung gelangte "Schema über die Kirche Christi" thematische Aussagen zum Verhältnis von Kirche und Staat. Darin wurde die katholische Kirche ausdrücklich als "societas vera, perfecta, spiritualis et supernaturalis" bezeichnet. Vgl. zum Ganzen Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 161 ff. Gleiches gilt von dem Vorentwurf für die Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen gentium" des Zweiten Vatikanischen Konzils. Vgl. hierzu in diesem Beitrag, oben, Anm. 15.

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chen Rechtsordnung kommt für das Leben und das Wirken der Kirche in jedem Staat eine nicht hoch genug zu veranschlagende Bedeutung zu44. Der Codex Iuris Canonici ist das auf der ganzen Welt für die katholische Kirche des lateinischen Rechtskreises geltende Gesetzbuch. Er enthält im Sinne eines unverzichtbaren Minimalbestandes dem Staat gegenüber die Forderungen der katholischen Kirche sowohl im Hinblick auf die individuelle Religionsfreiheit der Gläubigen als auch auf die freie Betätigung der katholischen Kirche als solcher, d. h. als rechtlich verfaßter Institution. Wie Hans Barion 45 und Faul Mikat46 übereinstimmend und zutreffend ausführen, enthält der Codex Iuris Canonici den festgefügten und in sich geschlossenen, auf göttliche Anordnung zurückgehenden Strukturplan der Kirche. b) Das ius divinum im Codex Iuris Canonici

Insbesondere auch im Hinblick auf die Freiheit des kirchlichen Wirkens in Staat und Gesellschaft enthält der Codex Iuris Canonici an zahlreichen Stellen in variierenden rechtsterminologischen Formulierungen Aussagen darüber, daß einzelne Rechtsnormen auf göttlicher Anordnung beruhen und deshalb in ihrem Wesensgehalt vom kirchlichen Gesetzgeber nicht geändert werden können. Diese auf göttlichem Recht beruhenden Normen des kanonischen Rechts sind für den kirchlichen Gesetzgeber im Unterschied zum rein kirchlichen Recht, dem ius mere ecclesiasticum, nicht reversibel. Jedoch muß hierbei unterschieden werden zwischen dem jeweiligen dogmatischen Aussagegehalt eines Glaubenssatzes, insoweit er Bestandteil der göttlichen Offenbarung ist, d. h. dem Offenbarungsrecht als der göttlichen Grundverfügung, die der kirchlichen Rechtssetzung vorgegeben ist, und der konkreten geschichtlich bedingten rechtssatzmäßigen Ausformung durch den kirchlichen Gesetzgeber47 • Dies bedeutet, daß Rechtssätze göttlichen Rechts nicht mit dem göttlichen Recht an sich identisch 44 Vgl. hierzu im einzelnen die Darlegungen bei Joseph Listl, Grundmodelle einer möglichen Zuordnung von Kirche und Staat, in: HdbKathKR, S. 1037 ff. 45 Hans Barion, Art. Kirche und Staat (nach kath. Auffassung), in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1336-1339. 46 Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, in: HdbStKirchR, Bd. 1, Berlin 1974, S. 164 mit Anm. 77. 47 Vgl. hierzu Karl Rahner, Art. Recht, Göttliches Recht und menschliches Recht, in: LThK, 2. Aufl., Bd. 8, Freiburg/Br. 1963, Sp. 1033; ferner ders., Über den Begriff des "ius divinum" im katholischen Verständnis, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. 5, Einsiedeln I Zürich/Köln 1962, S. 249-277.

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sind, sondern immer zugleich göttlich-menschliches Recht, d. h. Versuche darstellen, das geoffenbarte ius divinum in einer konkreten kirchengeschichtlichen Epoche in Rechtsnormen zu kleiden. Darä'us folgt, daß jeder Rechtssatz göttlichen Rechts immer auch historisch bedingte menschliche Elemente enthält. Unbeschadet dieser zeitbedingten Einkleidung ist der Rechtssatz aber seinem Wesensgehalt nach ius divinum und insoweit der Verfügbarkeit des kirchlichen Gesetzgebers entzogen.

c) Die einzelnen zentralen Bestimmungen des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis von Kirche und Staat (1) Vorrang der Konkordate vor entgegenstehenden Bestimmungen des Codex Iuris Canonici Im Hinblick auf die Geltung des Codex Iuris Canonici statuiert c. 3 CIC/1983 ebenso wie bereits der wörtlich identische c. 3 CIC/1917 den absoluten Vorrang der Konkordate, d. h. der zweiseitigen völkerrechtlichen Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den Staaten, die eine umfassende oder auch nur eine partielle Regelung der die beiden Partner gemeinsam berührenden Angelegenheiten zum Ziel haben48 , vor dem allgemeinen Kirchenrecht, wie es im Codex Iuris Canonici enthalten ist. In dieser Bestimmung kommt zum Ausdruck, daß die katholische Kirche im Einklang mit den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils den wünschenswerten und besten Weg zur Regelung gemeinsam berührender und zur dauernden Lösung schwebender und umstrittener Fragen zwischen Kirche und Staat in der friedlichen Verständigung erblickt, wie sie auch sonst zwischen souveränen Mächten angestrebt wird und in den Konkordaten seit jeher Ausdruck gefunden hat. Hierfür ist der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Italien vom 18. Februar 1984 zur Revision des Laterankonkordats vom 11. Februar 1929 erneut ein signifikantes Beispiel49 •

48 Über die Rechtsnatur der Konkordate vgl. Joseph Listl, Einleitungsbeitrag "Konkordate und Kirchenverträge", in: ders., Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, Berlin 1987, S. 5 ff. 49 Wortlaut des "Accordo tra la Santa Sede e la Repubblica Italiana ehe apporta modificazioni al Concordato Lateranense" vom 18. 2. 1984, in: AAS 77 (1985), s. 521 ff.

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(2) Die katholische Kirche als Stiftung Jesu Christi Mit nicht mehr überbietbarer Deutlichkeit bringt der kirchliche Gesetzgeber die Eigenständigkeit der Kirche und ihrer Rechtsordnung gegenüber jeder staatlichen und gesellschaftlichen Gewalt zum Ausdruck, wenn er in c. 113 § 1 CIC/1983 ebenso wie bereits früher in dem wörtlich identischen c. 100 § 1 CIC/1917 erklärt, daß die katholische Kirche und der Apostolische Stuhl kraft göttlicher Anordnung - ex ipsa ordinatione divina - den Charakter einer juristischen Person - moralis personae rationem- besitzen 50 . In dieser Aussage bringt die katholische Kirche nicht nur das kirchenrechtliche und zugleich fundamentaltheologische Verständnis zum Ausdruck, daß Christus die Kirche frei und unabhängig von jeder weltlichen Autorität errichtet hat; die Kirche erklärt hier auch, daß Christus der Kirche alle Rechte verliehen hat, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt. Welche Rechte dies im einzelnen sind, kann die Kirche aufgrundihrer Souveränität jeweils nur selbst verbindlich festlegen 5 1 . (3) Die oberste Leitungs- und Vertretungsgewalt des Papstes und des Bischofskollegiums Nach c. 331 CIC verfügt der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom Herrn allein dem Petrus übertragene und seinen Nachfolgern zu vermittelnde Amt fortdauert, als Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erdenkraft seines Amtes über die höchste, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann. Gemäß c. 336 CIC ist das Bischofskollegium, dessen Haupt der Papst ist, zusammen mit dem Papst und niemals ohne ihn, ebenfalls Träger höchster und voller Gewalt im Hinblick auf die Gesamtkirche. Nur der Papst und das Bischofskollegium sind somit legitimiert, die katholische Kirche nach außen zu vertreten, und z. B. namens der katholischen Kirche Konkordate abzuschließen oder auf andere Weise in ihrem Namen rechtsverbindlich zu handeln 5 2 • 50 Zum Verständnis dieser Bestimmung in der kanonistischen Wissenschaft vgl. im einzelnen Robert L. Stern, The Catholic Church as a moral person by divine ordinance (= Pontificia Universitas Lateranensis, Institutum Utriusque Iuris, Theses ad lauream in Iure Canonico), Roma 1965. Zur Bedeutung der Begriffe "persona moralis" und "persona iuridica" im Codex luris Canonici von 1983 siehe Helmut Schnizer, Allgemeine Fragen des kirchlichen Vereinsrechts, in: HdbKathKR, S. 454 f. 51 Hierzu Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 46), S. 165; ferner Heribert Franz Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls. Dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen, Berlin 1975, S. 421 f.

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(4) Die Ausprägungsformen der kirchlichen Leitungsgewalt Die katholische Kirche nimmt für sich, unabhängig von jeder staatlichen Gewalt, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf göttliche Anordnung - ex divina institutione - das Recht in Anspruch, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu regeln. Can. 129 § 1 CIC erklärt hierzu, daß es in der Kirche aufgrund göttlicher Einsetzung eine Leitungsgewalt- potestas regiminis- gibt, die auch Jurisdiktionsgewalt- potestas iurisdictionis- genannt wird. Diese Leitungsgewalt gliedert sich gemäß c. 135 § 1 CIC in die gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt. Im Unterschied zu der Gewaltenteilung der modernen repräsentativen Demokratie kennt das kanonische Recht, nach dem die gesamte oberste Leitungsgewalt beim Papst oder beim Bischofskollegium liegt, keine Gewaltenteilung, wohl aber eine für die Praxis bedeutsame und effektive Gewaltenunterscheidung53 . (5) Die Ämterhoheit der Kirche Im Hinblick auf das ihr im Laufe der Geschichte von seiten des Staates oft bestrittene Recht auf die Ausbildung der künftigen Priester erklärt c. 232 CIC, daß die Kirche die Pflicht und auch das eigene und ausschließliche Recht - ius proprium et exclusivum -habe, die Anwärter auszubilden, die für die geistlichen Ämter bestimmt sind. Die volle und uneingeschränkte Ämterhoheit bildet einen unmittelbaren Ausfluß der kirchlichen Leitungsgewalt. Sofern nicht im Recht ausdrücklich etwas anderes festgelegt ist, ist es nach c. 157 CIC Sache des Diözesanbischofs, in der eigenen Teilkirche die Kirchenämter durch freie Amtsübertragung zu besetzen. (6) Die Besetzung der Bischofsstühle Seit dem frühen Mittelalter kam der Frage der Besetzung der Bischofsstühle in den Beziehungen und Auseinandersetzungen zwischen den Staaten und der Kirche stets eine besondere Bedeutung zu 54 • Während der vergangenen 70 Jahre, und insbesondere seit dem Zweiten 52 Vgl. hierzu im einzelnen Rene Metz, Der Papst, in: HdbKathKR, S. 252 ff.; Hubert Müller, Die Träger der obersten Leitungsvollmacht, ebd., S. 248 ff.; Konrad Hartelt, Das Ökumenische Konzil, ebd., S. 266 ff. 53 Über die drei Funktionen der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als Bestandteile der Leitungsgewalt der Kirche vgl. Joseph Listl, Die Rechtsnormen, in: HdbKathKR, S. 83 ff. 54 Siehe hierzu Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König(= Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd. 28), Stuttgart 1981.

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Vatikanischen Konzil, hat die katholische Kirche auf Weltebene in kontinuierlicher Bemühung weithin den Abbau staatlicher Mitwirkungsrechte bei der Ernennung der Bischöfe erreicht55 . Die Kirche ist entschlossen, überall in der Welt noch bestehende staatliche Mitwirkungsrechte bei der Ernennung von Bischöfen zu beseitigen. In dieser Hinsicht bestimmt c. 377 § 1 CIC: "Der Papst ernennt die Bischöfe frei oder bestätigt die rechtmäßig Gewählten". Bei den "rechtmäßig Gewählten" ist in erster Linie an die Wahl der Patriarchen (vgl. cc. 63-67 CCEO) und der Bischöfe (cc. 180-189 CCEO) in den unierten orientalischen Kirchen zu denken. Besondere Bedeutung kommt im Hinblick auf das Bischofswahlrecht der Bestimmung des c. 377 § 5 CIC zu, in der der kirchliche Gesetzgeber entsprechend den Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in Art. 20 des Dekretes über die Hirtenaufgabe der Bischöfe "Christus Dominus" mit Entschiedenheit erklärt, daß in Zukunft weltlichen Autoritäten keine Rechte oder Privilegien in bezugauf die Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation von Bischöfen mehr eingeräumt werden. Das Zweite Vatikanum richtet in diesem Dekret an die staatlichen Obrigkeiten die freundliche Bitte, auf die genannten Rechte oder Privilegien, die sie gegenwärtig durch Vertrag oder Gewohnheit genießen, nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl freiwillig zu verzichten. Das in der Bundesrepublik Deutschland - mit Ausnahme Bayerns bestehende System des Bischofswahlrechts der Domkapitel, die aus einem ihnen vom Papst unterbreiteten Dreiervorschlag einen Kandidaten auszuwählen haben, steht, obgleich es der Kirche im Preußischen Konkordat vom 14. Juni 1929 vom staatlichen Konkordatspartner in verfassungswidriger Weise aufgezwungen wurde, wohl nicht in direktem Widerspruch zu c. 377 § 5 CIC, da dieser nur weltliche Autoritäten für die Zukunft von der Zuerkennung dieses Rechts ausschließt56 . 55 Über die Reste der in der Gegenwart noch bestehenden staatlichen Präsentations- und Nominationsrechte für die Besetzung von Bischofsstühlen vgl. bei Jean-Louis Harouel, Les designations episcopales dans le droit contemporain. Preface de Jean Gaudemet, Paris 1977, S. 30 ff.; ferner Joel-Benoit d'Onorio, La nomination des eveques. Procedures canoniques et conventions diplomatiques, Paris 1986. 56 Jedoch sind, wie Ernst-Lüder Solte zutreffend feststellt, die Konkordatsnormen, mit denen der Kirche die Kapitelwahl vorgeschrieben wird, "historisch überholt". Wortlieh stellt Solte fest: "Sie stellen Zugeständnisse der Kirche an den Staat dar, mit denen dieser eigentlich nichts Rechtes mehr anfangen kann und wohl auch nicht will, und die das Recht der Kirche für die Zukunft verbietet. Wegen der Verletzung des freien Ämterbesetzungsrechts der Kirchen stehen sie im Widerspruch zur Verfassung. Da diese Normen offenbar auch einer kirchlichen Reform des Verfahrens bei der Bischofsbestellung entgegenstehen, besteht wirklicher Handlungsbedarf: Sie sollten bei einer Änderung der Konkordate wenn nicht abgeschafft, so doch so revidiert werden, damit sie kirchliche

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(7) Das päpstliche Legationswesen Eine für die Aufrechterhaltung und die Pflege der Beziehungen der katholischen Kirche zu den Staaten besonders wichtige Ausprägung des kirchlichen Ämterwesens sind die päpstlichen Legaten. Hierzu erklärt c. 362 CIC, daß dem Papst das angeborene und unabhängige Recht - ius nativum et independens - zusteht, seine Gesandten zu ernennen und zu den Teilkirchen in den verschiedenen Nationen und Regionen wie auch zugleich zu den staatlichen und öffentlichen Autoritäten zu entsenden, desgleichen sie zu versetzen oder abzuberufen, allerdings unter Wahrung der Normen des internationalen Rechts, soweit die Entsendung oder Abberufung von Gesandten bei den Staaten in Frage steht. Der Kodex trägt der modernen Entwicklung im Hinblick auf die Bildung neuer internationaler Organisationen Rechnung, wenn er in c. 363 § 2 bestimmt, daß den Apostolischen Stuhl auch jene vertreten, die in päpstlicher Mission als Delegaten oder Beobachter zu internationalen Räten oder zu Konferenzen und Versammlungen abgeordnet werden 57 • (8) Der Auftrag der Kirche zur Glaubensverkündigung In c. 747 § 1 CIC bezeichnet es die Kirche in einer sehr grundsätzlichen Aussage, in der auch das Verhältnis der Kirche zu den Staaten Reformen nicht behindern." Vgl. Ernst-Lüder Solte, Staatskirchenrecht und Kirchenkonflikte. Dargestellt am Beispiel von Bischofsernennungen und Lehrstuhlbesetzungen, in: Eine Kirche- ein Recht? Kirchenrechtliche Konflikte zwischen Rom und den deutschen Ortskirchen. Hrsg. von Richard Puza und Abraham P. Kustermann (= Hohenheimer Protokolle, Bd. 34), Stuttgart: Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1990, S. 170. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Joseph Listl, Die Besetzung der Bischofsstühle. Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland, in: Sendung und Dienst im bischöflichen Amt. Festschrift für Josef Stimpfle zum 75. Geburtstag, St. Ottilien 1991, S. 29 ff. Außerhalb der Bundesrepublik Deutschland besitzen ein konkordatär festgelegtes freies Bischofswahlrecht die Domkapitel in den Diözesen Basel und St. Gallen. Diese beiden Domkapitel sind bei der Wahl ihres Kandidaten nicht an einen vom Papst vorgelegten Vorschlag gebunden. Die Domkapitel der Diözesen Chur und Salzburg sind berechtigt, den Diözesanbischof aus einem ihnen vom Papst unterbreiteten Dreiervorschlag zu wählen. Siehe hierzu Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in HdbKathKR, S. 339. 57 In dem Motuproprio über die Aufgaben der Legaten des römischen Papstes "Sollicitudo omnium Ecclesiarum" vom 24. Juni 1969 erklärt Papst Paul VI. ausdrücklich, daß Kirche und Staat, jeweils in der ihnen eigenen Ordnung, vollkommene Gesellschaften- esse societates perfectas- sind. Vgl. hierzu AAS 61 (1969), S. 476. Zum päpstlichen Legationswesen siehe Paul Mikat, Die päpstlichen Gesandten, in: HdbKathKR, S. 295 ff.; ferner Ulrich Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr, in: HdbStKirchR, Bd. 2, Berlin 1975, S. 299ff.

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angesprochen wird, als ihre Pflicht und als ihr angeborenes und ihr unabhängig von jeder menschlichen Gewalt zustehendes Recht- ius nativum ... a qualibet humana potestate independens -, auch unter Einsatz eigener sozialer Kommunikationsmittel allen Völkern das Evangelium zu verkünden. In wörtlicher Übereinstimmung mit der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit nimmt die katholische Kirche in c. 747 § 2 CIC auch einen theologisch begründeten, inhaltlich jedoch eng begrenzten Öffentlichkeitsauftrag für sich in Anspruch: Der Kirche steht das Recht zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen und auch über J?enschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern58. (9) Bildungswesen und Religionsunterricht In c. 800 CIC nimmt die Kirche für sich das Recht in Anspruch, Schulen jedweden Wissenszweiges, jeder Art und Stufe zu gründen und zu leiten. Unter Ablehnung jedes staatlichen Schulmonopols verpflichtet die Kirche die katholischen Eltern zur katholischen Erziehung ihrer Kinder. In c. 793 § 1 CIC erklärt die Kirche, daß die katholischen Eltern die Pflicht und das Recht haben, die Mittel und Einrichtungen zu wählen, mit denen sie je nach den örtlichen Verhältnissen besser für die katholische Erziehung ihrer Kinder sorgen können. Indirekt postuliert der Kodex eine Verpflichtung des Staates zur Subvention der Freien Schulen, wenn er in c. 793 § 2 erklärt, daß die Eltern auch das Recht haben, jene vom Staat zu leistenden Hilfen in Anspruch zu nehmen, die sie für die katholische Erziehung ihrer Kinder benötigen59 • Der Religionsunterricht und die katholische religiöse Erziehung, die in Schulen jeglicher Art vermittelt oder in verschiedenen sozialen Kommunikationsmitteln geleistet werden, unterstehen gemäß c. 804 CIC der kirchlichen Autorität. Wer immer im Namen der katholischen Kirche eine Lehrtätigkeit in katholischer Religion ausübt, bedarf nach c. 805 CIC eines besonderen kirchlichen Sendungsauftrags (Missio canonica). Der Ortsordinarius hat für seine Diözese das Recht, die Religionslehrer zu ernennen bzw. zu approbieren und sie, wenn es aus reli58 Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" (Anm. 4), Art. 40-45 und 76; Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" (Anm. 5), Art. 4. 59 Vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen bei Rees, Religionsunterricht (Anm. 6), S. 181 ff.

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giösen oder sittlichen Gründen erforderlich ist, abzuberufen bzw. ihre Abberufung zu verlangen60 . Desgleichen bedürfen Lehrer der Theologie, die an einer kirchlichen Hochschule oder einer staatlichen Katholisch-Theologischen Fakultät eine theologische Disziplin vertreten, hierzu gemäß c. 812 CIC eines Auftrags-mandatum- der zuständigen kirchlichen Autorität. (10) Eherecht Im Bereich des Eherechts verlangt die katholische Kirche für die Gültigkeit des Eheabschlusses, wenn bei der Eheschließung ein Katholik beteiligt ist, die Beobachtung der für den Eheabschluß vorgeschriebenen kanonischen. Eheschließungsform. Dies bedeutet, daß der Abschluß der Ehe vor dem zuständigen trauungsberechtigten Kleriker als dem Vertreter der Kirche und zwei Zeugen erfolgen muß. Die Kirche anerkennt auf dem Gebiete des Eherechts durchaus die Zuständigkeit des Staates zur Gesetzgebung hinsichtlich der sogenannten rein bürgerlichen Wirkungen der Ehe auf den Gebieten des Namensrechts, des ehelichen Güterrechts, des Unterhaltsrechts, des Kindschafts- und Vormundschaftsrechts und schließlich auch des Erbrechts. Die Kirche verlangt von ihren Gläubigen in c. 1059 CIC bei der Eheschließung die Beobachtung der vorgeschriebenen kanonischen Eheschließungsform ausdrücklich "unbeschadet der Zuständigkeit der weltlichen Gewalt hinsichtlich der rein bürgerlichen Wirkungen dieser Ehe". Bei richtiger Interpretation dieser Bestimmung ist deshalb eine ausschließlich kirchliche Eheschließung, bei der der Eintritt der bürgerlichen Wirkungen der Ehe verhindert werden soll, also der Abschluß einer sog. "hinkenden" kanonischen Ehe, sofern nicht entgegenstehende staatliche Eheverbote oder -hindernisse gegen göttliches Recht verstoßen oder in schwerwiegender Weise Grundrechte der menschlichen Person verletzen, sowohl nach dem Buchstaben als auch nach dem Geist des kanonischen Rechts rechtswidrig und daher verboten. Zur obligatorischen Ziviltrauung, die besser als "obligatorische zivile Voraustrauung" bezeichnet werden sollte, wie sie in den von dem antikirchlichen und intoleranten Geist der Französischen Revolution beeinflußten Staaten im Gegensatz zu der freiheitlichen Praxis der fakultativen Ziviltrauung im angelsächsischen und nordamerikanischen Rechtsraum vorgeschrieben ist, bezieht der Kodex keine Stellung. Das Eherecht der katholischen Kirche betrachtet die obligatorische zivile so Vgl. hierzu bei Rees, ebd., S. 190 f., 241 ff., 295 ff.

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Voraustrauung als eine Erklärung, die lediglich für die rein bürgerlichen Wirkungen der Eheschließung von Bedeutung ist, jedoch für einen Katholiken den Abschluß einer kirchenrechtlich gültigen Ehe nicht begründen kann 61 . (11) Kirchengut und kirchliches Vermögensrecht Die Kirche kann ihre Mission in dieser Welt in Freiheit nur ausüben, wenn ihr das Recht zusteht, Vermögen zu erwerben und über dieses frei zu verfügen. Diese Erfahrung haben der Kirche im Laufe der Geschichte staatliche Amortisationsgesetze, Säkularisationen, Konfiskationen, Verfügungsbeschränkungen über das Vermögen, schikanöse Sammlungsverbote und andere staatliche Eingriffe in das Kirchengut und in die kirchliche Vermögensverwaltung immer wieder von neuem vermittelt. Ebenso wie der Kodex von 1917 enthält auch der Codex Iuris Canonici von 1983 bei den Bestimmungen über das Kirchenvermögen, und zwar nunmehr in einem eigenen, dem Kirchenvermögen gewidmeten Buch V "De bonis Ecclesiae temporalibus", Aussagen, die das Verhältnis der Kirche zum Staat betreffen62 • In dem einleitenden c. 1254 zu Buch V des Codex Iuris Canonici beansprucht die Kirche, kraft ihres angeborenen Rechts - iure nativo - unabhängig von der staatlichen Gewalt - independenter a civili potestate - die Befugnis zur Verwirklichung ihrer eigenen Zwecke Vermögen zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern. Unter diesen eigenen Zwekken nennt das Kirchliche Gesetzbuch in c. 1254 § 2 vor allem die geordnete Durchführung des Gottesdienstes, die Sicherung des angemessenen Unterhalts des Klerus und der anderen Kirchenbediensteten und die Ausübung der Werke des Apostolats und der Caritas, vor allem gegenüber den Armen. In c. 1259 wendet sich der Kodex gegen jede Form einer Diskriminierung kirchlicher Einrichtungen auf dem Gebiete des Kirchenvermögens. Als potentielle kirchliche Träger bzw. Eigentümer von Kirchenvermögen nennt c. 1255 CIC die Gesamtkirche und den Apostolischen Stuhl, die Teilkirchen, d. h. die Diözesen und die diözesanähnlichen 61 Zu sämtlichen Problemen, die sich aus der Koexistenz der kirchlichen mit der staatlichen Eherechtsordnung ergeben, siehe nunmehr die führende und maßgebliche Darstellung von Friedrich Wilhelm Bosch, Staatliches und kirchliches Eherecht - in Harmonie oder im Konflikt? Insbesondere zur Entwicklung und zur gegenwärtigen Situation im Eheschließungsrecht (= Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht, Bd. 122), Bielefeld 1988. 62 Zum geltenden Kirchenvermögensrecht nach den Bestimmungen des Codex luris Canonici von 1983 vgl. die Beiträge von Winfried Schulz, Richard Patz, Alexander Hollerbach und Richard Puza, in: HdbKathKR, S. 859-919.

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Verwaltungsbezirke, und jedwede andere juristische Person, sei sie öffentlich oder privat; sie alle besitzen die Fähigkeit, nach Maßgabe des kirchlichen Rechts Vermögen zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern. Die Kirche nimmt für sich nicht nur das Recht in Anspruch, für ihre eigenen Zwecke Kollekten zu veranstalten; nach c. 1260 CIC besitzt sie auch das angeborene Recht- ius nativum -,von den Gläubigen diejenigen Zuwendungen zu fordern, die für ihre eigenen Zwecke notwendig sind63 . (12) Die Strafgewalt der Kirche

Die Kirche beansprucht auf dem Gebiete des kirchlichen Strafrechts in c. 1311 CIC das angeborene und eigene Recht- nativum et proprium ius -,straffällig gewordene Gläubige durch Strafmittel zurechtzuweisen64. An Strafen kennt die Kirche in erster Linie Besserungs- oder Beugestrafen, nämlich die Exkommunikation, die den Ausschluß vom Empfang der Sakramente - mit Ausnahme des Bußsakramentes - und den Verlust verschiedener innerkirchlicher Rechte zur Folge hat, ferner die Suspension, d. h. die vorläufige Dienst- bzw. Amtsenthebung, und das Interdikt, d. h. die persönliche Gottesdienstsperre. Die Kirche kennt ferner zwei Arten von Sühnestrafen, nämlich in c. 1312 § 1 in Verbindung mit c. 1336 CIC Sühnestrafen, die sich ganz überwiegend gegen Kleriker richten und mit Verfehlungen in deren Amtsführung im Zusammenhange stehen, und in c. 1312 § 2 CIC weitere Sühnestrafen, die einem Gläubigen ein geistliches oder weltliches Gut entziehen und mit dem übernatürlichen Ziel der Kirche vereinbar sein müssen. Das kirchliche Strafrecht kennt schließlich Strafsicherungsmittel und Bußen. Die Strafsicherungsmittel sollen vor allem Straftaten vorbeugen, die Bußen dagegen eher eine Strafe ersetzen oder verschärfen. In der Vorrede (Praefatio) zum Codex Iuris Canonici von 1983 wird zum kirchlichen Strafrecht ausgeführt, daß die Kirche als äußere, sichtbare und unabhängige Gesellschaft auf ein Strafrecht nicht verzichten könne 65 . In dem von der Reform des kirchlichen Strafrechts 63 Zur Möglichkeit eines rein innerkirchlichen Besteuerungsrechts, wie es im Kirchlichen Gesetzbuch vorgesehen ist, vgl. Listl, Die Aussagen des Codex luris Canonici (Anm. 21), S. 26 f. 64 Zu den Grundfragen der Ausübung der kirchlichen Strafgewalt und zu den einzelnen Straftaten im Codex luris Canonici von 1983 vgl. die beiden vorzüglichen Abhandlungen. von Alphonse Borras, Les sanctions dans l'Eglise. Commentaire des Canons 1311-1399, Paris 1990; ders., L'excommunication dans le nouveau code de droit canonique. Essai de definition, Paris 1987; ferner die Beiträge von Richard A. Strigl, in: HdbKathKR, S. 923-950. 65 Vgl. AAS 75 (1983), Pars II, S. XXIII.

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handelnden Leitsatz 9 der von der Bischofssynode 1967 approbierten und von Papst Paul VI. der Kommission für die Reform des Codex Iuris Canonici verbindlich vorgelegten Grundsätze für die Reform des Codex Iuris Canonici - Principia quae Codicis Iuris Canonici recognitionem dirigant - wird erklärt, daß sich offensichtlich kein Vertreter der kanonistischen Wissenschaft für die Abschaffung aller Kirchenstrafen ausspreche und daß das Recht auf Ausübung von Zwang, das jeder vollkommenen Gesellschaft eigen sei - ius coactivum, cuiuslibet societatis perfectae proprium -, der Kirche nicht abgesprochen werden könne 66 . (13) Kirchliche Gerichtsbarkeit Aufgrund der ihr von ihrem Stifter übertragenen umfassenden Leitungsgewalt beansprucht die Kirche auch die Befugnis zu kircheneigener Gerichtsbarkeit. Hierzu bestimmt c. 1401 Nr. 1 CIC, daß die Kirche kraft eigenen und ausschließlichen Rechts - iure proprio et exclusivo in Streitsachen entscheide, die geistliche und damit verbundene Angelegenheiten zum Gegenstand haben; ferner entscheiden kirchliche Gerichte gemäß c. 1401 Nr. 2 über die Verletzung kirchlicher Gesetze sowie über alle Handlungen, denen der Charakter einer Sünde innewohnt, soweit es dabei um die Feststellung von Schuld und um die Verhängung von kirchlichen Strafen geht. Die Kirche beansprucht die ausschließliche Zuständigkeit auf dem Gebiete der kirchlichen Ehegerichtsbarkeit, der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der kirchlichen Strafgerichtsbarkeit und der kirchlichen Disziplinargerichtsbarkeit. In oberster Instanz sind für kirchliche Streitigkeiten dieser Art die beiden päpstlichen Gerichtshöfe (cc. 1405, 1443f., 1445 CIC), die Römische Rota (Rota Romana) und das höchste Gericht der Apostolischen Signatur (Supremum Signaturae Apostolicae Tribunal) zuständigs7. 66 Wortlaut dieses Leitsatzes in: Communicationes, 1. Jhg. (1969), S. 84f.; abgedruckt auch bei Xaverius Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem Iuris Canonici editae, vol. III (1959-1968), Roma 1972, Sp. 5257. Über die von Papst Paul VI. der Codex-Reformkommission vorgegebenen verpflichtenden Leitsätze vgl. im einzelnen Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbKathKR, S. 40 ff. 67 Zur kirchlichen Gerichtsbarkeit und zum kirchlichen Rechtsschutz vgl. im einzelnen die Beiträge von Georg May, Grundfragen kirchlicher Gerichtsbarkeit, Paul Wirth, Gerichtsverfassung und Gerichtsordnung, Paul Wirth, Das Streitverfahren, Heinrich Flatten, Die Eheverfahren, Gerhard Fahrnberger, Die Weiheverfahren, Hans Paarhammer, Das Strafverfahren, und Richard A. Strigl, VeiWaltungsbeschwerde und VeiWaltungsgerichtsbarkeit, sämtlich in: HdbKathKR, S. 953-1018.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis 4. Zusammenfassung

Nimmt man die sämtlichen wesentlichen Aussagen des Codex Iuris Canonici zum Staat, zur Gesellschaft und zur Völkergemeinschaft in den Blick, so ergibt sich, daß das Kirchliche Gesetzbuch, ebenso wie die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, ohne den formellen Begriff societas iuridice perfecta in Anwendung auf die Kirche ausdrücklich zu gebrauchen, alle Elemente der societas-perfecta-Lehre enthält. Danach besitzt die Kirche in ihrer Eigenschaft als von Jesus Christus gestiftete, rechtlich verfaßte und gesellschaftliche Organisation aus sich, d. h. kraft eigener Rechtsmacht, alle Rechte und Befugnisse, deren sie zur Verwirklichung ihrer göttlichen Sendung und ihres Heilsauftrags in dieser Welt bedarf.

m. Mißverständnisse im Hinblick auf die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta

Wie der Verlauf der Kirchengeschichte zeigt, waren die konkreten Beziehungen zwischen der Kirche und den einzelnen Staaten niemals frei von Spannungen und Konflikten. Gleiches gilt von den theologischen, kanonistischenund staatskirchenrechtlichen Lehren und Auffassungen über das richtige und jeweils zeitangemessene Verhältnis der beiden Institutionen Kirche und Staat. Es überrascht deshalb nicht, daß die kirchenrechtliche Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum und der in dieser Wissenschaft zentrale Begriff der Kirche als einer societas iuridice perfecta sowohl innerhalb der katholischen Kirche als auch in den Auseinandersetzungen der Kirche mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften und der profanen Rechtswissenschaft ebenfalls Gegenstand lebhafter Kontroversen und Auseinandersetzungen war und ist. 1. Die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta

keine moderne Zweischwerterlehre

Für die Zuordnung der Kirche zu Staat und Gesellschaft könne heute, wie Ernst-Wolfgang Böckenförde schreibt, das traditionelle, auf der societas-perfecta-Lehre beruhende Modell nicht mehr maßgeblich sein. Es sei von Voraussetzungen bestimmt, die durch den grundlegenden Wandel der politisch-sozialen Ordnungsformen in den letzten Jahrhunderten entfallen seien und leide auch an inneren Widersprüchen. Die Berufung auf den rechtlichen Maßgeblichkeits- und Ausbreitungsanspruch der objektiven Wahrheit, der letztlich hinter dem socie-

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tas-perfecta-Modell stehe, könne der heutige Staat nicht als Rechtsprinzip seiner eigenen Ordnung anerkennen. Auch die Kirche selbst habe wesentliche Ansprüche, die mit der societas-perfecta-Lehre gegenüber dem weltlich-politischen Bereich und dem Staat als seiner maßgeblichen Organisationsform begründet werden sollten, im Zweiten Vatikanischen Konzil zurückgenommen. Die societas-perfectaLehre ziele "auf eine Art parallele Zu- und schließliehe Überordnung der Kirche gegenüber dem Staat" ab 68 • Hier wird der Begriff der Kirche als einer societas iuridice perfecta in schwerwiegender Weise verkannt und der Wesensgehalt dieser Lehre als eine Neuauflage der im Mittelalter die Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Kaisertum, zwischen kirchlicher und weltlicher Macht bestimmenden Zweischwerterlehre und damit letztlich im Sinne einer Überordnung der Kirche über den Staat gedeutet 69 . Für ein solches Verständnis des Verhältnisses von Kirche und Staat findet sich weder in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils noch in den auf ihnen weithin beruhenden Bestimmungen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 irgendein Anhaltspunkt. Das Wesen der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta besteht, wie dargelegt, in der theologischen Aussage, daß die Kirche Jesu Christi nach dem Willen ihres göttlichen Stifters im Sinne einer Identität Glaubens-, Heils- und Rechtsgemeinschaft in untrennbarer Einheit und damit auch eine der Verfügbarkeit der kirchlichen Gesetzgebung entzogene rechtliche Institution ist. Nach dem Willen ihres Stifters besitzt die Kirche alle Rechte und Befugnisse, deren sie zur Verwirklichung ihrer Sendung und ihres Heilsauftrags bedarf. Aufgrund ihrer Eigenrechtsmacht, ihres Selbstbestimmungsrechts und ihrer hieraus folgenden Unabhängigkeit von der staatlichen Gewalt in ihrem Eigenbereich besitzt sie auch das Recht zu kircheneigener und damit staatsunabhängiger Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung70. 68 In diesem Sinne Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat - Gesellschaft - Kirche, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft (= Enzyklopädische Bibliothek in 30 Teilbänden. Hrsg. von Franz Böckle, Franz-Xaver Kaufmann, Karl Rahner, Bernhard Weltein Verbindung mit Robert Scherer, Teilband 15), Freiburg/Basel/Wien 1982, S. 56; im Anschluß an Böckenförde grundsätzlich ebenso Karl-Wilhelm Merks, Kirche und Staat in sozialethischer Sicht, in: ÖArchKR, Bd. 37 (1987/1988), S. 20-38, hier S. 22 f. 69 Zur Zweischwerterlehre und zu den mittelalterlichen Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Kaisertum siehe Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, 5. Aufl., Köln/ Graz 1972, S. 299 ff.; ferner Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 46), S. 223 f. 70 Siehe hierzu in diesem Beitrag, oben, besonders unter I 2 und II 2.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Die richtig verstandene Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta zielt weder auf eine parallele Zuordnung der Kirche zum Staat noch auf eine Überordnung der Kirche über den Staat. Diese Lehre lehnt aber ebenso mit Entschiedenheit eine Gleichschaltung der Kirche mit dem Staat und eine im Laufe der Geschichte von den Staaten immer wieder beanspruchte Überordnung des Staates über die Kirche ab. Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Bestimmungen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 beanspruchen, wie dargelegt, im Gegensatz zu der vorkonziliaren Doktrin des Ius Publicum Ecclesiasticum bei fehlendem Einvernehmen zwischen Kirche und Staat über eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche an keiner Stelle wegen eines postulierten Vorrangs der spirituellen vor den temporeUen Zwecken für die Kirche das Recht zur Letztentscheidung ("Kompetenzkompetenz") 71 . Die richtig verstandene Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta ist die prägnante theologische und zugleich kirchenrechtliche Kurzformel für den Anspruch der Kirche auf Freiheit gegenüber allen unrechtmäßigen Eingriffen und Beschränkungen gesellschaftlicher und staatlicher Gewalt, insbesondere gegenüber denjenigen Staaten, die sich gegenüber der Kirche als alleinige Quelle allen Rechts betrachten und damit ein staatsunabhängiges Recht der Kirche nicht anerkennen. Dies traf z. B. für die preußische Monarchie zu. Aus diesem Rechtsverständnis erklärt Johannes Heckel die in ihrer Intensität aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellbaren Eingriffe des preußischen Staates in das innere Leben der katholischen Kirche während des Kulturkampfs, wenn er schreibt: "Seit alters herrschte in Preußen eine Staatsauffassung, die im Staate den unicus fons iuris erblickte. Alles Recht im Lande galt nur, weil und sofern es vom Staat erlassen, bestätigt, anerkannt oder wenigstens stillschweigend geduldet war. Dieses Prinzip wurde auch auf das kirchliche Recht angewandt. Obwohl gerade in so weit während des 19. Jahrhunderts heftig angefochten und insbesondere bei früheren Fallen der Absetzung von Bischöfen n Siehe hierzu Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 223 ff. Diese Kompetenz forderten für die Kirche, allerdings, was in diesem Zusammenhang betont werden muß, nur im Rahmen des katholischen Konfessionsstaates, noch Ottavianil Damizia, Institutiones (Anm. 2), Bd. 1, S. 130 ff., 136. Für das Zweite Vatikanische Konzil gilt es aber als ausgemacht, daß, wie Mörsdorf in anderem Zusammenhang nachdrücklich hervorgehoben hat, die notwendige Eintracht der beiden in ihrem Bereich höchsten Gewalten, "nicht durch ein System der Überordnung der einen über die andere gefunden werden" kann. Vgl. hierzu Klaus Mörsdorf, Art. Kirche und Staat, li. Grundsätzliches, in: LThK, 2. Aufl., Bd. 6, Freiburg/Br. 1961, Sp. 297.

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durchbrachen, war es doch in den neuesten Kampfgesetzen wieder mit voller Schärfe aufgerichtet. Ein öffentliches Amt, das durch Staatsgesetz als erledigt erklärt war, mußte demnach in jeder rechtlichen Hinsicht, insbesondere auch kirchenrechtlich als vakant gelten und bedurfte zu seiner Wiederbesetzung einerneuen kirchenrechtlich gültigen Provision." 72 • 2. Die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta keine sozialphilosophische, sondern eine theologische Doktrin

In schwerwiegender Weise verkannt wird die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta von denjenigen Kanonisten, die dem Ius Publicum Ecclesiasticum im Grunde deshalb die Existenzberechtigung im Bereich der kanonistischen Wissenschaft streitig machen oder gar absprechen möchten, weil es sich bei der für diese Teildisziplin des kanonischen Rechts zentralen Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta nicht um eine theologische, sondern vielmehr um eine "rein philosophische" bzw. naturrechtliche bzw. sozialphilosophische Doktrin handele. Ebensowenig wie das für den Katholiken verbindliche Dekret des Konzils von Trient über die heiligste Eucharistie deshalb als rein philosophische Doktrin verstanden und angesprochen werden darf, weil in ihm die aristotelisch-thomistische Kategorie von Substanz und Akzidenz Verwendung findet 73 , kann der Disziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum der Charakter einer theologischen Wissenschaft abgesprochen werden, weil sie sich der ebenfalls der aristotelisch-thomistischen Philosophie entnommenen societas-Lehre (societas perfecta - societas imperfecta) bedient. Nicht die ursprüngliche Herkunft des Begriffs ist entscheidend, sondern seine inhaltliche Bedeutung im Sinn- und Aussagezusammenhang des jeweiligen Kontextes. Wie bereits gezeigt, besteht die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta in der theologischen Aussage, daß die von Jesus Christus gegründete Kirche im Sinne einer Identität Glaubens-, Heilsund Rechtsgemeinschaft in untrennbarer Einheit und damit auch der Verfügbarkeit des kirchlichen Gesetzgebers entzogene rechtliche Institution ist. Dies hat bedeutsame Auswirkungen für das Verhältnis der Kirche zum Staat und zur Gesellschaft insofern, als der Kirche das 72 Johannes Heckel, Die Beilegung des Kulturkampfes in Preußen, in: ZRG Kan.Abt., 19. Bd. (1930), S. 215-353, hier S. 250 f. 73 Das am 11. Oktober 1551 verabschiedete "Dekret über die heiligste Eucharistie" des Konzils von Trient ist u.a. abgedruckt bei Henricus Denzinger, Adolfus Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum Definitionum et Declarationum de rebus fidei et morum, 34. Auflage, Barcinone/Friburgi, Brisgoviae/Romae/ Neo-Eboraci 1967, S. 384-390.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Recht zu staatsunabhängiger Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zusteht 74 . Der Wesensgehalt und das Anliegen des Ius Publicum Ecclesiasticum werden in dieser Hinsicht in schwerwiegender Weise mißverstanden von Eugenio Corecco, wenn er schreibt, die zentrale Kategorie des Ius Publicum Ecclesiasticum - die Kategorie der "societas perfecta" - sei nicht in der Lage gewesen, ein theologisches Verständnis des Kirchenrechts zu vermitteln, sei es, weil es offensichtlich naturrechtlicher Prägung gewesen sei, sei es, weil es - als Obersatz des Syllogismus, mit dem man auf die Existenz des Kirchenrechts schließe- die axiomatische Behauptung "ubi societas, ibi et ius" voraussetze, die, außer selber naturrechtlicher Herkunft zu sein, die gleiche formale Auffassung des Rechts der vorangegangenen kanonistischen Tradition benutze75 . In Wirklichkeit eignet dem Begriff "societas iuridice perfecta" im Kontext des Ius Publicum Ecclesiasticum weder ein naturrechtlicher Gehalt noch beruht er auf dem rechtsphilosophischen Axiom "ubi societas, ibi et ius". Das angebliche "methodologische Mißverständnis", das Corecco dem Ius Publicum Ecclesiasticum anlasten möchte, sei der Glaube gewesen, in der Heiligen Schrift die fundamentalen Prinzipien der Staatsphilosophie bestätigt zu finden, um sie auf die Kirche anwenden zu können, indem man sich der Argumentation einer weltlichen Auffassung vom Recht bedient habe, die jedoch in Wirklichkeit den sogenannten hierarchologischen Stellen des Neuen Testaments fremd gewesen sei 76 • Hierbei handelt es sich um eine nicht durch Tatsachen beVgl. in diesem Beitrag, oben, III 1 mit Anm. 70 mit Rückverweisung. Eugenio Corecco, Theologie des Kirchenrechts. Methodologische Ansätze. Aus dem Italienischen übersetzt von Heinz Maritz (= Canonistica. Beiträge zum Kirchenrecht, hrsg. von Heribert Schmitz, Bd. 4), Trier 1980, S. 85. Abgedruckt auch in französischer Übersetzung: Theologie du Droit Canon. Reflexions methodologiques, in: Eugenio Corecco, Theologie et Droit Canon. Ecrits pour une nouvelle theorie generale du Droit Canon, edites par Friedrich Fechter et Bruno Wildhabersous la direction de Patrick LeGal, Fribourg I Suisse 1990, S. 72. In diesem Sinne auch Remigiusz Sobanski, Die methodologische Lage des katholischen Kirchenrechts, in: AfkKR, Bd. 147 (1978), S. 345-376, hier S. 351; Winfried Aymans, Ekklesiologische Leitlinien in den Entwürfen für die neue Gesetzgebung, in: AfkKR, Bd. 151 (1982), S. 25-57, hier S. 29f.; ferner die bei Lothar Wächter, Gesetz im kanonischen Recht. Eine rechtssprachliche und systematisch-normative Untersuchung zu Grundproblemen der Erfassung des Gesetzes im katholischen Kirchenrecht (= Münchener Theologische Studien, Kan. Abt., Bd. 43), St. Ottilien 1989, S. 350 ff. genannten Autoren. Keiner von ihnen sieht sich jedoch in der Lage, eine Alternative zum lus Publicum Ecclesiasticum und zu dem umfassenden Begriff der societas iuridice perfecta in seiner Anwendung auf die Kirche anzubieten. 76 Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 85. 74 75

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legbare und im Grunde willkürliche Fehlinterpretation des Wesensgehalts der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta. Auch gegenüber den beiden Hauptvertretern der römischen Schule des lus Publicum Ecclesiasticum während des 19. Jahrhunderts, Camillus Tarquini und Felix Cavagnis, erhebt Corecco den Vorwurf, daß bei ihnen die letzte Verbindung zwischen Kirche, "societas perfecta" und Kirchenrecht letztlich nicht von der inneren Struktur der Kirche als solcher, sondern voluntaristisch und äußerlich vom Willen Christi abhängig gemacht werde, der die Kirche als "societas perfecta" und somit als rechtliche Gesellschaft habe errichten wollen 77 • Hierbei verkennt Corecco allerdings, wie bereits gezeigt, völlig den ekklesiologisch-theologischen Begriff der Kirche, der dem Ius Publicum Ecclesiasticum und der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta zugrunde liegt. Nach einer kursorischen und bemerkenswert kritischen Darlegung der angeblichen Mängel und Schwächen des rechtstheologischen Ansatzes im kirchenrechtlichen Denken bei George Phillips, bei den von ihm in rechtstheologischer Hinsicht offensichtlich besonders wenig geschätzten Vertretern der modernen "italienischen Laienkanonistik" 78 , den Kanonisten der "Schule von Navarra", bei Wilhelm Bertrams S.J., Jimenez Urresti, Peter Huizing und im Programm des Concilium, in den theologischen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, in dessen Dokumenten bei der Begründung des Kirchenrechts "der naturrechtliche Gedanke ("ubi societas ibi ius") erneut auftauche 79 , bei Klaus Mörsdorf, Antonio Rouco Varela und schließlich bei den mit der Reform des späteren Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 befaßten kurialen Kanonisten 80 , teilt Corecco dem Leser schließlich seine -€igene Auffassung vom Wesen des Kirchenrechts mit. Diese besteht in der übrigens auch von den Vertretern des Ius Publicum Ecclesiasticum keineswegs bestrittenen Feststellung, daß das letzte Prinzip, das die Methode des kanonischen Rechts innerlich bestimme, "nur der Glaube" sein dürfe 81 . Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 86. Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 86 f. 79 Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 91. 80 Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 97. Corecco bemerkt hierzu, das Fehlen einer Theologie des kanonischen Rechts, die schon heute mit Präzision das ontologische und epistemologische Statut festlegen könne- und folglich die der kanonistischen Wissenschaft eigene Methodologie -, indem es eine formale Definition des kirchlichen Rechts ausarbeite, werde übrigens als notwendige Konsequenz zur Folge haben, die gegenwärtige Reform des Codex luris Canonici "a priori" nur als Zwischenergebnis zu betrachten. Corecco, ebd. 81 Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 106. 77 78

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Das kanonische Gesetz sei als "ordinatio fidei" zu definieren, weil es nicht von irgendeinem menschlichen Gesetzgeber geschaffen sei, sondern von der Kirche selbst, deren entscheidendes epistemologisches Kriterium nicht die Vernunft, sondern der Glaube sei. Die menschliche Rationalität, die der Kirche als menschlichem und geschichtlichem Erkenntnissubjekt eigne, das indes nicht nach menschlichen Kriterien, sondern der "communio Ecclesiae et Ecclesiarum" entsprechend sozialisiert sei, bleibe folglich innerlich vom Glauben informiert. Die menschliche Rationalität habe nicht einfach eine Rechtssetzung hervorzubringen, die sich mit dem philosophischen Gerechtigkeitsbegriff vereinbaren lasse, sondern eine Gesetzgebung, die sich vom theologischen Begriff "communio" ableite, "deren Dynamik in der Institutionalisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen von jeder anderen bloß menschlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit von Grund auf verschieden" sei 82 . Hierzu ist festzustellen, daß selbstverständlich nach den Lehren des Ius Publicum Ecclesiasticum die Kirche als societas iuridice perfecta hinsichtlich ihrer Gründung, ihrer Aufgaben in dieser Welt und ihrer endgültigen Zweckbestimmung und insbesondere auch hinsichtlich ihrer Tätigkeit im Bereich der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung letztlich nur im Glauben erfaßt und verstanden werden kann und daß die Kirche und ihre Rechtsordnung "von jeder anderen bloß menschlichen Wirklichkeit von Grund auf verschieden" sind. Mit diesen lediglich rechtstheologischen Feststellungen Coreccos ist jedoch für den Aufbau einer konkreten und funktionierenden kanonischen Rechtsordnung und für die Praxis der Begegnung der Kirche auf der Ebene des Rechts mit der Institution des Staates und den gesellschaftlichen Mächten im Grunde noch überhaupt nichts gewonnen. Zu alldiesen Fragen macht Corecco keinerlei Aussagen und läßt, statt seinerseits ein überzeugendes und vor allem praktikables Alternativmodell zum Ius Publicum Ecclesiasticum und zur Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta anzubieten, diejenigen Kanonisten, die sich mit der oft rauhen Wirklichkeit der Beziehungen von Staat und Kirche abmühen, zwar nicht ratlos, da sie sich aus anderen Quellen Rat zu holen wissen, aber allein. Corecco· unterliegt offensichtlich dem Irrtum, die Disziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum als eine kanonistisch illegitime Spielart einer bestimmten Sozialphilosophie zu betrachten. Mit Recht hat Walter Kasper im Hinblick auf die neuerdings im innerkirchlichen Raum verschiedentlich wieder bestrittene Geltung des Subsidiaritätsprinzips in der Kirche darauf hingewiesen, daß der "Geheimnischarakter" der Kirche deren "Sozialcharakter" a2

Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 107.

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nicht aufhebt 83 . Ebensowenig hebt der Charakter der Kirche als einer sowohl im Hinblick auf ihr Dasein als auch auf ihr Handeln nur im Glauben zu erfassenden Gemeinschaft und als geistgewirkte "Communio" ihren Charakter als societas iuridice perfecta in dem in dieser Untersuchung dargelegten Sinne auf. Es kann deshalb keinen theologisch legitimen Gegensatz geben zwischen dem im übrigen keineswegs eindeutigen, sondern im Gegenteil nicht nur ambivalenten, sondern, wie es scheint, sogar multivalenten Verständnis der Kirche als "Communio", ein Begriff, für den eine akzeptable und allgemein akzeptierte deutsche Version bisher offensichtlich immer noch nicht gefunden werden konnte, und dem Ius Publicum Ecclesiasticum bzw. der Kirche als societas iuridice perfecta. Nach Corecco steht die strafrechtliche Behandlung von K.irchengliedern, die sich ihrer Pflicht, zu den finanziellen Lasten und Bedürfnissen der Kirche beizutragen, durch die Erklärung des Kirchenaustritts entzogen haben, im Widerspruch zur Logik des Strukturprinzips der Kirche als "Communio". Dieser von Corecco konstruierte Gegensatz zwischen der Anwendung der Strafgewalt der Kirche und dem Verständnis der Kirche als "Communio" steht nicht nur in erklärtem Widerspruch zu den Grundvorstellungen und ausdrücklichen Bestimmungen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983, er ist, weilletztlich willkürlich, auch theologisch unbeweisbar84 • Im Hinblick auf die Bestimmung des c. 1311 CIC/1983, "Es ist das angeborene und eigene Recht der Kirche, straffällig gewordene Gläubige durch Strafmittel zurechtzuweisen.", erklärt Corecco, daß die vom Naturrecht her kommende "Ideologie des Ius Publicum Ecclesiasticum" in verschiedenen Kanones des neuen Codex Iuris Canonici auftauche, insbesondere dort, wo der Kodex die Formel vom "angeborenen Recht der Kirche" verwende 85 . 83 Siehe hierzu Walter Kasper, Der Geheimnischarakter hebt den Sozialcharakter nicht auf. Zur Geltung des Subsidiaritätsprinzips in der Kirche, in: Herder-Korrespondenz, 41. Jhg. (1987), S. 233-236. 84 Siehe hierzu Eugenio Corecco, La sortie de l'Eglise pour raison fiscale. Le problerne canonique, in: Louis Carlen (Hrsg.), Austritt aus der Kirche. Sortir de l'Eglise, Freiburg/Schweiz 1982, S. 11-67, hier S. 40, 44. Vgl. hierzu auch die kritische Rezension dieses Beitrags von Corecco durch Joseph Listl, in: AfkKR, Bd. 155 (1966), S. 608-613, hier S. 609. Diese sachlich unzutreffende und sich im Sinne eines Gegensatzes ausschließende Gegenüberstellung von Ius Publicum Ecclesiasticum und dem Verständnis der Kirche als einer societas iuridice perfecta auf der einen und als "Communio fidelium" auf der anderen Seite übernimmt auch Aymans, La Chiesa nel Codice (Anm. 37), S. 324 f. 85 Eugenio Corecco, I presupposti culturali et ecclesiologici del nuovo "Codex", in: Silvio Ferrari (Hrsg.), Il nuovo codice di diritto canonico. Aspetti fondamentali della codificazione postconciliare, Bologna 1983, S. 37-68, hier S. 56;

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Mit Recht hat Alphanse Borras diese Aussage von Corecco in diesem Zusammenhang als exzessiv bezeichnet86 . Im Hinblick auf den Vorwurf der Ideologie, den Corecco gegenüber dem Ius Publicum Ecclesiasticum und damit auch gegenüber der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta erhebt, ist an dieser Stelle auf eine Äußerung von Georg May, dem Jubilar dieser Festschrift zu veiWeisen, der gegenüber einer Autorin, die ebenfalls das Ius Publicum Ecclesiasticum und die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta als eine "Ideologie" bezeichnet hatte, festgestellt hat, "mit dem Verdacht und dem Vorwurf der Ideologie sollte die Verfasserin in diesem Zusammenhang vorsichtiger umgehen". Eine Ideologie sei "ein falscher Vorstellungskomplex, der zur Durchsetzung und Behauptung von Interessen künstlich erzeugt" werde. Davon könne bei dem Begriff "societas perfecta" keine Rede sein. Diese sei nichts anderes als ein der Sache angemessener knapper Ausdruck der Stellung der Kirche gegenüber dem Staat. Was der Begriff inhaltlich besagen wolle, sei zeitlos gültig, auch wenn es in früheren Zeiten anders ausgedrückt worden sei. Die Konkordate des 20. Jahrhunderts sprächen mit ihrer Anerkennung der kirchlichen Autorität, der eigenen Kompetenz und der freien Entfaltung des kirchlichen Lebens das aus, was das Spanische Konkordat 1953 mit der Aufnahme des Begriffs "societas perfecta" wiedergegeben habe 87 • 3. Das Ius Publicum Ecclesiasticum und die societas-perfecta-Lehre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil

Von verschiedenen Autoren wird mit durchaus unterschiedlichen Argumenten die Meinung vertreten, die kanonistische Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum und das ihr zugrundeliegende Verständnis der Kirche als einer societas iuridice perfecta sei durch einzelne Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils und insbesondere durch dessen Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" und durch die nachkonziliare Entwicklung im allgemeinen überholt oder zumindest nicht mehr zeitgemäß. a) Das in der Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich anerkannte ders., Les presupposes ecclesiologiques et culturels du nouveau Code, in: Theologie et Droit Canon (Anm. 75), S. 223-248, hier S. 238. 86 Barras, Les sanctions dans l'Eglise (Anm. 64), S. 201. 87 Georg May, Rezension des Buches von Marie Zimmermann, Structure sociale et Eglise. Doctrines et praxis des rapports Eglise - Etat du XVIIIe siecle a Jean-Paul II. Strasbourg 1981, in: Theologische Revue, 79. Jhg. (1983), Sp. 141.

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Menschenrecht der Religionsfreiheit ist nicht identisch mit dem Gesamtbereich des Ius Publicum Ecclesiasticum und dem Verständnis der Kirche als einer societas iuridice perfecta. Der wesentliche Unterschied zwischen der societas-perfecta-Lehre und der von der Würde der menschlichen Person ausgehenden "Erklärung über die Religionsfreiheit" besteht darin, daß die societas-perfecta-Lehre über die Aussagen der Erklärung über die Religionsfreiheit hinausgehend auch die Grundlagen des dogmatischen und ekklesiologischen Selbstverständnisses der katholischen Kirche, d. h. das Verfassungsrecht der Kirche als gottgestifteter Institution und das Gesamtverhältnis der Kirche zum Staat, zur Gesellschaft und zu den übrigen Religionsgemeinschaften zum Gegenstand hat. Dies wird nicht gesehen bzw. verkannt in den Stellungnahmen und Abhandlungen von Josef Königsmann 88 , Pedro Lombardia 89 , Peter Huizing 90 , Reinhold Schwarz 9\ Marie Zimmermann92. b) Nach der Meinung von Reinhold Schwarz entspricht der Begriff "societas perfecta" in bezug auf die Kirche nicht mehr ganz dem nachkonziliaren Verständnis der Kirche. Innerkirchlich genügten nämlich die Begriffe "Volk Gottes", "Leib Christi", und neuerdings wieder der alte "communio-Begriff" 93 . Auf der Grundlage dieses neuen Kirchenverständnisses stellten sich z. B. Könkordate im Grunde als unerwünschte Erscheinungen im kirchlichen Rechtsbereich dar. Das Motuproprio Papst Pauls VI. "Sollicitudo omnium Ecclesiarum" über die Aufgaben der Legaten des römischen Papstes vom 24. 6. 1969 94 bezeichnet Schwarz als "geradezu anachronistisch" 95 . Hierbei hat Schwarz, der mit diesen seinen Ausführungen in bemerkenswerter 88 Josef Königsmann, "Vollkommene Gesellschaft" oder "Religionsfreiheit" als Zentralbegriff einer Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: ÖArchKR, 19. Jhg. (1968), S. 232 ff. 89 Pedro Lombardia, Le Droit Public Ecclesiastique selon Vatican II, in: Apollinaris, 40. Jhg. (1967), S. 59-112 (bes. S. 107 ff.). 90 Peter Huizing, Kirche und Staat im öffentlichen Recht der Kirche, in: Concilium, 6. Jhg. (1970), S. 586 ff. 91 Reinhold Schwarz, Die eigenberechtigte Gewalt der Kirche, Roma 1974, s. 120ff. 92 Zimmermann, Structure sociale et Eglise (Anm. 87), bes. S. 134 ff., 156 ff. Vgl. hierzu auch die kritische Rezension dieses Buches durch Joseph Listl, in AfkKR, Bd. 152 (1983), S. 646-650. 93 Die eigenberechtigte Gewalt der Kirche (Anm. 91), S. 120 ff. 94 AAS 61 (1969), S. 473 ff. Vgl. hierzu Motuproprio über die Aufgaben der Legaten des römischen Papstes. Lateinischer Text und von den deutschen Bischöfen approbierte Übersetzung. Kommentiert von Klaus Ganzer und Heribert Schmitz(= Nachkonziliare Dokumentation, Bd. 21), Trier 1970. 95 Schwarz, Die eigenberechtigte Gewalt der Kirche (Anm. 91), S. 122 ff.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Weise ein Opfer des damals herrschenden Zeitgeistes geworden ist, nicht nur die unverwechselbare und notwendige Aufgabe des Ius Publicum Ecclesiasticum, sondern auch den für die Leitung der universalen Kirche unverzichtbaren Dienst der Legaten des römischen Papstes und der Apostolischen Nuntiaturen verkannt 96 . c) Nach Knut Walf erweist sich der Verzicht auf das durch das Ius Publicum Ecclesiasticum und durch die Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta umschriebene Kirchenbild als unabdingbar, wenn man "zu einem bibeltheologisch verantwortbaren und zudem realistischen Kirchenbegriff gelangen" wolle 97 . Bei Walf der, ebenso wie sämtliche übrigen Autoren, die das Ius Publicum Ecclesiasticum abschaffen bzw. beseitigen wollen, keine Alternative zu dieser kanonistischen Disziplin und ebensowenig zum Begriff der societas iuridice perfecta aufzuzeigen oder anzubieten vermag, wird die unverzichtbare Aufgabe, die dem Ius Publicum Ecclesiasticum im Rahmen des Rechts der Kirche zukommt, ganz offensichtlich nicht gesehen bzw. in schwerwiegender Weise verkann

es.

d) Reinhold Sebott ist der Auffassung, daß der Begriff der societas iuridice perfecta in Anwendung auf die Kirche nicht mehr in die moderne Welt passe, weil erstens auch die übrigen kirchlichen Gemeinschaften diesen Anspruch erheben könnten. Hierbei wird jedoch verkannt, daß bisher keine nichtkatholische Kirche einen diesbezüglichen Anspruch erhoben hat und dies nach dem Selbstverständnis der katholischen Kirche, die im Zweiten Vatikanischen Konzil und auch im Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 erklärt hat, daß die Kirche Christi in der katholischen Kirche verwirklicht sei, auch tatsächlich nicht tun könnte. Zweitens paßt nach Sebott der Begriff der societas iuridice perfecta in Anwendung auf die Kirche deshalb nicht mehr in die moderne Welt, weil dadurch die Kirche rechtlich zu sehr dem Staat angeglichen würde, und weil drittens dieser Begriff für eine Begründung bzw. Fundierung des Kirchenrechts nicht geeignet sei 99 • Hierbei formuliert Sebott traditionelle Vorbehalte gegen das Ius Publicum Ecclesiasticum und die Doktrin von der Kirche als einer societas iuridice perfecta. Er übersieht hierbei jedoch die unverzichtbare und unab96 Vgl. hierzu auch die kritische Rezension dieses Buches von Reinhold Schwarz durch Joseph Listl, in: ZRG Kan. Abt., Bd. 63 (1977), S. 386 ff. 97 Knut Walf, Die katholische Kirche- eine "societas perfecta "?, in: Theologische Quartalschrift (Tübingen), 157. Jhg. (1977), S. 107-118, hier S. 118. 98 Vgl. auch die Stellungnahme zu diesem Beitrag von Walf bei Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 224 f. mit Anm. 49. 99 Reinhold Sebott, De Ecclesia ut societate perfecta et de differentia inter ius civile et ius canonicum in: Periodica de re morali canonica liturgica, 69. Jhg. (1980), S. 107-126, hier S. 114 f.

Die Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum

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dingbare Aufgabe, die dem Jus Publicum Ecclesiasticum im Rahmen der katholischen Kirchenrechtswissenschaft zukommt und wird dem wahren Verständnis des Begriffs der societas iuridice perfecta nicht gerecht. Im übrigen trägt die, wie gezeigt, in ihren wesentlichen Grundlagen auf dem ius divinum beruhende Disziplin des Jus Publicum Ecclesiasticum ihre kanonistische Legitimation bzw. Fundierung in sich, was nicht ausschließt, daß sie, ebenso wie das gesamte kanonische Recht, einer nüchternen und fundierten rechtstheologischen Reflexion, die jedoch das kanonische Recht nicht in theologische Theoreme auflösen darf, zugänglich ist. Im übrigen haben die Vertreter des Jus Publicum Ecclesiasticum stets darauf hingewiesen, daß ihre Wissenschaft die Kirche nicht allseitig, sondern nur, ebenso wie auch das gesamte kanonische Recht, unter einer konkreten und begrenzten Rücksicht betrachtet. Im Hinblick auf ihre spezifische Aufgabe kann sie von keiner anderen Teildisziplin der Wissenschaft des kanonischen Rechts ersetzt werden. Im übrigen haben gerade die bedeutendsten Vertreter dieser Wissenschaft, wie etwa Kardinal Ottaviani immer erklärt, daß die Wissenschaft des Jus Publicum Ecclesiasticum und die anderen Bereiche der Kanonistik zahlreiche andere theologische und kanonistische Teilwissenschaften voraussetzen100 . IV. Die unverminderte Aktualität und die praktische Bedeutung des Ius Publicum Ecclesiasticum 1. Gemeinsame Bezugsebene der kirchlichen

und der staatlichen Rechtsordnung

Das hohe Ansehen, das sich die rechtsgeschichtlich noch relativ junge Wissenschaft des Jus Publicum Ecclesiasticum vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts an erworben hat, findet seine Erklärung in der praktischen Bedeutung, die dieser Teildisziplin des kanonischen Rechts stets für die theoretische Bewältigung der Fragestellungen zukam, die sich auf dem weiten Gebiet der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den Staaten in der Ära des Liberalismus und später in den Auseinandersetzungen der Kirche mit dem totalitären Staat in seinen verschiedenen Ausprägungen ergaben und mit denen sich die Kirche auch in der Gegenwart konfrontiert sieht. Es waren zwingende praktische Notwendigkeiten, die für die methodische Entwicklung und die Entfaltung dieser neuen Disziplin der Kirchenrechtswissenschaft bestimmend waren. 1oo Vgl. zum Ganzen Listl, Kirche und Staat (Anm. 2), S. 203 mit Anm. 95. 65 Sbd. List!

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Aufgabe des Ius Publicum Ecclesiasticum ist es ferner, eine gemeinsame rechtliche Bezugsebene für die kirchliche und die staatliche Rechtsordnung in denjenigen Bereichen zu schaffen, in denen sich die Kirche und der Staat notwendig begegnen und die z. B. in den Konkordaten einen Gegenstand gemeinsamer staatlich-kirchlicher Rechtssetzung bilden. In diesem Zusammenhang weist Paul Mikat zutreffend darauf hin, daß z. B. im deutschen Kirchensteuerrecht nicht wesensfremde staatliche Regelungen in den kirchlichen Bereich eingeführt werden, sondern kirchliche Regelungen, soweit der Staat sie für seinen Bereich anerkennen könne, für Staat und Kirche gemeinsam gelten. Zutreffend bezeichnet Mikat die Kirchensteuergesetze in der Bundesrepublik Deutschland als einen besonders prägnanten Fall für ein so geschaffenes "staatlich-kirchliches Recht" 101 . Das Problem der Notwendigkeit einer gemeinsamen Bezugsebene zwischen der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung wird auch von weitsichtigen Vertretern der evangelischen Kirchenrechtswissenschaft gesehen. In dieser Hinsicht warnte Ulrich Scheuner gegenüber den rechtstheologischen Grundlagenentwürfen zum evangelischen Kirchenrecht "vor einer Spiritualisierung des Kirchenrechts. Ihm ging es um die Brücke zwischen kirchlicher und weltlicher Ordnung" 102 .

1o1 Paul Mikat, Grundfragen des Kirchensteuerrechts unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen, in: ders., Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht, hrsg. von Joseph Listl, (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 5), Bd. 1, Berlin 1974, S. 563. Zur Frage einer gemeinsamen Bezugsebene des staatlichen und kirchlichen Rechts vgl. ferner Peter Häberle, "Gemeinrechtliche" Gemeinsamkeiten der Rechtsprechung staatlicher und kirchlicher Gerichte?, in: Juristenzeitung 1966, S. 384 ff. 1o2 Klaus Schlaich, Art. Scheuner, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV, Freiburg/Er. 1988, Sp. 1022. Wörtlich erklärt Scheuner zu den rechtstheologischen Bemühungen im evangelischen Bereich unter Bezugnahme auf Dietrich Pirson: "So sehr man die theologische Vertiefung dieser Lehre anerkennen darf, so scheint mir in diesen Lehren zu gering geachtet, daß die Kirche, so sehr sie ihrem Wesen nach als göttliche Stiftung jenseits der Welt begründet ist, doch in der Erwartung des Endes der Zeit in dieser Welt lebt, daß ihre Gläubigen zugleich Bürger der Staaten sind, und daß daher kirchliches Recht wohl seine besondere Natur und Struktur hat, aber auch nicht nur Recht des Menschen, sondern des Menschen in dieser Welt ist". Vgl. Ulrich Scheuner, Kirchenverträge in ihrem Verhältnis zu Staatsgesetz und Staatsverfassung, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, hrsg. von Joseph Listl (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 3), Berlin 1973, S. 355-372, hier S. 367.

Die Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum

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2. Spirituelle Souveränität der Kirche

Eine konkrete Anschauung von der ungebrochen fortwirkenden Bedeutung und Aktualität des Ius Publicum Ecclesiasticum gibt unter den neueren Veröffentlichungen zu diesem Rechtsgebiet die wertvolle Arbeit von Roland Minnerath, "L' Eglise et les Etats concordataires (1846-1981). La souverainete spirituelle" 103 . Auf der Grundlage der Gesamtdarstellung der von 1846, dem Beginn des Pontifikats Papst Pius' IX., bis 1981 geschlossenen Konkordate behandelt er die in diesem Zeitraum getroffenen konkordatären Regelungen über den Rechtsstatus der Kirche und ihrer Untergliederungen und Einrichtungen in den jeweiligen staatlichen Rechtsordnungen und das Selbstbestimmungsrecht der Kirche in ihrem Eigenbereich sowie auf ihren spezifisch religiösen, erzieherischen und karitativen Betätigungsfeldern. Der Kirche kam es in den Konkordaten stets darauf an, als "souveräne Gesellschaft" bzw. als "rechtlich vollkommene Gesellschaft" anerkannt zu werden. Exemplarisch für diese Bestrebungen der Kirche sind die Bestimmungen der Art. 2-4 des Konkordats mit Kolumbien vom Jahre 1887, in denen ausdrücklich festgelegt wurde, daß "die kanonische Gesetzgebung von der staatlichen Gesetzgebung unabhängig ist und keinen Bestandteil derselben bildet" und daß sie von den Behörden der Republik anerkannt wird. Im Sinne der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta legte die Kirche großes Gewicht darauf, daß auch seitens des Staates ausdrücklich vertraglich anerkannt wurde, daß die kirchliche und die staatliche Rechtsordnung zwei wesensverschiedene Rechtsordnungen sind, die sich hinsichtlich ihres Ursprungs, der von ihnen angewandten Mittel und ihrer Zielsetzung unabhängig gegenüberstehen. Minnerath spricht hier zutreffend von der geistlichen Souveränität der Kirche, die sie, mit besonderem Nachdruck auch in den Lehrschreiben Papst Leos XIII., für sich in Anspruch nimme 04 • Der kirchliche Konkordatspartner war stets bestrebt, vom jeweiligen Staat die ausdrückliche Anerkennung seiner Eigenrechtsmacht zu erreichen. Auch im Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 anerkennt das Deutsche Reich in Art. 1 Abs. 2 "das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständ~gkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen 103 Roland Minnerath, L'Eglise et les Etats concordataires (1846-1981). La souverainete spirituelle. Preface de Jean Gaudemet, Paris 1983. Siehe hierzu auch die Besprechung dieses Buches durch Joseph Listl, in: AfkKR, Bd. 153 (1984), s. 607-613. 104 Minnerath, L'Eglise (Anm. 103), S. 47 und 49.

65°

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

zu erlassen 105 . Es ging der Kirche dabei stets darum, inhaltlich und der Sache nach vom Staat als "rechtlich vollkommene Gesellschaft", d. h. als vom Staat rechtlich unabhängige Institution mit eigener, also nicht vom Staat abgeleiteter Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Rechtsprechungsgewaltanerkannt zu werden. Aufgrund seines umfassenden Verständnisses der Religionsfreiheit hat das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" eine Anzahl korporativer kirchlicher Freiheitsrechte zutreffend als Bestandteil der Religionsfreiheit bezeichnet. Dazu rechnet das Konzil insbesondere die Vermögensfähigkeit der Kirche und damit das Recht zum Erwerb und zur Verwaltung des Kirchengutes, das Recht zur Erhebung von Beiträgen und Steuern, das Recht zur Gründung religiöser Orden und Kongregationen und sonstiger Vereinigungen, das ihr im Laufe der Geschichte oft bestrittene Recht, ihre Amtsträger, d. h. vor allem die Kleriker, nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen in Freiheit auszubilden, das Recht aller Gläubigen und vor allem der Bischöfe auf freien Verkehr mit dem Heiligen Stuhl und untereinander, das Recht auf Bekanntgabe von Mitteilungen und Verlautbarungen an die Gläubigen ohne jede staatliche Zensur, Kontrolle oder Genehmigung, das Recht auf Bestimmung der territorialen Zirkumskription der Diözesen und Pfarreien und das Recht zur freien Ernennung der Bischöfe. Diese Rechte sind inhaltlich zum Teil identisch mit den Forderungen auf Anerkennung der kirchli-, chen Freiheitsrechte, wie sie die Disziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum als Attribute der Kirche in ihrer Eigenschaft als societas iuridice perfecta seit jeher erhoben hae 06 . 3. Unverminderte Aktualität des Ius Publicum Ecclesiasticum

Unbeirrt von den aus sehr heterogenen Quellen gespeisten Aversionen, denen sich das Ius Publicum Ecclesiasticum in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegenübersah, betonen Lorenzo Spinelli, einer der Altmeister des Ius Publicum Ecclesiasticum in Italien, und Giuseppe Dalla Torrein ihrer 1985 erschienenen und mit souveräner Sachkenntnis verfaßten Darstellung des nachkonziliaren Ius Publicum Ecclesiasticum die unverminderte Aktualität und Notwendigkeit dieser Disziplin des kanonischen Rechts 107 . Der Gebrauch des Begriffs 105 Wortlaut des Art. 1 des Reichskonkordats bei Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge (Anm. 48), Bd. 1, S. 35. 106 Vgl. hierzu im einzelnen bei Minnerath, L'Eglise (Anm. 103), S. 209 ff. 107 Lorenzo Spinelli, Il Diritto Pubblico Ecclesiastico dopo il Concilio Vaticano II. Lezioni di Diritto Canonico. In collaborazione con Giuseppe Dalla Tor-

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"societas iuridice perfecta" im Hinblick auf die Kirche ist, wie die beiden Verfasser in ihrer überragenden und alle Probleme des heutigen Ius Publicum Ecclesiasticum berücksichtigenden Arbeit nachdrücklich erklären, auch in der Gegenwart durchaus legitim, zulässig, sinnvoll und praktikabel. Es handele sich hierbei nicht um einen philosophischen, sondern um einen theologischen und einen Rechtsbegriff. Zutreffend erklären sie, daß das Ius Publicum Ecclesiasticum eine moderne und keineswegs nur mit historischen Argumenten zu rechtfertigende und damit anachronistische apologetische Disziplin zur Abwehr bestimmter ekklesiologischer und rechtspolitischer Systeme des 18. und 19. Jahrhunderts sei. Ein derartiges Verständnis des Ius Publicum Ecclesiasticum werde der Wirklichkeit in keiner Weise gerecht. Sie stellen dabei keineswegs in Abrede, daß die Wissenschaft des Ius Publicum Ecclesiasticum nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ihre bisherigen theoretischen Grundlagen neu überdenken und eine den Aussagen des Konzils Rechnung tragende organische Systematik ihres Gegenstandes erarbeiten muß 108 . Der Gegenstand des sog. Ius Publicum Ecclesiasticum internum, d. h. das kirchliche Verfassungsrecht, könne nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr nur auf die traditionelle ausschließliche Behandlung der auf den Papst ausgerichteten hierarchischen Struktur der Kirche beschränkt werden. Das Ius Publicum Ecclesiasticum müsse vielmehr auch die Behandlung der großen Themen, die für die nachkonziliare Auseinandersetzung in der Kanonistik grundlegend seien, in seine Betrachtung miteinbeziehen, nämlich die Kollegialität der Bischöfe und deren Auswirkungen auf den rechtlichen Bereich, ferner die Beziehungen zwischen der Universalkirche und den Teilkirchen, die Aufgaben und Dienstämter im Volke Gottes und die Grundrechte des Christen 109 . Auch im Bereich des sog. Ius Publicum Ecclesiasticum externum, das die Beziehungen der katholischen Kirche nach außen, d. h. zu den Staaten und zu den gesellschaftlichen Institutionen, zum Gegenstand hat, führe die Berücksichtigung der konziliaren Errungenschaften zu einer Erweiterung der Materien. Die Außenbeziehungen der kanonischen Rechtsordnung beschränkten sich nicht mehr nur auf die Staare. Seconda Edizione riveduta et ampliata, Milano 1985. Vgl. hierzu auch die Rezension dieses Buches durch Joseph Listl, in: AfkKR, Bd. 155 (1986), S. 330333. Auf denselben Grundlagen beruht im wesentlichen die bereits wenige Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erschienene schätzenswerte Darstellung des lus Publicum Ecclesiasticum von Juan Calvo, Teoria general del Derecho Publico Eclesic1stico, Santiaga de Compostela 1968. 1oa Spinelli, ll Diritto (Anm. 107), VorwortS. I1I und S. 34 ff. 109 Spinelli, Il Diritto (Anm. 107), S. 141.

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ten, sie erweiterten sich auf die verschiedenen Formen und Organisationen der politischen Gemeinschaft, d. h. über die Einzelstaaten hinaus auf die internationale Gemeinschaft mit ihren verschiedenen Unterorganisationen. Hierzu gehörten ferner auch die Beziehungen der Teilkirchen zu den lokalen politischen Gemeinschaften sowie im Zeitalter des Ökumenismus die Beziehungen der katholischen Kirche zu den anderen christlichen Religionsgemeinschaften und schließlich auch zu den nichtchristliehen Religionen 110 . Spinelli und Dalla Torre verdienen schließlich uneingeschränkte Zustimmung, wenn sie darauf hinweisen, daß es in erster Linie Aufgabe der Dogmatischen Theologie und der Ekklesiologie sei, die Kirche als Mysterium in ihrer charismatischen und spirituellen Dimension zur Darstellung zu bringen. Zugleich weisen sie aber mit Nachdruck darauf hin, daß man sich immer vor Augen halten müsse, daß die Kirche auch rechtlich verfaßte Gemeinschaft, damit notwendigerweise Institution und immer auch rechtliche Ordnung und als solche Gegenstand des Juristen, d. h. des Kanonisten, sei und insoweit nicht den Vertretern der Dogmatischen Theologie und der Ekklesiologie überlassen werden dürfe. Dieser Rechtscharakter gehöre zum Wesen der Kirche. Es sei daher die unverzichtbare und unverwechselbare Aufgabe des Vertreters der K.irchenrechtswissenschaft, diesen Wesensaspekt der Kirche nach den Gesetzen der Rechtslogik und den der Rechtswissenschaft eigentümlichen Techniken zu untersuchen. Diese juristische Methode eigne der Kanonistik in gleicher Weise wie der säkularen Rechtswissenschaft 111 . 4. Zusammenfassung

Der kanonistischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum kommt im Bereich der katholischen Kirchenrechtswissenschaft eine eigenständige und für das Wirken der Kirche und die Erfüllung ihrer Sendung und ihres Dienstes in dieser Welt unersetzbare Aufgabe zu. Die katholische Kirchenrechtswissenschaft darf sich nicht in den Eluo Spinelli, Il Diritto (Anm. 107), S. 77 ff., 109 ff., 141 ff., 179 ff. Spinelli, Il Diritto (Anm. 107), S. 41 ff., In diesem Sinne hat Mörsdorf die katholische Kirchenrechtswissenschaft zutreffend als eine "theologische Disziplin mit juristischer Methode" bezeichnet. Vgl. Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, 11. Aufl., Bd. I, München/ Paderborn/Wien, 1964, S. 36. Nur auf diese Weise kann überhaupt Kirchenrecht als Wissenschaft betrieben werden. Dies verkennt Corecco, Theologie des Kirchenrechts (Anm. 75), S. 93. Zur Aufgabe und Methodik des Kirchenrechts vgl. ferner Georg May, Kirchenrechtswissenschaft und Kirchenrechtsstudium, in: HdbKathKR, S. 72 f., 73 ff.; ferner May!Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode (Anm. 1), S. 17 ff. 111

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fenbeinturm einer spiritualistischen Kanonistik zurückziehen. Die dezidierte Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils, daß die Kirche im Sinne einer einzigen komplexen Realität gleichermaßen geistgewirkte Gemeinschaft (communitas spiritualis) und Geheimnisvoller Leib Christi (Mysticum Christi Corpus) und in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet (in hoc mundo ut societas constituta et ordinata) ist 112 , darf nicht relativiert werden. Der Geheimnischarakter der Kirche wird durch deren societas-Charakter nicht aufgehoben. Eine Kanonistik, die diese Wesenszusammenhänge ignorieren wollte, würde ihren Überlegungen eine verkürzte Sicht der Kirche zugrunde legen und damit ihrer Aufgabe nicht gerecht.

u2 Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" (Anm. 3), Art. 8.

Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat I. Der Codex luris Canonici von 1983 Am 1. Adventssonntag, dem 27. November 1983, ist das neue kirchliche Gesetzbuch, der Codex Iuris Canonici, in Kraft getreten, den Papst Johannes Paul II. zehn Monate vorher, am 25. Januar 1983, durch die Apostolische Konstitution Sacrae Disciplinae Leges promulgiert hatte. 1 Gleichzeitig trat der bis dahin geltende, durch die zwischenzeitlich geschaffene nachkonziliare Gesetzgebung aber bereits weithin überholte Codex Iuris Canonici vom 27. Mai 1917 außer Kraft. Im Codex Iuris Canonici hat die katholische Kirche des lateinischen Rechtskreises ein von Grund auf neu erarbeitetes und entscheidend vom Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils (11. 10. 1962 bis 8. 12. 1965) geprägtes und die wesentlichen Beschlüsse und Weisungen dieses Konzils rezipierendes Gesetzbuch erhalten. Im Codex Iuris Canonici von 1983, an dem nahezu zwanzig Jahre gearbeitet worden ist, wurden weithin die zahlreichen Gesetze kodifiziert, die von den Päpsten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Ausführung der Konzilsbeschlüsse erlassen wurden und die sich in der Rechtspraxis in vieler Hinsicht bereits bewährt hatten. Für die katholischen Ostkirchen, die gegenüber der lateinischen Westkirche eigenständige kirchenrechtliche Traditionen aufweisen, befindet sich gegenwärtig ein eigenes orientalisches kirchliches Gesetzbuch, der Codex Iuris Canonici OrienErstveröffentlichung in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Begründet von Joseph Krautscheidt und Heiner Marre. Hrsg. von Heiner Marre und Johannes Stüting, Heft 19, Münster: Verlag Aschendorff 1985, S. 9-37. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Aschendorff, Münster. 1 Der Codex luris Canonici vom 25. 1. 1983 wurde amtlich promulgiert in: Acta Apostolicae Sedis 75 (1983}, Pars II (Separatband), datiert vom 25. Januar 1983, XXX und 317 S. Dazu erschien ein Nachtrag (Appendix), datiert vom 22. September 1983, mit den Seiten 321-324. Darin sind ausschließlich Korrekturen und Verbesserungen zu einzelnen Kanones des Codex Iuris Canonici enthalten. Zur Entstehungsgeschichte, zu den Perspektiven und Tendenzen und zur Systematik des CIC von 1983 vgl. Heribert Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (HdbKathKR), hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz, Regensburg 1983, S. 33-57.

Der CIC zum Verhältnis von Kirche und Staat

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talis (CICO), in Vorbereitung. 2 Die Arbeiten an diesem orientalischen kirchlichen Gesetzbuch sind bereits weit fortgeschritten. Ebensowenig wie in den fünf Büchern des Codex Iuris Canonici von 1917 befindet sich in dem in sieben Bücher gegliederten Codex Iuris Canonici von 1983 ein zusammenhängender und systematischer Abschnitt mit Aussagen über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Staat. 3 Jedoch enthält, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, jedes der sieben Bücher im jeweiligen Kontext und an zentralen Stellen bedeutsame Aussagen über die Koexistenz der kirchlichen und der staatlichen Rechtsordnung und damit zum Verhältnis von Kirche und Staat. Dies gilt gleichermaßen vom I. Buch mit den Allgemeinen Normen wie von dem zentralen II. Buch, das das Verfassungsrecht der katholischen Kirche enthält und die Überschrift "Das Volk Gottes" trägt, und dem III. Buch über den Verkündigungsdienst der Kirche, dem IV. Buch über den Heiligungsdienst der Kirche, dem V. Buch über das Kirchenvermögen, dem VI. Buch über das Strafrecht in der Kirche und schließlich dem VII. Buch über die Rechtsprechung und den Rechtsschutz in der Kirche. Dadurch, daß der Codex Iuris Canonici seine Aussagen über das Verhältnis von Kirche und Staat nicht in einem systematischen Abschnitt trifft, sondern im jeweiligen Kontext, in dem ihr Sitz im Leben ist, bringt er deren Bedeutung viel wirkungsvoller zum Ausdruck als dies in einem abstrakt-systematischen Normengefüge möglich wäre. Zugleich vermeidet das kirchliche Gesetzbuch damit auf dem in besonderem Maße dem geschichtlichen Wandel der Anschauung unterworfenen Gebiete des Verhältnisses von Kirche und Staat alle für das Wirken der Kirche nicht erforderlichen doktrinären Festlegungen über die rechtliche Zuordnung der beiden Institutionen Kirche und Staat. Die Kirche lebt nicht außerhalb der Staatenwelt, sondern, wie bereits der nordafrikanische Bischof Optatus von Mileve, einer der Begründer und ersten Väter des Ius Publicum Ecclesiasticum, über das Verhältnis von Kirche und Staat im spätantiken Römerreich erklärt 2 Vgl. hierzu Richard Potz, Die Kodifikation des katholischen Ostkirchenrechts, in: HdbKathKR, S. 57-65. 3 Bemerkenswerterweise war im ersten Entwurf der Dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" des Zweiten Vatikanischen Konzils als Kapitel IX ein Abschnitt "De relationibus inter Ecclesiamet Statum" vorgesehen, das jedoch in Anbetracht der ganz überwiegend pastoralen Zielsetzung des Zweiten Vatikanums nicht in die Konzilsberatungen miteinbezogen wurde. Wortlaut dieses Kapitels bei Giuseppe Alberigo und Franca Magistretti (Hrsg.), Constitutionis Dogmaticae "Lumen gentium" Synopsis historica, Bologna 1975, S. 307 ff. Vgl. hierzu auch Joseph Listl, Kirche und Staat inderneueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978, S. 105 und 211 ff.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

hat, innerhalb des Staates. 4 Ausgehend von dieser Erkenntnis weist das kirchliche Gesetzbuch an zahlreichen Stellen darauf hin, daß die katholische Weltkirche ihren Lehr-, Heiligungs- und Leitungsdienst innerhalb der Vielfalt der einzelnen Nationen mit ihren jeweils durchaus unterschiedlichen politischen Herrschaftssystemen ausüben muß. Dies gehört zu ihrer geschichtlichen Sendung. Erst durch die Einbettung der kirchlichen Rechtsordnung in die jeweilige staatliche Rechtsund Verfassungsordnung gewinnt die Kirche in den einzelnen Staaten ihr konkretes zeitgeschichtliches Erscheinungsbild und eröffnen oder verschließen sich ihr die verschiedenen Möglichkeiten desWirkensauf dem Gebiet des Gottesdienstes, der Verkündigung, der Lehre und der Karitas. Dem Zusammenhang der kirchlichen mit der jeweiligen staatlichen Rechtsordnung kommt somit für das Leben und das Wirken der Kirche in jedem einzelnen Staat eine weittragende Bedeutung zu. Der Codex Iuris Canonici ist das auf der ganzen Welt für die katholische Kirche des lateinischen Rechtskreises geltende Gesetzbuch; er enthält im Sinne eines unverzichtbaren Minimalbestandes die Postulate der katholischen Kirche sowohl im Hinblick auf die individuelle Religionsfreiheit der Gläubigen als auch auf die korporative Religionsfreiheit, d. h. auf die Freiheit der Kirche als rechtlich verfaßter Institution. Diese Forderungen in bezug auf die individuelle Religionsfreiheit der Gläubigen und das freiheitliche Wirken der Kirche nach außen und auf ihr Selbstbestimmungsrecht im Innern erhebt die katholische Kirche damit überall auf der Welt und unabhängig von jedem jeweils herrschenden politischen System, in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik ebenso wie in der Sowjetunion, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in der Volksrepublik China und in den arabischen und afrikanischen Staaten. Nicht überall sind diese Forderungen der katholischen Kirche durchsetzbar. In einer Reihe von Staaten werden sie mißachtet bis hin zur Kirchenverfolgung. Dies ist für die Kirche niemals ein Grund, auf diese Minimalforderungen zu verzichten oder von ihnen Abstriche zu machen. 4 Vgl. hierzu das berühmte Wort des Bischofs Optatus von Mileve: "Non enim est respublica in ecclesia, sed ecclesia in republica, id est in imperio Romano", in: S. Optati Milevitani libri VII. Recensuit et commentario critico indicibusque instruxit Carolus Ziwsa (= Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, vol. XXVI), Pragae-Vindobonae-Lipsiae 1893, S. 74. Über Optatus von Mileve vgl. Alfred Stuiber, Art. Optatus, hl. (Fest 4. Juni), Bisch. v. Mileve, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. 7, Freiburg/Br. 1962, Sp. 1180f.Siehe ferner Alexander Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968), S. 63 m. w. N., der darauf hinweist, daß die Kirchen in die politische Lebensordnung und den gesamtgesellschaftlichen Prozeß eingeordnet sind, auf den sich die Verfassung bezieht. Dies ist ein Stück ihrer "Inkarnation und Geschichtlichkeit".

Der CIC zum Verhältnis von Kirche und Staat

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Die Tatsache, daß in einer Reihe von Staaten die Vexwirklichung dieser religiösen Grundfreiheiten nicht möglich ist, ist immer zugleich auch ein Indikator dafür, daß in diesen Staaten das Menschenrecht der Religions- und Kirchenfreiheit in schwelWiegender Weise verletzt wird.

Ulrich Stutz hat in seinem berühmten Buch "Der Geist des Codex iuris canonici. Eine Einführung in das auf Geheiß Papst Pius X. verfaßte und von Papst Benedikt XV. erlassene Gesetzbuch der katholischen Kirche", das er im Jahre 1918 veröffentlicht hat, zu den Aussagen des Codex Iuris Canonici zum Kirche-Staat-Verhältnis folgendes ausgeführt: "Das Verhältnis von Staat und Kirche ist von dem Gesetzbuch ausgeschlossen, entsprechend der streng innerkirchlichen Aufgabe, in deren Dienst es steht. Jedenfalls aber aus Vorsicht. Man wollte es vermeiden, durch Aufrollung dieser Frage dem Werke Steine in den Weg zu legen. Vielleicht war man überdies der Meinung, es komme dabei doch vornehmlich auf den Einzelfall und die Praxis an." ... "Die Berührungen des Gesetzbuches mit dem Staat und seinem Rechte sind also gleichfalls nur gelegentliche, beiläufige, zum Teil mittelbare. " 5 Klaus Mörsdorf hat sich dieser Meinung von Stutz angeschlossen. 6 Diese Auffassung ist insofern partiell zutreffend, als der Codex Iuris Canonici die Problematik der Beziehungen zwischen Staat und Kirche nicht systematisch und im Zusammenhang behandelt. Gegen dieses Urteil von Stutz und Mörsdorf haben Hans Barion 7 und Faul Mikat 8 mit Recht eingewandt, daß der Kodex den festgefügten und in sich geschlossenen, auf göttliche Anordnung zurückgehenden Strukturplan der Kirche enthalte. Der Kodex von 1983 folgt in dieser Hinsicht inhaltlich und methodisch völlig dem Vorbild des Kodex von 1917. Er enthält zwar keine systematischen Aussagen und keinen Abschnitt über das nachkonziliare Ius Publicum Ecclesiasticum, d. h. jenen Teilbereich des kanonischen Rechts, der das Verhältnis von Kirche und Staat zum Gegenstand hat. Es sind im Kodex von 1983 aber alle wesentlichen und zentralen Rechtsnormen enthalten, die das Grundverhältnis der Kirche zum Staat bestimmen. Es bedarf allerdings einiger Mühe, aus den im gesamten Gesetzbuch verstreuten Aussagen und Be5 Ulrich Stutz, Der Geist des Codex iuris canonici (=Kirchenrechtliche Abhandlungen, Heft 92/93), Stuttgart 1918 (Neudruck Amsterdam 1961), S. 109 ff. 6 Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, 11. Aufl., Bd. 1, München-Paderborn-Wien 1964, S. 42. 7 Hans Barion, Art. Kirche und Staat (nach kath. Auffassung), in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 3, Tiibingen 1959, Sp. 1336-1339. B Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKirchR), hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, Bd. 1, Berlin 1974, S. 164 mit Anm. 77.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

stimmungen mosaikartig das Gesamtsystem der Beziehungen zwischen Kirche und Staat nach der nachkonziliaren Lehre der katholischen Kirche zu entwickeln und zu einer Einheit zusammenzufügen. II. Der Begriff der Kirche im Codex Iuris Canonici

Für das Verständnis der Aussagen des Codex Iuris Canonici über das Verhältnis von Kirche und Staat ist es von grundlegender Wichtigkeit, nach dem Selbstverständnis der Kirche hinsichtlich ihres Auftrages, ihrer Sendung in dieser Welt und ihrer inneren und äußeren rechtlichen Verfassung zu fragen. Nach einem bekannten Wort von Hans Barion ist das Kirchenrecht -und dies gilt auch für das kanonistische Teilgebiet des Ius Publicum Ecclesiasticum, das das Verhältnis von Kirche und Staat zum Gegenstand hat- eine "Funktion des Kirchenbegriffs". Man muß, wie Barion zutreffend bemerkt, "vom Kirchenbegriff ausgehen", wenn man überhaupt von der Kirche etwas verstehen will. 9 Das Mysterium der Kirche ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche ausgeführt hat, eine überaus komplexe Wirklichkeit, die nur mit einer Fülle von Bildern andeutungsweise umschrieben werden kann. Die verschiedenen Aspekte der Gesamtwirklichkeit der Kirche können nur mittels vieler Deutungsversuche in immer unvollkommen bleibenden Umrissen rational erfaßt werden. Das Zweite Vatikarrum weist darauf hin, daß bereits im Alten Testament die Offenbarung des Reiches häufig in Bildern geschah; auch im Neuen Testament erschließt sich uns das innersteWesender Kirche in verschiedenen Bildern, die vom Hirten- und Bauernleben, vom Hausbau oder auch von der Familie und der Brautschaft genommen sind und schon in den Büchern der Propheten vorbereitet werden. 10 In diesen Bildern wird die Kirche als Haus Gottes, Braut Christi, Geheimnisvoller Leib Christi, Tempel des Heiligen Gottes oder auch - nach den 9 Hans Barion, Erwiderung, in: Eunomia. Freundesgabe für Hans Barion zum 16. Dezember 1969, Pfungstadt 1969, S. 214. 1o Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium", Art. 6.- Über das Kirchenbild und den Kirchenbegriff, die Erkennbarkeit und Definierbarkeit der Kirche, die verschiedenen Kirchendefinitionen, die Bilder zur Erfassung der Kirche und ferner über die Einordnung und Beurteilung des Kirchenbildes der übernatürlichen societas perfecta sowie über das sakramentale Kirchenbild vgl. die gründliche und schätzenswerte Untersuchung von Nikolaus Timpe, Das kanonistische Kirchenbild vom Codex Iuris Canonici bis zum Beginn des Vaticanum Secundum. Eine historisch-systematische Untersuchung(= Erfurter Theologische Studien, Bd. 36), Leipzig 1978, s. 72ff., 104ff., 108ff., 120ff.

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Leitvorstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils- als das pilgernde Volk Gottes auf Erden und als geistgewirkte Gemeinschaft - communio - aller Gläubigen bezeichnet, in der der einzelne nicht isoliert gesehen werden darf, sondern als an seiner jeweiligen Stelle inkorporiert in die Gemeinschaft des hierarchisch gegliederten Volkes Gottes. Alle dieser Bilder enthalten wesentliche theologische Aussagen über die geheimnisvolle Wirklichkeit und das Mysterium der Kirche. 11 Jedoch sind diese zentralen Aussagen über das übernatürliche Wesen der Kirche nicht geeignet für die rechtliche Bestimmung des Verhältnisses der Kirche zum Staat; sie schöpfen nämlich die komplexe Wirklichkeit der Kirche nicht hinreichend aus. Die Kirche ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil erklärt, nicht nur Glaubens- und Heils-, sondern auch Rechtsgemeinschaft, und zwar all dies in untrennbarer Einheit. 12 Die Kirche ist damit zugleich und wesentlich ebenso pilgerndes Volk Gottes, Geheimnisvoller Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes und geistgewirkte Gemeinschaft, wie sichtbarer, rechtlich verfaßterund durch seine hierarchischen Organe im Innern und nach außen handelnder gesellschaftlicher Verband und aufgrundder Stiftung der Kirche durch ihren Herrn Jesus Christus zugleich auch vorgegebene und der menschlichen und damit auch der kirchlichen Verfügbarkeit entzogene rechtliche Institution. Die Kirche ist nach dem Ausweis ihrer Geschichte von jeher einer doppelten Versuchung und Gefährdung ausgesetzt, nämlich einerseits einer Wirklichkeits- und realitätsfremden Spiritualisierung und Mystifizierung und andererseits einer den Geist ertötenden Verrechtlichung. Diese im Wesen der Kirche grundgelegte und unaufhebbare dialektische Spannung, die wiederholt auch in der falschen Antithese einer Rechts- und Liebeskirche thematisiert worden ist, 13 muß von der Kirche angenommen und durch alle Zeiten ihrer Geschichte durchgetragen werden. Immer wieder ist die Kirche und insbesondere der kirchliche Gesetzgeber aufgerufen, hier die richtige Mitte zu finden. Die Kirche ist, nicht im Sinne einer nur äußerlichen und rein additiven Zusammenfügungzweier heterogener Elemente, sondern im Sinne einer wesensmäßigen und daher notwendigen Identität, gleichermaßen n Vgl. zum Ganzen Winfried Aymans, Die Kirche- Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbKathKR, S. 3-11. 12 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium", Art. 8. 13 Gegen eine falsche Dichotomie von "Liebeskirche" und "Rechtskirche" im Kirchenverständnis hat sich in dezidierter Weise bereits Papst Pius XII. gewandt in der Enzyklika Mystici Corporis vom 29. 6. 1943; in: Acta Apostolicae Sedis 35 (1943), S. 224.

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Heilsgemeinschaft und rechtlich verfaßte Gesellschaft. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt hierzu wörtlich: "Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der Geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst." 14 Von dieser Kirche, die in der Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet ist, erklärt das Konzil, daß sie in der katholischen Kirche verwirklicht ist, die vom Nachfolger Petri und den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. 15 Die Praefatio, die Vorrede zum Codex Iuris Canonici von 1983, begründet die Notwendigkeit der Existenz eines Strafrechts in der Kirche damit, daß die Kirche als in der Außenwelt existierende, sichtbare und unabhängige Gesellschaft - societas externa, visibilis et independens - auf ein Strafrecht nicht verzichten kann. 16 Obwohl das Kirchenrecht geistliches Recht im Dienste der Kirche und ihres Verkündigungs- und Heilsauftrags ist, folgt aus der Tatsache, daß die Kirche ein hierarchisch verfaßter gesellschaftlicher Verband ist, daß das Kirchenrecht phänomenologisch weithin die gleiche rechtliche Struktur aufweist wie das staatliche Recht. Die Kanones des Codex Iuris Canonici haben daher für Katholiken, um noch einmal Hans Barion zu zitieren, "genau die gleiche, nicht vereinsmäßige, sondern hoheitliche, nicht anerkennungsbedürftige, sondern vorgegebene Autorität wie die Sätze des staatlichen Rechts für die Staatsbürger" .17 Von einem ganz anderen Kirchenverständnis, darauf soll hier ausdrücklich hingewiesen werden, geht Rudolph Sohm aus, der im Anschluß an die Ekklesiologie Martin Luthers zwischen der unsichtbaren und der sichtbaren Kirche unterscheidet. Die eigentliche Kirche, die Kirche der wahrhaft Gläubigen, ist für Sohm die unsichtbare Kirche. In seinem Beitrag "Weltliches und geistliches Recht" in der Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für Karl Binding zum 7. August 1913 hat Sohm seinen Kirchenbegriff und sein Kirchenrechtsverständnis in wenigen prägnanten Sätzen zusammengefaßt. "Für die unsichtbare 14 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium", Art. 8. 15 Ebd. 16 Codex Iuris Canonici, Praefatio, in: Acta Apostolicae Sedis 75 (1983), Pars li, S. XXIII. 17 Hans Barion, Art. Kirchenrecht. I. Wesen und Rechtsquellen. A. Kath. Kirche, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1506.

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Kirche gibt es", wie Sohm erklärt, "keine äußere Ordnung, d. h. alle äußere Ordnung, wie sie auch sei, ist religiös gleichgültig, ist nur weltlich erheblich und fällt daher unter die weltliche Obrigkeit. Aus den im Schoße der sichtbaren Christenheit lebendigen religiösen Kräften heraus kann nur eine auf freiwillige Unterwerfung begründete 'politie' erzeugt werden, die weder religiöse noch rechtliche Verbindlichkeit besitzt, deren Bestand ausschließlich auf den durch christliche Liebe bestimmten freien Willen angewiesen ist. Wer das Amt der Schlüssel verwaltet, wird regelmäßig auch zu dem Urteil über die beste Art äußerer Ordnung berufen sein. Aber die etwa von ihm entworfene ,Kirchenordnung' ist ohne Rechtsgeltung. Sie ist bloß 'menschliche', religiös gleichgültige Ordnung und darum ohne die Kraft geistlichen (göttlichen) Rechts. " 18 Im Unterschied zu diesem Kirchen- und Kirchenrechtsverständnis von Rudolph Sohm hat das Zweite Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitution "Lumen Gentium" über die Kirche die starke Betonung des geistlichen Lebens und Charakters der Kirche und ihrer übernatürlichen Sendung als "Leib Christi" im ersten Kapitel dieser Konstitution und als "Volk Gottes" in ihrem zweiten Kapitel mit dem Verständnis der Kirche als einer auf göttlicher Stiftung und apostolischer Sukzession beruhenden "hierarchisch verfaßten Gesellschaft" societas hierarchice ordinata - 19 im dritten Kapitel verbunden. Das Konzil war mit Erfolg bemüht, in seiner Ausdrucksweise dem theologischen Verständnis und Empfinden der Gegenwart zu entsprechen. Es steht dabei in seinen wesentlichen Aussagen in Kontinuität zu den früheren Erklärungen des kirchlichen Lehramts und auch zur Kirchenrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Bestimmungen, Aussagen und Postulate des Codex Iuris Canonici von 1983 zur individuellen freien religiösen Betätigung der Gläubigen und ebenso zum freien Wirken der katholischen Kirche müssen im einzelnen interpretiert werden im Lichte der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, und hier insbesondere der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute und der "Erklärung über die Religionsfreiheit".

1a Rudolph Sohm, Weltliches und geistliches Recht, in: Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Karl Binding zum 7. August 1913, München und Leipzig 1914, S. 58 f. 19 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium", Art. 8; ebenso ebd., Art. 20; ebenso ferner in: Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et Spes", Art. 40.

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m. Göttliches und rein kirchliches Recht An zahlreichen Stellen enthält der Codex Iuris Canonici in variierenden terminologischen Formulierungen Aussagen darüber, daß einzelne Rechtsnormen auf göttlicher Anordnung beruhen und deshalb in ihrem Wesensgehalt der Verfügung durch den kirchlichen Gesetzgeber entzogen sind. Einige dieser Bestimmungen, von denen der Kodex erklärt, daß sie auf dem ius divinum beruhen, sind auch für das Verhältnis von Kirche und Staat von zentraler Bedeutung. Es ist hier z. B. auf die später im einzelnen zu behandelnde Bestimmung des can. 113 § 1 hinzuweisen, in dem ausgesagt ist, daß der Apostolische Stuhl und die katholische Kirche aufgrund göttlicher Anordnung - ex ipsa ordinatione divina - den Charakter einer juristischen Person besitzen. Damit ist ausgeführt, daß dem Apostolischen Stuhl und der katholischen Kirche Rechtsfähigkeit kraft göttlicher Anordnung zukommt. Die auf göttlichem Recht beruhenden Normen des kanonischen Rechts sind für den kirchlichen Gesetzgeber - im Unterschied zum rein kirchlichen Recht, dem ius mere ecclesiasticum - nicht reversibel. Sie können in ihrem Wesensgehalt nicht verändert werden. Jedoch muß hierbei unterschieden werden zwischen dem jeweiligen dogmatischen Aussagegehalt eines Glaubenssatzes, insoweit er Bestandteil der göttlichen Offenbarung ist, d. h. dem Offenbarungsrecht als der göttlichen Grundverfügung, die der kirchlichen Rechtsetzung vorgegeben ist, und der konkreten geschichtlich bedingten rechtssatzmäßigen Ausformung durch den kirchlichen Gesetzgeber. Wie Karl Rahner hierzu ausgeführt hat, ist das göttliche Recht in seiner Erkenntnis durch das kirchliche Lehramt und die einzelnen Gläubigen und der "aktualisierenden Entfaltung seiner ontologischen Grundlagen" den geschichtlichen Prozessen, zu denen auch die Dogmengeschichte gehört, unterworfen. 2 Für das Kirchenrecht ergibt sich hieraus -und Analoges gilt für alle Glaubenssätze -, daß das göttliche Recht in einem kirchlichen Rechtssatz immer in geschichtlicher Konkretheiterscheint und durch geschichtlich veränderliche Umstände bedingt ist, zu denen auch die freien menschlichen Entscheidungen mit Einschluß derjenigen des kirchlichen Lehramts und des kirchlichen Gesetzgebers gehören. Daraus folgt, daß Rechtssätze göttlichen Rechts nicht mit dem göttlichen Recht an sich identisch sind, sondern immer zugleich göttlich-menschliches Recht, d. h. Versuche darstellen, das geoffenbarte ius divinum in

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2o Karl Rahner, Art. Recht, Göttliches Recht und menschliches Recht, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. 8, Freiburg/Br. 1963, Sp. 1033; vgl. ferner ders., Über den Begriff des "ius divinum" im katholischen Verständnis, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. V, Einsiedeln-Zürich-Köln 1962, s. 249-277.

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einer konkreten kirchengeschichtlichen Epoche in Rechtsnormen zu kleiden. Jeder Rechtssatz göttlichen Rechts enthält somit immer auch historisch bedingte menschliche Elemente. Unbeschadet dieser historischen Einkleidung ist der Rechtssatz aber seinem Wesensgehalt nach ius divinum und insoweit der Verfügbarkeit des kirchlichen Gesetzgebers entzogen.

IV. Die einzelnen Aussagen des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis von Kirche und Staat 1. Der Konkordatsvorbehalt des can. 3 CIC

Die erste bedeutsame Aussage des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis von Kirche und Staat befindet sich ganz zu Anfang des Kodex, und zwar unter den Bestimmungen über seinen Geltungsbereich. Diese Bestimmung enthielt in wörtlich identischer Form auch bereits der Codex Iuris Canonici vom Jahre 1917. Nach can. 3 heben die Kanones des Kodex die vom Apostolischen Stuhl mit Nationen oder anderen politischen Gemeinschaften eingegangenen Vereinbarungen weder ganz noch teilweise auf; diese Vereinbarungen gelten daher- wie bisherohne die geringste Einschränkung durch entgegenstehende Vorschriften des neuen Kodex unverändert fort. Can. 3 des Kodex statuiert damit den unbedingten Vorrang der Konkordate, d. h. der zweiseitigen völkerrechtlichen Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und den Staaten, die eine dauernde Regelung sämtlicher oder auch nur eines Teiles der die beiden Konkordatspartner gemeinsam berührenden Angelegenheiten zum Ziel haben, 21 vor dem allgemeinen Kirchenrecht, wie es im Codex Iuris Canonici enthalten ist. Die Kirche hat sich, wie z. B. Papst Leo XIII. in einem historisch berühmten Schreiben an die Bischöfe und Katholiken Frankreichs im Jahre 1892, stets darauf berufen, daß die Konkordate-trotz vieler Konkordatsbrüche aufseitender staatlichen Partner- "vom Heiligen Stuhl immer getreu eingehalten worden sind". 22 Die katholische Kirche sieht auch nach dem Zweiten 21 Zum Begriff sowie zur kirchenrechtlichen und rechtspolitischen Bedeutung der Konkordate vgl. im einzelnen Paul Mikat, Konkordat, in: ders., Religionsrechtliche Schriften, Bd. 1, Berlin 1974, S. 445-458; Klaus Mörsdorf, Art. Konkordat, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. 6, Freiburg/Br. 1961, Sp. 454-459; Ulrich Scheuner, Art. Konkordat, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., Stuttgart 1975, Sp. 1365-1370; Alexander Hollerbach, Art. Konkordat (seit 1801), in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1070-1074. 22 Leo XIII., Enzyklika "Au milieu des sollicitudes" vom 16. 2. 1892 an die Erzbischöfe, Bischöfe und alle Katholiken Frankreichs, in: Acta Sanctae Sedis 24 (1891/92), S. 527; ebenso in: Leonis XIII Pontificis Maximi Acta, Bd. 12, Rom

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Vatikanischen Konzil den wünschenswerten und besten Weg zur Regelung gemeinsam berührender Angelegenheiten und zur dauernden Lösung schwebender und umstrittener Fragen zwischen Kirche und Staat in der friedlichen Verständigung, wie sie auch sonst zwischen souveränen Mächten angestrebt wird und in den Konkordaten seit jeher Ausdruck gefunden hat. Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Italien vom 18. Februar 1984 zur Revision des Laterankonkordats vom Jahre 1929 ist hier erneut ein signifikantes Beispiel. 23 2. Bestimmungen des Codex Iuris Canonici zum Verfassungsrecht der Kirche

a) Im kirchlichen Verfassungsrecht kommt im Ensemble der Aussagen über das Verhältnis von Kirche und Staat der bereits erwähnten Bestimmung des can. 113 § 1 eine zentrale Stellung zu. Mit kaum mehr zu überbietender Deutlichkeit bringt der kirchliche Gesetzgeber hier die Eigenständigkeit der Kirche und ihrer Rechtsordnung gegenüber jedem Staatswesen zum Ausdruck, wenn er erklärt, daß die katholische Kirche und der Apostolische Stuhl kraft göttlicher Anordnung ex ipsa ordinatione divina - den Charakter einer juristischen Person moralis personae rationem - besitzen. 24 Der Begriff "Apostolischer Stuhl" bzw. "Heiliger Stuhl" wird in can. 361 näher bestimmt; danach ist unter dieser Bezeichnung nicht nur der Papst zu verstehen, sondern auch, sofern sich nicht aus der Natur der Sache oder aus dem Kontext offensichtlich etwas anderes ergibt, das Staatssekretariat, der Rat für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche und andere Einrichtungen der Römischen Kurie, mithin alle obersten Organe der katholischen Kirche, die im Auftrag des Papstes handeln und deren sich der Papst bei der Verwaltung der Kirche bedient. Der Kodex von 1983 übernahm hierbei wörtlich die Formulierung des can. 100 § 1 CIC/ 1893 (Neudruck Graz 1971), S. 37; abgedr. auch in: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Hrsg. von Arthur Utz und Brigitta Gräfin von Galen, Bd. 3, Aachen 1976, S. 2375. 23 Wortlaut des "Accordo di revisione del Concordato Lateranense" vom 18. 2. 1984 in: L'Osservatore Romano, Ausgabe vom Sonntag, 19. Februar 1984, s. 2. 24 Zur Bedeutung der Begriffe "persona moralis" und "persona iuridica" im CIC von 1983 vgl. Helmut Schnizer, Allgemeine Fragen des kirchlichen Vereinsrechts, in: HdbKathKR, S. 454 f. Die Aussage des can. 113 § 1, daß die katholische Kirche und der Apostolische Stuhl aufgrund göttlicher Anordnung den Charakter einer persona moralis haben, wurde erst in der allerletzten Phase der Redaktionsarbeiten in den CIC von 1983 eingefügt. Sie findet sich in wortgleicher Form in can. 100 § 1 des CIC von 1917 und wurde von dort 1n den CIC von 1983 übernommen.

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1917.25 In dieser Aussage bringt die katholische Kirche nicht nur das kirchenrechtliche und zugleich fundamentaltheologische Verständnis zum Ausdruck, daß Christus die Kirche frei und unabhängig von jeder weltlichen Autorität errichtet hat; in diese Aussage ist auch eingeschlossen, daß Christus der Kirche alle Rechte verliehen hat, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Welche Rechte dies im einzelnen sind, kann die Kirche entsprechend ihrer Souveränität jeweils nur selbst verbindlich bestimmen. 26 b) Für die rechtliche Vertretung der katholischen Kirche nach außen und damit für die Beziehungen der Kirche zur Staatenwelt sind von grundlegender Bedeutung die zentralen kirchenverfassungsrechtlichen Bestimmungen über die beiden Träger der obersten Leitungsgewalt in der Kirche, nämlich über den Papst und das Bischofskollegium. Nach can. 331 verfügt der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom Herrn allein dem Petrus übertragene und seinen Nachfolgern vermittelte Amt fortdauert, als Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden kraft seines Amtes über die höchste, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann. 27 Nach can. 336 ist auch das Bischofskollegium, dessen Haupt der Papst ist, und zwar zusammen mit seinem Haupt und niemals ohne dieses Haupt, ebenfalls Träger höchster und voller Gewalt im Hinblick auf die Gesamtkirche. 28 Nur der Papst und das Bischofskollegium sind somit legitimiert, die katholische Kirche nach außen zu vertreten und z. B. namens der katholischen Kirche Verträge abzuschließen oder auf andere Weise in ihrem Namen rechtserheblich zu handeln. c) Die Kirche nimmt für sich, unabhängig von jeder staatlichen Gewalt, und zwar unter Berufung auf göttliche Anordnung, das Recht in Anspruch, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu regeln. Can. 129 § 1 erklärt hierzu, daß es in der Kirche aufgrundgöttlicher Einsetzung eine Leitungsgewalt- potestas regiminis - gibt, die auch Jurisdiktionsgewalt - potestas iurisdictionis - genannt wird. In einer bemerkenswerten Analogie zu den Aussagen moderner StaatsverfasVgl. hierzu Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 6), S. 202 ff. Näheres bei Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 8), S. 165; ferner bei Heribert Franz Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls. Dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen, Berlin 1975, S. 421 f. 27 Vgl. hierzu im einzelnen Rene Metz, Der Papst, in: HdbKathKR, S. 252266. 28 Siehe hierzu Hubert Müller, Die Träger der obersten Leitungsvollmacht, in: HdbKathKR, S. 248-252; Konrad Hartelt, Das Ökumenische Konzil, in: HdbKathKR, S. 266-272. 25

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sungen erklärt hierzu can. 135 § 1: "Die Leitungsgewalt wird unterschieden in gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt"- Potestas regiminis distinguitur in legislativam, exsecutivam et iudicalem -.Im Unterschied zu der Gewaltenteilung in der modernen repräsentativen Demokratie kennt das kanonische Recht, nach dem die gesamte oberste Leitungsgewalt beim Papst liegt, keine Gewaltentrennung, wohl aber eine Gewaltenunterscheidung. In der Praxis wird auch in der katholischen Kirche die verwaltende Tätigkeit und die Rechtsprechung, soweit diese nicht in seltenen Fällen vom Papst unmittelbar persönlich wahrgenommen wird, von getrennten Organen ausgeübt. 29 d) Es stellt einen Ausfluß der kirchlichen Leitungsgewalt dar, wenn die Kirche auf dem Gebiete der kirchlichen Verwaltung für sich die volle und uneingeschränkte Ämterhoheit beansprucht. Nach can. 232 hat die Kirche die Pflicht und auch das eigene und ausschließliche Recht - ius proprium et exclusivum -, die Anwärter auszubilden, die für die geistlichen Ämter bestimmt sind. Ohne kanonische, d. h. den Vorschriften des kanonischen Rechts entsprechende Amtsübertragung kann gemäß can. 146 ein Kirchenamt nicht gültig erlangt werden. Sofern im kanonischen Recht nicht ausdrücklich etwas anderes festgelegt ist, ist es gemäß can. 157 Sache des Diözesanbischofs, im Wege freier Amtsübertragung die Kirchenämter in der eigenen Teilkirche zu besetzen. Wie bereits erwähnt, bleiben jedoch gemäß can. 3 abweichende, in Konkordaten zugesicherte Rechte und gemäß can. 4 auch sog. "wohlerworbene Rechte", sog. "iura quaesita ", und Privilegien, die vom Apostolischen Stuhl bislang physischen oder juristischen Personen gewährt worden sind, z. B. Präsentationsoder Nominationsrechte, wie sie mit Patronatsrechten verbunden sind, bestehen, sofern das kanonische Recht nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. 30 Nicht mehr aufrechterhalten wird im Codex Iuris Canonici von 1983 der noch in can. 120 des Kodex von 1917 enthaltene Anspruch auf einen ausschließlichen Gerichtsstand für Kleriker vor einem kirchlichen Gericht, das sog. privilegium fori. Dieser Anspruch, der in einem sehr angesehenen und weitverbreiteten neueren Lehrbuch des Kirchenrechts damit begründet wurde, daß es ungeziemend sei, daß Laien über Geistliche richten, 31 und der sich ursprünglich ebenso auf die Zivil29 Über die drei Funktionen der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als Bestandteile der Leitungsgewalt der Kirche vgl. bei Joseph Listl, Die Rechtsnormen, in: HdbKathKR, S. 83 ff. 30 Zum kirchlichen Amtsrecht vgl. die Ausführungen bei Georg May, Das Kirchenamt, in: HdbKathKR, S. 141-153. 31 Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 6), S. 254.

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wie auf die Strafgerichte erstreckte, war bereits seit dem 19. Jahrhundert in den meisten Staaten für die Kirche nicht mehr durchsetzbar. 32 Ebenso ist der apodiktisch formulierte can. 121 des Kodex von 1917, in dem die Kirche für die Kleriker das sog. privilegium immunitatis, die Freistellung der Kleriker von der Militärdienstpflicht und vor allem vom Dienst mit der Waffe gefordert hat, im Kodex von 1983 nicht mehr enthalten. 33 Die Kirche ist aber nach wie vor äußerst bemüht, in Konkordaten die Befreiung der Kleriker vom Dienst mit der Waffe und auch der Theologiestudenten vom Wehrdienst überhaupt zu erreichen. Der Kodex von 1983 untersagt es den Klerikern und den Kandidaten für die heiligen Weihen in can. 289 mit der Begründung, daß der Militärdienst dem klerikalen Stand weniger angemessen ist, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden; dies darf nur mit Erlaubnis des zuständigen Ordinarius geschehen. Ferner werden die Kleriker verpflichtet, die Befreiungsmöglichkeiten von der Ausübung von Aufgaben und öffentlichen Ämtern, die dem klerikalen Stand fremd sind, wahrzunehmen, soweit sie ihnen weltliche Gesetze und Vereinbarungen oder das Gewohnheitsrecht gewähren, es sei denn, daß der eigene Ordinarius in einzelnen Fällen anders entschieden hätte. e) Das Recht der Bischofsernennung spielte seit dem frühen Mittelalter, wie die Geschichte des Staatskirchenrechts ausweist, in den Beziehungen und Auseinandersetzungen zwischen den Staaten und der Kirche stets eine besondere Rolle. 34 Weithin hat die katholische Kirche während der vergangenen 150 Jahre auf Weltebene den Abbau staatlicher Mitbestimmungsrechte bei der Ernennung der Bischöfe erreicht. 35 Die katholische Kirche ist entschlossen, überall in der Welt

32 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß auch die herkömmlichen geistlichen Standesvorrechte des privilegium canonis (vgl. can. 119 des CIC von 1917), das die Angehörigen des geistlichen Standes unter einen besonderen strafrechtlichen Schutz gegen tätliche Angriffe (sog. Realinjurien) stellte, und des privilegium competentiae (vgl. can. 122 des CIC von 1917), das für Kleriker im Interesse der Sicherung ihres notwendigen Lebensunterhaltes einen besonderen Pfändungsschutz im Falle der Zwangsvollstreckung vorsah, im CIC von 1983 nicht mehr enthalten sind. Vgl. zu diesen beiden Privilegien bei Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 6), S. 253 f. und S. 256. Zum Pfändungsschutz der Kleriker bestimmt Art. 8 des Reichskonkordats vom 20. 7. 1933, daß das Amtseinkommen der Geistlichen in gleichem Maße von der Zwangsvollstreckung befreit ist wie die Amtsbezüge der Reichs- und Staatsbeamten. 33 Zumprivilegiumfori im CIC von 1917 vgl. bei Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. 1 (Anm. 6), S. 255 f. 34 Zum mittelalterlichen Investiturstreit vgl. Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König (= Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd. 28), Stuttgart 1981.

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noch bestehende staatliche aktive Mitwirkungsrechte bei der Bischofsernennung zu beseitigen. In dieser Hinsicht bestimmt daher can. 377 § 1: "Der Papst ernennt die Bischöfe frei oder bestätigt die rechtmäßig Gewählten." Bei den hier genannten "rechtmäßig Gewählten" ist an die katholischen orientalischen Kirchen zu denken, in denen seit jeher das Recht zur Wahl des Patriarchen den Bischöfen des Patriarchats zustehe6 und auch die Bischöfe in der Regel von den zur Wahlsynode versammelten Residenzial- und Titularbischöfen des Patriarchats gewählt werden, wobei Vorbereitung und Leitung der Wahl in der Hand des Patriarchen liegen. 37 Besonderes Gewicht kommt in dieser Hinsicht der Bestimmung des can. 377 § 5 zu, der entsprechend den Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils bestimmt, daß in Zukunft weltlichen Autoritäten keine Rechte und Privilegien in bezugauf Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation von Bischöfen eingeräumt werden. 38 Das in Deutschland- mit Ausnahme von Bayern, wo dem Papst das Recht der freien Bischofsernennung zusteht - bestehende System des Bischofswahlrechts der Domkapitel, die aus einem ihnen vom Papst unterbreiteten Dreiervorschlag einen Kandidaten auszuwählen haben, steht nicht in direktem Widerspruch zu can. 377 § 5, da dieser nur weltliche Autoritäten für die Zukunft von der Zuerkennung dieses Rechts ausschließt. 39 35 Über die in der Gegenwart noch bestehenden staatlichen Präsentationsund Nominationsrechte vgl. die Zusammenstellung bei Jean-Louis Harouel, Les designations episcopales dans le droit contemporain. Preface de Jean Gaudemet, Paris 1977, S. 30ff. 36 Franz Xaver Sieß, Die Patriarchalverfassung der Unierten Kirche, Jur. Diss. Erlangen 1959, S. 37 ff. 37 Klaus Mörsdorf, Art. Bischof 111 5 b, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. 2, Freiburg/Br. 1958, Sp. 504; vgl. hierzu auch die bedeutsame Arbeit von Wilhelm de Vries, Rom und die Patriarchate des Ostens, Freiburg I München 1963, bes. S. 247-300: Die Haltung Roms gegenüber der Autonomie der Patriarchate im zweiten Jahrtausend. 38 Die Formulierung des can. 377 § 5 ist weithin wörtlich dem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche "Christus Dominus" des Zweiten Vatikanischen Konzils entnommen. Die betreffende Stelle aus Art. 20 dieses Dekrets hat folgenden Wortlaut: "Um daher die Freiheit der Kirche in rechter Weise zu schützen und das Wohl der Gläubigen besser und ungehinderter zu fördern, äußert das Heilige Konzil den Wunsch, daß in Zukunft staatlichen Obrigkeiten keine Rechte oder Privilegien mehr eingeräumt werden, Bischöfe zu wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen. Die staatlichen Obrigkeiten aber, deren Wohlwollen gegenüber der Kirche die Heilige Synode dankbar anerkennt und hochschätzt, werden freundliehst gebeten, sie mögen auf die genannten Rechte oder Privilegien, die sie gegenwärtig durch Vertrag oder Gewohnheit genießen, nach Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl freiwillig verzichten."

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f) Eine für die Beziehungen der katholischen Kirche zu den Staaten besonders bedeutsame Erscheinungsform des kirchlichen Ämterwesens sind schließlich die päpstlichen Legaten. Hierzu erklärt can. 362, daß dem Papst das angeborene und unabhängige Recht - ius nativum et independens - zusteht, seine Gesandten zu ernennen und zu den Teilkirchen in den verschiedenen Nationen oder Regionen wie auch zugleich zu den Staaten und öffentlichen Autoritäten zu entsenden, desgleichen sie zu versetzen oder abzuberufen, allerdings unter Wahrung der N armen des internationalen Rechts, soweit es die Entsendung oder Abberufung von Gesandten bei den Staaten betrifft. Der Kodex von 1983 trägt den modernen Entwicklungen hinsichtlich der Bildung internationaler Organisationen Rechnung, wenn er in can. 363 § 2 bestimmt, daß den Apostolischen Stuhl auch jene vertreten, die in päpstlicher Mission als Delegaten oder Beobachter zu internationalen Räten oder zu Konferenzen und Versammlungen abgeordnet werden. 40 3. Der Auftrag der Kirche zur Glaubensverkündigung

Eine sehr grundsätzliche Aussage, die ausdrücklich auch das Verhältnis der Kirche zu den Staaten anspricht, enthält der einleitende can. 747 zum Buch III des Codex Iuris Canonici über den Verkündigungsdienst der Kirche. Die Kirche bezeichnet es darin als ihre Pflicht und ihr angeborenes Recht, auch unter Einsatz eigener sozialer Kommunikationsmittel, unabhängig von jeder menschlichen Gewalt - a qualibet humana potestate independens - allen Völkern das Evangelium zu verkündigen. In nahezu wörtlicher Übereinstimmung mit Aussagen der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute und in der Erklärung über die Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanischen Konzils 41 nimmt die Kirche in can. 747 § 2 auch einen theologisch begründeten, jedoch inhaltlich begrenzten Öffentlichkeitsauftrag in Anspruch: Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen wie auch über menschliche Dinge jeder Art zu urteilen, soweit Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern. In Anbetracht der Grenzen, die hier dem kirchlichen Öffentlichkeitsauf39 Über die Bestellung der Diözesanbischöfe im deutschsprachigen Raum vgl. Heribert Schmitz, Der Diözesanbischof, in: HdbKathKR, S. 337 ff.; ferner Richard Puza, Die Dom- und Stiftskapitel, in: HdbKathKR, S. 376-380. 40 Zum päpstlichen Legationswesen s. den Beitrag von Paul Mikat, Die päpstlichen Gesandten, in: HdbKathKR, S. 295-301. 41 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et Spes", Art. 40-45 und 76; Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae", Art. 4.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

trag gezogen werden, dürfte dem Codex Iuris Canonici eine Legitimation der Kirche zu einem Engagement z. B. für oder gegen den Ausbau der Startbahn West des Flughafens in Frankfurt am Main mit Sicherheit nicht zu entnehmen sein. 4. Kirche und Schule

a) Ablehnung des staatlichen Schulmonopols Einen besonders sensiblen Bereich im Verhältnis der Kirche zu den Staaten bilden die ebenfalls in Buch III über den Verkündigungsdienst der Kirche enthaltenen Normen über das Schul- und Erziehungswesen. Die Kirche ist sich dabei bewußt, daß diese Normen in weiten Teilen der Welt, insbesondere in den totalitären Staaten jeder Richtung, reine Postulate darstellen. Dies schreckt, wie auch in anderen Fällen, die Kirche jedoch nicht davon ab, für die Freiheit einzutreten. Unter Ablehnung jedes staatlichen Schulmonopols verpflichtet die Kirche die katholischen Eltern zur katholischen Erziehung ihrer Kinder. Sie erklärt, daß die katholischen Eltern die Pflicht und das Recht haben, die Mittel und Einrichtungen zu wählen, mit denen sie je nach den örtlichen Verhältnissen besser für die katholische Erziehung ihrer Kinder sorgen können (can. 793 § 1). Indirekt fordert der Kodex eine staatliche Subventionspflicht für die freien Schulen, wenn in can. 793 § 2 erklärt wird, daß die Eltern auch das Recht haben, jene vom Staat zu leistenden Hilfen in Anspruch zu nehmen, die sie für die katholische Erziehung ihrer Kinder benötigen. Nicht die staatliche Einheitsschule, sondern ein plurales Schulwesen, in dem freie Schulen in Koexistenz und Konkurrenz zu den öffentlichen Schulen stehen, betrachtet die Kirche in ihrer Gesetzgebung als den wünschenswerten und einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft gemäßen Zustand. In diesem Sinne fordert can. 797, daß die Eltern in der Wahl der Schule wirklich frei sein müssen; daher erklärt der Kodex die Gläubigen für verpflichtet, darum besorgt zu sein, daß der Staat den Eltern diese Freiheit zuerkennt und sie unter Wahrung der austeilenden Gerechtigkeit - iustitia distributiva - auch durch Zuweisung entsprechender Mittel schützt (can. 797). 42 Die Kirche nimmt auch für sich 42 Can. 797 CIC ist weithin der Erklärung über die christliche Erziehung "Gravissimum educationis" des Zweiten Vatikanischen Konzils entnommen. In Art. 6 dieser Erklärung fordert das Konzil: "Die Eltern, die zuerst und unveräußerlich die Pflicht und das Recht haben, ihre Kinder zu erziehen, müssen in der Wahl der Schule wirklich frei sein. Die Staatsgewalt, deren Aufgabe es ist, die bürgerlichen Freiheiten zu schützen und zu verteidigen, muß zur Wahrung der

Der CIC zum Verhältnis von Kirche und Staat

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selbst das Recht in Anspruch, Schulen jedweden Wissenszweiges, jeder

Art und Stufe zu gründen und zu leiten (can. 800).

b) Der Religionsunterricht Der Religionsunterricht und die katholische religiöse Erziehung, die in den Schulen jeglicher Art vermittelt oder in den verschiedenen sozialen Kommunikationsmitteln geleistet werden, unterstehen der kirchlichen Autorität (can. 804). Der Kodex verpflichtet den Ortsordinarius, um die Anstellung von Religionslehrern besorgt zu sein, die sich durch Rechtgläubigkeit, durch das Zeugnis christlichen Lebens und durch pädagogisches Geschick auszeichnen (can. 804 § 2). Wer immer im Namen der Kirche eine Lehrtätigkeit in katholischer Religion ausübt, bedarf hierzu eines besonderen kirchlichen Sendungsauftrages (Missio canonica). Daher hat der Ortsordinarius für seine Diözese das Recht, die Religionslehrer zu ernennen bzw. zu approbieren und sie, wenn es aus religiösen oder sittlichen Gründen erforderlich ist, abzuberufen bzw. ihre Abberufung zu verlangen (can. 805).

c) Besondere Beauftragung für Lehrer der Theologie Ebenso bedürfen Lehrer der Theologie, die an einer Hochschule eine theologische Disziplin vertreten, gemäß can. 812 hierzu eines Auftrags - mandatum-der zuständigen Autorität. 5. Eherecht

Das Eherecht zählte im Zeitalter des konfessionellen Staates zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Kirche und Staat, zu den sog. res mixtae im hergebrachten kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Sinn. Nicht zuletzt auch wegen des divergierenden theologischen Eheverständnisses der katholischen Kirche und der Kirchen der Reformation hat sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung der Neuzeit in vielen Staaten die staatliche Gesetzgebung völlig von der Bindung an das kirchliche Eherecht gelöst. Die staatliche und die kirchliche Eherechtsordnung fielen damit auseinander.

,austeilenden Gerechtigkeit' darauf sehen, daß die öffentlichen Mittel so ausgegeben werden, daß die Eltern für ihre Kinder die Schulen nach ihrem Gewissen wirklich frei wählen können."

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Die katholische Kirche hält dessenungeachtet an ihrem Eherecht für ihre Gläubigen fest. 43 Nach der Lehre der katholischen Kirche ist der Ehebund zwischen Getauften eines der sieben von Jesus Christus eingesetzten Sakramente; deshalb kann es, wie can. 1055 § 2 erklärt, zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben, ohne daß dieser zugleich Sakrament ist. Für die Gültigkeit des Eheabschlusses verlangt die Kirche, wenn bei der Eheschließung ein Katholik beteiligt ist, die Beobachtung der für den Eheabschluß vorgeschriebenen kanonischen Eheschließungsform, d. h. der Abschluß der Ehe muß vor dem zuständigen trauungsberechtigten Kleriker als dem Vertreter der Kirche und zwei Zeugen erfolgen. 44 Can. 1059 bestimmt hierzu, daß sich die Ehe von Katholiken, auch wenn nur ein Partner katholisch ist, nicht allein nach dem göttlichen, sondern auch nach dem kirchlichen Recht richtet, unbeschadet der Zuständigkeit der staatlichen Gewalt hinsichtlich der rein bürgerlichen Wirkungen der Ehe. Der Kodex anerkennt damit durchaus ein breites Feld staatlicher Zuständigkeit für die bürgerlichen Wirkungen der Ehe, wie das Namensrecht, das eheliche Güterrecht, das Unterhaltsrecht, das Kindschafts- und Vormundschaftsrecht und schließlich auch das Erbrecht. Bei richtiger Interpretation des can. 1059 ist eine nur kirchliche Eheschließung, bei der der Eintritt der bürgerlichen Wirkungen der Ehe ausgeschlossen werden soll, also der Abschluß einer sog. "hinkenden" kanonischen Ehe, sofern nicht entgegenstehende staatliche Eheverbote oder -hindernisse gegen göttliches Recht verstoßen oder in schwerwiegender Weise Grundrechte der menschlichen Person verletzen, nach dem kanonischen Recht rechtswidrig und daher verboten. Zum Problem der obligatorischen Ziviltrauung, die besser als sog. obligatorische zivile Voraustrauung bezeichnet werden sollte, wie sie 43 Zum kirchlichen Eherecht vgl. die Beiträge von Matthäus Kaiser, Hartmut Zapp, Bruno Primetshofer, Heribert Heinemann, Karl-Theodor Geringer, Heinrich Flatten (sowie zum staatlichen Eherecht Paul Mikat), in: HdbKathKR, S. 730-836; ferner Klaus Lüdicke, Eherecht (Codex Iuris Canonici. Canones 1055-1165), Essen 1983; Josef Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorglichen Praxis, Bozen-Würzburg-Innsbruck-Wien 1983; Reinhold Sebott, Das neue kirchliche Eherecht, Frankfurt/M. 1983; Hartmut Zapp, Kanonisches Eherecht. Begr. von Ulrich Mosiek. 6., völlig neubearb. Aufl., Freiburg/Br. 1983. 44 Nach can. 1112 § 1 kann der Diözesanbischof dort, wo Priester und Diakone fehlen, aufgrund einer vorherigen empfehlenden Stellungnahme der Bischofskonferenz und nach Erhalt der Erlaubnis des Heiligen Stuhles auch Laien zur Vornahme der Trauung bevollmächtigen. Gemäß can. 1112 § 2 sind hierbei geeignete Laien auszuwählen, die in der Lage sind, den Brautunterricht zu halten und die Liturgie der Eheschließung in rechter Weise zu feiern.

Der CIC zum Verhältnis von Kirche und Staat

1051

in den von dem antikirchlichen Geist der Französischen Revolution beeinflußten Staaten im Gegensatz zu der freiheitlichen Praxis der fakultativen Ziviltrauung im angelsächsischen und nordamerikanischen Rechtsraum vorgeschrieben ist, äußert sich der Codex Iuris Canonici nicht. Die Kirche betrachtet die obligatorische zivile Voraustrauung als eine Erklärung, die lediglich für die rein bürgerlichen Wirkungen der Eheschließung von Bedeutung ist, jedoch für einen Katholiken nicht den Abschluß einer kirchenrechtlich gültigen Ehe begründet.45

6.~rchenverrnögensrecht

Nur wenn der Kirche das Recht zusteht, Vermögen zu erwerben und über dieses frei zu verfügen, kann sie ihre Mission in dieser Welt in Freiheit ausüben. Diese Erfahrung haben der Kirche immer wieder staatliche Amortisationsgesetze, Säkularisationen, Konfiskationen, schikanöse Sammlungsverbote und andere staatliche Eingriffe in das Kirchengut und die kirchliche Vermögensverwaltung vermittelt. Ebenso wie der Kodex von 1917 enthält daher auch der Kodex von 1983, und zwar nunmehr in dem eigenen, dem Kirchenvermögen gewidmeten Buch V, Aussagen, die das Verhältnis der Kirche zum Staat betreffen.46 In dem einleitenden can. 1254 des V. Buches beansprucht die katholische Kirche das angeborene Recht, unabhängig von der staatlichen Gewalt - independenter a civili potestate - Vermögen zur Verwirklichung der ihr eigenen Zwecke zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern. Unter den eigenen Zwecken, zu deren Erreichung in kirchenrechtlich legitimer Weise Kirchenvermögen erworben werden kann, nennt der Kodex vor allem die geordnete Durchführung des Gottesdienstes, die Sicherung des angemessenen Unterhalts des Klerus und der anderen Kirchenbediensteten, die Ausübung der Werke des Apostolats und der Karitas, vor allem gegenüber den Armen (can. 1254 § 2). Der Kodex wendet sich in can. 1259 gegen jede Diskriminierung kirchlicher Einrichtungen auf dem Gebiete des Kirchenvermögens. Als potentielle kirchliche Träger bzw. Eigentümer von Kirchenvermögen nennt der Kodex die Gesamtkirche und den Apostolischen Stuhl, die 45 Zur Frage der obligatorischen Ziviltrauung vgl. u. a. die Ausführungen bei Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 301 ff. 46 Zum kirchlichen Vermögensrecht auf der Grundlage des CIC von 1983 vgl. die Beiträge von Winfried Schulz, Richard Potz, Alexander Hollerbach und Richard Puza, in: HdbKathKR, S. 859-919.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Teilkirchen, d. h. die Diözesen, und jedwede juristische Person, sei sie öffentlich oder privat; sie alle besitzen die Fähigkeit, nach Maßgabe des kirchlichen Rechts Vermögen zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern (can. 1255). Der Kirche steht nicht nur das Recht zu, für ihre eigenen Zwecke Kollekten zu veranstalten; nach can. 1260 hat sie auch das angeborene Recht- ius nativum -,von den Gläubigen diejenigen Zuwendungen zu fordern, die für die ihr eigenen Zwecke notwendig sind. Der Kodex geht generell davon aus, daß der für den Normalfall erforderliche kirchliche Finanzbedarf dadurch gedeckt werden kann, daß die Gläubigen der Kirche die erbetene Unterstützung gewähren, und zwar gemäß den von der Bischofskonferenz erlassenen Normen. Nicht überall dürfte dies jedoch zu befriedigenden Ergebnissen führen. Der Kodex kennt daher auch ein innerkirchliches Besteuerungsrecht. Nach can. 1263 steht dem Bischof das Recht zu, nach Anhörung zweier diözesaner Gremien, nämlich des Vermögensverwaltungsrates und des Priesterrates, für die notwendigen diözesanen Bedürfnisse den seiner Leitung unterstehenden öffentlichen juristischen Personen, d. h. vor allem den Pfarreien, eine maßvolle, ihren Einkünften entsprechende Steuer - moderatum tributum, earum redditibus proportionatum aufzuerlegen. Hierbei handelt es sich um eine rein innerkirchliche Abgabe, die ohne jede Inanspruchnahme der staatlichen Steuerbehörden erhoben werden kann. Im Falle großen Notstandes kann der Bischof, wiederum nach Anhörung der beiden genannten diözesanen Gremien, des Vermögensverwaltungsrates und des Priesterrates, auch den ihm unterstehenden natürlichen und juristischen Personen "eine außerordentliche und maßvolle Abgabe" auferlegen. Für diese Besteuerung verwendet der Kodex in der letztlich allein maßgeblichen lateinischen Originalfassung den Ausdruck extraordinariam et moderatam exactionem imponere ". In ihrer Geltung unberührt bleiben dabei, wie can. 1263 ausdrücklich anmerkt, diejenigen teilkirchlichen Gesetze und das Gewohnheitsrecht, die dem Bischof weitergehende Rechte - potiora iura - einräumen, wie dies etwa bei dem in der Bundesrepublik Deutschland und zum Teil auch in der Schweiz bestehenden Kirchensteuersystem oder dem in Österreich praktizierten Beitragssystem der Fall ist. Für die Rechtsgeschäfte über das Kirchengut sind die zivilrechtliehen Bestimmungen der nationalen Rechtsordnungen anzuwenden. Sie haben für den kirchlichen Bereich dieselbe Geltung, die ihnen im staatlichen Rechtsbereich zukommt. Dadurch, daß das kanonische Recht auf die jeweilige innerstaatliche Gesetzgebung zum Vermögenserwerb verweist und ihr auch für den kirchlichen Bereich Rechtswirk-

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samkeit zuerkennt, werden diese Gesetze zu sog. leges canonizatae, 47 d. h. sie werden insoweit in das kanonische Recht aufgenommen, allerdings mit der bedeutsamen Einschränkung, daß sie nicht dem göttlichen Recht widersprechen und das kanonische Recht nicht abweichende Bestimmungen trifft (can. 1290). Die mit der Vermögensverwaltung betrauten kirchlichen Organe werden in can. 1286 verpflichtet, beim Abschluß von Dienst- und Arbeitsverträgen auch das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens gemäß den von der Kirche überlieferten Grundsätzen zu beachten und denjenigen, die aufgrund eines Vertrages Arbeit leisten, einen gerechten und angemessenen Lohn zu zahlen, so daß sie in der Lage sind, für ihren Bedarf und für die Bedürfnisse ihrer Angehörigen in angemessener Weise aufzukommen. Mit dieser Bestimmung des can. 1286 korrespondiert die Vorschrift des can. 231 in dem Abschnitt über die Pflichten und Rechte der Laien. Can. 231 § 1 bestimmt, daß Laien, die auf Dauer oder auf Zeit für einen besonderen Dienst der Kirche bestellt werden, verpflichtet sind, sich die zur gebührenden Erfüllung ihrer Aufgabe erforderliche Bildung anzueignen und diese Aufgabe gewissenhaft, eifrig und sorgfältig zu erfüllen. Demgemäß haben nach can. 231 § 2 die Laien Anspruch auf eine ihrer Stellung entsprechende angemessene Vergütung, mit der sie, auch unter Beachtung des weltlichen Rechts, für die eigenen Erfordernisse und für die ihrer Familie in geziemender Weise sorgen können. Ferner haben sie Anspruch darauf, daß für ihre Zukunft, ihre soziale Sicherheit und ihre Gesundheit in gebührender Weise vorgesorgt wird. 7. Kirchliches Strafrecht

In der Vorrede zum Codex Iuris Canonici von 1983 wird, wie bereits angemerkt, zum kirchlichen Strafrecht ausgeführt, daß die Kirche als äußere, sichtbare und unabhängige Gesellschaft auf ein Strafrecht nicht verzichten kann. 48

Auf dem Gebiet des kirchlichen Strafrechts49 beansprucht die Kirche das angeborene und eigene Recht - nativum et proprium ius -, straffällig gewordene Gläubige durch Strafmittel zurechtzuweisen 47 In diesem Sinne Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 11. Aufl., Bd. 2, München-Paderborn-Wien 1967, S. 525. 48 Vgl. oben Anm. 16. 49 Zu den Grundfragen des kirchlichen Strafrechts und zu den einzelnen Straftaten im CIC von 1983 vgl. die Beiträge von Richard A. Strigl, in: HdbKathKR, S. 923-950.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

(can. 1311). Als Strafmittel kennt die Kirche erstens Besserungs- und Beugestrafen, nämlich die Exkommunikation, mit der der Ausschluß von den Sakramenten - ausgenommen das Bußsakrament - und der Verlust verschiedener innerkirchlicher Rechte verbunden ist, ferner die Suspension, d. h. die vorläufige Dienst- bzw. Amtsenthebung, und das Interdikt, d. h. die persönliche Gottesdienstsperre. Die Kirche kennt jedoch zweitens auch Sühnestrafen, die sich ganz überwiegend gegen Kleriker richten und mit deren Amtsführung im Zusammenhang stehen (can. 1312 § 1 i. V. m. can. 1336), sowie weitere Sühnestrafen, die einem Gläubigen ein geistliches oder zeitliches Gut entziehen und mit dem übernatürlichen Ziel der Kirche vereinbar sein müssen (can. 1312 § 2). Außerdem kennt das kirchliche Strafrecht Strafsicherungsmittel und Bußen; dabei sollen die Strafsicherungsmittel vor allem Straftaten vorbeugen, die Bußen dagegen eher eine Strafe ersetzen oder verschärfen. Die noch in can. 2198 des Kodex von 1917 enthaltene, aus einer früheren geschichtlichen Epoche herrührende Bestimmung, in der die Kirche das Recht in Anspruch nahm, bei der Verfolgung von ausschließlich kirchlichen Straftaten, sofern sie dies für notwendig oder für angebracht hielt, sich der Hilfe des "weltlichen Armes" zu bedienen, findet sich im Kodex von 1983 nicht mehr. 5° Ebenso sind diejenigen Straftatbestände in Wegfall gekommen, die sich gegen Gläubige gerichtet haben, die gegen kirchliche Entscheidungen an staatliche Instanzen appelliert hatten oder mit Hilfe staatlicher Machtmittel die Tätigkeit kirchlicher Organe zu behindern suchten. Das kirchliche Strafrecht ist heute, mit wenigen Ausnahmen, ein Mittel zur Disziplinierung von Klerikern geworden, die in schwerwiegender Weise gegen ihre Amtspflichten verstoßen haben. Im allgemeinen wird heute von den Normen und Möglichkeiten des kirchlichen Strafrechts in der Kirche nur in sehr geringem Umfang Gebrauch gemacht. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, daß die Diözesanbischöfe unter vielen Rücksichten für ihr Leitungsamt ausgewählt worden sind, etwa ob sie gute Seelsorger, gute Prediger, gute Theologen, gute Verwalter, kurzum gute Hirten sind, nicht jedoch unter der Rücksicht, so Darüber, daß Strafen rein weltlicher Art, wie sie in der Zeit des Früh- und Hochmittelalters von der Kirche nicht selten verhängt worden sind, heute nicht mehr in Betracht kommen, vgl. Richard A. Strigl, Das Funktionsverhältnis zwischen kirchlicher Strafgewalt und Öffentlichkeit, München 1965, S. 64 ff.; vgl. ferner ders., Grundfragen des kirchlichen Strafrechts, in: HdbKathKR, S. 925 ff.; ferner Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 11. Aufl., Bd. 3, München-Paderborn-Wien 1979, S. 313; s. auch Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat (Anm. 8), S. 168.

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ob sie auch gute kirchliche Strafrichter sind. Deshalb schrecken viele Bischöfe häufig vor der Anwendung der Strafgesetze zurück und ziehen statt dessen die Ermahnung und den väterlichen Zuspruch vor. 5 1 8. Die Rechtsprechungsgewalt der Kirche

Schließlich beansprucht die Kircheaufgrund der ihr von ihrem Stifter übertragenen Leitungsgewalt auch die Befugnis zu eigener Rechtsprechung. 52 In dieser Hinsicht bestimmt can. 1401, daß die Kirche kraft eigenen und ausschließlichen Rechts - iure proprio et exclusivo entscheidet erstens in Streitsachen, die geistliche Sachen und damit verbundene Angelegenheiten zum Gegenstand haben, und zweitens über die Verletzung kirchlicher Gesetze sowie über alle sündhaften Handlungen, soweit es dabei um die Feststellung von Schuld im Zusammenhang mit der Verhängung von Kirchenstrafen geht. In diesem Sinne beansprucht die Kirche die ausschließliche Zuständigkeit auf dem Gebiete der kirchlichen Ehegerichtsbarkeit, der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der kirchlichen Strafgerichtsbarkeit und der kirchlichen Disziplinargerichtsbarkeit. In oberster Instanz sind für kirchliche Streitigkeiten dieser Art die päpstlichen Gerichtshöfe der Apostolischen Signatur und der Römischen Rota zuständig. V. Schlußbemerkungen

Es konnten in diesen Darlegungen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, nur die unmittelbaren und bedeutsameren Aussagen des Kodex über das Verhältnis der Kirche zum Einzelstaat und zur internationalen Staatenwelt vorgetragen werden. Es ließen sich, insbe51 Diese Grundhaltung entspricht, freilich nur innerhalb gewisser Grenzen, durchaus dem Geist des Codex Iuris Canonici. Denn can. 1341 bestimmt hinsichtlich der Strafverhängung ausdrücklich, daß der Ordinarius dafür zu sorgen hat, daß der Gerichts- oder der Verwaltungsweg zur Verhängung oder Feststellung von Strafen nur dann zu beschreiten ist, wenn er erkannt hat, daß weder durch mitbrüderliche Ermahnung noch durch Verweis noch durch andere Wege des pastoralen Bemühens ein Ärgernis hinreichend behoben, die Gerechtigkeit wiederhergestellt und der Täter gebessert werden kann. 52 Zur kirchlichen Gerichtsbarkeit und zum kirchlichen Rechtsschutz vgl. im einzelnen die Beiträge von Georg May, Grundfragen kirchlicher Gerichtsbarkeit, Paul Wirth, Gerichtsverfassung und Gerichtsordnung, Paul Wirth, Das Streitverfahren, Heinrich Flatten, Die Eheverfahren, Gerhard Fahrnberger, Die Weiheverfahren, Hans Paarhammer, Das Strafverfahren, und Richard A. Strigl, Verwaltungsbeschwerde und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: HdbKathKR, s. 953-1018.

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

sondere in dem Buch III über den Verkündigungsdienst der Kirche und das kirchliche Bildungs- und Unterrichtswesen, in Buch IV über das Eherecht, in Buch V über das kirchliche Vermögensrecht und in Buch VII über die kirchliche Rechtsprechungsgewalt und das kirchliche Prozeßrecht noch zahlreiche indirekte Aussagen eruieren, die im Sinne von unausgesprochenen, gleichzeitig aber unverzichtbaren Voraussetzungen einen Bezug zum Verhältnis der Kirche zum Staat aufweisen. Der Kodex setzt z. B. unausgesprochen voraus, daß den Bischöfen und allen Gläubigen in den Teilkirchen auf der ganzen Welt das Recht des gegenseitigen und unmittelbaren brieflichen und persönlichen Verkehrs und des Informationsaustausches mit dem Papst bzw. mit dem Heiligen Stuhl und zwischen den Teilkirchen untereinander zusteht.53 Faßt man die Grundaussagen des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis der Kirche zum Staat zusammen, so ist an erster Stelle die Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat und damit auch der wesensmäßige Unterschied zwischen der kirchlichen und der staatlichen Gewalt und dem Recht der Kirche und dem Recht des Staates zu nennen. 54 Aus diesem Wesensunterschied zwischen Kirche und Staat folgt die Eigenständigkeit der kirchlichen gegenüber der staatlichen Gewalt und die gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat. In diesem Sinne erklärt Art. 76 der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums: "Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind je auf ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom." In weithin wörtlicher Übernahme dieses Konzilstextes bestimmt z. B. der Art. 1 des Revisionsvertrags zwischen der Italienischen Republik und dem Heiligen Stuhl vom 18. Februar 1984 zum Laterankonkordat von 1929, daß die Italienische Republik und der Heilige Stuhl erneut bekräftigen, daß der Staat und die katholische Kirche, jeder auf seinem eigenen Gebiet, unabhängig und souverän sind und daß sie sich zur Beachtung dieses Grundsatzes in ihren Beziehungen und zur gegenseitigen Zusammenarbeit im Interesse der Förderung des Menschen und des Wohles des Staates verpflichten. 55 53 Vgl. hierzu die bedeutende Abhandlung von Ulrich Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr, in: HdbStKirchR, Bd. 2, Berlin 1975, S. 299-344. 54 Zur Wesensverschiedenheit von Kirche und Staat, insbesondere auch in den Aussagen des kirchlichen Lehramts, vgl. im einzelnen Joseph Listl, Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: HdbKathKR, s. 1024-1026 mit Anm. 14-24. 55 Zum Revisionsvertrag zwischen der Italienischen Republik und dem Heiligen Stuhl vgl. in diesem Beitrag, oben, Anm. 23.

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Nach der Auffassung der Kirche bestehen der Zweck und die Aufgaben des Staates in der Sorge für das zeitliche Gemeinwohl. Die Kirche entspringt dagegen einem eigenen Wollen Gottes neben und über der natürlichen sozialen Veranlagung des Menschen, wenn auch in vollkommener Harmonie mit ihr. Deshalb ist nach einer Formulierung von Papst Pius XII. die kirchliche Gewalt aus dem Willensakt geboren worden, durch den Christus seine Kirche gegründet hat. 56 Der Codex Iuris Canonici ist in seinen Aussagen zum Verhältnis der Kirche zum Staat nicht auf Konfrontation, sondern auf einen Ausgleich der Interessen der beiden Institutionen angelegt, der in der wünschenswertesten Weise in der Form der Konkordate, d. h. völkerrechtlicher Verträge, erfolgt. Bereits Ulrich Stutz hat in seinem Buch "Der Geist des Codex iuris canonici" im Jahre 1918, also noch in der Zeit der Monarchie und der damals noch bestehenden beträchtlichen Kirchenhoheit des Staates, erklärt: "Aggressive Tendenzen verfolgt aber der Codex auch hinsichtlich des Staates nicht". 57 Der Kodex von 1983, der in seinen Aussagen zum Verhältnis von Kirche und Staat in einer engen Kontinuität zum Kodex von 1917 steht, ist zu interpretieren auf der Grundlage der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, insbesondere auf der Basis der "Erklärung über die Religionsfreiheit". Art. 66 Abs. 3 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute erklärt zum Verhältnis von Kirche und Staat, daß beide, Staat und Kirche, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen dienen. Diesen Dienst können beide, so erklärt das Konzil, zum Wohl aller um so wirksamer leisten, je mehr und besser sie ein rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen. Die Aussagen des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis von Kirche und Staat setzen einen Staat voraus, der auf der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als der Voraussetzung der Ermöglichung bürgerlicher Freiheitsrechte beruht58 und der seinen Bürgern die in der 56 Pius XII., Ansprache vom 2. 10. 1945 an die Mitglieder der Sacra Romana Rota über den Unterschied zwischen der kirchlichen und der staatlichen Gerichtsbarkeit, aufgezeigt an deren je verschiedenem Ursprung und Wesen, in: Acta Apostolicae Sedis 37 (1945), S. 256-262 (die zitierte Stelle S. 259) =Arthur-Fridolin Utz und Joseph-Fulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII., Bd. 2, Freiburg/Schweiz 1954, S. 1343-1351 (die zitierte Stelle S. 1348). 57 Stutz, Der Geist des Codex iuris canonici (Anm. 5), S. 124. 58 Zu dieser Problematik s. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der

67 Sbd. List!

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Staat und Kirche im katholischen Verständnis

Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grund- und Freiheitsrechte nicht nur dem Buchstaben der Verfassung nach, sondern auch effektiv gewährt. 59 Mit allen Rechtsordnungen der in diesem Sinne freiheitlichen Staaten stehen die Aussagen des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis von Kirche und Staat im Einklang. Insbesondere ergeben sich für das Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland aus den Aussagen des Kodex zum Verhältnis von Kirche und Staat weder akute Reibungsflächen noch ernsthafte Probleme; zwischen den Aussagen des Kodex und der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland besteht keinerlei Widerspruch. In totalitären Staaten dagegen bleiben zahlreiche Aussagen und Bestimmungen des Codex Iuris Canonici zum Verhältnis von Kirche und Staat in mehr oder weniger weitem Umfang rechtliche Postulate, deren Verwirklichung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durchsetzbar ist. Dies hat die Kirche im Deutschen Reich unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus in bitterer Weise erfahren müssen. Ähnliche leidvolle Erfahrungen macht die Kirche auch in der Gegenwart in zahlreichen Staaten der Welt.

individuellen Freiheit(= Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vorträge, Heft 183), Opladen 1973; vgl. auch den Sammelband "Staat und Gesellschaft", hrsg. von Ernst-Wolfgang Böckenförde (=Wege der Forschung, Bd. 471), Darmstadt 1976. 59 Hierzu erklärt das Zweite Vatikanische Konzil in Art. 13 der "Erklärung über die Religionsfreiheit", daß die Kirche rechtlich und tatsächlich erst dann die gefestigte Stellung erhält, welche die Bedingung zu jener Unabhängigkeit darstellt, die für ihre göttliche Sendung nötig ist und wie sie die kirchlichen Autoritäten in der Gesellschaft mit immer größerem Nachdruck gefordert haben, "wenn der Grundsatz der Religionsfreiheit nicht nur mit Worten proklamiert oder durch Gesetze festgelegt, sondern auch ernstlich in die Praxis übergeführt ist und in Geltung steht". In Art. 15 der "Erklärung über die Religionsfreiheit" weist das Zweite Vatikanische Konzil darauf hin, daß es auch Regierungsfarmen gibt, "in denen die öffentlichen Gewalten trotz der Anerkennung der religiösen Kultusfreiheit durch ihre Verfassung doch den Versuch machen, die Bürger vom Bekenntnis der Religion abzubringen und den religiösen Gemeinschaften das Leben aufs äußerste zu erschweren und zu gefährden".

IX. Grundlagen des katholischen Kirchenrechts

67*

Codex Iuris Canonici I. Promulgation und Geltungsbereich

In dem von Papst Johannes Faul II. durch die Apostolische Konstitution "Sacrae Disciplinae Leges" am 25. 1. 1983 promulgierten und am 27. 11. 1983 in Kraft getretenen Codex Iuris Canonici (CIC; dt. Übers.: "Kirchliches Gesetzbuch") hat die katholische Kirche des lateinischen Rechtskreises ein neu erarbeitetes, vom Geist des II. Vatikanischen Konzils (1962-65) bestimmtes und die wesentlichen Beschlüsse und Weisungen dieses Konzils rezipierendes Gesetzbuch erhalten. Weithin wurde im CIC von 1983 die umfangreiche nachkonziliare Gesetzgebung der Päpste kodifiziert, die seit 1965 vielfach ihre Bewährung in der Rechtspraxis bereits bestanden hatte. Mit dem Inkrafttreten des CIC von 1983 trat der bis dahin geltende CIC vom 27. 5. 1917 ebenso außer Kraft wie der gesamte seit 1917 erlassene Normenbestand, soweit er zum CIC von 1983 in Widerspruch steht oder die jeweilige Rechtsmaterie im CIC von 1983 umfassend neu geordnet ist. Zum Geltungsbereich des CIC erklärt dessen Kanon 1, daß dieses Gesetzbuch allein für die Lateinische Kirche gilt. Für die katholischen Ostkirchen, die gegenüber der lateinischen Westkirche eine eigene Rechtstradition aufweisen, befindet sich ein eigenes Gesetzbuch des orientalischen Kirchenrechts, der Codex Iuris Canonici Orientalis (CICO), in Vorbereitung. Das nach dem II. Vatikanum lange Zeit verfolgte und zu mehreren Entwürfen gediehene Projekt eines für die Lateinische Kirche und die katholischen Ostkirchen gemeinsam geltenden Grundgesetzes der Kirche (Lex Ecclesiae Fundamentalis- LEF), das gleichzeitig mit dem CIC in Kraft treten sollte, wurde vom kirchlichen Gesetzgeber in der Endphase der Kodifikation des CIC fallengelassen. II. Entstehungsgeschichte und Vorarbeiten

Am 25. 1. 1959, wenige Monate nach seinem Amtsantritt, bezeichnete Papst Johannes XXIII. die Anpassung ("aggiornamento") des KirErstveröffentlichung in: Staatslexikon. Recht- Wirtschaft- Gesellschaft in 5 Bänden. Herausgegeben von der Görres-Gesellschaft. 7., völlig neubearbeitete Auflage. Band 1, Freiburg-Basel-Wien: Verlag Herder 1985, Sp. 1151-1156. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Herder, Freiburg i.Br.

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Grundlagen des katholischen Kirchenrechts

ehenrechts an die pastoralen Notwendigkeiten der Gegenwart- neben der Durchführung einer römischen Stadt- bzw. Diözesansynode und der Einberufung eines Ökumenischen Konzils - als eine der drei Hauptaufgaben seines Pontifikats. Die Reformarbeiten am CIC konnten erst nach Abschluß des II. Vatikanischen Konzils (8. 12. 1965) in Gang kommen. Bereitsam 28. 3. 1963 hatte Johannes XXIII. eine aus dreißig Kardinälen und zahlreichen Konsultoren bestehende sog. CICReformkommission berufen. In einer Ansprache vom 20. 11. 1965 über die Notwendigkeit und die Stellung des Rechts in der Kirche gab Papst Paul VI. der CIC-Reformkommission konkrete Weisungen über die Grundsätze und Leitziele der Reform. Der Vorsitz der CIC-Reformkommission wurde Kardinal Pietro Ciriaci übertragen, nach dessen Tod (t 30. 12. 1966) dem früheren Sekretär des II. Vatikanischen Konzils, dem tatkräftigen Kanonisten und virtuosen Latinisten Pericle Felici (seit 26. 6. 1967 Kardinal), der dem CIC von 1983 weithin sein Gepräge gegeben hat. Nachdem Felici am 22. 3. 1982, kurz vor Abschluß der Reformarbeiten, verstorben war, wurde für die Schlußphase die Leitung der CIC-Reformkommission dem zum Pro-Präses ernannten bisherigen Sekretär der Kommission, Erzbischof Rosalio Castillo Lara, übertragen. Der CIC ist mit großem wissenschaftlichen Aufwand und unter Beteiligung zahlreicher Mitglieder des Bischofskollegiums und vieler erstrangiger Fachgelehrter der Theologie, der Kirchengeschichte und vor allem des kanonischen Rechts aus allen Teilen der Welt erarbeitet worden. 1965-77 wurden die einzelnen Teilentwürfe (Schemata) fertiggestellt, 1972-80 diese Entwürfe den Bischofskonferenzen, den Behörden der Römischen Kurie, den zuständigen Universitäten und Fakultäten und der Vereinigung der Ordensgeneraloberen zur Stellungnahme zugeleitet und die eingegangenen Voten bearbeitet. Am 29. 6. 1980 lag der erste Gesamtentwurf des CIC vor. Von Juni 1980 bis April 1982 wurde der Gesamtentwurf von der erweiterten CIC-Reformkommission erneut beraten. Am 25. 3. 1982 wurde die letzte Fassung des Gesamtentwurfs, das Schema CIC 1982, erstellt. Dieser Entwurf wurde unter Leitung von Papst Johannes Paul II. von einer kleinen Arbeitsgruppe einer letzten Revision unterzogen. Am 25. 1. 1983 wurde der CIC promulgiert.

m. Die theologischen Grundlagen des CIC In den CIC von 1983 hat das Kirchenverständnis, wie es in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils enthalten ist, in vollem Umfang Aufnahme gefunden. Darin besteht, wie Johannes Paul II. in der

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Apostolischen Konstitution "Sacrae Disciplinae Leges" betont, "das Neue im neuen Kodex". Als Einzelelemente dieser Ekklesiologie, die das wahre Bild der Kirche ausmachen, nennt der Papst: Die Lehre, nach der die Kirche als das Volk Gottes und die hierarchische Autorität als Dienst an der Kirche dargestellt werden; ferner die Lehre, die die Kirche als Communio, d. h. als die Gemeinschaft aller Gläubigen, begreift, in der der einzelne nicht isoliert gesehen werden darf, sondern als an seiner jeweiligen Stelle in die Gemeinschaft des hierarchisch gegliederten Volkes Gottes inkorporiert. Hierzu gehört auch die Lehre, nach der alle Glieder des Volkes Gottes, jedes auf seine Weise, an dem dreifachen, dem priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi teilhaben. Hieraus ergeben sich im einzelnen die besonderen Pflichten und Rechte der Gläubigen, namentlich auch der Laien, und der "Eifer, den die Kirche für den Ökumenismus aufbringen muß" (Johannes Paul II., "Sacrae Disciplinae Leges", in: AAS 75 [1983], Pars II, S. XII). IV. Inhaltliche Vorgaben für die Reform

Bei der Neukodifikation des CIC sollte es sich, wie Papst Paul VI. in einer Ansprache vom 4. 2. 1977 an die Richter der Römischen Rota mit Nachdruck gefordert hat, nicht um eine bloße Überarbeitung bzw. Verbesserung des CIC von 1917 handeln, sondern um die Erarbeitung eines grundlegend neuen CIC. In zehn Leitgrundsätzen, die der Papst im Oktober 1967 der Generalversammlung der Bischofssynode vorlegte und die von dieser nahezu einstimmig beschlossen wurden, wurden für die CIC-Reform folgende Grundelemente als unverzichtbar und konstitutiv vorgeschrieben: (1) Der Rechtscharakter des CIC, d. h., der CIC ist nicht eine bloße "Kirchenordnung" mit Empfehlungen für die Glaubenspraxis und das sittliche Leben der Gläubigen. Er enthält vielmehr verpflichtende Rechtsnormen. Als abstrakte Kodifikation sind die in ihm enthaltenen Rechtsmaterien umfassend und abschließend geregelt. (2) Beibehaltung und konfliktfreie Zuordnung des äußeren und inneren Bereichs (forum externum und internum). (3) Der Dienstcharakter des kirchlichen Rechts bei der Verwirklichung des Auftrags der Kirche. (4) Erweiterung der Befugnisse der Diözesanbischöfe zur Dispens von Bestimmungen und Verpflichtungen des universalkirchlichen Rechts. (5) Anerkennung der Geltung des Subsidiaritätsprinzips in der Kirche. Darin ist der Auftrag zu einer weitgehenden Dezentralisierung der Ausübung der kirchlichen Leitungsgewalt enthalten. (6) Verstärkung des Schutzes der Rechte und der Rechtsstellung der Gläubigen. (7) Verbesserung des gerichtlichen Rechtsschutzes der Gläubigen. (8) Grundsätzliche Beibehaltung der territorialen Zir-

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Grundlagen des katholischen Kirchenrechts

kumskription der Teilgemeinschaften des Volkes Gottes. (9) Reduzierung der Zahl der kirchlichen Strafnormen. (10} Änderung der Gliederungsstruktur des CIC von 1917. V. Systematik und Sprache des CIC

Diese Leitlinien, die sich weithin aus den Beschlüssen des II. Vatikanums ergeben, wurden der Kodifikation des CIC zugrunde gelegt und sind in ihr verwirklicht. Die insgesamt 2414 Kanones des CIC von 1917 waren in Anlehnung an das römischrechtliche Gliederungsschema personae-res-actiones in fünf Bücher eingeteilt (Allgemeiner Teil, Personenrecht, Sachenrecht, Prozeßrecht, Strafrecht). Dagegen ist der aus insgesamt 1752 Kanones bestehende CIC von 1983 in sieben Bücher gegliedert: 1. Allgemeine Normen, 2. Volk Gottes, 3. Verkündigungsdienst der Kirche, 4. Heiligungsdienst der Kirche(= Recht der Sakramente), 5. Kirchenvermögen, 6. Strafbestimmungen in der Kirche, 7. Prozesse. Bereits in der Überschrift des 2. Buches ("Volk Gottes"), das das Personen-, Ämter- und Verfassungsrecht der Kirche enthält, bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß hier das Kirchenverständnis des Konzils zugrunde gelegt wurde bzw. vorausgesetzt wird. Gleiches gilt für das 3. Buch, das die Bestimmungen über die Glaubenslehre und die Verkündigung enthält, und für das 4. Buch, in dem das Recht der Sakramente geregelt ist. Die Verringerung der Zahl der Kanones um 662 im CIC von 1983 erklärt sich daraus, daß weite Materien nicht mehr im CIC geregelt (Organisation der Römischen Kurie, Benefizialwesen, Verfahren bei Kanonisationsprozessen) und die Bestimmungen des Straf- und Prozeßrechts erheblich gestrafft worden sind. Die Rechtssprache des CIC von 1983 ist durch ein modernes, einfaches und von der pastoralen Sprechweise der Dokumente des II. Vatikanischen Konzils geprägtes Latein gekennzeichnet. Terminologisch war der Gesetzgeber erkennbar und im Ergebnis durchaus erfolgreich um eine präzise und durchgehend einheitliche und damit im Rahmen des Möglichen eindeutige kanonistische Begrifflichkeit bemüht. Wurde am CIC von 1917 mit Recht eine Vieldeutigkeit und eine "bedrohliche Unsicherheit in der Terminologie" (Klaus Mörsdorf) konstatiert, so kann diese Kritik gegenüber dem CIC von 1983 nicht mehr aufrechterhalten werden. Daß die in nunmehr bald 2000 Jahren römisch-kirchlicher Rechtsgeschichte entwickelten lateinisch-kanonistischen Fachtermini in den einzelnen geschichtlichen Epochen vielfach eine verschiedene Bedeutung hatten und daher wegen ihrer langen Begriffsgeschichte heute nicht selten Interpretationsschwierigkeiten bereiten, ist in der Sache begründet und kann nicht dem kirchlichen Gesetzgeber zum Vorwurf gemacht werden.

Der Codex luris Canonici

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VI. Die neuen Inhalte des CIC von 1983

Ungeachtet der Kontinuität, in der der CIC von 1983 in seinen unveränderlichen Grundlagen zum CIC von 1917 steht, ist der CIC von 1983 als eine auf dem konziliaren, dogmatischen und ekklesiologischen Selbstverständnis der Kirche beruhende neue Kodifikation anzusehen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind als bedeutsame neue Inhalte u. a. zu nennen: Die Formulierung eines umfangreichen Katalogs von Pflichten und Rechten aller Gläubigen auf der Grundlage einer fundamentalen Gleichheit (cc. 208-233); die Umschreibung derbesonderen Pflichten und Rechte der Laien (cc. 224-241); die Herausstellung der Kollegialität zwischen dem Papst und dem Bischofskollegium (cc. 330-341); die Institutionalisierung der Bischofssynode (cc. 342348); die Erweiterung der Vollmachten der Diözesanbischöfe zur Dispens von universalkirchlichen Gesetzen (cc. 87 § 1, 381 § 1); die Errichtung von Bischofskonferenzen als hierarchische Zwischeninstanzen mit umfangreichen Gesetzgebungsbefugnissen zwischen dem Papst und den Diözesanbischöfen (cc. 447-459); die stärkere Betonung des missionarischen und des ökumenischen Auftrags der Kirche; die Verstärkung des synodalen Elements in der Kirche und die Beteiligung der Laien in beratenden Verwaltungsgremien; die Rezeption des Ehebegriffs des II. Vatikanischen Konzils und damit der Verzicht auf die Unterscheidung zwischen primären und nachgeordneten Ehezwecken (cc. 1055-1057); die Anpassung des kirchlichen Vermögensrechts an die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart durch Abkehr vom Benefizialwesen; die erhebliche Reduzierung der kirchlichen Strafnormen: die Dezentralisierung der kirchlichen Gesetzgebungstätigkeit. Der CIC versteht sich ausdrücklich in vieler Hinsicht als ein Rahmenrecht, das der teilkirchlichen Ausfüllung bedarf und der eigengesetzlichen kulturellen Entwicklung der einzelnen Regionen bedeutsame Möglichkeiten eröffnet. Der CIC von 1983 erweist sich bei zusammenfassender Betrachtung als eine mit großer Sorgfalt und Gründlichkeit erarbeitete, auf der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils beruhende, theologisch fundierte, pastoral orientierte, zeitangemessene, den Bedürfnissen der katholischen Weltkirche in der Gegenwart entsprechende und im Ergebnis gelungene Kodifikation, die dem zu seiner Zeit von der Fachwelt als gesetzgeberische "Riesenleistung" (U. Stutz) gerühmten CIC von 1917, der sich im Dienste der Einheit der katholischen Kirche in hervorragendem Maße bewährt hat, als mindestens gleichwertig und ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann.

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Vll. Veröffentlichung und Ausgaben Der authentische Text des CIC wurde offiziell promulgiert in einem separaten Teil II (Pars II) des vol. 75 (1983) der AAS, datiert vom 25. 1. 1983, im Umfang von XXX und 317 S. (darin S. VII-XIV die Apostolische Konstitution "Sacrae Disciplinae Leges" und S. XV-XXX die "Praefatio", d. h. das amtliche Vorwort). Hierzu erschien mit Datum vom 22. 9. 1983 ein Appendix mit den Seiten 321-a24, der ausschließlich Berichtigungen von Fehlern enthält. Eine Edition des CIC mit den Angaben der Rechtsquellen (Fontes) und mit einem Sachregister (Index analytico-alphabeticus) ist nach dem Vorbild des CIC von 1917 vorgesehen. Die Bischofskonferenzen wurden beauftragt, zweisprachige Ausgaben herstellen zu lassen, in denen neben der Übersetzung in der jeweiligen Landessprache auch der lateinische Originaltext enthalten ist, der in allen Fällen allein verbindlich bleibt.

Vlll. Authentische Interpretation Für die authentische Auslegung des CIC ist allein der Gesetzgeber, d. h. der Papst, oder ein Organ zuständig, dem vom Papst die Vollmacht zur authentischen Interpretation übertragen worden ist (c. 16 § 1). Durch das Motuproprio "Recognito Iuris Canonici Codice" vom 2. 1. 1984 (AAS 76 [1984], S. 43 f.) hat Johannes Paul II. hierfür die "Pontificia Commissio Codicis Iuris Canonici authentice interpretando" errichtet. Die Entscheidungen ("responsa") dieser Päpstlichen Interpretationskommission haben Gesetzeskraft und werden in den AAS veröffentlicht (c. 16 § 2).

Literatur Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz. Regensburg 1983; darin vor allem: Heribert Schmitz, § 4 Der CIC von 1983, S. 33 ff. (Lit.).; Richard Potz, § 5 Die Kodifikation des katholischen Ostkirchenrechts, S. 57 ff.; Winfried Aymans, § 6 Das Projekt einer Lex Ecclesiae Fundamentalis, S. 65 ff. - Norbert Ruf, Das Recht der katholischen Kirche. Nach dem neuen CIC für die Praxis erläutert. Freiburg i. Br., 4. Aufl., 1984. - Zum CIC von 1917: Ulrich Stutz, Der Geist des CIC. Stuttgart 1918. Neudruck Amsterdam 1961 (Lit.).- Klaus Mörsdorf, Codex Iuris Canonici, in: Staatslexikon. Bd. 2., 6. Aufl., 1958, S. 491 ff. (Lit.).

Die Quellen des katholischen Kirchenrechts Das katholische Kirchenrecht unterscheidet zwischen materiellen (konstitutiven, seinsmäßigen, inneren) und formellen (kognitiven, äußeren) Kirchenrechtsquellen. Materielle Kirchenrechtsquellen sind die göttliche Gesetzgebungsgewalt und die von verschiedenen Trägern (Organen) ausgeübte kirchliche Gesetzgebungsgewalt (mit Einschluß des Gewohnheitsrechts); formelle Kirchenrechtsquellen (Erkenntnisquellen) sind die schriftlichen Aufzeichnungen der einzelnen Gesetze, die Gesetzessammlungen und Gesetzbücher, gegenwärtig vor allem der Codex Iuris Canonici (CIC) vom 25. 1. 1983. I. Materielle Kirchenrechtsquellen 1. Göttliche Gesetzgebung

Urquelle des Rechts der Kirche ist der Wille Gottes, sofern er sich durch die Natur (Naturrecht - ius divinum naturale) oder durch die göttliche Offenbarung (positives göttliches Recht- ius divinum positivum) kundgegeben hat. Der CIC enthält in variierenden Formulierungen zahlreiche Aussagen darüber, daß einzelne Rechtsnormen auf göttlicher Anordnung beruhen (z. B. c. 113 § 1 über die Rechtspersönlichkeit der katholischen Kirche und des Apostolischen Stuhles; c. 330 über die Apostolische Sukzession des Papstamtes und des Bischofskollegiums). Auf göttlichem Recht beruhende Normen des kanonischen Rechts können in ihrem Wesensgehalt- ungeachtet ihrer variablen historischen rechtssatzmäßigen Einkleidung - vom kirchlichen Gesetzgeber nicht verändert werden. Die Normen des Naturrechts stellen für den Gesetzgeber unmittelbar anwendbares Recht dar. Auf dem Naturrecht beruhen z. B. die Ehehindernisse des c. 1091 §§ 1,2 und 4 (Ehe zwischen Blutsverwandten in der geraden Linie und im zweiten Grad der Seitenlinie, d. h. zwischen Bruder und Schwester). Erstveröffentlichung in: Evangelisches Staatslexikon. Hrsg. von Roman Herzog, Hermann Kunst, Klaus Schlaich, Wilhelm Schneemelcher. 3., neubearbeitete Auflage, Stuttgart: Kreuz-Verlag 1987, Sp. 1691-1693. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kreuz-Verlags, Stuttgart.

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Grundlagen des katholischen Kirchenrechts 2. Kirchliche Gesetzgebung

Rechtsquelle des rein kirchlichen Rechts (ius mere ecclesiasticum) ist die kirchliche Gesetzgebungsgewalt. Diese ist Bestandteil der hoheitlichen Leitungsgewalt (potestas regiminis) der Kirche (c. 129). Als oberste Hirtengewalt ist sie dem Papst (c. 332 § 1) und dem Bischofskollegium (c. 336) zur Leitung der Gesamtkirche (universalkirchliches Recht) und als oberhirtliehe Gewalt dem Diözesanbischof zur Leitung seiner Diözese (c. 381 § 1), im Rahmen ihrer zahlreichen Kompetenzen der Bischofskonferenz (c. 455 § 1) und ferner den Vorstehern diözesanähnlicher Teilkirchen (c. 368 i.V.m. c. 381 § 2) übertragen. Gesetzgebungsgewalt besitzen auch die Partikularkonzilien (cc. 445 f.), d. h. das Provinzial- und das Plenarkonzil. Kirchliches Gesetz ist jede von der zuständigen kirchlichen Autorität zum Wohle der Kirche erlassene, in der Regel allgemeine (generelle) und eine unbestimmte Anzahl von Fällen regelnde (abstrakte), häufig aber auch nur einen Einzelfall (z. B. Errichtung einer Diözese) betreffende Norm, die die untergebene Gemeinschaft verpflichtet, sofern sie in der gesetzlich vorgeschriebenen Form als Gesetz verkündet worden ist (cc. 7 ff.). Gesetzestypologisch unterscheidet der CIC von 1983 a) Gesetze (leges; cc. 7 ff.) des Papstes, des Ökumenischen Konzils und des Diözesanbischofs; b) Allgemeine Dekrete (decreta generalia; c. 29), ebenfalls mit Gesetzescharakter, der Partikularkonzilien und der Bischofskonferenzen; c) Allgemeine Durchführungsverordnungen (decreta generalia exsecutoria; c. 31) ohne Gesetzescharakter; d) Verwaltungsanordnungen (instructiones; c. 34) ohne Gesetzescharakter; e) Statuten autonomer Personenvereinigungen, z. B. von Ordensgemeinschaften und von Sachgesamtheiten, z. B. Stiftungen (statuta; cc. 94, 587 § 1, 598 § 1), mit Gesetzescharakter für den jeweiligen Personenkreis bzw. die jeweilige Sachgesamtheit; f) Geschäftsordnungen für Versammlungen von Personenvereinigungen (ordines; c. 95) ohne Gesetzescharakter. Hinsichtlich der äußeren Form ihrer Ausfertigung werden bei den Papstgesetzen unterschieden die Gesetzen von größerer Bedeutung vorbehaltene Apostolische Konstitution (Constitutio Apostolica), die bei besonders feierlichen Anlässen auf Pergament geschrieben und mit einem aufgeprägten oder anhängenden Siegel versehen und dann als päpstliche Bulle bezeichnet wird, und das in schlichter Briefform ausgefertigte Motuproprio. Reine Lehrschreiben des Papstes werden als Enzyklika (d. h. "Rundschreiben") bezeichnet. Als zweite kirchliche Rechtsquelle neben den genannten Gesetzgebungsorganen kennt das kanonische Recht die Gewohnheit (consuetudo), der insbesondere im partikularen Kirchenrecht große Bedeutung zukommt (cc. 23 ff.).

Die Quellen des katholischen Kirchenrechts

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II. Formelle Kirchenrechtsquellen

Bei den formellen Kirchenrechtsquellen sind vier Epochen zu unterscheiden: a) Rechts- bzw. Gesetzessammlungen vor Gratian, d. h. vor 1140; b) das Corpus Iuris Canonici, die wichtigste Kirchenrechtsquelle bis 1918, bestehend aus dem Dekret Gratians (um 1140), den Dekretalen Gregors IX. (1234), dem Liber Sextus Bonifaz VIII. (1298), den Klementinen (Constitutiones Clementinae v. 1314) und den beiden Extravagantensammlungen; ferner konziliare Kirchenrechtsquellen (z. B. Konzil von Trient) und päpstliche Kirchenrechtsquellen (z. B. Bullarien); c) CIC vom 27. 5. 1917 (in Kraft am 19. 5. 1918); d) CIC vom 25. 1. 1983 (in Kraft seit 17. 11. 1983). Publikationsorgan für die Gesetzgebung des Papstes und andere Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles sind die seit 1909 erscheinenden Acta Apostolicae Sedis (AAS).

m. Literatur Zu 1: Johann Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, Bd. I, Teil 2, 4. Aufl., Freiburg 1926, S. 151-270.- Alphans van Hove, Commentarium Lovaniense in Codicem Iuris Canonici, vol. I, tom. 1: Prolegomena, Mechliniae-Romae, 2. Aufl., 1945, S. 48-407.- Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. I, 11. Aufl., München-Paderborn-Wien 1964, S. 26-42.- Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, darin besonders Joseph Listl, Die Rechtsnormen, S. 83-98; Georg May, Kirchenrechtsquellen I, Katholische, in: TRE, Bd. 19 (1990), s. 1-49. Zu II: Philipp Schneider, Die Lehre von den Kirchenrechtsquellen, 2. Aufl., Regensburg 1892. - Bernhard Hübler, Kirchenrechtsquellen, 4. Aufl., Berlin 1902. - Xaverius Ochoa (Hrsg.), Leges Ecclesiae post Codicem iuris Canonici editae (1917-1985), Bd. I-VI, Roma, 1966-1987.

X. Geschichtliche Exempel

Der Wandel vom christenverfolgenden zum ketzerverfolgenden spätantiken römischen Staat Kirche und Staat bei Bischof Optatus von Mileve I. Kirche und Staat nach der Konstantinischen Wende 1. Die fortbestehenden religiösen Grundlagen des römischen Staates

Der heidnische römische Staat beruhte seinem Selbstverständnis nach auf polytheistischen religiösen Grundlagen. Die Reaktion dieses heidnischen Staates auf das völlig andersartige, im Glauben an die Gottheit, die Menschheit und das Erlösungshandeln Jesu Christi gründende Christentum waren die Christenverfolgungen der ersten drei Jahrhunderte 1 . In heidnischer Zeit war das römische Reich zugleich ein politischer und religiöser Verband. Die dem nationalen Kult dienenden religiösen Einrichtungen waren Angelegenheiten des Staates. Infolgedessen regelte das Staatsrecht die gesamte rechtliche Ordnung des "nationalen Kultverbandes" und die Stellung des einzelnen hinsichtlich seiner Rechte und Pflichten. Pontifexmaximus der Staatsreligion war der Kaiser selbst. Religiöse Zeremonien begleiteten das gesamte staatliche Leben. Die Staatsreligion, d. h. "der gemeinsame Kult der Götter des römischen Staates", die dem Staatsoberhaupt, dem KaiErstveröffentlichung in: luri Canonico Promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Aymans und Karl-Theodor Geringer unter Mitwirkung von Peter Krämer und llona Riedel-Spangenberger. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 1994, S. 645-673. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Friedrich Pustet, Regensburg. 1 Vgl. hierzu Wilhelm Nestle, Die Haupteinwände des antiken Denkens gegen das Christentum, in: Christentum und antike Gesellschaft, hrsg. von Jochen Martin und Barbara Quint (= Wege der Forschung, Bd. 649), Darmstadt 1990, S. 17-80; Leo Koep, Antikes Kaisertum und Christusbekenntnis im Widerspruch, in: Das frühe Christentum im römischen Staat. Hrsg. von Richard Klein (=Wege der Forschung, Bd. 267), Darmstadt 1971, S. 302-336; Antonie Wlosok, Die Rechtsgrundlagen der Christenverfolgungen der ersten zwei Jahrhunderte, ebd., S. 275-301. Über die Rechtsstellung des römischen Kaisers als Pontifex maximus, seine göttergleiche Stellung und den römischen Kaiserkult s. Georg Wissowa, Religion und Kultus der Römer, München 1971 (= unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 1912, in: Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft, 4. Abt., Bd. 5), S. 76, 79 ff., 93 ff., 98, 341 ff., 485, 509, 565 ff. 68 Sbd. List!

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Geschichtliche Exempel

ser als Repräsentanten der Majestät des Reiches zustehende göttliche Verehrung, war "eine der wichtigsten Grundlagen der Festigkeit des Reiches", das gemeinsame Band, das die verschiedenartigen Angehörigen des Weltreiches miteinander verknüpfte. Den im Imperium Romanum vereinigten Völkern war zwar im allgemeinen die Verehrung ihrer alten Götter weiterhin gestattet, doch nur unter der Voraussetzung, daß die Verehrung der Götter des römischen Reiches nicht beeinträchtigt wurde, daß man sich also nicht weigerte, auch ihnen Verehrung zu erweisen2 . Die enge Verbindung zwischen Staat und Kirche, wie sie sich nach der Konstantinischen Wende im römischen Reich entwickelt hat, ist nur zu verstehen, wenn man sich die Anschauungen und Zustände vor Augen hält, wie sie im römischen Reich seit alters bestanden haben. Konstantin hat nach dem Sieg des Christentums und nach der Auswechslung der früheren römischen Kulte durch den Christusglauben die frühere römische Religionspolitik mit neuen Inhalten konsequent weitergeführt. Es gab für ihn hierzu überhaupt keine Alternative. 2. Kaiser Konstantin als Schiedsrichter in der donatistischen Kirchenspaltung

Es lag völlig auf der aufgezeigten Linie der bisherigen Religionspolitik und des religiösen Selbstverständnisses des römischen Staates und der früheren römischen Kaiser, wenn sich auch Kaiser Konstantin, der damals noch nicht getauft war, nach dem Mailänder Edikt von 313 als verantwortlicher Protektor der katholischen Kirche betrachtet hat. Durch den Verlauf der geschichtlichen Ereignisse fühlte er sich dazu legitimiert und verpflichtet. Konstantin hatte am 28. Oktober 312 den Mitkaiser Maxentius an der Milvischen Brücke vor den Toren Roms besiegt. Maximinus Daja war von Licinius geschlagen worden. Nach dem Tode des Diokletian teilten Konstantin und Licinius das Römische Reich unter sich auf. Die Ära der Christenverfolgung war zu Ende. Die christliche Kirche hatte durch den Erlaß des Galerius im Jahre 311 sowie im Mailänder Edikt des Konstantin und des Licinius von 313 nicht nur ihren verlorenen Besitz wiedererlangt. Von ungleich größerer Bedeutung war die Tatsache, daß die christliche Religion nunmehr die volle Anerkennung ihrer Gleichberechtigung mit den anderen Kulten des Reiches und die Freiheit zu ungehinderter öffentlicher Wirksamkeit errungen hatte. 3 2 Vgl. hierzu die zusammenfassenden Ausführungen bei Karl Voigt, Staat und Kirche von Konstantin dem Großen bis zum Ende der Karolingerzeit, Stuttgart 1936 (Neudruck Aalen 1965), S. 23. 3 Vgl. hierzu Kurt Aland, Kirche und Staat in der alten Christenheit, in: Kirche und Staat. Festschrift für Bischof Wilhelm Kunst zum 60. Geburtstag am

Der Wandel des christenverfolgenden römischen Staates

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Auch Konstantin selbst hatte ein Interesse daran, seine persönliche Stellung innerhalb der Kirche "besonders hervorgehoben zu sehen". Er zeigte sich völlig damit einverstanden, wenn ihn zeitgenössische christliche Schriftsteller mit Abraham und Moses verglichen und ihn als Stellvertreter Gottes auf Erden ansprachen, dessen kaiserlicher Palast auf Erden ein Abbild des himmlischen Thronsaales sei 4 . Konstantin bezeichnete sich selber als "Episkopos ton ekt6s" 5 , d. h. "als ein von Gott eingesetzter Bischof, der die Menschen seines Reiches auch religiös zu betreuen habe, ausgenommen im Bereich der sakramentalen Führung durch das Priestertum der Kirche. " 6 Es ist deshalb keineswegs verwunderlich, sondern es entsprach dem Amtsverständnis und dem göttlichen Sendungsbewußtsein Konstantins, daß er in die in.., nerkirchlichen Auseinandersetzungen eingriff und theologische Richtungskämpfe in seinem Sinne entschied bzw. entscheiden ließ. Dies geschah in dem damals die ganze Christenheit spaltenden arianischen Streit durch die Einberufung des Konzils von Nicäa im Jahre 325. Nach Baus ist den frühen Geschichtsquellen Glauben zu schenken, die übereinstimmend Kaiser Konstantin die Initiative für das Zustandekommen und die Einberufung des Konzils von Nicäa zuschreiben7. Die zweite Kirchenspaltung, mit der Konstantin bereits im Jahre 313 konfrontiert wurde, war das die nordafrikanische Kirche für ein Jahrhundert zutiefst bewegende donatistische Schisma. Hierbei wurde Konstantin zuerst von der donatistischen Partei als Richter bzw. Schiedsrichter angerufen. Mehrere donatistische Bischöfe, darunter auch der Bischof Donatus von Karthago, erhoben schwere Anklagen gegen den katholischen Bischof Cäcilian von Karthago wegen dessen Amtsführung. Daraufhin berief der Kaiser, der sich außerstande sah, die Angelegenheit selbst zu entscheiden, zur Beilegung der Zwistigkeiten im Oktober 313 ein Schiedsgericht nach Rom in den Lateranpalast und übertrug den Vorsitz dem damaligen Papst Miltiades (311-314). Miltiades berief eine Synode von 19 Bischöfen ein. Diese sprach den Bischof Cäcilian von Karthago frei und verurteilte den Bischof Dona21. Januar 1967. Hrsg. von Kurt Aland und Wilhelm Schneemelcher, Berlin 1967, s. 19. 4 Eusebius von Cäsarea, Vita Constantini 1, 12, 38. Einzelheiten bei Karl Baus, Die Kirche von Nikaia bis Chalkedon (= Handbuch der Kirchengeschichte. Hrsg. von Hubert Jedin. Bd. II/1.). Freiburg, Basel, Wien 1977, S. 4 und 14 mit Anm. 60; ferner bei Aland, Kirche und Staat (Anm. 3), S. 40. 5 Eusebius, Vita Constantini 4, 24. 6 Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 15. 7 Baus, ebd., S. 24. 68*

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Geschichtliche Exempel

tus wegen Verleumdung und wegen dessen Lehre von der Ungültigkeit der Ketzertaufe. 8 Die Entscheidung der römischen Synode von 313 vermochte jedoch den donatistischen Streit nicht beizulegen. Die donatistische Opposition weigerte sich vielmehr weiterhin beharrlich, Cäcilian als rechtmäßigen Bischof von Karthago anzuerkennen. Daraufhin berief Konstantin für den 1. August 314 eine zweite Synode nach Arles, damit eine endgültige Entscheidung in dieser Streitfrage gefällt werde 9 . Das einzige Thema, das Konstantin für Arles benennt, ist die donatistische Frage. Er selbst traf die Auswahl der dorthin beorderten Bischöfe 10 • Die Synode von Arles entschied im Ergebnis genauso wie die römische. Cäcilian wurde legitimiert und die Ketzertaufe für gültig erklärt. Wiederum nahmen die Donatisten den Synodenbeschluß nicht an. Sie appellierten diesmal an die persönliche Entscheidung des Kaisers. Die vor ihm persönlich stattfindende Verhandlung ging wiederum genauso aus wie die Synoden von Rom und Arles. Daraufhin begannen die Donatisten ihre Opposition gegen Kirche und Staat. Sie besannen sich auf ihre Eigenständigkeit, nachdem sie vorher mit allen Mitteln bei Kaiser und Staat die Entscheidung ihrer kirchlichen Fragen in ihrem Sinn zu erreichen versucht hatten. Sie warfen dem katholischen Bischof Cäcilian vor, seine Bischofsweihe sei ungültig, weil an ihr Traditoren beteiligt gewesen seien, d. h. Bischöfe, die während der diokletianischen Verfolgung die heiligen Schriften ausgeliefert hatten und deshalb als "lapsi ", von der Kirche Abgefallene, zu gelten hättenY Darüber, daß es hierbei implizit auch um eine grundsätzliche, nämlich über die Frage der Zuständigkeit des Kaisers bzw. des Staates zur Entscheidung innerkirchlicher, ja sogar von Glaubensfragen ging, waren sich offensichtlich weder der Kaiser noch der Papst und die beteiligten Bischöfe völlig im klaren. Zu Lebzeiten Konstantins hat man, worauf Baus hinweist, auch auf kirchlicher Seite um das Problem Kirche und Staat bzw. um die Stellung des Kaisers der Kirche gegenüber noch nicht so hart und erbittert gerungen. Das Recht des Kaisers, Synoden einzuberufen, wird in keia Vgl. hierzu im einzelnen Bernhard Lohse, Kaiser und Papst im Donatistenstreit, in: Ecclesia et Res Publica. Hrsg. von Georg Kretschmar und Bernhard Lohse, Göttingen 1961, S. 77-82. 9 Lohse, ebd., S. 82 ff. 1o Lohse, ebd., S. 84; vgl. ferner zum Ganzen die eingehende und mit reichen Literaturnachweisen versehene Darstellung von Ernst Ludwig Grasmück, COERCITIO. Staat und Kirche im Donatistenstreit (= Bonner Historische Forschungen, Bd. 22), Bonn 1964, S. 17-26: Der Ausbruch des afrikanischen Schismas; ferner S. 26-108: Konstantin und die Donatisten. 11 Aland, Kirche und Staat (Anm. 3), S. 43 f.

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ner Weise in Zweifel gezogen, seine Versuche, den Gang der theologischen Diskussionen im Sinne seiner kirchlichen Berater zu steuern, werden widerspruchslos und im Grunde als selbstverständlich hingenommen; sogar die von ihm wiederholt verhängte Strafe des Exils für Anhänger der Opposition, die sich den Beschlüssen von Konzil oder Synode nicht beugen wollen, stößt auf keinen entschiedenen Widerspruch, und zwar nicht einmal bei den unmittelbar Betroffenen wie Arius und seinen Anhängern. Diese Einstellung der Kirche war weithin noch mitbestimmt von der "sakralen Wertung des antiken Herrschertums, die sich allmählich ins Christliche umsetzte". Noch größere Bedeutung hatte jedoch bei Konstantin die "glorifizierende Atmosphäre der Anerkennung und der schrankenlosen Dankbarkeit, die ihm von den Christen wegen seines Sieges über seine heidnischen Gegner, seiner offiziellen Legitimierung der christlichen Religion und nicht zuletzt seiner persönlichen Hinwendung zum Christentum entgegengebracht wurden. Schließlich wurde durch die Privilegierung der Kirche, vor allem während der Alleinherrschaft Konstantins mit ihrer besonderen Auswirkung auf die Geltung der Bischöfe im öffentlichen Leben, "das kritische Gewissen mancher Bischöfe gegenüber solchen Bindungen an den Staat eher eingelullt als geschärft" .12 3. Der theologische Hintergrund und die Entwicklung des donatistischen Schismas

In Anbetracht des Verantwortungsbewußtseins des Kaisers Konstantin und seiner Nachfolger für die christliche Religion und damit für die katholische Kirche konnte den Kaiser der für ihn anfangs und im Grunde bis zu seinem Tode schwerverständliche "Donatistenstreit", bei dem es sich in Wirklichkeit um ein echtes Schisma handelte, nicht gleichgültig lassen. a) Der aus "persönlichen Ressentiments entstandene Donatismus" hat keine theologische "Lehre" im eigentlichen Sinn hervorgebracht, sondern war wesentlich eine kirchliche "Praxis", in der "gewisse doktrineile Tendenzen" zum Ausdruck kamen. 13 Das theologische Grundproblem des Donatismus ist in der Bindung der Gültigkeit der Sakramente an die Heiligkeit des Spenders zu suchen. In ihm setzte sich die vor allem mit dem Namen des Bischofs Cyprian von Karthago verbundene Richtung der "afrikanischen SonderBaus, Die Kirche vor Nikaia (Anm. 4), S. 82 f. Josef Ratzinger, Art. Donatismus als Lehre, in: LThK2 , Bd. 3, Sp. 504. Über die Entstehung des donatistischen Schismas s. Alfred Schindler, Art. Afrika I, in: TRE, Bd. 1, Berlin/ New York 1977, S. 655. 12

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theologie" fort und bedeutete zugleich "eine Erneuerung des altchristlichen Ringens um das Verständnis der Heiligkeit der Kirche" .14 Im sog. Ketzertaufstreit hatten sich die römische und die karthagische Auffassung gegenüber gestanden. Während in Rom die Praxis bestand, übergetretene Häretiker nicht wiederzutaufen, wenn sie auf den dreifaltigen Gott getauft waren, sprachen sich unter dem Vorsitz von Cyprian drei Synoden zu Karthago 255 und 256 für die Ungültigkeit der von Häretikern gespendeten Taufe aus. 15 Der Bruch, zu dem es daraufhin zwischen Rom und Karthago gekommen war, konnte nur dadurch einigermaßen vermieden werden, daß nach dem Tode Cyprians (t 258) und des Papstes Stephan (254-257) die Nachfolger die Kirchengemeinschaft wiederaufnahmen, ohne die Ketzertauffrage gelöst zu haben. Das damals theologisch ungelöst gebliebene Problem konnte erst im Laufe des vierten Jahrhunderts aufgearbeitet werden und hat auch noch Augustinus beschäftigt. 16 Die Ablehnung der Gültigkeit der Häretikertaufe durch die Donatisten hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, daß der Donatismus zu einer Märtyrerbewegung wurde, die freilich die Idee des Martyriums durch Auslösung einer Selbstmordwelle pervertierte. 17 b) Eine zweite theologische Komponente bzw. Sonderlehre der donatistischen Richtung war ihre Ablehnung der konstantinischen Staatskirche. Auch hier war die Haltung der Donatisten ursprünglich durchaus widersprüchlich. Einerseits trugen sie unmittelbar nach dem Mailänder Edikt Konstantins keinerlei Bedenken, den Kaiser als Schiedsrichter gegen die Katholiken anzurufen und dessen Urteil zu beantragen; ebenso zögerten sie nicht, gegen Abspaltungen in ihren eigenen Reihen, vor allem gegen die sog. Rogatisten und Maximilianisten, den Staat zu Hilfe zu rufen. 18 14 Ratzinger, ebd. Dabei war die Praxis der Wiedertaufe innerhalb der verschiedenen Spielarten des Donatismus keineswegs einheitlich, sondern durchaus widersprüchlich. Ungeachtet dieser seiner Widersprüchlichkeiten und der Tatsache, daß der Donatismus "nur sekundär einen gewissen Lehrtyp entfaltete", hat er dennoch für die Entwicklung des kirchlichen Dogmas insofern Entscheidendes bedeutet, als er zur "Reflexion über das von der klassischen griechischen Theologie fast völlig vernachlässigte Gebiet der Ekklesiologie zwang". Den dauernden Ertrag des Ringens mit dem Donatismus bildet demnach die Lehre vom sakramentalen Charakter und damit verbunden eine genauere Lehre vom kirchlichen Amt und von der Heiligkeit der Kirche. Vgl. hierzu Ratzinger, ebd., Sp. 505. 15 Berthold Altaner I Alfred Stuiber, Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, 8. Aufl., Freiburg i. Br. 1980, S. 173. 16 Lohse, Kaiser und Papst (Anm. 8), S. 80 f. 17 Ratzinger, Donatismus (Anm. 13), Sp. 504 f. 18 Ratzinger, ebd., Sp. 505.

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Voll in Widerspruch zu ihrer Ablehnung der von Konstantirr begründeten Staatskirche setzten sich die Donatisten während der zweijährigen Regierungszeit des ihnen wohlgesonnenen Kaisers Julianus Apostata (361-363). Unter Berufung auf das Restitutionsreskript Julians nutzten die Donatisten skrupellos die Gunst der Stunde. In blinder Wut durcheilten die donatistischen Scharen das Land, vor allem in den Provinzen Numidien und Mauretanien, und stellten ihre Gemeinden wieder her. Viele katholische Gemeinden wurden damals aus ihren Kirchen vertrieben. Die Gotteshäuser wurden ihnen weggenommen und von den Donatisten besetzt. Fast überall, wo die Rotten hinkamen, verübten sie Greueltaten, bei denen es nicht ohne Blutvergießen abging. Die Statthalter, die diesen Ausschreitungen während der Regierungszeit Julians hilflos gegenüberstanden, erstatteten darüber Bericht. Die Ausschreitungen nahmen derartige Ausmaße an, daß die Beamten wegen der Verstöße gegen das öffentliche Recht, zu denen es bei der Durchführung des zugunsten der Donatisten erlassenen Restitutionsreskripts gekommen war, durch· eine relatio den Kaiser von der Mißständen in Kenntnis setzten und ihn zu Maßnahmen oder Instruktionen veranlassen wollten, die ihnen die Möglichkeit böten, dem wilden Treiben, das mancherorts einem Bürgerkrieg gleichgekommen war, Grenzen oder ein Ende zu setzen. 19 c) Das donatistische Schisma war schließlich gekennzeichnet von der besonders in Numidien bestehenden starken Spannung zwischen den in der diokletianischen Verfolgung (303-305) im Klerus vorhandenen Extremen der traditores, die heilige Bücher oder Geräte ausgeliefert hatten, auf der einen und den Fanatikern des "Märtyrerenthusiasmus" auf der anderen Seite. Dabei spielten auch die völkischen und sozialen Gegensätze zwischen der einheimischen und der römischen Bevölkerung sowie zwischen Grundbesitzern und Landarbeitern eine Rolle. 20 Nach 316 versuchte Kaiser Konstantin, die Einheit der Kirche mit gesetzlichen Maßnahmen wiederherzustellen. Er ging gegen die Donatisten mit Strenge vor und verordnete die Einziehung ihres Vermögens zugunsten des Staates und verbannte ihre Anführer. 21 Jedoch war diesen Maßnahmen Konstantins kein bleibender Erfolg beschieden. Wohl im Hinblick auf die bevorstehende militärische Auseinandersetzung mit seinem Schwager Licinius, die im Jahre 324 stattfand, gab Kon19 Einzelheiten bei Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 132-139: Der Triumph der Donatisten unter Julian; die zitierte Stelle S. 135. 2o Vgl. hierzu Leo Ueding, Art. Donatistenstreit, in: LThK 2 , Bd. 3, Freiburg i. Br. 1959, Sp. 505 f. 21 Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 84 f.; über die Lage der Katholiken und der Donatisten unter Konstantin s. Schindler, Art. Afrika I (Anm. 13), S. 656 ff.

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stantin, um in Afrika die Hände frei zu haben, von 320 an seine vielfachen Bemühungen auf, die durch die donatistische Spaltung in Nordafrika zerbrochene Einheit der Kirche wiederherzustellen. 22 Afrika war die Kornkammer und das Ölreservoir Roms. Unruhen in diesem Land vermochten leicht zu einer Versorgungskrise in der Hauptstadt Rom zu führen, die möglicherweise die Rückendeckung des Kaisers gefährden und damit seine Position schwächen konnte. Bei der Zahl und der Stärke der schismatischen Opposition in Afrika konnte die weltliche Gewalt nicht hoffen, diese Bewegung in kurzer Zeit niederzuzwingen.23 Die überwiegend politischen Rücksichten bestimmten den Kaiser, seine Religionspolitik zu ändern. Er erlaubte 321 den verbannten Donatisten die Rückkehr in die Heimat und forderte in einem Schreiben an die Bischöfe und die Katholiken Nordafrikas zur Duldung und zur Rücksicht gegenüber donatistischen Übergriffen auf. Praktisch hatte sich Konstantin mit der Existenz zweier christlicher Konfessionen in Afrika abgefunden. 24 Die schismatische donatistische Gemeinschaft war damit jedoch nicht als religio licita anerkannt; sie blieb rechtlos, war aber religionsrechtlich geduldet. Auch ihre Kirchen wurden den Donatisten nicht offiziell zurückgegeben. 25 Für die Religionspolitik Konstantins war allein die Frage entscheidend, ob die Kirchengemeinde des katholischen Bischofs Caecilian die rechtmäßige und dieser selbst ihres Kultes würdig sei. Sein Ziel war, die Eintracht unter den Dienern Gottes herzustellen, damit die Lenkung des Staates glücklich und gesegnet sei. 26 Auch nach seinem Sieg über Licinius im Jahre 324 hat Konstantin bis zum Ende seines Lebens im Jahre 337 seine auf dem Prinzip der Toleranz basierende Religionspolitik gegenüber den Donatisten nicht mehr geändert. Seine Haltung führte im Ergebnis zu einer erheblichen Stärkung der Position der Donatisten. 27 Die Donatisten konnten, vor allem in Numidien und Mauretanien, ungehindert Kapellen, Dorfkirchen und auch große Basiliken errichten; sie konnten es sogar wagen, in Constantine in Numidien den Katholiken ihre von Konstantin erbaute Basilika wegzunehmen. 28 Nur gelegentlich kam es zu Zusammenstößen mit den Katholiken, die zunehmend in die Minderheit ge-

22 23 24 25 26 27 28

Grasmück, ebd., S. 89. Vgl. bei Grasmück, ebd. Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 143; Grasmück, ebd., S. 91 f. Einzelheiten bei Grasmück, ebd., S. 90 ff. m. w. N. Vgl. Grasmück, ebd., S. 102. Grasmück, ebd., S. 108. Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 144.

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rieten. Jedoch blieb die donatistische Kirche eine im wesentlichen auf den nordafrikanischen Rawn beschränkte christliche Konfession. 29 4. Die Donatisten als Staatsfeinde

Der erste schwere und blutige Zusammenstoß zwischen dem römischen Staat und der donatistischen Partei erfolgte im Jahre 347 unter Kaiser Konstans (337-350), dem im Jahre 337 bei der Teilung des Reiches unter die drei Söhne Konstantins die Provinzen Afrika, beide Italien und Illyrien zugesprochen worden waren. Während der ersten zehn Jahre seiner Herrschaft verfolgte Konstans gegenüber den Donatisten die auf Duldung ausgerichtete Religionspolitik seines Vaters. Die ständig zunehmende Festigung der donatistischen Kirche in Afrika veranlaßte das Oberhaupt der donatistischen Partei, den Bischof Donatus von Karthago, sich an Kaiser Konstans zu wenden und von ihm eine Initiative im Sinne einer Union aller Christen Nordafrikas unter donatistischer Führung zu erwirken. Der Kaiser sandte daraufhin zunächst die beiden hohen Beamten Paulus und Macarius, vermutlich kaiserliche Notare, mit reichen Spenden für die Armen und die Gotteshäuser beider Konfessionen nach Nordafrika. Sie sollten sich an Ort und Stelle über die Möglichkeit einer Union informieren und hierfür ein günstiges Klima schaffen. 30 Die Mission der kaiserlichen Beamten erwies sich jedoch als völliger Mißerfolg. Sie führte zu dem ersten schweren blutigen Zusammenstoß zwischen dem römischen Staat und der donatistischen Kirche. Bereits in der Teilnahme der beiden Beamten am Gottesdienst katholischer Bischöfe und in der Kontaktaufnahme mit "Mitgliedern der Catholica aus dem Volk" erblickte der selbstsichere, hochmütige und jähzornige Bischof Donatus von Karthago eine unerträgliche Befangenheit der beiden Beamten und eine Begünstigung der Gegenpartei. Als die beiden kaiserlichen Abgesandten bei ihm erschienen, empfing er sie mit der berühmt gewordenen Frage, was denn den Kaiser die Kirche angehe, wörtlich: "Quid est imperatori cum Ecclesia?" 31 Donatus verweigerte nicht nur die Annahme ihrer Geschenke, er wies darüber hinaus auch seinen Baus, ebd., S. 143 f. Einzelheiten bei Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 112 f.; Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 144. 31 Baus, ebd., S. 145; Grasmück, ebd., S. 114 mit Anm. 576. Dieser Ausspruch ist überliefert bei Optatus von Mileve (in Numidien), in: S. Optati Milevitani libri VII. Recensuit et commentario critico indicibusque instruxit Carolus Ziwsa. Accedunt decem monumenta vetera ad Donatistarum historiam pertinentia (CSEL, vol. 26), Pragae, Vindobonae, Lipsiae 1893: III, 3; bei Ziwsa S. 73, Zeile 20. Vgl. ferner Aland, Kirche und Staat (Anm. 3), S. 43. 29

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Klerus an, die kaiserliche Gesandtschaft überhaupt nicht zu empfangen. Damit begaben sich die Donatisten in eine Art Fundamentalopposition zur Religionspolitik des Kaisers und damit zum römischen Staat. Hier zeigt sich mit Deutlichkeit, daß die Donatisten die Zeichen der Zeit, d. h. die Wandlung, die mit der Bekehrung Konstantins auch für die christliche Kirche eingetreten war, nicht erkannten und offensichtlich auch nicht zur Kenntnis nehmen wollten. 32 Nach der Abweisung der beiden kaiserlichen Abgesandten durch Bischof Donatus von Karthago geriet den Donatisten die Situation völlig außer Kontrolle. In der Provinz Afrika wurden vage Gerüchte über gewaltsame Unionspläne der kaiserlichen Beamten in Umlauf gesetzt und verursachten eine kaiserfeindliche Stimmung. Als Macarius und Paulus in die Provinz Numidien kamen, war die Haltung der dortigen donatistischen Bevölkerung gegenüber den kaiserlichen Gesandten so drohend und feindlich geworden, daß diese zur Ausführung ihres Auftrags militärischen Schutz anforderten. Zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen kam es, als der Bischof von Bagai in Numidien, ebenfalls mit dem Namen Donatus, die Circumcellionen, d. h. fanatische, zum Teil religiös, zum Teil sozial motivierte kampfentschlossene paramilitärische donatistische Stoßtrupps, herbeirief und den Widerstand gegen die militärische Begleitung der beiden kaiserlichen Kommissare organisierte. 33 In einem blutigen Kampf wurde daraufhin die große Schar von Circumcellionen vom römischen Militär aufgerieben und Bischof Donatus von Bagai als Rädelsführer hingerichtet. 34 Die Donatisten zeigten sich jedoch auch von diesen Ereignissen wenig beeindruckt. Die Toten dieser blutigen Auseinandersetzung waren in den Augen der Donatisten Märtyrer. Die donatistische Kirche fühlte sich durch dieses Ereignis in ihrem Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft der Verfolgten erneut bestätigt. Dies zeigt das Verhalten Lohse, Kaiser und Papst (Anm. 8), S. 76. Über die Circumcellionen, die überzeugte Anhänger der donatistischen Kirche und ihrer Ideen waren, ihren schwärmerischen Enthusiasmus, der sie sowohl zu Märtyrern als auch zu Terroristen werden ließ, und ihre Verwendung durch die donatistische Führung, die sich ihrer nach Bedarf und nach ihrem jeweiligen politischen Kalkül bediente, vgl. die ausführlichen Angaben bei Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 145f. Über das Phänomen der Circumcellionen und die von ihnen begangenen Terrorakte und Gewalttaten vgl. ferner Gerda Krüger, Art. Circumcellionen, in: LThK 2 , Bd. 2, Freiburg 1958, Sp. 1206; Schindler, Art. Afrika I (Anm. 13), S. 662-665. 34 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 116f.; ferner Baus, ebd., S. 146. 32 33

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des donatistischen Bischofs Marculus, der daraufhin mit einer Delegation den kaiserlichen Kommissar Macarius aufsuchte und ihm schwere Vorwürfe machte, die diesen so erregten, daß er die gesamte Delegation auspeitschen, den Bischof Marculus aber in Haft nehmen und später hinrichten ließ. Die von den Donatisten verfaßte Passio Marculi bezeichnet ihn als einen der größten Märtyrer der donatistischen Kirche.35 Die Versuche des Kaisers Konstans, auf friedlichem Wege die Vereinigung der Kirche wiederherzustellen, hatten durch die Ereignisse von Bagai und das Scheitern der Gesandtschaft der kaiserlichen Kommissare Macarius und Paulus einen schweren Rückschlag erlitten. Die im Jahre 321 von Konstantin verfügte Duldung des donatistischen Schismas, das bisher nie Legalität erlangt hatte, fand durch die Ereignisse von Bagai ein jähes Ende. Kaiser Konstans setzte daraufhin das Fraskriptionsdekret seines Vaters Konstantin gegen die Donatisten erneut in Kraft. Die Bischöfe und Priester, die sich weigerten, zur katholischen Kirche zurückzukehren, wurden verbannt; ihr Vermögen wurde eingezogen. Den Schismatikern wurden auch die kirchlichen Gebäude und das gesamte kirchliche Vermögen weggenommen und eingezogen. Unter Konstans, der gläubiger Christ war und sich zu den Beschlüssen des Konzils von Nicaea bekannte, wurden die Maßnahmen gegen die Donatisten mit größerer Schärfe durchgeführt als unter seinem Vater Konstantin. 36 Durch Edikt vom 15. August 347 ordnete Konstans kurzerhand die Vereinigung der beiden Kirchen unter dem Oberhaupt der Katholiken, dem allerdings wenig tatkräftigen Bischof Gratus von Karthago, an. Das Oberhaupt der Donatisten, Bischof Donatus von Karthago, und andere führende Persönlichkeiten der donatistischen Kirche wurden, soweit sie sich nicht mit dem niederen Klerus der Verhaftung durch die Flucht entzogen hatten, in die Verbannung geschickt. Auf das einfache donatistische Kirchenvolk wirkte das kaiserliche Dekret wie ein Schock; es beugte sich massenweise dem befohlenen Zusammenschluß. Damit hatte auch die donatistische Kirche in ihren eigenen Reihen lapsi und traditores. Bischof Donatus von Karthago starb um 355 im Exil. Der katholischen Kirche fehlte damals in Afrika allerdings im Episkopat eine Persönlichkeit von "starker religiöser Ausstrahlungskraft", die den Donatisten eine innere Bejahung der Union möglich gemacht oder erleichtert hätte. Dies gilt gleichermaßen von dem Bischof Gratus von Karthago wie von seinem Nachfolger Restitutus. Ihre Le35 Vgl. die Passio Marculi, in: PL 8, Sp. 760-766. Hinweis bei Baus, ebd., S. 146 mit Anm. 26; ausführlicher Bericht bei Grasmück, ebd., S. 123 ff. 36 Vgl. zum Ganzen: Grasmück, ebd., S. 117ff.

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thargie führte dazu, daß sich die Situation der Katholiken außerhalb Karthagos nur wenig änderte. In ihren eigentlichen Verbreitungsgebieten, den Provinzen Mauretanien und Numidien, blieben die Donatisten weitgehend unbehelligt. Sie erbauten ihrem Märtyrer Marculus in Vegesela eine große Basilika; zahlreiche Pilger besuchten die Stätte seiner Hinrichtung und stärkten ihre Hoffnung auf eine baldige Wende. 37 Im Ergebnis bleibt festzustellen, daß die Kirchenpolitik des Konstans, die von seinem Bruder Konstantius als Alleinherrscher des rö-

mischen Weltreichs {350-361) weitergeführt wurde, dem Donatismus größeren Schaden zugefügt und die Donatisten in eine weit ungünstigere Lage gebracht hat, als dies die im Grunde gleichartige Religionspolitik Konstantins vermocht hatte. 38 Eine jähe Zäsur erfuhr die bisherige kontinuierliche kaiserliche Religionspolitik, die auf eine Begünstigung der Katholiken gegenüber den Donatisten ausgerichtet war, durch das zweijährige Intermezzo der Regierungszeit des Kaisers Julianus Apostata (3. November 36127. Juni 363). Diese zwei Jahre wurden, wie bereits dargestellt, für die katholische Kirche zu einer Periode einer äußerst grausamen Unterdrückung und Verfolgung durch die von Kaiser Julian begünstigten Donatisten. Dazu kam, daß die Donatisten in der Person des Bischofs Parmenian von Karthago, des Nachfolgers der Bischofs Donatus, während seiner dreißig Jahre dauernden Amtsführung eine äußerst qualifizierte und theologisch hochgebildete und führende Persönlichkeit besaßen, der die Katholiken keinen Bischof von gleichem Format entgegenzusetzen hatten. 39 Wahrend der kurzen Regierungszeit des vom Christentum abgefallenen und die Donatisten gegenüber den Katholiken begünstigenden Kaisers Julian wollten die Donatisten von der Frage ihres Bischofs Donatus an die kaiserlichen Gesandten Macarius und Paulus "Quid est imperatori cum ecclesia" und ihrer Opposition gegen die konstantinische Staatskirche nichts mehr wissen.

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Vgl. im einzelnen die Angaben bei Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4),

s. 147.

Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 127 f. Einzelheiten bei Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 148-154; Grasmück, ebd., S. 132-139. 38 39

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5. Bischof Optatus von Mileve als Wortführer der katholischen Bischöfe Nordafrikas

a) Es ist für uns heute überraschend, ja in höchstem Maße erstaunlich, daß der katholische Episkopat in Afrika in dem halben Jahrhundert von 313 bis etwa 365 jede größere publizistische Aktivität und theologische Auseinandersetzung mit den Donatisten mit dem Ziele der Überwindung der religiösen Krise, d. h. des donatistischen Schismas, vermissen ließ. 40 Es war Optatus, Bischof von Mileve in Numidien, der als erster katholischer Bischof auf hohem Niveau in die theologisch-literarische Polemik mit dem Donatismus eintrat41 und darin zum großen Vorläufer Augustins wurde, der in den ersten zwei Jahrzehnten seiner bischöflichen Amtsführung in der Bekämpfung des Donatismus seine Hauptaufgabe erblickte. 42

Optatus, gestorben vor 400, schrieb nach der kurzen Regierungszeit des Kaisers Julianus Apostata, in dessen frühem Tod er ein Gottesgericht erblickte, um 365 gegen die literarischen Angriffe des Bischofs Parmenian von Karthago ein Werk in sechs Büchern, dessen ursprünglicher Titel unbekannt ist. Das Werk wird heute entweder "Contra Parmenianum Donatistam" oder "De schismate Donatistarum adversus Parmenianum" genannt. Augustinus hat seine Leser in seiner Schrift gegen Parmenian auf den "venerabilis memoriae Milevitanum episcopum catholicae communionis Optatum" hingewiesen. 43 Erhalten ist nur die zweite Bearbeitung des Werkes durch Optatus aus der Zeit um 385, der er ein unvollendet gebliebenes siebtes Buch mit einem älteren Urkundenanhang zum Donatistenstreit aus der Zeit von 330-347 angefügt hat. 44 Dieses Werk von Optatus ist die kirchenhistorische HauptVgl. hierzu die zutreffenden Ausführungen bei Grasmück, ebd., S. 141 f. über Optatus von Mileve vgl. Adolf Harnack, Art. Optatus, Bischof von Mileve in Numidien, in: Reallexikon für protestantische Theologie und Kirche, 3. Aufl., hrsg. von Johann Jakob Herzog und Albert Hauck, Bd. 14, Leipzig 1904, S. 413-416; Otto Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur, Bd. 3: Das vierte Jahrhundert mit Ausschluß der Schriftsteller syrischer Zunge, Freiburg 1912, S. 491-495; Joseph Martin, Art. Optatus, hl. Bischof von Mileve (Numidien), in: LThK\ Bd. 7, Freiburg 1935, Sp. 733 f.; Joseph Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche(= Münchener Theologische Studien. 2. Systemat. Abt., Bd. 7), München 1954 (Neudruck St. Ottilien 1992); Alfred Stuiber, Art. Optatus, hl. (Fest 4. Juni) Bischof von Mileve in Numidien, in: LThK2 , Bd. 7, Freiburg 1962, Sp. 1180f.; Grasmück, ebd., S. 133ff., 142ff., 254 f.; Altaner I Stuiber, Patrologie (Anm. 15), S. 371 f. 42 Ratzinger, Volk und Haus Gottes (Anm. 41), S. 101. 43 Harnack, Art. Optatus (Anm. 41), S. 413 m. w. N. 44 S. hierzu die maßgebliche Ausgabe S. Optati Milevitani libri VII, ed. Ziwsa (Anm. 31). 40

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quelle über die Entstehung und den Verlauf des donatistischen Schismas während des 4. Jahrhunderts bis zu Augustinus. b) Optatus bemühte sich in seinem Werk, den Donatisten, die er nicht als Häretiker, sondern durchgehend als Schismatiker, d. h. als getrennte christliche Brüder, betrachtet, durch eine versöhnliche Darstellung der Geschichte des Schismas und der aktuellen Streitfragen die Rückkehr zur katholischen Kirche zu erleichtern. 45 Optatus hat sich in seinem Werk, das sich auf kirchliche und staatliche Akten und Urkunden stützt, das Ziel gesetzt, die Behauptung des Parmenian zu widerlegen, die wahre Kirche Christi sei nur bei den Donatisten zu finden. Er skizziert den Gedankengang der Ausführungen des Parmenian und erklärt, sämtliche von diesem vertretenen Thesen im einzelnen widerlegen zu wollen, und zwar in abweichender Reihenfolge. Seine Beweisführung ist teils dogmatisch, teils historisch. Im 1. Buch zeigt er aufgrund der Entstehungsgeschichte des Schismas, daß die Donatisten aufrührerische Christen sind, die sich in ihrem Hochmut von der katholischen Kirche getrennt haben. Die Donatisten seien daher im Unrecht. In dem ekklesiologisch bedeutsamen 2. Buch erklärt Optatus, daß es nur eine Kirche Christi gebe und daß diese eine wahre Kirche die katholische Kirche sei, die mit der Cathedra Petri verbunden und über die ganze Welt verbreitet sei. Deshalb könne die nur auf einen kleinen Teil Afrikas beschränkte Kirche der Donatisten nicht die wahre Kirche Christi sein. 46 Hier unterscheidet Optatus scharf zwischen der Ecclesia universalis und der Ecclesia localis bzw. particularis. Im 3. Buch rechtfertigt Optatus das Einschreiten der Staatsgewalt gegen die Donatisten; er legt jedoch großes Gewicht auf die Feststellung, daß die harten Maßnahmen der Regierung gegen die Donatisten nicht den Katholiken angelastet werden dürften. Die Katholiken hätten das Einschreiten der Staatsgewalt gegen die Donatisten auch nicht erwirkt; dieses hätten sich die Donatisten infolge ihres Verhaltens vielmehr selbst zuzuschreiben.

Im 4. Buch wendet sich Optatus gegen die Schmähungen der Donatisten gegen die Katholiken mittels einer böswilligen Interpretation von Stellen der Heiligen Schrift und deren Anwendung auf die Katholiken 45

41),

Stuiber, Art. Optatus (Anm. 41), Sp. 1180; Harnack, Art. Optatus (Anm.

s. 414.

46 Optatus thematisiert hier erstmals das Problem der Einheit der Gesamtkirche und stellt die Frage nach der Bedeutung des römischen Bischofs. Der Kirchenbegriff, der hier vorausgesetzt wird, ist der der Kirche als "Catholica". Vgl. hierzu im einzelnen Ratzinger, Volk und Haus Gottes (Anm. 41), S. 103 ff.

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und ihre Opfer (Is. 66, 3; Ps. 140, 5). Nicht diejenigen seien Sünder, denen es die Schismatiker nachsagten, sondern diese selbst seien es, wie Gott gezeigt habe. Im 5. Buch verwirft Optatus die Praxis der donatistischen Wiedertaufe und vertritt die katholische Lehre von der objektiven Wirksamkeit der Sakramente "ex opere operato". Die Sakramente seien- unabhängig von der persönlichen Heiligkeit des Spenders - auch bei Schismatikern gültig. Im 6. Buch behandelt Optatus den Fanatismus, die Gehässigkeit und das Verhalten der Donatisten nach ihrer Amnestierung durch Kaiser Julianus Apostata. Er weist darauf hin, daß die Donatisten, die von den Katholiken benutzten Altäre niedergerissen, Kelche und andere heilige Gefäße zertrümmert und katholische Kleriker schwer mißhandelt hätten. In dem erst der Zweitbearbeitung seines Werkes um 385 angefügten 7. Buch rechtfertigt er erneut seine Gesamtbeurteilung des donatistischen Schismas und erklärt, daß die Traditoren im Gegensatz zur donatistischen Lehre und Praxis, nachhaltig und mild zu beurteilen seien.47 Nach dem Urteil von Stuiber ist Optatus von Mileve ein gewandt schreibender und selbständig denkender Theologe, dessen Werk Augustinus etwa seit 400 viele wesentliche Bausteine für seine Kirchen- und Sakramentenlehre entnommen hat. 48 Nach Bardenkewer hinterläßt Optatus den Eindruck eines klaren und charaktervollen Mannes, der von den besten Absichten beseelt und über die schwebenden Fragen wohl unterrichtet gewesen sei. Seine Sprache habe etwas "Markiges und Sententiöses", freilich auch etwas "Hartes und Rauhes". In der Augustinus zugeschriebenen, aber wohl unechten Schrift "De unitate Ecclesiae" (19, 50) werde Optatus in einem Atemzug mit Ambrosius "als eine hervorragende Zierde der katholischen Kirche bezeichnet". Fulgentius von Ruspe betrachtet ihn als berühmten Lehrer neben Augustinus und Ambrosius. 49

47 Vgl. zum Ganzen Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 142 f.; Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur (Anm. 41), S. 491 f.; Harnack, Art. Optatus (Anm. 41), S. 414f. 48 Stuiber, Art. Optatus (Anm. 41), Sp. 1181. 49 Einzelheiten mit weiteren Nachweisen bei Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur (Anm. 41), S. 493 f.

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6. Kirche und Staat bei Optatus von Mileve

Optatus von Mileve hat keine systematische Doktrin zum Verhältnis der von ihm in den Auseinandersetzungen mit den Donatisten erstmals begrifflicherfaßten "universalen" katholischen Kirche zur römischen Staatsmacht, d. h. kein Jus Publicum Ecclesiasticum, und auch keine theologische Lehre über die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Kaiser bzw. dem Staat auf der einen und der Kirche auf der anderen Seite in theologisch-dogmatischen Fragen entwickelt. Dies geschah in ersten Ansätzen in konkreten Auseinandersetzungen zwischen Ambrosius und dem Kaiser Theodosius I. (379-395) 50 und aufgrundeigener leidvollster Erfahrungen in den arianischen Streitigkeiten durch Athanasius 51 und- bereits auf einer hohen Reflexionsstufein der westlichen Kirche in dem berühmten Brief des Papstes Gelasius I. vom Jahre 494 an Kaiser Anasthasius. 52 Im Vergleich zu der selbstbewußt auf ihre Freiheit pochende Kirche des Westens vermochte sich die byzantinische Kirche niemals aus den Fesseln des Cäsaropapismus bzw. der staatlichen Kirchenhoheit zu befreien. Unter Kaiser Justinian I. (527-565) sollte schließlich die theokratische Wertung der kaiserlichen Macht ihren nicht mehr überbietbaren Höhepunkt erreichen. Mehrfach hat dieser Kaiser erklärt, daß die Fürsorge für das Wohl der Kirche, den reinen Glauben und das religiöse Leben seine wichtigste Aufgabe sei. Unter ihm geriet die Regierung der byzantinischen Kirche völlig in die Hand des Kaisers. In einem für die Zeit des Optatus von Mileve noch völlig unbekannten und im Grunde auch nicht vorstellbaren Ausmaß wurden unter Justinian I. die Angelegenheiten der Kirche durch kaiserliche Erlasse geregelt und 50 Vgl. hierzu das berühmte Wort von Ambrosius: Der Kaiser steht in der Kirche, nicht über der Kirche. ("Imperator enim intra ecclesiam, non supra ecclesiam est" .) Einzelheiten bei Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 90. Über den großen, für Ambrosiuis mit Lebensgefahr verbundenen Konflikt zwischen ihm und dem jugendlichen Kaiser Valentinian II. (383-392) und dessen arianisch gesinnter Mutter Justina, die von Ambrosius vergeblich die Herausgabe einer katholischen Kirche und deren Umwidmung in eine arianische verlangt hatten, vgl. die ausführliche Darstellung bei Hendrik Berkhof, Kirche und Kaiser. Eine Untersuchung der Entstehung der byzantinischen und der theokratischen Staatsauffassung im vierten Jahrhundert, Zollikon-Zürich 1947, S. 135 ff. 51 Vgl. bei Baus, ebd. 52 Wortlaut dieses Briefes in: Hugo Rahner, Kirche und Staat im frühen Christentum. Dokumente aus acht Jahrhunderten und ihre Deutung, München 1961, S. 254ff. (lateinisch und deutsch). Vgl. hierzu ferner Paul Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pirson, Bd. I, Berlin 1994, S. 127 mit Anm. 55.

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die kirchliche Gesetzgebung zum größten Teil durch diejenige des Kaisers ersetzt. 53 Nicht diesen späteren, die Kirche völlig beherrschenden und ihrer Freiheit beraubenden byzantinischen Staat hatte Optatus von Mileve in seinen Aussagen über das Verhältnis von Staat und Kirche im Auge, sondern den römischen Staat, der durch den Sieg Konstantins den Christenverfolgungen ein Ende bereitet und der christlichen Religion und damit der katholischen Kirche die Gleichberechtigung mit den anderen Kulten und die Freiheit ihres Wirkens geschenkt hatte.

Optatus von Mileve, den Augustinus zu den Theologen zählt, die "mit Gold und Silber und Gewändern reich beladen aus Ägypten ausgezogen", d. h. mit den Schätzen weltlicher Wissenschaft ausgerüstet vom Heidentum zum Christentum übergetreten waren 54 , war erfüllt von der Begeisterung über den mit Hilfe des Kaisers Konstantin errungenen Sieg des Christentums über die heidnische Religion und zutiefst durchdrungen von der Idee der sakralen Stellung des Kaisers. Seine Einstellung zum Staat und demgemäß auch seine Aussagen zum Verhältnis von Staat und Kirche sind gekennzeichnet von einer Art "Urvertrauen" zu dem von einem christlichen Kaiser regierten römischen Staat und einer unreflektierten Nähe zwischen dem die Kirche befreienden und beschützenden Staat und der den Schutz dieses Staates suchenden und dankbar entgegennehmenden Kirche. Auf die Frage des die Bemühungen des Kaisers Konstans um die Wiederherstellung der Einheit der Kirche in Nordafrika als unberechtigte Einmischung des Staates in die innerkirchlichen Angelegenheiten empfindenden Bischofs Donatus von Karthago, was denn den Kaiser die Kirche angehe ("Quid est enim imperatori cum Ecclesia"), antwortet Optatus von Mileve mit seinem berühmten Wort: "Nicht der Staat ist in der Kirche, sondern die Kirche im Staat, d. h. im Römischen Reich. Dieses nennt Christus im Hohen Lied den Libanon, wenn er sagt: Komm meine gefundene Braut, komm vom Libanon, d. h. vom Römischen Imperium, in dem das Priestertum, die Keuschheit und die Jungfräulichkeit heilig gehalten werden, die es bei den Barbarenvölkern nicht gibt, und die, wenn es sie gäbe, bei ihnen keinen sicheren Bestand hätten. " 55 Man kann dieses Wort des Optatus nur richtig verste53 Einzelheiten bei Voigt, Staat und Kirche (Anm. 2), S. 44ff.; Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 91. 54 Augustinus, De doctrina christiana (II, 40, 61); Angaben bei Bardenhewer, Geschichte der altchristlichen Literatur (Anm. 41), S. 493. 55 "Non enim respublica est in ecclesia, sed ecclesia in republica, id est in imperio Romano, quod Libanum appellat Christus in Canticis Canticorum, cum dicit: Veni sponsa mea inventa, veni de Libano, id est de imperio Romano, ubi et

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hen und interpretieren, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es in unmittelbarem Kontext zu der diesen Staat ablehnenden Aussage des Bischofs Donatus steht und es als erklärten Widerspruch und dezidierte Gegenposition und als erklärte Absage zu dessen Ablehnung des römisch-christlichen Staates begreift. Zutreffend hat Harnack zu dieser prägnanten Formel, die im übrigen nicht "gepreßt" werden dürfe, erklärt, sie zeige, daß Optatus die Eindrücke des Umschwungs unter Konstantin nicht verleugne und sie auch nicht durch neue Erwägungen verdrängt habe 56 . Im Gegensatz zu den Donatisten, nach deren Meinung ein Christ nichts mit dem Kaiser zu tun haben dürfe und die Bischöfe sich vom kaiserlichen Hof fernzuhalten hätten 57 , besteht für Optatus zu Recht eine enge Verbindung zwischen dem römischen Reich und der christlichen Kirche. Die Kirche ist zwar nicht irgendeine Anstalt des Staates, so wie von diesem auch andere Institutionen unterhalten werden. Sie befindet sich aber ganz unter dem Schutz des Reiches und untersteht dessen Oberhoheit, die sie anzuerkennen hat. Bemerkenswert ist bei Optatus nicht nur die selbstverständliche Bejahung der bestehenden engen Verbindung zwischen Staat und Kirche bzw. der Vorherrschaft des Kaisers über die Kirche, sondern viel mehr noch die "völlig fraglose Ineinssetzung von Staat und römischen Reich". Für Optatus sind die Begriffe respublica und Imperium Romanum ihrem Inhalt nach identisch. Für ihn ist das römische Reich die höchste Form einer möglichen Verwirklichung des Staates. Diese Auffassung beruht jedoch auf der geschichtstheologischen Voraussetzung, daß das Imperium Romanum nunmehr als solches zum christlichen Glauben bekehrt worden ist58 • Für Optatus ist das römische Reich, d. h. seine Bevölkerung, wegen ihrer 'lUgenden von Christus vor allen Barbarenvölkern auserwählt. Aus ihm hat er seine Braut, d. h. die Kirche, berufen. Daraus folgt, daß dem Herrscher dieses Reiches, dem Imperator, die höchste irdische Stellung zukommt. Über dem Imperator, erklärt Optatus, steht nur Gott allein, der den sacerdotia sancta sunt et pudicitia et virginitas, quaein barbaris gentibus non sunt et, si essent, tuta esse non possent." In: S. Optati Milevitani libri VII (Anm. 31), s. 74. 56 Harnack, Optatus (Anm. 39), S. 416. 57 S. Optati Milevitani libri VII (Anm. 31), S. 25: "Quid est christianis cum regibus? aut quid episcopis cum palatio?" 58 In diesem Sinne zutreffend die Ausführungen von Bernhard Lohse, Augustins Wandlung in seiner Beurteilung des Staates, in: Studia Patristica, vol. VI, Papers presented to the Third International Conferenc on Patristic Studies held at Christ Church, Oxford 1959. Part IV: Theologica, Augustiniana, edited by F. L. Cross(= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur. Begründet von 0. von Gebhardt und A. von Harnack, Bd. 81), Berlin (Ost) 1962, S. 473.

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Kaiser zu seiner Stellung erhoben hat. 59 Der römische Kaiser empfing sein Amt und seine Machtfülle von Gott. Indem Donatus, das Oberhaupt der Donatisten, die angebotenen Gaben des Kaisers Konstans zurückwies, hat er sich über den Kaiser erhoben und sich selbst damit nicht einem Menschen, sondern nahezu Gott gleich geachtet; er hat dem die Ehrerbietung verweigert, den die Menschen nächst Gott fürchten. 60 Zusammenfassend ist festzustellen: Optatus steht in seiner optimistisch-euphorischen Beurteilung des römischen Staates und des Kaisers als des Schutzherrn der Kirche noch ganz unter dem Eindruck des Sieges des christlichen Glaubens über die heidnische Religion. Diesen Sieg verdankt die katholische Kirche ganz und gar dem Kaiser Konstantin und seinen Nachfolgern. Ferner ist im Hinblick auf die zum Teil überschwenglichen Äußerungen des Optatus über den römischen Staat und den Kaiser zu bedenken, daß es sich bei seinem Buch über das Schisma der Donatisten trotzseines weithin gemäßigten Tones um eine polemisch-apologetische kontroverstheologische Kampfschrift handelt, bei der es dem Verfasser nicht darum zu tun war, im Sinne eines wissenschaftlichen Lehrbuches alle Aspekte der von ihm behandelten Thematik gewissermaßen sine ira et studio darzustellen. Er wollte vielmehr die Irrtümer und Widersprüchlichkeiten der Doktrin und des Verhaltens der Donatisten darstellen und bloßlegen und diese zur Rückkehr zur katholischen Kirche bewegen. Der Probleme und der Gefahr des Verlustes der Kirchenfreiheit, die sich aus der engen Verbindung zwischen Kirche und Staat sowie aus der Stellung, die der Kaiser innerkirchlich einnahm, in der Zukunft, insbesondere in der byzantinischen Staatskirche, alsbald ergeben sollten, war sich Bischof Optatus von Mileve noch in keiner Weise bewußt. ß. Die Überwindung des donatistischen Schismas. Das Einschreiten des Staates gegen die Donatisten 1. Der geschichtliche Verlauf der Beendigung des Schismas

Während der kurzen Regierungszeit des den Heiden und den Donatisten freundlich gesonnenen Kaisers Julianus Apostata (361-363) konnten die Donatisten ihre frühere Position wieder in vollem Umfang einS. Optati Milevitani libri VII (Anm. 31), S. 75. Optatus, ebd. Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Ratzinger, Volk und Haus Gottes (Anm. 41), S. 121-123, der auf die gefährlichen Konsequenzen dieses noch undifferenzierten Verständnisses der Staatsreligion bei Optatus hinweist. 59

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nehmen und die katholische Kirche in den Hintergrund drängen. Nach dem Julianischen Intermezzo setzten die Kaiser Valentinian I. (364375) und in noch bedeutend entschiedenerem Maße Gratian (375-383) die frühere Religionspolitik im Sinne des orthodoxen Glaubens fort. Das Restitutionsreskript des Kaisers Julian wurde rückgängig gemacht. Die Donatisten fanden schon bald bei den Behörden keine Unterstützung mehr. 61

Gratian, der Sohn und Nachfolger Valentinians I., ging schärfer als sein kaiserlicher Vater gegen Häretiker vor. Am 22. April376 befahl er, in den Städten und auf dem flachen Lande alle Grundstücke und Plätze zu konfiszieren, auf denen die Häretiker ihre Altäre errichtet hatten. Außerhalb der katholischen Kirchengebäude sollte niemand Versammlungen abhalten. Am 17. Oktober 379 verwarf der Kaiser die Wiedertaufe, weil diese den Täufling nicht reinige, sondern beflecke. Deshalb gebot er, den Wiedertäufern die Kirchen wegzunehmen und sie den Katholiken zu übergeben. Orte, Häuser und Grundstücke, wo sich die Schismatiker unerlaubt versammelten, sollten konfisziert werden. Doch kam dieses Gesetz wegen der Sympathien, die den Donatisten von der höheren Beamtenschaft weithin entgegengebracht wurden, wegen innerpolitischer Wirren und wegen der militärischen Niederlage der Römer bei Adrianopel zunächst nicht zur Anwendung. In den folgenden Jahren ergingen, im wesentlichen von dem Mitkaiser Theodosius I. (379-395), der am 19. Januar 379 zum Augustus erhoben worden war, zahlreiche Gesetze gegen die Häretiker, Apostaten und Manichäer. Es ist jedoch fraglich, ob diese Gesetze in Afrika überhaupt zur Ausführung gekommen sind. 62 Im letzten Jahrzehnt des vierten Jahrhunderts hatte das Schisma des Donatus seine weiteste Verbreitung gefunden. Gegen Ende dieses Jahrhunderts kam es innerhalb der donatistischen Gemeinschaft zu Parteibildungen und Spaltungen, die den inneren Zusammenhalt der donatistischen Kirche in starkem Maße schwächten. Damit setzte der allmähliche Zerfall der donatistischen Bewegung ein. 63 Nach langen Jahren der Lethargie und der Resignation gewann die katholische Kirche in Nordafrika wieder Selbstvertrauen. Von großer Bedeutung für die Gesamtentwicklung und die Wiedererstarkung der katholischen Kirche in Nordafrika wurden die 393 von Bischof Aureli61 Der genaue Zeitpunkt der Aufhebung des Restitutionsreskripts des Kaisers Julian ist nicht bekannt. Vgl. Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 139. 62 Grasmück, ebd., S. 152-155; vgl. hierzu ferner Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 151. 63 Einzelheiten bei Ueding, Donatistenstreit (Anm. 20), Sp. 506; ausführlich bei Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 152 ff.

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us von Karthago ins Leben gerufenen und von Augustinus geistig beherrschten alljährlichen Bischofssynoden aller nordafrikanischen Provinzen. Auf diesen Synoden wurde das gemeinsame Vorgehen gegen die Donatisten abgestimmt und die Veranstaltung von Religionsgesprächen beschlossen, denen jedoch kein Erfolg beschieden war. Am 12. Februar 405 erließ Kaiser Honorius (395-423) ein Unionsdekret, daß inhaltlich weit über die bisherigen staatlichen Maßnahmen hinausging. Die Donatisten wurden darin den Häretikern völlig gleichgestellt mit der Begründung, daß sie die Notwendigkeit der Wiedertaufe lehrten und auch praktizierten. Das Edikt war mit harten Sanktionen versehen: Übergabe der donatistischen Gotteshäuser an die Catholica, Verbot jeglicher Zusammenkünfte und Verbannung für die unionsunwilligen Bischöfe und Kleriker. Beamten, die sich bei der Durchführung des Edikts Lässigkeit zuschulden kommen ließen, wurden Geldstrafen angedroht. 64

In den Jahren 408, 409 und 41,1 ergingen scharfe Edikte gegen Störungen der katholischen Gottesdienste durch Donatisten und gegen die Ausschreitungen der Circumcellionen. Darin waren auch hohe Geldstrafen vorgesehen. 65 Am 17. Juni 414 erließ Kaiser Honorius ein neues Edikt gegen die Donatisten. Den bisher verschonten Donatisten wurden die Testierfähigkeit und bürgerlichen Rechte aberkannt. Die Stätten, an denen sich bisher die superstitio behauptet hatte, waren der Kirche zu übergeben. Über Bischöfe und Kleriker der Donatisten wurde die Strafe des Exils verhängt. Wer einem häretischen Priester Unterschlupf gewährte, sollte sein Vermögen an den Fiskus verlieren und der Flüchtige die für Kleriker festgelegte Strafe erleiden. Für alle Männer und Frauen wurden erneut ihrem sozialen Rang entsprechende Geldstrafen festgesetzt.66 Infolge der Beschlüsse der Synoden auf kirchlicher und der gesetzlichen Maßnahmen auf staatlicher Seite verlor der Donatismus zunehmend an Kraft und Bedeutung, besonders nach dem Einbruch der Vandalen. Rest~ des Schismas bestanden noch bis in das 7. Jahrhundert.67 Vgl. bei Baus, Die Kirche von Nikaia (Anm. 4), S. 158. Einzelheiten bei Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 210 f. Nach dem Religionsgespräch vom Juni 411 wurden die Katholiken Afrikas als rechtgläubige Kirche anerkannt und die Donatisten verurteilt. Alle Zusammenkünfte der Donatisten wurden verboten; die Kirchen sollten unverzüglich den Katholiken übergeben werden. Wer in der donatistischen Gemeinschaft verharrte, verfiel der Strafe der kaiserlichen Gesetze. Ferner wurden viele Geldstrafen verhängt. Vgl. bei Grasmück, ebd., S. 224-226. 66 Grasmück, ebd., S. 237. 64 65

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Geschichtliche Exempel 2. Die Beurteilung der Zulässigkeit des staatlichen Einschreitens gegen Häretiker bei Optatus von Mileve

Für Bischof Optatus von Mileve war es weder um 365, als er die erste Fassung seines aus sechs Büchern bestehenden Werkes gegen Parmenian und die Donatisten veröffentlichte, noch um 385, als die um ein siebtes Buch erweiterte Fassung seiner Schrift erschien, ebensowenig ein rechtliches wie ein theologisches Problem, daß der von einem christlichen Kaiser regierte römische Staat berechtigt war, gegen Schismatiker oder Häretiker vorzugehen. In dem Verhalten der Donatisten, die einerseits durch ihr Oberhaupt Donatus gegenüber den Gesandten, die im Auftrag des Kaisers eine Wiedervereinigung zwischen den Katholiken und den Donatisten in die Wege leiten sollten, die provokatorische Frage gestellt hatten "Quid est imperatori cum Ecclesia", andererseits aber die Entscheidung des Kaisers zum Vorgehen gegen den katholischen Bischof Caecilian angerufen, ferner den abtrünnigen Kaiser Julian zum Widerruf der früheren kaiserlichen Gesetze gegen die Donatisten aufgefordert und sogar staatliche Maßnahmen gegen Abweichungen in ihren eigenen Reihen beantragt hatten, erblickte Optatus mit Recht einen erklärten inneren Widerspruch und im Grunde eine pure Heuchelei. Für Optatus bilden nach den Grundsätzen des altrömischen Religionsrechts der von einem christlichen Kaiser geleitete römische Staat und das sich auf dem Wege zur Anerkennung als Staatsreligion befindende Christentum eine ungetrennte und in seinen Augen untrennbare Einheit. Kaiser Konstantin, der der christlichen Religion und damit der katholischen Kirche die Gleichberechtigung mit den anderen Kulten und die volle Missionsfreiheit erwirkt hatte, und ebenso seine Nachfolger besitzen für Optatus eine unangreifbare sakrale Stellung. Die Vorstellung einer Eigenständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat in religiösen und dogmatischen Fragen war ihm - im Unterschied zu dem späteren Augustinus, bei dem sich in Abhängigkeit von Ambrosius derartige Vorstellungen ansatzweise finden - noch fremd. Jedoch wird Ratzinger dem Bischof von Mileve wohl nicht gerecht, wenn er mit dem Unterton eines Vorwurfs gegenüber Optatus ausführt, es gemahne jedenfalls sehr an "östliche" Vorstellungen, wenn Optatus die Donatisten daran erinnere, daß nicht der Staat in der Kirche, sondern die Kirche im Staate sei, was doch offenbar bedeuten solle, daß die Kirche irgendwie zu den "inneren Organen des Staates" gehöre, die sich diesem ihrer Funktion entsprechend zu fügen habe. 67 Zur Deutung des Donatismus im ganzen s. Schindler, Art. Afrika I (Anm. 13), S. 665 ff.; vgl. ferner Ueding, Donatistenstreit (Anm. 20), Sp. 506.

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Daß Optatus dies meine, komme deutlich zum Ausdruck, wenn er den unglaublichen Hochmut des Donatus brandmarke, der es wage, sich über den Kaiser zu erheben. Wörtlich schreibt Ratzinger: "Über dem Kaiser steht doch Gott allein! Und sich über den Kaiser erheben heißt, sich - zu Gott zu machen. Schließlich wird auch die Schrift noch in den Dienst dieser Theologie gestellt, denn der Leser erfährt jetzt, daß das Römische Reich - nicht etwa Babylon ist, sondern der Libanon, von dem die Braut Christi gerufen wird. Im Römischen Reich gibt es ja heiliges Priestertum, Keuschheit, Jungfräulichkeit, aber nicht bei den Barbarenvölkern, wie Optatus mit abwehrender Geste meint. Es besteht ein Zusammenhang zwischen diesem offenen Paganismus und dem geheimen, der darin liegt, daß nun den Kirchengebäuden in der christlichen Religion dieselbe Rolle zufällt, die im Heidentum die Tempel hatten. " 68 Hier erhebt Ratzinger gegenüber Optatus implizit den Vorwurf, daß er in seinen Schriften auf dem Gebiete der Ekklesiologie noch nicht zu jener Reflexionsstufe vorgedrungen war, die wir einige Jahrzehnte später bei Augustinus in De civitate Dei finden. Optatus -vermutlich war er in seiner Jugend Jurist - ist vom Heidentum zum Christentum übergetreten. Er war unbestrittenermaßen ein origineller Denker und stellte sich als erster Theologe überhaupt der Aufgabe, in einer gleichermaßen historischen wie theologisch-systematischen Argumentation auf hohem Niveau literarisch gegen die Donatisten Stellung zu beziehen. Er war nicht etwa wie Eusebius von Caesarea ein kaiserlicher Palastbischof, Staatstheologe und Lobredner Konstantins und seiner Nachfolger. Er erblickte aber auf dem Hintergrund der durch Konstantin ausgesprochenen Gleichberechtigung des bisher verfolgten Christentums im Kaiser und in der römischen Staatsmacht die einzige Institution, die dem donatistischen Schisma ein Ende bereiten konnte. Diese Auffassung erwies sich, wie die spätere, von Optatus, der bereits vor dem Jahr 400 gestorben ist, nicht mehr miterlebte Entwicklung bestätigte, als durchaus zutreffend. Das Problem, ob die Kirche hierzu die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen dürfe, das von Augustinus später ausdrücklich thematisierte Problem des "Compelle intrare", stellte sich für Optatus infolge des geringen Organisationsgrades, der Führungsschwäche und der allgemeinen Lethargie des nordafrikanischen Episkopats zu seiner Zeit überhaupt noch nicht. Mit diesen Fragen sollte sich erst Augustinus konfrontiert sehen. Wie bereits ausgeführt, erklärt Optatus in seiner Schrift das Einschreiten der römischen Staatsmacht gegen die Donatisten, das sich diese wegen ihres Abfalls von der katholischen Lehre und Praxis ss Ratzinger, Volk und Haus Gottes (Anm. 41).

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selbst zuzuschreiben hätten, für durchaus gerechtfertigt. Er legte jedoch- und dies unterscheidet ihn von Augustinus- gegenüber entsprechenden Behauptungen der Donatisten größtes Gewicht auf die Feststellung, daß das Einschreiten der Staatsgewalt gegen sie nicht den Katholiken angelastet werden dürfe, die den Staat nicht zum Einschreiten gegen die Donatisten provoziert haben. Die Verfolgung der Donatisten, die von Optatus zu seiner Zeit in seinem Werk stets als "Schismatiker", vom späteren Augustinus dagegen stets als "Häretiker" bezeichnet werden, erfolgte kraft der staatlichen Coercitionsgewalt, d. h. nicht durch Strafgesetze, sondern auf dem Verwaltungswege. Die Donatisten galten als Angehörige einer unerlaubten Religionsgemeinschaft. Die Ketzerverfolgung durch den römischen Staat geschah in ähnlicher Weise wie vorher die Christenverfolgung und beruhte auf denselben rechtlichen Grundlagen wie diese. 69 Der Unterschied zwischen Optatus und Augustinus besteht darin, daß Augustinus den Staat zur Verfolgung der Häretiker und damit der Donatisten mit theologischen Argumenten für verpflichtet erklärte, woran Optatus zu seiner Zeit wegen seiner Vorstellung von der Einheit zwischen Imperium und Sacerdotium weder dachte noch denken konnte. 3. Die Inanspruchnahme der Staatsgewalt durch die Kirche gegen die Häretiker bei Augustinus

Augustinus erblickte, als er nach fünfjähriger Abwesenheit von Italien nach Thagaste zurückgekehrt war und nach seiner Weihe zum Presbyter für die Kirche von Hippo Regius für die dortigen Christen pastorale Verantwortung übernommen hatte, während der ersten beiden Jahrzehnte seines bischöflichen Wirkens seine Lebensaufgabe in der Lösung des donatistischen Schismas. Ebenso wie Optatus von Mileve verfolgte auch Augustinus ursprünglich das Ziel, die Rückkehr der Donatisten zur katholischen Kirche durch Überzeugung und mit friedlichen Mitteln zu erreichen. Den idealen Weg für die Wiedergewinnung der religiösen Einheit erblickte er in dem persönlichen Wort, sowohl dem gesprochenen wie dem geschriebenen. Dies entsprach seiner Veranlagung am meisten. Jedoch wurden seine diesbezüglichen "mit großem Herzen unternommenen Bemühungen", insbesondere von den Bischöfen der Gegenseite, bitter enttäuscht. 70 Die stärkste Wirkung übte er damit innerhalb der katholischen Gemeinschaft aus. Die 69 Vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen bei Grasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 127 mit Anm. 633, 133 f., 179 ff., 246-250. 70 Baus, Die Kirche nach Nikaia (Anm. 4), S. 154 f.

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seit 393 auf die Initiative von Augustinus unter dem Vorsitz des karthagischen Bischofs Aurelius jährlich stattfindende nordafrikanische Bischofssynode gewann in zunehmendem Maße für die Behandlung des donatistischen Problems zentrale Bedeutung. Es kam zu ersten Übertritten donatistischer Bischöfe zur katholischen Kirche und zum Versuch von Religionsgesprächen mit den Donatisten. Jedoch erfüllten sich die auf die Religionsgespräche gesetzten Erwartungen der katholischen Synode in keiner Weise. Angesichts der massiven und häufigen gewaltsamen Übergriffe gegenüber katholischen Bischöfen und Klerikern durch die Donatisten erbat die im Juni 404 in Karthago tagende katholische Bischofssynode den Schutz der staatlichen Behörden. Bei dieser Synode setzte sich nicht die überwiegend von älteren Bischöfen vertretene Richtung durch, die sich für die Erzwingung der Union durch ein kaiserliches Gesetz aussprach, sondern die Auffassung der von Augustinus vertretenen Richtung, die sich gegen ein radikales Verbot des Donatismus aussprach und nur die Unterbindung der Gewalttätigkeit durch die staatlichen Behörden und für die Bestrafung lediglich derjenigen donatistischen Bischöfe und Kleriker aussprach, denen eine Verantwortung für die begangenen Gewalttätigkeiten nachgewiesen werden konnte. Jedoch entschied sich Kaiser Honorius für ein radikaleres Vorgehen. Er erließ am 12. Februar 305 ein Dekret über die Union mit den zu Häretikern deklarierten Donatisten 71 • Infolge der leidvollen Erfahrungen der oft grausamen afrikanischen Wirklichkeit hatte Augustinus seine ursprüngliche Ablehnung jeder mit Gewalt erzwungenen Lösung mehr und mehr aufgegeben und schließlich dem Einsatz staatlicher Mittel offen zugestimmt. Augustinus selbst hat einen Wandel seiner Anschauungen wiederholt und unumwunden bekannt. 72

Augustin wollte dabei keine Bestrafung der Donatisten im Sinne einer "Vergeltungsstrafe", sondern im Sinne einer Art "poena medicinalis". Sie sollten "lediglich bedroht und erschreckt und im Falle ihres Widerstandes gezüchtigt werden". Die Lehre, die Augustinus auf der Grundlage des "Compelle intrare" des Gleichnisses vom Gastmahl aus dem Lukasevangelium entwickelt hat, entsprach inhaltlich völlig den n Einzelheiten bei Baus, Die Kirche nach Nikaia (Anm. 4), S. 158 ff. 72 Einzelheiten bei Baus, ebd., S. 160 f. mit Anm. 92-98; Altaner I Stuiber, Patrologie (Anm. 15), S. 547; Lohse, Kaiser und Papst (Anm. 8), S. 400; Lohse, Augustins Wandlung in seiner Beurteilung des Staates (Anm. 58), S. 461 ff.; Otto Schilling, Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustinus, Freiburg im Breisgau 1910, S. 116ff.; Johannes Straub, Die geschichtliche Stunde des hl. Augustinus. Heilsgeschehen und Weltgeschichte in dem "Gottesstaate", in: ders., Regeneratio Imperii. Aufsätze über Roms Kaisertum und Reich im Spiegel der heidnischen und christlichen Publizistik, Bd. II, Darmstadt 1986, S. 80-93.

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Bestimmungen des römischen Religionsrechts über den ReligionsfreveL Vermutlich sind diese Ausführungen Augustins vom römischen Recht her beeinflußt. Es hatte stets als Pflicht der zuständigen römischen Beamten gegolten, den Bürger an der Verehrung der nicht zugelassenen Gottheit durch Coercition zu hindern. Gehorchten sie dem Befehl der Obrigkeit, blieben sie straflos. Waren sie unbeugsam und widersetzlich, verfielen sie der Strafe. Dabei war, dies betont nachdrücklich hervorgehoben zu werden, Augustinus mit Entschiedenheit gegen die Verhängung der Todesstrafe. Die Hinrichtung hätte den Sinn seiner Theorie vernichtet, und zwar deshalb, weil die Kapitalstrafe dem Unbekehrten die Möglichkeit zur Buße nahm. "Zweck der coercitio aber mußte die correctio sein" 73 . Augustinus befindet sich mit dieser Auffassung in voller Übereinstimmung mit den Päpsten seiner Zeit sowie mit Ambrosius von Mailand und Gregor von Nazianz und ebenso mit Bischof Aurelius von Karthago. Auch sie haben das staatliche Eingreifen gegen Häretiker und Schismatiker gefordert und gebilligt. In einem bedeutsamen Punkt geht allerdings Augustinus über sie alle weit hinaus. Er hat die Aufgabe des Kaisers und die Verpflichtung des Staates zur Anwendung der Straf- und Zwangsmöglichkeiten des römischen Rechts theologisch begründet und die Inanspruchnahme der staatlichen Zwangsgewalt zum Zwecke der Bekehrung der Häretiker im Interesse ihres Seelenheiles mit theologischen Argumenten gerechtfertigt. Die rechtliche Voraussetzung für diese Lehre des hl. Augustinus bildeten das römische Religionsrecht und die spätrömische Kaiser- und Reichsidee. 74 Nur auf dieser Grundlage und aus dem BeGrasmück, Coercitio (Anm. 10), S. 248. In diesem Sinne zutreffend Grasmück, ebd., S. 249 f. Zu den Vorwürfen, die aus heutiger theologischer Sicht gegen Augustinus erhoben werden und die in ihm den "ersten Theoretiker der Inquisition" sehen wollen, ist festzustellen, daß die Auffassungen des hl. Augustinus nur auf dem Hintergrund und auf der Grundlage des spätantiken römischen Staatsverständnisses und Staatsrechts zutreffend beurteilt werden können. Der spätantike römische Staat war seinem Selbstverständnis nach eben kein "religiös neutraler" Staat im Sinne des Grundgesetzes und des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Gegen diese Vorwürfe zutreffend Baus, Die Kirche nach Nikaia (Anm. 4), S. 161 f. Durchaus auf dieser Linie erfolgte im übrigen mehr als tausend Jahre später die Anwendung des Grundsatzes "Cuius regio- eius religio", des "Kernprinzips" des Staatskirchenrechts im Zeitalter der Glaubensspaltung, "das die verhängnisvolle Verkettung des deutschen, insbesondere evangelischen, Kirchenwesens mit der Entstehung und Macht des absoluten Staates symbolhaft zum Ausdruck bringt." Vgl. hierzu im einzelnen Martin Heckel, Art. Cuius regio- eius religio, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. I, Berlin 1971, Sp. 651-658; vgl. hierzu ferner Josef Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation (= Histoire de la Tolerance au siede de la Reforme, Paris 1955 dt.), 2 Bde., Stuttgart 1965. 73

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wußtsein seiner Zeit können diese Gedankengänge und Postulate zur Inanspruchnahme des Staates für die Dienste der christlichen Religion verstanden werden. Hierbei ist Augustinus in starkem Maße abhängig von Optatus von Mileve. Dessen "institutioneller staatsfreundlicher Kirchenbegriff" bildet "den Ausgangspunkt für die antidonatistische Lehre Augustins" 75 .

75 Vgl. hierzu die zutreffende Feststellung von Hans v. Campenhausen, Art. Optatus, Bischof von Mileve (Numidien), in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. 4, Tübingen 1960, Sp. 1660.

Leben und Werk des Kirchenrechtslehrers und Zentrumspolitikers Prälat Ludwig Kaas Vorbemerkung*

Der Schwierigkeitsgrad einer Gesamtdarstellung des Lebenswerkes von Ludwig Kaas 1. Prälat Ludwig Kaas, von 1928 bis 1933 Vorsitzender der Deutschen Zentrumspartei (DZP), zählt zu den zentralen Figuren des deutschen Katholizismus und des politischen und parlamentarischen Lebens während der Weimarer Republik. Seinem wissenschaftlichen Werdegang nach war er Professor des Kirchenrechts am Priesterseminar in Trier. Er ist Verfasser mehrerer angesehener kirchenrechtlicher Bücher. Es überrascht auf den ersten Blick, daß, abgesehen von einigen kleineren biographischen Skizzen, bisher von Kaas keine auch nur annähernd adäquate Darstellung seines Lebens, seines wissenschaftlichen Werkes und vor allem auch seiner politischen Tätigkeit existierte.

Es ist das große Verdienst des Mainzer Kanonisten Georg May, in dem dreibändigen Werk über Kaas eine auf intensiven und denkbar umfassenden Archivstudien beruhende und darüber hinaus auch die immense einschlägige zeitgeschichtliche und politikwissenschaftliche Literatur verarbeitende monumentale Darstellung des Lebensweges und der differenzierten und in vieler Hinsicht auch widerspruchsvollen Persönlichkeit von Kaas geschaffen zu haben. Wer immer sich in Zukunft mit der neuesten kirchlichen Rechtsgeschichte, dem Staatskirchenrecht, der kirchlichen Zeitgeschichte, der Parteiengeschichte der Weimarer Zeit im allgemeinen und der Geschichte der DZP im besonderen und überhaupt mit der Weimarer Republik beschäftigt, wird an dieser umfassenden Darstellung der Vita von Kaas nicht vorbeigehen können. Im Grunde handelt es sich bei diesem ungewöhnlichen Erstveröffentlichung in: Theologische Revue, 81. Jhg. (1985), Sp. 177-190.

* Rezension des Werkes Georg May: Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker

und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz. - Amsterdam: B.R. Grüner. Bd. 1 (1981): XCV, 707 S., Lw. DM 120,-; Bd. 2 (1982): X, 748 S., Lw. DM 100,-; Bd. 3 (1982): XII, 613 S., Lw. DM 110,- (= Kanonistische Studien und Texte, Bde. 33-35).

Der Kirchenrechtslehrer und Zentrumspolitiker Kaas

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Werk nicht um eine bloße Biographie von Kaas, sondern um eine Gesamtdarstellung der Politik der DZP von 1919 bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1933 unter der besonderen Rücksicht der durchaus umstrittenen Rolle, die der Kirchenrechtslehrer, Prälat und Politiker Kaas in dieser Zeit gespielt hat. Wie der Verfasser einleitend feststellt, werden das Bild der Persönlichkeit von Kaas und die Schilderungen seines Wirkens in der Memoirenliteratur der Akteure der Weimarer Republik und auch in derzeitgeschichtlichen Literatur über die Weimarer Zeit der Wirklichkeit regelmäßig nicht gerecht (I, 6). Die Gründe hierfür liegen zum Teil darin, daß Kaas selbst keine Memoiren veröffentlicht, keine Erklärungen und Stellungnahmen abgegeben und sich auch gegen Vorwürfe nicht gewehrt hat. Die Beurteilung der politischen Tätigkeit von Kaas ist außerordentlich unterschiedlich. Es wiegt schwer und im Ergebnis wohl schwerer, als der Verfasser meint, daß Kaas in den Memoiren des ehemaligen Reichskanzlers Heinrich Brüning (1885-1970) in einem ausgesprochen ungünstigen Licht erscheint. Überwiegend negativ wird die politische Rolle, die Kaas während der letzten Jahre der Weimarer Zeit gespielt hat, auch von den Fachvertretern der Zeitgeschichte beurteilt (I, 7). 2. Der besondere wissenschaftliche Wert dieser Biographie besteht darin, daß May alle ihm erreichbaren Archive ausgewertet hat und in diesen mühevollen Studien bedeutsame neue Erkenntnisse über die Persönlichkeit und über die verschiedenen Ziele, die Kaas auf wissenschaftlichem, kirchlichem und politischem Gebiet zeitweilig verfolgt hat, gewinnen konnte. An ungedruckten Quellen hat der Verfasser die einschlägigen Akten der folgenden Archive verwertet: 1. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn; 2. Archiv der Kommission für Zeitgeschichte, Bonn; 3. Universitätsbibliothek Bonn- Handschriftenabteilung: Nachlaß Aloys Schulte; 4. Archiv der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn; 5. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf; 6. Bundesarchiv Koblenz; 7. Bundesarchiv- Militärarchiv Freiburg i.Br.; 8. Historisches Archiv der Stadt Köln; 9. Staatsarchiv (= Landesarchiv) Koblenz; 10. Erzbischöfliches Archiv Freiburg LBr.; 11. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München; 12. Archiv der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München (Ehrenpromotion Kaas); 13. Archiv der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Münster; 14. Bistumsarchiv Trier; 15. Archiv der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich - Forschungsstelle für Rechtsgeschichte (Nachlaß Ulrich Stutz; Albert Werminghoff; Hans Erich Feine). Verschlossen blieb dem Verfasser verständlicher-, aber auch bedauerlicherweise das Vatikani-

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sehe Geheimarchiv, das in den von Pacelli stammenden Berichten der Münchener und Berliner Nuntiatur, aber auch im persönlichen Nachlaß von Pius XII. über die Person und die Tätigkeit von Ludwig Kaas noch einiges Material enthalten dürfte, wiewohl bereits aus den staatlichen Akten der Konkordatsverhandlungen zum Bayerischen, Preußischen, Badischen und vor allem auch zum Reichskonkordat mit großer Deutlichkeit die bedeutsame Rolle hervorgeht, die Kaas beim Abschluß dieser noch heute geltenden Konkordate zukam. Ferner hat May die imponierende Fülle gedruckter Quellen und Literatur verwertet (vgl. I, S. XV-XCV). 3. Das dreibändige Gesamtwerk ist übersichtlich in acht Teile gegliedert, die sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit aus den zeitgeschichtlichen Zäsuren und den verschiedenen Ebenen der Aktivitäten im Leben von Kaas ergeben, nämlich 1. Teil: Einleitung (I, 1-15); 2. Teil: Wissenschaftliche und priesterliche Tätigkeit bis zum Jahre 1933 (I, 17-283); 3. Teil: Kaas als Politiker in der Deutschen Nationalversammlung (I, 285-382); 4. Teil: Kaas als Politiker im Deutschen Reichstag bis zum Jahre 1932 (1, 383-707; II, 1-501); 5. Teil: Kaas als Politiker der Deutschen Zentrumspartei (II, 503-748); 6. Teil: Die politische Tätigkeit von Kaas im Schatten der anwachsenden NSDAP (III, 1-422); 7. Teil: Die römischen Jahre von Kaas (III, 423-519); 8. Teil: Gesamtwürdigung (III, 521-574). Schon an dieser Stelle soll erwähnt werden, daß sich am Ende des dritten Bandes drei vorzügliche Register befinden, nämlich ein Register der Personen (III, 575-595), ein Register der Sachen (III, 596-607) und ein Register der Orte (III, 608-613). I. Eine große Erschwernis bei der Abfassung seines Werkes bedeutete für den Verfasser der von ihm in dem mit "Einleitung" überschriebenen ersten Teil des Gesamtwerkes (I, 1-15) beklagte "Mangel an Quellen". Es fehlt von Kaas ein ergiebiger Nachlaß. Nach Karin Schauff, Erinnerung an Ludwig Kaas zum 20. Todestag am 25. April 1972 (Pfullingen 1972), S. 5 und 27, mußte Kaas auf Weisung von Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs seine politischen Materialien eigenhändig vernichten, damit diese im Falle einer Besetzung des Vatikans durch deutsche Truppen nicht in die Hände der Nationalsozialisten fielen (1, 9). Der 1. Teil enthält eine kurze Skizze des Lebensgangs von Kaas von seiner Kindheit bis zur Immatrikulation an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn im Winter-Semester 1909/1910. Kaas, am 23. 5. 1881 in Trier geboren, trat 1900 nach dem

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Abitur in das dortige Priesterseminar ein. Nach zwei Semestern schickte ihn sein Bischof Michael Felix Korum zum Studium nach Rom Dort wurde er in das Collegium Germanicum aufgenommen. Am 28. 10. 1906 empfing er in Rom die Priesterweihe. Am 7. 4. 1904 wurde er zum Dr. phil., am 22. 6. 1907 zum Dr. theol. promoviert. Nach kurzer Kaplanstätigkeit bot ihm sein Bischof auf seinen Antrag hin Gelegenheit, in Rom seine Studien mit dem Doktorgrad im kanonischen Recht abzuschließen. Im November 1908 wurde er Kaplan an der deutschen Nationalstiftung "Collegia Teutonico di S. Maria dell'Anima". Am 8. 6. 1909 wurde Kaas an der Gregoriana zum Dr. iur. can. promoviert. Anschließend kehrte er nach Deutschland zurück. II.

Zahlreiche grundlegend neue und für die Gesamtbeurteilung der Persönlichkeit von Kaas bedeutsame Erkenntnisse konnte der Verfasser in seinen archivalischen Forschungen gewinnen. Sie sind überwiegend dargestellt im 2. Teil des Werkes, "Wissenschaftliche und priesterliche Tätigkeit bis zum Jahre 1933" (I, 17-283). 1. Von entscheidender Bedeutung für das spätere Leben von Kaas wurde sein Entschluß, nach dem Erwerb der drei römischen Doktorgrade an der Universität Bonn noch ein Studium in Rechtswissenschaft zu beginnen. Kaas schwebte damals ganz offensichtlich eine große kirchliche Karriere als Lebensziel vor. Zu seinem bevorzugten Lehrer und Mentor erwählte er sich den hochangesehenen evangelischen schweizerischen Kirchenrechtslehrer Ulrich Stutz, der seit 1904 an der Universität Bonn wirkte. Fünf Semester lang besuchte Kaas regelmäßig die Sitzungen des Stutzsehen Seminars (I, 18 f.). Stutz fand an dem intelligenten und anpassungsfähigen Kaas rasch Gefallen und wurde später sein unermüdlicher Protektor und Pate. Unter der Anleitung von Stutz verfaßte Kaas die bedeutsame Arbeit "Die geistliche Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche in Preußen in Vergangenheit und Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung des Westens der Monarchie", erschienen als Heft 84-87 der von Stutz begründeten "Kirchenrechtlichen Abhandlungen" (Stuttgart 1915/1916). Nach May gehört dieses zweibändige Werk "zweifellos zu den wenigen Spitzenleistungen" dieser 118 Hefte umfassenden Reihe (I, 36).

2. Ursprünglich erblickte Kaas sein Berufsziel in einer Professur für Kirchenrecht am Priesterseminar in Trier. Als ihm jedoch Bischof Korum den mit Dekret vom 22. 4. 1918 neu errichteten Lehrstuhl für kanonisches Recht am Priesterseminar in Trier übertrug, zeigte sich Kaas über diese Auszeichnung keineswegs mehr erfreut. Er hatte sich inzwischen ein in seinen Augen höheres Ziel gesetzt, nämlich die Berufung

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auf einen UniversitätslehrstuhL Von 1917 an bewarb sich der "agile und ungeduldig drängende Kaas" (I, 113), immer mit der denkbar intensivsten und bereitwillig gewährten Protektion von Stutz, nacheinander vergeblich um den Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Münster, den Lehrstuhl für Moraltheologie in Straßburg und den Lehrstuhl für Kirchenrecht in Freiburg. Ein Angebot des 1917 nach Berlin berufenen Stutz, dort dessen Assistent zu werden, lehnte der stets unschlüssige Kaas, der "nicht beherzt eine Möglichkeit, die sich ihm bot", ergriff, "sondern lavierte und finassierte", nach längerem Zögern ab (I, 96). 1919 schien Kaas endlich an das Ziel seiner Wünsche gelangt zu sein. Wiederum dank der tatkräftigen Unterstützung durch Stutz, der sich mit Nachdruck für ihn in Berlin verwandt hatte, wurde Kaas auf den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn berufen. Inzwischen hatte aber Kaas seinen Blick auf ein noch höheres Ziel gerichtet. Zum allgemeinen großen Erstaunen und auch zur Überraschung von Stutz, der sich durch das Verhalten von Kaas brüskiert fühlen mußte, lehnte Kaas, wiederum nach längerem Zaudern, auch diesen Ruf ab, und zwar "in der Erwartung", daß er "die Nachfolge Korums auf den Trierer Bischofsstuhl antreten" werde (I, 121). Hier wurde Kaas jedoch Opfer einer Fehlspekulation und seiner bei ihm immer wieder anzutreffenden Selbstüberschätzung. Seinem Charakterbild nach erscheint Kaas als "komplizierte Persönlichkeit" (I, 119), als "ein Mann von rasch wechselnden Stimmungen" (I, 117), "empfindlich und verwöhnt" (I, 120). Der Reichskanzler Josef Wirth sah in ihm einen "Salon-Prälaten" (I, 120). Der außerordentlich vielseitig begabte Kaas war ein rastloser Arbeiter; er verfügte über eine bemerkenswerte Rednergabe und ein anerkanntes Predigttalent; er besaß eine kaufmännische Ader und ein oft gerühmtes finanzielles Geschick. Er war ebenso didaktisch wie schauspielerisch begabt (I, 144f.). 3. In noch höherem Maße als die Protektion durch Stutz wurde für Kaas die Begegnung mit dem Apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli von entscheidender Bedeutung für den Verlauf seines gesamten späteren Lebens. Neben seinen parlamentarischen Tätigkeiten wurde Kaas ständiger Berater und bevorzugter Gutachter Pacellis in staatskirchenrechtlichen Fragen (I, 191-224). Mit Pacelli verband ihn eine lebenslange Freundschaft, die bis zum Tode von Kaas andauerte (I, 201). Als der Nuntius am 12. 12. 1929 Berlin verläßt, um das Amt des Kardinalstaatssekretärs anzutreten, begleitet ihn Kaas, der Vorsitzende des DZP, nach Rom und bleibt dort mehrere Wochen. An zahlreichen wichtigen Sitzungen des Deutschen Reichstags mit vielen namentlichen Abstimmungen nimmt er deshalb nicht teil und läßt sich als "krank"

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führen. Überhaupt verfährt er mit der Angabe von Verhinderungsgründen ziemlich großzügig (I, 215). Zur Beunruhigung von Kardinal Faulhaber und der Führung der DZP hält sich Kaas vom 28.2. bis zum Juni 1930 in Rom auf. Vermutlich wollte er sich schon damals mit Hilfe PaceHis "eine Position in der Ewigen Stadt" verschaffen (I, 210f., 216, 221). 4. Dramatisch liest sich der Bericht über die langjährigen ehrgeizigen Bemühungen von Kaas um eine Trierer Domherrenstelle (I, 225283). Hier erscheint Kaas als übler klerikaler Stellenjäger und Karrierist. Bereits 1916 versucht er in dem für einen Domkapitular geradezu unvorstellbar jugendlichen Alter von erst 34 Jahren, bemerkenswerterweise mit Unterstützung und Empfehlungen von Stutz, aufgrunddes Vorschlagsrechts des preußischen Königs auf eine vakante Domherrenstelle berufen zu werden (I, 239 f., 249). Auch mehrere spätere diesbezügliche Versuche scheitern. Als 1922 wiederum eine Domherrenstelle zu besetzen ist, mobilisiert Kaas, damals bereits eine bekannte politische Figur, aus dem Hintergrund neben Pacelli Kardinal Bertram von Breslau, Erzbischof Schulte von Köln und den Zentrumsführer und späteren Reichskanzler Wilhelm Marx. Als jedoch der neuernannte Bischof Bornewasser einen anderen zum Domkapitular ernennt, ist Kaas "empört, ja einem Nervenzusammenbruch nahe" und droht mit der Niederlegung seiner Mandate im Reichstag und im Preußischen Staatsrat (I, 265). Am 1. 4. 1924 wird er schließlich zum Domkapitular ernannt. 5. Dunkle Seiten im Verhalten und im Charakter von Kaas enthüllt ein langes Fragment eines Briefes von Bischof Bornewasser an Pacelli aus dem Jahre 1922. Der Bischof berichtet darin von einer im Domkapitel herrschenden "fast allgemeinen großen Abneigung" gegen Kaas, die sich aus seinem "stolzen Charakter" ergebe, "der ihn vielen unsympathisch macht", sowie "aus seinem Verhalten in der Frage der Bischofswahl" (I, 270). Nach dem Inkrafttreten des Codex Iuris Canonici vom 27. 5. 1917 hatte sich Kaas gegen das Bischofswahlrecht des Trierer Domkapitels und zugunsten eines freien päpstlichen Bischofsernennungsrechts ausgesprochen und sich in diesem Falle selbst Hoffnungen auf eine Berufung auf den Trierer Bischofsstuhl gemacht (III, 462 f.). Bornewasser berichtet von "höchst verächtlichen Äußerungen" von Kaas über das Kapitel und äußert in massiver Weise den Verdacht, Kaas habe der liberalen "Trierer Zeitung" Informationen über die Verhandlungen im Zusammenhang mit der Bischofswahl und auch über das geheime Wahlergebnis zugespielt (I, 271). 6. Das abenteuerlichste Projekt und den Gipfel der Stellenjägerei von Kaas bildeten Ende 1929 und zu Beginn des Jahres 1930, als Kaas 70 Sbd. List!

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politisch auf dem Höhepunkt seines Ansehens stand, seine Bemühungen, mit Hilfe von Konrad Adenauer und der Protektion von Pacelli Dompropst des Kölner Metropolitankapitels zu werden (1, 276 ff.). Dieser Plan scheiterte jedoch an dem entschlossenen Widerstand des Kölner Domkapitels (1, 276-283).

m. In dem relativ kurzen dritten Teil, "Kaas als Politiker in der Deutschen Nationalversammlung" (1, 285-382), behandelt der Verfasser die bedeutsame Rolle, die Kaas am Beginn seiner politischen Laufbahn als Abgeordneter der DZP beim Zustandekommen der Weimarer Reichsverfassung gespielt hat. Zweifellos besaß Kaas große politische Gaben und Fähigkeiten. Es fehlte ihm jedoch, was sich in seinem späteren Leben oft bemerkbar machte, "die Härte, die ein im Kampf stehender Parlamentarier braucht" (1, 285). Kaas war, und hierbei ist dem Verfasser unbedingt Recht zu geben, stets Realpolitiker, für den nur das jeweils Erreichbare zählte, jedoch stets auf der Grundlage ethischchristlicher Prinzipien. Die "Dolchstoßlegende" lehnte er ab. Den Sturz der Monarchie mißbilligte er, ohne jedoch zu zögern, sich, wie dies seiner Grundhaltung entsprach, auf den Boden der Tatsachen zu stellen und die Republik zu bejahen und für sie vorbehaltlos einzutreten. Ganz im Gegensatz zu seinem Schüler Kaas lehnte Stutz, dem der Verfasser ein geringes militärstrategisches und politisches Urteilsvermögen attestiert, das neue Deutschland und auch die DZP ab (1, 300315). Hier stand der Schüler Kaas in direktem Gegensatz zu seinem Lehrer und großen Protektor Stutz. Kaas war als Abgeordneter des Wahlkreises Trier mit einer Mehrheit von 57,9 Prozent der Stimmen in die Deutsche Nationalversammlung gewählt worden. Stutz, der sich von der Politik fernhielt, war trotzdem stolz auf seinen erfolgreichen Schüler Kaas (1, 328 f.). Wegen seiner juristischen Kenntnisse wurde Kaas in den wichtigsten Ausschuß, in den Verfassungsausschuß, gewählt und leistete dort anerkanntermaßen wertvolle Arbeit. Es zeigte sich aber bereits damals, daß Kaas den Anstrengungen des parlamentarischen Lebens nicht voll gewachsen war. Schon jetzt ließ sich voraussehen, "daß der milde Priester und empfindliche Gelehrte der Härte des politischen Kampfes auf die Dauer nicht gewachsen sein könnte" (1, 335). Bereits in der Deutschen Nationalversammlung fehlte Kaas oft bei Sitzungen und war "krank" gemeldet. Im Gegensatz zu Stutz, der als typischer Vertreter der Deutschen Nationalen Volkspartei (DNVP) dem neuen Staat und seiner Form von vornherein mit einer Abneigung gegenüberstand, die er niemals zu

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überwinden vermochte (I, 376), beurteilte Kaas die Weimarer Reichsverfassung und insbesondere deren staatskirchenrechtliche Errungenschaften durchaus positiv (I, 352 ff.). Er trat ein für den Abschluß von Konkordaten und- mit großer Entschiedenheit- für die Bekenntnisschule. Die bedeutungsvolle Rolle der DZP bei der Schaffung der Weimarer Reichsverfassung und des in ihr normierten Staat-Kirche-Verhältnisses hat Kaas zu Recht stets hervorgehoben (I, 361). Die Bildung der Koalition zwischen der Sozialdemokratischen Partei (SPD), der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und dem Zentrum hielt Kaas im Gegensatz zu dem politisch naiven Stutz, der die Rückkehr der Hohenzollern herbeisehnte, für politisch richtig und notwendig (I, 362 ff.). Kaas hat diese Politik konsequent vertreten und mitgetragen.

In dem außerordentlich umfangreich ausgefallenen vierten Teil des Werkes, "Kaas als Politiker im Deutschen Reichstag bis zum Jahre 1932" (I, 383-707; II, 1-501), behandelt der Verfasser das politische Wirken von Kaas vom Beginn der Weimarer Republik bis zur Machtübernahme Hitlers.

Nur ungern erteilte Bischof Bornewasser Kaas die gemäß c. 139 § 4 CIC/1917 erforderliche Erlaubnis für die Übernahme eines Reichstagsmandats. Im Jahre 1924 wollte Bornewasser Kaas nach Trier zurückrufen, wo er ihn, den einzigen Kanonisten in Trier, als Leiter des Offizialats, als Dezernenten für das Saargebiet und als Professor des Kirchenrechts dringend benötigte. Diese drei Ämter entsprächen auch den "Neigungen und Fähigkeiten" von Kaas, ließen sich aber mit dem Mandat nicht vereinbaren (I, 387). Als Pacelli sich jedoch mit größtem Nachdruck für das Verbleiben von Kaas im Deutschen Reichstag einsetzte, gab Bornewasser nach. Es wäre sicherlich nicht nach dem Geschmack von Kaas gewesen, dem Wunsche seines Heimatbischofs entsprechend sein Mandat niederzulegen und die eher unauffälligen Arbeiten in Trier zu übernehmen. Die Vorstellungen, die Pacelli bei Bischof Bornewasser erhob, waren in der Sache sicher berechtigt. Kaas war für Pacelli, vor allem auch bei den Beratungen zum Preußischen Konkordat von 1929, schlechthin unentbehrlich. In bewunderungswürdig vollständiger Weise bietet der Verfasser jeweils einen Überblick über die einzelnen politischen Sachgebiete und zeigt einerseits die Grundhaltung, die die DZP hierzu einnahm, im allgemeinen und die Auffassungen, die Kaas hierzu vertreten, und die Rolle, die er auf dem jeweiligen Gebiet gespielt hat, im besonderen. Nur andeutungsweise kann hier auf die elf Abschnitte des extensiven 70•

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vierten Teils hingewiesen werden. Es handelt sich dabei um die folgenden Themenbereiche: 1. Die Tätigkeit als Abgeordneter; 2. Kaas vor den Grundfragen der deutschen Außenpolitik; 3. Der Vertrag von Versailles und seine Folgen; 4. Die äußere Politik hinsichtlich der einzelnen Länder; 5. Der Völkerbund; 6. Der Kampf um den föderalistischen Aufbau des Deutschen Reiches; 7. Die Beziehungen zum Rheinischen Provinziallandtag und zum Preußischen Staatsrat; 8. Die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik; 9. Die Wehrpolitik; 10. Die Kulturpolitik; 11. Die Kirchenpolitik. 1. Kaas hat wiederholt im Deutschen Reichstag zu großen Reden das Wort ergriffen; er war ein geschätzter, glänzend formulierender, stets vornehmer und sachkundiger Redner. Seine Reden waren immer gründlich vorbereitet. Er sprach nicht frei, sondern trug seine Ausführungen aufgrund stenographischer Aufzeichnungen vor (I, 424 f.). Bei Plenarsitzungen fehlte er oft (I, 426 ff.). Er gab damit kein gutes Beispiel; wiederholt war er krank gemeldet, obwohl er andernorts an einer Veranstaltung teilnahm. Mit immenser Akribie hat der Verfasser sämtliche Sitzungsprotokolle des Deutschen Reichstags durchgearbeitet und anhand der namentlichen Abstimmungen festgestellt, ob Kaas daran jeweils teilgenommen oder ob er bei der betreffenden Sitzung gefehlt hat. Eine besondere Begabung und ein ausgeprägtes Geschick zeigte Kaas für die Außenpolitik (I, 452 ff.). Er war permanentes Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Nach der Meinung des Verfasser hätte Kaas mit Sicherheit "das Zeug zum Außenminister" gehabt. Kaas hat sich aus Verantwortung für das Deutsche Reich für die Annahme des Vertrags von Versailles eingesetzt, dessen Verweigerung nach seiner Auffassung verheerende Folgen gehabt hätte (I, 508). Er vertrat auch die Politik der DZP, den Forderungen nach Reparationen nachzugeben, bis sich die Leistungsunfähigkeit des Deutschen Reiches herausstellte (I, 576 ff.). In der Verständigung mit Frankreich sah Kaas den Schlüssel der deutschen Politik. Er anerkannte das Recht der Polen auf einen eigenen Staat, empfand aber die Unterdrückung des Deutschtums in Polen als schweres Unrecht (I, 668). Er setzte sich mit der DZP für gute Beziehungen zur Sowjetunion ein (I, 687 ff.). Aus staatspolitischen Gründen und im Interesse der Friedenspolitik befürwortete Kaas den Beitritt des Deutschen Reiches zum Völkerbund, dessen politische Bedeutung er im übrigen nicht hoch veranschlagte. Er arbeitete in Genf eifrig mit (II, 18). Kaas war gegen jeden Separatismus (II, 47 ff.), aber entschiedener Föderalist (II, 58) und als solcher für einen von Preußen abgetrennten Staat "Rheinland" innerhalb des Deutschen Reiches. Zu Unrecht wurde er deshalb von seiten

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der Rechtsparteien, der Völkischen, der Linksradikalen, der NSDAP (II, 69-80), von Ludendorff (II, 66) und verschiedentlich auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg (II, 80 f.) angegriffen, verdächtigt und als "Separatist" diffamiert. In der Saarfrage war Kaas, ebenso wie übrigens auch der Apostolische Nuntius Pacelli, entschieden gegen die von Frankreich betriebenen Versuche der Gründung eines eigenen Saarbistums. Kaas erwies sich "auch in der Saarfrage als zuverlässiger deutscher Patriot" (II, 119). Es war die "Tragik des deutschen Patrioten", daß die von ihm politisch erstrebte Rückkehr des Saarlandes in das Deutsche Reich unter einem amoralischen Regime erfolgte (II, 142}. 2. Kaas, der eine ausgesprochene Witterung für Machtstrukturen und Einflußmöglichkeiten besaß, war neben seiner Tätigkeit im Deutschen Reichstag gleichzeitig von 1921 bis 1933 auch Mitglied des Preußischen Staatsrats, der als eine Art 2. Kammer, allerdings nur mit beobachtenden, überwachenden und gutachterliehen Funktionen, einen erheblichen Einfluß auf die preußische Politik, und hier insbesondere auf die Gesetzgebung, ausübte. Der Preußische Staatsrat bestand aus Vertretern der preußischen Provinzen, die von deren Landtagen gewählt wurden. Bei der 2. Sitzung des Preußischen Staatsratsam 7. Mai 1921 schlug Kaas für seine Fraktion den Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer als Vorsitzenden des Staatsrats vor. Adenauer wurde gewählt und behielt den Vorsitz des Preußischen Staatsrats bis zum Jahre 1933. Die enge Zusammenarbeit zwischen Adenauerund Kaas, die damals begründet wurde, hat, wie der Verfasser feststellt, "alle Wechselfälle des öffentlichen und privaten Lebens beider Männer überdauert" (II, 158). Wegen seiner Ämterhäufung - Mitglied des Deutschen Reichstags, des Preußischen Provinziallandtags und des Trierer Domkapitels- war es Kaas schon rein physisch unmöglich, auch nur mit einer gewissen Regelmäßigkeit an den durchschnittlich in einem Rhythmus von 14 Tagen stattfindenden Sitzungen des Preußischen Staatsrats teilzunehmen. Er fehlte, wie der Verfasser mit der ihm eigenen Akribie bei der Durchforschung der Sitzungsprotokolle des Preußischen Staatsrats nachgewiesen hat, bei zahlreichen Sitzungen (II, 156 f.). Wenn jedoch die Wahl des Vorsitzenden des Preußischen Staatsrats auf der Tagesordnung stand, war Kaas jedesmal zur Stelle und setzte sich, stets mit Erfolg, für die Wiederwahl Adenauers ein. 1933 wurde der Preußische Staatsrat in ein bedeutungsloses Beratungsorgan des Preußischen Staatsministeriums umgewandelt. 3. Im einzelnen behandelt der Verfasser die Grundauffassungen und das politische Engagement von Kaas auf den Gebieten der Wirt-

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schafts-, Finanz-, Sozial-, Wehr- und Kulturpolitik (II, 172-322). Es handelt sich hierbei jeweils um vorzügliche sachkundige Darstellungen der Haltung der DZP zu diesen Sachgebieten im Zeitraum von 1919 bis 1933, und zwar unter der besonderen Berücksichtigung der Äußerungen und des politischen Verhaltens ihres geistig hochstehenden Repräsentanten und späteren Parteivorsitzenden Kaas. Der Leser erfährt hier zum Beispiel, daß Kaas in Übereinstimmung mit seiner Partei gegen eine entschädigungslose Enteignung der früheren regierenden Fürstenhäuser war, sondern sich vielmehr für deren Abfindung einsetzte (II, 177). Mit der DZP kämpfe Kaas für die Konfessionsschule und den konfessionellen Religionsunterricht (II, 257 ff.). 4. Von besonderem Interesse in diesem Teil ist die ausführliche Darstellung der von Kaas verfolgten Kirchenpolitik (II, 322-501). Im Unterschied zu der im evangelischen Raum weit verbreiteten Abneigung gegen die katholische Kirche, wie sie besonders bei den Vertretern der DNVP und den Anhängern des Evangelischen Bundes festzustellen war - der Verfasser bietet hierfür zahlreiche, heute kaum mehr verständliche, eindrucksvolle Beispiele -, stand Kaas dem Protestantismus unbefangen, vorurteilslos und unvoreingenommen gegenüber (II, 336). Kaas, der sich der Minderheitensituation der deutschen Katholiken im Deutschen Reich und der damit verbundenen Gefahren stets bewußt war, warb unermüdlich für die politische Zusammenarbeit der Christen, vor allem im Bereich der Kultur- und Kirchenpolitik (II, 340). Der Abschluß von Konkordaten war für Kaas ein zentrales Anliegen seiner kirchenpolitischen Bemühungen. Stutz hat auf diesem Gebiet des Staatskirchenrechts, wie viele Protestanten, während der Weimarer Zeit eine bemerkenswerte Wende vollzogen. Ursprünglich in Übereinstimmung mit dem Zeitgeist ein "Gegner der Konkordate", war er gegen Ende der Weimarer Republik "mit dem Gedanken der Konkordate und Kirchenverträge völlig versöhnt" (II, 357). Mit vielen Politikern der DZP setzte sich Kaas nach dem Irrkrafttreten der Weimarer Verfassung für den Abschluß eines Reichskonkordats ein und war deshalb ursprünglich ein entschiedener Gegner von Landeskonkordaten. Die Pläne für ein Reichskonkordat scheiterten jedoch 1921/ 22 am Widerstand Bayerns und Preußens, und zwar überwiegend wegen der mangelnden Einigung in Schulfragen (II, 367). Vergeblich versuchte Kaas dem - im Unterschied zu Pacelli und Adenauer - ein tieferes Verständnis für die besondere Eigenart des bayerischen Wesens und auch für die Eigenstaatlichkeit Bayerns fehlte, auf die Bayerische Staatsregierung einzuwirken, die bayerischen Konkordatspläne hinter die des Reiches zurückzustellen. Er vertrat hierbei einseitig die unitaristischen Interessen der Reichsregierung und der Reichstagsfraktion der DZP (II, 383). Bei den Beratungen und

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Einzelarbeiten für das am 29. 3. 1924 unterzeichnete Bayerische Konkordat wurde Kaas nicht herangezogen, da dem Apostolischen Nuntius Pacelli, wie der Verfasser in zutreffender Beurteilung der Sachlage anmerkt, "im bayerischen Raum genügend Kenner der Materie zur Verfügung" standen (II, 385). Beim Abschluß des Preußischen Konkordats vom 14. 6. 1929 dagegen war Kaas in den langwierigen, komplizierten und von verschiedenen Krisen begleiteten Konkordatsverhandlungen infolge seiner Beraterfunktion bei Pacelli und seiner Stellung in der DZP eine der Schlüsselfiguren. Er verstand es immer wieder, in schwierigen Situationen zu vermitteln (II, 394-415). Nach Abschluß des Preußischen Konkordats rühmte Pacelli "die kluge, umsichtige und treue Mitarbeit, die Kaas "in selbstlosester Aufopferung" geleistet habe, sowie ferner sein "umfassendes Wissen", sein "seltenes Verhandlungsgeschick" und das "ihm allgemein entgegengebrachte Vertrauen" (II, 429). Einen interessanten Anhang zur Entstehungsgeschichte des Preußischen Konkordats bildet die Darstellung der ganz überwiegend ablehnenden Haltung, die der deutsche Protestantismus zur Frage des Abschlusses des Preußischen Konkordats einnahm, sowie ferner der Bestrebungen zum Abschluß eines Preußischen Kirchenvertrags, der allerdings erst im Jahre 1931 zustande kam (II, 431-444). Speziell geht der Verfasser auf die Stellung von Stutz zum Preußischen Konkordat ein, die zum Teil widerspruchsvoll und durchaus ambivalent war (II, 452). Beim Zustandekommen des Badischen Konkordats vom 12. 10. 1932 (II, 455-474) spielte Kaas anfangs ebenfalls eine bedeutsame Mittlerrolle. Seine im Auftrag von Pacelli unternommenen Versuche, zu erreichen, daß zwei Vertreter der Badischen Staatsregierung zu Konkordatsverhandlungen mit dem Kardinalstaatssekretär Pacelli nach Rom kamen, führten jedoch nicht zum Erfolg (II, 461). Es zeugt von der souveränen und eigenständigen Verhandlungsführung Pacellis, daß er Kaas, der sich in Berlin aufhielt, über den Fortgang der entscheidenden Verhandlungen zum Badischen Konkordat nicht einmal mehr informiert hat (II, 465). 5. Den Abschluß des langen und außerordentlich instruktiven Abschnitts über die Kirchenpolitik bildet das Kapitel über die Bemühungen zur Errichtung einer "exemten Militärseelsorge" (II, 475-501). Auch in dieser Frage hat sich Kaas stark engagiert. Im Gegensatz zum deutschen Episkopat und insbesondere zur Auffassung von Kardinal Faulhaber, trat Kaas in Übereinstimmung mit den Wünschen der Reichsregierung und des Reichswehrministeriums für die exemte Militärseelsorge ein. Während der Weimarer Zeit kam es in dieser Frage

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nicht mehr zu einer Einigung. Erst im Reichskonkordat erklärte sich der Heilige Stuhl mit der Errichtung einer exemten Militärseelsorge im Deutschen Reich einverstanden (II, 500). V.

Im fünften Teil, "Kaas als Politiker der Deutschen Zentrumspartei" (II, 503-748), bietet der Verfasser einleitend eine ebenso instruktive wie ausführliche Darstellung der Organisation und der nicht sonderlich strengen Disziplin dieser Partei, deren innerer Zusammenhalt und Einheit Kaas ein Herzensanliegen waren (II, 503-559). Im einzelnen behandelt der Verfasser die Wesenszüge der Zentrumspartei, ihre politische Praxis und ihr Verhalten in der Regierungsverantwortung. Kaas hat alle Kabinette, an denen das Zentrum beteiligt war, "loyal" mitgetragen. Besonders gute Kontakte hielt er als Abgeordneter der Grenzund Bischofsstadt Trier, zu dessen Diözese das Saarland gehört, und als Vertreter des Rheinlandes "zu den Inhabern der Ressorts für Auswärtiges und für die besetzten Gebiete" (II, 546). Den geistlichen Parlamentariern fiel innerhalb der Zentrumspartei zwischen den einzelnen Interessengruppen eine wichtige Mittlerfunktion zu. Sie standen über den Gegensätzen der Gruppen und Stände und sahen das Ganze. Kaas galt auch innerhalb der DZP als vornehmer Mann; er zeichnete sich aus durch Sachlichkeit, Ritterlichkeit und Kompromißbereitschaft. Jedoch war die Kenntnis der Psychologie der Massen nicht seine besondere Stärke. Der gelehrte Professor übersah, daß "differenzierte und komplizierte Gedankengänge der großen Masse nicht nachvollziehbar sind" (II, 576). Zu einer Schlüsselfigur des deutschen politischen Lebens wurde Kaas durch seine am 8. 12. 1928 erfolgte Wahl zum Vorsitzenden der DZP. Dieses Ereignis sollte nicht nur für sein späteres persönliches Schicksal, sondern auch für die weitere Entwicklung der deutschen Politik im allgemeinen und der Kirchenpolitik im besonderen von weittragender Bedeutung werden. Kaas hatte sich nach diesem Amt nicht gedrängt, er war aber wohl der irrigen Meinung, daß er den Anforderungen dieses Amtes gewachsen sein würde, und glaubte, daß er sichangesichtsder Polarisierung, die damals in der DZP bestand, dem Ersuchen der Mehrheit der Delegierten nicht versagen dürfe (II, 619). Kaas war ein ausgesprochener Kompromißkandidat. Seine Wahl trug anfangs sicherlich zur Beruhigung und inneren Festigung der Partei bei. In den ersten Jahren seiner Amtsführung kam Kaas sowohl in den Wahlkämpfen als auch in der Parteiführung seinen Amtspflichten noch am eifrigsten nach. Später erlahmte sein Eifer. Neben seinen an-

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deren Verpflichtungen, die er sämtlich beibehielt, vernachlässigte er seine politische Führungsaufgabe, der er, wie der Verfasser zutreffend betont, im Grund nicht gewachsen war (li, 649). Die Mitglieder der Fraktion und die Anhänger der Partei enttäuschte er oft bitter durch seine Abwesenheit. Bei zahlreichen Vorstandssitzungen der Reichstagsfraktion der DZP fehlte er, wie der Verfasser anhand der minuziösen Durchsicht der Sitzungsprotokolle der Reichstagsfraktion der DZP nachweist (li, 652 f.). In der Endphase der Weimarer Zeit ergriff Kaas im Plenum des Deutschen Reichstags kaum noch das Wort. Wie er selbst erklärte, war er physisch nicht mehr in der Lage, bei der Art der Verhandlungsstörungen durch die NSDAP zu sprechen (li, 654). Infolge seines Gesundheitszustandes zeigte er sich den Aufgaben seines Parteiamtes immer weniger gewachsen. Häufig fehlte er bei Konferenzen, Sitzungen und Versammlungen wegen Krankheit. Erst am 5. Mai 1933, als er sich bereits in Rom in der Emigration befand, erklärte er den von vielen schon seit langer Zeit herbeigesehnten Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden (li, 662). Von besonderem Wert und Gewicht in diesem fünften Teil ist die sorgfältige und, wie stets beim Verfasser, auch überaus ausführliche Darstellung der politischen und weltanschaulichen Programmatik und des politischen Verhaltens der anderen größeren im Deutschen Reichstag vertretenen Parteien, nämlich der SPD, der DNVP, der Liberalen Parteien und der Bayerischen Volkspartei, und zwar jeweils unter der besonderen Rücksicht der Beziehungen und des Verhältnisses von Kaas zu diesen Parteien (li, 663-746). Obwohl diese umfangreichen Ausführungen über die weltanschaulichen Grundlagen des deutschen Parteiwesens zu der Biographie von Kaas weithin keinen unmittelbaren sachlichen Bezug aufweisen, sind sie dennoch, insbesondere wegen der profunden Sachkenntnis und Erudition des Verfassers, für den interessierten Leser eine Fundgrube wertvollster Informationen und letztlich auch für das volle Verständnis des Scheiteros der Politik der DZP und der gesamten Weimarer Republik von großem Wert und im Grunde unverzichtbar. VI.

Im sechsten Teil des Werkes, "Die politische Tätigkeit von Kaas im Schatten der anwachsenden NSDAP" (III, 1-422), schildert der Verfasser den Zusammenbruch der Weimarer Republik und in diesem Zusammenhang auch die letzten Jahre und das Ende der politischen Laufbahn von Kaas. In gewohnter, aber durchaus instruktiver Breite

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behandelt er die "Erkrankung der Gesellschaft", das Anwachsen der KPD, die besorgniserregende Zunahme der NSDAP, den Zusammenbruch der politischen Kultur, nicht zuletzt durch die u.a. von Goebbels inszenierten Radau- und Störszenen und Thmulte im Reichstag, denen sich der empfindsame Kaas hilflos ausgeliefert sah (III, 66). Kaas stand unbeirrt auf dem Boden des Programms der DZP. Er kämpfte für die Herrschaft des Rechts und distanzierte sich von den "das gesamte Staatsrecht relativierenden Grundtendenzen von Carl Schmitt und seinen Gefolgsmännern" (III, 80). Diesen Auffassungen und Strömungen gegenüber bekannte sich Kaas zur Demokratie und zum "richtig verstandenen autoritären Staat" (III, 90). Lange Zeit unterstützte er die Politik Brünings rückhaltlos. Die Entfremdung zwischen Kaas und Brüning ging, wie der Verfasser meint, eher von Brüning aus (III, 143). Wegen ihrer divergierenden Auffassungen im Hinblick auf das richtige Verhalten gegenüber Hitler und der NSDAP war der sich immer mehr verschärfende Gegensatz zwischen Brüning und Kaas aber unvermeidlich. Die Entfremdung zwischen den beiden Politikern, die in früheren Jahren miteinander befreundet waren, hatte ihren Grund zum Teil auch darin, daß Kaas offensichtlich zu wenig Vertrauen in die Austerity-Politik Brünings hatte (III, 170 f.), vor allem aber darin, daß Kaas, im Gegensatz zu Brüning, HitZer nicht durchschaute und sich über dessen Verfassungstreue Illusionen machte (III, 256, 275). In dezidiertem Gegensatz zu Brüning plädierte Kaas einezeitlangfür eine politische Zusammenarbeit zwischen der DZP und der NSDAP in einer Koalition unter Führung Hitlers. Kaas hatte jedoch hierbei die Rechnung ohne Hitler gemacht. Dieser lehnte, wie die spätere Entwicklung zeigte, jeden derartigen Kooperationsversuch ab. In objektiver und sachlicher Weise schildert der Verfasser die Rolle, die Kaas im Zusammenhang mit der "Machtergreifung" Hitlers und bei der Annahme des Ermächtigungsgesetzes gespielt hat. Kaas, der, wie der Verfasser immer wieder bemerkt, Hitler nicht durchschaute und mit dessen Amoralität nicht gerechnet hatte, erblickte in der beruhigenden Zusicherung, die Hitler ihm gegenüber in einer Unterredung am 22. März 1933 abgegeben hatte, eine hinreichende Grundlage, um die Vorbehalte der Abgeordneten der DZP gegenüber dem Ermächtigungsgesetz zu zerstreuen (III, 337). Es entsprach der oft von Kaas befolgten Taktik und kennzeichnet sein auch in anderen vergleichbaren Situationen an den Tag gelegtes Verhalten, daß er, der Parteivorsitzende, es bei der ersten Sitzung der Fraktion der DZP am Vormittag des 23. 3. 1933, dem Tag der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz, ablehnte, "von sich aus einen Vorschlag zu machen, wie man sich entscheiden solle" (III, 341). Innerlich war er für die Zustimmung. Er fürchtete nämlich die Anklage, die politische Vertretung des katholi-

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sehen Volksteils habe in der Stunde der Not des Reiches beiseite gestanden. Brüning sprach sich bei dieser Vormittagssitzung für seine Person gegen eine Annahme des Ermächtigungsgesetzes aus und stellte sich damit in einen Gegensatz zu Kaas (III, 342). Nach dieser ersten Fraktionssitzung am 23. 3. 1933 gab Hitler im Plenum seine Regierungserklärung ab. Nach der Regierungserklärung Hitlers traf sich die Fraktion der DZP am Nachmittag des 23. März 1933, und zwar unmittelbar vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz, zu einer zweiten Sitzung, bei der die Marschrichtung für das Verhalten der Fraktion bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz festgelegt werden sollte. Hierbei plädierte Kaas, der sich am Vormittag nicht hatte festlegen wollen, für die Annahme des Ermächtigungsgesetzes (III, 346). Kaas empfahl anschließend im Plenum des Deutschen Reichstags für die DZP die Annahme des Ermächtigungsgesetzes (III, 347 ff.). Von den insgesamt 74 Abgeordneten der DZP nahmen 72 an der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz teil; sie stimmten ausnahmslos mit "Ja". Die ZDP dankte Kaas in den darauffolgenden Tagen "für die große, verantwortungsvolle, schwierige Arbeit in den letzten Tagen" (III, 349, 351). Nach der Meinung des Verfassers haben Kaas und die anwesenden Abgeordneten der DZP angesichtsder Tatsache, daß Hitler wegen der Zustimmung durch die Massen das Parlament auf jeden Fall ausgeschaltet hätte, "richtig gehandelt". Es soll hier nicht mit dem Verfasser in eine Kontroverse darüber eingetreten werden, ob seine Auffassung zutreffend ist. Tatsache ist, daß Kaas wegen seiner Empfehlung der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz sein Leben lang an einem "Rechtfertigungskomplex" gelitten hat (III, 366). Diese seine Empfehlung dürfte auch der Hauptgrund dafür gewesen sein, daß er auch nach 1945 nie mehr nach Deutschland zurückgekehrt ist. Nach der Annahme des Ermächtigungsgesetzes ließ Kaas seine Partei buchstäblich im Stich. Bereitsam nächsten Tag, am 24. 3. 1933, reiste er nach Rom ab. Am 31. 3. 1933 kehrte er noch einmal nach Berlin zurück, um in der Reichskanzlei an den drei Sitzungen des "Arbeitsausschusses" teilzunehmen, dessen Bildung zwischen der DZP und der NSDAP vereinbart worden war. Die letzte Sitzung dieses Ausschusses fand am 7. April 1933 statt. An diesem Tag hatte Kaas das erste und einzige Gespräch mit Hitler unter vier Augen. Über den Inhalt dieses Gesprächs ist nichts bekanntgeworden. Bereits am Abend dieses Tages, am 7. April1933, verließ Kaas Berlin wieder in Richtung Rom. Er reiste am 7. 4. noch bis München, am darauffolgenden Tag von München nach Rom. Er hat von diesem Tag an deutschen Boden nicht rriehr

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betreten (III, 372}. Der Hauptgrund für seine Flucht und sein in vielen Augen anstößiges Verbleiben in Rom dürfte die Angst vor einer drohenden Verhaftung gewesen sein (III, 374). Es erscheint fraglich, ob dieses Verhalten des Vorsitzenden der DZP mit dem Verfasser damit gerechtfertigt werden kann, daß die DZP "an die Abwesenheit ihres Vorsitzenden gewöhnt" gewesen sei und ja in Brüning ihren führenden "Kopf" hatte. Kaas war eben der Parteivorsitzende, der in dieser Eigenschaft die Verhandlungen mit Hindenburg und Hitler geführt hatte. Erst am 5. Mai 1933 entschloß sich Kaas, vom Amt des Parteivorsitzenden zurückzutreten (II, 662}. Am 6. Mai wurde Brüning zum Parteivorsitzenden gewählt. Am 5. Juli 1933löste sich die DZP auf. Ausführlich behandelt der Verfasser auch den Verlauf der Verhandlungen über den Abschluß des Reichskonkordates (III, 387-422), an denen Kaas einen außerordentlich großen und hervorragenden und auch von Papst Pius XI. ausdrücklich anerkannten Anteil hatte (III, 397). Stutz, der sich auf dem Gebiete des Konkordatsrechts als die größte Koryphäe betrachtete, war tief verstimmt darüber, daß er seitens der Deutschen Reichsregierung nicht als deren Berater zu den Konkordatsverhandlungen beigezogen wurde. Er kritisierte die Inkompetenz der staatlichen Seite bei der Erarbeitung des Konkordatstextes und würdigte um so mehr die Leistungen der kirchlichen Seite. Die Ratifizierung des am 20. Juli 1933 unterzeichneten Konkordats erfolgte am 10. September 1933. Mit Recht verteidigt der Verfasser den Abschluß des Reichskonkordats durch den Heiligen Stuhl. Der Kirche blieb damals keine andere Wahl, als das Angebot der Deutschen Reichsregierung anzunehmen. Ein kausaler Nexus zwischen der Zustimmung der DZP zum Ermächtigungsgesetz und dem Abschluß des Reichskonkordats läßt sich, wie May mit Nachdruck betont und auch im einzelnen darlegt, nicht nachweisen; ebensowenig ist ein Kausalnexus zwischen dem Untergang der DZP und dem Abschluß des Reichskonkordats nachzuweisen. Der Verfasser verdient Zustimmung, wenn er erklärt, daß es irrig wäre, anzunehmen, die DZP wäre ohne Reichskonkordat nicht untergegangen bzw. hätte sich ohne den Konkordatsabschluß nicht aufgelöst (III, 412}. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob es auch dann zum Abschluß des Reichskonkordats gekommen wäre, wenn die DZP bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz gegen dieses Gesetz gestimmt hätte. Die Frage dürfte wohl zu verneinen sein. Für Kaas bedeutete es einen schweren Schlag, daß er nach dem Abschluß des Reichskonkordats auf ausdrückliches Verlangen der Deutschen Reichsregierung von den weiteren Verhandlungen über die Durchführung des Reichskonkordats ausgeschlossen wurde und "im

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Halbdunkel eines geheimen Mitarbeiters Pacellis" verbleiben mußte (III, 418). Ein Kommentar zum Reichskonkordat, der unter dem Namen des Freiburger Erzbischofs Gröber erscheinen, jedoch Kaas zum Verfasser haben sollte, ist wegen der späteren politischen Entwicklung niemals erschienen. Er sollte im Verlag Herder, Freiburg i.Br., herauskommen, nicht im Verlag Pustet, Regensburg, der diesen Kommentar ebenfalls gerne herausgebracht hätte (III, 420 ff.).

vn. Der siebente Teil mit der Überschrift "Die römischen Jahre von Kaas" (III, 423-519) behandelt sein erfolgreiches Wirken in der römischen Emigration. Pacelli, der in dem Werk von May sowohl im Hinblick auf sein ausgewiesenes fachliches Können als Apostolischer Nuntius als auch auf die Qualitäten seines Charakters als eine überragende Persönlichkeit erscheint, erwies sich gegenüber Kaas in dessen römischen Jahren (vom 8. 4. 1933 bis zu seinem Tod am 25. 4. 1952) als treuerund zuverlässiger Freund und Protektor. Ausschließlich dem Einfluß von Pacelli hatte Kaas es zu verdanken, daß er am 20. 3. 1934 Wirklicher Apostolischer Protonotar (III, 427) und am 6. 4. 1935 Kanonikus der Patriarchalbasilika St. Peter wurde (III, 428). Am 20. August 1936 wurde er, wiederum aufgrund der tatkräftigen Vermittlung von Pacelli, zum Verwalter von St. Peter, "Economo e Segretario della Sacra Congregazione della Reverenda Fabbrica di San Pietro", ernannt. Damit oblag ihm die Verwaltung des Vermögens der Peterskirche. Gleichzeitig wurde er Präsident der Forschungsstelle für das Studium der Mosaiken, des "Studio del Mosaico". Kaas erhielt im Vatikan im Palazzo S. Carlo eine Dienstwohnung. Als Ökonom von St. Peter oblag ihm auch die Leitung der Ausgrabungen unter der Basilika. In seiner Eigenschaft als Chef der Bauhütte von St. Peter war Kaas außerordentlich effizient und erfolgreich. Am 24. 12. 1950 gab Pius XII. bekannt, daß die Grabungen unter der Peterskirche zur Auffindung des Grabes des Apostels Petrus geführt hätten. An diesem Ergebnis hatte Kaas einen bedeutsamen Anteil (III, 431). In seiner römischen Zeit wurde Kaas zu einem der engen Mitarbeiter Pacellis. Die vielen Schreiben, die Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs an die deutschen Bischöfe gerichtet hat, dürften zu einem erheblichen Teil von Kaas entworfen worden sein. An der Enzyklika "Mit brennender Sorge" hat Kaas ebenfalls intensiv mitgearbeitet. Von ihm stammt z. B. der Hinweis auf den verpflichtenden Charakter des Reichskonkordats, der sich im Entwurf von Kardinal Faulhaber noch

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nicht findet. Wie umfangreiche vergleichende sprachanalytische Untersuchungen des Verfassers zeigen, finden sich in der Enzyklika viele Wörter und Wendungen, darunter auch eine Reihe "blumiger Ausdrükke", die eindeutig dem Wortschatz und der Formulierungskunst von Kaas entstammen (III, 438 f.). Verschiedene Angebote, die Kaas im Jahre 1933 zur Sicherstellung seines Lebensunterhalts von besorgter und wohlmeinender bischöflicher Seite gemacht wurden, wie z. B. die Ernennung zum Rektor des CampoSanto Teutonico oder zum Rektor der Nationalstiftung S. Maria dell'Anima oder die Stelle eines Religionslehrers an einem privaten Mädchengymnasium in der Schweiz, hat Kaas, wie dies seiner bekannten Art und Taktik entsprach, jeweils zuerst hinhaltend-zögernd behandelt und schließlich abgelehnt (III, 447). Eine Ernennung zum Kardinal und ebenso auch zu einem Diözesanbischof kam für ihn wegen seiner früheren politischen Betätigung bei realistischer Betrachtung nicht in Frage. Nach der Ernennung von Kaas zum Kanonikus von St. Peter stellte der preußische Staat mit Wirkung vom 1. Oktober 1935 die Zahlung des Gehalts ein, das Kaas als Mitglied des Trierer Domkapitels bezog. Es belief sich auf monatlich 610,20 RM (III, 472). Damit war sein Amt als Domkapitular in Trier erloschen. Die gehässigen Versuche des Trierer Oberbürgermeisters Ludwig Christ, Kaas auszubürgern, konnten von dem Trierer Regierungspräsidenten Konrad Saaßen (1886-1937), einem früheren Zentrumsmann, mit Hilfe des Auswärtigen Amtes und der deutschen Vatikanbotschaft verhindert werden (III, 502). VIII.

In dem mit "Gesamtwürdigung" überschriebenen abschließenden achten Teil zeichnet May in sorgfältig abwägender Weise ein Gesamtbild der Persönlichkeit von Kaas (III, 521-574). Er stimmt darin Rudolf Morsey ausdrücklich zu, daß es im deutschen Katholizismus, abgesehen von Matthias Erzberger, kaum eine zweite Persönlichkeit gebe, die ähnlich umstritten ist wie die von Kaas (III, 522). Er nennt Kaas eine "komplizierte Persönlichkeit", einen "Menschen mit all seinem Widerspruch", der es seinen Gegnern leichtgemacht hat (III, 522). Große und vielseitige Talente verbanden sich bei Kaas mit einem enormen Fleiß. Dazu besaß er eine ausgeprägte geschäftliche und kaufmännische Begabung. Er bezog ein beträchtliches Einkommen und lebte dabei einfach; er war wohltätig und führte kein großes Haus für Gäste. Er war ein Sammler erlesener Kunstwerke. Einen wenig sympathischen Grundzug im Wesen von Kaas bildet sein Karrieredenken, das im ersten Jahrzehnt seines Priestertums be-

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sonders ausgeprägt zutage trat, ihn aber auch in den Jahren seiner politischen Tätigkeit noch beherrschte. "Über diesem Ziel scheint er seine Umwelt zeitweise vergessen zu haben." Die Intensität, mit der er bei seinen Bemühungen, auf einen Lehrstuhl berufen zu werden, seinen Lehrer Ulrich Stutz für seine Ziele einzuspannen wußte, wirkt in vielen Fällen geradezu peinlich (III, 526}. Der schwerste Fehler, den Kaas wohl in seinem Leben begangen hat, bestand in der Ablehnung des Rufes auf den von ihm vorher mit so großer Vehemenz angestrebten Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. May verdient Zustimmung, wenn er die Auffassung vertritt, daß eine Professur für Kirchenrecht, die ihm auch noch die Möglichkeit zu einer ausgedehnten Tätigkeit auf dem Gebiete des Staatskirchenrechts geboten hätte, die eigentliche Berufung von Kaas gewesen wäre. Ohne Pacelli hätte sich dem Emigranten Kaas in Rom wohl kein auch nur einigermaßen attraktives bedeutsames Betätigungsfeld eröffnet. Kaas, der ursprünglich Medizin oder Musik studieren wollte, aber dann "nach dem Tode der Mutter sein Berufsziel geändert" hatte, war "mit Leib und Seele Priester". Für May bildet es einen Gegenstand besonderen Interesses, ob dem politischen Prälaten Kaas sein Engagement im Deutschen Reichstag, im Preußischen Staatsrat, im Preußischen Provinziallandtag, in der Reichstagsfraktion der DZP und seine sonstigen vielen Verpflichtungen genügend Zeit beließen, um seinen religiösen priesterlichen Pflichten nachzukommen. "Man" wüßte gerne, schreibt der Verfasser, ob Kaas in Berlin täglich das (ganze) Brevier gebetet, die heilige Messe gefeiert, die Betrachtung gehalten und das Rosenkranzgebet gepflegt habe (III, 535). Ob der Verfasser zutreffend urteilt, wenn er Kaas angesichtsder "für sein privates und politisches Handeln charakteristischen Unschlüssigkeit" und des "ihm fehlenden Willens und der Fähigkeit zur Entscheidung" wegen seines anerkannten Verhandlungsgeschicks und seiner Flexibilität das "Rüstzeug zum politischen Führer" (III, 529) attestiert, muß zumindest bezweifelt werden. Auch in seinem Verhältnis zu anderen Menschen war Kaas außerordentlich differenziert. Er hatte zwar Freunde, auch unter Geistlichen, aber wohl nur ganz wenige. Es trifft wohl zu, daß Kaas weithin geschätzt, aber nirgendwo beliebt war (III, 554). Dafür war er, wie May meint, zu überlegen, zu verschlossen, zu vorsichtig und auch zu selbstbezogen. Unbestreitbar hatte er außerhalb und innerhalb der Kirche viele Gegner (III, 553 f.). Seinem Lehrer und Protektor Ulrich Stutz, den er verehrte und bewunderte, war er zeit seines Lebens in Ergeben-

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heit verbunden (III, 561 ff). Seiner körperlichen Konstitution nach war Kaas von gutem Aussehen, aber gesundheitlich labil. Wegen eines immer wieder in Erscheinung tretenden Magenleidens, das sich in Situationen starker psychischer Belastungen bis zu Magenkrämpfen steigern konnte, war er oft nicht in der Lage, seinen Verpflichtungen nachzukommen (III, 570 ff.). Kaas starb am 25. April 1952 und wurde auf dem Campo Santo beigesetzt. Pius XII. (t 9. 10. 1958) hat in seinem Testament verfügt, daß Kaas - wohl wegen seiner Verdienste um die Ausgrabungen unter der Peterskirche- in den Grotten von St. Peter seine letzte Ruhestätte finden solle. Diese Anordnung blieb bemerkenswerterweise nahezu sieben Jahre lang unausgeführt. Erstaufgrund einer Anordnung von Paul VI. wurde der Leichnam von Kaas im Februar 1965 in die Ottonenkapelle in den Grotten von St. Peter überführt (III, 574).

Abschließende Bewertung In dieser imponierenden wissenschaftlichen Biographie ist May der differenzierten Persönlichkeit von Kaas und seinem Lebenswerk, das sich auf sehr verschiedenen Ebenen entfaltet und verwirklicht hat, in hohem Maße gerecht geworden. Der Verfasser war erkennbar und im Ergebnis durchaus mit Erfolg stets bestrebt, seine detailreiche und informative Untersuchung sine ira et studio zu verfassen. Es muß jedoch die Frage gestellt werden, ob die ausufernde Breite, die an vielen Stellen, ja fast allenthalben anzutreffen ist, in diesem Maße zwingend geboten war und ob das jeweilige historische Umfeld, in dem Kaas tätig war, immer in so extensiver Weise dargestellt werden mußte, wie dies tatsächlich geschehen ist. In vielen Fällen behandelt der Verfasser mit großer Ausführlichkeit Gegenstände und Fragen, die mit der Tätigkeit und dem Leben von Kaas auf den ersten Blick nur in einem losen und mittelbaren Zusammenhang stehen. Allein den fehlgeschlagenen Bemühungen von Kaas um einen Universitätslehrstuhl in Münster, Straßburg und Freiburg widmet der Verfasser 38 Seiten (I, 67-105). Die Persönlichkeit und das Wirken des Apostolischen Nuntius Pacelli werden auf nahezu 20 Seiten dargestellt (I, 173-191), bevor sich der Verfasser seinem eigentlichen Thema, nämlich der Zusammenarbeit von Pacelli und Kaas zuwendet. Um die Einstellung und die Äußerung von Kaas zur bedeutsamen Frage der Reparationen im Zusammenhang mit dem Vertrag von Versailles darzulegen, behandelt der Verfasser eingehend auch die gesamte Problematik der Reparationen mit Ein-

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schluß des Dawes-Plans und des Young-Plans auf nicht weniger als 25 Seiten. (I, 555-580). Im Zusammenhang mit der Darstellung der politischen Tätigkeit von Kaas wird der Leser z. B. auch mit den Grundlagen des preußischen Staatsrechts und mit dem Funktionieren der preußischen Staatsverwaltung sowie mit den Hauptproblemen der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, Wehr- und Kulturpolitik der Weimarer Republik vertraut gemacht. Der Verfasser läßt sich dabei wohl von der unbestritten richtigen Auffassung leiten, daß der Leser nur bei genauer Kenntnis aller dieser Voraussetzungen die jeweilige politische Einstellung und das konkrete Verhalten des Zentrumspolitikers Kaas einigermaßen zutreffend würdigen und beurteilen kann. Es handelt sich bei diesem Werk, was aus dem Titel nicht hervorgeht, eben nicht nur um eine sich streng auf die Person und die wissenschaftliche und politische Tätigkeit von Kaas konzentrierende Biographie, sondern darüber hinaus auch um eine Darstellung der gesamten Epoche, in die das Wirken von Kaas fällt. Darin besteht bereits für die heutige Zeit ein besonderer wissenschaftlicher Wert dieses Werkes. Ein weiteres Bedenken betrifft die Tatsache, daß durch die systematische Einteilung des Werkes in die verschiedenen Tätigkeitsbereiche von Kaas und durch die jeweils im Zusammenhang erfolgende Darstellung dieser Gebiete die Gleichzeitigkeit der Ereignisse auf verschiedenen Ebenen des Wirkens und Lebens von Kaas nicht immer mit der erforderlichen Deutlichkeit hervorgeht. So ist z. B. der von ihm Ende 1929 und zu Beginn des Jahres 1930 verfolgte kühne Plan, mit Hilfe seines Parteifreundes Konrad Adenauer die damals vakante Stelle des Dompropstes des Kölner Metropolitankapitels zu erhalten, nur deshalb einigermaßen verständlich, weil Kaas damals nach dem glücklichen Abschluß des Preußischen Konkordats, an dessen Zustandekommen er einen entscheidenden Anteil hatte, als Vorsitzender der DZP auf dem Höhepunkt seines Ansehens stand und zugleich in Rom in dem kurze Zeit vorher zum Kardinalstaatssekretär ernannten Eugenio Pacelli einen Fürsprecher und Promotor dieses Projekts besaß. Dabei fällt noch ins Gewicht, daß Adenauer seinerseits Kaas verpflichtet war, weil dieser ihn mit Erfolg als Vorsitzenden des Preußischen Staatsrats vorgeschlagen hatte. Diese einzelnen Faktoren, die diesen Vorstoß von Kaas psychologisch erst einigermaßen verständlich machen, finden sich im Werk des Verfassers an durchaus verschiedenen Stellen. Es wären daher in erheblich größerem Maße, als dies tatsächlich geschehen ist, Querverweisungen auf Ausführungen in anderen Teilen des Werkes wünschenswert gewesen. 71 Sbd. List!

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Diese dreibändige Biographie über Kaas ist ein Meisterwerk. Sie zeichnet sich aus durch absolute Zuverlässigkeit in ihren sämtlichen historischen Aussagen. Aufgrund seiner umfassenden archivalischen Forschungen hat der Verfasser, insbesondere gilt dies für die wissenschaftliche und kirchliche Seite des Wirkens von Kaas, weithin ein neues Bild von dessen Persönlichkeit gezeichnet. In der Beurteilung politischer Zusammenhänge und von Personen, insbesondere auch der Persönlichkeit von Kaas selbst, sind die Aussagen abgewogen. Wenn auch der Leser in anderer Gewichtung der Tatsachen in manchen Fällen, nicht zuletzt z. B. auch in der Frage der Bewertung des Verhaltens von Kaas bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz, zu einer durchaus entgegengesetzten Beurteilung gelangen kann, so sind die Urteile des Verfassers jedenfalls immer sachlich begründet und vertretbar. Nur ein Autor, der über eine vergleichsweise so umfassende, profunde und fächerübergreifende wissenschaftliche Erudition verfügt, wie sie dem Verfasser eignet, und wie sie in der Gegenwart immer seltener begegnet, ist in der Lage, ein derartiges Werk vorzulegen. Bei dieser Biographie handelt es sich um eine ungewöhnliche und herausragende wissenschaftliche Leistung. Die mustergültigen Register ermöglichen zudem ein rasches Auffinden der Fülle der diversen in diesen Bänden behandelten Materien. Dieses Werk von May zählt zu den nicht gerade häufigen wissenschaftlichen Publikationen, denen bereits bei ihrem Erscheinen unbedenklich attestiert werden kann, daß sie von bleibendem Wert sind.

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers Die mit dem Zeichen * versehenen Beiträge sind in diesem Band abgedruckt.

I. Selbständige Veröffentlichungen A. Als Verfasser: 1.

Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 1). Berlin: Duncker & Humblot 1971. XXV, 522 S.

2.

Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 7). Berlin: Duncker & Humblot 1978. XVI, 279 S.

B. Als Herausgeber bzw. Mitherausgeber und Mitverfasser: 3.

Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 1. Aufl., hrsg. von Ernst Friesenhahn und Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl. Berlin: Duncker & Humblot. Bd. 1: 1974. XXXI, 792 S.; Bd. 2: 1975. XXXI, 898 S.

4.

Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz. Regensburg: Friedrich Pustet 1980. XLI, 969 S.

5.

Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann. Hrsg. von Joseph Listl und Herbert Schambeck. Berlin: Duncker & Humblot 1982. XIX, 910 S.

6.

Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Hrsg. von Joseph Listl, Hubert Müller, Heribert Schmitz. Regensburg: Friedrich Pustet 1983. XLIII, 1211 s.

7.

Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach. Sechs Rechtsgutachten von Christoph Link und Armin Pahlke, Joseph List!, Ulrich Scheuner, Alexander Hollerbach zur Frage der Möglichkeit der Teilnahme von Schülern am Religionsunterricht einer anderen Konfession. Hrsg. von Joseph Listl (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 15). Berlin: Duncker & Humblot 1983. 119 S.

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Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

8.

Ernst Friesenhahn zum Gedächtnis. 26.120.1901-5. 8. 1984. Hrsg. von Joseph Listl. 53113 Bonn, Lennestraße 15: Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands 1985. 38 S.

9.

Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis. Berlin: Duncker & Humblot 1987. Bd. 1: XXXVI, 864 S.; Bd. 2: XXXIX, 824 S.

10.

Carlos Corral y Joseph Listl (edidores): Constituci6n y Acuerdos IglesiaEstado. Actas del II Simposio Hispano-Aleman. Madrid: Universidad Pontificia Comillas de Madrid 1988. XVIII, 375 p.

11.

Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat. Hrsg. von Dieter Schwab, Dieter Giesen, Joseph Listl, Hans-Wolfgang Strätz. Berlin: Duncker & Humblot 1989. 899 S.

12.

Fides et Ius. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Aymans, Anna Egler, Joseph Listl. Regensburg: Friedrich Pustet 1991. 639 S.

13.

Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2., grundlegend neubearbeitete Aufl., hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pirson. Berlin: Duncker & Humblot. Bd. 1: 1994. XLV, 1150 S.; Bd. 2: 1995 (im Erscheinen).

C. Als Herausgeber bzw. Mitherausgeber: 14.

Ulrich Scheuner: Schriften zum Staatskirchenrecht. Hrsg. von Joseph Listl (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 3). Berlin: Duncker & Humblot 1973. 608 S.

15.

Paul Mikat: Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht. Hrsg. von Joseph Listl (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, Bd. 5). Berlin: Duncker & Humblot 1974. 2 Bde., VII, 1158 S.

16.

Ulrich Scheuner: Staatstheorie und Staatsrecht. Gesammelte Schriften. Hrsg. von Joseph Listl und Wolfgang Hüfner. Berlin: Duncker & Humblot 1978. 875 S.

17.

Ulrich Scheuner zum Gedächtnis. 24.120.1903-25. 2. 1981. Hrsg. von Joseph Listl. 53113 Bonn, Lennestraße 15: Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands 1981. 38 S.

18.

Deutsch-Französische Kolloquien Kirche-Staat-Gesellschaft (Straßburger Kolloquien)/Colloques franco-allemands Eglise-Etat-Societe (Colloques de Strasbourg) 1978-1984. Hrsg. von/Publies par Joseph Listl!Jean Schlick. 7 Bde. Kehl a. Rh. und Straßburg: N. P. Engel19821987.

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers 19.

1125

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen. Gegenwärtig hrsg. von Alexander Hollerbach, Josef Isensee, Joseph Listl, Wolfgang Loschelder, Hans Maier, Paul Mikat, Wolfgang Rüfner. 25 Bde. Berlin: Duncker & Humblot 1971-1995.

ll. Beiträge in Zeitschriften und Sammelwerken 20. * Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Bonner Grundgesetz, in: Civitas. Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung. Bd. 6, Mannheim 1967, S. 117-165. 21.

Staat und Kirchen in der Bundesrepublik. Die Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1967, in: Stimmen der Zeit, Bd. 181 (1968), S. 129133.

22.

Die katholischen Organisationen und Verbände als gesellschaftliche Gründungen des 19. Jahrhunderts, in: Heinrich Krauss und Heinrich Ostermann (Hrsg.), Verbandskatholizismus. Verbände - Organisationen- Gruppen im deutschen Katholizismus. Kevelaer 1968, S. 9-42.

23. * Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Hrsg. von Joseph Krautscheidt und Heiner Marre. Bd. 3, Münster 1969, S. 34-95. 24.

Verfassungsrechtlich unzulässige Formen des Kirchenaustritts. Zur Rechtsprechung in der Frage der Zulässigkeit eines sog. "modifizierten" Kirchenaustritts, in: Juristenzeitung, 26. Jhg. (1971), S. 345-352.

25.

Das Staat-Kirche-Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland im Lichte vergleichender internationaler Betrachtung, in: Militärseelsorge. Zeitschrift des katholischen Militärbischofsamtes Bonn, 14. Jhg. (1972), s. 255-277.

26. * Verbots- und Auflösungsmöglichkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung. Zum Urteil des BVerwG vom 23. 3. 1971, BVerwGE 37, 344ff., in: Die Öffentliche Verwaltung, 26. Jhg. (1973), S. 181-187. 27.

Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Wandlungen und neuere Entwicklungstendenzen im Staatskirchenrecht, in: Stimmen der Zeit, Bd. 191 (1973), S. 291-308.

28.

Das Schrifttum Ulrich Scheuners zum Staatskirchenrecht, in: Ulrich Scheuner, Schriften zum Staatskirchenrecht (vgl. Nr. 14), S. 11-16.

29. * Adoptionsrecht und religiöse Kindererziehung, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 21. Jhg. (1974), S. 74-79.

1126

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

30. * Staat und Kirche in den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Gerhard Leibholz, Hans Joachim Faller, Faul Mikat, Hans Reis. Tübingen 1974, S. 521-542. 31.

Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 1. Aufl. (vgl. Nr. 3), Bd. 1, 1974, S. 363-406.

32.

Das religionsrechtliche Schrifttum Faul Mikats, in: Faul Mikat, Religionsrechtliche Schriften (vgl. Nr. 15), Bd. 1, S. 19-25.

33. * Zur Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 143 (1974), S. 101-112. 34.

Staat, 2. Teil, li. Katholisch, in: Evangelisches Staatslexikon. 2. Aufl., hrsg. von Hermann Kunst, Roman Herzog, Wilhelm Schneemelcher. Stuttgart, Berlin 1975, Sp. 2479-2485.

35. * Die "Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester" vom 27. September 1973, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht, 26. Jhg. (1975), S. 166-176. 36. * Der sozialkritische Imperativ der Kirche. Zu dem Buch "Kirche und Öffentlichkeit" von Wolfgang Huber (Stuttgart 1973. 736 S. = Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Bd. 28), in: Stimmen der Zeit, Bd. 193 (1975), S. 847-851. 37.

1. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin vom 1.-6. November 1976 im Kardinal-Döpfner-Haus in Freising, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 145 (1976), S. 663-665.

38.

Der Verband der Diözesen Deutschlands. Strukturreformen im überdiözesanen Bereich der katholischen Kirche der Bundesrepublik Deutschland, in: Stimmen der Zeit, Bd. 195 (1977), S. 337-344.

39.

Staat und Kirche. Von der Trennung zum Dialog, in: Staatsethik. Hrsg. von Walter Leisner. Köln 1977, S. 151-155.

40.

Die Entscheidungsprärogative des Parlaments für die Errichtung von Kernkraftwerken, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 93. Jhg. (1978), S. 10-17 (Staatsrechtlicher Habilitationsvortrag).

41.

La garantia constitucional y la aplicaci6n practica del derecho individual de libertad religiosa, asi como de la libertad de las Iglesias al amparo de la Ley Fundamentalen la Republica Federal de Alemania, in: Constituci6n y relaciones Iglesia - Estado en la actualidad. Actas del Simposio hispano-aleman organizado por las Universidades Pontificias de Cornilias y Salamanca (Madrid, 13-15 marzo 1978) (= Bibliotheca Salmanticensis, Estudios 24). Universidad Pontificia Salamanca 1978, p. 39-51.

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

11Z7

42.

Die Rechtsnormen, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts (vgl. Nr. 4), S. 60-71.

43.

Die Kirchenregion. Regionalkonzil und Bischofskonferenz, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts (vgl. Nr. 4), S. 240-252.

44.

Koadjutor- und Auxiliarbischof, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts (vgl. Nr. 4), S. 274-276.

45.

Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts (vgl. Nr. 4), S. 831-843.

46.

Grundmodelle möglicher Zuordnung von Kirche und Staat, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts (vgl. Nr. 4), S. 843-854.

47.

Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts (vgl. Nr. 4), S. 855875.

48.

La importancia del Concordato para una ordenada cooperaci6n entre la Iglesia y el Estado, in: Simposio Sudamericano Alemim sobre Iglesia y Estado. Estudios presentados en las Quintas Jornadas Teol6gicas de la Pontificia Universidad Cat6lica del Ecuador, organizadas en colaboraci6n con el Institutode Derecho Eclesiastico del Estado en Bonn (Quito, 4-8 Junio 1979). Editado por Julio Teran Dutari (= Serie Teol6gica Ecuatoriana, Nr. 7). Quito: Ediciones de la Universidad Cat6lica 1980, p. 93-107.

49.

Staat und Kirche in der Bundesrepublik. Wandlungen und neuere Entwicklungstendenzen im Staatskirchenrecht, in: Kirche und Staat in der neueren Entwicklung. Hrsg. von Paul Mikat (= Wege der Forschung, Bd. 566). Darmstadt 1980, S. 240-266 (=Nachdruck von Nr. 27).

50.* Die staatskirchenrechtlichen Implikationen im "Fall Küng", in: Schweizerische Kirchenzeitung, 148. Jhg. (1980), S. 162-164.

51.

Kirchenbeitrag, in: Katholisches Soziallexikon. 2. Aufl., hrsg. von Alfred Klose, Wolfgang Mantl, Valentin Zsifkovits. Innsbruck/Wien/München und Graz/Wien/Köln 1980, Sp. 1383-1386.

52.* Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, in: Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky. Hrsg. von Ludwig Adamovich und Peter Pernthaler. Teilbd. 1, Wien 1980, S. 571-590. 53.

La paridad juridico-confesional entre las iglesias cat6lica y evangelica y las comunidades religiosas menores en los campos de la enseii.anza y del derecho patrimonial ante el derecho eclesiastico estatal de la Republica Federal de Alemania, in: Revista de Administraci6n Publica (Madrid), No. 94, Aii.o 1981 (Enero-abril), p. 345-365.

1128

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

54.

4. und 5. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und in WestBerlin vom 6.-10. bzw. vom 13.-17. September 1981 in der Katholischen Akademie Hamburg, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 150 (1981), s. 637-641.

55.

Wenn die Kirchenbaupflicht beim Bürgermeister oder beim Patron liegt. Erwägungen zu einem aktuellen und zugleich alten Thema, in: Anzeiger für die Seelsorge, 91. Jhg. (1982), S. 240-244.

56.* Staat und Kirche bei Ulrich Scheuner (1903-1981). Mit der Fortsetzung und dem Abschluß der Gesamtbibliographie Ulrich Scheuner von 19781981, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung (vgl. Nr. 5), S. 827906. 57.

Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines "kooperativkonfessionellen" Religionsunterrichts an der Gesamtschule in Weinheim, in: Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach (vgl. Nr. 7), S. 49-55.

58.

Zur Frage, ob einer Öffnung des bisher nach Konfessionen getrennt erteilten Religionsunterrichts für Schüler eines anderen Bekenntnisses in der Sekundarstufe II des Landes Baden-Württemberg rechtliche Bedenken entgegenstehen, in: Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach (vgl. Nr. 7), S. 73-78.

59.

Die Rechtsnormen, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (vgl. Nr. 6), S. 83-98.

60. * Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (vgl. Nr. 6), S. 304-324. 61.

Koadjutor- und Auxiliarbischof, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (vgl. Nr. 6), S. 348-352.

62. * Der Religionsunterricht, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (vgl. Nr. 6), S. 590-605. 63.

Die Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (vgl. Nr. 6), S. 1021-1036.

64.

Grundmodelle einer möglichen Zuordnung von Kirche und Staat, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (vgl. Nr. 6), S. 1037-1049.

65.

Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts (vgl. Nr. 6), S. 10501071.

66.

6. und 7. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und in WestBerlin vom 4.-8. bzw. 11.-15. September 1983 in der Katholischen Akademie Freiburg i. Br., in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 152 (1983), s. 630-633.

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

1129

67. * Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Staat und Kirche. Referate der Tagung der Deutschen Richterakademie in Trier vom 6. bis 12. November 1983. München: Bayerisches Staatsministerium der Justiz 1984, S. 49-74. 68.

Sechzig Jahre Bayerisches Konkordat. Die historische Bedeutung des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern vom 29. März 1924, in: Pro Fide et Justitia. Festschrift für Agastino Kardinal Casaroli zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Herbert Schambeck. Berlin 1984, s. 257-274.

69. * Die Aussagen des Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Begründet von Joseph Krautscheidt und Heiner Marre. Hrsg. von Heiner Marre und Johannes Stüting. Bd. 19, Münster 1985, s. 9-37. 70. * Leben und Werk des Kirchenrechtslehrers und Zentrumspolitikers Prälat Ludwig Kaas, in: Theologische Revue, 81. Jhg. (1985), Sp. 177-190. 71. * Codex Iuris Canonici, in: Staatslexikon. Recht - Wirtschaft - Gesellschaft in 7 Bänden. Hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7., völlig neu bearbeitete Aufl. Bd. 1. Freiburg i.Br., Basel, Wien 1985, Sp. 1152-1156. 72. * Gewissen und Gewissensentscheidung im Recht der Kriegsdienstverweigerung, in: Die Öffentliche Verwaltung, 38. Jhg. (1985), S. 801-811. 73. * Grundfragen des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, in: Anuario de Derecho Eclesilistico del Estado (Madrid: EDERSA [= Editoriales de Derecho Reunidas]; Editorial de la Universidad Complutense de Madrid). Vol. 1 (1985), S. 93-121. 74.

8. und 9. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und in WestBerlin vom 1.-5. bzw. 8.-12. September 1985 im Haus St. Ulrich, Augsburg, Akademie- und Seelsorgezentrum des Bistums Augsburg, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 154 (1985), S. 625-635.

75. * Die Arbeitsverhältnisse der kirchlichen Dienstnehmer in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften. Begründet von Joseph Höffner. Hrsg. von Wilhelm Weber. Bd. 27 (1986), Münster, S. 131-158. 76. * Kirche. II. Katholisch (hier abgedruckt mit der Überschrift "Das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche"), in: Evangelisches Staatslexikon. 3., neu bearbeitete Aufl., hrsg. von Roman Herzog, Hermann Kunst, Klaus Schlaich, Wilhelm Schneemelcher. Bd. 1, Stuttgart 1987, Sp. 1529-1539. 77. * Kirchenrechtsquellen. II. In der katholischen Kirche (hier abgedruckt mit der Überschrift "Die Quellen des katholischen Kirchenrechts"), in: Evangelisches Staatslexikon. 3., neu bearbeitete Aufl., Bd. 1, Stuttgart 1987, Sp. 1691-1693.

1130

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

78. * Staat. Zweiter Teil. Theologisch. II. Katholisch (hier abgedruckt mit der Überschrift "Der Staat nach katholischem Verständnis"), in: Evangelisches Staatslexikon. 3., neu bearbeitete Aufl., Bd. 2, Stuttgart 1987, Sp. 3367-3376. 79.

0 K6dikas tes Katholikes Ekklesias, in: Synchrona Bemata. Arithm6s teuchous 63, Ioulios-Septembrios 1987. Athena 1987, p. 150-162.

80. * Aktuelle Rechtsfragen in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Religionsfreiheit - Theologische Fakultäten- Individuelles kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht- Kirchliches Besteuerungsrecht, in: Helmut Schnizer/Kurt Woisetschläger (Hrsg.), Kirche und Staat- Symbol und Kunst. Würzburg 1987, S. 61-96. 81.

La relaci6n Estado-Iglesia al ejemplo del Derecho Eclesiastico del Estado en la Republica Federal de Alemania. In: Relaciones Iglesia - Estado. Analisis teologico-juridico desde America Latina. (Coord. edidor: Jesus Gonzalez L6pez.) Quito: Pontificia Universidad Cat6lica del Ecuador 1987, p. 239-274.

82.

Desarrollo y significaci6n de los concordatos y acuerdos eclesiasticos en el Derecho Eclesiastico de la Republica Federal de Alemania. In: Estudios eclesiasticos (Madrid), 62 (1987), p. 301-315.

83. * Konkordate und Kirchenverträge (Einleitungsbeitrag), in: Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Nr. 9), Bd. 1, S. 3-23. 84.

10. und 11. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin vom 6.-10. bzw. 13.-17. September 1987 im Wilhelm-KempfHaus, Tagungsstätte des Bistums Limburg, Wiesbaden-Naurod, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 156 (1987), S. 626-642.

85.

Konkordat und Kirchenvertrag. Die vertragsrechtliehen Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts, in: Münchener Theologische Zeitschrift, 39. Jhg. (1988), s. 63-78.

86.

Ein Monument deutscher Staatsrechtslehre. Zum Erscheinen [der Bände I und II] des Handbuchs des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland von Isensee/Kirchhof, in: Die Öffentliche Verwaltung, 41. Jhg. (1988), s. 782-786.

87. * Staatliche und kirchliche Gerichtsbarkeit, in: Die Öffentliche Verwaltung, 42. Jhg. (1989), S. 409-419. 88. * Die Religions- und Kirchenfreiheit in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmte Ordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Hans Joachim Faller, Faul Kirchhof, Ernst Träger. Tübingen 1989, S. 539-579.

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers 89.

1131

Konkordat und Kirchenvertrag. Die vertragsrechtliehen Grundlagen des deutschen Staatskirchenrechts, in: Beiträge zur Konfliktforschung, 19. Jhg. (1989), S. 121-137 (=Nachdruck von Nr. 85).

90. * Die Fortgeltung und die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Louis C. Morsak und Markus Escher. Zürich 1989, S. 309-334. 91.

Der Name Gottes im Grundgesetz. Der Staat der Bundesrepublik Deutschland und die Religion, in: Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes. Hrsg. von Dieter Haack, Hans-Günter Hoppe, Eduard Lintner, Wolfgang Seiffert. Köln 1989, S. 53-66.

92. * Die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts in der staatlichen und kirchlichen Rechtsordnung, in: Recht als Heilsdienst. Matthäus Kaiser zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Freunden, Kollegen und Schülern. Hrsg. von Winfried Schulz. Paderbom 1989, S. 160-186. 93.

Ein Monument deutscher Staatsrechtslehre II. Zum Erscheinen der Bände III und VI des Handbuchs des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland von Isensee/Kirchhof, in: Die Öffentliche Verwaltung, 42. Jhg. (1989), s. 807-815.

94. * Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft (vgl. Nr. 11), S. 579-610. 95.

12. und 13. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin vom 3.-7. bzw. 10.-14. September 1989 im Matemushaus Köln, Tagungsstätte des Erzbistums Köln, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 158 (1989), S. 600-618.

96. * Religionsfreiheit, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). Hrsg. von Adalbert Erlerund Ekkehard Kaufmann. Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 862-869. 97. * Ein Dokumentarwerk zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Rezension der vierbändigen Quellensammlung von Ernst Rudolf Huber/WolfgangHuber (Hrsg.), Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Berlin: Duncker & Humblot. Bd. 1: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reichs bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution. 1973. XXXI, 705 S.; Bd. 2: Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890. 1976. XLVII, 1036 S.; Bd. 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. 1983. XXXVI, 873 S.; Bd. 4: Staat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik. 1988, XLIII, 884 S., in: Stimmen der Zeit, Bd. 191 (1973), S. 862f.; Bd. 194 (1976), S. 856-858; Bd. 208 (1990), s. 209-213.

1132

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

98. * Die Bistumsgrenzen in Deutschland. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Überlegungen zu ihrer Neuumschreibung, in: Pax et lustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Hans Walther Kaluza, Hans R. Klecatsky, Heribert Franz Köck, Johannes Paarhammer. Berlin 1990, S. 233-253. 99.

Der gegenwärtige Stand der Wissenschaft des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch der Universität Augsburg 1989. Universität Augsburg 1990, S. 171-184.

100. * Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Wissenschaftlicher Status und gegenwärtige praktische Bedeutung, in: Zeugnis des Glaubens. Dienst an der Welt. Festschrift für Kardinal Hengsbach zur Vollendung des 80. Lebensjahres. Im Auftrage des Bischöflichen Generalvikariates und des Domkapitels zu Essen hrsg. von Baldur Hermans. Mülheim an der Ruhr 1990, S. 763-782. 101. * Die Besetzung der Bischofsstühle. Bischofsernennungen und Bischofswahlen in Deutschland, in: Sendung und Dienst im bischöflichen Amt. Festschrift der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg für Bischof Josef Stimpfle zum 75. Geburtstag. Unter Mitarbeit von Walter Baier u. a. hrsg. von Anton Ziegenaus. St. Ottilien 1991, S. 29-68. 102.

Staat und Kirche in den neuen Bundesländern. Die Neuordnung des Staatskirchenrechts in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, in: Vorort Bavaria Bonn, 4. Rundschreiben- Juni 1991- des Cartellverbandes der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen, Präsidium des Studentenbundes, Tempelstraße 19, 53113 Bonn, S. 13-18.

103.

Ein Monument deutscher Staatsrechtslehre 111. Zum Erscheinen des Bandes IV des Handbuchs des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland von lsensee/Kirchhof, in: Die Öffentliche Verwaltung, 44. Jhg. (1991), s. 787-794.

104. * Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des lus Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Fides et lus (vgl. Nr. 12), S. 455-490. 105. * Die konkordatäre Entwicklung [in Bayern] von 1817 bis 1988, in: Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte. Bd. 3: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. In Verbindung mit Winfried Becker u. a. hrsg. von Walter Brandmüller. St. Ottilien 1991, s. 427-463. 106.

14. und 15. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland vom 8.-12. bzw. 15.-19. September 1991 im Erbacher Hof, Mainz, Bildungszentrum der Diözese Mainz, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 160 (1991), S. 613-634.

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

1133

107.

Keine Gewährleistung der Kirchenfreiheit nach der Schweizerischen Bundesverfassung, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 160 (1991), S. 89-101 ( Besprechung von Pius Hafner, Staat und Kirche im Kanton Luzern. Historische und rechtliche Grundlagen [= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 33], Freiburg/Schweiz 1991).

108.

Die Ordensgemeinschaften in der kirchlichen Rechtsordnung, in: Anton Schneider (Hrsg.), Christusnachfolge. Ordensgemeinschaften im Bistum Augsburg. Augsburg 1992, S. 11-18.

109. * Die Neufestlegung der Diözesanzirkumskription im wiedervereinten Deutschland, in: Louis Carlen (Hrsg.), Neue Bistumsgrenzen - neue Bistümer/Nouvelles circonscriptions des dioceses - nouveaux eveches (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, Bd. 37). Freiburg/Schweiz 1992, S. 13-35. 110.

La scienza del diritto ecclesiastico in Germania, in: Quaderni di diritto e politica ecclesiastica 1991-1992/2. Direttore Silvio Ferrari. Padova: Cedam- Casa editrice Dott. Antonio Milani 1992, p. 119-136.

111.

Der Wiederaufbau der staatskirchenrechtlichen Ordnung in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in: Die personale Struktur des gesellschaftlichen Lebens. Festschrift für Anton Rauscher. Hrsg. von Norbert Glatzel und Eugen Kleindienst. Berlin 1993, S. 413-436.

112.

Das kirchenrechtliche Werk des Münchener Kanonisten Klaus Mörsdorf, in: Forum Katholische Theologie, 9. Jhg. (1993), S. 214-220 (Besprechung von Arturo Cattaneo, Grundfragen des Kirchenrechts bei Klaus Mörsdorf. Synthese und Ansätze einer Wertung[= Kanonistische Studien und Texte, Bd. 40], Amsterdam 1991).

113.

Ein Monument deutscher Staatsrechtslehre IV. Zum Erscheinen der Bände V und VII des Handbuchs des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland von Isensee/Kirchhof, in: Die Öffentliche Verwaltung, 46. Jhg. (1993), s. 810-820.

114.

Administrator, in: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Aufl., hrsg. von Walter Kasper (u.a.). Bd. 1, Freiburg i.Br., Basel, Rom, Wien 1993, Sp. 159-161.

115.

Eglises et Etatdans la Republique Federale d'Allemagne de 1990 a 1993, in: Newsletter. Hrsg.: European Consortium for Church and State Research, Louvain. November 1993, p. 12-16.

116.

16. und 17. Studienwoche für die Angehörigen des höheren Verwaltungsdienstes in den Diözesen der Bundesrepublik Deutschland vom 5.-9. bzw. 12.-16. September 1993 im Haus Eich, Aachen, Jugendbildungshaus des Bistums Aachen, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Bd. 162 (1993), S. 584-607.

1134

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

117.

Das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte und Flüchtlinge als in seinem Wesensgehalt nicht einschränkbares Grundrecht, in: Pontificio Consiglio della Pastoraleper i Migranti e gli Itineranti (Hrsg.), Congresso della Pastoraledelle Migrazioni da e tra i Paesi dell'Est Europa: Atti "Le Nuove Frontieredelle Migrazioni dei Paesi dell'Est Europa" (Leanyfalu/ Budapest, 1-4 Febbraio 1993). Rom (Februar) 1994, p. 200-212. -In italienischer Sprache mit der Überschrift "ll diritto d'asilo per perseguitati politici e rifiugiati come diritto fondamentale il cui significato essenziale non puo essere limitato", ebd., p. 174-186. - In englischer Sprache mit der Überschrift "Conceming the essential non-limitation of the Basic Right to asylum for the politically Persecuted and for Refugees", ebd., p. 187-199.

118.

Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl. (vgl. Nr. 13), Bd. 1, 1994, S. 439-479.

119. * Die Ordensgemeinschaften und ihre Angehörigen in der staatlichen Rechtsordnung, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl. (vgl. Nr. 13), Bd. 1, 1994, S. 841-863. 120.

Änderung und Verschärfung der Asylgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1993, in: People on the Move. Migrants-Refugees-Seafarers-Nomads-Tourists-All Itinerants. Hrsg.: Conseil Pontifical pour la Pastorale des Migrants et des Personnes en deplacement/ Pontifical Council for the Pastoral Care of Migrants and Itinerant People, Vatican City. 23. Jhg., March 1994, Nr. 64, p. 37-58.

121.

Panstwo prawa-pluralizm-Kosci6l z perspektywy prawa wyznaniowego na przykladzie Republiki Federalnej Niemiec (=Rechtsstaat- Pluralismus- Kirche aus staatskirchenrechtlicher Sicht in der Bundesrepublik Deutschland), in: Panstwo prawa-Pluralizm-Kosci6l: Chrzescijanin wobec problem6w budowy demokracji w Polsee 1989-1993 (=RechtsstaatPluralismus- Kirche: Christliches Engagement und Aufbau der Demokratie in Polen 1989-1993). Hrsg. von Roman Radwanski. Bonn, Krak6w, Warszawa 1994 (Katholischer Akademischer Ausländer-Dienst [KAAD]: Auslandsakademie in Polen 1993. Treffen der ehemaligen polnischen KAAD-Stipendiaten/innen, Warschau 16.-18. Juli 1993), p. 27-44.

122.

Le Droit Public Ecclesiastique en Allemagne Federale dans les annees 1993 et 1994, in: European Journal for Church and State Research/Revue europeenne des relations eglises-etat. Leuven: Peeters 1994, Vol. 1, p. 9-17.

123.

Bayerisches Konkordat, in: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Aufl., hrsg. von Walter Kasper (u.a.). Bd. 2. Freiburg i.Br., Basel, Rom, Wien 1994, Sp. 102f.

124. * Der Wandel vom christenverfolgenden zum ketzerverfolgenden spätantiken römischen Staat. Kirche und Staat bei Bischof Optatus von Mileve, in: Iuri Canonico Promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

1135

65. Geburtstag. Hrsg. von Winfried Aymans und Karl-Theodor Geringer unter Mitwirkung von Peter Krämer und Ilona Riedel-Spangenberger. Regensburg 1994, S. 645-673. 125. * Konkordate aus der Sicht des Heiligen Stuhles, in: 60 Jahre Österreichisches Konkordat. Hrsg. von Hans Paarhammer, Franz Pototschnig, Alfred Rinnerthaler. München 1994, S. 13-33. 126.

Sistema de impuesto religioso en la Republica Federal de Alemania, in: Maria J. Roca (Ed.), La Financiaci6n de la Iglesia Cat6lica en Espafia. Santiago de Compostela: Fundaci6n Alfredo Brafias 1994, p. 133-152.

127. * Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklung von 1989 bis 1994, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Begründet von Joseph Krautscheidt und Reiner Marre. Hrsg. von Reiner Marre und Dieter Schümmelfeder. Bd. 29, Münster 1995, S. 160-191. 128.

Charisma und Institution. Die Geschichte der Entstehung der Personalprälatur Opus Dei, in: Forum Katholische Theologie, 11. Jhg. (1995), S. 137-141 (Rezension von Amadeo de Fuenmayor/Valentin G6mez-Iglesias/ Jose Luis Illanes, Die Prälatur Opus Dei. Zur Rechtsgeschichte eines Charismas. Darstellung, Dokumente, Statuten [El itinerario juridico del Opus Dei. Historia y defensa de un carisma. 4. Aufl., Ediciones Universidad de Navarra 1990]. Ins Deutsche übertragen von Rudolf Repgen [= Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Beiheft 11]. Essen: Ludgerus Verlag 1994. XIII, 685 S.).

m. Entscheidungsanmerkungen 129.

Anmerkung zum Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 27. 6. 1972 (Az.: 2 K 594171): Zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges zu staatlichen Gerichten im Falle des Entzugs der kirchlichen Lehrbevollmächtigung durch den Diözesanbischof, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 89. Jhg. (1974), s. 58f.

130.

Anmerkung zum Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. 8. 1974 (Az.: Nr. M 5114172): Zur Wirksamkeit des Kirchenaustritts nach dem bayerischen Kirchensteuergesetz bei einschränkenden Zusätzen zur Austrittserklärung, in: Bayerische Verwaltungsblätter, 106. Jhg. (1975), s. 89f.

131.

Anmerkung zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. 2. 1974 (Az.: I ZR 128172): Werknutzungsrechte von Ordensangehörigen bei Kunstwerken ("Hummelbilder"), in: Ordenskorrespondenz. Zeitschrift für Fragen des Ordenslebens. Organ der deutschen Ordensobem-Vereinigungen, 16. Jhg. (1975), S. 326-329.

1136

Wissenschaftliche Gesamtbibliographie des Verfassers

132.

Anmerkung zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Harnburg vom 20. 8. 1974 (Az.: OVG Bf. II 7174): Zur Unzulässigkeit "modifizierter" Kirchenaustrittserklärungen, in: Neue Juristische Wochenschrift, 28. Jhg. (1975), s. 1902-1904.

133.

Anmerkung zum Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. 7. 1975 (Az.: VII B 114.74): Zur Zulässigkeit der Befragung von Patienten städtischer Krankenhäuser nach ihrer Religionszugehörigkeit, in: Die Öffentliche Verwaltung, 29. Jhg. (1976), S. 274f.

134.

Anmerkung zu den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 8. 2. 1977 (Az.: 1 BvR 329/71 u. a.; 1 BvL 7/71): Unzulässigkeit einer Überlegungsfrist bei Kirchenaustritt - Zulässigkeit einer kurzzeitigen Nachbesteuerung bei Kirchenaustritt, in: Die Öffentliche Verwaltung, 30. Jhg. (1977), s. 445-447.

135.

Anmerkung zum Beschluß des I. Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. 3. 1976 (Az.: I WB 49/75) = DÖV 1977, 449: Zur Frage der Rechtmäßigkeit eines Befehls zum Singen von Marschliedern auf dem Marsch zum Standortgottesdienst in der Bundeswehr, in: Militärseelsorge. Zeitschrift des Katholischen Militärbischofsamtes, 20. Jhg. (1978), s. 138-140.

136. * Anmerkung zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 11. 4. 1980 (Az.: Vf. 17-VII-77): Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von sog. Konkordatslehrstühlen an staatlichen Hochschulen (hier abgedruckt mit der Überschrift "Konkordatslehrstühle"), in: Bayerische Verwaltungsblätter, 111. Jhg. (1980), S. 468f. 137.

Anmerkung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. 11. 1982 (Az.: 2 C 21.78): Zur Frage des Rechtsweges für die Klage eines evangelischen Geistlichen betreffend sein Pfarrerdienstverhältnis (Statusklage) einschließlich seiner vermögensrechtlichen Ansprüche gegen seine Landeskirche, in: Die Öffentliche Verwaltung, 37. Jhg. (1984), S. 587-589.

138.

Anmerkung zum Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. 7. 1992 (5 S 472/90): Keine Duldungspflicht einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft durch kirchlichen Vermieter, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 40. Jhg. (1993), S. 326 f.

Personenregister Adam,A. 271 Adamovich, L. 38 Adenauer, K. 1106, 1109, 1121 Aegidius Romanus 946, 957 Aland, K. 1074-1076, 1081 Alberigo, G. 993, 1033 Albertus Magnus 946 Albornoz,A.F.C.de38 Albrecht, A. 384, 470 Albrecht,D.510,513,517 Albrecht,J(. 335,706 Altaner, B. 8, 1078 Altenstein, K. Frhr. zum Stein v. 254, 261 Ambrosius, Bischof von Mailand 1087f., 1098 Anasthasius, röm. J(aiser 1088 Angermann, E. 336 Anschütz, G. 8f., 11, 14-16, 18f., 25, 28-30, 32, 34, 59, 156, 176, 219, 231[,270,274,282,285 Arens, A. 827 Aristoteles 960, 1001 Arius 1077 Arnold, F. X. 966 Assel, A. 686 Astorri, R. 821 Athanasius 1088 Aubert, R. 977 Augustinus, A., hl. 356f., 1085, 1087, 1078,1089,1092[,1096[,1098 Aurelius von J(arthago, kath. Bischof 1098 Averkamp, L., Erzbischof 860 Aymans, W 599, 653, 667, 676, 815, 956, 993, 999, 1018, 1021, 1037, 1066 Bachern, J. 275 Bachern, K. 16f., 22, 24, 27f., 239, 241, 243, 246, 256f., 260f., 264-269, 275f., 279 f., 284 72 Sbd. Listl

Bachof, 0. 701 Bäcker, U. 747 Badura, P. 380f. Bafile, C., Apost. Nuntius 480 Baldus, M. 65, 89, 317, 349, 354, 505, 711 Balthasar, H. U. v. 685 Baralina, G. 956 Bardenhewer, 0. 1087, 1089 Barion, H. 4, 992, 994f., 1003, 1035f., 1038 Bärmann, J. 177 Bartsch, H. 851, 854-856 Bastgen, B. 562, 892 Bauch, A. 563 Baudler, G. 684f. Baudri, J. A., Weihbischof F. 25 Bauer, B. 21 Bauer, Cl. 240 Bauer, E. 21 Bäumlin, R. 26, 272 Baur, A. 691 Baus, K. 975, 1075-1077, 1080-1082, 1084,1088,1093,1096[ Bayer, H. W. 5, 55 Becker, C. H. 895 Becker, H.-J. 290 Beckmann,J.271,461,608 Beitzke, G. 183 Bellarmin, R., J(ardinal 957, 966 Benedikt XV., Papst 288, 303, 532, 570,1035 Bengsch, A., J(ardinal875f. Berg, W 193 Bergner, Chr. 3 7 5 Bergsträßer, L. 23, 33, 268 Berkhof, H. 1088 Bernheim, E. 536 Bertermann, U. 52 Bertram, A., J(ardinal574, 895, 1105 Bertrams, M. 111

1138

Personenregister

Bertrams, W. 820, 825 Beseler, H. 348 Bethge, H. 353 Bethmann-Hollweg, Th. v. 303 Beyreuther, E. 243 Biedenkopf, K. 375 Biehle, A. 358f. Bismarck, 0. v. 26, 276, 278, 567 Bitter, G. 691 Blum, R. 21 Blumenwitz, D. 365, 521, 862 Böckenförde, E.-W. 4, 57, 73-75, 81, 98, 143, 198, 202f., 207f., 246, 432, 435i, 786, 797, 976, 979, 1014i, 1057 Bäcker, W. 938 Bockwoldt, G. 683, 685 Boese, Th. 382 Bonaventura 946 Bonifatius, W., hl. 865 Bonifaz VIII., Papst 1069 Boonen, P. 850 Börner, H. 509 Bornewasser, Fr., Bischof von Tri.er 1105,1107 Borras, A. 1012, 1022 Bosch, F. W. 179, 349, 1011 Bräm, W. K. 682 Brandmüller, W. 567 Braun, 0. 895 Bredt, J. V. 285 Broermann, J. 392, 622 Broszat, M. 291 Brüning, H. 1101, 1114 Brunner, G. 520, 861 Brunner, H. 956 Brunotte, H. 451 Buchberger, M., Bischof 572 Buchheim, K. 267 Buonomo, V. 538 Busley, H.-J. 553 Cäcilian von Kathago, Bischof 1075f. Calixtus II., Papst 536 Calvo, J. 1029 Campenhausen, A. Frhr. v. 55, 76, 112, 170, 237, 321, 331, 333, 339, 347, 350, 352f., 360f., 381, 384, 387f.,

450, 470, 502, 512, 577, 583, 590, 622, 650, 665f., 704, 707, 720, 726, 729, 735, 737, 757, 789, 791f., 794, 796-798,803-805,808,811,867 Campenhausen, H. v. 1099 Campenhausen, 0. Frhr. v. 370 Carlen, L. 494, 681, 863 Carrillo de Albornoz, A. F. 973 Casaroli, A. 875-877 Castillo Lara, R., Erzbischof 1062 Cathrein, V. 297, 957 Cavagnis, F. 977f. Cavelti, U. J. 666 Chevailler, L. 815 Christ, L., Oberbürgermeister von Trier 1118 Ciriaci, P., Kardinal1062 Conrad,fL9,239,249,251 Consalvi, E. 547, 549f., 551, 553, 558f. Constabel, A. 276 Corecco, E., Bischof 820, 1018-1022, 1030 Crailsheim, Frhr. v. 569 Cyprian, Bischof von Karthago 1078 Dahl-Keller, U. M. 537 Dalberg, C. T.v. 546f. Dallinger, P. 57 Damizia, I. 536, 974, 990, 1016 Damkowski, W. 748 Daur, M. 922 Dehn, G. 307 Deinlein, M. v., Erzbischof 566 Del Mestri, G., Apost. Nuntius 877 Delius, H. 231 Demeter, I. A. v., Erzbischof 265 Denzinger, H. 956, 1017 Depenbrock, J. 367f. Depenheuer, 0. 347, 707 Deuerlein, E. 290 Dibelius, 0. 50, 52, 419 Diepenbrock, M. Frhr. v., Fürstbischof 23 Diepgen, E. 374 Dietel, A. 697, 701 Dikow, J. 349 Doeberl, A. 546 Doering, V. 164

Personenregister Dölle, H. 180, 185f. Döllinger, I. 23, 563 Dombois, H. 452-455 Dommann, F. 841 Donatus von Bagai (Numidien), donatist. Bischof 1082 Donatus von Karthago, donatist. Bischof1075,1081-1083,1089,1095 Donau, H. 189 Döpfner, J., Kardinal875 Dörig, H. 193 Dove, R. 772 Dreier, R. 598 Droste zu Vischering, C. A. v., Erzbischof 21, 251, 260 Droste zu Vischering, F. 0. v. 21, 251f. Dummler, K. 730 Dunin, M. v., Erzbischof 260 Dürig, G. 352 Duschl, J. 685 Dütz, W. 349, 622, 727 Ebers, G. J. 7, 30, 33, 61, 107, 156,230, 282,284, 286t,577,791,798,934 Ebert, F., Reichspräsident 306 Eggersdorfer, F. X. 572 Egler, A. 990, 1030 Ehlers, S . D. 803, 808 Eichel, H. 374 Eichhorn K. F. 77 3 Eichmann, E. 572 Eisenhofer, H. 481 Ellyl, J. 451 Emig, K. 775 Engelhardt, H. 55, 349, 735 , 765 Engler, H . 178, 185 Erhardt, H.-J. 347,707 Erichsen, H.-U. 701 Erler, A. 253, 272, 465, 934 Ermacora, F. 38 Ermecke, G. 212 Erzberger, M. 27, 279, 1118 Eusebius von Cäsarea 8, 974, 1075 Ewig, E. 975 Exeler, A. 680, 682, 690f., 851 Faber, A. 924, 930 Fahrnberger, G. 1013, 1055 72•

1139

Falk, A. 278, 297 Faller, H. J. 354 Farina, R. 8f., 975 Faulhaber, M. v., Kardinal 571-574, 576, 892f., 1105 Fechter, Fr. 1018 Federer, J. 499 Feifel, E. 682 Feil, E. 224 Feine, H . E. 5, 54f., 237, 274, 277, 494t,533,536,552,555,570,1015 Felici, P., Kardinal1062 Feliciani, G. 820 Ferrari, S . 1021 Ferrata, D. 577 Feuchte, P. 57, 345, 511 Fischer, E. 34, 55, 71, 73, 76, 162, 402f., 407' 508 Fischer, E. H . 903 Fischer, 0. 875 Fischer, P. 461 Flatten, H. 446, 1013, 1050, 1055 Fonk, F. H. 256, 258f. Fontaine,N. 329, 331, 724,726 Forster, K. 335 Forsthoff, E. 338, 447 Frank, K. S. 919 Frank, P. A. Reichsfrhr. v. 546 Franz 1., Kaiser von Österreich 243 Franz Joseph, Kaiser von Österreich 525f. Franz-Willing, G. 549, 571f., 575f. Franzelin, I. B. 956 Friedberg, E. 16f., 20f., 245, 253, 261, 270-272, 274, 276-278, 280, 297, 465f., 790 Friedrich 11., König von Preußen 13, 245f. Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 255, 257, 260, 271 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 260f., 272 Friedrich Wilhelm von Brandenburg 240 Friedrich, 0. 768 Friesenhahn, E. 313, 320f., 323, 335, 347, 350, 393, 464, 499, 507, 680, 706,714,716,786,926t

1140

Personenregister

Fuchs, G. 681 Fulgentius von Ruspe 1087 Füllkrug, A. 410 Funcke, L. 728 Fürstenau, H. 9, 13, 156 Galen, B. v. 966, 995, 1042 Galerius, röm. Kaiser 1074 Gampl, I. 82, 336 Ganzer, K. 1023 Gatz, E. 563, 836 Gaudemet, J. 1007, 1027 Geiger, A. 769, 770, 773 Geiger, K. A. 54 7 Geiger, W. 499, 679, 689, 969, 994 Geissel, J. v., Erzbischof 23, 260 Gelasius I., Papst 1088 Genga, A. della, Apost. Nuntius 546 Geringer, K.-Th. 1050 Gernhube~J. 178,180,184 Giese, F. 290, 424, 499, 603, 925f. Giloy,J. 332,728,735,751,753,761,765 Gintzel, K. 697, 701 Glaser, H. 550 Göbell, W. 272 Gollwitzer, H. 563 Görres, J. v. 260 Gotto, K. 495 Grabmann,~.946,956,966

Gradauer, P. 668 Grais, H. de 272 Grasmück, E. L. 1076, 1079-10811085,1087,1093,1096 Grasser, W. 566 Gratian, röm. Kaiser 8, 1096 Gratus von Karthago, Bischof 1083 Gregor IX., Papst 1069 Gregor XVI., Papst 976 Gregor von Nazianz 1098 Gresser, F. v. 566 Grillmeier, A. 956 Grimm, D. 987 Grisar, J. 255 Gröber, K., Erzbischof 604f. Groner, J.-F. 291, 497, 523, 533, 966, 997,1057 Grönesteyn, 0. Frhr. v. Ritter zu 572, 574f.

Groppe, H. 290 Grotius, H. 249 Grundmann, S. 57,474 Gundlach, G. 957, 965-967 Häberle, P. 377, 393, 1026 Habscheid, W. J. 177 Hacker, R. 558, 563 Haeffelin, K. Frhr. v., Kardinal 549553,558 Halkenhäuser, J. 922 Hamel, W. 11, 15, 40, 50, 56f., 63, 75 Hamer, J. 973 Hammer, F. 370 Hammer, W. 316, 710 Rampe, J. Ch. 987 Hardenberg, C. A. v., Fürst 255 Härdle, G. 162 Harnack,A.303,1085-1087,1090 Harouel, J.-L. 1007, 1046 Hartelt, K. 369, 873, 882, 1006, 1043 Hartmann, E. v. 277 Hartmann, G. 888, 913 Hartung, F. 276 Rassan II., König von ~arokko 538540 Hausberger, K. 544, 546-549, 554, 556-558,561,567,569 Heckel, J. 6, 20, 250, 410, 483f., 775, 792, 976, 1016f. Heckel, ~- 5, 7, 26, 30, 38, 44, 47, 51, 58, 156, 237' 337f., 344f., 348, 369f., 404, 417, 424, 440, 512, 519, 710, 720,973,977,1098 Regel, E. 255, 259 Heidland, H.-W. 609 Heimbucher, ~- 919 Heimerl, H. 927,940 Heinemann, H. 831, 1050 Heinisch, ~- 183. Heinrich II., dt. Kaiser 865 Heinrich V., deutscher Kaiser 536 Heinrich von Cremona 946 Heintze, G. 609 Heinze, G. B. 449 Heitmann, S. 358 Helfritz, H. 40 Henkel, J. 801

Personenregister Henseler, R. 920 Hergenröther, J. 966 Hering, C. J. 65, 354 Hermans, B. 336 Hermes, G. 259 Herrmann, H. 601-603, 605, 608 Hertling, G. Frhr. v. 569, 957 Herzog, R. 170, 201, 352 Hesse, K. 32, 48, 54f., 65, 83, 188, 281, 285, 291-293, 406, 485, 489, 607, 697, 791 f., 798 Heuss, Th. 33 Heydte, F. A. Frhr. v. d. 290, 424, 499, 603 Hierold, A. E. 335, 347, 659, 706 Hillig, N. 505 Hindenburg, P. v. 480, 1116 Hinschius, P. 278, 465f., 769f., 772 Hippel, E. v. 336 Hirscher, J. B. 24 Hirschmann, J. 212 Hitler, A. 307,604, 1114, 1116 Hobbes, Th. 960f. Hobe-Gelting, S. v. 933 Hockerts, H. G. 495 Hoffmann, J. 572 Höffner 914 Höffner, J., Kardinal 679, 876, 905, 907,967 Höfler, C. 551 Hofmann, J. 757 Hofmeister, Ph. 508 Hohenlohe-Schillingsfürst, Ch., Fürst zu 566 Holböck, F. 956 Höllen, M. 858 Holler, L. v. 549 Hollerbach, A. 35, 37, 42-44, 49f., 52, 62, 73, 115, 139, 166f., 220, 230, 233, 289, 312, 318, 325, 332, 338, 341, 343f., 353f., 361, 365, 384f. 389, 391, 404, 409, 413, 435, 470, 472f., 474, 476, 478, 482, 484, 486, 494, 500, 508, 512, 518, 520, 543, 577' 603, 648, 680, 704, 711, 718, 720, 728, 735, 782, 805, 857, 861, 864, 872, 911 f., 914, 983, 999, 1012, 1034,1041,1051

1141

Holzamer, K. 335, 347f. Homeyer, J. 838 Honorius (395-423), röm. Kaiser 1093, 1097 Hopfauf, A. 910 Höpker-Aschoff, H. 33 Hoppe, P. 837 Horst, F. van der 970 Hove, A. van 1069 Hubensteiner, B. 567, 569 Huber, E. R. 13-15, 18, 23f., 242-244, 255f., 239, 262f., 266, 268f., 272, 295, 297, 300, 308, 341, 483, 494, 544-546,553,557,786,843 Huber, W. 156, 295, 297, 299f., 308, 341, 483, 494, 544-546, 553, 557, 780-787,843,984 Hüberle 395 Hübler, B. 1069 Hugenschmidt, A. 21 Huizing, P. 1023 Hummel, B. 934 Hus, J. 946 Hussarek, M. 544 lsensee,J. 133,333,341,348,353,514, 728,734,965,967 Iserloh, E. 836 Jacobini, L., Kardinalstaatssekretär 279 Jacobs, E. 768 Jagusch, H. 698 Jakob I. von England 5 Jakob von Viterbo 946 Jatho, C. 304 Jayme, E. 177f. Jedin,H. 25,274,543,768,975,1075 Jefferson, Th. 5 Jestaedt, R. 521, 862 Johannes de Turrecremata (Juan de Torquemada)946,956 Johannes Paul II., Papst 368, 529f., 538,540,691,836,859,863,869,872, 877t,959,1002,1061-1063,1066 Johannes Quidort von Paris 946 Johannes XIII., Papst 845, 868, 958, 968, 981, 988, 1061 f.,

1142

Personenregister

Jone, H. 668 Jordan, S. 20 Juan de Torquemada s. Johannes de Turrecremata Julianus Apostata, röm. Kaiser (361363),1079,1084[,1091 Jung, H.-G. 410 Jungmann, J. A. 694 Jurina,~ 104,317,328,622,710,724 Justina, Mutter von Valentinian II. 1088 Justinian I. (527-565), röm. Kaiser 1088 Kaas,L.284,605, 1100-1122 Kahl, W 12-14, 19f., 27f., 243f., 280, 772,934 Kaiser, J. H. 508, 903 Kaiser, M. 652f., 1050 Kalinna, H. 460 Karl der Große 865, 975 Karrenberg, F. 461 Kasper, H. 375 Kasper, W 990, 1020 f. Kästner, K.-H. 65, 71, 76 Kaufmann, H.-B. 684 Kehl, M. 956 Ketteler, W E. v. 25 Kettenburg, Frhr. v. d. 243 Kewenig, W 335, 521, 862 Kiefl, F. X. 572 Kirchhof, P. 341, 353, 354, 734 Kirchner, H. 857 Klecatsky, H. R. 526, 680f., 823 Klein, E. 266 Klein, F. 8, 37, 39f., 176, 205, 230f., 352,735 Kleinhappl, J. 967 Klose, A. 462 Klostermann, F. 956 Köck, H. F. 461, 543, 1005, 1043 Koep, L. 1073 König, F., Kardinal836 König, W 735, 751, 753, 761, 765 Königsmann, J. 983, 1023 Konstans, röm. Kaiser (337-350), 1081, 1083, 1089

Konstantin der Große 8, 1074, 10761080, 1082, 1089 Konstantius, röm. Kaiser (350-361) 975, 1084 Köppler, H. 36 Körner, H.-M. 569 Korum, M. F., Bischof 1103f. Kostelecky, A. 842 Kösters, L. 956 Köttgen, A. 537 Krämer, A. 414 Krämer, P. 650, 659, 667, 671 Kränzlein, A. 178 Krausen, E. 549 Krautscheidt, J. 352, 355 Kriele, M. 902, 910, 915 Kronenberg, F. 36 Krüger, G. 1082 Kuenzer, D. K. 268 Kuhn, H. 967 Kühne, J.-D. 160f. Küng, H. 327, 345, 444f., 511f., 615620,721 Kunst, H. 394f., 459f. Kupisch, K. 275 Kupper, A. 480, 494, 523, 573f. Kuropka, J. 175 Kusche, Chr. 749 Ladenberg, A. v. 25 Lajolo, G. 472, 532 Lampe, W. 768 Landau, P. 910 Läpple, A. 686f., 690, 693 LeGal, P. 1018 Lecheler, H. 164 Lecler, J. 156, 1098 Lefebvre, Ch. 815 Lehmann, K., Bischof 509, 691, 880, 903 Lehmann, M. 246 Leicht, R. 612f. Leisching, P. 820 Leisner, W 70, 335, 706 Lempp, R. 21f. Lenherr, T. 655-657, 659f., 665 Lentz,H. 65,89,317,354, 711 Leo XII., Papst 546

Personenregister Leo XIII., Papst 279, 529, 534, 568f., 577' 958 f., 976, 988, 995 f., 1001, 1041 Leonrod, F. L. Frhr. v., Bischof 563 Lerchenfeld 550 Lessius, L. 957 Leuenberger, R. 682 Leutheusser-Schnarrenberger, S. 358 Licinius, röm. Kaiser 1074 Liermann, H. 13, 15, 54, 239, 262, 287289,292,465 Lilienfeld, F. v. 919 Lilienthal, A. 285 Lill, R. 255, 543, 836 Linde, J. T. B. 243 Link, Ch. 47, 98, 115, 131, 323, 325, 343f., 381, 680, 718, 734, 716, 735, 805 Link, L. 506 Listl, J. 20, 65, 68, 71, 76, 81f., 86, 106-109, 112f., 115, 124, 130, 139, 142, 149, 156, 164, 167' 193, 205, 209, 221, 224f., 232, 313, 317f., 321, 325, 337' 339, 342- 346, 349-352, 354, 363-365, 369, 371, 382, 385, 393, 395, 403, 413, 423, 434, 469, 482, 486f., 494, 499-502, 504-506, 511[, 515[, 518, 520, 523, 526-528, 531f., 534, 537, 544, 578, 622, 627629, 649, 662-665, 680, 693, 695, 704[, 707, 709, 711, 713-715, 717[, 723, 726, 728f., 731, 733, 740-742, 744-746, 751, 757, 790, 796, 798f., 800-802, 807' 809 f., 819, 821, 838 f., 857, 864, 871, 881, 920, 922, 932, 934, 956, 967' 974, 990, 992 f., 995, 999 f., 1001-1004, 1006, 1008, 1012, 1016, 1021, 1023-1029, 1033, 1044, 1051,1056,1069 Löhr, J. 11, 19, 156, 247 Lohse,B. 1076,1078,1082,1090,1097 Lombardia, P. 983, 1023 Lorenz, D. 73, 349 Loschelder, W 930 Ludendorff,E. 1109 Lüdicke, K. 656, 660f., 663f., 665, 670, 1050 Ludwig der Fromme 865

1143

Ludwig I., König von Bayern 264, 562f. Ludwig li., König von Bayern 566, 568f. Luitpold, Prinzregent 569 Luther, M. 1038 Lutz, J. Frhr. v. 566, 567-569 Macarius, röm. Beamter 1081-1084 Madison, J. 5 Magistretti, F. 993, 1033 Mahrenholz, E. G. 143, 198, 202f., 207f., 797 Mai, P. 858 Maier, H. 26, 54, 60, 224, 281f., 679, 690,960,967,987 Maier, 0. 270 Mangoldt, H. v. 8, 37, 40, 176, 220, 230f., 352, 378f., 381, 735 Mantl, W 462 Manzanares Marijuan, J. 825, 831 Marculus, donatist. Bischof 1083 Maritz, H. 815, 887, 1018 Marmy, E. 524, 966, 1001 Marnell, W A. 440 Marre, H. 30, 50, 55, 237, 332, 344, 346, 352, 355, 507, 622, 648, 706, 714,728,733,735 Martens, W. 701 Martin, A. 221 Martin, J. 1085 Marx, S. 514 Marx, W., Reichskanzler 576, 1105 Maser, H. 475, 483, 582f., 589 Matt, F. 893 Maunz, Th. 8, 70, 206, 225, 228, 230f., 333, 352, 438, 450, 518, 729, 757, 603,699,973 Maurer, H. 608, 789, 791 f., 794, 805f., 811 Mausbach,~212,281,957

Maxentius, röm. Kaiser 1074 Maximilian I. Joseph, König von Bayern 270, 483, 544, 558, 560, 571,843, 866 Maximilian li. Joseph, König von Bayern, 563

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Personenregister

Maximilian Joseph IV., Kurfürst von Bayern 550 Maximinus Daja, röm. Kaiser 1074 May, G. 344, 512, 535, 543, 570f., 573f., 576, 599, 720, 791, 806, 820, 836, 870, 895, 901 f., 909 f., 990, 1022, 1030, 1044, 1069, 1013, 11001122 Mayer, E. 568 Mayer, H. S. 925f. Mayer, 0. 17, 26, 273, 280 Mayer-Maly, Th. 630 Meder, Th. 164 Meier, D. M. 933-935, 938, 941 Meisner, J. 880, 903, 905, 916 f. Melanchthon, Ph. 6, 975 Melichar, E. 39 Menn, W. 54 Mercati, A. 604 Merks, K.-W. 1015 Merzbacher, Fr. 934 Messner, J. 198, 213 Metternich 263, 547f. Metz, R. 340, 916, 1006 Meyer, Chr. 348, 739, 750, 758 Meyer, Th. 957 Mikat, P. 50, 220, 230, 240, 286f., 289, 351, 400, 416, 472, 503, 543, 733, 790, 927' 960, 967' 977' 981, 984, 999, 1003, 1005, 1008, 1015, 1026, 1035, 1041, 1043, 1047, 1050, 1054, 1088 Miller, G. 682, 691 Miltiades, Papst (311-314), 1075 Minnerath, R. 472, 1027 f. Mirbt, C. 9f. Mirbt, H. 156 Möck,Ch.320,338,713 Mohl, R. v. 336 Molina, L. de 957, 967 Montgelas, M., Graf von 245, 546, 549f. Mörsdorf, K. 255, 472, 518, 520, 532534, 598, 603, 606, 650, 663, 667f., 677, 768, 861, 897-899, 908, 910 f., 956, 1016, 1019, 1030, 1035, 1041, 1043-1046,1053,1064,1066,1069 Morsey, R. 494, 1118

Mosiek, U. 1050 Mosler, H. 290 Muckel, S. 921 Müller, A. 557 Müller, Fr. 233, 343, 323, 437, 717, 797 Müller, Hans 424, 603 Müller, Hubert 815, 911 f., 920, 956, 1006,1043,1069 Müller, J. G. 23 Müller, M. 685, 689 Münch, Ch. 344 Münch, I. v. 230 Murray, J. C. 977 Müsebeck, E. 254 Mussinghoff, H. 325, 720, 870, 895 Napoleon, B. 537,546 Nauwerck, K. 21 Navarrete, U. 820 Nell-Breuning, 0. v. 46, 957, 964, 967 Nestle, W. 1073 Neurath, K. Frhr. v. 480 Nicolau, M. 956 Niebuhr, B. G. 255 Niermann, E. 345 Nipkow, K. E. 684 Obermayer, K. 37, 248, 352, 437f., 508, 797 Ochoa,}(.816,826,995,1013, 1069 Onorio, J.-B. d' 1007 Optatus von Mileve (Numidien), Bischof 527, 645-673, 1033 f. Orsenigo, C., Apost. Nuntius 510 Osterheld, H. 874-877 Ott, S. 216, 229f. Ottaviani, A. 536f., 543, 974, 990, 992, 1016 Otto 1., der Große, dt. Kaiser 845, 865, 868 Otto, G. 684 Paarhammer, H. 522, 1013, 1055 Pacaut, M. 815 Pacelli, E., Apost. Nuntius, Kardinalstaatssekretär 306, 495, 523, 571f., 574-576, 590, 604, 850, 891-893,

Personenregister 895, 1102, 1104, 1107, 1111, 1117, 1121 Pahlke,A. 115,325,344,349,680,718 Palandt/Diederichsen 179, 182, 185 Palandt/Heinrichs 182 Papenfuß, R. 749 Parmenian von Karthago, donatist. Bischof 1084 Paul VI., Papst 368, 478-480, 492, 600, 821, 823, 837, 858, 863, 874, 876f., 953, 958, 958, 1008, 1013, 1023, 1062 f. Paulick, H. 735 Paulus, röm. Beamter 1081-1084 Perl, C. J. 357 Pesendorfer, M. 815 Peters,H. 8, 10,397,518,603,964 Peters, K. 149 Peukert, H. 224 Pfeiffer, G. 12, 264, 776 Pfeufer 567 Pfizer, P. 2 0 Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg 240 Philips, G. 956 Pieroth,B.323,343,437,717,797 Pirson, D. 45f., 65, 89, 317, 346, 349f., 474,711,812,889,1026 Pius VII., Papst 255, 483, 537, 544, 547,552[,571,843 Pius VIII., Papst 258 Pius IX., Papst 299, 525f., 529, 566, 976 Pius X., Papst 299, 302f., 534, 1035 Pius XI., Papst 306, 480, 522f., 524f. 529, 544, 570, 575f., 816, 891, 895, 958 f. 986, 1116 Pius XII., Papst 290f., 306, 497, 522f., 529,533,537[, 570[,865, 946,956, 958 f., 980, 988, 993, 995-997' 1037' 1057, 1102, 1117 Planck, G. J. 242 Plassmann, E. 21 Plöger, W. 691 Pototschnig, F. 522, 676 Pottmeyer, H. J. 335 Potz,R. 1012,1033,1051,1066 Prader, J. 658, 1050

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Pree,H. 656,659,927,938,940 Prenter, R. 41 Primetshofer, B. 655, 657, 919 f., 924, 927, 933-935, 937 f., 940, 1050 Prüßner, G. 126 Pufendorf, S. 249 Puza,R. 1012,1047,1051 Quaas, M. 17 4 Quarch, M. 146 Quaritsch, H. 8, 248, 319, 337, 402, 713 Raab, H. 15, 24, 26, 239, 241f., 246, 263l, 266, 268l, 277, 283, 289, 291f. Rabe, C. L. H. 11f., 241 Rahner, H. 790, 1088 Rahner, K. 221, 223, 506, 856, 954, 956,966,1003,1040 Rath, P. 728 Ratzinger, J., Kardinal 41, 692, 956, 1077 f., 1094 f., 1085 f. Rau, J., Ministerpräsident 375, 916 Raumer, 0. v. 275 Rauscher, A. 65, 413, 418 Rechberg, A. Graf v. 550, 552, 553, 558f. Rees, W. 343, 382, 513, 648, 716, 990, 1009 f. Reimer, I. 922 Reinelt, J. F., Bischof 861, 913 Reinhardt, J. F. 670 Reis, H. 472, 474 Remond, R. 55 Renck,L. 118,162,169,171,362-364, 382 Repgen,K.495,518,543,602 Reppel, K. 504 Restitutus von Karthago, Bischof 1083 Rettig, H. C. M. 21, 267 Richardi, R. 133, 328f., 331, 654, 724, 726f., 795 Richter, Aem. L. 21f., 266, 273f., 772 Ridder, H. K. 44 Rinken, A. 347 Rinnerthaler, A. 522

1146

Personenregister

Rohrbasser, A. 524 Rammen, H. 957, 966 Roth, J. R. v. 246 Rotteck, K. v. 20 Rouco Varela A., Erzbischof 1019 Rousseau, J. J. 961 Ruf, N. 658, 1066 Rüfner, W. 41, 78, 335, 354, 365-368, 381, 607, 665, 794-797, 806, 808, 811,934 f. Ruh, U. 690 Ruppel, E. 427 Rüthers, B. 133, 329, 331, 622, 624, 626l,654,724,726l Saaßen, K., Regierungspräsident von Trier 1118 Sägmüller, J. B. 1069 Saier, 0., Erzbischof 880, 956 Salaverri, I. 956 Sartorius, C. 770 Sartory, Th. 956 Savatier, J. 329, 331, 724, 726 Schafer, J. 524 Scharnbeck, H. 622 Scharnagl, A. 572, 892 Scharping, R. 375 Schauff, K. 1102 Schenck, D. v. 501 Schenke,R.803,805 Scheuennann,A.571 Scheuner, U. 7, 26, 30, 32, 43-45, 49, 53, 55, 57, 63, 69, 75-78, 82, 98, 100f., 115, 157, 166, 171, 174, 197, 230, 249, 253, 256, 266, 274, 279, 285, 287, 311, 316, 320f., 325, 333, 341f., 344-346, 350, 392-466, 350, 471-476, 478, 482, 487f, 498-500, 503, 511, 512, 527, 534, 540f., 577, 607f., 680, 704, 706, 709, 714, 718, 721, 729, 757, 790, 792 f., 797, 927, 973,1008,1026,1041,1056 Schieffer, R. 1006, 1045 Schindler, A. 1077, 1082 Schladoth, P. 685 Schlaich, K. 187, 336f., 339, 393, 462, 633,705,1026 Schleiennacher, F. E. D. 21, 25, 252

Schleithoff, Chr. 923 Schlenzka, H. J. 735 Schlick,~348,352,423,715

Schlief, K. E. 33, 39-42, 47, 50, 230, 316, 372, 505, 710, 836, 842, 864, 920 Schlink, B. 382 Schlotheim, H. H. Frhr. v. 410 Schmidt, K. 184 Schmidt, K. D. 292 Schmitt, C. 29, 1114 Schmitz, H. 369, 819 f., 827, 864, 879, 881 f., 887, 890 f., 956, 1008, 1013, 1018,1023,1032,1047,1066,1069 Schmoeckel, R. 680 Schnabel, F. 265 Schnackenburg,R.41,951,956 Schnatz, H. 966, 1001 Schneider, Fr. 969 Schneider, Ph. 866, 1069 Schnizer, H. 1005, 1042 Schnorr, G. 217f. Schoen, P. 32, 285, 769 f., 773 Scholler, H. J. 30, 40 Scholtissek, H. 333, 450, 729, 757 Scholz, R. 364 Schönmetzer, A. 956, 1017 Schöppe, L. 136, 472, 532, 538f., 570, 604,644,725 Schreiber, G. 694 Schrempf, Ch. 304 Schröder, G. 375 Schrörs, H. 255, 258-260 Schulte, J., Erzbischof von Köln 1105 Schultz, G. 57 Schulz, W 599, 1012, 1051 Schumacher, W 938 Schumann, F. K. 452 Schümmelfeder, D. 355 Schuster, J. B. 967 Schwaiger, G. 264, 550, 559, 561f. Schwalke, J. 837 Schwarz, A. 571 Schwarz, H.-P. 392f., 455 Schwarz, R. 1023 Schwendenwein, H. 680f., 827 Schwoerer, J. 189 Sebott, R. 658, 1024, 1050

Personenregister Seeber, D. A. 849f. Seiler, R. 335, 345, 706, 783 Seite, B. 375, 388 Semmelroth, 0. 956 Serra-Cassano, F. di, Apost. Nuntius 558,561 Sicherer, H. v. 550, 552, 559 Siegfried, N. 297 Siepen, K. 925-928 Sieß, F. X. 1046 Sieverding, K. 851, 854-856 Simon, H. 969 Simonis, H. 375 Sinzendorf, P.L. Reichsgraf von 246 Smend, R. 252, 281, 291, 293, 321, 338, 393,397,419,537,775 Sobanski, R. 1018 Socha, H. 920 Sodano, A., Kardinalstaatsekretär 880 Sohm, R. 995, 1038 f. Solte, E.-L. 316, 325, 345 382, 710, 720, 889, 915 f., 1007 f. Sperling, E. 809 Spiegel, F. A., Graf, Erzbischof 258f. Spindler, M. 550 Spinelli, L. 1028-1030 Stachel, G. 682 Stallmann, M. 683 Starck,Ch~352,502,736

Stasiewski, B. 510 Staudinger/Donau 182 Steck, K. G. 256, 259f. Stein, A. 36, 150 Stein, E. 3, 34, 36, 45, 49, 51, 55f., 78 Stein, H. F. K., Reichsfrhr. vom 260 Steiner, U. 414, 792, 804 f., 808 Stephan (254-257), Papst 1078 Stern, R. L. 1005 Sterner, F. 764 Sterzinsky, G., Kardinal878 Steudel, F. 304 Stock, H. 684 Stoecker, A. 303 Stoffel, 0. 676 Stoiber, E. 374 Stolpe, M. 374 Stölzel, U. 772, 774

1147

Störle, J. 336, 704, 796 Storz, H. 23, 267 Straub, J. 1097 Strickert, H.-G. 776 Strigl, R. A. 598, 669, 826, 1012 f., 1053-1055 Strodl, M. v. 264 Stuiber, A. 8, 1034, 1078, 1085-1087 Stüting,~344,352,622, 707,714 Stutz, U. 7, 285, 406, 465, 577, 899, 1035, 1057, 1065 f., 1103, 11051107, 1110 Suarez,Fr.957,966 Taparelli d'Azeglio, L. 957 Teufel, E. 374 Theodorowitsch, N. 221 Theodosius I., der Große, röm. Kaiser (379-395)8, 1088,1092 Thoma, R. 29 Thomas v. Aquin 946,957, 1001 Thürheim, Graf 550 Tiedemann, H. 253 Tiedemann, P. 118 Tiling, P. v. 347 Till, K. 292 Timpe, N. 1036 Tischleder, P. 957, 966 Torre, G. dalla 495, 1028 f. Träger, E. 354 Traub, G. 304 Troni, T. 546 Ueding, L. 1079, 1092, 1094 Uhac, J., Apost. Nuntius 915, 917 Ulbricht, W. 35f., 53 Utz, A.-F. 291, 497, 523, 533, 966, 995, 997,1042,1057 Utz, M. 927 Valens, Kaiser 975 Valentinian II. (383-392), röm. Kaiser 8,1088 Valjavec, F. 12 Veigel, C. S. 720 Veit, F., Kirchenpräsident 581 Verdross, A. 461 Verosta, St. 461

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Personenregister

Virchow, R. 274 Visser't Hooft, W. A. 224, 973 Vogel, B. 375 Voigt,](. 8,1074,1089 Volk, L. 175, 494, 510, 523, 571-573, 575[,604[,651,892 Voll, 0. J. 336, 704, 796 Volz, L. 686 Vorgrimler, H. 221, 223, 506, 956, 966 Voscherau, H. 374 Vrede, K. Ph. v. 54 7 Vries, W. de 1046 Vulpius, A. 358, 360, 367, 386 Wächter, L. 1018 Wagner, D. 691 Wagner, K. J. 758 Walf, K. 601f., 608, 902 f., 913 f., 916, 1024 Weber, H. 37, 119, 121, 133, 248, 285, 319, 337, 382, 386, 402, 414, 472, 654, 665, 713, 727, 771, 799, 804806,810 Weber, 0. 451 Weber, W. 47, 224, 344, 397, 472, 501, 508,588,720,771,903,985 Wedemeier, K. 374 Wegenast, K. 682, 683 Weides, P. 335, 348, 665 Weidmann, F. 682f. Weigand, R. 920 Weiler, H. 526, 681, 823 Weinzierl-Fi.scher, E. 526 Weis, E. 550 Weiss, C. E. 558 Weißpfennig, W. 410 Welcker, K. Th. 20 Wende, E. 895 Wendehorst, A. 844 Wenner, J. 472, 677 Wernicke, K. 40

Wessenberg, I. H. Frhr. v. 547f. Westphalen, F. 0. W. v. 275 Weth, R. 224 Wiclif, J. 946 Wiedemann, L. 460 Wieland, J. 107 Wigard, F. 22, 268 Wilda, W. E. 242, 266 Wildhaber, B. 1018 Wilhelm 1., ](önig von Preußen 26, 273,279,299 Wilhelm II., ](önig von Preußen 301303 Winands, G. 808 Windischmann, F. 563 Winter, J. 381 Winzer, 0. 875 Wirth, J., Reichskanzler 1104 Wirth, P. 1013, 1055 Wissowa, G. 1073 Wlosok, A. 1073 Woesner, H. 148 Wohlmuth, G. 572 Wolf, E. 453 Wolff, Chr. 957 Wolff, H. J. 447, 701 Wöllner, J. Ch. 247 Wulf, Fr. 919, 956 Wurm, H. J. 243 Zapp, H. 655, 659, 914, 1055 Zehetmair, H. 164 Zentner, G. F. Frhr. v. 548, 556 Zezschwitz, F. v. 57 Zieger, G. 521 Zimmermann, M. 1022 f. Zippelius, R. 8, 37, 206, 230, 352 Ziwsa, C. 1034, 1081 Zsifkovits, V. 462 Zwehl, Th. v. 565 Zwirner, H. 44

Sachwortregister Von Wilhelm Rees, Bamberg/ Augsburg Abtreibung - als Kündigungsgrund 133-135; 636; 640f.; Actus formalis s. auch Kirchenaustritt - Begriff 655-657; 657-661 Adoption - Inkognito Adoption 177-179 - religiöse Kindererziehung 176-191 Ämterbesetzungsrecht, freies - durch Reichskonkordat gewährleistet 507 Ämtererrichtung - Recht der freien Errichtung kirchlicher Ämter durch Reichskonkordat garantiert 506 Ämterhoheit der Kirche - Aussagen des Codex Iuris Canonici 1006; 1044 Ämterrecht, kirchliches - als innerkirchliche Angelegenheit 801-804 - für Statusklagen kein Rechtsweg zu staatlichen Gerichten 788 f. Ämterverleihung s. Kirchenamt Akademien s. Erwachsenenbildung Altardienst 827 Amtsbezeichnungen, kirchliche - strafrechtlicher Schutz 146 Anstaltsseelsorge - als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 335; 345 f. - Rechtsgrundlagen 345 f. - Regelung im Reichskonkordat 515

Anstreicher-Entscheidung 627 -629; 634 Apostolische Administratur (Görlitz) 371;857;883;885 Apostolischer Nuntius 503; 546; 891; 892 Apostolischer Stuhl s. auch Heiliger Stuhl - und Bischofskonferenz 828 Arbeitsgerichte - Beurteilung und Bewertung von Loyalitätsverletzungen kirchlicher Dienstnehmer 625-642 Arbeitsgerichtsbarkeit 132-135 - arbeitsrechtliche Streitigkeiten kirchlicher Bediensteter unterliegen grundsätzlich der staatlichen Arbeitsgerichtsbarkeit 795 Arbeitsrecht, kollektives - aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen 348 f.; 723 f. - eigenständige Regelung der kollektiven Arbeitsverhältnisse 329 f.; 724 - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (11. 10. 1977) 643f. - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (17. 2. 1981) 645-647 - Grundsatzentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts 642-64 7 Arbeitsrecht, kirchliches - abgestufte Loyalitätspflichten 635; 637;640;726 - als Ausprägung des Grundrechts der Religionsfreiheit 625 - Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (4. 6. 1985) 638-642

1150

Sachwortregister

- individuelles 330 f.; 625-642; 725727 - kein Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu kirchlichen Einrichtungen 136-138 - Kündigung bei Verstößen gegen kirchliche Loyalitätspflichten 103 f.; 132-135; 330 f.; 626-642; 725727 - Loyalitätsverpflichtungen 623; 625; 631 f.; 636; 639 f.; 795 - Mitarbeitervertretung 329 f. - Mitarbeitervertretungsrecht 104 - Rechtsstreitigkeiten im Bereich des individuellen Arbeitsrechts 626642 Aufklärung - Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit 5 f.; 58; 76 Augsburger Religionsfriede (25. 9. 1555)9; 18;29;151 Badischer Staatskirchenvertrag (14. 11. 1932) 289; 475; 485; 583 Badisches Konkordat (12. 10. 1932) 288;485 - Besetzung der Bischofsstühle 904 - Mittlerrolle von Kaas beim Zustandekommen 1111 Barmer Bekenntnissynode (29.-31. 5. 1935) 292 Baulast, Kirchen- Bestand staatlicher und kommunaler Kirchenbaulasten 446-448 Bayerische Evangelische Kirchenverträge (15. 11. 1924) - Ergänzungen und N ovellierungen 490 f.; 588-590 - Inhalt 583 f. - nach Modell des Bayerischen Konkordats 581-583 - Vertrag zwischen dem Bayerischen Staat und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins (15. 11. 1924) 288; 470; 483; 581f.

- Vertrag zwischen dem Bayerischen Staat und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (15. 11. 1924) 288; 483;581 Bayerische Verfassung (26. 5. 1818) 18;263;264 Bayerischer Verfassungsgerichtshof - Konkordatslehrstühle 610-614 Bayerisches Konkordat (5. 6. 1817) 263;483 - Auswirkungen auf das Staat-Kirche-Verhältnis 562-569 - Frage der Fortgeltung 570 f. - im Widerspruch zum Religionsedikt von 1809 555-562 - Inhalt 553-555 - Neuordnung der Diözesanzirkumskription 843 f.; 866 - Verlauf der Konkordatsverhandlungen 548-553 - Vorgeschichte 544-548 Bayerisches Konkordat (29. 3. 1924) 288; 483; 490 f. - als Modell für den neuen '!YPus des evangelischen Kirchenvertrags 581-583 - Besetzung der Bischofsstühle 891894 - Diözesanzirkumskription 846; 869 - Ergänzungen und N ovellierungen 584-588 - Gang der Konkordatsverhandlungen 571-576 - Inhalt 577-580 - Modellcharakter für das deutsche Staatskirchenvertragsrecht 570 Bayerisches Religionsedikt (1809) - Auswirkungen auf das Staat-Kirche-Verhältnis 562-569 -und Bayerisches Konkordat vom 5. 6. 1817 555-562 Bayerisches Toleranzedikt (10. 1. 1803) 12;153;264 Bayern - Staat-Kirche-Verhältnis 263-265 Beamtenrecht, kirchliches s. auch Ämterrecht, kirchliches

Sachwortregister - öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse 796 Beanstandung, konkordatsrechtliche s. auch Nihil obstat; Theologieprofessoren - eines katholischen Theologen 326 f.; 345;444[;511;615-619;721 Begräbnis, kirchliches - Verweigerung im Falle des Kirchenaustritts 670 Beichtgeheimnis - Schutz durch Reichskonkordat 504 Bekenntnisfreiheit s. auch Religionsfreiheit - als Einzelbestandteil der Religionsfreiheit 11; 91 Bekenntnisschule, katholische 512 f. Bestattungswesen s. Friedhofsrecht Besteuerungsrecht, kirchliches s. Kirchensteuer Betriebsverfassungsgesetz - Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (21. 11. 1975) 642-644 - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (11. 10. 1977) 643 f. Bildungswesen s. auch Schulwesen - Bestimmungen des Codex Iuris Canonici 1009; 1048 Bischofsernennung s. auch Bischofsstühle - absolutes und abstraktes Listenverfahren 889 f. - Bestimmungen des Codex luris Canonici 887-891; 1006; 1045 - freies Ernennungsrecht des Papstes 887 - kanonische Eignung des Kandidaten 890f. - konkordatäres Bischofswahlrecht der Domkapitel 887 f.; 896-899; 901-903; 1007;1046 - Rechte und Privilegien weltlicher Autoritäten 887 f. Bischofskollegium - und oberste Leitungsgewalt 952954; 1005;1043

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Bischofskonferenz - als hierarchische Zwischeninstanz 821;955 - alter Ordnung (c. 292 §§ 1-3 CIC/ 1917) 820 - Aufgaben im Bereich der Glaubenslehre und Verkündigung 829-831 - Einzelkompetenzen 826-836 - Kompetenzen auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit und des Prozeßrechts 835 f. - Kompetenzen gegenüber den Teilkirchen 828 f. - Kooperation mit Ordensgemeinschaften 829 -Neuordnung durch das Zweite Vatikanische Konzil815 f.; 819-821 - Organisationsstruktur und Arbeitsweise nach dem Codex Iuris Canonici 822-825 - Rechtsstatus 825 - theologisches Fundament 821 - und Apostolischer Stuhl 828 -und Kompetenz des einzelnen Diözesanbischofs 820 - Zuständigkeiten auf dem Gebiete der Liturgie, des Gottesdienstes und der Sakramentenspendung 831-834 - Zuständigkeiten auf dem Gebiete des kirchlichen Vermögensrechts 834f. Bischofskonferenz, Berliner - Auflösung 368 - Status, Mitglieder, Aufgaben und Organe 839 f. Bischofskonferenz, Deutsche - Erklärung zur parteipolitischen Tätigkeit von Priestern (27. 9. 1973) 600-609 - Rahmengeschäftsordnung zur Erteilung der kirchlichen Unterrichtserlaubnis und der Missio canonica (24.-27. 9. 1973) 693 - Rahmenrichtlinien zur Erteilung der kirchlichen Unterrichtserlaubnis und der Missio canonica (12.15. 3. 1973) 692 f.

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Sachwortregister

- Status, Zusammensetzung, Aufgaben 836-838 - Stellungnahme zu den Zielen des Religionsunterrichts 686 f. - und Diözesanneuumschreibung 882-885 - Wiedervereinigung der katholischen Kirche auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz 368 Bischofskonferenz, Österreichische 840f. Bischofskonferenz, Schweizer 841 Bischofsstühle s. auch Bischofsernennung - bei Besetzung gilt ein durch die Konkordate begründetes Sonderrecht 891 - Besetzung in Bayern 891-894 - Besetzung in Deutschland 891-905 - Besetzung nach dem Badischen Konkordat 904 - Besetzung nach dem Preußischen Konkordat 894-903 - Besetzung nach dem Reichskonkordat 904 f. - Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Wiederbesetzung des Kölner Erzbischöflichen Stuhls 905917 Bistumsgrenzen s. Diözesanzirkumskription "Bremer Klausel" des Art. 141 GG 679; 716 - in den neuen Bundesländern nicht anwendbar 381 f.; 391 Brotkorbgesetz 302 Bücherzensur 831 Bundesarbeitsgericht - Anstreicher-Entscheidung 627-629; 634 - Begriff einer karitativ-kirchlichen Einrichtung im Sinne des § 118 BVG 642-644 - Entscheidungen im Falle einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe 632 f.; 633-636 - Frage der Zulässigkeit der Kündigung bei Loyalitätsverstößen 726

- Kindergärtnerin-Entscheidung 630-632;633 - Kündigung im Falle des Kirchenaustritts 632 f.; 637; 641; 653 f. - Kündigung wegen homosexueller Betätigung 637 f. - Loyalitätspflichten eines an einem katholischen Krankenhaus beschäftigten Assistenzarztes 636; 640f. - Mitgliederwerbung durch Gewerkschaften 644-647; 725 Bundesgrenzschutz - Seelsorge im 492 f. Bundesrepublik Deutschland s. Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland Bundesverfassungsgericht - Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe als Kündigungsgrund 135f. - Angabe der Konfessionszugehörigkeit 109-113 - Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen 649 - Bedeutung der Rechtsprechung für das Staat-Kirche-Verhältnis 317319 - Bedeutung der Rechtsprechung für das Staatskirchenrecht 65-85; 336 f.; 353 f. - Bedeutung des verfassungsrechtlichen Toleranzgebots 76-81 - Berechtigung der Kirchen zur Erhebung von Kirchgeld 129 f. - Beschränkung der Religionsausübung im Strafvollzug 149 f. - Beschränkung geistlicher Amtsträger auf kirchenangehörige Rechtsbeistände 126 f. - betont Religionsfreiheit als Verbandsgrundrecht 93 f. - christliche Gemeinschaftsschulen 441f. - Dienst- und Versorgungsrecht der Geistlichen 126

Sachwortregister - disziplinarrechtliehe Kürzung des Gehalts eines Kirchenbeamten 123f. - Eigentums- und Besitzverhältnisse an der "Hl. Alexandra-GedächtnisKirche" in Bad Ems 131 f. - Entfernung eines evangelischen Pfarrers aus dem geistlichen Dienst 124f. - Entlassung eines Geistlichen aus dem kirchlichen Dienst 120 f. - Entwicklung der Religionsfreiheit beeinflußt 89 - Freistellung kirchlicher Einrichtungen von der Geltung des staatlichen Betriebsverfassungsgesetzes 6 7; 643f. - Gemeindeteilungsanordnung einer kirchlichen Oberbehörde als rein innerkirchliche Maßnahme 400; 800 -gemietete Moschee-Räume keine res sacra 130 f. - Gewerkschaften und Mitgliederwerbung 67; 136-138; 330; 725 - Grundrechtsträgerschaft der Religionsgemeinschaften 42 f. - Grundsatzentscheidung zum kirchlichen Dienst-: und Arbeitsrecht 638-642; 726 f. - Informationsrecht der Adoptiveltern 190 - Inhalt und Umfang der Religionsausübung 68-70 - Kirchenfreiheit im Bereich der Berufsbildung 115f. - kirchlicher Dienst als "öffentlicher Dienst" 144 f. - "kirchliches Vermögensrecht" 128132 - Konkursausfallgeld 128 f. - Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen 142-144 - Kündigung wegen Verletzung der religiösen Loyalitätspflichten 132135;331 - Lehrbeanstandungsverfahren 121 f. 73 Sbd. List!

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- Nichtjustiziabilität rein kirchlicher Maßnahmen 120-127; 809-811 - Orthodoxie einer PhilosophischTheologischen Hochschule im Zivilprozeß 118-120 - Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Werkstättenverordnung 140 f. - Rechtsprechung zum Kirchensteuerrecht 735-767 - religiös motivierte Eidesverweigerung bei Übernahme eines Kommunalmandats 146-149 - Religionsunterricht und Bildungswesen 113-120 - Schulgebetsurteil 67; 74-76; 81; 435f. - Schutzpflicht des Staates für private Ersatzschulen 116 f. - Sexualerziehung in der Schule 80; 102 - staatliches Mitbestimmungsrecht oder kirchliche Mitarbeitervertreterordnung 83 - Stellung des Art. 140 im Gesamtgefüge des Grundgesetzes 33 f.; 61 - strafrechtlicher Schutz der Bezeichnung "Pastor" 146 - Vereinbarkeit des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes mit dem Grundgesetz 192215 - Verfassungsmäßigkeit christlicher Gemeinschaftsschulen 79 f.; 101f. - Verfassungsmäßigkeit der Krankenhaus-Buchführungsverordnung 138-140 - Verfassungsmäßigkeit des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen 67; 69; 84; 105; 139 -Verhältnis von Art. 140 GG zu Art. 4 GG37; 62 - Verhältnis von positiver und negativer Religionsfreiheit 70-76 - Verweigerung des Zivildienstes 143f. - Wehrpflicht 142 f.

1154

Sachwortregister

- Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde bei Eingriffen in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht 83 - Zulässigkeit steuerstrafrechtlicher Untersuchungen gegen eine Religionsgemeinschaft 141 f. - Zusammenhang zwischen dem Individualgrundrecht der Religionsfreiheit und der Kirchenfreiheit 8185 Bundesverwaltungsgericht - Kirchenbaulasten 446-448 - korporative Religionsfreiheit 42; 66 - Rechtsprechung zum kirchlichen Amts- und Dienstrecht 802-804 - Schutzpflicht des Staates für private Ersatzschulen 117 f. - Verbots- und Auflösungsmöglichkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung 216-233 - Verhältnis von positiver und negativer Religionsfreiheit 71 - Versetzungserheblichkeit der Religionsnote 323; 437 - Zulässigkeit des Schulgebets 72-74; 79; 435f. Codex Iuris Canonici - Ämterhoheit der Kirche 1006; 1044 - als Weltgesetzbuch 1002 f. - Ausprägung der Lehre von der Kirche als einer societas iuridice perfecta 1002-1014 - Ausprägungsformen der Leitungsgewalt 1006; 1043 f. - Aussagen zum Staat-Kirche-Verhältnis 1004; 1014; 1041-1058 - authentische Interpretation 1066 - Begriff der Kirche 1036-1039 - Befugnis zur kircheneigenen Gerichtsbarkeit 1013; 1055 - Besetzung der Bischofsstühle 887891; 1006 f.; 1045 f. - Bestimmungen zum Bildungswesen 1009; 1048 f.

- Bestimmungen zum Eherecht 1010 f.; 1049-1051 - Bestimmungen zum kirchlichen Strafrecht 1012 f.; 1053-1055 - Bestimmungen zum Religionsunterricht 1009 f.; 1049 - Bestimmungen zum Verfassungsrecht der Kirche 1042-1047 - Entstehungsgeschichte und Vorarbeiten 1061 f. - Glaubensverkündigung als Recht und Pflicht der Kirche 1008 f.; 1047 - katholische Kirche als Stiftung Jesu Christi 1005 - neue Inhalte 1065 - oberste Leitungsgewalt des Papstes und des Bischofskollegiums 1005; 1043 - päpstliches Legationswesen 1008; 1047 - Promulgation und Geltungsbereich 1061 - Recht auf Kirchenvermögen 1011 f.; 1051-1053 - Systematik und Sprache 1064 - theologische Grundlagen 1062 f. - und Ius divinum 1003 f.; 1040 f. - Veröffentlichung und Ausgaben 1066 - Vorgaben für die Reform 1063 f. Cuius regio, eius religio 151; 249 Cura religionis 152; 975 f. DDR - Diözesen und kirchliche Verwaltungsbezirke 857-862; 872-877 - Fortgeltung des Reichskonkordats und des Preußischen Konkordats 860-862 - keine Anwendung des Reichskonkordats 500 f. - Kirche nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems 863 f. - kirchliche Bemühungen um Aufnahme verfassungsrechtlicher Garantien der institutionellen kirchlichen Freiheitsrechte 35 f.; 53; 63

Sachwertregister - Staatswesen 356 f. - verfassungsrechtliche Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit 35 f. "De salute animarum" Papst Pius VII. (16. 7. 1821)255;545;844;867 Demokratie - Auftrag der Kirche in der freiheitlichen Demokratie 980-987 Denkmalschutz des Staates 348 Deutsche Bischöfe - erstes Treffen in Würzburg 21 f. - für Trennung von Staat und Kirche 21 f.; 23 Deutsche Bundesakte (8. 6. 1815) 242f. Deutsche Diözesanbischöfe - Erklärung zu Fragen des kirchlichen Finanzwesens (Kirchenaustritt) 671 Deutsche Nationalversammlung 31; 281 Deutsche Zentrumspartei 16; 26 f.; 60; 284; 1100f.; 1106-1108; 1110; 1112f.; 1114-1117 - Toleranzantrag vom 23. 11. 1900 16 f.; 27 f.; 60 f.; 154; 279 f.; 281; 301 f. Diakon - Zuständigkeit der Bischofskonferenz für die Ausbildung 827 Diakonie s. karitative Betätigung der Kirchen Dienst, kirchlicher · Sonderstellung - arbeitsrechtliche der Tendenzunternehmen 624 - besonderer Rechtscharakter 622625 Dienstrecht, kirchliches s. auch Arbeitsrecht, kirchliches - als innerkirchliche Angelegenheit 801-804 - Entlassung eines Geistlichen 120f.; 124f. - Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 132-138 - kirchlicher Dienst als "öffentlicher Dienst" 144f. 73*

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- Tätigkeit von Ordensangehörigen aufgrundvon Gestellungsverträgen 935f. - und Kirchenfreiheit 623 f. - Unzulässigkeit der Unterscheidung zwischen geistlichem Amtsverhältnis und weltlichem Dienstverhältnis 804 f. - Versorgungsrecht der Geistlichen 126 - zur Frage der Geltung elementarer staatlicher verfassungsrechtlicher Grundsätze im kirchlichen Bereich 807f. - Zuständigkeit kirchlicher Gerichte für Statusklagen geistlicher Amtsträger 811 f. - Zuständigkeit kirchlicher Gerichte für vermögensrechtliche Streitigkeiten der geistlichen Amtsträger 811f. Diözesanbischof - und Bischofskonferenz 820; 828 f. Diözesanzirkumskription - Änderungsvorschläge der Würzburger Synode 850-854 - Beurteilung der Diözesanzirkumskription in der Bundesrepublik Deutschland 855 f. - Festschreibung durch Reichskonkordat 505 f.; 847; 871 - historische Grundlagen der Diözesanzirkumskription in Deutschland 842-848;865-871 - in der bisherigen DDR 857-862 - Interesse des Staates 420 - Neufestlegung in den neuen Bundesländern und im Norden Deutschlands 370-376; 390; 878885 - römische Vorgaben für die Neuumschreibung der Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland 879 f. - Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils 848 f. Disziplinarrecht, kirchliches - Kürzung des Gehalts eines Kirchenbeamten 123 f.

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Sachwortregister

Domkapitel - Bischofswahlrecht 887 f.; 896-899; 901-903; 1007; 1046 Donatistenstreit 1077-1099 Drittes Reich s. Nationalsozialismus Ehe, kirchenrechtlich ungültige - als Kündigungsgrund 135 f.; 632 f.; 633-636 Eherecht, kirchliches - Ausnahmen von der Verpflichtung der obligatorischen zivilen Voraustrauung 515 f. - Auswirkungen des Kirchenaustritts 654-667 -Bestimmungen des Codex Iuris Canonici 1010 f.; 1049-1051 - Konkurrenz zwischen kirchlicher und weltlicher Gesetzgebung 349 Eheschließung - Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern 768779 Eidesverweigerung - religiös motivierte Eidesverweigerung 146-149 Eigentum der Kirchen - Eigentums- und Besitzverhältnisse an der "Hl.-Alexandra-Gedächtnis-Kirche" in Bad Ems 131 f. - Vorschriften zum Schutz im Reichskonkordat 514 Einigungsvertrag - mittelbare innerkirchliche Auswirkungen 368-370 - staatsrechtliche Auswirkungen 363-368;376 Ekklesiologie s. Kirche, katholische Entkonfessionalisierung 292 Entpolitisierung 292 Entwicklungspolitik - Mitwirkung der Kirchen 462 Episkopalismus 249 Ersatzschulen, private - Schutzpflicht des Staates 116-118

Erwachsenenbildung - Beteiligung der Kirchen 335; 348 Erziehungsrecht der Eltern, religiöses - im Falle der Inkognito-Adoption 176-191 Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 322; 351; 714 f. Evangelische Kirche - Einführung der Synodalverfassung 272-274 - nationalsozialistische Kirchenpolitik 291f. - Staat-Kirche-Verhältnis im 19. Jahrhundert 25 f.; 60; 270-274 Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) - innerkirchliche Auswirkungen der staatlichen Wiedervereinigung 369f.; 390 - Kirchenordnungen 456 f. - kirchenrechtliches Institut . 321; 713f. - Organisationsstruktur 455 Exercitium religionis publicum s. Religionsausübung, freie Fall Küng 615-620; 721 FDP-Kirchenpapier von 1973 332; 405;443;984 Fernsehen - Anspruch der Kirchen auf Beteiligung 335; 347 f.; 463 - und Bischofskonferenz 831 Forschung und Lehre - Freiheit von 618 f. Frankfurter Nationalversammlung - Bedeutung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts 60; 266-268 Frankfurter Reichsverfassung (28. 3. 1849) - Bedeutung für die Entwicklung des Staatskirchenrechts 16; 24; 269; 274;281 Frankreich - Staat und Kirche 54 f.; 63; 232; 237; 323;340;342 - Trennungsgesetz (9. 12. 1905) 5; 55; 237

Sachwortregister Französische Revolution 5; 237 Freundschaftsklausel481; 531 f. Frieden von Luneville 239 Friedenssicherung 461 Friedhofsrecht - Friedhofsordnung 448 f. - für Rechtsstreitigkeiten sind staatliche Verwaltungsgerichte zuständig 796 Relevanz - staatskirchenrechtliche 349 Fronleichnamsprozession - als Religionsausübung im Sinne des Art. 4 GG 694-696 - polizeiliche Erlaubnispflichtigkeit 694-702 - Rechtsgrundlagen für Erlaubnispflichtigkeit 696-702 Fuldaer Bischofskonferenz 836 Gebet - für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes 516 Geburt - Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern 768779 Geistliche s. auch Kleriker - nicht zur Übernahme öffentlicher Ämter verpflichtet 504 - Rechtsstellung im Reichskonkordat 504 - Regelung der Ausbildung im Reichskonkordat 504 f. - Schutz des Staates bei Ausübung der geistlichen Tätigkeit 504 Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche s. Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland - Beschluß "Der Religionsunterricht in der Schule" 688-690 Gemeinschaftsschule, christliche - Aussagen Ulrich Scheuners 438-442 - und Toleranz 101 f.; 167; 175; 440 f.

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- Verfassungsmäßigkeit 79 f.; 101 f.; 438-442 - Zulässigkeit von Kruzifixen 158175 Gerichtsbarkeit, kirchliche - Bestimmungen des Codex luris Canonici 1013; 1055 - Kompetenzen der Bischofskonferenz 835 f. - Konkurrenz mit der staatlichen Gerichtsbarkeit 788 f. - Zuständigkeit für Statusklagen der geistlichen Amtsträger 811 f. - Zuständigkeit für vermögensrechtliche Streitigkeiten der geistlichen Amtsträger 811 f. Gerichtsbarkeit, staatliche - die der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegenden kirchlichen Angelegenheiten 794-797 - innerkirchliche Maßnahmen sind einer Überprüfung durch staatliche Gerichte nicht zugänglich 798-801 - Zuständigkeitkraft kirchlicher Zuweisung 805 f. Gesellschaften des apostolischen Lebens s. Orden, religiöse Gesetz des Norddeutschen Bundes (3. 7. 1869) - und Religionsfreiheit 14 f.; 59 f. Gewerkschaften - und Zutrittsberechtigung zu kirchlichen Einrichtungen zum Zwecke der Mitgliederwerbung 136-138; 330;644-647;725 Gewissensfreibei t s. auch Religionsfreiheit - Inhalt/Sinngehalt 10; 92; 433 - Verselbständigung gegenüber der Glaubensfreiheit 433 Glaubens- und Sittenlehre - Schutz durch Bischöfe und Bischofskonferenzen 830 Glaubensfreiheit s. auch Religionsfreiheit - uneinschränkbarer Kernbereich der Religionsfreiheit 10; 90 f.

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Sachwortregister

Glaubensverkündigung - als Recht und Pflicht der Kirche 1008 f.; 1047 Glaubenswahlfreiheit - notwendiger Bestandteil der Glaubensfreiheit 91 Gottesdienst - Aufgaben der Bischofskonferenz 829f. - Zuständigkeiten der Bischofskonferenz 831-834 Großherzogtum Baden - Verfassungsurkunde (22. 8. 1818} 154 Harnburg - Errichtung des Erzbistums 371-376 Hannover - Staat-Kirche-Verhältnis 266 Heiliger Stuhl s. auch Apostolischer Stuhl - diplomatische Beziehungen 420 f. - verfügt seit 1929 über eine doppelte internationale Rechtspersönlichkeit 421 - Völkerrechtssubjekt 473 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation238 Hessen - Verfassungsurkunde (5. 1. 1831) 154 Hessischer Gemeindeteilungsfall 400; 800 Hierarchie - Kirche als hierarchisch verfaßtes Gottesvolk 951-955 "Hinkende Trennung von Staat und Kirche" 285; 406 Hochschule s. auch Theologische Fakultäten - Bestreitung der Orthodoxie einer Philosophisch-Theologischen Hochschule im Zivilprozeß 118-120 - verfassungsrechtliche Zulässigkeit von sogenannten Konkordatslehrstühlen 610-614 Hochschullehrer s. Theologische Fakultäten

Homosexualität - Kündigung 637 f. Institute des geweihten Lebens s. Orden, religiöse Instrumenturn Pacis Osnabrugense 10; 152 Internationale Beziehungen der Kirchen - als Bestandteil der Religionsfreiheit und des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts 420 f. - historische Problemstellungen 420 - im Bereich der protestantischen Kirchen 421 f. - Interesse des Staats an Zirkumskription der Diözesen und Landeskirchen 420 - Lutherischer Weltbund 422 - Ökumenischer Rat der Kirchen 232 f.; 422; 458 f.; 461; 972 f. - Recht des freien Verkehrs innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft 420 - Reformierter Weltbund 422 - ungehinderte Bekanntgabe von religiösen Anordnungen und Hirtenbriefen 420 Iura in sacra 20; 250; 272 Ius circa sacra 19 f.; 250; 272; 293; 296 Ius divinum 1003 f.; 1040 f.; 1067 Ius Publicum Ecclesiasticum 528 f · 977;992 ., - Diskussion in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1022-1025 - Entstehung der kanonistischen Teildisziplin 1000 - unverminderte Aktualität und praktische Bedeutung 1025-1031 Ius recipiendi 151 Ius reformandi 10; 91; 151-152; 249 Ius reprobandi 151 Ius tolerandi 152 Jesuitengesetz 275; 303; 509; 567 f. Juden - Religionsfreiheit 14; 60; 153

Sachwortregister Justizgewährleistungspflicht des Staates 791 Kaas, Ludwig - Leben und Werk des Kirchenrechtlers und Zentrumspolitikers 11001122 Kanzelparagraph 277; 567 Karitative Betätigung der Kirchen - als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 346 f. - als Religionsausübung 69 f.; 95 f.; 107; 155; 319; 430 f.; 712; 922 f. - grundrechtliche Verbürgung 69 f. - und Subsidiaritätsprinzip 347 Katechismus 691 f. - Zuständigkeit der Bischofskonferenz 830 Katechumenat 830 Katholischer Klub (14. 8. 1848) 267 f. Katholizismus, deutscher - Ludwig Kaas 1100-1122 Ketzertaufstreit 1078 Kindererziehung, religiöse - bei Adoptivkindern 176-191 Kindergärtnerin-Entscheidung 630632;633 Kirchen - Organisationsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland 316 f. - rechtlicher Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften 709 f. - Stellung im internationalen Recht 419-422; 459 f. - Stellung und Auftrag im freiheitlichen Rechtsstaat 462 f.; 980-987 - Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr 794 f. Kirche, Evangelische in Deutschland s. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Kirche, katholische - als Glaubens-, Heils- und Rechtsgemeinschaft 993-995; 1037 f. - als Stiftung Jesu Christi 1005; 1042f.

1159

- Begriff der Kirche im Codex Iuris Canonici 1036-1039 - ekklesiologisches Selbstverständnis 945-956 - Geheimnischarakter und societasCharakter 1031 - Geltung von Grundrechten im innerkirchlichen Bereich 456 - Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands 321; 714 - mittelbare innerkirchliche Auswirkungen der staatlichen Wiedervereinigung 368; 370-376; 390 - Recht und Pflicht zur Priesterausbildung 1006; 1044 - Stellung im internationalen Recht 420-422 - und Kirchenverständnis Rudolph Sohms 1038f. - Verband der Diözesen Deutschlands 838f. - Verfassungsstruktur 951-955 - Verhältnis Kirche und Welt 955 f. Kirchenamt - ekklesiologische Bedeutung 593 - Errichtung, Veränderung und Aufhebung 596 - im kanonischen Recht 594 f. - keine Mitwirkung des Staates 598; 800 - Verleihung 596 f. - Verlust/ Amtserledigung 598 - verschiedene Arten 595 f. Kirchenartikel s. auch Weimarer Kirchenartikel; Weimarer Reichsverfassung - des Grundgesetzes 33 f.; 61; 88; 293f. - in den Verfassungen der neuen Bundesländer 376-380; 391 - Stellung des Art. 140 GG im Gesamtgefüge des Grundgesetzes 33 f.; 61; 88 Kirchenaustritt - als "actus formalis" 655-657; 657661 - als Ausprägung der negativen Religionsfreiheit 98; 334; 346; 731

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Sachwortregister

- als kirchliche Straftat 667-670 - Auswirkung im kirchlichen Eherecht 654-667 - Beendigung der Kirchensteuerpflicht 741-744 - der Adressat der Erklärung 661 f. - Erklärung der Diözesanbischöfe der Bundesrepublik Deutschland vom Dezember 1969 671 - Kündigung des Arbeitsverhältnisses 132-135; 632 f.; 637; 641; 653 f. - Minderung der innerkirchlichen Rechtsstellung 650-654 - rechtliche Unbeachtlichkeit sogenannter "modifizierender" Zusätze 103; 664-667 - Unbeachtlichkeit der Motivation für den Eintritt der Rechtsfolgen 662-664; 671 - Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses 670 - Zeitpunkt des Wirksamwerdens von Kirchenaustrittserklärungen 113 - Zwölftelung der Kircheneinkommensteuer 762 f. Kirchenbücher - Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern nach kirchlichem Recht 768-771 - Auskunfts- und Beurkundungspflicht vor Einführung des staatlichen Personenstandswesens 772778 - authentische Auszüge als öffentliche Urkunden 768-771 Kirchenfreiheit s. auch Religionsfreiheit - Bedeutung der Rechtsprechung für die Entwicklung 65-85; 107-109 - im 19. Jahrhundert 18-28; 60 f. - wesensnotwendiger Zusammenhang zwischen individueller Religionsfreiheit und institutioneller Kirchenfreiheit 81-85; 88; 108 f. Kirchengesellschaft -Begriff 6

Kirchenhoheit, staatliche 6; 19 f.; 58; 248; 250; 252; 261; 263; 270; 272; 274;285-287;400 Kirchenrecht - der Wille Gottes als Urquelle des Rechts der Kirche 1067 - formelle Kirchenrechtsquellen 1069 - Gewohnheit als Rechtsquelle 1068 - kirchliche Gesetzgebung (ius mere ecclesiasticum) 1068 - materielle Kirchenrechtsquellen 1067 f. Kirchenrecht, evangelisches - Einzelfragen 452-457 Grundlagen - rechtstheologische 453-455 Kirchenregiment, landesherrliches 6; 19; 28; 31; 58; 87 f.; 238; 248 f.; 270 f.; 275; 281 f.; 298; 976 - Auflösung durch Weimarer Reichsverfassung 281-283; 581 Kirchenregion - als Zusammenschluß benachbarter Kirchenprovinzen 816 f.; 819 Kirchensteuer - als "Maßstabsteuer" 333; 730 - als Mittel zur Finanzierung der kirchlichen Aufgaben 333 f.; 730 - Arten 750-756 - Begriff 333; 648 - Betriebsstätten- und Wohnsitzbesteuerung 758 f. - Entlastungsbeträge für Kinder gemäߧ 51 a EStG 763 f. - Erhebung "aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten" 346; 734 - Erstattung 765 - gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 332; 346; 733 f. - gemeinsamer Kirchensteuerfonds in Niedersachsen 762 - Gesetzmäßigkeit der Kirchensteuerbeschlüsse 759 f. - Höchstbetragsbegrenzung ("Kappung") 761 - in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland 735-767

Sachwortregister - keine Ortskirchen-, sondern eine Diözesan- bzw. Landeskirchensteuer 729 - kirchenfeindliche Angriffe 728 f. - Kirchengewerbesteuer 755 f. - Kirchengrundsteuer 754f. - Legitimität 449 - negative religiöse Finanzierungsfreiheit 98 - Pauschalierung 764 - Rechtsmittel 766 f. - Rechtsstreitigkeiten fallen in den Bereich der staatlichen Gerichte 796 - über die Verwendung bestimmen die Kirchen 760 - Verfassungsmäßigkeit des Kirchenlohnsteuerabzugs 449 f.; 729 - Verfassungsmäßigkeit des kirchlichen Besteuerungsrechts 729 - vomEinkommen 751-753 - Wiedereinführung in den neuen Bundesländern 363 f.; 390 Kirchensteuerpflicht - als Folge der Kirchenzugehörigkeit 648-650 - Anknüpfung an innerkirchliche Regelungen 111; 649; 736-741 - Beendigung durch Erklärung des Kirchenaustritts 741-744 - Heranziehung von rechtskräftig geschiedenen Katholiken zur Kirchensteuer 745 - Kirchensteuererhebung bei glaubensverschiedenen Ehen 747-750 - Kirchensteuererhebung bei konfessionsverschiedenen Ehen 746 f. - Rechtsweg gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer 765 f. - Zwölftelung bei Kirchenaustritt 762 f. Kirchenvermögen -Bestimmungen des Codex Iuris Canonici 1011 f.; 1051-1053 Kirchenverträge, evangelische s. auch Bayerische Evangelische Kirchenverträge; Staatskirchenverträge

1161

- Abschluß 288 f. - Bedeutung im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland 469-472 - Bestandsgarantie theologischer Fakultäten 326 - grundlegende Bedeutung für StaatKirche-Verhältnis 425 f. - historische Entwicklung 4 74 f. - im staatskirchenrechtlichen Denken und Schrifttum Ulrich Scheuners 425-427 - in den neuen Bundesländern 385388;391 - Regelungsmaterien 476 - terminologische Bestimmung 425; 475 - und Staatsgesetz 427 - Verfahren beim Abschluß 482 Kirchenzugehörigkeit - Bedeutung in der staatlichen Rechtsordnung 648-650 Kirchgeld - als Ortskirchensteuer 753 f. - Berechtigung der Kirchen zur Erhebung 129f. Kleidung, geistliche - strafrechtlicher Schutz 504 f. Kleriker s. auch Geistliche - Kompetenz der Bischofskonferenz zum Erlaß von Normen über die Kleidung von Klerikern 827 - Privilegium fori im CIC/1983 nicht mehr enthalten 1044 f. - Privilegium immunitatis im CIC/ 1983 nicht mehr enthalten 1044f. Koalitionsfreiheit s. auch Gewerkschaften - in kirchlichen Dienst- und Arbeitsverhältnissen 644-64 7 Kölner Ereignis (1837) 255-261 Kölner Erklärung 900 f. Körperschaftsstatus, öffentlich-rechtlicher - der Kirchen und Religionsgemeinschaften 7

1162

Sachwortregister

- Zuerkennung durch Reichskonkordat 506f. - Zuerkennung durch Weimarer Reichsverfassung 283 Kollegialität - Ausprägung in der Gesamtkirche und in den Teilkirchen 952-955 Kollegialsystem/Kollegialismus 250 Kommunalmandat - religiös motivierte Eidesverweigerung 146-149 Kommunismus - Folgen und Nachwirkungen in den neuen Bundesländern 356 Kongregationen s. Orden, religiöse Konkordate s. auch Kirchenverträge, evangelische; Staatskirchenverträge - als Mittel des Ausgleichs und der Verständigung 423 f.; 531-535 - Aufhebung 532-535 - Bedeutung im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland 469-472 - Definition 472 f. - grundsätzliche Regelungen über das Staat-Kirche-Verhältnis 288 - im Dienst des Verkündigungs- und Heilsauftrags der Kirchen 524-531 - im staatskirchenrechtlichen Denken Ulrich Scheuners 423-425 - in den neuen Bundesländern 388 f.; 391 - Länderkompetenz 288 f.; 474 - Regelungsmaterien 476 f.; 540-543 - unterschiedliche Motivation der Konkordatspartner 535-540 - Verfahren beim Abschluß 477-482 - während des Pontifikats Papst Johannes Pauls Il. 530 f. - Zurechnung zum Völkerrecht 421; 473;477;532-534 Konkordatslehrstühle - Inhaber sind nicht im Besitz einer Missio canonica 614

- verfassungsrechtliche Zulässigkeit an staatlichen Hochschulen 610614 Konkordatsprozeß 424 f. Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts 495-501 Konkordatsvorbehalt des c. 3 CIC/ 1983 473; 535 f.; 1004; 1041 f.; 1044 Krankenhaus-Buchführungsverordnung - Verfassungsmäßigkeit 138-140 Krankenhausseelsorge s. Anstaltsseelsorge Krankenpflege, kirchlich getragene - als eine Form der Religionsausübung 69 f.; 107; 319; 712 Kreuze/Kruzifixe - Zulässigkeit in christlichen Gemeinmeinschaftsschulen 158-175 Krieg - religiös-sittliche Erlaubtheit 211 Kriegsdienstverweigerung - aus Gewissensgründen 92; 142-144; 192-215; 433 f. - Gesetz zur Neuordung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes 192-215 - in der Sicht der Kirche 210-215 Kündigung - im Falle von Scheidung und Wiederheirat 630-632 - wegen Abschluß einer kirchenrechtlich ungültigen Ehe 135 f.; 632-636 - wegen Abtreibung 133-135; 636; 640f. - wegen homosexueller Praxis 637 f. - wegen Kirchenaustritt 133-135; 632 f.; 637; 641; 653 f. - wegen Loyalitätsverstößen 103 f.; 132-135; 330 f.; 626-642; 725-727 - wegen "sittenwidrigem Verhalten" 627-629 Kulturhoheit der Länder 500-502 Kulturkampf 26; 60; 253; 270; 274279; 298; 302; 314; 465 f.; 929 f. - Gesetzgebung 276-279; 925

Sachwortregister - schleichender Kulturkampf in Bayern 566-568 Kultusfreiheit s. auch Religionsausübung, freie - Freiheit der Religionsausübung 8; 91; 93; 318; 711 - im Sinne des Art. 4 Abs. 2 GG 712 Laienpredigt - Regelungskompetenz der Bischofskonferenz 829 Landesbistümer 263 Lateranverträge 421; 495 f. Lebensgestaltung/Ethik/Religion - Modellversuch im Land Brandenburg 382-384; 391 Legaten, päpstliche 1008; 1047 Lehrbeanstandungsverfahren 121 f.; 831 Lehrerausbildung - konfessionelle 512 f. Leitungsgewalt - Ausprägungsformen 1006 - Papst und Bischofskollegium als Träger der obersten kirchlichen Gewalt 952-954; 1005; 1043 Lex Ecclesiae Fundamentalis 1061 Liturgie - Zuständigkeiten und Pflichten der Bischofskonferenz 831-834 Loccumer Vertrag 386; 426; 475; 486488 Loyalitätspflichten s. Arbeitsrecht, kirchliches "Ludendorff"-Urteil216-233 Lumpensammlerfall 59; 95 f.; 430 f. Mantelgesetz 475; 476; 576 Meldewesen - Informationsrecht der Kirchen in Bezug auf Religionszugehörigkeit 349 Menschenrechte - Schutz461 Militärdienst - religiös-sittliche Zulässigkeit 212 - und Kleriker 1045

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Militärische Übungsplätze - politische Diskussion in den neuen Bundesländern 359 Militärseelsorge - als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 335; 345 f. - Evangelischer Militärseelsorgevertrag 492; 782 - "exemte" Militärseelsorge im Reichskonkordat 514f.; 1111 - in den neuen Bundesländern 358 f.; 389 - Statuten für die katholische Militärseelsorge 492; 515 Minderheiten, völkische 516 Mischehenstreit, preußischer 20; 255261 Missio canonica s. auch Religionsunterricht - Verleihung und Entzug als innerkirchliche Angelegenheit 693 - Versagung im Verwaltungsrechtsweg nicht überprüfbar 799 Missionsfreiheit 77; 91; 99; 420 f. Mitarbeitervertretung 724 f. Mitarbeitervertretungsrecht 349 "Mit brennender Sorge" (14. 3. 1937) 523f. Nationalsozialismus - Eingriffe in das Selbstbestimml:lngsrecht der evangelischen Kirche 291 f. -Folgen und Nachwirkungen in den neuen Bundesländern 356 - kirchenfeindliche Politik 289-292 -planmäßiger Kirchenkampf 292; 452 Naturrecht -Begründung des Rechts im Naturrecht 450f. Neutralität, religiös-weltanschauliche des Staates - bedeutet Nichtidentifikation, nicht dagegen laizistische Indifferenz 4447; 55 f.; 59; 75; 341; 339 f.; 341 - in der Weimarer Reichsverfassung 30-32

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Sachwortregister

- klares Ja des Zweiten Vatikanischen Konzils 974-980 - Pflicht des Staates primär im Grundrecht der Religionsfreiheit enthalten 44-47; 62; 339 - und christliche Gemeinschaftsschulen 160; 439 f. Niedersächsisches Konkordat 484 - Diözesanzirkumskription 847; 870f. Nihil obstat s. auch Theologieprofessoren; Theologische Fakultäten - für Hochschullehrer 326 f.; 511; 579; 721 Oberrheinische Kirchenprovinz - Diözesanzirkumskription 265; 845; 867 f. Öffentlichkeit - "Kirche und Öffentlichkeit" (Wolfgang Huber) 780-787 Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen 488;780; 1009;1047 Ökumene - Aufgaben der Bischofskonferenz 829 - Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem Weltrat der Kirchen459 - Zusammenarbeit der Kirchen auf dem Gebiet der Sozialethik 459 Ökumenischer Rat der Kirchen 223 f.; 422; 458 f.; 461; 972 f. Österreichisches Konkordat (18. 8. 1855) 525 Österreichisches Konkordat (5. 6. 1933) 525 f. Oktroyierte preußische Verfassung (5. 12. 1848) 11; 14; 19; 24 f.; 269 Optatus von Mileve - Beurteilung der Zulässigkeit des staatlichen Einschreitens gegen Häretiker 1094-1096 - Kirche und Staat bei Bischof Optatus von Mileve 1085-1091 - und Augustinus 1096-1099

Orden, religiöse - als Träger von Privatschulen 510; 930 - Bruderschaften und Kommunitäten in den evangelischen Kirchen 921 f. - Gründungs- und Betätigungsfreiheit 509 f.; 928-931 - im Staatskirchenrecht 922-924 - Ordensgemeinschaften nach katholischem Recht 919-921 - Rechtsfähigkeit 924-928 - Rechtsstellung der einzelnen Ordensangehörigen 933-941 - sind Träger des Grundrechts der Religionsfreiheit 922 f. - sozialversicherungsrechtliche Stellung von Ordensangehörigen 936941 - staatspolitische Sonderbestimmungen 931f. - strafrechtlicher Schutz gegen den Mißbrauch des Ordenskleides 932 - Tätigkeit von Ordensangehörigen aufgrund von Gestellungsverträgen 935f. - und Bischofskonferenz 829 - und religionsrechtliche Parität 918f. - und verfassungsrechtliches Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht 923f. Pacelli-Punktation 572 f. Pandektenwissenschaft 447 Papst s. auch Heiliger Stuhl - oberste Leitungsgewalt 952-954; 1005;1043 Parität, religionsrechtliche - einer der tragenden Pfeiler der staatskirchenrechtlichen Ordnung 317;367;469;519 - Fortgeltung des Preußischen Kirchenvertrags aus Gründen der religionsrechtlichen Parität 367 - im 19. Jahrhundert 12; 15; 21; 23; 153

Sachwortregister - in der Weimarer Reichsverfassung 61 - in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit 432 - Meistbegünstigungsklausel519 - Zulässigkeit sachlich begründeter differenzierender Regelungen 432 - zwischen der katholischen und evangelischen Kirche 709 f. Parlamentarischer Rat 33; 35; 88; 293; 425 Parteipolitische Betätigung der Priester - Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz 600-609 - Verbot für Priester und Ordensleute 457;518 - Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem kirchlichen Recht 606 f. - Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Reichskonkordat 601-606 - Vereinbarkeit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland 607-609 Passauer Vertrag (1552) 151 Patronatsrecht 597 Paulskirchenverfassung (28. 3. 1849) 11;23;247;268 Person, juristische - katholische Kirche und Apostolischer Stuhl besitzen den Charakter einer juristischen Person 1042 Personenstandsgesetz 771-779; 796 Personenstandswesen, kirchliches - Informationsrecht der Kirchen in Bezug auf Religionszugehörigkeit 349 - Rechtsstreitigkeiten fallen in den Bereich der staatlichen Gerichte 796f. Pfarrer - als kirchlicher Urkundsbeamter 768

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- Versetzung als innerkirchliche Angelegenheit 122 f. Piusvereine 268 Plazet (Placet), staatliches 24; 248; 250;252;263;269;420;549 Plenarkonzil - besitzt hoheitliche Leitungsgewalt 818 - Definition, Einberufung, Stimmrecht, Aufgaben 818 f. Politische Betätigung - Verbots- und Auflösungsmöglichkeit von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungswidriger politischer Betätigung 216-233 Politische Klausel 50 f.; 289; 507 f. Politische Theologie 224 Pontificia Commissio Codicis luris Canonici authentice interpretando 1066 PosenerVertrag (11. 12. 1806) 241 Postulation 597 Präsentationsrecht 597 Preußen - Diözesanzirkumskription 844; 867 - Staat-Kirche-Verhältnis 245-261 Preußischer Kirchenvertrag (11. 5. 1931) 288 f.; 475; 484; 582 - Geltung in den neuen Bundesländern 366-368; 390 Preußisches Allgemeines Landrecht (1794) 6; 11 f.; 18; 24; 153; 183; 245253; 256 f.; 261; 269 Preußisches Konkordat (14. 6. 1929) 288f.; 484 - Besetzung der Bischofsstühle 894903 - Diözesanzirkumskription 255; 846; 869f. - Geltung in den neuen Bundesländern 366-368; 390 - Kaas als eine der Schlüsselfiguren beim Abschluß 1111 Priesterausbildung - Recht und Pflicht der Kirche 1006; 1044

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Sachwortregister

- Regelung im Reichskonkordat 504 f. - Zuständigkeit der Bischofskonferenz 826f. Privatschulen - Orden als Träger 510; 930 - Schulen in kirchlicher Trägerschaft 349 Privilegium fori - im CIC/1983 nicht mehr aufrechterhalten 1044 f. Privilegium immunitatis - im CIC/1983 nicht mehr enthalten 1045 Protestantismus - Unionen im Protestantismus 271 f. Provinzialkonzil 818 f. Prozeßrecht, kirchliches - Kompetenzen der Bischofskonferenz 835f. Prüfungswesen, kirchliches - als innerkirchliche Angelegenheit BOOf. Raumersehe Erlasse 275 Rechtspositivismus - Überwindung 450 f. Rechtsstaat, freiheitlich demokratischer - Stellung und Auftrag der Kirchen 462 f.; 980-987 Recursus ab abusu 263 Reichsdeputationshauptschluß (25. 2. 1803) 18; 238-241 Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung (15. 7. 1921) 182-184; 189; 287f. Reichskonkordat (12. 7. 1933) - Abschluß 290 f.; 485 - Bestandsgarantie theologischer Fakultäten 326 - Bestimmungen zur Besetzung der Bischofsstühle 904 f. - Diözesanzirkumskription 505 f.; 847;871 - Einsatz Kaas für Abschluß 1110; 1116f. - einzelne Regelungsmaterien 502518

- Fortgeltung nach 1945 424 f.; 445; 486;494-500;519 - Fragen der Geltung in der Deutschen Demokratischen Republik 520f. - im Urteil der Päpste Pius XI. und Pius XII. 522-524 - politische Tätigkeit von Priestern 601-606 - und Diözesanzirkumskription in den neuen Bundesländern 372; 390f. - Verhältnis zu den Länderkonkordaten 501 f. - Wiederinkraftsetzung in den neuen Bundesländern 365; 390; 860-862 Reichstagsabschied von Speyer (1526) 151;248 Religionsausübung, freie - extensive Interpretation des Begriffs 68-70; 95f.; 107; 155; 319; 430 f.; 712; 922 f. Religionsausübung, ungestörte 10 f.; 91f. Religionsfreiheit s. auch Bekenntnisfreiheit; Gewissensfreiheit; Glaubensfreiheit; Kirchenfreiheit - als Fundament der Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche 969-974 - als Individualgrundrecht 4; 7-17; 59 f.; 66; 88; 90-92; 95; 154; 711 f. - als korporatives oder Verbandsgrundrecht 4; 37-43; 50; 62; 93-95; 318;428-430;711!. - als Recht der Fürsten und Reichsstände 9; 59 - Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils 3; 38; 409 f.; 506 - bei Ulrich Scheuner 428-434 - Beschränkungen im Strafvollzug 149f. - Bezug zur Menschenwürde 3 - Einschränkung bei Juden 14; 60; 153 - historische Entwicklung 3-28; 58 f.; 151-156;242-245

Sachwortregister - im Schulbereich 56 f.; 75 - individualistischer Charakter im 19. Jahrhundert 7-17; 59 f.; 87 - Rechtsprechung zu Einzelfragen der Religions- und Kirchenfreiheit 102-105;109-150 - tragende Grundsätze der Rechtsprechung zur Religions- und Kirchenfreiheit 65-85; 107-109 - unter dem Grundgesetz 7 f.; 33-57; 89-98; 155 f. - unter der Weimarer Reichsverfassung 17; 28-33; 61; 154 f. - Unterschied zwischen der theologischen und der staatsrechtlichen Beurteilung 4 - Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 140 GG 36f.; 62; 89 - Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV 37-42; 47-52; 62f.; 83-85; 94f.; 108f.; 429 - Verhältnis von positiver und negativer Religionsfreiheit 67; 70-76; 9698; 108; 169-175 - zentrale Stellung in den Konkordaten 502 f. Religionsfreiheit, negative - Kruzifixe in einer Gemeinschaftsschule, keine Verletzung der 158175 -und Toleranz 72-75; 79f.; 81; 99102; 108; 175;431f. Religionsgemeinschaften - an verfassungsmäßige Ordnung gebunden 216-233 - Unzulässigkeit der Unterscheidung zwischen "echten" und "unechten" Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften 217-227 - Verbots- und Auflösungsmöglichkeit 216-233 Religionsrechtliche Gesetzgebungskompetenz des Reichs durch die Weimarer Reichsverfassung 287 f. Religionsunterricht - Abmeldebefugnis und religiöses Erziehungsrecht der Eltern 324

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- Abmeldemöglichkeit 324; 679; 717 f. - Abmeldemöglichkeit als Ausprägung der negativen Religionsfreiheit 98; 324 - als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 322 f.; 343; 678 f.; 716-719 - als konfessionelles Pflichtfach 113115; 323 f.; 344; 436 f.; 678 f.; 717 f. - als Lehrveranstaltung des Staates 322;343;680;716 - als ordentliches Lehrfach 322; 343; 679f.; 716 - Aussagen von Ulrich Scheuner 436438 - Beschluß der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 688-690 - Bestimmungen des Codex luris Canonici 675-678; 1009 f.; 1049 - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 113-115 - Erfordernis der Missio canonica bzw. Vokation 325; 343 f.; 677 f.; 692f.; 719 - Ersatzunterricht nach Abmeldung 324 - Erteilung in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften 322 f.; 343; 679; 716 f. - Garantie im Reichskonkordat 513 -in den neuen Bundesländern 381384;391 - in der Schweiz 681 f. - in Österreich 680 f. - Leistungsbewertung 343; 437; 717 - Öffnung für Schülerinnen und Schüler eines anderen Bekenntnisses 718f. - Rechtsfolgen bei Entzug der Missio canonica bzw. Vokation 325 - steht im Dienst der Glaubensverkündigung 675; 677; 690f. - Stellungnahmen der Deutschen Bischofskonferenz 686 f. - theologisch-pädagogisches Verständnis 682-686 - und staatliche Gerichtsbarkeit 797

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Sachwortregister

- Versetzungserheblichkeit der Religionsnote 323; 437 f.; 717 - Weigerung des Landes Brandenburg, Religionsunterricht zu erteilen, ist verfassungswidrig 384-384; 391 Religionszugehörigkeit - Angaben nach Volkszählungsgesetz 110f. - asylrechtliche Relevanz 111 - Bestimmung durch die Eltern 91 - Eintragung auf der Lohnsteuerkarte 744 f. - Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 109-113 - Erfassung im Meldewesen 98 - Erwerb im Kindesalter 111 f. Res sacra - gemietete Moschee-Räume keine res sacra 130 f. Rheinbund (12. 7. 1806) 241 Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung(5.3. 1835)272 Rundfunk - Mitwirkungsrecht der Kirchen 335; 347f.; 463 - und Bischofskonferenz 831 Russisch-Orthodoxe Kirche - Eigentums- und Besitzverhältnisse an der "Hl.-Alexandra-Gedächtnis-Kirche" in Bad Ems 131 f. Säkularinstitute s. Orden, religiöse Säkularisation 239 f. Sakramentenspendung - Zuständigkeiten der Bischofskonferenz 831-834 Scheidung und Wiederheirat - als Kündigungsgrund 630-632 Scheuner, ffirich - Auftrag der Kirche in der Welt von heute 459-463 - Einfluß auf die Entwicklung des Grundrechts der Religionsfreiheit 428-434

- Einfluß auf die Entwicklung des Staats- und Staatskirchenrechts 392-396 - Gemeinschaftsschule, christliche 438-442 - Kirchensteuer 449 f. - Kirchenvermögensrecht446-449 - Lehre zum Staat-Kirche-Verhältnis 392-466 - philosophische und theologische Begründung des Rechts 450-452 - Publikationen zum Staat-KircheVerhältnis in der Bundesrepublik Deutschland 396-406 - Publikationen zur Geschichte des Staatskirchenrechts 417 f. - Rechtsfragen der Ökumene und des Ökumenischen Rates 458 f. - Religionsunterricht 436-438 - Schulgebet 434-436 - theologische Fakultäten 442-445 "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" - Ausgleich zwischen der Freiheit der Kirche und der staatlichen Rechtsordnung792 - Definition 792 f. - und Selbstbestimmungsrecht der Kirchen 51 f.; 63; 138-142; 247 f.; 408-415; 791 f. -Verhältnis von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WeimRV zu Art. 4 GG 37-42; 47-52; 62f.; 83-85; 94f.; 108 f.; 429 Schulgebet - als Toleranzproblem 72 f.; 74; 76; 98; 100 f. - Aussagen Ulrich Scheuners 434-436 - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (16. 10. 1979) 67; 7476;81;98;101 - Kritik am Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs 429 f. - Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (30. 11. 1973) 72-74; 79; 97 f.; 100f.

Sachwortregister - Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofes (27. 10. 1965) 71 f.; 74 f.; 96;434 Schulmonopol, staatliches - Ablehnung durch die Kirche 990 f.; 1048 Schulwesen s. auch Bildungswesen - Novellierungen des Bayerischen Konkordats und Kirchenvertrags 584-590 - Zuständigkeiten der Bischofskonferenz 830 Schwerbehindertengesetz - Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Werkstättenverordnung 140 f. SED 360; 368; 369 Seelsorgegeheimnis s. Beichtgeheimnis Selbstbestimmungsrecht der Kirchen s. auch "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" - als Recht auf eigenständige Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung 791 - Grenzen des Selbstbestimmungsrechts 51f.; 63; 138-142; 247 f.; 408415; 791 f. - im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland 789 f. - in der Rechtsprechung 108 f.; 115 f.; 120-127; 128-132;132-138;411-415 - Nichtjustiziabilität rein kirchlicher Maßnahmen und Entscheidungen 120-127 - und kirchliches Amts- und Dienstrecht 801-804 Sexualerziehung, schulische - Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (21. 12. 1977) 80; 102 Societas iuridice perfecta - Ausprägung der Lehre im CIC/1983 1002-1014 - Entstehungsgeschichte und Wesensgehalt 1000-1002 - keine moderne Zweischwerterlehre 1014-1017 74 Sbd. List!

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- keine sozialphilosophische, sondern eine theologische Doktrin 10 171022 - Mißverständnisse 1014-1025 - Zeitgemäßheit der Lehre 1022-1025 Sonn- und Feiertage - unter dem besonderen Schutz der Verfassung 349 - verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite 789-793 Sozial-karitative Betätigung - als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 335 Staat - nach katholischem Verständnis 957-966 - und Subsidiaritätsprinzip 964-966 - Verwirklichung des Gemeinwohls als Aufgabe 962-964 Staat-Kirche-Verhältnis s. auch Staatskirchenrecht; Trennung von Staat und Kirche - auf Kooperation angelegt 983 - Aussagen des Codex Iuris Canonici 1004-1014; 1041-1058 - Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils 528 f.; 968-999 - Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber der staatlichen Gewalt 981 f.; 997-999 - im Bereich der evangelischen Kirche im 19. Jahrhundert 25 f.; 60; 270-274 - im Königreich Hannover 266 - im südwestdeutschen Raum 265 - im 19. und 20. Jahrhundert (Besprechung Huber) 295-308 - in Bayern 263-265 - in den USA 5; 54 f.; 63; 342; 422 f. - in der Ära des Nationalsozialismus 289-292 - in der Frankfurter Nationalversammlung 266-268 - in der preußischen Verfassung (1851) 269 f. - in der Weimarer Reichsverfassung 30-33;281-289

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Sachwortregister

- in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 274-280; 976f. - in Frankreich 54f.; 63; 232; 237; 323;340;342 - in Preußen 245-261 - Lehre Ulrich Scheuners 392-466 - nach der konstantinischen Wende 1073-1091 - vom preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Grundgesetz 237-294 - wesensmäßige Verschiedenheit von Staat und Kirche 980 f.; 995-997 Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland - als freiheitliches Kooperationssystem 314; 406-408; 464f.; 470-472; 703-707 - als komplexes und nur auf dem Hintergrund der historischen Entwicklung verständliches System 704f. - Bedeutung der Rechtsprechung 317-319; 353f.; 710-712 - hauptsächliche Bereiche 343-349 - Infragestellung bzw. Vertiefung 71 - innerkirchliche Auswirkungen der staatlichen Wiedervereinigung im Bereich der evangelischen Kirche 369f.; 390 - innerkirchliche Auswirkungen der staatlichen Wiedervereinigung im Bereich der katholischen Kirche 368;390 - keine laizistische Trennung 44-47; 55 f.; 59; 75; 98; 339 f.; 341 - Kirchenartikel der Verfassungen der neuen Bundesländer 376-380; 390 - Kirchenartikel des Grundgesetzes 33 f.; 61; 88; 293 f. - Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den einzelnen Bundesländern 314-316; 500-502; 707-709 - religionssoziologische und religionsstatistische Gegebenheiten 361 f.; 390

- Streitigkeiten in. den Bereichen der gemeinsamen Angelegenheiten 796f. - tragende Elemente 705 f. - Wiederaufbau der staatskirchenrechtlichen Ordnung in den neuen Bundesländern 355-361 Staatskirche - Verbot der Staatskirche in Art. 137 Abs. 1 WeimRV 7; 281-283 Staatskirchenrecht s. auch Staat-Kirche-Verhältnis; Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland; Staatskirchenverträge - als Ordnung des Ausgleichs und der Kooperation 406-408 - als staatlich-öffentliches Recht 341; 336 - als Teil der staatlichen Rechtsordnung 336f. - Bedeutung der Konkordate und Kirchenverträge 469-472 - Bedeutung der Rechtsprechung für die Entwicklung 317-319; 353 f.; 710-712 - einzelne Sachgebiete 322-336; 343349;716-732 - historische Verwurzelung 415-417 - in der rechtswissenschaftliehen Literatur 350-353 Staatskirchenrechtswissenschaft - gegenwärtiger Stand 319-322; 713716 Staatskirchenturn - Beendigung durch die Weimarer Reichsverfassung 281-283; 976 Staatskirchenverträge s. auch Kirchenverträge, evangelische; Konkordate - Abschluß nicht auf katholische und evangelische Kirche beschränkt 491 f. - als Mittel zur Sicherung eines dauerhaften Friedens zwischen Staat und Kirche 423 f.; 590

Sachwertregister - angemessene und gerechte Form der Lösung staatskirchenrechtlicher Probleme 384; 389; 391 - Entwicklung im 20. Jahrhundert 469;483-493 - Formen der Beendigung 482 - Frage der Fortgeltung der während der Weimarer Zeit abgeschlossenen Staatskirchenverträge 485 f. - gewährleisten Kooperation zwischen dem Staat und den Kirchen 493;590 - in den neuen Bundesländern 384389 - Rechtsnatur 472-476 - Terminologie 472 - typische Sachgebiete 387 f. Staatslehre, katholische 957-960 Staatsleistungen an die Kirchen - im Reichskonkordat 514 Staatsrechtslehrer 320 f. Sterbefälle - Auskunfts- und Beurkundungspflicht aus Kirchenbüchern 768779 Steuerstrafrechtliche Untersuchung - Zulässigkeit gegen eine Religionsgemeinschaft 141 f. Strafanstaltsseelsorge s. Anstaltsseelsorge Strafrecht, kirchliches - Bestimmungen des Codex luris Canonici 1012 f.; 1053-1055 Strafvollzug - Beschränkungen der Religionsausübung 149f. Subsidiaritätsprinzip 964-966; 1020 Summepiskopat 31; 61; 87 f.; 270; 282; 474;581;976 Syllabus errorum 276 f.; 976 Tabak-Fall-Entscheidung 91; 218 f. Taufe - und Kirchensteuerpflicht 111; 649 f.; 736-741 Tegernseer Erklärung 560 f. Territorialismus 249 74*

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Theologieprofessoren s. auch Nihil obstat; Beanstandung, konkordatsrechtliche - als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche 325-328; 344 f.; 619 f.; 720 - als Inhaber eines konfessionell gebundenen Staatsamtes 444 f. - bedürfen eines kirchlichen Auftrags 1010; 1049 Theologische Fakultäten - Bekenntnisbindung einer Promotion 328; 722 f.; 797 - Berufung von Hochschullehrern 326 - Bestand in der Bundesrepublik Deutschland 325 f.; 720 - Bestandsgarantie 326; 720 - Bestimmungen im Reichskonkordat 511f. - Beteiligung der Kirchen bei der Besetzung der Lehrstühle 345; 443 -Errichtung im Einvernehmen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem betreffenden Bundesland 327; 344; 721f. - Fortbestand an staatlichen Universitäten 443 f. Toleranz - als Erziehungsziel der Schule 432; 436 - als verfassungsrechtliches Gebot 72-76; 76-81; 99-102; 108; 165-169; 406; 431 f.; 435 f. - rechtliche Funktion des Gebots im Fall des Widerstreits von Rechten 430 - Ruf nach Toleranzgesetzgebung 3-5 - und christliche Gemeinschaftsschulen 101f.; 167; 175; 440 f. - und Religionsunterricht 438 - und Schulgebet 72 f.; 74; 76; 98; 100f. - und Sexualerziehung 80; 102 Toleranzedikt (10. 1. 1803) 12; 153 f. Toleranzgebot - Klärung durch Bundesverfassungsgericht 76-81

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Sachwortregister

Trennung von Staat und Kirche s. auch Staat-Kirche-Verhältnis; Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland - durch die Weimarer Reichsverfassung wurde Zustand einer "hinkenden Trennung" geschaffen 285; 406 - keine Identifikation des Staates mit einer oder mehreren Kirchen 88 - radikales Trennungssystem von Weimarer Reichsverfassung abgelehnt 283-285 Treueid der Bischöfe 508 f. Universitäten - und Bischofskonferenz 830 USA -Staat-Kirche-Verhältnis 5; 54f.; 63; 342; 422f. Verbände, katholische - im Reichskonkordat 516 f. Vereine, religiöse - Unterschied zu den Religionsgesellschaften 231 f. Vereinigungen, kirchliche - Genehmigungsrechte der Bischofskonferenz 827 f. Vereinigungsfreiheit, religiöse - als deklaratorische Verdeutlichung des Grundrechts der Religionsfreiheit 232 - spezifischer Sinngehalt 227-233 Verfassung des Deutschen Reichs (1871) 276 Verfassung des Norddeutschen Bundes 16; 276 Verfassungsausschuß der Nationalversammlung 22 Verfassungsinterpretation - Prinzip der Einheit der Verfassung 407f. Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden (22. 8. 1818) 13; 15 Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern (26. 5. 1818) 12 f.; 153f.

Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen (4. 9. 1831) 13 Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg (25. 9. 1818) 13 Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen (5. 1. 1831) 14; 154 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (31. 1. 1850) 11; 13; 14; 16 f.; 24; 59; 87; 165; 231 f.; 247; 269 f.; 274; 283 Verkündigung s. Glaubensverkündigung Vermögen, kirchliches - verfassungsrechtlicher Schutz 348 - Wiedergutmachung und Entschädigung durch den Staat 348 Vermögensrecht, kirchliches - Befreiung der Kirchen von der Pflicht zur Zahlung von Konkursausfallgeld 128 f. - Berechtigung der Kirchen zur Erhebung von Kirchgeld 129 f. - Zuständigkeiten der Bischofskonferenz 834f. Verträge, diözesane - nicht als Konkordate anzusehen 474 Völkerrecht - Zurechnung der Konkordate zum Völkerrecht 421; 473; 477; 532-534 Vokation s. Religionsunterricht Volkszählungsgesetz 110 f. Wahl, kanonische 597 Wehrersatzdienst - Zulässigkeit der Verlängerung 201204 Wehrpflicht - Unzulässigkeit theologisch begründeter Argumente gegen die Wehrpflicht 142 f. Weimarer Kirchenartikel - fortwirkende Bedeutung der Kirchenartikel 88 Weimarer Reichsverfassung

Sachwortregister - Beseitigung der "Staatskirche" und der Staatskirchenhoheit 281-283; 976 - Elemente der Verbindung zwischen Staat und Kirche 283-285 - Neuordnung des Staat-Kirche-Verhältnisses 4; 27; 30-33; 281-289 - Prinzip der Trennung von Kirche und Staat44 - religionsrechtliche Gesetzgebungskompetenzen des Reiches 287 f. - und Religionsfreiheit 17; 28-33; 61; 154f. - Unzulässigkeit einer besonderen Staatsaufsicht über die Kirchen 285-287 Weltanschauungsgemeinschaften s. Religionsgemeinschaften Weltkirchenkonferenz - von Amsterdam (1948) 38 - von New Delhi (1963) 38 Westfälischer Friede 9; 10; 12; 18; 59; 60; 152 f.; 242; 314; 703; 707 Wiedervereinigung Deutschlands s. Staat-Kirche-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland Wiener Kongreß 244f.; 261; 263; 270; 547;843;865 - und Diözesanzirkumskription 865 Wöllnersches Religionsedikt (9. 7. 1788) 11 f.; 59; 153; 240 f. Wohlfahrtspflege 335 Würzburger Synode

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- Änderungsvorschläge zur Neuumschreibung der Bistumsgrenzen 850-854 - Beschluß zum Religionsunterricht 688-690 Zirkumskription s. Diözesanzirkumskription Zirkumskriptionsbulle(n) 254 f.; 265 f.; 296; 545; 843; 844 f.; 867 f. Zivildienst s. auch Kriegsdienstverweigerung - Unzulässigkeit religiös begründeter Verweigerung des Zivildienstes 143f. Zweites Vatikanisches Konzil - Aussagen zum Staat-Kirche-Verhältnis in der Pastoralkonstitution 528 f.; 968-999 - Ekklesiologie 945; 947-956 - Erklärung über die Religionsfreiheit 3; 38; 409 f.; 506 - Neuordnung der Bischofskonferenzen 815 f.; 819-821 - religiös-sittliche Erlaubtheit eines Krieges 211 - religiös-sittliche Zulässigkeit der Ableistung des Militär- bzw. Kriegsdienstes 212 - Verhältnis von Kirche und Welt 955f. - Vorgaben für Diözesanzirkumskription 848 f.