Keltische Religion

Table of contents :
A. Vorbemerkungen 1
B. Das Volkstum der Kelten 4
C. Die Quellenzeugnisse für die keltische Religion 17
D. Die Götter der Kelten 30
I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten 30
1. Jupiter 30
a. Der gallische Jupiter SO
b. Die Jupiter-Gigantensäulen 31
c. Der Gott mit dem Rad 34
d. Der irische Dagda 37
2. Mercurius 40
a. Der gallische Mercurius 40
b. Teutates 45
c. Lugus 50
d. Der kymrische Gwydyon 55
3. Mars 56
a. Der gallische Mars 56
b. Herkules 61
c. Taranis 63
d. Ogmios 65
4. Apollo 71
5. Minerva 78
a. Die gallische Minerva 78
5. Die irische Göttin Brigit 80
6. Dis Pater 81
a. Der gallische Totengott 81
b. Inselkeltische Totengötter 82
II. Aus Inschriften und bildlichen Darstellungen bekannte Gottheiten 84
1. Gottheiten mit römischen Namen 85
a. Neptunus 85
Der gallische Meergott — Lir und Llyr — Manannan und Manawyddan
b. Vulcanus. Der gallische Gott — Goibniu und Govannon
c. Diana 90
d. Venus 90
2. Gottheiten mit keltischen Namen 91
a. Sucellos 91
b. Esus 97
c. Nodens-Nuadu 100
Die Nachrichten der Quellen — Die Deutung
d. Cernunnos 104
e. Andere Götternamen 107
Lokale Gottheiten — Matunus — Medros — Rudiobos — Sena — Die Dioskuren
III. Die weiblichen Gottheiten 113
1. Die Göttinnen der Jagd und des Waldes 113
2. Die Göttinnen von Quellen und Flüssen 114
3. Die Göttinnen der Fruchtbarkeit 116
a. Die Terra Mater 116
Rosmerta — Ana-Dana
b. Die Matres oder Matronen 120
c. Epona 123
d. Die irische Terra Mater 127
e. Andere weibliche Naturgottheiten 131
f. Kriegsgöttinnen 135
g. Schlußbetrachtungen 138
IV. Götterzwei- und Götterdreiheiten 141
1. Götterpaare 141
2. Göttertriaden 143
V. Das keltische Pantheon 145
1. Vorbemerkungen 145
2. Der Mythus von den beiden Schlachten von Mag Tured 148
3. Die Deutung des Mythus 151
4. Weitere Beispiele für die drei Funktionen 156
VI. Nur aus bildlichen Darstellungen bekannte gallische Gottheiten 158
1. Der dreiköpfige Gott 158
2. Die Gottheit in der 'Buddha-Haltung' 163
3. Der Gott mit den Vögeln 166
4. Der Gott mit der Schlange 167
5. Der genius cucullatus 170
VII. Heilige Tiere 171
1. Der Hirsch 172
2. Der Stier 176
3. Das Pferd 180
4. Der Eber 181
5. Der Hund 182
E. Der Kult 183
I. Die Verehrung von Naturobjekten 183
II. Die Tempel 191
III. Die Götterbilder 198
IV. Die Priester 203
1. Die Druiden 203
2. Der Gutuater 213
3. Der Vates 215
4. Priesterinnen 217
V. Die Opferhandlungen 219
VI. Die Festzeiten 224
VII. Die Wahrsagekunst 230
F. Das sakrale Königtum 234
G. Die Vorstellungen von der Totenwelt und vom Weltende 248
Literaturverzeichnis 262
Sachregister 265
Namenregister 267

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Die Religionen der Menschheit

Herausgegeben von CHRISTEL M ATTHIAS SC H RÖ D ER Band 18

W. K O H L H A M M E R V E R L A G STUTTGART

Keltische Religion

von

JAN DE VRIES

W. K O H L H A M M E R

VERLAG

STUTTGART

Das Bild auf dem Schutzumsdilag zeigt: eine Münze der Osismii, die ein Pferd mit Menschenantlitz darstellt, das über einen zu Boden gestürzten Mann hinwegspringt (aus Lancelot Lengyel, L’Art Gaulois dans les Médaillés 1954 Tafel X X IV Nr. 252)

Alle Rechte Vorbehalten © ‘1961 W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Druck: Verlagsanstalt Manz, Dillingen-Donau, 1961 71033

VORWORT

Eine Darstellung der keltischen Religion zu schreiben, ist ein großes Wag­ nis. Was gibt es im Grunde darzustellen? Den Tatbestand an schriftlichen Quellen und an Monumenten dem Leser vorzulegen, würden hundert Seiten genügen. Einen kurzen Überblick über das, was man vorfindet, zu geben, wäre die bequemste Weise, sich dieser Aufgabe zu entledigen. Aber der Leser verlangt mehr als diese nackten Tatsachen, die im Grunde nichtssagend und unbefriedigend sind. Er will wissen, was denn diese Kelten geglaubt haben, wie sie sich ihre Götter vorstellten, was sie von ihnen erwar­ teten, wie sie diese kultisch verehrten. Um dieses jedoch einigermaßen klar­ zumachen, müßte man ein Buch von sechshundert oder mehr Seiten schreiben. Denn weil bei der keltischen Religion fast jede Einzelheit der Überlieferung ein Problem darstellt und weil die Probleme sich ins Unendliche miteinander zu verfilzen drohen, muß man einerseits schon aufgestellte Erklärungen ein­ gehend prüfen, andererseits seine eigene Auffassung mit einer minuziösen Beweisführung unterstützen. Die Behandlung dieser Probleme, wie sie in den letzten Jahren, namentlich in der Zeitschrift Ogam, erfolgt ist, zeigt, wie sehr größte Breite und Ausführlichkeit vonnöten sind. Ich muß mich hier jedoch beschränken. Es ist überdies nicht meine Aufgabe, eine wissenschaftliche Untersuchung vorzulegen, sondern ein Handbuch, mit­ tels dessen der interessierte Leser sich orientieren kann. Ich habe deshalb keine Vollständigkeit der Belege angestrebt; meine Beweisführung mag zuweilen etwas apodiktisch ausgefallen sein. Ich tröste mich damit, daß ein wirklich ab­ schließendes Buch über die keltische Religion noch nicht geschrieben werden kann, und zwar auf lange hinaus noch nicht. Aber ich hoffe, daß mein Buch dazu anregen wird. Ich möchte wünschen, daß endlich mit der Behauptung energisch Schluß gemacht wird, die keltische Reli­ gion sei ein großes Labyrinth, in dem einige große, aber unendlich viele kleine Gottheiten umherirren. Nach allem, was Georges Dumézil uns über die reli­ giösen Anschauungen der indogermanischen Völker gelehrt hat, dürfte es von vornherein klar sein, daß das uralte System der drei großen göttlichen Funk­ tionen auch für die Kelten seine Gültigkeit gehabt haben muß. Und alle die sonderbaren Götter, die Taranis und Esus, die Ogmios und Cernunnos, müs­ sen in diesem System ihren Platz finden. Die dringendste Aufgabe scheint mir V

Vorwort

darin zu bestehen, mit dem Leitfaden des indogermanischen Göttersystems im Chaos der keltischen Überlieferung Ordnung zu stiften. Hier lege ich meinen Versuch vor. Ich bin mir dessen bewußt, daß er nur ein vorläufiger sein kann. Auf Kritik bin ich gefaßt. Ich erhoffe sie sogar, denn nur dadurch können wir dem Endziel näherkommen. Selbst wenn meine Dar­ stellung dadurch zusammenbrechen würde, hege ich trotzdem die Hoffnung, daß die Trümmer genügend Halt bieten werden, um auf ihnen ein neues und besseres Gebäude aufzurichten. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Prof. P. Lambrechts, Gent, meinen auf­ richtigen Dank dafür aussprechen, daß er mir die Erlaubnis erteilt hat, seine Karten in den Contributions à l’étude des divinités celtiques in diesem Buche zu reproduzieren. Utrecht, den 15. Juni 1961

Jan de Vries

VI

INHALT

A. Vorbemerkungen....................................................................

1

B. Das Volkstum der K elten ......................................................

4

C. Die Quellenzeugnisse für die keltische Religion....................

17

D. Die Götter der K e lt e n ..........................................................

30

I. D ie in den römischen Q uellen erw ähnten G ottheiten

. 30

1. J u p i t e r .................................................................................. a. Der gallische J u p i t e r ................................................... b. Die Jupiter-Gigantensäulen........................................... c. Der Gott mit dem R a d ................................................... d. Der irische D a g d a ...........................................................

30 SO 31 34 37

2. M ercu riu s............................................................................... a. Der gallische M e r c u r iu s ............................................... b. T e u ta t e s ........................................................................... c. L u g u s ............................................................................... d. Der kymrische G w y d y o n ...............................................

40 40 45 50 55

3. M a. b. c. d.

a r s ...................................................................................... Der gallische M a r s ........................................................... H e r k u le s ........................................................................... Taranis ........................................................................... Ogmios ...........................................................................

56 56 61 63 65

4. A p o l l o ..................................................................................

71

5. Minerva ............................................................................... a. Die gallische M in e r v a .................................................. 5. Die irische Göttin B r i g i t ...............................................

78 78 80

6. Dis P a t e r ............................................................................... a. Der gallische T o t e n g o t t ............................................... b. Inselkeltische Totengötter ...........................................

81 81 82

II. Aus Inschriften und bildlichen D arstellungen bekannte G ottheiten ...........................................................

84

1. Gottheiten mit römischenN a m e n ....................................

85

V II

Inhalt

a. Neptunus ........................................................................ a. Der gallische Meergott —ß. Lir und Llyr — y. Manannan und Manawyddan b. Vulcanus ....................................................................... a. Der gallische Gott —ß. Goibniu und Govannon c. D i a n a ............................................................................... d. V e n u s ...............................................................................

85 88 90 90

2. Gottheiten mit keltischen Namen 91 a. S u c e l l o s ........................................................................... 91 b. E s u s ................................................................................... 97 c. N o d e n s -N u a d u .................................................................... 100 a. Die Nachrichten der Quellen —ß. Die Deutung d. C e r n u n n o s ............................................................................104 e. Andere G ö tte r n a m e n ........................................................ 107 a. Lokale Gottheiten —ß. Matunus —y. Medros — ö. Rudiobos —e. Sena —r\. Die Dioskuren III. Die weiblichen G o tth e ite n ........................................................ 113 1. Die Göttinnen der Jagd und des W a l d e s ............................ 113 2. Die Göttinnen von Quellen und Flüssen 114 3. Die Göttinnen der F ruchtbarkeit............................................ 116 a. Die Terra Mater ................................................................116 a. Rosmerta —ß. Ana-Dana_ b. Die Matres oder M a tro n e n ................................................ 120 c. E p o n a ....................................................................................123 d. Die irische Terra M a t e r .................................................... 127 e. Andere weibliche N a tu rg o tth eiten .................................... 131 /. Kriegsgöttinnen ................................................................135 g. Schlußbetrachtungen............................................................138 IV. G ötterzw ei- und G ö tte r d r e ih e ite n ........................................ 141 1. G ö tte rp a a re ................................................................................141 2. Göttertriaden 143 V. D as keltische P antheon 1. 2. 3. 4.

145

Vorbemerkungen ....................................................................145 Der Mythus von den beiden Schlachten von Mag Tured 148 Die Deutung des M y th u s ........................................................ 151 Weitere Beispiele für die drei Funktionen 156

VI. N u r aus bildlichen D arstellungen bekannte gallische G o t t h e i t e n ................................................................................... 158 1. Der dreiköpfige G o t t ................................................................158 2. Die Gottheit in der „Buddha-Haltung“ ................................ 163 3. Der Gott mit den V ö g e ln ........................................................ 166 V III

Inhalt

4. Der Gott mit der S c h la n g e ................................................... 167 5. Der genius cucullatus ........................................................... 170

VII. Heilige T i e r e ............................................................................... 171 1. 2. 3. 4. 5.

Der Der Das Der Der

E. Der Kult

H i r s c h .............................................................................. 172 S t i e r .................................................................................. 176 Pferd 180 E b e r .................................................................................. 181 H u n d .................................................................................. 182 ...............................................................................................183

I. Die Verehrung von Naturobjekten II. Die Tempel

191

III. Die Götterbilder IV. Die Priester 1. 2. 3. 4.

183

198

...............................................................................203

Die Druiden ..........................................................................203 Der G u t u a t e r .......................................................................... 213 Der V a te s ..................................................................................215 P r ie s te rin n e n ...........................................................................217

V. Die Opferhandlungen VI. Die Festzeiten

......................................................... 219

......................................................................... 224

VII. Die Wahrsagekunst

............................................................. 230

F. Das sakrale K ö n ig tu m .......................................................................234 G. Die Vorstellungen von der Totenwelt und vom Weitende . 248 L iteraturverzeichnis...............................................................................262 Sachregister.............................................................................................. 265 Namenregister

267

IX

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ARXJU: Archiv für Religionswissenschaft /1SS: Acta Sanctorum CIL: Corpus Inscriptionum Latinarum, 1884 ff. CIR: Brambach Corpus Inscriptionum Rhenanarum, 1867 C RA I: Comptes Rendus de l’Académie des Inscriptions ÊC: Études Celtiques Esp: Espérandieu, Recueil général des bas-reliefs, statues et bustes de la Gaule Romaine I—XIV (1907—1955) PML A: Publications of the Modem Language Association RA: Revue archéologique RC: Revue Celtique RGK: Römisch-germanische Kommission RHR: Revue de l’Histoire des Religions W Z: Wiener Prähistorische Zeitschrift ZfcPh: Zeitschrift für celtische Philologie

XI

A. V O R B E M E R K U N G E N

Die Darstellung der Religion der keltischen Völker ist mit den größten Schwierigkeiten verbunden. Was wir darüber erfahren, ist lückenhaft und widerspruchsvoll; das hat seinen Grund in der Beschaffenheit des Quellen­ materials, mit dem wir arbeiten müssen. Der Forscher, der sich an die über­ lieferten Tatsachen halten will, handelt klug, wenn er sich damit bescheidet, eben nur den Tatbestand zu verzeichnen. Sobald man versucht, sich ein Bild von dem religiösen Glauben der keltischen Stämme in seinen Nuancierungen zu machen, läuft man Gefahr, sich mit mehr oder weniger wohlfeilen Hypo­ thesen über die überall klaffenden Lücken hinwegzusetzen. Wie der irische Held sich plötzlich in einem Nebel verirren kann und dann in die Traumwelt des jid-Volkes hineingerät, so verliert auch der Forscher sich in verwirrende Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, während der feste Boden der Tat­ sachen sich unter seinen Füßen in Treibsand verwandelt. Es ist deshalb verständlich, daß man auf diesem Gebiet Anschauungen begegnet, die einander schnurstracks zuwiderlaufen. Hier eine Reihe von persönlichen Göttern, dort aber eine unübersehbare Menge von lokalen Gott­ heiten ohne eine sie alle überwölbende und für alle keltischen Völker gültige Schar von großen göttlichen Mächten. Ja, es findet sich sogar die Ansicht, daß die Kelten eigentlich nur einen einzigen, aber recht schattenhaften und in sei­ nem Wirkungskreis kaum bestimmten großen Gott verehrt hätten, dessen Persönlichkeit und dessen Attribute sich durch den Kontakt mit der polytheisti­ schen Religion der Römer in mehrere Teile aufgesplittert hätten. Das widerstreitet so sehr allen unseren Anschauungen von den Götter­ systemen der anderen indogermanischen Völker, daß wir dieser Ansicht nicht beipflichten können. Wenn jedoch ein redlicher Forscher auf Grund des von ihm eingehend studierten Quellenmaterials zu einer solchen Meinung gelangt, so müssen wir wohl annehmen, daß hier eine Entscheidung über methodo­ logische Fragen nottut. Diesen wollen wir nicht aus dem Wege gehen. Ich bin der Meinung, daß wir bei der Wahl unseres Ausgangspunktes dar­ über im klaren zu sein bähen, um was es sich eigentlich handelt. An erster Stelle müssen wir genau zu bestimmen versuchen, welcher Art die Bevölkerung von Gallien und den britischen Inseln war. Dürfen wir sie als eine einheitlich keltische, d. h. als eine ursprünglich indogermanische Menschengruppe betrach1

A. Vorbemerkungen

ten, oder aber müssen wir hier mehrschichtige Volksgebilde und dementspre­ chend gewisse Unterschiede der religiösen Vorstellungen innerhalb dieser Völker annehmen? Ich werde deshalb an erster Stelle darstellen, wie ich mir den Aufbau der keltischen Völker denke1. Dann aber gilt es weiter, das Quellenmaterial auf seine Art und Beschaffen­ heit zu prüfen. W ir haben Nachrichten klassischer, besonders römischer Auto­ ren, daneben auch als Sagen der mythischen Vorzeit behandelte und deshalb stark entstellte Überlieferungen von Helden, in deren Geschichte an mandien Stellen ein mythischer Untergrund durchschimmert. W ir besitzen weiter eine Reihe von archäologischen Befunden, die uns einiges über den gallischen Kult erkennen lassen, vor allen Dingen aber eine große Menge von Inschriften und bildlichen Darstellungen aus der gallisch-römischen Zeit2. Es ist von vorn­ herein klar, daß Quellen so unterschiedlicher Art nicht auf derselben Ebene liegen. Es bedarf einer anderen Methode für die Erhellung einer Sage als für die Auswertung der bildlichen Darstellungen. Die Frage, ob man den Berichten der römischen Schriftsteller oder aber dem Bildmaterial größeres Zutrauen entgegenbringen soll, beherrscht die Forschung bis auf den heutigen Tag. Im allgemeinen überwiegt die Meinung, die Abbildungen seien zu bevor­ zugen, weil in diesen ja das Volk selbst seinen Glauben zum Ausdruck gebracht habe. Aber auch so werden wir von Anfang an Stellung nehmen müssen, denn man kann so verschiedene Dinge nicht in einen Topf werfen. In unserer christ­ lichen Welt finden wir nebeneinander einen dogmatisch festgelegten Glauben und eine Reihe von Volksbräuchen, die mit diesem Glauben gar nicht in Ein­ klang stehen. Das mahnt zur Vorsicht auch im Falle der keltischen Religion. Man wird hier trennen und unterscheiden müssen. Diese Fragen werden im dritten Kapitel behandelt. Dann aber wird auch klar werden, warum ich an den Anfang meiner Dar­ legungen die Berichte der römischen Schriftsteller setze und diese unmittelbar mit den irischen Überlieferungen in Einklang zu bringen versuche. Die galli­ schen Bilddarstellungen gehören auf ein anderes Blatt; sie lassen sich nur in wenigen Fällen mit den Daten der schriftlichen Quellen in unmittelbare Ver­ bindung bringen. Sie legen Zeugnis von einer durchaus anderen Glaubenswelt ab, die neben, vielleicht unter der aus den schriftlichen Quellen erhebbaren Religion zu liegen scheint. Deshalb behandle ich sie getrennt, erörtere jedoch, inwieweit dennoch einige Verbindungsfäden zwischen ihnen aufgedeckt wer­ den können. Dies sind für mich die wesentlichen Fragen. Deshalb stelle ich sie auch an den Anfang. Eine Behandlung des Kultes, des Totenglaubens, der Magie erfolgt erst danach, obgleich man sie gewöhnlich stark in den Vordergrund 1 Vgl. dazu meine Darlegungen in meinem Buch „Kelten und Germanen“, Bern 1960. 2 Vgl. G. Dottin, La religion des Gaulois, in: RHR XXXVIII, 1898, S. 136, über die ungenügenden Quellenzeugnisse für die keltische Religion. 2

A. Vorbemerkungen

rückt, vielleicht weil hier die Probleme weniger heikel zu sein scheinen. Immerhin werden wir auch dabei oft auf die Lückenhaftigkeit unserer Kennt­ nisse hinweisen müssen. In diesem Zusammenhang läßt es sich nicht ver­ meiden, sich manchmal mit den Meinungen anderer Forscher auseinander­ zusetzen, die zu einer abweichenden Vorstellung gelangt sind. Das gilt beson­ ders von der übertriebenen Bedeutung, die man dem magischen Aspekt der irischen Religion zugeschrieben hat. In methodischer Hinsicht möchte ich nachdrücklich hervorheben, daß die keltische Religion, wie sehr auch verändert und teilweise wohl auch zerrüttet, ihrem Grundzug nach aus indogermanischer Wurzel stammt. Es ist also immer zu prüfen, ob nicht der Vergleich mit den Glaubensvorstellungen der stamm­ verwandten Völker ein Licht auf religiöse Erscheinungen werfen könnte, die in der keltischen Überlieferung unklar hervortreten und uns manchmal sehr fremdartig anmuten. Das ist eine methodische Forderung, die, wie mir scheint, manchmal zu wenig berücksichtigt worden ist. Daraus erklären sich mehrere mißlungene Deutungsversuche, die nur mit den keltischen Quellen auszukom­ men bestrebt waren. Man muß hier immer dessen eingedenk sein, daß wir auf einem Trümmerfeld stehen. Erst wenn man von einer höheren Warte aus einen Überblick zu gewinnen versucht, kann man hoffen, an einigen Stellen klare Umrisse und Linien zu beobachten. Der große französische Keltologe Vendryes hat einmal gesagt3: „C’est ainsi qu’à mesure qu’on avance dans l’étude de la religion des Celtes, on a l’impres­ sion de poursuivre un objet qui recule sans cesse et se dérobe à toute prise. Ou s’il arrive qu’on réussisse à en saisir quelque chose, on n’a entre les mains qu’une enveloppe vide dont le contenu a fui sans recours.“ Wenn dem so wäre, würde es kaum der Mühe wert sein, sich mit diesen flüchtigen Nebelgebilden aufzuhalten. Aber die Überzeugung, daß es nicht ganz so schlimm mit den Problemen der keltischen Religion steht, hat mir den Mut gegeben, auch meinerseits einen Deutungsversuch vorzulegen. W ird er auch „une enveloppe vide“ sein?

3 Vgl. La religion des Celtes, in: Mana, 2. R., S. Bd. S. 250. 3

B. DAS V O L K S T U M D E R K E L T E N

Die Kelten sprechen eine indogermanische Sprache; sie gehören also zu der­ selben Gruppe wie die Germanen und die Römer, die Griechen und die Arier. In dem ganzen Gebiet, wo wir in historischer Zeit die Kelten angesiedelt finden, wird dieselbe Sprache gesprochen; wenn manchmal die schriftlichen Quellen fehlen, so liefern die Ortsnamen dafür ein beredtes Zeugnis. Das Wort dunum kommt in Gallien, Spanien, England und Pannonien vor; all­ gemein verbreitet sind auch durum, „befestigte Stadt“, magus, „Feld“, ritus „Furt“ L Daraus läßt sich auf ein einheitliches Volkstum schließen, das sich über große Gebiete Mittel- und Westeuropas ausdehnte und sogar bis nach Kleinasien vorgedrungen ist. An Hand der geschichtlichen Quellen können wir diese Verbreitung teil­ weise noch verfolgen. Aus den Berichten griechischer Historiker geht hervor, daß noch im vierten vorchr. Jahrhundert die Mittelmeerküste Galliens von Ligurern bewohnt wurde; die Kelten waren damals noch nicht so weit vor­ gedrungen. Aus den Argonautica des Apollonius von Rhodos erfahren wir, daß sie schon im fünften vorchr. Jahrhundert am Oberrhein und an der Ober­ donau saßen. Hier dürfen wir wohl das Ursprungsgebiet der Kelten suchen. Von hier aus sind sie in alle Himmelsrichtungen ausgeschwärmt, westwärts nach Frankreich, Spanien und den britischen Inseln, südwärts bis nach Nord­ italien, in die Gallia Cisalpina, nordwärts nach Böhmen, ostwärts durch Pannonien bis nach Griechenland und sogar nach Galatien. Einige dieser Wanderungen lassen sich zeitlich festlegen. Der Einbruch in Norditalien hat um 390 V. Chr. stattgefunden; die mit dem Namen des Brennus verbundene Ausdehnung in östlicher Richtung läßt sich dadurch näher bestimmen, daß im Jahre 279 Delphi von den Kelten geplündert worden ist. Die Verbreitung zur Mittelmeerküste hin fand etwa zwischen 350 und 218 v. Chr. statt. Alle diese Auswanderungen gehören also ins fünfte bis dritte vorchristliche Jahrhundert, d. h. in die La-Tène-Zeit. Damals waren die Kelten als Erben der illyrischen Hallstatt-Kultur im Besitz einer hochentwickelten Eisentechnik. Das zeigt sich nicht nur im Hinblick auf die Verarbeitung dieses Metalls, son­ dern nicht minder in einem hochwertigen künstlerischen Gestaltungsvermögen. 1 Vgl. La Religion des Celtes, in: Mana, 2. R., Ill, S. 241.

4

Karte 1: Die Expansion der Kelten

Mit dem Eisengewerbe blühte der Handel; der Besitz eiserner Waffen sicherte den Kelten auch eine militärische Vormachtstellung. Wenn aber ein Volk Jahrhunderte lang in Frieden und Wohlfahrt lebt, so vermehrt es sich stark; der überschüssige Teil der Bevölkerung mußte auswandern und sich eine neue Heimat erobern. Für die Ausdehnung nach Westen fehlen uns schriftliche Nachrichten; hier müssen wir also die Ergebnisse der Spatenforschung zu Rate ziehen. Es ist anzunehmen, daß, je weiter die von den Kelten besetzten Gebiete von der Urheimat im Rhein-Donau-Gebiet entfernt sind, diese um so später dorthin gelangt sein werden. Gallien-Spanien und Gallien-Britannien-Irland deuten solche Etappen an. Aber dabei ist immer zu erwägen, daß Volkssplitter manchmal über große Strecken hinweg durchbrechen können; das gilt von den Galatern genauso gut wie von den Kelten in Spanien. Die Archäologie gestattet uns einen Einblick in die Kulturentwicklung der Vorzeit. Wie wir die Träger dieser Kulturen benennen sollen, wissen wir nicht. Nur dort, wo eine vorgeschichtliche Kultur bis in die Zeit der schrifit5

B. Das Volkstum der Kelten

liehen Quellen hineinreicht, können wir Namen von bestimmten Völkern angeben; das ist nun eben bei der La-Tène-Kultur der Fall. Sie ist keltisch, und wo wir diese Kultur vorfinden, dürfen wir von Kelten sprechen, allenfalls ein Ausstrahlungsgebiet dieses Volkes vermuten. Es ist ja immer damit zu rechnen, daß Kulturen sich weit über das Volk, das sie ausgebildet hat, hinaus ausbreiten; der Schluß: dort, wo wir La-Tène-Gegenstânde finden, wohnten auch Kelten, ist nicht in allen Fällen zulässig. Während man früher dazu neigte, die Ausbreitung der Kelten in graue Vergangenheit zu verlegen, ist man heute in dieser Hinsicht sehr zurück­ haltend. Wenn La-Tène keltisch, Hallstatt aber illyrisch ist, dann ergibt sich hier eine Trennung, die ethnologisch bedeutsam ist. Deshalb neigt man dazu, die westliche Expansion ziemlich spät anzusetzen. Pittioni nimmt sogar an, daß die Kelten sich erst kurze Zeit vor dem Anfang der La-Tène-Periode, und zwar in Nordostfrankreich und im Hunsrück—Taunus-Gebiet, als selb­ ständiges Volk gebildet hätten*. Von dem Dreieck Seine—Marne—Rhein aus sollen sie dann allmählich weitere Gebiete erobert haben; so war der Weg nach Massilia verlockend, und hier drangen sie schon von 300 v. Chr. an bis an die Meeresküste vor; dagegen wurde Aquitanien kaum und erst spät berührt. Nach England wären die ersten keltischen Scharen im vierten vorchr. Jahr­ hundert aus der Champagne gekommen; über spätere Wanderungen wird noch zu reden sein *. Dieser Ansicht widerspricht eine andere, die annimmt, die Kelten hätten schon in der Bronzezeit (1800-1600 v. Chr.) den Rhein überschritten und sich in der Franche-Comté und Bourgogne, im Elsaß und in Lothringen angesiedelt4. Jedoch auch in diesem Fall rechnet man mit neuen Volksschüben, die das keltische Element verstärkt haben; in der La-Tène-Zeit soll Gallien aber eine homogene keltische Bevölkerung gehabt haben. Es ist nun freilich nicht ausgeschlossen, daß im Laufe mehrerer Jahr­ hunderte immer wieder neue Einwanderungen aus der keltischen Urheimat stattgefunden haben. Zwar zeigt uns erst die La-Tène-zeitliche Kultur in Ost­ gallien eine deutlich geprägte Eigenart, aber das schließt nicht aus, daß bereits in der Hallstattzeit, ja sogar schon in der Bronzezeit keltische oder sagen wir vorsichtiger: proto-keltisdie Volkselemente dorthin vorgestoßen sind. Um darüber Sicheres zu erfahren, müssen wir festzustellen suchen, ob sich in den keltischen Siedlungsgebieten in Westeuropa ihre Ankunft irgendwie zeitlich festlegen läßt. Dafür kommen neben Gallien also Spanien und die britischen Inseln in Betracht. 2 Vgl. Zum Herkunftsgebiet der Kelten, in: Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 233, Abh. 3 (1959). 3 Vgl. Rademadier in Eberts Reallexikon, VI, 281—284. 4 Vgl. A. Grenier, Les Gaulois, S. 60 ff. 6

B. Das Volkstum der Kelten

Die Untersuchungen des spanischen Archäologen P. Bosch-Gimpera haben diese Frage für die iberische Halbinsel gelöst5. Er hat nachgewiesen, daß seit etwa 1000 v. Chr. eine aus dem Norden kommende Einwanderung in Kata­ lonien stattgefunden hat. Diese macht sich durch Umenfelder bemerkbar, die er mit den .Kelten der Hallstattkultur* verknüpfen möchte. Diese Urnen­ felderleute werden allmählich von der iberischen Urbevölkerung westwärts abgedrängt. Daß wir tatsächlich von Kelten reden dürfen, schließt BoschGimpera daraus, daß Ortsnamen (mit der Endung -dunum) auf eine mili­ tärische Gewaltherrschaft keltischer Eroberer hinweisen. Diese Expansion scheint von der Rheingegend ausgegangen zu sein; sie hat auch beträchtliche Teile des Südwestens Frankreichs (Narbonne und Toulouse) überflutet. Das soll darauf hindeuten, daß schon in der Hallstattzeit aus dem Gebiete zwischen Rhein, Seine und Marne ein Menschenüberschuß ausgewan­ dert ist. Ob man jedoch das Recht hat, hier schon von Kelten zu reden, bleibt immerhin fraglich. Man kann die Urnenfelderleute nicht ohne weiteres als Kelten ansprechen; die Ortsnamen sind kaum ein Beweis, weil sie erst später aufgekommen sein können. Man muß weiter beachten, daß seit etwa 1100 v. Chr. auch England von einer neuen Volkswelle überflutet wird, die ebenfalls eine Urnenfelderkultur zeigt, allerdings bronzezeitlichen Charakters. Weil diese Leute aus dem nie­ derländischen und niederrheinischen Gebiet herstammen, müßte man daraus folgern, daß auch hier schon in so früher Zeit Kelten gewohnt hätten; das ist aber durchaus unwahrscheinlich. Die Urnenfelderkultur hat sich seit dem dreizehnten vorchr. Jahrhundert in Mitteleuropa entwickelt; man nimmt als Ursprungsgebiet Schlesien, die Lausitz und das Ostalpengebiet an. Die Träger dieser Kultur gehörten zu einer langköpflgen Rasse. Gewöhnlich verbindet man mit ihr den Namen der Illyrer, was natürlich nicht mehr besagen kann, als daß die später in dem­ selben Gebiet seßhaften Illyrer aus dieser Bevölkerung hervorgegangen sein werden. Diese vorhistorischen Menschen mit einem erst viel später aus der schriftlichen Überlieferung bekannten Namen zu benennen, ist leicht irre­ führend. Die Umenfelderleute breiten sich erstaunlich weit aus. Durch das Mainund Neckargebiet gelangen sie in die oberrheinische Tiefebene, dringen so­ dann bis zur Kölner Bucht vor, gelangen schließlich bis nach Holland und senden von dorther noch ihre Ausläufer nach Südostengland. Aber vom Ober­ rhein aus überfluten sie auch die Schweiz, dringen durch die burgundische Pforte in das Rhönetal und gelangen schließlich bis nach Katalonien. Fast überall zeigt sich, daß die Besitzergreifung einen durchaus politisch­ militärischen Charakter trug. Es hat sich also nur um eine Herrscherschicht 5 Ich fasse hier zusammen, was ich in meinem Buch „Kelten und Germanen“ (Biblio­ theca Germanica Nr. 9), Bern 1960, S. 22 ff., darüber ausgeführt habe. 7

B. Das Volkstum der Kelten

gehandelt, die auf ihren Burgen in der Mitte der alteingesessenen und unter­ worfenen Bevölkerung wohnte. Das bedeutet, daß die ethnische Struktur nicht wesentlich verändert wurde: solche Eroberer verschwinden nach einigen Jahr­ hunderten in der Masse der Einheimischen, die dann freilich die Kulturgüter, zuweilen sogar die Sprache ihrer Beherrscher übernommen haben. Je weiter der Einwandererstrom sich von seinem Ausgangspunkt entfernt, um so dünner fließen die Rinnsale. Was war noch wesentlich ,illyrisch' an jenen Auswandererscharen, die im Verlauf von zwei oder drei Jahrhunderten England erreichten? Überdies scheint es mir unstatthaft, Völker, die um 1000 V. Chr. lebten, schlankweg Illyrer oder Kelten zu nennen. Diese gab es damals allem Anschein nach noch gar nicht; es gab nur die Elemente, aus denen sie hervorgehen sollten. Das Gebiet, in dem dann schließlich die Kelten sich ausgebildet haben, wies in jener Zeit eine sehr gemischte Bevölkerung auf. Die Grundlage bildete das Hügelgräbervolk; es war in örtlich und zeitlich abgestufter Weise mit den sogenannten Urnenfelderleuten vermischt. Aber in ebendemselben Gebiet finden wir auch die Glockenbecherkultur, von der man annimmt, daß ihre Träger aus Spanien gekommen sind, weil wir hier eine Entwicklung dieser Becherform feststellen können. Man nimmt an, daß diese Leute Nomaden waren, die zu einer kurzköpfigen Rasse gehörten. Vielleicht sind sie ur­ sprünglich aus dem Osten gekommen, von wo aus so manche Nomadenvölker Europa überflutet haben. Aus der Verbindung des Glockenbechertypus mit der sächsisch-thüringischen Schnurkeramik entsteht die Mischform des Zonenbediers. Die Schnurkeramiker wiederum waren hochgewachsene Dolichokephalen. So hat sich die archäologische Forschung das Ergebnis der Aus­ grabungen zurechtgelegt. Wenn diese Anschauung richtig ist, so muß man daraus folgern, daß im Donauraum schon früh eine sehr gemischte Bevölke­ rung saß. In der Mitte dieser aus so vielen Elementen zusammengesetzten Bevölke­ rung entwickelte sich also das Keltentum. Die keltische Sprache beweist, daß zu seiner Bildung wesentlich indogermanische Elemente beigetragen haben. Ob diese auch zahlenmäßig überwogen oder ob sie das politisch-militärisch bestimmende Element waren, läßt sich nicht mit Sicherheit ausmachen. Wie sehr das neu sich bildende Keltentum aber auch mit anderen, ihrem Wesen nach durchaus nicht-indogermanischen Elementen vermischt war, so darf man dennoch wohl behaupten, daß die Herrscherschicht von ausgeprägt nordischem Typus war. Die klassischen Schriftsteller beschreiben die Kelten immer als hochgewachsene Menschen mit heller Haut und blondem Haar; daß man so lange keinen Blick für den Unterschied zwischen den Germanen und Kelten gehabt hat, beruht gerade auf der somatischen Gleichartigkeit der beiden Völker. Wenn ein so gewissenhafter Forscher wie Poseidonios die Ähnlichkeit 8

Karte 2: Gallien in der römischen Zeit der beiden Völker nachdrücklich betont, so muß das offenbar seinen Grund haben •. Die Überlegungen, die wir bisher angestellt haben, führen dazu, den Kel­ tennamen in vorhistorischen Perioden sehr zurückhaltend zu gebrauchen. Es ist sicher richtig, daß man erst in der Periode, in der sich die La-Tène-Kultur entwickelte, von eigentlichen Kelten sprechen d arf67. In den vorangehenden Zeiten mag es bereits Menschen gegeben haben, die einen wesentlichen Bei­ trag zur Ausbildung des Keltentums geliefert haben (ich möchte dann lieber von einer protokeltischen Bevölkerung sprechen), aber sie waren doch zu schwach, um dem Volkstum in Gallien und Britannien ihren Stempel aufzudrücken. 6 Vgl. ZU. Capelle, Die Germanen im Frühlicht der Geschichte, 1928, S. 60. 7 Vgl. 7. D. Kendrick, The Druids, S. 54. 9

B. Das Volkstum der Kelten

Damit gelangen wir zu der Frage, wie es mit der keltischen Besiedlung Britanniens beschaffen gewesen ist. Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil eben hier die Kelten sich am längsten, sogar bis heute, erhalten haben und weil wir hier die schriftlichen Zeugnisse vorfinden, aus denen wir ihre Reli­ gion, die Mythologie und die Heldensage kennenlemen. An den westlichsten Rand Europas sind die keltischen Wanderscharen wohl am spätesten gelangt. Erst nachdem Gallien besiedelt worden war und sich hier ein Bevölkerungsüberschuß gebildet hatte, konnte eine weitere Ausdehnung nach Britannien und Irland erfolgen. Das mahnt zur Vorsicht bei der Beurtei­ lung der Argumente, die man für eine schon sehr frühe Einwanderung ins Feld geführt hat. An erster Stelle pflegt hier die Trennung der Kelten in zwei Gruppen, je nachdem die alten Labiovelaren sich zu Labialen oder Gutturalen entwickelt haben, geltend gemacht zu werden. Man spricht deshalb von P- und Q-Kelten; zu der ersten Gruppe gehören neben den Galliern die britannischen Völker (davon sind uns die kymrische Sprache in Wales, die bretonische in der Bre­ tagne, die komische in Cornwall bekannt). Das in Irland gesprochene Gälische oder Goidelisdie zeigt aber Gutturale (ir. cethir neben gall, petor, vgl. lat. quattuor). Denselben Unterschied finden wir in den italischen Sprachen: also qu im Lateinischen neben p im Oskisch-Umbrischen. Diese gleichartige Be­ handlung der Labiovelaren gab neben anderen Übereinstimmungen89die Ver­ anlassung dazu, eine keltisch-italische Spracheinheit anzunehmen, die sich innerhalb des Indogermanischen ausgebildet haben sollte. Weil nun sowohl das Keltische als auch das Italische diese doppelte Behandlung des Labiovelars kennen, folgerte man, daß die Spaltung in P- und Q-Leute schon in der Zeit der kelto-italischen Einheit vor sich gegangen sei. Das würde uns also weit in die vorgeschichtliche Zeit zurück führen. Heutzutage ist man in der Be­ urteilung solcher sprachlichen Erscheinungen wohl vorsichtiger geworden. All­ gemein schon ist zu erwägen, daß nicht die einheitliche Sprache, sondern eben die Dialekte allerorts am Anfang stehen8. Einige #-Reste im gallischen Gebiet (Sequana, der Monatsname Equos auf dem Coligny-Kalender) dürften darauf hinweisen, daß der Übergang zu p erst ziemlich spät erfolgt sein w ird10. Weil Pytheas den Namen üpexavoi verwendet, kann man diesen Lautübergang etwa in das vierte vorchr. Jahrhundert ansetzen11. Nun ist jedoch weiter zu beachten, daß die labiovelaren Laute, wie Vendryes bemerkt 8 Z. B. auch der Gen. i der ö-Stämme, das Superlativsuffix -smmo, das 5-Futurum, die mediopassiven r-Endungen. Vgl R. von Kienle, Wörter und Sachen, XVII, 1936, S. 98-153. 9 Vgl. J. Vendryes, Revue Celtique, XLII, 1925, S. 379—390, und F. Altheim, Epo­ chen der römischen Geschichte, 1934, S. 20. 10 Vgl. darüber L. Weisgerber, in: RGK XXXI, S. 184—185. 11 Vgl. O'Rahilly, Early Irish History and Mythology, 1946, S. 429, Fußnote 2. 10

B. Das Volkstum der Kelten

h a t1213, „par définition instables“ sind und sich also zu jeder Zeit leicht wandeln können; man denke nur an ihre Behandlung im Griechischen. W ir können also nur feststellen, daß das Goidelisdie hier eine andere Lautform zeigt als das Britannische und Gallische, und weiter, daß die Vorfahren der Iren vom Kontinent eingewandert sind, als sich das indogermanische k» noch nicht ge­ wandelt hatte. Auch die fabelhafte Urgeschichte, die das irische Lebor GabMa enthält, führt uns nicht weiter. Die heutigen Bewohner Irlands, die Milesier genannt werden, sollen aus Spanien nach Ir­ land gekommen sein. Eine frühere Invasion brachte die Fir-Bolg, die FirDomnann und die Gaileoin herzu. Das sind hier aber historische Stam­ mesnamen; man darf sie mit den Bel­ gae und den Dumnonii aus Casars Zeit gleichsetzen. Das Lebor GabMa soll, wie man jetzt annimmt, erst um 1170 entstanden sein; daraus ergibt sich schon, wie wenig man seinen größtenteils auf gelehrter Konstruk­ tion und Phantasie beruhenden Mit­ teilungen trauen darf. So bleibt uns am Ende doch wie­ Karte 3: Irland nach Ptolemaios der die Archäologie als die sicherste Quelle, aus der wir schöpfen können. W ir bemerkten schon, daß wir die bronzezeitliche Urnenfelderkultur nicht als eine keltische ansprechen dürfen; höchstens kann von protokeltischen Ele­ menten die Rede sein. Aber auch in dem hypothetischen Fall, daß damals wirklich schon ,goidelische‘ Volksteile Irland erreicht hätten, könnte ihre Zahl naturgemäß nur sehr klein gewesen sein. Während der Hallstattzeit ist Irland von neuen Einwanderungen verschont geblieben. Erst in der La-Tène-Zeit rollt eine durchgreifende neue Besiedlungswelle heran, und jetzt zweifellos eine keltische. Man verlegt sie im allgemeinen ins vierte vorchr. Jahrhundert. Ausgangsgebiet ist natürlich Gallien; Pokorny vermutet12 das Gebiet der Loire und Garonne, wozu aber zu bemerken ist, daß auch hier die Kelten nur eine örtlich nicht einmal starke Oberschicht gebildet haben. Ich möchte deshalb vielmehr an eine Auswanderung aus dem stärker bevölkerten Seine-MarneGebiet denken. Es können aber auch noch spätere Zuwanderungen stattgefun­ den haben; so nennt die klassische Oberlieferung an der Ostküste Irlands die 12 A.a.O.

13 In Eberts Reallezikon, VI, 299. 11

Karte 4: Britannien in der römisdien Zeit Stämme der Manapii und Cauci; man möchte dabei an die Menapii an der bel­ gischen Küste und die germanischen Chaudii (damals noch mit k gesprochen) an der deutschen Bucht denken. Dann hätten sogar germanische Elemente zu der Entstehung des irischen Volkes beigetragen, und man müßte weiter fol­ gern, daß schon in dieser Zeit Kelten und Germanen einander in gleichartigen Unternehmungen trafen. Britannien, das dem Kontinent näher liegt, hat anscheinend eine noch bewegtere Geschichte gehabt. Etwa im vierten vorchristlichen Jahrhundert wandert ein Volkselement ein, das sich auf der Stufe der Spät-Hallstattkultur befindet und mit der Bevölkerung der niederrheinischen Tumuluskultur eng zusammenhängt. Darunter scheinen ebenfalls germanische Volkssplitter ge­ wesen zu sein, wie man aus dem Vorkommen des sog. Harpstadtstiles ge­ folgert hat. Diese Einwanderer verbreiten sich von der Themsemündung aus über große Teile Englands und gelangen im Norden bis nach Scarborough. Die Errichtung von Ringwällen weist auf eine kriegerische Art der Besiedlung hin. Kaum aber hat sich dieser Zustand stabilisiert, so treten schon wieder neue Scharen auf, die jetzt im Besitz einer vollausgebildeten La-Tène-Kultur sind. Die Skelettbestattung und der Kriegswagen zeigen enge Verwandtschaft 12

B. Das Volkstum der Kelten

mit der Marnekultur. Man gewinnt den Eindrude, daß die Ausbildung und die schnell erfolgende Expansion der Kelten die Urnenfelderleute abgedrängt hat; sie sind den Unterrhein entlang zur Nordseeküste gezogen und dann weiter nach England hinübergefahren; bald danach aber haben auch schon die Kelten denselben Weg in ihrem Ausbreitungsdrange gewählt. Die letzte Welle vermeidet diejenigen Gebiete, die von den Urnenfelderleuten bereits in Besitz genommen waren; sie richtet sich auf Ostanglien und Ostschottland und dehnt sich von dort sogar bis zur Westküste Englands aus. Die beiden Einwanderergruppen werden miteinander die Insel geteilt haben. Von einer geschlossenen Besiedlung kann aber kaum die Rede gewesen sein; diese Bri­ gantes können nicht mehr als eine Herrscherschicht gebildet haben, die die Urbevölkerung unterjocht hatte. Endlich landeten im Anfang des ersten vorchr. Jahrhunderts Belgae in Kent, die sich über einen großen Teil Südost­ englands ausdehnten; bald folgte noch eine zweite Welle, die Wessex über­ flutete. Die Ursache dieser neuen Einwanderung sieht man in der Beunruhi­ gung, die die Züge der Kimbern und Teutonen in Nordgallien erregt haben. Aber auch die frühere Auswanderung aus Gallien darf man wohl darauf zurüdeführen, daß in der letzten Hälfte des ersten vorchr. Jahrhunderts die Germanen sich anschickten, den Niederrhein zu überschreiten, und damit einen starken Druck auf die Bevölkerung Nordgalliens ausübten. Ich bin mir dessen bewußt, wie unsicher die Schlußfolgerungen aus den Ergebnissen der Archäologie sind. Wenn ich dazu neige, die keltische Ein­ wanderung in England und Irland erst um 400 v. Chr. anzusetzen, so schließt das an sich die Möglichkeit nicht aus, daß schon in früherer Zeit (proto-)keltisdie Elemente aus Westeuropa eingewandert sind. Das hat allerdings wenig Bedeutung für die Fragestellung, die uns zu diesen Erörterungen veranlaßte, weil es sich dabei nur um eine geringe Anzahl von Menschen, die sich mit der Urbevölkerung vermischten, gehandelt haben kann. Denn auch von den spä­ teren, deutlich als keltisch greifbaren Einwanderungen gilt, daß eine Herr­ scherschicht eine immer noch die Mehrzahl des Volkes bildende Urbevölke­ rung unterworfen hat. Wenn schon in Gallien neben den eigentlichen Kelten zahlreiche ältere Elemente weiterbestanden haben, um wieviel mehr muß das auf den britischen Inseln der Fall gewesen sein! Pokorny hat einmal gesagtu : in Irland gebe es nur mehr sehr wenige echte Kelten; sie seien infolge des erschlaffenden Klimas ausgestorben. Aber sollte man nicht viel eher sagen: es hat immer nur wenige Kelten in Irland gegeben? Das Klima, wenn auch sehr feucht, hat ihnen nicht geschadet; die Masse der alteingesessenen Be­ wohner hat sie allmählich aufgesogen. Für die Beurteilung der keltischen Religion sind die oben angestellten Er­ örterungen von großer Bedeutung. Wenn die keltische Besiedlung West-14 14 In den Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, XXXIX, 1909, S. 108. 13

B. Das Volkstum der Kelten

europas erst in den letzten fünf vorchristlichen Jahrhunderten stattgefunden hat oder allenfalls im wesentlichen durchgeführt worden ist, wenn überdies, wie das in England und Irland der Fall war, immer wieder neue Volksschübe hinzugekommen sind, dann dürfen wir wohl annehmen, daß sich in der römischen Zeit die alten religiösen Vorstellungen der keltischen Oberschicht noch in ziemlich reiner Form erhalten hatten. Denn diese Herrscher hatten alle Veranlassung, ihre angestammte Eigenart inmitten der fremdrassigen Bevölkerung mit der größten Sorgfalt zu hüten. Die Goidelen und Britannier, die aus Gallien gekommen waren, hatten auch von dorther ihre Glaubens­ formen mitgenommen. Wenn wir also Übereinstimmungen feststellen können (die Priesterschaft der Druiden, der gallische Gott Lugus neben irisch Lug), so sind sie für uns besonders wertvoll, weil sie einen Beweis dafür liefern, wie gut sich die Überlieferungen erhalten haben können. Für eine zuweilen deutlich ausgesprochene Skepsis im Hinblick auf die Erhaltung des ursprüng­ lichen Glaubens besteht also kaum Veranlassung. Wenn sich trotzdem be­ trächtliche Unterschiede feststellen lassen, so darf auch das uns nicht irre machen. Wenn ein Volk sich in einem andern Lande unter neuen Verhält­ nissen einrichtet, so treten naturgemäß Änderungen auf. Die Kelten an der Marne und Seine waren ein Binnenlandvolk; auf den britischen Inseln aber lernten sie den Ozean kennen. Ebensowenig darf man sich zu sehr davon beeindrucken lassen, daß alte Namen verschwinden und neue auftreten; das ist auch bei anderen indo­ germanischen Völkern festzustellen. Die Hauptsache ist ja immer, ob die Göttergestalten selbst, und zwar in ihrem gegenseitigen Verhältnis, noch ihre alte Bedeutung beibehalten haben. Die große Schwierigkeit ist eben, wie wir nachher noch sehen werden, daß die Art der Überlieferungen so unterschied­ lich ist: in Gallien Inschriften mit Götternamen, aber keine Mythen, in Irland Mythen, aber keine Inschriften. Zuweilen können durch spätere Ereignisse Umgestaltungen eingetreten sein. Das war in Wales der Fall. In den Mabinogion lassen sich die dunklen Spuren alter Mythen vermuten; es ist aber nicht sicher, daß diese mythischen Erzäh­ lungen ursprünglich kymrisch waren. Denn am Ende des dritten nachchr. Jahr­ hunderts haben sich in aufeinander folgenden Wellen irische Einwanderer in Wales angesiedelt: Gebiete wie Anglesey, Caernarvonshire, West-Merioneth und Pembrokeshire hatten damals sogar eine überwiegend irischsprechende Bevölkerung15. Das hat sich auch in der Literatur ausgewirkt. Es ist deshalb sogar behauptet worden, daß der an der Severn bezeugte Gott Nodons in einer irischen Siedlung verehrt worden ist und daß man ihn also gar nicht als einen britannischen Gott betrachten dürfe. 15 Vgl. H. Zimmer, Auf welchem Wege kamen die Goidelen vom Kontinent nach Irland?, Kuno Meyer, in: Transactions of the Honourable Society of the Cymmrodorion, 1895—6, und Miss C. O’Rahilly, Ireland and Wales, S. 1—34. 14

B. Das Volkstum der Kelten

Die Art der keltischen Besiedlung außerhalb ihres Ursprungsgebietes macht es wahrscheinlich, daß die Kelten fast überall in der Mitte einer allogenen Bevölkerung gelebt haben. Man muß deshalb mit Mischungen rechnen: wir hören ja von Keltiberern, Kelto-Skythen, Kelto-Thrakern, in Irland von GallGaedhil. Inwieweit sind wir anzunehmen genötigt, daß die keltische Tradition von dieser Masse der andersartigen Einheimischen beeinflußt worden ist? Dabei ist zu beachten, daß die keltischen Herrenschichten sich in den meisten Fällen scharf von der Urbevölkerung abgesetzt haben werden. Cäsar spricht in Gallien von den Druiden und den Equites; daneben nennt er eine miserrima plebs, anscheinend eine entrechtete Unterschicht, die wohl hauptsächlich aus den Eingeborenen bestanden haben wird. Es gab also noch zu seiner Zeit eine scharfe Trennung, und alles spricht dafür, daß die herrschenden Klassen sich damals noch in ihrer rassischen Reinheit erhalten hatten. Es ist aber selbstverständlich, daß im weiteren Verlauf der Zeit sich dieser Zustand nicht hat erhalten können. Dort, wo wir, wie in Irland, die Kelten als eine zahlenmäßig kleine Minderheit betrachten dürfen, liefen sie Gefahr, schließlich in der Urbevölkerung aufzugehen. Dazu gaben schon Mischheiraten Veranlassung. Wichtiger war jedoch noch, daß die Herrenschicht sich in den unaufhörlichen Kleinkämpfen untereinander auf die Dauer aufreiben mußte1*. Das war auch in Gallien der Fall. Hier bildete aber in Gäsars Zeit die kel­ tische Herrscherschicht noch eine strenggehütete und geschlossene Gemein­ schaft. Nach der römischen Eroberung büßte sie ihre vorherrschende Stellung ein. W ir beobachten, wie diese alte Adelsschicht allmählich zurücktritt und sich an ihre Stelle ein Geldadel schiebt, der nichts weniger als rein keltisch ge­ wesen sein wird. Mit dem Oberhandnehmen seines Einflusses sind sicher auch unkeltische Glaubenselemente an die Oberfläche gekommen. W ir werden noch Gelegenheit haben, dieses an den Inschriften und den plastischen Darstellungen der nachchristlichen Jahrhunderte zu beobachten. Sobald wir aber festzustellen versuchen, auf welche Art und Weise diese allogenen Elemente auf die Glaubensformen Einfluß ausgeübt haben, stoßen wir auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Seit dem Paläolithikum wohnen ja Menschen in Westeuropa. Wieviele neue Elemente sind später in der Jung­ stein- und in der Bronzezeit hinzugekommen?! Von woher sind sie gekommen? Wieviele verschiedene Rassen haben das Antlitz dieser gallischen Bevölkerung bestimmt? Namen wie mediterrane oder westische Rasse sagen uns nicht viel; 16 A. G. van Hamel, Aspects of Celtic Mythology, 1934, behauptet sogar, daß in einer Bevölkerung, die ihre alte Heimat verlassen hatte und sidi dann nachher in Britannien ansiedelte, die Religion verschwinden und auf eine primitivere Schicht (d. h. eine magische) zurücksinken mußte. Eine allgemeine Regel dürfte das aber kaum sein. Auf Island war es wenigstens nicht so. Es ist ja auch möglich, daß die Einwanderer, um ihr Volkstum zu wahren, sich gerade an ihren angestammten Überlieferungen festgeklammert haben; dazu gehörten dann natürlich ihre reli­ giösen Vorstellungen. 15

B. Das Volkstum der Kelten

in bezug auf den Glauben dieser Menschen besitzen wir keine genügenden Andeutungen, denn archäologische Zeugnisse offenbaren uns zwar etwas von ihrer materiellen Kultur, aber nur sehr wenig über ihre geistige Welt. Das meiste erfahren wir noch über Totenkult und Totenvorstellungen; im Hin­ blick auf die eigentlichen Glaubensformen bleiben wir in Allgemeinheiten, wie etwa in der Annahme einer großen Fruchtbarkeitsgöttin oder in der Ver­ ehrung von theriomorphen Gottheiten, stecken. Damit ist uns jedoch nur wenig geholfen. Ja, man könnte sagen, eben dasjenige, was uns in der spä­ teren gallischen Religion fremdartig und deshalb auch unkeltisch anmutet, könnte ein Zeugnis dieser früheren Kulturen sein, die wir daraus vielleicht besser als aus den archäologischen Befunden kennenlernen. Jedoch auch in diesem Fall können wir nur zu unsicheren Ergebnissen gelangen. Mein Hauptanliegen wird also sein, dasjenige aus der Überlieferung her­ vorzuheben, was als sicheres Zeugnis für die keltische Religion gelten darf; was darüber hinausgeht, was also zum vorkeltischen Substrat zu rechnen sein dürfte, kann erst an zweiter Stelle unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Denn es zeigt uns nur den keltischen Glauben in seiner Verfalls­ periode, als die älteren allogenen Elemente ihn zu überwuchern beginnen.

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C. D IE Q U E L L E N Z E U G N I S S E FÜR DIE KELTISCHE R E L IG IO N

Man hat oft darüber geklagt, daß die Quellen für die keltische Religion so außerordentlich dürftig sind. Sie sind überdies sehr disparat. Manchmal be­ schleicht uns ein beunruhigender Zweifel an dem Wert bestimmter Quellen. Es gibt zwar auch vollkommen zuverlässige Zeugnisse; diese sind jedoch manchmal kaum deutbar. Verglichen mit dem, was wir über die germanische Religion erfahren, sind unsere Kenntnisse auf gallischem Gebiet sehr viel bescheidener. Für Gallien haben wir zwei Arten von Zeugnissen: Bemerkungen der klassischen Schriftsteller und eine große Menge von Inschriften und plasti­ schen Monumenten. Weit davon entfernt, einander zu berichtigen und zu vervollständigen, zeigen sie in den meisten Fällen erhebliche Unterschiede. Es wird uns dabei zumute, als kämen wir aus der einen in eine andere, uns vollkommen fremdartig anmutende Welt hinein. Man hat eine stattliche Reihe von Zeugnissen aus den klassischen Autoren gesammelt. Leider sind darunter nur wenige Quellen erster Hand. Antike Verfasser, die über die Ethnologie oder Religion barbarischer Völker schrei­ ben, begnügen sich in den meisten Fällen damit, ältere Autoren auszuschreiben. Immer wieder werden wir auf Poseidonios von Apamea zurückverwiesen, der im zweiten vorchr. Jahrhundert seine enzyklopädischen Kenntnisse in mehre­ ren Werken mitgeteilt hat, die uns leider fast ganz verloren gingen; man hat wohl gesagt, eben weil er so fleißig ausgeschrieben worden ist. Höchst be­ dauernswert ist der Verlust eines großen Geschichtswerkes, das Polybios fort­ setzte und das mit zahlreichen ethnographischen Exkursen ausgestattet war. W ir kennen es nur aus Exzerpten in späteren Werken. Darunter ist besonders Timagenes zu nennen, aus dem wieder Strabo und Ammianus geschöpft haben. Übrigens bezieht sich, was wir aus dieser Traditionslinie erfahren, nur aus­ nahmsweise auf die eigentliche Religion; besonders dankenswert sind jedoch die Bemerkungen über die Druiden und die Jenseitsvorstellungen. Erst gegen Ende des vorchr. Jahrtausends kamen die Römer in engere Be­ rührung mit den Galliern. Die Eroberung Galliens durch Cäsar gab dann Gelegenheit, persönliche und genauere Erfahrungen zu sammeln; leider hat der römische Einfluß das nationale Eigenleben schnell verkümmern lassen. Bekanntlich hat Cäsar im sechsten Buch seiner Kommentarien der gallischen 17

C. Die Quellenzeugnisse für die keltische Religion

Religion einige Kapitel gewidmet. Es wirkt zunächst beunruhigend auf uns, daß wir auch hier deutliche Spuren von Poseidonios finden. Gibt Cäsar also doch nicht eigene Beobachtungen? Es ist freilich zu erwarten, daß Cäsar, ehe er das gallische Wagnis unternahm, sich in den Werken früherer Autoren über die Lebensart und die Sitten der Gallier orientiert haben wird. Cäsar nennt, und sicherlich aus eigener Erfahrung, eine Reihe von gallischen Gottheiten, die er allerdings, wie es damals üblich war, mit römischen Namen bezeichnet. An erster Stelle steht Mercurius, dann kommen Apollo, Mars, Jupiter und Minerva. Man kann das gewissermaßen eine Tarnung nennen; die Unterschiede zwischen den gallischen und römischen Göttern werden durch eine solche globale Identifikation verschleiert. Seit G. Wissowa über diese interpretatio romana gehandelt h a t*, ist immer wieder Zweifel an ihrem W ert laut geworden. Mercurius an erster Stelle, bedeutet das nicht, daß hier Kaufleute ihre Erfahrungen vermittelt haben? Wissowa weist darauf hin, daß diese Umbenennungen gallischer Gottheiten den Tatbestand wiedergeben, der sich im lebendigen Verkehr der Römer mit den Galliern herausgebildet hatte. Dann werden zweifellos Kaufleute dabei eine wirksame Rolle gespielt haben. Sie sind jedoch für ethnographische Tat­ sachen nicht sehr zuverlässige Berichterstatter. An Glauben und Kult werden sie nur beiläufig interessiert gewesen sein, sie vielleicht sogar zum Anlaß genommen haben, Greuelmärchen zu verbreiten, die ihre Wirksamkeit in einem barbarischen Lande als recht gefährlich darstellen und damit auch etwaige Konkurrenten absdirecken sollten. Bei einer Gelegenheit aber werden sie in unmittelbaren Kontakt mit den gallischen Göttern gekommen sein, und zwar bei ihren Handelsgeschäften, die wohl durch einen Treuschwur bekräf­ tigt wurden. Trat ihnen dabei auf gallischer Seite irgendein Gott gegenüber, so hatten sie alle Veranlassung, an einen Merkur zu denken. Wären die Kaufleute die einzigen Berichterstatter gewesen, so könnten wir von diesen Mitteilungen nicht viel erwarten. Falls Cäsar darauf seine Mit­ teilungen gegründet hätte, wären sie ziemlich wertlos. Vendryes glaubt sogar, daß alles, was wir aus klassischen Texten hervorholen, durch Leichtsinn oder Unkenntnis verzerrt oder gar mit Vorsatz, einer Mode oder einem Vorurteil zuliebe, umstilisiert worden ist123. Leichtsinn und Unkenntnis Cäsar zu unterstellen, dürfte zu weit gehen*. Ihm mußte viel daran gelegen sein, genaue Informationen über seine Gegner zu bekommen. Er sollte in seinen Commentarii, die, das wußte er, in Rom 1 Vgl. Archiv für Religionswissenschaft, XIX, 1916—1919, S. 1—49. 2 Vgl. La Religion des Celtes, in: Mana, 2. R., Bd. 3, S. 251. 3 Ein häufig ausgesprochener Vorwurf, vgl. noch G. Dottin, Manuel pour servir à l’étude de l’antiquité celtique, 1906, S. 224. Cäsar soll von den Göttern nur eine „physionomie incomplète sinon inexacte“ gegeben haben. So auch noch M.-L. Sjoestedt, Gods and Heroes of the Celts, 1949, S. 20. Positiver urteilte schon J. "toutain, Les cultes païens dans l’Empire Romain, III, 1921, S. 197. 18

C. Die Quellenzeugnisse für die keltische Religion

mit scharfer Kritik gelesen wurden, nur so oberflächlich darüber geplaudert haben? Es gab neben ihm dort viele andere, die aus persönlichen Erfahrungen schöpfen konnten: Offiziere und Soldaten, politische und administrative Beamte, die sogleich die Phantasien Casars aufgedeckt hätten. Ich möchte annehmen, daß er das Gerede der Kaufleute nicht besonders wichtig genommen hat. Man muß fragen: gab es für Cäsar irgendeine Ver­ anlassung, sich mit dem Glauben der Gallier eingehend zu beschäftigen? Die Antwort kann nicht zweifelhilft sein. In einer Zeit, in der fast alle öffentlichen und privaten Angelegenheiten einen religiösen Aspekt hatten, konnte man nicht umhin, darauf immer wieder Bezug zu nehmen. Man denke an die evocatio! Der römische Feldherr lockte die Götter einer belagerten Stadt her­ aus, indem er ihnen einen Tempel und einen Kult in Rom versprach. Bei der metikulösen Art der römischen Glaubenshandlungen muß man erwarten, daß der Feldherr sich genau darüber orientiert hatte, welche Götter er —und be­ sonders mit welchen Namen —evozieren mußte. Und Cäsar hätte sich mit dem Geschwätz von Kaufleuten begnügt? W ir müssen die Frage stellen, ob Cäsar Gelegenheit gehabt hat, Erkundi­ gungen über den Glauben der keltischen Völker einzuziehen. Jedenfalls hatten die Römer schon jahrhundertelang mit diesen in enger Berührung gestanden. Denn bereits am Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts wurde die Küste des Mittelmeers von ihnen erobert; schon 118 wurde die Provinz Gallia Narbonensis organisiert. Hier wußte man gewiß genau Bescheid über die Lebensart der dort wohnenden keltischen Stämme. Als Cäsar seinen Gallienzug antrat, war er proconsul der Gallia Cisalpina. Das war aber auch keltisches Gebiet, das in harten Kämpfen erst im Anfang des zweiten Jahrhunderts romanisiert worden war. Wie sehr hatte man hier Gelegenheit gehabt, diese Kelten aus der Nähe kennenzulemen! Hier haben die Römer feststellen können, wie sich ihre eigenen Götter zu denen der Kelten verhielten; die interpretatio romana muß sich schon hier bewährt haben. Die Verhältnisse der Cisalpina auf die Transalpina zu übertragen, dürfte nicht schwer gewesen sein. Ein Fehlschluß war kaum zu erwarten. Denn dort und hier wohnten Stämme gleicher Art, ja sogar dieselben Völker, wie die Boii und die Senones. Spricht man von einem Vorurteil, durch das Cäsar befangen gewesen sei, dann bestand dieses doch bloß darin, daß er vielleicht vorschnell geneigt war, Gallien mit der Cisalpina gleichzusetzen und seine Aufmerksamkeit also zu wenig auf die Unterschiede zu lenken. Es fragt sich nur, ob diese tatsächlich so groß gewesen sind, als daß dadurch sein Bild hätte verzeichnet werden können. W ir haben also alle Veranlassung, Cäsars Bemerkungen über die gallischen Götter ernst zu nehmen4. Es ist bemerkenswert, daß er zwar römische Namen 4 Diese Bemerkungen sind ein Auszug aus einem Aufsatz in der Festschrift für W. Krause, 1960, S. 204—213: Die Interpretatio Romana der gallischen Götter;

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C. Die Quellenzeugnisse für die keltisdie Religion

nennt, diese aber in einer durchaus unrömischen Reihenfolge mitteilt: Mercu­ rius an erster und Jupiter an vierter Stelle! Schon dies dürfte beweisen, daß er hier einen Merkur und einen Jupiter im Auge hat, die sich sehr von seinen eigenen Göttern unterschieden. Casars Mitteilungen müssen mit der größten Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen werden; auch wenn sie in mancher Hinsicht nicht zu den epigraphischen und plastischen Tatsachen zu stimmen scheinen, sollten wir nicht von vornherein die Mitteilungen des römischen Feldherrn als unrichtig verdächtigen. Er hat die Gallier besser gekannt als wir. Drei Zeilen in dem Gedicht De bello civili, das Lucanus in der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts geschrieben hat, haben ebenfalls eine Sintflut von kritischen Bemerkungen hervorgerufen. Darin spricht er von drei keltischen Gottheiten, die er mit den einheimischen Namen bezeichnet: Teuta­ tes, Esus und Taranis. W ir würden mit dieser Mitteilung wenig anzufangen wissen, hätten nicht die Scholia (die sog. Commenta Bernensia), die aus der Zeit zwischen dem vierten und neunten Jahrhundert stammen, etwas Näheres darüber ausgesagt. Leider gibt es hier Widersprüche; vielleicht mögen auch Fehler unterlaufen sein. Sie als spätere Mutmaßungen zu verdächtigen, würde jedoch zu weit gehen; wir sollten sie immerhin mit Vorsicht benutzen. Man hat bemerkt, daß diese Götter keinesfalls von allen gallischen Stäm­ men verehrt worden seien, sondern nur in dem Gebiete zwischen der Seine und der Loire5; denn Lucanus spricht von Treverern und Lingonen. Das aber braucht ihre allgemeine Gültigkeit nicht auszuschließen; wenn von den Sach­ sen Götter erwähnt werden, ist es nicht unvernünftig, ihr Bekanntsein auch bei anderen norddeutschen Stämmen anzunehmen. Daß nur drei Namen von Lucanus angeführt werden, darf nicht dahin aus­ gelegt werden, daß sie eine Dreiheit gebildet hätten®. Triaden kommen zwar bei den Kelten häufig vor, aber das besagt für die Bemerkung des römischen Dichters nicht viel. Lukan wollte mit einigen barbarischen Namen prunken; welche er dazu auswählte, wird durch mancherlei Umstände bedingt gewesen sein: schon die Form des Hexameters erlaubte nicht die Aufnahme aller bar­ barischen Namen. Unsere Aufgabe besteht also darin, zu versuchen, diese gallischen Namen mit den römischen der interpretatio romana in Einklang zu bringen. Dabei wird ihre inschriftliche Bezeugung eine wichtige Stütze sein können. Hier zeigen sich jedoch wieder die großen Schwierigkeiten, die ständig mit der Erforschung der keltischen Religion verbunden sind. Wenn die Commenta vgl. auch H. Gaidoz, Artikel „Gaulois* in der „Encycplopédie des Sciences reli­ gieuses* von Lichtenberger, 1878, V, 430. 5 Vgl. S. Reinadi, RC X V III, 1897, S. 137 ff., und P. M. Duval, RHR CXLV, 1954, S. 9. 6 Vgl. Ch. Renel, Les religions de la Gaule, in: Annales du Musée Guimet, X X I, 1906. 20

C. Die Quellenzeugnisse für die keltisdie Religion

Bernensia zu der Lukanstelle das eine Mal Teutates mit Mercurius, das andere Mal aber mit Mars gleidisetzen, so weist das nur darauf hin, daß die hier vor­ liegende Tradition höchst unsicher war. Es ist aber zu beachten, daß wir die­ selbe Unsicherheit auch in den Inschriften vorfinden: so wird der Gott lovantucarus in Trier mit Mars, in Tholey aber mit Mercurius gleichgesetzt; Cocidius ist in England ein Mars, in einer Inschrift bei Housesteads hingegen Silvanus; Smertrius soll in einer Inschrift in Möhn gleich Mars sein, in Bre­ genz aber wird er mit Dis Pater gleichgesetzt. Man möchte aber doch meinen, daß die Leute, die diese Inschriften setzten, sehr wohl wußten, welchen Gott sie damit verehren wollten. Woher stammt diese Unsicherheit in der interpretatio romana? Es sind dabei mehrere Umstände in Erwägung zu ziehen. Schon in dem Charakter der römischen Götter lag ein Element der Unsicherheit. In der Kaiserzeit waren die alten römischen Götter weitgehend griechisch übertüncht worden: ein Mer­ kur war in mancher Hinsicht auch ein Hermes oder eine Minerva zugleich eine Athena. Dadurch hatten diese Götter kein scharfes Profil mehr und konn­ ten deshalb zu sehr verschiedenen Identifikationen Anlaß geben. Noch etwas anderes kommt hinzu. Das gallische Göttersystem war natürlich mit dem römischen nicht identisch. Es konnten deshalb wohl einige Haupt­ merkmale zueinander stimmen; daneben gab es auch andere, in denen die Götter sich unterschieden. Je nachdem welche bestimmte Seite des Gottes der Dedikant hervorkehren wollte, konnte die Identifikation anders ausfallen. Daraus ergibt sich, daß man Gleichsetzungen dieser Art nicht zu ernst nehmen darf. Oft hat man darüber gestritten, ob ein gallischer Gott nun eigentlich diesem oder jenem römischen Gott entspreche; es kann aber Vorkommen, daß er mit zwei römischen Gottheiten Berührungspunkte h a t7. Wenn lovantucarus sowohl Mars wie Mercurius bedeuten kann, dann könnte man das dadurch erklären, daß der Name auf einen Schutzgott der Jugend, besonders wohl der jungen Epheben, hindeutet; in dieser Rolle konnten Mars und Merkur mit gleichem Recht auftreten. So wurden in Griechenland mehrere Götter Alexi kakos oder Meilidiios genannt. Ein Name wie Soteira wird sowohl für Athena als auch für Artemis und Kore gebraucht8. Es ist gewiß voreilig, in solchen Fällen von Synkretismus zu sprechen. Dazu geben uns solche Identifikationen keinen genügenden Anlaß. Eher hat man darin die notwendig tastenden Versuche zu erblicken, für den einheimischen Gott die römische Entsprechung zu finden. Die Leute der Gallia Lugdunensis verehrten einen Gott Loucetius; sie wählten für ihn den römischen Namen Mars. Das schien ihnen also besser zu stimmen als etwa Jupiter oder Mercu­ rius, aber deshalb waren dieser Loucetius und Mars noch keineswegs identische Göttergestalten. Dasselbe ergibt sich auch aus den plastischen Darstellungen. 7 Vgl. A. Riese, Westdeutsche Zeitschrift, X V II, 1898, S. 4. 8 Vgl. L. R. Farneil, Greek Hero Cults, 1921, S. 85—86.

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Diese zeigen manchmal die typisch römische Gestalt, aber daneben auch recht barbarische Züge; ein typisches Attribut verrät dann, daß der dargestellte Gott gar nicht römisch, sondern gallisch ist*. Es läßt sich leicht feststellen, daß bei der fortschreitenden Romanisierung im zweiten und dritten Jahrhundert ein gewisser Synkretismus immer weiter um sich greift. Darüber sagtPrümm mit Recht10: „Im Zuge des Interpretations­ verfahrens mußte sich die Neigung einstellen, wenn nicht auf die Sonderzüge ganz zu verzichten, so doch manches an ihnen zu verwischen. Man fing an, von den römischen Eigenheiten auf den gallischen Gott, dem sie ursprünglich fremd waren, allmählich einiges mit zu übertragen, oder so, daß man sich gewöhnte, manches von den einheimischen Besonderheiten des Gottes nicht mehr so stark zu betonen.“ Die Folge konnte nur sein, daß man auf einen Generalnenner verfiel, der vielerlei zu umfassen vermochte. Irregeleitet von dem Bildmaterial der gallischen Spätzeit, konnte Lambrechts, der den Synkre­ tismus nachdrücklich abweist, zu der erstaunlichen Schlußfolgerung gelangen, daß die Kelten ursprünglich einen ziemlich vagen und ungenügend bestimm­ ten »großen Gott* verehrt hätten, dessen Persönlichkeit und Attribute sich dann aber im Kontakt mit dem römischen Polytheismus in mehrere Teile ge­ spalten hätten“ . Damit wird an den Anfang der Entwicklung gestellt, was gerade das Endergebnis gewesen ist. Es ist weiter zu beachten, daß die interpretatio romana zweiseitig ist. Denn zunächst haben die Römer versucht, sich ein Bild von der gallischen Götter­ welt zu schaffen. Sie hegten die Überzeugung, die Herodot zum ersten Male ausgesprochen hatte, daß die Götter überall im Grunde dieselben seien und nur von den Völkern mit verschiedenen Namen benannt würdenw. Deshalb konnten Cäsar keine Skrupel plagen, wenn er die römischen Namen für die gallischen einsetzte. Als aber die Gallier selber versuchten, nach dem Beispiel ihrer römischen Herren Weihinschriften und Götterbilder herzustellen, fühlten sie sich anfangs durch das ihnen gebotene Vorbild stark gebunden. W ir bemerken das sogleich an der Art der Inschriften; so finden wir erst ein Götterpaar Mars und Diana, also mit römischen Namen; dann drängen sich einheimische Bezeichnungen vor, wie z. B. Apollo Grannus und Sirona, bis es am Ende ausschließlich gallisch heißt Sucellus und Nantosvelta1S. Oder ein anderes Beispiel: nach­ dem man erst eine Inschrift mit den Worten Marti Rudiano geweiht hatte, heißt es später einfach Deo Rudiano. Man gelangte also schließlich dazu, die 9 Vgl. G. Drioux, Cultes indigènes des Lingons, 1934, S. 64—65. 10 Vgl. K. Prümm S.J., Religionsgeschichtliches Handbuch für den Raum der alt­ christlichen Welt, 1954, S. 695. 11 Vgl. Contributions à l’étude des divinités celtiques, Brügge 1942, S. 184. 12 Vgl. W. Nestle, Vom Mythos zum Logos, 1940, S. 514. 13 Vgl. W. Schleiermacher, 23. Bericht der römisch-germanischen Kommission, 1933. S. 111.

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C. Die Quellenzeugnisse für die keltisdie Religion

Fesseln des Vorbildes abzuschütteln; das konnte nur geschehen, nachdem man sich dieses Vorbild ganz angeeignet hatte. Immerhin, der Gallier, der einem einheimischen Gott eine Inschrift stiften wollte, mußte sich darüber Rechenschaft ablegen, mit welchem römischen Gott er ihn gleichsetzen solle. Das konnten die Römer ihn nicht lehren. Er hatte seinerseits schon so viel Einsicht in den Charakter der römischen Göttergestal­ ten erlangt, daß er aus ihnen eine Wahl zu treffen vermochte. Natürlich hat es nie genau gestimmt, aber wir haben kein Recht, hier Willkür zu unter­ stellen. Die Angelegenheit einer Widmung war zweifelsohne zu wichtig, um aufs Geratewohl einen Namen zu wählen. Ich kann mich deshalb der oft ver­ tretenen Auffassung, eine interpretatio romana sei in den meisten Fällen irre­ führend, nicht anschließen. Sie hatte ihre guten Gründe, auch wenn die Gründe uns nicht immer einleuchten. Man sollte sich immer dessen bewußt sein, daß die Gallier ihre Götter besser gekannt haben als wir. Nachdem die Gallier von ihren Herren die Kunst erlernt hatten, ihre Götter bildlich darzustellen, begnügten sie sich nicht damit, sie nur in der römischen Form abzubilden. Sie gelangten dahin, die gallische Eigenart zum Ausdruck zu bringen, und zwar nicht nur durch Hinzufügung bestimmter gallischer Attribute wie Hammer oder Rad, sondern auch durch eine durchaus selb­ ständige Ausdrucksform des göttlichen Charakters. W ir finden jetzt einen' Gott mit untergeschlagenen Beinen in der sog. Buddha-Haltung oder mit gro­ ßen Hirschhörnern oder auch mit der Widderkopfschlange. Römische Namen sind hier nun nicht mehr verwendbar: wir hören jetzt von Cernunnos, Esos oder Tarvos Trigaranus. Aber wir stehen hier vielen Rätseln gegenüber. Denn einmal: woher kommen diese sonderbaren Gestalten? Hat man erst jetzt die Freiheit errungen, die Götter ganz nach gallischer Art darzustellen? Treten erst jetzt die Mars, Mercurius oder Herakles in ihrem gallischen Ge­ wand hervor? Oder aber sind es andere Götter, die kennenzulernen wir noch keine Gelegenheit hatten? Gehören sie zu Schichten des gallischen Volkes, die bis jetzt noch nicht an den Tag getreten waren? Etwa zu der sich breitmachen­ den Geldaristokratie, die den alten Adel der Equites zur Zeit Cäsars ver­ drängte? Oder handelt es sich hier vielleicht um noch tiefere Schichten der Bevölkerung, weil in so vielen Fällen die Stiftungen von sehr einfachen Leu­ ten herstammen, vielleicht um die vorkeltischen Menschen, die jetzt erst an die Oberfläche tauchen? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Man darf gewiß diese uns so fremd anmutenden Götter nicht in das System der alten großen Götter hineinpressen; trotzdem steht man immer wieder vor der Aufgabe, beide heterogene Gruppen auf irgendeine Weise miteinander in Einklang zu bringen. Die Art der gallischen Überlieferung zwingt uns dazu, beide Gruppen ge­ sondert zu behandeln. Was wir über die Religion der Gallier erfahren, ergibt für uns ein äußerst kompliziertes Bild. Es ist immer wieder zu erwägen, ob 23

C. Die Quellenzeugnisse für die keltische Religion

sich darin nicht die recht verwickelte Zusammensetzung der Bevölkerung Gal­ liens bekundet: eine indogermanische Oberschicht und eine alte Bevölkerung, die seit dem Paläolithikum im heutigen Frankreich gewohnt hat. Cäsar stand nur mit der Herrscherschicht in Verbindung, mit den Adligen und Priestern; ihn kümmerte die miserrima plebs gar nicht. Das von ihm skizzierte Göttersystem hatte er also von den ,echten' Galliern kennengelernt. Tief unter dieser dünnen Schicht aber lebte eine breite Volksmasse mit einem primitiven Götterkult, mit tiergestaltigen Gottheiten, mit Zauberei und vie­ lerlei Aberglauben. Die Zeit mußte kommen, in der ihre Anschauungen an die Oberfläche drangen. Aber wiederum erhebt sich die Frage, inwieweit auch dabei die einmal vorherrschenden Formen des bildlichen Ausdrucks ihren Ein­ fluß geltend gemacht haben, also inwieweit ein Cernunnos doch auch wieder einem bestimmten Gotte des eigentlich gallischen Pantheons angeglichen wurde. Auf den britischen Inseln hat die römische Herrschaft dieselben Erscheinun­ gen wie in Gallien gezeitigt. Erklärlicherweise treten hier wieder andere Namen auf, die also ein Eigenleben der britischen Bevölkerung bezeugen. Wenn wir die Herkunft der Bevölkerung Englands in Betracht ziehen, so legt sich die Annahme nahe, daß in den großen Zügen ein gleichartiger Glaube wie in Gallien vorherrschte. Andererseits muß vermutet werden, daß es eben­ falls enge Beziehungen zu Irland gegeben hat. Aber darüber können wir kaum ein Urteil fällen; denn in Irland hat es keine römische Herrschaft gegeben, und mithin gibt es dort auch keine Weiheinschriften oder Götterbilder. In Irland ist die Überlieferung ganz anderer Art und gewiß nicht weniger wichtig. Was uns für die übrigen keltischen Gebiete fehlt, finden wir dort: Mythen, die von den Taten der Götter erzählen. Aber auch hier müssen viele Schwierigkeiten überwunden werden, ehe wir zu ihrem religiösen Kern durch­ zudringen und ihre wahre Bedeutung festzustellen vermögen. Das Christen­ tum wurde schon früh in Irland gepredigt; die Überlieferungen aus der heid­ nischen Zeit sind also alles andere als ungetrübt oder vollständig auf uns gekommen. Das offenbar Heidnische wurde ausgemerzt; über den Kult hören wir, wie sich verstehen läßt, fast gar nichts. Das ist ja auch auf Island so, wo uns über die Götterlehre und die Mythen noch vielerlei berichtet wird, wo wir aber von den Kulthandlungen ebenfalls nur einige mehr oder weniger zufällige Mitteilungen besitzen. In einem Lande, in dem das Christentum so viele Jahrhunderte gelebt hatte, mußte das Heidentum längst verschollen sein, ehe man darangehen konnte, die alten Überlieferungen aufzuzeichnen M. Die Spuren des Heidentums finden wir deshalb nur in der Heldensage, und zwar so harmlos getarnt, daß sie keinen Anstoß erregen können. Immerhin, die Heldensage reicht mit ihren Wurzeln irgendwo in das Reich des Mythos14 14 So auch A. Nutt, The Archeological Review, II, 1889, S. 134. 24

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hinein. In Irland finden wir zwei große Gruppen von Sagentraditionen. Die älteste dürfte die Ulstersage sein, die bis auf den Anfang unserer Zeitrechnung zurückgeht15; der König Conchobar und der junge Held Cüchulainn sind hier die überragenden Gestalten. Die andere Gruppe gehört zu dem Gebiet von Leinster; sie ist anscheinend einige Jahrhunderte später anzusetzen und spie­ gelt in Finn und seinen Mannen das Leben und Treiben kriegerischer Gefolg­ schaften wider. Erst in letzter Zeit ist es gelungen, in dieser Dichtung des Heldenzeitalters eine aufschlußreiche Reihe von mythischen Motiven heraus­ zuschälen 16. Noch wichtiger ist die pseudo-historische Tradition. Das wundert uns nicht, nachdem festgestellt werden konnte, wie sehr auch die Anfangsgeschichte Roms, die wir aus Livius kennen, eine Aneinanderreihung von Mythologemen ist. Euhemerisierung gehört nun einmal zu einer Spätzeit, die den Glauben an die Götterwelt verloren hat. Dann werden die Götter als überragende geschichtliche Persönlichkeiten aufgefaßt, und die Mythen werden zu dunklen Erinnerungen an geschichtliche Ereignisse. Das Lebor Gabala, das wir schon als freilich trübe Quelle für die Urgeschichte erwähnten, enthält auch eine Reihe von mythischen Motiven, die besonders mit den Fomore und den Tuatha Dé Danann verknüpft sind. Zwar werden diese als Einwanderer­ scharen dargestellt, die gerade vor der letzten sog. milesischen und im wah­ ren Sinne irischen Besiedelung angelangt sein sollen. Sie sind jedoch eigent­ lich Gruppen von Göttern und Dämonen; was von ihnen berichtet wird, ist deshalb auch ein, freilich arg entstellter, Mythus. Daneben ist eine Beschreibung von zwei Schlachten auf uns gekommen, in denen eben diese Göttergruppen auftreten. Sie sollen bei Mag Tured statt­ gefunden haben. Damit sind zwei Ortschaften gemeint; die eine liegt in der Grafschaft Sligo bei Kilmactranny, die andere in der Grafschaft Mayo bei Cong. Man kann jedoch annehmen, daß erst im 13. oder 14. Jahrhundert diese Lokalisierungen festgelegt worden sind; in Wahrheit sollen beide Schlachten bei Lough Arrow in der Grafschaft Sligo geliefert worden sein17. Damit sind die Schwierigkeiten natürlich nicht gelöst, denn zwei Schlachten an derselben Stelle, das klingt gar zu unwahrscheinlich. Man hat deshalb die Meinung geäußert, daß erst später, etwa im elften Jahrhundert, die beiden Schlachten getrennt worden seien; die erste wäre gegen die Fir Bolg, die zweite gegen die Fomore gekämpft worden18. Dem steht die Erklärung gegenüber, daß die 15 A. Nutt, a.a.O., S. 119, sagt darüber, daß diese Literatur in ihrer heutigen Form bis in das 10. Jht. zurückgeht und daß die Handschriftenüberlieferung in mehreren Fällen bis in das 7. Jht. reicht. 16 Schon Wolfgang Schultz, ZcPh XIV, S. 299, weiter noch G. Murphy, Saga and Myth in ancient Ireland, 1955, S. 41. 17 Vgl. O’Rahilly, Early Irish History and Mythology, 1946, S. 388—389. 18 Vgl. d'Arbois de Jubainville, Le cycle mythologique irlandais et la mythologie celtique, 1884, S. 151.

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erste Schlacht die Erinnerung an eine große Niederlage sei, die die Fir Bolg in NO-Connaught erlitten hätten, während die zweite Schlacht nur eine pseudohistorische Behandlung eines mythologischen Themas gewesen sei1920. Dadurch wird zwar verständlich, daß eine mythische Schlacht an einem be­ stimmten Ort lokalisiert worden ist, aber dabei wird nicht genügend beachtet, daß auch die Behandlung der ersten Schlacht mehrere mythische Motive enthält. Deshalb muß ernstlich erwogen werden, ob nicht zwei verschiedene mythische Schlachten, die von denTuathaDéDanann geliefert wurden, hier miteinander verbunden worden sind, und zwar ein Kampf zwischen Göttern und dämo­ nischen Wesen, und ein anderer zwischen zwei Gruppen von Göttern29. Wie dem auch sei, die Geschichten von den beiden Schlachten von Mag Tured ge­ hören zu den wichtigsten mythischen Überlieferungen, die wir überhaupt auf keltischem Gebiete besitzen. Unsere übrigen Quellen, wie z. B. Notizen in irischen Heiligenleben, sind nur vereinzelte Splitter, aus denen kein einheitliches Bild zu gewinnen ist. Wichtiger sind die Immrama, die fabelhaften Reisen, wie die weit berühmt gewordene Reise von Brendan; denn sie geben uns einen Einblick in die Vor­ stellungen von einem Jenseits, das man nicht ohne weiteres mit dem Toten­ reich gleichsetzen darf. Auch aus Wales ist einiges gerettet worden, das für die heidnische Religion nicht unwichtig ist. Leider sind die erhaltenen Gedichte von Taliessin und anderen älteren Barden so dunkel in ihren Anspielungen, daß sie mehr Rätsel aufgeben als lösen. Erhalten in Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts, sollen sie ursprünglich dem 6. und 7. Jahrhundert angehören; sie behandeln Episoden aus den Kämpfen der Kelten in Südschottland und Nordengland. In vielen Fällen ist die Sprache so dunkel, daß nicht einmal eine einiger­ maßen befriedigende Übersetzung gegeben werden kann. Wichtiger sind die kymrischen Mabinogion, deren vier „Zweige“ sich be­ sonders an die Figur des Pryderi anlehnen. Übernatürliches geschieht hier genug, aber ist es auch etwas Mythisches? Man darf das von vornherein erwarten. Die Überlieferung ist allerdings zu jung, um den mythischen Gehalt noch deutlich hervortreten zu lassen. Es gibt noch einen anderen Umstand, der die Verwendung dieser Literatur erschwert. W ir haben schon oben bemerkt, daß die Iren bedeutende Teile von Wales jahrhundertelang okkupiert haben; damit ist die Möglichkeit gegeben, daß die Mabinogion einen starken Einfluß durch irische Sagen erfahren haben. Diese Möglichkeit steigert sich zur W ahr­ scheinlichkeit, wenn wir mythische Figuren mit ähnlichen Namen auf beiden Seiten des irischen Meeres vorfinden, ja wenn sogar kymrische Namen (wie Llew llaw Gyffes) erst als eine Umgestaltung eines irischen Vorbildes gedeutet werden können. In solchen Fällen braucht zwar die mythische Grundlage der 19 Vgl. O'Rahilly, a.a.O. 20 Vgl. G. Dumézil, Jupiter Mars Quirinus, I, 1941, S. 167—172.

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Mabinogion nicht bezweifelt zu werden; wir dürfen sie freilich nicht ohne weiteres als kymrisdi betrachten und dann als wirkungsvolle Parallele neben die irische Überlieferung stellen21. Schließlich sind noch quasihistorische Werke zu erwähnen, wie die Historia Regum Brittanniae von Geoffrey von Monmouth und einige Bruts wie die von Wace und Layamon. W ir können nicht erwarten, hier viel Wertvolles zu finden. Geoffrey behauptet zwar, daß seine Historia die Übersetzung eines Buches sei, das ein gewisser Walter, Erzdiakon von Oxford, aus der Bretagne mitgebracht habe. Das ist aber wieder eine jener im Mittelalter so beliebten Mystifikationen, um die Wahrheit eines mit viel Phantasie ausgestattenen Werkes glaubhaft zu machen. Es würde aber zu weit gehen, wenn wir die Möglichkeit bestreiten wollten, daß ihm irgendwelche kymrische Tra­ ditionen bekannt gewesen sind. Über ihren Charakter und Wert läßt sich jedoch wenig sagen. W ir dürfen also den kymrischen Quellen nicht mit überspannten Erwar­ tungen entgegentreten. Man hat deshalb nicht ohne eine gewisse Berechtigung gesagt, daß aus kymrischen Zeugnissen gewonnene Ergebnisse als vollkommen illusorisch zu betrachten seien22; jedenfalls war solche Stellungnahme als Reaktion gegen die Spekulationen eines Rhÿs und seiner Genossen damals nur zu begrüßen. Aber eine zu große Skepsis wäre schädlich. Der mythische Charakter dieser Mabinogion, oder allenfalls einiger ihrer Teile, wird heute doch wohl allgemein anerkannt. Sie müssen jedoch mit äußerster Behutsam­ keit benutzt werden. Die Übersicht über die uns zu Gebote stehenden Quellen ist nicht eben er­ munternd. Sie verteilen sich auf verschiedene Völker und Zeiten; sie tragen ganz verschiedenen Charakter. W ir werden an die Verhältnisse auf dem Felde der germanischen Religion erinnert; auch hier nur eine zwar späte, aber trotz­ dem ziemlich ausführliche und sogar zuverlässige Überlieferung, die sich eigentlich auf Island beschränkt. Was wir daneben von West- und Ost­ germanen erfahren, ist so wenig, daß es dem aus dem isländischen Material gewonnenen Ergebnis kaum etwas hinzufügt; es kann uns höchstens zu der Annahme berechtigen, daß auch außerhalb Islands ähnliche religiöse Vor­ stellungen vorausgesetzt werden dürfen. Was Island für die germanische Religion, das ist Irland für die keltische. 21 Man hat oft die Bedeutung dieser Mythen für die gallische Religion unterschätzt; so sagt CA. Renel, Les religions de la Gaule avant le Christianisme, 1906, S. 12 bis 14, daß eine Vergleichung nur zweifelhaft Erfolg haben werde; man könne nie beweisen, daß die insularen Mythen in Gallien bekannt gewesen seien. Nein, beweisen kann man das nicht, aber wahrscheinlich ist es trotzdem. Audi A. Nutt, The Archeological Review, II, 1889, S. 114 sagt: „the results based upon Welsh evidence may be deemed altogether illusory.“ 22 Vgl. A. Nutt, a.a.O., S. 114.

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C. Die Quellenzeugnisse für die keltische Religion

Aber welcher Unterschied! Von Götterliedem keine Spur, ein Handbuch wie die Snorra Edda gibt es auf Irland nicht, nur, wie wir schon bemerkten, einige Mythen, die dann noch durch ihre Euhemerisierung arg entstellt worden sind. Die Götterwelt ist fragmentarisch bekannt und widerspruchsvoll. Daneben sind die paar Sätze, die Cäsar den gallischen Göttern widmet, ein Labsal für den Forscher. Der sicherste Weg, den auch die meisten meiner Vorgänger gewandelt sind, scheint darin zu bestehen, die Zeugnisse, wie wir sie vorfinden, nebeneinander­ zustellen: gallische Religion in der vorrömischen Zeit und dann die so ganz anders geartete in den Jahrhunderten nach der Romanisierung; weiterhin die irischen Berichte und noch etwas aus der walisischen Tradition. Verhehlen wir es uns nicht: das ist und bleibt ein Schutthaufen. Daraus entsteht nie und nimmer ein Bild der keltischen Religion, wie sie einmal im Leben der kel­ tischen Völker der Nerv alles Denkens und Handelns gewesen ist. Was wir vor uns haben, sind Verfallserscheinungen. Sie zeigen, was aus Religion wer­ den kann, wenn sie nicht mehr die Vormachtstellung im sozialen und persön­ lichen Leben ihrer Verehrer einnimmt. Es sollte, glaube ich, unser Anliegen sein, etwas von der ursprünglichen Würde der keltischen Religion aufzuzeigen. Dieses Wagnis zu unternehmen, ermutigt mich die Überzeugung, daß sie ebensosehr die alte indogermanische Grundstruktur enthält wie etwa die Religion der Inder, Römer oder Ger­ manen. Diese können in der Periode, in der wir sie zum ersten Male kennen­ lernen, stark abgewandelt sein; die Grundstrukturen müssen sich trotzdem noch nachweisen lassen. Denn wenn wir nicht vergleichen können, können wir auch nicht urteilen. Der beschränkte Umfang dieses Buches zwingt mich dazu, bei der Vor­ führung der Quellenzeugnisse stets dieses mein Anliegen im Auge zu behalten. Figuren wie Cernunnos oder die Widderkopfschlange stehen nicht im Mittel­ punkt, sondern am Rande meiner Betrachtung. Vielleicht auch keltisch, viel­ leicht aber im Grunde prägallisch — zur eigentlichen Götterwelt gehören sie nicht. Nun wäre es verlockend, das Bild, wie es mir vorschwebt, in breiten Strichen zu malen und es mit einigen Belegstellen aus Gallien, Irland oder Wales auszustatten. Ich würde dann jedoch vorwegnehmen, was erst noch zu be­ weisen wäre. Deshalb fühle ich mich gezwungen, den Weg zu wählen, der für den Leser ermüdend und jedenfalls ein Umweg ist: aus den Tatsachen das Bild dieser Religion erstehen zu lassen. Ich beginne mit den Göttern, und zwar mit denen, die Cäsar nennt. Es gilt, alles zu sammeln, was die gallische Überlieferung dazu beizusteuern vermag, dann nach Entsprechungen bei den Inselkelten zu suchen, wo wir auch etwas an dazugehörigen Mythen zu erfahren hoffen können. 28

C. Die Quellenzeugnisse für die keltische Religion

Nachdem es so möglich geworden sein wird, Casars Götterreihe als ein richtiges Göttersystem zu würdigen, kommen wir zu den Gestalten, die wir aus der gallischen Überlieferung kennenlernen. Dabei muß festgestellt wer­ den, ob sie irgendwie in das System hineinpassen oder aber ganz heraus­ fallen. Im letzteren Fall müßten wir den Ort bestimmen, an den sie gehören. Überdies wird sich zeigen, daß bei diesen sekundären Götterfiguren zwischen Gallien und Irland bedeutende Unterschiede bestehen. Die Behandlung der göttlichen Mächte wird den Hauptteil meiner Dar­ stellung ausmachen. Was dann noch weiter zu sagen ist, etwa über den Kult und das Priestertum, über sozial-religiöse Erscheinungen, über Totenkult und Magie, wird gestraffter dargeboten werden müssen. Dazu zwingt schon der Umstand, daß wir über diese Seiten der Religion nicht sehr ausgiebig unter­ richtet sind. Dazu berechtigt aber auch der viel weniger problematische Cha­ rakter dieser Aspekte des religiösen Lebens.

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D. D IE G Ö T T E R D E R K E L T E N

I. D I E I N D E N R Ö M I S C H E N Q U E L L E N ERW ÄHNTEN GOTTHEITEN

Es handelt sich vornehmlich um jene fünf Götter, die Cäsar in seinem Exkurs über die gallische Religion erwähnt. Daneben stehen weiter die drei mit einheimischen Namen bezeichneten Götter, die Lucanus uns überliefert hat. Es ist der Versuch zu unternehmen, diese mit den römischen Namen der Cäsar-Stelle in Verbindung zu bringen. Das Inschriften- und Bildmaterial gibt weitere Aufschlüsse. Soweit dies möglich ist, behandle ich dann die mög­ lichen oder wahrscheinlichen Entsprechungen im irischen Pantheon.

1. Jupiter Es ist bemerkenswert, daß Cäsar den höchsten Gott der Römer erst an vier­ ter Stelle nennt; das deutet darauf hin, daß er sich genau Rechenschaft darüber gegeben hat, daß die Götter, die er mit den seinigen gleichzustellen versuchte, im gallischen Bereich ihrer Bedeutung und Funktion nach doch immerhin nicht ohne weiteres den römischen gleichgestellt werden konnten. Was also bedeutet dieser gallische Jupiter? a. D e r g a l l i s c h e J u p i t e r Cäsar gebraucht in bezug auf ihn nur die blasse Formel: imperium caelestum tenere. Das ist ohne weiteres klar. Er war also der alte Himmelsgott der Indo­ germanen, den wir als Dyaus im Indischen, als Zeus im Griechischen kennen, und dem auch der germanische Tîwaz entspricht. Er erreicht an Häufigkeit der ihm geweihten Inschriften bei weitem nicht das Maß des gallischen Merkur, aber trotzdem berichten noch Lebensbeschrei­ bungen von Heiligen von der Fortdauer seiner Verehrung in Gallien1. Zu­ weilen trägt eine Widmung auch einen Beinamen, und dann oft einen solchen 1 Vgl. Vita S. Clari (Zwicker, 253; aus Lectourc, dép. Gers), Vita S. Juliani (Zwicker, 254; aus Artins, dép. Loir-et-Cher), Passio SS. Tiberii, Modesti et Florentiae (Zwicker, 300; aus Agde). 30

1. Jupiter

von topischer Bedeutung, wie Aedonis2, Poeninus34, vielleicht auch Taranus *. Der Name Uxellimus weist auf ihn als den höchsten Gott hin; bedeutsam ist noch, daß auch einmal (in Mainz) die Widmung 10M Sucaelo vorkommt. Andere Beinamen geben keine weitere Auskunft über seinen Charakter5. Natürlich finden wir auf bildlichen Darstellungen die typisch römischen Attribute Szepter, Blitz und Adler. Wichtiger ist, daß er manchmal mit einem Rad dargestellt wird; so gibt es aus Seguret (bei Vaison) eine Statue des Jupiter, der sich mit der Rechten auf ein Rad mit zehn Speichen stützt6. Ein Jupiter-Altar, der bei Laudan (Dép du Gard) gefunden wurde, zeigt auf beiden Seiten einen Adler und ein Rad mit fünf Speichen7; ein anderer aus Lansargues mit der Inschrift lovi O M zeigt wiederum ein sechsspeichiges Rad zwischen zwei Blitzen8. In Montmirat (Gard) kam ein Fragment eines Altars mit einem neunspeichigen Rad zutage; darunter war ein fulgur conditum ab­ gebildet. Wenn wir dann auf einem Altar in Vauvert bei Nîmes auf einer Seite ein Rad mit acht Speichen und auf jeder der beiden Nebenseiten einen stilisierten Blitz finden9, dann dürfen wir auch hier die Widmung an Jupiter als sicher betrachten. Das gilt aber auch für die übrigen sehr zahlreichen Fälle, in denen nur ein Rad abgebildet worden ist. Die Bedeutung dieses Symbols werden wir später besprechen (S. 34 ff.). b. D i e J u p i t e r - G i g a n t e n s ä u l e n kommen in einem beschränkten Raum (vgl. Karte 5) vor, dessen Mittelpunkt das Gebiet der Lingones bildet, der aber weit bis in das Moseltal (Trevires), in das Land der Helvetier (Altenburg) und in das Rheintal ausstrahlt, und weiter zer­ streut auch in Flandern, in der Bretagne und bei den Arverni vorkommt. Die Zahl dieser Monumente ist beträchtlich: im ganzen etwa 150. Sie sind zwi­ schen den Jahren 170 und 240 errichtet worden. Sie bestehen aus einer hohen Säule aus quadratischen oder vieleckigen Trommeln, auf denen die sieben Planetengötter oder die vier Gottheiten Juno, Merkur, Herkules und Minerva abgebildet sind. Oben auf der Säule steht ein in scharfer Gangart reitender Jupiter; das Pferd tritt auf einen (oft bärtigen) am Boden liegenden Gigan­ ten, dessen Körper in einem Schwanz endet. In den meisten Fällen sieht es so aus, als ob dieser von dem Pferd zertreten werde, zuweilen aber scheint er 2 Avienus, Ora maritima, 682, spricht von einem großen Moor am Genfer See, das Accion hieß. 3 D. i. der große St. Bernhard. 4 Vgl. Dottin, RHR X X X V III, S. 141, der an den ligurischen Fluß Tdvapoç erinnert. 5 Wie Arubianus, Cundamius, Saranicus. 6 Vgl. Espérandieu, Nr. 303. 7 Ibidem Nr. 513. 8 Ibidem Nr. 517. 9 Man kann das Zeichen aber auch als eine Abbreviatur des Sonnenrades deuten. 31

Karte 5: Die Jupiter-Giganten-Säulen mit seinen Händen die Vorderbeine des Pferdes zu tragen. Vollständige Exemplare, wie die in Mainz und Trier, sind natürlich selten; meistens haben wir nur Fragmente des Reiterbildnisses. Römischer Einfluß ist unbestreitbar; solche Monumente haben ja nur römische Steinmetzen herstellen können. Daraus darf man aber noch nicht schließen, daß es auch tatsächlich römische Monumente gewesen sind10. Da­ gegen dürfte schon sprechen, daß der Reiter mit einem Speer bewaffnet ist und daß er sogar das Sonnenrad in der Hand hält. Man hat darüber gestritten, ob diese Monumente germanisch11 oder gallisch zu nennen seien. Die Ent­ scheidung kann jedoch nicht zweifelhaft sein; denn wenn sie am dichtesten in dem Gebiet von Rhein, Mosel und Saône Vorkommen, können sie nur keltischer Herkunft sein. Ein Beweis dafür ist überdies, daß wir sie, wenn auch selten, ebenfalls in der Bretagne und sogar in England1213antreffen. Diese Säulen wurden außerhalb der Städte und der großen Verkehrs­ straßen gefunden, meistens in den Ruinen von Villae18, aber auch in einem Flußbett oder in der Nähe von Grabstätten14. Sie betreffen also einen länd­ lichen Kult; die Größe und dementsprechend auch die Kostspieligkeit der Monumente verbieten es jedoch, hier von einem Privatkult zu sprechen15. Es Vgl. A. Riese, W Z XVII, 1898, S. 13. Vgl. F. Hertlein, Die Juppitergigantensäulen, Stuttgart 1910. Willingham Fen bei Cambridge. Vgl. E. Lirukenheld, Ann. de la Société d’histoire et d’archéologie lorraine, 1929, S. 5. 14 Als Grabmonumente sind einige Exemplare in Mainz zu nennen, z. B. Esp. 5784—6. 15 Vgl. P. Lambrechts, L’Antiquité classique, X X , 1951, S. 115. 10 11 12 13

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1. Jupiter

gibt Beispiele dafür, daß der Sockel eines Viergöttersteins unter dem Altar einer christlichen Kirche eingemauert w urde1617. Das dürfte doch wohl ein H in­ weis auf die Bedeutsamkeit dieser heidnischen Monumente sein und gewiß auch bezeugen, daß man den darauf dargestellten Gott für besonders wichtig hielt. W as nun aber mit der Gruppe des Reiters und des Riesen eigentlich ge­ meint ist, läßt sich nur schwer entscheiden. W as bedeutet dieser Gigant? In welchem Verhältnis stehen Gott und Riese zueinander? Man hat oft angenom­ men, daß hier die Gigantomachie nadigeahmt worden s e iw. Dann wäre also an einen Kampf zu denken. Der Reiter hat gesiegt und reitet jetzt den Gegner nieder. Dam it stimmt der Schrecken, der sich auf dem A ntlitz des Riesen zeigt, überein. In diesem Fall könnte man dann weiter an den Sieg des Sonnen­ gottes über die Finsternis oder vielleicht über das Chaosungeheuer denken18. Man könnte diese Vorstellung auf mancherlei W eise variieren. Das U n ­ geheuer könnte auch den Tod darstellen; dann müßte man den Riesen mit dem Hinterleib einer Schlange mit den Meeresungeheuern vergleichen, die manchmal mit W esen der Totenw elt gleichgesetzt w orden19, aber ebenfalls ein Symbol des Chaos sind. W enn wir Zeit und Ort dieser Monumente uns vergegenwärtigen, werden wir es für denkbar halten, daß in den T eilen Galliens, die von den E infällen der Germanen bedroht wurden, die Bewoh­ ner in ihnen den Sieg des römischen Heeres über die Barbaren erblickt haben20. Diese Möglichkeit möchte ich jedoch nur als eine Re-Interpretation gelten las­ sen; ursprünglich hatte diese Darstellung gewiß eine religiöse Bedeutung. Aus dem Umstand, daß die Säulen im Gebiet der Lingones oft in einem Brunnen oder in einem Flußbett gefunden worden sind, hat man schließen wollen, der Reitergott sei ein Genius der Quellen, Seen und W asserläufe gew esen212; dazu stimmen allerdings die Fundverhältnisse in Lothringen w ie­ der gar nicht. Auch scheint mir die Annahme bedenklich, Gottheiten dieser Art seien mittels solcher großartigen Monumente verehrt worden. Andere Forscher wiederum sind davon überzeugt, daß von einem Kampf überhaupt keine Rede sein könne. Das Ungeheuer ist ja in einigen wenigen Fällen ein W eib **. Dieser Um stand hat dazu geführt, die Gruppe als Sonnen­ 16 Vgl. E. Lindtenheld, a.a.O., S. 9. 17 Vgl. F. Benoit, in: Ogam VI, 1954, S. 220, und P. M. Duval, Les dieux de la Gaule, 1957, S. 75. 18 Vgl. Jullian, Histoire de la Gaule, VI, S. 95. 19 Vgl. F. Benoit, Collection Latomus, III, 1950, S. 17, und L’Antiquité classique, X X I, 1952, S. 88-89; auch Moreau, Die W elt der Kelten, 1958, S. 107. 20 Vgl. K. Haug, W Z X, 1891, S. 11; z. B. die Säulen von Mainz (Esp. Nr. 5784—6) und Zahlbadi (Esp. Nr. 5852 und 5854). 21 Vgl. P. Lambrechts, Latomus VIII, 1949, S. 149. Er denkt weiter an eine Konta­ mination mit Apollo; in Grand (Apollo Grannus!) hat man sogar drei solcher Monumente gefunden. 22 Z. B. Sant-Maho in der Bretagne, Esp. Nr. 5036, vgl. Hertlein, a.a.O., S. 43. 33

I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

gott und Erdgöttin aufzufassen22 oder zu meinen, die Erdgottheit solle den Him mel stützen*4. Aber auch solche Deutungen sind w enig wahrscheinlich. Man kann kaum in dieser H altung des Reitergottes einen geeigneten A us­ druck des Verhältnisses des Himmels zur Erde erblicken. Überdies bilden die Beispiele, in denen das Ungeheuer ein W eib darstellt, nur vereinzelte A us­ nahmen; das gilt ebenfalls für die stützende Gebärde des Riesen. Bedeutsam ist jedoch, daß es ziemlich stark abweichende Varianten der D arstellung ge­ geben hat. A u f dem bei Zahlbach in der N ähe von Mainz gefundenen Monu­ ment blickt der Barbar, dessen Kopf unter dem Pferdehuf liegt, rückwärts zum R eiter23242526; vielleicht deutet das an, daß er um Gnade bittet. W eiterhin gibt es einige wenige Fälle, wo der Gott nicht zu Pferde sitzt, sondern mit seinen Beinen über das Ungeheuer hinwegschreitet, so z. B. in G rand25 und auf einem in der W aal bei N ijm egen gefundenen Denkmal. Solange wir den Mythus nicht kennen, den diese Gruppe darstellt, können wir über ihre Bedeutung nur lose Vermutungen äußern. Schon der Umstand, daß wir im Hintergründe doch immer das Bild der klassischen Gigantomachie erblicken müssen, erschwert die Erklärung. Denn dann haben sich einheimische Vorstellungen nur mühsam in dem einmal gegebenen Vorbild ausdrücken können; vielleicht ist die Variabilität der Monumente ein Anzeichen dafür, daß man eigene Gedanken diesem Prototyp gewissermaßen hat aufprägen wollen. Das Rad, das manchmal in der H and des Reiters emporgehoben wird, dürfte doch wohl auf einen Sonnengott hinweisen. D as führt uns aber zu den Darstellungen des sog. Gottes mit dem Rade.

c. D e r G o t t m i t d e m R a d Es gibt in G allien eine große Zahl von Darstellungen des Radgottes (vgl. Karte 6), die allerdings in den meisten Fällen keinen N am en tragen. U m so aufschlußreicher ist eine bronzene Statuette, die in Châtelet (Haute Marne) gefunden worden ist; sie stellt einen nackten bärtigen M ann dar, dessen linke H and auf einem Rad ruht, dessen rechte aber das griechisch-römische B litz­ symbol hält. Am rechten Arm hängen neun S-förm ige Gegenstände. H ier handelt es sich um eine unmißverständliche Jupiterdarstellung. In einigen 23 Vgl. G. Drioux, Cultes indigènes des Lingons, 1934, S. 50; 5. Reinach, Bulletin du Musée hist, de Mulhouse, 1914, S. 131 (das Ungeheuer deutet die Tiefen der Erde und die dort verborgenen Gewässer an); J. J. Hatt, Revue Arch, de l’Est et du Centre-Est, II, 1951, S. 85 (der Sonnengott wirft den Blitz, den das Wasser oder die Erde empfangen!). 24 Vgl. Hertlein, a.a.O., S. 48. In der Mosel bei Châtel en Portieux wurde eine Gruppe gefunden, bei der das Ungeheuer das Vorderbein des Pferdes zu unter­ stützen sdieint, vgl. Esp. Nr. 4768. 25 Vgl. Esp. Nr. 5852. 26 Vgl. Esp. Nr. 4897 und 6623.

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Karte 6: Der Gott mit dem Rad • Jupiter mit dem Rad m Jupiter zusammen mit einer kleinen Figur mit Rad und einer kleinen Figur

0 Jupiter

wenigen Fällen besitzt das Bildnis audi eine Widmungsinschrift. D ie Statue von Landouzy-la-V ille (Aisne) trägt die W örter IOM ET N .A V G .27 Zuweilen tritt das Rad freilidi auch als Attribut der Juno auf (Autun, A lzey, Tongern); darin zeigt sich deutlich, daß das Rad als Symbol himm­ lischer Gottheiten aufgefaßt werden muß. Das Rad wurde aber auch als Am ulett getragen, sowohl in G allien wie in Britannien. Im Süden Frankreichs sind Münzen gefunden worden, die ein Kreuz oder ein Rad mit vier Spiralen zeigen; sie sind Nachahmungen grie­ chischer M ünzen28, aber ihre Adaptation in G allien dürfte darauf hinweisen, daß sie auch einheimischen Vorstellungen entsprochen haben. 27 Andere Beispiele sind in Trier, Séguret (Vaucluse) und Vaison gefunden worden; die Gußform einer Statue, die in jeder Hand ein Rad hält, stammt aus Caerllion (= Isea Silurum). Es gibt weiter Altäre, die dem Jupiter mit einem Rad gestiftet worden sind, z. B. vier im Departement du Gard, drei in Nordengland (von denen zwei von tungrischen, also germanischen, Dedikanten herrühren!), weiter noch in Nîmes, Hérault, Mayenne u. a. 28 Gaidoz, RA 1885, S. 864—371, weist auf den y.vxXoç pecrnxôç von Delphi hin.

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

Zwei französische Forscher kamen gleichzeitig zu ganz verschiedenen Erklä­ rungen des Radsymbols. Gaidoz war davon überzeugt, daß es die Sonne dar­ stelle*9; er untermauerte seine A uffassung mit einer Reihe von Volksbräuchen, in denen ein Rad eine Rolle spielt. E. Flouest hingegen sah in dem Symbol das Rad jenes W agens, auf dem der Donnergott fährt, und deutete es des­ halb als Blitzsym bol2930. Seitdem sind die M einungen geteilt geblieben31. Ich schließe mich der ersten Auffassung an, die R. Pettazzoni mit schwerwiegen­ den Argumenten verteidigt h a t3*. Das Rad als Sonnensymbol ist ja weit verbreitet. Anfänglich war es wohl ein einfacher Kreis, aber bald treten vier, allmählich auch mehr Speichen auf. D iese Speichen bezeichneten vielleicht ursprünglich die Himmelsrichtungen und deuteten also die Bewegung der Sonne am Him m el an. Man hat gesagt, das Rad sei als Symbol für die Sonne ungeeignet, w eil man die Sonne ja nicht in einer drehenden Bewegung sehe; aber man sieht die runde Scheibe sich am Him mel entlang bewegen; die Vorstellung, daß die Sonne einen Kreis­ lauf beschreibt, der abwechselnd durch die Oberwelt und die Unterw elt hin­ durchführt, ist ja uralt. Dam it ist auch schon angedeutet, daß wir genau ge­ nommen nicht von einem keltischen Symbol sprechen dürfen. D ie Kelten haben es jedoch ebensogut gekannt w ie viele andere Völker des Altertums auch. A u f dem Kessel von Gundestrup findet sich das Bild eines bärtigen Mannes, der beide Hände mit geschlossenen Fingern emporhält; die rechte scheint ein Rad zu ergreifen, das nur zur Hälfte sichtbar ist und acht Speichen hat. Eine kniende Jünglingsfigur greift mit beiden Händen in das Rad und scheint es in Bewegung zu setzen, und zwar in der Richtung des Sonnen­ umlaufes. W eiter sind noch zwei Panther dargestellt, die sich nach rechts, und drei Greifen, die sich nach links bewegen; darunter steht das typisch keltische Symbol der Schlange mit dem W idderkopf. Übrigens ist zu bemerken, daß neben dem Sonnenrad auch das H aken­ kreuz- oder Swastikazeichen auftritt; die Speichen dehnen sich außerhalb des Rades aus und biegen sich in der Richtung des Sonnenumlaufes um (so schon auf Abbildungen der Bronzezeit), oder aber die Biegung wird rechtwinklig dargestellt. Daraus ergibt sich dann weiter die S-Form, die wir auf der Sta­ tuette von Châtelet nachgewiesen haben; wir haben es bei ihr im Grunde mit der Hälfte des Swastikas mit rundgebogenen Enden zu tun33. Es besteht also kein Anlaß, dieses Zeichen als ein Blitzsymbol zu betrachten. 29 Vgl. RA 1884, S. 14 ff. 30 Vgl. RA 1885, S. 17. 31 Als Blitzsymbol: Renel, Les religions de la Gaule, 1907, S. 257—259; R. Lefort des Ylouses, CRAI 1949, S. 152—155 (mit dem merkwürdigen Argument, daß wir die Sonne ja nicht in drehender Bewegung sehen!); J. J. Hatt, Revue arch, de l’Est et du Centre-Est, II, 1951, S. 82—87. — Als Sonnensymbol: J. Vendryes, La religion des Celtes, coll. Mana S. 274. 32 Vgl. Essays on the History of Religion, 1954, S. 95—109. 33 Déchelette hat RA 1909, S. 315, ein Schema der Entwicklung des Sonnensymbols dargestellt, vgl. sein Manuel II, S. 462.

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Übrigens scheint mir der Streit, ob Sonnen-, ob Blitzsymbol, überflüssig. Dieser gallische Jupiter ist eine Gottheit des Himmels, dessen großartigste Manifestation die Sonne ist. Aber der Blitz ist ebenfalls ein Lichtstrahl, der am Himmel erscheint, audi er ein Symbol des göttlidien Lichtes, das zwar zuweilen zerstören kann, jedodi trotzdem auch eine große heilsame Wirk­ samkeit ausübt, wenn er die Gewässer des Himmels entfesselt, die die Erde befruchten*4. Blitz und Gewitter haben deshalb eine ambivalente Bedeutung: während Taranis die Gewalt des Ungewitters vertritt, ist der segenspendende Blitz mit dem Himmelsgott Jupiter verbunden. Weil die Sonne alles sieht, weiß sie auch alles, was auf der Erde vor sich geht. Kein Frevel bleibt von ihr unbemerkt. Deshalb wird der Himmelsgott oft bei Eidesleistungen angerufen; hieß doch Zeus in Griechenland ebenfalls ô ç h iô ç . In irischen Schriften hören wir von Eiden, die unter Anrufung der Naturmächte geleistet wurden: die Sonne wird dann stets an erster Stelle genannt, es folgen der Mond und die übrigen göttlichen Geschöpfe, mit denen die Sterne gemeint sein werden*5. Auch der gallische Apollo steht in enger Beziehung zur Sonne; darauf deutet schon sein Beiname Belenus hin (s. S. 75). Die Sonne wird so sehr als das segenspendende Gestirn am Himmel empfunden, daß sie mit jeder Gott­ heit verbunden werden kann, die ein machtvoller Heilbringer ist. Ein Jupiter, der das Sonnenrad trägt, ist also ein gnadenreicher Gott. Er wird immer als ehrwürdiger Mann dargestellt, dessen Antlitz Würde, Güte und Wohlwollen zum Ausdruck bringt. So ergibt sich uns, daß dieser gallische Jupiter einen klar umrissenen Charakter hat: ein hoher und ehrfurchtgebietender Gott, von dem aber Heil erwartet wird, und der Garant der Verträge und der Eides­ leistungen war. d. D e r i r i s c h e D a g d a In der irischen Überlieferung begegnen wir an mehreren Stellen einem Gott Dagda; der Name bedeutet „der gute Gott“ **. Dürfen wir ihn mit dem gallischen Jupiter gleichsetzen? Entsprechend dem Erhaltungszustand der irischen Götterlehre in den späteren christlichen Quellen müssen wir damit rechnen, daß das Profil der alten Götter nicht immer klar hervortritt. Trotz­ dem scheint es mir durchaus möglich, diesen Gott Dagda in seiner ursprüng­ lichen Bedeutung zu erfassen. 54 Hatt, a.a.O., sagt deshalb, daß der Blitz vielleicht als eine Art Emanation der Sonne betrachtet wurde. 35 Vgl. Cáin Adomnáin § 22: der König Loegaire von Irland, der in der Zeit Patricks lebte, schwur einen Eid bei „grían ocus esca ocus dúle Dé ardiena“. 56 CA. Guyonvarc’h, Ogam X II, 1960, S. 49, befürwortet die Übersetzung „der hei­ lige Gott“.

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

Er wird uns als ein weiser und rechtschaffener Gott geschildert. Das besagt schon der Name Dagda und ebenfalls ein zweiter Name: Eodiu Ollathir Ruadrofessa. Der erste Teil Eodiu gehört zu dem Stamm *ek»o, „Pferd“ 87; seit den ältesten Zeiten ist das Pferd ein weit verbreitetes Sonnensymbol*8. Das Wort Ollathir kann man mit „Allvater“ übersetzen, und es stimmt auf­ fällig zu dem Odinsnamen AllfgSur. Diese Bezeichnung bezieht sich auf seine überragende Stellung in dem Göttergeschlecht der Tuatha Dé Danann; er ist also der höchste Gott*9. Endlich kann man Ruadrofessa übersetzen mit „der Rote, der alles weiß“; darin sehe ich eine Anspielung auf das glühende Ant­ litz der Sonne, die alles sieht, was auf der Erde geschieht. In der Geschichte von der ersten Schlacht von Mag Tured (s. S. 151 ff.) wird berichtet, daß die Tuatha Dé Danann im Besitze eines dia draidechta waren, und zwar wird dies von Eodiu Ollathir gesagt, der auch der große Dagda genannt wurde3738940. Weil die Druiden später als Zauberer angesehen wurden, hat man Dagda ebenfalls als einen Gott der Zauberkunst betrachtet, aber das ist offensichtlich eine Folge davon, daß nach der Bekehrung die Tätigkeiten der Götter mit einem umgekehrten Vorzeichen versehen wurden. Die Druiden waren die Priester (S. 203 ff.), und Cäsar bezeugt, daß sie die Hüter der heiligen Überlieferungendes Volkes waren. DagdasTochter ist Brigit bainfile, also eine Göttin, die als Dichterin, als Patronin der Dichtkunst, verehrt wurde (s. weiter S. 80). Dagda ist jedoch auch ein Gott der Verträge; in dem Todimarc Êtainne lesen wir, daß er den Vertrag jedes Mannes in Übereinstimmung mit dessen Vorhaben bestimmte41. In allen diesen Eigenschaften erkennen wir die Ge­ stalt des gallischen Jupiter wieder. Wenn wir uns jetzt den Attributen zuwenden, die dem Gott Dagda zu­ geschrieben werden, so stoßen wir auf die Schwierigkeit, daß Göttersymbole oft polyvalent sind. An erster Stelle ist Dagdas Keule zu nennen, die so groß und so schwer war, daß sie auf Rädern fortbewegt werden mußte. Sie soll aus Eisen verfertigt gewesen sein; mit ihrem einen Ende tötete sie auf einmal neun Männer, aber ein Schlag mit ihrem anderen Ende rief sie wieder ins Leben zurück42. Diese Keule ist also nicht nur eine tödliche Waffe im Kampf, sondern auch ein lebenspendender Gegenstand. Man ist versucht, an den gal­ lischen Gott Sucellos, „den guten Schläger“, zu denken, aber dessen höchst problematische Gestalt werden wir noch an einer anderen Stelle behandeln (s. S. 91 ff.). Die Keule ist offenbar mit dem Hammer des skandinavischen Gottes 37 Vgl. J. Loth, RA X X I, 1925,1, S. 216. 38 Man hat hier also nicht an die Vorstellung des Totenpferdes zu denken. 39 Vgl. Fr. le Roux, Ogam VII, 1955, S. 120; sie betrachtet ihn deshalb als den Unter­ weltsgott, den Cäsar Dispater nennt (vgl. S. 81). 40 Vgl. Fraser, Ériu VIII, 1916, S. 16. 41 Vgl. Ériu X II, 1938, S. 146: „Concerta sidhe cor caich amal a indell.“ 42 Mesca Ulad (Todd Lecture Series I, 1, 1884) S. 32. 38

1. Jupiter

Thor und dem vajra des indischen Indra zu vergleichen; sie stellt den Blitz­ strahl dar, und dies merkwürdigerweise in seiner doppelten Bedeutung: ver­ nichtend und lebenerweckend. D agda hat aber auch eine Harfe, die den N am en Uaithna trägt (vgl. uaithne „Assonanz“?). Es heißt von ihr, daß drei M elodien auf ihr gespielt werden konnten: die Schlafmelodie, die M elodie, die Lachen erregte, und die M elodie des Jam m ers48.

Schließlich hat er noch einen Kessel, von dem keiner ungesättigt fortging. Dieser Kessel des Überflusses spielt in den irischen Überlieferungen eine große Rolle, und wir werden auf dieses Symbol später noch zurückkommen müssen (s. S. 94). Wenn dieses unerschöpfliche Gefäß auch manchmal zu den Mächten der Erde und der Unterwelt gehört, so darf man daraus keineswegs folgern, daß auch Dagda selber ein Dis pater gewesen sei. Der Kessel ist ebenfalls ein Symbol, das vielerlei Deutungen zuläßt. Der Kessel der Medea konnte die Toten auferstehen lassen. W äre also Dagdas Gefäß ein Attribut von Gott­ heiten der Unterwelt, so dürfte man vermuten, daß es hier eben in einem lebenspendenden Aspekt gemeint ist. Aber vielleicht war Dagdas Kessel über­ haupt nicht mit Unterweltsvorstellungen verbunden. Er war ein Gott der Druiden; diese aber waren die Priester, welche die Opfer zu besorgen hatten. So läßt sich vermuten, daß sein Kessel das Opfergefäß war, und dann bedeutet er als Dagdas Attribut seine besondere Heiligkeit434445. Von D agda werden einige M ythen überliefert; sie erlauben uns jedoch kaum, die Gestalt dieses Gottes noch etwas schärfer zu profilieren. W ir er­ wähnten schon als seine Tochter Brigit bainfile46, und wir bemerkten dazu, daß sie die Göttin Brigit ist, die unter ihren vielen Funktionen auch die hatte, die Patronin der Dichter zu sein. Auch das ist ein Aspekt der Druiden, die die Opfergesänge und Götterhymnen gedichtet haben werden; ist doch überall die profane Dichtkunst aus einer sakralen Kunst hervorgegangen.

Dagdas Sohn ist Oengus mac ind óc; er ist die Frucht eines verbotenen Liebesverhältnisses mit Elcmars Frau. Das Tochmarc Êtainne erzählt von ihm, daß er bei Midir, einem Elfen von Bri Leith, erzogen wurde. Als er wegen seiner Vaterlosigkeit verspottet wird, zwingt er Dagda, ihn als seinen Sohn anzuerkennen; dieser rät ihm darauf, sich durch List die Herrschaft über das Gebiet des Elcmar zu erwerben4*. Dieser Oengus, dem wir im Zusammenhang mit Medros noch einmal begegnen werden (s. S. 109), hat einen sprechenden Namen: Oengus bedeutet „der allein Kräftige“. Man könnte ihn als eine jün­ gere Erscheinung von Dagda selbst betrachten. 43 Vgl. RC XII, 1891, S. 109. 44 Man darf hier an den Kessel von Gundestrup, der ja auch ein Opfergefäß war, erinnern, vgl. G. Dumézil, Jupiter Mars Quirinus, I, 1941, S. 227—228. 45 Vgl. Macalister, Leabhar Gabhála, § 117, S. 170. 46 Vgl. R. Thurneysen, Die irische Helden- und Königssage, 1921, S. 599-600. 39

I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

In der Erzählung von der ersten Sdiladit von M ag Tured findet sich eine eigentümliche Geschichte von Dagda. Er geht zum Lager der Fomore, der Dämonen, mit denen die Götter, die Tuatha D é Danann, kämpfen. U m ihn zu verspotten, bereiten die Fomore in einem riesigen Königskessel eine Suppe für ihn. Ungeheure M engen von Milch und Mehl, viele Schafe, Z iegen und Schweine werden zusammengekocht und dann in ein Loch in der Erde ge­ gossen. D agda soll alles aufessen, sonst muß er den T od erleiden. D agda beginnt mit einem Riesenlöffel zu essen; nachdem er alles verschlungen hat, kratzt er mit einem Finger noch den Boden des Loches aus. D ann legt er sich hin, um zu schlafen; sein Bauch ist größer als ein großer Speisekessel, und — man denkt unwillkürlich an die biblische Geschichte von N oah — die Fomore glotzen den G ott mit dem aufgeschwollenen Bauch an und verspotten ihn. Zw eifellos ist die Erzählung stark ins Burleske gewandt; vielleicht hat man hier die W irksamkeit der christlichen Geistlichen zu vermuten. Aber es ist daran zu erinnern, daß sich in der heidnischen Zeit auch Griechen und Germa­ nen sehr derbe Scherze über ihre Götter erlaubt haben; die spottlustigen Iren werden ihnen nicht nachgestanden haben. Ich habe den Eindruck, daß hinter dieser Burleske eine Kultlegende stecken könnte. Es ist ein oft beobachteter Brauch, daß die Teilnehm er an einem Kultmahle Trank und Speise aufessen müssen, ohne etwas übrig zu lassen; die M ahlzeit ist sakralisiert worden und kann also nur innerhalb der Kulthandlung stattfinden. Ein solcher Brauch nun findet seine Erklärung in einer Erzählung, die berichtet, daß einm al in der mythischen U rzeit ein Gott dazu gezwungen wurde, eine ungeheure für ihn bereitete M ahlzeit bis auf den letzten Rest zu vertilgen. Man darf weiter daran erinnern, daß D agda der Gott der Druiden war und daß eben diese die Opfervorsteher waren. Ich komme also zu dem Ergebnis, daß der irische D agda in seinen allgem ei­ nen Zügen so sehr dem gallischen Gott, den Cäsar m it dem N am en Jupiter bezeichnet, entspricht, daß wir beide gleichsetzen dürfen.

2. Mercurius a. D e r g a l l i s c h e M e r c u r i u s Cäsar bemerkt: Von den Göttern verehren sie Mercurius am meisten. V on ihm gibt es viele Abbildungen; sie betrachten ihn als den Erfinder aller Kunstfertigkeiten, als den Führer der W ege und Reisen; sie schreiben ihm die größte Macht in G eld- und H andelsangelegenheiten z u 1. D aß er ein bedeu-

1 Vgl. De Bello Gallico VI, 17: „Deorum maxime Mercurium colunt. Huius sunt plurima simulacra; hunc omnium inventorem artium ferunt, hunc viarum atque 40

2. Mercurius

tender Gott war, wird von Minucius Felix bestätigt *, aber, was mehr besagt, besonders durch die archäologischen Funde erhärtet*. W ir kennen bis heute mehr als 450 Inschriften und über 200 Abbildungen (Statuen und Basreliefs); schon dadurch wird erwiesen, daß sein Kult weit bedeutender als der der übrigen Götter war. Bedeutsam sind die Beinamen, die er in mehreren Inschriften führt. Latei­ nische Namen wie Cultor, Viator, lucrorum potens4 deuten auf seinen Cha­ rakter als Kultur- und Handelsgott hin. Für die Römer war das seine wich­ tigste Seite. Es gibt etwa 45 einheimische Beinamen; einige davon kom­ men an mehreren Stellen vor, z. B. Arvernus5, Cissonius * und Visucius7. Der­ artige Beinamen sind zuweilen nur in bestimmten Gegenden gebräuchlich: Arvernus (neben Arvernorix) kommt ausschließlich im Rheingebiet vor, Cissonius (auch Cisonius, Cessonius) in der Germania Superior, in Trier und Köln, Visucius ebenfalls in der Germania Superior, jedoch auch einmal in Bordeaux. Dagegen finden wir Adsmerius bei den Pictones, Artaius in Vienne und Grenoble, Clavariatis bei den Lingonen, Tricasses und Mediomatrici. D ie Nam en sind manchmal undurchsichtig und tragen zuweilen sogar einen unkeltischen Charakter. Zuweilen weisen sie auf den Ort hin, an dem ein solcher Mercurius verehrt wurde. So bringt man Canetonnessis (in Bernay, dép. Eure) mit dem Dorfnamen Kanetonnum, Magniocus mit Magnieu, Dumius mit dem Bergnamen Puy-de-D ôm e in Verbindung.

Wichtig ist der Beiname Adsmerius neben Atesmerius (in Meaux), weil dieser mit dem Namen Rosmerta zusammenhängt, den eine Göttin trägt, die manchmal zusammen mit ihm selbst genannt oder abgebildet wird. Beide Wörter sind mit einem verstärkenden Präfix von der Wurzel *smer abgeleitet, die irgendwie auf einen Begriff „Schicksal“ oder „Vorsehung“ bezogen ist8; das ist wohl ein Hinweis auf eine alte indogermanische Vorstellung. itinerum ducem, hunc ad quaestus pecuniae mercaturaeque habere vim maximam arbitrantur.“ 2 In seinem Octavius VI, 1 nennt er als einzigen, also wohl als den bedeutendsten, Gott der Gallier Mercurius. Das kann er aber bei Cäsar gelesen haben. 5 Vgl. J. Toutain, Les cultes païens dans l’Empire Romain, III, 1921, S. 205. 4 Vgl. A. Even und Fr. le Roux, Ogam 1952, S. 290. 5 CIL X III, 6603, 7845, 8164, 8235, 8579, 8580 und 8709. 6 CIL X III, 3659, 5373, 6085, 6119, 4500, 3020, 6345, 7359, 8237, 4564, 11 476 und 11607. 7 CIL X III, 3660, 4257, 4478, 5591, 6118, 6347, 6384, 6404, 577 und 3665. 8 Vgl. J. Vendryes, ÉC II, 1937, S. 134—135, der an gr. péçoç, poipa, elpappévq, lat. mereo und Morta (eine der Parzen!) erinnert. Daneben gibt es aber auch an­ dere Erklärungen, z. B. von einer Wurzel *smeru, „Fett“; dann würde es sich also um eine Göttin der Fruchtbarkeit handeln; sie wird ja auch mit dem Füllhorn abgebildet. Even und le Roux, a.a.O., S. 291 Fußnote 15, denken eher an eine Be­ deutung „schonen“, und Rosmerta wäre dann die Göttin des materiellen „Über­ flusses“; das würde gut zu dem „Handelsgott“ Mercurius stimmen (vgl. aber auch S. 59).

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

Der N am e Iovantucarus (in Tholey) wird als „Schützer der Jugend“ ge­ deutet, während Vassocaletus aus den W örtern vasso, „junger M ann“, und calet, „hart“, zusammengesetzt sein kann. Noch Gregorius von Tours weiß von einem gallischen H eiligtum bei Giermont zu berichten, „quod G allica lingua Vasso G alate vocant“ *. In mehreren H eiligenleben hören wir übri­ gens von Tempeln oder Statuen des Mercurius, die von den H eiligen zerstört w urden910. Das stimmt durchaus mit der großen Bedeutung dieses Gottes überein, dessen Kult sich auch nach der Bekehrung noch zähe erhalten konnte. Derselbe Gregorius berichtet sogar von einem „grande delubrum“ in Brioude, „ubi in colomnam altissimam simulacrum Martis Mercuriique colebatur“ 11. Zahlreiche Ortsnamen dürften ebenfalls an seinen Kult erinnern, z. B. Marcour, Marcouray (in den Vogesen), Mercoeur (Corrèze, Haute-Loire, Puy-deDôme), Mercoire (Lozère), Le Mercou (Gard), Mercurey (Saône-et-Loire), Macouray (in Luxemburg), Mercore, Mercurago (G allia Cisalpina) und an­ dere m ehr12134.Daneben sind zu erwähnen Mont-Mercure in der Vendée, Mont­ martre in Paris und Mercuriusberg bei Baden-Baden. Es muß aber beachtet werden, daß Namen wie Mercuray, Mercorrey aus einem älteren Mercuriacus nicht auf den Gott hinzudeuten brauchen; es gab auch einen römischen G entilnamen Mercuriusls, solche Ortsnamen verweisen also auf den Gründer oder den Besitzer eines Hofes. Einige Namen deuten darauf hin, daß Mercurius besonders auf Berggipfeln verehrt worden ist. Berühmt war die Tem pelanlage auf dem Puy-de-D ôm e, die, w ie die Ausgrabungen gezeigt haben, mit ganz besonderem Luxus erbaut worden war M. Im Altertum war das Bild des Mercurius, das dort aufgerichtet wurde, berühmt; Xenodoros hatte zehn Jahre daran gearbeitet und 400000 Sesterzien dafür bekom men1516. D er Tem pel war mit seltenen Marmorarten bekleidet, und das Dach war aus Blei hergestellt10. Nicht weniger bedeutsam war der Kult auf dem Berge Donon in den Vogesen, wo die Mediomatriker und Leuker gemeinschaftlich Merkur verehrten17. D ie zentrale Stellung des Gottes im keltischen Pantheon geht jedoch besonders daraus hervor, daß die Römer seinen Kult in Lyon mit großer Sorgfalt gepflegt und ausgebaut haben, indem sie ihn mit jenem des göttlich verehrten Augustus aufs engste ver­ banden. 9 Vgl. Historiarum, Lib. I, 32. 10 So in Gent (Vita S. Bavonis I, 12 = Züricher, 245), in Brantôme (Vita S. Fronto­ nis II, 9 = Zwicker, 251), in Seniis (Vita S. Reguli = Zwicker, 257). 11 De Miraculis = Zwicker, 177. 12 Eine vollständige Liste geben Even und le Roux, a.a.O., S. 292—293. 13 Vgl. G. Dottin, Manuel pour servir à l’étude de l’antiquité celtique, 1906, S. 221. 14 Vgl. P. Monceaux, Revue historique XXXV, 1887, S. 225—262. 15 Vgl. Plinius, Historia naturalis, X X X IV , 45. 16 Gregorius von Tours, Historiarum, lib. I, 32. 17 Vgl. E. Linckenheld, Le sanctuaire de Donon, in: Cahiers d’archéologie et d’histoire d’Alsace, X X X V III, 1947, S. 67-110.

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Karte 7: Verbreitungskarte des Mercurius-Kultes O Mercurius mit der Göttin mit dem Füllhorn (Koblenz, Frier, Condren, Malmaison, Oberohmbach, Landstuhl, Reims, Metz, Bitsdi, Foul und Le Châtelet) + Mercurius mit einer Göttin mit Merkur-Attributen (Wiesbaden, Bierstadt, Kastei, Eisenberg, Niedaltdorf, Langensulzbach, Hültenhausen, Schorndorf, Nöttingen) ■ Mercurius mit einer Göttin mit fraglichen Attributen (Neustadtt, Metz, Gundershofen, Pfaffenhofen, Donon, Langres, Kestenholz) • Mercurius mit einer Göttin mit Früchten (Obrigheim, Eisenberg, Kirkel-Neuhäusel) A Mercurius mit Minerva oder Venus

Es gibt weiter zahlreiche Münzen mit seinem Bildnis, entweder von galli­ schen Kaisern oder auf Grund wichtiger Ereignisse in Gallien geschlagen; sie reichen von Marcus Aurelius bis zu Numerianus18. Unter den im Rhöne-Tal zutage gekommenen Medaillons finden sich ebenfalls mehrere Beispiele von Merkur-Bildnissen1920. Aus den Inschriften kann man erschließen, daß sein Name im zweiten Jahrhundert weniger hervortritt; als aber das Einheimische in Gallien wieder in den Vordergrund drang, stieg die Zahl (zwischen 183 und 249) wieder stark an (vgl. Karte 7). Dort, wo die römischen Heere lager­ ten, tritt sein Kult merklich zurück; in den friedlichen Gebieten Galliens wurde er jedoch mit Vorliebe verehrt29. Die Darstellungen dieses Gottes ergeben einige wichtige Andeutungen in bezug auf seinen Charakter. Natürlich hat das römische Vorbild in weitem Ausmaß bestimmend gewirkt. Mercurius zeigt die bekannten Attribute wie 18 Vgl. P. Monceaux, a.a.O., S. 243. 19 Vgl. Wuillemier und Audin, Annuaire de l’Université de Lyon, III, 1952, S. 22. 20 Vgl. A. Riese, WZ XVII, 1898, S. 23-24. 43

I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

caduceus und petasos; er hält eine Geldbörse in der Hand und wird von Hahn, Bode oder Schildkröte begleitet. Aber auch hier fehlen gallische Eigen­ tümlichkeiten nicht: die Tiere werden nachdrücklicher hervorgehoben, als es in der griechisch-römischen Kunst der Fall w ar21. Besonders bemerkenswert ist das typisch gallische Symbol der Schlange mit dem Widderkopf; zuweilen ist es mit dem Bilde des caduceus verbunden. Es gibt auch Darstellungen, die ganz von der römischen Art abweichen; darin wird Mercurius als alter bär­ tiger Mann abgebildet, der mit einem gallischen Wams bekleidet ist und einen Stock in der Hand hält. Ein Relief in Straßburg stellt ihn mit einem Hammer dar, also mit dem typischen Attribut des Gottes Sucellus; ein anderes in GroßLimmersberg sogar mit einer Feuerzange, die sonst dem Vulcanus eignet22. Auffallend ist ein Bronzebildchen, das in Tongern gefunden wurde, auf dem der Gott mit einer Börse und einem Vogel in den Händen triphallisch (auf Haupt und Nase) dar gestellt ist; auch an einigen anderen Orten (Inschrift von Poitiers, Basrelief von Chalons-sur-Marne) erscheint der Phallus mit Mercurius verbunden23. Im allgemeinen darf man solche vereinzelten Dar­ stellungen aber auch wieder nicht zu wichtig nehmen; man gewinnt den Ein­ druck, daß die göttlichen Attribute in dieser Spätzeit weithin ihren symbo­ lischen Sinn eingebüßt haben und deshalb auf verschiedene Gottheiten über­ tragen werden können. Man hat darauf hingewiesen, daß Mercurius mitunter kaum von Mars unterschieden werden kann. Dafür liefert auch die Interpretation des Gottes Teutates (s. S. 45 ff.) einen typischen Beleg. Wenn man die Meinung geäußert hat, die beiden Namen deuteten zwei Aspekte eines und desselben Gottes an, und zwar eines Schutzgottes sowohl im Kriege als auch im Frieden24256,so macht man sich die Erklärung offenbar zu leicht. Vorsichtiger wäre es, daraus zu schließen, daß dieser Gott des Handels und des Handwerks auch eine krie­ gerische Funktion gehabt haben muß. Zuweilen wird er zusammen mit einer Göttin dargestellt. In dem Gebiet von Mosel, Rhein und Rhône handelt es sich dabei vorzüglich um Rosmerta**. W ir finden aber auch Maia und Diana, ein einziges Mal Minerva; dieser Fall ist auch deshalb typisch, weil der Gott hier auf einheimische Art bärtig ab­ gebildet worden ist28. Die Matres treten nur in wenigen Fällen zusammen mit Mercurius auf. Damit ist wohl alles mitgeteilt worden, was wir über den gallischen MerVgl. G. Drioux, Cultes indigènes des Lingons, 1934, S. 51. Vgl. P. M. Duval, RHR CXLV, 1954, S. 10. Vgl. P. Lambrechts, L’Antiquité Claissique, X, 1942, S. 71—76. Vgl. C. Jullian, Revue des Études anciennes, IV, 1902, S. 107-109, und A. Grenier, Les Gaulois, 19453, S. 344-345. 25 Dabei sind besonders die Lingones, Leuci, Mediomatrici und Treveres zu nennen; in deren Gebiet gibt es nicht weniger als 16 Inschriften. 26 In Rimburg, Esp. 7640. 21 22 23 24

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2. Mercurius

curius erfahren. Es hat nicht an Deutungen seines Charakters gefehlt. D ie Gleichsetzung mit Teutates wurde oft versucht; wir kommen darauf noch zurück (s. unten). Willkürlicher ist die Behauptung einer Verbindung mit Ogmios 27289oder Esus *®. Es ist auch auf einen chthonischen Aspekt des Gottes hingewiesen w orden2®. Man muß sich jedoch dessen bewußt sein, daß damit dann keineswegs der ganze, nicht einmal der ursprüngliche Charakter erfaßt ist: dafür ist der germanische Gott W odan (ebenfalls ein Mercurius!) ein warnendes Beispiel. Noch gefährlicher ist es, auf Grund gewisser Attribute den Versuch zu wagen, ihn mit uns aus bildlichen Darstellungen bekannten gallischen Gottheiten gleichzusetzen, wie dies namentlich P. Lambrechts getan hat; dieser Forscher identifiziert ih n 30 mit dem sog. Gott in der Buddha­ haltung (weil dieser zuweilen eine Börse in der Hand hält), mit dem Gott mit dem Hirschgeweih und mit der W idderkopfschlange und endlich auch mit dem dreiköpfigen Gott. W enn wir in Reims einen Merkur mit drei, in Bor­ deaux sogar einen mit vier Köpfen finden, so erscheint es mir sehr imvorsichtig, nun auch alle Trikephalen als Mercurius deuten zu wollen. Man müßte dann erst genau wissen, was das Symbol der Dreiköpfigkeit bedeutet h a t31. D ie Gleichsetzung mit dem Gotte Lug wird von vielen Forschem vor­ genommen; wir müssen darauf näher eingehen, w ollen aber erst die mög­ liche Verbindung m it Teutates besprechen. b. T e u t a t e s W ährend Cäsar gewiß mit Vorsatz die gallischen Götter mit römischen Nam en benannt h a t32, findet Lucanus es angebracht, mit einigen gallischen N am en zu prunken: er erwähnt Teutates, Taranis und Esus. D ie Nam en be­ sagen an sich nicht viel. Spätere Kommentare, die sog. Commenta Bernensia, haben sie zu erklären versucht; leider widersprechen sie einander völlig, denn Teutates wird das eine M al mit Mercurius, das andere M al hingegen mit 27 Schon Dom Martin, La religion des Gaulois, 1727, I, S. 316, aber auch noch A. J. Räude, Ogam IX, 1937, S. 262-263. 28 Vgl. S. Reinadi, Cultes, Mythes, Religions, III, S. 176. 29 Vgl. F. Benoit, Collection Latomus, III, 1950, S. 83. 30 Vgl. Contributions à l’étude des divinités celtiques, 1942, S. 21 ff. 31 R. Pettazzoni, Der allwissende Gott, 1960, S. 37, sieht ihn deshalb als allwissenden Sonnengott an. Das schließt er auch aus dem Namen Visucius, etwa „Wissender“, was aber nicht nur auf einen Charakter als Sonnengott hinzudeuten braucht; in dieser Hinsicht berührt er sich vielmehr mit Wodan, der sicherlich kein Sonnen­ gott war. Wenn wahrscheinlich auch die Allwissenheit als Eigenschaft der Gottheit sehr früh mit dem alles sehenden Auge der Sonne verbunden gewesen ist, so darf man daraus noch nicht folgern, daß nun auch allwissende Götter in den höheren Religionsformen aus dem Typus eines Sonnengottes hervorgegangen seien. 32 P. M. Duval, RHR CXLV, 1954, S. 7, bemerkt: weil das die Assimilation der bei­ den Völker fördern sollte. H at Cäsar damals schon daran denken können? Wenn er es nicht bloß der Einheitlichkeit des Stiles wegen tat, so doch um seinen Lesern den Begriff der barbarischen Götter näherzubringen.

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

Mars gleichgesetzt8*. Es ist zu verstehen, daß spätere Forscher zu der A u f­ fassung gelangt sind, diese Kommentatoren hätten selber nicht mehr recht gewußt, w ie es sich mit diesen gallischen Göttern verhielt. D as ist möglich, aber man sollte nicht übersehen, daß in den Quellen, aus denen sie schöpften, doch erstaunlich genaue M itteilungen gemacht werden. Das ergibt sich aus dem Bericht über die den Göttern dargebrachten Opfer. Der Kult war bei den Galliern notorisch grausam, und einem Kriegsgott wurden natürlich Menschen, vor allen D ingen die Kriegsgefangenen, hin­ geschlachtet. Das Opfer durch Ertränken in einem Faß ist gew iß echte T radi­ tion; ich werde dazu sogleich einige Parallelen anführen. Teutates schwankt also zwischen Mercurius und Mars. D ie Inschriften bevor­ zugen die Gleichsetzung mit Mars: in England finden sich einige W eih e­ inschriften an diesen Gott, der unter dem Nam en Mars Teutatis (Chasterton, Rosky W ood), Totatis (York) und Tutatis (Old Carlisle) erscheint. W eiter gibt es noch eine Dedikation an Mars Toutatis in Sedcau (Steiermark) und in R om 84. In den gallischen Gebieten, auf die die Erwähnung bei Lukan ge­ münzt ist, wurde also keine einzige Teutates geweihte Inschrift gefunden; diese stammen vielmehr ausschließlich aus den keltischen Randgebieten. M an könnte meinen, hier seien die Beziehungen zum Kriege stärker hervorgekehrt und deshalb eine Identifikation mit Mars bevorzugt worden. Es zeigt sich hier also wieder, daß die Angaben in der Literatur nicht immer von den Inschrif­ ten oder Abbildungen bestätigt werden — eine merkwürdige Tatsache, die vielleicht darauf hinweist, daß beide auf verschiedene Schichten der Bevölke­ rung zurückgehen. Es gibt keine bildlichen Darstellungen, die wir unzweideutig auf Teutates beziehen könnten. D ie von D uval angeführte Säule von M avilly, auf der ein Krieger mit Speer und Schild, neben ihm eine Frau und die W idderkopfsdilange dargestellt sind, kann man ohne weitere A ngaben unmöglich mit Teutates in Verbindung bringen85. Andere Gleichsetzungen — ein speer­ bewaffneter Gott, ein mit einem Hund abgebildeter Gott — sind ebenso w ill­ kürlich88. W ir wissen nicht, w ie Teutates in G allien dargestellt worden ist. Daraus hat man nun wieder gefolgert, dieses Schwanken zwischen Mars und Mercurius beweise, daß der Gott keinen festumrissenen Charakter gehabt 3* S3 M. Annaei Lucani Commenta Bemensia, Ausg. H. Usener, 1869, S. 32, vgl. Zwidter, Fontes religionis celticae, I, 51, 18: „Mercurius lingua Gallorum Teu­ tates dicitur qui humano apud illos sanguine colebatur. Teutates Mercurius sic apud Gallos placatur: in plenum semicupium homo in caput demittitur ut ibi suffocatur“, und 52, 19: „Teutates Mars sanguine diro placatur siue quod proelia numinis eius instinctu administrantur, siue quod Galli antea soliti ut aliis deis huic quoque homines immolare.“ 34 Vgl. Holder, Sprachschatz, II, 1895—1896 und 2022. 35 Vgl. P. M. Duval, Les dieux de la Gaule, 1957, S. 25—26. 36 Vgl. E. Lindtenheld, Cahiers d'archéologie et d’histoire d’Alsace XXXVIII, 1947, S. 79-85

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2. Mercurius

habe; eine solche Unsicherheit sei gerade das Merkmal primitiver Gottes­ vorstellungen37. Aber dagegen spricht schon die klare Aussage bei Cäsar; die Inschriften beweisen ebenfalls, daß man ganz genau wußte, an welchen Gott man sich zu wenden hatte. Betrachten wir deshalb die mit Teutates verbundene Opferhandlung. Sie scheint für einen Kriegsgott w enig angebracht. W ir kennen sie aber auch aus anderen Quellen. Strabo berichtet uns3839von einem grausamen Brauch bei den Kimbern: Frauen mit grauem Haar in weißen Gewändern, die ihr Oberkleid aus Leinwand auf der Schulter mit Spangen befestigt hatten, einen ehernen Gürtel trugen und barfuß gingen, nahmen die Kriegsgefangenen m it dem Schwert in der Hand in Empfang, bekränzten sie und führten sie dann zu einem ehernen Mischkessel, der etwa zwanzig Eimer faßte und an dem eine Leiter lehnte; diese erstiegen sie und schnitten, über den Kessel gebeugt, jedem Gefangenen, der zu ihnen emporgehoben wurde, die Kehle durch. Aus dem Blut, das in den Mischkessel rann, weissagten sie. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß es sich hier eher um einen keltischen als um einen germanischen Brauch handeln dürfte33; die Kimbern waren damals bereits stark mit keltischen Volkselementen vermischt. W enn man die Angaben in den Scholien (Ertränken in einem Faß) und andererseits „sanguine diro pla­ catur“ miteinander verbinden w ill, so könnte man an diese Strabo-Stelle anknüpfen. Sie stellt die Opferhandlung auch mit der W eissagung zusammen. Eine eindeutige Parallele bietet jedoch ein Bild auf dem Kessel von Gundestrup; dort ist eine Szene abgebildet, in der ein großer bekleideter Mann (ein Gott oder ein Priester?) einen Menschen mit dem Kopf nach unten in ein Gefäß stößt. Man darf dieses Bild aber nicht aus seinem Kontext heraus­ nehmen: eine Gruppe von Kriegern zu Fuß bewegt sich auf diesen Kessel zu, über ihnen sehen wir hingegen eine Gruppe von Kriegern zu Pferd, die sich vom Opfergefäß wegbewegen. Der Kessel bildet also gewissermaßen den Mittelpunkt eines geschlossenen Handlungsablaufs: Männer marschieren zum Gefäß, sie werden darin untergetaucht — der eine abgebildete Mann steht wohl abkürzend für jeden Krieger der Reihe — und als berittene Krieger ziehen sie wieder von dannen. Es ist viel an dieser Szene herumgedeutet worden, und alles bleibt rätselhaft, solange wir den Ritus und den Mythus nicht kennen, auf die das Bild sich bezieht. Es scheint mir wirklich verwegen, darin eine W iederauferstehung aus dem Tode zu sehen. Zwar gehört das Pferd machmal zum Totenreich und werden heroisierte T ote beritten dar­ gestellt40, aber nicht jeder Reiter braucht Abbild eines Toten zu sein. Man könnte vielmehr an eine Initiation denken und dabei berücksichtigen, daß diese 37 38 39 40

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

C. Jullian, Revue des études anciennes, IV, 1902, S. 110—113. Geographica, VII, 2, 3. „Erbe und Vergangenheit“, Festschrift K. Helm, 1951, S. 12—14. J. Gricourt, Latomus X III, 1954, S. 376—383.

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

vielerorts als ein symbolischer T od vorgestellt wird, der als Durdigangspunkt zwei Lebensphasen voneinander trennt. D ann könnten die M änner zu Pferde die neuen, als junge berittene Krieger auftretenden M itglieder des Stammes bezeichnen. D ie Figur, die sie nacheinander in das G efäß hineintaucht, wäre dann der dabei amtierende Priester. W ir haben keine Veranlassung, hier den N am en Teutates einzusetzen oder — ein noch abenteuerlicherer Gedanke — das G efäß mit wassergefüllten unterirdischen Schluchten zu verbinden41. Bescheiden w ir uns m it dem, was wir wissen können42: ein Opfertod in einem Faß. Oft begegnen w ir in der H eldensage M otiven, die ursprünglich zum mythischen Bereich gehörten; es ist deshalb daran zu erinnern, daß in der irischen Tradition einige M ale erzählt wird, daß H elden, die in einem brennenden Hause eingeschlossen worden sind, sidi in einem G efäß ertränken; dies wird von König Diarm aid mac Cerbhail und von Muircertach mac Erca berichtet. Es ist dabei zu beachten, daß Diarm aids Todesart später in der Beltene-Feier zu Uisnech kommemoriert w ird 4*. D ies dürfte gew iß auf eine Begründung in einem Ritus hinweisen. In diesem Zusammenhang ist es nicht bedeutungslos, daß in der altnordischen Literatur ebenfalls von Fjçlnir, der ein Sohn des Gottes Yngvifreyr genannt wird, berichtet wird, er sei in einer M etkufe ertrunken. Dieser Fjçlnir aber wird immer m it Odhin gleichgesetzt; sollten Teutates und W odan vielleicht einander entsprechende Götter ge­ wesen sein? Seit Dom M artin wird das W ort Teutates als „Vater des Stammes“ er­ klärt44. J. Loth hat das sprachlich näher zu untermauern versucht: Toutatis wäre eine H aplologie aus Touto-tati-s, das buchstäblich „Vater des V olkes“ bedeuten so ll4546. Das wäre ein sehr allgem einer N am e, im Grunde ein B ei­ name, so w ie der irische Gott Dagda auch Ollatkir genannt wurde. M an kann daraus nur folgern, daß Teutates für das Leben der Stammesgemeinschaft eine besondere Bedeutung gehabt hat. Über seinen Wirkungsbereich läßt sich kaum etwas aussagen. M an hat dazu gerechnet: die Fruchtbarkeit und den Reichtum, sogar die Q uellen oder die U n terw elt45, aber das konnte nur auf Grund durchaus unsicherer Identifika­ tionen mit anderen Gottheiten geschehen. Sicher ist nur, daß er mit Krieg und Kampf in Verbindung stand; das beweist jedoch noch nicht, daß er ein g a l­ lischer Mars wäre; denn der germanische W odan, der von den klassischen 41 Vgl. F. Benoit, Ogam VII, 1955, S. 27-32. 42 Es scheint mir unangebracht, mit W . Deonna (in: Ogam X, 1959, S. 24—25) die Möglichkeit zu erwägen, der Scholiast habe aus der Hagiographie geschöpft, nur weil der Tod der H. Reine gleicher Art war; dagegen spricht schon die Abbildung auf dem Kessel von Gundestrup. 43 Vgl. H. Hubert, Les Celtes, II, 1932, S. 293. 44 Vgl. La religion des Gaulois, I, 1727, S. 326. 45 Vgl. RA X X I, 1925, S. 222. 46 Vgl. E. Linckenheld, a.a.O., S. 69. 48

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Autoren mit Mercurius gleichgesetzt wird, ist ebenfalls ein ausgesprochener Gott des Krieges, freilich auch nicht der einzige im germanisdien Pantheon. Er habe nur lokale Bedeutung gehabt, wird zuweilen behauptet47. Dagegen spricht schon, daß er von Britannien bis in die Steiermark verehrt worden ist: er war bestimmt ein Hauptgott, der in jedem Stammesverband eine hervor­ ragende Stelle einnahm. Wer war dieser Gott aber? Daß man ihn auf Grund eines gewissen An­ klangs der Namen im 18. Jahrhundert dem ägyptischen Thoth gleichgesetzt h a t48, verzeichnen wir nur als Kuriosum. Mit Silvanus, Herkules oder Cernunnos hat er vielleicht Berührungen gehabt; sie sind jedoch nebensächlicher Art. Man hat ihn mit Dis Pater, dem von Cäsar erwähnten Gott der Unter­ welt (s. S. 81), gleichsetzen wollen48501,aber auch dafür fehlen alle Beweise. W ir bleiben am Ende immer wieder vor der Frage stehen: Mercurius oder Mars? Es gibt in der Epigraphie einen Toutatis Medurini58; damit kann man dann eine andere Inschrift an einen Deo M edrv81 verknüpfen. Eine Verbindung mit Mithras, die man hat annehmen wollen5253, ist natürlich vollkommen aus­ geschlossen. Eher könnte man den Versuch wagen, an eine Figur der irischen Sage anzuknüpfen, und zwar an M idir**. Dieser tritt hauptsächlich in der Geschichte von der Werbung um Etain auf54: er ist, wie wir schon bemerkt haben, der Erzieher von Oengus mac Óc und bewirkt mittels List, daß Elcmar diesem sein Land abtreten muß. Bei ihrer Aussöhnung verliert er infolge eines Schusses mit einer Haselstange ein Auge, das aber durch Dian Cedit wiederhergestellt wird. Später erwirbt er Ailills Tochter Etain. In anderen Erzählungen erscheint er Etain dreimal in der Gestalt Ailills, um zu ver­ hindern, daß sie mit diesem einen Ehebruch begeht55. Er heißt auch der Herr von Mag Mor, und er soll Etain entführt haben, indem er sich selbst und sie in Schwäne verwandelte56. Aus alledem geht hervor, daß wir uns mit diesem Midir in einer mythischen Welt befinden, aber seine göttliche Funktion wird trotzdem nicht klar. Nur ist bemerkenswert, daß der Verlust eines Auges 47 Vgl. S. Reinach, RC 1897, S. 137 ff., und A. G. van Hamel, Aspects of Celtic Mythology, 1934, S. 34. P. M. Duval, RHR CXLV, 1954, S. 9, meint, daß Lucanus von den Trevires, Lingones und einigen benachbarten Stämmen spricht. 48 So Bern, de Montfaucon, L’Antiquité classique, II, S. 414, vgl. weiter Dom Mar­ tin, Religion des Gaulois, I, S. 303, und A. Maury in der „Encyclopédie moderne“, X III, S. 107. 49 Vgl. E. Linckenheld, a.a.O., S. 83—85, und Jullian, Histoire de la Gaule, II, S. 121. 50 In Rom 1904 gefunden, vgl. CIL VI, 31 182. 51 Vgl. CIL X III, 6017 und drei Basreliefs im W ald von Hagenau und in Gunstett bei Wörth; vgl. F. Cumont, RC XXV, S. 47—50. 52 Vgl. Schweighäuser in den Mémoires des Antiquaires de France, VI, 1842. 53 Vgl. F. J. Himly in den Cahiers d’archéologie et d’histoire d’Alsace, IX, 1949— 1950. S. 115-124. 54 Todimarc Étainne in Ériu X II, S. 142 ff. 55 Vgl. Ériu X II, 162—170, aus dem Yellow Book of Lecan. 56 Vgl. Ériu X II, S. 180.

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I. Die in den römisdien Quellen erwähnten Gottheiten

und die Genesung durch Dian Cecht an eine ähnliche Geschichte von Lug erinnern. Der Name hilft uns auch kaum weiter, wie es so oft der Fall ist; man kann ihn z. B. zu der Wurzel *med, „abmessen, erwägen“, stellen57. Das würde auf eine intellektuelle Tätigkeit hindeuten. Es ist jedoch ebenfalls möglich, an das Wort mid, „Met“, anzuknüpfen; wir können daran erinnern, daß auch der germanische Wodan ganz besonders mit diesem Rauschtrank verbunden erscheint. Die Abbildungen stellen ihn mit Helm und Speer dar; das deutet jeden­ falls auf einen kriegerischen Charakter. Hinter ihm steht ein Stier; die Deu­ tung als Kriegsbeute58 erscheint mir zu nüchtern. Ich sehe nicht ein, wieso dieser Medru uns in bezug auf das Verständnis von Teutates weiterhelfen könnte, auch wenn sich die Möglichkeit ergeben würde, von einer höheren Warte aus einzelne Züge dieser Götter zu einer hinter ihnen liegenden Gestalt zusammenzufassen. Der „Stammvater“ trägt einen Namen, der im Grunde nur ein Epitheton ist. Apollo heißt auch in einer Inschrift59 Toutiorix; das entspricht ganz einem germanischen PeuÖartks. Ein Teutates muß im Leben eines Stammes eine hervorragende Rolle gespielt haben; er könnte sowohl ein Mercurius als auch ein Mars gewesen sein. Man hat daneben aber auch die Möglichkeit in Er­ wägung zu ziehen, daß diese beiden Götter doch irgendwie eine gemeinsame Berührungsfläche besaßen, die dann sicherlich in Beziehung zu dem Phäno­ men des Krieges gestanden hat. Diese Überlegung kann sich für die Beurtei­ lung des Mercurius als bedeutsam erweisen. c. L u g u s Die Stadt Lugudunum, das heutige Lyon, wurde von Augustus zum Zen­ trum Galliens erhoben. Sie wurde mit prunkvollen Bauwerken ausgestattet. In der Nähe der Stadt, auf dem Berge Fourvière, von dem aus man eine herrliche Aussicht auf die Alpenkette hat, soll schon in keltischer Zeit dem Gotte Lug ein Tempel geweiht gewesen sein60. Lugudunum bedeutet also die dem Gotte Lug geheiligte, hohe, befestigte Stadt; es ist zu beachten, daß es nicht weniger als fünfzehn Orte gibt, die diesen Namen tragen61, darunter 57 58 59 60 61

Vgl. K. Christ, Korrespondenzblatt der WD, XV, 1896, Sp. 244—245. Vgl. F. Cumont, RC XXV, 1904, S. 47-50. In Wiesbaden gefunden, vgl. CIL X III, 7564. Vgl. A. Audin und P. L. Couchaud, RHR CXLVIII, 1955, S. 50. Man hat Lugudunum auch anders erklären wollen. P. Quentel (in: Ogam VI, 1954, S. 236) übersetzt: „die Stadt, die man von weitem klar liegen sieht“ (also zu einer ursprünglichen Bedeutung „hell sein“, „leuchten“, vgl. die Wurzel *leuk). J.W hatmough (in: Ogam VII, 1955, S. 353) denkt wiederum an eine Bedeutung „Festung, die von Morasten umgeben ist“. Aber eine aus der Topographie hervorgegangene Benennung ist für fünfzehn verschiedene Ortschaften wohl äußerst unwahrschein­ lich. 50

2. Mercurius

z. B. Laon, St. Lizier in Gallien, Liegnitz in Schlesien und vielleicht Leiden in Holland; Carlisle hieß in der römischen Zeit Luguvallum ®*. Der Gott der Hauptstadt Galliens dürfte der höchste Gott Mercurius ge­ wesen sein. Die Verschmelzung mit dem Kaiserkult macht es erklärlich, daß seine Hauptfeier am ersten August stattfand; es ist jedoch weiter zu beachten, daß in Irland an diesem selben Tage das Fest des Gottes Lug (Lugnasad) gefeiert wurde. Daraus dürfen wir schließen, daß Lug im ganzen keltischen Gebiet ver­ ehrt worden ist. Über den gallischen Kult ist uns wenig bekannt; in den Ab­ bildungen überwiegt natürlich die römische Merkurgestalt. Es gibt aber eine Legende, die über den Charakter des Gottes Aufschluß zu geben vermag. Bei der Stiftung der Stadt sollen Raben vom Himmel herabgeflogen sein48. Daß man daran wirklich geglaubt hat, beweisen die Abbildungen eines Raben, der auf einer Cornucopia sitzt. W ir kennen auch drei Medaillons, auf denen der Genius von Lyon abgebildet ist; zu Füßen der Gottheit sitzt ein Rabe ®*. Pseudo-Plutarchus, der diese Sage mitteilt, fügt noch hinzu Aoüyov. tov xópaxcx xaXoöcn. Lugus soll also der Rabengott sein. In der Überlieferung der keltischen Sprachen ist das W ort unbekannt, denn hier ist lugus ein Name für den Lynx®5. Ich glaube trotzdem, daß man einen alten Text nicht so un­ bekümmert behandeln darf. Natürlich kann Pseudo-Plutarchus, der die Grün­ dungssage von Lyon mitteilt, eine geistreiche Etymologie für Lugudunum versucht haben; wäre es aber nicht denkbar, daß neben dem Wort brennos für Rabe auch lugos bestanden hat, vielleicht als Bezeichnung einer besonderen Rabenart®®? Wie dem auch sei, die Verbindung des Gottes Lugus mit einem Raben kann als gesichert gelten. Eine spanische, in Osma gefundene Inschrift hat viel Verwirrung gestiftet; sie lautet „Lvgovibvs sacrvm L.L. Vrcico Collegio Svtorvm D.D.“. Was be-62345 62 Vgl. Nennius c. 66a. 63 Vgl. M. Haggarty Krappe, RHR CXIV, S. 236—237, der diese im Pseudo-Plu­ tarchus überlieferte Sage als eine Nachahmung ähnlicher Gründungssagen von Alexandrien und Antiochien, in denen jedoch ein Adler auf tritt, hat ansehen wollen. Das scheint mir Hyperkritik. Dann wäre doch auch zu berücksichtigen, daß in diesem Fall eben Raben genannt werden und daß die Vorlage mit Vorsatz geändert worden sein müßte. 64 Vgl. Ch. Renel, Les Religions de la Gaule, Annales du Musée Guimet X X I, 1907, S. 206. Es ist durchaus abwegig, mit A. Audin und P. L. Couckaud (RHR CXLVIII, 1955, S. 50) anzunebmen, der Rabe sei als Attribut des Sonnengottes Apollo, mit dem die Römer später Lug assimiliert haben, zu betrachten. Damit wird ja die Rabenlegende überhaupt nicht erklärt. 65 Vgl. A. G. van Hamel, Aspects of Celtic mythology, 1934, S. 32, und H. Pedersen, Vergleichende Grammatik der keltischen Sprachen, I, 1909, S. 186. 66 Vgl. Ch. Renel, a.a.O., S. 206. Dagegen setzt Meyer-Lübke eine Grundform *plugo an, die es gestatten soll, das W ort mit germ. *fuglaz, „Vogel“, zu verbinden.

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

deutet dieser Plural Lugoves? Man hat an weibliche Gottheiten gedacht97 oder aber an einen Gattungsnamen, der wie Matres oder Genii erklärt werden muß98. Oder aber man ist auf eine Götterdreiheit oder einen Gott in drei­ facher Gestalt verfallen99. Die Lösung bietet jedoch die Widmung selbst; sie ist für ein collegium sutorum gestiftet worden. In dem kymrischen Mabinogi Math vab Mathonwy treten Gwydyon und sein (Pflege-)sohn Llew llaw Gyffes als Schuster auf, um eine List durchzuführen. Die christlichen Patrone der Schuhmacher SS. Crispianus und Crispinianus sind zwei Märtyrer, die 284 in Soissons zu Tode gebracht wurden; diese gallischen Schutzpatrone sind vermutlich die Nachfolger eines heidnischen Götterpaares79. Lugoves bedeutet deshalb wohl eine Zweiheit von Göttern, in der Lug der bedeutendste war. Weil Mercurius „omnium inventor artium“ war, konnte Lug sich in diesem Fall zu einem Gott der Schuhmacher spezialisieren, aber auch andere Hand­ werker hätten ihn genausogut verehren können. Für die Bestimmung seines Charakters sind nun die irischen Überlieferun­ gen besonders aufschlußreich. Hier finden wir mythische Erzählungen, in denen er eine Rolle spielt; diese können uns zeigen, welche Funktion er im Leben der Menschen vertrat. Wie das in einer so späten und durch romantische Zutaten verwässerten Überlieferung wie der irischen zu erwarten ist, sind die Angaben über Lug nicht einhellig. Seine Verwandtschaftsverhältnisse sind mannigfach. Er wird als Sohn der Ethlenn betrachtet6768901723, und diese ist die Tochter Balors. An einer anderen Stelle7* heißt seine Mutter Ethniu, aber weil sie ebenfalls eine Toch­ ter Balors ist, scheint das nur eine Variante des ersten Namens zu sein. Er heißt aber ebenfalls Sohn der Cian, wiederum auch der Diancecht78. Er wird von Tailtiu erzogen, und das ist besonders wichtig, denn nach ihrem Tode soll er sie in einer Ebene von Meath begraben und ihr zu Ehren ein Fest eingesetzt haben7475. Das letzte Mal wurde diese Feier 1169 von Roderick O’Connor veranstaltet. Ein Hügel in der Nähe hieß Tulach-na-coibche, d. h. der Hügel, auf dem der Brautpreis bezahlt wurde78. Diese Tailtiu (aus *Talantio) darf man als eine Erdgöttin betrachten (S. s. 129). Die Feier trug 67 Vgl. E. Windisch, Das keltische Britannien, S. 99—100. In Avenches (Mommsen, Inscr. Helvet., Nr. 161) sind die Lugoves wahrscheinlich weibliche Gottheiten. 68 Vgl. M. Ihm in Roschers Lexikon, II, 2, Sp. 2153—2154. 69 Vgl. M. L. Sjoestedt, Gods and Heroes of the Celts, 1949, S. 42. 70 Vgl. J. Rhys, Celtic Heathendom, 1888, S. 424—426, weiter W. J. Gruffydd in seiner Ausgabe von „Math vab Mathonwy“, 1928, S. 237, und J. Gricourt, Ogam VII, 1955, S. 69-70. 71 Vgl. Táin bo Cualnge, Ausg. Windisch, 1. 342. 72 In Compert Conculaind, Ausgabe Irische Texte, S. 139. 73 So Aided Chloinne Tuirenn in Atlantis IV, S. 159 ff. 74 Vgl. Dindsenchas, RC XV, S. 50, und O'Curry, Manners and Customs, II, S. 148. 75 Vgl. J. Loth, RA, 4. Reihe, X X IV Bd., 1914, S. 216 ff. 52

2. Mercurius

den Namen Lugnasad; das bedeutet wohl „Lugs Heirat“; Keating berichtet78, daß während der Feier in Tailtiu Heiraten von den Eltern verabredet wurden. Lug hat mehrere Beinamen. W ir begegneten schon samildánach, d. h. der in vielen Künsten Erfahrene. Der Mythos von der Schlacht von Mag Tured (s. S. 148 ff.), auf die wir gleich ausführlicher zurüdckommen werden, erzählt, daß der Gott Lug sich am Palaste des Gottes Nuadu in Tara meldet und sich nach­ einander als Zimmermann, Schmied, Krieger, Harfner, Dichter, Zauberer, Arzt, Schenke, Bronzeschmied ausgibt; man kann ihn jedoch nicht gebrauchen, denn es gibt schon alle diese Dienstleute. Jetzt schickt Lug den Pförtner mit der Frage zu Nuadu, ob ein Mann mit so vielen Kunstfertigkeiten nicht zu­ gelassen werden soll77. Nachdem er Nuadu in einer Schachpartie besiegt hat, wird er an dessen Hof aufgenommen. Er wird aber auch lámfada, d. h. „mit der langen Hand“, genannt. Früher hat man dabei an die Strahlen der Sonne gedacht, um so mehr, weil sein Beiname grianainedi auf seine Apollonatur hinzudeuten scheint. Aber er heißt auch lonnbeimenedi oder „der wild schlägt“; wenn man das auf den Blitz beziehen w ill78 und auch seinen Speer als Blitzstrahl deutet, befindet man sich in der längst verlassenen Sphäre der Naturmythologie. Denn er hat einen Speer, mit dem er kämpft. Er bedient sich weiter einer Steinschlinge, wenn er das einzige Auge des Fomoreführers Balor trifft. Wich­ tiger ist noch, daß er im Kampf auch magische Handlungen verrichtet: auf einem Fuß stehend und mit einem geöffneten Auge ging er, während er dazu ein Lied sang, um das Heer der Tuatha Dé Danann herum79. Diese magische Handlung und das einzige Auge stellen ihn in die unmittelbare Nähe des germanischen Odhin und des indischen Varuna80. In der zweiten Schlacht von Mag Tured tritt Lug, obgleich er als Enkel des Balor zu den Fomore gehören müßte, an die Seite der Tuatha Dé Danann und ist sogar der Heerführer der Götter. Er entscheidet die Schlacht, wie wir schon bemerkten, indem er seinen Großvater Balor tötet. Wie man auch seine Verbindung mit den Fomore zu beurteilen h at81, in dieser mythischen Schlacht gehört er unzweifelhaft zu den Tuatha Dé Danann. W ir greifen einer weite­ ren Behandlung vor (s. S. 151 ff), wenn wir schon jetzt darauf hinweisen, daß diese Schlacht ihrer Funktion nach dem Kampf der Äsen und Wanen in der altnordischen Mythologie zur vergleichen ist. Wie Odhin hier, so ist Lug dort 76 Foras feasa ar Eirinn I, S. 39. 77 Tanaic ôclaech iondoras lis, Samilldánadi 7 na huili dano arufognot det muntir-si atat les ule a oenor, comedh fer cacha danai ule ei. Vgl. W . Stokes, RC X II, 1891, § 68 . 78 Vgl. R. Sherman Loomis, Celtic Myth and Arthurian Romance, 1927, S. 46—47. 79 In § 219: „conid and rocan Lug an cetul so sios for lethcois 7 letsuil timchell fer n-Erenn.“ 80 Vgl. G. Dumézil, Mitra-Varuna, 1948, S. 181—182. 81 O’Rahïlly, a.a.O., S. 483, sagt wohl mit Recht, daß sie euhemerisierte Götter sind, die kaum von den Tiatha Dé Danann unterschieden werden können. 53

I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

der eigentliche Führer. Diese Übereinstimmung kann uns dazu helfen, den Charakter dieses Gottes eindeutig zu bestimmen. Die Forschung hat viele Möglichkeiten erwogen. Man hat den Gott ab­ wechselnd mit Jupiter8283, mit Apollo89 oder auch mit Herakles84 verglichen. Im allgemeinen überwiegt aber die Gleichsetzung mit Mercurius8586. Es fällt dabei schwer ins Gewicht, daß merkwürdigerweise auch der germanische Wodan mit Mercurius gleichgesetzt worden ist; die Deutung als ein Gott der Händler und Handwerker ist für den germanischen Gott nicht weniger überraschend als für Lug. Es wird sich deshalb lohnen, zu bestimmen, wie weit Lug und Wodan mit­ einander übereinstimmen88. 1. Lugus ist der Hauptgott der Gallier, Wodan hingegen der Germanen. 2. Lug ist Heerführer, Odhin ebenfalls. 3. Lug spielt eine hervorragende Rolle in der Götterschlacht von Mag Tured, wie Odhin in dem Kampf zwischen Äsen und Wanen. 4. Lug kämpft mit einem Speer, Odhin auch. 5. Lug verwendet in der Schlacht Magie; Odhin übt ebenfalls in hohem Maße Magie. 6. Lug schließt ein Auge bei dieser magischen Handlung; Odhin hat nur ein einziges Auge. 7. Lug ist ein Meister der Dichtkunst, wie Odhin der Patron der Skalden ist. 8. Lug ist auf irgendeine Weise mit dem Raben verbunden, dieser Vogel ist jedoch auch für Odhin bezeichnend. 9. Lug ist ein Heldenvater, besonders der Cúchulainns87; das ist Wodan aber auch. Windisdi hat einmal gesagt88, daß ein keltischer Gott Lugus im ausgehen­ den Altertum nicht bekannt gewesen sei. W ir können jetzt dagegen sagen: er gehörte nicht nur zu den höchsten Göttern, sondern er muß auch in die urkeltische Zeit hinauf reichen, weil er in so vielen Punkten mit einem anderen indogermanischen Gott übereinstimmt. W ir hatten ja schon Gelegenheit, auf Wodan und Varuna hinzuweisen. Das gibt ihm im alten Göttersystem seinen festen Platz. Er gehört zur Funktion der königlichen Autorität, und zwar in ihrem magisch-kriegerischen Aspekt; er war ein ungestümer, furchtbarer Gott, Vgl. Fr. le Roux, Ogam VII, 1955, S. 264. Vgl. M. L. Sjoestedt, a.a.O., S. 42. Vgl. Audin und Coudiaud, a.a.O., S. 50. Der Gedanke, er sei eigentlich ein „fairy lord“, ist von van Hamel, a.a.O., S. 9 ff., ausgesprochen worden. 86 Vgl. dazu meine Bemerkungen in Ogam X, 1958, S. 281. 87 Vgl. Max Neill, Celtic Ireland, S. 57, der sagt: fast alle Iren führten ihr Geschlecht auf Lug zurück. 88 Vgl. Das keltische Britannien, S. 99. 82 83 84 85

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2. Mercurius

aber deshalb nicht weniger segensreich. Das Heil, das er spendete, galt jedoch nicht nur den Kriegern, sondern auch den Dichtern und den Zauberern. Gei­ stige Eigenschaften überwiegen stark in seiner Persönlichkeit; deshalb konn­ ten die Römer ihn mit ihrem Mercurius vergleichen, wie sie dies ähnlich mit dem germanischen Wodan getan haben. Dabei muß man aber bedenken, daß eine derartige Gleichsetzung nur einem Zipfel seines höchst komplizierten Wesens Ausdrude verleiht. d. D e r k y m r i s c h e G w y d y o n Im vierten Mabinogi von Math, dem Sohn von Mathonwy, tritt ein Gwydyon auf, dem es durch seine Verschlagenheit gelingt, die Schweine von Pryderi, dem Sohne Pwylls, zu erwerben. Man hat ihn manchmal mit Wodan verglichen89. Auf geheimnisvolle Weise geboren, zeichnet er sich sowohl in der Kriegskunst als auch durch Beredsamkeit und Magie aus. Pwyll, dessen Schweine er erworben hat, war vermutlich ein Gott der Unterwelt; diese Tiere kannte man bis dahin in Gwynedd90, wo Math herrschte, noch nicht. Aber Pwyll und Pryderi haben sich an ihm gerächt und ihn in dem Kerker von Caer Sidi eingeschlossen91. Hier wird ihm die Gabe der Dichtkunst ver­ liehen. Rhÿs bringt seinen Namen auch mit den Wörtern gwedyd, „sagen“, und gwawd, „Dichtkunst“, in Verbindung9*. Wenn nach dem späteren Volks­ glauben die Milchstraße Caer Gwydion heißt93, so ist daran zu erinnern, daß sie als Weg der Toten ins Jenseits betrachtet wurde. In dem überaus dunklen Liede Kat Godeu94 wird von Gwydyon erzählt, er habe die Briten wieder ins Leben zurückgebracht (datwyrein y vrython). Er wird weiter als ein Beschwörer dargestellt, der ein großer Reiniger der Bretonen und von fünfmal fünf Reihen tüchtiger Handwerker war. Das bleibt freilich ziemlich rätselhaft. W ir müssen dabei immer bedenken, daß die uns erhaltenen kymrischen Überlieferungen weit mehr umgearbeitet und entstellt worden sind, als dies durchgängig mit den irischen der Fall gewesen ist. Wenn auch der Stoff der Mabinogion in einer mythischen Urschicht ruht, sie selbst sind reine Erzäh­ lungen, die ergötzen wollen. Es ist äußerst schwierig, hier jüngere, rein erzählerische Anwüchse abzutragen. Man muß damit rechnen, daß die mythi­ schen Figuren, nachdem sie zu reinen Ingredienzen einer Erzählung geworden 89 Vgl. J. Rhys, Celtic Heathendom, 1888, S. 282 ff., und F. Guiraud, Mythologie Celtique, 1935, S. 210. 90 Das ist der nördliche Teil von Wales. 91 Vgl. Book of Taliessin, X X X (Ausg. Skene, II, S. 181). 92 A a.O. S 276 93 Vgl. J. Rhys, Celtic Folklore, 1901, II, S. 645. 94 Vgl. Skene, Four ancient Books of Wales, II, S. 137—144. 55

I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

waren, ihren Charakter nicht bewahrt und daß Mischungen zwischen den Taten und Eigenschaften verschiedener Götter stattgefunden haben. Trotz dieser Vorbehalte kann aber doch wohl gesagt werden, daß in dem, was von Gwydyon berichtet wird, noch die Persönlichkeit eines Gottes durchschimmert, die an den irischen Lugus oder den nordgermanischen Odhin er­ innert. 3. Mars Die naheliegende Vermutung, eine Göttergestalt wie Mars trete auf den Denkmälern mit scharfgeschnittenem Profil hervor, ist gerade nicht zutref­ fend. Neben diesem Gott tritt überdies Herakles auf, der ja die kriegerischen Eigenschaften mit ihm gemeinsam hat. Wenn man versucht, keltische Namen an Stelle der interpretatio romana einzusetzen, bieten sich sowohl Taranis als auch Ogmios dar. Allerdings begegnen wir auch hier erheblichen Schwie­ rigkeiten. a. D e r g a l l i s c h e M a r s Cäsar nennt unter den gallischen Göttern Mars an dritter Stelle, mit der kurzen Bemerkung bella regere1. Das ist unmißverständlich. Sein Kult war, wie nicht anders zu erwarten, in Gallien sehr verbreitet; die Bildnisse zeigen jedoch stets den allbekannten griechisch-römischen Typus23. Ihm geweihte Tempel hat man nur selten gefunden; wir kennen aber aus Trier ein dem Mars Lenus geweihtes Heiligtum. Christliche Verfasser sprechen nicht selten von Tempeln, in denen er verehrt wurde*; es bleibt freilich fraglich, ob diese Mitteilungen auf einwandfreier Tradition beruhen. Im Jahre 1942 waren 225 Widmungen an Mars bekannt, von denen 155 sicher gallischer Herkunft sind456.Sie finden sich auffallenderweise im garnison­ armen Innergallien, während Mercurius gerade an der Militärgrenze verehrt worden ist*. Die Verteilung der Inschriften ist ungleichmäßig: Aquitanien hat die meisten, dann kommen das Gebiet der Treverer und die Narbonnensis, das Gebiet der Lingones sowie das Limesgebiet; vereinzelt kommen sie vor bei den Mediomatrici, Helveter und Nemeter • (vgl. Karte 8). 1 Vgl. De Bello Gallico, VI, 17, 2. 2 Vgl. Toutain, Les cultes païens dans l’Empire Romain, III, 1921, S. 217. 3 Vgl. Acta S. Dionysii Areopagitae fabulosa, in den ASS vom 9. Okt., IV, 896 (in Arles); Vita S. Frontonis I, 6 (Périgueux), Vita S. Clari (Lectoure, dép. Gers), Vita S. Fulcuini (Lobbes, Hennegau), Vita S. Leonis (Bayonne) und die Acta S. Maximiliani (Cilly, Steiermark). 4 Vgl. Lambrechts, Contributions, S. 126. 5 Vgl. Heichelheim, in Pauly-Wissowa X IV, 1930, Spalte 1960. 6 Vgl. Lambrechts, a.a.O.

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Karte 8: Verbreitungsgebiet der Mars-Denkmäler + Mars mit Diana ("Trier, Speyer) □ Mars mit Juno (Freckenfeld, Oberbetschdorf) O Mars mit Victoria (Mainz, Hambadt) A Mars mit Minerva (Mainz, Reims, Brauvillers)

Manchmal trägt Mars auf diesen Inschriften einen Beinamen. Solche wie Albiorix, Olloudius, Rigisamus sehen gallisch genug aus, aber andere wie Dahus, Giarinus, Lelhunnus sind sehr fremdartig, sie könnten teilweise ibe­ risch sein. Überdies zeigt sich, daß derselbe Name zuweilen zwei verschiedenen Göttern beigelegt werden kann: Iovantucarus ist in Trier Mars, in Tholey hingegen Mercurius, Vellannus ist in Caerwent Mars, in der Narbonnensis aber wieder Mercurius, Vintim ist Mars in Vence, jedoch Pollux in der HauteSavoie, Smertrius ist Mars in Möhn, Dis Pater aber in Bregenz, und schließ­ lich ist Cocidius ein englischer Beiname von Mars, wird aber trotzdem in Housesteads wieder mit Silvanus gleichgesetzt. Nicht alle Namen sind zu deuten. Es gibt darunter einige topischen Cha­ rakters, wie z. B. Budenicus (der Gott der Budenicenses), Buxenus (vgl. den heutigen Ortsnamen Buisson), Cemenelus (vgl. Cemenelum, jetzt Cimiez), Condatis (vgl. Condate), Rudianus (vgl. das heutige Le Royans7), Vorocius (zu Vorocium = Vouroux). Einige Namen bezeichnen ihn als einen mächtigen Gott, wie z. B. Armogios8, Beladonnis (etwa Zerstörer?), Olloudius (sehr mächtig), Mogelius (groß), Caturix (der Herr des Kampfes). Man hat auch das Wort Leherennus als „Höchster der Götter“ deuten wollen. Cicollius ent­ hält vielleicht die Wörter „Fleisch“ und „groß“. Falls Albiorix ein Wort ent­ 7 Vgl. aber auch Rudiobos, s. S. 110. 8 Vgl. Holder, Sprachschatz, I, 217.

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

halten sollte, das man mit kymrisch elfydd gleichsetzen dürfte, so könnte man den Namen übersetzen mit „Herr der W elt“. Der Name Leucetius (auch Loucetius, Loucius) läßt an eine strahlende Gestalt denken. Die Beinamen Camulos, Segomo und Smertullos sind wichtig genug, um gesondert betrachtet zu werden. C a mu l o s . Ihm geweihte Inschriften finden sich in allen Teilen der kel­ tischen Welt. Giermont in Gallien® und Rindern bei Cleve910 stehen neben Barhill in England (am Valium Hadriani)11 oder Salona in Dalmatien121345;auch in Rom ist eine Inschrift gefunden worden18. Die Hauptstadt der Trino vantes heißt Camulodunum; dort wurde er also besonders verehrt1420.Das W ort Camu­ los ist nicht ganz durchsichtigls. Man scheint es kaum von dem irischen Cumal, dem Namen eines Helden in den Finnsagen, trennen zu dürfe 17n 16. Aber ob­ gleich Finn manchmal Mac Cumaill genannt wird, lesen wir in den alten Texten jedoch Umall17. Es ist schwierig, hier zu einem überzeugenden Ergeb­ nis zu gelangen. Ein Gott, der von Dalmatien bis Schottland verehrt wurde, kann durchaus auch in Irland bekannt gewesen sein. Dann wäre der Helden­ vater Cumall als Kriegsgott und, weil er in dem Finn-Zyklus auftritt, wohl besonders als der Gott der Gefolgschaften anzusehen. S e g o m o finden wir als Beinamen an einigen Stellen in Südgallien18; ein­ mal lautet die Inschrift deo Segomoni, also ohne M ars1®. W ir kennen sogar eine Göttin Segomanna*°. Er kann kein unwichtiger Gott gewesen sein, denn die Inschrift von Lyon wurde von einem Manne gestiftet, der sich selber als flamen und duovir der Sequani (etwa 70—80 n. Chr.) bezeichnet21. Bemerkens­ wert ist eine Ogaminschrift mit den Wörtern Netta-Segomonas oder, in eine jüngere Sprachform umgesetzt, Nia Segamain, d. h. Krieger des Segamon22. Der Name Segamo deutet mit aller wünschenswerten Klarheit auf einen Gott hin, der den Sieg verleiht. S m e r t r i o s . Auf dem unter der Kirche Notre Dame in Paris gefundenen Altar, der die Darstellung des Gottes Cernunnos, den wir später besprechen 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Vgl. RA 1844, S. 253. CIR 164. CIL VII, 1103. CIL III, 8671. CIL VI, 46. Vgl. J. Rhys, Lectures on the origin and growth of religion as illustrated by Celtic Heathendom, S. 39. Pokorny stellt das W ort in seinem Etymologischen Wörterbuch, 557, zweifelnd zur Wurzel 4 *kem, „sich abmühen“, vgl. mir. cumal. Windisdi, Das keltische Britannien, S. 119, äußert jedoch Zweifel daran. Vgl. K. Meyer, RC X X X II, 1911, S. 391. Cimiez bei Nizza (CIL V, 7868), Lyon (CIL X III, 1675), bei Culoz, dép. Ain (CIL X III, 2532), Arinthod, dép. Jura (CIL X III, 5340). Bolard bei Nuits, Côte d’Or (CIL X III, 2846). Serviers-et-Labaume, dép. Gard (Revue Epigr. V, 1906, S. 185, Nr. 1655). Vgl. Thevenot, Sur les traces des Mars Celtiques, 1955, S. 48. Vgl. J. Rhys, a.a.O., S. 33. 58

3. Mars

werden (s. S. 104), aufweist, sieht man noth eine andere Gestalt: einen Mann, der seine Keule gegen eine Schlange erhebt23. Man hat diese Keule als ein Blitzsymbol deuten wollen24. Oberhalb steht eine verstümmelte Inschrift, von der nur nodi SMERT zu lesen ist2526. Anfangs hat man den Namen als Smertullos ergänzt23. Es gibt jedodi eine Inschrift im Gebiet der Trevires, die Marti Smertrio geweiht ist27. Weniger ergiebig ist eine andere Inschrift in Großbuch (Karinthien), auf der man . . . iti Smer . . . Aug. gelesen h at28. Man hat des Pariser Bildes wegen oft an einen Herkules gedacht2®, aber die Attribute der Löwenhaut und des Bogens fehlen30. Den Gott Smertrios, dessen Name an Mercurius’ Begleite­ rin Rosmerta (s. S. 118) erinnert, hat man als Mars gedeutet. Das ist mög­ lich, aber aus der Darstellung auf dem Pariser Altar, die im Grunde durchaus unklar ist, kann man das keineswegs folgern (s. Abb. 1). Ob nun die Schlange sich vor dem Gott aufrichtet oder aber von ihm in der linken Hand gehalten w ird31, die dar­ Abb. 1: Basrelief im Museum von Cluny, gestellte Szene bleibt völlig rätsel­ von dem nur der obere Teil erhalten ist haft. Der Name wurde in verschie­ (Espérandieu IV, Nr. 4133) dener Weise erklärt32; am meisten befriedigend dürfte die Übersetzung „der voraussieht“ oder „der vorsieht“ sein33. Dabei kann man ihn natürlich als einen Alexikakos betrachten, was durchaus zu Mars stimmen würde; man könnte aber auch an das Walten des Schicksals denken. Man gewinnt den Eindruck, daß die Beinamen dem Mars-Charakter des keltischen Gottes entsprechen. Trotzdem hat man behauptet, er sei überhaupt Vgl. Espérandieu, IV, 3133. Vgl. P. M. Duval, EC VI, 1953-1954, S. 219-238. CIL X III, 3026. Mowat, Bulletin épigraphique, I, S. 49 ff. und 111 ff.; das W ort ist als Personen­ name mehrfach belegt wie auch Smertulitanus, vgl. M. Ihm, in Roschers Lexikon, IV, Sp. 1082. 27 CIL X III, 11975. 28 Vgl. R. Egger, W iener Jahreshefte, XXXV, 1943, S. 99. Die Ergänzung .iti zu Diti ist natürlich nur eine Vermutung. 29 Vgl. F. Koepp, in: Bonner Jahrbücher, 1919, S. 56. SO Vgl. P. M. Duval, a.a.O., S. 236. 31 Ch. Picard hat nicht eine Schlange, sondern einen Bogen darin sehen wollen, vgl. P. M. Duval, Monuments Piot, XLVIII, 1954, 2, S. 81. 32 Lewis-Pedersen, A concise comparative Celtic Grammar, 1937, § 26, 11, verbinden mit ir. smir, „Fett«, was keinen Sinn gibt. Eine Erklärung durch ir. sméróit, „Koh­ lenfeuer“, lehnt Vendryes (RC X X X V III, S. 366) mit Recht ab. 33 Vgl. J. Vendryes, in ÉC II, 1937, S. 133.

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kein Kriegsgott gewesen, sondern ein Heilgott84 oder audi ein Gott des Reiditums und der Fruchtbarkeit. Wenn sich in dem Heiligtum von Antre (bei Morrans, Jura) Thermen befinden, so besagt das an sich noch nicht, daß er wie Apollo als Heilgott zu gelten hat; die dort gefundenen Inschriften sind jedenfalls Mars und Bellona geweiht86; das spricht unbedingt für einen krie­ gerischen Mars. Namen wie Loucetius oder Rudianus deuten an und für sich noch nicht auf eine Sonnengottheit hin 88. Der Kriegsgott ist seinem Charakter nach ein gewaltiger Schirmherr; deshalb kann er als Gott des Stammverbandes verehrt worden sein87. In England ist er mit Victoria verbunden, und zwar in der Nähe des Valiums; da ist an seinem Charakter als Kriegsgott nicht zu zweifeln88. Wenn im befriedeten Gallien dieser Kriegsgott zu einem Mars paisible geworden ist89, so wäre das an sich gar nicht befremdlich; auch der römische Mars und der nordgermanische Thor können ja als Schutz­ herr der Bauern auftreten. Wer jedoch aus diesem Charakterzug schließen will, der keltische Gott habe überhaupt nichts mit dem Krieg zu schaffen gehabt, der läßt dabei unerklärt, weshalb die Gallier ihn dann doch immer wieder Mars genannt haben. Als Cäsar das W ort Mars niederschrieb, hat er sicherlich an den Kriegsgott gedacht. Es ist daran zu erinnern, daß neben Mars ein paarmal die Göttin Nemetona vorkommt. Eine Inschrift in Altrip, Rheinbaiem ", ist Marti et Nemetonae geweiht. In Bath wurde die Inschrift Loucetio Marti et Nemetonae von einem civis Tr ever gestiftet3435678904142. In Klein-Wintemheim bei Mainz kam ein ursprüng­ lich mit Silber überzogenes Bronzetäfelchen zum Vorschein, das von einem Mitglied der höchsten Aristokratie des kaiserlichen Roms der Nemetona ge­ weiht w ar48. Damit ist die hohe Bedeutung dieser Göttin sichergestellt; sie wurde anscheinend besonders bei den Nemetes verehrt. Aber diese Nemetona 34 Mars Latobus in Kärnten, Mars Lethunnus in den Pyrenäen, vgl. Lambrechts, Contributions, S. 145—146. Aber Fr. le Roux, Ogam VII, 1955, S. 120, erklärt Latobius aus den W örtern lato, »Held“, und der W urzel *be, »schlagen“. Lethun­ nus ist wahrscheinlich iberisch und jedenfalls dunkel. 35 CIL X III, 5343-5353. 36 So E. Thévenot, Sur les traces des Mars celtiques, 1955, S. 62 ff., der weiter noch auf den Kalender von Colligny hinweist; hier haben andere Forscher eben an Apollo gedacht. 37 D arauf deuten topische Beinamen wie Vintius und Vorocius. Den bei den Helvetem gefundenen Namen Caturix (Chougny bei Genève und Yverdon, aber auch einmal bei Stuttgart) hat Thevenot (a.a.O., S. 88) mit dem Namen der Caturiges verbunden; wir finden aber daneben auch Segomo, was doch wohl »der Sieg­ reichste“ bedeuten wird, vgl. auch Teutates und dazu P. M. Duval, RHR CXLV, 1954, S. 13-14. 38 Mars mit Victoria verbunden ebenfalls in Hambach und Mainz, dagegen mit Minerva in Mainz, Reims und Brauvillers, endlich mit Diana in T rier und Speyer. 39 Vgl. G. Drioux, Cultes indigènes des Lingons, 1934, S. 37—38. 40 CIL X III, 6131. 41 CIL VII, 36. 42 Vgl. M. Ihm, in: Roschers Lexikon, III, Sp. 167—168.

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3. Mars

kann man deshalb nodi nicht als die Sondergöttin dieses Stammes betrachten, wie z. B. Caturix nur der Gott der Caturiges gewesen zu sein scheint, denn ihrem Namen wird wohl das Wort nemeton, „Heiligtum“, zugrunde liegen, ihr Name muß also etwa als „die in einem Heiligtum Verehrte“ oder wohl besser als „die Hochheilige“ gedeutet werden4*. Zu ihrem Namen stimmt in irischer Überlieferung Nemed, der als der Führer der zweiten Invasion im Lebor Gabála erwähnt wird; eine alte mythische Gestalt wurde hier also wieder euhemerisiert. Seine Frau ist Madia, eine Göttin der Erde (s. S. 229), die als Patronin der Zusammenkünfte der Ulster auf Emain Madia verehrt wurde. Dumézil hat nachgewiesen, daß die­ ser Nemed, dem Rodungen und Siedlungen zugeschrieben wurden, eine Gott­ heit der „ersten Funktion“ w ar4344. Man hat mit Nemetona aber auch die irische Kriegsgöttin Nemon in Zu­ sammenhang gebracht; diese wird als Frau des Kriegsgottes Nêt erwähnt und weiter mit der Kampffurie Mórrígu verbunden4*. Der Unterschied in der Namenbildung ist aber doch wohl zu groß, als daß man eine nähere Ver­ wandtschaft annehmen dürfte. Abschließend gelangen wir zu dem Ergebnis, daß die interpretatio romana mit Mars einen gallischen Kriegsgott bezeichnet, dessen einheimischer Name uns einstweilen noch verborgen bleibt.

b. H e r k u l e s Es gibt mehr als hundert Inschriften, die einem Herkules gewidmet sind; sie wurden hauptsächlich im Nordosten Galliens gefunden464789, kommen aber sporadisch auch in anderen Gegenden vor. So wurde ein Herkules mit dem Beinamen Andossus47 in der Narbonnensis und in Aquitanien, mit den Na­ men Toliandossus48 in Aquitanien und Ilunnus*9 in der Narbonnensis fest­ gestellt. Überdies haben wir etwa 340 Steinmonumente, die durchgängig in nor­ mal römischer Darstellung einen Herkules mit Keule und Löwenhaut ab­ 43 Deshalb ist sie noch nicht als eine Hinunelsgöttin zu betrachten, wie das Ihm anzudeuten scheint. Dasselbe W ort finden wir in dem Stammhamen der Nemetes und in Ortsnamen mit den Elementen nemeto- oder -nemetum. 44 Vgl. G. Dumézil, RHR CXLVI, 1954, S. 8-9. 45 Vgl. J. Rhys, a.a.O., S. 42, und M. L. Sjoestedt, Gods and Heroes of the Celts, S. 18. 46 Vgl. Lambrechts, Contributions, S. 157 ff. 47 Vgl. den ON Andosini in Katalonien, vgl. J. Becker, Jahrbuch des Vereins von Altertumsforschern im Rheinland, X LII, 1867, S. 28. 48 Vgl. CIL X III 3434 in St.-Elix-Theux. 49 Vgl. CIL X II, 4316 und den spanischen Ortsnamen Ilunum.

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bilden50. Das führt uns also nicht weiter. Auf dem Menhir von Kernuz (Finistère) ist neben einem Mercurius mit caduceus und Börse ein Herkules zu sehen, der mit einer Keule bewaffnet ist51; die Bilder sollen noch in die vorrömische Zeit gehören. Wichtiger ist eine Stele auf dem Berge Donon; der dort abgebildete Gott hat die Schuhe des Mercurius an den Füßen; über die linke Schulter hat er statt der Löwenhaut einen Mantel geworfen, in dessen Falten er, wie ein Silvanus, Früchte und einen Pinienapfel hält. In der linken Hand trägt er eine Sichel mit langem Handgriff, mit der rechten stützt er sich auf ein Hirschgeweih. Das ist wieder ein Beispiel für die hybriden Darstel­ lungen, denen wir so oft in Gallien begegnen5253. Hinter dieser Herkules-Figur verbirgt sich eine kriegerische Gottheit5S. Der germanische Kriegsgott Donar heißt in römischer Interpretation ebenfalls Herkules54; es ist verständlich, daß der Gott mit dem Blitzhammer dem Hel­ den mit der Keule gleichgesetzt worden ist. Aus dem Namen des Donners­ tages geht jedoch hervor, daß man Donar auch mit Jupiter hat gleichsetzen können, der ja ebenfalls einen Blitz schleuderte55. Dementsprechend brauchen wir uns nicht darüber zu verwundern, daß ein gallischer Kriegsgott das eine Mal als Mars, das andere Mal hingegen als Herkules aufgefaßt wurde. Der Herkuleskult hat sich im westlichen Teil des Mittelmeergebietes beson­ ders stark durchgesetzt. Aristoteles spricht von einem Heraklesweg, der von Italien aus nach den keltischen, kelto-ligurischen und iberischen Ländern führte und als besonders heilig galt5*. Das dürfte erklären, weshalb auch in Gallien Herkules sehr verehrt wurde, mitunter vielleicht sogar als römischer Heros. Lucianus spricht in seiner Abhandlung über Herakles von einem gallischen Gott Ogmios, der ebenfalls mit Keule und Löwenhaut ausgestattet war. Die­ sen Gott werden wir nachher in einem eigenen Abschnitt besprechen. Dann erst wird der Charakter dieses Ogmios näher bestimmt werden können. Vor­ wegnehmend möchte ich jedoch bemerken, daß Herkules ebenso wie Mars auf einen gallischen Kriegsgott hindeutet57. 50 Vgl. Ch. Renel, Les religions de la Gaule, 1907, S. 317—320. 51 Vgl. L. Courcelle-Seneuil, Les dieux gaulois d’après les monuments figurés, 1910, S. 7-14. 52 Vgl. A. Grenier, Les Gaulois, 1945s, S. 347. 53 Wenn er in Vichy verehrt wurde, darf man daraus noch nicht folgern, daß er be­ sonders mit Heilquellen verbunden gewesen sei, wie das Thevenot (Ogam VI, 1954, S. 245—248) annimmt. 54 Vgl. Tacitus, Germania c. 9. 55 Vgl. meine Altgermanische Religionsgeschichte2, §§ 413—415. 56 Vgl. L. R. Farneil, Greek Hero Cults, S. 138—139. 57 Eine Gleichsetzung mit Jupiter, wie sie Lambrechts, Contributions, S. 158—159, annimmt, scheint mir unrichtig. Vermischungen zwischen Mars und Jupiter sind in der interpretatio romana aber keineswegs ausgeschlossen.

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c. T a r a n i s In der berühmten Stelle bei Lucanus58 steht neben Teutates und Esus auch Taranis Scythicae non mitior ara Dianae. Die Scholien stiften wieder Ver­ wirrung. Einerseits heißt es, Taranis sei Dis Pater und ihm zu Ehren würden Menschen in Holzkübeln verbrannt, andererseits ist er als praeses bellorum ein Jupiter; früher wurden ihm die Köpfe von Menschen, jetzt aber nur Tiere geopfert59*6123457.Hier ist also von Mars überhaupt nicht die Rede. W ir kennen nur eine ihm geweihte Inschrift, und zwar die bei Orgon am Rhönemund gefundene; sie ist in griechischen Buchstaben geschrieben und bietet die Form 7 A R A N O O Y ®°. Daneben sind zu erwähnen eine Inschrift an Jupiter Taranucus 51 in Dalmatien und zwei Inschriften an Taranucnus in Deutschland52. Diese Namen bedeuten etwa „zu Taranis gehörend“ oder „Sohn des Taranis“. Die Deutung des Namens ist klar; das Grundwort ist *taran, „Donner“, vgl. air. torann, kymr. bret. ta ra n 5S. W ir dürfen deshalb auch die Nebenform Tanaros einbeziehen. Ihm wurde eine Inschrift in Chester gewidmet: IO M T anaro *4. Dieser Name läßt sich unmittelbar mit dem des germanischen Gottes Donar in Verbindung bringen. Die beiden Formen taran- und tanar- können nicht auf eine Grundform zu­ rückgeführt werden; sie sind wohl als Wechselformen zu betrachten55. Es ist demnach von einem Gott auszugehen, der mit dem Himmelsphäno­ men des Donners in Beziehung stand. Die Identifikation mit Jupiter ist leicht verständlich, und deshalb neigt man auch dazu, ihn als einen keltischen Him­ melsgott aufzufassen55. Es ist jedoch daran zu erinnern, daß Donar ebenfalls mit Jupiter gleichgesetzt wurde; dazu bot die Blitzwaffe ja eine naheliegende Veranlassung. Ich sehe aber gar keine Notwendigkeit dazu, diesen Tanaris nun auch mit dem Gott zu verbinden, der auf bildlichen Darstellungen mit einem Rad abgebildet wurde, wie das trotzdem von mehreren Forschern ge­ schehen ist57. Das Rad ist ein Sonnensymbol und paßt zu einem Himmelsgott. 58 Vgl. De bello civili V, 444—446. 59 Vgl. die Commenta Bernensia. 60 Vgl. CIL X II, 820; die Inschrift wurde von einem Vebromaros im 2. Jht. n. Chr. gestiftet. 61 Vgl. CIL III, 2804 aus Scardona in Dalmatien. Die Inschrift CIL III, 10418 von Alt-Ofen, Blockberg ist unsicher. 62 CIL X III, 6094 aus Godranstein bei Landau und 6478 von Boedcingen bei Heil­ bronn. 63 Schon Dom Martin, I, 281, gibt diese Etymologie. 64 CIL VII, 168 aus dem Jahre 154. Verbunden mit der Inschrift CIL III, 10418 von Blockberg, die aber nur 10MT enthält, vgl. dazu Riese, W Z XVII, 1898, S. 12. 65 Vgl. Fr. le Roux, Ogam, 1958, S. 39. 66 Vgl. A. Grenier, Les Gaulois8, S. 344, und P. M. Duval, ÊC V III, S. 54—57. 67 Vgl. Heichelheim in Pauly-Wissowa, 2. Reihe IV, 1932, Sp. 2275 f.; Lambrechts, Contributions, 1942, S. 66 ff.; P. M. Duval, RHR CXLV, 1954, S. 11, ÉC VIII, S. 54—57, und Les dieux de la Gaule, 1957, S. 23—24, weiter noch Fr. le Roux, Ogam X I, 1959, S. 307-324.

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Der Blitz hingegen ist ein Symbol, das, wenn es auch ebenfalls eine Himmels­ erscheinung meint, eine ganz andere Bedeutung haben kann. Ich gehe deshalb auf den Radgott hier nicht ein, sondern belasse ihn in der oben angegebenen Darstellung des Gottes Jupiter (s. S. 34 ff.)M. Wenn man einen „Donnergott“ erklären will, muß man sich von den natur­ mythologischen Deutungen der Vergangenheit distanzieren. Himmelsphäno­ mene können Göttern zugeordnet sein; sie brauchen deshalb ihr Wesen nicht zu erschöpfen und bilden deshalb auch nicht den Ausgangspunkt für ihre Be­ stimmung. Ein Gott, der mit dem Donnersymbol ausgestattet ist, ist an erster Stelle ein furchtbarer Gott; er hat eine vernichtende Kraft, und zu seinem Wesen gehört zweifellos das Lärmen. Der germanische Donar, dessen Name verwandt ist, läßt sich am besten zum Vergleich heranziehen. Man hat hier früher ebenfalls an einen eigent­ lichen Gott des Donners gedacht, der dann späterhin auch Gott des Krieges geworden sei. Ich möchte keinesfalls verneinen, daß in grauer Vorzeit ein Gott des Donners denkbar ist. Aber bei den indogermanischen Völkern hatte dieser „Donnergott“ jedenfalls eine ganz andere Funktion erlangt. Das lehrt uns schon das Beispiel des indischen Indra. Weiter geht aus dem Vergleich Donar—Indra unzweideutig hervor, daß in der frühhistorischen Zeit, die wir hier im Auge haben, diese Gottheit ganz besonders mit der Gesellschafts­ klasse der kriegerischen Aristokratie verbunden w ar6*. Ich möchte es deshalb für statthaft erklären, den keltischen Taranis-Tanaros ebenfalls diesem Göt­ tertypus zuzurechnen7#. Die äußerst kleine Zahl der Inschriften macht es wahrscheinlich, daß der alte Kriegsgott unter diesen Namen in der späteren Zeit keine große Bedeu­ tung mehr gehabt hat. Andererseits ist zu beachten, daß sie weit über das ganze keltische Gebiet verstreut sind. W ar sein Kult schon im Schwinden be­ griffen, als die Zeit unserer Dokumentation über ihn angebrochen war? Hat dieser Kriegsgott daneben vielleicht noch andere Namen getragen?6869701 68 Deutungen als Unterweltsgott (vgl. Lambrechts, a.a.O., S. 77, und Fr. le Roux, Ogam VII, 1955, S. 46: dieu solaire et psychopompe!) scheinen mir verfehlt. Die Erklärung als Gott des Eides (so van Hamel, Aspects, S. 34) ist zu eng. Aber natürlich kann ein Gott des Donners auch bei Eidesleistungen angerufen werden. 69 Also zur zweiten Funktion, wie G. Dumézil das genannt hat. 70 Diese Auffassung ist natürlich nur eine Hypothese. Es ist nicht zu leugnen, daß die Inschriften und die Scholien bei Lukan eher auf eine Identifikation mit Jupiter hinzuweisen scheinen. Sie läßt sich aber, wie schon gesagt, dadurch erklären, daß nach römischer Vorstellung ein Gott des Donners eben der Blitzschleuderer ZeusJupiter sein mußte. Auch der germanische Donar wurde als ein Jupiter aufgefaßt, das heißt also als eben der Gott, der über das Gewitter gebietet. Deshalb lege ich den vollen Nachdruck auf die Tatsache, daß der Name Tarants diesen Gott in die unmittelbare Nähe von Donar bringt. 71 Man hat auch den gallischen Hammergott mit Taranis verbunden, z. B. J. F. Cerquand, Taranis Lethobole, 1881, und RC V, 386, weiter schon J. Rhys, a.a.O., S. 65, und H. Gaidoz, RC VI, S. 457—459. Das scheint in Hinblick auf den Ham-

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d. O g m i o s Den Herakles nennen die Kelten mit einem einheimischen Wort Ogmios, sagt Lukianos72. Er hat ein Bild von ihm gesehen, das ihn sehr in Erstaunen versetzte, weil dieser gallische Herakles zwar durch Löwenhaut, Keule, Bogen und Köcher deutlich als solcher gekennzeichnet war, dem griechischen Heros im übrigen jedoch nur wenig glich. Er war als ein alter Mann dargestellt, kahlköpfig und grau, mit runzeliger und schwarzverbrannter Haut; man hätte deshalb eher an Charon oder Japetos denken können. Das Bild zeigte aber noch Wunderlicheres. Dieser alte Herakles zieht eine ziemlich große Menge von Menschen an ihren Ohren gefesselt hinter sich her. Als Fesseln dienen ihm dünne, aus Gold und Bernstein gearbeitete Ketten. Die Menschen leisten keinen Widerstand, sondern folgen strahlend und freudig ihrem Führer. Da der Maler dem Gott in beide Hände schon Waffen gegeben hatte, zog er die Ketten durch dessen durchbohrte Zungenspitze und ließ ihn so die Gefesselten nachziehen. Lächelnd wendet der Gott sich nach ihnen um. Als Lukianos staunend vor diesem Bilde stand, kam ein weiser Kelte zu ihm und gab ihm die erwünschte Erklärung, indem er sagte, daß die Kelten den Logos nicht wie die Griechen Hermes, sondern Herakles nannten, weil dieser um vieles stärker sei. W ir haben keine Veranlassung, an der Wahrheit dieser Mitteilung zu zweifeln. Lukianos verblieb längere Zeit in den halbgriechischen Städten Süd­ galliens und hat das von ihm beschriebene Freskobild dort betrachten können. Ein gemaltes Bild setzt jedoch einen griechischen, vielleicht einen römischen Künstler voraus; man kann sich deshalb denken, daß dieses Bild ein Produkt der allegorischen Bildkunst der spätgriechischen Periode war u. Denn die gal­ lischen Künstler waren damals noch nicht in der Lage, derartige Freskomale­ reien zu schaffen. Es ist zwar möglich, daß ein Gallier den Auftrag erteilt und dabei angedeutet hat, wie der Maler das Bild ausführen soll; man kann sich aber auch vorstellen, daß ein Gallier, wenn er dieses allegorische Bild sah, gleich an Ogmios denken mußte, ohne daß der Maler beabsichtigt hatte, gerade diesen Gott abzubilden. Wie dem auch sei, es müssen immerhin so große Ähnlichkeiten zwischen diesem Bilde und der Vorstellung von diesem gallischen Gott bestanden haben, daß eine Identifikation stattfinden konnte75.

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mer des germanischen Gottes erwägenswert. Aber die Figur des Gottes mit dem Hammer wirft Probleme auf, die mich dazu nötigen, ihn an einer besonderen Stelle zu behandeln, S. 91—96. Vgl. I, 6 S. 82-85. Vgl. F. Benoit in der Festschrift für Rudolf Egger, 1952, S. 144 ff. Vgl. F. Koepp, Bonner Jahrbücher CXXV, 1919, S. 38—73. Mit Recht bemerkt P. M. Duval, Les dieux de la Gaule, 1957, S. 80—85: wenn man von einem gallo-römischen Herkules spricht, ist das nur dem Umstand zu ver­ danken, daß wir diesen Ogmios kennen.

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I. Die in den römischen Quellen erwähnten Gottheiten

Ehe wir versuchen, das Bild zu deuten, wollen wir zunächst die übrigen Quellenbefunde für diesen Gott behandeln. Merkwürdigerweise gibt es über­ haupt keine Inschriften, die einem Ogmios gewidmet sind. Nur zwei in Bre­ genz gefundene Bleitäfelchen sind uns bekannt, die beide defixiones enthalten und in denen Ogmios gebeten wird, einen Schadenzauber auszuüben7®. Man hat darin den Beweis dafür sehen wollen, daß Ogmios der keltische Totenführer w ar7677. Das ist jedoch keineswegs sicher. Man kann zum Zwecke eines solchen Zaubers Götter verschiedener Art anrufen; die Hauptsache ist nur, daß der Gott als besonders machtvoll gilt oder aber über magische Kräfte verfügt. Das Fehlen jeglicher Spur eines Ogmios-Kultes auf keltischem Boden ist beunruhi­ gend. Welche Art von Gottheit war er dann? Man hat des weiteren auf armorikanische Münzen hingewiesen78; auf ihnen sieht man eine unbärtige Büste7®, von der vier girlandenähnliche Ketten ausgehen; am Ende jeder derselben befindet sich ein kleiner Kopf, wie es scheint der eines lebenden Mannes oder Jünglings. Man hat mit Zuversicht angenommen, daß auch hier eine Ogmiosgestalt vorliege80; man hat andererseits aber auch jeden Zusammenhang ver­ neint81. Tatsächlich muß festgestellt werden, daß das Bild der Münzen nicht genau mit dem von Lukianos beschriebenen übereinstimmt. Es ist allerdings möglich, daß sich in Südgallien und in der Bretagne verschiedene Typen aus­ gebildet hatten. Man sollte jedoch weiter bedenken, daß die Münzen Nach­ bildungen griechischer Prototypen sind, und zwar von Stateren des makedo­ nischen Königs Philippos IL, die vielfach ein jugendliches Antlitz zeigen. Ich halte es deshalb für Hyperkritik, hier jeden Zusammenhang zu leugnen8283*. Können wir noch weiter gelangen? MacCulloch hat auf eine Stelle in der Táin bó Cualnge hingewiesen88; hier wird folgendes erzählt: MacRoth sieht unter den Heerscharen, die auf der Ebene von Meath im Anzuge sind, einen Haufen, der geführt wird von einem schwarzen und schnellen dunklen Mann mit sieben Ketten um seinen Hals, sieben Mann am Ende jeder Kette. Er schleift diese siebenmal sieben so, daß ihre Münder gegen den Boden schlagen; 76 Das hat schon 1868 A. Hudier getan, vgl. L’A rt gaulois ou les Gaulois d’après leurs médailles, I, S. 10. 77 Vgl. R. Egger, W iener Jahreshefte, XXXV, 1943, 99—137. 78 Vgl. auch M. Ihm in Roscher III, S. 682. 79 Also einen Jüngling, vgl. J. Martin, Würzburger Jahrbücher für die Altertums­ wissenschaft, I, 1946, S. 359—360. 80 Vgl. G. Dottin, La religion des Celtes, 1904, S. 19; M. Ihm in Roschers Lexikon, III, Sp. 682; A. Grenier, Les Gaulois, 1945, S. 347; F. Benoit, CRAI, 1952, S. 103, und in der Festschrift für Rudolf Egger, 1952, S. 145—146. 81 Vgl. F. Koepp, a.a.O., und Ch. Robert in CRAI, 1886, S. 268-273. 82 Fr. le Roux, a.a.O., S. 218, weist jedoch den Gedanken an einen näheren Zu­ sammenhang ab und bemerkt mit Recht, daß solche Darstellungen auf Münzen weniger zu einer Erklärung als zu einer Bestätigung beitragen. 83 Vgl. MacCulloch, Celtic Mythology, 1918, S. 11, später wieder von F. R. Schröder, Altgermanische Kulturprobleme, 1929, S. 51, aufgenommen.

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daraufhin machen sie ihm Vorwürfe, und er hört damit auf84. Es bestehen bedeutende Unterschiede zwischen diesem Auftritt in der irischen Sage und dem Bericht des gallischen Philosophen; denn in dem einen Fall ist das Ver­ hältnis zwischen Führer und Geführten freundlich, in dem anderen jedoch keineswegs. Das könnte man freilich damit erklären, daß unter verschiedenen Umständen dieses Verhältnis sich verschieden gestaltet. Zuweilen hat man diese Zeugnisse völlig voneinander trennen wollen, aber ein vorsichtiges Ab­ wägen der Möglichkeiten spricht doch wohl dafür, daß beide Überlieferungen sich vermutlich auf dieselbe mythische Vorstellung beziehen8*. Man hat aber noch auf andere Weise die irische Sage zur Deutung heran­ gezogen. Wenn Cúdiulainn in Kampfwut gerät, dann tritt eine grausame Ver­ zerrung seines Körpers (riastrad) ein. Eines der Symptome besteht darin, daß sich aus seiner Stirn, so dick wie die Faust mit Daumen eines Mannes, der lón laith erhebt. Der gerade Strahl dunklen Blutes, der genau aus dem Scheitel seines oberen Kopfteiles senkrecht in die Höhe stieg, war so lang wie der Mastbaum eines großen Schiffes88. Damit hat man weiter in Verbindung ge­ bracht87, daß sich auf den gallischen Münzen ein Strahl oder Nagel befindet, der bald von einem Auge, bald von der Nasenwurzel, bald vom Scheitel, bald von beiden Stellen zugleich ausgeht88. Das ist dann zwar nur ein Zug des riastrad; man hat jedoch versucht, noch andere Parallelen aufzudecken8#. Die Hypothese ist bestechend; es muß aber betont werden, daß sie ebenso unsicher wie geistreich ist80. Zum Verständnis des von Lukianos beschriebenen Bildes trägt dieser Ausflug in das Gebiet der irischen Sage herzlich wenig bei. Wie dies fast immer der Fall ist, bleibt uns das Bild, solange wir den dazu­ gehörigen Mythos nicht kennen, vollkommen dunkel. Denn weis der weise8456790 84 Vgl. Z. 5523—5527. Vgl. eine ähnliche Beschreibung in Tucait indarba na nDéssi, Ausg. Anecdota from Irish manuscripts, I, 1907, S. 15: aengus gaibuaibteach. i. gai neimneadi co slabradaib ré ais. Teora slabrada esti. Triar fer cacha slabraidh iga tarraing. 85 So hat / . Martin, a.a.O., jeden Zusammenhang abgelehnt. Fr. le Roux fuhrt, a.a.O., S. 222—223, überzeugende Gründe an, um den Verband zwischen beiden Nach­ richten höchst wahrscheinlich zu machen. 86 Vgl. Táin b